Gericht

Bayerisches Landessozialgericht

Tenor

I.

Die Berufungen der Klägerin gegen die Gerichtsbescheide des Sozialgerichts München vom 11.01.2012 werden zurückgewiesen.

II.

Die Klägerin trägt die Kosten der Berufungsverfahren einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 2).

III.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen Arzneiregresse bei den Einzelverordnungen wegen der Verordnung von Immunglobulinen in den Quartalen 4/00, 1/01 und 2/01.

I.

Die Beigeladene zu 2) in den früheren Verfahren L 12 KA 17/12, L 12 KA 29/12, L 12 KA 45/12 hat mit Schreiben vom 21.03.2002 Antrag auf Prüfung der ärztlichen Verordnungsweise in Einzelfällen im Quartal 2/01 u. a. wegen der Verordnung von Octagam gestellt. Hierzu hat sich die Prozessbevollmächtigte am 24.05.2002 geäußert. Die Praxisbesonderheit einer HIV-Schwerpunktpraxis führe naturgemäß zu überdurchschnittlichen Arzneikosten. In diesem Zusammenhang sei insbesondere auf die unter dem Durchschnitt liegenden Krankenhauseinweisungen hinzuweisen. Hinsichtlich der Verordnung von Immunglobulinen in der HIV-Versorgung sei darauf hinzuweisen, dass diese sich nicht gegen die Empfehlungen der DAGNÄ e. V. richten würden. Diese Empfehlungen würden sich gerade auf jene Fälle beziehen, in denen die Verordnung trotz und in Ergänzung zur hoch aktiven antiretroviralen Kombinationstherapie aus medizinischer Sicht notwendig sei. Die Vertragsärzte hätten die Verordnung von Immunglobulinen lediglich in den Fällen vorgenommen, bei denen zum einen eine stark fortgeschrittene Krankheitsphase der HIV-Erkrankung erreicht gewesen sei, zum anderen hätten diese Patienten an rezidivierenden bakteriellen oder viralen Infekten, die trotz medikamentöser Behandlung, zum Beispiel mit Antibiotika, immer wieder auftreten würden, gelitten. Grund dafür sei die Tatsache, dass mit der hoch aktiven antiretroviralen Kombinationstherapie der erworbene Immundefekt nicht beseitigt werde. Durch diese Therapie werde lediglich die Ausbreitung des HI-Virus im menschlichen Körper eingedämmt bzw. verzögert. Vernichtet werde das Virus nicht. Gleichwohl zeigten einige Patienten, bei denen die hoch aktive antiretrovirale Kombinationstherapie nicht zum begehrten Therapieziel führe, dass in diesen Fällen die Ergänzung der Therapie mit Immunglobulinen indiziert sei. Zweifelsfrei handle es sich bei der HIV-Infektion um eine sekundäre Immundefektkrankheit. Die Existenz dieser Erkrankung werde in den Leitlinien verschwiegen. Damit würden diese keine abschließende Regelung enthalten und ihre Heranziehung erscheine im Hinblick auf die bestehende Problematik wenig hilfreich. Hinsichtlich der einzelnen Patienten sei darauf hinzuweisen, dass die Patientin A.G. das Stadium AIDS der HIV-Infektion erreicht habe, außerdem Hepatitis C gehabt habe. Sie sei wegen einer schweren beidseitigen abszedierenden Pneumonie stationär behandelt worden. Seit sie Immunglobulinpräparate enthalte, habe ein deutlicher Rückgang von Infektionen dokumentiert werden können. Die Patientin sei der Kategorie 3 der DAGNÄ-Empfehlungen zuzuordnen. Der Patient W.M. habe ebenfalls das Stadium AIDS der HIV-Infektion erreicht. Ein Auslassversuch habe bei diesem Patienten zu gehäuften Infektionen und massiven Defekten geführt. Auch bei der Patientin J.L. (Stadium AIDS) zeige sich dank IVIG ein deutlicher Rückgang von Infektionen, ebenfalls bei dem Patienten R.B. Der Patient H.N. (AIDS) habe bedingt durch einen Arztwechsel einen Auslassversuch hinter sich gebracht, der zu gehäuften Infektionen geführt habe. Beim Patienten E.P. (Kategorie 3) habe durch die Verordnung von IVIG eine wesentliche Besserung schwerster Infektionen erreicht werden können.

Der Prüfungsausschuss der KVB Bezirksstelle A-Stadt Stadt und Land hat mit Bescheid vom 20.01.2003 gegen die Klägerin einen Regress bei den Einzelverordnungen in Höhe von 28.511,60 EUR festgesetzt. Der Prüfungsausschuss habe eine Einzelfallprüfung durchgeführt und könne die von der AOK Bayern getroffenen Feststellungen hinsichtlich der unwirtschaftlichen Verordnungsweise zum Teil bestätigen.

Hiergegen richtet sich der Widerspruch der Klägerin vom 17.02.2003, der mit Schriftsatz vom 06.06.2003 näher begründet wurde. In den vorliegenden Fällen sei die streitgegenständliche Therapie von den Arzneimittelrichtlinien umfasst. Nach der Nr. 20 dieser Richtlinien dürften Impfstoffe und/oder Immunglobulin-Präparate insbesondere bei immunsupprimierten Patienten und bei Patienten mit Immundefekt verordnet werden, wenn nach wissenschaftlicher Erkenntnis hierdurch ein Krankheitsausbruch mit großer Wahrscheinlichkeit verhindert werden könne. Die medizinische Notwendigkeit der Behandlung ergebe sich in den vorliegenden Fällen daraus, dass die aufgeführten Patienten neben einer fortgeschrittenen HIV-Infektion an anderen Erkrankungen leiden und zur Prophylaxe dieser bakteriellen und viralen Erkrankungen eine Immunglobulintherapie erforderlich sei. Das HI-Virus zerstöre das menschliche Immunsystem. Bei entsprechender Ausbreitung des Virus versterbe der Patient an den sog. opportunistischen Erkrankungen, die als Folge seiner Immunschwäche nicht mehr bekämpft werden könnten. In der medizinischen Wissenschaft seien in der Vergangenheit zahlreiche Ansätze gefunden worden, diesem Phänomen zu begegnen. Unter anderem werde seit Anfang 1997 die hoch aktive antiretrovirale Kombinationstherapie eingesetzt. Unbestritten habe diese Therapie zu einer deutlichen Reduktion der HIV-assoziierten Morbidität und Mortalität geführt. Der natürliche Verlauf der HIV-Infektion könne durch die Gabe antiretroviraler Substanzen für Jahre gestoppt bzw. aufgehalten werden. Bei einer bekannten HIV-Infektion finde vierteljährlich eine Bestimmung der CD4-Zellzahlen (Normalwert 1.800 bis 1.400 Zellen pro Mikroliter Blut) und der Viruslast statt. Steige die Viruslast bei zwei Messungen über 20.000 bis 30.000 Viruskopien pro Milliliter Plasma oder falle die Zahl der CD4-Zellen auf unter 300 Zellen, werde mit der antiretroviralen Therapie begonnen. Therapieziel sei eine Unterdrückung der Virusproduktion und damit verbunden ein Wiederanstieg der CD4-Lymphozyten. Die HIV-Erkrankung könne mit der antiretroviralen Kombinationstherapie allein nicht ausreichend bekämpft werden. Vor diesem Hintergrund seien die Vertragsärzte über die Verordnung von Immunglobulinen bei HIV-Erwachsenen per Rundschreiben vom 04.07.1994 über die KVB beraten worden. Diese Beratung sei zu keinem Zeitpunkt widerrufen noch korrigiert worden. Über viele Jahre hinweg seien die Kosten der streitbefangenen Therapie anstandslos übernommen worden, der so geschaffene Vertrauenstatbestand stehe einem Regressanspruch entgegen. Nach der Fachinformation über das Präparat Octagam werde dieses Arzneimittel angewendet „zur Substitutionstherapie bei primären und sekundären Antikörpermangelzuständen sowie zur Vorbeugung und Behandlung von Infektionen, die bei diesen Krankheiten auftreten, zusätzlich werden Immunglobuline zur Modulation und Kontrolle der individuellen Immunantwort verabreicht, z. B. bei „4. kongenitale HIV-Infektion bei Kindern mit rezidivierenden bakteriellen Infekten“. Damit diene der Einsatz der Immunglobuline der Behandlung der neben der HIV-Infektion vorhandenen anderen Infektionen. Sie diene nämlich der Therapie von Infektionen, die bei Antikörpermangelzuständen auftreten. Selbst wenn in den vorliegenden Fällen ein Off-Label-Gebrauch des Präparates Octagam vorliegen sollte, wäre eine zulassungsüberschreitende Verordnung nach der Rechtsprechung des BSG nicht ausgeschlossen. Nachdem demzufolge die hoch aktive antiretrovirale Kombinationstherapie als auch die Immunglobulintherapie zugelassen seien, sei nicht nachvollziehbar, dass die Kombination beider Therapien nicht zugelassen sein solle. In der Anlage zu dem Schreiben finden sich ärztliche Stellungnahmen zu den einzelnen Patientenverläufen bei den im Quartal 2/01 regressierten Patienten R.B., A.G., F.K., J.L., W.M., H.N. und E.P.

Der Beklagte hat mit Widerspruchsbescheid vom 20.11.2003 gegen die Klägerin einen Arzneiregress in Höhe von 28.511,60 EUR festgesetzt. Im vorliegenden Fall sei die Einzelfallprüfung die sachgerechte Prüfmethode. Der Beklagte sehe sich in der Lage, auf der Grundlage der Gutachten des PD Dr. R. vom 03.01.2001 und des Prof. Dr. D. vom 06.07.2000 zu entscheiden. Die Klägerin würde eine - in einigen Fällen unzureichende - antiretrovirale Therapie, häufig in fixer Kombination mit IVIG verwenden. Bereits die DAGNÄ-Empfehlungen vom Oktober 1996 würden den Einsatz von intravenösen Immunglobulinen auf wenige ganz bestimmte Krankheitsbilder und Komplikationen beschränken. Bezüglich der zugelassenen Indikationen werde auf die Schreiben des PEI vom 30.10.2002 und 20.03.2003 (in Anlage) verwiesen. Eine unkritische, über Monate bzw. Quartale gehende regelmäßige Substitution ohne jeglichen Anhaltspunkt für die therapeutische Wirksamkeit sei nicht geeignet, die Kriterien dieser Zulassung auch nur im Geringsten zu erfüllen. Der Beklagte schließe sich dem Schreiben des PEI vom 30.10.2002 an das SG A-Stadt im Verfahren S 45 KA 2209/01 und andere an. Danach fehle der Wirksamkeitsnachweis für die Indikation HIV bei Erwachsenen, was den Schluss nahelege, dass diese Therapie unwirtschaftlich sei. Es fehle schon ein Antrag auf Ausdehnung der Zulassung auf erwachsene AIDS-Patienten. Selbst wenn eine Zulassung vorliegen würde, wäre zu erwarten, dass die Anwendung von Immunglobulinen bei erwachsenen HIV-Patienten nur in Einzelfällen einen wirksamen Effekt im Sinne der Verhinderung lebensbedrohlicher Infekte zeige. Immunglobuline würden zur Substitution von Antikörpermangel ausschließlich bei bestimmten primären Immundefekterkrankungen sowie bei sekundären Mangelzuständen unter multiplem Myelom oder der chronischlymphatischen Leukämie angewendet. Diese Indikationen würden nicht eine pauschale Ausdehnung auf jegliche Zustände oder Erkrankungen erlauben, die mit Antikörpermangel einhergehen (wie AIDS-Erkrankung beim Erwachsenen). Der Beklagte gehe wie das PEI davon aus, dass die Substitution von IVIG in Einzelfällen eine zugelassene Indikation sei, wolle aber betonen, dass eine unkritische, über Monate und Quartale gehende regelmäßige Substitution ohne jeglichen Anhaltspunkt für die therapeutische Wirksamkeit wie in den hier vorliegenden Fällen nicht geeignet sei, die Kriterien dieser Zulassung zu erfüllen. Schließlich sei auch die Nummer 20 des Abschnitts F der AMR nicht einschlägig. Die AMR würden den wirtschaftlichen Einsatz von nach dem AMG verkehrsfähigen Arzneimitteln, jedoch nur im Rahmen des Anwendungsgebietes, für welches das Arzneimittel zugelassen sei, regeln. Die Frage der arzneimittelrechtlichen Zulassung sei deshalb für die Anwendung der Präparate im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung vorgreiflich. Dem PEI als zuständiger Bundesoberbehörde für die Zulassung dieser Präparategruppe würde kein Antrag auf Zulassung von Octagam für die Behandlung von an AIDS erkrankten Patienten vorliegen. Das RKI (Robert-Koch-Institut) werde mit der Feststellung zitiert, dass eine offizielle Empfehlung zu Immunglobulintherapie der HIV-Infektion bei Erwachsenen nicht existiere und sich diese „überlebt“ habe. Die internationale Studienliteratur belege Therapieversuche bei HIV/AIDS mit polyvalenten Immunglobulinen bei Erwachsenen. Dieser Weg sei jedoch mangels Erfolg weitgehend verlassen worden. Prof. Dr. D. führe in seinem Gutachten vom 06.07.2000 aus, dass die Gabe von Immunglobulinen nur als Prophylaxe verstanden werden könne. Dafür gäbe es keine Indikation. Die pauschalen Begründungen seien in den einzelnen Fällen nicht ausreichend, um eine Indikation zu rechtfertigen. Weiter verweise Prof. Dr. D. auf die Empfehlungen der DAGNÄ für die HIV-Behandlung und die dort aufgeführten Krankheitsbilder, bei denen die Gabe von Immunglobulinen (ausnahmsweise) indiziert sei. Bei den vom Kläger angeführten Patienten bzw. Begründungen seien diese Krankheitsbilder durchgängig nicht enthalten. Auch sei bei der Anwendung von Immunglobulinen darauf zu achten, dass alle anderen Strategien ausgeschöpft seien. Eine über viele Jahre dauernde regelmäßige Verabreichung von Immunglobulinen sei nirgends festgehalten. Die Gabe von Immunglobulinen bei HIV-Infektion sei mit Ausnahme der ITP-ähnlichen Thrombozytopenie wegen mangelnder Effektivität völlig verlassen worden. Der Gegengutachter Dr. R. habe die im Gutachten des Prof. Dr. D. getroffenen Feststellungen nicht detailliert entkräftet, komme aber pauschal zu dem Ergebnis, dass die Begründung des Prüfungsausschusses - die DAGNÄ-Kriterien für die IVIG-Gabe seien nicht erfüllt - nicht greife. Die Gegendarstellung von Dr. R. in dem Gutachten vom 03.01.2000 bringe lediglich eine Auflistung der Indikationen, ohne aber auf die Zulassungssituation einzugehen. Unter Berücksichtigung dieser Ausführungen und unter Berücksichtigung der konkreten Begutachtungen im Einzelfall hat sich der Beklagte mit den einzelnen Fällen beschäftigt. Bezüglich des Patienten W.M. führt der Beklagte zunächst die Verordnungen im Quartal 2/01 auf, sodann die Angaben der Klägerin zum Krankheitsverlauf des Patienten W.M. und der dazugehörigen Stellungnahme, wonach die Immunglobulintherapie wegen schwerer symptomatischer Thrombozytopenie erforderlich gewesen sei. Seit Gabe von IVIG sei ein deutlicher Rückgang der schweren bakteriellen Atemwegsinfekte zu erkennen gewesen. Es handle sich um einen Patienten der Kategorie 1 der DAGNÄ-Empfehlung. Hierzu stellt der Beklagte fest, dass die Kombination Combivir, Ziagen, Fortovase und Viracept in Verbindung mit den Diagnosen der Abrechnung „abnorme Befunde bei der bildgebenden Diagnostik sonstiger Körperstrukturen, abnorme Befunde bei der bildgebenden Diagnostik der Leber und der Gallenwege, R 93.2, „sonstige Immundefekte“, Immundefekt nicht näher bezeichnet, D 84.9, „sonstige Mononeuropathien“ sonstige näher bezeichnete Mononeuropathie, n, G 58.8, „sonstige Immundefekte“ Immundefekt nicht näher bezeichnet, D 84.9, „akute Infektionen an mehreren oder nicht näher bezeichneten Lokalisationen der oberen Atemwege“, akute Infektion der oberen Atemwege nicht näher bezeichnet, J 06.9, „sonstige chronische obstruktive Lungenkrankheit“, chronische obstruktive Lungenkrankheit mit akuter Exazerbation nicht näher bezeichnet, J 44.1) ohne weitere Gabe von Antibiotika und ohne weitere Angaben eine Therapie mit IVIG nicht rechtfertige. Bezüglich der Thrombozytopenie, welche zuletzt im Jahre 1994 belegt worden sei, würden entsprechend dem DAGNÄ-Kriterium jegliche aktuelle Angaben fehlen. Bezüglich der Patientin A.G. wurden die Verordnungen der Klägerin im Quartal 2/01 aufgeführt, sodann werden die Angaben der Kläger zum Behandlungsverlauf der Patientin A.G. referiert. Seit 17.06.1999 werde eine intravenöse Immunglobulintherapie betrieben. Es handelte sich bei der Patientin A.G. um eine Patientin der Kategorie 1 bzw. 3 der DAGNÄ-Empfehlung. Seit IVIG sei ein deutlicher Rückgang der viralen, mykotischen und bakteriellen infektiösen Episoden feststellbar. Unvollständige Virussuppression. Niedrige CD4-Zellzahl und Unverträglichkeit von zahlreichen antiretroviralen Medikamenten, insbesondere Proteaseinhibitoren machten eine Weiterbehandlung mit IVIG notwendig. Hierzu hat der Beklagte festgestellt, dass die Kombination Videx, Epivir, Sustiva, Viracept in Verbindung mit den Diagnosen der Abrechnung („sonstige Immundefekte“ Immundefekt, nicht näher bezeichnet, D 84.9, „chronische Hepatitis, andernorts nicht klassifiziert“ chronische Hepatitis, nicht näher bezeichnet, K 73.9, „sonstige Immundefekte“ Immundefekt, nicht näher bezeichnet, D 84.9, „sonstige Polyneuropathien“ Polyneuropathie, nicht näher bezeichnet, G 62.9) ohne weitere Gabe von Antibiotika außer dem Herpesspezifikum Zovirax, dem Antimykotikum Diflucan/Fluconazol und Cefaclor und ohne weitere Angaben eine Therapie mit IVIG nicht rechtfertige. Bezüglich der Patientin J.L. werden wiederum zunächst die im Quartal 2/01 getätigten Verordnungen aufgeführt, sodann die Stellungnahme zum Krankheitsverlauf der Patientin. Des Weiteren hierzu eine Stellungnahme des Gutachters Prof. Dr. D. vom 06.07.2000 zum Quartal 3/97, wonach auch bei dieser Patientin eine frühere Behandlung mit antiretroviralen Medikamenten möglicherweise sinnvoll gewesen wäre. Warum zwei Monate später eine intravenöse Immunglobulintherapie zusätzlich eingesetzt werde, sei nicht erkennbar. Der Rückgang von Häufigkeit und Schwere der aufgeführten infektiösen Ereignisse müssten auf die HAART zurückzuführen sein. Dagegen ist der Gutachter PD Dr. R. (Gutachten vom 03.01.2001) der Auffassung, dass unter der Immunglobulintherapie ein deutlicher Rückgang von Häufigkeit und Schwere der verschiedenen bislang aufgetretenen bakteriellen Komplikationen zu verzeichnen sei. Nach Angaben der Klägerin ergebe sich die Notwendigkeit der Behandlung mit IVIG vorliegend daraus, dass die Patientin J.L. an einer fortgeschrittenen HIV-Infektion und daneben an anderen Erkrankungen gelitten habe und zur Prophylaxe dieser bakteriellen und viralen Erkrankungen eine Immunglobulintherapie erforderlich gewesen sei. Der Beklagte hat hierzu die Auffassung vertreten, dass die Kombination aus Sustiva, Videx und Zerit in Verbindung mit den Diagnosen der aktuellen Abrechnung („sonstige Immundefekte“ Immundefekt, nicht näher bezeichnet, D 84.9, „Störungen des Lipoproteinstoffwechsels und sonstige Lipidämien“ Hypercholesterinämie, E 78.0, „sonstige Immundefekte“ Immundefekt, nicht näher bezeichnet, D 84.9) ohne Gabe von Antibiotika außer dem Antimykotikum Fluconazol und topischem Aciclovir und ohne weitere Angaben eine Therapie mit IVIG nicht rechtfertige. Hinsichtlich des Patienten R.B. wurden wiederum zunächst die im Quartal 2/01 getätigten Verordnungen aufgeführt, des Weiteren die von der Klägerin gemachten Angaben zum Behandlungsverlauf des Patienten R.B. Hierzu wird mitgeteilt, dass die medizinische Notwendigkeit der Behandlung mit Octagam sich daraus ergeben habe, dass der Patient R.B. an einer fortgeschrittenen HIV-Infektion sowie an anderen Erkrankungen leide und zur Prophylaxe dieser bakteriellen und viralen Erkrankungen eine Immunglobulintherapie erforderlich sei. Während der IVIG sei ein deutlicher Rückgang der infektiösen Krankheiten festzustellen gewesen. Hierzu hat der Beklagte festgestellt, dass die Kombination Epivir, Kaletra, Ziagen und Agenerase in Verbindung mit den Diagnosen der Abrechnung („sonstige Immundefekte“ Immundefekt, nicht näher bezeichnet, D 84.9, nicht näher bezeichnete HIV-Krankheit, humane Immundefizienz-Viruskrankheit, B 24, „sonstige bakterielle Krankheiten, andernorts nicht klassifiziert“, sonstige näher bezeichnete bakterielle Krankheiten, A48.8) ohne weitere Gabe von Antibiotika außer dem (prophylaktischen?) Cotrimoxazol, Pentamidin, dem Antimykotikum Diflucan/Fluconazol und Doxycyclin, Zithromax und ohne weitere Angaben eine Therapie mit IVIG nicht rechtfertige. Die angeführten Begründungen (fehlende Compliance etc., zwischenzeitlich IVIG völlig eingestellt) würden die Zweifel an der Therapie zusätzlich verstärken. Hinsichtlich des Patienten H.N. wurden ebenfalls die getätigten Verordnungen im Quartal 2/01 aufgeführt, des Weiteren die ärztlichen Angaben zur Entwicklung des Krankheitsbildes bei dem Patienten H.N. Hierzu wurde aus dem Gutachten des Prof. Dr. D. vom 06.07.2000 zum Quartal 3/97 zitiert, wonach es nicht akzeptabel sei, dass der behandelnde Arzt die vom Vorbehandler vorgenommene intravenöse Immunglobulintherapie fortgesetzt habe, da der behandelnde Arzt die Indikation selbst überprüfen müsse. Als Begründung werde angegeben, dass trotz erfolgreicher ART noch ein erheblicher Immundefekt bestehe bei einer Helferzahl von 47/ql im Juli 1997, so dass eine zusätzliche Unterstützung mit intravenösen Immunglobulinen erforderlich gewesen sei. Eine erfolgreiche ART bestätige sich in der Regel auch aus dem Anstieg der Helferzahl. Außerdem sei die Gesamtzahl der T-Lymphozyten nicht genannt, auch die sog. Suppressorzellen hätten eine wichtige Funktion in der Abwehr gegenüber Infektionen und seien nicht genannt. Aus dem oben Dargestellten eine intravenöse Immunglobulintherapie abzuleiten, sei jedenfalls nicht angemessen, eine Indikation bestehe nicht. Demgegenüber vertrat der Gutachter PD Dr. R. (Gutachten vom 03.01.2001) die Auffassung, dass bei einem Nadir der Helferzellen von 47/mcl im Juli 1997 trotz erfolgreicher antiretroviraler Therapie noch ein erheblicher Immundefekt bestanden habe, so dass eine zusätzliche Unterstützung mit i.v. Immunglobulinen erforderlich gewesen sei. Der Beklagte hat hierzu die Auffassung vertreten, dass die Kombination Ziagen, Viramune und Videx in Verbindung mit den Diagnosen der Abrechnung („sonstige Immundefekte“ Immundefekt, nicht näher bezeichnet, D 84.9, nicht näher bezeichnete HIV-Krankheit, humane Immundefizienz-Viruskrankheit, B 24) ohne antibiotische Therapien eine parallele IVIG-Therapie nicht rechtfertigen würde. Der Hinweis auf den Vorbehandler und die im Schreiben vom 29.07.1999 aufgeführten Diagnosen (HIV-Infektion im CDC-Stadium C3, 5/97 Pneumozystis Carinii-Pneumonie) seien hier nicht relevant, ebenso wenig wie die Angabe zu den Helferzellen. Hinsichtlich des Patienten E.P. wurden ebenfalls zunächst die im Quartal 2/01 getätigten Verordnungen aufgeführt, ebenso die von den Ärzten mitgeteilten Angaben zum Behandlungsverlauf. Hier wird ausgeführt, dass es sich um einen Patienten der Kategorie 1 der DAGNÄ-Empfehlungen handle. Wegen erheblicher Nebenwirkung, insbesondere distal betonter Neuropathie und gastroenterologischer Beschwerden sei kein Einsatz von Proteaseinhibitoren möglich. Auch bei den Reverse-Transkriptase-Inhibitoren würden erhebliche Einschränkungen bestehen. Es werde derzeit nur eine Zweifach-Kombination durchgeführt. Bei zufriedenstellendem virologischem Ergebnis bestehe weiterhin eine niedrige CD 4-Zahl. Seit Einsatz der IVIG habe kein Soor mehr beobachtet werden können und die Häufigkeit der Bronchitisschübe habe deutlich nachgelassen. Hierzu hat der Beklagte festgestellt, dass die Zweierkombination in Verbindung mit den Diagnosen der Abrechnung („Störungen des Lipoproteinstoffwechsels und sonstige Lipidämien“ Hyperlipidämie, nicht näher bezeichnet, E 78.5, „sonstige Immundefekte“ Immundefekt, nicht näher bezeichnet, D 84.9, „sonstige Mononeuropathien“ sonstige näher bezeichnete Mononeuropathie, n., G 58.8, „nicht näher bezeichneter Diabetes mellitus“: ohne Komplikationen, E 14.9) ohne Gabe weiterer Antibiotika außer Doxycyclin und ohne weitere Angaben die parallele Therapie mit IVIG nicht rechtfertigen würden. Hieran ändere auch die Angabe „Kategorie 3 der DAGNÄ-Empfehlungen“ und der nicht näher erläuterte „deutliche Rückgang“ schwerwiegender bakterieller und viraler Infekte nichts. Die im Schreiben vom 29.07.1999 aufgeführten und die in der Abrechnung genannten Diagnosen seien auch nur teilweise relevant. Einmal werde von der chronischen Bronchitis seit 1990 berichtet, dann seit 8/93. Selbst die Angaben zum Beginn der antiretroviralen Therapie seien unterschiedlich. Dies dürfte den Vorwurf des Dokumentationsmangels weiter erläutern. Auch bezüglich des Patienten F.K. werden zunächst die getätigten Verordnungen aufgeführt sowie der von der Klägerseite mitgeteilte Krankheitsverlauf. Die medizinische Notwendigkeit der Behandlung ergebe sich im vorliegenden Fall daraus, dass der aufgeführte Patient an einer fortgeschrittenen HIV-Infektion und anderen Erkrankungen leide und zur Prophylaxe dieser bakteriellen und viralen Erkrankungen eine Immunglobulintherapie erforderlich gewesen sei. Es handele sich um ein multiresistentes Virus. Trotz schwerem Immundefekt (CD 4-Zellen zwischen 50 und 200 Helferzellen schwankend) keine bakteriellen und mykotischen Infektionen seit Beginn der IVIG. Der Beklagte hat hierzu die Auffassung vertreten, dass die Kombination Zerit, Videx und Kaletra, später mit Rescriptor in Verbindung mit den Diagnosen der Abrechnung („Sonstige Immundefekte, Immundefekt, nicht näher bezeichnet, D 84.9) ohne Gabe von Antibiotika und ohne weitere Angaben eine Therapie mit IVIG nicht rechtfertige. Abschließend stellt der Beklagte fest, dass bei keinem der streitgegenständlichen Patienten der Beklagte aufgrund der völlig unzureichenden Unterlagen der Vertragsärzte die Verordnung von Octagam habe nachvollziehen können. Es fänden sich keinerlei Laborwerte oder sonstige Angaben über Zeitpunkt und Schwere der Infektion sowie deren konkrete Behandlung. Somit seien weder Punkt 1 noch Punkt 3 der DAGNÄ-Empfehlungen nachvollziehbar. Auch nach eingehender Prüfung der nachgereichten Patientendaten und dem Schreiben der Prozessbevollmächtigten vom 06.06.2003 ergebe sich keine neue Einschätzung. Die Patientendaten seien zu ungenau und veraltet, die Indikationen für den Einsatz der Medikamente seien daraus nicht ablesbar. Die nachgereichten Patientendaten würden wahrscheinlich aus einer Sammelstatistik stammen, so dass jetzt aus 34 Angaben die für die 13 Fälle relevanten Fälle, das Quartal 2/01 betreffend, vom Beklagten hätten herausgesucht werden müssen. Bei den 34 Angaben würden sich sechs Namen finden, in vier Fällen liege keine HIV-Erkrankung vor, viermal würden sich unvollständige Angaben fehlen, in zwei Fällen sei keine Immunglobulingabe erfolgt. Die Angaben zu dem Patienten H.N. seien identisch zu den Angaben, die für das Quartal 3/97 gemacht worden seien. Dies gelte auch für die Patientin J.L. Daraus folge, dass die nachgereichten Patientenangaben sämtlich veraltet seien, so dass die darin enthaltenen Angaben nicht auf das Quartal 2/01 übertragen werden könnten. Somit würden auch die von den DAGNÄ-Kriterien geforderten Dokumentationen fehlen, so dass sich für die Verordnung der Immunglobuline insgesamt keine Indikation ableiten lasse. Der Mangel an Informationen nach dem Quartal 3/97 sei von Dr. A. damit begründet worden, dass es zu diesen Patienten keine neuen Erkenntnisse gäbe. Allein schon vom medizinischen Standpunkt betrachtet erscheine es dem Ausschuss jedoch wenig glaubhaft, dass sich innerhalb eines derart langen Zeitraums seit dem Quartal 3/97 am Zustand der Patienten nichts geändert haben solle. Auf der anderen Seite sei es Ausdruck der vertragsärztlichen Pflichten, dem Beklagten alle für die Entscheidung notwendigen Daten vorzulegen. Die Pflicht zur Dokumentation komme auch in den DAGNÄ-Empfehlungen zum Ausdruck. Der Beklagte habe sich mit Schreiben vom 27.02.2003 an die Prozessbevollmächtigte der Kläger gewandt mit dem Vorschlag, anhand einzelner Patienten und deren Krankheitsverläufen die Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit von IVIG und HAART gegenüberzustellen. Die Kläger seien jedoch ihrer Mitwirkungspflicht im Vorverfahren nicht nachgekommen.

Hiergegen richtet sich die Klage der Klägerin vom 15.12.2003, die bezüglich des Patienten R.B. mit Schriftsatz vom 06.10.2008 näher begründet wurde (Aktenzeichen S 38 KA 950/08). Der Patient befinde sich im weit fortgeschrittenen Stadium der HIV-Infektion. Auf den durchgeführten Auslassversuch (Ziffer 4 der DAGNÄ-Empfehlungen) dürfe hingewiesen werden. Nachdem die zusätzlichen bakteriellen Infektionen von Seiten des Beklagten ausdrücklich erwähnt worden seien, sei nicht nachvollziehbar, inwiefern hier auf die fehlende Compliance abgestellt werde. Die rezidivierenden Infektionen, denen mittels Gabe von Antibiotikum nicht ausreichend habe begegnet werden können, seien dem Beklagten bekannt wie auch die Tatsache, dass der Patient seit Einsatz von IVIG weniger zusätzliche Infektionen erlitten habe. Der Widerspruchsbescheid sei rechtswidrig beschwerend, weil es unter anderem an einer Begründung fehle. Der Beklagte stelle die Behauptung auf, dass die IVIG-Gabe ohne weitere Gabe von Antibiotika nicht gerechtfertigt sei. Unabhängig davon, dass der Patient auch Antibiotika erhalten habe, sei eine solche vom Beklagten normierte Voraussetzung weder dem wissenschaftlichen Stand der Medizin noch den DAGNÄ-Empfehlungen zu entnehmen. Ein erworbener Immundefekt könne nicht mit einem Antibiotikum behandelt werden. Es könne lediglich ein dahingehender Versuch gestartet werden, die weiteren Infektionen mittels Gabe eines Antibiotikums zu beherrschen. Weil der Patient an einem erworbenen Immundefekt leide, gelinge dies eben nicht immer. Das gehäufte Auftreten zusätzlicher Infektionen kennzeichne die HIV-Erkrankung als erworbenes Immundefekt-Syndrom. Der Beklagte habe sich nicht mit der Erkrankung auseinandergesetzt. Aus unerfindlichen Gründen betrachte er die auftretenden Infektionen offensichtlich als eigenständiges Krankheitsbild. Diese Einordnung sei aber falsch. Denn diese Infektionen, mögen sie auch für sich gesehen harmlos erscheinen, würden im Zusammenhang mit der HIV-Infektion stehen, seien krankheitsdefinierend. Würden die antiretroviralen Medikamente eine Vermehrung von HI-Viren immer zur Gänze verhindern, könnten diese zusätzlichen Infektionen erst gar nicht auftreten. Es würde sich nämlich dann in der Tat um „normale“ zusätzliche Infektionen handeln, die man, wie bei jedem anderen Patienten ohne HIV auch mit einem Antibiotikum behandeln könnte. Weil die Infekte das bereits teilweise zerstörte Immunsystem (durch HIV) weiter beschädigen, die Vermehrung der HI-Viren beschleunigen können und letztendlich damit auch das Funktionieren der HAART negativ beeinträchtigen, würden zusätzlich Immunglobuline eingesetzt. Der regressierte Patient habe von der Therapie bis zur letzten Infusion im Jahr 2001 profitiert. In der Folgezeit hätten sich schwere bakterielle Infektionen, insbesondere zwei bis drei PCP-Rezidive ereignet.

Hinsichtlich der Patienten A.G. (Az.: S 38 KA 951/08), F.K. (Az.: S 38 KA 994/08), W.M. (Az.: S 38 KA 953/08), J.L. (Az.: S 38 KA 954/08), H.N. (Az.: S 38 KA 955/08) und E.P. (Az.: S 38 KA 956/08) wurde auf die Ausführungen in den Schriftsätzen vom 06.10.2008 in den dortigen Klageverfahren verwiesen.

Die Beigeladene zu 2) (AOK Bayern) hat mit Schriftsatz vom 31.03.2010 auf eine Reihe höchstrichterlicher Entscheidungen des Bundessozialgerichts und des Bayerischen Landessozialgerichts hingewiesen, die sich mit der Verordnung von Immunglobulinen für erwachsene HIV-Patienten und damit zusammenhängende Rechtsfragen beschäftigen.

Hierzu hat sich die Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 30.04.2010 geäußert. Soweit im Schreiben vom 31.03.2010 ausgeführt werde, „die streitgegenständlichen Verordnungen seien Immunglobuline für erwachsene HIV-positive Patienten“, sei dies nicht zutreffend. Streitgegenständlich sei vielmehr die Verordnung für sekundäre Immunmangelzustände, die mit der HIV-Erkrankung, es handle sich um einen sekundären und damit erworbenen Immundefekt, einhergehen. Diese Unterscheidung mache deutlich, dass die im Schriftsatz vom 31.03.2010 aufgeführten Verfahren bis hin zum Bundesverfassungsgericht vorliegend nicht einschlägig seien. Denn hier sei in der Tat geprüft worden, ob sich die Indikation pauschal auf HIV-Erwachsene beziehe, was unbestritten nicht der Fall sei. Nachdem es sich bei HIV um einen erworbenen Immundefekt handle, sei die streitgegenständliche Substitutionstherapie zur Vorbeugung und Behandlung von Infektionen, die bekanntermaßen bei einer weit fortgeschrittenen HIV-Infektion, allemal aber beim Stadium AIDS der Infektion, als AIDS-definierende Infektionen, auftreten, von der zugelassenen Indikation umfasst. Die Klägerin hat sich mit Schriftsatz vom 17.09.2010 ergänzend geäußert. Unabhängig von der Frage, ob die mit der HIV-Infektion einhergehende Behandlung von Infektionen, die bei ihr als sekundärer Immundefekt auftreten, vom Anwendungsgebiet erfasst werden, sei hier auf ein Statement aus einem aktuellen Widerspruchsbescheid vom 07.09.2010 hinzuweisen, wonach ein einheitlicher Konsens bestehe, dass von 1990 bis 1996 die IVIG die Standardtherapie zur Behandlung einer HIV-Erkrankung gewesen sei. Wenngleich auch diese Zusammenfassung nicht ganz korrekt erscheine, da Immunglobuline ausdrücklich nicht zur Behandlung der HIV-Infektion, sondern der damit einhergehenden Vorbeugung und Behandlung weiterer Infektionen eingesetzt worden sei. In keinem der Verfahren der BSG-Entscheidungen, die Immunglobuline und die HIV-Erkrankung betreffen, werde die Indikation der Substitutionstherapie geprüft, sondern die nicht veranlasste Frage, ob IVIG für HIV-Erwachsene zugelassen sei. Auch das PEI sei in seinen diversen Stellungnahmen ersichtlich um eine sprachlich unkorrekte Formulierung bemüht. Wenn der 6. Senat des BSG die Behauptung aufstellen wolle, IVIG sei zur Behandlung der zusätzlich auftretenden Infektionen im Zusammenhang mit dem erworbenen Immundefekt nicht zugelassen, bedeute dies, dass die Gesamtheit der medizinischen Wissenschaftler weltweit über Jahre eine Therapie eingesetzt habe, die nicht indiziert gewesen sei. Weil die höchstrichterliche Rechtsprechung von einem falschen Sachverhalt, einem Off-Label-Use ausgehe, werde die groteske Situation konstruiert, eine Standardtherapie von nunmehr über 14 Jahren der Gestalt überprüfen zu wollen, dass neue Studien gefordert würden, den Benefit der Behandlung zu belegen. Die Gabe von IVIG sei immer schon parallel zur antiretroviralen Therapie erfolgt. Erst die Weiterentwicklung der antiretroviralen Therapie und die Möglichkeit, die Präparate miteinander zu kombinieren, habe über Jahre zur deutlichen Verbesserung ihrer Wirksamkeit geführt, so dass im Zuge dessen die Gabe von IVIG immer weiter in den Hintergrund getreten sei. Bei den diesbezüglichen Empfehlungen der DAGNÄ handle es sich um einen Kompromiss, der wirtschaftlichen Bedürfnissen Rechnung trage. Nach Bekanntmachung der neuen AMR im Jahre 1999 seien diese Empfehlungen nochmals konkretisiert und erneut klargestellt worden, dass die antiretrovirale Therapie ein wichtiger Faktor in der Behandlung HIV-Infizierter sei, aber die zusätzliche Gabe von IVIG in manchen Fällen nicht verzichtbar mache. Im Falle R.B. würde allein die auf Seite 98 und 99 zusammengefasste Aufstellung der Medikationen den ersichtlich denkbar schlechten Zustand des Patienten im Rahmen einer weit fortgeschrittenen HIV-Infektion dokumentieren, die seit 1994 mit antiretroviralen Medikamenten und IVIG behandelt worden sei. Nachdem es sich um einen recht schwierigen Patienten gehandelt habe, seien auch die Voraussetzungen für einen Auslassversuch erfüllt. Mit dem deutlichen Rückgang der infektiösen Krankheiten habe ein Optimum an Therapie erzielt werden können, ohne welches der Patient mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht überlebt hätte. Hinsichtlich der Patientin A.G. (Az.: S 38 KA 951/08), einer Patientin im Endstadium der HIV-Infektion mit dem Vollbild AIDS, sei seit 1995 eine antiretrovirale Therapie erfolgt und wegen gehäufter zusätzlicher Erkrankungen die Gabe von IVIG ab 1999 unabdingbar erforderlich gewesen. Trotz dieser Medikation habe die Patientin eine schwere abszendierende Pneumonie mit einer intensivstationären Behandlung im Krankenhaus für einen Monat (11, 12/00) erlitten. In der Bewertung des Beklagten finde dieser lebensbedrohliche Zustand der Patientin keinerlei Berücksichtigung. Sowohl die lebensbedrohliche Pneumonie als auch insbesondere die dokumentierte Verordnungsliste würden den lebensbedrohlichen Zustand der Patientin, die eine Viruslast von 270.000 aufweise, dokumentieren.

Bezüglich des Patienten F.K. (Az.: S 38 KA 952/08), ein Patient im finalen Stadium der HIV-Infektion mit dem Vollbild AIDS, sei seit 1988 hinsichtlich des multiresistenten Virus eine nahezu unwirksame antiretrovirale Medikation erfolgt. Zeitlich vor der Entwicklung der hoch aktiven antiretroviralen Kombinationsmöglichkeiten (1997) habe das HI-Virus schneller Resistenzen entwickelt, als die Pharmaindustrie neue Medikamente habe produzieren können. In den Jahren danach sei die Industrie zunehmend schneller gewesen als das Virus. Auch der Patient W.M. (Az.: S 38 KA 953/08) befinde sich im finalen Stadium der HIV-Infektion mit dem Vollbild AIDS. Er erhalte seit 10/93 die damalige Standardtherapie und seit 12/94 zusätzlich antiretrovirale Medikamente. Die unabdingbare Gabe von IVIG ergebe sich aus der Tatsache, dass er trotz dieser Therapie eine Pneumozystitis Carinii-Pneumonie mit Rezidiv, Thrombozytopenie von 6.000/mcl und mehrere bakterielle Pneumonien durchlebt habe. Der Bewertung des Beklagten seien zwar diese zusätzlichen Infektionen zu entnehmen, eine argumentative Auseinandersetzung hinsichtlich der erforderlichen Medikation finde sich indessen nicht. Der Beklagte behaupte zu Unrecht das Nichtvorliegen der DAGNÄ-Kriterien. Der durchgeführte Auslassversuch werde nicht erwähnt. Allein die Tatsache, dass dieser Patient trotz der Gabe von antiretroviralen Medikamenten und IVIG das tödliche Stadium AIDS erreicht habe, habe die Verordnung von IVIG dringend erforderlich gemacht, um das Leben des Patienten zu erhalten. Wie der Aufstellung auf Seite 105 der Verwaltungsakte zu entnehmen sei, habe die antiretrovirale Medikation umgestellt werden müssen (Fortovase, Viracept). Dies mache deutlich, dass selbst die antiretrovirale Medikation mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden gewesen sei. Die Patientin J.L. (Az.: S 38 KA 954/08) habe seit 1996 eine antiretrovirale Therapie und daneben IVIG erhalten, sie habe über Jahre hinweg (1990 bis 1997) sehr gehäufte Infektionen gezeigt, welche dank der Behandlung mit IVIG hätten eingedämmt werden können. Infolge der antiretroviralen Medikamente mit der stark toxischen Wirkung habe die Patientin J.L. ab 2001 eine dekompensierte Leberzirrhose entwickelt. Ein Unterlassen der antiretroviralen Therapie mit toxischer Wirkung für die Leber beschleunige den Fortgang der HIV-Infektion, der Einsatz antiretroviraler Medikamente fördere die ebenfalls tödlich verlaufende Leberzirrhose. Die Patientin J.L. sei mittlerweile verstorben. Der Patient H.N. (Az.: S 38 KA 955/08) habe sich im streitgegenständlichen Quartal im Stadium CDC C3 der HIV-Infektion mit dem Vollbild AIDS befunden. Die im Jahre 1997 durchlebte Pneumozystiscarinii-Pneumonie, eine AIDS-definierende Erkrankung, kennzeichne den lebensbedrohten Zustand des Patienten. Die dramatisch niedrige Helferzahl und der arztwechselbedingte Auslassversuch der Therapie mit IVIG hätten zu einer Einordnung des Pateinten in die Kategorie 1 + 3 der DAGNÄ-Empfehlungen geführt. Der Beklagte habe nicht zur Kenntnis genommen, dass es sich bei der Krankheit um einen chronischen Verlauf in der Endphase gehandelt habe. Der durch den Arztwechsel bedingte Auslassversuch habe zu gehäuften Infektionen geführt, die dank der Fortsetzung der IVIG-Behandlung eingedämmt hätten werden können. Trotz funktionierender antiretroviraler Therapie und der Gabe von IVIG leide der Patient an einem Nagelpilz. Außerdem leide H.N. an AIDS-bedingter Kachexie, so dass der lebensbedrohte Zustand ersichtlich nachvollzogen werden könne. Der Patient E.P. (Az.: S 38 KA 956/08) habe bis zum streitgegenständlichen Quartal im Stadium CDC B2 der HIV-Infektion gehalten werden können. Dieser Patient habe antiretrovirale Medikamente erhalten. Von der seit 1997 entwickelten Kombinationsmöglichkeit könne er nicht profitieren, da eine generelle Protease-Inhibitor-Unverträglichkeit bestehe, auch bei den Reverse-Transskriptase-Inhibitoren würden erhebliche Einschränkungen bestehen, so dass nur eine Zweifachkombination (wie sie Anfang der 90-iger Jahre üblich gewesen sei) realisiert habe werden können. Aus diesem Grunde erhalte dieser Patient seit 1994 eine Therapie mit IVIG, um seinen Krankheitszustand zu stabilisieren und damit sein Leben zu erhalten. Seit 8/1996 leide er an einer progredient verlaufenden Neuropathie. Er sei der Kategorie 1 + 3 der DAGNÄ-Empfehlungen zuzuordnen. Soweit der Beklagte auf Seiten 85 und 86 der Verwaltungsakte rüge, die ärztlichen Stellungnahmen seien veraltet und nicht ausreichend, werde einmal mehr das fehlende Verständnis der Krankheitszusammenhänge deutlich. Der Beklagte verschließe sich der Tatsache, dass es sich um einen chronischen Krankheitsverlauf handle. Eine Rückstufung der einmal erreichten Stadien CDC A1 bis CDC C3 finde in der medizinischen Wissenschaft nicht statt. Wer einmal das Stadium AIDS erreicht habe, könne zwar noch auf unbestimmte Zeit überleben, verbleibe aber in der Einordnung dieses Stadiums, welches unter anderem den desolaten Zustand des Immunstatus kennzeichne. Wenn die behandelnden Ärzte folglich festgestellt hätten, dass die antiretroviralen Medikamente nur bedingt zum Einsatz kommen könnten, ändere sich dies auch in der Zukunft nicht mehr.

Das Sozialgericht München hat mit Gerichtsbescheiden vom 11.01.2012 die Klagen (Az.: S 38 KA 950/08 bis S 38 KA 956/08) abgewiesen. In den Verfahren sei zu klären, ob das Immunglobulin „Octagam“ im Quartal 2/01 bei den streitgegenständlichen Patienten verordnungsfähig gewesen und unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots gemäß §§ 2 Abs. 1, 12 SGB V verordnet worden sei. Die Patienten seien bereits mehrere Jahre vor dem Jahr 2001 in der klägerischen Praxis behandelt worden und seien am HIV-Virus erkrankt. Sie hätten in dem streitigen Quartal neben der sog. antiretroviralen Therapie auch eine Immunglobulintherapie mit dem Präparat „Octagam“ erhalten. Zunächst sei für das Präparat „Octagam“ die Frage der arzneimittelrechtlichen Zulassung zu klären. Denn Präparate, die nach § 21 Abs. 2 AMG arzneimittelrechtlich zugelassen seien, würden grundsätzlich als zweckmäßig und wirtschaftlich im Sinne der §§ 2 Abs. 1 Satz 1, 12 Abs. 1 SGB V gelten und seien daher von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung mit umfasst. Gerade aus jüngster Zeit seien mehrere Entscheidungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung bekannt geworden, die sich mit der Verordnungsfähigkeit von Immunglobulinen befasst hätten (Entscheidung des BayLSG vom 31.07.2007, Az.: L 5 KR 352/05, Entscheidung des BSG vom 20.11.2007, Az.: B 1 KR 118/07 B, Entscheidung des BVerfG vom 07.04.2008, Az.: 1 BvR 550/08; BSG, Urteil vom 28.02.2008, Az.: B 1 KR 15/07 R, BSG, Urteil vom 05.05.2010, B 6 KA 6/09 R; BVerfG, Entscheidung vom 30.06.2008, Az.:1 BvR 1665/07). Den genannten Entscheidungen sei gemeinsam, dass sie wie auch die Vorinstanzen davon ausgehen, dass die Immunglobuline nicht zur Behandlung von an HIV erkrankten erwachsenen Patienten zugelassen seien. In den Entscheidungen sei daher darüber zu befinden gewesen, ob ausnahmsweise die Voraussetzungen des Off-Label-Use“ gegeben seien bzw. ob ausnahmsweise im Wege der verfassungskonformen Auslegung leistungsbeschränkender Vorschriften des SGB V gleichwohl eine Verordnungsfähigkeit zu bejahen sei. Diese Voraussetzungen seien letztendlich verneint worden. Ob das Präparat „Octagam“ zugelassen sei, ergebe sich aus dem Bescheid des PEI bzw. aus den jeweiligen Fachinformationen. Das SG gehe bei dieser Beurteilung von der mit Änderungsbescheid vom 07.01.2002 modifizierten Zulassungssituation für „Octagam“ aus. Als Zwischenergebnis komme das Gericht zu der Auffassung, dass Octagam nicht für an HIV erkrankte erwachsene Patienten zugelassen sei und nur bei bestimmten primären und sekundären Immunmangelzuständen verordnungsfähig sei. Die Verordnung von nicht zugelassenen Arzneimitteln lasse sich vorliegend auch nicht auf Vertrauensschutzgesichtspunkte stützen. Der Kläger habe aufgrund der sich in der Ärzteschaft zunehmend intensivierten Auseinandersetzung mit der Frage, ob die zeitgleiche Verordnung von Immunglobulinen bei AIDS-Kranken angezeigt sei, spätestens ab Ende der Neunzigerjahre nicht mehr davon ausgehen können, dass er sich nicht der Gefahr von Regressen aussetzen würde. Die Verordnung von „Octagam“ bei den streitgegenständlichen Patienten sei nach Auffassung des Gerichts außerhalb der Zulassung erfolgt, womit das Vorliegen eine sog. „Off-Label-Use“ zu prüfen sei. Damit habe sich auch der Beklagte beschäftigt, indem er dessen Voraussetzungen aufgestellt habe. Allerdings deute der Inhalt des Widerspruchsbescheides darauf hin, dass der Beklagte wiederum nur geprüft habe, ob ein zulässiger Off-Label-Use von „ Octagam“ bei erwachsenen HIV-Patienten zur Behandlung der AIDS-Symptomatik möglich sei. Den Ausführungen sei aber nicht zu entnehmen, ob sich der Beklagte mit der Frage des Off-Label-Use in Hinblick auf etwaige sekundäre Immunmangelzustände auseinandergesetzt habe. Insofern könnte ein Begründungsdefizit und damit ein Verstoß gegen § 35 Abs. 1 SGB 10 vorliegen. Letztendlich könne dies aber dahinstehen. Denn es bleibe nach dem klägerischen Vortrag unklar, ob der Patient überhaupt an einem sekundären Immunmangelsyndrom leide. Auch sei zweifelhaft, ob eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende medizinische Behandlung bzw. Verordnung nicht zur Verfügung gestanden habe, also ein Systemversagen und/oder die im zweiten Spiegelstrich aufgezeigte Voraussetzung des Bundesverfassungsrechts vorliege. Dem Kläger obliege nämlich eine Darlegungs- und Beweislast. Hintergrund sei, dass die Ärzte in die Stellung einrückten, die der Versicherte gehabt hätte, wenn er seinen Standpunkt zur Verordnungsfähigkeit eines Arzneimittels im Wege der Geltendmachung eines Kostenerstattungsanspruchs nach § 13 Abs. 3 SGB V durchsetzen müsste. Wer einen Off-Label-Use geltend mache, dringe deshalb damit nur durch, wenn sich unter Ausschöpfung aller Möglichkeiten zur Aufklärung feststellen lasse, dass die dafür insbesondere in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundessozialgerichts formulierten Voraussetzungen vorgelegen hätten (BSG, Urteil vom 05.05.2010, Az.: B 6 KA 6/09 R). Eine Aufklärung sei indes nicht möglich. Dies gehe zulasten des Klägers.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin zum Bayerischen Landessozialgericht. In der Sache handle es sich um ein Parallelverfahren zu dem bereits beim Bayerischen Landessozialgericht anhängigen Berufungsverfahren Az.: L 12 KA 109/08. In diesem Verfahren - hier hätten die Kläger erstinstanzlich zur Gänze obsiegt - sei ein dem Wortlaut nach identischer Widerspruchsbescheid ebenfalls vom 20.11.2003 streitgegenständlich. Habe das Sozialgericht hier die Auffassung vertreten, dass dieser Widerspruchsbescheid hinsichtlich seiner Begründung nicht den Anforderungen des § 35 Abs. 1 SGB X genüge, sehe sich der Vorsitzende der 38. Kammer nunmehr veranlasst, im Rahmen einer konsequenten Fortentwicklung der Rechtsprechung anders lautend zu entscheiden. Unabhängig von der Tatsache, dass die Entscheidung des BSG im Verfahren B 6 KA 6/09 R auf die hier streitgegenständlichen Verfahren nicht im Ansatz zur Anwendung gelange, weil es um eine nicht vergleichbare Erkrankung gehe, sei nicht zu erkennen, dass die aktuelle Rechtsprechung des BSG einem Widerspruchsbescheid aus dem Jahre 2003, dem es ersichtlich an einer Begründung fehle, gerade zu einer solchen verhelfen könne.

Der Beklagte hat sich hierzu mit Schriftsatz vom 30.04.2012 geäußert. Nach der Rechtsprechung (vgl. BayLSG, Az.: L 5 KR 352/05, Entscheidung vom 31.07.2007, BSG, Urteil vom 22.11.2007, Az.: B 1 KR 118/07, BVerfG, Urteil vom 07.04.2008, Az.: 1 BvR 550/08) stehe eindeutig fest, dass die Immunglobuline nicht für die HIV/AIDS-Therapie anwendbar seien, und zwar auch nicht als Off-Label-Use. Der Beklagte stelle abschließend fest, dass die Klägerin mehrfach angegeben hätte, dass sie auch kein HIV/AIDS mit den Immunglobulinen behandelt hätte, sondern allein und ausschließlich den sekundären Antikörpermangelzustand. Entscheidend wäre also die Frage, ob die betreffenden Patienten an einem sekundären Antikörpermangelzustand gelitten hätten. Hierbei stelle sich die Frage, welche Parameter einen sekundären Antikörpermangel definieren. Sekundäre Immundefekte seien Immunmangelerkrankungen, bei denen nicht eine primäre genetische Störung evident sei, sondern andere Krankheiten, Umwelteinflüsse oder Medikamente eine wichtige Rolle spielen. Es ergäben sich klinische Anfälligkeiten bei Antikörpermangel: Atemwegsinfekte seien die häufigsten Infektionen, die bei Antikörpermangel-Syndromen auftreten. Die Antikörpermangelerkrankungen würden nach Harry W. Schroeder jun. definiert als eine Gruppe von Störungen, die durch eine beeinträchtigte Fähigkeit zu Produktion von spezifischen Antikörpern in Reaktion auf Antigene gekennzeichnet seien. Die Beeinträchtigung könne angeboren (primär) oder erworben (sekundär) sein und sich in einigen Fällen mit der Zeit entweder zurückbilden oder verschlimmern. Der typische Patient weise eine Geschichte wiederkehrender Infektionen der oberen Atemwege bzw. der Lunge auf und zeige verringerte Serumskonzentrationen von einer bzw. mehreren Immunglobulinklassen (IgM, IgG, IgA bzw. IgD). Patienten mit normalen Serum-Immunglobulinspiegeln könnten jedoch spezielle Schwächen in ihrer Fähigkeit zum Aufbau von Abwehrkräften gegen bestimmte Antigene aufweisen und manche praktisch agammaglobulinämische Patienten könnten bemerkenswert symptomlos bleiben. Nach Ansicht der Kläger würden in allen Verfahren die wiederkehrenden Infektionen der oberen Atemwege bzw. der Lunge auf ein sekundäres Antikörpermangelsyndrom hinweisen und dieses beweisen. Für den Beklagten sei die Tatsache, dass der Patient immer wieder Infektionen der oberen Atemwege bzw. der Lunge gehabt habe, kein ausreichender Nachweis für das Bestehen eines sekundären Antikörpermangelzustandes. Natürlich führe ein sekundäres Antikörpermangelsyndrom dazu, dass solche Infekte gehäuft auftreten. Aber HIV/AIDS führe ebenfalls in seinem typischen Verlauf zum Auftreten immer wiederkehrender Infekte. Und genau diese Frage müssten die Kläger durch weitere Untersuchungen klären und belegen. Es reiche auf keinen Fall aus, bei einem doch sehr typischen Krankheitsverlauf (viele Infekte bei HIV/AIDS) einfach eine ungesicherte Diagnose aufzustellen und ein sekundäres Antikörpermangelsyndrom zu diagnostizieren. Schließlich seien all diese Begleiterkrankungen der Patienten HIV/AIDS definierende Erkrankungen, was bedeute, dass die vielen vorhandenen Infekte nach Ansicht des Beklagten eher auf HIV/AIDS als auf ein sekundäres Antikörpermangelsyndrom hindeuten. Wieso neben der die vielen Infekte auslösenden HIV/AIDS-Erkrankung noch ein sekundäres Antikörpermangelsyndrom vorliegen solle, vermöge der Beklagte nicht zu erkennen. Wie die Klägerin überhaupt auf diese Diagnose gekommen sei, sei unklar. Laborchemische Untersuchungen seien keine gemacht worden. Zudem sei festzustellen, dass die dokumentierte Infektionskrankheit der oberen Atemwege bzw. der Lunge seit 1992 (rezidivierende obere Atemwegsinfekte) bestehen würde und dann bis zum Verordnungsquartal zehn Jahre später sich keine Dokumentation in der Akte mehr finde bei dem Patienten R.B. Irgendwelche quartalsbezogenen Diagnosen würden überhaupt nicht vorliegen. Auch im Abrechnungsschein des Quartals sei keine Infektionskrankheit der oberen Atemwege bzw. der Lunge dokumentiert. Bei der Patientin A.G. sei festzustellen, dass die dokumentierte Infektionskrankheit der oberen Atemwege bzw. der Lunge im Jahre 1995 (Pneumonie) liegen würde und dann bis zum Verordnungsquartal sieben Jahre später sich keine Dokumentation in der Akte mehr finde. Irgendwelche quartalsbezogenen Diagnosen würden überhaupt nicht vorliegen. Auch im Abrechnungsschein des Quartals sei keine Infektionskrankheit der oberen Atemwege bzw. der Lunge dokumentiert. Erst im Jahr 2002 habe die Prozessbevollmächtigte der Klägerin im Schreiben vom 24.05.2002 angegeben, dass die Patientin eine schwere abszedierende Pneumonie habe, die stationär behandelt worden sei. Wann genau, bleibe aber unklar. Zu dem Patienten F.K. sei anzumerken, dass nicht einmal Atemwegsinfekte dokumentiert worden seien, aus den vorliegenden Unterlagen sei keine Atemwegserkrankung ersichtlich, dies gelte auch für den Abrechnungsschein. Bezüglich des Patienten H.M. sei festzustellen, dass die dokumentierte Infektionskrankheit der oberen Atemwege bzw. der Lunge zwischen 4/87 und 2/97 liegen würde und dann bis zum Verordnungsquartal vier Jahre später sich keine Dokumentation in der Akte mehr finde. Bezüglich der Patientin J.L. sei festzustellen, dass als einzig dokumentierte Infektionskrankheit der oberen Atemwege bzw. der Lunge in 7/96 eine „Sinusbronchitis“ zu verzeichnen sei und sich dann bis zum Verordnungsquartal vier Jahre später sich keine Dokumentation mehr in der Akte finde. Irgendwelche quartalsbezogenen Diagnosen würden überhaupt nicht vorliegen. Die Diagnose „Antikörpermangelsyndrom“ tauche überhaupt nicht auf. Bezüglich des Patienten H.N. sei festzustellen, dass die dokumentierte Infektionskrankheit der oberen Atemwege bzw. der Lunge im Jahr 1996 bzw. in 5/97 (Pneumozystiscarinii-Pneumonie, Pneumonie) liegen würde und dann bis zum Verordnungsquartal vier Jahre später sich keine Dokumentation in der Akte mehr finde. Irgendwelche quartalsbezogenen Diagnosen würden überhaupt nicht vorliegen. Die hierzu gegebene Begründung in der Beschwerdeausschusssitzung, dass es zu dem Patienten keine neueren Erkenntnisse gäbe, erscheine in einem Zeitraum von vier Jahren wenig glaubhaft. Bezüglich des Patienten E.P. sei schließlich festzustellen, dass die dokumentierte Infektionskrankheit der oberen Atemwege bzw. der Lunge im August 93 (chronische Bronchitis) und in einem anderen Schreiben seit 1990 (chronische Bronchitis) gelegen habe und dann bis zum Verordnungsquartal acht Jahre später sich keine Dokumentation in der Akte mehr finde. Irgendwelche quartalsbezogenen Diagnosen würden überhaupt nicht vorliegen. Auch im Abrechnungsschein des Quartals sei keine Infektionskrankheit der oberen Atemwege bzw. der Lunge dokumentiert. Nach Ansicht des Beklagten könne ein sekundäres Antikörpermangelsyndrom aber nur und ausschließlich durch eine klinische Diagnose in Kombination mit einem laborchemischen Nachweis erfolgen. Hier liege weder das eine noch das andere vor. Die für den Patienten vorliegenden klinischen Diagnosen könnten sowohl auf ein sekundäres Antikörpermangelsyndrom als auch auf eine HIV-bedingte Begleiterkrankung hindeuten. Für die Feststellung eines sekundären Antikörpermangelsyndroms müssten nach Ansicht des Beklagten Immunglobulinparameter gemessen werden. Die Kläger würden aber nur die Lymphozytenwerte messen und in manchen Quartalen nicht einmal diese. Des Weiteren reiche es nach Ansicht des Beklagten auch nicht aus, nur die Immunglobuline zu messen, da vielen Patienten die Immunglobuline zwar fehlen, sie aber deswegen noch kein Mangelsyndrom hätten. Ebenso kann es bei den HIV/AIDS-Patienten zu einem Anstieg bzw. einem erhöhten Immunglobulinspiegel kommen, der allerdings keine Wirkungen mehr habe. Deswegen reiche auch die Messung des Immunglobulinspiegels allein nicht aus. Der Beklagte stelle abschließend fest, dass die Summe der opportunistischen Erkrankungen seiner Ansicht nach durch HIV/AIDS bedingt sei und nicht aufgrund eines sekundären Antikörpermangelsyndroms entstanden sei. Die Beweislast hierfür liege allein bei den Klägern. Dem Beklagten reiche die einfache Behauptung eines „sekundären Antikörpermangelsyndroms“ nicht als Beweis für dessen Vorliegen aus, da sich diese Diagnose allein aus der Summe der Infekte begründe und von keinerlei laborchemischen Untersuchungen untermauert werde. Die Diagnose „Antikörpermangelsyndrom“ tauche überhaupt nicht auf. Auf Seite 2 des Schriftsatzes vom 06.06.2003 erkläre die Prozessbevollmächtigte der Klägerin, dass die Immunglobuline für die Patienten zur Prophylaxe für die neben der HIV-Erkrankung vorliegenden bakteriellen und viralen Erkrankungen gegeben worden seien, also nicht zur Behandlung des sekundären Antikörpermangelsyndroms. Auch die Voraussetzungen für die Gabe von Immunglobulinen nach der DAGNÄ würden bei den streitgegenständlichen Patienten nicht vorliegen bzw. seien für den Beklagten nicht feststellbar. Ein Hinweis auf einen Antikörpermangel und die damit verbundenen vermehrt auftretenden bakteriellen Infekte könnte auch der vermehrte Bedarf an Antibiotika sein. Allerdings ist in den streitgegenständlichen Fällen entweder überhaupt keine Gabe von Antibiotika feststellbar bzw. nur in geringem Umfang. Der Beklagte habe bisher auch keine ausreichende Studienlage gefunden noch habe sich die Klägerin auf eine solche berufen oder eine solche dargelegt, dass sekundäre Antikörpermangelzustände aussichtsreich mit Immunglobulinen zu behandeln wären. Die von der Klägerseite angeführten Studien zur Behandlung der HIV-Infektion mit intravenösen Immunglobulinen würden ausnahmslos aus der Zeit vor Einführung der aktiven Kombinationstherapien gegen HIV stammen. Zum damaligen Zeitpunkt bzw. in den vorliegenden Studien seien die Patienten mit Monotherapien gegen HIV (vorwiegend Zidovudin) behandelt worden. Gemäß klinischen Studien sei diese Monotherapie relativ ineffektiv, da es schon nach verhältnismäßig kurzer Zeit zur Resistenzentwicklung des Virus und damit zu einer klinischen Unwirksamkeit der Therapie komme. Daher sei bei der Monotherapiebehandlung in den frühen Neunzigerjahren bei HIV-Patienten eine nach wie vor hohe Rate von opportunistischen Infektionen und anderen Komplikationen zu beobachten gewesen. Zu diesem Zeitpunkt (also vor 1995/1996) habe sich der dringende Bedarf nach weiteren therapeutischen Optionen der anhaltend kranken HIV-Patienten gestellt. Den hier zu prüfenden Fall, dass der Patient mit antiretroviraler Kombinationstherapie zusätzlich mit Immunglobulinen behandelt werde, habe keine einzige der Studien zum Gegenstand. Randomisierte Studien mit validierten und tragfähigen Ergebnissen zu Immunglobulingabe neben einer antiretroviralen Kombinationstherapie seien dem Beklagten nicht bekannt und seien von den Klägern auch nicht vorgetragen.

Mit weiterem Schreiben vom 11.02.2013 hat der Beklagte vorgetragen, dass er der Klägerin die Möglichkeit eingeräumt habe zur Vorbereitung einer Ausschusssitzung substantiiert darzulegen, für welche Erkrankungen die Immunglobuline, unter Bezugnahme auf die damals verschlüsselten Diagnosen, konkret verordnet worden seien. Die hierzu erstellte Patientenauflistung habe auch diejenigen Patienten umfasst, deren Verordnungen das SG A-Stadt zum Erlass der 39 Gerichtsbescheide zu Ungunsten der Klägerin veranlasst habe. Die Klägerseite habe hierzu mit Schreiben vom 17.09.2012 Unterlagen eingereicht, die in keinster Weise den Anforderungen an eine ausreichende Dokumentation genügen würden.

Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat hierzu mit Schriftsatz vom 04.03.2013 näher vorgetragen. Der Beklagtenvertreter habe erneut die falsche Prämisse bemüht, es bedürfe der labortechnischen Auswertung, anhand derer man ein Antikörpermangelsyndrom nachweisen könne. „Das“ Antikörpermangelsyndrom sei von der Begrifflichkeit in der medizinischen Wissenschaft nicht bekannt. Es gebe vielmehr sehr viele verschiedene Antikörpermangelsyndrome. Weit mehr sekundäre als primäre Antikörpermangelsyndrome. Soweit es sich um ein quantitatives Antikörpermangelsyndrom handle, sei dies labortechnisch nachweisbar. Beim hier streitgegenständlichen qualitativen Antikörpermangelsyndrom sei der labortechnische Nachweis nicht möglich und überdies auch nicht erforderlich. Die zahlreichen Studien, der Stand der medizinischen Wissenschaft, den Stellungnahmen des Prof. Dr. R. und auch denen des PEI sei zu entnehmen, dass nur bei HIV-Patienten (insbesondere und ausnahmsweise und auf den individuellen Einzelfall bezogen) ein qualitatives Antikörpermangelsyndrom dann mit der Erkrankung (in fortgeschrittener Krankheitsphase) einhergehe, wenn in der Klinik dieser Patienten vermehrt auftretende Infekte, die durch eine Insuffizienz des sog. B-Zell-Systems begünstigt würden, beobachtet und dokumentiert werden könnten. Hierzu würden vor allem bronchopulmonale Infekte, Sinusitiden, Infektionen des Urogenitaltraktes und Abszesse, wie sie durch die Klägerin dokumentiert worden seien, zählen. Der Nachweis sei der klinische Verlauf bei diesen Patienten. Der Beweis, dass diese Störungen nicht auf die HIV-Infektion, sondern auf dem Antikörpermangelzustand beruhen, sei durch die folgende Unterscheidung leicht zu erbringen. Bei den vorliegenden Infektionen handle es sich nicht um HIV-bedingte sog. opportunistische Infektionen. Es gehe vielmehr um solche vermehrt auftretenden Infekte, die durch eine Insuffizienz des sog. B-Zell-Systems begünstigt würden. Zu den opportunistischen und damit AIDS definierenden Erkrankungen würden vielmehr solche Infekte zählen, wie sie in der Anlage unter Kategorie C aufgeführt seien.

II.

Die Beigeladene zu 2) in den früheren Verfahren L 12 KA 17/12, L 12 KA 29/12 und L 12 KA 45/12 hat mit Schriftsatz vom 21.12.2001 Antrag auf Prüfung der ärztlichen Verordnungsweise im Quartal 1/01 in Einzelfällen gestellt. Hierzu hat die Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 11.02.2002 Stellung genommen. Hinsichtlich der Verordnung von Immunglobulinen in der HIV-Versorgung dürfe zunächst darauf hingewiesen werden, dass diese sich nicht gegen die Empfehlungen der DAGNÄ richten. Diese Empfehlungen würden sich gerade auf jene Fälle richten, in denen die Verordnung trotz und in Ergänzung zur hochaktiven antiretroviralen Kombinationstherapie aus medizinischer Sicht notwendig sei. Wie aus allen Prüfanträgen zu entnehmen sei, hätten die Vertragsärzte die Verordnung von Immunglobulinen lediglich in Fällen vorgenommen, bei denen zum einen eine stark fortgeschrittene Krankheitsphase der HIV-Erkrankung erreicht gewesen sei und zum anderen diese Patienten an rezidivierenden bakteriellen oder rezidivierenden viralen Infekten leiden, die trotz medikamentöser Behandlung, z. B. Antibiotika, immer wieder aufgetreten seien. Grund hierfür sei die Tatsache, dass mit der hochaktiven antiretroviralen Kombinationstherapie der erworbene Immundefekt nicht beseitigt werde. Durch diese Therapie werde lediglich die Ausbreitung des HI-Virus im menschlichen Körper eingedämmt bzw. verzögert. Vernichtet werde das Virus nicht. Bei den Patienten, bei denen die hochaktive antiretrovirale Kombinationstherapie nicht zum begehrten Therapieziel führe, sei die Ergänzung dieser Therapie mit Immunglobulinen indiziert. Gerade diese Fälle suche die DAGNÄ e.V. mit ihren Empfehlungen zu erfassen. Zweifelsfrei handle es sich bei der HIV-Infektion um eine sekundäre Immundefektkrankheit.

Der Prüfungsausschuss der KVB - Bezirksstelle A-Stadt-Stadt und Land - hat mit Prüfbescheid vom 09.07.2002 gegen die Klägerin einen Regress bei den Einzelverordnungen in Höhe von 39.108,98 € (= 76.490,51 DM) festgesetzt. Der Prüfungsausschuss habe eine Einzelfallprüfung durchgeführt und bestätige die von der AOK Bayern getroffenen Feststellungen hinsichtlich der unwirtschaftlichen Verordnungsweise. Die Vertragsärzte hätten in den genannten Fällen Immunglobuline eingesetzt, obwohl für die HIV-Infektion Erwachsener keine amtlich zugelassene Indikation existiere. Die Ärzte hätten deshalb unwirtschaftliche Verordnungen getätigt.

Hiergegen richtet sich der Widerspruch der Klägerin vom 02.08.2002, der mit Schriftsatz vom 06.02.2003 näher begründet wurde. In den vorliegenden Fällen sei die streitgegenständliche Therapie von den Arzneimittel-Richtlinien umfasst (Ziffer 20 AMR). Nach der Nr. 20 dieser Richtlinien dürften Impfstoffe und/oder Immunglobulinpräparate insbesondere bei immunsuprimierten Patienten und bei Patienten mit Immundefekt verordnet werden, wenn nach wissenschaftlicher Erkenntnis hierdurch ein Krankheitsausbruch mit großer Wahrscheinlichkeit verhindert werden könne. Die medizinische Notwendigkeit dieser Behandlung ergebe sich in den vorliegenden Fällen daraus, dass u. a. die aufgeführten Patienten L.S., A.G., F.W., E.P., J.L., W.M., F.K und H.N. neben einer fortgeschrittenen HIV-Infektion an anderen Erkrankungen leiden und zur Prophylaxe dieser bakteriellen und viralen Erkrankungen eine Immunglobulintherapie erforderlich sei. Der HI-Virus zerstöre das menschliche Immunsystem. Bei entsprechender Ausbreitung des Virus versterbe der Patient an den sog. opportunistischen Erkrankungen, die als Folge seiner Immunschwäche nicht mehr bekämpft werden könnten. Seit Anfang 1997 werde die hochaktive antiretrovirale Kombinationstherapie eingesetzt, mit der in vielen Fällen eine Ausbreitung des HI-Virus im menschlichen Körper zum Teil eingedämmt werden könne. Unbestritten habe die hochaktive antiretrovirale Kombinationstherapie zu einer deutlichen Reduktion der HIV-assoziierten Morbididät und Mortalität geführt. Gleichwohl könne AIDS unverändert nicht als heilbare Krankheit eingestuft werden. Mit der antretroviralen Kombinationstherapie könne keine ausreichende Medikation für die HIV-Erkrankung erfolgen, aber ein Hinauszögern im Stadium AIDS in vielen Fällen erreicht werden. Nach Eindringen des Virus in den menschlichen Blutkreislauf würden sich die Viren an die Oberfläche der CD 4-Lymphozyten (zentrale Schaltzellen des Immunsystems) anheften, in die Zelle eindringen und ihre genetische Information an das genetische Material im Zellkörper infizieren. Würden die so befallenen CD 4-Lymphozyten durch andere Erreger (Bakterien, Viren, Pilze) aktiviert, würden sie mit der Produktion von HI-Viren beginnen und dadurch zerstört. Da sich das menschliche Immunsystem täglich mit einer Fülle von in den Körper eindringenden Keimen auseinandersetzen müsse, würden täglich CD 4-Lymphozyten aktiviert und würden dadurch täglich neue HI-Viren bilden. Täglich würden Milliarden neuer Viren gebildet und Milliarden CD 4-Lymphozyten zerstört. Dies führe schließlich zu einer Erschöpfung der Zellenneuproduktion im Knochenmark, die CD 4-Lymphozytenzahl nehme ab. HIV-assoziierte Erkrankungen, opportunistische Infektionen oder bösartige Tumore würden über kurz oder lang zum Tod des Patienten führen. Mittels HAART könne zurzeit ein Fortschreiten der Erkrankung für fünf bis acht Jahre verhindert werden. Durch die Gabe antiretroviraler Kombinationspräparate könne das Eintreten des Endstadiums AIDS hinausgezögert werden. Wenn man sich den Verlauf einer HIV-Infektion als einen Zug vorstelle, der auf einen Abgrund (Tod durch AIDS) zufahre, so gebe die CD 4-Zellzahl den Abstand zum Abgrund an. Die Höhe der Virusbeladung zeige die Geschwindigkeit an, mit der sich der Zug auf den Abgrund zu bewege. Hinzu komme, dass es sich bei HAART um eine Therapie handle, die sich erst seit gut fünf Jahren im Einsatz befinde. Vor dem Hintergrund der Kürze der Erfahrungszeit mit dieser Therapie könne die Frage, ob sich letztendlich unter eine fortlaufende HAART über viele Jahrzehnte eine HIV-Infektion stabilisieren lasse, derzeit nur spekulativ beantwortet werden. Resistenzen, die immerhin 50% der Patienten, die derzeit HAART nehmen würden, bereits betreffen, Complianceschwierigkeiten und vor allem Langzeitnebenwirkungen würden die entsprechend andauernde Erfolgsrate antiretroviraler Therapieformen limitieren. Vor diesem Hintergrund seien die Vertragsärzte über die Verordnung von Immunglobulinen bei HIV-Erwachsenen per Rundschreiben vom 04.07.1994 über die KVB beraten worden. Diese Beratung sei zu keinem Zeitpunkt widerrufen oder korrigiert worden. Über viele Jahre hinweg seien die Kosten der streitbefangenen Therapie anstandslos übernommen worden. Der so geschaffene Vertrauenstatbestand stehe einem Regressanspruch entgegen. Nach der Fachinformation über das Präparat Octagam werde dieses Arzneimittel angewendet zur „Substitutionstherapie“ bei primären und sekundären Antikörpermangelzuständen sowie zur Vorbeugung und Behandlung von Infektionen, die bei diesen Krankheiten auftreten. Der Einsatz der Immunglobuline diene der Behandlung der neben der HIV-Infektion vorhandenen anderen Infektionen. Selbst wenn man in den vorliegenden Fällen einen Off-Label-Gebrauch des Präparates Octagam annehmen wollte, wäre eine zulassungsüberschreitende Verordnung nicht ausgeschlossen. Nach dem Urteil des BSG (Az.: B 1 KR 37/00 R, Urteil vom 19.03.2002) sei die Verordnung eines Medikamentes in einem von der Zulassung nicht umfassten Anwendungsgebiet möglich, wenn es um die Behandlung einer schwerwiegenden (oft lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung gehe, wenn keine andere Therapie verfügbar sei und wenn aufgrund der Datenlage die begrenzte Aussicht bestehe, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden könne. Damit Letzteres angenommen werden könne, müssten Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden könne. Davon könne ausgegangen werden, wenn entweder die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt sei und die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlich seien und eine klinischrelevante Wirksamkeit bzw. einen klinischrelevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht seien, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und aufgrund deren in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorangegangenen Sinne bestehe. Die entsprechenden Studien seien bekannt. Nicht zuletzt aufgrund dieser Datenlage sei den Vertragsärzten zur Verordnung mit Immunglobulinen bei HIV-Erwachsenen geraten worden. Die von der DAGNÄ e.V. aufgestellten Kriterien seien ebenfalls bekannt. Auch das dritte von der Rechtsprechung herangezogene Kriterium, nämlich ein nach den Grundsätzen der medizinischen Wissenschaft zu erwartender Behandlungserfolg, sei hier anzunehmen. Der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen habe nämlich in der Nr. 20 AMR den Einsatz der Immunglobulinpräparate bei Patienten mit Immundefekt für verordnungsfähig gehalten. Damit werde auch festgestellt, dass diese Therapie grundsätzlich im Einklang stehe mit der Verpflichtung zu einer Arzneimittelversorgung auf der Grundlage des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse im Umfange einer ausreichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen Versorgung (Nr. 3 AMR). Mit weiterem Schreiben vom 07.04.2003 hat die Prozessbevollmächtigte der Klägerin die ärztlichen Stellungnahmen zu den streitgegenständlichen Behandlungsabläufen übersandt.

Der Beklagte hat mit Widerspruchsbescheid vom 20.11.2003 den Bescheid des Prüfungsausschusses insoweit abgeändert, als ein Regress in Höhe von 34.060,15 € festgesetzt wurde. Im vorliegenden Fall sei die Einzelfallprüfung die sachgerechte Prüfmethode. Die Widerspruchsführerin würde im Wesentlichen auf die bereits ergangenen Schriftsätze sowie das Gutachten von PD Dr. R. vom 03.01.2003 verweisen. Darüber hinaus werde vom Beklagten das zu den Vorverfahren erstellte Gutachten von Prof. Dr. D. vom 06.07.2000 herangezogen. Der Beschwerdeausschuss sehe sich in der Lage, auf der Grundlage dieser Gutachten zu entscheiden. Die Klägerin würde eine - in einigen Fällen unzureichende - antiretrovirale Therapie, häufig in fixer Kombination mit IVIG (intravenösem Immunglobulin) verwenden. Bereits die DAGNÄ- Empfehlungen vom Oktober 1996 hätten den Einsatz von intravenösen Immunglobulinen auf wenige ganz bestimmte Krankheitsbilder und Komplikationen beschränkt. Es handle sich dabei um Empfehlungen ohne allgemein verbindlichen Charakter, die DAGNÄ-Empfehlungen würden aber den damaligen Diskussionsstand der HIV-Behandlung mit Immunglobulinen widerspiegeln. Nicht der hohe Preis der IVIG-Therapie, sondern der fehlende Wirksamkeitsnachweis für die Indikation HIV bei Erwachsenen würde diese Therapie unwirtschaftlich machen. Bezüglich der zugelassenen Indikationen werde auf die Schreiben des PEI vom 30.10.2002 und vom 20.03.2003 verwiesen. Eine unkritische, über Monate bzw. Quartale gehende regelmäßige Substitution ohne jeglichen Anhaltspunkt für die therapeutische Wirksamkeit sei nicht geeignet, die Kriterien dieser Zulassung auch nur im Geringsten zu erfüllen. Da eine sachgerechte Therapie mit antiretroviralen Medikamenten opportunistische Infektionen sowieso schon in den Hintergrund dränge, sei der Argumentation der Klägerin schwer zu folgen. Nach den Ausführungen des PEI sei keines der in Deutschland zugelassenen Immunglobuline für die Indikation der Anwendung bei erwachsenen AIDS-Patienten zugelassen und die Indikation gelte weltweit als nicht durch klinische Studien belegt. Immunglobuline würden zur Substitution von Antikörpermangel ausschließlich bei bestimmten primären Immundefekterkrankungen sowie bei sekundären Mangelzuständen unter multiplen Myelom oder der chronischlymphatischen Leukämie angewendet. Diese Indikationen würden nicht eine pauschale Ausdehnung auf jegliche Zustände oder Erkrankungen erlauben, die mit Antikörpermangel einhergehen (Beispiel: AIDS-Erkrankung beim Erwachsenen). Der Beklagte erkenne an, dass die DAGNÄ-Empfehlungen zwar in gewisser Hinsicht den Stand der medizinischen Erkenntnisse widerspiegeln würden, allerdings in einem recht komplexen Geschehen und nur als Aufgreifkriterium für die Wirtschaftlichkeitsprüfung. Die internationale Studienliteratur belege Therapieversuche bei HIV/AIDS mit polyvalenten Immunglobulinen bei Erwachsenen, dieser Weg sei jedoch mangels Erfolg weitgehend verlassen worden. Zur Beurteilung der Fälle habe sich der Beklagte bereits in den Vorquartalen an einen Spezialisten, nämlich Herrn Prof. Dr. D., gewandt, der ein Gutachten erstellt habe, das in allen Punkten die Einschätzung des Beklagten gestützt habe und dieses sogar in der wissenschaftlichen Bewertung übertroffen habe. In dem Gutachten vom 06.07.2000 führe Prof. Dr. D. aus, dass die Gabe von Immunglobulinen nur als Prophylaxe verstanden werden könne, wofür es keine Indikation gebe. Die pauschalen Begründungen seien in den einzelnen Fällen nicht ausreichend, um eine Indikation zu rechtfertigen. Bei den von der Klägerin angeführten Patienten bzw. Begründungen seien die in den Empfehlungen der DAGNÄ für die HIV-Behandlung genannten Krankheitsbilder durchgängig nicht enthalten. Auch sei bei der Anwendung von Immunglobulinen darauf zu achten, dass alle anderen Strategien ausgeschöpft seien. Standard bei der HIV-Behandlung sei die Kombination mehrerer wirksamer antiretroviraler Medikamente einschließlich Proteasehemmern. Die Gabe von Immunglobulinen bei HIV-Infektion sei mit Ausnahme der ITP-ähnlichen Thrombozytopenie wegen mangelnder Effektivität völlig verlassen worden. Die Gegendarstellung von Herrn PD Dr. R. vom 03.01.2001, erstellt für das Quartal 3/1997, bringe lediglich eine Auflistung von Indikationen, ohne aber auf die Zulassungssituation einzugehen. Im Folgenden beschäftigt sich der Beklagte mit den einzelnen Fällen. Bezüglich des Patienten H.N. sei eine ausreichende Begründung vorhanden, so dass der Regress entfalle. Bezüglich des Patienten R.B. ist festzustellen, dass dieser Rechtsstreit im sozialgerichtlichen Verfahren abgetrennt wurde und mittlerweile durch Vergleich erledigt ist, so dass hier keine Darstellung erfolgt. In der Folge hat der Beklagte zu den einzelnen Fällen Stellung genommen. Bezüglich des Patienten L.S. sind zunächst die getätigten Verordnungen im Quartal 1/2001 aufgelistet. Sodann wurde aus dem Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 06.02.2003 zitiert, wonach sich die medizinische Notwendigkeit der Behandlung bei dem Patienten L.S. daraus ergebe, dass dieser neben einer fortgeschrittenen HIV-Infektion an anderen Erkrankungen leide und zur Prophylaxe der bakteriellen und viralen Erkrankungen eine Immunglobulintherapie erforderlich gewesen sei. Sodann wurde aus dem Schreiben der Prozessbevollmächtigten vom 07.04.2003 der Krankheitsverlauf wiederholt (HIV-Infektion im CDC-Stadium B 2. Seit 5/1997 antiretrovirale Therapie. Schwere Thrombozytopenie mit Nachweis von Thromozytenantikörpern. Tiefstwerte der Thrombozyten zwischen 12.000 und 28.000/mcl. Seit 8/1998 IVIG Kommentar: Schwere Thrombozytopenie mit Nachweis von Thrombozytenantikörpern. Aufgrund der erheblichen Blutungsgefahr IVIG weiterhin erforderlich. Hierzu hat der Beklagte festgestellt, dass die 2er-Kombination Videx und Zerit in Verbindung mit den Diagnosen der Abrechnung („sonstige Immundefekte“ Immundefekt, nicht näher bezeichnet, D 84.9, „chronische Hepatitis, andernorts nicht klassifiziert“, „chronische Hepatitis, nicht näher bezeichnet, K 73.9“, sonstige näher bezeichnete Verletzungen der oberen Extremität, Höhe nicht näher bezeichnet, T 11.8) ohne weitere Gabe von Antibiotika und weitere Angaben eine Therapie mit IVIG nicht rechtfertigen würden. Das Ausnahme-DAGNÄ-Kriterium Immun-Thrombozytopenien sei mangels neuerer Angaben nicht nachvollziehbar, alternative Therapien (Corticoide ...) seien nicht erkennbar, der zeitliche Abstand und die (für die Therapie erforderliche viel höhere Dosierung) würden ebenfalls gegen diese Annahme sprechen.

Hinsichtlich der Patientin A.G. wurde ebenfalls zuerst der Umfang der Verordnungen im Quartal 1/2001 dargestellt. Sodann wurde wiederum aus dem Schreiben der Prozessbevollmächtigten vom 06.02.2003 zitiert, wonach sich die medizinische Notwendigkeit der Behandlung bei der Patientin A.G. daraus ergebe, dass sie neben einer fortgeschrittenen HIV-Infektion an anderen Erkrankungen leide und zur Prophylaxe dieser bakteriellen und viralen Erkrankungen eine Immunglobulintherapie erforderlich sei. Des Weiteren wird aus dem Schreiben der Prozessbevollmächtigten vom 07.04.2003 über den Krankheitsverlauf zitiert (HIV-Infektion im CDC-Stadium C 3.1987 bis 1993 viermal Herpes zoster. Seit 1993 chronische Diarrhoe, Thrombopenie. 9/1993 Soor. Orale Haarleukoplakie. 1/1994 atopisches Ekzem. Ekzema herpeticum (Hände, Mund, Füße). 5/1994 orale Haarleukoplakie. Seit 1/1995 antiretrovirale Therapie. 1995 Pneumonie. 12/1996 Soor-Ösophagitis.1997 nektrotisierende Candida-Colitis, Soor. Seit 17.06.1999 intravenöse Immunglobulintherapie. Es handle sich um eine Patientin der Kategorie 1 bzw. 3 der DAGNÄ-Empfehlung. Seit IVIG deutlicher Rückgang von viralen, mykotischen und bakteriellen infektiösen Episoden. Unvollständige Virussubpression. Niedrige CD 4-Zahlen, Unverträglichkeit von zahlreichen antiretroviralen Medikamenten, insbesondere Proteaseinhibitoren, würden eine Weiterbehandlung mit IVIG notwendig machen. Hierzu hat der Beklagte festgestellt, dass die Kombination Videx, Epivir, Sustiva, Viracept, später mit Crixivan und Norvir in Verbindung mit den Diagnosen der Abrechnung („sonstige Immundefekte“, Immundefekt, nicht näher bezeichnet, D 84.9, chronische Hepatitis, nicht näher bezeichnet, K 73.9, „sonstige Immundefekte“, Immundefekt, nicht näher bezeichnet, D 84.9, „sonstige Polyneuropathien“, Polyneuropathie, nicht bezeichnet, G 62.9) ohne weitere Gabe von Antibiotika außer einmalig Cefaclor und ohne weitere Angaben eine Therapie mit IVIG nicht rechtfertigen würden. Bezüglich des Patienten F.W. wurde wiederum zuerst eine Übersicht über die im Quartal 1/2001 verordneten Arzneimittel gegeben. Sodann wurde aus dem Schreiben der Prozessbevollmächtigten vom 06.02.2003 zitiert, wonach sich die medizinische Notwendigkeit der Behandlung im Falle F.W. daraus ergebe, dass dieser neben einer fortgeschrittenen HIV-Infektion an anderen Erkrankungen leide und zur Prophylaxe dieser bakteriellen und viralen Erkrankungen eine Immunglobulintherapie erforderlich gewesen sei. Des Weiteren wird aus dem Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten vom 07.04.2003 die Krankheitsgeschichte des Patienten F.W. referiert (HIV-Infektion im CDC-Stadium B 3. 9/1997 Salmonellenenteritis, rezidivierender Herpes simplex in der Mundhöhle, Condylomata acuminata, Soor, orale Haarleukoplakie. Kardiomyopathie und Aorteninsuffizienz seit Jahren bekannt. 5/1998 perianales spinozelluläres Karzinom, Resektion. Seit 10/1997 intravenöse Immunglobulintherapie und antiretrovirale Therapie. Seit 7/1998 distal betonte Neuropathie. 5/2000 Rezidiv eines spinozellulären Karzinoms, Chemo- und Radiotherapie. Der Patient F.W. gehöre der Kategorie 3 der DAGNÄ-Empfehlung an, es bestehe eine unbefriedigende Rekonstruktion des Immunsystems, CD 4-Zellen zwischen 200 und 300 Zellen/mcl trotz erfolgreicher antiretroviraler Therapie. Multimorbider Patient mit onkologischer Zweiterkrankung. Weitere Therapie mit IVIG indiziert. Hierzu hat der Beklagte ausgeführt, dass die 3er-Kombination Epivir, Zerit und Viramune in Verbindung mit den Diagnosen der Abrechnung („sonstige Immundefekte“, Immundefekt, nicht näher bezeichnet, D 84.9) ohne weitere Gabe von Antibiotika außer Cefaclor und (prophylaktischem?) Cotrim und ohne weitere Angaben einer Therapie mit IVIG nicht rechtfertige.

Bezüglich des Patienten E.P. wurde zunächst wiederum eine Übersicht über die im Quartal 1/2001 verordneten Medikamente gegeben. Sodann wurde aus dem Schreiben der Prozessbevollmächtigten vom 29.07.1999 die Krankheitsgeschichte des Patienten P. referiert (HIV-Infektion im CDC-Stadium B 2. Seit 1993 rezidivierender Herpes simplex, rezidivierende Pyodermien und orale Haarleukoplakie. Seit 8/1993 rezidivierender Soor. Seit 1/1993 rezidivierende Balanitis. Seit 8/1993 chronische Bronchitis. Seit 1/1994 antiretrovirale Therapie und intravenöse Immunglobulintherapie. Seit 8/1996 progrediente Neuropathie. Es handle sich um einen Patienten der Kategorie 3 der DAGNÄ-Empfehlungen. Während des gesamten Behandlungszeitraums mit IVIG deutlicher Rückgang schwerwiegender bakterieller und viraler Infekte, unter dem Gesichtspunkt einer generellen Proteaseinhibitorunverträglichkeit Fortführung der IVIG indiziert. Die medizinische Notwendigkeit der Behandlung ergebe sich daraus, dass der Patient E.P. neben einer fortgeschrittenen HIV-Infektion an anderen Erkrankungen leide und zur Prophylaxe dieser bakteriellen und viralen Erkrankungen eine Immunglobulintherapie erforderlich sei. Es handle sich um einen Patienten der Kategorie 1 der DAGNÄ-Empfehlungen. Wegen erheblicher Nebenwirkung, insbesondere distal betonter Neuropathie und gastroenterologischer Beschwerden sei kein Einsatz von Proteaseinhibitoren möglich. Auch bei den Reverse-Transkriptase-Inhibitoren würden erhebliche Einschränkungen bestehen. Es werde derzeit nur eine 2-fach Kombination durchgeführt. Bei zufriedenstellendem virologischem Ergebnis bestehe weiterhin eine niedrige CD 4-Zahl. Seit Einsatz der IVIG habe kein Soor mehr beobachtet werden können, die Häufigkeit der Bronchitisschübe habe deutlich nachgelassen. Der Beklagte hat hierzu festgestellt, dass die 2er Kombination Combivir in Verbindung mit den in der Abrechnung genannten Diagnosen („Störungen des Lipoproteinstoffwechsels und sonstige Lipidämien“, Hyperlipidämie, nicht näher bezeichnet, E 78.5, „sonstige Immundefekte, nicht näher bezeichnet, D 84.9, „sonstige Mononeuropathien“, sonstige näher bezeichnete Mononeuropathien, G 58.8, „nicht näher bezeichneter Diabetes mellitus“ ohne Komplikationen, E 14.9, „Bauch- und Beckenschmerzen“, Schmerzen im Bereich des Oberbauches, R 14.1) ohne Gabe von Antibiotika und ohne weitere Angaben die parallele Therapie mit IVIG nicht rechtfertigen könne. Auffallend sei, dass der Patient einmal der DAGNÄ-Empfehlung Kategorie 1, dann 3 zugeordnet werde. So entstehe für den Ausschuss der Eindruck einer gewissen Beliebigkeit, zumal hier in Zusammenschau die älteren Ausarbeitungen neben den „aktuellen“ Stellungnahmen vorliegen, teilweise seien diese wohl aus alten Unterlagen ausgeschnitten und aufgeklebt.

Hinsichtlich der Patientin J.L. wird wiederum zunächst eine Übersicht über die verordneten Medikamente im Quartal 1/2001 gegeben. Sodann wird aus dem Schreiben der Prozessbevollmächtigten vom 29.07.1999 die Krankengeschichte zitiert (HIV-Infektion im CDC-Stadium B 2. Seit 8/1990 rezidivierende Gastroenteritiden. Seit 7/1991 orale Haarleukoplakie. 6/1993 Sialadenitis. Seit 2/1993 rezidivierender Herpes simplex. Seit 8/1993 bakterielle Vaginose. Seit 3/1994 Onychomykose. Seit 3/1994 Pyodermien. 10/1994 schwerer Schub der o.g. Gastroenteritiden. 2/1996 bakterielle Cervicitis. 7/1996 in unmittelbarer Folge schwere Gastroenteritis und Sinubronchitis. Seit 7/1996 intravenöse Immunglobulintherapie. Seit 5/1996 antiretrovirale Therapie). Es handle sich um eine Patientin der Kategorie 3 der DAGNÄ-Empfehlung. Deutlicher Rückgang von Häufigkeit und Schwere sämtlicher oben aufgeführter infektiöser Ereignisse. Aus dem Gutachten von Prof. Dr. D. vom 06.07.2000 (zu einem früheren Quartal der Patientin) wird ausgeführt, dass auch bei dieser Patientin eine frühere Behandlung mit antiretroviralen Medikamenten möglicherweise sinnvoll gewesen wäre. Wieso zwei Monate später eine intravenöse Immunglobulintherapie zusätzlich eingesetzt worden sei, sei nicht erkennbar. Der Rückgang von Häufigkeit und Schwere der aufgeführten infektiösen Ereignisse müssten auf die HAART zurückzuführen sein. Des Weiteren wird aus dem Gutachten von PD Dr. R. vom 03.01.2001 zitiert, wonach unter der Immunglobulintherapie ein deutlicher Rückgang von Häufigkeit und Schwere der verschiedenen bislang aufgetretenen bakteriellen Komplikationen zu verzeichnen gewesen sei. Weiter wird zitiert aus dem Schreiben der Prozessbevollmächtigten vom 06.02.2003, wonach die medizinische Notwendigkeit dieser Behandlung sich daraus ergebe, dass die Patientin J.L. neben einer fortgeschrittenen HIV-Infektion an anderen Erkrankungen leide und zur Prophylaxe dieser bakteriellen und viralen Erkrankungen eine Immunglobulintherapie erforderlich sei. Es handle sich um eine Patientin der Kategorie 3 der DAGNÄ-Empfehlung. Die Zusammenschau der älteren Stellungnahme aus 1999 mit den aktuellen Stellungnahmen aus 2003 würde eine völlige Übereinstimmung zeigen. Dies lege den Schluss nahe, dass keine weitere Begründung (z. B. Laborwerte, aktuelle Erkrankungen, Verläufe etc.) geliefert werden könne. Es würden sich lediglich pauschale positive Bewertungen finden. Die Kombination aus Sustiva, Videx und Zerit in Verbindung mit den Diagnosen der aktuellen Abrechnung („sonstige Immundefekte“, Immundefekt, nicht näher bezeichnet, D 84.9, „Störungen des Lipoproteinstoffwechsels und sonstige Lipidämien“, Hypercholesterinämie, E 78.0, „sonstige Immundefekte“ nicht näher bezeichnet D 84.9, Diarrhoe und Gastroenteritis, vermutlich infektiösen Ursprungs, A 09) würden ohne Gabe von Antibiotika außer dem Antimykotikum Fluconazol und ohne weitere Angaben eine Therapie mit IVIG nicht rechtfertigen.

Hinsichtlich des Patienten W.M. wird zunächst wiederum eine Übersicht über die im Quartal 1/2001 verordneten Medikamente gegeben. Die medizinische Notwendigkeit dieser Behandlung bei dem Patienten W.M. ergebe sich daraus, dass er neben einer fortgeschrittenen HIV-Infektion an einer anderen Krankheit leide und zur Prophylaxe dieser bakteriellen und viralen Erkrankungen eine Immunglobulintherapie erforderlich sei. Sodann wird aus dem Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten vom 07.04.2003 die Krankengeschichte referiert (HIV-Infektion im CDC-Stadium C 3. Seit 4/1987 rezidivierende eitrige Sinubronchitiden mit asthmoider Komponente. 8/1987 schwere Colitis. Seit 8/1987 rezidivierender Soor. Seit 1987 ausgeprägte progrediente Thrombozytopenie mit Werten bis zu 17.000 Plättchen/mcl. 12/1989 Bronchopulmonie. 1/1990 rezidivierender Herpes simplex. 2/1990 und 4/1990 eitrige asthmoide Bronchitis. 12/1991 eitrige Bronchitis. 12/1991 Otitis externa rechts. 12/1991 eitrige Bronchitis. 4/1993 ausgeprägter Soor und schwere eitrige Bronchitis. Seit 5/1993 orale Haarleukoplakie. Insgesamt ca. alle drei Monate. 2/1990 Pneumonie und eitrige Bronchitis. Seit 1993 erneut schwere Thrombozytopenie. 8/1993 eitrige Bronchitis. 9/1993 Onychomykose. Seit 10/1993 intravenöse Immunglobulintherapie. 6/1994 Oneumonie (atypische Mykobakterien). 1994 Pneumocystitis carinii, Pneumonie mit Rezidiv. 12/1994 Thrombozytopenie von 6.000 mcl. Seit 12/1994 antiretrovirale Therapie. 4/1995 und 2/1997 bakterielle Pneumonie). Die Immunglobulintherapie sei wegen schwerer symptomatischer Thrombozytopenie erforderlich gewesen. Deutlicher Rückgang der schweren bakteriellen Atemwegsinfekte seit IVIG. Es handle sich um einen Patienten der Kategorie 1 der DAGNÄ-Empfehlung. Hierzu hat der Beklagte angemerkt, dass dieser Patient an sich der Kategorie 2 der DAGNÄ-Empfehlungen zuzuordnen wäre (Patienten mit Immunthrombozytopenien, die auf andere Therapiewege nicht ausreichend angesprochen hätten und deren Thrombopenie bedrohlich werden könnte, in der Regel Thrombopenien mit weniger als 20.000 Thrombozyten sowie Patienten mit Thrombopenie, die sich z. B. einer Operation unterziehen müssten). Die Zuordnung zur Kategorie 1 verwirre, konsequent werde auch die Substitutionsdosis statt der immunmodulierenden IVIG Dosierung verwendet, trotzdem aber die symptomatische Thrombozytopenie neben dem deutlichen Rückgang der schweren bakteriellen Atemwegsinfekte seit IVIG angeführt. Eindruck der Beliebigkeit. Keine aktuellen Angaben in der „aktuellen“ Stellungnahme. Die Kombination Combivir, Ziagen, Fortovase und Viracept in Verbindung mit den Diagnosen der Abrechnung („abnorme Befunde bei der bildgebenden Diagnostik sonstiger Körperstrukturen“, abnorme Befunde bei der bildgebenden Diagnostik der Leber und der Gallenwege, R 93.2, sonstige Immundefekte D 84.9, „sonstige Immundefekte“ D 84.9, „akute Infektionen an mehreren oder nicht näher bezeichneten Lokalisationen der oberen Atemwege“ akute Infektion der oberen Atemwege, nicht näher bezeichnet J 06.9, „sonstige chronische obstruktive Lungenkrankheit“ chronische obstruktive Lungenkrankheit mit akuter Exazerbation J 44.1) rechtfertige ohne weitere Gabe von Antibiotika außer Cefaclor und (prophylaktischem?) Cotrim und ohne weitere Angaben eine Therapie mit IVIG nicht.

Bezüglich des Patienten F.K. wird zunächst wiederum die Verordnungsweise im Quartal 1/2001dargestellt. Die medizinische Notwendigkeit der Behandlung ergebe sich beim Patienten F.K. daraus, dass er neben einer fortgeschrittenen HIV-Infektion an anderen Erkrankungen leide und zur Prophylaxe dieser bakteriellen und viralen Erkrankungen eine Immunglobulintherapie erforderlich sei. Sodann wird aus dem Schreiben der Prozessbevollmächtigten vom 07.04.2003 die Krankengeschichte referiert (HIV-Infektion im CDC-Stadium C 3. Antiretrovirale Therapie seit 1988. Seit 11/1993 Kaposi Sarkom der Haut. Seit 3/1994 orale Haarleukoplakie. 3/1994 perianales Ekzem. 5/1994 Colitis. Seit 6/1994 intravenöse Immunglobulintherapie. Kommentar: Multiresistentes Virus. Trotz schwerem Immundefekt (CD 4-Zellen zwischen 50 und 200 Helferzellen schwankend) keine bakteriellen oder mykotischen Infektionen seit Beginn der IVIG. Hierzu merkt der Beklagte an, dass eine Zuordnung zu einer Kategorie fehle. Das Fehlen der „bakteriellen oder mykotischen Infektionen seit Beginn der IVIG“ werde durch den aktuellen Zoster und das unklare Fieber relativiert. Die Begründung des Rückgangs sei wie immer beliebig IVIG zugedacht. Keine neueren Angaben in der „aktuellen“ Stellungnahme. Die Kombination Zerit, Videx, Sustiva und Kaletra in Verbindung mit den Diagnosen der Abrechnung (sonstige Immundefekte, nicht näher bezeichnet, D 84.9, „Fieber unbekannter Ursache“ nicht näher bezeichnet R 50.9, Herpes zoster, Zoster ohne Komplikation, B 02.9) rechtfertige ohne weitere Gabe von Antibiotika außer dem Herpesspezifikum Valtrex und ohne weitere Angaben eine Therapie mit IVIG nicht.

Bezüglich des Patienten H.N. wird wieder zunächst die Liste der verordneten Arzneimittel im Quartal 1/2001 dargestellt. Sodann wird aus dem Schreiben der Prozessbevollmächtigten vom 29.07.1999 die Krankengeschichte referiert (HIV-Infektion im CDC-Stadium C 3. Seit 5/1997 Pneumocystitis carinii-Pneumonie, seit 9/1997 Fortsetzung der intravenösen Immunglobulintherapie, die bereits vom Vorbehandler eingeleitet worden sei). Es handle sich um einen Patienten der Gruppe 1 der DAGNÄ-Empfehlung. Bei einem Nadir der Helferzellen von 47/mcl im Juli 1997 bestehe trotz erfolgreicher antiretroviraler Therapie noch ein erheblicher Immundefekt, so dass eine zusätzliche Unterstützung mit IVIG erforderlich sei. Hierzu wird aus einem Gutachten des Prof. Dr. D. vom 06.07.2000 zu diesem Patienten referiert. Die Begründung, die intravenöse Immunglobulintherapie fortgesetzt zu haben, die bereits vom Vorbehandler eingeleitet worden sei, sei nicht akzeptabel, da der behandelnde Arzt die Indikation selbst überprüfen müsse. Als Begründung werde angegeben, dass trotz erfolgreicher ART noch ein erheblicher Immundefekt bestehe bei einer Helferzahl von 47/mcl im Juli 1997, so dass eine zusätzliche Unterstützung mit intravenösen Immunglobulinen erforderlich gewesen sei. Eine erfolgreiche ART bestätige sich in der Regel auch aus dem Anstieg der Helferzellenzahl. Außerdem sei die Gesamtzahl der T-Lymphozyten nicht genannt, auch die sog. Supressorzellen hätten eine wichtige Funktion in der Abwehr gegenüber Infektionen und seien nicht genannt. Aus dem oben Dargestellten eine intravenöse Immunglobulintherapie abzuleiten, sei jedenfalls nicht angemessen, eine Indikation bestehe nicht. Des Weiteren wird aus einem Gutachten des PD Dr. R. vom 03.01.2001 referiert, in dem ausgeführt ist, dass bei einem Nadir der Helferzellen von 47/mcl im Juli 1997 trotz erfolgreicher antiretroviraler Therapie noch ein erheblicher Immundefekt bestehe, weiter wird aus dem Schreiben der Prozessbevollmächtigten vom 06.02.2003 zitiert, dass sich die medizinische Notwendigkeit der Behandlung im Falle H.N. daraus ergebe, dass dieser neben einer fortgeschrittenen HIV-Infektion an anderen Erkrankungen leide und zur Prophylaxe dieser bakteriellen und viralen Erkrankungen eine Immunglobulintherapie erforderlich gewesen sei. Sodann wird nochmals die Krankengeschichte des Patienten H.N. gemäß dem Schreiben der Prozessbevollmächtigten vom 07.04.2003 referiert (HIV-Infektion im CDC-Stadium C 3. 1996 Pneumocystis carinii Pneumonie, seit 1996 antiretrovirale Therapie. 5/1997 Pneumonie. Seit 8/1997 intravenöse Immunglobulintherapie. 1/1999 Herpes zoster, aktuelle Stellungnahme 5/1997 Pneumocystitis carinii Pneumonie. Seit 9/1997 Fortsetzung der intravenösen Immunglobulintherapie, die bereits vom Vorbehandler eingeleitet gewesen sei). Es handle sich um einen Patienten der Kategorie 3 der DAGNÄ-Empfehlung. Aktuelle Fassung, es handle sich um einen Patienten der Gruppe 1 der DAGNÄ-Empfehlung. Hierzu hat der Beklagte festgestellt, dass die Kombination von Zerit, Virumane und Videx, später mit Ziagen statt letzterem und in Verbindung mit den Diagnosen der Abrechnung (sonstige Immundefekte, nicht näher bezeichnet D 84.9, nicht bezeichnete HIV-Krankheit B 24) ohne weitere antibiotische Therapie außer (prophylaktischem ?) Pentamidin eine parallele IVIG-Therapie nicht rechtfertigen könne. Der Hinweis auf den Vorbehandler und die im Schreiben vom 20.07.1999 aufgeführten Diagnosen (HIV-Infektion im CDC-Stadium C 3, 5/1997 Pneumocystitis carinii-Pneumonie) seien hier nicht mehr relevant.

Der Beklagte hat abschließend insgesamt festgestellt, dass nach dem Quartal 3/97 keine neueren Daten zu den HIV-Patienten vorliegen würden. Dies sei von Dr. L. damit begründet worden, dass es zu diesen Patienten keine neuen Erkenntnisse gäbe. Allein schon vom medizinischen Standpunkt betrachtet, erscheine es dem Ausschuss wenig glaubhaft, dass sich innerhalb eines derart langen Zeitraums seit dem Quartal 3/1997 am Zustand der Patienten nichts geändert haben solle. Auf der anderen Seite sei es bereits als Ausdruck der vertragsärztlichen Pflichten anzusehen, dass dem Beklagten alle für die Entscheidung notwendigen Daten vorgelegt würden. Die Pflicht zur Dokumentation komme auch in den DAGNÄ-Empfehlungen zum Ausdruck. Hier heiße es u. a., hierzu gehören z. B. Patienten mit weniger als 50 CD 4-Lymphozyten, die keine antiretrovirale Therapie mehr vertragen und multiple klinische Komplikationen aufweisen. Voraussetzung für diese Feststellungen seien exakte Dokumentationen des behandelnden Arztes.

Hiergegen richtet sich die Klage vom 15.12.2003 zum Sozialgericht München (Az.: S 38 KA 975/08), zu deren Begründung auf den Schriftsatz vom 06.10.2008 in der Streitsache S 38 KA 993/08 verwiesen werde.

Die Beigeladene zu 2) (in den früheren Verfahren L 12 KA 17/12, L 12 KA 29/12, L 12 KA 45/12) hat sich hierzu mit Schriftsatz vom 06.06.2011 geäußert. Auf den Aspekt des sekundären Immundefekts sei im Gegensatz zur Behauptung der Klägerin in jeder Stufe eingegangen worden. Eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht (Az.: 1 BvR 550/08 vom 07.04.2008) in gleicher Angelegenheit sei nicht zur Entscheidung angenommen worden. In der Begründung werde der Aspekt des sekundären Immundefekts in die Entscheidungsfindung miteinbezogen (mit der zusätzlichen Gabe von Immunglobulinen würden die mit der HIV-Infektion einhergehenden weiteren Infektionen bekämpft und vermieden). Letztendlich spiele die wiederholt geäußerte angebliche Verkennung der Behandlungsabsicht (nicht HIV/AIDS, sondern sekundärer Immunglobulinmangel) keine Rolle. Dies ergebe sich aus der zum damaligen Zeitpunkt gültigen Fachinformation. Gegenüber der Version zum Zeitpunkt der Zulassung sei die in den Quartalen 4/2000 und 1/2001 gültige Fachinformation bei den primären Mangelzuständen um die HIV-Infektion bei Kindern, bei den sekundären Mangelzuständen um das multiple Myelom erweitert worden. Eine zugelassene Anwendung sei weder bei erwachsenen HIV-/AIDS-Patienten noch bei den im Verlauf der Krankheit auftretenden gehäuften Infektionen durch sekundären Antikörpermangel zu erkennen. Die wissenschaftliche Aufbereitung zur intravenösen Immunglobulintherapie im Anwendungsgebiet „HIV/AIDS im Erwachsenenalter“ als Grundlage einer Bewertung durch die Expertengruppe „Off-Label-Infektiologie mit Schwerpunkt HIV/AIDS“ komme zu folgendem Faxit: „Es findet sich keine wissenschaftlich ausreichende Evidenz für die Wirksamkeit von intravenösen Immunglobulinen im Anwendungsgebiet HIV/AIDS bei Erwachsenen als Therapie gegen das Fortschreiten des Immundefekts oder die resultierenden infektiologischen Komplikationen“.

Das Sozialgericht München hat mit Gerichtsbescheiden vom 11.01.2012 die Klagen (Az.: S 38 KA 975/08, S 38 KA 977/08 bis S 38 KA 983/08) abgewiesen. In dem Verfahren sei zu klären, ob die Immunglobuline „Octagam“ und „Flebogamma“ im Quartal 1/2001 bei den streitgegenständlichen Patienten verordnungsfähig seien und unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots gemäß den §§ 2 Abs. 1, 12 SGB V verordnet worden seien. Die Patienten seien bereits mehrere Jahre in der klägerischen Praxis behandelt worden und seien am HIV-Virus erkrankt (gewesen). Sie hätten in dem streitigen Quartal neben der sog. antiretroviralen Therapie auch eine Immunglobulintherapie mit dem Präparat „Octagam“ oder „Flebogamma“ bzw. mit beiden Präparaten erhalten.

Zunächst sei für das Präparat Octagam die Frage der arzneimittelrechtlichen Zulassung zu klären. Denn Präparate, die nach § 21 Abs. 2 AMG arzneimittelrechtlich zugelassen seien, würden grundsätzlich als zweckmäßig und wirtschaftlich im Sinne der §§ 2 Abs. 1 Satz 1, 12 Abs. 1 SGB V gelten und seien daher von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung mitumfasst. Bei keiner arzneimittelrechtlichen Zulassung nach § 21 Abs. 1 AMG besehe mangels Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit auch keine Verordnungsfähigkeit, es sei denn, es lägen die Voraussetzungen für einen „Off-Label-Use“ bzw. für eine verfassungskonforme Auslegung leistungseinschränkender Vorschriften des SGB V vor. Gerade in jüngster Zeit hätten sich mehrere Entscheidungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung mit der Verordnungsfähigkeit von Immunglobulinen befasst (Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 31.07.2007, Az.: L 5 KR 352/05, Entscheidung des BSG vom 20.11.2007, Az.: B 1 KR 118/07 B, Entscheidung des BVerfG vom 07.04.2008, Az.: BvR 550/08, BSG, Urteil vom 28.02.2008, Az.: B 1 KR 15/07 R, Urteil vom 05.05.2010, Az.: B 6 KA 6/09 R; BVerfG, Entscheidung vom 30.06.2008, Az.: 1 BvR 1665/07). Den o.g. Entscheidungen sei gemeinsam, dass sie - wie auch die Vorinstanzen - davon ausgehen, dass die Immunglobuline nicht zur Behandlung von HIV-erkrankten erwachsenen Patienten zugelassen seien. In den Entscheidungen sei darüber zu befinden gewesen, ob ausnahmsweise die Voraussetzungen des Off-Label-Use gegeben seien oder ob ausnahmsweise im Wege der verfassungskonformen Auslegung leistungsbeschränkender Vorschriften des SGB V gleichwohl eine Verordnungsfähigkeit zu bejahen sei. Nach gefestigter Rechtsprechung zum sog. Off-Label-Use (vgl. BSG, Urteil vom 27.03.2007, Az.: B 1 KR 30/06 R) bestehe eine Verordnungsfähigkeit zulasten der GKV, wenn es um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen, die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung gehe, wenn keine andere Therapie verfügbar sei und wenn aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht bestehe, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden könne. Ebenfalls entstehe eine Verordnungsfähigkeit bei Anwendung der verfassungskonformen Auslegung leistungsbeschränkender Vorschriften des SGB V, die seit der sog. Nikolaus-Entscheidung des BVerfG (Entscheidung vom 06.12.2005, Az.: 1 BvR 347/98) zusätzlich Anwendung finde. Danach sei vorauszusetzen, dass eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung (= Notstandsindikation) vorliege, eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende medizinische Behandlung bzw. Verordnung nicht zur Verfügung stehe und nicht auszuschließen sei, dass mit der Therapie oder Methode eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bestehe. Ob das Präparat zugelassen sei, ergebe sich aus dem Bescheid des PEI bzw. aus den jeweiligen Fachinformationen. Zum Zeitpunkt der Verordnung (Quartal 1/2001) habe noch nicht die mit Änderungsbescheid vom 07.01.2002 (PEI) modifizierte Zulassungssituation für Octagam gegolten. Der Indikationsbereich laute wie folgt: „Substitutionstherapie bei primären und sekundären Antikörpermangelzuständen sowie zur Vorbeugung und Behandlung von Infektionen, die bei diesen Krankheiten auftreten.“ Zusätzlich werden Immunglobuline auch zur Kontrolle oder Veränderung der individuellen Immunantwort eingesetzt, z. B.

1. Primäre Antikörpermangelzustände:

- Kongeniale Agammaglobulinämie und Hypogammaglobulinämie

- Variables Immundefektsyndrom

- Schweres kombiniertes Immundefektsyndrom

- Wiskott-Aldrich-Syndrom.

2. Ideopathische thrombozytopenische Purpura (ITP), insbesondere in akuten Fällen bei Kindern.

3. IGIV wird bei sekundären Immunmangelkrankheiten und folgenden Bedingungen angewendet: chronische lymphatische Leukämie (CLL).

Der Eingangssatz sei mit Änderungsbescheid vom 01.07.2002 gestrichen worden. Die Aufzählung der Indikationen ohne den Eingangssatz sei somit ab dem Zeitpunkt der Änderung abschließend. Ob vor dem 07.01.2002 -also Fassung mit dem Eingangssatz - die Aufzählung nicht abschließend gewesen sei und die unter den Ziffern 1 und 3 genannten Indikationen lediglich beispielhaft für primäre bzw. sekundäre Antikörpermangelzustände gewesen seien, lasse sich daraus nicht herleiten, genauso wenig wie das Gegenteil. Denn es könnte sich sowohl um eine echte Änderung als auch lediglich um eine klarstellende Änderung der Zulassungssituation handeln. Als Zwischenergebnis sei festzuhalten, dass „Octagam“ expresis verbis nicht für an HIV-erkrankte erwachsene Patienten zugelassen sei. Eventuell sei das Mittel aber für die mit der HIV-Erkrankung einhergehenden Begleitsymptome, insbesondere im Sinne von sekundären Immunmangelzuständen - für den Fall, dass die Aufzählung nicht abschließend sein sollte - verordnungsfähig oder zumindest als zulässiger „Off-Label-Use“ anzusehen sei bzw. aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. dem Sozialstaatsprinzip (BVerfG, Beschluss vom 06.12.2005, Az.: 1 BvR 347/98) die Verordnungsfähigkeit abzuleiten. Soweit eine Prüfung der Verordnungsfähigkeit außerhalb des Zulassungsbereichs zu erfolgen habe, sei fraglich, ob das sekundäre Antikörpermangelsyndrom eine eigenständige und hinreichend spezifische Erkrankung sei, die abgegrenzt von der Haupterkrankung behandelt werden könne und müsse (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.2010, Az.: B 6 KA 6/09 R). Zweifel würden ferner bestehen, ob die positive Wirkung des Immunglobulins hinreichend belegt sei (vgl. BayLSG, Urteil vom 31.07.2007, Az: L 5 KR 352/05). Abgesehen davon sei nicht jede Verbesserung der Lebensqualität von der Ausweitung des Leistungsanspruchs erfasst (vgl. BSG, Urteil vom 13.10.2010, Az.: B 6 KA 48/09 R). Der Indikationsbereich bei Flebogamma laute wie folgt: Substitutionstherapie bei:

1. Primären Immunmangelkrankheiten wie

- kongenitale Agammaglobulinämie und Hypogammaglobulinämie

- allgemeine variable Immunmangelkrankheiten

- schwere kombinierte Immunmangelkrankheiten

- Wiskott-Aldrich-Syndrom.

2. Myelom oder chronischlymphatische Leukämie mit schwerer sekundärer Hypogammaglobulinämie und rezidivierenden Infektionen.

3. Immunmodulation

4. Ideopathische thrombozytopenische Purpura (ITP) bei Kindern oder Erwachsenen mit einem hohen Blutungsrisiko oder vor chirurgischen Eingriffen zur Korrektur der Thrombozytenzahl.

- Guillain-Barré-Syndrom

- Kawasaki-Syndrom

- Allogene Knochenmarktransplantation.

Anders als bei „Octagam“ fehle beim Anwendungsbereich von Flebogamma ein Eingangssatz. Dies bedeute, dass hier die Anwendungsgebiete feststehen und eine darüber hinausgehende Verordnungsfähigkeit zulasten der gesetzlichen Krankenkassen nur auf die von der Rechtsprechung entwickelten Ausnahmetatbestände gestützt werden könnte. Letztlich könne aber dahinstehen, ob eine Diagnose vorliege, für die „Octagam“ bzw. „Flebogamma“ zugelassen oder ein Ausnahmetatbestand gegeben sei, der zur Verordnungsfähigkeit führe. Denn in jedem Fall müsste sich die Notwendigkeit der Verordnung aus den Diagnosen ergeben, die ihrerseits - soweit sich die Klägerseite auf einen schweren Immundefekt berufe - durch labortechnische Untersuchungen abzustützen seien. Dies gelte erst recht bei Verordnungen von Medikamenten, die im Zusammenhang mit einer HIV-Infektion und/oder den damit einhergehenden Begleitsymptomen stehen, deren Verordnungsfähigkeit für die angeführten Diagnosen bekanntermaßen nicht eindeutig feststehe und die einen erheblichen Kostenfaktor darstellen. Dem Behandler obliege eine Darlegungs- und Beweislast, an die um so größere Anforderungen zu stellen seien, um so wahrscheinlicher die Verordnungsfähigkeit eines Medikaments nur ausnahmsweise zu bejahen sei. Wer einen „Off-Label-Use“ geltend mache, dringe deshalb damit nur durch, wenn sich unter Ausschöpfung aller Möglichkeiten zur Sachaufklärung feststellen lasse, dass die dafür insbesondere in der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG formulierten Voraussetzungen vorgelegen hätten (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.2010, Az.:B 6 KA 6/09 R). Unklar sei hier bereits, für welche Diagnose/Diagnosen „Octagam“ bzw. „Flebogamm“ verordnet worden sei (für die HIV-Erkrankung zusätzlich zur HAART?, für welche Diagnosen?), geschweige denn sei nicht bekannt, dass die Diagnosen, soweit sie nach Auffassung der Klägerseite auf einen schweren Immundefekt hindeuten sollen, durch geeignete laborchemische Untersuchungen verifiziert worden seien. Der Klägerin sei auch die Ausnahmekonstellation bewusst gewesen, die sich daraus ergebe, dass nur bei wenigen HIV-Patienten Immunglobuline eingesetzt worden seien. Es wäre ihre Aufgabe gewesen, genau herauszuarbeiten, zu dokumentieren und geeignete Angaben zu machen, warum gerade in den streitgegenständlichen Fällen mit den Diagnosen die Verordnung von Immunglobulinen medizinisch indiziert gewesen sei. Damit lasse sich der Sachverhalt nicht im erforderlichen Umfang aufklären, was letztendlich zulasten der Klägerin gehen müsse.

Hiergegen richten sich die Berufungen der Klägerin zum Bayerischen Landessozialgericht vom 10.02.2012 (Az.: L 12 KA 29/12 bis L 12 KA 36/12). In den Verfahren handle es sich um Parallelverfahren zu dem bereits beim Bayerischen Landessozialgericht anhängigen Berufungsverfahren L 12 KA 109/08, in dem ein dem Wortlaut nach identischer Widerspruchsbescheid ebenfalls am 20.11.2003 ergangen sei und in dem die Klägerin erstinstanzlich zur Gänze obsiegt hätte. Habe das Sozialgericht hier die Auffassung vertreten, dass dieser Widerspruchsbescheid hinsichtlich seiner Begründung nicht den Anforderungen des § 35 Abs. 1 SGB X genüge, sehe sich der Vorsitzende der 38. Kammer nunmehr veranlasst, im Rahmen einer konsequenten Fortentwicklung der Rechtsprechung anders lautend zu entscheiden. Unabhängig von der Tatsache, dass die Entscheidung des BSG im Verfahren B 6 KA 6/09 R auf die hier streitgegenständlichen Verfahren nicht im Ansatz zur Anwendung gelange, weil es um eine nicht vergleichbare Erkrankung gehe, sei nicht zu erkennen, dass die aktuelle Rechtsprechung des BSG einem Widerspruchsbescheid aus dem Jahre 2003, dem es ersichtlich an einer Begründung fehle, gerade zu einer solchen verhelfe.

Der Beklagte hat sich hierzu mit Schriftsatz vom 23.04.2012 geäußert. Nach der Rechtsprechung (vgl. BayLSG vom 31.07.2007, Az.: L 5 KR 352/05; BSG, Urteil vom 20.11.2007, Az.: B 1 KR 118/07 und BVerfG, Urteil vom 07.04.2008, Az.: 1 BvR 550/08) stehe eindeutig fest, dass die Immunglobuline nicht für die HIV/AIDS-Therapie anwendbar seien, und zwar auch nicht als Off-Label-Use. Der Beklagte stelle abschließend fest, dass die Klägerin mehrfach angegeben hätte, dass sie auch kein HIV/AIDS mit den Immunglobulinen behandelt hätte, sondern allein und ausschließlich den sekundären Antikörpermangelzustand. Die Frage, ob HIV/AIDS mit Immunglobulinen behandelt werden könne bzw. dürfe, sei somit nicht Gegenstand dieses Verfahrens. Nach der neueren Rechtsprechung des Sozialgerichts München (Az.: S 38 KA 1663/03, Berufung anhängig unter L 12 KA 112/08) sei die Frage entscheidend, ob die behandelten Patienten unter irgendeinem sekundären Antikörpermangelzustand leiden und dieser mit den Immunglobulinen therapiert worden sei. In diesem Falle wäre dann nach richterlicher Ansicht kein Regress von Octagam, wohl aber von Flebogamma möglich, weil die Immunglobuline nicht zur Behandlung von HIV/AIDS eingesetzt worden seien, sondern zur Therapie des sekundären Antikörpermangelzustandes. Entscheidend sei also die Klärung der Frage, ob die betreffenden Patienten an einem sekundären Antikörpermangelzustand gelitten hätten. Hierbei stelle sich die Frage, welche Parameter einen sekundären Antikörpermangelzustand definieren. Sekundäre Immundefekte seien Immunmangel-Erkrankungen, bei denen nicht eine primäre genetische Störung evident sei, sondern andere Krankheiten, Umwelteinflüsse oder Medikamente eine wichtige Rolle spielen. Es würden sich klinische Anfälligkeiten bei Antikörpermangel ergeben, wobei Atemwegsinfekte die hierbei häufigsten Infektionen darstellen. Die Antikörpermangelerkrankungen würden nach Harry W. Schröder jun. definiert als eine Gruppe von Störungen, die durch eine beeinträchtigte Fähigkeit zur Produktion von spezifischen Antikörpern in Reaktion auf Antigene gekennzeichnet seien. Die Beeinträchtigung könne angeboren (primär) oder erworben (sekundär) sein. Der typische Patient weise eine Geschichte wiederkehrender Infektionen der oberen Atemwege bzw. der Lunge auf und zeige verringerte Serumkonzentrationen von einer bzw. mehreren Immunglobulinen (IgM, IgG, IgA bzw. IgD). Patienten mit normalen Serum-Immunglobulinspiegeln könnten jedoch Schwächen in ihrer Fähigkeit zum Aufbau von Abwehrkräften gegen bestimmte Antigene aufweisen und manche praktisch agammaglobulinämische Patienten könnten bemerkenswert symptomlos bleiben. Nach Ansicht der Klägerin würden die wiederkehrenden Infektionen der oberen Atemwege bzw. der Lunge auf ein sekundäres Mangelsyndrom hinweisen bzw. dieses beweisen. Für den Beklagten sei jedoch die Tatsache, dass die Patienten immer wieder Infektionen der oberen Atemwege bzw. der Lunge hätten, kein ausreichender Nachweis für das Bestehen eines sekundären Antikörpermangelzustandes. Natürlich führe ein sekundäres Antikörpermangelsyndrom dazu, dass solche Infekte gehäuft auftreten. Aber HIV/AIDS führe ebenfalls in seinem typischen Verlauf zum Auftreten immer wiederkehrender Infekte. Und genau diese Frage hätte die Klägerin durch weitere Untersuchungen klären und belegen müssen. Es reiche auf keinen Fall aus, bei einem doch sehr typischen Krankheitsverlauf (viele Infekte bei HIV/AIDS) einfach eine ungesicherte Diagnose aufzustellen und sekundäres Antikörpermangelsyndrom zu diagnostizieren. Schließlich seien all diese Begleiterkrankungen der Patienten HIV-/AIDS-definierende Erkrankungen, was bedeute, dass die vielen vorhandenen Infekte nach Ansicht des Beklagten eher auf HIV/AIDS als auf ein sekundäres Antikörpermangelsyndrom hindeuten. Wieso neben der die vielen Infekte auslösenden HIV-/AIDS-Erkrankung noch ein sekundäres Antikörpermangelsyndrom vorliegen solle, vermöge die Beklagte nicht zu erkennen. Wieso die Klägerin überhaupt auf diese Diagnose gekommen sei, sei ebenfalls unklar. Laborchemische Untersuchungen seien keine gemacht worden. Nach Ansicht des Beklagten könne ein sekundäres Antikörpermangelsyndrom aber nur und ausschließlich durch eine klinische Diagnose in Kombination mit einem laborchemischen Nachweis erfolgen. Für die Feststellung eines sekundären Antikörpermangelsyndroms müssten nach Ansicht des Beklagten Immunglobulinparameter gemessen werden. Die Klägerin würde aber nur die Lymphozytenwerte messen und in manchen Quartalen nicht einmal diese. Zu der Messung des Immunglobulinspiegels müsste noch ein laborchemischer Nachweis erfolgen. Dies sei im Quartal 1/2001 nicht gegeben. Nach Durchsicht der Unterlagen sei festzustellen, dass die Diagnose „Antikörpermangelsyndrom“ überhaupt nicht auftauche. Wie schon mehrfach festgestellt, fehle es in den streitgegenständlichen Verfahren an der Dokumentation. Stattdessen würden sich immer wieder die Worte: „HIV-Infektion, Pneumonie, Soor und andere Erkrankungen - bei der Patientin A.G. bzw. Diagnose: „HIV-Infektion, Colitis, perianales Ekzem“ und andere Erkrankungen - beim Patienten F.K. bzw. Diagnose: „HIV-Infektion, rezidivierende Gastroenteritiden, rezidivierender Herpes, Pyodermien“ und andere Erkrankungen - bei der Patientin J.L. bzw. Diagnose: „HIV-Infektion, Colitis, Soor, Bronchitis, Pneumonie“ und andere Erkrankungen - bei dem Patient W.M. bzw. Diagnose: „HIV-Infektion, Herpes zoster, Pneumonie“ und andere Erkrankungen bei dem Patienten H.N. Diagnose: „HIV-Infektion, Herpes simplex, Soor, Balanitis“ und andere Erkrankungen - beim Patienten E.P. bzw. keinerlei Diagnosen beim Patienten L.S. sowie Diagnose „HIV-Infektion, Herpes simplex, Soor, Candiomyopathie?, Salmonellenenteritis und andere Erkrankungen beim Patienten F.W. gemäß den klägerischen Schriftsätzen vom 07.04.2003 bzw. 29.07.1999 finden. Auch die DAGNÄ-Voraussetzungen seien nicht erfüllt. Aus den Unterlagen gehe auch kein einziger Auslassversuch hervor und sei auch von der Klägerin nicht dargestellt worden. Über die Immunthrombozytopenien sei für die streitgegenständlichen Patienten keine Aussage getroffen worden und ob die sicher vorhandenen, für eine AIDS-Erkrankung typischen rezidivierenden bakteriellen oder rezidivierenden viralen Infekte mit allen anderen Strategien erschöpfend behandelt worden seien, sei für den Beklagten nicht feststellbar. Die Patienten hätten sich auch nicht in einer Krankheitsphase befunden, in der sie mit anderen Therapien nicht mehr ausreichend hätten behandelt werden können. Die Patienten hätten die antiretrovirale Medikation durchaus noch vertragen, wie die verordneten Medikamente zeigen würden. Auch ein vermehrter Bedarf an Antibiotika sei nicht feststellbar, der einen Hinweis auf einen Antikörpermangel und die damit verbundenen vermehrt auftretenden bakteriellen Infekte sein könnte. Der Beklagte habe auch bisher keine ausreichende Studienlage gefunden noch habe sich die Klägerseite auf eine solche berufen oder eine solche dargelegt, dass sekundäre Antikörpermangelzustände aussichtsreich mit Immunglobulinen zu behandeln wären. Der Beklagte stelle klar, dass die vorhandenen klinischen Studien zur Behandlung der HIV-Infektion mit intravenösen Immunglobulinen ausnahmslos aus der Zeit vor Einführung der aktiven Kombinationstherapien gegen HIV (vor 1995 bzw. vor 1990) stammen würden. Den hier zu prüfenden Fall, dass die Patienten mit antiretroviraler Kombinationstherapie zusätzlich mit Immunglobulinen behandelt werden, habe keine einzige der Studien zum Gegenstand. Zudem habe die Bewertung der Expertengruppe Off-Label: Infektiologie mit Schwerpunkt HIV/AIDS zu „intravenösen Immunglobulinen (IVIG) bei HIV/AIDS im Erwachsenenalter bereits Studien aus dem Jahre 1994 vorgestellt, dass die IVIG keinerlei Effekte habe.

Mit Schriftsatz vom 04.03.2013 hat hierzu noch mal die Prozessbevollmächtigte der Klägerin Stellung genommen. Der Beklagte bemühe erneut die falsche Prämisse, es bedürfe labortechnischer Auswertungen, anhand derer man ein Antikörpermangelsyndrom nachweisen könnte. Das Antikörpermangelkörpersyndrom sei von der Begrifflichkeit in der medizinischen Wissenschaft nicht bekannt. Es gebe vielmehr sehr viele verschiedene Antikörpermangelsyndrome. Soweit es sich um ein quantitatives Antikörpermangelsyndrom handle, sei dies labortechnisch nachweisbar. Beim hier streitgegenständlichen qualitativen Antikörpermangelsyndrom sei der labortechnische Nachweis nicht möglich und überdies auch nicht erforderlich. Den zahlreichen Studien, dem Stand der medizinischen Wissenschaft, der Stellungnahme von Prof. Dr. R. und auch des Paul-Ehrlich-Instituts sei in aller Deutlichkeit zu entnehmen, dass (nur) bei HIV-Patienten (insbesondere und ausnahmsweise und auf den individuellen Einzelfall bezogen) ein qualitatives Antikörpermangelsyndrom dann mit der Erkrankung (in fortgeschrittener Krankheitsphase) einhergehe, wenn in der Klinik dieser Patienten vermehrt auftretende Infekte, die durch eine Insuffizienz des sog. B-Zell-Systems begünstigt würden, beobachtet und dokumentiert werden könnte. Hierzu zählen vor allem bronchopulmonale Infekte, Sinusitiden, Infektionen des Urogenitaltraktes und Abszesse, wie sie durch die Klägerin dokumentiert worden seien. Der Nachweis sei der klinische Verlauf bei diesen Patienten. Im Gegensatz zu Patienten mit anderen Grunderkrankungen sei eine Laboruntersuchung wenig hilfreich, da ja trotz der scheinbar vermehrten Immunglobulinproduktion erhebliche funktionelle Störungen auftreten. Der Beweis, dass diese Störungen nicht auf die HIV-Infektion, sondern auf dem Antikörpermangelzustand beruhen, sei durch die folgende Unterscheidung leicht zu erbringen. Bei den vorliegenden Infektionen handle es sich nicht um HIV-bedingte sog. opportunistische Infektionen. Es gehe vielmehr um solche vermehrt auftretende Infekte, die durch eine Insuffizienz des sog. B-Zell-Systems begünstigt würden. Die Unterscheidung sei damit durch die Art der Infektion vorzunehmen. Dies sei dokumentiert worden. Darüber hinaus sei dokumentiert worden, dass sämtliche Patienten seit der Gabe von Immunglobulinen keine diesbezüglichen Infektionen mehr aufgewiesen hätten.

III.

Die Beigeladene zu 2) in den früheren Verfahren L 12 KA 17/12, L 12 KA 29/12 und L 12 KA 45/12 hat mit Schriftsatz vom 21.09.2001 Antrag auf Prüfung der ärztlichen Verordnungsweise der Kläger im Quartal 4/00 gestellt.

Der Prüfungsausschuss der KVB - Bezirksstelle A-Stadt Stadt und Land - hat mit Prüfbescheid vom 08.07.2002 einen Arzneiregress in Höhe von 32.054,70 EUR festgesetzt. Der Prüfungsausschuss habe eine Einzelfallprüfung durchgeführt und bestätige zum Teil die von der Beigeladenen zu 2) getroffenen Feststellungen hinsichtlich der unwirtschaftlichen Verordnungsweise. Die Vertragsärzte hätten in elf Fällen neben der Immunglobulingabe (mittels Octagam) auch eine antiretrovirale Therapie durchgeführt. Die Kombination von Immunglobulinen mit antiretroviralen Substanzen entspreche nicht den Empfehlungen der DAGNÄ zur HIV-Therapie. Die Ärzte hätten deshalb unwirtschaftliche Verordnungen getätigt.

Hiergegen richtet sich der Widerspruch der Klägerin vom 11.08.2002, der mit Schriftsatz vom 07.02.2003 näher begründet wurde. Die Empfehlungen des Privatvereins DAGNÄ e.V. seien nicht geeignet, das für die Vertragsärzte bestehende Wirtschaftlichkeitsgebot zu konkretisieren (Hinweis auf den Schriftsatz einer anderen Kanzlei vom 08.05.1999 zu Vorquartalen). Darüber hinaus sei darauf hinzuweisen, dass sich die Empfehlungen der DAGNÄ e.V. gerade auf die Kombination antiretroviraler Medikamente mit Immunglobulinen beziehen. In den vorliegenden Fällen sei die streitgegenständliche Therapie von den Arzneimittelrichtlinien umfasst (Ziffer 20 AMR). Danach dürften Impfstoffe und/oder Immunglobulinpräparate insbesondere bei immunsupprimierten Patienten und bei Patienten mit Immundefekt verordnet werden, wenn nach wissenschaftlicher Erkenntnis hierdurch ein Krankheitsausbruch mit großer Wahrscheinlichkeit verhindert werden könne. Die medizinische Notwendigkeit dieser Behandlung ergebe sich in den vorliegenden Fällen daraus, dass die betroffenen Patienten neben einer fortgeschrittenen HIV-Infektion an anderen Erkrankungen leiden und zur Prophylaxe dieser bakteriellen und viralen Erkrankungen eine Immunglobulintherapie erforderlich sei. Das HI-Virus zerstöre das menschliche Immunsystem. Bei entsprechender Ausbreitung des Virus versterbe der Patient an den sog. opportunistischen Erkrankungen, die als Folge seiner Immunschwäche nicht mehr bekämpft werden könnten. Seit Anfang 1997 werde die hochaktive antiretrovirale Kombinationstherapie eingesetzt. Unbestritten habe diese Therapie zu einer deutlichen Reduktion der HIV-assoziierten Morbididät und Mortalität geführt. Gleichwohl könne AIDS unverändert nicht als heilbare Krankheit eingestuft werden. Mit der antiretroviralen Kombinationstherapie könne keine ausreichende Medikation für die HIV-Erkrankung erfolgen, aber ein Hinauszögern im Stadium AIDS in vielen Fällen erreicht werden. Nach Eindringen des Virus in den menschlichen Blutkreislauf würden sich die Viren an die Oberfläche der CD4-Lymphozyten (zentrale Schaltzellen des Immunsystems) anheften, in die Zelle eindringen und ihre genetische Information an das genetische Material im Zellkörper infizieren. Würden die so befallenen CD4-Lymphozyten durch andere Erreger (Bakterien, Viren, Pilze) aktiviert, würden sie mit der Produktion von HI-Viren beginnen und dadurch zerstört werden. Da sich das menschliche Immunsystem täglich mit einer Fülle von in den Körper eindringenden Keimen auseinandersetzen müsse, würden täglich CD4-Lymphozyten aktiviert und würden dadurch täglich neue HI-Viren bilden. Täglich würden Milliarden neuer Viren gebildet und Milliarden CD4-Lymphozyten zerstört. Dies führe schließlich zu einer Erschöpfung der Zellenneuproduktion im Knochenmark, die CD4-Lymphozytenzahl nehme ab. HIV-assoziierte Erkrankungen, opportunistische Infektionen oder bösartige Tumore würden über kurz oder lang zum Tod des Patienten führen. Mittels HAART könne zurzeit ein Fortschreiten der Erkrankung für fünf bis acht Jahre verhindert werden. Durch die Gabe antiretroviraler Kombinationspräparate könne das Eintreten des Endstadiums AIDS hinausgezögert werden. Wenn man sich den Verlauf einer HIV-Infektion als einen Zug vorstelle, der auf einen Abgrund (Tod durch AIDS) zufahre, so gebe die CD4-Zellzahl den Abstand zum Abgrund an. Die Höhe der Virusbeladung gebe die Geschwindigkeit an, mit der sich der Zug auf den Abgrund zu bewege. Hinzu komme, dass es sich bei der HAART um eine Therapie handle, die sich erst seit gut fünf Jahren im Einsatz befinde. Vor dem Hintergrund der Kürze der Erfahrungszeit mit dieser Therapie lasse sich die Frage, ob sich letztendlich unter einer fortlaufenden HAART über viele Jahre eine HIV-Infektion stabilisieren lasse, derzeit nur spekulativ beantworten. Resistenzen, die immerhin 50% der Patienten, die derzeit HAART nehmen würden, bereits betreffen, Complianceschwierigkeiten und vor allen Dingen Langzeitnebenwirkungen würden die entsprechend andauernde Erfolgsrate antiretroviraler Therapieformen limitieren. Vor diesem Hintergrund seien die Vertragsärzte über die Verordnung von Immunglobulinen bei HIV-Erwachsenen per Rundschreiben vom 04.07.1994 über die KVB beraten worden. Die Beratung sei zu keinem Zeitpunkt widerrufen oder korrigiert worden. Über viele Jahre hinweg seien die Kosten der streitbefangenen Therapie anstandslos übernommen worden. Der so geschaffene Vertrauenstatbestand stehe einem Regressanspruch entgegen. Selbst wenn in den vorliegenden Fällen man einen Off-Label-Use des gebrauchten Präparats Octagam annehme, wäre eine zulassungsüberschreitende Verordnung nicht ausgeschlossen. Nach dem Urteil des BSG (Urteil vom 19.03.2002, B 1 KR 37/00 R) sei die Verordnung eines Medikaments in einem von der Zulassung nicht umfassten Anwendungsgebiet möglich, wenn es um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung gehe, wenn keine andere Therapie verfügbar sei und wenn aufgrund der Datenlage die begrenzte Aussicht bestehe, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden könne. Damit Letzteres angenommen werden könne, müssten Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden könne. Davon könne ausgegangen werden, wenn entweder die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt sei oder die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht seien und eine klinischrelevante Wirksamkeit bzw. einen klinischrelevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht seien, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und aufgrund derer in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorangegangenen Sinne bestehe. Die entsprechenden von der DAGNÄ e.V. aufgestellten Kriterien seien ebenfalls bekannt. Auch das dritte von der Rechtsprechung herangezogene Kriterium, nämlich ein nach den Grundsätzen der medizinischen Wissenschaft zu erwartender Behandlungserfolg sei hier anzunehmen. Hierzu hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 27.02.2003 ausgeführt, dass die Widerspruchsbegründung nur allgemein auf die beiden Therapieformen IVIG und HAART eingehe. Der Beklagte sei der Ansicht, dass die Problematik anhand konkreter Einzelfälle auf der Grundlage medizinischer Fakten diskutiert werden sollte. Es biete sich an, anhand einzelner Patienten und deren Krankheitsverläufen die Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit von IVIG und HAART gegenüberzustellen.

Von einem durch die Beigeladene zu 1) geschaffenen Vertrauenstatbestand hinsichtlich der Immunglobulintherapie könne keine Rede sein. Am 16.09.1993 sei eine Beratung von Dr. A. erfolgt. Dieser sei auch in die regelmäßig stattfindenden Qualitätszirkel „AIDS“ in der Bezirksstelle A-Stadt Stadt und Land der KVB eingebunden gewesen, wo das Thema IVIG bis ins Detail erläutert und auch die Hinwendung zur „Dreiertherapie“ frühzeitig offenkundig geworden sei. Schon damals sei Dr. A. seiner bis dato experimentellen Therapie treu geblieben, obwohl die drohende Wirtschaftlichkeitsprüfung auch von den anwesenden Kassenvertretern in den Raum gestellt worden sei. Auch Dr. H. habe Dr. A. die Konsequenzen einer derartigen Therapie unter dem Licht der neuen Erkenntnisse vor Augen geführt.

Der Beklagte hat mit Widerspruchsbescheid vom 20.01.2003 den Widerspruch zurückgewiesen. Der Beklagte habe im vorliegenden Fall die Einzelfallprüfung als sachgerechte Prüfmethode gewählt. Die widerspruchsführende Partei verweise im Wesentlichen auf die bereits ergangenen Schriftsätze, insbesondere das Gutachten von PD Dr. R. vom 03.01.2001. Darüber hinaus sei vom Beklagten das zu den Vorverfahren erstellte Gutachten von Prof. Dr. D. vom 06.07.2000 herangezogen worden. Der Beklagte sehe sich in der Lage, auf der Grundlage dieser Gutachten zu entscheiden. Die Kläger würden eine - in einigen Fällen unzureichende - antiretrovirale Therapie, häufig in fixer Kombination mit IVIG verwenden. Bereits die DAGNÄ-Empfehlungen von Oktober 1996 würden den Einsatz von intravenösen Immunglobulinen auf wenige ganz bestimmte Krankheitsbilder und Komplikationen beschränken. Es handle sich um Empfehlungen ohne allgemein verbindlichen Charakter. Die DAGNÄ-Empfehlungen würden aber den damaligen Diskussionsstand der HIV-Behandlung mit Immunglobulinen widerspiegeln. Nicht der hohe Preis der IVIG-Therapie, sondern der fehlende Wirksamkeitsnachweis für die Indikation HIV beim Erwachsenen ohne Thrombozytopenie und Antikörpermangel würden diese Therapie unwirtschaftlich machen. Eine unkritische, über Monate bzw. Quartale gehende regelmäßige Substitution ohne jeglichen Anhaltspunkt für die therapeutische Wirksamkeit sei nicht geeignet, die Kriterien der Zulassung auch nur im Geringsten zu erfüllen. Gemäß dem Schreiben des PEI vom 30.10.2002 fehle der Wirksamkeitsnachweis für die Indikation HIV beim Erwachsenen, was den Schluss der unwirtschaftlichen Therapie nahelege. Es fehle auch ein Antrag auf Ausdehnung der Zulassung auf erwachsene AIDS-Patienten. Immunglobuline würden zur Substitution von Antikörpermangel ausschließlich bei bestimmten primären Immundefekterkrankungen sowie bei sekundären Mangelzuständen unter multiplem Myelom oder der chronischlymphatischen Leukämie angewendet. Diese Indikationen würden nicht eine pauschale Ausdehnung auf jegliche Zustände oder Erkrankungen erlauben, die mit Antikörpermangel einhergehen (Beispiel AIDS-Erkrankung beim Erwachsenen). Der Beklagte gehe wie das PEI davon aus, dass die Substitution von IVIG in Einzelfällen eine zugelassene Indikation sei, eine unkritische, über Monate und Quartale gehende regelmäßige Substitution ohne jeglichen Anhaltspunkt für die therapeutische Wirksamkeit wie in den vorliegenden Fällen sei nicht geeignet, die Kriterien der Zulassung zu erfüllen. Aus einer Grundsatzstellungnahme des MDK/MDS von Herrn Wolfgang Wilms, Referat Pharmakologie vom 01.10.1999 sei zu entnehmen, dass die Anwendung von Immunglobulinen für bestimmte HIV-/AIDS assoziierte Krankheitsbilder bei Erwachsenen keine zugelassene Indikation sei. Die zugelassenen Gaben von IVIG bei „kongenitaler HIV-Infektion bei Kindern“, dem (objektivierten) „Antikörpermangel“ oder anderen, zugelassenen Anwendungsgebieten, wie zum Beispiel ITP, „Guillain-Barré-Syndrom“ würden bei der Betrachtung ausgeklammert. Da in den vorliegenden Fällen ein Zulassungsverfahren (noch) nicht durchgeführt worden sei, sei es sachgerecht, die Verordnungsfähigkeit eines Medikamentes zulasten der Krankenkassen zu verneinen, weil ein ausreichender Wirksamkeitsnachweis in einem dafür vorgesehenen und geeigneten Verfahren nicht erbracht worden sei. Aus einer Stellungnahme des RKI (Robert-Koch-Institut) sei zu entnehmen, dass eine offizielle Empfehlung zur Immunglobulin-Therapie der HIV-Infektion bei Erwachsenen nicht existiere und sich diese „überlebt“ habe. Der Beklagte erkenne an, dass die DAGNÄ-Empfehlungen zwar in gewisser Hinsicht den Stand der medizinischen Erkenntnisse widerspiegeln würden, allerdings in einem recht komplexen Geschehen und nur ein Aufgreifkriterium für die Wirtschaftlichkeitsprüfung darstellen. Die internationale Studienliteratur belege Therapieversuche bei HIV/AIDS mit polyvalenten Immunglobulinen bei Erwachsenen. Dieser Weg sei jedoch mangels Erfolg weitgehend verlassen worden. Prof. Dr. D. führe in seinem Gutachten vom 06.07.2000 aus, dass die Gabe von Immunglobulinen nur als Prophylaxe verstanden werden könne, wofür es keine Indikation gebe. Die pauschalen Begründungen seien in den einzelnen Fällen nicht ausreichend, um eine Indikation zu rechtfertigen. Weiter verweise Prof. Dr. D. auf die Empfehlungen der DAGNÄ für die HIV-Behandlung und die dort aufgeführten Krankheitsbilder, bei denen die Gabe von Immunglobulinen (ausnahmsweise) indiziert sei. Bei den angeführten Patienten bzw. Begründungen seien diese Krankheitsbilder durchgängig nicht enthalten. Auch sei bei der Anwendung von Immunglobulinen darauf zu achten, dass alle anderen Strategien ausgeschöpft seien. Eine über viele Jahre dauernde regelmäßige Verabreichung von Immunglobulinen sei nirgends festgehalten. Standard der HIV-Behandlung sei die Kombination mehrerer wirksamer antiretroviraler Medikamente einschließlich Proteasehemmer. Die Gabe von Immunglobulinen bei HIV-Infektion sei mit Ausnahme der ITP-ähnlichen Thrombozytopenie wegen mangelnder Effektivität völlig verlassen worden. Der Gegengutachter PD Dr. R. komme in seinem Gutachten pauschal zu dem Ergebnis, dass die PA-Begründung - die DAGNÄ-Kriterien für die IVIG-Gabe seien nicht erfüllt - nicht greife. Die Gegendarstellung von PD Dr. R. vom 03.01.2001, erstellt für das Quartal 3/97, bringe lediglich eine Auflistung der Indikationen, ohne aber auf die Zulassungssituation einzugehen. Der Beschwerdeausschuss hat die vom Prüfungsausschuss beanstandeten Patienten nach Kassenzugehörigkeit erfasst, danach die Verordnungszeiträume und die Diagnosen benannt, letztendlich die gutachterlichen Stellungnahmen gegenübergestellt und aus dieser Gesamtübersicht eine Entscheidung getroffen. Der Beklagte hat sodann zu den einzelnen Patienten die im Quartal 4/00 verordneten Medikamente aufgeführt, aus den Schreiben der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 07.02.2003 und 29.07.1999 zum Behandlungsverlauf und zur Notwendigkeit der durchgeführten Behandlung zitiert. Des Weiteren wurde aus dem Gutachten von Prof. Dr. D. und PD Dr. R. - soweit zu den einzelnen Patienten aus Vorquartalen vorhanden - zitiert. Sodann erfolgte die Bewertung des Beschwerdeausschusses.

Hiergegen richten sich die Klagen vom 15.12.2003 (S 38 KA 992/08 bis S 38 KA 1001/08) zum Sozialgericht München, die mit Schriftsätzen vom 06.10.2008 näher begründet wurden.

Der Patient E.C. befinde sich im weit fortgeschrittenen Stadium der HIV-Infektion. Er leide seit 1990 an rezidivierenden oberen Atemwegsinfekten. 12/1995 Herpes Zoster. Seit 12/1995 erhalte er eine antiretrovirale Therapie. Seit 12/1999 IVIG. Es handle sich um einen Patienten der Kategorie 1 der DAGNÄ-Empfehlungen. Es bestehe eine generelle Proteaseinhibitorenunverträglichkeit, daher habe nur eine insuffiziente HAART zur Anwendung gelangen können und es sei die IVIG-Therapie fortgesetzt worden. Der Widerspruchsbescheid sei rechtswidrig beschwerend, weil es an einer Begründung fehle. Der Beklagte stelle die Behauptung auf, dass die IVIG-Gabe ohne weitere Gabe von Antibiotika nicht gerechtfertigt sei. Unabhängig davon, dass der Patient auch Antibiotika erhalten habe, sei eine solche vom Beklagten normierte Voraussetzung weder dem wissenschaftlichen Stand der Medizin noch den DAGNÄ-Empfehlungen zu entnehmen. Ein erworbener Immundefekt könne auch nicht mit einem Antibiotikum behandelt werden. Es könne lediglich ein dahingehender Versuch gestartet werden, die weiteren Infektionen mittels Gabe eines Antibiotikums zu beherrschen. Gerade weil der Patient an einem erworbenen Immundefekt leide, gelinge dies eben nicht immer. Das gehäufte Auftreten zusätzlicher Infektionen kennzeichne die HIV-Erkrankung als erworbenes Immundefekt-Syndrom. Aus unerfindlichen Gründen betrachte der Beklagte die auftretenden Infektionen offensichtlich als eigenständiges Krankheitsbild. Diese Einordnung sei aber falsch. Denn diese Infektionen, mögen sie auch für sich gesehen harmlos erscheinen, stehen im Zusammenhang mit der HIV-Infektion, seien krankheitsdefinierend. Die Tatsache, dass sie sich überhaupt ereignen, gebe dem Behandler Auskunft über den schlechten Zustand des Immunsystems. Würden die antiretroviralen Medikamente eine Vermehrung von HI-Viren immer zur Gänze verhindern, könnten diese zusätzlichen Infektionen gar nicht auftreten. Es würde sich nämlich dann in der Tat um normale zusätzliche Infektionen handeln, die man, wie bei jedem anderen Patienten ohne HIV auch, mit einem Antibiotikum behandeln könne. Mit rezidivierenden Infekten sei überdies nicht ein schlichter kleiner Atemwegsinfekt gemeint. Weil solche Infekte das bereits teilweise zerstörte Immunsystem (durch HIV) weiter beschädigen, die Vermehrung der HI-Viren beschleunigen können und letztendlich damit auch das Funktionieren der HAART negativ beeinträchtigen können, würden Immunglobuline eingesetzt. Bei dem Patienten bestehe weiterhin eine generelle Proteaseinhibitorenunverträglichkeit, so dass er folglich nicht von einer funktionieren HAART profitieren könne. Der regressierte Patient habe die letzte Immunglobulin-Infusion am 13.09.2000 erhalten. In der Folgezeit seien gehäuft virale Infektionen im Augenbereich, Gastrointestinum, obere Atemwegsinfekte und Harnwege bei insgesamt schwieriger Gestaltung der antiretroviralen Therapie aufgetreten. Die Patientin A.G. befinde sich im schlechtesten Stadium der HIV-Erkrank- ung CDC C 3 mit dem Vollbild AIDS. Sie habe seit 1987 (1987 bis 1993) viermal an Herpes Zoster gelitten, seit 1993 an chronischer Diarrhöe und Thrombopenie. 3/1993 Soor, orale Haarleukoplakie. 1/1994 atopisches Ekzem, Ekzema herpeticum (Hände, Mund, Füße). 5/1994 Soor. Seit 1/1995 erhalte sie eine antiretrovirale Therapie. 1995 habe sie eine Pneumonie erlitten. 12/1996 Soor-Ösophagitis. 1997 nekrotisierende Colitis. 5/1999 Candida-Colitis und Soor. Seit 17.06.1999 erfolge die zusätzliche Behandlung mit Immunglobulinen. Es handle sich um eine Patientin der Kategorie 1 bzw. 3 der DAGNÄ-Empfehlungen. Seit der Gabe von IVIG habe sich ein deutlicher Rückgang von viralen, mykotischen und bakteriellen infektiösen Episoden ereignet. Es bestehe eine unvollständige Virussuppression. Niedrige CD4-Zellzahl und Unverträglichkeit von zahlreichen antiretroviralen Medikamenten, insbesondere Proteaseinhibitoren machten eine Weiterbehandlung mit IVIG dringend erforderlich. Die regressierte Patientin habe von der Therapie bis zur letzten Infusion im Jahre 2002 profitiert. In der Folgezeit seien wieder gehäuft mykotische, virale und bakterielle Infekte aufgetreten. In der jüngsten Vergangenheit habe die Patientin allerdings von der Wirksamkeit neuer antiretroviraler Medikamente insofern Nutzen ziehen können, als sie jetzt unter einer besser wirksamen HAART mit seltener auftretenden Infektionen belastet werde. Immerhin habe eine Überbrückung der Entwicklungszeit dieser neuen Präparate gelingen können. Der Patient F.K. befinde sich im schlechtesten Stadium der HIV-Erkrankung CDC C 3 mit dem Vollbild AIDS. Er erhalte seit 1988 antiretrovirale Medikamente und befinde sich seit 11/1993 (Kaposi-Sarkom) im Stadium AIDS der Infektion. Seit 3/1994 hätten sich orale Haarleukoplakien, 3/1994 perianales Ekzem, 5/1994 Colitis ereignet. Seit 6/1994 erhalte F.K. IVIG. Bei diesem Patienten der Kategorie 1 der DAGNÄ-Empfehlungen liege ein multiresistentes Virus vor. Trotz schwerem Immundefekt (DC4-Zellen zwischen 50 und 200 Helferzellen schwankend) hätten sich seit der Gabe von Immunglobulinen keine bakteriellen oder mykotischen Infektionen mehr ereignet. Das Kaposi-Sarkom sei eine AIDS-definierende Erkrankung. Dass der Beklagte dies nicht berücksichtige, zeige, dass sich das Gremium nicht mit den Grundlagen der HIV-Infektion beschäftigt habe. In dem bereits tödlichen Stadium der Erkrankung mit multiresistentem Virus, das heiße insuffizienter HAART bestehe ein erheblicher Immundefekt, der sich gerade in den zusätzlichen Infektionen zeige, so dass ein Unterlassen der Therapie unverantwortlich wäre. Die rezidivierenden Infektionen könnten mittels Gabe von Antibiotikum nicht ausreichend behandelt werden. Der regressierte Patient habe von der Therapie bis zur letzten Infusion im Jahre 2001 profitiert. In der Folgezeit seien wieder gehäuft obere Atemwegsinfektionen aufgetreten. Bis heute gestalte sich die antiretrovirale Therapie wegen Multiresistenzen schwierig.

Zur Patientin J.L. hat die Prozessbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 19.09.2008 auf gewisse Ungereimtheiten bezüglich der Zulassung des eingesetzten Immunglobulins „Octagam“ hingewiesen. Die Patientin J.L. sei seit 7/1996 über Jahre erfolgreich mit dieser Therapie ohne Beanstandung durch die Krankenkassen behandelt worden. Der Beklagte verkenne im allgemeinen Teil des Widerspruchsbescheids sowohl, dass entsprechende Studien zum Benefit der Behandlungsweise vorliegen würden, die streitgegenständlichen Verordnungen gerade auch im Rahmen einer beim PEI angemeldeten Anwendungsbeobachtung eingebunden seien, wobei eine angemeldete Anwendungsbeobachtung grundsätzlich gemäß § 67 Abs. 6 AMG nur in zugelassener Indikation erfolgen dürfe. Daneben seien auch die DAGNÄ-Empfehlungen falsch interpretiert worden. Das Bayerische Landessozialgericht (vgl. Az.: L 5 KR 352/05) sehe zu Unrecht keinen ausreichenden Evidenzgrad der vorliegenden Studien. Die im Urteil des BSG vom 19.03.2002 genannte Alternative „oder außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnenen Erkenntnisse veröffentlich sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen oder aufgrund derer in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht“ werde nicht geprüft. Bei den DAGNÄ-Empfehlungen handle es sich um eine Expertenmeinung. Zwischenzeitlich habe der GBA mit Beschluss vom 21.02.2006 der Expertengruppe Off-Label-Use den Auftrag erteilt, die Gabe von intravenösen Immunglobulinen zur Behandlung von HIV/AIDS im Erwachsenenalter (auch als Adjuvanz) zu bewerten. Damit sei die Frage des Off-Label-Use derzeit wie folglich im Jahre 2008 noch nicht hinreichend geklärt. Frau J.L. habe sich zum Zeitpunkt der Verordnungen im fortgeschrittenen Stadium CDC B 2 der HIV-Infektion befunden. Sie sei seit 1990 bei der Klägerin in Behandlung gewesen. Nach einer schweren Gastroenteritis und Sinusbronchitis sei sie ab 7/1996 zusätzlich zu HAART mit Immunglobulinen versorgt worden. Es handle sich um eine Patientin der Kategorie 3 der DAGNÄ-Empfehlungen. Unter der Therapie habe sich ein deutlicher Rückgang der Häufigkeit und Schwere sämtlicher bis dato bestehender infektiöser Ereignisse ergeben. Die Verordnungen seien bei der Patientin J.L. eingestellt worden. Unglücklicherweise sei der Krankheitsverlauf derart eskaliert, dass vermutlich durch die toxische Wirkung der hochaktiven antiretroviralen Kombinationstherapie eine Leberschädigung eingetreten sei, die bereits 2003 das Stadium CHILD B der Leberzirrhose erreicht habe. Die Patientin J.L. sei Mitte des Jahres 2006 verstorben.

Der Patient W.M. befinde sich im schlechtesten Stadium der HIV-Erkrankung CDC C 3 mit dem Vollbild AIDS. Er leide seit 4/1987 an rezidivierenden eitrigen Sinusbronchitiden mit asthmoider Komponente. 8/1987 schwere Colitis. Seit 1987 ausgeprägte, progrediente Thrombozytopenie mit Werten bis 17.000. 12/1989 Bronchopneumonie, 1/1990 Bronchopneumonie, 2/1990 eintrige asthmoide Bronchitis, 6/1991 Splenektomie wegen Thrombozytopenie, 6/1991 Otitis externa rechts, 12/1991 eitrige Bronchitis, 4/1993 ausgeprägter Soor und schwere eitrige Bronchitis. Seit 5/1993 orale Haarleukoplakie. Insgesamt ca. alle drei Monate Pneumonie oder eitrige Bronchitis. Seit 1993 erneut schwere Thrombozytopenie. 8/1993 eitrige Bronchitis. 9/1993 Onychomykose. Er erhalte seit 10/1993 IVIG, seit 12/1994 eine antiretrovirale Therapie. 4/1994 Pneumonie (atypische Mycobakterien), 1994 Pneumocystis carinii, Pneumonie mit Rezidiv. 12/1994 Thrombozytopenie mit einem Wert von 6.000. 4/1995 bakterielle Pneumonie. 2/1997 bakterielle Pneumonie. Seit der Patient bereits 1994 eine Pneumozystis carinii-Pneumonie erlitten habe, sei er als AIDS-Patient einzustufen, denn es handle sich um eine AIDS-definierende Erkrankung. Soweit der Beklagte meine, dies sei nicht mehr „relevant“, zeige dies, dass sich das Gremium nicht mit den Grundlagen der HIV-Infektion beschäftigt habe. Denn in der medizinischen Wissenschaft finde eine Rückstufung, wie der Beklagte sie hier offensichtlich vornehmen wolle, nicht statt. Den rezidivierenden Infektionen sei mittels Gabe von Antibiotikum nicht ausreichend zu begegnen gewesen. Der regressierte Patient habe von der Therapie bis zur letzten Infusion im Jahre 2001 profitiert. In der Folgezeit habe sich eine erhebliche Verschlechterung der Lungenfunktion aufgrund gehäufter oberer Atemwegsinfekte (COPD) ereignet. Herr W.M. sei berentet worden. Er befinde sich jetzt wegen des schweren Lungenleidens in Mitbehandlung einer lungenfachärztlichen Praxis.

Der Patient H.N. befinde sich im schlechtesten Stadium der HIV-Erkrankung CDC C 3 mit dem Vollbild AIDS. Bereits 5/1997 habe er eine Pneumozystis carinii-Pneumonie erlitten. Es handle sich um eine AIDS-definierende Erkrankung. In der medizinischen Wissenschaft finde eine Rückstufung, wie der Beklagte sie hier vornehmen wolle, nicht statt. Herr H.N. sei ein Patient der Kategorie 1 der DAGNÄ-Empfehlungen. Den rezidivierenden Infektionen habe mittels Gabe von Antibiotikum nicht ausreichend begegnet werden können. Der regressierte Patient habe von der Therapie bis zur letzten Infusion im Jahre 2001 profitiert und sei seither nicht mehr Patient der Klägerin. Die Patientin S.N.-M. befinde sich im weit fortgeschrittenen Stadium der HIV-Infektion. Seit 5/1994 hätten sich eitrige Infekte der oberen Atemwege ereignet. Seit 1994 erhalte sie eine antiretrovirale Therapie. Im Jahr 1995 habe sie eine ausgedehnte Pyodermie erlitten. Seit 6/1995 erhalte sie Immunglobuline. In der Zeit von 12/1996 bis 8/1997 habe die Patientin eine Schwangerschaft mit häufigem Erbrechen und insgesamt unzuverlässiger Medikamenteneinnahme durchlebt. Es handle sich um eine Patientin der Kategorie 1 der DAGNÄ-Empfehlungen. Seit dem Einsatz von IVIG habe sich ein Sistieren der schweren bakteriellen Infektionen eingestellt. Die rezidivierenden Infektionen seien mittels Gabe von Antibiotikum nicht ausreichend zu behandeln gewesen. Die regressierte Patientin habe von der Therapie bis zur letzten Infusion am 18.11.2000 profitiert. In der Folgezeit seien wieder gehäufte Infektionen aufgetreten. Ende 2005 habe Frau S.N.-M. eine Pneumozystis carinii-Pneumonie erlitten. Es handle sich um eine AIDS-definierende Erkrankung.

Der Patient E.P. befinde sich im weit fortgeschrittenen Stadium der HIV-Infektion. Der Krankheitsverlauf sei dem Beklagten seit Jahren bekannt. Es sei insbesondere darauf hingewiesen, dass der Patient an einer generellen Protease-Inhibitor-Unverträglichkeit leide. Es handle sich um einen wichtigen Bestandteil der HAART, die vor diesem Hintergrund nur insuffizient durchgeführt werden könne. Herr E.P. sei ein Patient der Kategorie 1 der DAGNÄ-Empfehlungen. Bei zufriedenstellendem virologischem Ergebnis bestehe weiterhin eine niedrige DC4-Zahl. Den rezidivierenden Infektionen sei mit der Gabe von Antibiotikum nicht ausreichend zu begegnen gewesen. Der regressierte Patient habe von der Therapie bis zur letzten Infusion profitiert.

Der Patient L.S. befinde sich im weit fortgeschrittenen Stadium der HIV-Infektion. Er erhalte seit 5/1997 eine antiretrovirale Therapie. Nach schwerer Thrombozytopenie mit Nachweis von Thrombozyten-Antikörpern (Tiefstwerte der Thrombozyten zwischen 12.000 und 28.000) erhalte er seit 8/1998 IVIG. Aufgrund der erheblichen Blutungsgefahr sei die Gabe von Immunglobulinen erforderlich gewesen. Es handle sich um einen Patienten der Kategorie 2 der DAGNÄ-Empfehlungen. Den rezidivierenden Infektionen sei durch die Gabe von Antibiotikum nicht ausreichend zu begegnen gewesen. Der regressierte Patient habe von der Therapie bis zur letzten Infusion profitiert.

Der Patient E.P. befinde sich im weit fortgeschrittenen Stadium der HIV-Infektion. Er leide an einer generellen Protease-Inhibitor-Unverträglichkeit. Es handle sich um einen wichtigen Bestandteil der HAART, die vor diesem Grund nur unzureichend durchgeführt werden könne. Er sei ein Patient der DAGNÄ-Empfehlungen. Bei zufriedenstellendem virologischem Ergebnis bestehe weiterhin eine niedrige CD 4-Zahl. Den rezidivierenden Infektionen habe mittels Gabe von Antibiotikum nicht ausreichend begegnet werden können.

Der Patient F.W. befinde sich im weit fortgeschrittenen Stadium der HIV-Infektion. Es handle sich um einen multimorbiden Patienten mit onkologischer Zweiterkrankung. Er habe seit 9/1997 an Salmonellen-Enteritis, dann rezidivierendem Herpes simplex der Mundhöhle, Condylomata acuminata, Soor, lokale Haarleukoplakie, Kardiomyopathie und Aorteninsuffizienz (seit Jahren bekannt) gelitten. Seit 5/1998 habe er ein perianales spinozelluläres Karzinom mit Resektion erlitten. Er habe sei 10/1997 antiretrovirale Medikamente und IVIG erhalten. Seit 7/1998 leide er an distal betonter Neuropathie mit 5/2000 Rezidiv eines spinozellulären Karzinoms mit Chemo- Radiotherapie. Der Patient sei zwischenzeitlich verstorben. Es habe sich um einen Patienten der Kategorie 3 der DAGNÄ-Empfehlungen gehandelt. Wegen unbefriedigender Rekonstruktion des Immunsystems trotz erfolgreicher antiretroviraler Therapie. Der regressierte Patient habe von der Therapie bis zur letzten Infusion profitiert. Auf die wissenschaftliche Diskussion über die Zusammenhänge zwischen eingeschränktem Immunsystem und der Bildung bösartiger Tumore werde hingewiesen.

Die Beigeladene zu 2) (Verfahren L 12 KA 17/12, L 12 KA 29/12, L 12 KA 45/12) hat mit Schriftsatz vom 06.06.2011 darauf hingewiesen, dass der Aspekt des sekundären Immundefekts in jeder Stufe berücksichtigt worden sei. Eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht (1 BvR 550/08 vom 07.04.2008) in gleicher Sacher sei nicht zur Entscheidung angenommen worden. In der Begründung werde der Aspekt des sekundären Immundefekts in die Entscheidungsfindung einbezogen („mit der zusätzlichen Gabe von Immunglobulinen würden die mit HIV-Infektion einhergehenden weiteren Infektionen bekämpft und vermieden“). Letztlich spiele die wiederholt geäußerte angebliche Verkennung der Behandlungsabsicht (nicht HIV/AIDS, sondern sekundärer Immunglobulinmangel) keine Rolle. Nach der Fachinformation bestehe eine zugelassene Anwendung weder bei erwachsenen HIV/AIDS-Patienten noch bei den im Verlauf der Krankheit auftretenden gehäuften Infektionen durch sekundären Antkörpermangel. Die Expertengruppe Off-Label-Use Infektiologie mit Schwerpunkt HIV/AIDS sei zu dem Ergebnis gekommen, dass sich keine wissenschaftlich ausreichende Evidenz für die Wirksamkeit von intravenösen Immunglobulinen im Anwendungsgebiet HIV/AIDS bei Erwachsenen als Therapie gegen das Fortschreiten des Immundefekts oder die resultierenden infektiologischen Komplikationen finden lasse.

Das Sozialgericht München hat mit Gerichtsbescheiden vom 11.01.2012 (S 38 KA 992/08 bis S 38 KA 1001/08) die Klagen abgewiesen. Es sei zu klären, ob das Immunglobulin „Octagam“ im Quartal 4/2000 bei den streitgegenständlichen Patienten verordnungsfähig gewesen und unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots verordnet worden sei. Die Patienten seien bereits mehrere Jahre zuvor in der klägerischen Praxis behandelt worden und seien am HIV-Virus erkrankt (gewesen). Sie hätten im streitigen Quartal neben der sog. antiretroviralen Therapie auch eine Immunglobulintherapie mit dem Präparat „Octagam“ erhalten. Zunächst sei für das Präparat „Octagam“ die Frage der arzneimittelrechtlichen Zulassung zu klären. Denn Präparate, die nach § 21 Abs. 2 AMG arzneimittelrechtlich zugelassen seien, würden grundsätzlich als zweckmäßig und wirtschaftlich im Sinne der §§ 2 Abs. 1 Satz 1, 12 Abs. 1 SGB V gelten und seien daher von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung mit umfasst. Bei keiner arzneimittelrechtlichen Zulassung nach § 21 Abs. 1 AMG bestehe mangels Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit auch keine Verordnungsfähigkeit, es sei denn, es lägen die Voraussetzungen für einen „Off-Label-Use“ bzw. für eine verfassungskonforme Auslegung leistungseinschränkender Vorschriften des SGB V vor. Gerade in jüngster Zeit hätten sich mehrere Entscheidungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung mit der Verordnungsfähigkeit von Immunglobulinen befasst (Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 31.07.2007, Az.: L 5 KR 353/05; Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 20.11.2007, Az.: B 1 KR 118/07 B; Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 07.04.2008, Az.: 1 BvR 550/08; BSG, Urteil vom 28.02.2008, Az.: B 1 KR 15/07 R; BSG, Urteil vom 05.05.2010, Az.: B 6 KA 6/09 R; BVerfG, Entscheidung vom 30.06.2008, Az.: 1 BvR 1665/07). Den oben genannten Entscheidungen sei gemeinsam, dass sie - wie auch die Vorinstanzen - davon ausgehen, dass die Immunglobuline nicht zur Behandlung von an HIV erkrankten erwachsenen Patienten zugelassen seien. In den Entscheidungen sei daher darüber zu befinden gewesen, ob ausnahmsweise die Voraussetzungen des Off-Label-Use gegeben seien oder ob ausnahmsweise im Wege der verfassungskonformen Auslegung leistungsbeschränkender Vorschriften des SGB V gleichwohl eine Verordnungsfähigkeit zu bejahen sei. Nach gefestigter Rechtsprechung zum sog. Off-Label-Use (vgl. BSG, Urteil vom 27.03.2007, Az.: B 1 KR 30/06 R) bestehe eine Verordnungsfähigkeit zulasten der GKV, wenn es um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung gehe, wenn keine andere Therapie verfügbar sei und wenn aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht bestehe, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden könne. Ebenfalls entstehe eine Verordnungsfähigkeit bei Anwendung der verfassungskonformen Auslegung leistungsbeschränkender Vorschriften des SGB V, die seit der sog. „Nikolausentscheidung“ des BVerfG (Entscheidung vom 06.12.2005, Az.: 1 BvR 347/98) zusätzlich Anwendung finde. Danach sei vorauszusetzen, dass eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung (= Notstandsindikation) vorliege, eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende medizinische Behandlung bzw. Verordnung nicht zur Verfügung stehe und nicht auszuschließen sei, dass mit der Therapie oder Methode eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bestehe. Ob das Präparat zugelassen sei, ergebe sich aus dem Bescheid des PEI bzw. aus den jeweiligen Fachinformationen. Zum Zeitpunkt der Verordnung (Quartal 4/2000) habe noch nicht die mit Änderungsbescheid vom 07.01.2002 (PEI) modifizierte Zulassungssituation für „Octagam“ bestanden. Der Indikationsbereich habe wie folgt gelautet: „Substitutionstherapie bei primären und sekundären Antikörpermangelzuständen sowie zur Vorbeugung und Behandlung von Infektionen, die bei diesen Krankheiten auftreten“. Zusätzlich werden Immunglobuline auch zur Kontrolle oder Veränderung der individuellen Immunantwort eingesetzt, zum Beispiel bei ITP.

1. Primäre Antikörpermangelzustände:

- kongenitale Agammaglobulinämie

- variables Immundefektsyndrom

- schweres kombiniertes Immundefektsydrom

- Wiskott-Aldrich-Syndrom

2. Idiopatische thrombozytopenische Purpura (ITP), insbesondere in akuten Fällen bei Kindern.

3. IGIV wird bei sekundären Immungmangelkrankheiten unter folgenden Bedingungen angewendet:

- Chronische lymphatische Leukämie (CLL).“

Der Eingangssatz sei mit dem Änderungsbescheid vom 01.07.2002 gestrichen worden. Die Aufzählung der Indikationen ohne den Eingangssatz sei somit ab dem Zeitpunkt der Änderung abschließend. Ob vor dem 07.01.2002 die Aufzählung nicht abschließend gewesen sei und die unter den Ziffern 1 und 3 genannten Indikationen lediglich beispielhaft für primäre bzw. sekundäre Antikörpermangelzustände gewesen seien, lasse sich daraus nicht herleiten. Genauso wenig wie das Gegenteil. Denn es könnte sich sowohl um eine echte Änderung als auch lediglich um eine klarstellende Änderung der Zulassungssituation handeln. Als Zwischenergebnis sei festzuhalten, dass Octagam expressis verbis nicht für an HIV erkrankte erwachsene Patienten zugelassen sei. Eventuell sei das Mittel aber für die mit der HIV-Erkrankung einhergehenden Begleitsymptome, insbesondere im Sinne von sekundären Immunmangelzuständen - für den Fall, dass die Aufzählung nicht abschließend sein sollte - verordnungsfähig oder zumindest als zulässiger Off-Label-Use anzusehen bzw. sei aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. dem Sozialstaatsprinzip (BVerfG, Beschluss vom 06.12.2005, Az.: 1 BvR 347/98) die Verordnungsfähigkeit abzuleiten. Soweit eine Prüfung der Verordnungsfähigkeit außerhalb des Zulassungsbereichs zu erfolgen habe, sei fraglich, ob das sekundäre Antikörpermangelsyndrom eine eigenständige und hinreichend spezifische Erkrankung sei, die abgegrenzt von der Haupterkrankung behandelt werden könne und müsse (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.2010, Az.: B 6 KA 6/09 R). Zweifel würden ferner bestehen, ob die positive Wirkung des Immunglobulins hinreichend belegt sei (vgl. BayLSG, Urteil vom 31.07.2007, Az.: L 5 KR 352/05). Abgesehen davon sei nicht jede Verbesserung der Lebensqualität von der Ausweitung des Leistungsanspruchs erfasst (vgl. BSG, Urteil vom 13.10.2010, Az.: 6 KA 48/09 R). Letztendlich könne aber dahinstehen, ob eine Diagnose vorliege, für die „Octagam“ zugelassen sei oder ein Ausnahmetatbestand gegeben sei, der zur Verordnungsfähigkeit führe. Denn in jedem Fall müsse sich die Notwendigkeit der Verordnung aus der Diagnose ergeben, die ihrerseits - soweit sich die Klägerseite auf einen schweren Immundefekt berufe - durch labortechnische Untersuchungen abzustützen sei. Dies gelte erst recht bei Verordnungen von Medikamenten, die im Zusammenhang mit einer HIV-Infektion und/oder damit einhergehenden Begleitsymptomen stehen, deren Verordnungsfähigkeit für die angeführten Diagnosen bekanntermaßen nicht eindeutig feststehe und die einen erheblichen Kostenfaktor darstellen. Dem Behandler obliege eine Darlegungs- und Beweislast, an die umso größere Anforderungen zu stellen seien, umso wahrscheinlicher die Verordnungsfähigkeit eines Medikaments nur ausnahmsweise zu bejahen sei. Unklar sei hier bereits, für welche Diagnose/Diagnosen „Octagam“ verordnet worden sei (für die HIV-Erkrankung zusätzlich zu HAART? für welche bestimmten Diagnosen?); geschweige denn sei nicht bekannt, dass die Diagnosen, soweit sie nach Auffassung der Klägerseite auf einen schweren Immundefekt hindeuten sollen, durch geeignete labortechnische Untersuchungen verifiziert worden seien. Den Klägern sei auch die Ausnahmekonstellation bewusst gewesen, die sich daraus ergebe, dass nur bei wenigen HIV-Patienten Immunglobuline eingesetzt worden seien. Es wäre ihre Aufgabe gewesen, genau herauszufinden, zu dokumentieren und geeignete Angaben zu machen, warum gerade in den streitgegenständlichen Fällen mit den Diagnosen die Verordnung von Immunglobulinen medizinisch indiziert gewesen sei. Damit lasse sich der Sachverhalt nicht im erforderlichen Umfang aufklären, was letztendlich zulasten der Kläger gehen müsse.

Hiergegen richten sich die Berufungen der Klägerin zum Bayerischen Landessozialgericht vom 10.02.2012.

In der Sache handle es sich um ein Parallelverfahren zu dem bereits beim Bayerischen Landessozialgericht anhängigen Berufungsverfahren L 12 KA 109/08. In diesem Verfahren - hier hätten die Kläger erstinstanzlich zur Gänze obsiegt - sei ein dem Wortlaut nach identischer Widerspruchsbescheid ebenfalls vom 20.11.2003 streitgegenständlich. Habe das Sozialgericht hier die Auffassung vertreten, dass dieser Widerspruchsbescheid hinsichtlich seiner Begründung nicht den Anforderungen des § 35 Abs. 1 SGB X genüge, sehe es sich nunmehr veranlasst, im Rahmen einer konsequenten Fortentwicklung der Rechtsprechung anderslautend zu entscheiden. Unabhängig von der Tatsache, dass die Entscheidung des BSG im Verfahren B 6 KA 6/09 R auf die hier streitgegenständlichen Verfahren nicht im Ansatz zur Anwendung gelange, weil es um eine nicht vergleichbare Erkrankung gehe, sei nicht zu erkennen, dass die aktuelle Rechtsprechung des BSG einen Widerspruchsbescheid aus dem Jahre 2003, dem es ersichtlich an einer Begründung fehle, gerade zu einer solchen verhelfen könne.

Die Prozessbevollmächtigte hat mit Schriftsatz vom 04.03.2013 weiter vorgetragen, dass der Beklagte erneut die falsche Prämisse bemühe, es bedürfe labortechnischer Auswertungen, anhand derer man ein Antikörpermangelsyndrom nachweisen könnte. Das Antikörpermangelsyndrom sei von der Begrifflichkeit her in der medizinischen Wissenschaft nicht bekannt. Es gebe vielmehr sehr viele verschiedene Antikörpermangelsyndrome. Soweit es sich um ein quantitatives Antikörpermangelsyndrom handle, sei dies labortechnisch nachweisbar. Um ein solches nachweisbares Syndrom handle es sich bei der BSG-Entscheidung, aufgrund derer das Sozialgericht die Klagen abgewiesen habe. Beim hier streitgegenständlichen qualitativen Antikörpermangelsyndrom sei der labortechnische Nachweis nicht möglich und überdies auch nicht erforderlich. Den zahlreichen Studien, dem Stand der medizinischen Wissenschaften, den Stellungnahmen des Prof. Dr. R. und denen des Paul-Ehrlich-Instituts sei in aller Deutlichkeit zu entnehmen, dass nur bei HIV-Patienten ein qualitatives Antikörpermangelsyndrom dann mit der Erkrankung in fortgeschrittener Krankheitsphase einhergehe, wenn in der Klinik dieser Patienten vermehrt auftretende Infekte, die durch die Insuffizienz des sog. B-Zellsystems begünstigt würden, beobachtet und dokumentiert werden könne. Hierzu zählen vor allem bronchopulmonale Infekte, Sinusitiden, Infektionen des Urogenitaltraktes und Abszesse, wie sie durch die Kläger dokumentiert seien. Der Nachweis sei der klinische Verlauf bei diesen Patienten. Der Beweis, dass die Störungen nicht auf der HIV-Infektion, sondern auf dem Antikörpermangelzustand beruhen, sei durch folgende Unterscheidung leicht zu erbringen: Bei den vorliegenden Infektionen handle es sich nicht um HIV-bedingte sog. opportunistische Infektionen. Es gehe vielmehr um solche vermehrt auftretenden Infekte, die durch eine Insuffizienz des sog. B-Zellsystems begünstigt werden. Zu den opportunistischen und damit AIDS definierenden Erkrankungen würden vielmehr solche Infekte zählen, wie sie in der Anlage (CDC-Klassifikation) unter Kategorie C aufgeführt seien. Die Unterscheidung sei damit durch die Art der Infektion vorzunehmen.

IV.

Der Beigeladene zu 2) (in den früheren Verfahren L 12 KA 24/12 und L 12 KA 37/12) hat mit Schreiben vom 07.12.2001 Antrag auf Prüfung der ärztlichen Verordnungsweise der Klägerin in Einzelfällen im Quartal 1/2001 gestellt.

Der Prüfungsausschuss hat mit Bescheid vom 09.07.2002 gegen die Klägerin einen Regress bei den Einzelverordnungen in Höhe von 37.563,21 € (= 73.467,24 DM) festgesetzt.

Hiergegen hat die Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 02.08.2002 Widerspruch eingelegt, der mit Schriftsatz vom 06.02.2003 näher begründet wurde. Im vorliegenden Fall werde die streitgegenständliche Therapie von den Arzneimittelrichtlinien umfasst. Nach der Nr. 20 AMR dürften Impfstoffe und/oder Immunglobulinpräparate, insbesondere bei immunsuprimierten Patienten und Patienten mit Immundefekt verordnet werden, wenn nach wissenschaftlicher Erkenntnis hierdurch ein Krankheitsausbruch mit großer Wahrscheinlichkeit verhindert werden könne. Die medizinische Notwendigkeit der Behandlung ergebe sich in den vorliegenden Fällen daraus, dass die aufgeführten Patienten G.G., A.P., S.L., K.Sch. und H.T. neben einer fortgeschrittenen HIV-Infektion an anderen Erkrankungen leiden und zur Prophylaxe dieser bakteriellen und viralen Erkrankungen eine Immunglobulintherapie erforderlich sei. Wie bekannt, zerstöre das HI-Virus das menschliche Immunsystem. Bei entsprechender Ausbreitung des Virus sterbe der Patient an den sog. opportunistischen Erkrankungen, die als Folge seiner Immunschwäche nicht mehr bekämpft werden könnten. Seit Anfang 1997 werde die hochaktive antiretrovirale Kombinationstherapie eingesetzt. Unbestritten habe diese Therapie zu einer deutlichen Reduktion der HIV-assoziierten Morbidität und Mortalität geführt. Gleichwohl könne AIDS unverändert nicht als heilbare Krankheit eingestuft werden. Mit einer antiretroviralen Kombinationstherapie könne keine ausreichende Medikation für die HIV-Erkrankung erfolgen, aber ein Hinauszögern im Stadium AIDS in vielen Fällen erreicht werden. Nach Eindringen des Virus in den menschlichen Blutkreislauf würden sich die Viren an die Oberfläche des CD 4-Lymphozyten (zentrale Schaltzellen des Immunsystems) anheften, in die Zelle eindringen und ihre genetische Information an das genetische Material im Zellkörper infizieren. Würden die so befallen CD 4-Lymphozyten durch andere Erreger (Bakterien, Viren, Pilze) aktiviert, würden sie mit der Produktion von HI-Viren beginnen und dadurch zerstört. Da sich das menschliche Immunsystem täglich mit einer Fülle von in den Körper eindringenden Keimen auseinandersetzen müsse, würden täglich CD 4-Lymphozyten aktiviert und würden täglich neue HI-Viren bilden. Täglich würden Milliarden neuer Viren gebildet und Milliarden CD 4-Lymphozyten zerstört. Dies führe schließlich zu einer Erschöpfung der Zellenneuproduktion im Knochenmark, die CD 4-Lymphozytenzahl nehme ab. HIV-assoziierte Erkrankungen, opportunistische Infektionen oder bösartige Tumore würden über kurz oder lang zum Tod des Patienten führen. Mittels HAART könne zurzeit ein Fortschreiten der Erkrankung für fünf bis acht Jahre verhindert werden. Durch die Gabe antiretroviraler Kombinationspräparate könne das Eintreten des Endstadiums AIDS hinausgezögert werden. Wenn man sich den Verlauf einer HIV-Infektion als einen Zug vorstelle, der auf einen Abgrund (Tod durch AIDS) zufahre, so gebe die CD 4-Zellzahl den Abstand zum Abgrund an. Die Höhe der Virusbeladung zeige die Geschwindigkeit an, mit der sich der Zug auf den Abgrund zu bewege. Hinzu komme, dass es sich bei der HAART um eine Therapie handle, die sich erst seit gut fünf Jahren im Einsatz befinde. Vor dem Hintergrund der Kürze der Erfahrungszeit mit dieser Therapie könne die Frage, ob sich letztlich unter einer fortlaufenden HAART über viele Jahrzehnte eine HIV-Infektion stabilisieren lasse, derzeit nur spekulativ beantworten. Resistenzen, die immerhin 50% der Patienten, die derzeit HAART nehmen würden, bereits betreffen, Kombinationsschwierigkeiten und vor allem Dingen Langzeitnebenwirkungen würden die entsprechend andauernde Erfolgsrate antiretroviraler Therapieformen eindeutig begrenzen. Vor diesem Hintergrund seien die Vertragsärzte über die Verordnung von Immunglobulinen bei HIV-Erwachsenen per Rundschreiben vom 04.07.1994 über die KVB beraten worden. Diese Beratung sei zu keinem Zeitpunkt widerrufen oder korrigiert worden. Über viele Jahre hinweg seien die Kosten der streitbefangenen Therapie anstandslos übernommen worden. Der so geschaffene Vertrauenstatbestand stehe einem Regressanspruch entgegen. Selbst wenn man in den vorliegenden Fällen einen Off-Label-Use des gebrauchten Präparates Octagam annähme, wäre eine Zulassung nach dem Urteil des BSG (Urteil vom 19.03.2002, Az.: B 1 KR 37/00 R) als zulassungsüberschreitende Verordnung nicht ausgeschlossen. Nach dem Urteil sei die Verordnung eines Medikaments in einem von der Verordnung nicht umfassten Anwendungsgebiet möglich, wenn es um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung gehe, wenn keine andere Therapie verfügbar sei und wenn aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht bestehe, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden könnte. Davon könne ausgegangen werden, wenn entweder die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt sei oder die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht seien und eine klinisch relevante Wirksamkeit bzw. einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht seien, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und aufgrund derer in den einschlägigen Fachkreisen Konsens für einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne bestehe. Die entsprechenden Studien seien bekannt. Nicht zuletzt aufgrund der Datenlage sei den Vertragsärzten zur Verordnung mit Immunglobulinen bei HIV-Erwachsenen geraten worden. Die von der DAGNÄ e.V. aufgestellten Kriterien seien ebenfalls bekannt. Auch das dritte von der Rechtsprechung herangezogene Kriterium, nämlich ein nach den Grundsätzen der medizinischen Wissenschaft zu erwartender Behandlungserfolg, sei hier anzunehmen. Die Klägerin habe bezüglich des Patienten K.Sch. erfolgreich einen Eilantrag auf Gewährung der Immunglobulintherapie gestellt (Beschluss des Sozialgerichts München, Az.: S 44 KR 871/02 ER, bestätigt durch Beschluss des BayLSG, Az.: L 4 B 381/02 KR ER).

Der Beklagte hat mit Widerspruchsbescheid vom 20.11.2003 den Bescheid des Prüfungsausschusses insoweit abgeändert, als ein Regressbetrag in Höhe von 30.598,93 € festgesetzt wurde. Der Beklagte habe im vorliegenden Fall die Einzelfallfprüfung als sachgerechte Prüfmethode gewählt. Der Beklagte sehe sich in der Lage auf der Grundlage des Gutachtens von PD Dr. R. vom 03.01.2001 und von Prof. Dr. D. vom 06.07.2000 zu entscheiden. Die Klägerin würde eine - in einigen Fällen unzureichende - antiretrovirale Therapie, häufig in fixer Kombination mit IVIG (intravenösem Immunglobulin) verwenden. Bereits die DAGNÄ-Empfehlungen von Oktober 1996 würden den Einsatz für intravenöse Immunglobuline auf wenige ganz bestimmte Krankheitsbilder und Komplikationen beschränken. Hierbei handle es sich um Empfehlungen ohne allgemein verbindlichen Charakter, die DAGNÄ-Empfehlungen würden aber den damaligen Diskussionsstand der HIV-Behandlung mit Immunglobulinen widerspiegeln. Nicht der hohe Preis der IVIG-Therapie, sondern der fehlende Wirksamkeitsnachweis für die Indikation HIV bei Erwachsenen ohne Thrombozytopenie und Antikörpermangel würden diese Therapie unwirtschaftlich machen. Die Substitution von IVIG bei Antikörpermangel und entsprechender rezidivierender Infektion sei eine zugelassene Indikation, deren Notwendigkeit sich anhand von Laborwerten wie durch die Symptombesserung begründen bzw. belegen lasse. Demgegenüber sei eine unkritische, über Monate bzw. Quartale gehende regelmäßige Substitution ohne jeglichen Anhaltspunkt für die therapeutische Wirksamkeit nicht geeignet, die Kriterien dieser Zulassung auch nur im Geringsten zu erfüllen. Nach Auffassung des PEI sei keines der in Deutschland zugelassenen Immunglobuline für die Anwendung bei erwachsenen AIDS-Patienten zugelassen und die Indikation weltweit als nicht durch klinische Studien belegt anzusehen. Der Beklagte gibt auch die von ihm geteilte Auffassung des MDK/MDS von Herrn Wolfgang Wilms, Referat Pharmakologie zur Verordnung von Immunglobulinen bei erwachsenen HIV-Patienten in der GKV wieder, wonach die Anwendung von Immunglobulinen für bestimmte HIV/AIDS-assoziierte Krankheitsbilder bei Erwachsenen keine zugelassene Indikation sei. Voraussetzung für die Leistungspflicht der GKV sei der vom BSG präzisierte Begriff des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Kenntnisse unter Berücksichtigung des medizinischen Fortschritts. Das Urteil des BSG vom 23.07.1998 nenne als konkrete Bedingung für die Verordnungsfähigkeit zulasten der GKV die „arzneimittelrechtliche Zulassung“. Auch das RKI (Robert-Koch-Institut) wird mit der Feststellung zitiert, dass eine offizielle Empfehlung zur Immunglobulintherapie der HIV-Infektion bei Erwachsenen nicht existiere und sich diese Therapie überlebt habe. Die internationale Studienliteratur würde Therapieversuche bei HIV/AIDS mit polyvalenten Immunglobulinen bei Erwachsenen belegen. Dieser Weg sei jedoch mangels Erfolg weitgehend verlassen worden. In seinem Gutachten vom 06.07.2000, erstellt für das Quartal 3/1997, führe Prof. Dr. D. aus, dass die Gabe von Immunglobulinen nur als Prophylaxe verstanden werden könne, wofür es keine Indikation gebe. Die pauschalen Begründungen seien in den einzelnen Fällen nicht ausreichend, um eine Indikation zu rechtfertigen. Weiterhin verweise Prof. Dr. D. auf die Empfehlungen der DAGNÄ für die HIV-Behandlung und die dort aufgeführten Krankheitsbilder, bei denen die Gabe von Immunglobulinen ausnahmsweise indiziert sei. Bei den angeführten Patienten bzw. Begründungen seien diese Krankheitsbilder durchgängig nicht enthalten. Standard der HIV-Behandlung sei die Kombination mehrerer wirksamer antiretroviraler Medikamente einschließlich Proteasehemmern. Die Gabe von Immunglobulinen bei HIV-Infektion sei mit Ausnahme der ITP-ähnlichen Thrombozytopenie wegen mangelnder Effektivität völlig verlassen worden. Angesichts der Gefahren und Kosten, die einer nicht bewiesenen Therapiewirksamkeit gegenüber ständen, könne es zum Schutz des Patienten nur eine Entscheidung bei der HIV-Infektion geben, nämlich die Immunglobuline nicht zu verabreichen, es sei denn, es liege eine wissenschaftlich begründete Indikation vor. Der Gegengutachter PD Dr. R. habe die im Gutachten von Prof. Dr. D. getroffenen Feststellungen nicht detailliert entkräftet, komme aber pauschal zu dem Ergebnis, dass die Begründung des Prüfungsausschusses - die DAGNÄ-Kriterien für die IVIG-Gabe seien nicht erfüllt - nicht greife. PD Dr. R. bringe lediglich eine Auflistung der Indikationen, ohne aber auf die Zulassungssituation einzugehen. Der Beklagte hat die vom Prüfungsausschuss beanstandeten Patienten nach Kassenzugehörigkeit erfasst, danach die Verordnungszeiträume und Diagnosen benannt, letztendlich die gutachterlichen Stellungnahmen gegenübergestellt und aus dieser Gesamtübersicht eine Entscheidung getroffen. Der Widerspruchsbescheid befasst sich sodann mit den streitgegenständlichen Patienten, indem er die getätigten Arzneiverordnungen im Quartal 1/2001 aufführt, die Begründung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin für die Verordnung der Immunglobuline, soweit vorhanden die Ausführungen in den Gutachten des Prof. Dr. D. bzw. PD Dr. R. aufführt und sodann die Bewertung des Beklagten hierzu darlegt. Bezüglich des Patienten R.-F.B. wurde die Gabe von Immunglobulinen als indiziert angesehen und deswegen dem Widerspruch insoweit stattgegeben. Bezüglich der anderen Fälle wurde dagegen keine Indikation für die Gabe von Immunglobulinen gesehen. Der Beklagte stellte insgesamt fest, dass nach dem Quartal 3/1997 keine neueren Daten zu den HIV-Patienten vorliegen würden. Die Begründung in der Sitzung, dass es zu diesem Patienten keine neuen Erkenntnisse gäbe, sei allein schon vom medizinischen Standpunkt betrachtet wenig glaubhaft, dass sich innerhalb eines derartig langen Zeitraums seit dem Quartal 3/1997 am Zustand des Patienten nichts geändert haben solle. Es bestehe die vertragsärztliche Pflicht, dem Beklagten alle für die Entscheidung notwendigen Daten vorzulegen. Dem sei die Klägerin nicht nachgekommen.

Hiergegen richten sich die Klagen vom 15.12.2003, die mit Schriftsätzen vom 29.09.2008 näher begründet wurden. Diesbezüglich wird zunächst auf die Ausführungen im Verfahren S 38 KA 995/08 verwiesen. Es sei auch bezüglich des Patienten G.G. (S 38 KA 959/08) nicht ersichtlich, warum sich der Beklagte mit dem hier vorliegenden, schwersten Immundefekt nicht auseinandergesetzt habe. Allein das namentlich bekannte Kaposi-Syndrom und das Wasting-Syndrom würden den dramatischen Krankheitsverlauf, welcher offensichtlich nicht durch die Gabe antiretroviraler Medikamente habe durchbrochen werden können, kennzeichnen. Unter der Therapie mit IVIG hätte sich über Jahre hinweg eine gewisse Stabilisierung ereignet.

Zum Krankheitsverlauf des Patienten S.L. (S 38 KA 960/08) sei bereits im Verfahren S 38 KA 987/08 vorgetragen worden. Der Patient S.L. profitiere in erheblichem Umfang von der Therapie mit Immunglobulin. Zum Krankheitsverlauf des Patienten A.P. (S 38 KA 962/08) sei bereits im Verfahren S 38 KA 988/08 vorgetragen worden. Der Patient A.P. profitiere in erheblichem Umfang von der Therapie mit Immunglobulin. Bezüglich des Patienten K.Sch. (S 38 KA 959/08) sei bereits im Verfahren S 38 KA 989/08 ausführlich zum Krankheitsverlauf vorgetragen worden. Die Patientin A.T. (S 38 KA 964/08) sei eine AIDS-Patientin der Kategorie 1 der DAGNÄ-Richtlinien. Seit 1990 leide sie an rezidivierender oraler Candidosis, Herpes simplex und genitales und chronischem Durchfall ohne Erregernachweis. Es handle sich hierbei um zusätzliche Infektionen, die der HIV-Infektion ursächlich zuzuordnen seien. Seit 2/2000 liege ein multiresistentes HIV 1-Virus vor. Die Patientin sei multiresistent gegen alle verfügbaren Medikamente der hochaktiven antiretroviralen Kombinationstherapie. Aus diesem Grund habe sich die Viruslast ab diesem Zeitpunkt nicht mehr nennenswert absenken lassen. Dennoch sei in der medizinischen Wissenschaft unbestritten, dass auch weiterhin antiretrovirale Medikamente zum Einsatz kommen müssten. Infolge der Gabe von IVIG sei die Häufigkeit der zusätzlichen Infektionen stark zurückgegangen, wie dies unter Hinweis auf die DAGNÄ-Empfehlungen auch zu erwarten gewesen sei. Nachdem die Patientin an einem schwersten Immundefekt gelitten habe, sei die Indikation zwingend veranlasst. Nachdem im Auszug auf Seite 116 der Verwaltungsakte diverse andere Präparate, z. B. Pentacarinat aufgeführt seien, sei nicht nachvollziehbar, inwiefern der auch mit Medizinern besetzte BA den dramatischen Krankheitsverlauf der Patientin negieren könne. Gerade weil die Immunglobulintherapie nachweislich zum Erfolg geführt habe, seien die Voraussetzungen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vorliegend erfüllt. Mit der zusätzlichen Gabe von IVIG in der Vergangenheit sei eine Überbrückung der Zeit bis zur Entwicklung neuer antiretroviraler Substanzen gelungen.

Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat mit Schriftsatz vom 17.09.2010 ergänzend Stellung genommen. In einem aktuellen Widerspruchsbescheid vom 07.09.2010 stelle der Beklagte erstmalig und ausdrücklich klar, dass ein einheitlicher Konsens bestehe, dass von 1990 bis 1996 die IVIG die Standardtherapie zur Behandlung einer HIV-Erkrankung gewesen sei. Wenngleich Immunglobuline ausdrücklich nicht zur Behandlung der HIV-Infektion, sondern der damit einhergehenden Vorbeugung und Behandlung weiterer Infektionen eingesetzt worden seien, bestätige der Beklagte im Jahr 2010, dass für bestimmte Einzelfälle die DAGNÄ-Empfehlungen zu berücksichtigen seien. Im Kern bestätige der Beklagte nunmehr, dass nur und ausschließlich in den, den Empfehlungen der DAGNÄ entsprechenden Fällen eine Verordnung von Immunglobulinen als wirtschaftlich einzustufen sei. Die einschlägigen BSG-Entscheidungen beruhten auf der Annahme eines Off-Label-Use und würden sich argumentativ mit der zwingend erforderlichen arzneimittelrechtlichen Zulassung und der damit verbundenen Arzneimittelsicherheit auseinandersetzen. In keinem dieser Verfahren gehe es um eine über Jahre eingesetzte Standardtherapie. Soweit das BSG insbesondere in der Entscheidung vom 05.05.2010 (Az.: B 6 KA 6/09 R) erneut auf die fehlende Zulassung, eine notstandsähnliche Situation für den Patienten, die Studienlage und eine vorherige Nachfrage bei der Krankenkasse abstelle, werde die fehlende Sachaufklärung bezogen auf die streitgegenständlichen Verfahren evident. Weil die höchstrichterliche Rechtsprechung von einem falschen Sachverhalt, einem Off-Label-Use ausgehe, werde die groteske Situation konstruiert, eine Standardtherapie von nun mehr über 14 Jahren dergestalt überbrücken zu wollen, dass neue Studien gefordert würden, den Benefit der Behandlung zu belegen. Solche Studien seien natürlich nicht existent und auch keineswegs veranlasst, weil der Einsatz antiretroviraler Medikamente seit 1990 zu einer zunehmenden Verbesserung der gesundheitlichen Situation der Patienten geführt habe. In der Folge wird auf einzelne Patienten eingegangen. Der Patient G.G. (Az.: S 38 KA 959/08), der dem Beklagten seit vielen Quartalen bekannt sei, befinde sich im Endstadium CDC C3 der HIV-Infektion. Er erhalte seit 1991 eine antiretrovirale Therapie, die nicht zu einer Verbesserung des schweren Immundefekts geführt habe. Es handle sich um einen Patienten der Kategorie 1 der DAGNÄ-Empfehlungen, bei welchem seit den Einsatz von IVIG zwar eine drastische Abnahme, nicht aber eine Vermeidung infektiöser Episoden habe erreicht werden können. Auch dies sei ein Fall, in welchem mit antiretroviraler Therapie allein das Überleben des Patienten nicht habe gesichert werden können. Denn jede weitere zusätzliche Infektion sei in der Lage, die durch die antiretroviralen Medikamente erreichte Eindämmung der Ausbreitung des HI-Virus im menschlichen Körper dergestalt zu stimulieren, dass ruhende Zellen erneut aktiviert würden. Aus diesem Grunde sei die Unterdrückung weiterer Infektionen von größter Bedeutung. Es handle sich um eine Standardtherapie beim erworbenen Immundefekt.

Der Patient S.L. (Az.: S 38 KA 960/08) sei der Kategorie 3 der DAGNÄ-Empfehlungen zuzuordnen. Trotz antiretroviraler Therapie seit 1995 und Gabe von IVIG gelinge es nur sehr bedingt, die zusätzlichen Infektionen zu beherrschen. Wie Blatt 111 und 112 der Verwaltungsakte zu entnehmen sei, seien auch im 1. Quartal 2001 durchgängig Infektionen mit Antibiotikum zu behandeln gewesen und damit sämtliche Strategien ausgeschöpft worden. Die IVIG-Gabe sei als ultimaratio-Behandlung erfolgt, um das Leben des Patienten zu erhalten. Der dramatische Krankheitsverlauf des Patienten A.P. (Az.: S 38 KA 962/08) sei dem Beklagten seit vielen Quartalen bekannt. Der Patient befinde sich im Endstadium CDC C3 der HIV-Infektion mit dem Vollbild AIDS. Es handle sich um einen Patienten der Kategorie 1 der DAGNÄ-Empfehlungen, dessen schwerer Immundefekt trotz virologisch wirksamer antiretroviraler Therapie und der Gabe von IVIG infektiöse Episoden zwar rückläufig habe machen können, aber nicht zur Gänze verhindern. Wie ersichtlich hätten weitere Infektionen der Behandlung mit Antibiotika bedurft. Deutlicher könne ein schwerer Immundefekt nicht ausfallen. Ohne die zusätzliche Gabe von IVIG würde dieser Patient mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das 2. Quartal nicht mehr erlebt haben. Der regressierte Patient erhalte eine 5-fach-Kombination antiretroviraler Medikamente und leide trotzdem an einem schweren Immundefekt, der nach Auffassung des Beklagten wie (????) behandelt werden solle, wenn nicht mit der Standardtherapie IVIG. Es handle sich ersichtlich um exakt die Situation, die im Eingangssatz der Zulassung des Präparats Octagam beschrieben sei, die opportunistische Infektion auf der Grundlage eines erworbenen Immundefekts, wie sie für die Kategorie der erworbenen Immundefekte immer dann typisch sei, wenn man ihre Ursache nicht kausal behandeln könne. Für den inzwischen verstorbenen Patienten K.Sch. (Az.: S 38 KA 963/08) habe die Unterfertigte die streitgegenständliche Therapie in einem Eilverfahren vor dem SG, Az.: S 44 KR 871/02 B ER, bestätigt durch BayLSG, Az.: L 4 B 381/02 KR ER, durchsetzen können. Der Beklagte fühle sich an diese Entscheidung nicht gebunden und bestätige einen Regress in Höhe von 10.926,66 €. Unabhängig von der Einschätzung des Beklagten habe sich der Patient K.Sch. im Stadium CDC C3 der HIV-Infektion befunden. Es handle sich um das Endstadium mit dem Vollbild AIDS, eine tödliche Krankheit, mit welcher zweifelsohne eine notstandsähnliche Situation einhergehe. Soweit die dramatisch niedrige Helferzahl als auch die rezidivierenden bakteriellen Infektionen würden den dramatischen Zustand des Patienten verdeutlichen, der trotz der Gabe von IVIG weitere Infektionen habe erleiden müssen.

Das Sozialgericht hat mit Gerichtsbescheiden vom 11.01.2012 (Az.: S 38 KA 959/08, S 38 KA 960/08, S 38 KA 962/08 bis S 38 KA 964/08) die Klagen abgewiesen. In dem Verfahren sei zu klären, ob die Immunglobuline „Octagam“ und „Flebogamma“ im Quartal 1/2001 bei den streitgegenständlichen Patienten verordnungsfähig gewesen seien und unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots gemäß §§ 2 Abs. 1, 12 SGB V von der Klägerseite verordnet worden seien. Die Patienten seien bereits mehrere Jahre zuvor in der klägerischen Praxis behandelt worden und seien am HI-Virus erkrankt. Die Patienten hätten in dem streitigen Quartal neben der sog. antiretroviralen Therapie auch eine Immunglobulintherapie mit den Präparaten „Octagam“ und „Flebogamma“ erhalten. Zunächst sei für das Präparat „Octagam“ die Frage der arzneimittelrechtlichen Zulassung zu erklären. Denn Präparate, die nach § 21 Abs. 2 AMG arzneimittelrechtlich zugelassen seien, würden grundsätzlich als zweckmäßig und wirtschaftlich im Sinne der §§ 2 Abs. 1 Satz 1, 12 Abs. 1 SGB V gelten und seien daher von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung mitumfasst. Bei keiner arzneimittelrechtlichen Zulassung nach § 21 Abs. 1 AMG bestehe mangels Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit auch keine Verordnungsfähigkeit, es sei denn, es lägen die Voraussetzungen für einen „Off-Label-Use“ bzw. für eine verfassungskonforme Auslegung leistungseinschränkender Vorschriften des SGB V vor. Gerade in jüngster Zeit hätten sich mehrere Entscheidungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung mit der Verordnungsfähigkeit von Immunglobulinen befasst (BayLSG, Urteil vom 31.07.2007, Az.: L 5 KR 352/05; BSG, Urteil vom 20.11.2007, Az.: B 1 KR 118/07 B, BVerfG, Urteil vom 07.04.2008, Az.: BvR 550/08; BSG, Urteil vom 28.02.2008, Az.: B 1 KR 15/07; BSG, Urteil vom 05.05.2010, Az.: B 6 KA 6/09 R; BVerfG, Urteil vom 30.06.2008, Az.: 1 BvR 1665/07). Den o.g. Entscheidungen sei gemeinsam, dass sie - wie auch die Vorinstanzen - davon ausgehen, dass die Immunglobuline nicht zur Behandlung von an HIV erkrankten erwachsenen Patienten zugelassen seien. In den Entscheidungen sei daher darüber zu befinden gewesen, ob ausnahmsweise die Voraussetzungen des Off-Label-Use gegeben seien oder ob ausnahmsweise im Wege der verfassungskonformen Auslegung leistungsbeschränkender Vorschriften des SGB V gleichwohl eine Verordnungsfähigkeit zu bejahen sei. Nach gefestigter Rechtsprechung zum sog. Off-Label-Use (vgl. BSG, Urteil vom 27.03.2007, Az.: B 1 KR 30/06 R) bestehe eine Verordnungsfähigkeit zulasten der GKV, wenn es um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung gehe, wenn keine andere Therapie verfügbar sei und wenn aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht bestehe, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden könne. Ebenfalls entstehe eine Verordnungsfähigkeit bei Anwendung der verfassungskonformen Auslegung leistungsbeschränkender Vorschriften des SGB V, dies seit der sog. „Nikolaus-Entscheidung“ des BVerfG (Entscheidung vom 06.12.2005, Az.: 1 BvR 347/98). Danach sei vorauszusetzen, dass eine lebensbedrohlich oder regelmäßig tödliche Erkrankung (= Notstandsindikation) vorliege, eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende medizinische Behandlung bzw. Verordnung nicht zur Verfügung stehe und nicht auszuschließen sei, dass mit der Therapie oder Methode eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Erfolg oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bestehe. Ob das Präparat zugelassen sei, ergebe sich aus dem Bescheid des PEI bzw. aus den jeweiligen Fachinformationen. Zum Zeitpunkt der Verordnung (Quartal 1/2001) habe noch nicht die mit Änderungsbescheid vom 07.01.2002 (PEI) modifizierte Zulassungssituation für „Octagam“ gegolten. Der Indikationsbereich habe wie folgt gelautet: „Substitutionstherapie bei primären und sekundären Antikörpermangelzuständen sowie zur Vorbeugung und Behandlung von Infektionen, die bei diesen Krankheiten auftreten“.

Zusätzlich werden Immunglobuline auch zur Kontrolle oder Veränderung der individuellen Immunantwort eingesetzt, z. B. bei ITP.

1. Primäre Antikörpermangelzustände:

- Kongenitale Agammaglobulinämie und Hypogammaglobulinämie

- variables Immundefektsyndrom

- schweres kombiniertes Immundefektsyndrom

- Wiskott-Aldrich-Syndrom

2. Ideopathische thrombozytopenische Purpura (ITP), insbesondere in akuten Fällen bei Kindern.

3. IGIV wird bei sekundären Immunmangelkrankheiten unter folgenden Bedingungen angewendet:

- chronische lymphatische Leukämie (CLL).“

Der Eingangssatz sei mit dem Änderungsbescheid vom 07.01.2002 gestrichen worden. Die Aufzählung der Indikationen ohne den Eingangssatz sei somit ab dem Zeitpunkt der Änderung abschließend. Ob vor dem 07.01.2002 die Aufzählung nicht abschließend gewesen sei und die unter den Ziffern 1 und 3 genannten Indikationen lediglich beispielhaft für primäre bzw. sekundäre Antikörpermangelzustände gewesen seien, lasse sich daraus nicht herleiten, genauso wenig wie das Gegenteil. Denn es habe sich sowohl um eine echte Änderung als auch lediglich um eine klarstellende Änderung der Zulassungssituation handeln können. Als Zwischenergebnis sei festzuhalten, dass „Octagam“ expressis verbis nicht für an HIV erkrankte erwachsene Patienten zugelassen sei. Eventuell sei das Mittel aber für die mit der HIV-Erkrankung einhergehenden Begleitsymptome, insbesondere im Sinne von sekundären Immunmangelzuständen - für den Fall, dass die Aufzählung abschließend sein sollte - verordnungsfähig oder zumindest als zulässiger „Off-Label-Use“ anzusehen bzw. aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip (BVerfG, Beschluss vom 06.12.2005, Az.: 1 BvR 347/98) die Verordnungsfähigkeit abzuleiten sei. Sofern eine Prüfung der Verordnungsfähigkeit außerhalb des Zulassungsbereichs zu erfolgen habe, sei fraglich, ob das sekundäre Antikörpermangelsyndrom eine eigenständige und hinreichend spezifische Erkrankung sei, die abgegrenzt von der Haupterkrankung behandelt werden könne und müsse (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.2010, Az.: B 6 KA 6/09 R). Ferner würden Zweifel bestehen, ob die positive Wirkung des Immunglobulins hinreichend belegt sei (vgl. BayLSG, Urteil vom 31.07.2007, Az.: L 5 KR 352/05). Abgesehen davon sei nicht jede Verbesserung der Lebensqualität von der Ausweitung des Leistungsanspruchs erfasst (vgl. BSG, Urteil vom 13.10.2010, Az.: B 6 KA 48/09 R). Gleiches gelte für die Verordnungsfähigkeit von „Flebogamma“, wobei anders als bei „Octagam“ ein Eingangssatz bei den Anwendungsgebieten fehle. Dies bedeute, dass hier die Anwendungsgebiete feststehen und eine darüber hinausgehende Verordnungsfähigkeit zulasten der gesetzlichen Krankenkassen nur auf die von der Rechtsprechung entwickelten Ausnahmetatbestände gestützt werden könne (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.2010, Az.: B 6 KA 24/09 R). Letztendlich könne aber dahinstehen, ob eine Diagnose vorliege, für die „Octagam“ bzw. „Flebogamma“ zugelassen sei oder ob ein Ausnahmetatbestand gegeben sei, der zur Verordnungsfähigkeit führe. Denn in jedem Falle müsse sich die Notwendigkeit der Verordnung aus der Diagnose/den Diagnosen ergeben, die ihrerseits - soweit sich die Klägerseite auf einen schweren Immundefekt berufe - durch labortechnische Untersuchungen abzustützen sei/seien. Dies gelte erst recht bei Verordnungen von Medikamenten, die im Zusammenhang mit einer HIV-Infektion und/oder den damit einhergehenden Begleitsymptomen stehen, deren Verordnungsfähigkeit für die angeführten Diagnosen bekanntermaßen nicht eindeutig feststehe und die einen erheblichen Kostenfaktor darstellen. Dem Behandler obliege eine Darlegungs- und Beweislast, an die umso größere Anforderungen zu stellen seien, umso wahrscheinlicher die Verordnungsfähigkeit eines Medikaments nur ausnahmsweise zu bejahen sei. Denn die Ärzte rückten in die Stellung ein, die der Versicherte gehabt hätte, wenn er seinen Standpunkt zur Verordnungsfähigkeit eines Arzneimittels im Wege der Geltendmachung eines Kostenerstattungsanspruchs nach § 13 Abs. 3 SGB V durchsetzen müsste. Wer einen „Off-Label-Use“ geltend mache, dringe deshalb damit nur durch, wenn sich unter Ausschöpfung aller Möglichkeiten zur Sachaufklärung feststellen lasse, dass die dafür insbesondere in der Rechtsprechung des BVerfG und BSG formulierten Voraussetzungen vorgelegen haben (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.2010, Az.: B 6 KA 6/09 R). Unklar sei hier bereits, für welche Diagnosen „Octagam“ (Anmerkung: wohl auch „Flebogamma“) verordnet worden sei (für die HIV-Erkrankung zusätzlich zur HAART?, für welche Diagnosen?) geschweige denn sei nicht bekannt, dass die Diagnosen, soweit sie nach Auffassung der Klägerseite auf einen schweren Immundefekt hindeuten sollen, durch geeignete laborchemische Untersuchungen verifiziert worden seien. Der Klägerin sei auch die Ausnahmekonstellation bewusst gewesen, die sich daraus ergebe, dass nur bei wenigen HIV-Patienten Immunglobuline eingesetzt worden seien. Es wäre ihre Aufgabe gewesen, genau herauszuarbeiten, zu dokumentieren und geeignete Angaben zu machen, warum gerade in den streitgegenständlichen Fällen mit den Diagnosen die Verordnung von Immunglobulinen medizinisch indiziert gewesen sei. Damit lasse sich der Sachverhalt nicht im erforderlichen Umfang aufklären, was letztendlich zulasten der Kläger gehen müsse.

Hiergegen richten sich die Berufungen zum Bayerischen Landessozialgericht vom 10.02.2012 (Az.: L 12 KA 24/12 ff.). In der Sache handle es sich um Parallelverfahren zu dem bereits beim Bayerischen Landessozialgericht anhängigen Berufungsverfahren L 12 KA 109/08. In diesem Verfahren, in dem die Klägerin erstinstanzlich obsiegt hätte, sei ein, dem Wortlaut nach identischer Widerspruchsbescheid ebenfalls vom 20.11.2003 streitgegenständlich. Habe das SG hier die Auffassung vertreten, dass dieser Widerspruchsbescheid hinsichtlich seiner Begründung nicht den Anforderungen des § 35 Abs. 1 SGB X genüge, sehe sich der Vorsitzende der 38. Kammer nunmehr veranlasst, im Rahmen einer konsequenten Fortentwicklung der Rechtsprechung, anderslautend zu entscheiden. Unabhängig von der Tatsache, dass die Entscheidung des BSG im Verfahren B 6 KA 6/09 R auf die hier streitgegenständlichen Verfahren nicht im Ansatz zur Anwendung gelange, weil es um eine nicht vergleichbare Erkrankung gehe, sei nicht zu erkennen, dass die aktuelle Rechtsprechung des BSG einen Widerspruchsbescheid aus dem Jahre 2003, dem es ersichtlich an einer Begründung fehle, gerade zu einer solchen verhelfen könne.

Der Beklagte hat sich hierzu mit Schriftsätzen vom 30.04.2012 geäußert. Nach der Rechtsprechung (BayLSG, Az.: L 5 KR 352/05, Entscheidung vom 31.07.2007; BSG, Urteil vom 22.11.2007, Az.: B 1 KR 118/07; BVerfG, Urteil vom 07.04.2008, Az.: 1 BvR 550/08) stehe eindeutig fest, dass die Immunglobuline nicht für die HIV/AIDS-Therapie anwendbar seien und zwar auch nicht als Off-Label-Use. Der Beklagte stelle abschließend fest, dass die Klägerin mehrfach angegeben hätte, dass sie mit den Immunglobulinen auch kein HIV/AIDS behandelt hätte, sondern allein und ausschließlich den sekundären Antikörpermangelzustand. Entscheidend wäre also die Frage, ob die betreffenden Patienten an einem sekundären Antikörpermangelzustand gelitten hätten. Hierbei stelle sich die Frage, welche Parameter einen sekundären Antikörpermangel definieren. Sekundäre Immundefekte seien Immunmangelkrankheiten, bei denen nicht eine primäre genetische Störung evident sei, sondern andere Krankheiten, Umwelteinflüsse oder Medikamente eine wichtige Rolle spielen. Es ergäben sich klinische Anfälligkeiten bei Antikörpermangel: Atemwegsinfekte seien die häufigsten Infektionen, die bei Antikörpermangel-Syndromen auftreten. Die Antikörpermangelerkrankungen würden nach Harry W. Schröder jun. definiert als eine Gruppe von Störungen, die durch eine beeinträchtigte Fähigkeit zur Produktion von spezifischen Antikörpern in Reaktion auf Antigene gekennzeichnet seien. Die Beeinträchtigung könne angeboren (primär) oder erworben (sekundär) sein und sich in einigen Fällen mit der Zeit zurückbilden oder verschlimmern. Der typische Patient weise eine Geschichte wiederkehrender Infektionen der oberen Atemwege bzw. der Lunge auf und zeige verringerte Serumkonzentrationen von einer bzw. mehreren Immunglobulinklassen (IgM, IgG, IgA bzw. IgD). Patienten mit normalen Serum-Immunglobulinspiegeln könnten jedoch spezielle Schwächen in ihrer Fähigkeit zum Aufbau von Abwehrkräften gegen bestimmte Antigene aufweisen und manche praktisch agammaglobulinämische Patienten könnten bemerkenswert symptomlos bleiben. Nach Ansicht der Klägerin würden in allen Verfahren die wiederkehrenden Infektionen der oberen Atemwege bzw. der Lunge auf ein sekundäres Antikörpermangelsyndrom hinweisen und dieses beweisen. Für den Beklagten sei die Tatsache, dass der Patient immer wieder Infektionen der oberen Atemwege bzw. der Lunge gehabt habe, kein ausreichender Nachweis für das Bestehen eines sekundären Antikörpermangelzustandes. Natürlich führe ein sekundäres Antikörpermangelsyndrom dazu, dass solche Infekte gehäuft auftreten. Aber HIV/AIDS führe ebenfalls in seinem typischen Verlauf zum Auftreten immer wiederkehrender Infekte. Und genau diese Frage müsste die Klägerin durch weitere Untersuchungen klären und belegen. Es reiche auf keinen Fall aus, bei einem doch sehr typischen Krankheitsverlauf (viele Infekte bei HIV/AIDS) einfach eine ungesicherte Diagnose aufzustellen und ein sekundäres Antikörpermangelsyndrom zu diagnostizieren. Schließlich seien all diese Begleiterkrankungen der Patienten HIV/AIDS-definierende Erkrankungen, was bedeute, dass die vielen vorhandenen Infekte nach Ansicht des Beklagten eher auf HIV/AIDS als auf ein sekundäres Antikörpermangelsyndrom hindeuten. Wieso neben der die vielen Infekte auslösenden HIV/AIDS-Erkrankung noch ein sekundäres Antikörpermangelsyndrom vorliegen solle, vermöge der Beklagte nicht zu erkennen. Wie die Klägerin überhaupt auf diese Diagnose gekommen sei, sei unklar. Laborchemische Untersuchungen seien keine gemacht worden. Zudem sei festzustellen, dass bei dem Patienten G.G. (Az.: L 12 KA 24/12) die dokumentierten Infektionskrankheiten der oberen Atemwege bzw. der Lunge in 1991 „gehäufte obere Atemwegsinfekte in 10/1991, 9/1993, 6/1995 und 10/1995 Pneumocystitiscarnii-Pneumonien“ seien und dann bis zum Verordnungsquartal sechs Jahre später sich keine Dokumentation in der Akte mehr finde. Irgendwelche quartalsbezogenen Diagnosen würden überhaupt nicht vorliegen. Auch im Abrechnungsschein des Quartals sei keine Infektionskrankheit der oberen Atemwege bzw. der Lunge dokumentiert. Zum Patienten S.L. (Az.: L 12 KA 25/12) sei festzustellen, dass die dokumentierten Infektionskrankheiten der oberen Atemwege bzw. der Lunge seit 1990 „häufig rezidivierende obere Atemwegsinfekte“ seien. Dies stelle jedoch die einzige Dokumentation dar und es finde sich bis zum Verordnungsquartal keine Dokumentation mehr in der Akte. Irgendwelche quartalsbezogenen Diagnosen lägen überhaupt nicht vor. Auch im Abrechnungsschein des Quartals sei keine Infektionskrankheit der oberen Atemwege bzw. der Lunge dokumentiert. Bei dem Patienten A.P. (Az.: L 12 KA 26/12) sei festzustellen, dass die dokumentierten Infektionskrankheiten der oberen Atemwege bzw. der Lunge 1989 „Pneumocystitiscarinii Pneumonie“ und 1995 „Pseudomons Pneumonie“ seien. Dies stelle jedoch die einzige Dokumentation dar und dann finde sich bis zum Verordnungsquartal sechs Jahre später keine Dokumentation mehr in der Akte. Bei dem Patienten K.Sch. (Az.: L 12 KA 27/12) sei festzustellen, dass die dokumentierten Infektionskrankheiten der oberen Atemwege bzw. der Lunge 1998 „Lobärpneumonie“ und 1990 „Soorösophagitis“ seien. Dies stelle jedoch die einzige Dokumentation dar und dann finde sich bis zum Verordnungsquartal elf Jahre später keine Dokumentation in der Akte. Irgendwelche quartalsbezogenen Diagnosen würden überhaupt nicht vorliegen. Im Abrechnungsschein des Verordnungsquartals sei auch keine Diagnose über Infektionskrankheiten der oberen Atemwege bzw. der Lunge zu finden. Bezüglich der Patientin A.T. (Az.: L 12 KA 28/12) sei festzustellen, dass keine Infektionskrankheiten der oberen Atemwege bzw. der Lunge in dem Schreiben dokumentiert worden seien. Irgendwelche quartalsbezogenen Diagnosen würden überhaupt nicht vorliegen. Auch im Abrechnungsschein des Quartals sei keine Infektionskrankheit der oberen Atemwege bzw. der Lunge dokumentiert worden. Nach Ansicht des Beklagten könne ein sekundäres Antikörpermangelsyndrom aber nur und ausschließlich durch eine klinische Diagnose in Kombination mit einem laborchemischen Nachweis erfolgen. Hier liege weder das eine noch das andere vor. Die für den Patienten vorliegenden klinischen Diagnosen könnten sowohl auf ein sekundäres Antikörpermangelsyndrom als auch auf eine HIV-bedingte Begleiterkrankung hindeuten. Für die Feststellung eines sekundären Antikörpermangelsyndroms müssten nach Ansicht des Beklagten Immunglobulinparameter gemessen werden. Die Klägerin würde aber nur die Lymphozytenwerte messen, in manchen Quartalen nicht einmal diese. Des Weiteren reiche es nach Ansicht des Beklagten auch nicht aus, nur die Immunglobuline zu messen, da vielen Patienten die Immunglobuline zwar fehlten, sie aber deswegen noch kein Mangelsyndrom hätten. Ebenso könne es bei den HIV/AIDS-Patienten zu einem Anstieg bzw. einem erhöhten Immunglobulinspiegel kommen, der allerdings keine Wirkungen mehr habe. Deswegen reiche auch die Messung des Immunglobulinspiegels allein nicht aus. Der Beklagte stellt abschließend fest, dass die Summe der opportunistischen Erkrankungen seiner Ansicht nach durch HIV/AIDS bedingt sei und nicht aufgrund eines sekundären Antikörpermangelsyndroms entstanden sei. Die Beweislast hierfür liege allein bei der Klägerin. Dem Beklagten reiche die einfache Behauptung eines „sekundären Antikörpermangelsyndroms“ nicht als Beweis für dessen Vorliegen aus, da sich diese Diagnose allein aus der Summe der Infekte begründe und von keinerlei laborchemischen Untersuchungen untermauert werde. Die Diagnose „Antikörpermangelsyndrom'„ tauche überhaupt nicht auf. Auf Seite 2 des Schriftsatzes vom 06.02.2003 erkläre die Prozessbevollmächtigte der Klägerin, dass die Immunglobuline für die Patienten zur Prophylaxe für die neben der HIV-Erkrankung vorliegenden bakteriellen und viralen Erkrankungen gegeben worden seien, also nicht zur Behandlung des sekundären Antikörpermangelsyndroms. Auch die Voraussetzungen für die Gabe von Immunglobulinen nach der DAGNÄ würden bei den streitgegenständlichen Patienten nicht vorliegen bzw. seien für den Beklagten nicht feststellbar. Ein Hinweis auf einen Antikörpermangel und die damit vermehrt auftretenden bakteriellen Infekte könnte auch der vermehrte Bedarf an Antibiotika sein. Allerdings sei bei den streitgegenständlichen Patienten im Quartal 1/2001 entweder gar kein Bedarf an Antibiotika bzw. ein nur geringer Bedarf an Antibiotika festzustellen. Der Beklagte habe bisher auch keine ausreichende Studienlage gefunden noch habe sich die Klägerin auf eine solche berufen oder eine solche dargelegt, dass sekundäre Antikörpermangelzustände aussichtsreich mit Immunglobulinen zu behandeln wären. Die von der Klägerseite angeführten Studien zur Behandlung der HIV-Infektion mit intravenösen Immunglobulinen würden ausnahmslos aus der Zeit vor Einführung der aktiven Kombinationstherapien gegen HIV stammen. Zum damaligen Zeitpunkt bzw. in den vorliegenden Studien seien die Patienten mit Monotherapien gegen HIV (vorwiegend Zidovudin) behandelt worden. Gemäß klinischen Studien sei diese Monotherapie relativ ineffektiv, da es schon nach verhältnismäßig kurzer Zeit zur Resistenzentwicklung des Virus und damit zu einer klinischen Unwirksamkeit der Therapie komme. Daher sei bei der Monotherapiebehandlung in den frühen 90-iger Jahren bei HIV-Patienten eine nach wie vor hohe Rate von opportunistischen Infektionen und anderen Komplikationen zu beobachten gewesen. Zu diesem Zeitpunkt (also vor 1995/1996) habe sich der dringende Bedarf nach weiteren therapeutischen Optionen der anhaltend kranken HIV-Patienten gestellt. Den hier zu prüfenden Fall, dass der Patient mit antiretroviraler Kombinationstherapie zusätzlich mit Immunglobulinen behandelt werde, habe keine einzige der Studien zum Gegenstand. Randomisierte Studien mit validierten und tragfähigen Ergebnissen zur Immunglobulingabe neben einer antiretroviralen Kombinationstherapie seien dem Beklagten nicht bekannt und seien von der Klägerin auch nicht vorgetragen.

Mit weiterem Schreiben vom 11.02.2013 hat der Beklagte vorgetragen, dass er der Klägerin die Möglichkeit eingeräumt habe zur Vorbereitung einer Ausschutzsitzung substantiiert darzulegen, für welche Erkrankungen die Immunglobuline unter Bezugnahme auf die damals verschlüsselten Diagnosen, konkret verordnet worden seien. Die hierzu erstellte Patientenauflistung habe auch diejenigen Patienten umfasst, deren Verordnungen das SG A-Stadt zum Erlass der 39 Gerichtsbescheide zu Ungunsten der Klägerin veranlasst habe. Die Klägerseite habe hierzu mit Schreiben vom 17.09.2012 Unterlagen eingereicht, die in keinster Weise den Anforderungen an eine ausreichende Dokumentation genügen würden.

Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat hierzu mit Schriftsatz vom 04.03.2013 näher vorgetragen. Der Beklagtenvertreter habe erneut die falsche Prämisse bemüht, es bedürfe labortechnischer Auswertung, anhand derer man Antikörpermangelsyndrome nachweisen könne. „Das“ Antikörpermangelsyndrom sei von der Begrifflichkeit in der medizinischen Wissenschaft nicht bekannt. Es gebe vielmehr sehr viele verschiedene Antikörpermangelsyndrome. Weit mehr sekundäre als primäre Antikörpermangelsyndrome. Soweit es sich um ein quantitatives Antikörpermangelsyndrom handle, sei dies labortechnisch nachweisbar. Beim hier streitgegenständlichen qualitativen Antikörpermangelsyndrom sei der labortechnische Nachweis nicht möglich und überdies auch nicht erforderlich. Den zahlreichen Studien, dem Stand der medizinischen Wissenschaften, den Stellungnahmen des Prof. Dr. R. und auch denen des PEI sei zu entnehmen, dass nur bei HIV-Patienten (insbesondere und ausnahmsweise und auf den individuellen Einzelfall bezogen) ein qualitatives Antikörpermangelsyndrom dann mit der Erkrankung (in fortgeschrittener Krankheitsphase) einhergehe, wenn in der Klinik dieser Patienten vermehrt auftretende Infekte, die durch eine Insuffizienz des sog. B-Zell-Systems begünstigt würden, beobachtet und dokumentiert werden könnten. Hierzu würden vor allem bronchopulmonale Infekte, Sinusitiden, Infektionen des Urogentitaltraktes und Abszesse, wie sie durch die Klägerin dokumentiert worden seien, fehlen. Der Nachweis sei der klinische Verlauf bei diesen Patienten. Der Beweis, dass diese Störungen nicht auf die HIV-Infektion, sondern auf dem Antikörpermangelzustand beruhen, sei durch die folgende Unterscheidung leicht zu erbringen. Bei den vorliegenden Infektionen handle es sich nicht um HIV-bedingte sog. opportunistische Infektionen. Es gehe vielmehr um solche vermehrt auftretende Infekte, die durch eine Insuffizienz des sog. B-Zell-Systems begünstigt würden. Zu den opportunistischen und damit AIDS-definierenden Erkrankungen würden vielmehr solche Infekte zählen, wie sie in der Anlage unter der Kategorie C aufgeführt seien.

V.

Der Beigeladene zu 2) (in den Verfahren L 12 KA 24/12 und L 12 KA 37/12)hat mit Schreiben vom 24.09.2001 Antrag auf Prüfung der ärztlichen Verordnungsweise in Einzelfällen im Quartal 4/2000 der Klägerin gestellt.

Der Prüfungsausschuss hat mit Bescheid vom 08.07.2002 gegen die Klägerin einen Regress bei den Einzelverordnungen in Höhe von 34.305,94 € (= DM 67.096,60) festgesetzt. Der Prüfungsausschuss habe eine Einzelfallprüfung durchgeführt und bestätige zum Teil die vom Beigeladenen zu 2) getroffenen Feststellungen hinsichtlich der unwirtschaftlichen Verordnungsweise. Die Vertragsärzte hätten in den streitgegenständlichen Fällen neben der Immunglobulingabe mittels Octagam auch eine antiretrovirale Therapie durchgeführt. Die Kombination von Immunglobulinen mit antiretroviralen Substanzen entspreche nicht den Empfehlungen der DAGNÄ zur HIV-Therapie. In den Fällen E.M. und R.-F.B. sei eine Unwirtschaftlichkeit dagegen nicht festzustellen, da keine antiretrovirale Therapie durchgeführt worden sei. Hiergegen richtet sich der Widerspruch vom 10.08.2002, der mit Schriftsatz vom 07.02.2003 näher begründet wurde. Der Prüfungsausschuss komme in dem streitgegenständlichen Prüfbescheid zu dem Ergebnis, dass die Vertragsärzte unwirtschaftliche Verordnungen getätigt hätten, da der Einsatz von Immunglobulinen neben antiretroviralen Medikamenten nicht den Empfehlungen der DAGNÄ e.V. zur HIV-Therapie entspreche. Die Empfehlungen dieses Privatvereins seien aber nicht geeignet, das für die Vertragsärzte bestehende Wirtschaftlichkeitsgebot zu konkretisieren (Hinweis auf Schriftsatz der Anwaltskanzlei Wartensleben vom 08.05.1999). In den vorliegenden Fällen werde die streitgegenständliche Therapie von den Arzneimittelrichtlinien umfasst. Nach der Nr. 20 AMR dieser Richtlinien dürften Impfstoffe und/oder Immunglobulin-Präparate insbesondere bei immunsuprimierten Patienten und bei Patienten mit Immundefekt verordnet werden, wenn nach wissenschaftlicher Erkenntnis hierdurch ein Krankheitsausbruch mit großer Wahrscheinlichkeit verhindert werden könne. Die medizinische Notwendigkeit dieser Behandlung ergebe sich in den vorliegenden Fällen daraus, dass die betroffenen Patienten neben einer fortgeschrittenen HIV-Infektion an anderen Erkrankungen leiden und zur Prophylaxe dieser bakteriellen und viralen Erkrankungen eine Immunglobulintherapie erforderlich sei. Das HI-Virus zerstöre das menschliche Immunsystem. Bei entsprechender Ausbreitung des Virus versterbe der Patient an den sog. opportunistischen Erkrankungen, die als Folge seiner Immunschwäche nicht mehr bekämpft werden könnten. Seit Anfang 1997 werde die hochaktive antiretrovirale Kombinationstherapie eingesetzt. Unbestritten habe diese Therapie zu einer deutlichen Reduktion der HIV-assoziierten Morbidität und Mortalität geführt. Gleichwohl könne AIDS unverändert nicht als heilbare Krankheit eingestuft werden. Mit einer antiretroviralen Kombinationstherapie könne keine ausreichende Medikation für die HIV-Erkrankung erfolgen, aber ein Hinauszögern im Stadium AIDS in vielen Fällen erreicht werden. Nach Eindringen des Virus in den menschlichen Blutkreislauf würden sich die Viren an die Oberfläche des CD4-Lymphozyten (zentrale Schaltzellen des Immunsystems) anheften, in die Zelle eindringen und ihre genetische Information an das genetische Material im Zellkörper infizieren. Würden die so befallenen CD4-Lymphozyten durch andere Erreger (Bakterien, Viren, Pilze) aktiviert, würden sie mit der Produktion von HI-Viren beginnen und dadurch zerstört. Da sich das menschliche Immunsystem täglich mit einer Fülle von in den Körper eindringenden Keimen auseinandersetzen müsse, würden täglich CD4-Lymphozyten aktiviert und würden dadurch täglich neue HI-Viren bilden. Täglich würden Milliarden neuer Viren gebildet und Milliarden CD4-Lymphozyten zerstört. Dies führe schließlich zu einer Erschöpfung der Zellenneuproduktion im Knochenmark, die CD4-Lymphozytenzahl nehme ab. HIV-assoziierte Erkrankungen, opportunistische Infektionen oder bösartige Tumore würden über kurz oder lang zum Tod des Patienten führen. Mittels HAART könne zurzeit ein Fortschreiten der Erkrankung für fünf bis acht Jahre verhindert werden. Durch die Gabe antiretroviraler Kombinationspräparate könne das Eintreten des Endstadiums AIDS hinausgezögert werden. Wenn man sich den Verlauf einer HIV-Infektion als einen Zug vorstelle, der auf einen Abgrund (Tod durch AIDS) zufahre, so gebe die CD4-Zellzahl den Abstand zum Abgrund an. Die Höhe der Virusbelastung zeige die Geschwindigkeit an, mit der sich der Zug auf den Abgrund zubewege. Hinzu komme, dass es sich bei der HAART um eine Therapie handele, die sich erst seit gut fünf Jahren im Einsatz befinde. Vor dem Hintergrund der Kürze der Erfahrungszeit mit dieser Therapie lasse sich die Frage, ob sich letztendlich unter einer fortlaufenden HAART über viele Jahre/Jahrzehnte eine HIV-Infektion stabilisieren lasse, derzeit nur spekulativ beantworten. Resistenzen, die immerhin 50% der Patienten, die derzeit HAART nehmen würden, bereits betreffen, Kombinationsschwierigkeiten und vor allen Dingen Langzeitnebenwirkungen würden die entsprechend andauernde Erfolgsrate antiretroviraler Therapieformen limitieren. Vor diesem Hintergrund seien die Vertragsärzte über die Verordnung von Immunglobulinen bei HIV-Erwachsenen per Rundschreiben vom 04.07.1994 über die KVB beraten worden. Diese Beratung sei zu keinem Zeitpunkt widerrufen oder korrigiert worden. Über viele Jahre hinweg seien die Kosten der streitbefangenen Therapie anstandslos übernommen worden. Der so geschaffene Vertrauenstatbestand stehe einem Regressanspruch entgegen. Selbst wenn in den vorliegenden Fällen man einen Off-Label-Use des gebrauchten Präparats Octagam annähme, wäre eine zulassungsüberschreitende Verordnung nicht ausgeschlossen. Nach dem Urteil des BSG (Urteil vom 19.03.2002, B 1 KR 37/00 R) sei die Verordnung eines Medikaments in einem von der Zulassung nicht umfassten Anwendungsgebiet möglich, wenn es um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer beeinträchtigenden) Erkrankung gehe, wenn keine andere Therapie verfügbar sei und wenn aufgrund der Datenlage die begrenzte Aussicht bestehe, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden könne. Damit Letzteres angenommen werden könne, müssten Forschungsergebnisse vorliegen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden könne. Davon könne ausgegangen werden, wenn entweder die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt sei und die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht seien und eine klinische relevante Wirksamkeit bzw. einen klinischrelevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht seien, die über die Qualitätswirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen enthalten und aufgrund derer in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorangegangenen Sinne bestehe, die entsprechenden Studien seien bekannt. Nicht zuletzt aufgrund dieser Datenlage sei den Vertragsärzten zur Verordnung mit Immunglobulinen bei HIV-Erwachsenen geraten worden. Die von der DAGNÄ e.V. aufgestellten Kriterien seien ebenfalls bekannt. Auch das dritte von der Rechtsprechung herangezogene Kriterium, nämlich ein nach den Grundsätzen der medizinischen Wissenschaft zu erwartender Behandlungserfolg, sei hier anzunehmen. Die Klägerin habe bezüglich des Patienten K.Sch. erfolgreich einen Eilantrag auf Gewährung der Immunglobulintherapie gestellt (vgl. Beschluss des Sozialgerichts München, Az.: S 44 KR 871/02 ER, bestätigt durch Beschluss des BayLSG, Az.: L 4 B 381/02 KR ER).

Der Beklagte hat mit Widerspruchsbescheid vom 20.11.2003 den Widerspruch zurückgewiesen. Der Beklagte habe im vorliegenden Fall die Einzelfallprüfung als sachgerechte Prüfmethode gewählt. Der Beklagte sehe sich in der Lage, auf der Grundlage des Gutachtens von PD Dr. R. vom 03.01.2001 und von Prof. Dr. D. vom 06.07.2000 zu entscheiden. Die Klägerin würde eine - in einigen Fällen unzureichende - antiretrovirale Therapie, häufig in fixer Kombination mit IVIG (intravenösem Immunglobulin) verwenden. Bereits die DAGNÄ-Empfehlungen vom Oktober 1996 würden den Einsatz von intravenösen Immunglobulinen auf wenige ganz bestimmte Krankheitsbilder und Komplikationen beschränken. hierbei handele es sich um Empfehlungen ohne allgemeinverbindlichen Charakter, die DAGNÄ-Empfehlungen spiegeln aber den damaligen Diskussionsstand der HIV-Behandlung mit Immunglobulinen wider. Die Empfehlungen der DAGNÄ würden eine Kombination aus Immunglobulintherapie und antiretroviraler Therapie nicht generell ausschließen, sie aber auf wenige Ausnahmefälle beschränken. Demgegenüber sei eine unkritische, über Monate bzw. Quartale gehende regelmäßige Substitution ohne jeglichen Anhaltspunkt für die therapeutische Wirksamkeit nicht geeignet, die Kriterien dieser Zulassung auch nur im Geringsten zu erfüllen. Nach Auffassung des PEI sei keines der in Deutschland zugelassenen Immunglobuline für die Anwendung bei erwachsenen AIDS-Patienten zugelassen und die Indikation weltweit als nicht durch klinische Studien belegt anzusehen. Die Beklagte gibt auch die von ihm geteilte Auffassung des MDK/MDS von Herrn Wolfgang Wilms, Referat Pharmakologie zur Verordnung von HIV-Immunglobulinen bei erwachsenen HIV-Patienten in der GKV wieder, wonach die Anwendung von Immunglobulinen für bestimmte HIV-/AIDS-assoziierte Krankheitsbilder bei Erwachsenen keine zugelassene Indikation sei. Voraussetzung für die Leistungspflicht der GKV sei der vom Bundessozialgericht präzisierte Begriff des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Kenntnisse unter Berücksichtigung des medizinischen Fortschritts. Das Urteil des BSG vom 23.07.1998 nenne als konkrete Bedingung für die Verordnungsfähigkeit zulasten der GKV die „arzneimittelrechtliche Zulassung“. Auch das RKI (Robert-Koch-Institut) wird mit der Feststellung zitiert, dass eine offizielle Empfehlung zur Immunglobulin-Therapie der HIV-Infektion bei Erwachsenen nicht existiere und sich diese überlebt habe. Die internationale Studienliteratur belege Therapieversuche bei HIV/AIDS mit polyvalenten Immunglobulinen bei Erwachsenen. Dieser Weg sei jedoch mangels Erfolg weitgehend verlassen worden. In seinem Gutachten vom 06.07.2000, erstellt für das Quartal 3/1997, führe Prof. Dr. D. aus, dass die Gabe von Immunglobulinen nur als Prophylaxe verstanden werden könne, wofür es keine Indikation gebe. Die pauschalen Begründungen seien in den einzelnen Fällen nicht ausreichend, um eine Indikation zu rechtfertigen. Weiterhin verweise Prof. Dr. D. auf die Empfehlungen der DAGNÄ für die HIV-Behandlung und die dort aufgeführten Krankheitsbilder, bei denen die Gabe von Immunglobulinen ausnahmsweise indiziert sei. Bei den angeführten Patienten bzw. Begründungen seien diese Krankheitsbilder durchgängig nicht enthalten. Standard der HIV-Behandlung sei die Kombination mehrerer wirksamer antiretroviraler Medikamente einschließlich Proteasehemmern. Die Gabe von Immunglobulinen bei HIV-Infektion sei mit Ausnahme der ITP-ähnlichen Thrombozytopenie wegen mangelnder Effektivität völlig verlassen worden. Angesichts der Gefahren und Kosten, die einer nicht bewiesenen Therapiewirksamkeit gegenüberstünden, könne es zum Schutz der Patienten nur eine Entscheidung bei der HIV-Infektion geben, nämlich die Immunglobuline nicht zu verabreichen, es sei denn, es liege eine wissenschaftlich begründete Indikation vor. Der Gegengutachter PD Dr. R. habe die im Gutachten von Prof. Dr. D. getroffenen Feststellungen nicht detailliert entkräftet, komme aber pauschal zu dem Ergebnis, dass die Begründung des Prüfungsausschusses - die DAGNÄ-Kriterien für die IVIG-Gabe sei nicht erfüllt - nicht greife. PD Dr. R. bringe lediglich eine Auflistung der Indikationen, ohne aber auf die Zulassungssituation einzugehen. Der Beklagte habe die vom Prüfungsausschuss beanstandeten Patienten nach Kassenzugehörigkeit erfasst, danach die Verordnungszeiträume und die Diagnosen benannt, letztendlich die gutachterlichen Stellungnahmen gegenübergestellt und aus dieser Gesamtübersicht eine Entscheidung getroffen. Der Widerspruchsbescheid befasst sich sodann mit den streitgegenständlichen Patienten, indem er die getätigten Arzneiverordnungen im Quartal 4/2000 aufführt, die Begründung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin für die Verordnung der Immunglobuline, soweit vorhanden, die Ausführungen in den Gutachten des Prof. Dr. D. bzw. PD Dr. R. aufführt und sodann die Bewertung des Beklagten hierzu darlegt. Danach rechtfertige die hochaktive retrovirale Therapie in Verbindung mit den Diagnosen der Abrechnung ohne weitere Gabe von Antibiotika und ohne weitere Angaben einer Therapie mit IVIG nicht. Insgesamt stellt der Beklagte fest, dass nach dem Quartal 3/1997 keine neueren Daten zu den HIV-Patienten vorliegen würden. Dies sei von Dr. L. in der Sitzung damit begründet worden, dass es zu diesen Patienten keine neuen Erkenntnisse gebe. Allein schon vom medizinischen Standpunkt betrachtet, erscheine es dem Ausschuss jedoch wenig glaubhaft, dass sich innerhalb eines derart langen Zeitraums seit dem Quartal 3/1997 am Zustand des Patienten nichts geändert haben solle.

Hiergegen richtet sich die Klage der Klägerin vom 15.12.2003 zum Sozialgericht München, die mit Schriftsätzen vom 29.09.2008 näher begründet wurde. Die Prozessbevollmächtigte verweist zunächst vollumfänglich auf die Ausführungen im Verfahren S 38 KA 995/08. Der Patient H.F. (S 38 KA 984/08) befinde sich in weit fortgeschrittenem Stadium der HIV-Infektion. Er leide zusätzlich seit 9/1993 an rezidivierenden Gastroenteritiden, die praktisch dauernd bestanden hätten, ohne Erregernachweis. Im Jahre 1991 habe er sich einer zweimaligen Operation wegen Harnblasenkarzinoms unterziehen müssen. Es handle sich um einen Patienten der Kategorie 4 der DAGNÄ-Empfehlungen, da ein Auslassversuch im Jahr 1999 zu einer dokumentierten Zunahme weiterer Infektionen geführt habe.

Der Patient G.G. (S 38 KA 985/08) sei ein AIDS-Patient der Kategorie 1 der DAGNÄ-Richtlinien. Seit 1991 leide er an gehäuften oberen Atemwegsinfektionen. In der Folge an Onychomykose, Polyneuropathie, Pneumocystiscarinii, orale Haarleukoplakie, Colitis, rezidivierende Pyodermien, Kaposi-Sarkom, Pneumocystiscarinii-Pneumonierezidiv, Wasting-Syndrom, Pneunocystiscarinii-Pneumonie, Salmonellen, Sepsis, Pilzpneumonie, pseudobremnanöse Colitis, Pneumocystiscarinii-Pneumonie und Kyptosporidiencolitis. Seit Ende 1991 erhalte der Patient eine antiretrovirale Therapie. Seit 7/1995 zusätzlich eine intravenöse Immunglobulintherapie. Seit Jahren sei bekannt, dass seit der Gabe von IVIG sämtliche zusätzlichen (AIDS-definierenden) Infekte drastisch zurückgegangen seien.

Der Patient J.K. befinde sich ebenfalls in weit fortgeschrittener Krankheitsphase der HIV-Infektion, es handle sich um einen Patienten der Kategorie 1 der DAGNÄ-Empfehlungen und die zusätzliche Gabe sei bei virologischem Therapieversagen der antiretroviralen Medikamente zweifelsfrei indiziert gewesen. Der Patient J.K. erhalte die streitgegenständliche Therapie seit 10/1997. Weiter sei auf die widersprüchliche Stellungnahme des Beklagten einerseits im Widerspruchsbescheid vom 22.04.2004 im Vergleich zu dem hier streitgegenständlichen Widerspruchsbescheid vom 20.11.2003 hinzuweisen, wonach in dem ersteren Bescheid maßgeblich auf die DAGNÄ-Empfehlungen abgestellt werde, während der streitgegenständliche Widerspruchsbescheid diese nur auf ganz bestimmte wenige Erkrankungen beschränke. Im vorliegenden Fall J.K. sei die Gabe von IVIG auch durch die Krankenkasse gedeckt worden (vgl. Schreiben der GEK vom 11.05.2001), es sei allerdings ein Auslassversuch gefordert worden. Dies bedeute, dass der Vertragsarzt eine bestens funktionierende Therapie unterlassen müsse, um mit einer erneuten Verschlechterung des Krankheitsbildes den Benefit der dann unterlassenen Therapie zu beweisen. Dieses unethische Experiment könne bei einem lebensbedrohlich Erkrankten mit dramatischen Folgen behaftet sein.

Im Falle S.L. (S 38 KA 987/08) handele es sich um einen Patienten der Kategorie 3 der DAGNÄ-Empfehlungen. Er befinde sich im weit fortgeschrittenen Stadium der HIV-Infektion und leide seit 1990 an häufig rezidivierenden oberen Atemwegsinfekten, rezidivierendem Herpes simplex, progredienter Neuropathie, oraler Haarleukoplakie und multisegmentalem Herpes zoster. Seit Einsatz der Immunglobulintherapie (6/1995) habe ein deutlicher Rückgang der oberen Atemwegsinfekte und Herpessimplex-Infektionen dokumentiert werden können. Nachdem die Klägerin die streitgegenständliche Verordnung unter wirtschaftlichem Druck hätten unterlassen müssen, sei der Patient nicht mehr in der Praxis erschienen, so dass der weitere Krankheitsverlauf nicht bekannt sei.

Der Patient A.P. befinde sich im Stadium CDC C 3, der schlechtesten klinischen Kategorie der HIV-Infektion mit dem Vollbild AIDS. Es handele sich um einen Patienten der Kategorie 1 der DAGNÄ-Empfehlungen. Nach Pneumocystiscarinii-Pneumonie, Pseudomonas-Pneumonie, Staphylococcusaureus-Sepsis, Mykobakterium avium Infektion mit Wasting-Syndrom (54 kg bei einer Größe von 1,82 m) hätte sich die Klägerin nach einer akuten nekrotisierenden Pankreatitis und akutem Nierenversagen zur Gabe von IVIG (seit 4/1995) entschlossen. Seit diesem Zeitpunkt habe ein deutlicher Rückgang sämtlicher Infektionen verzeichnet werden können.

Der Patient K.Sch. (S 38 KA 989/08) sei im September 2004 an den Folgen seiner AIDS-Erkrankung verstorben. Er sei multiresistent gewesen und habe nur noch über wenige Helferzellen verfügt. Die Krankenkasse habe weder die Kosten der genotypischen noch der phänotypischen Resistenztestung übernommen. Einem Antrag auf einstweilige Anordnung der Fortführung der Immunglobulintherapie sei vom Sozialgericht München (S 44 KR 871/02 ER) - bestätigt durch Beschluss des BayLSG (L 4 B 381/02 KR) - stattgegeben worden.

Bezüglich der Patientin A.T. werde vollumfänglich auf die Ausführungen im Verfahren S 38 KA 995/08 (Schriftsatz vom 19.09.2008) und im Verfahren S 38 KA 964/08 verwiesen.

Der Patient H.T. (S 38 KA 991/08) befinde sich im Stadium AIDS der HIV-Erkrankung. Er leide seit 1997 an Neuropathie. Es handle sich um einen Patienten der Kategorie 3 der DAGNÄ-Empfehlungen. Seit der Gabe von IVIG (8/1997) hätte sich ein deutlicher Rückgang der zuvor bestehenden rezidivierenden Sinusitiden und Bronchitiden ereignet.

Das Sozialgericht München hat mit Gerichtsbescheiden vom 11.01.2012 (S 38 KA 984/08 - S 38 KA 991/08) die Klagen abgewiesen. In den Verfahren sei zu klären, ob das Immunglobulin (Octagam) im Quartal 4/2000 bei den streitgegenständlichen Patienten verordnungsfähig gewesen sei und unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots gemäß den §§ 2 Abs. 1, 12 SGB V von der Klägerseite verordnet worden sei. Die Patienten seien bereits mehrere Jahre zuvor in der klägerischen Praxis behandelt worden und seien am HI-Virus erkrankt (gewesen). Sie hätten in dem streitigen Quartal neben der sog. antiretroviralen Therapie auch eine Immunglobulintherapie mit dem Präparat „Octagam“ erhalten. Zunächst sei für das Präparat „Octagam“ die Frage der arzneimittelrechtlichen Zulassung zu klären. Denn Präparate, die nach § 21 Abs. 2 AMG arzneimittelrechtlich zugelassen seien, würden grundsätzlich als zweckmäßig und wirtschaftlich im Sinne der §§ 2 Abs. 1 Satz 1, 12 Abs. 1 SGB V gelten und seien daher von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung mitumfasst. Bei keiner arzneimittelrechtlichen Zulassung nach § 21 Abs. 1 AMG bestehe mangels Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit auch keine Verordnungsfähigkeit, es sei denn, es lägen die Voraussetzungen für einen „Off-Label-Use“ bzw. für eine verfassungskonforme Auslegung leistungseinschränkender Vorschriften des SGB V vor. Gerade in jüngster Zeit hätten sich mehrere Entscheidungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung mit der Verordnungsfähigkeit von Immunglobulinen befasst (BayLSG, Urteil vom 31.07.2007, Az.: L 5 KR 352/05; Entscheidung des BSG vom 20.11.2007, Az.: B 1 KR 118/07 B; Entscheidung des BVerfG vom 07.04.2008; Az.: BvR 550/08; BSG, Urteil vom 28.02.2008, Az.: B 1 KR 15/07 R; BSG, Urteil vom 05.05.2010, Az.: B 6 KA 6/09 R; BVerfG, Entscheidung vom 30.06.2008, Az.: 1 BvR 1665/07). Den oben genannten Entscheidungen sei gemeinsam, dass sie - wie auch die Vorinstanzen - davon ausgehen, dass die Immunglobuline nicht zur Behandlung von an HIV erkrankten erwachsenen Patienten zugelassen seien. In den Entscheidungen sei daher darüber zu befinden gewesen, ob ausnahmsweise die Voraussetzungen des Off-Label-Use gegeben seien oder ob ausnahmsweise im Wege der verfassungskonformen Auslegung leistungsbeschränkender Vorschriften des SGB V gleichwohl eine Verordnungsfähigkeit zu bejahen sei. Nach gefestigter Rechtsprechung zum Off-Label-Use (vgl. BSG, Urteil vom 27.03.2007, Az.: B 1 KR 30/06 R) bestehe eine Verordnungsfähigkeit zulasten der GKV, wenn es um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung gehe, wenn keine andere Therapie verfügbar sei und wenn aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht bestehe, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden könne. Ebenfalls entstehe eine Verordnungsfähigkeit bei Anwendung der verfassungskonformen Auslegung leistungsbeschränkender Vorschriften des SGB V, die seit der sog. Nikolausentscheidung des BVerfG (Entscheidung vom 06.12.2005, Az.: 1 BvR 347/98) zusätzlich Anwendung finde. Danach sei vorauszusetzen, dass eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung (= Notstandsindikation) vorliege, eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende medizinische Behandlung bzw. Verordnung nicht zur Verfügung stehe und nicht auszuschließen sei, dass mit der Therapie oder Methode eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bestehe. Ob das Präparat zugelassen sei, ergebe sich aus dem Bescheid des PEI bzw. aus der jeweiligen Fachinformation. Zum Zeitpunkt der Verordnung (Quartal 4/2000) habe noch nicht die mit Änderungsbescheid vom 07.01.2002 (PEI) modifizierte Zulassungssituation für Octagam gegolten. Der Indikationsbereich lautete wie folgt: „Substitutionstherapie bei primären und sekundären Antikörpermangelzuständen sowie zur Vorbeugung und Behandlung von Infektionen, die bei diesen Krankheiten auftreten“. Zusätzlich werden Immunglobuline auch zur Kontrolle oder Veränderung der individuellen Immunantwort eingesetzt, z. B. bei ITP:

1. Primäre Antikörpermangelzustände:

- Kongenitale Agammaglobulinämie und Hypogammaglobulinämie,

- variables Immundefektsyndrom,

- schweres kombiniertes Immundefektsyndrom,

2. Wisskott-Aldrich-Syndrom.

Ideopathische thrombozytopenische Purpura (ITP), insbesondere in akuten Fällen bei Kindern.

3. IGIV wird bei sekundären Immunmangelkrankheiten unter folgenden Bedingungen angewendet:

- Chronische lymphatische Leukämie (CLL).

Der Eingangssatz sei mit dem Änderungsbescheid vom 07.01.2002 gestrichen worden, die Aufzählung der Indikationen ohne den Eingangssatz sei somit ab dem Zeitpunkt der Änderung abschließend. Ob vor dem 07.01.2002 - also Fassung mit dem Eingangssatz - die Aufzählung nicht abschließend gewesen sei und die unter den Ziffern 1 und 3 genannten Indikationen lediglich beispielhaft für primäre bzw. sekundäre Antikörpermangelzustände gewesen seien, lasse sich daraus nicht herleiten, genauso wenig wie das Gegenteil. Denn es könnte sich sowohl um eine echte Änderung als auch lediglich um eine klarstellende Änderung der Zulassungssituation handeln. Als Zwischenergebnis sei festzuhalten, dass Octagam expressis verbis nicht für an HIV erkrankte erwachsene Patienten zugelassen gewesen sei. Eventuell sei das Mittel aber für die mit der HIV-Erkrankung einhergehenden Begleitsymptome, insbesondere im Sinne von sekundären Immunmangelzuständen - für den Fall, dass die Aufzählung nicht abschließend sein sollte - verordnungsfähig oder zumindest als zulässiger „Off-Label-Use“ anzusehen bzw. aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. dem Sozialstaatsprinzip (BVerfG, Beschluss vom 06.12.2005, Az.: 1 BvR 347/98) die Verordnungsfähigkeit abzuleiten. Soweit eine Prüfung der Verordnungsfähigkeit außerhalb des Zulassungsbereichs zu erfolgen habe, sei fraglich, ob das sekundäre Antikörpermangelsyndrom eine eigenständige und hinreichend spezifische Erkrankung sei, die abgegrenzt von der Haupterkrankung behandelt werden könne und müsse (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.2010, Az.: B 6 KA 6/09 R). Zweifel bestünden ferner, ob die positive Wirkung des Immunglobulins hinreichend belegt sei (vgl. BayLSG, Urteil vom 31.07.2007, Az.: L 5 KR 352/05). Abgesehen davon sei nicht jede Verbesserung der Lebensqualität von der Ausweitung des Leistungsanspruchs erfasst (vgl. BSG, Urteil vom 13.10.2010, B 6 KA 48/09 R). Letztendlich könne dahinstehen, ob eine Diagnose vorliege, für die „Octagam“ zugelassen oder ein Ausnahmetatbestand gegeben sei, der zur Verordnungsfähigkeit führe. Denn in jedem Fall müsse sich die Notwendigkeit der Verordnung aus der Diagnose ergeben, die ihrerseits, soweit sich die Klägerseite auf einen schweren Immundefekt berufe, durch labortechnische Untersuchungen abzustützen sein. Dies gelte erst recht bei Verordnung von Medikamenten, die im Zusammenhang mit einer HIV-Infektion und/oder dem damit einhergehenden Begleitsymptom stehen, deren Verordnungsfähigkeit für die angeführten Diagnosen bekanntermaßen nicht eindeutig feststehe und die einen erheblichen Kostenfaktor darstelle. Dem Behandler obliege eine Darlegungs- und Beweislast, an die um so größere Anforderungen zu stellen seien, um so wahrscheinlicher die Verordnungsfähigkeit eines Medikaments nur ausnahmsweise zu bejahen sei. Unklar sei hier bereits, für welche Diagnose/Diagnosen „Octagam“ verordnet worden sei (für die HIV-Erkrankung zusätzlich zur HAART? Für welche Diagnosen?) geschweige denn sei nicht bekannt, dass die Diagnosen, soweit sie nach Auffassung der Klägerseite auf einen schweren Immundefekt hindeuten sollten, durch geeignete laborchemische Untersuchungen verifiziert worden seien. Der Klägerin sei auch die Ausnahmekonstellation bewusst gewesen, die sich daraus ergebe, dass nur bei wenigen HIV-Patienten Immunglobuline eingesetzt worden seien. Es wäre ihre Aufgabe gewesen, genau herauszuarbeiten, zu dokumentieren und geeignete Angaben zu machen, warum gerade in den streitgegenständlichen Fällen mit den Diagnosen die Verordnung von Immunglobulinen medizinisch indiziert gewesen sei. Damit lasse sich der Sachverhalt nicht in erforderlichem Umfang aufklären, was letztendlich zulasten der Klägerin gehen müsse.

Hiergegen richten sich die Berufungen vom 10.02.2012 zum Bayerischen Landessozialgericht. In der Sache handele es sich um ein Parallelverfahren zu dem bereits beim Bayerischen Landessozialgericht anhängigen Berufungsverfahren L 12 KA 109/08. In diesem Verfahren - hier hätte die Klägerin erstinstanzlich zur Gänze obsiegt - sei ein dem Wortlaut nach identischer Widerspruchsbescheid ebenfalls vom 20.11.2003 streitgegenständlich. Habe das Sozialgericht hier die Auffassung vertreten, dass dieser Widerspruchsbescheid hinsichtlich seiner Begründung nicht den Anforderungen des § 35 Abs. 1 SGB X genüge, sehe sich der Vorsitzende der 38. Kammer nunmehr veranlasst, im Rahmen einer konsequenten Fortentwicklung der Rechtsprechung anderslautend zu entscheiden. Unabhängig von der Tatsache, dass die Entscheidung des BSG im Verfahren B 6 KA 6/09 R auf die hier streitgegenständlichen Verfahren nicht im Ansatz zur Anwendung gelangen könne, weil es um eine nicht vergleichbare Erkrankung gehe, sei nicht erkennbar, dass die aktuelle Rechtsprechung des BSG einen Widerspruchsbescheid aus dem Jahre 2003, dem es ersichtlich an einer Begründung fehle, gerade zu einer solchen zu verhelfen geeignet sei.

Nach erfolglosem Güteverfahren hat der neu bestellte Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 15.09.2014 vorgetragen, dass in den überlassenen vollständigen Akten die zugrundeliegende Klage nicht enthalten sei, z. B. bei L 12 KA 17/12. Vorsorglich werde die Einrede der Verjährung erhoben. Für die Einrede gelte die 4-jährige Verjährungsfrist. Allein die Zeitspanne zwischen dem Erlass des Widerspruchsbescheides des Beklagten am 20.11.2003 bis zur erstmaligen Referenz zur Klageerhebung am 22.07.2008 übersteige diese Zeitspanne. Auch ein Nichtbetreiben des Verfahrens von Klageerhebung im Dezember 2003 bis zur teilweise erstmaligen Referenz zur Klageerhebung im Juli 2008 lasse den Lauf der Verjährung wieder aufleben und habe somit das Ergebnis der berechtigten Einrede der Verjährung zur Folge. Auch übersteige die Zeitspanne der Sitzung/Verhandlung des Beklagten und der Ausfertigung und Übersendung dieser Entscheidung vom 24.06.2003 bis 20.11.2003 die Fristenvorschrift von einer maximalen Zeitspanne von drei Monaten des § 8 der Prüfungsvereinbarung für den Beklagten. Der Einwand der Verfristung sei insoweit weiter begründet, als die angefochtenen Widerspruchsbescheide im November 2003 Abrechnungsquartale zurück bis zum 4. Quartal des Jahres 2000 betreffen, also bis zu ca. drei Jahre verstrichen seien, bis der Beklagte die angefochtenen Widerspruchsbescheide gegen die Kläger erlassen und zugestellt habe. Zudem sei zwischen dem Zugang der beanstandeten Verordnung/Abrechnung und dem Zugang des Prüfbescheides ein Zeitraum von mehr als zehn Monaten gelegen. Die Rechtsbeziehungen zwischen Krankenkassen und Krankenhäusern stehe unter dem Grundsatz von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB. Der Prüfungsabschluss eines Leistungsfalles mehr als zehn Monate nach Übersendung der Rechnung sei ein Verstoß gegen Treu und Glauben mit der Rechtsfolge, dass kein Rückforderungsanspruch geltend gemacht werden könne. Nichts anderes könne für die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen zu den Kassenärzten und die in diesem Rechtsverhältnis vom Beklagten für die beigeladenen Krankenkassen geltend gemachten Regressansprüche gelten. Der mit der Festsetzung des Regresses der Klägerin in den derzeit wohl ca. 550 Einzelverfahren verbundene Ruin der Klägerin sei unter dem Gesichtspunkt der im Rahmen der vom Beklagten zu prüfenden Ermessensentscheidung nicht berücksichtigt worden. Angesichts der in den genannten Verfahren zwischenzeitlich seitens des Beklagten behaupteten Regressansprüche in Höhe von ca. 3.858.000,- € dürfte die wirtschaftliche Gefährdung der Klägerin im Sinne des § 106 Abs. 5c SGB V außer Frage stehen. Dennoch habe sich der Beklagte in der Beschwerdeausschusssitzung am 24.06.2003, in der die angefochtene Entscheidung getroffen worden sei, mit der Frage der wirtschaftlichen Gefährdung der Klägerin nicht einmal am Rande befasst. Hinsichtlich des medizinischwissenschaftlichen Vortrags zur Angemessenheit der Verordnung von Immunglobulinen (hier Octagam) sei darauf hinzuweisen, dass die bisherigen Entscheidungen des Beklagten wie des erstinstanzlichen Gerichts rechtsfehlerhaft davon ausgehen, dass die Verordnung dieses Präparates nicht geeignet gewesen sei, die zugrundeliegende HIV-Infektion bzw. bestehende Aids-Erkrankung zu behandeln. Die Verordnung des Präparats sei als ungeeignete Behandlungsmethode zur Aids-Erkrankung bewertet worden. Dabei werde verkannt, dass die streitgegenständliche Immunglobulin-Verordnung in keinem einzigen Fall zur Behandlung der Aids-Erkrankung erfolgt sei, sondern ausschließlich zur Erleichterung der mit dieser Erkrankung einher gegangenen, gleichzeitigen, aber ursachenbezogen verschiedenen weiteren Erkrankungen wie z. B. der bakteriellen oberen und unteren Atemwegsinfektionen erfolgt sei. Es komme nicht darauf an, ob zur Behandlung der AIDS-Erkrankung eine ausreichende und geeignete Dokumentation zur AIDS-Behandlung vorhanden sei, da es sich um keine Verordnung wegen dieser Erkrankung selbst gehandelt habe. Vielmehr komme es auf die Feststellung an, dass neben der antiretroviralen Behandlung zur AIDS-Erkrankung zusätzlich für weitere Erkrankungen des betreffenden Patienten die vom Kläger gewählte Immunglobulin-Verordnung geeignet gewesen sei. Die vom Beklagten gewählte Vermischung unterschiedlicher Erkrankungen und der jeweils im Einzelnen unterschiedlichen Behandlungs- und Verordnungsansätze sei nicht zulässig. Zu dem ganzen Komplex wird zum Beweis die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt. Die Feststellungen seien zudem für jeden einzelnen Patienten gesondert und im jeweiligen konkreten Einzelfall der einzelnen Verordnung festzustellen. Eine pauschale Feststellung, dass die Verabreichung von Immunglobulinen bei Aids erkrankten Patienten stets neben der antiretroviralen Behandlung ungeeignet sei, sei nicht ausreichend, da sie den Kern der vorliegenden konkreten Immunglobulin-Verordnung nicht einmal berühre. Soweit in unzulässiger Weise der Beklagte im Laufe des gegenständlichen Verfahrens seine Begründung der Regressentscheidung austauschen wolle, sei dies nicht zulässig. Zudem verkenne der Beklagte in grundlegenderweise in den vorliegenden Fällen die Funktion und das Anwendungsziel der Immunglobuline. Die Verordnung der streitgegenständlichen Immunglobuline diene vorliegend ausschließlich präventiven Zielen der Vorbeugung, nicht der Behandlung. Die jeweils erste Verordnung der Immunglobuline bei den betroffenen Patienten sei im Rahmen einer konkret aufgetretenen Atemwegs- und/oder anderen Infektion erfolgt und habe dem Zweck gedient, solche weiteren Erkrankungen für die Zukunft zu vermeiden, da die Belastungen dadurch gerade bei Aids-Erkrankten ungleich schwerer bis regelmäßig lebensbedrohend seien als bei im Übrigen gesunden Patienten. Für diesen Vortrag wird wiederum die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt. Die angemessene und richtige Dokumentation zu diesen Ersterkrankungen liege dem Beklagten in sämtlichen angeforderten Fällen vor. Diese vorbeugenden Verordnungen hätten erfreulicherweise die Folge gehabt, dass weitere solche Atemwegserkrankungen vielfach vollständig vermieden, zumindest deren Schwere aber deutlich abgemindert habe werden können. Hierzu wird die Einvernahme der betroffenen Patienten beantragt. Sei der mit der Verordnung der Immunglobuline gewollte präventive Erfolg eingetreten, könne die vermiedene Erkrankung schwerlich dokumentiert werden. Maßgeblich sei höchstens die Dokumentation der Ersterkrankung. Zudem hat sich mit Schriftsatz vom 13.10.2014 die weitere Prozessbevollmächtigte der Klägerin geäußert. Der streitgegenständliche Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.11.2003 sei rechtswidrig beschwerend, da er in Hinblick auf seine Begründung nicht den Anforderungen des § 35 Abs. 1 SGB X genüge. Der Beklagte habe sich vorliegend für eine Einzelfallprüfung entschlossen. Hiermit seien weitere verfahrensrechtliche und rechtsstaatliche Anforderungen verbunden, die den Kläger (die Kläger) in die Lage versetzen müssen, seine Rechte entsprechend zu wahren und mit seinen Darstellungen auf die Entscheidung des Prüfgremiums Einfluss nehmen zu können. Insbesondere sei vor einem Regress wegen unwirtschaftlicher Verordnungsweise dem Arzt Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Der Kläger sei nicht darüber informiert worden, dass die Gutachten von Prof. Dr. R. und Prof. Dr. D. wie auch die weiteren Stellungnahmen zum Verfahren beigezogen worden seien. Die vom Kläger mitgeführten Befundungen (Karteikarten) sämtlicher Patienten seien anlässlich der Sitzung am 24.06.2003 nicht gesichtet worden. Es habe keine Einzelfallprüfung, wie sich dies auch im streitgegenständlichen Widerspruchsbescheid niederschlage, stattgefunden. Die Prüfmethode der eingeschränkten Einzelfallprüfung setze andere Kenntnisse als diejenige zur statistischen Fallkostenprüfung voraus. Bei der strengen Einzelfallprüfung müsse sich die Begründung der Unwirtschaftlichkeit auf jeden einzelnen Behandlungsfall des geprüften Quartals erstrecken. Dürfe sie nur durch sachverständige Ärzte durchgeführt werden, werde bei der Prüfung der Behandlungsweise oder Verordnungsweise die Indikationsbeurteilung des geprüften Arztes zugrunde gelegt. Damit handle es sich im Grundsatz nach mehr um eine Schlüssigkeitsprüfung innerhalb der Behandlungsweise oder Verordnungsweise des Arztes als um eine echte Einzelfallprüfung. Eine derartige Anwendung der Prüfungsmethodik der Einzelfallprüfung lasse sich dem streitgegenständlichen Widerspruchsbescheid nicht entnehmen. Vielmehr werde global die rechtliche Zulässigkeit der Verordnung von Immunglobulinen überprüft und diese als nicht von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung umfasst als unzulässig gewertet. Der Beklagte habe sich weder mit dem im Laufe geänderten Text der Arzneimittelzulassung beschäftigt, noch die Fachinformation herangezogen noch eine Prüfung des Off-Label-Use vorgenommen und insbesondere die Stellungnahme des Paul-Ehrlich-Instituts vom 30.10.2010 nicht berücksichtigt, wonach die Entscheidung über die Anwendung eines Immunglobulins in der nicht zugelassenen Indikation Aids-Erkrankung bei Erwachsenen daher eine Einzelfall-Entscheidung sei, die in die Therapiefreiheit des behandelnden Arztes fallen solle. Nach der Rechtsprechung des Sozialgerichts Dortmund (Az.: S 9 KA 128/08) müsse die Anwendung und Prüfung der Verordnung von Immunglobulinen bei erwachsenen HIV-Patienten im Hinblick auf die Frage der Zulässigkeit eines Off-Label-Use weitaus differenzierter gesehen werden. Denn hier könne es nicht bei den Einzelfällen mit zusätzlicher Lebensbedrohung ausreichen, dass die Wirksamkeit von Immunglobulinen bei Aids nicht durch adäquate Studien belegt worden sei. Damit würden die Inhalte des Nikolaus-Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 06.12.2005 (Az.: 1 BvR 347/98) verfehlt. Dies gelte hier insbesondere in Bezug darauf, dass dem Beklagten durchaus regressierte Patientenverläufe bekannt seien, für welche ein Eilantrag auf Verordnung der Immunglobuline gestellt worden sei. Der stattgebende Beschluss des SG A-Stadt (Az.: S 44 KR 871/02 ER) sei vom BayLSG (Az.: L 4 B 381/02 KR ER) bestätigt worden. Demzufolge liege mit der Rechtsprechung des BSG vom 27.06.2007 (Az.: B 6 KA 44/06 R) gerade kein Widerspruchsbescheid vor, in welchem die Unwirtschaftlichkeit der Verordnung durch den verordnenden Arzt darin begründet werden könnte, dass der Verordnungsumfang unter keinen Umständen mehr medizinisch zu rechtfertigen gewesen sei. In der Anlage wird eine Beweisanordnung des SG Dortmund nebst fachinternistischem Sachverständigengutachten vom 11.02.2011 zu den Akten gereicht. Hierbei handle es sich um eine solch dezidierte Auseinandersetzung zur Frage der Verordnung von Immunglobulinen auch als Adjuvanz, wie sie durch den BA wünschenswert gewesen wäre, aber nicht im Ansatz vorliege. Im Gutachten werde dem komplexen Krankheitsbild eines HIV-Patienten in fortgeschrittener Krankheitsphase im Zusammenhang mit weiteren, sich womöglich daraus ergebenen Krankheiten zur Gänze Rechnung getragen. Sei der Beklagte im Jahr 2003 davon ausgegangen, bei der Einzelfallprüfung auf einen Mix aus DAGNÄ-Empfehlungen, sich widersprechender Gutachten und allgemein verbindlicher Statements (Antibiotika statt IVIG) abzustellen, stelle ein wissenschaftlichen Anforderungen entsprechendes Gutachten des Univ. Klinikums Essen im Jahre 2011 fest, dass es wissenschaftlich fundierte Gründe für die Gabe von IVIG geben könne. Für die vorgenommenen Einzelfallbegründungen wäre zunächst von der Diagnosestellung des behandelnden Arztes auszugehen gewesen und demgemäß zu bewerten gewesen, ob die Verordnung der Arzneimittel auf diese genannten Erkrankungen abzielten und ggf. auch zu einer Besserung geführt hätten. Hier finde allerdings keine Prüfung statt. Die Ansätze dieser Einzelfallprüfung seien mit der generellen Problematik des Einsatzes von Immunglobulinen vermischt worden, wobei auch konkret der Gegenbeweis nicht angetreten worden sei, ob die benannten üblichen Therapien in Abhängigkeit vom Schweregrad mit der Gabe von ggf. Antibiotika etc. zu gleichen Ergebnissen geführt hätten. Denn der Beklagte habe sich mit den einzelnen Befunderhebungen (Karteikarten) nicht auseinandersetzen können, da er sie nicht gesichtet habe. Die Aussage, dass die klägerseits gewählte Arzneimitteltherapie mit Immunglobulinen nicht dem allgemeinen anerkannten Standard entsprochen habe, könne bei der gewählten Prüfmethode nicht ausreichen, sondern wäre allenfalls bei der Methode zur Feststellung von Unwirtschaftlichkeiten wegen der Verwendung von unzulässigen Arzneimitteln zur Anwendung gelangt. Auch dabei hätte nach den verschiedenen Stufen der Zulassungsebene genau ausgelotet werden und ggf. eine genaue Überprüfung im Bereich des Off-Label-Use stattfinden müssen (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.2010, Az.: B 6 KA 6/09 R). Soweit sich der Beklagte darauf berufe, dass Immunglobuline für HIV-Erwachsene nicht zugelassen seien, gehe diese Behauptung an der hier zu klärenden Frage schlicht vorbei. Zu keinem Zeitpunkt hätten die Vertragsärzte jemals das streitgegenständliche Immunglobulinpräparat zur Behandlung von HIV-Erwachsenen eingesetzt. Es sei vielmehr eine Substitutionstherapie zur Behandlung des bestehenden Antikörper-Mangelzustandes, wie er in der Indikationsbeschreibung eindeutig normiert sei, erfolgt. Mit dieser zugelassenen Indikationsstellung habe sich der Beklagte ersichtlich in seinem Widerspruchsbescheid nicht im Ansatz auseinander gesetzt. In sämtlichen bemühten Gerichtsentscheidungen werde immer wieder von dem Statement ausgegangen, dass Immunglobuline für HIV-Erwachsene nicht zugelassen seien. Nachdem in der medizinischen Wissenschaft unbestritten sei, dass die HIV-Infektion mit Immunglobulinen nicht behandelt werden könne, seien die diesbezüglichen Ausführungen wenig hilfreich. Selbst wenn das Präparat Octagam für HIV-Erwachsene nicht zugelassen sein sollte (hier bestünden erhebliche Zweifel), sei die Substitutionstherapie zur Behandlung des Antikörper-Mangelzustandes sehr wohl erfasst. Die empfohlene Dosierung für primäre und sekundäre Antikörpermangel stehe in Abhängigkeit von der klinischen Reaktion. Der Beklagte, dem die im Verfahren regressierten Patientenverläufe seit Jahren bekannt seien, stelle allein auf die Kombination von antiretroviralen Medikamenten und der Gabe von Immunglobulinen ab. Es sei überdies widersinnig, wenn von den Vertragsärzten erwartet werde, eine Dokumentation der Infektionen vorzulegen, wenn diese gerade durch die streitgegenständliche Therapie vermieden worden seien. Sinn und Zweck der Immunglobulintherapie bei Antikörper-Mangelerkrankungen sei gerade, dass die Infektanfälligkeit reduziert werde. Der Unterfertigte gehe davon aus, dass sich in Bezug auf diesen Sachverhalt auf Seite 6 des Schriftsatzes vom 15.09.2014 ein Verständnis- bzw. Übermittlungsfehler eingeschlichen habe. Die hier streitgegenständlichen Antikörper-Mangelerkrankungen seien mit Immunglobulinen behandelt worden, hierbei handle es sich um eine zwingende Indikation und nicht lediglich um eine Vorbeugung wie dort ausgeführt. Die Tatsache, dass der Einsatz der Immunglobuline sich auf die Therapie des Antikörper-Mangelzustandes bezogen habe, sei für den fachkundig besetzten Beklagten auch zwingend erkennbar gewesen. Denn die Diagnose des Antikörper-Mangelzustandes sei neben der HIV-Krankheit in den Widerspruchsbescheiden namentlich aufgeführt. Es stelle sich hier die Frage, ob Fälle dieser Art überhaupt der Wirtschaftlichkeitsprüfung mit der hier gewählten Methodik unterzogen werden können, zumal die Entwicklung über die Jahre hin sehr viele unterschiedliche Symptome aufgewiesen habe und unterschiedliche Entwicklungen. Insbesondere könnten die Verordnungsansätze nicht an der Komplexität des Einzelfalls vorbeigehen, denn es handle sich zumeist an der Basis um eine HIV-Infektion, wobei in der Folge weitere Diagnosen hinzutreten. Nachdem sich der Beklagte im streitgegenständlichen Widerspruchsbescheid nicht mit den hier zu bewertenden Krankheitsbildern auseinander gesetzt habe, sei die Festsetzung eines Regresses in keinem Fall nachvollziehbar und daher rechtswidrig beschwerend. Die Schwierigkeit und Komplexität der Wirtschaftlichkeitsprüfung in diesem Bereich mache die Hinzuziehung eines immunologischen Sachverständigen unabdingbar.

Zu den Verfahren hat sich die Beigeladene zu 2) (AOK Bayern in den früheren Verfahren L 12 KA 17/12, L 12 KA 29/12, L 12 KA 45/12) mit Schriftsatz vom 15.10.2011 geäußert. Nach hiesigen Erkenntnissen würden sich die noch offenen Regressforderungen der AOK Bayern zum Streitthema auf 1,3 Mill. Euro belaufen. Die Beigeladene zu 2) habe keinerlei Interesse daran, durch Vollstreckungsmaßnahmen, die den finanziellen Rahmen der Klägerin sprengen würden, deren Existenz zu gefährden, da ggf. ihren Versicherten der Arzt ihres Vertrauens entzogen würde. Als Körperschaft des öffentlichen Rechts habe die Beigeladene zu 2) aber dafür Sorge zu tragen, dass bei künftigen Änderungen der Verhältnisse eine Realisierung der Forderung noch möglich sei. Was den eigentlichen Streitstoff betreffe, sei in sämtlichen Verfahren zur Sach- und Rechtslage bereits dezidiert vorgetragen worden, worauf verwiesen werde. Auch im aktuellen Schriftsatz werde abermals versucht, unter Umstellung der ursprünglichen Argumentation im Widerspruchsverfahren darzulegen, dass die streitgegenständlichen Verordnungen gar nicht zur Behandlung von Aids erfolgt seien. Auch diesbezüglich werde auf den bisherigen Vortrag verwiesen. Zum Vortrag des Klägers zur Verjährung werde auf die Entscheidung des BSG vom 05.05.2010 (Az.: B 6 KA 5/09 R) hingewiesen, wonach die Vorschrift des § 204 Abs. 2 BGB für das vom Amtsermittlungsgrundsatz geprägte sozialgerichtliche Verfahren nicht einschlägig sei.

Des Weiteren hat sich der Beklagte mit Schriftsatz vom 16.10.2014 zum Verfahren geäußert. Zum Einwand der Verjährung sei darauf hinzuweisen, dass lt. höchstrichterlicher Rechtsprechung innerhalb von vier Jahren nach Ablauf des jeweiligen Prüfquartals ein Prüfantrag zu stellen sei und ein Prüfbescheid zu ergehen habe, da ansonsten eine Verfristung eintrete. Die Ausschlussfrist beziehe sich jedoch nicht auf den Zeitraum zwischen bereits erlassenem Widerspruchsbescheid und dem Fortgang des weiteren Gerichtsverfahrens. Auch lasse das Nichtbetreiben eines Verfahrens nicht den Lauf der Verjährung wieder aufleben. Denn die Vorschriften des BGB über das Ende der Hemmung bzw. Unterbrechung der Verjährung durch Nichtbetreiben des Verfahrens würden auf das von Amts wegen durchzuführende Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung keine Anwendung finden (BSG, Beschluss vom 11.05.2011, Az.: B 6 KA 5/11 B). Weiter werde dem Beklagten von der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Ausfertigung eines Widerspruchsbescheides eine Frist zur Zustellung von fünf Monaten zugestanden (BSG, Urteil vom 28.04.1999, Az.: B 6 KA 79/97 R). Der Beklagte habe sein Ermessen pflichtgemäß ausgeübt. Der Kläger habe bezüglich einer angeblichen Existenzgefährdung nichts bis zum Ende der zweiten Verwaltungsinstanz vorgetragen. Zudem sei eine mögliche Existenzgefährdung des Vertragsarztes nicht geeignet, fortdauernde Verstöße gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot mildernd zu bewerten. Kontinuierliche Verstöße könnten vielmehr sogar weitreichendere negative Konsequenzen für einen Vertragsarzt nach sich ziehen (BSG, Urteil vom 27.06.2001, Az.: B 6 KA 66/00 R). Zudem sei die Problematik (IVIG i. V. m. HIV-/Aids) der Klägerin hinlänglich bekannt gewesen. Bereits im Jahr 1993 sei durch die KVB eine Beratung des Dr. L. erfolgt. Dieser sei in die regelmäßig stattfindenden Qualitätszirkel „AIDS“ in der Bezirksstelle A-Stadt Stadt und Land der KVB eingebunden gewesen. Das Thema IVIG sei dort detailliert erörtert worden und auch die Hinwendung zur 3er-Therapie sei frühzeitig offenkundig gewesen. Der von Klägerseits zitierte § 106 Vc SGB V beziehe sich einzig auf die Richtgrößenprüfung. Alle vorliegenden in Streit stehenden Verordnungen seien gegenüber Versicherten, die an einer HIV- bzw. AIDS-Erkrankung gelitten hätten, erfolgt. Bei keinem der Versicherten habe die Klägerin substantiiert darlegen und nachweisen können, dass die Immunglobuline für eine andere Behandlung als HIV-/AIDS eingesetzt worden seien. Die Immunglobulintherapie zähle seit 1997 nicht mehr zur Standardtherapie bei HIV-infizierten Patienten. Der Stand der medizinischen Erkenntnisse sei zu diesem Zeitpunkt soweit gewesen, dass 3er-Kombinationen aus einem Proteaseinhibitor und zwei Nukleosidanaloga zum Standard gehört hätten. HIV-Schwer- punktpraxen in Bayern hätten die 3-fach-Therapie bereits mit Erfolg eingesetzt. Das Schreiben befasst sich in der Folge mit der Wirkweise von Immunglobulinen, dem Verlauf einer HIV-Infektion und der Behandlung gemäß HAART. Die streitgegenständlichen Quartale würden zeitlich nach der Einführung der HAART liegen. Die vom Kläger immer wieder angeführten klinischen Studien zur Behandlung der HIV-Infektion mit intravenösen Immunglobulinen würden ausnahmslos aus der Zeit vor der Einführung der aktiven Kombinationstherapie gegen HIV (vor 1995 bzw. vor 1990) liegen. Seit 1997 sei die HAART-Therapie die Standardbehandlungsmethode. Die Klägerin behaupte pauschal, dass mittels Immunglobulinen nicht HIV/AIDS, sondern ausschließlich zur Erleichterung der mit dieser Erkrankung einher gegangenen, aber ursachenbezogen verschiedene weitere Erkrankungen wie z. B. bakterielle obere und untere Atemwegsinfektionen behandelt worden seien. Bakterielle obere und untere Atemwegsinfektionen seien jedoch typische Begleiterkrankungen der HIV-/AIDS-Erkrankung. Aus den Begriffen „mit dieser Erkrankung einhergegangen“ und „ursachenbezogen“ gehe hervor, dass mittels der Immunglobuline HIV/AIDS behandelt worden sei, um die Begleitsymptome einzudämmen. Der Beklagte habe zu keinem Zeitpunkt zu der Frage Stellungnahme genommen, ob bzw. welche anderen Strategien zur Behandlung der bakteriellen oberen und unteren Atemwegsinfektionen bis dahin ausgeschöpft worden seien. Auch fehle eine Dokumentation, aus der sich ergebe, dass es bei der Gabe der Immunglobuline zu einer Verminderung der Infekte gekommen sei. Entgegen der Meinung der Klägerin stelle eine Verordnung, die zur Prophylaxe und nicht zur Behandlung eines Versicherten erfolge, einen Verstoß gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot dar, da sie nicht notwendig sei. Zu den Verfahren hat sich weiter die Beigeladene zu 1) mit Schriftsatz vom 20.10.2014 geäußert. Die Gabe von intravenösen Immunglobulinen sei bis einschließlich 1996 Standard bei der Behandlung von HIV-Erkrankungen gewesen. Bis zu diesem Zeitpunkt hätten die Krankenkasse wegen Verordnungen von intravenösen Immunglobulinen für HIV-Patienten keine Regressanträge gestellt. Erst mit Einführung der HAART-Therapie seien weitere Therapiemethoden im Laufe des Jahres 1996 hinzugekommen. Danach sei die Verschreibung von Immunglobulinen auch weiterhin zumindest bei folgenden Patienten indiziert gewesen, nämlich Patienten in sehr stark fortgeschrittenen Krankheitsphasen, die durch andere Therapien nicht ausreichend behandelbar gewesen seien, Patienten mit Immunthrombozytopenie, die auf andere Therapiewegen nicht ausreichend angesprochen hätten und deren Thrombozytenwerte unter 30.000/mm³ liegen, Patienten mit rezidivierenden bakteriellen oder rezidivierend viralen Infekten, bei denen andere Strategien ausgeschöpft seien und die auf einen Therapieversuch mit Immunglobulinen mit einer dokumentierten Verminderung der aufgetretenen Infekte reagieren, Patienten,die bisher mit Immunglobulinen behandelt worden seien und bei denen es nachweislich durch Absetzen dieser Therapie zu einer dokumentierten Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes gekommen sei. In Fällen, in denen eine dieser Voraussetzungen vorgelegen hätten, könnten nach hiesiger Einschätzung keine Regresse festgesetzt werden mit der Folge, dass die entsprechenden Regresse aufzuheben wären. Die Festsetzung von Regressen für den gesamten Zeitraum seit 1997 sei auch deshalb zweifelhaft, weil die Zulassung erst mit dem Bescheid des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) vom 07.01.2002 geändert worden sei und erst infolge dieser Entscheidung die eingeschränkte Zulassung in der Fachinformation klar ersichtlich gewesen sei. Die Zeiträume der anhängigen Verfahren einschließlich des Quartals 1/2002 sollten daher anhand der ursprünglichen Fassung der Fachinformation aus dem Jahre 1995 beurteilt werden. Erst wenn geklärt sei, welche Erkrankungen die Berufungskläger mit intravenösen Immunglobulinen tatsächlich behandelt hätten, könne beurteilt werden, ob die Verordnungen zulässig gewesen seien bzw. wenn nicht, ob ein zulässiger Off-Label-Use vorgelegen habe oder ob die streitgegenständlichen Immunglobuline aufgrund der vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Grundsätze (Nikolaus-Beschluss vom 06.12.2005) ausnahmsweise verordnungsfähig gewesen seien. Soweit sich die Berufungskläger darauf berufen, dass die Voraussetzungen eines Off-Label-Use oder die vom Bundesverfassungsgericht festgelegten Anforderungen an die Verordnungsfähigkeit gegeben seien, wäre dies von ihnen im Rahmen ihrer Mitwirkungspflicht nachzuweisen.

Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat mit Schriftsatz vom 23.10.2014 unter Bezugnahme auf das Urteil des BSG vom 20.03.2013 (Az.: B 6 KA 27/12 R) darauf hingewiesen, dass die Kläger, nachdem die ersten Prüfbescheide eingegangen seien, sich selbstverständlich um eine Lösung mit den Krankenkassen bemüht hätten, die diesbezüglichen Bemühungen aber im Wesentlich gescheitert seien. Den Vertragsärzten sei es aufgrund des bestehenden Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patienten nicht möglich gewesen, ein Privatrezept in jenen Fällen auszustellen, in denen über viele Jahre hinweg durch die Gabe von Immunglobulinen ein befriedigendes medizinisches Ergebnis habe erzielt werden können, die Medikation in der Form vorzuenthalten, dass sich Schwersterkrankte selbst um eine Erstattung der zu verauslagenden Kosten bemühen. In der zuvor bezeichneten Rechtsprechung des BSG bleibe der besondere Fall unberücksichtigt, dass es sich hier um solche Patienten handle, die schwersterkrankt und zum Teil todgeweiht seien und bei denen eine Behandlung eingestellt werden solle, die über Jahre hinweg zum Benefit geführt habe.

Die Streitsachen mit den Az.: L 12 KA 17/12, L 12 KA 24/12, L 12 KA 29/12, L 12 KA 37/12 und L 12 KA 45/12 wurden zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

Die Prozessbevollmächtigten der Klägerin stellten den Antrag,

ein immunologisches Gutachten einzuholen zu der Frage, ob in den streitgegenständlichen Fällen die Immunglobulintherapie indiziert war.

Die Prozessbevollmächtigten der Klägerin stellen weiter den Antrag,

die Gerichtsbescheide des Sozialgerichts München vom 11.01.2012 sowie die Widerspruchsbescheide vom 20.11.2003 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, über die Widersprüche der Klägerin erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden.

Der Vertreter des Beklagten stellt den Antrag,

die Berufungen zurückzuweisen.

Die Vertreterin der Beigeladenen zu 2) (in den früheren Verfahren L 12 KA 17/12, 29/12, und 45/12) stellt den Antrag,

die Berufungen zurückzuweisen.

Der Vertreter der Beigeladenen zu 2) (in den früheren Verfahren L 12 KA 24/12 und 37/12) stellt den Antrag,

die Berufungen zurückzuweisen.

Der Vertreter der Beigeladenen zu 1) stellt keinen Antrag.

Dem Senat liegen die Verwaltungsakten des Beklagten, die Akten des Sozialgerichts München S 38 KA 950/08 bis S 38 KA 956/08, S 38 KA 959/08 bis S 38 KA 964/08, S 38 KA 975/08, S 30 KA 977/08 bis S 38 KA 1001/08, die Akten des Bayer. Landessozialgerichts L 12 KA 17/12 bis L 12 KA 54/12 und die beigezogenen SG-Akten S 38 KA 1656/03, S 38 KA 1658/03, S 38 KA 1660/03, S 38 KA 1662/03 und S 38 KA 1663/03 zur Entscheidung vor, die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden und auf deren weiteren Inhalt ergänzend Bezug genommen wird.

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegten Berufungen der Klägerin (§ 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) sind zulässig, aber nicht begründet.

Die Widerspruchsbescheide des Beklagten vom 20.11.2003 betreffend die gegen die Klägerin festgesetzten Arzneiregresse für die Quartale 4/2000, 1/2001 und 2/2001, die allein Gegenstand der Klage- und Berufungsverfahren sind, sind nicht zu beanstanden. Das Sozialgericht München hat deshalb mit den angegriffenen Gerichtsbescheiden vom 11.01.2012 die Klagen der Klägerin zurecht abgewiesen.

Die Gremien der Wirtschaftlichkeitsprüfung waren in den streitgegenständlichen Quartalen 4/2000, 1/2001 und 2/2001 nach damaliger Rechtslage berechtigt, Arzneikostenregresse wegen unwirtschaftlicher Verordnungsweise festzusetzen. Die Ermächtigung für die Normierung einer entsprechenden Rechtsgrundlage findet sich in § 106 Abs. 2 Satz 4 SGB V. Danach können die Landesverbände der Krankenkassen und die Verbände der Ersatzkassen gemeinsam und einheitlich mit den Kassenärztlichen Vereinigungen über die in § 106 Abs. 2 Satz 1 SGB V vorgesehenen Prüfungsarten hinaus andere arztbezogene Prüfungsarten vereinbaren. Von dieser Kompetenz haben die Partner der Gesamtverträge in Bayern in den in den streitigen Quartalen 4/2000, 1/2001 und 2/2001 geltenden Prüfungsvereinbarungen Gebrauch gemacht. In § 15 Abs. 1 der Bayer. Prüfungsvereinbarung (BayPV) in der in den Quartalen 4/2001 und 1/2001 geltenden Fassung bzw. in § 14 Abs. 1 BayPV in der im Quartal 2/2001 geltenden Fassung ist festgelegt, dass auf Antrag der KVB-Bezirksstelle, einer Krankenkasse, eines Landesverbandes oder der Verbände der Ersatzkassen der Prüfungsausschuss prüft, ob der Vertragsarzt im Einzelfall mit seiner Verordnungsweise gegen das Wirtschaftlichkeits- oder Verordnungszulässigkeitsgebot verstoßen hat. Die erfolgte Zuweisung der Sanktionierung unzulässiger bzw. rechtswidriger Verordnungen an die Gremien der Wirtschaftlichkeitsprüfung steht im Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben in § 106 SGB V und den Bestimmungen der §§ 48 ff. BMV-Ä in der ab 01.01.1995 geltenden Fassung sowie mit der langjährigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. BSG, Urteil vom 30.10.2013, Az.: B 6 KA 2/13 R, Rdnr. 12, Urteil vom 20.03.2013, Az.: B 6 KA 17/12 R, Rdnr. 19, Urteil vom 11.05.2011, Az.: B 6 KA 13/10 R, Rdnr. 33 sowie BSG, Urteil vom 14.03.2011, SozR 3-2500 § 106 SGB V Nr. 52).

Es ist auch nicht zu beanstanden, dass der Beklagte sich im konkreten Fall für die Durchführung einer Einzelfallprüfung entschieden hat, um die Praxisstruktur mit den gehäuften HIV-Fällen angemessen berücksichtigen zu können. Hierzu ist zunächst festzustellen, dass das Prüfgremium bei der Auswahl der Prüfmethode einen weiten Beurteilungsspielraum hat, dessen Grenzen der Beklagte vorliegend nicht überschritten hat. Diesbezüglich ist festzustellen, dass der Beklagte eine in der streitgegenständlichen Prüfungsvereinbarung ausdrücklich vorgesehene Prüfmethode gewählt hat. Einzelfallprüfungen sind dabei insbesondere dann sachgerecht, wenn das individuelle Vorgehen eines Arztes in bestimmten einzelnen Behandlungsfällen hinsichtlich des Verordnungsumfangs am Maßstab des Wirtschaftlichkeitsgebotes überprüft werden soll (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 13.10.2010, Az.: B 6 KA 48/09 R, SozR 4-2500 § 106 SGB V Nr. 30) und hier insbesondere die Frage im Mittelpunkt steht, ob die Verordnung des Arzneimittels innerhalb oder außerhalb des Anwendungsbereichs erfolgt ist bzw. die Voraussetzungen für einen sog. „Off-Label-Use“ vorliegen (vgl. hierzu Engelhard in Hauck/Nofz, Kommentar zur Gesetzlichen Krankenversicherung § 106 Rdnr. 139, Stand August 2014).

Bei der Einzelfallprüfung ist zwischen der strengen und der eingeschränkten Einzelfallprüfung zu unterscheiden. Der Beklagte hat vorliegend erkennbar eine eingeschränkte Einzelfallprüfung vorgenommen. Bei der eingeschränkten Einzelfallprüfung untersuchen die Prüfinstanzen Behandlungsfälle eines Arztes aufgrund von dessen Behandlungsangaben und Behandlungsunterlagen. Die strenge Einzelfallprüfung unterscheidet sich von der eingeschränkten demnach dadurch, dass bei der letzteren der Prüfung der Behandlungsweise die Indikationsbeurteilung des geprüften Arztes zugrunde gelegt wird. Es handelt sich damit nicht um eine „wirkliche“ Einzelfallprüfung, sondern im Kern um eine bloße Schlüssigkeitsprüfung. Da bei ihr die Angaben des geprüften Arztes zugrunde gelegt werden, kann mit ihr zwar nicht der Nachweis der Wirtschaftlichkeit geführt werden, doch können die Ergebnisse der Prüfung eine geeignete Grundlage einer wertenden Entscheidung der Prüfgremien sein, dass die Behandlung unwirtschaftlich ist. Es ist nicht zu beanstanden, dass der Beklagte nicht eine strenge Einzelfallprüfung vorgenommen hat. Diese Prüfung ist nur in Ausnahmefällen in Betracht zu ziehen, weil ungeachtet des ohnehin verbundenen erheblichen Aufwandes sie in aller Regel schon deswegen ausscheidet, weil im Nachhinein - wie hier nach Ablauf von 2 1/2 bis 3 Jahren - die konkrete Behandlungs- und Verordnungssituation nicht mehr zuverlässig aufgeklärt werden kann.

Die im vorliegenden Fall aufgrund der vorgenannten Rechtsgrundlagen durchgeführten Einzelfallprüfungen lassen Rechtsfehler nicht erkennen. Die vom Kläger vorgenommenen Verordnungen von Octagam und Flebogamma in den Quartalen 4/2000, 1/2001, 2/2001 in den streitgegenständlichen Fällen waren nicht zulässig.

Versicherte haben Anspruch auf Versorgung im Rahmen der GKV nur nach Maßgabe des § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 i. V. m. § 31 Abs. 1 SGB V. Diese Bestimmungen ergeben im Kontext mit den allgemeinen Regelungen der §§ 2 Abs. 1 Satz 3, 12 Abs. 1 SGB V, dass im Rahmen der GKV nur solche Verordnungen zulässig sind, die die Gewähr für Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit jeweils nach Maßgabe des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse bieten. Dafür sind zuverlässige wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen über das Arzneimittel in dem Sinne erforderlich, dass der Erfolg der Behandlung mit ihm durch eine ausreichende Anzahl von Behandlungsfällen belegt ist (vgl. BSG, Urteil vom 05.11.2008, SozR 4-2500 § 106 Nr. 21). Wenn ein Arzneimittel die Prüfung im Rahmen des Arzneimittelzulassungsverfahrens durchlaufen hat und somit die erfolgreiche Anwendung des Arzneimittels anhand zuverlässiger wissenschaftlich nachprüfbarer Aussagen in einer ausreichenden Anzahl von Behandlungsfällen belegt und entsprechend für das Arzneimittel die Zulassung einschließlich der darin enthaltenen Ausweisung der Anwendungsgebiete erteilt worden ist, so ist es in diesem Umfang auch verordnungsfähig im Sinne des SGB V. In solchen Fällen ist also mit der Zulassung der damit gegebenen Verkehrsfähigkeit im Sinne des AMG zugleich die Verordnungsfähigkeit im Rahmen der GKV gegeben. Denn Präparate, die nach § 21 Abs. 2 AMG arzneimittelrechtlich zugelassen sind, gelten grundsätzlich als zweckmäßig und wirtschaftlich im Sinne der §§ 2 Abs. 1, 12 Abs. 1 SGB V und sind daher von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung mitumfasst.

Vor diesem Hintergrund ist zunächst der arzneimittelrechtliche Zulassungsstatus von Octagam bzw. Flebogamma in den Quartalen 4/2000, 1/2001, 2/2001 zu klären. In der Fachinformation vom 04.02.1995 lautete die Indikation für Octagam wie folgt:

Substitutionstherapie bei primären und sekundären Antikörpermangelzuständen sowie zur Vorbeugung und Behandlung von Infektionen, die bei diesen Krankheiten auftreten. Zusätzlich werden Immunglobuline auch zur Kontrolle oder Veränderung der individuellen Immunantwort eingesetzt, z. B. bei ITP. Dann folgt die Aufzählung:

1. Primäre Antikörpermangelzustände:

- Kongenitale Agammaglobulinämie und Hypogammaglobulinämie

- Variables Immundefektsyndrom

- Schweres kombiniertes Immundefektsyndrom

- Wiskott-Aldrich-Syndrom.

2. Idiopathische thrombozytopenische Purpura (ITP), insbesondere in akuten Fällen bei Kindern.

3. IGIV wird bei sekundären Immunmangelkrankheiten unter folgenden Bedingungen angewendet:

- Chronische lymphatische Leukämie (CLL).

Der Eingangssatz ist erst mit dem Änderungsbescheid vom 07.01.2002 gestrichen worden, so dass für die streitgegenständlichen Quartale 4/2000 bis 2/2001 noch von der ursprünglichen Fachinformation vom 04.02.1995 auszugehen ist. Diesbezüglich hält der Senat an seiner Auffassung fest (vgl. Urteil des Senats vom 02.03.2005, Az.: L 12 KA 107/03, die Nichtzulassungsbeschwerde hiergegen wurde mit Beschluss des BSG vom 31.05.2006, Az.: B 6 KA 53/05 B zurückgewiesen), dass Octagam auch in der Fassung der Fachinformation von 1995 für die Behandlung von an HIV erkrankten erwachsenen Patienten nicht zugelassen war. Gleiches gilt für den Einsatz von Octagam für jeglichen primären und sekundären Antikörpermangelzustand. Vielmehr ist schon der vor dem 07.01.2002 geltenden Indikationsbeschreibung von „Octagam“ zu entnehmen, dass dem allgemein gehaltenen Eingangssatz hinsichtlich der Verwendung von Immunglobulinen wie Octagam in dem 2. Satz Ziffern 1 bis 3 ein konkreter Anwendungsbereich von Immunglobulinen bei primären und sekundären Immunmangelkrankheiten („unter folgenden Bedingungen“) zugeordnet war. Mithin handelt es sich bei der Änderung vom 07.01.2002 lediglich um eine Klarstellung der schon bis dahin geltenden Zulassungslage von Octagam.

Anders als bei Octagam umfasste das Anwendungsgebiet für Flebogamma seit jeher ohne den Eingangssatz wie bei Octagam folgende Anwendungsgebiete:

„Substitutionstherapie bei primären Immunmangelkrankheiten wie

- kongenitale Agammaglobulinämie und Hypogammaglobulinämie

- allgemeine variable Immunmangelkrankheit

- schwere kombinierte Immunmangelkrankheit

- Wiskott-Aldrich-Syndrom.

Myelom oder chronische lymphatische Leukämie mit schwerer sekundärer Hypogammaglobulinämie und rezidivierenden Infekten.

Kinder mit kongenitalem Aids und rezidivierenden Infekten.

Immunmodulation:

Idiopathische thrombozytopenische Purpura (ITP) bei Kindern oder Erwachsenen sowohl bei hohem Blutungsrisiko als auch vor Operationen zur Korrektur der Thrombozytenzahl.

Guillain-Barré-Syndrom.

Kawasaki-Syndrom.

Allogene Knochenmarktransplantation.“

Vor dem Hintergrund der genannten Anwendungsgebiete der Immunglobuline Octagam und Flebogamma ist festzustellen, dass deren Verordnung in allen streitgegenständlichen Behandlungsfällen außerhalb dieser Anwendungsgebiete erfolgt ist. Dies ergibt sich aus den Angaben der Klägerin zum Grund der Verabreichung von Octagam bzw. Flebogamma in den streitgegenständlichen Fällen. Da die diesbezüglichen Angaben der Klägerin im Laufe des Verfahrens gewisse Abänderungen erfahren haben, sollen diese zunächst der zeitlichen Reihenfolge nach nochmals aufgeführt werden. Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens hat die Klägerin ausgeführt, dass sich die medizinische Notwendigkeit der Behandlung in den vorliegenden (= streitgegenständlichen) Fällen daraus ergebe, dass die aufgeführten Patienten neben einer fortgeschrittenen HIV-Infektion an anderen Erkrankungen leiden und zur Prophylaxe dieser bakteriellen und viralen Erkrankungen eine Immunglobulintherapie erforderlich sei. Des Weiteren wurde im Rahmen des Verwaltungsverfahrens darauf hingewiesen, dass die Klägerin sich an den Vorgaben der Deutschen Arbeitsgemeinschaft niedergelassener Ärzte für HIV-Behandlung (DAGNÄ) orientiert hätte. Im Rahmen des Klageverfahrens hat die Klägerin dagegen zu allen streitgegenständlichen Fällen geltend gemacht, dass die streitgegenständlichen Verordnungen der Immunglobuline nicht für erwachsene HIV-positive Patienten erfolgt seien, streitgegenständlich sei vielmehr die Verordnung für sekundäre Immunmangelzustände, die mit der HIV-Erkrankung als einem sekundären und damit erworbenen Immundefekt einher gehen. Im Rahmen des Berufungsverfahrens hat der neu bestellte zusätzliche Bevollmächtigte mit Schriftsatz vom 15.09.2014 vorgetragen, dass die streitgegenständliche Immunglobulin-Verordnung in keinem einzigen Fall zur Behandlung der Aids-Erkrankung erfolgt sei, sondern ausschließlich zur Erleichterung der mit dieser Erkrankung einher gegangenen gleichzeitigen, aber ursachenbezogen verschiedenen weiteren Erkrankungen wie z. B. der bakteriellen oberen und unteren Atemwegsinfektionen erfolgt sei. Mit weiterem Schriftsatz vom 13.10.2014 hat die weitere Prozessbevollmächtigte nochmals vorgetragen, dass zu keinem Zeitpunkt geltend gemacht worden sei, dass die Vertragsärzte das streitgegenständliche Immunglobulin-Präparat zur Behandlung von HIV bei Erwachsenen eingesetzt hätten. Es sei vielmehr eine Substitutionstherapie zur Behandlung des bestehenden Antikörper-Mangelzustandes erfolgt, die in der Indikationsbeschreibung eindeutig normiert sei. Zudem wurde hinsichtlich des Schriftsatzes des Kollegen vom 15.09.2014 ein Verständnis- bzw. Übermittlungsfehler geltend gemacht, weil die Behandlung der streitgegenständlichen Antikörper-Mangelerkrankung mit Immunglobulinen nicht lediglich zur Vorbeugung, sondern als zwingende Indikation behandelt worden sei.

Ausgehend von den Angaben der Ärzte zum Grund der Behandlung der streitgegenständlichen Patienten mit Octagam bzw. Flebogamma ist festzustellen, dass deren Verordnung in keinem einzigen der streitgegenständlichen Fälle auf einer der o.g. zugelassenen Indikationen beruhen. Die genannten Indikationen schließen nach ihrem Wortlaut auch eine Verordnung von Octagam bzw. Flebogamma zur Behandlung jeglicher Zustände oder Erkrankungen aus, die mit Antikörpermangel einher gehen, wie dies z. B. bei der Aids-Erkrankung beim Erwachsenen der Fall ist (vgl. in diesem Sinne auch die Stellungnahme des Paul-Ehrlich-Instituts vom 30.10.2002). Die Verordnung von Octagam und Flebogamma ist nach alledem in allen streitgegenständlichen Fällen außerhalb der zugelassenen Indikation erfolgt. Ein Vertragsarzt, der Medikamente außerhalb der zugelassenen Indikationen verordnet, kann weder sich noch der Krankenkasse Gewissheit darüber verschaffen, dass die Verordnung dem Wirtschaftlichkeitsgebot genügt, also notwendig, zweckmäßig und wirtschaftlich ist. Bei Off-Label-Verordnungen hat nämlich gerade keine Prüfung von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des jeweiligen Arzneimittels stattgefunden, die seinen Einsatz im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung rechtfertigt. Eine solche Prüfung ist im AMG nur indikationsbezogen vorgeschrieben und durchführbar, die von der Zulassung nach dem AMG ausgehende Schutzwirkung und Qualitäts- wie Wirksamkeitserwartung greift bei einem Einsatz des Medikaments außerhalb der Zulassung gerade nicht. Von daher muss zwingend nachträglich geprüft werden dürfen, ob die jeweilige Verordnung den Regeln des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung entspricht (vgl. zum vorstehenden BSG, Urteil vom 05.05.2010, Az.: B 6 KA 6/09 R = SozR 4-2500 § 106 Nr. 27 Rdnr. 43). Daher war in den streitgegenständlichen Fällen zu überprüfen, ob eine Verordnungsfähigkeit von Octagam bzw. Flebogamma in den streitgegenständlichen Fällen unter den Voraussetzungen eines zulässigen „Off-Label-Use“ in Frage kommt. Dies würde voraussetzen, dass es sich in diesen Fällen um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung handelt, keine andere Therapie verfügbar ist und aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann. Lässt sich nicht mit hinreichender Gewissheit feststellen, dass die Voraussetzungen für einen ausnahmsweise gerechtfertigten Off-Label-Use vorgelegen haben, geht das zulasten des Arztes. Er rückt, obwohl er sich nach Ausrichtung des Verfahrens gegen einen Regress wendet, hinsichtlich der Verteilung von Darlegungs- und Beweislast in die Stellung ein, die der Versicherte gehabt hätte, wenn er seinen Standpunkt zu der Verordnungsfähigkeit eines Arzneimittels gegen die Krankenkasse nach § 13 Abs. 3 SGB V im Wege der Geltendmachung eines Kostenerstattungsanspruchs durchsetzen hätte müssen (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 05.05.2010, Az.: B 6 KA 6/09 R = SozR 4-2500 § 106 SGB V Rdnr. 46).

Vor diesem Hintergrund ist festzustellen, dass die in den streitgegenständlichen Fällen vorgenommenen Arzneiregresse nicht zu beanstanden sind. Dies gilt zunächst für die Primärkassenpatienten.

Bei der Patientin A.G. (geboren 1965) hat die Klägerin in den Quartalen 4/2000, 1/2001 und 2/2001neben der sog. antiretroviralen Therapie (Quartal 4/2000 Kombination Videx, Epivir, Sustiva und später Kaletra, Quartal 1/2001 Kombination Videx, Epivir, Sustiva, Viracept, später mit Crixivan und Norvir, Quartal 2/2001 Kombination Videx, Epivir, Sustiva, Viracept) eine Immunglobulintherapie mit dem Präparat „Octagam“ durchgeführt. Der Senat stimmt mit der Auffassung des Beklagten überein, dass aufgrund der völlig unzureichenden Angaben der Klägerin zu den streitgegenständlichen Quartalen die zusätzliche Immunglobulintherapie bei der Patientin S.G.nicht als erforderlich angesehen werden kann. Diesbezüglich ist zunächst festzustellen, dass dem Beklagten hierzu die von der Klägerin als Anlage zu den Schriftsätzen vom 07.04.2003 (Quartal 1/2001) und vom 06.06.2003 (Quartal 2/2001) als Anlage vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen zum streitgegenständlichen Behandlungsverlauf und die Abrechnungsdiagnosen vorlagen. Aus den ärztlichen Stellungnahmen der Klägerin zu der Patientin A.G. ergibt sich, dass diese an einer HIV-Infektion im CDC-Stadium C3 leidet. Sie habe in den Jahren von 1987 bis 1993 viermal Herpes zoster gehabt, seit 1993 chronische Diarrhoe, Thrombopenie, im September 1993 Soor, dann orale Haarleukoplakie, im Januar 1994 ein atopisches Ekzem, dann ein Ekzema herpetikum (Hände, Mund, Füße), im Mai 1994 Soor. Seit dem 1. Quartal 1994 erhalte sie eine antiretrovirale Therapie. Danach ist ausgeführt 1995 Pneumonie, 12/1996 Soor-Ösophagitis, 1997 nektrotisierende Colitis und Mai 1999 Candida-Colitis und Soor. Seit 17.06.1999 erhalte die Klägerin eine intravenöse Immunglobulintherapie. Für den Senat ist nicht nachvollziehbar, wieso die ärztliche Stellungnahme zu den Arzneiverordnungen für die Quartale 4/2000, 1/2001 und 2/2001 im Juni 1999 endet. Auch im Klage- und Berufungsverfahren werden die genannten Angaben lediglich nochmals wiederholt (vgl. Schriftsatz vom 06.10.2008, Az.: S 38 KA 993/08). Von daher ist festzustellen, dass es in den streitgegenständlichen Quartalen 4/2000, 1/2001 und 2/2001 zu der Patientin A.G.an jeglicher Dokumentation fehlt. Auch aus den Abrechnungsscheinen zu den streitgegenständlichen Quartalen ergeben sich keine weitergehenden Erkenntnisse. Die Klägerin weist lediglich darauf hin, dass sich seit IVIG - also seit Juli 1999 - ein deutlicher Rückgang von viralen, mykotischen und bakteriellen infektiösen Episoden verzeichnen lasse. Soweit die Klägerin weiter vorträgt, bei der Patientin A.G. handle es sich um eine Patientin der Kategorie 1 bzw. 3 der DAGNÄ-Empfehlung, fehlt hierzu wiederum jegliche Dokumentation. Die erste Gruppe der DAGNÄ-Empfehlungen betrifft Patienten in sehr stark fortgeschrittenen Krankheitsphasen, die durch andere Therapien nicht ausreichend behandelbar sind. Hierzu gehören z. B. Patienten mit weniger als 50 µl CD-4-Lymphozyten, die keine antiretrovirale Therapie mehr vertragen und multiple klinische Komplikationen aufweisen. Zur Nummer 3 gehören Patienten mit rezidivierenden bakteriellen und rezidivierenden viralen Infekten, bei denen andere Strategien ausgeschöpft sind und die auf einen Therapieversuch mit Immunglobulinen mit einer dokumentierten Verminderung der aufgetretenen Infekte reagieren. Zur Patientin A.G. ist weder dokumentiert, dass sie weniger als 50 µl CD-4-Lymphozyten aufweist, noch dass bei ihr multiple klinische Komplikationen vorliegen und sie keine antiretrovirale Therapie mehr verträgt. Die Patientin hat vielmehr in allen streitgegenständlichen Quartalen eine antiretrovirale Therapie erhalten, die sowohl Nukleosidische Reverse-Transkriptase-Inhinbitoren (NRTI), nämlich Videx und Epivir sowie Nichtnukleosidische Reverse-Transkriptase-Hemmer (NNRTI), nämlich Sustiva und die Proteaseinhibitoren Viracept und Kaletra umfasste, ein Auslassversuch im Sinne der Nr. 3 der DAGNÄ-Empfehlungen ist ebenfalls nirgends dokumentiert oder gar behauptet. Unabhängig von der fehlenden Dokumentation ist darauf hinzuweisen, dass die Empfehlungen der Deutschen Arbeitsgemeinschaft niedergelassener Ärzte in der Versorgung HIV-Infizierter e.V. (DAGNÄ) keine rechtliche Verbindlichkeit entfalten, weil der DAGNÄ weder eine Kompetenz zur Bestimmung der Anwendungsgebiete von Immunglobulinen noch zur Konkretisierung des Wirtschaftlichkeitsgebotes zukommt. Dies schließt es andererseits nicht aus, dass die Gremien der Wirtschaftlichkeitsprüfung in den DAGNÄ-Empfehlungen enthaltene Gesichtspunkte bei ihrer Entscheidung mit berücksichtigen.

Soweit die Klägerin im Rahmen des Klageverfahrens erstmalig vorträgt, mit den Immunglobulinen ein sekundäres Antikörpermangelsyndrom behandelt zu haben, ist nach Auffassung des Senats schon das Bestehen eines solchen sekundären Antikörpermangelsyndroms nicht nachgewiesen bzw. hinreichend dokumentiert. In den Abrechnungsunterlagen zu den streitgegenständlichen Quartalen taucht die Diagnose Antikörpermangelzustand nicht auf. Soweit die Klägerin mit Schreiben vom 13.10.2014 auf die Abrechnungsdiagnose „sonstige Immundefekte D 84.9“ hinweist, ist festzustellen, dass die Schlüsselnummer D 84.9 eine Auffangnummer darstellt innerhalb des Kapitels III Krankheiten des Blutes und der blutbildenden Organe sowie bestimmte Störungen mit Beteiligung des Immunsystems, unter die eine Vielzahl von Störungen mit Beteiligung des Immunsystems erfasst werden können. Hätte die Klägerin spezifisch die Diagnose eines Antikörpermangelzustandes angeben wollen, hätten hierfür einerseits ganz spezifische Schlüsselnummern (selektiver Immunglobulin-A-Mangel, D 80.2, selektiver Mangel an Immunglobulin G-Subklassen, D 80.3, selektiver Immunglobulin-M-Mangel, D 80.4 usw.) und andererseits allgemein gehaltene Schlüsselnummern (sonstige Immundefekte mit vorherrschendem Antikörpermangel D 80.8 und Immundefekt mit vorherrschendem Antikörpermangel, nicht näher bezeichnet, D 80.9) zur Verfügung gestanden. Diese Abrechnungsziffern hat die Klägerin aber wohl deswegen nicht gewählt, weil entsprechende Laborwerte in den streitgegenständlichen Quartalen eben gerade nicht erhoben wurden. Die Erhebung solcher Laborwerte für die Dokumentation des Vorliegens eines sekundären Antikörpermangelzustandes wäre neben dem klinischen Bild aber notwendig gewesen, weil die aufgeführten Krankheitsbilder in den Jahren 1987 bis 1999 nach der von der Klägerin selbst vorgelegten CDC-Klassifikation Aidsdefinierende Krankheiten (Kategorie C) oder Krankheitssymptome oder Erkrankungen umfasst, die nicht in die Aidsdefinierende Kategorie C fallen, dennoch der HIV-Infektion ursächlich zuzuordnen sind oder auf eine Störung der zellulären Immunabwehr hinweisen (Kategorie B). Da die von der Klägerin ohnehin nur bis 1999 dokumentierten Erkrankungen damit eher auf die nachgewiesene Erkrankung HIV/Aids hinweisen, ist das Vorliegen eines sekundären Antikörpermangelsyndroms, insbesondere auch im Sinne einer eigenständigen, von der HIV-Erkrankung abgrenzbaren Erkrankung, nicht nachgewiesen bzw. nicht dokumentiert. Der Vortrag der Klägerin, die Immunglobulinpräparate niemals zur Behandlung von HIV bei Erwachsenen eingesetzt zu haben, steht im direkten Widerspruch zur Feststellung der Klägerin im Schriftsatz vom 03.11.2014, dass die Gabe von intravenösen Immunglobulinen bis 1997 Standard der Behandlung von HIV-Erkrankungen gewesen sei. Es ist für den Senat nicht nachvollziehbar, dass die Klägerin die Immunglobulintherapie bis 1997 zur Behandlung von HIV-Erkrankungen eingesetzt hat, nach Etablierung der HAART-Therapie aber nur noch ein bestehendes sekundäres Antikörpermangelsyndrom mit den Immunglobulinen behandelt hat.

Bei dem Patienten F.K. (geboren 1941) hat die Klägerin in den Quartalen 4/2000, 1/2001 und 2/2001 neben der antiretroviralen 3er-Kombination (Zerit, Videx, Sustiva, später Kaletra) eine Immunglobulintherapie mit Octagam durchgeführt. In der von der Klägerin vorgelegten ärztlichen Stellungnahme zum Behandlungsverlauf des Patienten F.K. ist ausgeführt, dass es sich um einen Patienten mit einer HIV-Infektion im CDC-Stadium C 3 handele. Eine antiretrovirale Therapie werde seit 1988 durchgeführt. Seit 11/1993 bestehe ein Kaposisarkom der Haut, seit 3/1994 eine orale Haarleukoplakie, seit 3/1994 ein perianales Ekzem und seit 5/1994 eine Colitis. Seit Juni 1994 werde eine intravenöse Immunglobulintherapie durchgeführt. Als Kommentar wird aufgeführt: Multiresistentes Virus. Trotz schwerem Immundefekt (CD 4-Zellen zwischen 50 und 200 Helferzellen schwankend) keine bakteriellen oder mykotischen Infektionen seit Beginn der IVIG. Die diesbezüglichen Angaben hat die Klägerin im Rahmen des Klageverfahrens (Az.: S 38 KA 994/08, Schriftsatz vom 06.10.2008) wiederholt. Damit liegt auch bezüglich des Patienten F.K. nicht ansatzweise eine hinreichende Dokumentation zu den Quartalen 4/00, 1/01 und 2/01 vor. Ergänzend wurde vorgetragen, dass das seit 1993 bestehende Kaposisarkom als Aidsdefinierende Erkrankung einzustufen sei. Das gehäufte Auftreten zusätzlicher Infektionen kennzeichne die HIV-Erkrankung als erworbenes Immundefekt-Syndrom. Die Infektionen, mögen sie auch für sich gesehen harmlos erscheinen, würden im Zusammenhang mit der HIV-Infektion stehen und seien krankheitsdefinierend. Des Weiteren wird - insoweit nicht nachvollziehbar - behauptet, dass der Beklagte die auftretenden Infektionen offensichtlich als eigenständiges Krankheitsbild betrachte. Die Klägerin hat also im Falle des Patienten F.K. die mit der HIV-Erkrankung einhergehenden Infektionen behandelt. Diesbezüglich ist aber darauf hinzuweisen, dass das Immunglobulin Octagam weder für die Anwendung bei erwachsenen HIV-/Aids-Patienten noch bezüglich der im Verlauf der Krankheit auftretenden gehäuften Infektionen zugelassen ist. Die „wissenschaftliche Aufbereitung zu intravenösen Immunglobulinen (IVIG) im Anwendungsgebiet „HIV/Aids im Erwachsenenalter“ als Grundlage einer Bewertung durch die Expertengruppe Off-Label Infektiologie mit Schwerpunkt HIV/Aids als Entscheidungsgrundlage für den Gemeinsamen Bundesausschuss kommt diesbezüglich zu folgendem Fazit: „Es findet sich keine wissenschaftlich ausreichende Evidenz für die Wirksamkeit von intravenösen Immunglobulinen im Anwendungsgebiet HIV/Aids bei Erwachsenen als Therapie gegen das Fortschreiten des Immundefekts oder die resultierenden infektiologischen Komplikationen. Auch die Voraussetzungen der Nr. 1 der ohnehin nicht verbindlichen DAGNÄ-Empfehlungen liegen entgegen der Auffassung der Klägerin nicht vor. Es ist gerade nicht nachgewiesen bzw. dokumentiert, dass sich der Patient F.K. in einer sehr stark fortgeschrittenen Krankheitsphase befindet, die durch andere Therapien nicht ausreichend behandelbar ist. Er gehört nicht zu den Patienten mit weniger als 50 µl CD-4-Lymphozyten, die keine antiretrovirale Therapie mehr vertragen und multiple klinische Komplikationen aufweisen. Der Patient hat eine antiretrovirale Medikation erhalten (NRTI Videx und Zerit sowie die PI Kaletra und Sustiva). Hinsichtlich des Vorliegens eines sekundären Antikörpermangelzustandes gelten die zu der Patientin A.G. gemachten Ausführungen entsprechend.

Beim Patienten W.M. hat die Klägerin neben der antiretroviralen Therapie in den streitgegenständlichen Quartalen 4/2000, 1/2001 und 2/2001 ebenfalls eine Immunglobulintherapie mit Octagam durchgeführt. In der ärztlichen Stellungnahme zum Behandlungsverlauf bei dem Patienten W.M. gibt die Klägerin an, dass es sich um eine HIV-Infektion im CDC-Stadium C3 handle. Des Weiteren wird mitgeteilt, dass der Patient seit 4/1987 rezidivierende eitrige Sinusbronchitiden mit asthmoider Komponente aufweise, 8/1987 schwere Colitis, seit 8/1987 rezidivierender Soor, seit 1987 ausgeprägte, progrediente Thrombozytopenie mit Werten bis 17.000 Plättchen/µl, 12/1989 Bronchopneumonie, 1/1990 Bronchopneumonie, 2/1990 eitrige asthmoide Bronchitis, 4/1990 eitrige asthmoide Bronchitis, 6/1991 Splenektomie wegen Thrombozytopenie, 6/1991 Otitis externa rechts, 12/1991 eitrige Bronchitis, 4/1993 ausgeprägter Soor und schwere eitrige Bronchitis, seit 5/1993 orale Haarleukoplakie, insgesamt ca. alle drei Monate Pneumonie oder eitrige Bronchitis, seit 1993 erneut schwere Thrombozytopenie, 8/1993 eitrige Bronchitis, 9/1993 Onychomykose. Seit 10/1993 intravenöse Immunglobulintherapie, 6/1994 Oneumonie (atypische Mycobakterien), 1994 Pneumo- cystitis carinii Pneumonie mit Rezidiv, 12/1994 Thrombozytopenie von 6.000 µl, seit 12/1994 antiretrovirale Therapie, 4/1995 bakterielle Pneumonie, 2/1997 bakterielle Pneumonie. Im Rahmen des Gerichtsverfahrens hat die Klägerin die genannten Diagnosen/Befunde lediglich wiederholt (Az.: S 38 KA 996/08, Schriftsatz vom 06.10.2008). Damit liegen auch im Falle des Patienten W.M. keine auf die streitgegenständlichen Quartale bezogenen Diagnosen und Befunde vor. Die Klägerin hat ergänzend vorgetragen, dass es sich bei der Pneumo- cystitis carinii Pneumonie um eine Aidsdefinierende Erkrankung handle und das gehäufte Auftreten zusätzlicher Infektionen die HIV-Erkrankung als erworbenes Immundefekt-Syn- drom kennzeichnen würde. Weil solche Infekte das bereits teilweise zerstörte Immunsystem (durch HIV) weiter beschädigen, die Vermehrung der HI-Viren beschleunigen könnten und letztendlich damit auch das Funktionieren der HAART negativ beeinträchtigen würden, würden zusätzlich Immunglobuline eingesetzt. Die ohnehin nicht verbindlichen Empfehlungen der DAGNÄ zur Immunglobulintherapie sind nicht gegeben. Zum einen sind die Voraussetzungen der Nr. 1 der Empfehlungen nicht erkennbar. Der Patient W.M. zählt nicht zu den Patienten in sehr stark fortgeschrittenen Krankheitsphasen, die durch andere Therapien nicht ausreichend behandelbar sind. Aus den Verordnungen der Klägerin ist ersichtlich, dass der Patient eine antiretrovirale Medikation erhalten hat (NRTI Combivir und Ziagen sowie die PI Fortovase und Viracept). Auch das Vorliegen der Nr. 2 der DAGNÄ-Empfehlungen (Patienten mit Immunthrombozytopenie, die auf andere Therapiewege nicht ausreichend angesprochen haben und deren Thrombozytenwerte unter 30.000/mm3 liegen) kann nicht bestätigt werden. Diagnosen bzw. Befunde hierzu liegen für die streitgegenständlichen Quartale nicht vor. Auch soweit ein Auslassversuch behauptet wird (Schreiben der Klägerin vom 24.05.2002), ist dieser nicht nachvollziehbar. Voraussetzung hierfür wäre, dass bei Patienten, die bisher mit Immunglobulinen behandelt wurden, es nachweislich durch Absetzen dieser Therapie zu einer dokumentierten Verschlechterung des Gesundheitszustandes gekommen ist. Diesbezüglich ist zunächst festzustellen, dass für den Senat nicht erkennbar ist, wann der Auslassversuch stattgefunden haben soll. Von daher kann auch keine Dokumentation des Zustandes vor dem Auslassversuch und des Zustandes während des Auslassversuches beim Patienten festgestellt werden. Der nicht dokumentierte Auslassversuch dürfte in Hinblick auf das Schreiben der Klägerin vom 06.10.2008 (Az.: S 38 KA 996/08) jedenfalls nach den hier streitgegenständlichen Quartalen stattgefunden haben und nicht wie erforderlich vor diesen. Auch das Vorliegen eines sekundären Antikörpermangelzustandes, insbesondere auch im Sinne einer von der HIV-Erkrankung abgrenzbaren Erkrankung, ist in den streitgegenständlichen Quartalen bezüglich des Patienten W.M. nicht dokumentiert. In den Abrechnungsdiagnosen findet sich wiederum nur die Ziffer D 84.9 „sonstige Immundefekte“, Immundefekt, nicht näher bezeichnet, so dass insgesamt ergänzend auf die Ausführungen zu der Patientin A.G. verwiesen werden kann.

Bei der Patientin J.L. (geboren 1968) hat die Klägerin neben der antiretroviralen Therapie eine Immunglobulintherapie mit Octagam und Flebogamma durchgeführt.

In der ärztlichen Stellungnahme hat die Klägerin im Verwaltungsverfahren zu den streitgegenständlichen Quartalen mitgeteilt, dass es sich bei der Patientin J.L. um eine Patientin mit HIV-Infektion im CDC Stadium B2 handle. Seit 8/1990 habe sie rezidivierende Gastroenteritiden, seit Juli 1991 orale Haarleukoplakie, seit 6/1993 Sialadenitis, seit 2/1993 rezidivierender Herpes simplex, seit 8/1993 bakterielle Vaginose, seit 3/1994 Onychomykose, seit 3/1994 Pyodermien, seit 10/1994 ein schwerer Schub der o.g. Gastroenteritiden, seit 2/1996 eine bakterielle Cervicitis, seit 7/1996 in unmittelbarer Folge schwere Gastroenteritis und Sinubronchitis. Seit Mai 1996 erhalte sie eine antiretrovirale Therapie und seit 7/1996 eine intravenöse Immunglobulintherapie. Es handle sich um eine Patientin der Kategorie 3 der DAGNÄ-Empfehlung. Es sei ein deutlicher Rückgang von Häufigkeit und Schwere sämtlicher oben aufgeführter infektiöser Ereignissen zu verzeichnen. Im Rahmen des Klage- und Berufungsverfahren hat die Klägerin keine weitergehenden Angaben gemacht. Die Voraussetzungen für die Nr. 3 der ohne nicht verbindlichen DAGNÄ-Empfehlungen sind nicht dokumentiert. Stattdessen findet sich nur eine pauschale Erklärung „deutlicher Rückgang von Häufigkeit und Schwere sämtlicher oben aufgeführter infektiösen Ereignisse“. Auch aus den Abrechnungsdiagnosen zu den streitgegenständlichen Quartalen gehen keine zusätzlichen Erkenntnisse hervor, die eine Immunglobulintherapie neben der antiretroviralen Therapie mit dem NRTI Zerit und Videx sowie dem NNRTI Sustiva rechtfertigen könnten. Auch für das Vorliegen des von Seiten der Klägerin geltend gemachten Antikörpermangelsyndroms, insbesondere auch im Sinne einer von der HIV-Erkrankung abgrenzbaren eigenständigen Erkrankung ergibt sich aus den vorliegenden Unterlagen kein Nachweis bzw. ist dieser nicht dokumentiert. Im Übrigen hat schon der zu einem früheren Quartal (3/1997) mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragte Gutachter Dr. D. in seinem Gutachten nach Aktenlage vom 06.07.2000 nicht nachvollziehen können, warum zwei Monate nach Beginn der antiretroviralen Behandlung bei der Patientin J.L. zusätzlich eine intravenöse Immunglobulintherapie begonnen wurde.

Bei dem Patienten H.N. hat die Klägerin neben der antiretroviralen Therapie eine Immunglobulintherapie mit Octagam und Flebogamma durchgeführt. Zu dem Patienten H.N. hat die Klägerin in ihrer ärztlichen Stellungnahme angegeben, dass es sich bei dem Patienten um eine HIV-Infektion im CDC-Stadium C3 handle. Im Jahre 1996 habe er eine Pneumocystitis carinii Pneumonie erlitten. Seit 1996 werde eine antiretrovirale Therapie durchgeführt. Im Mai 1997 sei es zu einer Pneumocystitis carinii Pneumonie gekommen. Seit September 1997 werde die intravenöse Immunglobulintherapie fortgesetzt, die bereits vom Vorbehandler eingeleitet worden sei. Es handle sich um einen Patienten der Kategorien 1 und 3 der DAGNÄ-Empfehlungen. Bei einem Nadir der Helferzellen von 47/µl im Juli 1997 bestehe trotz erfolgreicher antiretroviraler Therapie noch ein erheblicher Immundefekt, so dass eine zusätzliche Unterstützung mit IVIG erforderlich sei. Schon der Gutachter Dr. D. zum 3. Quartal 1997 bezüglich des Patienten H.N. hat in seinem Gutachten vom 06.07.2000 bemängelt, dass der behandelnde Arzt die Indikation für eine Therapie - hier mit Immunglobulinen - selbst stellen muss und nicht lediglich auf den Vorbehandler verweisen kann. Im 3. Quartal 1997 sei weder die Gesamtzahl der T-Lymphozyten genannt noch die sog. Supressorzellen, die auch eine wichtige Funktion der Abwehr gegenüber Infektionen hätten. Auch aus den Abrechnungsdiagnosen sind keine weiteren Erkenntnisse zu gewinnen. Dort ist neben der HIV-Krankheit (B 24) als weiterer Hinweis nur „sonstige Immundefekte“ Immundefekt nicht näher bezeichnet, D 84.9 aufgeführt. Von daher liegen auch bezüglich des Patienten H.N. keine ausreichenden aktuellen Diagnosen bzw. Befunde für die streitgegenständlichen Quartale vor, die die zusätzliche Therapie mit Immunglobulinen rechtfertigen könnten. Auch die Voraussetzungen für die Nrn. 1 und 3 der ohnehin nicht verbindlichen DAGNÄ-Empfehlungen liegen nicht vor bzw. sind nicht dokumentiert. Der Patient H.N. hat in allen Quartalen eine antiretrovirale Medikation erhalten, nämlich die NRTI Ziagen und Videx sowie das NNRTI Viramune. Auch für das Vorliegen einer bestehenden sekundären Antikörpermangelerkrankung, insbesondere auch im Sinne einer eigenständigen, von der HIV-Erkrankung abgrenzbaren Erkrankung, fehlt jegliche Dokumentation.

Der Patient E.P. (geboren 1933) hat in den streitgegenständlichen Quartalen neben der antiretroviralen Behandlung (2er-Kombination mit Combivir) eine Therapie mit Immunglobulinen erhalten. Die Klägerin hat in der ärztlichen Stellungnahme zu dem Patienten E.P. mitgeteilt, dass bei diesem eine HIV-Infektion im CDC-Stadium B2 vorliege. Seit 1990 chronische Bronchitis und schwere distal betonte Neuropathie, 1/1993 Balanitis, 5/1993 orale Haarleukoplakie, seit 10/1993 rezidivierender Soor. Seit 1994 intravenöse Immunglobulintherapie und seit 1996 antiretrovirale Therapie. Es handle sich um einen Patienten der Kategorie 1 der DAGNÄ-Empfehlung. Wegen erheblicher Nebenwirkungen, insbesondere distal betonter Neuropathie und gastroenterologischer Beschwerden sei kein Einsatz von Proteaseinhibitoren möglich. Auch bei den Reverse-Transkriptase-Inhibitoren würden erhebliche Einschränkungen bestehen. Es werde derzeit nur eine 2-fach Kombination durchgeführt. Bei zufriedenstellendem virologischem Ergebnis bestehe weiterhin eine niedrige CD 4-Zahl. Seit Einsatz der IVIG habe kein Soor mehr beobachtet werden können. Die Häufigkeit der Bronchitisschübe habe deutlich nachgelassen. Die Klägerin hat im Laufe des Klage- und Berufungsverfahrens keine weiteren, auf die streitgegenständlichen Quartale bezogenen konkreten Angaben gemacht. Von daher liegt auch bezüglich des Patienten E.P. keine auf die streitgegenständlichen Quartale bezogene Dokumentation der Diagnosen und Befunde vor. Damit ist auch das Vorliegen der Nr. 1 der ohnehin nicht verbindlichen DAGNÄ-Empfehlungen nicht dokumentiert, die sich auf Patienten mit weniger als 50 µl CD-4-Lymphozyten, die keine antiretrovirale Therapie mehr vertragen und multiple klinische Komplikationen aufweisen, bezieht. In den streitgegenständlichen Quartalen ist weder die CD-4-Lymphozytenzahl konkret benannt, sondern nur als niedrig beschrieben, wobei zudem nicht klar ist, auf welche Quartale sich das bezieht. Des Weiteren wird sehr wohl noch eine antiretrovirale Therapie vertragen (in den streitgegenständlichen Quartalen eine 2er-Kombination mit Combivir) und es sind auch keine multiplen klinischen Komplikationen dokumentiert. Auch für das Vorliegen einer bestehenden sekundären Antikörpermangelerkrankung, insbesondere im Sinne einer eigenständigen, von der HIV-Erkrankung abgrenzbaren Erkrankung, fehlt jegliche Dokumantation.

Der Patient L.S. (geboren 1965) hat neben der antiretroviralen Therapie (2er-Kombination Videx und Zerit) in den streitgegenständlichen Quartalen 4/2000 und 1/2001 eine Immunglobulintherapie mit Octagam und Flebogamma erhalten. In der ärztlichen Stellungnahme zu dem Patienten hat die Klägerin mitgeteilt, dass der Patient L.S. eine HIV-Infektion im CDC Stadium B2 habe. Es bestehe eine schwere Thrombozytopenie mit Nachweis von Thrombozytenantikörpern, Tiefstwerte der Thrombozyten zwischen 12.000 und 28.000 µl. Seit 5/1997 erhalte der Patient eine antiretrovirale Therapie und seit 8/1998 eine intravenöse Immunglobulintherapie. Wegen der schweren Thrombozytopenie sei aufgrund der erheblichen Blutungsgefahr weiterhin eine Immunglobulintherapie erforderlich. Im Rahmen des Klage- und Berufungsverfahrens hat die Klägerin zu dem Patienten L.S. keine weiteren Angaben gemacht, so dass auch bezüglich dieses Patienten eine hinreichende Dokumentation der Diagnosen und Befunde für die streitigen Quartale 4/2000 und 1/2001 fehlt. Auch aus den Abrechnungsdiagnosen der Klägerin (Quartal 4/2000 sonstiger Immundefekt nicht näher bezeichnet, D 84.9 „chronische Hepatitis“, nicht näher bezeichnet K 73.9 und „Fieber unbekannter Ursache“ R 50.9; Quartal 1/2001 sonstige Immundefekte, nicht näher bezeichnet D 84.9 „chronische Hepatitis“ nicht näher bezeichnet K 73.9 sonstige Verletzung der oberen Extremität, Höhe nicht näher bezeichnet, T 11.8) ergeben keine hinreichenden Erkenntnisse hinsichtlich der Notwendigkeit der Verordnung von Immunglobulinen. Auch die Voraussetzungen der Nr. 2 der nicht verbindlichen DAGNÄ-Richtlinien (Patienten mit Immunthrombozytopenie, die auf andere Therapiewege nicht ausreichend angesprochen haben und deren Thrombozytenwerte unter 30.000 mm3 liegen) liegen ebenfalls nicht vor. Der Beklagte hat in seiner Entscheidung zu Recht darauf hingewiesen, dass das Vorliegen dieses DAGNÄ-Kriteriums mangels aktueller Angaben zu dem streitgegenständlichen Quartal 1/2001 nicht nachvollzogen werden kann. Gleiches gilt für das Quartal 4/2000, wenn man die im Verwaltungsverfahren zu Quartal 1/2001 eingereichte ärztliche Stellungnahme auch auf das Quartal 4/2000 bezieht. Auch für das Vorliegen einer sekundären Antikörpermangelerkrankung, insbesondere im Sinne einer eigenständigen, von der HIV-Erkrankung abgrenzbaren Erkrankung, gibt es keine aussagekräftige Dokumentation seitens der Klägerin.

Der Patient F.W. (geboren 1937) hat neben der antiretroviralen Therapie (3er-Kombination mit Epivir, Zerit und Viramune) in den streitigen Quartalen 4/2000 und 1/2001 zusätzlich eine Immunglobulintherapie mit Octagam und Flebogamma erhalten. In der ärztlichen Stellungnahme hierzu zum Quartal 1/2001 ist ausgeführt, dass bei dem Patienten F.W. eine HIV-Infektion im CDC-Stadium B3 vorliege. Zum Krankheitsverlauf wird mitgeteilt: 9/1997 eine Salmonellenenteritis, rezidivierender Herpes simplex der Mundhöhle, Condylomata acuminata, Soor, orale Haarleukoplakie, Kardiomyopathie und Aorteninsuffizienz seit Jahren bekannt, 5/1998 perianales spinozelluläres Karzinom Resektion, seit 10/1997 intravenöse Immunglobulintherapie und antiretrovirale Therapie, seit 7/1998 distal betonte Neuropathie und 5/2000 Rezidiv eine spinozellulären Karzinoms, Chemo- und Radiotherapie. Es handle sich um einen Patienten der Kategorie 3 der DAGNÄ-Empfehlung, es liege eine unbefriedigende Rekonstitution des Immunsystems (CD 4-Zellen zwischen 200 und 300 Zell µl) trotz erfolgreicher antiretroviraler Therapie vor. Es handle sich um einen multimorbiden Patienten mit onkologischer Zweiterkrankung. Im Rahmen des Klage- und Berufungsverfahrens wurden keine weiteren auf die streitgegenständlichen Quartale bezogenen Angaben gemacht, sondern die genannten Angaben lediglich wiederholt. Auch aus den Abrechnungsdiagnosen (sonstige Immundefekte, nicht näher bezeichnet, D 84.9 in den Quartalen 4/2000 und 1/2001) ergeben sich keine weiteren Erkenntnisse, die die Notwendigkeit der zusätzlichen Immunglobulintherapie begründen könnten, so dass auch bezüglich des Patienten F.W. keine Dokumentation gegeben ist. Die Voraussetzungen der Ziffer 3 der nicht verbindlichen DAGNÄ-Empfehlungen liegen nicht vor. Aus den Angaben der Klägerin ist nicht ansatzweise erkennbar, dass es sich bei dem Patienten F.W. um einen Patienten mit rezidivierenden bakteriellen und viralen Infekten handle, bei dem andere Strategien ausgeschöpft sind und der auf einen Therapieversuch mit Immunglobulinen mit einer dokumentierten Verminderung der aufgetretenen Infekte reagiert habe. Des Weiteren ist auch nicht dokumentiert, dass eine, sekundäre Antikörpermangelerkrankung, insbesondere im Sinne einer eigenständigen, von der HIV-Erkrankung abgrenzbaren Erkrankung vorgelegen hat.

Bei dem Patienten E.C. (geboren 1948) wurde neben der antiretroviralen Therapie (3er-Kombination mit Videx, Zerit und Fortovase) eine Immunglobulintherapie mit Octagam durchgeführt. Im Rahmen des Verwaltungsverfahrens wurden im Quartal 4/2000 seitens der Klägerin keine auf diesen Patienten bezogenen Angaben gemacht. Es wurde nur allgemein ausgeführt (Schriftsatz vom 07.02.2003), dass sich die Notwendigkeit der Immunglobulintherapie daraus ergebe, dass der Patient E.C. neben einer fortgeschrittenen HIV-Infektion an anderen Erkrankungen leide und zur Prophylaxe dieser bakteriellen und viralen Erkrankungen eine Immunglobulintherapie erforderlich sei. Im Rahmen des Klageverfahrens (Schriftsatz vom 06.10.2008, Az.: S 38 KA 992/08) wurde weiter ausgeführt, dass der Patient E.C. sich im weit fortgeschrittenen Stadium der HIV-Infektion befinde. Er leide seit 1990 an rezidivierenden oberen Atemwegsinfekten, 12/1995 Herpes zoster. Er erhalte seit 12/1995 eine antiretrovirale Therapie und seit 12/1999 eine Immunglobulintherapie. Es handle sich um einen Patienten der Kategorie 1 der DAGNÄ-Empfehlungen. Es bestehe eine generelle Proteaseinhibitorenunverträglichkeit, so dass nur eine insuffiziente HAART zur Anwendung gelangen könne. Auf der Grundlage der unzureichenden Dokumentation des Krankheitszustandes des Patienten E.C. im Quartal 4/2000 ist das Vorliegen der Ziffer 1 der nicht verbindlichen DAGNÄ-Empfehlungen nicht nachvollziehbar. Der Patient E.C. ist kein Patient mit weniger als 50 µl CD-4-Lymphozyten, der keine antiretrovirale Therapie mehr verträgt und multiple klinische Komplikationen aufweist. Vorliegend sind keine auf das streitige Quartal bezogenen Angaben zu rezidivierenden bakteriellen und/oder viralen Infekten vorhanden. Auch die Ausschöpfung anderer Strategien ist nicht dokumentiert, ebenso wenig ein Therapieversuch mit Immunglobulinen, auf den mit einer dokumentierten Verminderung der aufgetretenen Infekte reagiert wurde. Schließlich gibt es keine dokumentierten Hinweise für eine vorliegende sekundäre Antikörpermangelerkrankung, insbesondere auch nicht im Sinne einer eigenständigen, von der HIV-Erkrankung abgrenzbaren Erkrankung.

Die Patientin S.N.-M. (geboren 1965) hat neben der antiretroviralen Therapie (wechselnde Kombination aus Combivir, Norvir, Viramune, dann mit Crixivan, Fortovase und Ziagen) im streitigen Quartal 4/2000 eine Immunglobulintherapie mit Octagam erhalten. Die Klägerin hat hierzu im Rahmen des Verwaltungsverfahrens keine auf das streitige Quartal 4/2000 bezogene ärztliche Stellungnahme vorgelegt. Es wurde nur allgemein ausgeführt (Schriftsatz vom 07.02.2003), dass die medizinische Notwendigkeit der Immunglobulintherapie sich im Falle der Patientin S.N.-M. daraus ergebe, dass diese neben einer fortgeschrittenen HIV-Infektion an anderen Erkrankungen leide und zur Prophylaxe dieser bakteriellen und viralen Erkrankungen eine Immunglobulintherapie erforderlich sei. Im Rahmen des Klageverfahrens (Schriftsatz vom 06.10.2008, Az.: S 38 KA 998/08) wurde ergänzend vorgetragen, dass die Patientin S.N.-M. sich im weit fortgeschrittenen Stadium der HIV-Infektion befinde. Seit 5/1994 hätten sich eitrige Infekte der oberen Atemwege ereignet. Seit 1994 erhalte die Patientin eine antiretrovirale Therapie. Im Jahre 1995 habe sie eine ausgedehnte Pyodermie erlitten. Seit 6/1995 erhalte sie eine Immunglobulintherapie. In der Zeit von 12/1996 bis 8/1997 habe die Patientin eine Schwangerschaft mit häufigem Erbrechen und insgesamt unzuverlässiger Medikamenteneinnahme durchlebt. Es handle sich um eine Patientin der Kategorie 1 der DAGNÄ-Empfehlungen. Seit dem Einsatz von IVIG stelle sich ein Sistieren der schweren bakteriellen Infektionen ein. Auch aus den Abrechnungsdiagnosen („sonstige Immundefekte, nicht näher bezeichnet“ D 84.9) ergeben sich keine weiteren verwertbaren Erkenntnisse. Die Patientin S.N.-M. erfüllt entgegen der Angaben der Klägerseite nicht die Voraussetzungen der Ziffer 1 der DAGNÄ-Empfehlungen. Sie ist keine Patientin mit weniger als 50 µl CD-4-Lymphozyten, die keine antiretrovirale Therapie mehr verträgt und multiple klinische Komplikationen aufweist. Des Weiteren ist auch nicht dokumentiert, dass die Patientin an einer sekundären Antikörpermangelerkrankung, insbesondere auch im Sinne einer eigenständigen, von der HIV-Erkrankung abgrenzbaren Erkrankung leidet.

Der Patient R.B. (geboren 1962) hat neben einer antiretroviralen Therapie (Kombinationstherapie mit Epivir, Kaletra, Ziagen und Agenerase) im streitigen Quartal 2/2001 zusätzlich eine Immunglobulintherapie mit Octagam erhalten. In der ärztlichen Stellungnahme zu dem Patienten R.B. ist ausgeführt, dass dieser an einer HIV-Infektion im CDC-Stadium B2 leide. Seit 1992 rezidivierende obere Atemwegsinfekte, seit 10/1993 orale Haarleukoplakie, seit 8/1994 ausgedehnte Dermatomykose, seit 9/1994 rezidivierender Herpes simplex, seit 9/1994 antiretrovirale Therapie und zusätzlich eine intravenöse Immunglobulintherapie in relativ großen Abständen und zeitweisen längeren Unterbrechungen (5/1997 bis 6/1998 keine IVIG). Letzte Infusion 6/1998 wegen fehlender Compliance. Während IVIG sei ein deutlicher Rückgang infektiöser Krankheiten festzustellen gewesen. Im Rahmen des Klageverfahrens (Schriftsatz vom 06.10.2008, Az.: S 38 KA 950/08) wurde auf die Ziffer 4 der nicht verbindlichen DAGNÄ-Empfehlungen hingewiesen. Die Voraussetzungen der Ziffer 4 der DAGNÄ-Empfehlungen sind nicht hinreichend dokumentiert. Nach der Nr. 4 der DAGNÄ-Empfehlungen ist eine Therapie mit Immunglobulinen gerechtfertigt, wenn bei Patienten, die bisher mit Immunglobulinen behandelt wurden, es nachweislich durch Absetzen dieser Therapie zu einer dokumentierten Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes gekommen ist. Die in der Ziffer 4 der DAGNÄ-Empfehlung vorausgesetzte Dokumentation der Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Patienten R.B. fehlt vorliegend völlig. Auch aus den Abrechnungsdiagnosen ergeben sich keine weiteren hinreichenden Erkenntnisse (sonstige Immundefekte, nicht näher bezeichnet, D 84.9, HIV-Krankheit, D 24, sonstige bakterielle Krankheiten, andernorts nicht klassifiziert, A 48.8). Infolge der nicht ausreichenden Dokumentation des Krankheitsverlaufs des Patienten R.B. ist auch nicht erkennbar, dass der Patient an einer sekundären Antikörpermangelerkrankung, insbesondere auch im Sinne einer eigenständigen, von der HIV-Erkrankung abgrenzbaren Erkrankung gelitten hat.

Die Patientin A.T. (geboren 1961) hat in den streitigen Quartalen 4/2000 und 1/2001 neben der antiretroviralen Therapie (Kombination mit NRTI Ziagen, NNRTI Rescriptor sowie das PI Viracept) eine Immunglobulintherapie mit Octagam und Flebogamma erhalten. Die Klägerin hat die Gabe von Immunglobulinen in den Widersprüchen vom 07.02.2003 damit begründet, dass sich die medizinische Notwendigkeit dieser Behandlung u. a. im Fall A.T. daraus ergebe, dass diese neben einer fortgeschrittenen HIV-Infektion an anderen Erkrankungen leide und zur Prophylaxe dieser bakteriellen und viralen Erkrankungen eine Immunglobulintherapie erforderlich sei. Wenn man ergänzend die in den Widerspruchsverfahren zu den Primärkassenpatienten vorgelegte ärztliche Stellungnahme, die auch Angaben zu Patienten der Ersatzkassen enthalten, heranzieht, ergibt sich für die Patientin A.T. folgender Krankheitsverlauf: Es handle sich bei der Patientin A.T. um eine HIV-Infektion im Stadium CDC B3. Seit 1990 rezidivierende orale Candidosis (Mundpilzbefall), rezidivierender Herpes simplex und genitales, chronischer Durchfall ohne Erregernachweis. Seit 2/2000 liege ein multiresistentes HIV 1-Virus vor. Die Viruslast lasse sich zu diesem Zeitpunkt mit keinem der bekannten antiretroviralen Medikamente nennenswert absenken. Seit 2/2000 intravenöse Immunglobulintherapie. In der Folge unter dieser Behandlung nur noch seltenes Auftreten der oralen Candidosis und des Herpes simplex bzw. genitalis. Im Verlauf der weiteren Behandlung sistierten auch die chronischen Diarrhoen. Gleichzeitig Zunahme einer ausgeprägten distal betonten Polyneuropathie. Es handle sich um eine Patientin der Kategorie 1 der DAGNÄ-Richtlinien. HIV-Virus multiresistent gegen alle bekannten antiretroviralen Medikamente. Hierzu hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 29.09.2008 (Az.: S 38 KA 964/08) im Klageverfahren ergänzend mitgeteilt, dass es sich bei den Erkrankungen der Patientin A.T. um zusätzliche Infektionen handle, die der HIV-Infektion ursächlich zuzuordnen seien. Wegen der Multiresistenz gegen alle verfügbaren Medikamente der hochaktiven antiretroviralen Kombinationstherapie habe sich ab Februar 2000 die Viruslast nicht mehr nennenswert absenken lassen. Vor diesem Hintergrund ist wiederum festzustellen, dass für die Patientin A.T. für die streitigen Quartale 4/2000 und 1/2001 keine aktuellen quartalsbezogenen Diagnosen oder gar Befunde vorliegen. Auch aus den mitgeteilten Abrechnungsdiagnosen (für beide Quartale sonstige Immundefekte, nicht näher bezeichnet, D 84.9, HIV-Krankheit, B 24) ergaben sich hierzu keine weiteren Erkenntnisse. Das Vorliegen der Ziffer 1 der DAGNÄ-Empfehlungen (Patienten mit weniger als 50 µl CD-4-Lymphozyten, die keine antiretrovirale Therapie mehr vertragen und multiple klinische Komplikationen aufweisen) ist in keiner Weise dokumentiert. Die Lymphozytenzahl der Patientin A.T. ist weder für die streitgegenständlichen Quartale noch für sonstige Quartale bekannt, es wird weiterhin die klassische antiretrovirale Therapie in Form der 3er-Kombination durchgeführt und es bestehen keine Hinweise auf multiple klinische Komplikationen. Infolge der mangelnden Dokumentation ergeben sich auch keine Hinweise für ein vorliegendes sekundäres Antikörpermangelsyndrom, auch nicht im Sinne einer eigenständigen, von der HIV-Erkrankung abgrenzbaren Erkrankung

Der Patient K.S. (geboren 1949) hat neben einer antiretroviralen Therapie (in den Quartalen 4/2000 und 1/2001 Kombinationstherapie mit den NRTI Epivir und Zerit sowie die PI Kaletra und Agenerase) in den streitigen Quartalen 4/2000 und 1/2001 zusätzlich eine Immunglobulintherapie mit Octagam und Flebogamma erhalten. Zur Begründung der Immunglobulintherapie hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 07.02.2003 (Quartal 4/2000) auch hier geltend gemacht, dass im Falle des Patienten K.S. eine fortgeschrittene HIV-Infektion mit anderen Erkrankungen vorgelegen habe und zur Prophylaxe dieser bakteriellen und viralen Erkrankungen eine Immunglobulintherapie erforderlich sei. Zum anderen wurde zum Quartal 1/2001 eine ärztliche Stellungnahme zum Krankheitsverlauf des Patienten K.S. übersandt. Danach liege bei dem Patienten eine HIV-Infektion im CDC-Stadium C3 vor. Seit 1988 rezidivierender Herpes simplex, 1988 Lobärpneumonie, 1990 Soorösophagitis, seit 1989 therapieresistente Gastritis unklarer Genese, seit 4/1997 therapierefraktäre Neuropathie. Es bestehe ein virologisches Therapieversagen mit Abfall der Helferzahl auf zuletzt unter 100 Helferzellen/µl. Zur Zeit 5-fach-Therapie. Es handle sich um einen Patienten der Kategorie 1 der DAGNÄ-Empfehlung. Angaben zu den streitgegenständlichen Quartalen 4/2000 und 1/2001 fehlen gänzlich. Auch aus den Abrechnungsdiagnosen zu den streitigen Quartalen finden sich keine hinreichenden weiteren Erkenntnisse (sonstige Immundefekte, nicht näher bezeichnet, D 84.9, sonstige cardiale Arrhythmien und nicht näher bezeichnete Extrasystolie, I 49.4, Gastritis und Duodenitis, K 29.7, Störungen des Sphingo-Lipidstoff- wechsels und sonstige Störungen der Lipidspeicherung, E 75.5). Auf dieser Grundlage sind die Voraussetzungen der Ziffer 1 der nicht verbindlichen DAGNÄ-Empfehlungen auch im Falle des Patienten K.S. nicht dokumentiert. Es ist nicht nachvollziehbar, dass es sich bei ihm um einen Patienten mit weniger als 50 µl CD-4-Lymphozyten handelt, der keine antiretrovirale Therapie mehr verträgt und multiple klinische Komplikationen aufweist. Aus demselben Grunde ist auch nicht dokumentiert, dass dieser Patient an einem Antikörpermangelsyndrom, insbesondere im Sinne einer eigenständigen, von der HIV-Erkrankung abgrenzbaren Erkrankung, leidet.

Der Patient S.L. (geboren 1958) hat in den streitigen Quartalen 4/2000 und 1/2001 neben einer antiretroviralen Therapie (Kombinationstherapie mit den NRTI Zerit, Ziagen und Videx und dem NNRTI Viramune) zusätzlich eine Immunglobulintherapie mit Octagam und Flebogamma erhalten. Die Klägerin hat die Behandlung mit Immunglobulinen im Widerspruchsverfahren auch im Falle des Patienten S.L. damit begründet, dass bei ihm neben einer fortgeschrittenen HIV-Infektion andere Erkrankungen vorliegen würden und die Immunglobulintherapie zur Prophylaxe dieser bakteriellen und viralen Erkrankungen erforderlich sei. Zum Quartal 1/2001 wurde eine ärztliche Stellungnahme eingereicht, nach der bei dem Patienten S.L. eine HIV-Infektion im CDC-Stadium B2 vorliege. Seit 1990 häufig rezidivierende obere Atemwegsinfekte und rezivierender Herpes simplex, seit 1992 progrediente Neuropathie, seit 1993 orale Haarleukoplakie und seit 7/1995 multisegmentaler Herpes zoster. Seit 6/1995 antiretrovirale Therapie und intravenöse Immunglobulintherapie. Es handle sich um einen Patienten der Kategorie 3 der DAGNÄ-Empfehlung. Seit IVIG deutlicher Rückgang von oberen Atemwegsinfekten und Herpes simplex-Infektionen. Der dargestellte Krankheitsverlauf wurde im Klageverfahren (Schriftsatz vom 29.09.2008, Az.: S 38 KA 987/08) nochmals wiederholt.

Auch aus den Abrechnungsdiagnosen ergeben sich keine hinreichenden weiteren Erkenntnisse (Quartal 4/2000 sonstige Immundefekte nicht näher bezeichnet, D 84.9, Störungen des Mineralstoffwechsels, Störungen des Eisenstoffwechsels, E 83.1, im Quartal 1/2001 noch zusätzlich Laktoseintoleranz, E 73.8, sonstige Störungen der Hautpigmentierung, nicht näher bezeichnet, L 81.9, sonstige Mononeuropathien, G 58.8). Damit liegen auch für den Patienten S.L. keine hinreichenden Dokumentationen für die streitigen Quartale 4/2000 und 1/2001 vor. Auf der Grundlage der von der Klägerin gemachten Angaben ist auch das Vorliegen der Kategorie 3 der nicht verbindlichen DAGNÄ-Empfehlungen nicht nachvollziehbar, die Patienten mit rezidivierenden bakteriellen und viralen Infekten betrifft, bei denen andere Strategien ausgeschöpft sind und die auf einen Therapieversuch mit Immunglobulinen mit einer dokumentierten Verminderung der aufgetretenen Infekte reagieren. Des Weiteren ist auch das Vorliegen einer bestehenden sekundären Antikörpermangelerkrankung, insbesondere im Sinne einer eigenständigen, von der HIV-Erkrankung abgrenzbaren Erkrankung, nicht dokumentiert.

Der Patient A.P. (geboren 1957) hat neben einer antiretroviralen Therapie (Kombinatiostherapie mit den NRTI Epivir, Zerit und Videx und den PI Norvir und Fortovase) zusätzlich eine Immunglobulintherapie mit Octagam und Flebogamma erhalten Die Klägerin hat hierzu zum Quartal 4/2000 mitgeteilt (Schriftsatz vom 07.02.2003), dass sich die Notwendigkeit der Immunglobulintherapie beim Patienten A.P. daraus ergebe, dass dieser neben einer fortgeschrittenen HIV-Infektion an anderen Erkrankungen leide und zur Prophylaxe dieser bakteriellen und viralen Erkrankungen eine Immunglobulintherapie notwendig sei. In der zum Quartal 1/2001 vorgelegten ärztlichen Stellungnahme wird zum Krankheitsverlauf des Patienten A.P. mitgeteilt, dass dieser an einer HIV-Infektion im CDC-Stadium C3 leide. 1989 Pneumocystitis carinii Pneumonie, 1995 Pseudomonas-Pneumonie, 1995 Staphylococus aureus Sepsis, 4/1995 Myobakterium avium Infektion, 1995 Wasting-Syndrom (54 kg Körpergewicht bei einer Größe von 182 cm), 4/1995 akute nekrotisierende Pankreatitis und akutes Nierenversagen. Seit 4/1995 intravenöse Immunglobulintherapie. Es handle sich um einen Patienten der Kategorie 1 der DAGNÄ-Empfehlung. Trotz virologisch wirksamer antiretroviraler Therapie weiterhin schwerer Immundefekt, deutlicher Rückgang sämtlicher infektiöser Episoden seit Beginn der IVIG. Auch aus den Abrechnungsdiagnosen ergeben sich keine hinreichenden weitergehenden Erkenntnisse (Quartal 4/2000: sonstige Immundefekte, nicht näher bezeichnet, D 84.9, Störungen des Sphingolipidstoffwechsels und sonstige Störung der Lipidspeicherung, E 75.5, Notwendigkeit der Impfung gegen nicht näher bezeichnete Infektionskrankheit, Z 26.9; Quartal 1/2001 neben sonstigen Immundefekten nicht näher bezeichnet, D 84.9 und Störungen des Sphingolipidstoffwechsels, E 75.5 noch Bronchitis, nicht als akut oder chronisch bezeichnet, J 40). Damit liegen auch bezüglich des Patienten A.P. für die streitigen Quartale keine hinreichend dokumentierten Diagnosen und Befunde vor. Deswegen kann auch das Vorliegen der Nr. 1 der nicht verbindlichen DAGNÄ-Empfehlung in keiner Weise nachvollzogen werden. Es ist gerade nicht erkennbar, dass es sich bei dem Patienten A.P. um einen Patienten mit weniger als 50 µl CD-4-Lymphozyten handelt, der keine antiretrovirale Therapie mehr verträgt und multiple klinische Komplikationen aufweist. Aus demselben Grunde kann auch nicht das Vorliegen einer bestehenden sekundären Antikörpermangelkrankheit, insbesondere im Sinne einer eigenständigen, von der HIV-Erkrankung abgrenzbaren Erkrankung, nachvollzogen werden.

Der Patient G.G. (geboren 1936) hat in den Quartalen 4/2000 und 1/2001 neben einer antiretroviralen Therapie (Quartale 4/2000 und 1/2001 Kombinationstherapie mit NRTI Epivir und Zerit sowie PI Viracept und Kaletra) zusätzlich eine Immunglobulintherapie mit Octagam und Flebogamma erhalten. Zur Begründung hat die Klägerin im Verwaltungsverfahren zum Quartal 4/2000 ausgeführt, dass der Patient G.G. neben einer fortgeschrittenen HIV-Infektion an anderen Erkrankungen leide und zur Prophylaxe dieser bakteriellen und viralen Erkrankungen eine Immunglobulintherapie erforderlich sei. Ergänzend wurde in der ärztlichen Stellungnahme zum Quartal 1/2001 geltend gemacht, dass bei dem Patienten G.G. eine HIV-Infektion im CDC-Stadium C3 bestehe. Seit 1991 gehäufte obere Atemwegsinfekte und Onychomykose, seit 7/1991 Polyneuropathie, seit 9/1991 orale Haarleukoplakie, seit 10/1991 Pneumocystitis carinii Pneumonie, seit 11/1991 Colitis, seit 12/1991 antiretrovirale Therapie. Seit 1991 rezidivierende Pyodermien, seit 9/1993 Pneumocystitis carinii Pneumonierezidiv, seit 1/1995 Kaposi-Sarkom, 2/1995 Wasting-Syndrom, 6/1995 Pneumocystitis carinii Pneumonie, 6/1995 Salmonellenspesis, 7/1995 Pilzpneumonie und pseudomembranöse Colitis. Seit 7/1995 intravenöse Immunglobulintherapie und 10/1995 Pneumocystitis carinii Pneumonie und Kryptosporidiencolitis. Es handle sich um einen Patienten der Kategorie 1 der DAGNÄ-Empfehlung. Seit IVIG drastische Abnahme sämtlicher infektiöser Episoden. Im Klageverfahren (Schriftsatz vom 29.09.2008, Az.: S 38 KA 985/08) hat die Klägerin die in der ärztlichen Stellungnahme genannten Erkrankungen wiederholt. Auch aus den Abrechnungsdiagnosen ergeben sich keine hinreichenden weitergehenden Erkenntnisse (Quartal 4/2000: sonstige Immundefekte, nicht näher bezeichnet, D 84.9, Störungen des Sphingolipidstoffwechsels und sonstige Störungen der Lipidspeicherung E 75.5, Quartal 1/2001: sonstige Immundefekte, nicht näher bezeichnet D 84.9, Störungen des Sphingolipidstoffwechsels und sonstige Störungen der Lipidspeicherung, E 75.5, sonstige Krankheiten der Prostata, nicht näher bezeichnet, N 42.9, Fieber unbekannter Ursache, nicht näher bezeichnet, R 50.9). Danach liegen für die streitgegenständlichen Quartale 4/2000 und 1/2001 keine hinreichende Dokumentationen vor. Soweit die Klägerin auf eine Besserung des Gesundheitszustandes des Patienten G. G. seit Gabe von Immunglobulinen im Juli 1995 hingewiesen hat, ist festzustellen, dass der Patient im Oktober 1995 eine Pneumocystitis carinii Pneumonie und eine Kryptosporidiencolitis hatte. Der Senat geht weiter davon aus, dass der Kläger ab 1996/1997 eine hochaktive antiretrovirale Therapie erhalten hat und davon auszugehen ist, dass eine Besserung des Gesundheitszustandes des Patienten auf diese antiretrovirale Therapie zurückzuführen ist. In den streitigen Quartalen 4/2000 und 1/2001 hat der Patient G.G. jedenfalls eine antiretrovirale Therapie mit den NRTI Epivir und Zerit sowie den PI Viracept und Kaletra erhalten. Vor diesem Hintergrund ist das Vorliegen der Voraussetzungen der Kategorie 1 der nicht verbindlichen DAGNÄ-Empfehlungen (Patient mit weniger als 50 µl CD-4-Lymphozyten, die keine antiretrovirale Therapie mehr vertragen und multiple klinische Komplikationen aufweisen) mangels vorliegender Dokumentation nicht nachvollziehbar. Gleiches gilt für das Vorliegen einer bestehenden sekundären Antikörpermangelerkrankung, insbesondere im Sinne einer eigenständigen, von der HIV-Erkrankung abgrenzbaren Erkrankung.

Bei dem Patienten H.F. (geboren 1969) wurden eben einer antiretroviralen Therapie (Kombinationstherapie mit den NRTI Ziagen und Epivir sowie dem NNRTI Viramune) im Quartal 4/2000 eine Immunglobulintherapie mit Octagam durchgeführt. Im Verwaltungsverfahren hat die Klägerin die Immunglobulingabe damit begründet, dass der Patient H.F. neben einer fortgeschrittenen HIV-Infektion an anderen Erkrankungen leide und zur Prophylaxe dieser bakteriellen und viralen Erkrankungen eine Immunglobulintherapie erforderlich sei. Der Beklagte hat zusätzlich ein Schreiben der Klägerin vom 29.07.1999 betreffend das Quartal 3/1997 zum Krankheitsverlauf des Patienten H.F. berücksichtigt. Danach handelt es sich um eine HIV-Infektion im CDC-Stadium B2. 11/1991 zweimalige Operation wegen Harnblasenkarzinoms. Seit 9/1993 rezidivierende Gastroenteritiden, die praktisch dauernd bestanden haben, ohne Erregernachweis. 1995 Facialisparese, seit 1993 rezidivierende Sinusbronchitiden. Seit 2/1997 antiretrovirale Therapie und intravenöse Immunglobulintherapie. Auslassversuch IVIG von Januar bis Mai 1999 aufgrund eines vorübergehenden Arztwechsels. Dabei starke Häufung von sinusbronchitischen Infekten. Es handle sich um einen Patienten der Kategorie 4 der DAGNÄ-Empfehlungen. Im Klageverfahren (Schriftsatz vom 29.09.2008, Az.: S 38 KA 984/08) hat die Klägerin zunächst auf die Ausführungen im Verfahren S 38 KA 995/08 verwiesen, die sich allerdings auf eine andere Patientin, nämlich die Patientin J.L., beziehen. Im Übrigen wurde bestätigt, dass es sich bei dem Patienten H.F. um ein fortgeschrittenes Stadium der HIV-Infektion handle. Er leide zusätzlich seit 9/1993 an rezidivierenden Gastroenteritiden ohne Erregernachweis. Im Jahr 1991 habe er sich einer zweimaligen Operation eines Harnblasenkarzinoms unterziehen müssen. Diese Angaben der Klägerin wurden bereits in den Gutachten von Dr. D. vom 06.07.2000 und PD Dr. R. vom 03.01.2001 gewürdigt. Während PD Dr. R. von einem Auslassversuch ausgeht und von daher die Voraussetzungen der DAGNÄ-Empfehlungen für gegeben erachtet, weist Dr. D. in dem Gutachten darauf hin, dass der Auslassversuch nicht hinreichend dokumentiert sei. Auch unter Zugrundelegung der Abrechnungsdiagnosen (sonstige Immundefekte nicht näher bezeichnet, D 84.9, Störungen des Sphingolipidstoffwechsels und sonstige Störungen der Lipidspeicherung, E 75.5) fehlen auch für das streitige Quartal 4/2000 hinreichende Dokumentationen zur Beurteilung der Notwendigkeit der zusätzlichen Gabe von Immunglobulinen. In Übereinstimmung mit dem Gutachten von Dr. D. ist auch der Senat der Auffassung, dass ein Auslassversuch nicht hinreichend dokumentiert ist, eine solche Dokumentation sieht die Ziffer 4 der DAGNÄ-Empfehlungen aber ausdrücklich vor. Zunächst ist schon nicht klar, wann der Auslassversuch stattgefunden haben soll, nach Angaben der Klägerin von Januar bis Mai 1999. Der Beklagte hat hierzu aber festgestellt, dass dem Beklagten auch die Prüfquartale 1/1999 und 2/1999 (Januar bis Juni 1999) vorliegen und hier Verordnungen von Octagam am 07.01.1999, 21.01.1999, 04.02.1999, 25.05.1999, 07.06.1999 und 22.06.1999 erfolgt sind. Der Auslassversuch könnte daher allenfalls zwischen dem 04.02.1999 und dem 25.05.1999 stattgefunden haben. Unabhängig davon ist aber nicht dokumentiert, welche Medikation der Patient H.F. in diesem Zeitraum erhalten hat, wie der Gesundheitszustand vor dem 04.02.1999 beim Patienten H.F. sich dargestellt hat und ob und in welcher Weise sich der Gesundheitszustand im Zeitraum vom 04.02.1999 bis 25.05.1999 verschlechtert hat. Hierzu fehlen jegliche zeitbezogenen Angaben. Weiter liegt auch keine Dokumentation für das Vorliegen eines bestehenden sekundären Antikörpermangelsyndroms vor, insbesondere nicht im Sinne einer eigenständigen, von der HIV-Erkrankung abgrenzbaren Erkrankung.

Der Patient H.T. (geboren 1937) hat im streitigen Quartal 4/2000 neben einer antiretroviralen Therapie (Kombinationstherapie mit dem NRTI Videx und dem PI Viracept) eine Immunglobulintherapie mit Octagam erhalten. Die Klägerin hat zur Begründung der zusätzlichen Immunglobulintherapie bezüglich des Patienten H.T. mit Schriftsatz vom 07.02.2003 vorgetragen, dass dieser neben einer fortgeschrittenen HIV-Infektion an anderen Erkrankungen leide und zur Prophylaxe dieser bakteriellen und viralen Erkrankungen eine Immunglobulintherapie erforderlich sei. Im Rahmen des Klageverfahrens hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 29.09.2008 zum Patienten H.T. ergänzend mitgeteilt, dass der Patient sich im Stadium Aids der HIV-Erkrankung befinde und seit 1997 an Neuropathie leide. Es handle sich um einen Patienten der Kategorie 3 der DAGNÄ-Empfehlungen. Seit der Gabe von IVIG (8/1997) habe sich ein deutlicher Rückgang der zuvor bestehenden rezidivierenden Sinusitiden und Bronchitiden ereignet. Selbst wenn man die Diagnosen der Abrechnung (sonstige Immundefekte nicht näher bezeichnet, D 84.9) in die Betrachtung miteinbezieht, ist auch bezüglich des Patienten H.T. festzustellen, dass keinerlei aussagekräftige Diagnosen und Befunde für das streitgegenständliche Quartal 4/2000 vorliegen, die die Gabe der zusätzlichen Immunglobulintherapie rechtfertigen könnten. Die Ziffer 3 der DAGNÄ-Empfehlung ist mangels Dokumentation nicht nachvollziehbar. Der Patient H.T. ist kein Patient mit rezidivierenden bakteriellen und rezidivierenden viralen Infekten, bei dem andere Strategien ausgeschöpft sind und die auf einen Therapieversuch mit Immunglobulinen mit einer dokumentierten Verminderung der aufgetretenen Infekte reagieren. Auch das Vorliegen einer sekundären Antikörpermangelerkrankung, insbesondere im Sinne einer eigenständigen, von der HIV-Erkrankung abgrenzbaren Erkrankung, ist nicht dokumentiert.

Der Patient J.K. (geboren 1962) hat im streitigen Quartal 4/2000 neben der antiretroviralen Therapie (Kombinationstherapie mit den NRTI Ziagen, Videx und Epivir, NNRTI Sustiva und PI Kaletra) zusätzlich eine Immunglobulintherapie erhalten. Die Klägerin hat die zusätzliche Gabe von Immunglobulinen im Rahmen des Verwaltungsverfahrens damit erklärt, dass der Patient J.K. neben einer fortgeschrittenen HIV-Infektion an anderen Erkrankungen leide und zur Prophylaxe dieser bakteriellen und viralen Erkrankungen eine Immunglobulintherapie erforderlich sei. Im Rahmen des Klageverfahrens (Schriftsatz vom 29.09.2008, Az.: S 38/KA 986/08) hat die Klägerin ergänzend ausgeführt, dass sich der Patient J.K. in weit fortgeschrittener Krankheitsphase der HIV-Infektion befinde. Es handle sich um einen Patienten der Kategorie 1 der DAGNÄ-Empfehlungen und die zusätzliche Gabe bei virologischem Therapieversagen der antiretroviralen Medikamente sei zweifelsfrei indiziert. Auch wenn man die Diagnosen der Abrechnung in die Betrachtung mit einbezieht (sonstige Immundefekte nicht näher bezeichnet, 84.9, Blutung aus den Atemwegen, Hämoptoe, R 04.2, abnorme Befunde bei der bildgebenden Diagnostik sonstiger Körperstrukturen, R 93.8, Fieber unbekannter Ursache, nicht näher bezeichnet, R 50.9) ist festzustellen, dass für das streitige Quartal 4/2000 die zusätzliche Gabe von Immunglobulinen mangels ausreichender Dokumentation nicht nachvollziehbar ist. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass es sich bei dem Patienten J.K. um einen Patienten der Ziffer 1 der nicht verbindlichen DAGNÄ-Empfehlungen handelt, also um einen Patienten mit weniger als 50 µl CD-4-Lymphozyten, der keine antiretrovirale Therapie mehr verträgt und multiple klinische Komplikationen aufweisen. Weder ist die Lymphozytenzahl dokumentiert, noch trifft es zu, dass der Patient J.K. keine antiretrovirale Therapie mehr verträgt, da er nachweislich die klassische HAART-Behandlung mit NRTI, NNRTI und PI im Quartal 4/2000 erhalten hat. Die Genehmigung der Behandlung des Patienten J.K. mit Immunglobulinen betrifft nach den vorgelegten Unterlagen nicht das streitige Quartal 4/00, sondern einen späteren Zeitraum.

Auch das Vorliegen eines bestehenden sekundären Antikörpermangelsyndroms ist nicht dokumentiert, insbesondere nicht im Sinne einer eigenständigen, von der HIV-Erkrankung abgrenzbaren Erkrankung.

Insgesamt lässt sich daher feststellen, dass das Sozialgericht München mit den Gerichtsbescheiden vom 11. Januar 2012 die Klagen gegen die Widerspruchsbescheide des Beklagten vom 20.11.2003 zu Recht abgewiesen hat. Die in den Widerspruchsbescheiden vom 20.11.2003 festgesetzten Arzneiregresse sind nicht zu beanstanden. Die Klägerin ist bis zuletzt eine eindeutige Antwort zu der Frage schuldig geblieben, aus welchem Grunde die Immunglobuline in den vorliegenden Fällen neben der antiretroviralen Therapie verordnet wurden. Als Begründungsalternativen wurden im gesamten Verfahren wahlweise genannt die Gabe der Immunglobuline zum Zwecke der Prophylaxe, zur Behandlung der mit der HIV-Infektion einhergehenden weiteren krankheitsdefinierenden Infektionen oder eines sekundären Antikörpermangelsyndroms, das mit der HIV-Erkrankung im fortgeschrittenem Stadium einhergeht. Keine der genannten Begründungsvarianten kann vorliegend die Gabe von Immunglobulinen rechtfertigen. Dies gilt zunächst unter dem Gesichtspunkt des sogenannten zulässigen „Off-Label-Use“. Ein Off-Label-Use kommt nur in Betracht, wenn es 1. um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, 2. keine andere Therapie verfügbar ist und 3. aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann.

Zwar litten die streitgegenständlichen Patienten unstreitig an einer schwerwiegenden Erkrankung, aber es fehlt an den beiden weiteren Voraussetzungen für einen ausnahmsweise zulässigen Off-Label-Use, da einerseits seit Mitte der 90-iger Jahre mit der antiretroviralen Kombinationstherapie eine Standardtherapie zur Behandlung der HIV-Infektion vorliegt und andererseits aufgrund der Datenlage keine begründete Aussicht besteht, dass mit Immunglobulinen ein Behandlungserfolg bei HIV-erkrankten erwachsenen Patienten zu erzielen ist.

Die Gabe von Immunglobulinen zur Prophylaxe kann vor diesem Hintergrund schon nicht als notwendig im Sinne der §§ 2, 12 SGB V angesehen werden, zumal mit der antiretroviralen Therapie eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung zur Verfügung steht. Soweit die Klägerin geltend macht, mit der Gabe von Immunglobulinen die mit der HIV-Infektion einhergehenden weiteren Infektionen zu behandeln, ist darauf hinzuweisen, dass der Senat bereits in einem früheren Rechtsstreit. (Bayer. Landessozialgericht, Urteil vom 02.03.2005, Az.: L 12 KA 107/03, Breithaupt 2005, 901-908, zur Verordnung von Octagam im Rahmen der Behandlung einer HIV-Erkrankung nachfolgend BSG, Beschluss vom 31.05.2006, B 6 KA 53/05 B, BVerfG, Beschluss vom 28.11.2006, 1 BvR 2020/06), in dem ebenfalls vorgetragen worden war, dass mit den Immunglobulinen die mit der HIV/Aids-Erkrankung einhergehenden Infekte behandelt würden (vgl. Urteil des BayLSG, a. a. O., juris Rdnr. 14), entschieden hat, dass die Gabe von Immunglobulinen in der Indikation der Anwendung bei erwachsenen Aids-Patienten weltweit als nicht durch klinische Studien belegt anzusehen ist, wobei sich diese Feststellung auch auf die mit der HIV-Erkrankung typischerweise einhergehenden Begleiterkrankungen bezog (ebenso in dem Urteil des BayLSG vom 31.07.2007, L 5 KR 352/05 zur Verordnung von Flebogamma im Rahmen einer HIV-Erkrankung, nachfolgend BSG, Beschluss vom 20.11.2007, Az.. B 1 KR 118/07 B und BVerfG, Beschluss vom 07.04.2008, 1 BvR 550/08). Diese Bewertung wurde mittlerweile auch vom Gemeinsamen Bundesausschuss bestätigt, indem beschlossen wurde, die Liste der Wirkstoffe, die in zulassungsüberschreitenden Anwendungen (Off-Label-Use) nicht verordnungsfähig sind, in der Anlage 6 zum Abschnitt K der Arzneimittelrichtlinien Teil B um eine Ziffer 10 zu ergänzen um intravenöse Immunglobuline bei HIV/Aids im Erwachsenenalter (auch als Adjuvans). Dieser Beschluss gründet sich auf die Bewertung der Expertengruppe Off-Label im Bereich Infektiologie mit Schwerpunkt HIV/Aids zur Bewertung der Anwendung von intravenösen Immunglobulinen bei HIV/Aids im Erwachsenenalter, wonach sich keine wissenschaftlich ausreichende Evidenz für die Wirksamkeit von intravenösen Immunglobulinen im Anwendungsgebiet HIV/Aids bei Erwachsenen als Therapie gegen das Fortschreiten des Immundefekts oder die resultierenden infektiologischen Komplikationen findet. Auf die umfassende Bewertung der ausgewerteten Studien und Folgerungen der Expertengruppe Off-Label Infektiologie mit Schwerpunkt HIV/Aids vom 28.09.2010 hierzu wird verwiesen. Vorliegend ist nicht erkennbar bzw. dokumentiert, dass die dem medizinischen Standard bei der Behandlung von HIV/Aids entsprechende antiretrovirale Therapie in den streitgegenständlichen Fällen nicht zur Anwendung kommen konnte. Soweit die Klägerin schließlich behauptet, die Gabe von Immunglobulinen zur Behandlung eines weiteren neben der HIV/Aids-Erkrankung bestehenden Antikörpermangelerkrankung eingesetzt zu haben, ist festzustellen, dass die von der Klägerin lediglich behaupteten Komplikationen aller Wahrscheinlichkeit nach als Begleiterkrankung der Aids-Erkrankung anzusehen sind und nicht ihre Grundlage in einer weiteren Antikörpermangelerkrankung haben. Jedenfalls fehlt es für das Bestehen einer abgrenzbaren sekundären Antikörpermangelerkrankung neben der HIV-Infektion an jeglicher Dokumentation.

Ein günstigeres Ergebnis ergibt sich für die Klägerin auch nicht aus der Rechtsprechung des BVerfG (Beschluss vom 06.12.2005, 1 BvR 347/98) zur verfassungsrechtlichen Konkretisierung der Leistungsansprüche von Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung bei lebensbedrohlichen, tödlich verlaufenden Erkrankungen. Danach müssten kumulativ folgende Voraussetzungen erfüllt sein, nämlich 1. das Vorliegen einer lebensbedrohlichen und regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung oder wertungsgemäß damit vergleichbaren Erkrankung, für die 2. eine allgemein anerkannte medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht und 3. bezüglich der beim Versicherten angewandten Methode eine auf „Indizien gestützte“, nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht (vgl. BSG, Urteil vom 07.05.2013, B 1 KR 26/12 R, juris Rdnr. 15). Vorliegend lag aber gerade bereits seit Mitte der 90-iger Jahre die antiretrovirale Kombinationstherapie als Standardtherapie zur Verfügung, die in den streitgegenständlichen Fällen auch zur Anwendung kam. Zudem ist zur berücksichtigen, dass die vom BVerfG (a. a. O.) entwickelten Grundsätze zwar auch sinngemäß für die Versorgung mit Arzneimitteln gelten, dabei aber auch die spezifischen Sicherungen des Arzneimittelrechts zu berücksichtigen sind (vgl. BSG, Urteil vom 04.04.2006, B 1 KR 7/05 R, juris Rdrnn. 18, 24). Deswegen ist hinsichtlich der in Rede stehenden Erkrankung eine notstandsähnliche Situation im Sinne einer in einem gewissen Zeitdruck zum Ausdruck kommenden Problematik zu fordern (vgl. BSG, Urteil vom 27.03.2007, B 1 KR 17/06 R, juris Rdnrn. 21 ff), was vorliegend bei den streitgegenständlichen Patienten nicht erkennbar ist bzw. jedenfalls mangels Dokumentation nicht nachvollziehbar ist.

Die Bescheide des Beklagten vom 20.11.2003 leiden auch nicht an formellen Mängeln. Soweit die Klägerin eine Fehlerhaftigkeit der Bescheide darin sieht, dass die Zeitspanne zwischen den Sitzungen/Verhandlungen des Beklagten und der Ausfertigung und Übersendung dieser Entscheidung vom 24.06.2003 bis 20.11.2003 die Fristenvorschrift von einer maximalen Zeitspanne von drei Monaten des § 8 der Prüfungsvereinbarung für den Beklagten überschreitet, ist darauf hinzuweisen, dass dem Beklagten zur Ausfertigung eines Widerspruchsbescheides bis zu dessen Zustellung ein Zeitrahmen von fünf Monaten eingeräumt wird, innerhalb dessen die Bescheide des Beklagten nach Beschlussfassung zur Zustellung gegeben werden (vgl. BSG, Urteil vom 28.04.1999, Az.: B 6KA 79/97 R, Rdnrn. 18, 19). Vorliegend sind die Widerspruchsbescheide innerhalb der Frist von fünf Monaten nicht nur ausgefertigt und zum Zwecke der Zustellung herausgegeben bzw. zur Post gegeben worden, sondern auch zugestellt worden. Den verhängten Arzneiregressen steht auch nicht der vorsorglich von der Klägerin erhobene Einwand der Verjährung entgegen. Innerhalb der maßgeblichen 4-Jahresfrist (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 03.02.2010, Az.: B 6 KA 37/08 R, Rdnr. 21) sind bezüglich der hier streitigen Quartale 4/2000, 1/2001 und 2/2001 nicht nur die notwendigen Prüfanträge für diese Quartale gestellt worden, sondern es sind auch die hier streitgegenständlichen Bescheide des Beklagten vom 20.11.2003 ergangen. Soweit die Klägerin eine Verjährung dadurch eingetreten sieht, dass ein Nichtbetreiben des Verfahrens von der Klageerhebung im Dezember 2003 bis zur teilweise erstmaligen Referenz zur Klageerhebung im Juli 2008 besteht, ist darauf hinzuweisen, dass die Vorschriften des BGB über das Ende der Hemmung bzw. Unterbrechung der Verjährung durch Nichtbetreiben des Verfahrens auf das von Amts wegen durchzuführende Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung keine Anwendung finden (vgl. Urteil des BSG vom 05.05.2010, B 6 KA 5/09 R, SozR 4-2500 § 106 Nr. 28, Rdnr. 49 f).

Der Senat war schließlich nicht verpflichtet, den Rechtsstreit zu vertagen und entsprechend dem Antrag der Klägerin ein immunologisches Gutachten zu der Frage einzuholen, ob in den streitgegenständlichen Fällen die Immunglobulintherapie indiziert war. Eine solche Verpflichtung bestand für den Senat schon deshalb nicht, weil die Berufung der Klägerin schon aus Rechtsgründen keine Aussicht auf Erfolg hat. Denn der Senat konnte wie zuvor schon der Beklagte und das Sozialgericht den maßgeblichen Sachverhalt zur Beurteilung der Frage, ob ausnahmsweise die Gabe von Immunglobulinen indiziert war, mangels nicht vorhandener Dokumentation bzw. jedenfalls nicht hinreichender Dokumentation nicht ermitteln. Diese nicht vorhandene Dokumentation kann nicht durch die Einholung eines Gutachtens geheilt werden. Vorliegend käme allenfalls ein Aktenlagegutachten in Betracht, weil die Frage des Vorliegens einer Indikation für die Gabe von Immunglobulinen in den streitgegenständlichen Quartalen 4/2000, 1/2001 und 2/2001 allenfalls im Jahre 2015 - abgesehen davon, dass einige Patienten zwischenzeitlich verstorben sind - nur in Form eines Aktenlagegutachtens erstellt werden könnte. Die Möglichkeit eines Aktenlagegutachtens steht und fällt aber mit dem Bestehen einer für die Frage hinreichenden Dokumentation. Diese aber fehlt bei den streitgegenständlichen Patienten in den Quartalen 4/2000, 1/2001 und 2/2001 völlig. Im Übrigen liegt es grundsätzlich im Ermessen des Gerichts, ob es dem Antrag auf Einholung eines Gutachtens nachkommt. Der für andere Beweismittel wie insbesondere dem Zeugenbeweis geltenden Grundsatz, dass eine Beweiswürdigung nicht vorweggenommen werden darf, gilt nicht für die Frage der Einholung von Sachverständigengutachten. Hier darf das Gericht unter Hinweis darauf, dass von einem Sachverständigengutachten keine weiteren Erkenntnisse zu erwarten seien, weil das Gericht ausreichend eigene Sachkunde habe oder weil ihm bereits ausreichende Sachverständigeerkenntnisse vorliegen, dessen Einholung ablehnen. Das Gericht übt sein Ermessen nur dann fehlerhaft aus, wenn sich ihm die Notwendigkeit der Einholung eines Sachverständigengutachtens hätte aufdrängen müssen (vgl. zum ganzen Urteil des BSG vom 05.05.2010, Az.: B 6 KA 20/09 R, juris Rdz. 49 mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Ein solcher Ausnahmefall ist vorliegend nicht gegeben. Hierbei ist zunächst zu berücksichtigen, dass es zur Frage der Wirksamkeit von Immunglobulinen gerade im Zusammenhang mit der Behandlung von HIV/Aids und den typischen Begleiterkrankungen bereits zahlreiche Urteile gibt (zum Krankenversicherungsrecht vgl. Urteil des SG A-Stadt vom 26.10.2005, Az.: S 29 KR 256/04, Urteil des BayLSG vom 31.07.2007, Az.: L 5 KR 352/05, Beschluss des BSG vom 20.11.2007, Az.: B 1 KR 118/07 B und Nichtannahmebeschluss des BVerfG vom 07.04.2008, Az.: 1 BvR 550/08, zum Vertragsarztrecht vgl. Urteil des SG A-Stadt vom 19.05.2003, Az.: S 45 KA 2209/01, Urteil des BayLSG vom 02.03.2005, Az.: L 12 KA 107/03, Urteil des BSG vom 31.05.2006, Az.: B 6 KA 53/05 B und Nichtannahmebeschluss des BVerfG vom 28.11.2006, Az.: 1 BvR 2020/06). Die Wirkungen und die in Frage kommenden Indikationen für Immunglobuline sind zudem auch im Zusammenhang mit anderen Erkrankungen wie z. B. multipler Sklerose (vgl. Urteile des BSG vom 27.03.2007, Az.: B 1 KR 17/06 R und vom 28.02.2008, Az.: B 1 KR 15/07 R) gut erforscht und die Forschungsergebnisse in der Rechtsprechung des BSG umfassend rezipiert worden (vgl. hierzu auch Urteil des BSG vom 05.05.2010, Az.: B 6 KA 20/09 R, juris Rdz. 47 zu einem Arzneikostenregress wegen der Verordnung eines Immunglobulins im Zusammenhang mit einer Krebserkrankung). Zudem lagen dem Senat die Gutachten des Prof. Dr. D. vom 06.07.2000 und des PD Dr. R. vom 03.01.2000 im Zusammenhang mit einem Arzneimittelregress der klägerischen Praxis im Quartal 3/1997 vor, wobei einige der dort im Rahmen der Gutachten nach Aktenlage besprochenen Patienten auch in den hier streitigen Arzneimittelregressen in den Quartalen 4/2000, 1/2001 und 2/2001 betroffen sind. Daneben lagen dem Senat eine Reihe weiterer Unterlagen (u. a. Schreiben des Internisten Dr. Jäger vom 22.03.1999, Schreiben des PEI vom 30.10.2002 und 29.07.2004, Grundsatzstellungnahme des MDK/MDS von Herrn Wolfgang Wilms, Referat Pharmakologie des MDK NO und stellvertretender Leiter der AG M5 (Arzneimittel) der MDK-Gemeinschaft vom 01.10.1999 zur Verordnung von IVIG bei erwachsenen HIV-Patienten in der GKV) vor. Schließlich stützt sich die Entscheidung auch auf die Bewertung der Expertengruppe Off-Label Infektiologie mit Schwerpunkt HIV/Aids zu „intravenöse Immunglobuline bei HIV/Aids im Erwachsenenalter“ vom 28.09.2010, die sich eingehend mit der Wirkweise der seit Mitte der 90-iger Jahre als Standardtherapie etablierten antiretroviralen Kombinationstherapie befasst und unter Auswertung der klinischen Studien zur Behandlung der HIV-Infektion mit intravenösen Immunglobulinen, die ausnahmslos aus der Zeit vor Einführung der aktiven Kombinationstherapien gegen HIV stammen, zu der Bewertung gelangt ist, dass sich keine wissenschaftlich ausreichende Evidenz für die Wirksamkeit von intravenösen Immunglobulinen im Anwendungsgebiet HIV/Aids bei Erwachsenen als Therapie gegen das Fortschreiten des Immundefekts oder die resultierenden infektiologischen Komplikationen findet. Vor diesem Hintergrund sah sich der Senat in der Lage, ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens aufgrund seiner eigenen Sachkunde und der ihm bereits ausreichend vorliegenden Sachverständigenerkenntnisse zu entscheiden, zumal die Berufung der Klägerin schon wegen der völlig unzureichenden Dokumentation nicht erfolgreich sein konnte.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 197a Sozialgerichtsgesetz (SGG) i. V. m. § 154 Abs. 2 VwGO.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht erkennbar (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).

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Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 12. Nov. 2014 - L 12 KA 17/12 zitiert 19 §§.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 242 Leistung nach Treu und Glauben


Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 2


(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unver

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 204 Hemmung der Verjährung durch Rechtsverfolgung


(1) Die Verjährung wird gehemmt durch1.die Erhebung der Klage auf Leistung oder auf Feststellung des Anspruchs, auf Erteilung der Vollstreckungsklausel oder auf Erlass des Vollstreckungsurteils,1a.die Erhebung einer Musterfeststellungsklage für einen

Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) - Gesetzliche Krankenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 20. Dezember 1988, BGBl. I S. 2477) - SGB 5 | § 13 Kostenerstattung


(1) Die Krankenkasse darf anstelle der Sach- oder Dienstleistung (§ 2 Abs. 2) Kosten nur erstatten, soweit es dieses oder das Neunte Buch vorsieht. (2) Versicherte können anstelle der Sach- oder Dienstleistungen Kostenerstattung wählen. Hierüber

Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) - Gesetzliche Krankenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 20. Dezember 1988, BGBl. I S. 2477) - SGB 5 | § 2 Leistungen


(1) Die Krankenkassen stellen den Versicherten die im Dritten Kapitel genannten Leistungen unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12) zur Verfügung, soweit diese Leistungen nicht der Eigenverantwortung der Versicherten zugerechnet werden. B

Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) - Gesetzliche Krankenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 20. Dezember 1988, BGBl. I S. 2477) - SGB 5 | § 12 Wirtschaftlichkeitsgebot


(1) Die Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungs

Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) - Gesetzliche Krankenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 20. Dezember 1988, BGBl. I S. 2477) - SGB 5 | § 106 Wirtschaftlichkeitsprüfung


(1) Die Krankenkassen und die Kassenärztlichen Vereinigungen überwachen die Wirtschaftlichkeit der vertragsärztlichen Versorgung durch Beratungen und Prüfungen. Die Landesverbände der Krankenkassen und die Ersatzkassen gemeinsam und einheitlich und d

Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) - Gesetzliche Krankenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 20. Dezember 1988, BGBl. I S. 2477) - SGB 5 | § 31 Arznei- und Verbandmittel, Verordnungsermächtigung


(1) Versicherte haben Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit die Arzneimittel nicht nach § 34 oder durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 ausgeschlossen sind, und auf Versorgung mit Verbandmitteln, Harn- und B

Arzneimittelgesetz - AMG 1976 | § 21 Zulassungspflicht


(1) Fertigarzneimittel dürfen im Geltungsbereich dieses Gesetzes nur in den Verkehr gebracht werden, wenn sie durch die zuständige Bundesoberbehörde zugelassen sind oder wenn für sie die Europäische Gemeinschaft oder die Europäische Union eine Genehm

Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - - SGB 10 | § 35 Begründung des Verwaltungsaktes


(1) Ein schriftlicher oder elektronischer sowie ein schriftlich oder elektronisch bestätigter Verwaltungsakt ist mit einer Begründung zu versehen. In der Begründung sind die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitzuteilen, die die Behör

Arzneimittelgesetz - AMG 1976 | § 67 Allgemeine Anzeigepflicht


(1) Betriebe und Einrichtungen, die Arzneimittel entwickeln, herstellen, klinisch prüfen, prüfen, lagern, verpacken, einführen, in den Verkehr bringen oder sonst mit ihnen Handel treiben, haben dies vor der Aufnahme der Tätigkeiten der zuständigen Be

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Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 12. Nov. 2014 - L 12 KA 17/12 zitiert oder wird zitiert von 14 Urteil(en).

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Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 12. Nov. 2014 - L 12 KA 17/12

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Tenor I. Die Berufungen der Klägerin gegen die Gerichtsbescheide des Sozialgerichts München vom 11.01.2012 werden zurückgewiesen. II. Die Klägerin trägt die Kosten der Berufungsverfahren einschließlich der außergerichtliche

Bundessozialgericht Urteil, 30. Okt. 2013 - B 6 KA 2/13 R

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Tenor Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 19. April 2012 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das La

Bundessozialgericht Urteil, 07. Mai 2013 - B 1 KR 26/12 R

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Bundessozialgericht Urteil, 20. März 2013 - B 6 KA 27/12 R

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Tenor Auf die Revisionen des Beklagten und der Beigeladenen zu 2. wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 15. September 2011 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhan

Bundessozialgericht Urteil, 20. März 2013 - B 6 KA 17/12 R

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Tenor Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 15. Februar 2012 wird zurückgewiesen.

Bundessozialgericht Urteil, 11. Mai 2011 - B 6 KA 13/10 R

bei uns veröffentlicht am 11.05.2011

Tenor Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 17. März 2010 aufgehoben, soweit die Klage gegen den Bescheid des Beklagten zu 2. vom 25. August 2009 abgewiesen wu

Bundessozialgericht Beschluss, 11. Mai 2011 - B 6 KA 5/11 B

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Tenor Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 13. Oktober 2010 wird zurückgewiesen.

Bundessozialgericht Urteil, 13. Okt. 2010 - B 6 KA 48/09 R

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Tenor Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozial-gerichts vom 6. Oktober 2009 wird zurückgewiesen.

Bundessozialgericht Urteil, 05. Mai 2010 - B 6 KA 24/09 R

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Tatbestand 1 Umstritten ist ein Arzneikostenregress wegen der Verordnung des Arzneimittels Alphaglobin in den Quartalen I, II und IV/1999.

Bundessozialgericht Urteil, 05. Mai 2010 - B 6 KA 6/09 R

bei uns veröffentlicht am 05.05.2010

Tatbestand 1 Umstritten ist ein Arzneikostenregress wegen der Verordnung des Arzneimittels Polyglobin in den Quartalen II/1999 bis IV/1999.

Bundessozialgericht Urteil, 05. Mai 2010 - B 6 KA 5/09 R

bei uns veröffentlicht am 05.05.2010

Tatbestand 1 Im Streit steht ein Regress wegen der Verordnung eines Arzneimittels. 2

Bundessozialgericht Urteil, 05. Mai 2010 - B 6 KA 20/09 R

bei uns veröffentlicht am 05.05.2010

Tatbestand 1 Umstritten ist ein Arzneikostenregress wegen der Verordnung des Arzneimittels Polyglobin in den Quartalen I und III/2000.

Bundessozialgericht Urteil, 03. Feb. 2010 - B 6 KA 37/08 R

bei uns veröffentlicht am 03.02.2010

Tatbestand 1 Streitig ist die Rechtmäßigkeit von Regressbescheiden wegen der Verordnung autologer Tumorvakzine (Quartale II und III/1998, I, II und IV/1999).
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Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 12. Nov. 2014 - L 12 KA 17/12

bei uns veröffentlicht am 12.11.2014

Tenor I. Die Berufungen der Klägerin gegen die Gerichtsbescheide des Sozialgerichts München vom 11.01.2012 werden zurückgewiesen. II. Die Klägerin trägt die Kosten der Berufungsverfahren einschließlich der außergerichtliche

Referenzen

(1) Die Krankenkassen stellen den Versicherten die im Dritten Kapitel genannten Leistungen unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12) zur Verfügung, soweit diese Leistungen nicht der Eigenverantwortung der Versicherten zugerechnet werden. Behandlungsmethoden, Arznei- und Heilmittel der besonderen Therapierichtungen sind nicht ausgeschlossen. Qualität und Wirksamkeit der Leistungen haben dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen.

(1a) Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, können auch eine von Absatz 1 Satz 3 abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Die Krankenkasse erteilt für Leistungen nach Satz 1 vor Beginn der Behandlung eine Kostenübernahmeerklärung, wenn Versicherte oder behandelnde Leistungserbringer dies beantragen. Mit der Kostenübernahmeerklärung wird die Abrechnungsmöglichkeit der Leistung nach Satz 1 festgestellt.

(2) Die Versicherten erhalten die Leistungen als Sach- und Dienstleistungen, soweit dieses oder das Neunte Buch nichts Abweichendes vorsehen. Die Leistungen werden auf Antrag durch ein Persönliches Budget erbracht; § 29 des Neunten Buches gilt entsprechend. Über die Erbringung der Sach- und Dienstleistungen schließen die Krankenkassen nach den Vorschriften des Vierten Kapitels Verträge mit den Leistungserbringern.

(3) Bei der Auswahl der Leistungserbringer ist ihre Vielfalt zu beachten. Den religiösen Bedürfnissen der Versicherten ist Rechnung zu tragen.

(4) Krankenkassen, Leistungserbringer und Versicherte haben darauf zu achten, daß die Leistungen wirksam und wirtschaftlich erbracht und nur im notwendigen Umfang in Anspruch genommen werden.

(1) Fertigarzneimittel dürfen im Geltungsbereich dieses Gesetzes nur in den Verkehr gebracht werden, wenn sie durch die zuständige Bundesoberbehörde zugelassen sind oder wenn für sie die Europäische Gemeinschaft oder die Europäische Union eine Genehmigung für das Inverkehrbringen nach Artikel 3 Absatz 1 oder 2 der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 erteilt hat. Satz 1 gilt auch in Verbindung mit der Verordnung (EG) Nr. 1901/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Kinderarzneimittel und zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1768/92, der Richtlinie 2001/83/EG und der Verordnung (EU) Nr. 536/2014, der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 (ABl. L 378 vom 27.12.2006, S. 1; L 201 vom 27.7.2012, S. 28), die zuletzt durch die Verordnung (EU) 2019/5 (ABl. L 4 vom 7.1.2019, S. 24) geändert worden ist, in Verbindung mit der Verordnung (EU) Nr. 536/2014 oder in Verbindung mit der Verordnung (EG) Nr. 1394/2007.

(2) Einer Zulassung bedarf es nicht für Arzneimittel, die

1.
auf Grund nachweislich häufiger ärztlicher oder zahnärztlicher Verschreibung in den wesentlichen Herstellungsschritten in einer Apotheke in einer Menge bis zu hundert abgabefertigen Packungen an einem Tag im Rahmen des üblichen Apothekenbetriebs hergestellt werden und zur Abgabe im Rahmen der bestehenden Apothekenbetriebserlaubnis bestimmt sind,
1a.
Arzneimittel sind, bei deren Herstellung Stoffe menschlicher Herkunft eingesetzt werden und die entweder zur autologen oder gerichteten, für eine bestimmte Person vorgesehene Anwendung bestimmt sind oder auf Grund einer Rezeptur für einzelne Personen hergestellt werden, es sei denn, es handelt sich um Arzneimittel im Sinne von § 4 Absatz 4,
1b.
andere als die in Nummer 1a genannten Arzneimittel sind und für Apotheken, denen für einen Patienten eine Verschreibung vorliegt, aus im Geltungsbereich dieses Gesetzes zugelassenen Arzneimitteln
a)
als Zytostatikazubereitung oder für die parenterale Ernährung sowie in anderen medizinisch begründeten besonderen Bedarfsfällen, sofern es für die ausreichende Versorgung des Patienten erforderlich ist und kein zugelassenes Arzneimittel zur Verfügung steht, hergestellt werden oder
b)
als Blister aus unveränderten Arzneimitteln hergestellt werden oder
c)
in unveränderter Form abgefüllt werden,
1c.
antivirale oder antibakterielle Wirksamkeit haben und zur Behandlung einer bedrohlichen übertragbaren Krankheit, deren Ausbreitung eine sofortige und das übliche Maß erheblich überschreitende Bereitstellung von spezifischen Arzneimitteln erforderlich macht, aus Wirkstoffen hergestellt werden, die von den Gesundheitsbehörden des Bundes oder der Länder oder von diesen benannten Stellen für diese Zwecke bevorratet wurden, soweit ihre Herstellung in einer Apotheke zur Abgabe im Rahmen der bestehenden Apothekenbetriebserlaubnis oder zur Abgabe an andere Apotheken erfolgt,
1d.
Gewebezubereitungen sind, die der Pflicht zur Genehmigung nach den Vorschriften des § 21a Abs. 1 unterliegen,
1e.
Heilwässer, Bademoore oder andere Peloide sind, die nicht im Voraus hergestellt und nicht in einer zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Packung in den Verkehr gebracht werden, oder die ausschließlich zur äußeren Anwendung oder zur Inhalation vor Ort bestimmt sind,
1f.
medizinische Gase sind und die für einzelne Personen aus im Geltungsbereich dieses Gesetzes zugelassenen Arzneimitteln durch Abfüllen und Kennzeichnen in Unternehmen, die nach § 50 zum Einzelhandel mit Arzneimitteln außerhalb von Apotheken befugt sind, hergestellt werden,
1g.
als Therapieallergene für einzelne Patienten auf Grund einer Rezeptur hergestellt werden,
2.
zur klinischen Prüfung bestimmt sind oder
3.
unter den in Artikel 83 der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 genannten Voraussetzungen kostenlos für eine Anwendung bei Patienten zur Verfügung gestellt werden, die an einer zu einer schweren Behinderung führenden Erkrankung leiden oder deren Krankheit lebensbedrohend ist, und die mit einem zugelassenen Arzneimittel nicht zufrieden stellend behandelt werden können; dies gilt auch für die nicht den Kategorien des Artikels 3 Absatz 1 oder 2 der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 zugehörigen Arzneimittel; Verfahrensregelungen werden in einer Rechtsverordnung nach § 80 bestimmt.

(2a) (weggefallen)

(3) Die Zulassung ist vom pharmazeutischen Unternehmer zu beantragen. Für ein Fertigarzneimittel, das in Apotheken oder sonstigen Einzelhandelsbetrieben auf Grund einheitlicher Vorschriften hergestellt und unter einer einheitlichen Bezeichnung an Verbraucher abgegeben wird, ist die Zulassung vom Herausgeber der Herstellungsvorschrift zu beantragen. Wird ein Fertigarzneimittel für mehrere Apotheken oder sonstige Einzelhandelsbetriebe hergestellt und soll es unter deren Namen und unter einer einheitlichen Bezeichnung an Verbraucher abgegeben werden, so hat der Hersteller die Zulassung zu beantragen.

(4) Die zuständige Bundesoberbehörde entscheidet ferner, unabhängig von einem Zulassungsantrag nach Absatz 3 oder von einem Genehmigungsantrag nach § 21a Absatz 1 oder § 42 Absatz 2, auf Antrag einer zuständigen Landesbehörde über die Zulassungspflicht eines Arzneimittels, die Genehmigungspflicht einer Gewebezubereitung oder über die Genehmigungspflicht einer klinischen Prüfung. Dem Antrag hat die zuständige Landesbehörde eine begründete Stellungnahme zur Einstufung des Arzneimittels oder der klinischen Prüfung beizufügen.

(1) Die Krankenkassen stellen den Versicherten die im Dritten Kapitel genannten Leistungen unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12) zur Verfügung, soweit diese Leistungen nicht der Eigenverantwortung der Versicherten zugerechnet werden. Behandlungsmethoden, Arznei- und Heilmittel der besonderen Therapierichtungen sind nicht ausgeschlossen. Qualität und Wirksamkeit der Leistungen haben dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen.

(1a) Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, können auch eine von Absatz 1 Satz 3 abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Die Krankenkasse erteilt für Leistungen nach Satz 1 vor Beginn der Behandlung eine Kostenübernahmeerklärung, wenn Versicherte oder behandelnde Leistungserbringer dies beantragen. Mit der Kostenübernahmeerklärung wird die Abrechnungsmöglichkeit der Leistung nach Satz 1 festgestellt.

(2) Die Versicherten erhalten die Leistungen als Sach- und Dienstleistungen, soweit dieses oder das Neunte Buch nichts Abweichendes vorsehen. Die Leistungen werden auf Antrag durch ein Persönliches Budget erbracht; § 29 des Neunten Buches gilt entsprechend. Über die Erbringung der Sach- und Dienstleistungen schließen die Krankenkassen nach den Vorschriften des Vierten Kapitels Verträge mit den Leistungserbringern.

(3) Bei der Auswahl der Leistungserbringer ist ihre Vielfalt zu beachten. Den religiösen Bedürfnissen der Versicherten ist Rechnung zu tragen.

(4) Krankenkassen, Leistungserbringer und Versicherte haben darauf zu achten, daß die Leistungen wirksam und wirtschaftlich erbracht und nur im notwendigen Umfang in Anspruch genommen werden.

Tatbestand

1

Umstritten ist ein Arzneikostenregress wegen der Verordnung des Arzneimittels Polyglobin in den Quartalen II/1999 bis IV/1999.

2

Der in diesen Quartalen als Hausarzt an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Kläger verordnete insgesamt 17-mal "Polyglobin 5 %" für die 1932 geborene Versicherte H. Diese litt an einem metastasierenden Karzinom der Eileiter, das auch die Leber befallen hatte, und ist 2001 verstorben. Die Kosten je Verordnung beliefen sich auf 3209,02 DM. Auf Antrag der Rechtsvorgängerin der zu 2. beigeladenen Krankenkasse vom 1.12.2000 setzte der Prüfungsausschuss auf der Grundlage des § 14 der für den Bezirk der zu 1. beigeladenen Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) geltenden Prüfvereinbarung eine Schadensersatzpflicht des Klägers wegen der Verordnung von "Polyglobin" in Höhe von 51 553 DM fest. Dieser Betrag ergab sich auf der Grundlage der Bruttoverordnungskosten unter Abzug eines fünfprozentigen Apothekenrabatts und der von der Versicherten geleisteten Zuzahlungen. Der beklagte Beschwerdeausschuss wies den Widerspruch des Klägers mit der Begründung zurück, Polyglobin sei nicht im Rahmen der Zulassungsindikationen verordnet worden, und für eine Verordnung außerhalb der zugelassenen Indikationen - der Kläger hatte die Behandlung eines Antikörpermangels bei der Versicherten als Grund für die Verordnungen angeführt - habe keine rechtliche Grundlage bestanden.

3

Das SG hat den Bescheid des Beklagten aufgehoben, soweit die Verordnungen im Quartal II/1999 ausgestellt worden sind, weil die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2. die Antragsfrist versäumt habe. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen, weil für einen zulassungsüberschreitenden Einsatz von Polyglobin die rechtlichen Voraussetzungen, die inzwischen von der Rechtsprechung des BSG geklärt seien, nicht vorgelegen hätten.

4

Dieses Urteil haben der Kläger am 15.4.2005 mit der Berufung und die Beigeladene zu 2. am 28.11.2006 mit der Anschlussberufung angegriffen. Der Kläger hat geltend gemacht, die Verordnung von Polyglobin in den streitbefangenen Quartalen habe den Behandlungserfolg der Chemotherapie absichern sollen und sei damit zur erfolgreichen Behandlung des inoperablen metastasierenden Tubenkarzinoms notwendig gewesen. Nach der Entscheidung des BSG vom 5.7.1995 (Remedacen) habe er darauf vertrauen können, verschreibungspflichtige Medikamente auch außerhalb ihres Zulassungsbereichs verordnen zu dürfen. Der durch dieses höchstrichterliche Urteil ausgelöste Vertrauensschutz sei frühestens durch das Urteil des BSG vom 30.9.1999 (SKAT) eingeschränkt worden. Dieses Urteil habe er bei Ausstellung der hier betroffenen Verordnungen nicht kennen können; insoweit sei ihm zumindest Vertrauensschutz zuzubilligen. Im Übrigen seien die von ihm vorgenommenen Verordnungen auch nach den heute geltenden Maßstäben nicht zu beanstanden, weil die Voraussetzungen für einen indikationsüberschreitenden Einsatz von Polyglobin nach den im Beschluss des BVerfG vom 6.12.2005 formulierten Maßstäben erfüllt seien.

5

Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und auf die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. das Urteil des SG geändert und die Klage auch hinsichtlich der Verordnungen aus dem Quartal II/1999 abgewiesen. Die Anschlussberufung sei zulässig, obwohl diese sich nicht auf den Teil des Streitgegenstandes beziehe, der Gegenstand der Berufung des Klägers sei (Quartale III und IV/1999). Soweit das BSG die Auffassung vertrete, eine Anschlussberufung müsse sich innerhalb des Streitgegenstandes der Hauptberufung bewegen, sei dem nicht zu folgen. Dem Gegner des Berufungsführers müsse es möglich sein, durch Anschließung an die Berufung des Hauptberufungsführers eine Überprüfung des erstinstanzlichen Urteils zu erreichen, auch soweit ein Streitgegenstand betroffen sei, der von der Berufung des Klägers nicht erfasst werde.

6

Die Berufung der beigeladenen Krankenkasse sei aus denselben Gründen begründet wie diejenige des Klägers unbegründet. Der Beklagte sei berechtigt gewesen, auf der Grundlage des § 14 der für Berlin geltenden Prüfvereinbarung Arzneikostenregresse gegen den Kläger wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel festzusetzen. Das setze nach der gefestigten Rechtsprechung des BSG kein Verschulden des Vertragsarztes voraus. Auch ein Antrag der jeweils betroffenen Krankenkasse sei nicht erforderlich gewesen; soweit die Prüfvereinbarung etwas anderes vorschreibe, sei das nach der Rechtsprechung des BSG mit höherrangigem Recht nicht vereinbar und deshalb unwirksam. Aus diesem Grund habe das SG der Klage hinsichtlich des Quartals II/1999 zu Unrecht stattgegeben. Auf Vertrauensschutz könne der Kläger sich nicht berufen. Soweit der 8. Senat des BSG im Jahr 1999 ausgeführt habe, die Versicherten hätten im Anschluss an das Urteil des 1. Senats des BSG vom 15.7.1995 zumindest bis zur Veröffentlichung des Urteils aus dem Jahre 1999 darauf vertrauen dürfen, dass sie mit Arzneimitteln auch außerhalb des durch die Zulassung nach dem Arzneimittelgesetz (AMG) bestimmten Indikationsbereichs versorgt werden dürften, könne dem nicht gefolgt werden. Schließlich führe auch der Beschluss des BVerfG vom 6.12.2005 nicht zu einer anderen Beurteilung, weil die Wirksamkeit von Polyglobin zur Behandlung der nach Auffassung des Klägers bei der Patientin H. vorhandenen Antikörperstörung nicht belegt sei (Urteil vom 26.11.2008).

7

Mit seiner Revision rügt der Kläger in verfahrensrechtlicher Hinsicht die Entscheidung des Berufungsgerichts, die Anschlussrevision der Beigeladenen zu 2. als zulässig anzusehen. Diese Berufung sei nach Ablauf der auch für diese Beigeladene geltenden Berufungsfrist von einem Monat nach Zustellung des sozialgerichtlichen Urteils eingelegt worden. Als unselbstständige Anschlussberufung sei sie nicht zulässig, weil sie sich nicht auf den Gegenstand der von ihm - dem Kläger - eingelegten Hauptberufung beziehe. Nach der Rechtsprechung des BSG dürfe nach Ablauf der für die Beteiligten geltenden Berufungsfrist der Streitgegenstand des Berufungsverfahrens nicht mehr erweitert werden. Seine - des Klägers - Verordnungen in den drei streitbefangenen Quartalen bildeten jeweils unterschiedliche Streitgegenstände, was das SG im Ausgangspunkt zutreffend dadurch zum Ausdruck gebracht habe, dass es den Regressbescheid hinsichtlich des Quartals II/1999 aufgehoben und hinsichtlich der in den beiden folgenden Quartalen ausgestellten Verordnungen für rechtmäßig gehalten habe. Deshalb sei der angefochtene Regressbescheid hinsichtlich der Verordnungen aus dem Quartal II/1999 dem Berufungsgericht mit seiner - des Klägers - (Haupt)Berufung nicht angefallen und habe durch die zu 2. beigeladene Krankenkasse nach Ablauf der Berufungsfrist nicht mehr in das Berufungsverfahren einbezogen werden können.

8

Im Übrigen sei das Urteil des LSG fehlerhaft, soweit es die Regresse für rechtmäßig gehalten habe. Der vom Berufungsgericht herangezogene § 14 Abs 1 der Prüfvereinbarung sei schon generell keine tragfähige Grundlage für einen Regress wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel. Die Prüfvereinbarung regele lediglich Verstöße gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot sowie Regresse wegen schuldhafter Verursachung eines "sonstigen Schadens". Der in der Rechtsprechung des BSG zugelassene Regress wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Mittel hätte in der Prüfvereinbarung zwar geregelt werden können, sei dort tatsächlich aber nicht geregelt worden.

9

Weiterhin sei der angefochtene Bescheid fehlerhaft, weil im Prüfungsausschuss wie im Beschwerdeausschuss jeweils unter Vorsitz eines Vertreters der Krankenkassen entschieden worden sei. Die Krankenkassenvertreter hätten eine Vertagung der Entscheidung des Beklagten in einer Sitzung unter Vorsitz eines Vertreters der Ärzte herbeigeführt, um so zu erreichen, dass über die Widersprüche des Klägers gegen die Entscheidung des Prüfungsausschusses, die unter Vorsitz eines Vertreters der Krankenkassen getroffen worden sei, erneut unter Vorsitz eines Vertreters der Krankenkassen entschieden werde. Das sei unzulässig. Die Vorschriften über den wechselnden Vorsitz im Prüfungs- und Beschwerdeausschuss nach § 106 SGB V aF könnten nur so verstanden werden, dass jedenfalls über Entscheidungen des Prüfungsausschusses, bei denen ein Vertreter der Krankenkassen den Vorsitz gehabt habe, in der Besetzung des Beschwerdeausschusses mit einem Vorsitzenden aus den Reihen der Vertragsärzte entschieden werden müsse.

10

Die Verordnung von Polyglobin sei zur Behandlung der bei der Versicherten H. vorhandenen lebensbedrohlichen Karzinomerkrankung notwendig gewesen. Zwar sei der Einsatz von Polyglobin nicht unmittelbar zur Heilung der Tumorerkrankung bzw zur Linderung der damit verbundenen Beschwerden erfolgt, doch habe die Versicherte unter einer Antikörperstörung gelitten, die eine Chemotherapie unmöglich gemacht habe, die ihrerseits zur Behandlung des Tumorgrundleidens erforderlich gewesen sei. Der Einsatz von Polyglobin habe die Voraussetzungen für eine Fortsetzung der Chemotherapie schaffen sollen, und seine Rechtmäßigkeit müsse deshalb aus medizinischen Gründen nach denselben Maßstäben beurteilt werden wie die Verordnung von Arzneimitteln zur kausalen Krebstherapie. Jedenfalls habe er - der Kläger - darauf vertrauen dürfen, dass im Hinblick auf die Rechtsprechung des BSG auch der die Indikationsgrenzen überschreitende Einsatz generell zugelassener Arzneimittel (Off-Label-Use) im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung möglich gewesen sei. Das habe der 1. Senat des BSG im Juli 1995 zum Einsatz des Codeinpräparates Remedacen zur Drogensubstitution entschieden, und der 8. Senat des BSG, der mit dieser Rechtsprechung nicht einverstanden gewesen sei, habe im Jahr 1999 für die Zeit bis zur Verkündung seiner Entscheidung den Versicherten Vertrauensschutz zugebilligt. Auf diesen Vertrauensschutz könne er - der Kläger - sich hier auch berufen. Soweit der 6. Senat des BSG im Mai 2006 entschieden habe, Vertrauensschutzaspekte spielten insoweit keine Rolle, weil Vertragsärzte, die Arzneimittel außerhalb der Zulassungsindikationen einsetzen wollten, gehalten seien, ein Privatrezept auszustellen und die Versicherten bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche gegen die Krankenkasse zu unterstützen, sei das auf die hier maßgebliche Rechtslage des Jahres 1999 nicht übertragbar. Zu diesem Zeitpunkt sei nach § 29 Abs 1 Satz 2 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) die Genehmigung von Verordnungen durch eine Krankenkasse unzulässig gewesen. In Verbindung mit der Rechtsprechung des 1. Senats des BSG zu Remedacen habe sich daraus die Berechtigung von Vertragsärzten ergeben, den Off-Label-Use-Einsatz im regulären Verfahren durch Ausstellen von vertragsärztlichen Verordnungen zu praktizieren. Soweit das LSG bemängelt habe, das bei der Versicherten H. vorliegende Antikörpermangelsyndrom, das letztlich den Einsatz von Polyglobin erforderlich gemacht habe, sei nicht ausreichend belegt, könne dem nicht gefolgt werden. Entgegen der Auffassung des LSG seien laborchemische Untersuchungen zum Nachweis dieses Antikörpermangelsyndroms verzichtbar.

11

Der Kläger beantragt,

die Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 26.11.2008 und des Sozialgerichts Berlin vom 9.2.2005, soweit hier die Klage abgewiesen wurde, sowie den Bescheid des Beklagten vom 12.12.2001 aufzuheben,

hilfsweise, die Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 26.11.2008 und des Sozialgerichts Berlin vom 9.2.2005 sowie den Bescheid des Beklagten vom 12.12.2001 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, über den Widerspruch des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu entscheiden,

weiter hilfsweise, das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 26.11.2008 aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

12

Der Beklagte und die Beigeladene zu 2. beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

13

Zutreffend habe das Berufungsgericht entschieden, dass die Partner der Prüfvereinbarungen nicht einmal berechtigt gewesen wären, Arzneikostenregresse wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel vom Verschulden des Vertragsarztes abhängig zu machen. Entgegen der Auffassung des Klägers habe die maßgebliche Prüfvereinbarung aus dem Jahre 1994 nicht vorgeschrieben, dass eine unter dem Vorsitz eines Kassenvertreters getroffene Entscheidung vom Beschwerdeausschuss nur unter dem Vorsitz eines Vertreters der Ärzte überprüft werden dürfe. Eine solche Regelung wäre auch nicht praktikabel gewesen und hätte die Dauer der Prüfverfahren erheblich verlängert. Die Ausführungen des Klägers hinsichtlich seines Vertrauens auf bestimmte Entscheidungen des BSG seien irrelevant. Es sei lebensfremd, dass ein Vertragsarzt die einzelnen Entwicklungsschritte der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Kenntnis nehme und sein Verordnungsverhalten daran ausrichte. Eine Ausnahmelage im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG vom 6.12.2005 habe in den streitbefangenen Quartalen bei der Versicherten H. nicht bestanden.

14

Die zu 2. beigeladene Krankenkasse hält das Urteil des LSG ebenfalls für zutreffend. Zu Recht habe das LSG ihre Anschlussberufung als zulässig angesehen. Folge man der Auffassung des Klägers, gebe es für die Anschlussberufung im sozialgerichtlichen Verfahren überhaupt keinen Anwendungsbereich, weil die Hauptberufung regelmäßig nur insoweit erhoben werde, als der Rechtsmittelführer durch das sozialgerichtliche Urteil beschwert sei. Für eine Anschlussberufung sei dann kein Raum, weil im Rahmen der Beschwer des Klägers der Anschlussberufungsführer selbst mit dem angefochtenen Urteil einverstanden sei. Ein Grund für eine derart restriktive Handhabung entgegen der Rechtsprechung in den anderen Gerichtszweigen sei nicht erkennbar.

Entscheidungsgründe

15

Die Revision des Klägers hat teilweise Erfolg. Zu Recht rügt er, dass das Berufungsgericht über den angefochtenen Bescheid des Beklagten hinsichtlich der Verordnungen aus dem Quartal II/1999 in der Sache entschieden habe. Insoweit ist die zugunsten des Klägers ergangene Entscheidung des SG rechtskräftig geworden, weil die Beigeladene zu 2. innerhalb der Berufungsfrist keine Berufung eingelegt hat. Ihre Anschlussberufung war unzulässig (1). Keinen Erfolg hat die Revision dagegen hinsichtlich der Verordnungen in den Quartalen III und IV/1999. Insoweit hat das LSG die Berufung des Klägers gegen das sozialgerichtliche Urteil zu Recht zurückgewiesen. Der angefochtene Bescheid des Beklagten ist rechtmäßig (2).

16

1. Die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. vom 28.11.2006 war unzulässig. Das Berufungsgericht hätte auf diese Anschlussberufung hin nicht in eine Sachprüfung des angefochtenen Bescheides im Hinblick auf die Verordnungen des Klägers aus dem Quartal II/1999 eintreten dürfen. Insoweit war das der Klage stattgebende Urteil des SG nämlich bereits rechtskräftig geworden.

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a. Die Berufung der beigeladenen Krankenkasse hätte nur als Anschlussberufung iS des § 202 SGG iVm § 524 ZPO zulässig sein können. Eine eigenständige Berufung wäre wegen Versäumung der Berufungsfrist des § 151 Abs 1 SGG unzulässig. Das Urteil des SG ist der Beigeladenen zu 2. am 16.3.2005 zugestellt worden; die Monatsfrist des § 151 Abs 1 SGG ist durch die Einlegung der Berufung am 28.11.2006 nicht gewahrt worden.

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Die Berufungsfrist des § 151 Abs 1 SGG gilt nicht für die Anschlussberufung, die nach der Rechtsprechung des BSG auch in der Sozialgerichtsbarkeit statthaft ist(BSGE 63, 167, 169 = SozR 1500 § 54 Nr 85; Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer (Hrsg), SGG 9. Aufl 2008, § 143 RdNr 5). Die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. war hier aber unzulässig, weil sie nicht den gleichen prozessualen Anspruch wie die Hauptberufung des Klägers betroffen, sondern einen neuen Streitgegenstand in das Berufungsverfahren eingeführt hat. Das ist nach der Rechtsprechung aller mit dieser Rechtsfrage bisher befassten Senate des BSG ausgeschlossen (zB Urteil des 9. Senats vom 8.7.1969 = SozR Nr 12 zu § 521 ZPO; 6. Senat vom 19.6.1996 - 6 RKa 24/95 - = USK 96131) Diese Entscheidungen sind zu Ansprüchen ergangen, die Gegenstand des Klageverfahrens, aber nicht der Hauptberufung waren. Das Urteil des 4. Senats vom 10.2.2005 - B 4 RA 48/04 R - betrifft einen mit der Anschlussberufung geltend gemachten Anspruch, der nicht einmal Gegenstand des Klageverfahrens gewesen ist. Die Rechtsauffassung des BSG zur Begrenzung der Anschlussberufung auf den Streitgegenstand der Hauptberufung wird in den Kommentaren zum SGG - soweit ersichtlich ohne Ausnahme - geteilt (Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 143 RdNr 5d; Eckertz in: Lüdtke, Handkommentar Sozialgerichtsgesetz, 3. Aufl 2009, § 143 RdNr 37; Behn in: Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, 87. Ergänzungslieferung, Stand: Mai 2009 - Gesamtwerk, § 143 RdNr 68 f; Frehse in: Jansen, SGG, 3. Aufl 2009, § 143 RdNr 7; Waschull in: Berchtold/Richter, Prozesse in Sozialsachen, 2009, § 6 RdNr 130). Nach Bernsdorff (in: Hennig, SGG, Stand Februar 2009 - Gesamtwerk - § 143 RdNr 27) liegt keine Anschlussberufung vor, wenn sich der Antrag des Berufungsbeklagten bei teilbarem Streitgegenstand gegen einen anderen als den mit der Berufung angegriffenen Teil des erstinstanzlichen Urteils richtet (ähnlich Breitkreuz in: Breitkreuz/Fichte, SGG, 2009, § 143 RdNr 24).

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b. Bei Anwendung dieser Rechtsauffassung ist die Anschlussberufung unzulässig, wie das LSG zutreffend angenommen hat. Die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. betrifft einen anderen Streitgegenstand als die Hauptberufung, weil diese die Verordnungen des Klägers aus den Quartalen III/1999 und IV/1999, jene aber solche aus dem Quartal II/1999 erfasst. Vertragsärztliche Honorarbescheide sowie Bescheide der Gremien der Wirtschaftlichkeitsprüfung ergehen quartalsbezogen und enthalten, wenn Entscheidungen mehrere Quartale betreffen (vgl zB BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 30/08 R - RdNr 24 mwN, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen), verschiedene Regelungen iS des § 31 Satz 1 SGB X. Selbst innerhalb eines Bescheides für ein Quartal können zahlreiche eigenständige "Regelungen" ergehen, die selbstständig anfechtbar sind. Das hat der Senat in einem Urteil vom 23.2.2005 (SozR 4-1500 § 92 Nr 2) für einen Honorarbescheid näher dargelegt; in dem schon zitierten Urteil vom 19.6.1996 (6 RKa 24/95) hat der Senat das in Bezug auf einen Bescheid zur Wirtschaftlichkeitsprüfung hinsichtlich von Kürzungen für bestimmte Leistungen bzw Leistungssparten als selbstverständlich vorausgesetzt und im Urteil vom 16.7.2008 ausdrücklich ausgesprochen (BSGE 101, 130 = SozR 4-2500 § 106 Nr 19, RdNr 25 am Ende).

20

Diese Rechtsprechung kann allerdings nicht ohne Weiteres auf Kostenregresse wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel übertragen werden. Derartige Regressbescheide können quartalsbezogen ergehen, etwa wenn ein Arzt über einen längeren Zeitraum hinweg bestimmte Medikamente für zahlreiche Patienten verordnet. Zwingend ist die Bindung eines Kostenregresses ebenso wie eines Regresses wegen eines sog "sonstigen Schadens" an den Quartalsturnus indessen nicht und bietet sich gerade in Konstellationen nicht an, in denen es um die Behandlung eines Versicherten mit einem umstrittenen Medikament über mehrere Quartale geht. Ein solcher Fall ist hier zu beurteilen, und sowohl der Regressantrag der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2. wie die Entscheidungen des Prüfungsausschusses und des Beklagten haben nicht nach den drei betroffenen Quartalen differenziert und mussten das auch nicht.

21

Ursprünglich bildete deshalb der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Aufhebung der - Verordnungen aus drei Quartalen erfassenden - Entscheidung des Beklagten vom 12.12.2001 den Streitgegenstand des gerichtlichen Verfahrens. Das SG hat diesen einheitlichen Streitgegenstand jedoch getrennt und die Regressfestsetzung je nach Zuordnung der beanstandeten Verordnungen des Klägers zu den Quartalen II/1999 einerseits sowie III und IV 1999 andererseits unterschiedlich beurteilt. Anlass dazu hat dem SG die (mittelbar) quartalsbezogene Regelung über die Antragsfrist der Krankenkasse in § 14 Abs 2 der maßgeblichen Prüfvereinbarung gegeben. Weil offenbar die Krankenkassen die Verordnungen aus jedem Quartal zusammengefasst zu einem bestimmten Termin erhalten, der wiederum für den Beginn der Antragsfrist nach § 14 Abs 2 von Bedeutung ist, konnte nach Ansicht des SG die Prüfung der Einhaltung dieser Frist nur differenziert für jedes Quartal erfolgen. Das Urteil des SG hat inzident die angefochtene Entscheidung des Beklagten in zumindest zwei Regelungen iS des § 31 Satz 1 SGB X aufgespalten, nämlich hinsichtlich der aus dem Quartal II/1999 und hinsichtlich der aus den Quartalen III/1999 sowie IV/1999 stammenden Verordnungen des Klägers. Bundesrecht ist dadurch nicht verletzt, und das SG hat durch den Tenor seines Urteils die Beteiligten über das gerichtliche Vorgehen hinreichend deutlich informiert.

22

Damit bestand bei Zustellung des SG-Urteils eine Rechtslage, wie sie derjenigen bei Honorarfestsetzungen oder Kürzungs- bzw Regressbescheiden entspricht, die von vornherein mehrere Quartale erfassen. Für jedes dieser Quartale ist (mindestens) eine Regelung angefochten, deren prozessuales Schicksal von demjenigen für die anderen Quartale abweichen kann; die Regelung für jedes Quartal bildet einen eigenständigen Streitgegenstand. Als Folge der Hauptberufung des Klägers war der angefochtene Bescheid des Beklagten Gegenstand des Berufungsverfahrens nur hinsichtlich der aus den Quartalen III/1999 und IV/1999 stammenden Verordnungen; das ist dem Antrag des Klägers im LSG-Verfahren deutlich zu entnehmen. Die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. hat mit der Entscheidung des Beklagten über die aus dem Quartal II/1999 stammenden Verordnungen einen neuen Streitgegenstand in das Berufungsverfahren eingeführt. Das ist nach der bisherigen Rechtsprechung des BSG nicht zulässig. Ein Anlass, von dieser Rechtsprechung abzuweichen, ist nicht ersichtlich.

23

c. Kein durchgreifendes Bedenken ergibt sich aus dem Hinweis der Beigeladenen zu 2., auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des BSG bleibe für die Anschlussberufung nur ein sehr begrenzter Anwendungsbereich. Wenn die Anschlussberufung nur innerhalb des prozessualen Anspruchs erhoben werden kann, der Gegenstand der Hauptberufung ist, kommt im vertragsärztlichen Bereich bei Honorarkürzungen bzw Arzneikostenregressen eine Anschlussberufung typischerweise nur dann in Betracht, wenn das SG auf die Klage die zuständige Behörde zur Neubescheidung nach bestimmten Maßgaben verurteilt und der Kläger mit seiner Berufung die endgültige Aufhebung der ihn belastenden Bescheide begehrt. Dieser Berufung können sich dann die KÄV, der Beschwerdeausschuss oder die beigeladenen Krankenkassen (bzw Krankenkassenverbände) mit dem Antrag anschließen, die Klage in vollem Umfang abzuweisen, auch nachdem die für sie laufende Berufungsfrist abgelaufen ist. Alle übrigen Regelungen der ursprünglich angefochtenen Entscheidung, über die das SG entschieden hat, ohne dass ein Beteiligter das mit der Berufung angefochten hat, die also etwa andere Leistungspositionen oder andere Quartale betreffen, werden dagegen bestandskräftig. Das ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts im vertragsärztlichen Bereich richtig und praktikabel.

24

Auf der Grundlage der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts bliebe dagegen möglicherweise während der gesamten Dauer eines Berufungsverfahrens offen, ob Regelungen in Kürzungs- oder Regressbescheiden, die nicht Gegenstand der Hauptberufung sind, bestandskräftig werden oder nicht. Soweit etwa in einer Entscheidung des Beschwerdeausschusses Honorarkürzungen oder Arzneikostenregresse für eine größere Zahl von Quartalen auf der Grundlage einer Vielzahl von Entscheidungen des Prüfungsausschusses (oder der Prüfungsstelle iS des § 106 Abs 4 Satz 1 SGB V idF des GKV-WSG vom 26.3.2007) zusammengefasst worden sind, bleibt deren Bestandskraft über Jahre hinweg offen, auch wenn nur eine Detailregelung hinsichtlich eines einzelnen Quartals Gegenstand des Berufungsverfahrens ist. Das ist sowohl für den beteiligten Vertragsarzt wie für die KÄV und die Krankenkassen als Kostenträger schwierig zu handhaben, weil ggf Rückstellungen gebildet werden müssten und Beträge nicht verbucht werden könnten.

25

Ein tatsächliches Bedürfnis, diese Rechtsfolgen in Kauf zu nehmen, um den Beteiligten bis zum Abschluss der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz die Möglichkeit der Anschlussberufung auch außerhalb des prozessualen Anspruchs, der Gegenstand der Hauptberufung ist, offen zu halten, vermag der Senat nicht zu erkennen. Ob Honorarkürzungs- oder Regressbescheide, die verschiedene Regelungen iS des § 31 Satz 1 SGB X zum Inhalt haben und häufig mehrere Quartale betreffen, einzeln angegriffen oder durch die Widerspruchsstelle zusammengefasst bzw im gerichtlichen Verfahren auf der Grundlage des § 113 Abs 1 SGG verbunden werden, ist eine Frage der Praktikabilität. Jeder Verfahrensbeteiligte hat nach Bekanntgabe des das Verwaltungsverfahren abschließenden Bescheides oder des erstinstanzlichen Urteils eine Frist von einem Monat, innerhalb der er prüfen und entscheiden kann, ob und ggf inwieweit er die Entscheidung der Behörde bzw des erstinstanzlichen Gerichts hinnehmen will oder nicht. Ein berechtigtes Interesse, Monate oder sogar Jahre nach Einlegung der Berufung des Gegners noch Regelungen der gerichtlichen Überprüfung des LSG zuführen zu können, zu denen die Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts zunächst hingenommen worden ist, besteht nicht.

26

d. Zudem kann die prozessuale Sicht des Berufungsgerichts die Entscheidungsreife der Berufung in Frage stellen, jedenfalls soweit keine Frist für die Anschlussberufung normiert ist. Während nach § 127 Abs 2 Satz 2 VwGO die Anschließung nur bis zum Ablauf eines Monats nach Zustellung der Berufungsbegründungsschrift zugelassen wird, besteht keine ebensolche Bestimmung im SGG. Die VwGO-Vorschrift soll nach vorherrschender Auffassung auf das sozialgerichtliche Verfahren nicht übertragen werden können, weil dafür eine rechtliche Grundlage fehlt. Vergleichbares wird hinsichtlich der ähnlichen Frist des § 524 Abs 2 Satz 2 ZPO angenommen, die immerhin über § 202 SGG grundsätzlich im sozialgerichtlichen Verfahren angewandt werden könnte(vgl Leitherer, aaO, § 143 RdNr 5 f). Nach dieser Vorschrift ist die Anschlussberufung zulässig bis zum Ablauf der dem Berufungsbeklagten gesetzten Frist zur Berufungserwiderung. Eine dem § 521 Abs 1 ZPO entsprechende Vorschrift über die Zustellung der Berufungsschrift und der Berufungsbegründungsschrift an den Gegner kennt das SGG nicht. Die entsprechende Anwendung des § 524 Abs 2 Satz 2 ZPO über § 202 SGG setzt aber die Zustellung mindestens der Berufungsbegründung an den Gegner voraus, damit Klarheit über den Beginn der Frist für die Einlegung der Anschlussberufung besteht. Die Anwendung von Ausschlussfristen im sozialgerichtlichen Verfahren ohne explizite normative Grundlage ist unter dem Gesichtspunkt der Garantie des effektiven Rechtsschutzes (Art 19 Abs 4 Satz 1, Art 103 Abs 1 GG) problematisch, sodass ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung, die auch in der Anordnung einer entsprechenden Geltung des § 127 Abs 2 Satz 2 VwGO im SGG bestehen könnte, die Ausschlussfrist für die Anschlussberufung wohl nicht entsprechend angewandt werden kann. Das dürfte auch deshalb anzunehmen sein, weil im Berufungsverfahren der Sozialgerichtsbarkeit im Unterschied zu demjenigen in der Verwaltungs- und in der Zivilgerichtsbarkeit kein Vertretungszwang herrscht, und die Vorschriften über die Zustellung von Berufungs- und Berufungsbegründungsschriften sowie daran anknüpfende Fristen auf einen durch professionelle Bevollmächtigte geführten Prozess zugeschnitten sind.

27

Würde - was das LSG nicht erwogen hat - auf der Grundlage einer analogen Anwendung des § 127 Abs 2 Satz 2 VwGO im sozialgerichtlichen Verfahren auf den Nachweis der Zustellung der Berufungsbegründungsschrift verzichtet und der Nachweis ihrer tatsächlichen Kenntnis für ausreichend gehalten, wäre die Anschlussberufung der zu 2. beigeladenen Krankenkasse hier ebenfalls unzulässig. Diese hat, wie sich aus ihrer Reaktion im Berufungsverfahren vom 4.4.2006 ergibt, Monate vor Einlegung der Anschlussberufung am 28.11.2006 Kenntnis von der Berufungsbegründung des Klägers gehabt. Die entsprechende Anwendung der Monatsfrist des § 127 Abs 2 Satz 2 VwGO würde dann ebenfalls zur Unzulässigkeit ihrer Berufung führen. Demgegenüber hätte die vom Berufungsgericht offenbar befürwortete unbefristete Zulassung der Anschlussberufung bis zur mündlichen Verhandlung zur Folge, dass das LSG trotz Entscheidungsreife der Hauptberufung den Rechtsstreit vertagen müsste, wenn zum Gegenstand der Anschlussberufung noch Sachaufklärungsbedarf besteht. Das könnte zu Verzögerungen der Entscheidung führen, die auch im Hinblick auf das Gebot der Gewährung von Rechtsschutz in angemessener Zeit (Art 6 Europäische Menschenrechtskonvention) möglichst zu vermeiden sind.

28

Diese Erwägungen geben dem Senat Anlass, trotz der gewichtigen Einwände des Berufungsgerichts an der bisherigen Rechtsprechung des BSG zur Anschlussberufung festzuhalten und von einer andernfalls gebotenen Anrufung des Großen Senats nach § 41 Abs 2 SGG im Hinblick auf die Rechtsprechung anderer Senate zum Gegenstand der Anschlussberufung im sozialgerichtlichen Verfahren abzusehen.

29

2. Im Übrigen erweist sich die Revision des Klägers aber als unbegründet.

30

a. Das Berufungsgericht hat angenommen, § 14 Abs 1 iVm Abs 3 der seit dem Jahre 1994 geltenden und für die Verordnungen des Klägers im Jahre 1999 noch anwendbaren Prüfvereinbarung für den Bezirk der zu 1. beigeladenen KÄV Berlin gestatte die Festsetzung von Arzneikostenregressen, soweit der Vertragsarzt Arzneimittel verordnet hat, die in der vertragsärztlichen Versorgung nicht verordnungsfähig sind. Die Kenntnis des Vertragsarztes von der fehlenden Verordnungsfähigkeit oder generell ein Verschulden des Arztes sei insoweit nicht Voraussetzung für die Festsetzung eines Regresses. Soweit der Kläger § 14 der Prüfvereinbarung anders versteht und annimmt, diese Norm erfasse nur Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung bzw die Festsetzung eines verschuldensabhängigen "sonstigen Schadens" und nicht die Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel, ist dem im Revisionsverfahren nicht weiter nachzugehen. Die Prüfvereinbarung stellt Landesrecht iS des § 162 SGG dar, das das Revisionsgericht in der Auslegung des Berufungsgerichts seiner Entscheidung zugrunde zu legen hat. Von diesem Grundsatz sind in der Rechtsprechung des BSG zwei Ausnahmen anerkannt. Danach können landesrechtliche Normen vom Revisionsgericht eigenständig ausgelegt und angewandt werden, wenn es sich um Normen handelt, die inhaltsgleich in Bezirken verschiedener LSG gelten, soweit die Übereinstimmung im Interesse der Rechtsvereinheitlichung bewusst und gewollt ist (BSG vom 8.9.2009 - B 1 KR 8/09 R - RdNr 26, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt. Es ist weder geltend gemacht noch gerichtsbekannt, dass die Berliner Prüfvereinbarung aus dem Jahr 1994 inhaltsgleich in anderen KÄV-Bezirken gilt.

31

Landesrechtliche Normen sind weiterhin einer eigenständigen Auslegung und Anwendung des BSG zugänglich, wenn das LSG entscheidungserhebliche Vorschriften unberücksichtigt gelassen hat (BSGE 98, 89 = SozR 4-2500 § 85 Nr 31, jeweils RdNr 15). Hier hat jedoch das LSG die als Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides ersichtlich einschlägige Vorschrift des § 14 der Prüfvereinbarung zutreffend herangezogen und unter Anwendung der allgemein anerkannten juristischen Auslegungskriterien ausgelegt. Der Kläger rügt auch keinen Verstoß gegen diese Auslegungsgrundsätze oder die Denkgesetze, sondern setzt der Auslegung des Berufungsgerichts seine abweichende Auslegung entgegen. Das führt nicht dazu, dass entgegen der Vorgabe des § 162 SGG das Revisionsgericht zu einer eigenständigen Auslegung berufen wäre.

32

Soweit § 14 der Prüfvereinbarung in der Auslegung des LSG eine hinreichende Grundlage für die Festsetzung von Arzneikostenregressen wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel darstellt, steht die Vorschrift mit Bundesrecht in Einklang. Der Senat hat mehrfach entschieden, dass auf der Grundlage des § 106 Abs 2 SGB V in den Prüfvereinbarungen Rechtsgrundlagen für Arzneikostenregresse festgeschrieben werden dürfen, soweit Vertragsärzte Arznei- und Heilmittel verordnet haben, die nicht Gegenstand der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung sind(zB BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 52; vgl zuletzt BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 37/08 R - RdNr 17 ff mwN, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Das stellt der Kläger selbst nicht in Abrede.

33

b. Soweit der Kläger in formeller Hinsicht weiter rügt, der angefochtene Bescheid des Beklagten sei fehlerhaft, weil er in einer Sitzung gefasst worden sei, in der ein Vertreter der Krankenkassen den Vorsitz innegehabt habe, kann dem nicht gefolgt werden. Weder die Prüfvereinbarung im Bezirk der zu 1. beigeladenen KÄV noch Bundesrecht haben vorgeschrieben, dass in den Jahren, in denen Prüfungs- und Beschwerdeausschüsse alternierend von einem Vertreter der Krankenkassen und der Vertragsärzte geleitet worden sind, Entscheidungen des Prüfungsausschusses, die unter ärztlichem Vorsitz getroffen worden sind, vom Beschwerdeausschuss nur unter Vorsitz eines Vertreters der Krankenkassen und umgekehrt überprüft werden dürfen.

34

Nach § 106 Abs 4 Satz 3 SGB V idF des Gesundheitsstrukturgesetzes vom 21.12.1992 führte in den von Vertretern der Ärzte und der Krankenkassen in gleicher Zahl besetzten Prüfungs- und Beschwerdeausschüssen jährlich wechselnd ein Vertreter der Ärzte und der Krankenkassen den Vorsitz. Die Stimme des Vorsitzenden gab bei Stimmengleichheit den Ausschlag (aaO, Satz 4). Diese als defizitär bewertete Regelung war manipulationsanfällig (vgl näher BSGE 92, 283 = SozR 4-2500 § 106 Nr 5 auch zur Neuregelung im Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung)und ist deshalb zum 1.1.2004 ohne Übergangsregelung in der Weise geändert worden, dass die Gremien nunmehr von einem neutralen Vorsitzenden geleitet werden. Für die Zeit bis zum 31.12.2003 galten aber die früheren Regelungen über den im Jahresturnus wechselnden Vorsitz fort, und diesen lag die Auffassung der Revision von einem notwendigen Wechsel im Vorsitz zwischen den beiden Verwaltungsinstanzen nicht zugrunde.

35

Der Kläger verweist selbst auf früher geltende Prüfvereinbarungen im Bezirk der KÄV Bayerns und der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Berlin, in denen bestimmt war, den Vorsitz im Beschwerdeausschuss führe ein Vertreter der Ärzte (Zahnärzte), wenn in dem zu entscheidenden Fall ein Vertreter der Krankenkassen den Vorsitz im Prüfungsausschuss inne hatte und umgekehrt. Dass eine solche Regelung im Bezirk der Beigeladenen zu 1. gegolten habe, macht der Kläger nicht geltend. Seine Auffassung, auch ohne ausdrückliche Regelung in der maßgeblichen Prüfvereinbarung ergebe sich dieser Grundsatz unmittelbar als Folge des § 106 Abs 4 Satz 3 SGB V aF über den turnusmäßigen Wechsel im Vorsitz von Prüfungs- und Beschwerdeausschuss, trifft nicht zu. Die Annahme einer solchen bundesrechtlichen Vorgabe hätte das Prüfverfahren verkompliziert und wäre ohne nähere Regelungen in den Prüfvereinbarungen kaum umsetzbar gewesen. Die Beschwerdeausschüsse hätten Beschlüsse über Entscheidungen der Prüfungsausschüsse möglicherweise zurückstellen müssen, weil im jeweiligen Jahr die "richtige" Besetzung nicht verfügbar gewesen wäre; alternativ hätte immer ein Vorsitzender der "Bank", die im jeweiligen Jahr im Beschwerdeausschuss nicht den Vorsitzenden stellt, zur Verfügung stehen müssen, um über Entscheidungen des Prüfungsausschusses zu beraten, die unter anderem Vorsitz getroffen worden sind. Ob die damit verbundenen formellen Erschwerungen des Prüfungsverfahrens bundesrechtlich unbedenklich gewesen wären, bleibt offen (zu den Grenzen des Gestaltungsspielraums der Gesamtvertragspartner bei Ausgestaltung der Prüfvereinbarung vgl BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 53 S 290 f). Eine Verpflichtung der Prüfgremien, ohne explizite Regelung in der Prüfvereinbarung so zu verfahren, hat jedenfalls nicht bestanden.

36

c. Soweit der Kläger geltend macht, die Entscheidung durch den Beklagten am 12.12.2001 sei nur deshalb unter dem Vorsitz eines Krankenkassenvertreters gefallen, weil die Kassenvertreter die ursprünglich vorgesehene Sitzung am 24.9.2001 boykottiert hätten, führt das zu keiner anderen Beurteilung. Da ein Arzt keinen Anspruch darauf hat, dass über seine Angelegenheit immer unter dem Vorsitz eines Arztes im Beschwerdeausschuss entschieden wird, wenn der Prüfungsausschuss unter dem Vorsitz eines Krankenkassenvertreters entschieden hat, stellt die Vertagung einer Sitzung auch dann grundsätzlich keinen Rechtsverstoß dar, wenn diese zur Folge haben sollte, dass der Vorsitz in der tatsächlich entscheidenden Sitzung wechselt. Im Übrigen hat das Berufungsgericht nicht iS des § 163 SGG festgestellt, dass die Vertagung der Entscheidung vom 24.9.2001 allein darauf beruht hat, dass die Krankenkassenvertreter erreichen wollten, dass über die Angelegenheit des Klägers in der Besetzung des Beschwerdeausschusses mit einem Vorsitzenden aus ihren Reihen entschieden wird. Schließlich ist im Hinblick auf die Rügen des Klägers zur Zusammensetzung des Beklagten bei der Beschlussfassung darauf hinzuweisen, dass die Krankenkassen nach der Rechtsprechung des Senats gegen Entscheidungen der Prüfgremien, mit denen ua Anträge auf Festsetzung von Honorarkürzungen oder Arzneikostenregressen abgelehnt werden, Rechtsmittel ergreifen können (zB BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 1 und BSG MedR 2004, 577, jeweils zu unzureichenden Kürzungen vertragszahnärztlichen Honorars; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 24 zum Sprechstundenbedarfsregress). Da vorliegend Ermessens- und Beurteilungsspielräume allenfalls am Rande in Rede stehen, spricht wenig dafür, dass die zu 2. beigeladene Krankenkasse eine - unterstellt für den Kläger positive - Entscheidung des Beklagten unter anderem Vorsitz auf sich hätte beruhen lassen.

37

d. Der Kläger durfte über "Polyglobin 5 %" in den streitbefangenen Quartalen keine vertragsärztliche Verordnung ausstellen. Er hat dieses Arzneimittel außerhalb der arzneimittelrechtlichen Zulassung verordnet.

38

Die Zulassung von Polyglobin war nach den Feststellungen des LSG auf die Behandlung der idiopathischen thrombozytopenischen Purpura (Hautblutungen) beschränkt, und an dieser Erkrankung hat die Versicherte H. nicht gelitten. Ein Arzneimittel darf grundsätzlich nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung für einen Einsatz außerhalb der arzneimittelrechtlich zugelassenen Indikation verordnet werden. Das hat der 1. Senat des BSG mit Urteil vom 19.3.2002 (BSGE 89, 184 = SozR 3-2500 § 31 Nr 8) unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung entschieden und daran bis heute festgehalten (zB BSGE 93, 236 = SozR 4-2500 § 27 Nr 1). Der 6. Senat des BSG ist dem für die Festsetzung von Arzneikostenregressen gefolgt (vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 RdNr 19; vgl auch BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 37/08 R - RdNr 26, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).

39

Der Kläger kann sich zur Rechtfertigung seiner Verordnungen von Polyglobin weder auf Vertrauensschutz noch auf einen der Annahmetatbestände stützen, unter denen Arzneimittel vertragsärztlich auch außerhalb der zugelassenen Indikation verordnet werden dürfen. Der Kläger ist der Auffassung, Vertragsärzte hätten in der Zeit zwischen dem Urteil des 1. Senats vom 5.7.1995 zur Drogensubstitution mit dem Codein-Präparat Remedacen (BSGE 76, 194 = SozR 3-2500 § 27 Nr 5) und dem Bekanntwerden des Urteils des 8. Senats vom 30.9.1999 zur SKAT-Therapie (BSGE 85, 36 = SozR 3-2500 § 27 Nr 11) generell darauf vertrauen dürfen, Arzneimittel im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung auch außerhalb der Zulassungsindikationen nach dem Arzneimittelrecht verordnen zu dürfen. Dem folgt der Senat in Übereinstimmung mit dem Berufungsgericht nicht.

40

Es ist bereits fraglich, ob ein Vertragsarzt im Hinblick auf das zu der sehr speziellen Situation der Drogensubstitution ergangene Urteil des 1. Senats vom 5.7.1995 generell darauf vertrauen durfte, Arzneimittel auch außerhalb ihrer Zulassungsindikation verordnen zu dürfen. Allenfalls kommt ein Vertrauen darauf in Betracht, dass die Bindung der vertragsärztlichen Verordnung an die Zulassung des jeweiligen Fertigarzneimittels nach dem AMG in dem Sinne gelockert ist, dass in bestimmten Konstellationen eine die arzneimittelrechtliche Zulassung überschreitende Verordnung, die medizinisch sinnvoll oder sogar geboten ist, auch krankenversicherungsrechtlich zulässig sein kann. In diesem Sinne ist das Urteil des 8. Senats vom 30.9.1999 richtigerweise zu verstehen. Weitergehende Schlussfolgerungen aus diesem Urteil im Sinne eines uneingeschränkt erlaubten indikationsfremden Einsatzes von Fertigarzneimitteln liegen eher fern, zumal ein beliebiger, allein nach Gutdünken jedes einzelnen Arztes erfolgender, Einsatz eines Medikaments außerhalb der Zulassung nicht ernsthaft für sachgerecht gehalten werden kann .

41

e. Im Übrigen sind schon kurz nach Veröffentlichung des Urteils des 1. Senats vom 5.7.1995 zur Drogensubstitution in der Rechtsprechung des BSG Zweifel an der allgemeinen Aussagekraft dieses Urteils über den entschiedenen Fall hinaus artikuliert worden. Schon drei Monate nach dem Urteil des 1. Senats hat der allein für das Vertragsarztrecht zuständige erkennende Senat Bedenken gegen die Zulässigkeit des Einsatzes von Remedacen zur Drogensubstitution geäußert und auf die Problematik der Beachtung der Richtlinien des (früheren) Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen im Zusammenhang mit sog Außenseitermethoden hingewiesen (Urteil vom 18.10.1995, SozR 3-5550 § 17 Nr 2 S 5). In der Sache sind sodann die Grundsätze des Urteils vom 5.7.1995 durch die neuere Rechtsprechung des 6. und des 1. Senats zur Rechtsqualität der Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen, zur Methodenanerkennung nach § 135 Abs 1 SGB V und zum Zusammenhang zwischen dieser Anerkennung und den Prinzipien der Arzneimitteltherapie deutlich modifiziert worden(Urteil des 6. Senats vom 20.3.1996, BSGE 78, 70 = SozR 3-2500 § 92 Nr 6 "Methadon"; Urteile des 1. Senats vom 16.9.1997, BSGE 81, 54 = SozR 3-2500 § 135 Nr 4, BSGE 81, 73 = SozR 3-2500 § 92 Nr 7). Spätestens nach Bekanntwerden dieser Urteile war deutlich, dass die ältere Rechtsprechung des BSG zu den (untergesetzlichen) Vorgaben des Leistungs- und Leistungserbringungsrechts in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht mehr uneingeschränkt fortgeführt werden würde. Kein Vertragsarzt musste die aufgezeigten Wendungen der Rechtsprechung kennen oder nachvollziehen. Wer aber - wie der Kläger - geltend macht, Verordnungen aus dem Jahre 1999 im Vertrauen auf eine zu einer Sonderkonstellation ergangene und vereinzelt gebliebene Rechtsprechung des BSG aus dem Jahre 1995 getätigt zu haben, muss sich entgegenhalten lassen, dass sich die Rechtsprechung weiterentwickelt hat. Jedenfalls im Jahr 1999 hat es für einen Vertragsarzt erkennbar keine hinreichende Sicherheit mehr gegeben, nach eigener Einschätzung Off-Label-Use-Verordnungen ausstellen zu dürfen, ohne Gefahr zu laufen, insoweit in Regress genommen zu werden.

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f. Zudem sind sowohl das Urteil des 1. Senats vom 5.7.1995, auf das sich der Kläger beruft, wie auch die folgenden Entscheidungen des 1. und des 8. Senats des BSG zu den Rechtsansprüchen von Versicherten gegen ihre Krankenkasse ergangen. Aus diesen Urteilen ergibt sich nicht unmittelbar, wie sich ein Vertragsarzt zu Arzneimittelverordnungen verhalten sollte, die erkennbar außerhalb der Zulassungsindikation des jeweiligen Arzneimittels erfolgten, von denen er aber annahm, sie könnten vom Patienten beansprucht werden. Dazu ist dem Urteil des erkennenden Senats vom 18.10.1995 (6 RKa 3/93) zur Drogensubstitution zu entnehmen, dass in solchen Fällen jedenfalls eine exakte Dokumentation und eine engmaschige Verlaufskontrolle der Behandlung geboten waren (SozR 3-5550 § 17 Nr 2 S 8; vgl auch BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 37/08 R - RdNr 39, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Damit ist es zB nicht vereinbar, auf laborchemische Untersuchungen zum Nachweis eines - vermeintlichen oder tatsächlich bestehenden - "Antikörpermangelsyndroms" zu verzichten, wenn die umstrittene Off-Label-Verordnung von Immunglobulinen gerade auf diese Diagnose reagiert.

43

Ein Vertragsarzt, der Medikamente außerhalb ihrer zugelassenen Indikationen verordnet, kann weder sich noch der Krankenkasse Gewissheit darüber verschaffen, dass die Verordnung den Vorgaben des Wirtschaftlichkeitsgebotes genügt, also notwendig, zweckmäßig und wirtschaftlich ist. Bei Off-Label-Verordnungen hat nämlich gerade keine Prüfung von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des jeweiligen Arzneimittels stattgefunden, die seinen Einsatz (auch) im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung rechtfertigt. Eine solche Prüfung ist im AMG nur indikationsbezogen vorgeschrieben und durchführbar; die von der Zulassung nach dem AMG ausgehende Schutzwirkung und Qualitäts- wie Wirksamkeitserwartung greift bei einem Einsatz des Medikaments außerhalb der Zulassung gerade nicht ein (vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 RdNr 19; s auch BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 37/08 - RdNr 27 ff, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Soweit danach ein Vertragsarzt Verordnungen ohne gesicherten Nachweis von Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels ausstellt, muss zwingend nachträglich geprüft werden dürfen, ob die jeweilige Verordnung den Regeln des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung entspricht. Wenn der Vertragsarzt davon absieht, in Fällen eines Off-Label-Use die Krankenkasse vor Ausstellung der Verordnung einzuschalten, wie es der Senat in einem Beschluss vom 31.5.2006 dargestellt hat (B 6 KA 53/05 B, MedR 2007, 557, 560), muss er hinnehmen, dass die Einhaltung der Vorgaben der vertragsärztlichen Versorgung im Nachhinein geprüft wird.

44

Der Beklagte hält dem Kläger - anders als dieser nahe legen will - keine schuldhafte Verletzung vertragsärztlicher Pflichten vor, die nunmehr sanktioniert wird. Der Beklagte hat lediglich die Position der zu 2. beigeladenen Krankenkasse bestätigt, dass sie objektiv zu Unrecht erhebliche Kosten für die Versorgung ihrer Versicherten H. mit einem Immunglobulin aufgewandt hat. Weil der Kläger der Beigeladenen zu 2. keine Gelegenheit gegeben hat, ihre Auffassung zur Rechtmäßigkeit des Einsatzes von Immunglobulinen bei der Versicherten H. vor Einlösung der Verordnungen darzulegen, muss es der Krankenkasse möglich sein, ihren Standpunkt nachträglich durchzusetzen, soweit er rechtlicher Prüfung standhält. Dazu sieht die Prüfvereinbarung im Einklang mit Bundesrecht das Verfahren der Regressfestsetzung vor. Soweit der Kläger geltend macht, nach dem im Jahr 1999 geltenden Recht habe er zu Gunsten der H. kein Privatrezept ausstellen dürfen, weil das gegen § 29 Abs 1 Satz 2 BMV-Ä verstoßen hätte, folgt der Senat dem nicht. Der Beschluss des Senats vom 31.5.2006 (MedR 2007, 557), der diesen Weg aufgezeigt hat, ist zu Off-Label-Use-Verordnungen aus dem Jahr 1997 ergangen. Auch 1997 und 1999 galt das Verbot, sich als Vertragsarzt vertragsärztliche Verordnungen einzeln genehmigen zu lassen; dieses Verbot hat sich - wie der Senat dargelegt hat - immer nur auf Verordnungen im Rahmen der Leistungspflicht der Krankenkassen bezogen. Wie die Rechtslage zu beurteilen wäre, wenn der Kläger im Sommer 1999 vergeblich bei der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2. angefragt und explizit um eine Entscheidung über das aus Sicht dieser Krankenkasse richtige Vorgehen gebeten hätte, kann offen bleiben. Der Kläger macht selbst nicht geltend, diesen Weg beschritten zu haben.

45

g. Der vom Beklagten aufrecht erhaltene Regress gegen den Kläger ist schließlich nicht deshalb rechtswidrig, weil der Versicherten H. bei Ausstellung der umstrittenen Verordnungen nach den Grundsätzen des Beschlusses des BVerfG vom 6.12.2005 (BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5) gegen die Rechtsvorgängerin der zu 2. beigeladenen Krankenkasse ein Anspruch auf Versorgung mit Polyglobin 5 % zugestanden hätte. Nach den Feststellungen des LSG liegen die tatsächlichen Voraussetzungen eines solchen, auf §§ 27 und 31 SGB V iVm Art 2 Abs 1 GG und dem Sozialstaatsprinzip bzw Art 2 Abs 2 Satz 1 GG und der hieraus abzuleitenden Schutzpflicht gegründeten Anspruchs nicht vor. Diese Feststellungen des LSG sind für den Senat nach § 163 SGG bindend, weil der Kläger dazu keine zulässigen Revisionsrügen angebracht hat.

46

Richtig ist allerdings der Ausgangspunkt der Revision: Wenn feststünde, dass H. nach den tatsächlichen Verhältnissen des Jahres 1999 einen Anspruch auf Versorgung mit Polyglobin als Sachleistung der Krankenkasse gehabt hätte, dürfte wegen der für diese Versorgung angefallenen Kosten kein Regress gegen den Kläger festgesetzt werden. Diese Konsequenz aus der Entscheidung des BVerfG hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 5.11.2008 zu Wobe Mugos (SozR 4-2500 § 106 Nr 21; ebenso BSG MedR 2010, 276) inzident angesprochen und hält daran fest. Der verschuldensunabhängige Schadensersatzanspruch der Krankenkasse gegen einen Vertragsarzt wegen unzulässiger Arzneimittelverordnungen beruht im Kern darauf, dass die Krankenkasse einen Ausgleich für die Bezahlung von Medikamenten erhält, die sie bei korrekten Verhalten des Arztes nicht hätte finanzieren müssen. Wenn sich nachträglich herausstellt, dass der Versicherte, zu dessen Gunsten der Vertragsarzt die umstrittenen Verordnungen ausgestellt hat, auf die Versorgung mit dem verordneten Arzneimittel einen Anspruch gegen seine Krankenkasse hatte, ist dieser durch die Bezahlung dieses Arzneimittels dem Grunde nach jedenfalls kein Schaden entstanden, den der Vertragsarzt nunmehr ersetzen müsste. Lässt sich allerdings nicht mit hinreichender Gewissheit feststellen, dass die Voraussetzungen für einen ausnahmsweise gerechtfertigten Off-Label-Use vorgelegen haben, geht das zu Lasten des Arztes. Er rückt, obwohl er sich nach der Ausrichtung des Verfahrens gegen einen Regress wendet, hinsichtlich der Verteilung von Darlegungs- und Beweislast in die Stellung ein, die der Versicherte gehabt hätte, wenn er seinen Standpunkt zur der Verordnungsfähigkeit eines Arzneimittels gegen die Krankenkasse nach § 13 Abs 3 SGB V im Wege der Geltendmachung eines Kostenerstattungsanspruchs durchsetzen müsste. Wer geltend machen will, der Versorgungsanspruch umfasse in einer bestimmten Konstellation auch die Versorgung mit zugelassenen Arzneimitteln außerhalb der Zulassungsindikationen, dringt damit nicht durch, wenn sich unter Ausschöpfung aller Möglichkeiten zur Sachaufklärung nicht feststellen lässt, dass die dafür insbesondere in der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG und inzwischen auch vom Gemeinsamen Bundesausschuss (§ 30 der Arzneimittel-Richtlinie iVm Anlage VI) formulierten Voraussetzungen vorgelegen haben. Das ist auch hier der Fall und geht zu Lasten des Klägers.

47

h. Das LSG ist in Übereinstimmung mit der Revision zutreffend davon ausgegangen, dass die Versicherte H. an einer lebensbedrohlichen Erkrankung (metastasierendes Karzinom der Eileiter) gelitten hat. Zu dessen kausaler Behandlung hätte bei Fehlen einer allgemein anerkannten, medizinischem Standard entsprechenden Behandlungsmethode nach der Rechtsprechung des BVerfG ein Arzneimittel auch außerhalb seiner Zulassungsindikation eingesetzt werden dürfen, wenn nach der vorhandenen Studienlage auf diese Weise die nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf positive Behandlungserfolge bestanden hätten (BVerfGE 115, 25, 49 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 RdNr 33). Das nimmt der Kläger selbst für die Verordnung von Polyglobin nicht an. Er geht vielmehr davon aus, dass die Versicherte H. an einem Antikörpermangel litt, der unbehandelt eine Fortführung der überlebensnotwendigen Chemotherapie ausgeschlossen hätte oder hat. Wenn die Rechtsprechung des BVerfG auf diese Konstellation Anwendung finden sollte, was der Senat entgegen der Auffassung des LSG nicht von vornherein für ausgeschlossen hält, müssen jedenfalls die Anforderungen an einen zulässigen Off-Label-Use entsprechend erfüllt sein. Es muss deshalb feststehen, dass der Patient neben der lebensbedrohlichen Erkrankung an einer weiteren Gesundheitsstörung leidet, die die Anwendung aller zur Behandlung des Hauptleidens in Betracht kommenden Behandlungsmöglichkeiten ausschließt. Weiterhin muss der Off-Label-Einsatz des anzuwendenden Arzneimittels mit gewisser Wahrscheinlichkeit die zweite Erkrankung so beeinflussen, dass eine Erfolg versprechende Behandlung des Hauptleidens wieder oder erstmals möglich wird. Schließlich darf es für die zweite Erkrankung keine anerkannten Behandlungsmöglichkeiten - zB mit entsprechend zugelassenen Arzneimitteln - geben. Diese Voraussetzungen sind hier jedenfalls nicht - wie es notwendig wäre, um der Klage zum Erfolg zu verhelfen - kumulativ erfüllt.

48

i. Erhebliche Zweifel bestehen bereits daran, ob das vom Kläger so bezeichnete "sekundäre Antikörpermangelsyndrom" eine eigenständige und hinreichende spezifische Erkrankung ist, die abgegrenzt vom Karzinomleiden behandelt werden kann und muss. Der Kläger hat dazu in den Tatsacheninstanzen nicht Präzises vorgetragen. Zudem steht nicht fest, dass die Patientin H. an einem Antikörpermangelsyndrom litt, das schulmedizinisch nicht behandelbar war. Die zur Abstützung dieser Diagnose und des Ausmaßes der Erkrankung möglichen laborchemischen Untersuchungen hat der Kläger nach den Feststellungen des LSG nicht durchgeführt oder veranlasst. Dazu mag er - wie die Revision geltend macht - berufsrechtlich nicht verpflichtet gewesen sein. Er hat damit aber im Hinblick auf den Off-Label-Use zur Unaufklärbarkeit des genauen Gesundheitszustandes der Versicherten H. in der zweiten Hälfte des Jahres 1999 beigetragen. Das geht zu seinen Lasten.

49

j. Außerdem fehlt es an ausreichenden Feststellungen bzw Belegen für das vom Kläger geltend gemachte Dilemma, die lebensbedrohliche Ersterkrankung nur durch die Behandlung der Zweiterkrankung mit Polyglobin 5 % therapieren zu können. Der Kläger setzt schon die Anforderungen an den Nachweis einer eigenständigen Zweiterkrankung zu niedrig an. Die Versicherte H. litt nach den Ausführungen des Klägers an einer "Verminderung der Immunitätslage" als Folge sowohl des Karzinomleidens als auch der aggressiven Chemotherapien. Darauf habe sie mit wiederholten schweren bakteriellen und viralen Infektionen reagiert, die er - der Kläger - als "Zeichen eines sekundären Antikörpermangels" gedeutet habe. Für keine dieser "wiederholten" Infektionen hat der Kläger im Verwaltungsverfahren oder in den Vorinstanzen jedoch konkret und eingehend belegt, dass diesen durch anerkannte Behandlungsverfahren nicht hätten effektiv entgegengewirkt werden können. Spezifische Darlegungen dazu, die dann dem LSG ggf Anlass zu weiterer Sachaufklärung hätten geben können, waren vor allem deshalb unerlässlich, weil der Kläger selbst einen Zusammenhang zwischen dem Krebsleiden und der Chemotherapie mit der geschwächten Immunitätslage der H. herstellt. Da nicht alle Patienten, deren Abwehrsystem durch Krebs und Chemotherapie geschwächt sind, mit Immunglobulin behandelt werden bzw nach dem gebotenen Behandlungsstandard behandelt werden müssen oder im Jahr 1999 so behandelt wurden oder behandelt werden mussten, hätte der Kläger fallbezogen und detailliert darlegen müssen, inwieweit sich die gesundheitliche Lage der H. von derjenigen anderer chemotherapeutisch behandelter Krebspatienten unterschied, und auf der Basis welcher exakten Befunde er die Anwendung von Polyglobin 5 % für unerlässlich hielt. Das ist nicht geschehen und spricht dafür, dass sich der Kläger von der Gabe eines Immunglobulins ganz generell eine Stärkung der Abwehrlage der H. und damit mutmaßlich eine bessere Resistenz gegen Infektionen versprach. Das reicht für einen Off-Label-Use, dessen Zulässigkeit jedenfalls in Fällen der hier vorliegenden Art von dem Gesundheitszustand des konkreten Patienten abhängt, nicht aus.

50

k. Schließlich ist die positive Wirkung, die der Kläger dem Einsatz von Immunglobulin bei fortgeschrittener Krebserkrankung zuschreibt, nach den Feststellungen des LSG auch nicht hinreichend belegt.

51

Das LSG hat im Einzelnen dargestellt, dass die bis 1999 zum Einsatz von Immunglobulinen vorhandenen Studien und publizierten Forschungsergebnisse nicht darauf hindeuten, dass die Gesundheitsstörungen der Versicherten H. durch den Einsatz von Polyglobin erfolgreich behandelt werden konnten. Das LSG ist zutreffend von den in der Rechtsprechung des 1. Senats des BSG ermittelten Grundsätzen zum Anspruch der Versicherten auf Versorgung mit (in Deutschland oder der EU) nicht zugelassenen Arzneimitteln (dazu BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4) oder mit Arzneimitteln außerhalb zugelassener Indikationen (BSGE 89, 184 = SozR 3-2500 § 31 Nr 8) ausgegangen. Es hat näher ausgeführt, dass keine wissenschaftliche Arbeit vorliege oder vom Kläger benannt sei, in der der zulassungsüberschreitende Einsatz von Immunglobulinen zur Behandlung einer auf der Intoleranz von Chemotherapeutika beruhenden Erkrankung als medizinisch geboten bewertet wird. Einen Konsens der einschlägigen Fachkreise, dass Polyglobin ein sekundäres Antikörpersyndrom positiv beeinflussen könne, hat das LSG gerade nicht feststellen können. Soweit die Revision die vorhandenen medizinischen Unterlagen lediglich anders würdigt, vermag sie damit die Feststellungen iS des § 163 SGG nicht zu entkräften.

52

Soweit der Kläger die Sachaufklärung des LSG zu den Erfolgsaussichten der Behandlung mit Immunglobulinen für unzureichend hält, berücksichtigt er nicht hinreichend, dass sich der 1. Senat des BSG bereits mehrfach mit dem Anspruch der Versicherten auf Versorgung mit Immunglobulinen befasst hat. In den Urteilen vom 19.3.2002 (BSGE 89, 184 = SozR 3-2500 § 31 Nr 8), vom 27.3.2007 (B 1 KR 17/06 R) und vom 28.2.2008 (SozR 4-2500 § 13 Nr 16), die sämtlich die Versorgung mit Immunglobulinpräparaten - jeweils bezogen auf die Indikation Multiple Sklerose - zum Gegenstand hatten, wird der Stand der medizinischen Forschung zu dieser Wirkstoffgruppe für die streitbefangenen Jahre 1997 bis 2003 eingehend aufgearbeitet. Zwar können die Forschungsergebnisse zur Möglichkeit, durch die Gabe von Immunglobulinen die Multiple Sklerose günstig zu beeinflussen, nicht ohne Weiteres auf die hier zu beurteilende Situation der unterstützenden Behandlung bei Krebserkrankungen übertragen werden, doch sind die Wirkungen und die in Frage kommenden Indikationen für Immunglobulin bezogen auf den hier relevanten Zeitraum gut erforscht und die Forschungsergebnisse - soweit krankenversicherungsrechtlich von Bedeutung - in der Rechtsprechung des BSG umfassend rezipiert worden. Zudem sind die Urteile des 1. Senats des BSG vom 27.3.2007 und vom 28.2.2008 Gegenstand der verfassungsgerichtlichen Prüfung gewesen. Mit Kammerbeschlüssen vom 30.6.2008 (1 BvR 1665/07 zum BSG-Urteil B 1 KR 17/06 R) und vom 8.7.2009 (1 BvR 1531/09 zum BSG-Urteil B 1 KR 15/07 R) sind die Verfassungsbeschwerden der unterlegenen Kläger jeweils nicht zur Entscheidung angenommen worden. Beide Kammerbeschlüsse sind auf der Basis der grundlegenden Entscheidung des BVerfG vom 6.12.2005 ergangen und billigen insbesondere, dass die Rechtsprechung des BSG strenge Anforderungen an den Nachweis stellt, dass mit dem zulassungsüberschreitenden Einsatz des jeweils betroffenen Arzneimittels hinreichende Erfolgsaussichten verbunden sein müssen (BVerfG vom 30.6.2008 - 1 BvR 1665/07 - NJW 2008, 3556 f RdNr 9 bis 11). Es reicht danach als Grundlage für einen Off-Label-Use von Arzneimitteln in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht aus, dass positive Folgen einer solchen Behandlung nach dem Wirkungsmechanismus von Immunglobulinen nicht schlechthin ausgeschlossen werden können, dass Patienten in Einzelfällen nach Verabreichung der umstrittenen Medikamente eine Verbesserung ihres Befindens beschreiben und dass einzelne Ärzte oder Wissenschaftler mit plausiblen Gründen einen von der verbreiteten Auffassung abweichenden Standpunkt zu den Erfolgsaussichten einer Behandlung vertreten. Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe und im Hinblick auf die schon vorliegende Rechtsprechung des 1. Senats des BSG ist die Sachverhaltsermittlung des Berufungsgerichts ausreichend.

53

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs 1 iVm § 155 Abs 1 VwGO und berücksichtigt das teilweise Obsiegen und Unterliegen der Beteiligten. Die außergerichtlichen Kosten der zu 1. beigeladenen KÄV sind nach § 162 Abs 3 VwGO nicht erstattungsfähig, weil diese keine Anträge gestellt hat(vgl BSGE 96, 257 = SozR 4-1300 § 63 Nr 3, RdNr 16).

(1) Ein schriftlicher oder elektronischer sowie ein schriftlich oder elektronisch bestätigter Verwaltungsakt ist mit einer Begründung zu versehen. In der Begründung sind die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitzuteilen, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen haben. Die Begründung von Ermessensentscheidungen muss auch die Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist.

(2) Einer Begründung bedarf es nicht,

1.
soweit die Behörde einem Antrag entspricht oder einer Erklärung folgt und der Verwaltungsakt nicht in Rechte eines anderen eingreift,
2.
soweit demjenigen, für den der Verwaltungsakt bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, die Auffassung der Behörde über die Sach- und Rechtslage bereits bekannt oder auch ohne Begründung für ihn ohne weiteres erkennbar ist,
3.
wenn die Behörde gleichartige Verwaltungsakte in größerer Zahl oder Verwaltungsakte mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlässt und die Begründung nach den Umständen des Einzelfalles nicht geboten ist,
4.
wenn sich dies aus einer Rechtsvorschrift ergibt,
5.
wenn eine Allgemeinverfügung öffentlich bekannt gegeben wird.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Nr. 1 bis 3 ist der Verwaltungsakt schriftlich oder elektronisch zu begründen, wenn der Beteiligte, dem der Verwaltungsakt bekannt gegeben ist, es innerhalb eines Jahres seit Bekanntgabe verlangt.

(1) Die Krankenkasse darf anstelle der Sach- oder Dienstleistung (§ 2 Abs. 2) Kosten nur erstatten, soweit es dieses oder das Neunte Buch vorsieht.

(2) Versicherte können anstelle der Sach- oder Dienstleistungen Kostenerstattung wählen. Hierüber haben sie ihre Krankenkasse vor Inanspruchnahme der Leistung in Kenntnis zu setzen. Der Leistungserbringer hat die Versicherten vor Inanspruchnahme der Leistung darüber zu informieren, dass Kosten, die nicht von der Krankenkasse übernommen werden, von dem Versicherten zu tragen sind. Eine Einschränkung der Wahl auf den Bereich der ärztlichen Versorgung, der zahnärztlichen Versorgung, den stationären Bereich oder auf veranlasste Leistungen ist möglich. Nicht im Vierten Kapitel genannte Leistungserbringer dürfen nur nach vorheriger Zustimmung der Krankenkasse in Anspruch genommen werden. Eine Zustimmung kann erteilt werden, wenn medizinische oder soziale Gründe eine Inanspruchnahme dieser Leistungserbringer rechtfertigen und eine zumindest gleichwertige Versorgung gewährleistet ist. Die Inanspruchnahme von Leistungserbringern nach § 95b Absatz 3 Satz 1 im Wege der Kostenerstattung ist ausgeschlossen. Anspruch auf Erstattung besteht höchstens in Höhe der Vergütung, die die Krankenkasse bei Erbringung als Sachleistung zu tragen hätte. Die Satzung hat das Verfahren der Kostenerstattung zu regeln. Sie kann dabei Abschläge vom Erstattungsbetrag für Verwaltungskosten in Höhe von höchstens 5 Prozent in Abzug bringen. Im Falle der Kostenerstattung nach § 129 Absatz 1 Satz 6 sind die der Krankenkasse entgangenen Rabatte nach § 130a Absatz 8 sowie die Mehrkosten im Vergleich zur Abgabe eines Arzneimittels nach § 129 Absatz 1 Satz 3 und 5 zu berücksichtigen; die Abschläge sollen pauschaliert werden. Die Versicherten sind an ihre Wahl der Kostenerstattung mindestens ein Kalendervierteljahr gebunden.

(3) Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Die Kosten für selbstbeschaffte Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nach dem Neunten Buch werden nach § 18 des Neunten Buches erstattet. Die Kosten für selbstbeschaffte Leistungen, die durch einen Psychotherapeuten erbracht werden, sind erstattungsfähig, sofern dieser die Voraussetzungen des § 95c erfüllt.

(3a) Die Krankenkasse hat über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des Medizinischen Dienstes, eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten. Der Medizinische Dienst nimmt innerhalb von drei Wochen gutachtlich Stellung. Wird ein im Bundesmantelvertrag für Zahnärzte vorgesehenes Gutachterverfahren gemäß § 87 Absatz 1c durchgeführt, hat die Krankenkasse ab Antragseingang innerhalb von sechs Wochen zu entscheiden; der Gutachter nimmt innerhalb von vier Wochen Stellung. Kann die Krankenkasse Fristen nach Satz 1 oder Satz 4 nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich oder elektronisch mit; für die elektronische Mitteilung gilt § 37 Absatz 2b des Zehnten Buches entsprechend. Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt. Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist die Krankenkasse zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet. Die Krankenkasse berichtet dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen jährlich über die Anzahl der Fälle, in denen Fristen nicht eingehalten oder Kostenerstattungen vorgenommen wurden. Für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation gelten die §§ 14 bis 24 des Neunten Buches zur Koordinierung der Leistungen und zur Erstattung selbst beschaffter Leistungen.

(4) Versicherte sind berechtigt, auch Leistungserbringer in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz anstelle der Sach- oder Dienstleistung im Wege der Kostenerstattung in Anspruch zu nehmen, es sei denn, Behandlungen für diesen Personenkreis im anderen Staat sind auf der Grundlage eines Pauschbetrages zu erstatten oder unterliegen auf Grund eines vereinbarten Erstattungsverzichts nicht der Erstattung. Es dürfen nur solche Leistungserbringer in Anspruch genommen werden, bei denen die Bedingungen des Zugangs und der Ausübung des Berufes Gegenstand einer Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft sind oder die im jeweiligen nationalen System der Krankenversicherung des Aufenthaltsstaates zur Versorgung der Versicherten berechtigt sind. Der Anspruch auf Erstattung besteht höchstens in Höhe der Vergütung, die die Krankenkasse bei Erbringung als Sachleistung im Inland zu tragen hätte. Die Satzung hat das Verfahren der Kostenerstattung zu regeln. Sie hat dabei ausreichende Abschläge vom Erstattungsbetrag für Verwaltungskosten in Höhe von höchstens 5 Prozent vorzusehen sowie vorgesehene Zuzahlungen in Abzug zu bringen. Ist eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit nur in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum möglich, kann die Krankenkasse die Kosten der erforderlichen Behandlung auch ganz übernehmen.

(5) Abweichend von Absatz 4 können in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz Krankenhausleistungen nach § 39 nur nach vorheriger Zustimmung durch die Krankenkassen in Anspruch genommen werden. Die Zustimmung darf nur versagt werden, wenn die gleiche oder eine für den Versicherten ebenso wirksame, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit rechtzeitig bei einem Vertragspartner der Krankenkasse im Inland erlangt werden kann.

(6) § 18 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 gilt in den Fällen der Absätze 4 und 5 entsprechend.

Tatbestand

1

Umstritten ist ein Arzneikostenregress wegen der Verordnung des Arzneimittels Polyglobin in den Quartalen II/1999 bis IV/1999.

2

Der in diesen Quartalen als Hausarzt an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Kläger verordnete insgesamt 17-mal "Polyglobin 5 %" für die 1932 geborene Versicherte H. Diese litt an einem metastasierenden Karzinom der Eileiter, das auch die Leber befallen hatte, und ist 2001 verstorben. Die Kosten je Verordnung beliefen sich auf 3209,02 DM. Auf Antrag der Rechtsvorgängerin der zu 2. beigeladenen Krankenkasse vom 1.12.2000 setzte der Prüfungsausschuss auf der Grundlage des § 14 der für den Bezirk der zu 1. beigeladenen Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) geltenden Prüfvereinbarung eine Schadensersatzpflicht des Klägers wegen der Verordnung von "Polyglobin" in Höhe von 51 553 DM fest. Dieser Betrag ergab sich auf der Grundlage der Bruttoverordnungskosten unter Abzug eines fünfprozentigen Apothekenrabatts und der von der Versicherten geleisteten Zuzahlungen. Der beklagte Beschwerdeausschuss wies den Widerspruch des Klägers mit der Begründung zurück, Polyglobin sei nicht im Rahmen der Zulassungsindikationen verordnet worden, und für eine Verordnung außerhalb der zugelassenen Indikationen - der Kläger hatte die Behandlung eines Antikörpermangels bei der Versicherten als Grund für die Verordnungen angeführt - habe keine rechtliche Grundlage bestanden.

3

Das SG hat den Bescheid des Beklagten aufgehoben, soweit die Verordnungen im Quartal II/1999 ausgestellt worden sind, weil die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2. die Antragsfrist versäumt habe. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen, weil für einen zulassungsüberschreitenden Einsatz von Polyglobin die rechtlichen Voraussetzungen, die inzwischen von der Rechtsprechung des BSG geklärt seien, nicht vorgelegen hätten.

4

Dieses Urteil haben der Kläger am 15.4.2005 mit der Berufung und die Beigeladene zu 2. am 28.11.2006 mit der Anschlussberufung angegriffen. Der Kläger hat geltend gemacht, die Verordnung von Polyglobin in den streitbefangenen Quartalen habe den Behandlungserfolg der Chemotherapie absichern sollen und sei damit zur erfolgreichen Behandlung des inoperablen metastasierenden Tubenkarzinoms notwendig gewesen. Nach der Entscheidung des BSG vom 5.7.1995 (Remedacen) habe er darauf vertrauen können, verschreibungspflichtige Medikamente auch außerhalb ihres Zulassungsbereichs verordnen zu dürfen. Der durch dieses höchstrichterliche Urteil ausgelöste Vertrauensschutz sei frühestens durch das Urteil des BSG vom 30.9.1999 (SKAT) eingeschränkt worden. Dieses Urteil habe er bei Ausstellung der hier betroffenen Verordnungen nicht kennen können; insoweit sei ihm zumindest Vertrauensschutz zuzubilligen. Im Übrigen seien die von ihm vorgenommenen Verordnungen auch nach den heute geltenden Maßstäben nicht zu beanstanden, weil die Voraussetzungen für einen indikationsüberschreitenden Einsatz von Polyglobin nach den im Beschluss des BVerfG vom 6.12.2005 formulierten Maßstäben erfüllt seien.

5

Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und auf die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. das Urteil des SG geändert und die Klage auch hinsichtlich der Verordnungen aus dem Quartal II/1999 abgewiesen. Die Anschlussberufung sei zulässig, obwohl diese sich nicht auf den Teil des Streitgegenstandes beziehe, der Gegenstand der Berufung des Klägers sei (Quartale III und IV/1999). Soweit das BSG die Auffassung vertrete, eine Anschlussberufung müsse sich innerhalb des Streitgegenstandes der Hauptberufung bewegen, sei dem nicht zu folgen. Dem Gegner des Berufungsführers müsse es möglich sein, durch Anschließung an die Berufung des Hauptberufungsführers eine Überprüfung des erstinstanzlichen Urteils zu erreichen, auch soweit ein Streitgegenstand betroffen sei, der von der Berufung des Klägers nicht erfasst werde.

6

Die Berufung der beigeladenen Krankenkasse sei aus denselben Gründen begründet wie diejenige des Klägers unbegründet. Der Beklagte sei berechtigt gewesen, auf der Grundlage des § 14 der für Berlin geltenden Prüfvereinbarung Arzneikostenregresse gegen den Kläger wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel festzusetzen. Das setze nach der gefestigten Rechtsprechung des BSG kein Verschulden des Vertragsarztes voraus. Auch ein Antrag der jeweils betroffenen Krankenkasse sei nicht erforderlich gewesen; soweit die Prüfvereinbarung etwas anderes vorschreibe, sei das nach der Rechtsprechung des BSG mit höherrangigem Recht nicht vereinbar und deshalb unwirksam. Aus diesem Grund habe das SG der Klage hinsichtlich des Quartals II/1999 zu Unrecht stattgegeben. Auf Vertrauensschutz könne der Kläger sich nicht berufen. Soweit der 8. Senat des BSG im Jahr 1999 ausgeführt habe, die Versicherten hätten im Anschluss an das Urteil des 1. Senats des BSG vom 15.7.1995 zumindest bis zur Veröffentlichung des Urteils aus dem Jahre 1999 darauf vertrauen dürfen, dass sie mit Arzneimitteln auch außerhalb des durch die Zulassung nach dem Arzneimittelgesetz (AMG) bestimmten Indikationsbereichs versorgt werden dürften, könne dem nicht gefolgt werden. Schließlich führe auch der Beschluss des BVerfG vom 6.12.2005 nicht zu einer anderen Beurteilung, weil die Wirksamkeit von Polyglobin zur Behandlung der nach Auffassung des Klägers bei der Patientin H. vorhandenen Antikörperstörung nicht belegt sei (Urteil vom 26.11.2008).

7

Mit seiner Revision rügt der Kläger in verfahrensrechtlicher Hinsicht die Entscheidung des Berufungsgerichts, die Anschlussrevision der Beigeladenen zu 2. als zulässig anzusehen. Diese Berufung sei nach Ablauf der auch für diese Beigeladene geltenden Berufungsfrist von einem Monat nach Zustellung des sozialgerichtlichen Urteils eingelegt worden. Als unselbstständige Anschlussberufung sei sie nicht zulässig, weil sie sich nicht auf den Gegenstand der von ihm - dem Kläger - eingelegten Hauptberufung beziehe. Nach der Rechtsprechung des BSG dürfe nach Ablauf der für die Beteiligten geltenden Berufungsfrist der Streitgegenstand des Berufungsverfahrens nicht mehr erweitert werden. Seine - des Klägers - Verordnungen in den drei streitbefangenen Quartalen bildeten jeweils unterschiedliche Streitgegenstände, was das SG im Ausgangspunkt zutreffend dadurch zum Ausdruck gebracht habe, dass es den Regressbescheid hinsichtlich des Quartals II/1999 aufgehoben und hinsichtlich der in den beiden folgenden Quartalen ausgestellten Verordnungen für rechtmäßig gehalten habe. Deshalb sei der angefochtene Regressbescheid hinsichtlich der Verordnungen aus dem Quartal II/1999 dem Berufungsgericht mit seiner - des Klägers - (Haupt)Berufung nicht angefallen und habe durch die zu 2. beigeladene Krankenkasse nach Ablauf der Berufungsfrist nicht mehr in das Berufungsverfahren einbezogen werden können.

8

Im Übrigen sei das Urteil des LSG fehlerhaft, soweit es die Regresse für rechtmäßig gehalten habe. Der vom Berufungsgericht herangezogene § 14 Abs 1 der Prüfvereinbarung sei schon generell keine tragfähige Grundlage für einen Regress wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel. Die Prüfvereinbarung regele lediglich Verstöße gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot sowie Regresse wegen schuldhafter Verursachung eines "sonstigen Schadens". Der in der Rechtsprechung des BSG zugelassene Regress wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Mittel hätte in der Prüfvereinbarung zwar geregelt werden können, sei dort tatsächlich aber nicht geregelt worden.

9

Weiterhin sei der angefochtene Bescheid fehlerhaft, weil im Prüfungsausschuss wie im Beschwerdeausschuss jeweils unter Vorsitz eines Vertreters der Krankenkassen entschieden worden sei. Die Krankenkassenvertreter hätten eine Vertagung der Entscheidung des Beklagten in einer Sitzung unter Vorsitz eines Vertreters der Ärzte herbeigeführt, um so zu erreichen, dass über die Widersprüche des Klägers gegen die Entscheidung des Prüfungsausschusses, die unter Vorsitz eines Vertreters der Krankenkassen getroffen worden sei, erneut unter Vorsitz eines Vertreters der Krankenkassen entschieden werde. Das sei unzulässig. Die Vorschriften über den wechselnden Vorsitz im Prüfungs- und Beschwerdeausschuss nach § 106 SGB V aF könnten nur so verstanden werden, dass jedenfalls über Entscheidungen des Prüfungsausschusses, bei denen ein Vertreter der Krankenkassen den Vorsitz gehabt habe, in der Besetzung des Beschwerdeausschusses mit einem Vorsitzenden aus den Reihen der Vertragsärzte entschieden werden müsse.

10

Die Verordnung von Polyglobin sei zur Behandlung der bei der Versicherten H. vorhandenen lebensbedrohlichen Karzinomerkrankung notwendig gewesen. Zwar sei der Einsatz von Polyglobin nicht unmittelbar zur Heilung der Tumorerkrankung bzw zur Linderung der damit verbundenen Beschwerden erfolgt, doch habe die Versicherte unter einer Antikörperstörung gelitten, die eine Chemotherapie unmöglich gemacht habe, die ihrerseits zur Behandlung des Tumorgrundleidens erforderlich gewesen sei. Der Einsatz von Polyglobin habe die Voraussetzungen für eine Fortsetzung der Chemotherapie schaffen sollen, und seine Rechtmäßigkeit müsse deshalb aus medizinischen Gründen nach denselben Maßstäben beurteilt werden wie die Verordnung von Arzneimitteln zur kausalen Krebstherapie. Jedenfalls habe er - der Kläger - darauf vertrauen dürfen, dass im Hinblick auf die Rechtsprechung des BSG auch der die Indikationsgrenzen überschreitende Einsatz generell zugelassener Arzneimittel (Off-Label-Use) im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung möglich gewesen sei. Das habe der 1. Senat des BSG im Juli 1995 zum Einsatz des Codeinpräparates Remedacen zur Drogensubstitution entschieden, und der 8. Senat des BSG, der mit dieser Rechtsprechung nicht einverstanden gewesen sei, habe im Jahr 1999 für die Zeit bis zur Verkündung seiner Entscheidung den Versicherten Vertrauensschutz zugebilligt. Auf diesen Vertrauensschutz könne er - der Kläger - sich hier auch berufen. Soweit der 6. Senat des BSG im Mai 2006 entschieden habe, Vertrauensschutzaspekte spielten insoweit keine Rolle, weil Vertragsärzte, die Arzneimittel außerhalb der Zulassungsindikationen einsetzen wollten, gehalten seien, ein Privatrezept auszustellen und die Versicherten bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche gegen die Krankenkasse zu unterstützen, sei das auf die hier maßgebliche Rechtslage des Jahres 1999 nicht übertragbar. Zu diesem Zeitpunkt sei nach § 29 Abs 1 Satz 2 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) die Genehmigung von Verordnungen durch eine Krankenkasse unzulässig gewesen. In Verbindung mit der Rechtsprechung des 1. Senats des BSG zu Remedacen habe sich daraus die Berechtigung von Vertragsärzten ergeben, den Off-Label-Use-Einsatz im regulären Verfahren durch Ausstellen von vertragsärztlichen Verordnungen zu praktizieren. Soweit das LSG bemängelt habe, das bei der Versicherten H. vorliegende Antikörpermangelsyndrom, das letztlich den Einsatz von Polyglobin erforderlich gemacht habe, sei nicht ausreichend belegt, könne dem nicht gefolgt werden. Entgegen der Auffassung des LSG seien laborchemische Untersuchungen zum Nachweis dieses Antikörpermangelsyndroms verzichtbar.

11

Der Kläger beantragt,

die Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 26.11.2008 und des Sozialgerichts Berlin vom 9.2.2005, soweit hier die Klage abgewiesen wurde, sowie den Bescheid des Beklagten vom 12.12.2001 aufzuheben,

hilfsweise, die Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 26.11.2008 und des Sozialgerichts Berlin vom 9.2.2005 sowie den Bescheid des Beklagten vom 12.12.2001 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, über den Widerspruch des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu entscheiden,

weiter hilfsweise, das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 26.11.2008 aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

12

Der Beklagte und die Beigeladene zu 2. beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

13

Zutreffend habe das Berufungsgericht entschieden, dass die Partner der Prüfvereinbarungen nicht einmal berechtigt gewesen wären, Arzneikostenregresse wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel vom Verschulden des Vertragsarztes abhängig zu machen. Entgegen der Auffassung des Klägers habe die maßgebliche Prüfvereinbarung aus dem Jahre 1994 nicht vorgeschrieben, dass eine unter dem Vorsitz eines Kassenvertreters getroffene Entscheidung vom Beschwerdeausschuss nur unter dem Vorsitz eines Vertreters der Ärzte überprüft werden dürfe. Eine solche Regelung wäre auch nicht praktikabel gewesen und hätte die Dauer der Prüfverfahren erheblich verlängert. Die Ausführungen des Klägers hinsichtlich seines Vertrauens auf bestimmte Entscheidungen des BSG seien irrelevant. Es sei lebensfremd, dass ein Vertragsarzt die einzelnen Entwicklungsschritte der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Kenntnis nehme und sein Verordnungsverhalten daran ausrichte. Eine Ausnahmelage im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG vom 6.12.2005 habe in den streitbefangenen Quartalen bei der Versicherten H. nicht bestanden.

14

Die zu 2. beigeladene Krankenkasse hält das Urteil des LSG ebenfalls für zutreffend. Zu Recht habe das LSG ihre Anschlussberufung als zulässig angesehen. Folge man der Auffassung des Klägers, gebe es für die Anschlussberufung im sozialgerichtlichen Verfahren überhaupt keinen Anwendungsbereich, weil die Hauptberufung regelmäßig nur insoweit erhoben werde, als der Rechtsmittelführer durch das sozialgerichtliche Urteil beschwert sei. Für eine Anschlussberufung sei dann kein Raum, weil im Rahmen der Beschwer des Klägers der Anschlussberufungsführer selbst mit dem angefochtenen Urteil einverstanden sei. Ein Grund für eine derart restriktive Handhabung entgegen der Rechtsprechung in den anderen Gerichtszweigen sei nicht erkennbar.

Entscheidungsgründe

15

Die Revision des Klägers hat teilweise Erfolg. Zu Recht rügt er, dass das Berufungsgericht über den angefochtenen Bescheid des Beklagten hinsichtlich der Verordnungen aus dem Quartal II/1999 in der Sache entschieden habe. Insoweit ist die zugunsten des Klägers ergangene Entscheidung des SG rechtskräftig geworden, weil die Beigeladene zu 2. innerhalb der Berufungsfrist keine Berufung eingelegt hat. Ihre Anschlussberufung war unzulässig (1). Keinen Erfolg hat die Revision dagegen hinsichtlich der Verordnungen in den Quartalen III und IV/1999. Insoweit hat das LSG die Berufung des Klägers gegen das sozialgerichtliche Urteil zu Recht zurückgewiesen. Der angefochtene Bescheid des Beklagten ist rechtmäßig (2).

16

1. Die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. vom 28.11.2006 war unzulässig. Das Berufungsgericht hätte auf diese Anschlussberufung hin nicht in eine Sachprüfung des angefochtenen Bescheides im Hinblick auf die Verordnungen des Klägers aus dem Quartal II/1999 eintreten dürfen. Insoweit war das der Klage stattgebende Urteil des SG nämlich bereits rechtskräftig geworden.

17

a. Die Berufung der beigeladenen Krankenkasse hätte nur als Anschlussberufung iS des § 202 SGG iVm § 524 ZPO zulässig sein können. Eine eigenständige Berufung wäre wegen Versäumung der Berufungsfrist des § 151 Abs 1 SGG unzulässig. Das Urteil des SG ist der Beigeladenen zu 2. am 16.3.2005 zugestellt worden; die Monatsfrist des § 151 Abs 1 SGG ist durch die Einlegung der Berufung am 28.11.2006 nicht gewahrt worden.

18

Die Berufungsfrist des § 151 Abs 1 SGG gilt nicht für die Anschlussberufung, die nach der Rechtsprechung des BSG auch in der Sozialgerichtsbarkeit statthaft ist(BSGE 63, 167, 169 = SozR 1500 § 54 Nr 85; Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer (Hrsg), SGG 9. Aufl 2008, § 143 RdNr 5). Die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. war hier aber unzulässig, weil sie nicht den gleichen prozessualen Anspruch wie die Hauptberufung des Klägers betroffen, sondern einen neuen Streitgegenstand in das Berufungsverfahren eingeführt hat. Das ist nach der Rechtsprechung aller mit dieser Rechtsfrage bisher befassten Senate des BSG ausgeschlossen (zB Urteil des 9. Senats vom 8.7.1969 = SozR Nr 12 zu § 521 ZPO; 6. Senat vom 19.6.1996 - 6 RKa 24/95 - = USK 96131) Diese Entscheidungen sind zu Ansprüchen ergangen, die Gegenstand des Klageverfahrens, aber nicht der Hauptberufung waren. Das Urteil des 4. Senats vom 10.2.2005 - B 4 RA 48/04 R - betrifft einen mit der Anschlussberufung geltend gemachten Anspruch, der nicht einmal Gegenstand des Klageverfahrens gewesen ist. Die Rechtsauffassung des BSG zur Begrenzung der Anschlussberufung auf den Streitgegenstand der Hauptberufung wird in den Kommentaren zum SGG - soweit ersichtlich ohne Ausnahme - geteilt (Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 143 RdNr 5d; Eckertz in: Lüdtke, Handkommentar Sozialgerichtsgesetz, 3. Aufl 2009, § 143 RdNr 37; Behn in: Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, 87. Ergänzungslieferung, Stand: Mai 2009 - Gesamtwerk, § 143 RdNr 68 f; Frehse in: Jansen, SGG, 3. Aufl 2009, § 143 RdNr 7; Waschull in: Berchtold/Richter, Prozesse in Sozialsachen, 2009, § 6 RdNr 130). Nach Bernsdorff (in: Hennig, SGG, Stand Februar 2009 - Gesamtwerk - § 143 RdNr 27) liegt keine Anschlussberufung vor, wenn sich der Antrag des Berufungsbeklagten bei teilbarem Streitgegenstand gegen einen anderen als den mit der Berufung angegriffenen Teil des erstinstanzlichen Urteils richtet (ähnlich Breitkreuz in: Breitkreuz/Fichte, SGG, 2009, § 143 RdNr 24).

19

b. Bei Anwendung dieser Rechtsauffassung ist die Anschlussberufung unzulässig, wie das LSG zutreffend angenommen hat. Die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. betrifft einen anderen Streitgegenstand als die Hauptberufung, weil diese die Verordnungen des Klägers aus den Quartalen III/1999 und IV/1999, jene aber solche aus dem Quartal II/1999 erfasst. Vertragsärztliche Honorarbescheide sowie Bescheide der Gremien der Wirtschaftlichkeitsprüfung ergehen quartalsbezogen und enthalten, wenn Entscheidungen mehrere Quartale betreffen (vgl zB BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 30/08 R - RdNr 24 mwN, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen), verschiedene Regelungen iS des § 31 Satz 1 SGB X. Selbst innerhalb eines Bescheides für ein Quartal können zahlreiche eigenständige "Regelungen" ergehen, die selbstständig anfechtbar sind. Das hat der Senat in einem Urteil vom 23.2.2005 (SozR 4-1500 § 92 Nr 2) für einen Honorarbescheid näher dargelegt; in dem schon zitierten Urteil vom 19.6.1996 (6 RKa 24/95) hat der Senat das in Bezug auf einen Bescheid zur Wirtschaftlichkeitsprüfung hinsichtlich von Kürzungen für bestimmte Leistungen bzw Leistungssparten als selbstverständlich vorausgesetzt und im Urteil vom 16.7.2008 ausdrücklich ausgesprochen (BSGE 101, 130 = SozR 4-2500 § 106 Nr 19, RdNr 25 am Ende).

20

Diese Rechtsprechung kann allerdings nicht ohne Weiteres auf Kostenregresse wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel übertragen werden. Derartige Regressbescheide können quartalsbezogen ergehen, etwa wenn ein Arzt über einen längeren Zeitraum hinweg bestimmte Medikamente für zahlreiche Patienten verordnet. Zwingend ist die Bindung eines Kostenregresses ebenso wie eines Regresses wegen eines sog "sonstigen Schadens" an den Quartalsturnus indessen nicht und bietet sich gerade in Konstellationen nicht an, in denen es um die Behandlung eines Versicherten mit einem umstrittenen Medikament über mehrere Quartale geht. Ein solcher Fall ist hier zu beurteilen, und sowohl der Regressantrag der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2. wie die Entscheidungen des Prüfungsausschusses und des Beklagten haben nicht nach den drei betroffenen Quartalen differenziert und mussten das auch nicht.

21

Ursprünglich bildete deshalb der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Aufhebung der - Verordnungen aus drei Quartalen erfassenden - Entscheidung des Beklagten vom 12.12.2001 den Streitgegenstand des gerichtlichen Verfahrens. Das SG hat diesen einheitlichen Streitgegenstand jedoch getrennt und die Regressfestsetzung je nach Zuordnung der beanstandeten Verordnungen des Klägers zu den Quartalen II/1999 einerseits sowie III und IV 1999 andererseits unterschiedlich beurteilt. Anlass dazu hat dem SG die (mittelbar) quartalsbezogene Regelung über die Antragsfrist der Krankenkasse in § 14 Abs 2 der maßgeblichen Prüfvereinbarung gegeben. Weil offenbar die Krankenkassen die Verordnungen aus jedem Quartal zusammengefasst zu einem bestimmten Termin erhalten, der wiederum für den Beginn der Antragsfrist nach § 14 Abs 2 von Bedeutung ist, konnte nach Ansicht des SG die Prüfung der Einhaltung dieser Frist nur differenziert für jedes Quartal erfolgen. Das Urteil des SG hat inzident die angefochtene Entscheidung des Beklagten in zumindest zwei Regelungen iS des § 31 Satz 1 SGB X aufgespalten, nämlich hinsichtlich der aus dem Quartal II/1999 und hinsichtlich der aus den Quartalen III/1999 sowie IV/1999 stammenden Verordnungen des Klägers. Bundesrecht ist dadurch nicht verletzt, und das SG hat durch den Tenor seines Urteils die Beteiligten über das gerichtliche Vorgehen hinreichend deutlich informiert.

22

Damit bestand bei Zustellung des SG-Urteils eine Rechtslage, wie sie derjenigen bei Honorarfestsetzungen oder Kürzungs- bzw Regressbescheiden entspricht, die von vornherein mehrere Quartale erfassen. Für jedes dieser Quartale ist (mindestens) eine Regelung angefochten, deren prozessuales Schicksal von demjenigen für die anderen Quartale abweichen kann; die Regelung für jedes Quartal bildet einen eigenständigen Streitgegenstand. Als Folge der Hauptberufung des Klägers war der angefochtene Bescheid des Beklagten Gegenstand des Berufungsverfahrens nur hinsichtlich der aus den Quartalen III/1999 und IV/1999 stammenden Verordnungen; das ist dem Antrag des Klägers im LSG-Verfahren deutlich zu entnehmen. Die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. hat mit der Entscheidung des Beklagten über die aus dem Quartal II/1999 stammenden Verordnungen einen neuen Streitgegenstand in das Berufungsverfahren eingeführt. Das ist nach der bisherigen Rechtsprechung des BSG nicht zulässig. Ein Anlass, von dieser Rechtsprechung abzuweichen, ist nicht ersichtlich.

23

c. Kein durchgreifendes Bedenken ergibt sich aus dem Hinweis der Beigeladenen zu 2., auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des BSG bleibe für die Anschlussberufung nur ein sehr begrenzter Anwendungsbereich. Wenn die Anschlussberufung nur innerhalb des prozessualen Anspruchs erhoben werden kann, der Gegenstand der Hauptberufung ist, kommt im vertragsärztlichen Bereich bei Honorarkürzungen bzw Arzneikostenregressen eine Anschlussberufung typischerweise nur dann in Betracht, wenn das SG auf die Klage die zuständige Behörde zur Neubescheidung nach bestimmten Maßgaben verurteilt und der Kläger mit seiner Berufung die endgültige Aufhebung der ihn belastenden Bescheide begehrt. Dieser Berufung können sich dann die KÄV, der Beschwerdeausschuss oder die beigeladenen Krankenkassen (bzw Krankenkassenverbände) mit dem Antrag anschließen, die Klage in vollem Umfang abzuweisen, auch nachdem die für sie laufende Berufungsfrist abgelaufen ist. Alle übrigen Regelungen der ursprünglich angefochtenen Entscheidung, über die das SG entschieden hat, ohne dass ein Beteiligter das mit der Berufung angefochten hat, die also etwa andere Leistungspositionen oder andere Quartale betreffen, werden dagegen bestandskräftig. Das ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts im vertragsärztlichen Bereich richtig und praktikabel.

24

Auf der Grundlage der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts bliebe dagegen möglicherweise während der gesamten Dauer eines Berufungsverfahrens offen, ob Regelungen in Kürzungs- oder Regressbescheiden, die nicht Gegenstand der Hauptberufung sind, bestandskräftig werden oder nicht. Soweit etwa in einer Entscheidung des Beschwerdeausschusses Honorarkürzungen oder Arzneikostenregresse für eine größere Zahl von Quartalen auf der Grundlage einer Vielzahl von Entscheidungen des Prüfungsausschusses (oder der Prüfungsstelle iS des § 106 Abs 4 Satz 1 SGB V idF des GKV-WSG vom 26.3.2007) zusammengefasst worden sind, bleibt deren Bestandskraft über Jahre hinweg offen, auch wenn nur eine Detailregelung hinsichtlich eines einzelnen Quartals Gegenstand des Berufungsverfahrens ist. Das ist sowohl für den beteiligten Vertragsarzt wie für die KÄV und die Krankenkassen als Kostenträger schwierig zu handhaben, weil ggf Rückstellungen gebildet werden müssten und Beträge nicht verbucht werden könnten.

25

Ein tatsächliches Bedürfnis, diese Rechtsfolgen in Kauf zu nehmen, um den Beteiligten bis zum Abschluss der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz die Möglichkeit der Anschlussberufung auch außerhalb des prozessualen Anspruchs, der Gegenstand der Hauptberufung ist, offen zu halten, vermag der Senat nicht zu erkennen. Ob Honorarkürzungs- oder Regressbescheide, die verschiedene Regelungen iS des § 31 Satz 1 SGB X zum Inhalt haben und häufig mehrere Quartale betreffen, einzeln angegriffen oder durch die Widerspruchsstelle zusammengefasst bzw im gerichtlichen Verfahren auf der Grundlage des § 113 Abs 1 SGG verbunden werden, ist eine Frage der Praktikabilität. Jeder Verfahrensbeteiligte hat nach Bekanntgabe des das Verwaltungsverfahren abschließenden Bescheides oder des erstinstanzlichen Urteils eine Frist von einem Monat, innerhalb der er prüfen und entscheiden kann, ob und ggf inwieweit er die Entscheidung der Behörde bzw des erstinstanzlichen Gerichts hinnehmen will oder nicht. Ein berechtigtes Interesse, Monate oder sogar Jahre nach Einlegung der Berufung des Gegners noch Regelungen der gerichtlichen Überprüfung des LSG zuführen zu können, zu denen die Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts zunächst hingenommen worden ist, besteht nicht.

26

d. Zudem kann die prozessuale Sicht des Berufungsgerichts die Entscheidungsreife der Berufung in Frage stellen, jedenfalls soweit keine Frist für die Anschlussberufung normiert ist. Während nach § 127 Abs 2 Satz 2 VwGO die Anschließung nur bis zum Ablauf eines Monats nach Zustellung der Berufungsbegründungsschrift zugelassen wird, besteht keine ebensolche Bestimmung im SGG. Die VwGO-Vorschrift soll nach vorherrschender Auffassung auf das sozialgerichtliche Verfahren nicht übertragen werden können, weil dafür eine rechtliche Grundlage fehlt. Vergleichbares wird hinsichtlich der ähnlichen Frist des § 524 Abs 2 Satz 2 ZPO angenommen, die immerhin über § 202 SGG grundsätzlich im sozialgerichtlichen Verfahren angewandt werden könnte(vgl Leitherer, aaO, § 143 RdNr 5 f). Nach dieser Vorschrift ist die Anschlussberufung zulässig bis zum Ablauf der dem Berufungsbeklagten gesetzten Frist zur Berufungserwiderung. Eine dem § 521 Abs 1 ZPO entsprechende Vorschrift über die Zustellung der Berufungsschrift und der Berufungsbegründungsschrift an den Gegner kennt das SGG nicht. Die entsprechende Anwendung des § 524 Abs 2 Satz 2 ZPO über § 202 SGG setzt aber die Zustellung mindestens der Berufungsbegründung an den Gegner voraus, damit Klarheit über den Beginn der Frist für die Einlegung der Anschlussberufung besteht. Die Anwendung von Ausschlussfristen im sozialgerichtlichen Verfahren ohne explizite normative Grundlage ist unter dem Gesichtspunkt der Garantie des effektiven Rechtsschutzes (Art 19 Abs 4 Satz 1, Art 103 Abs 1 GG) problematisch, sodass ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung, die auch in der Anordnung einer entsprechenden Geltung des § 127 Abs 2 Satz 2 VwGO im SGG bestehen könnte, die Ausschlussfrist für die Anschlussberufung wohl nicht entsprechend angewandt werden kann. Das dürfte auch deshalb anzunehmen sein, weil im Berufungsverfahren der Sozialgerichtsbarkeit im Unterschied zu demjenigen in der Verwaltungs- und in der Zivilgerichtsbarkeit kein Vertretungszwang herrscht, und die Vorschriften über die Zustellung von Berufungs- und Berufungsbegründungsschriften sowie daran anknüpfende Fristen auf einen durch professionelle Bevollmächtigte geführten Prozess zugeschnitten sind.

27

Würde - was das LSG nicht erwogen hat - auf der Grundlage einer analogen Anwendung des § 127 Abs 2 Satz 2 VwGO im sozialgerichtlichen Verfahren auf den Nachweis der Zustellung der Berufungsbegründungsschrift verzichtet und der Nachweis ihrer tatsächlichen Kenntnis für ausreichend gehalten, wäre die Anschlussberufung der zu 2. beigeladenen Krankenkasse hier ebenfalls unzulässig. Diese hat, wie sich aus ihrer Reaktion im Berufungsverfahren vom 4.4.2006 ergibt, Monate vor Einlegung der Anschlussberufung am 28.11.2006 Kenntnis von der Berufungsbegründung des Klägers gehabt. Die entsprechende Anwendung der Monatsfrist des § 127 Abs 2 Satz 2 VwGO würde dann ebenfalls zur Unzulässigkeit ihrer Berufung führen. Demgegenüber hätte die vom Berufungsgericht offenbar befürwortete unbefristete Zulassung der Anschlussberufung bis zur mündlichen Verhandlung zur Folge, dass das LSG trotz Entscheidungsreife der Hauptberufung den Rechtsstreit vertagen müsste, wenn zum Gegenstand der Anschlussberufung noch Sachaufklärungsbedarf besteht. Das könnte zu Verzögerungen der Entscheidung führen, die auch im Hinblick auf das Gebot der Gewährung von Rechtsschutz in angemessener Zeit (Art 6 Europäische Menschenrechtskonvention) möglichst zu vermeiden sind.

28

Diese Erwägungen geben dem Senat Anlass, trotz der gewichtigen Einwände des Berufungsgerichts an der bisherigen Rechtsprechung des BSG zur Anschlussberufung festzuhalten und von einer andernfalls gebotenen Anrufung des Großen Senats nach § 41 Abs 2 SGG im Hinblick auf die Rechtsprechung anderer Senate zum Gegenstand der Anschlussberufung im sozialgerichtlichen Verfahren abzusehen.

29

2. Im Übrigen erweist sich die Revision des Klägers aber als unbegründet.

30

a. Das Berufungsgericht hat angenommen, § 14 Abs 1 iVm Abs 3 der seit dem Jahre 1994 geltenden und für die Verordnungen des Klägers im Jahre 1999 noch anwendbaren Prüfvereinbarung für den Bezirk der zu 1. beigeladenen KÄV Berlin gestatte die Festsetzung von Arzneikostenregressen, soweit der Vertragsarzt Arzneimittel verordnet hat, die in der vertragsärztlichen Versorgung nicht verordnungsfähig sind. Die Kenntnis des Vertragsarztes von der fehlenden Verordnungsfähigkeit oder generell ein Verschulden des Arztes sei insoweit nicht Voraussetzung für die Festsetzung eines Regresses. Soweit der Kläger § 14 der Prüfvereinbarung anders versteht und annimmt, diese Norm erfasse nur Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung bzw die Festsetzung eines verschuldensabhängigen "sonstigen Schadens" und nicht die Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel, ist dem im Revisionsverfahren nicht weiter nachzugehen. Die Prüfvereinbarung stellt Landesrecht iS des § 162 SGG dar, das das Revisionsgericht in der Auslegung des Berufungsgerichts seiner Entscheidung zugrunde zu legen hat. Von diesem Grundsatz sind in der Rechtsprechung des BSG zwei Ausnahmen anerkannt. Danach können landesrechtliche Normen vom Revisionsgericht eigenständig ausgelegt und angewandt werden, wenn es sich um Normen handelt, die inhaltsgleich in Bezirken verschiedener LSG gelten, soweit die Übereinstimmung im Interesse der Rechtsvereinheitlichung bewusst und gewollt ist (BSG vom 8.9.2009 - B 1 KR 8/09 R - RdNr 26, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt. Es ist weder geltend gemacht noch gerichtsbekannt, dass die Berliner Prüfvereinbarung aus dem Jahr 1994 inhaltsgleich in anderen KÄV-Bezirken gilt.

31

Landesrechtliche Normen sind weiterhin einer eigenständigen Auslegung und Anwendung des BSG zugänglich, wenn das LSG entscheidungserhebliche Vorschriften unberücksichtigt gelassen hat (BSGE 98, 89 = SozR 4-2500 § 85 Nr 31, jeweils RdNr 15). Hier hat jedoch das LSG die als Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides ersichtlich einschlägige Vorschrift des § 14 der Prüfvereinbarung zutreffend herangezogen und unter Anwendung der allgemein anerkannten juristischen Auslegungskriterien ausgelegt. Der Kläger rügt auch keinen Verstoß gegen diese Auslegungsgrundsätze oder die Denkgesetze, sondern setzt der Auslegung des Berufungsgerichts seine abweichende Auslegung entgegen. Das führt nicht dazu, dass entgegen der Vorgabe des § 162 SGG das Revisionsgericht zu einer eigenständigen Auslegung berufen wäre.

32

Soweit § 14 der Prüfvereinbarung in der Auslegung des LSG eine hinreichende Grundlage für die Festsetzung von Arzneikostenregressen wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel darstellt, steht die Vorschrift mit Bundesrecht in Einklang. Der Senat hat mehrfach entschieden, dass auf der Grundlage des § 106 Abs 2 SGB V in den Prüfvereinbarungen Rechtsgrundlagen für Arzneikostenregresse festgeschrieben werden dürfen, soweit Vertragsärzte Arznei- und Heilmittel verordnet haben, die nicht Gegenstand der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung sind(zB BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 52; vgl zuletzt BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 37/08 R - RdNr 17 ff mwN, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Das stellt der Kläger selbst nicht in Abrede.

33

b. Soweit der Kläger in formeller Hinsicht weiter rügt, der angefochtene Bescheid des Beklagten sei fehlerhaft, weil er in einer Sitzung gefasst worden sei, in der ein Vertreter der Krankenkassen den Vorsitz innegehabt habe, kann dem nicht gefolgt werden. Weder die Prüfvereinbarung im Bezirk der zu 1. beigeladenen KÄV noch Bundesrecht haben vorgeschrieben, dass in den Jahren, in denen Prüfungs- und Beschwerdeausschüsse alternierend von einem Vertreter der Krankenkassen und der Vertragsärzte geleitet worden sind, Entscheidungen des Prüfungsausschusses, die unter ärztlichem Vorsitz getroffen worden sind, vom Beschwerdeausschuss nur unter Vorsitz eines Vertreters der Krankenkassen und umgekehrt überprüft werden dürfen.

34

Nach § 106 Abs 4 Satz 3 SGB V idF des Gesundheitsstrukturgesetzes vom 21.12.1992 führte in den von Vertretern der Ärzte und der Krankenkassen in gleicher Zahl besetzten Prüfungs- und Beschwerdeausschüssen jährlich wechselnd ein Vertreter der Ärzte und der Krankenkassen den Vorsitz. Die Stimme des Vorsitzenden gab bei Stimmengleichheit den Ausschlag (aaO, Satz 4). Diese als defizitär bewertete Regelung war manipulationsanfällig (vgl näher BSGE 92, 283 = SozR 4-2500 § 106 Nr 5 auch zur Neuregelung im Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung)und ist deshalb zum 1.1.2004 ohne Übergangsregelung in der Weise geändert worden, dass die Gremien nunmehr von einem neutralen Vorsitzenden geleitet werden. Für die Zeit bis zum 31.12.2003 galten aber die früheren Regelungen über den im Jahresturnus wechselnden Vorsitz fort, und diesen lag die Auffassung der Revision von einem notwendigen Wechsel im Vorsitz zwischen den beiden Verwaltungsinstanzen nicht zugrunde.

35

Der Kläger verweist selbst auf früher geltende Prüfvereinbarungen im Bezirk der KÄV Bayerns und der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Berlin, in denen bestimmt war, den Vorsitz im Beschwerdeausschuss führe ein Vertreter der Ärzte (Zahnärzte), wenn in dem zu entscheidenden Fall ein Vertreter der Krankenkassen den Vorsitz im Prüfungsausschuss inne hatte und umgekehrt. Dass eine solche Regelung im Bezirk der Beigeladenen zu 1. gegolten habe, macht der Kläger nicht geltend. Seine Auffassung, auch ohne ausdrückliche Regelung in der maßgeblichen Prüfvereinbarung ergebe sich dieser Grundsatz unmittelbar als Folge des § 106 Abs 4 Satz 3 SGB V aF über den turnusmäßigen Wechsel im Vorsitz von Prüfungs- und Beschwerdeausschuss, trifft nicht zu. Die Annahme einer solchen bundesrechtlichen Vorgabe hätte das Prüfverfahren verkompliziert und wäre ohne nähere Regelungen in den Prüfvereinbarungen kaum umsetzbar gewesen. Die Beschwerdeausschüsse hätten Beschlüsse über Entscheidungen der Prüfungsausschüsse möglicherweise zurückstellen müssen, weil im jeweiligen Jahr die "richtige" Besetzung nicht verfügbar gewesen wäre; alternativ hätte immer ein Vorsitzender der "Bank", die im jeweiligen Jahr im Beschwerdeausschuss nicht den Vorsitzenden stellt, zur Verfügung stehen müssen, um über Entscheidungen des Prüfungsausschusses zu beraten, die unter anderem Vorsitz getroffen worden sind. Ob die damit verbundenen formellen Erschwerungen des Prüfungsverfahrens bundesrechtlich unbedenklich gewesen wären, bleibt offen (zu den Grenzen des Gestaltungsspielraums der Gesamtvertragspartner bei Ausgestaltung der Prüfvereinbarung vgl BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 53 S 290 f). Eine Verpflichtung der Prüfgremien, ohne explizite Regelung in der Prüfvereinbarung so zu verfahren, hat jedenfalls nicht bestanden.

36

c. Soweit der Kläger geltend macht, die Entscheidung durch den Beklagten am 12.12.2001 sei nur deshalb unter dem Vorsitz eines Krankenkassenvertreters gefallen, weil die Kassenvertreter die ursprünglich vorgesehene Sitzung am 24.9.2001 boykottiert hätten, führt das zu keiner anderen Beurteilung. Da ein Arzt keinen Anspruch darauf hat, dass über seine Angelegenheit immer unter dem Vorsitz eines Arztes im Beschwerdeausschuss entschieden wird, wenn der Prüfungsausschuss unter dem Vorsitz eines Krankenkassenvertreters entschieden hat, stellt die Vertagung einer Sitzung auch dann grundsätzlich keinen Rechtsverstoß dar, wenn diese zur Folge haben sollte, dass der Vorsitz in der tatsächlich entscheidenden Sitzung wechselt. Im Übrigen hat das Berufungsgericht nicht iS des § 163 SGG festgestellt, dass die Vertagung der Entscheidung vom 24.9.2001 allein darauf beruht hat, dass die Krankenkassenvertreter erreichen wollten, dass über die Angelegenheit des Klägers in der Besetzung des Beschwerdeausschusses mit einem Vorsitzenden aus ihren Reihen entschieden wird. Schließlich ist im Hinblick auf die Rügen des Klägers zur Zusammensetzung des Beklagten bei der Beschlussfassung darauf hinzuweisen, dass die Krankenkassen nach der Rechtsprechung des Senats gegen Entscheidungen der Prüfgremien, mit denen ua Anträge auf Festsetzung von Honorarkürzungen oder Arzneikostenregressen abgelehnt werden, Rechtsmittel ergreifen können (zB BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 1 und BSG MedR 2004, 577, jeweils zu unzureichenden Kürzungen vertragszahnärztlichen Honorars; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 24 zum Sprechstundenbedarfsregress). Da vorliegend Ermessens- und Beurteilungsspielräume allenfalls am Rande in Rede stehen, spricht wenig dafür, dass die zu 2. beigeladene Krankenkasse eine - unterstellt für den Kläger positive - Entscheidung des Beklagten unter anderem Vorsitz auf sich hätte beruhen lassen.

37

d. Der Kläger durfte über "Polyglobin 5 %" in den streitbefangenen Quartalen keine vertragsärztliche Verordnung ausstellen. Er hat dieses Arzneimittel außerhalb der arzneimittelrechtlichen Zulassung verordnet.

38

Die Zulassung von Polyglobin war nach den Feststellungen des LSG auf die Behandlung der idiopathischen thrombozytopenischen Purpura (Hautblutungen) beschränkt, und an dieser Erkrankung hat die Versicherte H. nicht gelitten. Ein Arzneimittel darf grundsätzlich nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung für einen Einsatz außerhalb der arzneimittelrechtlich zugelassenen Indikation verordnet werden. Das hat der 1. Senat des BSG mit Urteil vom 19.3.2002 (BSGE 89, 184 = SozR 3-2500 § 31 Nr 8) unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung entschieden und daran bis heute festgehalten (zB BSGE 93, 236 = SozR 4-2500 § 27 Nr 1). Der 6. Senat des BSG ist dem für die Festsetzung von Arzneikostenregressen gefolgt (vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 RdNr 19; vgl auch BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 37/08 R - RdNr 26, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).

39

Der Kläger kann sich zur Rechtfertigung seiner Verordnungen von Polyglobin weder auf Vertrauensschutz noch auf einen der Annahmetatbestände stützen, unter denen Arzneimittel vertragsärztlich auch außerhalb der zugelassenen Indikation verordnet werden dürfen. Der Kläger ist der Auffassung, Vertragsärzte hätten in der Zeit zwischen dem Urteil des 1. Senats vom 5.7.1995 zur Drogensubstitution mit dem Codein-Präparat Remedacen (BSGE 76, 194 = SozR 3-2500 § 27 Nr 5) und dem Bekanntwerden des Urteils des 8. Senats vom 30.9.1999 zur SKAT-Therapie (BSGE 85, 36 = SozR 3-2500 § 27 Nr 11) generell darauf vertrauen dürfen, Arzneimittel im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung auch außerhalb der Zulassungsindikationen nach dem Arzneimittelrecht verordnen zu dürfen. Dem folgt der Senat in Übereinstimmung mit dem Berufungsgericht nicht.

40

Es ist bereits fraglich, ob ein Vertragsarzt im Hinblick auf das zu der sehr speziellen Situation der Drogensubstitution ergangene Urteil des 1. Senats vom 5.7.1995 generell darauf vertrauen durfte, Arzneimittel auch außerhalb ihrer Zulassungsindikation verordnen zu dürfen. Allenfalls kommt ein Vertrauen darauf in Betracht, dass die Bindung der vertragsärztlichen Verordnung an die Zulassung des jeweiligen Fertigarzneimittels nach dem AMG in dem Sinne gelockert ist, dass in bestimmten Konstellationen eine die arzneimittelrechtliche Zulassung überschreitende Verordnung, die medizinisch sinnvoll oder sogar geboten ist, auch krankenversicherungsrechtlich zulässig sein kann. In diesem Sinne ist das Urteil des 8. Senats vom 30.9.1999 richtigerweise zu verstehen. Weitergehende Schlussfolgerungen aus diesem Urteil im Sinne eines uneingeschränkt erlaubten indikationsfremden Einsatzes von Fertigarzneimitteln liegen eher fern, zumal ein beliebiger, allein nach Gutdünken jedes einzelnen Arztes erfolgender, Einsatz eines Medikaments außerhalb der Zulassung nicht ernsthaft für sachgerecht gehalten werden kann .

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e. Im Übrigen sind schon kurz nach Veröffentlichung des Urteils des 1. Senats vom 5.7.1995 zur Drogensubstitution in der Rechtsprechung des BSG Zweifel an der allgemeinen Aussagekraft dieses Urteils über den entschiedenen Fall hinaus artikuliert worden. Schon drei Monate nach dem Urteil des 1. Senats hat der allein für das Vertragsarztrecht zuständige erkennende Senat Bedenken gegen die Zulässigkeit des Einsatzes von Remedacen zur Drogensubstitution geäußert und auf die Problematik der Beachtung der Richtlinien des (früheren) Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen im Zusammenhang mit sog Außenseitermethoden hingewiesen (Urteil vom 18.10.1995, SozR 3-5550 § 17 Nr 2 S 5). In der Sache sind sodann die Grundsätze des Urteils vom 5.7.1995 durch die neuere Rechtsprechung des 6. und des 1. Senats zur Rechtsqualität der Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen, zur Methodenanerkennung nach § 135 Abs 1 SGB V und zum Zusammenhang zwischen dieser Anerkennung und den Prinzipien der Arzneimitteltherapie deutlich modifiziert worden(Urteil des 6. Senats vom 20.3.1996, BSGE 78, 70 = SozR 3-2500 § 92 Nr 6 "Methadon"; Urteile des 1. Senats vom 16.9.1997, BSGE 81, 54 = SozR 3-2500 § 135 Nr 4, BSGE 81, 73 = SozR 3-2500 § 92 Nr 7). Spätestens nach Bekanntwerden dieser Urteile war deutlich, dass die ältere Rechtsprechung des BSG zu den (untergesetzlichen) Vorgaben des Leistungs- und Leistungserbringungsrechts in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht mehr uneingeschränkt fortgeführt werden würde. Kein Vertragsarzt musste die aufgezeigten Wendungen der Rechtsprechung kennen oder nachvollziehen. Wer aber - wie der Kläger - geltend macht, Verordnungen aus dem Jahre 1999 im Vertrauen auf eine zu einer Sonderkonstellation ergangene und vereinzelt gebliebene Rechtsprechung des BSG aus dem Jahre 1995 getätigt zu haben, muss sich entgegenhalten lassen, dass sich die Rechtsprechung weiterentwickelt hat. Jedenfalls im Jahr 1999 hat es für einen Vertragsarzt erkennbar keine hinreichende Sicherheit mehr gegeben, nach eigener Einschätzung Off-Label-Use-Verordnungen ausstellen zu dürfen, ohne Gefahr zu laufen, insoweit in Regress genommen zu werden.

42

f. Zudem sind sowohl das Urteil des 1. Senats vom 5.7.1995, auf das sich der Kläger beruft, wie auch die folgenden Entscheidungen des 1. und des 8. Senats des BSG zu den Rechtsansprüchen von Versicherten gegen ihre Krankenkasse ergangen. Aus diesen Urteilen ergibt sich nicht unmittelbar, wie sich ein Vertragsarzt zu Arzneimittelverordnungen verhalten sollte, die erkennbar außerhalb der Zulassungsindikation des jeweiligen Arzneimittels erfolgten, von denen er aber annahm, sie könnten vom Patienten beansprucht werden. Dazu ist dem Urteil des erkennenden Senats vom 18.10.1995 (6 RKa 3/93) zur Drogensubstitution zu entnehmen, dass in solchen Fällen jedenfalls eine exakte Dokumentation und eine engmaschige Verlaufskontrolle der Behandlung geboten waren (SozR 3-5550 § 17 Nr 2 S 8; vgl auch BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 37/08 R - RdNr 39, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Damit ist es zB nicht vereinbar, auf laborchemische Untersuchungen zum Nachweis eines - vermeintlichen oder tatsächlich bestehenden - "Antikörpermangelsyndroms" zu verzichten, wenn die umstrittene Off-Label-Verordnung von Immunglobulinen gerade auf diese Diagnose reagiert.

43

Ein Vertragsarzt, der Medikamente außerhalb ihrer zugelassenen Indikationen verordnet, kann weder sich noch der Krankenkasse Gewissheit darüber verschaffen, dass die Verordnung den Vorgaben des Wirtschaftlichkeitsgebotes genügt, also notwendig, zweckmäßig und wirtschaftlich ist. Bei Off-Label-Verordnungen hat nämlich gerade keine Prüfung von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des jeweiligen Arzneimittels stattgefunden, die seinen Einsatz (auch) im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung rechtfertigt. Eine solche Prüfung ist im AMG nur indikationsbezogen vorgeschrieben und durchführbar; die von der Zulassung nach dem AMG ausgehende Schutzwirkung und Qualitäts- wie Wirksamkeitserwartung greift bei einem Einsatz des Medikaments außerhalb der Zulassung gerade nicht ein (vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 RdNr 19; s auch BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 37/08 - RdNr 27 ff, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Soweit danach ein Vertragsarzt Verordnungen ohne gesicherten Nachweis von Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels ausstellt, muss zwingend nachträglich geprüft werden dürfen, ob die jeweilige Verordnung den Regeln des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung entspricht. Wenn der Vertragsarzt davon absieht, in Fällen eines Off-Label-Use die Krankenkasse vor Ausstellung der Verordnung einzuschalten, wie es der Senat in einem Beschluss vom 31.5.2006 dargestellt hat (B 6 KA 53/05 B, MedR 2007, 557, 560), muss er hinnehmen, dass die Einhaltung der Vorgaben der vertragsärztlichen Versorgung im Nachhinein geprüft wird.

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Der Beklagte hält dem Kläger - anders als dieser nahe legen will - keine schuldhafte Verletzung vertragsärztlicher Pflichten vor, die nunmehr sanktioniert wird. Der Beklagte hat lediglich die Position der zu 2. beigeladenen Krankenkasse bestätigt, dass sie objektiv zu Unrecht erhebliche Kosten für die Versorgung ihrer Versicherten H. mit einem Immunglobulin aufgewandt hat. Weil der Kläger der Beigeladenen zu 2. keine Gelegenheit gegeben hat, ihre Auffassung zur Rechtmäßigkeit des Einsatzes von Immunglobulinen bei der Versicherten H. vor Einlösung der Verordnungen darzulegen, muss es der Krankenkasse möglich sein, ihren Standpunkt nachträglich durchzusetzen, soweit er rechtlicher Prüfung standhält. Dazu sieht die Prüfvereinbarung im Einklang mit Bundesrecht das Verfahren der Regressfestsetzung vor. Soweit der Kläger geltend macht, nach dem im Jahr 1999 geltenden Recht habe er zu Gunsten der H. kein Privatrezept ausstellen dürfen, weil das gegen § 29 Abs 1 Satz 2 BMV-Ä verstoßen hätte, folgt der Senat dem nicht. Der Beschluss des Senats vom 31.5.2006 (MedR 2007, 557), der diesen Weg aufgezeigt hat, ist zu Off-Label-Use-Verordnungen aus dem Jahr 1997 ergangen. Auch 1997 und 1999 galt das Verbot, sich als Vertragsarzt vertragsärztliche Verordnungen einzeln genehmigen zu lassen; dieses Verbot hat sich - wie der Senat dargelegt hat - immer nur auf Verordnungen im Rahmen der Leistungspflicht der Krankenkassen bezogen. Wie die Rechtslage zu beurteilen wäre, wenn der Kläger im Sommer 1999 vergeblich bei der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2. angefragt und explizit um eine Entscheidung über das aus Sicht dieser Krankenkasse richtige Vorgehen gebeten hätte, kann offen bleiben. Der Kläger macht selbst nicht geltend, diesen Weg beschritten zu haben.

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g. Der vom Beklagten aufrecht erhaltene Regress gegen den Kläger ist schließlich nicht deshalb rechtswidrig, weil der Versicherten H. bei Ausstellung der umstrittenen Verordnungen nach den Grundsätzen des Beschlusses des BVerfG vom 6.12.2005 (BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5) gegen die Rechtsvorgängerin der zu 2. beigeladenen Krankenkasse ein Anspruch auf Versorgung mit Polyglobin 5 % zugestanden hätte. Nach den Feststellungen des LSG liegen die tatsächlichen Voraussetzungen eines solchen, auf §§ 27 und 31 SGB V iVm Art 2 Abs 1 GG und dem Sozialstaatsprinzip bzw Art 2 Abs 2 Satz 1 GG und der hieraus abzuleitenden Schutzpflicht gegründeten Anspruchs nicht vor. Diese Feststellungen des LSG sind für den Senat nach § 163 SGG bindend, weil der Kläger dazu keine zulässigen Revisionsrügen angebracht hat.

46

Richtig ist allerdings der Ausgangspunkt der Revision: Wenn feststünde, dass H. nach den tatsächlichen Verhältnissen des Jahres 1999 einen Anspruch auf Versorgung mit Polyglobin als Sachleistung der Krankenkasse gehabt hätte, dürfte wegen der für diese Versorgung angefallenen Kosten kein Regress gegen den Kläger festgesetzt werden. Diese Konsequenz aus der Entscheidung des BVerfG hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 5.11.2008 zu Wobe Mugos (SozR 4-2500 § 106 Nr 21; ebenso BSG MedR 2010, 276) inzident angesprochen und hält daran fest. Der verschuldensunabhängige Schadensersatzanspruch der Krankenkasse gegen einen Vertragsarzt wegen unzulässiger Arzneimittelverordnungen beruht im Kern darauf, dass die Krankenkasse einen Ausgleich für die Bezahlung von Medikamenten erhält, die sie bei korrekten Verhalten des Arztes nicht hätte finanzieren müssen. Wenn sich nachträglich herausstellt, dass der Versicherte, zu dessen Gunsten der Vertragsarzt die umstrittenen Verordnungen ausgestellt hat, auf die Versorgung mit dem verordneten Arzneimittel einen Anspruch gegen seine Krankenkasse hatte, ist dieser durch die Bezahlung dieses Arzneimittels dem Grunde nach jedenfalls kein Schaden entstanden, den der Vertragsarzt nunmehr ersetzen müsste. Lässt sich allerdings nicht mit hinreichender Gewissheit feststellen, dass die Voraussetzungen für einen ausnahmsweise gerechtfertigten Off-Label-Use vorgelegen haben, geht das zu Lasten des Arztes. Er rückt, obwohl er sich nach der Ausrichtung des Verfahrens gegen einen Regress wendet, hinsichtlich der Verteilung von Darlegungs- und Beweislast in die Stellung ein, die der Versicherte gehabt hätte, wenn er seinen Standpunkt zur der Verordnungsfähigkeit eines Arzneimittels gegen die Krankenkasse nach § 13 Abs 3 SGB V im Wege der Geltendmachung eines Kostenerstattungsanspruchs durchsetzen müsste. Wer geltend machen will, der Versorgungsanspruch umfasse in einer bestimmten Konstellation auch die Versorgung mit zugelassenen Arzneimitteln außerhalb der Zulassungsindikationen, dringt damit nicht durch, wenn sich unter Ausschöpfung aller Möglichkeiten zur Sachaufklärung nicht feststellen lässt, dass die dafür insbesondere in der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG und inzwischen auch vom Gemeinsamen Bundesausschuss (§ 30 der Arzneimittel-Richtlinie iVm Anlage VI) formulierten Voraussetzungen vorgelegen haben. Das ist auch hier der Fall und geht zu Lasten des Klägers.

47

h. Das LSG ist in Übereinstimmung mit der Revision zutreffend davon ausgegangen, dass die Versicherte H. an einer lebensbedrohlichen Erkrankung (metastasierendes Karzinom der Eileiter) gelitten hat. Zu dessen kausaler Behandlung hätte bei Fehlen einer allgemein anerkannten, medizinischem Standard entsprechenden Behandlungsmethode nach der Rechtsprechung des BVerfG ein Arzneimittel auch außerhalb seiner Zulassungsindikation eingesetzt werden dürfen, wenn nach der vorhandenen Studienlage auf diese Weise die nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf positive Behandlungserfolge bestanden hätten (BVerfGE 115, 25, 49 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 RdNr 33). Das nimmt der Kläger selbst für die Verordnung von Polyglobin nicht an. Er geht vielmehr davon aus, dass die Versicherte H. an einem Antikörpermangel litt, der unbehandelt eine Fortführung der überlebensnotwendigen Chemotherapie ausgeschlossen hätte oder hat. Wenn die Rechtsprechung des BVerfG auf diese Konstellation Anwendung finden sollte, was der Senat entgegen der Auffassung des LSG nicht von vornherein für ausgeschlossen hält, müssen jedenfalls die Anforderungen an einen zulässigen Off-Label-Use entsprechend erfüllt sein. Es muss deshalb feststehen, dass der Patient neben der lebensbedrohlichen Erkrankung an einer weiteren Gesundheitsstörung leidet, die die Anwendung aller zur Behandlung des Hauptleidens in Betracht kommenden Behandlungsmöglichkeiten ausschließt. Weiterhin muss der Off-Label-Einsatz des anzuwendenden Arzneimittels mit gewisser Wahrscheinlichkeit die zweite Erkrankung so beeinflussen, dass eine Erfolg versprechende Behandlung des Hauptleidens wieder oder erstmals möglich wird. Schließlich darf es für die zweite Erkrankung keine anerkannten Behandlungsmöglichkeiten - zB mit entsprechend zugelassenen Arzneimitteln - geben. Diese Voraussetzungen sind hier jedenfalls nicht - wie es notwendig wäre, um der Klage zum Erfolg zu verhelfen - kumulativ erfüllt.

48

i. Erhebliche Zweifel bestehen bereits daran, ob das vom Kläger so bezeichnete "sekundäre Antikörpermangelsyndrom" eine eigenständige und hinreichende spezifische Erkrankung ist, die abgegrenzt vom Karzinomleiden behandelt werden kann und muss. Der Kläger hat dazu in den Tatsacheninstanzen nicht Präzises vorgetragen. Zudem steht nicht fest, dass die Patientin H. an einem Antikörpermangelsyndrom litt, das schulmedizinisch nicht behandelbar war. Die zur Abstützung dieser Diagnose und des Ausmaßes der Erkrankung möglichen laborchemischen Untersuchungen hat der Kläger nach den Feststellungen des LSG nicht durchgeführt oder veranlasst. Dazu mag er - wie die Revision geltend macht - berufsrechtlich nicht verpflichtet gewesen sein. Er hat damit aber im Hinblick auf den Off-Label-Use zur Unaufklärbarkeit des genauen Gesundheitszustandes der Versicherten H. in der zweiten Hälfte des Jahres 1999 beigetragen. Das geht zu seinen Lasten.

49

j. Außerdem fehlt es an ausreichenden Feststellungen bzw Belegen für das vom Kläger geltend gemachte Dilemma, die lebensbedrohliche Ersterkrankung nur durch die Behandlung der Zweiterkrankung mit Polyglobin 5 % therapieren zu können. Der Kläger setzt schon die Anforderungen an den Nachweis einer eigenständigen Zweiterkrankung zu niedrig an. Die Versicherte H. litt nach den Ausführungen des Klägers an einer "Verminderung der Immunitätslage" als Folge sowohl des Karzinomleidens als auch der aggressiven Chemotherapien. Darauf habe sie mit wiederholten schweren bakteriellen und viralen Infektionen reagiert, die er - der Kläger - als "Zeichen eines sekundären Antikörpermangels" gedeutet habe. Für keine dieser "wiederholten" Infektionen hat der Kläger im Verwaltungsverfahren oder in den Vorinstanzen jedoch konkret und eingehend belegt, dass diesen durch anerkannte Behandlungsverfahren nicht hätten effektiv entgegengewirkt werden können. Spezifische Darlegungen dazu, die dann dem LSG ggf Anlass zu weiterer Sachaufklärung hätten geben können, waren vor allem deshalb unerlässlich, weil der Kläger selbst einen Zusammenhang zwischen dem Krebsleiden und der Chemotherapie mit der geschwächten Immunitätslage der H. herstellt. Da nicht alle Patienten, deren Abwehrsystem durch Krebs und Chemotherapie geschwächt sind, mit Immunglobulin behandelt werden bzw nach dem gebotenen Behandlungsstandard behandelt werden müssen oder im Jahr 1999 so behandelt wurden oder behandelt werden mussten, hätte der Kläger fallbezogen und detailliert darlegen müssen, inwieweit sich die gesundheitliche Lage der H. von derjenigen anderer chemotherapeutisch behandelter Krebspatienten unterschied, und auf der Basis welcher exakten Befunde er die Anwendung von Polyglobin 5 % für unerlässlich hielt. Das ist nicht geschehen und spricht dafür, dass sich der Kläger von der Gabe eines Immunglobulins ganz generell eine Stärkung der Abwehrlage der H. und damit mutmaßlich eine bessere Resistenz gegen Infektionen versprach. Das reicht für einen Off-Label-Use, dessen Zulässigkeit jedenfalls in Fällen der hier vorliegenden Art von dem Gesundheitszustand des konkreten Patienten abhängt, nicht aus.

50

k. Schließlich ist die positive Wirkung, die der Kläger dem Einsatz von Immunglobulin bei fortgeschrittener Krebserkrankung zuschreibt, nach den Feststellungen des LSG auch nicht hinreichend belegt.

51

Das LSG hat im Einzelnen dargestellt, dass die bis 1999 zum Einsatz von Immunglobulinen vorhandenen Studien und publizierten Forschungsergebnisse nicht darauf hindeuten, dass die Gesundheitsstörungen der Versicherten H. durch den Einsatz von Polyglobin erfolgreich behandelt werden konnten. Das LSG ist zutreffend von den in der Rechtsprechung des 1. Senats des BSG ermittelten Grundsätzen zum Anspruch der Versicherten auf Versorgung mit (in Deutschland oder der EU) nicht zugelassenen Arzneimitteln (dazu BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4) oder mit Arzneimitteln außerhalb zugelassener Indikationen (BSGE 89, 184 = SozR 3-2500 § 31 Nr 8) ausgegangen. Es hat näher ausgeführt, dass keine wissenschaftliche Arbeit vorliege oder vom Kläger benannt sei, in der der zulassungsüberschreitende Einsatz von Immunglobulinen zur Behandlung einer auf der Intoleranz von Chemotherapeutika beruhenden Erkrankung als medizinisch geboten bewertet wird. Einen Konsens der einschlägigen Fachkreise, dass Polyglobin ein sekundäres Antikörpersyndrom positiv beeinflussen könne, hat das LSG gerade nicht feststellen können. Soweit die Revision die vorhandenen medizinischen Unterlagen lediglich anders würdigt, vermag sie damit die Feststellungen iS des § 163 SGG nicht zu entkräften.

52

Soweit der Kläger die Sachaufklärung des LSG zu den Erfolgsaussichten der Behandlung mit Immunglobulinen für unzureichend hält, berücksichtigt er nicht hinreichend, dass sich der 1. Senat des BSG bereits mehrfach mit dem Anspruch der Versicherten auf Versorgung mit Immunglobulinen befasst hat. In den Urteilen vom 19.3.2002 (BSGE 89, 184 = SozR 3-2500 § 31 Nr 8), vom 27.3.2007 (B 1 KR 17/06 R) und vom 28.2.2008 (SozR 4-2500 § 13 Nr 16), die sämtlich die Versorgung mit Immunglobulinpräparaten - jeweils bezogen auf die Indikation Multiple Sklerose - zum Gegenstand hatten, wird der Stand der medizinischen Forschung zu dieser Wirkstoffgruppe für die streitbefangenen Jahre 1997 bis 2003 eingehend aufgearbeitet. Zwar können die Forschungsergebnisse zur Möglichkeit, durch die Gabe von Immunglobulinen die Multiple Sklerose günstig zu beeinflussen, nicht ohne Weiteres auf die hier zu beurteilende Situation der unterstützenden Behandlung bei Krebserkrankungen übertragen werden, doch sind die Wirkungen und die in Frage kommenden Indikationen für Immunglobulin bezogen auf den hier relevanten Zeitraum gut erforscht und die Forschungsergebnisse - soweit krankenversicherungsrechtlich von Bedeutung - in der Rechtsprechung des BSG umfassend rezipiert worden. Zudem sind die Urteile des 1. Senats des BSG vom 27.3.2007 und vom 28.2.2008 Gegenstand der verfassungsgerichtlichen Prüfung gewesen. Mit Kammerbeschlüssen vom 30.6.2008 (1 BvR 1665/07 zum BSG-Urteil B 1 KR 17/06 R) und vom 8.7.2009 (1 BvR 1531/09 zum BSG-Urteil B 1 KR 15/07 R) sind die Verfassungsbeschwerden der unterlegenen Kläger jeweils nicht zur Entscheidung angenommen worden. Beide Kammerbeschlüsse sind auf der Basis der grundlegenden Entscheidung des BVerfG vom 6.12.2005 ergangen und billigen insbesondere, dass die Rechtsprechung des BSG strenge Anforderungen an den Nachweis stellt, dass mit dem zulassungsüberschreitenden Einsatz des jeweils betroffenen Arzneimittels hinreichende Erfolgsaussichten verbunden sein müssen (BVerfG vom 30.6.2008 - 1 BvR 1665/07 - NJW 2008, 3556 f RdNr 9 bis 11). Es reicht danach als Grundlage für einen Off-Label-Use von Arzneimitteln in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht aus, dass positive Folgen einer solchen Behandlung nach dem Wirkungsmechanismus von Immunglobulinen nicht schlechthin ausgeschlossen werden können, dass Patienten in Einzelfällen nach Verabreichung der umstrittenen Medikamente eine Verbesserung ihres Befindens beschreiben und dass einzelne Ärzte oder Wissenschaftler mit plausiblen Gründen einen von der verbreiteten Auffassung abweichenden Standpunkt zu den Erfolgsaussichten einer Behandlung vertreten. Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe und im Hinblick auf die schon vorliegende Rechtsprechung des 1. Senats des BSG ist die Sachverhaltsermittlung des Berufungsgerichts ausreichend.

53

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs 1 iVm § 155 Abs 1 VwGO und berücksichtigt das teilweise Obsiegen und Unterliegen der Beteiligten. Die außergerichtlichen Kosten der zu 1. beigeladenen KÄV sind nach § 162 Abs 3 VwGO nicht erstattungsfähig, weil diese keine Anträge gestellt hat(vgl BSGE 96, 257 = SozR 4-1300 § 63 Nr 3, RdNr 16).

(1) Ein schriftlicher oder elektronischer sowie ein schriftlich oder elektronisch bestätigter Verwaltungsakt ist mit einer Begründung zu versehen. In der Begründung sind die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitzuteilen, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen haben. Die Begründung von Ermessensentscheidungen muss auch die Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist.

(2) Einer Begründung bedarf es nicht,

1.
soweit die Behörde einem Antrag entspricht oder einer Erklärung folgt und der Verwaltungsakt nicht in Rechte eines anderen eingreift,
2.
soweit demjenigen, für den der Verwaltungsakt bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, die Auffassung der Behörde über die Sach- und Rechtslage bereits bekannt oder auch ohne Begründung für ihn ohne weiteres erkennbar ist,
3.
wenn die Behörde gleichartige Verwaltungsakte in größerer Zahl oder Verwaltungsakte mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlässt und die Begründung nach den Umständen des Einzelfalles nicht geboten ist,
4.
wenn sich dies aus einer Rechtsvorschrift ergibt,
5.
wenn eine Allgemeinverfügung öffentlich bekannt gegeben wird.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Nr. 1 bis 3 ist der Verwaltungsakt schriftlich oder elektronisch zu begründen, wenn der Beteiligte, dem der Verwaltungsakt bekannt gegeben ist, es innerhalb eines Jahres seit Bekanntgabe verlangt.

(1) Die Krankenkassen stellen den Versicherten die im Dritten Kapitel genannten Leistungen unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12) zur Verfügung, soweit diese Leistungen nicht der Eigenverantwortung der Versicherten zugerechnet werden. Behandlungsmethoden, Arznei- und Heilmittel der besonderen Therapierichtungen sind nicht ausgeschlossen. Qualität und Wirksamkeit der Leistungen haben dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen.

(1a) Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, können auch eine von Absatz 1 Satz 3 abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Die Krankenkasse erteilt für Leistungen nach Satz 1 vor Beginn der Behandlung eine Kostenübernahmeerklärung, wenn Versicherte oder behandelnde Leistungserbringer dies beantragen. Mit der Kostenübernahmeerklärung wird die Abrechnungsmöglichkeit der Leistung nach Satz 1 festgestellt.

(2) Die Versicherten erhalten die Leistungen als Sach- und Dienstleistungen, soweit dieses oder das Neunte Buch nichts Abweichendes vorsehen. Die Leistungen werden auf Antrag durch ein Persönliches Budget erbracht; § 29 des Neunten Buches gilt entsprechend. Über die Erbringung der Sach- und Dienstleistungen schließen die Krankenkassen nach den Vorschriften des Vierten Kapitels Verträge mit den Leistungserbringern.

(3) Bei der Auswahl der Leistungserbringer ist ihre Vielfalt zu beachten. Den religiösen Bedürfnissen der Versicherten ist Rechnung zu tragen.

(4) Krankenkassen, Leistungserbringer und Versicherte haben darauf zu achten, daß die Leistungen wirksam und wirtschaftlich erbracht und nur im notwendigen Umfang in Anspruch genommen werden.

(1) Fertigarzneimittel dürfen im Geltungsbereich dieses Gesetzes nur in den Verkehr gebracht werden, wenn sie durch die zuständige Bundesoberbehörde zugelassen sind oder wenn für sie die Europäische Gemeinschaft oder die Europäische Union eine Genehmigung für das Inverkehrbringen nach Artikel 3 Absatz 1 oder 2 der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 erteilt hat. Satz 1 gilt auch in Verbindung mit der Verordnung (EG) Nr. 1901/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Kinderarzneimittel und zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1768/92, der Richtlinie 2001/83/EG und der Verordnung (EU) Nr. 536/2014, der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 (ABl. L 378 vom 27.12.2006, S. 1; L 201 vom 27.7.2012, S. 28), die zuletzt durch die Verordnung (EU) 2019/5 (ABl. L 4 vom 7.1.2019, S. 24) geändert worden ist, in Verbindung mit der Verordnung (EU) Nr. 536/2014 oder in Verbindung mit der Verordnung (EG) Nr. 1394/2007.

(2) Einer Zulassung bedarf es nicht für Arzneimittel, die

1.
auf Grund nachweislich häufiger ärztlicher oder zahnärztlicher Verschreibung in den wesentlichen Herstellungsschritten in einer Apotheke in einer Menge bis zu hundert abgabefertigen Packungen an einem Tag im Rahmen des üblichen Apothekenbetriebs hergestellt werden und zur Abgabe im Rahmen der bestehenden Apothekenbetriebserlaubnis bestimmt sind,
1a.
Arzneimittel sind, bei deren Herstellung Stoffe menschlicher Herkunft eingesetzt werden und die entweder zur autologen oder gerichteten, für eine bestimmte Person vorgesehene Anwendung bestimmt sind oder auf Grund einer Rezeptur für einzelne Personen hergestellt werden, es sei denn, es handelt sich um Arzneimittel im Sinne von § 4 Absatz 4,
1b.
andere als die in Nummer 1a genannten Arzneimittel sind und für Apotheken, denen für einen Patienten eine Verschreibung vorliegt, aus im Geltungsbereich dieses Gesetzes zugelassenen Arzneimitteln
a)
als Zytostatikazubereitung oder für die parenterale Ernährung sowie in anderen medizinisch begründeten besonderen Bedarfsfällen, sofern es für die ausreichende Versorgung des Patienten erforderlich ist und kein zugelassenes Arzneimittel zur Verfügung steht, hergestellt werden oder
b)
als Blister aus unveränderten Arzneimitteln hergestellt werden oder
c)
in unveränderter Form abgefüllt werden,
1c.
antivirale oder antibakterielle Wirksamkeit haben und zur Behandlung einer bedrohlichen übertragbaren Krankheit, deren Ausbreitung eine sofortige und das übliche Maß erheblich überschreitende Bereitstellung von spezifischen Arzneimitteln erforderlich macht, aus Wirkstoffen hergestellt werden, die von den Gesundheitsbehörden des Bundes oder der Länder oder von diesen benannten Stellen für diese Zwecke bevorratet wurden, soweit ihre Herstellung in einer Apotheke zur Abgabe im Rahmen der bestehenden Apothekenbetriebserlaubnis oder zur Abgabe an andere Apotheken erfolgt,
1d.
Gewebezubereitungen sind, die der Pflicht zur Genehmigung nach den Vorschriften des § 21a Abs. 1 unterliegen,
1e.
Heilwässer, Bademoore oder andere Peloide sind, die nicht im Voraus hergestellt und nicht in einer zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Packung in den Verkehr gebracht werden, oder die ausschließlich zur äußeren Anwendung oder zur Inhalation vor Ort bestimmt sind,
1f.
medizinische Gase sind und die für einzelne Personen aus im Geltungsbereich dieses Gesetzes zugelassenen Arzneimitteln durch Abfüllen und Kennzeichnen in Unternehmen, die nach § 50 zum Einzelhandel mit Arzneimitteln außerhalb von Apotheken befugt sind, hergestellt werden,
1g.
als Therapieallergene für einzelne Patienten auf Grund einer Rezeptur hergestellt werden,
2.
zur klinischen Prüfung bestimmt sind oder
3.
unter den in Artikel 83 der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 genannten Voraussetzungen kostenlos für eine Anwendung bei Patienten zur Verfügung gestellt werden, die an einer zu einer schweren Behinderung führenden Erkrankung leiden oder deren Krankheit lebensbedrohend ist, und die mit einem zugelassenen Arzneimittel nicht zufrieden stellend behandelt werden können; dies gilt auch für die nicht den Kategorien des Artikels 3 Absatz 1 oder 2 der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 zugehörigen Arzneimittel; Verfahrensregelungen werden in einer Rechtsverordnung nach § 80 bestimmt.

(2a) (weggefallen)

(3) Die Zulassung ist vom pharmazeutischen Unternehmer zu beantragen. Für ein Fertigarzneimittel, das in Apotheken oder sonstigen Einzelhandelsbetrieben auf Grund einheitlicher Vorschriften hergestellt und unter einer einheitlichen Bezeichnung an Verbraucher abgegeben wird, ist die Zulassung vom Herausgeber der Herstellungsvorschrift zu beantragen. Wird ein Fertigarzneimittel für mehrere Apotheken oder sonstige Einzelhandelsbetriebe hergestellt und soll es unter deren Namen und unter einer einheitlichen Bezeichnung an Verbraucher abgegeben werden, so hat der Hersteller die Zulassung zu beantragen.

(4) Die zuständige Bundesoberbehörde entscheidet ferner, unabhängig von einem Zulassungsantrag nach Absatz 3 oder von einem Genehmigungsantrag nach § 21a Absatz 1 oder § 42 Absatz 2, auf Antrag einer zuständigen Landesbehörde über die Zulassungspflicht eines Arzneimittels, die Genehmigungspflicht einer Gewebezubereitung oder über die Genehmigungspflicht einer klinischen Prüfung. Dem Antrag hat die zuständige Landesbehörde eine begründete Stellungnahme zur Einstufung des Arzneimittels oder der klinischen Prüfung beizufügen.

(1) Die Krankenkassen stellen den Versicherten die im Dritten Kapitel genannten Leistungen unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12) zur Verfügung, soweit diese Leistungen nicht der Eigenverantwortung der Versicherten zugerechnet werden. Behandlungsmethoden, Arznei- und Heilmittel der besonderen Therapierichtungen sind nicht ausgeschlossen. Qualität und Wirksamkeit der Leistungen haben dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen.

(1a) Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, können auch eine von Absatz 1 Satz 3 abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Die Krankenkasse erteilt für Leistungen nach Satz 1 vor Beginn der Behandlung eine Kostenübernahmeerklärung, wenn Versicherte oder behandelnde Leistungserbringer dies beantragen. Mit der Kostenübernahmeerklärung wird die Abrechnungsmöglichkeit der Leistung nach Satz 1 festgestellt.

(2) Die Versicherten erhalten die Leistungen als Sach- und Dienstleistungen, soweit dieses oder das Neunte Buch nichts Abweichendes vorsehen. Die Leistungen werden auf Antrag durch ein Persönliches Budget erbracht; § 29 des Neunten Buches gilt entsprechend. Über die Erbringung der Sach- und Dienstleistungen schließen die Krankenkassen nach den Vorschriften des Vierten Kapitels Verträge mit den Leistungserbringern.

(3) Bei der Auswahl der Leistungserbringer ist ihre Vielfalt zu beachten. Den religiösen Bedürfnissen der Versicherten ist Rechnung zu tragen.

(4) Krankenkassen, Leistungserbringer und Versicherte haben darauf zu achten, daß die Leistungen wirksam und wirtschaftlich erbracht und nur im notwendigen Umfang in Anspruch genommen werden.

(1) Fertigarzneimittel dürfen im Geltungsbereich dieses Gesetzes nur in den Verkehr gebracht werden, wenn sie durch die zuständige Bundesoberbehörde zugelassen sind oder wenn für sie die Europäische Gemeinschaft oder die Europäische Union eine Genehmigung für das Inverkehrbringen nach Artikel 3 Absatz 1 oder 2 der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 erteilt hat. Satz 1 gilt auch in Verbindung mit der Verordnung (EG) Nr. 1901/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Kinderarzneimittel und zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1768/92, der Richtlinie 2001/83/EG und der Verordnung (EU) Nr. 536/2014, der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 (ABl. L 378 vom 27.12.2006, S. 1; L 201 vom 27.7.2012, S. 28), die zuletzt durch die Verordnung (EU) 2019/5 (ABl. L 4 vom 7.1.2019, S. 24) geändert worden ist, in Verbindung mit der Verordnung (EU) Nr. 536/2014 oder in Verbindung mit der Verordnung (EG) Nr. 1394/2007.

(2) Einer Zulassung bedarf es nicht für Arzneimittel, die

1.
auf Grund nachweislich häufiger ärztlicher oder zahnärztlicher Verschreibung in den wesentlichen Herstellungsschritten in einer Apotheke in einer Menge bis zu hundert abgabefertigen Packungen an einem Tag im Rahmen des üblichen Apothekenbetriebs hergestellt werden und zur Abgabe im Rahmen der bestehenden Apothekenbetriebserlaubnis bestimmt sind,
1a.
Arzneimittel sind, bei deren Herstellung Stoffe menschlicher Herkunft eingesetzt werden und die entweder zur autologen oder gerichteten, für eine bestimmte Person vorgesehene Anwendung bestimmt sind oder auf Grund einer Rezeptur für einzelne Personen hergestellt werden, es sei denn, es handelt sich um Arzneimittel im Sinne von § 4 Absatz 4,
1b.
andere als die in Nummer 1a genannten Arzneimittel sind und für Apotheken, denen für einen Patienten eine Verschreibung vorliegt, aus im Geltungsbereich dieses Gesetzes zugelassenen Arzneimitteln
a)
als Zytostatikazubereitung oder für die parenterale Ernährung sowie in anderen medizinisch begründeten besonderen Bedarfsfällen, sofern es für die ausreichende Versorgung des Patienten erforderlich ist und kein zugelassenes Arzneimittel zur Verfügung steht, hergestellt werden oder
b)
als Blister aus unveränderten Arzneimitteln hergestellt werden oder
c)
in unveränderter Form abgefüllt werden,
1c.
antivirale oder antibakterielle Wirksamkeit haben und zur Behandlung einer bedrohlichen übertragbaren Krankheit, deren Ausbreitung eine sofortige und das übliche Maß erheblich überschreitende Bereitstellung von spezifischen Arzneimitteln erforderlich macht, aus Wirkstoffen hergestellt werden, die von den Gesundheitsbehörden des Bundes oder der Länder oder von diesen benannten Stellen für diese Zwecke bevorratet wurden, soweit ihre Herstellung in einer Apotheke zur Abgabe im Rahmen der bestehenden Apothekenbetriebserlaubnis oder zur Abgabe an andere Apotheken erfolgt,
1d.
Gewebezubereitungen sind, die der Pflicht zur Genehmigung nach den Vorschriften des § 21a Abs. 1 unterliegen,
1e.
Heilwässer, Bademoore oder andere Peloide sind, die nicht im Voraus hergestellt und nicht in einer zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Packung in den Verkehr gebracht werden, oder die ausschließlich zur äußeren Anwendung oder zur Inhalation vor Ort bestimmt sind,
1f.
medizinische Gase sind und die für einzelne Personen aus im Geltungsbereich dieses Gesetzes zugelassenen Arzneimitteln durch Abfüllen und Kennzeichnen in Unternehmen, die nach § 50 zum Einzelhandel mit Arzneimitteln außerhalb von Apotheken befugt sind, hergestellt werden,
1g.
als Therapieallergene für einzelne Patienten auf Grund einer Rezeptur hergestellt werden,
2.
zur klinischen Prüfung bestimmt sind oder
3.
unter den in Artikel 83 der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 genannten Voraussetzungen kostenlos für eine Anwendung bei Patienten zur Verfügung gestellt werden, die an einer zu einer schweren Behinderung führenden Erkrankung leiden oder deren Krankheit lebensbedrohend ist, und die mit einem zugelassenen Arzneimittel nicht zufrieden stellend behandelt werden können; dies gilt auch für die nicht den Kategorien des Artikels 3 Absatz 1 oder 2 der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 zugehörigen Arzneimittel; Verfahrensregelungen werden in einer Rechtsverordnung nach § 80 bestimmt.

(2a) (weggefallen)

(3) Die Zulassung ist vom pharmazeutischen Unternehmer zu beantragen. Für ein Fertigarzneimittel, das in Apotheken oder sonstigen Einzelhandelsbetrieben auf Grund einheitlicher Vorschriften hergestellt und unter einer einheitlichen Bezeichnung an Verbraucher abgegeben wird, ist die Zulassung vom Herausgeber der Herstellungsvorschrift zu beantragen. Wird ein Fertigarzneimittel für mehrere Apotheken oder sonstige Einzelhandelsbetriebe hergestellt und soll es unter deren Namen und unter einer einheitlichen Bezeichnung an Verbraucher abgegeben werden, so hat der Hersteller die Zulassung zu beantragen.

(4) Die zuständige Bundesoberbehörde entscheidet ferner, unabhängig von einem Zulassungsantrag nach Absatz 3 oder von einem Genehmigungsantrag nach § 21a Absatz 1 oder § 42 Absatz 2, auf Antrag einer zuständigen Landesbehörde über die Zulassungspflicht eines Arzneimittels, die Genehmigungspflicht einer Gewebezubereitung oder über die Genehmigungspflicht einer klinischen Prüfung. Dem Antrag hat die zuständige Landesbehörde eine begründete Stellungnahme zur Einstufung des Arzneimittels oder der klinischen Prüfung beizufügen.

Tatbestand

1

Umstritten ist ein Arzneikostenregress wegen der Verordnung des Arzneimittels Polyglobin in den Quartalen II/1999 bis IV/1999.

2

Der in diesen Quartalen als Hausarzt an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Kläger verordnete insgesamt 17-mal "Polyglobin 5 %" für die 1932 geborene Versicherte H. Diese litt an einem metastasierenden Karzinom der Eileiter, das auch die Leber befallen hatte, und ist 2001 verstorben. Die Kosten je Verordnung beliefen sich auf 3209,02 DM. Auf Antrag der Rechtsvorgängerin der zu 2. beigeladenen Krankenkasse vom 1.12.2000 setzte der Prüfungsausschuss auf der Grundlage des § 14 der für den Bezirk der zu 1. beigeladenen Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) geltenden Prüfvereinbarung eine Schadensersatzpflicht des Klägers wegen der Verordnung von "Polyglobin" in Höhe von 51 553 DM fest. Dieser Betrag ergab sich auf der Grundlage der Bruttoverordnungskosten unter Abzug eines fünfprozentigen Apothekenrabatts und der von der Versicherten geleisteten Zuzahlungen. Der beklagte Beschwerdeausschuss wies den Widerspruch des Klägers mit der Begründung zurück, Polyglobin sei nicht im Rahmen der Zulassungsindikationen verordnet worden, und für eine Verordnung außerhalb der zugelassenen Indikationen - der Kläger hatte die Behandlung eines Antikörpermangels bei der Versicherten als Grund für die Verordnungen angeführt - habe keine rechtliche Grundlage bestanden.

3

Das SG hat den Bescheid des Beklagten aufgehoben, soweit die Verordnungen im Quartal II/1999 ausgestellt worden sind, weil die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2. die Antragsfrist versäumt habe. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen, weil für einen zulassungsüberschreitenden Einsatz von Polyglobin die rechtlichen Voraussetzungen, die inzwischen von der Rechtsprechung des BSG geklärt seien, nicht vorgelegen hätten.

4

Dieses Urteil haben der Kläger am 15.4.2005 mit der Berufung und die Beigeladene zu 2. am 28.11.2006 mit der Anschlussberufung angegriffen. Der Kläger hat geltend gemacht, die Verordnung von Polyglobin in den streitbefangenen Quartalen habe den Behandlungserfolg der Chemotherapie absichern sollen und sei damit zur erfolgreichen Behandlung des inoperablen metastasierenden Tubenkarzinoms notwendig gewesen. Nach der Entscheidung des BSG vom 5.7.1995 (Remedacen) habe er darauf vertrauen können, verschreibungspflichtige Medikamente auch außerhalb ihres Zulassungsbereichs verordnen zu dürfen. Der durch dieses höchstrichterliche Urteil ausgelöste Vertrauensschutz sei frühestens durch das Urteil des BSG vom 30.9.1999 (SKAT) eingeschränkt worden. Dieses Urteil habe er bei Ausstellung der hier betroffenen Verordnungen nicht kennen können; insoweit sei ihm zumindest Vertrauensschutz zuzubilligen. Im Übrigen seien die von ihm vorgenommenen Verordnungen auch nach den heute geltenden Maßstäben nicht zu beanstanden, weil die Voraussetzungen für einen indikationsüberschreitenden Einsatz von Polyglobin nach den im Beschluss des BVerfG vom 6.12.2005 formulierten Maßstäben erfüllt seien.

5

Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und auf die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. das Urteil des SG geändert und die Klage auch hinsichtlich der Verordnungen aus dem Quartal II/1999 abgewiesen. Die Anschlussberufung sei zulässig, obwohl diese sich nicht auf den Teil des Streitgegenstandes beziehe, der Gegenstand der Berufung des Klägers sei (Quartale III und IV/1999). Soweit das BSG die Auffassung vertrete, eine Anschlussberufung müsse sich innerhalb des Streitgegenstandes der Hauptberufung bewegen, sei dem nicht zu folgen. Dem Gegner des Berufungsführers müsse es möglich sein, durch Anschließung an die Berufung des Hauptberufungsführers eine Überprüfung des erstinstanzlichen Urteils zu erreichen, auch soweit ein Streitgegenstand betroffen sei, der von der Berufung des Klägers nicht erfasst werde.

6

Die Berufung der beigeladenen Krankenkasse sei aus denselben Gründen begründet wie diejenige des Klägers unbegründet. Der Beklagte sei berechtigt gewesen, auf der Grundlage des § 14 der für Berlin geltenden Prüfvereinbarung Arzneikostenregresse gegen den Kläger wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel festzusetzen. Das setze nach der gefestigten Rechtsprechung des BSG kein Verschulden des Vertragsarztes voraus. Auch ein Antrag der jeweils betroffenen Krankenkasse sei nicht erforderlich gewesen; soweit die Prüfvereinbarung etwas anderes vorschreibe, sei das nach der Rechtsprechung des BSG mit höherrangigem Recht nicht vereinbar und deshalb unwirksam. Aus diesem Grund habe das SG der Klage hinsichtlich des Quartals II/1999 zu Unrecht stattgegeben. Auf Vertrauensschutz könne der Kläger sich nicht berufen. Soweit der 8. Senat des BSG im Jahr 1999 ausgeführt habe, die Versicherten hätten im Anschluss an das Urteil des 1. Senats des BSG vom 15.7.1995 zumindest bis zur Veröffentlichung des Urteils aus dem Jahre 1999 darauf vertrauen dürfen, dass sie mit Arzneimitteln auch außerhalb des durch die Zulassung nach dem Arzneimittelgesetz (AMG) bestimmten Indikationsbereichs versorgt werden dürften, könne dem nicht gefolgt werden. Schließlich führe auch der Beschluss des BVerfG vom 6.12.2005 nicht zu einer anderen Beurteilung, weil die Wirksamkeit von Polyglobin zur Behandlung der nach Auffassung des Klägers bei der Patientin H. vorhandenen Antikörperstörung nicht belegt sei (Urteil vom 26.11.2008).

7

Mit seiner Revision rügt der Kläger in verfahrensrechtlicher Hinsicht die Entscheidung des Berufungsgerichts, die Anschlussrevision der Beigeladenen zu 2. als zulässig anzusehen. Diese Berufung sei nach Ablauf der auch für diese Beigeladene geltenden Berufungsfrist von einem Monat nach Zustellung des sozialgerichtlichen Urteils eingelegt worden. Als unselbstständige Anschlussberufung sei sie nicht zulässig, weil sie sich nicht auf den Gegenstand der von ihm - dem Kläger - eingelegten Hauptberufung beziehe. Nach der Rechtsprechung des BSG dürfe nach Ablauf der für die Beteiligten geltenden Berufungsfrist der Streitgegenstand des Berufungsverfahrens nicht mehr erweitert werden. Seine - des Klägers - Verordnungen in den drei streitbefangenen Quartalen bildeten jeweils unterschiedliche Streitgegenstände, was das SG im Ausgangspunkt zutreffend dadurch zum Ausdruck gebracht habe, dass es den Regressbescheid hinsichtlich des Quartals II/1999 aufgehoben und hinsichtlich der in den beiden folgenden Quartalen ausgestellten Verordnungen für rechtmäßig gehalten habe. Deshalb sei der angefochtene Regressbescheid hinsichtlich der Verordnungen aus dem Quartal II/1999 dem Berufungsgericht mit seiner - des Klägers - (Haupt)Berufung nicht angefallen und habe durch die zu 2. beigeladene Krankenkasse nach Ablauf der Berufungsfrist nicht mehr in das Berufungsverfahren einbezogen werden können.

8

Im Übrigen sei das Urteil des LSG fehlerhaft, soweit es die Regresse für rechtmäßig gehalten habe. Der vom Berufungsgericht herangezogene § 14 Abs 1 der Prüfvereinbarung sei schon generell keine tragfähige Grundlage für einen Regress wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel. Die Prüfvereinbarung regele lediglich Verstöße gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot sowie Regresse wegen schuldhafter Verursachung eines "sonstigen Schadens". Der in der Rechtsprechung des BSG zugelassene Regress wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Mittel hätte in der Prüfvereinbarung zwar geregelt werden können, sei dort tatsächlich aber nicht geregelt worden.

9

Weiterhin sei der angefochtene Bescheid fehlerhaft, weil im Prüfungsausschuss wie im Beschwerdeausschuss jeweils unter Vorsitz eines Vertreters der Krankenkassen entschieden worden sei. Die Krankenkassenvertreter hätten eine Vertagung der Entscheidung des Beklagten in einer Sitzung unter Vorsitz eines Vertreters der Ärzte herbeigeführt, um so zu erreichen, dass über die Widersprüche des Klägers gegen die Entscheidung des Prüfungsausschusses, die unter Vorsitz eines Vertreters der Krankenkassen getroffen worden sei, erneut unter Vorsitz eines Vertreters der Krankenkassen entschieden werde. Das sei unzulässig. Die Vorschriften über den wechselnden Vorsitz im Prüfungs- und Beschwerdeausschuss nach § 106 SGB V aF könnten nur so verstanden werden, dass jedenfalls über Entscheidungen des Prüfungsausschusses, bei denen ein Vertreter der Krankenkassen den Vorsitz gehabt habe, in der Besetzung des Beschwerdeausschusses mit einem Vorsitzenden aus den Reihen der Vertragsärzte entschieden werden müsse.

10

Die Verordnung von Polyglobin sei zur Behandlung der bei der Versicherten H. vorhandenen lebensbedrohlichen Karzinomerkrankung notwendig gewesen. Zwar sei der Einsatz von Polyglobin nicht unmittelbar zur Heilung der Tumorerkrankung bzw zur Linderung der damit verbundenen Beschwerden erfolgt, doch habe die Versicherte unter einer Antikörperstörung gelitten, die eine Chemotherapie unmöglich gemacht habe, die ihrerseits zur Behandlung des Tumorgrundleidens erforderlich gewesen sei. Der Einsatz von Polyglobin habe die Voraussetzungen für eine Fortsetzung der Chemotherapie schaffen sollen, und seine Rechtmäßigkeit müsse deshalb aus medizinischen Gründen nach denselben Maßstäben beurteilt werden wie die Verordnung von Arzneimitteln zur kausalen Krebstherapie. Jedenfalls habe er - der Kläger - darauf vertrauen dürfen, dass im Hinblick auf die Rechtsprechung des BSG auch der die Indikationsgrenzen überschreitende Einsatz generell zugelassener Arzneimittel (Off-Label-Use) im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung möglich gewesen sei. Das habe der 1. Senat des BSG im Juli 1995 zum Einsatz des Codeinpräparates Remedacen zur Drogensubstitution entschieden, und der 8. Senat des BSG, der mit dieser Rechtsprechung nicht einverstanden gewesen sei, habe im Jahr 1999 für die Zeit bis zur Verkündung seiner Entscheidung den Versicherten Vertrauensschutz zugebilligt. Auf diesen Vertrauensschutz könne er - der Kläger - sich hier auch berufen. Soweit der 6. Senat des BSG im Mai 2006 entschieden habe, Vertrauensschutzaspekte spielten insoweit keine Rolle, weil Vertragsärzte, die Arzneimittel außerhalb der Zulassungsindikationen einsetzen wollten, gehalten seien, ein Privatrezept auszustellen und die Versicherten bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche gegen die Krankenkasse zu unterstützen, sei das auf die hier maßgebliche Rechtslage des Jahres 1999 nicht übertragbar. Zu diesem Zeitpunkt sei nach § 29 Abs 1 Satz 2 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) die Genehmigung von Verordnungen durch eine Krankenkasse unzulässig gewesen. In Verbindung mit der Rechtsprechung des 1. Senats des BSG zu Remedacen habe sich daraus die Berechtigung von Vertragsärzten ergeben, den Off-Label-Use-Einsatz im regulären Verfahren durch Ausstellen von vertragsärztlichen Verordnungen zu praktizieren. Soweit das LSG bemängelt habe, das bei der Versicherten H. vorliegende Antikörpermangelsyndrom, das letztlich den Einsatz von Polyglobin erforderlich gemacht habe, sei nicht ausreichend belegt, könne dem nicht gefolgt werden. Entgegen der Auffassung des LSG seien laborchemische Untersuchungen zum Nachweis dieses Antikörpermangelsyndroms verzichtbar.

11

Der Kläger beantragt,

die Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 26.11.2008 und des Sozialgerichts Berlin vom 9.2.2005, soweit hier die Klage abgewiesen wurde, sowie den Bescheid des Beklagten vom 12.12.2001 aufzuheben,

hilfsweise, die Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 26.11.2008 und des Sozialgerichts Berlin vom 9.2.2005 sowie den Bescheid des Beklagten vom 12.12.2001 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, über den Widerspruch des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu entscheiden,

weiter hilfsweise, das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 26.11.2008 aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

12

Der Beklagte und die Beigeladene zu 2. beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

13

Zutreffend habe das Berufungsgericht entschieden, dass die Partner der Prüfvereinbarungen nicht einmal berechtigt gewesen wären, Arzneikostenregresse wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel vom Verschulden des Vertragsarztes abhängig zu machen. Entgegen der Auffassung des Klägers habe die maßgebliche Prüfvereinbarung aus dem Jahre 1994 nicht vorgeschrieben, dass eine unter dem Vorsitz eines Kassenvertreters getroffene Entscheidung vom Beschwerdeausschuss nur unter dem Vorsitz eines Vertreters der Ärzte überprüft werden dürfe. Eine solche Regelung wäre auch nicht praktikabel gewesen und hätte die Dauer der Prüfverfahren erheblich verlängert. Die Ausführungen des Klägers hinsichtlich seines Vertrauens auf bestimmte Entscheidungen des BSG seien irrelevant. Es sei lebensfremd, dass ein Vertragsarzt die einzelnen Entwicklungsschritte der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Kenntnis nehme und sein Verordnungsverhalten daran ausrichte. Eine Ausnahmelage im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG vom 6.12.2005 habe in den streitbefangenen Quartalen bei der Versicherten H. nicht bestanden.

14

Die zu 2. beigeladene Krankenkasse hält das Urteil des LSG ebenfalls für zutreffend. Zu Recht habe das LSG ihre Anschlussberufung als zulässig angesehen. Folge man der Auffassung des Klägers, gebe es für die Anschlussberufung im sozialgerichtlichen Verfahren überhaupt keinen Anwendungsbereich, weil die Hauptberufung regelmäßig nur insoweit erhoben werde, als der Rechtsmittelführer durch das sozialgerichtliche Urteil beschwert sei. Für eine Anschlussberufung sei dann kein Raum, weil im Rahmen der Beschwer des Klägers der Anschlussberufungsführer selbst mit dem angefochtenen Urteil einverstanden sei. Ein Grund für eine derart restriktive Handhabung entgegen der Rechtsprechung in den anderen Gerichtszweigen sei nicht erkennbar.

Entscheidungsgründe

15

Die Revision des Klägers hat teilweise Erfolg. Zu Recht rügt er, dass das Berufungsgericht über den angefochtenen Bescheid des Beklagten hinsichtlich der Verordnungen aus dem Quartal II/1999 in der Sache entschieden habe. Insoweit ist die zugunsten des Klägers ergangene Entscheidung des SG rechtskräftig geworden, weil die Beigeladene zu 2. innerhalb der Berufungsfrist keine Berufung eingelegt hat. Ihre Anschlussberufung war unzulässig (1). Keinen Erfolg hat die Revision dagegen hinsichtlich der Verordnungen in den Quartalen III und IV/1999. Insoweit hat das LSG die Berufung des Klägers gegen das sozialgerichtliche Urteil zu Recht zurückgewiesen. Der angefochtene Bescheid des Beklagten ist rechtmäßig (2).

16

1. Die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. vom 28.11.2006 war unzulässig. Das Berufungsgericht hätte auf diese Anschlussberufung hin nicht in eine Sachprüfung des angefochtenen Bescheides im Hinblick auf die Verordnungen des Klägers aus dem Quartal II/1999 eintreten dürfen. Insoweit war das der Klage stattgebende Urteil des SG nämlich bereits rechtskräftig geworden.

17

a. Die Berufung der beigeladenen Krankenkasse hätte nur als Anschlussberufung iS des § 202 SGG iVm § 524 ZPO zulässig sein können. Eine eigenständige Berufung wäre wegen Versäumung der Berufungsfrist des § 151 Abs 1 SGG unzulässig. Das Urteil des SG ist der Beigeladenen zu 2. am 16.3.2005 zugestellt worden; die Monatsfrist des § 151 Abs 1 SGG ist durch die Einlegung der Berufung am 28.11.2006 nicht gewahrt worden.

18

Die Berufungsfrist des § 151 Abs 1 SGG gilt nicht für die Anschlussberufung, die nach der Rechtsprechung des BSG auch in der Sozialgerichtsbarkeit statthaft ist(BSGE 63, 167, 169 = SozR 1500 § 54 Nr 85; Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer (Hrsg), SGG 9. Aufl 2008, § 143 RdNr 5). Die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. war hier aber unzulässig, weil sie nicht den gleichen prozessualen Anspruch wie die Hauptberufung des Klägers betroffen, sondern einen neuen Streitgegenstand in das Berufungsverfahren eingeführt hat. Das ist nach der Rechtsprechung aller mit dieser Rechtsfrage bisher befassten Senate des BSG ausgeschlossen (zB Urteil des 9. Senats vom 8.7.1969 = SozR Nr 12 zu § 521 ZPO; 6. Senat vom 19.6.1996 - 6 RKa 24/95 - = USK 96131) Diese Entscheidungen sind zu Ansprüchen ergangen, die Gegenstand des Klageverfahrens, aber nicht der Hauptberufung waren. Das Urteil des 4. Senats vom 10.2.2005 - B 4 RA 48/04 R - betrifft einen mit der Anschlussberufung geltend gemachten Anspruch, der nicht einmal Gegenstand des Klageverfahrens gewesen ist. Die Rechtsauffassung des BSG zur Begrenzung der Anschlussberufung auf den Streitgegenstand der Hauptberufung wird in den Kommentaren zum SGG - soweit ersichtlich ohne Ausnahme - geteilt (Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 143 RdNr 5d; Eckertz in: Lüdtke, Handkommentar Sozialgerichtsgesetz, 3. Aufl 2009, § 143 RdNr 37; Behn in: Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, 87. Ergänzungslieferung, Stand: Mai 2009 - Gesamtwerk, § 143 RdNr 68 f; Frehse in: Jansen, SGG, 3. Aufl 2009, § 143 RdNr 7; Waschull in: Berchtold/Richter, Prozesse in Sozialsachen, 2009, § 6 RdNr 130). Nach Bernsdorff (in: Hennig, SGG, Stand Februar 2009 - Gesamtwerk - § 143 RdNr 27) liegt keine Anschlussberufung vor, wenn sich der Antrag des Berufungsbeklagten bei teilbarem Streitgegenstand gegen einen anderen als den mit der Berufung angegriffenen Teil des erstinstanzlichen Urteils richtet (ähnlich Breitkreuz in: Breitkreuz/Fichte, SGG, 2009, § 143 RdNr 24).

19

b. Bei Anwendung dieser Rechtsauffassung ist die Anschlussberufung unzulässig, wie das LSG zutreffend angenommen hat. Die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. betrifft einen anderen Streitgegenstand als die Hauptberufung, weil diese die Verordnungen des Klägers aus den Quartalen III/1999 und IV/1999, jene aber solche aus dem Quartal II/1999 erfasst. Vertragsärztliche Honorarbescheide sowie Bescheide der Gremien der Wirtschaftlichkeitsprüfung ergehen quartalsbezogen und enthalten, wenn Entscheidungen mehrere Quartale betreffen (vgl zB BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 30/08 R - RdNr 24 mwN, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen), verschiedene Regelungen iS des § 31 Satz 1 SGB X. Selbst innerhalb eines Bescheides für ein Quartal können zahlreiche eigenständige "Regelungen" ergehen, die selbstständig anfechtbar sind. Das hat der Senat in einem Urteil vom 23.2.2005 (SozR 4-1500 § 92 Nr 2) für einen Honorarbescheid näher dargelegt; in dem schon zitierten Urteil vom 19.6.1996 (6 RKa 24/95) hat der Senat das in Bezug auf einen Bescheid zur Wirtschaftlichkeitsprüfung hinsichtlich von Kürzungen für bestimmte Leistungen bzw Leistungssparten als selbstverständlich vorausgesetzt und im Urteil vom 16.7.2008 ausdrücklich ausgesprochen (BSGE 101, 130 = SozR 4-2500 § 106 Nr 19, RdNr 25 am Ende).

20

Diese Rechtsprechung kann allerdings nicht ohne Weiteres auf Kostenregresse wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel übertragen werden. Derartige Regressbescheide können quartalsbezogen ergehen, etwa wenn ein Arzt über einen längeren Zeitraum hinweg bestimmte Medikamente für zahlreiche Patienten verordnet. Zwingend ist die Bindung eines Kostenregresses ebenso wie eines Regresses wegen eines sog "sonstigen Schadens" an den Quartalsturnus indessen nicht und bietet sich gerade in Konstellationen nicht an, in denen es um die Behandlung eines Versicherten mit einem umstrittenen Medikament über mehrere Quartale geht. Ein solcher Fall ist hier zu beurteilen, und sowohl der Regressantrag der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2. wie die Entscheidungen des Prüfungsausschusses und des Beklagten haben nicht nach den drei betroffenen Quartalen differenziert und mussten das auch nicht.

21

Ursprünglich bildete deshalb der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Aufhebung der - Verordnungen aus drei Quartalen erfassenden - Entscheidung des Beklagten vom 12.12.2001 den Streitgegenstand des gerichtlichen Verfahrens. Das SG hat diesen einheitlichen Streitgegenstand jedoch getrennt und die Regressfestsetzung je nach Zuordnung der beanstandeten Verordnungen des Klägers zu den Quartalen II/1999 einerseits sowie III und IV 1999 andererseits unterschiedlich beurteilt. Anlass dazu hat dem SG die (mittelbar) quartalsbezogene Regelung über die Antragsfrist der Krankenkasse in § 14 Abs 2 der maßgeblichen Prüfvereinbarung gegeben. Weil offenbar die Krankenkassen die Verordnungen aus jedem Quartal zusammengefasst zu einem bestimmten Termin erhalten, der wiederum für den Beginn der Antragsfrist nach § 14 Abs 2 von Bedeutung ist, konnte nach Ansicht des SG die Prüfung der Einhaltung dieser Frist nur differenziert für jedes Quartal erfolgen. Das Urteil des SG hat inzident die angefochtene Entscheidung des Beklagten in zumindest zwei Regelungen iS des § 31 Satz 1 SGB X aufgespalten, nämlich hinsichtlich der aus dem Quartal II/1999 und hinsichtlich der aus den Quartalen III/1999 sowie IV/1999 stammenden Verordnungen des Klägers. Bundesrecht ist dadurch nicht verletzt, und das SG hat durch den Tenor seines Urteils die Beteiligten über das gerichtliche Vorgehen hinreichend deutlich informiert.

22

Damit bestand bei Zustellung des SG-Urteils eine Rechtslage, wie sie derjenigen bei Honorarfestsetzungen oder Kürzungs- bzw Regressbescheiden entspricht, die von vornherein mehrere Quartale erfassen. Für jedes dieser Quartale ist (mindestens) eine Regelung angefochten, deren prozessuales Schicksal von demjenigen für die anderen Quartale abweichen kann; die Regelung für jedes Quartal bildet einen eigenständigen Streitgegenstand. Als Folge der Hauptberufung des Klägers war der angefochtene Bescheid des Beklagten Gegenstand des Berufungsverfahrens nur hinsichtlich der aus den Quartalen III/1999 und IV/1999 stammenden Verordnungen; das ist dem Antrag des Klägers im LSG-Verfahren deutlich zu entnehmen. Die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. hat mit der Entscheidung des Beklagten über die aus dem Quartal II/1999 stammenden Verordnungen einen neuen Streitgegenstand in das Berufungsverfahren eingeführt. Das ist nach der bisherigen Rechtsprechung des BSG nicht zulässig. Ein Anlass, von dieser Rechtsprechung abzuweichen, ist nicht ersichtlich.

23

c. Kein durchgreifendes Bedenken ergibt sich aus dem Hinweis der Beigeladenen zu 2., auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des BSG bleibe für die Anschlussberufung nur ein sehr begrenzter Anwendungsbereich. Wenn die Anschlussberufung nur innerhalb des prozessualen Anspruchs erhoben werden kann, der Gegenstand der Hauptberufung ist, kommt im vertragsärztlichen Bereich bei Honorarkürzungen bzw Arzneikostenregressen eine Anschlussberufung typischerweise nur dann in Betracht, wenn das SG auf die Klage die zuständige Behörde zur Neubescheidung nach bestimmten Maßgaben verurteilt und der Kläger mit seiner Berufung die endgültige Aufhebung der ihn belastenden Bescheide begehrt. Dieser Berufung können sich dann die KÄV, der Beschwerdeausschuss oder die beigeladenen Krankenkassen (bzw Krankenkassenverbände) mit dem Antrag anschließen, die Klage in vollem Umfang abzuweisen, auch nachdem die für sie laufende Berufungsfrist abgelaufen ist. Alle übrigen Regelungen der ursprünglich angefochtenen Entscheidung, über die das SG entschieden hat, ohne dass ein Beteiligter das mit der Berufung angefochten hat, die also etwa andere Leistungspositionen oder andere Quartale betreffen, werden dagegen bestandskräftig. Das ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts im vertragsärztlichen Bereich richtig und praktikabel.

24

Auf der Grundlage der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts bliebe dagegen möglicherweise während der gesamten Dauer eines Berufungsverfahrens offen, ob Regelungen in Kürzungs- oder Regressbescheiden, die nicht Gegenstand der Hauptberufung sind, bestandskräftig werden oder nicht. Soweit etwa in einer Entscheidung des Beschwerdeausschusses Honorarkürzungen oder Arzneikostenregresse für eine größere Zahl von Quartalen auf der Grundlage einer Vielzahl von Entscheidungen des Prüfungsausschusses (oder der Prüfungsstelle iS des § 106 Abs 4 Satz 1 SGB V idF des GKV-WSG vom 26.3.2007) zusammengefasst worden sind, bleibt deren Bestandskraft über Jahre hinweg offen, auch wenn nur eine Detailregelung hinsichtlich eines einzelnen Quartals Gegenstand des Berufungsverfahrens ist. Das ist sowohl für den beteiligten Vertragsarzt wie für die KÄV und die Krankenkassen als Kostenträger schwierig zu handhaben, weil ggf Rückstellungen gebildet werden müssten und Beträge nicht verbucht werden könnten.

25

Ein tatsächliches Bedürfnis, diese Rechtsfolgen in Kauf zu nehmen, um den Beteiligten bis zum Abschluss der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz die Möglichkeit der Anschlussberufung auch außerhalb des prozessualen Anspruchs, der Gegenstand der Hauptberufung ist, offen zu halten, vermag der Senat nicht zu erkennen. Ob Honorarkürzungs- oder Regressbescheide, die verschiedene Regelungen iS des § 31 Satz 1 SGB X zum Inhalt haben und häufig mehrere Quartale betreffen, einzeln angegriffen oder durch die Widerspruchsstelle zusammengefasst bzw im gerichtlichen Verfahren auf der Grundlage des § 113 Abs 1 SGG verbunden werden, ist eine Frage der Praktikabilität. Jeder Verfahrensbeteiligte hat nach Bekanntgabe des das Verwaltungsverfahren abschließenden Bescheides oder des erstinstanzlichen Urteils eine Frist von einem Monat, innerhalb der er prüfen und entscheiden kann, ob und ggf inwieweit er die Entscheidung der Behörde bzw des erstinstanzlichen Gerichts hinnehmen will oder nicht. Ein berechtigtes Interesse, Monate oder sogar Jahre nach Einlegung der Berufung des Gegners noch Regelungen der gerichtlichen Überprüfung des LSG zuführen zu können, zu denen die Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts zunächst hingenommen worden ist, besteht nicht.

26

d. Zudem kann die prozessuale Sicht des Berufungsgerichts die Entscheidungsreife der Berufung in Frage stellen, jedenfalls soweit keine Frist für die Anschlussberufung normiert ist. Während nach § 127 Abs 2 Satz 2 VwGO die Anschließung nur bis zum Ablauf eines Monats nach Zustellung der Berufungsbegründungsschrift zugelassen wird, besteht keine ebensolche Bestimmung im SGG. Die VwGO-Vorschrift soll nach vorherrschender Auffassung auf das sozialgerichtliche Verfahren nicht übertragen werden können, weil dafür eine rechtliche Grundlage fehlt. Vergleichbares wird hinsichtlich der ähnlichen Frist des § 524 Abs 2 Satz 2 ZPO angenommen, die immerhin über § 202 SGG grundsätzlich im sozialgerichtlichen Verfahren angewandt werden könnte(vgl Leitherer, aaO, § 143 RdNr 5 f). Nach dieser Vorschrift ist die Anschlussberufung zulässig bis zum Ablauf der dem Berufungsbeklagten gesetzten Frist zur Berufungserwiderung. Eine dem § 521 Abs 1 ZPO entsprechende Vorschrift über die Zustellung der Berufungsschrift und der Berufungsbegründungsschrift an den Gegner kennt das SGG nicht. Die entsprechende Anwendung des § 524 Abs 2 Satz 2 ZPO über § 202 SGG setzt aber die Zustellung mindestens der Berufungsbegründung an den Gegner voraus, damit Klarheit über den Beginn der Frist für die Einlegung der Anschlussberufung besteht. Die Anwendung von Ausschlussfristen im sozialgerichtlichen Verfahren ohne explizite normative Grundlage ist unter dem Gesichtspunkt der Garantie des effektiven Rechtsschutzes (Art 19 Abs 4 Satz 1, Art 103 Abs 1 GG) problematisch, sodass ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung, die auch in der Anordnung einer entsprechenden Geltung des § 127 Abs 2 Satz 2 VwGO im SGG bestehen könnte, die Ausschlussfrist für die Anschlussberufung wohl nicht entsprechend angewandt werden kann. Das dürfte auch deshalb anzunehmen sein, weil im Berufungsverfahren der Sozialgerichtsbarkeit im Unterschied zu demjenigen in der Verwaltungs- und in der Zivilgerichtsbarkeit kein Vertretungszwang herrscht, und die Vorschriften über die Zustellung von Berufungs- und Berufungsbegründungsschriften sowie daran anknüpfende Fristen auf einen durch professionelle Bevollmächtigte geführten Prozess zugeschnitten sind.

27

Würde - was das LSG nicht erwogen hat - auf der Grundlage einer analogen Anwendung des § 127 Abs 2 Satz 2 VwGO im sozialgerichtlichen Verfahren auf den Nachweis der Zustellung der Berufungsbegründungsschrift verzichtet und der Nachweis ihrer tatsächlichen Kenntnis für ausreichend gehalten, wäre die Anschlussberufung der zu 2. beigeladenen Krankenkasse hier ebenfalls unzulässig. Diese hat, wie sich aus ihrer Reaktion im Berufungsverfahren vom 4.4.2006 ergibt, Monate vor Einlegung der Anschlussberufung am 28.11.2006 Kenntnis von der Berufungsbegründung des Klägers gehabt. Die entsprechende Anwendung der Monatsfrist des § 127 Abs 2 Satz 2 VwGO würde dann ebenfalls zur Unzulässigkeit ihrer Berufung führen. Demgegenüber hätte die vom Berufungsgericht offenbar befürwortete unbefristete Zulassung der Anschlussberufung bis zur mündlichen Verhandlung zur Folge, dass das LSG trotz Entscheidungsreife der Hauptberufung den Rechtsstreit vertagen müsste, wenn zum Gegenstand der Anschlussberufung noch Sachaufklärungsbedarf besteht. Das könnte zu Verzögerungen der Entscheidung führen, die auch im Hinblick auf das Gebot der Gewährung von Rechtsschutz in angemessener Zeit (Art 6 Europäische Menschenrechtskonvention) möglichst zu vermeiden sind.

28

Diese Erwägungen geben dem Senat Anlass, trotz der gewichtigen Einwände des Berufungsgerichts an der bisherigen Rechtsprechung des BSG zur Anschlussberufung festzuhalten und von einer andernfalls gebotenen Anrufung des Großen Senats nach § 41 Abs 2 SGG im Hinblick auf die Rechtsprechung anderer Senate zum Gegenstand der Anschlussberufung im sozialgerichtlichen Verfahren abzusehen.

29

2. Im Übrigen erweist sich die Revision des Klägers aber als unbegründet.

30

a. Das Berufungsgericht hat angenommen, § 14 Abs 1 iVm Abs 3 der seit dem Jahre 1994 geltenden und für die Verordnungen des Klägers im Jahre 1999 noch anwendbaren Prüfvereinbarung für den Bezirk der zu 1. beigeladenen KÄV Berlin gestatte die Festsetzung von Arzneikostenregressen, soweit der Vertragsarzt Arzneimittel verordnet hat, die in der vertragsärztlichen Versorgung nicht verordnungsfähig sind. Die Kenntnis des Vertragsarztes von der fehlenden Verordnungsfähigkeit oder generell ein Verschulden des Arztes sei insoweit nicht Voraussetzung für die Festsetzung eines Regresses. Soweit der Kläger § 14 der Prüfvereinbarung anders versteht und annimmt, diese Norm erfasse nur Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung bzw die Festsetzung eines verschuldensabhängigen "sonstigen Schadens" und nicht die Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel, ist dem im Revisionsverfahren nicht weiter nachzugehen. Die Prüfvereinbarung stellt Landesrecht iS des § 162 SGG dar, das das Revisionsgericht in der Auslegung des Berufungsgerichts seiner Entscheidung zugrunde zu legen hat. Von diesem Grundsatz sind in der Rechtsprechung des BSG zwei Ausnahmen anerkannt. Danach können landesrechtliche Normen vom Revisionsgericht eigenständig ausgelegt und angewandt werden, wenn es sich um Normen handelt, die inhaltsgleich in Bezirken verschiedener LSG gelten, soweit die Übereinstimmung im Interesse der Rechtsvereinheitlichung bewusst und gewollt ist (BSG vom 8.9.2009 - B 1 KR 8/09 R - RdNr 26, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt. Es ist weder geltend gemacht noch gerichtsbekannt, dass die Berliner Prüfvereinbarung aus dem Jahr 1994 inhaltsgleich in anderen KÄV-Bezirken gilt.

31

Landesrechtliche Normen sind weiterhin einer eigenständigen Auslegung und Anwendung des BSG zugänglich, wenn das LSG entscheidungserhebliche Vorschriften unberücksichtigt gelassen hat (BSGE 98, 89 = SozR 4-2500 § 85 Nr 31, jeweils RdNr 15). Hier hat jedoch das LSG die als Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides ersichtlich einschlägige Vorschrift des § 14 der Prüfvereinbarung zutreffend herangezogen und unter Anwendung der allgemein anerkannten juristischen Auslegungskriterien ausgelegt. Der Kläger rügt auch keinen Verstoß gegen diese Auslegungsgrundsätze oder die Denkgesetze, sondern setzt der Auslegung des Berufungsgerichts seine abweichende Auslegung entgegen. Das führt nicht dazu, dass entgegen der Vorgabe des § 162 SGG das Revisionsgericht zu einer eigenständigen Auslegung berufen wäre.

32

Soweit § 14 der Prüfvereinbarung in der Auslegung des LSG eine hinreichende Grundlage für die Festsetzung von Arzneikostenregressen wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel darstellt, steht die Vorschrift mit Bundesrecht in Einklang. Der Senat hat mehrfach entschieden, dass auf der Grundlage des § 106 Abs 2 SGB V in den Prüfvereinbarungen Rechtsgrundlagen für Arzneikostenregresse festgeschrieben werden dürfen, soweit Vertragsärzte Arznei- und Heilmittel verordnet haben, die nicht Gegenstand der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung sind(zB BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 52; vgl zuletzt BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 37/08 R - RdNr 17 ff mwN, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Das stellt der Kläger selbst nicht in Abrede.

33

b. Soweit der Kläger in formeller Hinsicht weiter rügt, der angefochtene Bescheid des Beklagten sei fehlerhaft, weil er in einer Sitzung gefasst worden sei, in der ein Vertreter der Krankenkassen den Vorsitz innegehabt habe, kann dem nicht gefolgt werden. Weder die Prüfvereinbarung im Bezirk der zu 1. beigeladenen KÄV noch Bundesrecht haben vorgeschrieben, dass in den Jahren, in denen Prüfungs- und Beschwerdeausschüsse alternierend von einem Vertreter der Krankenkassen und der Vertragsärzte geleitet worden sind, Entscheidungen des Prüfungsausschusses, die unter ärztlichem Vorsitz getroffen worden sind, vom Beschwerdeausschuss nur unter Vorsitz eines Vertreters der Krankenkassen und umgekehrt überprüft werden dürfen.

34

Nach § 106 Abs 4 Satz 3 SGB V idF des Gesundheitsstrukturgesetzes vom 21.12.1992 führte in den von Vertretern der Ärzte und der Krankenkassen in gleicher Zahl besetzten Prüfungs- und Beschwerdeausschüssen jährlich wechselnd ein Vertreter der Ärzte und der Krankenkassen den Vorsitz. Die Stimme des Vorsitzenden gab bei Stimmengleichheit den Ausschlag (aaO, Satz 4). Diese als defizitär bewertete Regelung war manipulationsanfällig (vgl näher BSGE 92, 283 = SozR 4-2500 § 106 Nr 5 auch zur Neuregelung im Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung)und ist deshalb zum 1.1.2004 ohne Übergangsregelung in der Weise geändert worden, dass die Gremien nunmehr von einem neutralen Vorsitzenden geleitet werden. Für die Zeit bis zum 31.12.2003 galten aber die früheren Regelungen über den im Jahresturnus wechselnden Vorsitz fort, und diesen lag die Auffassung der Revision von einem notwendigen Wechsel im Vorsitz zwischen den beiden Verwaltungsinstanzen nicht zugrunde.

35

Der Kläger verweist selbst auf früher geltende Prüfvereinbarungen im Bezirk der KÄV Bayerns und der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Berlin, in denen bestimmt war, den Vorsitz im Beschwerdeausschuss führe ein Vertreter der Ärzte (Zahnärzte), wenn in dem zu entscheidenden Fall ein Vertreter der Krankenkassen den Vorsitz im Prüfungsausschuss inne hatte und umgekehrt. Dass eine solche Regelung im Bezirk der Beigeladenen zu 1. gegolten habe, macht der Kläger nicht geltend. Seine Auffassung, auch ohne ausdrückliche Regelung in der maßgeblichen Prüfvereinbarung ergebe sich dieser Grundsatz unmittelbar als Folge des § 106 Abs 4 Satz 3 SGB V aF über den turnusmäßigen Wechsel im Vorsitz von Prüfungs- und Beschwerdeausschuss, trifft nicht zu. Die Annahme einer solchen bundesrechtlichen Vorgabe hätte das Prüfverfahren verkompliziert und wäre ohne nähere Regelungen in den Prüfvereinbarungen kaum umsetzbar gewesen. Die Beschwerdeausschüsse hätten Beschlüsse über Entscheidungen der Prüfungsausschüsse möglicherweise zurückstellen müssen, weil im jeweiligen Jahr die "richtige" Besetzung nicht verfügbar gewesen wäre; alternativ hätte immer ein Vorsitzender der "Bank", die im jeweiligen Jahr im Beschwerdeausschuss nicht den Vorsitzenden stellt, zur Verfügung stehen müssen, um über Entscheidungen des Prüfungsausschusses zu beraten, die unter anderem Vorsitz getroffen worden sind. Ob die damit verbundenen formellen Erschwerungen des Prüfungsverfahrens bundesrechtlich unbedenklich gewesen wären, bleibt offen (zu den Grenzen des Gestaltungsspielraums der Gesamtvertragspartner bei Ausgestaltung der Prüfvereinbarung vgl BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 53 S 290 f). Eine Verpflichtung der Prüfgremien, ohne explizite Regelung in der Prüfvereinbarung so zu verfahren, hat jedenfalls nicht bestanden.

36

c. Soweit der Kläger geltend macht, die Entscheidung durch den Beklagten am 12.12.2001 sei nur deshalb unter dem Vorsitz eines Krankenkassenvertreters gefallen, weil die Kassenvertreter die ursprünglich vorgesehene Sitzung am 24.9.2001 boykottiert hätten, führt das zu keiner anderen Beurteilung. Da ein Arzt keinen Anspruch darauf hat, dass über seine Angelegenheit immer unter dem Vorsitz eines Arztes im Beschwerdeausschuss entschieden wird, wenn der Prüfungsausschuss unter dem Vorsitz eines Krankenkassenvertreters entschieden hat, stellt die Vertagung einer Sitzung auch dann grundsätzlich keinen Rechtsverstoß dar, wenn diese zur Folge haben sollte, dass der Vorsitz in der tatsächlich entscheidenden Sitzung wechselt. Im Übrigen hat das Berufungsgericht nicht iS des § 163 SGG festgestellt, dass die Vertagung der Entscheidung vom 24.9.2001 allein darauf beruht hat, dass die Krankenkassenvertreter erreichen wollten, dass über die Angelegenheit des Klägers in der Besetzung des Beschwerdeausschusses mit einem Vorsitzenden aus ihren Reihen entschieden wird. Schließlich ist im Hinblick auf die Rügen des Klägers zur Zusammensetzung des Beklagten bei der Beschlussfassung darauf hinzuweisen, dass die Krankenkassen nach der Rechtsprechung des Senats gegen Entscheidungen der Prüfgremien, mit denen ua Anträge auf Festsetzung von Honorarkürzungen oder Arzneikostenregressen abgelehnt werden, Rechtsmittel ergreifen können (zB BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 1 und BSG MedR 2004, 577, jeweils zu unzureichenden Kürzungen vertragszahnärztlichen Honorars; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 24 zum Sprechstundenbedarfsregress). Da vorliegend Ermessens- und Beurteilungsspielräume allenfalls am Rande in Rede stehen, spricht wenig dafür, dass die zu 2. beigeladene Krankenkasse eine - unterstellt für den Kläger positive - Entscheidung des Beklagten unter anderem Vorsitz auf sich hätte beruhen lassen.

37

d. Der Kläger durfte über "Polyglobin 5 %" in den streitbefangenen Quartalen keine vertragsärztliche Verordnung ausstellen. Er hat dieses Arzneimittel außerhalb der arzneimittelrechtlichen Zulassung verordnet.

38

Die Zulassung von Polyglobin war nach den Feststellungen des LSG auf die Behandlung der idiopathischen thrombozytopenischen Purpura (Hautblutungen) beschränkt, und an dieser Erkrankung hat die Versicherte H. nicht gelitten. Ein Arzneimittel darf grundsätzlich nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung für einen Einsatz außerhalb der arzneimittelrechtlich zugelassenen Indikation verordnet werden. Das hat der 1. Senat des BSG mit Urteil vom 19.3.2002 (BSGE 89, 184 = SozR 3-2500 § 31 Nr 8) unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung entschieden und daran bis heute festgehalten (zB BSGE 93, 236 = SozR 4-2500 § 27 Nr 1). Der 6. Senat des BSG ist dem für die Festsetzung von Arzneikostenregressen gefolgt (vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 RdNr 19; vgl auch BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 37/08 R - RdNr 26, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).

39

Der Kläger kann sich zur Rechtfertigung seiner Verordnungen von Polyglobin weder auf Vertrauensschutz noch auf einen der Annahmetatbestände stützen, unter denen Arzneimittel vertragsärztlich auch außerhalb der zugelassenen Indikation verordnet werden dürfen. Der Kläger ist der Auffassung, Vertragsärzte hätten in der Zeit zwischen dem Urteil des 1. Senats vom 5.7.1995 zur Drogensubstitution mit dem Codein-Präparat Remedacen (BSGE 76, 194 = SozR 3-2500 § 27 Nr 5) und dem Bekanntwerden des Urteils des 8. Senats vom 30.9.1999 zur SKAT-Therapie (BSGE 85, 36 = SozR 3-2500 § 27 Nr 11) generell darauf vertrauen dürfen, Arzneimittel im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung auch außerhalb der Zulassungsindikationen nach dem Arzneimittelrecht verordnen zu dürfen. Dem folgt der Senat in Übereinstimmung mit dem Berufungsgericht nicht.

40

Es ist bereits fraglich, ob ein Vertragsarzt im Hinblick auf das zu der sehr speziellen Situation der Drogensubstitution ergangene Urteil des 1. Senats vom 5.7.1995 generell darauf vertrauen durfte, Arzneimittel auch außerhalb ihrer Zulassungsindikation verordnen zu dürfen. Allenfalls kommt ein Vertrauen darauf in Betracht, dass die Bindung der vertragsärztlichen Verordnung an die Zulassung des jeweiligen Fertigarzneimittels nach dem AMG in dem Sinne gelockert ist, dass in bestimmten Konstellationen eine die arzneimittelrechtliche Zulassung überschreitende Verordnung, die medizinisch sinnvoll oder sogar geboten ist, auch krankenversicherungsrechtlich zulässig sein kann. In diesem Sinne ist das Urteil des 8. Senats vom 30.9.1999 richtigerweise zu verstehen. Weitergehende Schlussfolgerungen aus diesem Urteil im Sinne eines uneingeschränkt erlaubten indikationsfremden Einsatzes von Fertigarzneimitteln liegen eher fern, zumal ein beliebiger, allein nach Gutdünken jedes einzelnen Arztes erfolgender, Einsatz eines Medikaments außerhalb der Zulassung nicht ernsthaft für sachgerecht gehalten werden kann .

41

e. Im Übrigen sind schon kurz nach Veröffentlichung des Urteils des 1. Senats vom 5.7.1995 zur Drogensubstitution in der Rechtsprechung des BSG Zweifel an der allgemeinen Aussagekraft dieses Urteils über den entschiedenen Fall hinaus artikuliert worden. Schon drei Monate nach dem Urteil des 1. Senats hat der allein für das Vertragsarztrecht zuständige erkennende Senat Bedenken gegen die Zulässigkeit des Einsatzes von Remedacen zur Drogensubstitution geäußert und auf die Problematik der Beachtung der Richtlinien des (früheren) Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen im Zusammenhang mit sog Außenseitermethoden hingewiesen (Urteil vom 18.10.1995, SozR 3-5550 § 17 Nr 2 S 5). In der Sache sind sodann die Grundsätze des Urteils vom 5.7.1995 durch die neuere Rechtsprechung des 6. und des 1. Senats zur Rechtsqualität der Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen, zur Methodenanerkennung nach § 135 Abs 1 SGB V und zum Zusammenhang zwischen dieser Anerkennung und den Prinzipien der Arzneimitteltherapie deutlich modifiziert worden(Urteil des 6. Senats vom 20.3.1996, BSGE 78, 70 = SozR 3-2500 § 92 Nr 6 "Methadon"; Urteile des 1. Senats vom 16.9.1997, BSGE 81, 54 = SozR 3-2500 § 135 Nr 4, BSGE 81, 73 = SozR 3-2500 § 92 Nr 7). Spätestens nach Bekanntwerden dieser Urteile war deutlich, dass die ältere Rechtsprechung des BSG zu den (untergesetzlichen) Vorgaben des Leistungs- und Leistungserbringungsrechts in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht mehr uneingeschränkt fortgeführt werden würde. Kein Vertragsarzt musste die aufgezeigten Wendungen der Rechtsprechung kennen oder nachvollziehen. Wer aber - wie der Kläger - geltend macht, Verordnungen aus dem Jahre 1999 im Vertrauen auf eine zu einer Sonderkonstellation ergangene und vereinzelt gebliebene Rechtsprechung des BSG aus dem Jahre 1995 getätigt zu haben, muss sich entgegenhalten lassen, dass sich die Rechtsprechung weiterentwickelt hat. Jedenfalls im Jahr 1999 hat es für einen Vertragsarzt erkennbar keine hinreichende Sicherheit mehr gegeben, nach eigener Einschätzung Off-Label-Use-Verordnungen ausstellen zu dürfen, ohne Gefahr zu laufen, insoweit in Regress genommen zu werden.

42

f. Zudem sind sowohl das Urteil des 1. Senats vom 5.7.1995, auf das sich der Kläger beruft, wie auch die folgenden Entscheidungen des 1. und des 8. Senats des BSG zu den Rechtsansprüchen von Versicherten gegen ihre Krankenkasse ergangen. Aus diesen Urteilen ergibt sich nicht unmittelbar, wie sich ein Vertragsarzt zu Arzneimittelverordnungen verhalten sollte, die erkennbar außerhalb der Zulassungsindikation des jeweiligen Arzneimittels erfolgten, von denen er aber annahm, sie könnten vom Patienten beansprucht werden. Dazu ist dem Urteil des erkennenden Senats vom 18.10.1995 (6 RKa 3/93) zur Drogensubstitution zu entnehmen, dass in solchen Fällen jedenfalls eine exakte Dokumentation und eine engmaschige Verlaufskontrolle der Behandlung geboten waren (SozR 3-5550 § 17 Nr 2 S 8; vgl auch BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 37/08 R - RdNr 39, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Damit ist es zB nicht vereinbar, auf laborchemische Untersuchungen zum Nachweis eines - vermeintlichen oder tatsächlich bestehenden - "Antikörpermangelsyndroms" zu verzichten, wenn die umstrittene Off-Label-Verordnung von Immunglobulinen gerade auf diese Diagnose reagiert.

43

Ein Vertragsarzt, der Medikamente außerhalb ihrer zugelassenen Indikationen verordnet, kann weder sich noch der Krankenkasse Gewissheit darüber verschaffen, dass die Verordnung den Vorgaben des Wirtschaftlichkeitsgebotes genügt, also notwendig, zweckmäßig und wirtschaftlich ist. Bei Off-Label-Verordnungen hat nämlich gerade keine Prüfung von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des jeweiligen Arzneimittels stattgefunden, die seinen Einsatz (auch) im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung rechtfertigt. Eine solche Prüfung ist im AMG nur indikationsbezogen vorgeschrieben und durchführbar; die von der Zulassung nach dem AMG ausgehende Schutzwirkung und Qualitäts- wie Wirksamkeitserwartung greift bei einem Einsatz des Medikaments außerhalb der Zulassung gerade nicht ein (vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 RdNr 19; s auch BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 37/08 - RdNr 27 ff, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Soweit danach ein Vertragsarzt Verordnungen ohne gesicherten Nachweis von Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels ausstellt, muss zwingend nachträglich geprüft werden dürfen, ob die jeweilige Verordnung den Regeln des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung entspricht. Wenn der Vertragsarzt davon absieht, in Fällen eines Off-Label-Use die Krankenkasse vor Ausstellung der Verordnung einzuschalten, wie es der Senat in einem Beschluss vom 31.5.2006 dargestellt hat (B 6 KA 53/05 B, MedR 2007, 557, 560), muss er hinnehmen, dass die Einhaltung der Vorgaben der vertragsärztlichen Versorgung im Nachhinein geprüft wird.

44

Der Beklagte hält dem Kläger - anders als dieser nahe legen will - keine schuldhafte Verletzung vertragsärztlicher Pflichten vor, die nunmehr sanktioniert wird. Der Beklagte hat lediglich die Position der zu 2. beigeladenen Krankenkasse bestätigt, dass sie objektiv zu Unrecht erhebliche Kosten für die Versorgung ihrer Versicherten H. mit einem Immunglobulin aufgewandt hat. Weil der Kläger der Beigeladenen zu 2. keine Gelegenheit gegeben hat, ihre Auffassung zur Rechtmäßigkeit des Einsatzes von Immunglobulinen bei der Versicherten H. vor Einlösung der Verordnungen darzulegen, muss es der Krankenkasse möglich sein, ihren Standpunkt nachträglich durchzusetzen, soweit er rechtlicher Prüfung standhält. Dazu sieht die Prüfvereinbarung im Einklang mit Bundesrecht das Verfahren der Regressfestsetzung vor. Soweit der Kläger geltend macht, nach dem im Jahr 1999 geltenden Recht habe er zu Gunsten der H. kein Privatrezept ausstellen dürfen, weil das gegen § 29 Abs 1 Satz 2 BMV-Ä verstoßen hätte, folgt der Senat dem nicht. Der Beschluss des Senats vom 31.5.2006 (MedR 2007, 557), der diesen Weg aufgezeigt hat, ist zu Off-Label-Use-Verordnungen aus dem Jahr 1997 ergangen. Auch 1997 und 1999 galt das Verbot, sich als Vertragsarzt vertragsärztliche Verordnungen einzeln genehmigen zu lassen; dieses Verbot hat sich - wie der Senat dargelegt hat - immer nur auf Verordnungen im Rahmen der Leistungspflicht der Krankenkassen bezogen. Wie die Rechtslage zu beurteilen wäre, wenn der Kläger im Sommer 1999 vergeblich bei der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2. angefragt und explizit um eine Entscheidung über das aus Sicht dieser Krankenkasse richtige Vorgehen gebeten hätte, kann offen bleiben. Der Kläger macht selbst nicht geltend, diesen Weg beschritten zu haben.

45

g. Der vom Beklagten aufrecht erhaltene Regress gegen den Kläger ist schließlich nicht deshalb rechtswidrig, weil der Versicherten H. bei Ausstellung der umstrittenen Verordnungen nach den Grundsätzen des Beschlusses des BVerfG vom 6.12.2005 (BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5) gegen die Rechtsvorgängerin der zu 2. beigeladenen Krankenkasse ein Anspruch auf Versorgung mit Polyglobin 5 % zugestanden hätte. Nach den Feststellungen des LSG liegen die tatsächlichen Voraussetzungen eines solchen, auf §§ 27 und 31 SGB V iVm Art 2 Abs 1 GG und dem Sozialstaatsprinzip bzw Art 2 Abs 2 Satz 1 GG und der hieraus abzuleitenden Schutzpflicht gegründeten Anspruchs nicht vor. Diese Feststellungen des LSG sind für den Senat nach § 163 SGG bindend, weil der Kläger dazu keine zulässigen Revisionsrügen angebracht hat.

46

Richtig ist allerdings der Ausgangspunkt der Revision: Wenn feststünde, dass H. nach den tatsächlichen Verhältnissen des Jahres 1999 einen Anspruch auf Versorgung mit Polyglobin als Sachleistung der Krankenkasse gehabt hätte, dürfte wegen der für diese Versorgung angefallenen Kosten kein Regress gegen den Kläger festgesetzt werden. Diese Konsequenz aus der Entscheidung des BVerfG hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 5.11.2008 zu Wobe Mugos (SozR 4-2500 § 106 Nr 21; ebenso BSG MedR 2010, 276) inzident angesprochen und hält daran fest. Der verschuldensunabhängige Schadensersatzanspruch der Krankenkasse gegen einen Vertragsarzt wegen unzulässiger Arzneimittelverordnungen beruht im Kern darauf, dass die Krankenkasse einen Ausgleich für die Bezahlung von Medikamenten erhält, die sie bei korrekten Verhalten des Arztes nicht hätte finanzieren müssen. Wenn sich nachträglich herausstellt, dass der Versicherte, zu dessen Gunsten der Vertragsarzt die umstrittenen Verordnungen ausgestellt hat, auf die Versorgung mit dem verordneten Arzneimittel einen Anspruch gegen seine Krankenkasse hatte, ist dieser durch die Bezahlung dieses Arzneimittels dem Grunde nach jedenfalls kein Schaden entstanden, den der Vertragsarzt nunmehr ersetzen müsste. Lässt sich allerdings nicht mit hinreichender Gewissheit feststellen, dass die Voraussetzungen für einen ausnahmsweise gerechtfertigten Off-Label-Use vorgelegen haben, geht das zu Lasten des Arztes. Er rückt, obwohl er sich nach der Ausrichtung des Verfahrens gegen einen Regress wendet, hinsichtlich der Verteilung von Darlegungs- und Beweislast in die Stellung ein, die der Versicherte gehabt hätte, wenn er seinen Standpunkt zur der Verordnungsfähigkeit eines Arzneimittels gegen die Krankenkasse nach § 13 Abs 3 SGB V im Wege der Geltendmachung eines Kostenerstattungsanspruchs durchsetzen müsste. Wer geltend machen will, der Versorgungsanspruch umfasse in einer bestimmten Konstellation auch die Versorgung mit zugelassenen Arzneimitteln außerhalb der Zulassungsindikationen, dringt damit nicht durch, wenn sich unter Ausschöpfung aller Möglichkeiten zur Sachaufklärung nicht feststellen lässt, dass die dafür insbesondere in der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG und inzwischen auch vom Gemeinsamen Bundesausschuss (§ 30 der Arzneimittel-Richtlinie iVm Anlage VI) formulierten Voraussetzungen vorgelegen haben. Das ist auch hier der Fall und geht zu Lasten des Klägers.

47

h. Das LSG ist in Übereinstimmung mit der Revision zutreffend davon ausgegangen, dass die Versicherte H. an einer lebensbedrohlichen Erkrankung (metastasierendes Karzinom der Eileiter) gelitten hat. Zu dessen kausaler Behandlung hätte bei Fehlen einer allgemein anerkannten, medizinischem Standard entsprechenden Behandlungsmethode nach der Rechtsprechung des BVerfG ein Arzneimittel auch außerhalb seiner Zulassungsindikation eingesetzt werden dürfen, wenn nach der vorhandenen Studienlage auf diese Weise die nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf positive Behandlungserfolge bestanden hätten (BVerfGE 115, 25, 49 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 RdNr 33). Das nimmt der Kläger selbst für die Verordnung von Polyglobin nicht an. Er geht vielmehr davon aus, dass die Versicherte H. an einem Antikörpermangel litt, der unbehandelt eine Fortführung der überlebensnotwendigen Chemotherapie ausgeschlossen hätte oder hat. Wenn die Rechtsprechung des BVerfG auf diese Konstellation Anwendung finden sollte, was der Senat entgegen der Auffassung des LSG nicht von vornherein für ausgeschlossen hält, müssen jedenfalls die Anforderungen an einen zulässigen Off-Label-Use entsprechend erfüllt sein. Es muss deshalb feststehen, dass der Patient neben der lebensbedrohlichen Erkrankung an einer weiteren Gesundheitsstörung leidet, die die Anwendung aller zur Behandlung des Hauptleidens in Betracht kommenden Behandlungsmöglichkeiten ausschließt. Weiterhin muss der Off-Label-Einsatz des anzuwendenden Arzneimittels mit gewisser Wahrscheinlichkeit die zweite Erkrankung so beeinflussen, dass eine Erfolg versprechende Behandlung des Hauptleidens wieder oder erstmals möglich wird. Schließlich darf es für die zweite Erkrankung keine anerkannten Behandlungsmöglichkeiten - zB mit entsprechend zugelassenen Arzneimitteln - geben. Diese Voraussetzungen sind hier jedenfalls nicht - wie es notwendig wäre, um der Klage zum Erfolg zu verhelfen - kumulativ erfüllt.

48

i. Erhebliche Zweifel bestehen bereits daran, ob das vom Kläger so bezeichnete "sekundäre Antikörpermangelsyndrom" eine eigenständige und hinreichende spezifische Erkrankung ist, die abgegrenzt vom Karzinomleiden behandelt werden kann und muss. Der Kläger hat dazu in den Tatsacheninstanzen nicht Präzises vorgetragen. Zudem steht nicht fest, dass die Patientin H. an einem Antikörpermangelsyndrom litt, das schulmedizinisch nicht behandelbar war. Die zur Abstützung dieser Diagnose und des Ausmaßes der Erkrankung möglichen laborchemischen Untersuchungen hat der Kläger nach den Feststellungen des LSG nicht durchgeführt oder veranlasst. Dazu mag er - wie die Revision geltend macht - berufsrechtlich nicht verpflichtet gewesen sein. Er hat damit aber im Hinblick auf den Off-Label-Use zur Unaufklärbarkeit des genauen Gesundheitszustandes der Versicherten H. in der zweiten Hälfte des Jahres 1999 beigetragen. Das geht zu seinen Lasten.

49

j. Außerdem fehlt es an ausreichenden Feststellungen bzw Belegen für das vom Kläger geltend gemachte Dilemma, die lebensbedrohliche Ersterkrankung nur durch die Behandlung der Zweiterkrankung mit Polyglobin 5 % therapieren zu können. Der Kläger setzt schon die Anforderungen an den Nachweis einer eigenständigen Zweiterkrankung zu niedrig an. Die Versicherte H. litt nach den Ausführungen des Klägers an einer "Verminderung der Immunitätslage" als Folge sowohl des Karzinomleidens als auch der aggressiven Chemotherapien. Darauf habe sie mit wiederholten schweren bakteriellen und viralen Infektionen reagiert, die er - der Kläger - als "Zeichen eines sekundären Antikörpermangels" gedeutet habe. Für keine dieser "wiederholten" Infektionen hat der Kläger im Verwaltungsverfahren oder in den Vorinstanzen jedoch konkret und eingehend belegt, dass diesen durch anerkannte Behandlungsverfahren nicht hätten effektiv entgegengewirkt werden können. Spezifische Darlegungen dazu, die dann dem LSG ggf Anlass zu weiterer Sachaufklärung hätten geben können, waren vor allem deshalb unerlässlich, weil der Kläger selbst einen Zusammenhang zwischen dem Krebsleiden und der Chemotherapie mit der geschwächten Immunitätslage der H. herstellt. Da nicht alle Patienten, deren Abwehrsystem durch Krebs und Chemotherapie geschwächt sind, mit Immunglobulin behandelt werden bzw nach dem gebotenen Behandlungsstandard behandelt werden müssen oder im Jahr 1999 so behandelt wurden oder behandelt werden mussten, hätte der Kläger fallbezogen und detailliert darlegen müssen, inwieweit sich die gesundheitliche Lage der H. von derjenigen anderer chemotherapeutisch behandelter Krebspatienten unterschied, und auf der Basis welcher exakten Befunde er die Anwendung von Polyglobin 5 % für unerlässlich hielt. Das ist nicht geschehen und spricht dafür, dass sich der Kläger von der Gabe eines Immunglobulins ganz generell eine Stärkung der Abwehrlage der H. und damit mutmaßlich eine bessere Resistenz gegen Infektionen versprach. Das reicht für einen Off-Label-Use, dessen Zulässigkeit jedenfalls in Fällen der hier vorliegenden Art von dem Gesundheitszustand des konkreten Patienten abhängt, nicht aus.

50

k. Schließlich ist die positive Wirkung, die der Kläger dem Einsatz von Immunglobulin bei fortgeschrittener Krebserkrankung zuschreibt, nach den Feststellungen des LSG auch nicht hinreichend belegt.

51

Das LSG hat im Einzelnen dargestellt, dass die bis 1999 zum Einsatz von Immunglobulinen vorhandenen Studien und publizierten Forschungsergebnisse nicht darauf hindeuten, dass die Gesundheitsstörungen der Versicherten H. durch den Einsatz von Polyglobin erfolgreich behandelt werden konnten. Das LSG ist zutreffend von den in der Rechtsprechung des 1. Senats des BSG ermittelten Grundsätzen zum Anspruch der Versicherten auf Versorgung mit (in Deutschland oder der EU) nicht zugelassenen Arzneimitteln (dazu BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4) oder mit Arzneimitteln außerhalb zugelassener Indikationen (BSGE 89, 184 = SozR 3-2500 § 31 Nr 8) ausgegangen. Es hat näher ausgeführt, dass keine wissenschaftliche Arbeit vorliege oder vom Kläger benannt sei, in der der zulassungsüberschreitende Einsatz von Immunglobulinen zur Behandlung einer auf der Intoleranz von Chemotherapeutika beruhenden Erkrankung als medizinisch geboten bewertet wird. Einen Konsens der einschlägigen Fachkreise, dass Polyglobin ein sekundäres Antikörpersyndrom positiv beeinflussen könne, hat das LSG gerade nicht feststellen können. Soweit die Revision die vorhandenen medizinischen Unterlagen lediglich anders würdigt, vermag sie damit die Feststellungen iS des § 163 SGG nicht zu entkräften.

52

Soweit der Kläger die Sachaufklärung des LSG zu den Erfolgsaussichten der Behandlung mit Immunglobulinen für unzureichend hält, berücksichtigt er nicht hinreichend, dass sich der 1. Senat des BSG bereits mehrfach mit dem Anspruch der Versicherten auf Versorgung mit Immunglobulinen befasst hat. In den Urteilen vom 19.3.2002 (BSGE 89, 184 = SozR 3-2500 § 31 Nr 8), vom 27.3.2007 (B 1 KR 17/06 R) und vom 28.2.2008 (SozR 4-2500 § 13 Nr 16), die sämtlich die Versorgung mit Immunglobulinpräparaten - jeweils bezogen auf die Indikation Multiple Sklerose - zum Gegenstand hatten, wird der Stand der medizinischen Forschung zu dieser Wirkstoffgruppe für die streitbefangenen Jahre 1997 bis 2003 eingehend aufgearbeitet. Zwar können die Forschungsergebnisse zur Möglichkeit, durch die Gabe von Immunglobulinen die Multiple Sklerose günstig zu beeinflussen, nicht ohne Weiteres auf die hier zu beurteilende Situation der unterstützenden Behandlung bei Krebserkrankungen übertragen werden, doch sind die Wirkungen und die in Frage kommenden Indikationen für Immunglobulin bezogen auf den hier relevanten Zeitraum gut erforscht und die Forschungsergebnisse - soweit krankenversicherungsrechtlich von Bedeutung - in der Rechtsprechung des BSG umfassend rezipiert worden. Zudem sind die Urteile des 1. Senats des BSG vom 27.3.2007 und vom 28.2.2008 Gegenstand der verfassungsgerichtlichen Prüfung gewesen. Mit Kammerbeschlüssen vom 30.6.2008 (1 BvR 1665/07 zum BSG-Urteil B 1 KR 17/06 R) und vom 8.7.2009 (1 BvR 1531/09 zum BSG-Urteil B 1 KR 15/07 R) sind die Verfassungsbeschwerden der unterlegenen Kläger jeweils nicht zur Entscheidung angenommen worden. Beide Kammerbeschlüsse sind auf der Basis der grundlegenden Entscheidung des BVerfG vom 6.12.2005 ergangen und billigen insbesondere, dass die Rechtsprechung des BSG strenge Anforderungen an den Nachweis stellt, dass mit dem zulassungsüberschreitenden Einsatz des jeweils betroffenen Arzneimittels hinreichende Erfolgsaussichten verbunden sein müssen (BVerfG vom 30.6.2008 - 1 BvR 1665/07 - NJW 2008, 3556 f RdNr 9 bis 11). Es reicht danach als Grundlage für einen Off-Label-Use von Arzneimitteln in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht aus, dass positive Folgen einer solchen Behandlung nach dem Wirkungsmechanismus von Immunglobulinen nicht schlechthin ausgeschlossen werden können, dass Patienten in Einzelfällen nach Verabreichung der umstrittenen Medikamente eine Verbesserung ihres Befindens beschreiben und dass einzelne Ärzte oder Wissenschaftler mit plausiblen Gründen einen von der verbreiteten Auffassung abweichenden Standpunkt zu den Erfolgsaussichten einer Behandlung vertreten. Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe und im Hinblick auf die schon vorliegende Rechtsprechung des 1. Senats des BSG ist die Sachverhaltsermittlung des Berufungsgerichts ausreichend.

53

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs 1 iVm § 155 Abs 1 VwGO und berücksichtigt das teilweise Obsiegen und Unterliegen der Beteiligten. Die außergerichtlichen Kosten der zu 1. beigeladenen KÄV sind nach § 162 Abs 3 VwGO nicht erstattungsfähig, weil diese keine Anträge gestellt hat(vgl BSGE 96, 257 = SozR 4-1300 § 63 Nr 3, RdNr 16).

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

Tatbestand

1

Umstritten ist ein Arzneikostenregress wegen der Verordnung des Arzneimittels Polyglobin in den Quartalen II/1999 bis IV/1999.

2

Der in diesen Quartalen als Hausarzt an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Kläger verordnete insgesamt 17-mal "Polyglobin 5 %" für die 1932 geborene Versicherte H. Diese litt an einem metastasierenden Karzinom der Eileiter, das auch die Leber befallen hatte, und ist 2001 verstorben. Die Kosten je Verordnung beliefen sich auf 3209,02 DM. Auf Antrag der Rechtsvorgängerin der zu 2. beigeladenen Krankenkasse vom 1.12.2000 setzte der Prüfungsausschuss auf der Grundlage des § 14 der für den Bezirk der zu 1. beigeladenen Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) geltenden Prüfvereinbarung eine Schadensersatzpflicht des Klägers wegen der Verordnung von "Polyglobin" in Höhe von 51 553 DM fest. Dieser Betrag ergab sich auf der Grundlage der Bruttoverordnungskosten unter Abzug eines fünfprozentigen Apothekenrabatts und der von der Versicherten geleisteten Zuzahlungen. Der beklagte Beschwerdeausschuss wies den Widerspruch des Klägers mit der Begründung zurück, Polyglobin sei nicht im Rahmen der Zulassungsindikationen verordnet worden, und für eine Verordnung außerhalb der zugelassenen Indikationen - der Kläger hatte die Behandlung eines Antikörpermangels bei der Versicherten als Grund für die Verordnungen angeführt - habe keine rechtliche Grundlage bestanden.

3

Das SG hat den Bescheid des Beklagten aufgehoben, soweit die Verordnungen im Quartal II/1999 ausgestellt worden sind, weil die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2. die Antragsfrist versäumt habe. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen, weil für einen zulassungsüberschreitenden Einsatz von Polyglobin die rechtlichen Voraussetzungen, die inzwischen von der Rechtsprechung des BSG geklärt seien, nicht vorgelegen hätten.

4

Dieses Urteil haben der Kläger am 15.4.2005 mit der Berufung und die Beigeladene zu 2. am 28.11.2006 mit der Anschlussberufung angegriffen. Der Kläger hat geltend gemacht, die Verordnung von Polyglobin in den streitbefangenen Quartalen habe den Behandlungserfolg der Chemotherapie absichern sollen und sei damit zur erfolgreichen Behandlung des inoperablen metastasierenden Tubenkarzinoms notwendig gewesen. Nach der Entscheidung des BSG vom 5.7.1995 (Remedacen) habe er darauf vertrauen können, verschreibungspflichtige Medikamente auch außerhalb ihres Zulassungsbereichs verordnen zu dürfen. Der durch dieses höchstrichterliche Urteil ausgelöste Vertrauensschutz sei frühestens durch das Urteil des BSG vom 30.9.1999 (SKAT) eingeschränkt worden. Dieses Urteil habe er bei Ausstellung der hier betroffenen Verordnungen nicht kennen können; insoweit sei ihm zumindest Vertrauensschutz zuzubilligen. Im Übrigen seien die von ihm vorgenommenen Verordnungen auch nach den heute geltenden Maßstäben nicht zu beanstanden, weil die Voraussetzungen für einen indikationsüberschreitenden Einsatz von Polyglobin nach den im Beschluss des BVerfG vom 6.12.2005 formulierten Maßstäben erfüllt seien.

5

Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und auf die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. das Urteil des SG geändert und die Klage auch hinsichtlich der Verordnungen aus dem Quartal II/1999 abgewiesen. Die Anschlussberufung sei zulässig, obwohl diese sich nicht auf den Teil des Streitgegenstandes beziehe, der Gegenstand der Berufung des Klägers sei (Quartale III und IV/1999). Soweit das BSG die Auffassung vertrete, eine Anschlussberufung müsse sich innerhalb des Streitgegenstandes der Hauptberufung bewegen, sei dem nicht zu folgen. Dem Gegner des Berufungsführers müsse es möglich sein, durch Anschließung an die Berufung des Hauptberufungsführers eine Überprüfung des erstinstanzlichen Urteils zu erreichen, auch soweit ein Streitgegenstand betroffen sei, der von der Berufung des Klägers nicht erfasst werde.

6

Die Berufung der beigeladenen Krankenkasse sei aus denselben Gründen begründet wie diejenige des Klägers unbegründet. Der Beklagte sei berechtigt gewesen, auf der Grundlage des § 14 der für Berlin geltenden Prüfvereinbarung Arzneikostenregresse gegen den Kläger wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel festzusetzen. Das setze nach der gefestigten Rechtsprechung des BSG kein Verschulden des Vertragsarztes voraus. Auch ein Antrag der jeweils betroffenen Krankenkasse sei nicht erforderlich gewesen; soweit die Prüfvereinbarung etwas anderes vorschreibe, sei das nach der Rechtsprechung des BSG mit höherrangigem Recht nicht vereinbar und deshalb unwirksam. Aus diesem Grund habe das SG der Klage hinsichtlich des Quartals II/1999 zu Unrecht stattgegeben. Auf Vertrauensschutz könne der Kläger sich nicht berufen. Soweit der 8. Senat des BSG im Jahr 1999 ausgeführt habe, die Versicherten hätten im Anschluss an das Urteil des 1. Senats des BSG vom 15.7.1995 zumindest bis zur Veröffentlichung des Urteils aus dem Jahre 1999 darauf vertrauen dürfen, dass sie mit Arzneimitteln auch außerhalb des durch die Zulassung nach dem Arzneimittelgesetz (AMG) bestimmten Indikationsbereichs versorgt werden dürften, könne dem nicht gefolgt werden. Schließlich führe auch der Beschluss des BVerfG vom 6.12.2005 nicht zu einer anderen Beurteilung, weil die Wirksamkeit von Polyglobin zur Behandlung der nach Auffassung des Klägers bei der Patientin H. vorhandenen Antikörperstörung nicht belegt sei (Urteil vom 26.11.2008).

7

Mit seiner Revision rügt der Kläger in verfahrensrechtlicher Hinsicht die Entscheidung des Berufungsgerichts, die Anschlussrevision der Beigeladenen zu 2. als zulässig anzusehen. Diese Berufung sei nach Ablauf der auch für diese Beigeladene geltenden Berufungsfrist von einem Monat nach Zustellung des sozialgerichtlichen Urteils eingelegt worden. Als unselbstständige Anschlussberufung sei sie nicht zulässig, weil sie sich nicht auf den Gegenstand der von ihm - dem Kläger - eingelegten Hauptberufung beziehe. Nach der Rechtsprechung des BSG dürfe nach Ablauf der für die Beteiligten geltenden Berufungsfrist der Streitgegenstand des Berufungsverfahrens nicht mehr erweitert werden. Seine - des Klägers - Verordnungen in den drei streitbefangenen Quartalen bildeten jeweils unterschiedliche Streitgegenstände, was das SG im Ausgangspunkt zutreffend dadurch zum Ausdruck gebracht habe, dass es den Regressbescheid hinsichtlich des Quartals II/1999 aufgehoben und hinsichtlich der in den beiden folgenden Quartalen ausgestellten Verordnungen für rechtmäßig gehalten habe. Deshalb sei der angefochtene Regressbescheid hinsichtlich der Verordnungen aus dem Quartal II/1999 dem Berufungsgericht mit seiner - des Klägers - (Haupt)Berufung nicht angefallen und habe durch die zu 2. beigeladene Krankenkasse nach Ablauf der Berufungsfrist nicht mehr in das Berufungsverfahren einbezogen werden können.

8

Im Übrigen sei das Urteil des LSG fehlerhaft, soweit es die Regresse für rechtmäßig gehalten habe. Der vom Berufungsgericht herangezogene § 14 Abs 1 der Prüfvereinbarung sei schon generell keine tragfähige Grundlage für einen Regress wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel. Die Prüfvereinbarung regele lediglich Verstöße gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot sowie Regresse wegen schuldhafter Verursachung eines "sonstigen Schadens". Der in der Rechtsprechung des BSG zugelassene Regress wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Mittel hätte in der Prüfvereinbarung zwar geregelt werden können, sei dort tatsächlich aber nicht geregelt worden.

9

Weiterhin sei der angefochtene Bescheid fehlerhaft, weil im Prüfungsausschuss wie im Beschwerdeausschuss jeweils unter Vorsitz eines Vertreters der Krankenkassen entschieden worden sei. Die Krankenkassenvertreter hätten eine Vertagung der Entscheidung des Beklagten in einer Sitzung unter Vorsitz eines Vertreters der Ärzte herbeigeführt, um so zu erreichen, dass über die Widersprüche des Klägers gegen die Entscheidung des Prüfungsausschusses, die unter Vorsitz eines Vertreters der Krankenkassen getroffen worden sei, erneut unter Vorsitz eines Vertreters der Krankenkassen entschieden werde. Das sei unzulässig. Die Vorschriften über den wechselnden Vorsitz im Prüfungs- und Beschwerdeausschuss nach § 106 SGB V aF könnten nur so verstanden werden, dass jedenfalls über Entscheidungen des Prüfungsausschusses, bei denen ein Vertreter der Krankenkassen den Vorsitz gehabt habe, in der Besetzung des Beschwerdeausschusses mit einem Vorsitzenden aus den Reihen der Vertragsärzte entschieden werden müsse.

10

Die Verordnung von Polyglobin sei zur Behandlung der bei der Versicherten H. vorhandenen lebensbedrohlichen Karzinomerkrankung notwendig gewesen. Zwar sei der Einsatz von Polyglobin nicht unmittelbar zur Heilung der Tumorerkrankung bzw zur Linderung der damit verbundenen Beschwerden erfolgt, doch habe die Versicherte unter einer Antikörperstörung gelitten, die eine Chemotherapie unmöglich gemacht habe, die ihrerseits zur Behandlung des Tumorgrundleidens erforderlich gewesen sei. Der Einsatz von Polyglobin habe die Voraussetzungen für eine Fortsetzung der Chemotherapie schaffen sollen, und seine Rechtmäßigkeit müsse deshalb aus medizinischen Gründen nach denselben Maßstäben beurteilt werden wie die Verordnung von Arzneimitteln zur kausalen Krebstherapie. Jedenfalls habe er - der Kläger - darauf vertrauen dürfen, dass im Hinblick auf die Rechtsprechung des BSG auch der die Indikationsgrenzen überschreitende Einsatz generell zugelassener Arzneimittel (Off-Label-Use) im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung möglich gewesen sei. Das habe der 1. Senat des BSG im Juli 1995 zum Einsatz des Codeinpräparates Remedacen zur Drogensubstitution entschieden, und der 8. Senat des BSG, der mit dieser Rechtsprechung nicht einverstanden gewesen sei, habe im Jahr 1999 für die Zeit bis zur Verkündung seiner Entscheidung den Versicherten Vertrauensschutz zugebilligt. Auf diesen Vertrauensschutz könne er - der Kläger - sich hier auch berufen. Soweit der 6. Senat des BSG im Mai 2006 entschieden habe, Vertrauensschutzaspekte spielten insoweit keine Rolle, weil Vertragsärzte, die Arzneimittel außerhalb der Zulassungsindikationen einsetzen wollten, gehalten seien, ein Privatrezept auszustellen und die Versicherten bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche gegen die Krankenkasse zu unterstützen, sei das auf die hier maßgebliche Rechtslage des Jahres 1999 nicht übertragbar. Zu diesem Zeitpunkt sei nach § 29 Abs 1 Satz 2 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) die Genehmigung von Verordnungen durch eine Krankenkasse unzulässig gewesen. In Verbindung mit der Rechtsprechung des 1. Senats des BSG zu Remedacen habe sich daraus die Berechtigung von Vertragsärzten ergeben, den Off-Label-Use-Einsatz im regulären Verfahren durch Ausstellen von vertragsärztlichen Verordnungen zu praktizieren. Soweit das LSG bemängelt habe, das bei der Versicherten H. vorliegende Antikörpermangelsyndrom, das letztlich den Einsatz von Polyglobin erforderlich gemacht habe, sei nicht ausreichend belegt, könne dem nicht gefolgt werden. Entgegen der Auffassung des LSG seien laborchemische Untersuchungen zum Nachweis dieses Antikörpermangelsyndroms verzichtbar.

11

Der Kläger beantragt,

die Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 26.11.2008 und des Sozialgerichts Berlin vom 9.2.2005, soweit hier die Klage abgewiesen wurde, sowie den Bescheid des Beklagten vom 12.12.2001 aufzuheben,

hilfsweise, die Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 26.11.2008 und des Sozialgerichts Berlin vom 9.2.2005 sowie den Bescheid des Beklagten vom 12.12.2001 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, über den Widerspruch des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu entscheiden,

weiter hilfsweise, das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 26.11.2008 aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

12

Der Beklagte und die Beigeladene zu 2. beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

13

Zutreffend habe das Berufungsgericht entschieden, dass die Partner der Prüfvereinbarungen nicht einmal berechtigt gewesen wären, Arzneikostenregresse wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel vom Verschulden des Vertragsarztes abhängig zu machen. Entgegen der Auffassung des Klägers habe die maßgebliche Prüfvereinbarung aus dem Jahre 1994 nicht vorgeschrieben, dass eine unter dem Vorsitz eines Kassenvertreters getroffene Entscheidung vom Beschwerdeausschuss nur unter dem Vorsitz eines Vertreters der Ärzte überprüft werden dürfe. Eine solche Regelung wäre auch nicht praktikabel gewesen und hätte die Dauer der Prüfverfahren erheblich verlängert. Die Ausführungen des Klägers hinsichtlich seines Vertrauens auf bestimmte Entscheidungen des BSG seien irrelevant. Es sei lebensfremd, dass ein Vertragsarzt die einzelnen Entwicklungsschritte der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Kenntnis nehme und sein Verordnungsverhalten daran ausrichte. Eine Ausnahmelage im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG vom 6.12.2005 habe in den streitbefangenen Quartalen bei der Versicherten H. nicht bestanden.

14

Die zu 2. beigeladene Krankenkasse hält das Urteil des LSG ebenfalls für zutreffend. Zu Recht habe das LSG ihre Anschlussberufung als zulässig angesehen. Folge man der Auffassung des Klägers, gebe es für die Anschlussberufung im sozialgerichtlichen Verfahren überhaupt keinen Anwendungsbereich, weil die Hauptberufung regelmäßig nur insoweit erhoben werde, als der Rechtsmittelführer durch das sozialgerichtliche Urteil beschwert sei. Für eine Anschlussberufung sei dann kein Raum, weil im Rahmen der Beschwer des Klägers der Anschlussberufungsführer selbst mit dem angefochtenen Urteil einverstanden sei. Ein Grund für eine derart restriktive Handhabung entgegen der Rechtsprechung in den anderen Gerichtszweigen sei nicht erkennbar.

Entscheidungsgründe

15

Die Revision des Klägers hat teilweise Erfolg. Zu Recht rügt er, dass das Berufungsgericht über den angefochtenen Bescheid des Beklagten hinsichtlich der Verordnungen aus dem Quartal II/1999 in der Sache entschieden habe. Insoweit ist die zugunsten des Klägers ergangene Entscheidung des SG rechtskräftig geworden, weil die Beigeladene zu 2. innerhalb der Berufungsfrist keine Berufung eingelegt hat. Ihre Anschlussberufung war unzulässig (1). Keinen Erfolg hat die Revision dagegen hinsichtlich der Verordnungen in den Quartalen III und IV/1999. Insoweit hat das LSG die Berufung des Klägers gegen das sozialgerichtliche Urteil zu Recht zurückgewiesen. Der angefochtene Bescheid des Beklagten ist rechtmäßig (2).

16

1. Die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. vom 28.11.2006 war unzulässig. Das Berufungsgericht hätte auf diese Anschlussberufung hin nicht in eine Sachprüfung des angefochtenen Bescheides im Hinblick auf die Verordnungen des Klägers aus dem Quartal II/1999 eintreten dürfen. Insoweit war das der Klage stattgebende Urteil des SG nämlich bereits rechtskräftig geworden.

17

a. Die Berufung der beigeladenen Krankenkasse hätte nur als Anschlussberufung iS des § 202 SGG iVm § 524 ZPO zulässig sein können. Eine eigenständige Berufung wäre wegen Versäumung der Berufungsfrist des § 151 Abs 1 SGG unzulässig. Das Urteil des SG ist der Beigeladenen zu 2. am 16.3.2005 zugestellt worden; die Monatsfrist des § 151 Abs 1 SGG ist durch die Einlegung der Berufung am 28.11.2006 nicht gewahrt worden.

18

Die Berufungsfrist des § 151 Abs 1 SGG gilt nicht für die Anschlussberufung, die nach der Rechtsprechung des BSG auch in der Sozialgerichtsbarkeit statthaft ist(BSGE 63, 167, 169 = SozR 1500 § 54 Nr 85; Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer (Hrsg), SGG 9. Aufl 2008, § 143 RdNr 5). Die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. war hier aber unzulässig, weil sie nicht den gleichen prozessualen Anspruch wie die Hauptberufung des Klägers betroffen, sondern einen neuen Streitgegenstand in das Berufungsverfahren eingeführt hat. Das ist nach der Rechtsprechung aller mit dieser Rechtsfrage bisher befassten Senate des BSG ausgeschlossen (zB Urteil des 9. Senats vom 8.7.1969 = SozR Nr 12 zu § 521 ZPO; 6. Senat vom 19.6.1996 - 6 RKa 24/95 - = USK 96131) Diese Entscheidungen sind zu Ansprüchen ergangen, die Gegenstand des Klageverfahrens, aber nicht der Hauptberufung waren. Das Urteil des 4. Senats vom 10.2.2005 - B 4 RA 48/04 R - betrifft einen mit der Anschlussberufung geltend gemachten Anspruch, der nicht einmal Gegenstand des Klageverfahrens gewesen ist. Die Rechtsauffassung des BSG zur Begrenzung der Anschlussberufung auf den Streitgegenstand der Hauptberufung wird in den Kommentaren zum SGG - soweit ersichtlich ohne Ausnahme - geteilt (Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 143 RdNr 5d; Eckertz in: Lüdtke, Handkommentar Sozialgerichtsgesetz, 3. Aufl 2009, § 143 RdNr 37; Behn in: Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, 87. Ergänzungslieferung, Stand: Mai 2009 - Gesamtwerk, § 143 RdNr 68 f; Frehse in: Jansen, SGG, 3. Aufl 2009, § 143 RdNr 7; Waschull in: Berchtold/Richter, Prozesse in Sozialsachen, 2009, § 6 RdNr 130). Nach Bernsdorff (in: Hennig, SGG, Stand Februar 2009 - Gesamtwerk - § 143 RdNr 27) liegt keine Anschlussberufung vor, wenn sich der Antrag des Berufungsbeklagten bei teilbarem Streitgegenstand gegen einen anderen als den mit der Berufung angegriffenen Teil des erstinstanzlichen Urteils richtet (ähnlich Breitkreuz in: Breitkreuz/Fichte, SGG, 2009, § 143 RdNr 24).

19

b. Bei Anwendung dieser Rechtsauffassung ist die Anschlussberufung unzulässig, wie das LSG zutreffend angenommen hat. Die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. betrifft einen anderen Streitgegenstand als die Hauptberufung, weil diese die Verordnungen des Klägers aus den Quartalen III/1999 und IV/1999, jene aber solche aus dem Quartal II/1999 erfasst. Vertragsärztliche Honorarbescheide sowie Bescheide der Gremien der Wirtschaftlichkeitsprüfung ergehen quartalsbezogen und enthalten, wenn Entscheidungen mehrere Quartale betreffen (vgl zB BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 30/08 R - RdNr 24 mwN, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen), verschiedene Regelungen iS des § 31 Satz 1 SGB X. Selbst innerhalb eines Bescheides für ein Quartal können zahlreiche eigenständige "Regelungen" ergehen, die selbstständig anfechtbar sind. Das hat der Senat in einem Urteil vom 23.2.2005 (SozR 4-1500 § 92 Nr 2) für einen Honorarbescheid näher dargelegt; in dem schon zitierten Urteil vom 19.6.1996 (6 RKa 24/95) hat der Senat das in Bezug auf einen Bescheid zur Wirtschaftlichkeitsprüfung hinsichtlich von Kürzungen für bestimmte Leistungen bzw Leistungssparten als selbstverständlich vorausgesetzt und im Urteil vom 16.7.2008 ausdrücklich ausgesprochen (BSGE 101, 130 = SozR 4-2500 § 106 Nr 19, RdNr 25 am Ende).

20

Diese Rechtsprechung kann allerdings nicht ohne Weiteres auf Kostenregresse wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel übertragen werden. Derartige Regressbescheide können quartalsbezogen ergehen, etwa wenn ein Arzt über einen längeren Zeitraum hinweg bestimmte Medikamente für zahlreiche Patienten verordnet. Zwingend ist die Bindung eines Kostenregresses ebenso wie eines Regresses wegen eines sog "sonstigen Schadens" an den Quartalsturnus indessen nicht und bietet sich gerade in Konstellationen nicht an, in denen es um die Behandlung eines Versicherten mit einem umstrittenen Medikament über mehrere Quartale geht. Ein solcher Fall ist hier zu beurteilen, und sowohl der Regressantrag der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2. wie die Entscheidungen des Prüfungsausschusses und des Beklagten haben nicht nach den drei betroffenen Quartalen differenziert und mussten das auch nicht.

21

Ursprünglich bildete deshalb der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Aufhebung der - Verordnungen aus drei Quartalen erfassenden - Entscheidung des Beklagten vom 12.12.2001 den Streitgegenstand des gerichtlichen Verfahrens. Das SG hat diesen einheitlichen Streitgegenstand jedoch getrennt und die Regressfestsetzung je nach Zuordnung der beanstandeten Verordnungen des Klägers zu den Quartalen II/1999 einerseits sowie III und IV 1999 andererseits unterschiedlich beurteilt. Anlass dazu hat dem SG die (mittelbar) quartalsbezogene Regelung über die Antragsfrist der Krankenkasse in § 14 Abs 2 der maßgeblichen Prüfvereinbarung gegeben. Weil offenbar die Krankenkassen die Verordnungen aus jedem Quartal zusammengefasst zu einem bestimmten Termin erhalten, der wiederum für den Beginn der Antragsfrist nach § 14 Abs 2 von Bedeutung ist, konnte nach Ansicht des SG die Prüfung der Einhaltung dieser Frist nur differenziert für jedes Quartal erfolgen. Das Urteil des SG hat inzident die angefochtene Entscheidung des Beklagten in zumindest zwei Regelungen iS des § 31 Satz 1 SGB X aufgespalten, nämlich hinsichtlich der aus dem Quartal II/1999 und hinsichtlich der aus den Quartalen III/1999 sowie IV/1999 stammenden Verordnungen des Klägers. Bundesrecht ist dadurch nicht verletzt, und das SG hat durch den Tenor seines Urteils die Beteiligten über das gerichtliche Vorgehen hinreichend deutlich informiert.

22

Damit bestand bei Zustellung des SG-Urteils eine Rechtslage, wie sie derjenigen bei Honorarfestsetzungen oder Kürzungs- bzw Regressbescheiden entspricht, die von vornherein mehrere Quartale erfassen. Für jedes dieser Quartale ist (mindestens) eine Regelung angefochten, deren prozessuales Schicksal von demjenigen für die anderen Quartale abweichen kann; die Regelung für jedes Quartal bildet einen eigenständigen Streitgegenstand. Als Folge der Hauptberufung des Klägers war der angefochtene Bescheid des Beklagten Gegenstand des Berufungsverfahrens nur hinsichtlich der aus den Quartalen III/1999 und IV/1999 stammenden Verordnungen; das ist dem Antrag des Klägers im LSG-Verfahren deutlich zu entnehmen. Die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. hat mit der Entscheidung des Beklagten über die aus dem Quartal II/1999 stammenden Verordnungen einen neuen Streitgegenstand in das Berufungsverfahren eingeführt. Das ist nach der bisherigen Rechtsprechung des BSG nicht zulässig. Ein Anlass, von dieser Rechtsprechung abzuweichen, ist nicht ersichtlich.

23

c. Kein durchgreifendes Bedenken ergibt sich aus dem Hinweis der Beigeladenen zu 2., auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des BSG bleibe für die Anschlussberufung nur ein sehr begrenzter Anwendungsbereich. Wenn die Anschlussberufung nur innerhalb des prozessualen Anspruchs erhoben werden kann, der Gegenstand der Hauptberufung ist, kommt im vertragsärztlichen Bereich bei Honorarkürzungen bzw Arzneikostenregressen eine Anschlussberufung typischerweise nur dann in Betracht, wenn das SG auf die Klage die zuständige Behörde zur Neubescheidung nach bestimmten Maßgaben verurteilt und der Kläger mit seiner Berufung die endgültige Aufhebung der ihn belastenden Bescheide begehrt. Dieser Berufung können sich dann die KÄV, der Beschwerdeausschuss oder die beigeladenen Krankenkassen (bzw Krankenkassenverbände) mit dem Antrag anschließen, die Klage in vollem Umfang abzuweisen, auch nachdem die für sie laufende Berufungsfrist abgelaufen ist. Alle übrigen Regelungen der ursprünglich angefochtenen Entscheidung, über die das SG entschieden hat, ohne dass ein Beteiligter das mit der Berufung angefochten hat, die also etwa andere Leistungspositionen oder andere Quartale betreffen, werden dagegen bestandskräftig. Das ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts im vertragsärztlichen Bereich richtig und praktikabel.

24

Auf der Grundlage der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts bliebe dagegen möglicherweise während der gesamten Dauer eines Berufungsverfahrens offen, ob Regelungen in Kürzungs- oder Regressbescheiden, die nicht Gegenstand der Hauptberufung sind, bestandskräftig werden oder nicht. Soweit etwa in einer Entscheidung des Beschwerdeausschusses Honorarkürzungen oder Arzneikostenregresse für eine größere Zahl von Quartalen auf der Grundlage einer Vielzahl von Entscheidungen des Prüfungsausschusses (oder der Prüfungsstelle iS des § 106 Abs 4 Satz 1 SGB V idF des GKV-WSG vom 26.3.2007) zusammengefasst worden sind, bleibt deren Bestandskraft über Jahre hinweg offen, auch wenn nur eine Detailregelung hinsichtlich eines einzelnen Quartals Gegenstand des Berufungsverfahrens ist. Das ist sowohl für den beteiligten Vertragsarzt wie für die KÄV und die Krankenkassen als Kostenträger schwierig zu handhaben, weil ggf Rückstellungen gebildet werden müssten und Beträge nicht verbucht werden könnten.

25

Ein tatsächliches Bedürfnis, diese Rechtsfolgen in Kauf zu nehmen, um den Beteiligten bis zum Abschluss der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz die Möglichkeit der Anschlussberufung auch außerhalb des prozessualen Anspruchs, der Gegenstand der Hauptberufung ist, offen zu halten, vermag der Senat nicht zu erkennen. Ob Honorarkürzungs- oder Regressbescheide, die verschiedene Regelungen iS des § 31 Satz 1 SGB X zum Inhalt haben und häufig mehrere Quartale betreffen, einzeln angegriffen oder durch die Widerspruchsstelle zusammengefasst bzw im gerichtlichen Verfahren auf der Grundlage des § 113 Abs 1 SGG verbunden werden, ist eine Frage der Praktikabilität. Jeder Verfahrensbeteiligte hat nach Bekanntgabe des das Verwaltungsverfahren abschließenden Bescheides oder des erstinstanzlichen Urteils eine Frist von einem Monat, innerhalb der er prüfen und entscheiden kann, ob und ggf inwieweit er die Entscheidung der Behörde bzw des erstinstanzlichen Gerichts hinnehmen will oder nicht. Ein berechtigtes Interesse, Monate oder sogar Jahre nach Einlegung der Berufung des Gegners noch Regelungen der gerichtlichen Überprüfung des LSG zuführen zu können, zu denen die Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts zunächst hingenommen worden ist, besteht nicht.

26

d. Zudem kann die prozessuale Sicht des Berufungsgerichts die Entscheidungsreife der Berufung in Frage stellen, jedenfalls soweit keine Frist für die Anschlussberufung normiert ist. Während nach § 127 Abs 2 Satz 2 VwGO die Anschließung nur bis zum Ablauf eines Monats nach Zustellung der Berufungsbegründungsschrift zugelassen wird, besteht keine ebensolche Bestimmung im SGG. Die VwGO-Vorschrift soll nach vorherrschender Auffassung auf das sozialgerichtliche Verfahren nicht übertragen werden können, weil dafür eine rechtliche Grundlage fehlt. Vergleichbares wird hinsichtlich der ähnlichen Frist des § 524 Abs 2 Satz 2 ZPO angenommen, die immerhin über § 202 SGG grundsätzlich im sozialgerichtlichen Verfahren angewandt werden könnte(vgl Leitherer, aaO, § 143 RdNr 5 f). Nach dieser Vorschrift ist die Anschlussberufung zulässig bis zum Ablauf der dem Berufungsbeklagten gesetzten Frist zur Berufungserwiderung. Eine dem § 521 Abs 1 ZPO entsprechende Vorschrift über die Zustellung der Berufungsschrift und der Berufungsbegründungsschrift an den Gegner kennt das SGG nicht. Die entsprechende Anwendung des § 524 Abs 2 Satz 2 ZPO über § 202 SGG setzt aber die Zustellung mindestens der Berufungsbegründung an den Gegner voraus, damit Klarheit über den Beginn der Frist für die Einlegung der Anschlussberufung besteht. Die Anwendung von Ausschlussfristen im sozialgerichtlichen Verfahren ohne explizite normative Grundlage ist unter dem Gesichtspunkt der Garantie des effektiven Rechtsschutzes (Art 19 Abs 4 Satz 1, Art 103 Abs 1 GG) problematisch, sodass ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung, die auch in der Anordnung einer entsprechenden Geltung des § 127 Abs 2 Satz 2 VwGO im SGG bestehen könnte, die Ausschlussfrist für die Anschlussberufung wohl nicht entsprechend angewandt werden kann. Das dürfte auch deshalb anzunehmen sein, weil im Berufungsverfahren der Sozialgerichtsbarkeit im Unterschied zu demjenigen in der Verwaltungs- und in der Zivilgerichtsbarkeit kein Vertretungszwang herrscht, und die Vorschriften über die Zustellung von Berufungs- und Berufungsbegründungsschriften sowie daran anknüpfende Fristen auf einen durch professionelle Bevollmächtigte geführten Prozess zugeschnitten sind.

27

Würde - was das LSG nicht erwogen hat - auf der Grundlage einer analogen Anwendung des § 127 Abs 2 Satz 2 VwGO im sozialgerichtlichen Verfahren auf den Nachweis der Zustellung der Berufungsbegründungsschrift verzichtet und der Nachweis ihrer tatsächlichen Kenntnis für ausreichend gehalten, wäre die Anschlussberufung der zu 2. beigeladenen Krankenkasse hier ebenfalls unzulässig. Diese hat, wie sich aus ihrer Reaktion im Berufungsverfahren vom 4.4.2006 ergibt, Monate vor Einlegung der Anschlussberufung am 28.11.2006 Kenntnis von der Berufungsbegründung des Klägers gehabt. Die entsprechende Anwendung der Monatsfrist des § 127 Abs 2 Satz 2 VwGO würde dann ebenfalls zur Unzulässigkeit ihrer Berufung führen. Demgegenüber hätte die vom Berufungsgericht offenbar befürwortete unbefristete Zulassung der Anschlussberufung bis zur mündlichen Verhandlung zur Folge, dass das LSG trotz Entscheidungsreife der Hauptberufung den Rechtsstreit vertagen müsste, wenn zum Gegenstand der Anschlussberufung noch Sachaufklärungsbedarf besteht. Das könnte zu Verzögerungen der Entscheidung führen, die auch im Hinblick auf das Gebot der Gewährung von Rechtsschutz in angemessener Zeit (Art 6 Europäische Menschenrechtskonvention) möglichst zu vermeiden sind.

28

Diese Erwägungen geben dem Senat Anlass, trotz der gewichtigen Einwände des Berufungsgerichts an der bisherigen Rechtsprechung des BSG zur Anschlussberufung festzuhalten und von einer andernfalls gebotenen Anrufung des Großen Senats nach § 41 Abs 2 SGG im Hinblick auf die Rechtsprechung anderer Senate zum Gegenstand der Anschlussberufung im sozialgerichtlichen Verfahren abzusehen.

29

2. Im Übrigen erweist sich die Revision des Klägers aber als unbegründet.

30

a. Das Berufungsgericht hat angenommen, § 14 Abs 1 iVm Abs 3 der seit dem Jahre 1994 geltenden und für die Verordnungen des Klägers im Jahre 1999 noch anwendbaren Prüfvereinbarung für den Bezirk der zu 1. beigeladenen KÄV Berlin gestatte die Festsetzung von Arzneikostenregressen, soweit der Vertragsarzt Arzneimittel verordnet hat, die in der vertragsärztlichen Versorgung nicht verordnungsfähig sind. Die Kenntnis des Vertragsarztes von der fehlenden Verordnungsfähigkeit oder generell ein Verschulden des Arztes sei insoweit nicht Voraussetzung für die Festsetzung eines Regresses. Soweit der Kläger § 14 der Prüfvereinbarung anders versteht und annimmt, diese Norm erfasse nur Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung bzw die Festsetzung eines verschuldensabhängigen "sonstigen Schadens" und nicht die Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel, ist dem im Revisionsverfahren nicht weiter nachzugehen. Die Prüfvereinbarung stellt Landesrecht iS des § 162 SGG dar, das das Revisionsgericht in der Auslegung des Berufungsgerichts seiner Entscheidung zugrunde zu legen hat. Von diesem Grundsatz sind in der Rechtsprechung des BSG zwei Ausnahmen anerkannt. Danach können landesrechtliche Normen vom Revisionsgericht eigenständig ausgelegt und angewandt werden, wenn es sich um Normen handelt, die inhaltsgleich in Bezirken verschiedener LSG gelten, soweit die Übereinstimmung im Interesse der Rechtsvereinheitlichung bewusst und gewollt ist (BSG vom 8.9.2009 - B 1 KR 8/09 R - RdNr 26, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt. Es ist weder geltend gemacht noch gerichtsbekannt, dass die Berliner Prüfvereinbarung aus dem Jahr 1994 inhaltsgleich in anderen KÄV-Bezirken gilt.

31

Landesrechtliche Normen sind weiterhin einer eigenständigen Auslegung und Anwendung des BSG zugänglich, wenn das LSG entscheidungserhebliche Vorschriften unberücksichtigt gelassen hat (BSGE 98, 89 = SozR 4-2500 § 85 Nr 31, jeweils RdNr 15). Hier hat jedoch das LSG die als Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides ersichtlich einschlägige Vorschrift des § 14 der Prüfvereinbarung zutreffend herangezogen und unter Anwendung der allgemein anerkannten juristischen Auslegungskriterien ausgelegt. Der Kläger rügt auch keinen Verstoß gegen diese Auslegungsgrundsätze oder die Denkgesetze, sondern setzt der Auslegung des Berufungsgerichts seine abweichende Auslegung entgegen. Das führt nicht dazu, dass entgegen der Vorgabe des § 162 SGG das Revisionsgericht zu einer eigenständigen Auslegung berufen wäre.

32

Soweit § 14 der Prüfvereinbarung in der Auslegung des LSG eine hinreichende Grundlage für die Festsetzung von Arzneikostenregressen wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel darstellt, steht die Vorschrift mit Bundesrecht in Einklang. Der Senat hat mehrfach entschieden, dass auf der Grundlage des § 106 Abs 2 SGB V in den Prüfvereinbarungen Rechtsgrundlagen für Arzneikostenregresse festgeschrieben werden dürfen, soweit Vertragsärzte Arznei- und Heilmittel verordnet haben, die nicht Gegenstand der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung sind(zB BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 52; vgl zuletzt BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 37/08 R - RdNr 17 ff mwN, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Das stellt der Kläger selbst nicht in Abrede.

33

b. Soweit der Kläger in formeller Hinsicht weiter rügt, der angefochtene Bescheid des Beklagten sei fehlerhaft, weil er in einer Sitzung gefasst worden sei, in der ein Vertreter der Krankenkassen den Vorsitz innegehabt habe, kann dem nicht gefolgt werden. Weder die Prüfvereinbarung im Bezirk der zu 1. beigeladenen KÄV noch Bundesrecht haben vorgeschrieben, dass in den Jahren, in denen Prüfungs- und Beschwerdeausschüsse alternierend von einem Vertreter der Krankenkassen und der Vertragsärzte geleitet worden sind, Entscheidungen des Prüfungsausschusses, die unter ärztlichem Vorsitz getroffen worden sind, vom Beschwerdeausschuss nur unter Vorsitz eines Vertreters der Krankenkassen und umgekehrt überprüft werden dürfen.

34

Nach § 106 Abs 4 Satz 3 SGB V idF des Gesundheitsstrukturgesetzes vom 21.12.1992 führte in den von Vertretern der Ärzte und der Krankenkassen in gleicher Zahl besetzten Prüfungs- und Beschwerdeausschüssen jährlich wechselnd ein Vertreter der Ärzte und der Krankenkassen den Vorsitz. Die Stimme des Vorsitzenden gab bei Stimmengleichheit den Ausschlag (aaO, Satz 4). Diese als defizitär bewertete Regelung war manipulationsanfällig (vgl näher BSGE 92, 283 = SozR 4-2500 § 106 Nr 5 auch zur Neuregelung im Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung)und ist deshalb zum 1.1.2004 ohne Übergangsregelung in der Weise geändert worden, dass die Gremien nunmehr von einem neutralen Vorsitzenden geleitet werden. Für die Zeit bis zum 31.12.2003 galten aber die früheren Regelungen über den im Jahresturnus wechselnden Vorsitz fort, und diesen lag die Auffassung der Revision von einem notwendigen Wechsel im Vorsitz zwischen den beiden Verwaltungsinstanzen nicht zugrunde.

35

Der Kläger verweist selbst auf früher geltende Prüfvereinbarungen im Bezirk der KÄV Bayerns und der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Berlin, in denen bestimmt war, den Vorsitz im Beschwerdeausschuss führe ein Vertreter der Ärzte (Zahnärzte), wenn in dem zu entscheidenden Fall ein Vertreter der Krankenkassen den Vorsitz im Prüfungsausschuss inne hatte und umgekehrt. Dass eine solche Regelung im Bezirk der Beigeladenen zu 1. gegolten habe, macht der Kläger nicht geltend. Seine Auffassung, auch ohne ausdrückliche Regelung in der maßgeblichen Prüfvereinbarung ergebe sich dieser Grundsatz unmittelbar als Folge des § 106 Abs 4 Satz 3 SGB V aF über den turnusmäßigen Wechsel im Vorsitz von Prüfungs- und Beschwerdeausschuss, trifft nicht zu. Die Annahme einer solchen bundesrechtlichen Vorgabe hätte das Prüfverfahren verkompliziert und wäre ohne nähere Regelungen in den Prüfvereinbarungen kaum umsetzbar gewesen. Die Beschwerdeausschüsse hätten Beschlüsse über Entscheidungen der Prüfungsausschüsse möglicherweise zurückstellen müssen, weil im jeweiligen Jahr die "richtige" Besetzung nicht verfügbar gewesen wäre; alternativ hätte immer ein Vorsitzender der "Bank", die im jeweiligen Jahr im Beschwerdeausschuss nicht den Vorsitzenden stellt, zur Verfügung stehen müssen, um über Entscheidungen des Prüfungsausschusses zu beraten, die unter anderem Vorsitz getroffen worden sind. Ob die damit verbundenen formellen Erschwerungen des Prüfungsverfahrens bundesrechtlich unbedenklich gewesen wären, bleibt offen (zu den Grenzen des Gestaltungsspielraums der Gesamtvertragspartner bei Ausgestaltung der Prüfvereinbarung vgl BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 53 S 290 f). Eine Verpflichtung der Prüfgremien, ohne explizite Regelung in der Prüfvereinbarung so zu verfahren, hat jedenfalls nicht bestanden.

36

c. Soweit der Kläger geltend macht, die Entscheidung durch den Beklagten am 12.12.2001 sei nur deshalb unter dem Vorsitz eines Krankenkassenvertreters gefallen, weil die Kassenvertreter die ursprünglich vorgesehene Sitzung am 24.9.2001 boykottiert hätten, führt das zu keiner anderen Beurteilung. Da ein Arzt keinen Anspruch darauf hat, dass über seine Angelegenheit immer unter dem Vorsitz eines Arztes im Beschwerdeausschuss entschieden wird, wenn der Prüfungsausschuss unter dem Vorsitz eines Krankenkassenvertreters entschieden hat, stellt die Vertagung einer Sitzung auch dann grundsätzlich keinen Rechtsverstoß dar, wenn diese zur Folge haben sollte, dass der Vorsitz in der tatsächlich entscheidenden Sitzung wechselt. Im Übrigen hat das Berufungsgericht nicht iS des § 163 SGG festgestellt, dass die Vertagung der Entscheidung vom 24.9.2001 allein darauf beruht hat, dass die Krankenkassenvertreter erreichen wollten, dass über die Angelegenheit des Klägers in der Besetzung des Beschwerdeausschusses mit einem Vorsitzenden aus ihren Reihen entschieden wird. Schließlich ist im Hinblick auf die Rügen des Klägers zur Zusammensetzung des Beklagten bei der Beschlussfassung darauf hinzuweisen, dass die Krankenkassen nach der Rechtsprechung des Senats gegen Entscheidungen der Prüfgremien, mit denen ua Anträge auf Festsetzung von Honorarkürzungen oder Arzneikostenregressen abgelehnt werden, Rechtsmittel ergreifen können (zB BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 1 und BSG MedR 2004, 577, jeweils zu unzureichenden Kürzungen vertragszahnärztlichen Honorars; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 24 zum Sprechstundenbedarfsregress). Da vorliegend Ermessens- und Beurteilungsspielräume allenfalls am Rande in Rede stehen, spricht wenig dafür, dass die zu 2. beigeladene Krankenkasse eine - unterstellt für den Kläger positive - Entscheidung des Beklagten unter anderem Vorsitz auf sich hätte beruhen lassen.

37

d. Der Kläger durfte über "Polyglobin 5 %" in den streitbefangenen Quartalen keine vertragsärztliche Verordnung ausstellen. Er hat dieses Arzneimittel außerhalb der arzneimittelrechtlichen Zulassung verordnet.

38

Die Zulassung von Polyglobin war nach den Feststellungen des LSG auf die Behandlung der idiopathischen thrombozytopenischen Purpura (Hautblutungen) beschränkt, und an dieser Erkrankung hat die Versicherte H. nicht gelitten. Ein Arzneimittel darf grundsätzlich nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung für einen Einsatz außerhalb der arzneimittelrechtlich zugelassenen Indikation verordnet werden. Das hat der 1. Senat des BSG mit Urteil vom 19.3.2002 (BSGE 89, 184 = SozR 3-2500 § 31 Nr 8) unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung entschieden und daran bis heute festgehalten (zB BSGE 93, 236 = SozR 4-2500 § 27 Nr 1). Der 6. Senat des BSG ist dem für die Festsetzung von Arzneikostenregressen gefolgt (vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 RdNr 19; vgl auch BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 37/08 R - RdNr 26, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).

39

Der Kläger kann sich zur Rechtfertigung seiner Verordnungen von Polyglobin weder auf Vertrauensschutz noch auf einen der Annahmetatbestände stützen, unter denen Arzneimittel vertragsärztlich auch außerhalb der zugelassenen Indikation verordnet werden dürfen. Der Kläger ist der Auffassung, Vertragsärzte hätten in der Zeit zwischen dem Urteil des 1. Senats vom 5.7.1995 zur Drogensubstitution mit dem Codein-Präparat Remedacen (BSGE 76, 194 = SozR 3-2500 § 27 Nr 5) und dem Bekanntwerden des Urteils des 8. Senats vom 30.9.1999 zur SKAT-Therapie (BSGE 85, 36 = SozR 3-2500 § 27 Nr 11) generell darauf vertrauen dürfen, Arzneimittel im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung auch außerhalb der Zulassungsindikationen nach dem Arzneimittelrecht verordnen zu dürfen. Dem folgt der Senat in Übereinstimmung mit dem Berufungsgericht nicht.

40

Es ist bereits fraglich, ob ein Vertragsarzt im Hinblick auf das zu der sehr speziellen Situation der Drogensubstitution ergangene Urteil des 1. Senats vom 5.7.1995 generell darauf vertrauen durfte, Arzneimittel auch außerhalb ihrer Zulassungsindikation verordnen zu dürfen. Allenfalls kommt ein Vertrauen darauf in Betracht, dass die Bindung der vertragsärztlichen Verordnung an die Zulassung des jeweiligen Fertigarzneimittels nach dem AMG in dem Sinne gelockert ist, dass in bestimmten Konstellationen eine die arzneimittelrechtliche Zulassung überschreitende Verordnung, die medizinisch sinnvoll oder sogar geboten ist, auch krankenversicherungsrechtlich zulässig sein kann. In diesem Sinne ist das Urteil des 8. Senats vom 30.9.1999 richtigerweise zu verstehen. Weitergehende Schlussfolgerungen aus diesem Urteil im Sinne eines uneingeschränkt erlaubten indikationsfremden Einsatzes von Fertigarzneimitteln liegen eher fern, zumal ein beliebiger, allein nach Gutdünken jedes einzelnen Arztes erfolgender, Einsatz eines Medikaments außerhalb der Zulassung nicht ernsthaft für sachgerecht gehalten werden kann .

41

e. Im Übrigen sind schon kurz nach Veröffentlichung des Urteils des 1. Senats vom 5.7.1995 zur Drogensubstitution in der Rechtsprechung des BSG Zweifel an der allgemeinen Aussagekraft dieses Urteils über den entschiedenen Fall hinaus artikuliert worden. Schon drei Monate nach dem Urteil des 1. Senats hat der allein für das Vertragsarztrecht zuständige erkennende Senat Bedenken gegen die Zulässigkeit des Einsatzes von Remedacen zur Drogensubstitution geäußert und auf die Problematik der Beachtung der Richtlinien des (früheren) Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen im Zusammenhang mit sog Außenseitermethoden hingewiesen (Urteil vom 18.10.1995, SozR 3-5550 § 17 Nr 2 S 5). In der Sache sind sodann die Grundsätze des Urteils vom 5.7.1995 durch die neuere Rechtsprechung des 6. und des 1. Senats zur Rechtsqualität der Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen, zur Methodenanerkennung nach § 135 Abs 1 SGB V und zum Zusammenhang zwischen dieser Anerkennung und den Prinzipien der Arzneimitteltherapie deutlich modifiziert worden(Urteil des 6. Senats vom 20.3.1996, BSGE 78, 70 = SozR 3-2500 § 92 Nr 6 "Methadon"; Urteile des 1. Senats vom 16.9.1997, BSGE 81, 54 = SozR 3-2500 § 135 Nr 4, BSGE 81, 73 = SozR 3-2500 § 92 Nr 7). Spätestens nach Bekanntwerden dieser Urteile war deutlich, dass die ältere Rechtsprechung des BSG zu den (untergesetzlichen) Vorgaben des Leistungs- und Leistungserbringungsrechts in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht mehr uneingeschränkt fortgeführt werden würde. Kein Vertragsarzt musste die aufgezeigten Wendungen der Rechtsprechung kennen oder nachvollziehen. Wer aber - wie der Kläger - geltend macht, Verordnungen aus dem Jahre 1999 im Vertrauen auf eine zu einer Sonderkonstellation ergangene und vereinzelt gebliebene Rechtsprechung des BSG aus dem Jahre 1995 getätigt zu haben, muss sich entgegenhalten lassen, dass sich die Rechtsprechung weiterentwickelt hat. Jedenfalls im Jahr 1999 hat es für einen Vertragsarzt erkennbar keine hinreichende Sicherheit mehr gegeben, nach eigener Einschätzung Off-Label-Use-Verordnungen ausstellen zu dürfen, ohne Gefahr zu laufen, insoweit in Regress genommen zu werden.

42

f. Zudem sind sowohl das Urteil des 1. Senats vom 5.7.1995, auf das sich der Kläger beruft, wie auch die folgenden Entscheidungen des 1. und des 8. Senats des BSG zu den Rechtsansprüchen von Versicherten gegen ihre Krankenkasse ergangen. Aus diesen Urteilen ergibt sich nicht unmittelbar, wie sich ein Vertragsarzt zu Arzneimittelverordnungen verhalten sollte, die erkennbar außerhalb der Zulassungsindikation des jeweiligen Arzneimittels erfolgten, von denen er aber annahm, sie könnten vom Patienten beansprucht werden. Dazu ist dem Urteil des erkennenden Senats vom 18.10.1995 (6 RKa 3/93) zur Drogensubstitution zu entnehmen, dass in solchen Fällen jedenfalls eine exakte Dokumentation und eine engmaschige Verlaufskontrolle der Behandlung geboten waren (SozR 3-5550 § 17 Nr 2 S 8; vgl auch BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 37/08 R - RdNr 39, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Damit ist es zB nicht vereinbar, auf laborchemische Untersuchungen zum Nachweis eines - vermeintlichen oder tatsächlich bestehenden - "Antikörpermangelsyndroms" zu verzichten, wenn die umstrittene Off-Label-Verordnung von Immunglobulinen gerade auf diese Diagnose reagiert.

43

Ein Vertragsarzt, der Medikamente außerhalb ihrer zugelassenen Indikationen verordnet, kann weder sich noch der Krankenkasse Gewissheit darüber verschaffen, dass die Verordnung den Vorgaben des Wirtschaftlichkeitsgebotes genügt, also notwendig, zweckmäßig und wirtschaftlich ist. Bei Off-Label-Verordnungen hat nämlich gerade keine Prüfung von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des jeweiligen Arzneimittels stattgefunden, die seinen Einsatz (auch) im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung rechtfertigt. Eine solche Prüfung ist im AMG nur indikationsbezogen vorgeschrieben und durchführbar; die von der Zulassung nach dem AMG ausgehende Schutzwirkung und Qualitäts- wie Wirksamkeitserwartung greift bei einem Einsatz des Medikaments außerhalb der Zulassung gerade nicht ein (vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 RdNr 19; s auch BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 37/08 - RdNr 27 ff, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Soweit danach ein Vertragsarzt Verordnungen ohne gesicherten Nachweis von Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels ausstellt, muss zwingend nachträglich geprüft werden dürfen, ob die jeweilige Verordnung den Regeln des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung entspricht. Wenn der Vertragsarzt davon absieht, in Fällen eines Off-Label-Use die Krankenkasse vor Ausstellung der Verordnung einzuschalten, wie es der Senat in einem Beschluss vom 31.5.2006 dargestellt hat (B 6 KA 53/05 B, MedR 2007, 557, 560), muss er hinnehmen, dass die Einhaltung der Vorgaben der vertragsärztlichen Versorgung im Nachhinein geprüft wird.

44

Der Beklagte hält dem Kläger - anders als dieser nahe legen will - keine schuldhafte Verletzung vertragsärztlicher Pflichten vor, die nunmehr sanktioniert wird. Der Beklagte hat lediglich die Position der zu 2. beigeladenen Krankenkasse bestätigt, dass sie objektiv zu Unrecht erhebliche Kosten für die Versorgung ihrer Versicherten H. mit einem Immunglobulin aufgewandt hat. Weil der Kläger der Beigeladenen zu 2. keine Gelegenheit gegeben hat, ihre Auffassung zur Rechtmäßigkeit des Einsatzes von Immunglobulinen bei der Versicherten H. vor Einlösung der Verordnungen darzulegen, muss es der Krankenkasse möglich sein, ihren Standpunkt nachträglich durchzusetzen, soweit er rechtlicher Prüfung standhält. Dazu sieht die Prüfvereinbarung im Einklang mit Bundesrecht das Verfahren der Regressfestsetzung vor. Soweit der Kläger geltend macht, nach dem im Jahr 1999 geltenden Recht habe er zu Gunsten der H. kein Privatrezept ausstellen dürfen, weil das gegen § 29 Abs 1 Satz 2 BMV-Ä verstoßen hätte, folgt der Senat dem nicht. Der Beschluss des Senats vom 31.5.2006 (MedR 2007, 557), der diesen Weg aufgezeigt hat, ist zu Off-Label-Use-Verordnungen aus dem Jahr 1997 ergangen. Auch 1997 und 1999 galt das Verbot, sich als Vertragsarzt vertragsärztliche Verordnungen einzeln genehmigen zu lassen; dieses Verbot hat sich - wie der Senat dargelegt hat - immer nur auf Verordnungen im Rahmen der Leistungspflicht der Krankenkassen bezogen. Wie die Rechtslage zu beurteilen wäre, wenn der Kläger im Sommer 1999 vergeblich bei der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2. angefragt und explizit um eine Entscheidung über das aus Sicht dieser Krankenkasse richtige Vorgehen gebeten hätte, kann offen bleiben. Der Kläger macht selbst nicht geltend, diesen Weg beschritten zu haben.

45

g. Der vom Beklagten aufrecht erhaltene Regress gegen den Kläger ist schließlich nicht deshalb rechtswidrig, weil der Versicherten H. bei Ausstellung der umstrittenen Verordnungen nach den Grundsätzen des Beschlusses des BVerfG vom 6.12.2005 (BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5) gegen die Rechtsvorgängerin der zu 2. beigeladenen Krankenkasse ein Anspruch auf Versorgung mit Polyglobin 5 % zugestanden hätte. Nach den Feststellungen des LSG liegen die tatsächlichen Voraussetzungen eines solchen, auf §§ 27 und 31 SGB V iVm Art 2 Abs 1 GG und dem Sozialstaatsprinzip bzw Art 2 Abs 2 Satz 1 GG und der hieraus abzuleitenden Schutzpflicht gegründeten Anspruchs nicht vor. Diese Feststellungen des LSG sind für den Senat nach § 163 SGG bindend, weil der Kläger dazu keine zulässigen Revisionsrügen angebracht hat.

46

Richtig ist allerdings der Ausgangspunkt der Revision: Wenn feststünde, dass H. nach den tatsächlichen Verhältnissen des Jahres 1999 einen Anspruch auf Versorgung mit Polyglobin als Sachleistung der Krankenkasse gehabt hätte, dürfte wegen der für diese Versorgung angefallenen Kosten kein Regress gegen den Kläger festgesetzt werden. Diese Konsequenz aus der Entscheidung des BVerfG hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 5.11.2008 zu Wobe Mugos (SozR 4-2500 § 106 Nr 21; ebenso BSG MedR 2010, 276) inzident angesprochen und hält daran fest. Der verschuldensunabhängige Schadensersatzanspruch der Krankenkasse gegen einen Vertragsarzt wegen unzulässiger Arzneimittelverordnungen beruht im Kern darauf, dass die Krankenkasse einen Ausgleich für die Bezahlung von Medikamenten erhält, die sie bei korrekten Verhalten des Arztes nicht hätte finanzieren müssen. Wenn sich nachträglich herausstellt, dass der Versicherte, zu dessen Gunsten der Vertragsarzt die umstrittenen Verordnungen ausgestellt hat, auf die Versorgung mit dem verordneten Arzneimittel einen Anspruch gegen seine Krankenkasse hatte, ist dieser durch die Bezahlung dieses Arzneimittels dem Grunde nach jedenfalls kein Schaden entstanden, den der Vertragsarzt nunmehr ersetzen müsste. Lässt sich allerdings nicht mit hinreichender Gewissheit feststellen, dass die Voraussetzungen für einen ausnahmsweise gerechtfertigten Off-Label-Use vorgelegen haben, geht das zu Lasten des Arztes. Er rückt, obwohl er sich nach der Ausrichtung des Verfahrens gegen einen Regress wendet, hinsichtlich der Verteilung von Darlegungs- und Beweislast in die Stellung ein, die der Versicherte gehabt hätte, wenn er seinen Standpunkt zur der Verordnungsfähigkeit eines Arzneimittels gegen die Krankenkasse nach § 13 Abs 3 SGB V im Wege der Geltendmachung eines Kostenerstattungsanspruchs durchsetzen müsste. Wer geltend machen will, der Versorgungsanspruch umfasse in einer bestimmten Konstellation auch die Versorgung mit zugelassenen Arzneimitteln außerhalb der Zulassungsindikationen, dringt damit nicht durch, wenn sich unter Ausschöpfung aller Möglichkeiten zur Sachaufklärung nicht feststellen lässt, dass die dafür insbesondere in der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG und inzwischen auch vom Gemeinsamen Bundesausschuss (§ 30 der Arzneimittel-Richtlinie iVm Anlage VI) formulierten Voraussetzungen vorgelegen haben. Das ist auch hier der Fall und geht zu Lasten des Klägers.

47

h. Das LSG ist in Übereinstimmung mit der Revision zutreffend davon ausgegangen, dass die Versicherte H. an einer lebensbedrohlichen Erkrankung (metastasierendes Karzinom der Eileiter) gelitten hat. Zu dessen kausaler Behandlung hätte bei Fehlen einer allgemein anerkannten, medizinischem Standard entsprechenden Behandlungsmethode nach der Rechtsprechung des BVerfG ein Arzneimittel auch außerhalb seiner Zulassungsindikation eingesetzt werden dürfen, wenn nach der vorhandenen Studienlage auf diese Weise die nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf positive Behandlungserfolge bestanden hätten (BVerfGE 115, 25, 49 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 RdNr 33). Das nimmt der Kläger selbst für die Verordnung von Polyglobin nicht an. Er geht vielmehr davon aus, dass die Versicherte H. an einem Antikörpermangel litt, der unbehandelt eine Fortführung der überlebensnotwendigen Chemotherapie ausgeschlossen hätte oder hat. Wenn die Rechtsprechung des BVerfG auf diese Konstellation Anwendung finden sollte, was der Senat entgegen der Auffassung des LSG nicht von vornherein für ausgeschlossen hält, müssen jedenfalls die Anforderungen an einen zulässigen Off-Label-Use entsprechend erfüllt sein. Es muss deshalb feststehen, dass der Patient neben der lebensbedrohlichen Erkrankung an einer weiteren Gesundheitsstörung leidet, die die Anwendung aller zur Behandlung des Hauptleidens in Betracht kommenden Behandlungsmöglichkeiten ausschließt. Weiterhin muss der Off-Label-Einsatz des anzuwendenden Arzneimittels mit gewisser Wahrscheinlichkeit die zweite Erkrankung so beeinflussen, dass eine Erfolg versprechende Behandlung des Hauptleidens wieder oder erstmals möglich wird. Schließlich darf es für die zweite Erkrankung keine anerkannten Behandlungsmöglichkeiten - zB mit entsprechend zugelassenen Arzneimitteln - geben. Diese Voraussetzungen sind hier jedenfalls nicht - wie es notwendig wäre, um der Klage zum Erfolg zu verhelfen - kumulativ erfüllt.

48

i. Erhebliche Zweifel bestehen bereits daran, ob das vom Kläger so bezeichnete "sekundäre Antikörpermangelsyndrom" eine eigenständige und hinreichende spezifische Erkrankung ist, die abgegrenzt vom Karzinomleiden behandelt werden kann und muss. Der Kläger hat dazu in den Tatsacheninstanzen nicht Präzises vorgetragen. Zudem steht nicht fest, dass die Patientin H. an einem Antikörpermangelsyndrom litt, das schulmedizinisch nicht behandelbar war. Die zur Abstützung dieser Diagnose und des Ausmaßes der Erkrankung möglichen laborchemischen Untersuchungen hat der Kläger nach den Feststellungen des LSG nicht durchgeführt oder veranlasst. Dazu mag er - wie die Revision geltend macht - berufsrechtlich nicht verpflichtet gewesen sein. Er hat damit aber im Hinblick auf den Off-Label-Use zur Unaufklärbarkeit des genauen Gesundheitszustandes der Versicherten H. in der zweiten Hälfte des Jahres 1999 beigetragen. Das geht zu seinen Lasten.

49

j. Außerdem fehlt es an ausreichenden Feststellungen bzw Belegen für das vom Kläger geltend gemachte Dilemma, die lebensbedrohliche Ersterkrankung nur durch die Behandlung der Zweiterkrankung mit Polyglobin 5 % therapieren zu können. Der Kläger setzt schon die Anforderungen an den Nachweis einer eigenständigen Zweiterkrankung zu niedrig an. Die Versicherte H. litt nach den Ausführungen des Klägers an einer "Verminderung der Immunitätslage" als Folge sowohl des Karzinomleidens als auch der aggressiven Chemotherapien. Darauf habe sie mit wiederholten schweren bakteriellen und viralen Infektionen reagiert, die er - der Kläger - als "Zeichen eines sekundären Antikörpermangels" gedeutet habe. Für keine dieser "wiederholten" Infektionen hat der Kläger im Verwaltungsverfahren oder in den Vorinstanzen jedoch konkret und eingehend belegt, dass diesen durch anerkannte Behandlungsverfahren nicht hätten effektiv entgegengewirkt werden können. Spezifische Darlegungen dazu, die dann dem LSG ggf Anlass zu weiterer Sachaufklärung hätten geben können, waren vor allem deshalb unerlässlich, weil der Kläger selbst einen Zusammenhang zwischen dem Krebsleiden und der Chemotherapie mit der geschwächten Immunitätslage der H. herstellt. Da nicht alle Patienten, deren Abwehrsystem durch Krebs und Chemotherapie geschwächt sind, mit Immunglobulin behandelt werden bzw nach dem gebotenen Behandlungsstandard behandelt werden müssen oder im Jahr 1999 so behandelt wurden oder behandelt werden mussten, hätte der Kläger fallbezogen und detailliert darlegen müssen, inwieweit sich die gesundheitliche Lage der H. von derjenigen anderer chemotherapeutisch behandelter Krebspatienten unterschied, und auf der Basis welcher exakten Befunde er die Anwendung von Polyglobin 5 % für unerlässlich hielt. Das ist nicht geschehen und spricht dafür, dass sich der Kläger von der Gabe eines Immunglobulins ganz generell eine Stärkung der Abwehrlage der H. und damit mutmaßlich eine bessere Resistenz gegen Infektionen versprach. Das reicht für einen Off-Label-Use, dessen Zulässigkeit jedenfalls in Fällen der hier vorliegenden Art von dem Gesundheitszustand des konkreten Patienten abhängt, nicht aus.

50

k. Schließlich ist die positive Wirkung, die der Kläger dem Einsatz von Immunglobulin bei fortgeschrittener Krebserkrankung zuschreibt, nach den Feststellungen des LSG auch nicht hinreichend belegt.

51

Das LSG hat im Einzelnen dargestellt, dass die bis 1999 zum Einsatz von Immunglobulinen vorhandenen Studien und publizierten Forschungsergebnisse nicht darauf hindeuten, dass die Gesundheitsstörungen der Versicherten H. durch den Einsatz von Polyglobin erfolgreich behandelt werden konnten. Das LSG ist zutreffend von den in der Rechtsprechung des 1. Senats des BSG ermittelten Grundsätzen zum Anspruch der Versicherten auf Versorgung mit (in Deutschland oder der EU) nicht zugelassenen Arzneimitteln (dazu BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4) oder mit Arzneimitteln außerhalb zugelassener Indikationen (BSGE 89, 184 = SozR 3-2500 § 31 Nr 8) ausgegangen. Es hat näher ausgeführt, dass keine wissenschaftliche Arbeit vorliege oder vom Kläger benannt sei, in der der zulassungsüberschreitende Einsatz von Immunglobulinen zur Behandlung einer auf der Intoleranz von Chemotherapeutika beruhenden Erkrankung als medizinisch geboten bewertet wird. Einen Konsens der einschlägigen Fachkreise, dass Polyglobin ein sekundäres Antikörpersyndrom positiv beeinflussen könne, hat das LSG gerade nicht feststellen können. Soweit die Revision die vorhandenen medizinischen Unterlagen lediglich anders würdigt, vermag sie damit die Feststellungen iS des § 163 SGG nicht zu entkräften.

52

Soweit der Kläger die Sachaufklärung des LSG zu den Erfolgsaussichten der Behandlung mit Immunglobulinen für unzureichend hält, berücksichtigt er nicht hinreichend, dass sich der 1. Senat des BSG bereits mehrfach mit dem Anspruch der Versicherten auf Versorgung mit Immunglobulinen befasst hat. In den Urteilen vom 19.3.2002 (BSGE 89, 184 = SozR 3-2500 § 31 Nr 8), vom 27.3.2007 (B 1 KR 17/06 R) und vom 28.2.2008 (SozR 4-2500 § 13 Nr 16), die sämtlich die Versorgung mit Immunglobulinpräparaten - jeweils bezogen auf die Indikation Multiple Sklerose - zum Gegenstand hatten, wird der Stand der medizinischen Forschung zu dieser Wirkstoffgruppe für die streitbefangenen Jahre 1997 bis 2003 eingehend aufgearbeitet. Zwar können die Forschungsergebnisse zur Möglichkeit, durch die Gabe von Immunglobulinen die Multiple Sklerose günstig zu beeinflussen, nicht ohne Weiteres auf die hier zu beurteilende Situation der unterstützenden Behandlung bei Krebserkrankungen übertragen werden, doch sind die Wirkungen und die in Frage kommenden Indikationen für Immunglobulin bezogen auf den hier relevanten Zeitraum gut erforscht und die Forschungsergebnisse - soweit krankenversicherungsrechtlich von Bedeutung - in der Rechtsprechung des BSG umfassend rezipiert worden. Zudem sind die Urteile des 1. Senats des BSG vom 27.3.2007 und vom 28.2.2008 Gegenstand der verfassungsgerichtlichen Prüfung gewesen. Mit Kammerbeschlüssen vom 30.6.2008 (1 BvR 1665/07 zum BSG-Urteil B 1 KR 17/06 R) und vom 8.7.2009 (1 BvR 1531/09 zum BSG-Urteil B 1 KR 15/07 R) sind die Verfassungsbeschwerden der unterlegenen Kläger jeweils nicht zur Entscheidung angenommen worden. Beide Kammerbeschlüsse sind auf der Basis der grundlegenden Entscheidung des BVerfG vom 6.12.2005 ergangen und billigen insbesondere, dass die Rechtsprechung des BSG strenge Anforderungen an den Nachweis stellt, dass mit dem zulassungsüberschreitenden Einsatz des jeweils betroffenen Arzneimittels hinreichende Erfolgsaussichten verbunden sein müssen (BVerfG vom 30.6.2008 - 1 BvR 1665/07 - NJW 2008, 3556 f RdNr 9 bis 11). Es reicht danach als Grundlage für einen Off-Label-Use von Arzneimitteln in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht aus, dass positive Folgen einer solchen Behandlung nach dem Wirkungsmechanismus von Immunglobulinen nicht schlechthin ausgeschlossen werden können, dass Patienten in Einzelfällen nach Verabreichung der umstrittenen Medikamente eine Verbesserung ihres Befindens beschreiben und dass einzelne Ärzte oder Wissenschaftler mit plausiblen Gründen einen von der verbreiteten Auffassung abweichenden Standpunkt zu den Erfolgsaussichten einer Behandlung vertreten. Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe und im Hinblick auf die schon vorliegende Rechtsprechung des 1. Senats des BSG ist die Sachverhaltsermittlung des Berufungsgerichts ausreichend.

53

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs 1 iVm § 155 Abs 1 VwGO und berücksichtigt das teilweise Obsiegen und Unterliegen der Beteiligten. Die außergerichtlichen Kosten der zu 1. beigeladenen KÄV sind nach § 162 Abs 3 VwGO nicht erstattungsfähig, weil diese keine Anträge gestellt hat(vgl BSGE 96, 257 = SozR 4-1300 § 63 Nr 3, RdNr 16).

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozial-gerichts vom 6. Oktober 2009 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt auch die Kosten des Revisionsverfahrens, mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Tatbestand

1

Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Regressbescheides wegen der Verordnung von zwei Arzneimitteln für Krebskranke.

2

Der Kläger ist Facharzt für Innere Medizin (Arzt für Onkologie und für Pneumologie ), Chefarzt des onkologischen Schwerpunktes eines Krankenhauses mit einem Zentrum für Pneumologie und Thoraxchirurgie und zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung ermächtigt. Er verordnete in den Quartalen II/2001, IV/2002 und I bis III/2003 bei Patienten, die bei der zu 1. beigeladenen Krankenkasse (KK) versichert waren, die Arzneimittel Megestat und Dronabinol. Auf Antrag der Beigeladenen zu 1. setzte der Prüfungsausschuss gegen den Kläger einen Regress von ca 1960 Euro fest; die beklagte Prüfungseinrichtung wies den Widerspruch des Klägers zurück (Bescheide vom 23.9.2004 und vom 5.1.2006) : Megestat sei nach dem Arzneimittelgesetz (AMG) nur zur palliativen Behandlung fortgeschrittener Karzinome der Brust und der Gebärmutter zugelassen; die vom Kläger behandelten Patienten seien dagegen an Bronchialkrebs oder Karzinomen der Thoraxorgane erkrankt gewesen. Das Arzneimittel Dronabinol sei in Deutschland überhaupt nicht zugelassen.

3

Klage und Berufung des Klägers sind erfolglos geblieben (Urteil des SG vom 30.4.2008; Urteil des LSG vom 6.10.2009, Parallelurteil veröffentlicht in NZS 2010, 394, und in einer Kurzfassung in MedR 2010, 256). Im Urteil des LSG ist unter anderem ausgeführt, der Kläger habe die Arzneimittel Megestat und Dronabinol nicht zu Lasten der gesetzlichen KK verordnen dürfen. Megestat sei nur zur palliativen Behandlung fortgeschrittener Karzinome der Brust und der Gebärmutter zugelassen. Die vom Kläger vorgenommenen Verordnungen bei anderen Tumorerkrankungen zur Behebung der Kachexie (Appetitlosigkeit mit der Folge körperlicher Auszehrung) stellten keinen zulässigen Off-Label-Use dar. Ausreichende wissenschaftlich nachprüfbare Studien, die die Eignung und Unbedenklichkeit der Arzneimittel auch im Falle anderer Krebsarten, insbesondere bei Bronchialkrebs, belegen könnten, ergäben sich aus den vorliegenden und den vom Kläger angeführten Stellungnahmen nicht. Es fehle auch an der erforderlichen Gewichtung und Abwägung der Risiken thromboembolischer und vaskulärer Komplikationen. Das vom Kläger verordnete Dronabinol sei in Deutschland überhaupt nicht zugelassen, es sei hier nur als Rezepturarzneimittel verkehrsfähig. So unterliege es nicht dem Zulassungsverfahren nach dem AMG; aber die damit durchgeführte pharmakologische Therapie erfordere eine empfehlende Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) gemäß § 135 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V oder, da eine solche nicht vorliege, sonstiger ausreichender Belege ihrer Eignung und Unbedenklichkeit. Solche Belege lägen aber für die bei den Patienten des Klägers in Rede stehenden Krebserkrankungen nicht vor; auch hier fehle es an der erforderlichen Gewichtung und Abwägung der genannten Risiken. Die Zulässigkeit der Verordnungen von Megestat und/oder Dronabinol ergebe sich auch nicht unter Berücksichtigung der abgeschwächten Anforderungen des BVerfG-Beschlusses vom 6.12.2005. Denn die vom Kläger vorgenommenen Verordnungen dieser Arzneimittel seien nicht darauf angelegt, auf die lebensbedrohliche (Krebs-)Erkrankung selbst einzuwirken, sondern hätten sich allein gegen die im Endstadium dieser Erkrankung auftretende Kachexie gerichtet. Der Gesichtspunkt, dass dies die Lebensqualität des Erkrankten in seiner Endphase insgesamt deutlich verbessert habe, reiche nicht aus.

4

Mit seiner Revision erhebt der Kläger sowohl inhaltliche als auch verfahrensbezogene Rügen. Das LSG habe verkannt, dass ausreichende Belege für die Eignung und Unbedenklichkeit der von ihm - dem Kläger- vorgenommenen Behandlungen vorgelegen hätten. Als Beleg dürften außerhalb des AMG-Zulassungsverfahrens keine sog Phase III-Studien gefordert werden, vielmehr reiche der Konsens in einschlägigen Fachkreisen über den voraussichtlichen Nutzen aus. Dieser Konsens werde durch die im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren vorgelegten Veröffentlichungen und Stellungnahmen, insbesondere auch die zusammenfassenden Metaanalysen, belegt. Das LSG habe die vorgelegten umfangreichen Studien nicht angemessen ausgewertet. Wenn das LSG diese nicht als ausreichend angesehen habe, hätte es ein Sachverständigengutachten einholen müssen; hierzu hätte es sich angesichts der Mängel des Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) gedrängt fühlen müssen. Bei verfahrensfehlerfreiem Vorgehen des LSG hätte sich ergeben, dass schon im Zeitpunkt der von ihm - dem Kläger - durchgeführten Behandlungen ausreichende Belege für die Eignung und Unbedenklichkeit vorgelegen hätten und ein Konsens in Fachkreisen bestanden habe. Die Rechtswidrigkeit des Regresses ergebe sich ferner daraus, dass ein Anspruch der Versicherten auf die durchgeführten Behandlungen aufgrund der Entscheidung des BVerfG vom 6.12.2005 (BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5) bestanden habe. Außer einer - auch vom LSG anerkannten - lebensbedrohlichen Erkrankung und dem Fehlen einer Therapiealternative habe auch eine Aussicht auf spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bestanden. Zwar seien die Behandlungen mit Megestat und Dronabinol nicht auf die Heilung des Tumors als solchen angelegt gewesen, aber sie seien gegen die mit diesem Grundleiden einhergehende - nicht eigenständige - (Begleit-)Erkrankung der (Tumor-)Kachexie gerichtet gewesen und durch die Bekämpfung der damit einhergehenden weiteren Krankheitsauswirkungen wie starke Abmagerung, allgemeiner Kräfteverfall, Appetitlosigkeit und Apathie geeignet gewesen, eine Gewichtszunahme, eine Stärkung des Organismus und eine Förderung des psychischen Wohlbefindens und des Lebenswillens zu bewirken und damit zu einer Verlängerung der lebenswerten Lebenszeit und auch zu einer - manchmal sogar signifikanten - Verlängerung des Lebens insgesamt zu führen. Die Annahme des LSG, er - der Kläger - habe die Verlängerung der Lebensdauer nicht als Behandlungsziel angegeben, sei unrichtig; wenn das LSG sein Vorbringen derart eingeschränkt gesehen habe, hätte es ihn zumindest darauf hinweisen müssen. Die Auffassung, die Anwendungen von Megestat und Dronabinol seien ausschließlich auf die Verbesserung der Lebensqualität und nicht auf die Verlängerung der Lebensdauer gerichtet gewesen, verletze die Grenzen der freien Beweiswürdigung; sie sei auch weder als Erfahrungssatz noch medizinisch begründbar. Aber selbst wenn man die Lebensverlängerung außer Betracht lasse, sei nach den Vorgaben des BVerfG eine Leistungspflicht anzuerkennen. Der Entscheidung vom 6.12.2005 sei nicht zu entnehmen, dass sich die spürbare positive Auswirkung auf die lebensbedrohliche Krankheit selbst beziehen müsse. Der vorliegende Fall der Linderung von Krankheitsbeschwerden einer lebensbedrohlichen Erkrankung werde von den Grundsätzen des Beschlusses des BVerfG mitumfasst. Nicht tragfähig sei schließlich das Argument des LSG, durch Akzeptieren der Behandlung mit Megestat und/oder Dronabinol würde das Erfordernis der Arzneimittelzulassung und das Arzneimittelzulassungsverfahren entwertet. Bei schwerwiegenden Krebserkrankungen falle nach dem Grundsatz "je schwerwiegender die Erkrankung und hoffnungsloser die Situation, desto geringere Anforderungen", die Nutzen-Risiko-Analyse eindeutig positiv aus. Dabei sei eine den Regeln der ärztlichen Kunst entsprechende Behandlung durch den Kläger als langjährigem Chefarzt des onkologischen Schwerpunktes an dem einer Universität angeschlossenen Lehrkrankenhaus evident gewährleistet.

5

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 6. Oktober 2009, das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 30. April 2008 sowie den Bescheid der Beklagten vom 5. Januar 2006 aufzuheben,
hilfsweise,
das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 6. Oktober 2009 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen.

6

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

7

Sie verteidigt das Urteil des LSG. Das LSG habe zu Recht verneint, dass die Eignung und Unbedenklichkeit der vom Kläger durchgeführten Behandlungen mit Megestat und/oder Dronabinol hinreichend belegt seien. Die Studien belegten auch keinen Konsens über eine Verbesserung der Lebensqualität durch solche Behandlungen, zumal nicht für den Zeitpunkt der durchgeführten Behandlung. Jedenfalls sei deren Einsatz nicht darauf ausgerichtet gewesen, auf die lebensbedrohliche Tumorerkrankung selbst einzuwirken. Zudem würden unkalkulierbare Risiken in Kauf genommen, sodass ein Heilversuch vorliege, der gesonderten Regelungen und Voraussetzungen unterliege. Es reiche nicht aus, dass der Kläger für seine Patienten angebe, diese hätten von der Arzneigabe kurzfristig profitiert. Auch hätte er die Entwicklung bei seinen Patienten umfassend dokumentieren müssen.

8

Die Beigeladenen geben im Revisionsverfahren keine Stellungnahme ab.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision des Klägers ist sowohl mit dem Haupt- als auch mit dem Hilfsantrag unbegründet. Das angefochtene Urteil des LSG lässt keine Verletzung von Bundesrecht erkennen. Der angefochtene Arzneikostenregress ist nicht zu beanstanden.

10

A. Rechtsgrundlage des angefochtenen Arzneikostenregresses ist § 106 Abs 2 SGB V(hier zugrunde zu legen idF des GKV-Gesundheitsreformgesetzes 2000 vom 22.12.1999, BGBl I 2626, die auch in den weiteren Jahren 2001 bis 2003 galt; zur Maßgeblichkeit des § 106 Abs 2 SGB V für Verordnungsregresse in Fallkonstellationen der vorliegenden Art vgl zuletzt BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 17; BSG vom 5.5.2010 - B 6 KA 5/09 R - RdNr 14 iVm 21 ff mwN - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen; BSG vom 18.8.2010 - B 6 KA 14/09 R - RdNr 16 iVm 25 f mwN - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen) . Danach wird die Wirtschaftlichkeit der Versorgung unter anderem durch arztbezogene Prüfungen ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen, entweder nach Durchschnittswerten oder anhand von Richtgrößenvolumina (§ 106 Abs 2 Satz 1 Nr 1) und/oder auf der Grundlage von Stichproben (aaO Satz 1 Nr 2) , geprüft. Über diese Prüfungsarten hinaus können die Landesverbände der KKn mit den Kassenärztlichen Vereinigungen (KÄVen) gemäß § 106 Abs 2 Satz 4 SGB V andere arztbezogene Prüfungsarten vereinbaren(vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 17 RdNr 12 f mwN; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 RdNr 14; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 17; BSG vom 18.8.2010 - B 6 KA 14/09 R - RdNr 16) . Diese Prüfvereinbarungen ermächtigen regelmäßig auch zu Einzelfallprüfungen. Einzelfallprüfungen sind insbesondere dann sachgerecht - und die Wahl dieser Prüfmethode rechtmäßig -, wenn das individuelle Vorgehen eines Arztes in bestimmten einzelnen Behandlungsfällen hinsichtlich des Behandlungs- oder Verordnungsumfangs am Maßstab des Wirtschaftlichkeitsgebots überprüft werden soll (s BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 RdNr 14; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 17; BSG vom 5.5.2010 aaO RdNr 14) .

11

Wie sich aus den Urteilen des Senats vom 5.5.2010 und vom 18.8.2010 ergibt, handelt es sich bei den vorliegenden Streitigkeiten über die vertragsarztrechtliche Zulässigkeit von Arzneiverordnungen um einen Fall des § 106 SGB V und nicht um einen Regress "wegen sonstigen Schadens" im Sinne des § 48 Bundesmantelvertrag-Ärzte(BSG vom 5.5.2010 - B 6 KA 5/09 R - RdNr 20 bis 26, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen, und BSG vom 18.8.2010 - B 6 KA 14/09 R - RdNr 25 f, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen) . Denn vorliegend steht ein Fehler der Verordnung selbst in Frage, wie dies bei Verstößen gegen die Arzneimittel-Richtlinie bzw bei Verordnungen nicht verordnungsfähiger Arzneimittel und auch bei Verordnungen außerhalb der nach dem AMG erteilten Zulassung der Fall ist (vgl BSG vom 18.8.2010 aaO RdNr 25 am Ende) .

12

B. Der Regressbescheid war rechtmäßig. Die Voraussetzungen für einen Regress im Wege der Einzelfallprüfung gemäß § 106 SGB V waren erfüllt. Der Kläger durfte die Arzneimittel Megestat und Dronabinol nicht zur Behandlung der Kachexie (Appetitlosigkeit mit der Folge körperlicher Auszehrung) bei Bronchialkarzinomen und Tumoren der Thoraxorgane verordnen.

13

Dies folgt für Megestat daraus, dass dessen Zulassung nach dem AMG nur für die Anwendung bei der Kachexie im Falle von Brust- und Gebärmutterkrebs erfolgt war, sodass die Verordnung von Megestat bei anderen Krebsarten einen Off-Label-Use darstellte. Dessen Voraussetzungen waren nicht erfüllt, insbesondere waren die Eignung und Unbedenklichkeit des Einsatzes dieses Arzneimittels nicht ausreichend belegt (unten 1.). Für Dronabinol ergibt sich die Unzulässigkeit der Verordnungen des Klägers daraus, dass es in Deutschland nicht zugelassen, hier vielmehr nur als Rezepturarzneimittel verkehrsfähig war, ohne dass aber der G-BA für eine pharmakologische Therapie unter Einsatz dieses Medikaments eine empfehlende Richtlinie gemäß § 135 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V erlassen hat. Es lagen auch keine sonstigen ausreichenden Belege seiner Eignung und Unbedenklichkeit vor (unten 2.). Schließlich können die Verordnungen von Megestat und Dronabil auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Behandlung einer lebensbedrohlichen Erkrankung und den dafür vom BVerfG herausgestellten abgeschwächten Anforderungen gerechtfertigt werden (unten 3.).

14

1. Die Verordnungsfähigkeit eines Fertigarzneimittels wie Megestat ist in erster Linie danach zu beurteilen, mit welchen Maßgaben es im Arzneimittelzulassungsverfahren nach dem AMG zugelassen wurde. In diesem Verfahren werden Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit anhand vom Arzneimittelhersteller vorzulegender Studien überprüft (vgl §§ 21, 22, 24, 25 Abs 5 Satz 1 AMG) . Die Zulassung des Arzneimittels erfolgt nicht unbegrenzt, sondern nur nach Maßgabe der anhand der Studien ausgewiesenen und überprüften Anwendungsgebiete (vgl § 22 Abs 1 Nr 6 AMG und dazu BSGE 89, 184, 186 f = SozR 3-2500 § 31 Nr 8 S 30 f). So erfolgte die Zulassung von Megestat, wie im Urteil des LSG festgestellt worden ist, für die palliative Behandlung bei Brust- und Gebärmutterkrebs und hier für den Einsatz gegen die bei solchen Krebsbehandlungen auftretende Kachexie.

15

Der Kläger setzte Megestat indessen nicht in diesem Anwendungsgebiet ein. Zwar waren die Verordnungen des Klägers auch gegen die bei Krebsbehandlungen auftretende Kachexie gerichtet, aber nicht im Zusammenhang mit Brust- und Gebärmutterkrebs von Frauen. Er verordnete Megestat vielmehr gegen die Kachexie insbesondere bei fortgeschrittenen Bronchialkarzinomen und Tumoren der Thoraxorgane. Mithin lag ein Off-Label-Use vor.

16

Ein Off-Label-Use ist nur unter engen Voraussetzungen zulässig. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass nicht das Verfahren nach dem AMG durchlaufen wurde, das mit der Überprüfung der Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit auf die Gewährleistung von Arzneimittelsicherheit angelegt ist. Wie vom 1. Senat des BSG in langjähriger Rechtsprechung wiederholt herausgestellt und vom 6. Senat weitergeführt worden ist, müssen für einen zulässigen Off-Label-Use - zum einen - eine schwerwiegende Erkrankung vorliegen (dh eine die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung), und es darf - zum anderen - keine andere - zugelassene - Therapie verfügbar sein, und - zum dritten - aufgrund der Datenlage muss die begründete Aussicht bestehen, dass mit dem betroffenen Arzneimittel ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann (so zB BSG vom 28.2.2008, SozR 4-2500 § 13 Nr 16 RdNr 21, 23, 26 mit Hinweis auf die stRspr; vgl auch Senatsurteile vom 5.5.2010, zB - B 6 KA 6/09 R - SozR 4-2500 § 106 Nr 27 RdNr 51 f und - B 6 KA 20/09 R - in RdNr 46 f sowie - B 6 KA 24/09 R - in RdNr 18 ff). Abzustellen ist dabei auf die im Zeitpunkt der Behandlung vorliegenden Erkenntnisse (BSG vom 28.2.2008 aaO RdNr 21). Das Erfordernis der Aussicht auf einen Behandlungserfolg umfasst dabei nicht nur die Qualität und Wirksamkeit eines Arzneimittels, sondern schließt auch ein, dass mit der Medikation keine unvertretbaren Nebenwirkungen und Risiken verbunden sein dürfen. Gerade die Notwendigkeit der Analyse und Gewichtung eventueller unzuträglicher Nebenwirkungen ist ein zentrales Element des Überprüfungsstandards, auf den die Neugestaltung des AMG vom 24.8.1976 ausgerichtet ist, deren Konzeption ihren Ursprung in den Erfahrungen der 1960er Jahre mit den nicht ausreichend analysierten Nebenwirkungen von Contergan hat (vgl hierzu BR-Drucks 552/74 S 43 und BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 RdNr 21) . Soll die Verordnung eines Arzneimittels ausnahmsweise ohne derartige Gewähr der Arzneimittelsicherheit in Betracht kommen, so müssen für diesen Off-Label-Use anderweitig Qualitätsstandards, die dem Einsatz im Rahmen der Zulassungsindikation vergleichbar sind, gewährleistet und hinreichend belegt sein. Dabei muss auch gesichert sein, dass von der Off-Label-Medikation keine unzuträglichen Nebenwirkungen ausgehen; die Patienten sollen vor unkalkulierbaren Risiken geschützt werden (vgl BSGE 104, 160 = SozR 4-2500 § 13 Nr 22 RdNr 18 mwN; s auch zB BSGE 97, 112 = SozR 4-2500 § 31 Nr 5, RdNr 18; BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 16 RdNr 33).

17

Wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, sind nicht alle für einen Off-Label-Use bestehenden Regelvoraussetzungen erfüllt. Das LSG hat, ohne dass seine Ausführungen insoweit revisionsgerichtlich zu beanstanden wären (zu den vom Kläger dagegen erhobenen Verfahrensrügen siehe unten D.) , ausgeführt, dass es sich zwar bei fortgeschrittenen Bronchialkarzinomen und Tumoren der Thoraxorgane um schwerwiegende Erkrankungen handelt. Das LSG hat auch die weitere Voraussetzung, dass keine andere zugelassene Therapie zur Verfügung gestanden hat, tendenziell bejaht: Es hat dargelegt, die Ansicht der Beklagten sei unzutreffend, die Patienten könnten auf die Gabe hochkalorischer Kost verwiesen werden; denn dies stelle keine gleichwertige Alternative dar. Damit würde zwar die tumorinduzierte Kachexie behandelt, aber nicht - wie mit Megestat - erreicht, dass der Patient wieder mit Appetit natürliche Nahrung zu sich nehme. Ferner hat das LSG ins Feld geführt, dass die Gabe hochkalorischer Kost nicht selten zu Verdauungsproblemen führe (Diarrhoe). Das LSG hat über das Vorliegen dieser Voraussetzung (Fehlen einer anderen zugelassenen Therapie) allerdings nicht abschließend entschieden, dies vielmehr offengelassen, weil es jedenfalls an der dritten Voraussetzung fehle, nämlich an ausreichenden Belegen für eine begründete Aussicht auf einen Behandlungserfolg: Das LSG hat hierzu ausgeführt, dass diese dritte Voraussetzung nur dann erfüllt wäre, wenn im Behandlungszeitpunkt entweder bereits eine klinische Prüfung mit Phase III-Studien veröffentlicht und ein entsprechender Zulassungsantrag gestellt worden wäre oder wenn sonstwie zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen vorgelegen hätten, aufgrund derer sich in den einschlägigen Fachkreisen ein Konsens über den voraussichtlichen Nutzen der angewendeten Methode gebildet hätte. Das LSG hat die dritte Voraussetzung für einen zulässigen Off-Label-Use in unbedenklicher Weise als nicht erfüllt angesehen.

18

Im Einzelnen hat das LSG - unter anderem unter Bezugnahme auf das Gutachten des MDK vom 17.4.2003, das im Widerspruchsverfahren von der Beklagten eingeholt worden war - Folgendes ausgeführt: Bis 2003 gab es keine Phase III-Studien zum Einsatz von Megestat zur Bekämpfung der Kachexie bei anderen Krebsarten als Brust- und Gebärmutterkrebs. Die Studie, an der auch der Kläger selbst beteiligt war, betraf nur 33 Patienten; zudem wurde darin konzediert, dass noch eine Reihe von Fragen offen geblieben war und noch eine Placebo-kontrollierte Doppelblindstudie erforderlich sei. Andere Studien kamen zwar zum Ergebnis einer Verbesserung der Kachexie, aber vielfach mit der Einschränkung, dass dies nicht mit einer Verbesserung der Lebensqualität einhergehe. Es wurden auch erhebliche Nebenwirkungen beschrieben wie Übelkeit/Erbrechen, Diarrhoe, Sodbrennen, Muskelkrämpfe, Müdigkeit, Kopfschmerzen und, wie das LSG weiterhin hervorgehoben hat, auch Thrombose und Embolie, womit tödliche Komplikationen und Lebensverkürzungen verbunden sein könnten.

19

Das LSG hat weiter rechtsfehlerfrei aufgezeigt, dass sich nichts anderes aus der Zusammenfassung (dem sog abstract) einer Metaanalyse von Berenstein und Ortiz aus dem Jahr 2005 ergibt. Abgesehen davon, dass diese schon nicht ohne Weiteres für den früher gelegenen Verordnungs- und Regresszeitraum (bis 2003) maßgeblich sein kann, ergibt sie, dass auch im Jahr 2005 noch keine ausreichenden Belege für eine begründete Aussicht auf einen Behandlungserfolg mit Megestat bei Bronchialkarzinom vorlagen. Auch sie erfüllten nicht die Voraussetzungen einer Phase III-Studie an einem größeren Patientenkollektiv. Zwar bezogen sie auch andere Studien - und damit insgesamt 4000 Patienten ein -, die aber teilweise andere Erkrankungen als Krebs betrafen; zudem bestätigten sie zwar, dass Megestat den Appetit verbessere und zur Gewichtszunahme führe, ergaben aber nicht den Schluss auf eine Verbesserung der Lebensqualität. Auch die Zusammenfassung (das sog abstract) einer Metaanalyse von Lesniak/Bala/Jaeschke/Krzakowski aus dem Jahr 2008 ergab, wie im Urteil des LSG festgestellt, keine vorteilhaften Auswirkungen der Behandlung mit Megestat auf die gesamte Lebensqualität. Für eine valide Beurteilung wurde eine neue Studie für erforderlich gehalten.

20

Gegen die Eignung und Unbedenklichkeit von Megestat für die Behandlung von Kachexie in Fällen von Bronchialkarzinomen und Karzinomen der Thoraxorgane spricht auch die aktualisierte Fachinformation mit Stand vom Januar 2009: In ihr sind, wie das LSG dargestellt hat, als Indikation nur die palliative Behandlung von Mammakarzinomen und Endometriumkarzinomen (Innenhaut der Gebärmutter) genannt, und die Anwendung von Megestat zur Behandlung anderer neoplastischer Erkrankungen wird ausdrücklich nicht empfohlen.

21

Demnach fehlte es bei den vom Kläger vorgenommenen Verordnungen von Megestat an einer begründeten Aussicht auf einen Behandlungserfolg. Wie dargelegt, erfordert dies ausreichende Belege für die Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit (oben RdNr 16) . Dies haben die im Verfahren eingeholten und die vom Kläger vorgelegten Stellungnahmen nicht ausreichend belegt. Wie das LSG ausgeführt hat, war der Kläger an einer der Studien zu Megestat sogar selbst beteiligt und diese ergab zusammengefasst, dass noch eine Reihe von Fragen offen war, sodass noch weiterer Überprüfungsbedarf gesehen wurde. Mithin war unter eigener Beteiligung des Klägers klargestellt, dass die Überprüfungen noch nicht zu einem abschließenden positiven Ergebnis gelangt waren, die Erprobungsphase vielmehr noch nicht als abgeschlossen betrachtet werden konnte. Dabei ist auch von Bedeutung, dass die zahlreichen Studien keine Abwägung mit eventuell zu befürchtenden Nebenwirkungen im Falle anderer Krebsarten als Brust- und Gebärmutterkrebs enthielten, solche aber im Zusammenhang mit dem Einsatz von Megestat in vielfältiger und schwerwiegender Gestalt diskutiert wurden, bis hin zu lebensgefährdenden Komplikationen wie Thrombose und Embolie (zur Ausrichtung des AMG auf Arzneimittelsicherheit vgl oben RdNr 16) .

22

Demgegenüber greift keine der vom Kläger erhobenen Einwendungen durch. Weder die von ihm gegen die Verfahrensweise des LSG vorgebrachten Rügen (hierzu im Einzelnen s unten D.) noch seine Einwände gegen die vom LSG zugrunde gelegten inhaltlichen Maßstäbe haben Erfolg. Der Senat folgt schon nicht seiner Ansicht, die vom LSG gestellten Anforderungen an die Qualität der wissenschaftlichen Erkenntnisse für einen zulässigen Off-Label-Use seien überzogen. Der Kläger meint, es werde mehr gefordert, als an wissenschaftlichen Erkenntnissen überhaupt möglich und ethisch vertretbar sei. Für Krankheitsfälle der hier vorliegenden Art lasse sich kein Patientenkollektiv finden, das für eine Phase III-Studie ausreichend groß sei, das weiterhin einheitlich vorbehandelt werde und bei dem die Parameter zur Lebensqualität und Toxizität standardisiert erfasst werden könnten. Es müsse ausreichen, dass in den einschlägigen Fachkreisen aufgrund einer Vielzahl der veröffentlichten Erkenntnisse mit positiven Ergebnissen zur Appetitsteigerung und Gewichtszunahme sowie zum Allgemeinbefinden ein Konsens über den Nutzen einer Verabreichung von Megestat bestanden habe, wogegen etwaige Nachteile durch Nebenwirkungen und Risiken nicht ins Gewicht fallen könnten und zu vernachlässigen seien. Abgesehen davon, dass nach den Feststellungen des LSG für den Off-Label-Use von Megestat keine Phase III-Studien vorliegen, konnten auch den anderen - weniger validen - Studien keine ausreichenden Belege für die Eignung und Unbedenklichkeit des Einsatzes von Megestat entnommen werden. Insbesondere ergab die Studie, an der der Kläger selbst teilnahm, dass - wie schon erwähnt - die Erprobungsphase noch nicht als abgeschlossen angesehen werden konnte. Das LSG hat auch keinen Konsens über die Eignung und Unbedenklichkeit der Anwendung von Megestat feststellen können, es hat vielmehr formuliert, dass für das Vorliegen eines Konsenses keine Anhaltspunkte vorlagen. Dieser Feststellung hat der Kläger mit seinem Einwand, schon im Zeitpunkt seiner Medikation habe in den Fachkreisen Konsens über Qualität und Wirksamkeit von Megestat bei Tumor-Kachexie bestanden, lediglich seine gegenteilige Ansicht entgegengesetzt. Den vom LSG getroffenen Tatsachenfeststellungen, die vom Revisionsgericht grundsätzlich als verbindlich zugrunde zu legen sind (§ 163 SGG) , lediglich die Behauptung anderer Tatsachen entgegenzusetzen, reicht revisionsrechtlich nicht aus (vgl BSGE 89, 250, 252 = SozR 3-4100 § 119 Nr 24 S 123 mwN; BSG vom 1.7.2010 - B 11 AL 1/09 R - RdNr 25, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen) .

23

Die "Regel"voraussetzungen eines zulässigen Off-Label-Use bei den vom Kläger vorgenommenen Verordnungen von Megestat sind damit nicht erfüllt. Aber auch die vom BVerfG herausgestellten Anforderungen greifen nicht ein, wie noch unter 3. darzulegen ist.

24

2. Für Dronabinol gilt im Ergebnis nichts anderes. Dronabinol ist allerdings anders als Megestat kein Fertigarzneimittel, für das eine Zulassung nach dem AMG erforderlich ist, sodass dementsprechend auch nicht die Maßstäbe des Off-Label-Use anwendbar sind. Dronabinol ist ein sog Rezepturarzneimittel und als solches nach dem AMG aufgrund der erteilten Herstellungserlaubnis (§ 13 AMG) auch verkehrsfähig, ohne dass eine Überprüfung seiner Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit nach dem AMG stattfinden musste oder stattgefunden hat (vgl §§ 13 bis 15 iVm § 43 Abs 2 Halbsatz 2 iVm § 47 AMG; s dazu BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 30) . Mit der Verkehrsfähigkeit sind Rezepturarzneimittel zugleich auch verordnungsfähig, es sei denn, nach anderen Regelungen ist ein Anerkennungsverfahren erforderlich. Dies ist gemäß § 135 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V der Fall, wenn der Einsatz des Arzneimittels Gegenstand einer neuen Arzneitherapie im Sinne dieser Regelung ist, für die dann entsprechend den Vorgaben dieser Vorschrift eine empfehlende Richtlinie erforderlich ist(zu diesen Zusammenhängen s ausführlich BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 26 ff; - zur Anwendung des § 135 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V auch auf Behandlungen unter Anwendung von Hilfsmitteln: BSG - 3. Senat - vom 12.8.2009, BSGE 104, 95 = SozR 4-2500 § 139 Nr 4, RdNr 17 ff) .

25

Dementsprechend bedurfte es für den Einsatz von Dronabinol grundsätzlich einer anerkennenden Richtlinie gemäß § 135 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V. Denn es handelte sich um eine neue Arzneitherapie. Die Einordnung als Arzneitherapie ergibt sich aus dem Urteil des 1. Senats vom 27.3.2007 (USK 2007- 36 ); auf die dortigen Ausführungen wird verwiesen, in denen der 1. Senat sich mit Behandlungen mit cannabinolhaltigen Arzneimitteln befasst hat und diese als eine auf einem bestimmten theoretisch-wissenschaftlichen Konzept fußende Vorgehensweise der Krankenbehandlung qualifiziert hat (vgl BSG USK aaO S 236 f; zur "Methode" iS des § 135 Abs 1 SGB V vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 31 mwN).

26

Eine unter Einsatz von Dronabinol durchgeführte Arzneitherapie ist auch "neu" iS des § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V. Neu ist eine Behandlungsmethode zunächst dann, wenn sie erst nach Inkrafttreten des § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V - also erst in der Zeit seit dem 1.1.1989 - als kassen- bzw vertragsärztliche Behandlungsmethode praktiziert worden ist. Neu ist auch eine Behandlungsmethode, für die eine entsprechende Leistungsposition im Einheitlichen Bewertungsmaßstab für ärztliche Leistungen (EBM-Ä) zunächst nicht bestand, diese vielmehr erst später - nach dem 1.1.1989 - in das Leistungsverzeichnis des EBM-Ä aufgenommen wurde (vgl BSG vom 22.3.2005, BSGE 94, 221 RdNr 24 = SozR 4-2400 § 89 Nr 3 RdNr 25; BSG vom 26.9.2006, SozR 4-2500 § 27 Nr 10 RdNr 17-19; s auch BSGE 81, 54, 57 f = SozR 3-2500 § 135 Nr 4 S 12 f) . Nach diesen Abgrenzungen ist bei Arzneitherapien - bei Arzneimitteln ist kein Raum für die Schaffung einer Leistungsposition im EBM-Ä - darauf abzustellen, ob sie schon vor dem 1.1.1989 oder erst nach dem 1.1.1989 praktiziert wurden. Wurden sie schon vorher praktiziert, so sind sie nicht neu; dann käme nur eine Überprüfung durch den § 135 Abs 1 Satz 2 SGB V in Betracht, wonach die Verordnungsfähigkeit erst ausgeschlossen wäre, wenn der G-BA die Methode ausdrücklich für unvereinbar mit den Erfordernissen des § 135 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V erklärt hatte(§ 135 Abs 1 Satz 3 SGB V). Im vorliegenden Fall der Verordnung von Dronabinol wird weder vom LSG noch vom Kläger erwogen, es könnte sich um eine schon vor dem 1.1.1989 praktizierte Arzneitherapie handeln; vielmehr haben sowohl das LSG als auch der Kläger ihren Ausführungen zugrunde gelegt, dass es sich um eine neue Behandlungsmethode handelt.

27

Liegt eine neue Behandlungsmethode vor, ohne dass aber eine empfehlende Richtlinie des G-BA ergangen ist, so ist die Anwendung dieser Methode - dh hier eine Therapie unter Einsatz von Dronabinol - grundsätzlich unzulässig, es sei denn, ein Ausnahmetatbestand wäre erfüllt. Als Ausnahmetatbestand kommt vorliegend ein sog Seltenheitsfall, der ausnahmsweise zu einem Einzelimport oder zu einer Einzelanwendung berechtigen würde, nicht in Betracht; denn die Krankheitsbeschwerden, derentwegen der Kläger Dronabinol einsetzte, sind nicht so selten, dass sie sich systematischer Erforschung und Behandlung entzögen (zu diesen Voraussetzungen vgl zB BSG vom 27.3.2007, USK 2007-36 S 237; BSG vom 8.9.2009, BSGE 104, 160 = SozR 4-2500 § 13 Nr 22, RdNr 20) . Auch die besondere Situation, dass als Folge des Fehlens einer durch Richtlinie anerkannten Behandlungsmethode eine Versorgungslücke entsteht und ein Bedarf nach ihrem Einsatz auch ohne empfehlende Richtlinie des GBA besteht, war nicht gegeben. Ein solcher Bedarf würde voraussetzen, dass ausreichende Belege für die Eignung und Unbedenklichkeit der Methode vorliegen (vgl hierzu BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 32 mwN) . Solche lagen indessen für Dronabinol ebenso wenig wie für Megestat vor; hierzu wird auf obige Ausführungen unter 1. (RdNr 17 ff) verwiesen.

28

3. Schließlich lagen auch die Voraussetzungen, unter denen nach der Rechtsprechung des BVerfG der Einsatz eines Arzneimittels unter Außerachtlassung der Begrenzungen durch das AMG und durch § 135 Abs 1 SGB V zulässig sein kann, nicht vor. Allerdings hat das BVerfG in Erkrankungsfällen, die als hoffnungslos erscheinen, aus Art 2 Abs 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip und aus Art 2 Abs 2 Satz 1 GG iVm der daraus abzuleitenden Schutzpflicht entnommen, dass Therapiemethoden, die nach dem AMG oder dem SGB V an sich nicht angewendet werden dürfen, unter bestimmten Voraussetzungen doch zulässig sind. Das BVerfG hat insoweit dem Versicherten einen erweiterten Behandlungsanspruch gemäß §§ 27 ff SGB V eingeräumt, was reziprok bedeutet, dass dann in entsprechender Weise der Arzt zur Gewährung der Behandlung bzw zur Verordnung des Arzneimittels berechtigt und verpflichtet ist.

29

a) Das BVerfG hat - zunächst für nicht anerkannte Behandlungsmethoden - aus Art 2 Abs 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip und aus Art 2 Abs 2 Satz 1 GG iVm der sich daraus ergebenden Schutzpflicht abgeleitet, dass in Fällen, in denen eine lebensbedrohliche oder in der Regel tödlich verlaufende Krankheit vorliegt und eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, der Versicherte nicht von der Gewährung einer von ihm gewählten, ärztlich angewandten Behandlungsmethode ausgeschlossen werden darf, wenn diese eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bietet (BVerfGE 115, 25, 49 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 RdNr 33) . Es muss eine durch nahe Lebensgefahr gekennzeichnete individuelle Notlage gegeben sein (BVerfG vom 30.6.2008, NJW 2008, 3556 RdNr 10; an die verfassungsrechtliche Rechtsprechung anknüpfend BSG vom 4.4.2006, BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4, RdNr 35; BSG vom 14.12.2006, SozR 4-2500 § 31 Nr 8 RdNr 20; BSG vom 27.3.2007, USK 2007-36 S 238; BSG vom 28.2.2008, BSGE 100, 103 = SozR 4-2500 § 31 Nr 9, RdNr 32; BSG vom 16.12.2008, USK 2008-73 S 575) . Das BVerfG hat in einer speziellen Situation - Apheresebehandlung in einem besonderen Fall - ausreichen lassen, dass die Erkrankung voraussichtlich erst in einigen Jahren zum Tod führt (BVerfG vom 6.2.2007 - 1 BvR 3101/06 - RdNr 22, in Juris dokumentiert) .

30

Diese Grundsätze haben das BVerfG und das BSG auf den Bereich der Versorgung mit Arzneimitteln übertragen. Sofern eine im vorgenannten Sinne lebensbedrohliche Erkrankung vorliegt (oder - wie das BSG es formuliert - eine wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung, vgl dazu BSG vom 4.4.2006, BSGE 96, 153 = SozR 4-2500 § 27 Nr 7, RdNr 31 am Ende; BSG vom 14.12.2006, USK 2006-111 S 767/768; BSG vom 27.3.2007, USK 2007-36 S 237 unter 2.; BSG vom 28.2.2008, BSGE 100, 103 = SozR 4-2500 § 31 Nr 9 RdNr 32 am Ende) und eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, erstreckt sich der Versorgungsanspruch des Versicherten über die Beschränkungen der arzneimittelrechtlichen Zulassung hinaus - dh sowohl bei Fehlen jeglicher Arzneimittelzulassung als auch bei Einsatz außerhalb des in der Zulassung ausgewiesenen Anwendungsbereichs - auf die Versorgung mit solchen Arzneimitteln, die eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bieten (s hierzu BVerfG vom 30.6.2008 aaO; ebenso zB BSG vom 4.4.2006, BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4, RdNr 19; BSG vom 28.2.2008, SozR 4-2500 § 13 Nr 16 RdNr 30 mwN) . Dies bedeutet, verglichen mit den "Regel"voraussetzungen für einen Off-Label-Use bzw für eine gemäß § 135 Abs 1 SGB V anerkennungsbedürftige, aber nicht anerkannte Behandlungsmethode, dass - über eine schwerwiegende Erkrankung hinausgehend - eine lebensbedrohliche oder in der Regel tödlich verlaufende Krankheit vorliegen muss: Nur unter dieser Voraussetzung ist das Erfordernis ausreichender Belege für die Eignung und Unbedenklichkeit des Einsatzes des Arzneimittels bzw der Behandlungsmethode dahin abzuschwächen, dass eine nicht ganz fern liegende Aussicht positiver Einwirkung auf den Krankheitsverlauf ausreicht.

31

Hat der erkrankte Versicherte nach diesen rechtlichen Maßstäben Anspruch auf die Versorgung mit einem bestimmten Arzneimittel, so darf nicht wegen der Verordnung dieses Medikaments ein Regress gegen den verordnenden Arzt festgesetzt werden.

32

b) Dabei ist stets der Ausgangspunkt des BVerfG zu beachten, nämlich dass nur insoweit, als eine lebensbedrohliche Erkrankung und deren Heilung in Frage steht, die erweiternde Auslegung der leistungsrechtlichen Vorschriften des SGB V geboten ist. Dementsprechend gilt der Maßstab, dass eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf ausreicht, nur insoweit, als eine Aussicht auf Heilung der Grunderkrankung selbst oder auf positive Einwirkung auf den Verlauf der Grunderkrankung als solcher besteht. Nur in einer solchen Situation ist die dargelegte verfassungskonforme Erweiterung des Leistungsanspruchs des Versicherten gemäß §§ 27 ff SGB V veranlasst und gerechtfertigt. Diese (str)enge Sicht ist nicht etwa, wie gelegentlich geltend gemacht wird, durch die Entscheidung des BVerfG vom 6.2.2007 in Frage gestellt worden (BVerfG - 1 BvR 3101/06 -, in Juris dokumentiert) . Hierin hat das BVerfG lediglich klargestellt, dass bei der Frage, ob eine Behandlung auf eine lebensbedrohliche Erkrankung einwirkt, das sog Gesamtrisikoprofil mitzuberücksichtigen ist in dem Sinne, dass die Einwirkung auf einen Faktor im Gesamtrisikoprofil ausreicht. Damit ist aber nicht in Zweifel gezogen, dass es sich auch in solchen Fällen um die Einwirkung auf die lebensbedrohliche Erkrankung selbst handeln muss.

33

Diesen rechtlichen Ausgangspunkt hat auch das LSG zugrunde gelegt. Dementsprechend hat es das Erfordernis einer auf Indizien gestützten, nicht ganz fern liegenden Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf als nicht erfüllt angesehen, denn die vom Kläger praktizierte Anwendung von Megestat und Dronabinol bei Patienten mit einem fortgeschrittenen Bronchialkarzinom oder einem Karzinom der Thoraxorgane war nicht darauf gerichtet, die lebensbedrohliche Erkrankung als solche zu heilen oder positiv auf ihren Verlauf einzuwirken, sondern der Einsatz von Megestat und Dronabinol zielte "nur" auf die Verbesserung der Lebensqualität in dem Sinne, dass der Erkrankte wieder mit Appetit natürliche Nahrung zu sich nimmt und dadurch der tumorinduzierten Kachexie (Appetitlosigkeit mit der Folge körperlicher Auszehrung) entgegengewirkt wird. Der Kläger wollte mit der Anwendung von Megestat und Dronabinol also nicht auf die lebensbedrohliche Erkrankung als solche einwirken, sondern nur deren weitere Auswirkungen abmildern. Dementsprechend hat das LSG zu Recht für den vorliegenden Fall die Entscheidung des BVerfG vom 6.12.2005 als nicht einschlägig erachtet.

34

Entgegen der Ansicht des Klägers kommt es hier nicht darauf an, ob durch den Einsatz von Megestat und Dronabinol der Appetit von Patienten, die er wegen eines Bronchialkarzinoms oder eines Karzinoms der Thoraxorgane behandelte, wiederhergestellt und ob dadurch eine günstigere Prognose hinsichtlich der diesen noch verbleibenden Lebenszeit erreicht werden konnte. Nach dem Beschluss des BVerfG vom 6.12.2005 (BVerfGE 115, 25, 49 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 RdNr 33) soll dem Patienten - bildlich gesprochen - der Strohhalm der Hoffnung auf Heilung, an den er sich klammert, nicht wegen Fehlens wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit verweigert werden. Hoffnungen in diesem Sinne kann ein Patient aber nur mit Behandlungsmethoden verbinden, die darauf gerichtet sind, auf seine mutmaßlich tödlich verlaufende Grunderkrankung als solche einzuwirken. Für Behandlungsverfahren, die dies nach ihrem eigenen methodischen Ansatz nicht leisten, gelten die reduzierten Wirksamkeitsanforderungen der Rechtsprechung des BVerfG von vornherein nicht. Soweit mit dem in § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V genannten Behandlungsziel "Krankheitsbeschwerden zu lindern" jede Verbesserung der Lebensqualität eines schwerkranken Patienten verbunden wird, ist dieses Ziel nicht von der Ausweitung der Leistungsansprüche der Versicherten gemäß dem Beschluss des BVerfG vom 6.12.2005 erfasst. Allein die Hoffnung einer - unter Umständen ganz geringen - Chance auf Heilung der Krankheit oder auf nachhaltige, nicht nur wenige Tage oder Wochen umfassende, Lebensverlängerung rechtfertigt es, die Voraussetzungen an den Nachweis der Wirksamkeit von Behandlungsmethoden so weit zu reduzieren, wie das in dem Beschluss des BVerfG erfolgt ist.

35

Dem wird die Ansicht des Klägers nicht gerecht, jede Verbesserung des Appetits des Patienten könne dessen subjektive Lebensqualität verbessern und so mittelbar - ungeachtet des dadurch nicht beeinflussten Wachstums des Tumors - eine (geringfügige) Lebensverlängerung bewirken. Nicht jede Verbesserung der Lebensqualität - zumal wenn diese in der Gesamtschau mit den möglichen vielfältigen und schwerwiegenden Nebenwirkungen zweifelhaft erscheint -, sondern nur die Erfüllung der Hoffnung des Patienten auf eine rettende Behandlung in einer aussichtslosen gesundheitlichen Situation indiziert die vom BVerfG beschriebene notstandsähnliche Lage, in der (nahezu) jeder Behandlungsansatz auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung möglich sein soll.

36

Sind demnach die vom BVerfG herausgestellten Voraussetzungen für erweiterte Behandlungsmöglichkeiten ohne die Beschränkungen durch das AMG und durch § 135 Abs 1 SGB V für den Einsatz von Megestat und Dronabinol nicht erfüllt, so kommt es auf die weiteren Voraussetzungen für die Anwendung der Rechtsprechung des BVerfG nicht an. Das BVerfG und das BSG haben in ihren Entscheidungen insbesondere klargestellt, dass in Fällen, in denen die genannte Rechtsprechung des BVerfG einschlägig ist, immer auch die Voraussetzung erfüllt sein muss, dass keine Alternative einer allgemein anerkannten - dh nach dem AMG und SGB V zulässigen -, dem medizinischem Standard entsprechenden Behandlung besteht. Hierauf einzugehen, erübrigt sich, weil es schon an den "Grund"voraussetzungen für eine Anwendung der BVerfG-Rechtsprechung fehlt.

37

C. Bei allem ist schließlich darauf hinzuweisen, dass der Kläger das Risiko eines Regresses, wie er ihm gegenüber festgesetzt worden ist, hätte vermeiden können: Er hätte - worauf der Senat in ständiger Rechtsprechung hinweist -, für den Versicherten ein Privatrezept ausstellen und es diesem überlassen können, sich bei seiner KK um Erstattung der Kosten zu bemühen. Ermöglicht der Vertragsarzt indessen nicht auf diese Weise eine Vorab-Prüfung durch die KK, sondern stellt er ohne vorherige Rückfrage bei dieser eine vertragsärztliche Verordnung aus und löst der Patient diese in der Apotheke ein, so sind damit die Arzneikosten angefallen und die KK kann nur noch im Regressweg geltend machen, ihre Leistungspflicht habe nicht bestanden. Verhindert der Vertragsarzt durch diesen Weg der vertragsärztlichen Verordnung bei einem medizinisch umstrittenen Arzneieinsatz ohne dementsprechende Zulassung eine Vorab-Prüfung durch die KK und übernimmt er damit das Risiko, dass später die Leistungspflicht der KK verneint wird, so kann ein entsprechender Regress nicht beanstandet werden (stRspr, zB BSG vom 31.5.2006, MedR 2007, 557, 560, und - ausführlich - BSG vom 5.5.2010, SozR 4-2500 § 106 Nr 27 RdNr 43 f, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen) .

38

D. Die vom Kläger erhobenen Verfahrensrügen greifen nicht durch.

39

Die Einholung eines Sachverständigengutachtens steht im Ermessen des Gerichts. Eine Pflicht zur Einholung besteht nur dann, wenn sich dem Gericht dessen Einholung aufdrängen muss (stRspr, vgl zB BSG vom 5.5.2010 - B 6 KA 20/09 R -, Juris RdNr 49, und - B 6 KA 24/09 R -, Juris RdNr 20 - jeweils mwN; vgl auch BSG vom 3.2.2010, SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 37) . Das war hier nicht der Fall. Nach der für die Beurteilung der Notwendigkeit (weiterer) Beweiserhebung maßgeblichen Rechtsauffassung des LSG hat dieses kein Gutachten einholen müssen. Das LSG hat als maßgeblich erachtet, dass es im maßgeblichen Zeitraum der Jahre 2001 bis 2003 keinen fachwissenschaftlichen Konsens zum Einsatz von Megestat und Dronabinol auch bei Bronchialkarzinomen und Karzinomen der Thoraxorgane gegeben hat. Die Anregungen des Klägers zur Einholung eines Gutachtens sind darauf gerichtet gewesen, Belege dafür zu gewinnen, dass dieser Einsatz auch Befürworter hatte. Dem hat das LSG nicht ohne Weiteres nachgehen müssen, weil das zur Feststellung eines allgemeinen Konsenses, den das LSG aus Rechtsgründen für erforderlich gehalten hat, nichts Entscheidendes hätte beitragen können.

40

Die Rüge des Klägers, das LSG habe die von ihm im Berufungsverfahren eingereichten Studien nicht ausgewertet, scheitert daran, dass grundsätzlich die Vermutung besteht, dass das Gericht alles Eingereichte zur Kenntnis genommen und in seine Erwägungen einbezogen hat (stRspr des BVerfG und des BSG, vgl zB BSG vom 2.9.2009, SozR 4-2500 § 103 Nr 6 RdNr 20 mit zahlreichen BVerfG- und BSG-Angaben) . Gegenteiliges bedürfte besonderer Anhaltspunkte, die der Kläger nicht aufgezeigt hat und auch nicht ersichtlich sind.

41

Ebenso wenig dringt der Kläger mit seiner Rüge durch, das LSG habe das Vorliegen eines Konsenses in Fachkreisen nicht erkannt. Hierin liegt lediglich die Rüge, das LSG sei von einem falschen Ausgangspunkt ausgegangen. Dem lediglich die abweichende Sicht eines anderen Ausgangspunktes entgegenzusetzen, reicht für eine Verfahrensrüge nicht aus (vgl oben RdNr 22 am Ende) .

42

Schließlich greift auch seine Rüge der Verkennung der Grenzen der freien Beweiswürdigung nicht durch. Er bringt dazu vor, die Feststellungen des LSG, dass die Anwendung von Megestat und Dronabinol ausschließlich auf die Verbesserung der Lebensqualität und nicht auf die Verlängerung der Lebensdauer gerichtet sei, seien weder als Erfahrungssatz noch medizinisch begründbar. Dies ist schon nicht entscheidungserheblich, wie aus obigen Ausführungen zu C. folgt, wonach eine nur geringfügige Lebensverlängerung bei einem Behandlungsansatz, der von vornherein nicht auf eine Beeinflussung des Grundleidens zielt, nicht der vom BVerfG herausgearbeiteten Ausnahme von den Verordnungsvoraussetzungen gemäß dem AMG bzw gemäß § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V entspricht(vgl RdNr 36) . Vor allem ist nicht ersichtlich, dass das LSG insoweit einen Erfahrungssatz hätte aufstellen wollen. Vielmehr setzt auch hier der Kläger nur seine eigene Auffassung derjenigen des LSG entgegen.

43

E. Dem Regress stehen schließlich auch keine Grundrechtspositionen des Klägers entgegen. Insbesondere ist das Grundrecht der Berufsfreiheit gemäß Art 12 Abs 1 GG nicht verletzt. Dieses Grundrecht unterliegt - ebenso wie Art 14 Abs 1 GG - einem Gesetzesvorbehalt, darf also durch Gesetz eingeschränkt werden. Das ist durch die vorliegend einschlägigen Bestimmungen des AMG und der §§ 106, 135 Abs 1 SGB V geschehen. Die Anwendung dieser Regelungen belastet den Kläger nicht unverhältnismäßig (vgl BSG vom 3.2.2010, SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 46 iVm 48) .

44

Dabei kommt es nicht darauf an, ob die zu 1. beigeladene KK bei Nichtverordnung von Megestat und Dronabinol Kosten für andere Behandlungsarten hätte tragen müssen - sog Vorteilsausgleichung - (vgl zB BSG SozR 4-2500 § 39 Nr 3 RdNr 14 mwN; BSGE 101, 252 = SozR 4-2500 § 115b Nr 2 RdNr 21; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 47) .

45

F. Nach alledem ist nicht nur der Hauptantrag des Klägers auf Bescheidaufhebung zurückzuweisen, sondern ebenso der Hilfsantrag: Für die hilfsweise begehrte Zurückverweisung der Sache an das LSG ist kein Raum, denn der gegenüber dem Kläger ausgesprochene Regress hat sich im Revisionsverfahren gemäß vorstehenden Ausführungen abschließend als rechtmäßig erwiesen.

46

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 3 SGG iVm einer entsprechenden Anwendung von § 154 Abs 2 iVm § 162 Abs 3 VwGO. Der Kläger trägt als unterlegener Rechtsmittelführer die Kosten des Revisionsverfahrens (§ 154 Abs 2 VwGO) . Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten von Beigeladenen ist nicht veranlasst, weil diese im Verfahren keine Anträge gestellt haben (vgl BSGE 96, 257 = SozR 4-1300 § 63 Nr 3, RdNr 16) .

Tatbestand

1

Umstritten ist ein Arzneikostenregress wegen der Verordnung des Arzneimittels Polyglobin in den Quartalen II/1999 bis IV/1999.

2

Der in diesen Quartalen als Hausarzt an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Kläger verordnete insgesamt 17-mal "Polyglobin 5 %" für die 1932 geborene Versicherte H. Diese litt an einem metastasierenden Karzinom der Eileiter, das auch die Leber befallen hatte, und ist 2001 verstorben. Die Kosten je Verordnung beliefen sich auf 3209,02 DM. Auf Antrag der Rechtsvorgängerin der zu 2. beigeladenen Krankenkasse vom 1.12.2000 setzte der Prüfungsausschuss auf der Grundlage des § 14 der für den Bezirk der zu 1. beigeladenen Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) geltenden Prüfvereinbarung eine Schadensersatzpflicht des Klägers wegen der Verordnung von "Polyglobin" in Höhe von 51 553 DM fest. Dieser Betrag ergab sich auf der Grundlage der Bruttoverordnungskosten unter Abzug eines fünfprozentigen Apothekenrabatts und der von der Versicherten geleisteten Zuzahlungen. Der beklagte Beschwerdeausschuss wies den Widerspruch des Klägers mit der Begründung zurück, Polyglobin sei nicht im Rahmen der Zulassungsindikationen verordnet worden, und für eine Verordnung außerhalb der zugelassenen Indikationen - der Kläger hatte die Behandlung eines Antikörpermangels bei der Versicherten als Grund für die Verordnungen angeführt - habe keine rechtliche Grundlage bestanden.

3

Das SG hat den Bescheid des Beklagten aufgehoben, soweit die Verordnungen im Quartal II/1999 ausgestellt worden sind, weil die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2. die Antragsfrist versäumt habe. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen, weil für einen zulassungsüberschreitenden Einsatz von Polyglobin die rechtlichen Voraussetzungen, die inzwischen von der Rechtsprechung des BSG geklärt seien, nicht vorgelegen hätten.

4

Dieses Urteil haben der Kläger am 15.4.2005 mit der Berufung und die Beigeladene zu 2. am 28.11.2006 mit der Anschlussberufung angegriffen. Der Kläger hat geltend gemacht, die Verordnung von Polyglobin in den streitbefangenen Quartalen habe den Behandlungserfolg der Chemotherapie absichern sollen und sei damit zur erfolgreichen Behandlung des inoperablen metastasierenden Tubenkarzinoms notwendig gewesen. Nach der Entscheidung des BSG vom 5.7.1995 (Remedacen) habe er darauf vertrauen können, verschreibungspflichtige Medikamente auch außerhalb ihres Zulassungsbereichs verordnen zu dürfen. Der durch dieses höchstrichterliche Urteil ausgelöste Vertrauensschutz sei frühestens durch das Urteil des BSG vom 30.9.1999 (SKAT) eingeschränkt worden. Dieses Urteil habe er bei Ausstellung der hier betroffenen Verordnungen nicht kennen können; insoweit sei ihm zumindest Vertrauensschutz zuzubilligen. Im Übrigen seien die von ihm vorgenommenen Verordnungen auch nach den heute geltenden Maßstäben nicht zu beanstanden, weil die Voraussetzungen für einen indikationsüberschreitenden Einsatz von Polyglobin nach den im Beschluss des BVerfG vom 6.12.2005 formulierten Maßstäben erfüllt seien.

5

Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und auf die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. das Urteil des SG geändert und die Klage auch hinsichtlich der Verordnungen aus dem Quartal II/1999 abgewiesen. Die Anschlussberufung sei zulässig, obwohl diese sich nicht auf den Teil des Streitgegenstandes beziehe, der Gegenstand der Berufung des Klägers sei (Quartale III und IV/1999). Soweit das BSG die Auffassung vertrete, eine Anschlussberufung müsse sich innerhalb des Streitgegenstandes der Hauptberufung bewegen, sei dem nicht zu folgen. Dem Gegner des Berufungsführers müsse es möglich sein, durch Anschließung an die Berufung des Hauptberufungsführers eine Überprüfung des erstinstanzlichen Urteils zu erreichen, auch soweit ein Streitgegenstand betroffen sei, der von der Berufung des Klägers nicht erfasst werde.

6

Die Berufung der beigeladenen Krankenkasse sei aus denselben Gründen begründet wie diejenige des Klägers unbegründet. Der Beklagte sei berechtigt gewesen, auf der Grundlage des § 14 der für Berlin geltenden Prüfvereinbarung Arzneikostenregresse gegen den Kläger wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel festzusetzen. Das setze nach der gefestigten Rechtsprechung des BSG kein Verschulden des Vertragsarztes voraus. Auch ein Antrag der jeweils betroffenen Krankenkasse sei nicht erforderlich gewesen; soweit die Prüfvereinbarung etwas anderes vorschreibe, sei das nach der Rechtsprechung des BSG mit höherrangigem Recht nicht vereinbar und deshalb unwirksam. Aus diesem Grund habe das SG der Klage hinsichtlich des Quartals II/1999 zu Unrecht stattgegeben. Auf Vertrauensschutz könne der Kläger sich nicht berufen. Soweit der 8. Senat des BSG im Jahr 1999 ausgeführt habe, die Versicherten hätten im Anschluss an das Urteil des 1. Senats des BSG vom 15.7.1995 zumindest bis zur Veröffentlichung des Urteils aus dem Jahre 1999 darauf vertrauen dürfen, dass sie mit Arzneimitteln auch außerhalb des durch die Zulassung nach dem Arzneimittelgesetz (AMG) bestimmten Indikationsbereichs versorgt werden dürften, könne dem nicht gefolgt werden. Schließlich führe auch der Beschluss des BVerfG vom 6.12.2005 nicht zu einer anderen Beurteilung, weil die Wirksamkeit von Polyglobin zur Behandlung der nach Auffassung des Klägers bei der Patientin H. vorhandenen Antikörperstörung nicht belegt sei (Urteil vom 26.11.2008).

7

Mit seiner Revision rügt der Kläger in verfahrensrechtlicher Hinsicht die Entscheidung des Berufungsgerichts, die Anschlussrevision der Beigeladenen zu 2. als zulässig anzusehen. Diese Berufung sei nach Ablauf der auch für diese Beigeladene geltenden Berufungsfrist von einem Monat nach Zustellung des sozialgerichtlichen Urteils eingelegt worden. Als unselbstständige Anschlussberufung sei sie nicht zulässig, weil sie sich nicht auf den Gegenstand der von ihm - dem Kläger - eingelegten Hauptberufung beziehe. Nach der Rechtsprechung des BSG dürfe nach Ablauf der für die Beteiligten geltenden Berufungsfrist der Streitgegenstand des Berufungsverfahrens nicht mehr erweitert werden. Seine - des Klägers - Verordnungen in den drei streitbefangenen Quartalen bildeten jeweils unterschiedliche Streitgegenstände, was das SG im Ausgangspunkt zutreffend dadurch zum Ausdruck gebracht habe, dass es den Regressbescheid hinsichtlich des Quartals II/1999 aufgehoben und hinsichtlich der in den beiden folgenden Quartalen ausgestellten Verordnungen für rechtmäßig gehalten habe. Deshalb sei der angefochtene Regressbescheid hinsichtlich der Verordnungen aus dem Quartal II/1999 dem Berufungsgericht mit seiner - des Klägers - (Haupt)Berufung nicht angefallen und habe durch die zu 2. beigeladene Krankenkasse nach Ablauf der Berufungsfrist nicht mehr in das Berufungsverfahren einbezogen werden können.

8

Im Übrigen sei das Urteil des LSG fehlerhaft, soweit es die Regresse für rechtmäßig gehalten habe. Der vom Berufungsgericht herangezogene § 14 Abs 1 der Prüfvereinbarung sei schon generell keine tragfähige Grundlage für einen Regress wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel. Die Prüfvereinbarung regele lediglich Verstöße gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot sowie Regresse wegen schuldhafter Verursachung eines "sonstigen Schadens". Der in der Rechtsprechung des BSG zugelassene Regress wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Mittel hätte in der Prüfvereinbarung zwar geregelt werden können, sei dort tatsächlich aber nicht geregelt worden.

9

Weiterhin sei der angefochtene Bescheid fehlerhaft, weil im Prüfungsausschuss wie im Beschwerdeausschuss jeweils unter Vorsitz eines Vertreters der Krankenkassen entschieden worden sei. Die Krankenkassenvertreter hätten eine Vertagung der Entscheidung des Beklagten in einer Sitzung unter Vorsitz eines Vertreters der Ärzte herbeigeführt, um so zu erreichen, dass über die Widersprüche des Klägers gegen die Entscheidung des Prüfungsausschusses, die unter Vorsitz eines Vertreters der Krankenkassen getroffen worden sei, erneut unter Vorsitz eines Vertreters der Krankenkassen entschieden werde. Das sei unzulässig. Die Vorschriften über den wechselnden Vorsitz im Prüfungs- und Beschwerdeausschuss nach § 106 SGB V aF könnten nur so verstanden werden, dass jedenfalls über Entscheidungen des Prüfungsausschusses, bei denen ein Vertreter der Krankenkassen den Vorsitz gehabt habe, in der Besetzung des Beschwerdeausschusses mit einem Vorsitzenden aus den Reihen der Vertragsärzte entschieden werden müsse.

10

Die Verordnung von Polyglobin sei zur Behandlung der bei der Versicherten H. vorhandenen lebensbedrohlichen Karzinomerkrankung notwendig gewesen. Zwar sei der Einsatz von Polyglobin nicht unmittelbar zur Heilung der Tumorerkrankung bzw zur Linderung der damit verbundenen Beschwerden erfolgt, doch habe die Versicherte unter einer Antikörperstörung gelitten, die eine Chemotherapie unmöglich gemacht habe, die ihrerseits zur Behandlung des Tumorgrundleidens erforderlich gewesen sei. Der Einsatz von Polyglobin habe die Voraussetzungen für eine Fortsetzung der Chemotherapie schaffen sollen, und seine Rechtmäßigkeit müsse deshalb aus medizinischen Gründen nach denselben Maßstäben beurteilt werden wie die Verordnung von Arzneimitteln zur kausalen Krebstherapie. Jedenfalls habe er - der Kläger - darauf vertrauen dürfen, dass im Hinblick auf die Rechtsprechung des BSG auch der die Indikationsgrenzen überschreitende Einsatz generell zugelassener Arzneimittel (Off-Label-Use) im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung möglich gewesen sei. Das habe der 1. Senat des BSG im Juli 1995 zum Einsatz des Codeinpräparates Remedacen zur Drogensubstitution entschieden, und der 8. Senat des BSG, der mit dieser Rechtsprechung nicht einverstanden gewesen sei, habe im Jahr 1999 für die Zeit bis zur Verkündung seiner Entscheidung den Versicherten Vertrauensschutz zugebilligt. Auf diesen Vertrauensschutz könne er - der Kläger - sich hier auch berufen. Soweit der 6. Senat des BSG im Mai 2006 entschieden habe, Vertrauensschutzaspekte spielten insoweit keine Rolle, weil Vertragsärzte, die Arzneimittel außerhalb der Zulassungsindikationen einsetzen wollten, gehalten seien, ein Privatrezept auszustellen und die Versicherten bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche gegen die Krankenkasse zu unterstützen, sei das auf die hier maßgebliche Rechtslage des Jahres 1999 nicht übertragbar. Zu diesem Zeitpunkt sei nach § 29 Abs 1 Satz 2 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) die Genehmigung von Verordnungen durch eine Krankenkasse unzulässig gewesen. In Verbindung mit der Rechtsprechung des 1. Senats des BSG zu Remedacen habe sich daraus die Berechtigung von Vertragsärzten ergeben, den Off-Label-Use-Einsatz im regulären Verfahren durch Ausstellen von vertragsärztlichen Verordnungen zu praktizieren. Soweit das LSG bemängelt habe, das bei der Versicherten H. vorliegende Antikörpermangelsyndrom, das letztlich den Einsatz von Polyglobin erforderlich gemacht habe, sei nicht ausreichend belegt, könne dem nicht gefolgt werden. Entgegen der Auffassung des LSG seien laborchemische Untersuchungen zum Nachweis dieses Antikörpermangelsyndroms verzichtbar.

11

Der Kläger beantragt,

die Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 26.11.2008 und des Sozialgerichts Berlin vom 9.2.2005, soweit hier die Klage abgewiesen wurde, sowie den Bescheid des Beklagten vom 12.12.2001 aufzuheben,

hilfsweise, die Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 26.11.2008 und des Sozialgerichts Berlin vom 9.2.2005 sowie den Bescheid des Beklagten vom 12.12.2001 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, über den Widerspruch des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu entscheiden,

weiter hilfsweise, das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 26.11.2008 aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

12

Der Beklagte und die Beigeladene zu 2. beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

13

Zutreffend habe das Berufungsgericht entschieden, dass die Partner der Prüfvereinbarungen nicht einmal berechtigt gewesen wären, Arzneikostenregresse wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel vom Verschulden des Vertragsarztes abhängig zu machen. Entgegen der Auffassung des Klägers habe die maßgebliche Prüfvereinbarung aus dem Jahre 1994 nicht vorgeschrieben, dass eine unter dem Vorsitz eines Kassenvertreters getroffene Entscheidung vom Beschwerdeausschuss nur unter dem Vorsitz eines Vertreters der Ärzte überprüft werden dürfe. Eine solche Regelung wäre auch nicht praktikabel gewesen und hätte die Dauer der Prüfverfahren erheblich verlängert. Die Ausführungen des Klägers hinsichtlich seines Vertrauens auf bestimmte Entscheidungen des BSG seien irrelevant. Es sei lebensfremd, dass ein Vertragsarzt die einzelnen Entwicklungsschritte der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Kenntnis nehme und sein Verordnungsverhalten daran ausrichte. Eine Ausnahmelage im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG vom 6.12.2005 habe in den streitbefangenen Quartalen bei der Versicherten H. nicht bestanden.

14

Die zu 2. beigeladene Krankenkasse hält das Urteil des LSG ebenfalls für zutreffend. Zu Recht habe das LSG ihre Anschlussberufung als zulässig angesehen. Folge man der Auffassung des Klägers, gebe es für die Anschlussberufung im sozialgerichtlichen Verfahren überhaupt keinen Anwendungsbereich, weil die Hauptberufung regelmäßig nur insoweit erhoben werde, als der Rechtsmittelführer durch das sozialgerichtliche Urteil beschwert sei. Für eine Anschlussberufung sei dann kein Raum, weil im Rahmen der Beschwer des Klägers der Anschlussberufungsführer selbst mit dem angefochtenen Urteil einverstanden sei. Ein Grund für eine derart restriktive Handhabung entgegen der Rechtsprechung in den anderen Gerichtszweigen sei nicht erkennbar.

Entscheidungsgründe

15

Die Revision des Klägers hat teilweise Erfolg. Zu Recht rügt er, dass das Berufungsgericht über den angefochtenen Bescheid des Beklagten hinsichtlich der Verordnungen aus dem Quartal II/1999 in der Sache entschieden habe. Insoweit ist die zugunsten des Klägers ergangene Entscheidung des SG rechtskräftig geworden, weil die Beigeladene zu 2. innerhalb der Berufungsfrist keine Berufung eingelegt hat. Ihre Anschlussberufung war unzulässig (1). Keinen Erfolg hat die Revision dagegen hinsichtlich der Verordnungen in den Quartalen III und IV/1999. Insoweit hat das LSG die Berufung des Klägers gegen das sozialgerichtliche Urteil zu Recht zurückgewiesen. Der angefochtene Bescheid des Beklagten ist rechtmäßig (2).

16

1. Die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. vom 28.11.2006 war unzulässig. Das Berufungsgericht hätte auf diese Anschlussberufung hin nicht in eine Sachprüfung des angefochtenen Bescheides im Hinblick auf die Verordnungen des Klägers aus dem Quartal II/1999 eintreten dürfen. Insoweit war das der Klage stattgebende Urteil des SG nämlich bereits rechtskräftig geworden.

17

a. Die Berufung der beigeladenen Krankenkasse hätte nur als Anschlussberufung iS des § 202 SGG iVm § 524 ZPO zulässig sein können. Eine eigenständige Berufung wäre wegen Versäumung der Berufungsfrist des § 151 Abs 1 SGG unzulässig. Das Urteil des SG ist der Beigeladenen zu 2. am 16.3.2005 zugestellt worden; die Monatsfrist des § 151 Abs 1 SGG ist durch die Einlegung der Berufung am 28.11.2006 nicht gewahrt worden.

18

Die Berufungsfrist des § 151 Abs 1 SGG gilt nicht für die Anschlussberufung, die nach der Rechtsprechung des BSG auch in der Sozialgerichtsbarkeit statthaft ist(BSGE 63, 167, 169 = SozR 1500 § 54 Nr 85; Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer (Hrsg), SGG 9. Aufl 2008, § 143 RdNr 5). Die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. war hier aber unzulässig, weil sie nicht den gleichen prozessualen Anspruch wie die Hauptberufung des Klägers betroffen, sondern einen neuen Streitgegenstand in das Berufungsverfahren eingeführt hat. Das ist nach der Rechtsprechung aller mit dieser Rechtsfrage bisher befassten Senate des BSG ausgeschlossen (zB Urteil des 9. Senats vom 8.7.1969 = SozR Nr 12 zu § 521 ZPO; 6. Senat vom 19.6.1996 - 6 RKa 24/95 - = USK 96131) Diese Entscheidungen sind zu Ansprüchen ergangen, die Gegenstand des Klageverfahrens, aber nicht der Hauptberufung waren. Das Urteil des 4. Senats vom 10.2.2005 - B 4 RA 48/04 R - betrifft einen mit der Anschlussberufung geltend gemachten Anspruch, der nicht einmal Gegenstand des Klageverfahrens gewesen ist. Die Rechtsauffassung des BSG zur Begrenzung der Anschlussberufung auf den Streitgegenstand der Hauptberufung wird in den Kommentaren zum SGG - soweit ersichtlich ohne Ausnahme - geteilt (Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 143 RdNr 5d; Eckertz in: Lüdtke, Handkommentar Sozialgerichtsgesetz, 3. Aufl 2009, § 143 RdNr 37; Behn in: Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, 87. Ergänzungslieferung, Stand: Mai 2009 - Gesamtwerk, § 143 RdNr 68 f; Frehse in: Jansen, SGG, 3. Aufl 2009, § 143 RdNr 7; Waschull in: Berchtold/Richter, Prozesse in Sozialsachen, 2009, § 6 RdNr 130). Nach Bernsdorff (in: Hennig, SGG, Stand Februar 2009 - Gesamtwerk - § 143 RdNr 27) liegt keine Anschlussberufung vor, wenn sich der Antrag des Berufungsbeklagten bei teilbarem Streitgegenstand gegen einen anderen als den mit der Berufung angegriffenen Teil des erstinstanzlichen Urteils richtet (ähnlich Breitkreuz in: Breitkreuz/Fichte, SGG, 2009, § 143 RdNr 24).

19

b. Bei Anwendung dieser Rechtsauffassung ist die Anschlussberufung unzulässig, wie das LSG zutreffend angenommen hat. Die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. betrifft einen anderen Streitgegenstand als die Hauptberufung, weil diese die Verordnungen des Klägers aus den Quartalen III/1999 und IV/1999, jene aber solche aus dem Quartal II/1999 erfasst. Vertragsärztliche Honorarbescheide sowie Bescheide der Gremien der Wirtschaftlichkeitsprüfung ergehen quartalsbezogen und enthalten, wenn Entscheidungen mehrere Quartale betreffen (vgl zB BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 30/08 R - RdNr 24 mwN, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen), verschiedene Regelungen iS des § 31 Satz 1 SGB X. Selbst innerhalb eines Bescheides für ein Quartal können zahlreiche eigenständige "Regelungen" ergehen, die selbstständig anfechtbar sind. Das hat der Senat in einem Urteil vom 23.2.2005 (SozR 4-1500 § 92 Nr 2) für einen Honorarbescheid näher dargelegt; in dem schon zitierten Urteil vom 19.6.1996 (6 RKa 24/95) hat der Senat das in Bezug auf einen Bescheid zur Wirtschaftlichkeitsprüfung hinsichtlich von Kürzungen für bestimmte Leistungen bzw Leistungssparten als selbstverständlich vorausgesetzt und im Urteil vom 16.7.2008 ausdrücklich ausgesprochen (BSGE 101, 130 = SozR 4-2500 § 106 Nr 19, RdNr 25 am Ende).

20

Diese Rechtsprechung kann allerdings nicht ohne Weiteres auf Kostenregresse wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel übertragen werden. Derartige Regressbescheide können quartalsbezogen ergehen, etwa wenn ein Arzt über einen längeren Zeitraum hinweg bestimmte Medikamente für zahlreiche Patienten verordnet. Zwingend ist die Bindung eines Kostenregresses ebenso wie eines Regresses wegen eines sog "sonstigen Schadens" an den Quartalsturnus indessen nicht und bietet sich gerade in Konstellationen nicht an, in denen es um die Behandlung eines Versicherten mit einem umstrittenen Medikament über mehrere Quartale geht. Ein solcher Fall ist hier zu beurteilen, und sowohl der Regressantrag der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2. wie die Entscheidungen des Prüfungsausschusses und des Beklagten haben nicht nach den drei betroffenen Quartalen differenziert und mussten das auch nicht.

21

Ursprünglich bildete deshalb der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Aufhebung der - Verordnungen aus drei Quartalen erfassenden - Entscheidung des Beklagten vom 12.12.2001 den Streitgegenstand des gerichtlichen Verfahrens. Das SG hat diesen einheitlichen Streitgegenstand jedoch getrennt und die Regressfestsetzung je nach Zuordnung der beanstandeten Verordnungen des Klägers zu den Quartalen II/1999 einerseits sowie III und IV 1999 andererseits unterschiedlich beurteilt. Anlass dazu hat dem SG die (mittelbar) quartalsbezogene Regelung über die Antragsfrist der Krankenkasse in § 14 Abs 2 der maßgeblichen Prüfvereinbarung gegeben. Weil offenbar die Krankenkassen die Verordnungen aus jedem Quartal zusammengefasst zu einem bestimmten Termin erhalten, der wiederum für den Beginn der Antragsfrist nach § 14 Abs 2 von Bedeutung ist, konnte nach Ansicht des SG die Prüfung der Einhaltung dieser Frist nur differenziert für jedes Quartal erfolgen. Das Urteil des SG hat inzident die angefochtene Entscheidung des Beklagten in zumindest zwei Regelungen iS des § 31 Satz 1 SGB X aufgespalten, nämlich hinsichtlich der aus dem Quartal II/1999 und hinsichtlich der aus den Quartalen III/1999 sowie IV/1999 stammenden Verordnungen des Klägers. Bundesrecht ist dadurch nicht verletzt, und das SG hat durch den Tenor seines Urteils die Beteiligten über das gerichtliche Vorgehen hinreichend deutlich informiert.

22

Damit bestand bei Zustellung des SG-Urteils eine Rechtslage, wie sie derjenigen bei Honorarfestsetzungen oder Kürzungs- bzw Regressbescheiden entspricht, die von vornherein mehrere Quartale erfassen. Für jedes dieser Quartale ist (mindestens) eine Regelung angefochten, deren prozessuales Schicksal von demjenigen für die anderen Quartale abweichen kann; die Regelung für jedes Quartal bildet einen eigenständigen Streitgegenstand. Als Folge der Hauptberufung des Klägers war der angefochtene Bescheid des Beklagten Gegenstand des Berufungsverfahrens nur hinsichtlich der aus den Quartalen III/1999 und IV/1999 stammenden Verordnungen; das ist dem Antrag des Klägers im LSG-Verfahren deutlich zu entnehmen. Die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. hat mit der Entscheidung des Beklagten über die aus dem Quartal II/1999 stammenden Verordnungen einen neuen Streitgegenstand in das Berufungsverfahren eingeführt. Das ist nach der bisherigen Rechtsprechung des BSG nicht zulässig. Ein Anlass, von dieser Rechtsprechung abzuweichen, ist nicht ersichtlich.

23

c. Kein durchgreifendes Bedenken ergibt sich aus dem Hinweis der Beigeladenen zu 2., auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des BSG bleibe für die Anschlussberufung nur ein sehr begrenzter Anwendungsbereich. Wenn die Anschlussberufung nur innerhalb des prozessualen Anspruchs erhoben werden kann, der Gegenstand der Hauptberufung ist, kommt im vertragsärztlichen Bereich bei Honorarkürzungen bzw Arzneikostenregressen eine Anschlussberufung typischerweise nur dann in Betracht, wenn das SG auf die Klage die zuständige Behörde zur Neubescheidung nach bestimmten Maßgaben verurteilt und der Kläger mit seiner Berufung die endgültige Aufhebung der ihn belastenden Bescheide begehrt. Dieser Berufung können sich dann die KÄV, der Beschwerdeausschuss oder die beigeladenen Krankenkassen (bzw Krankenkassenverbände) mit dem Antrag anschließen, die Klage in vollem Umfang abzuweisen, auch nachdem die für sie laufende Berufungsfrist abgelaufen ist. Alle übrigen Regelungen der ursprünglich angefochtenen Entscheidung, über die das SG entschieden hat, ohne dass ein Beteiligter das mit der Berufung angefochten hat, die also etwa andere Leistungspositionen oder andere Quartale betreffen, werden dagegen bestandskräftig. Das ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts im vertragsärztlichen Bereich richtig und praktikabel.

24

Auf der Grundlage der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts bliebe dagegen möglicherweise während der gesamten Dauer eines Berufungsverfahrens offen, ob Regelungen in Kürzungs- oder Regressbescheiden, die nicht Gegenstand der Hauptberufung sind, bestandskräftig werden oder nicht. Soweit etwa in einer Entscheidung des Beschwerdeausschusses Honorarkürzungen oder Arzneikostenregresse für eine größere Zahl von Quartalen auf der Grundlage einer Vielzahl von Entscheidungen des Prüfungsausschusses (oder der Prüfungsstelle iS des § 106 Abs 4 Satz 1 SGB V idF des GKV-WSG vom 26.3.2007) zusammengefasst worden sind, bleibt deren Bestandskraft über Jahre hinweg offen, auch wenn nur eine Detailregelung hinsichtlich eines einzelnen Quartals Gegenstand des Berufungsverfahrens ist. Das ist sowohl für den beteiligten Vertragsarzt wie für die KÄV und die Krankenkassen als Kostenträger schwierig zu handhaben, weil ggf Rückstellungen gebildet werden müssten und Beträge nicht verbucht werden könnten.

25

Ein tatsächliches Bedürfnis, diese Rechtsfolgen in Kauf zu nehmen, um den Beteiligten bis zum Abschluss der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz die Möglichkeit der Anschlussberufung auch außerhalb des prozessualen Anspruchs, der Gegenstand der Hauptberufung ist, offen zu halten, vermag der Senat nicht zu erkennen. Ob Honorarkürzungs- oder Regressbescheide, die verschiedene Regelungen iS des § 31 Satz 1 SGB X zum Inhalt haben und häufig mehrere Quartale betreffen, einzeln angegriffen oder durch die Widerspruchsstelle zusammengefasst bzw im gerichtlichen Verfahren auf der Grundlage des § 113 Abs 1 SGG verbunden werden, ist eine Frage der Praktikabilität. Jeder Verfahrensbeteiligte hat nach Bekanntgabe des das Verwaltungsverfahren abschließenden Bescheides oder des erstinstanzlichen Urteils eine Frist von einem Monat, innerhalb der er prüfen und entscheiden kann, ob und ggf inwieweit er die Entscheidung der Behörde bzw des erstinstanzlichen Gerichts hinnehmen will oder nicht. Ein berechtigtes Interesse, Monate oder sogar Jahre nach Einlegung der Berufung des Gegners noch Regelungen der gerichtlichen Überprüfung des LSG zuführen zu können, zu denen die Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts zunächst hingenommen worden ist, besteht nicht.

26

d. Zudem kann die prozessuale Sicht des Berufungsgerichts die Entscheidungsreife der Berufung in Frage stellen, jedenfalls soweit keine Frist für die Anschlussberufung normiert ist. Während nach § 127 Abs 2 Satz 2 VwGO die Anschließung nur bis zum Ablauf eines Monats nach Zustellung der Berufungsbegründungsschrift zugelassen wird, besteht keine ebensolche Bestimmung im SGG. Die VwGO-Vorschrift soll nach vorherrschender Auffassung auf das sozialgerichtliche Verfahren nicht übertragen werden können, weil dafür eine rechtliche Grundlage fehlt. Vergleichbares wird hinsichtlich der ähnlichen Frist des § 524 Abs 2 Satz 2 ZPO angenommen, die immerhin über § 202 SGG grundsätzlich im sozialgerichtlichen Verfahren angewandt werden könnte(vgl Leitherer, aaO, § 143 RdNr 5 f). Nach dieser Vorschrift ist die Anschlussberufung zulässig bis zum Ablauf der dem Berufungsbeklagten gesetzten Frist zur Berufungserwiderung. Eine dem § 521 Abs 1 ZPO entsprechende Vorschrift über die Zustellung der Berufungsschrift und der Berufungsbegründungsschrift an den Gegner kennt das SGG nicht. Die entsprechende Anwendung des § 524 Abs 2 Satz 2 ZPO über § 202 SGG setzt aber die Zustellung mindestens der Berufungsbegründung an den Gegner voraus, damit Klarheit über den Beginn der Frist für die Einlegung der Anschlussberufung besteht. Die Anwendung von Ausschlussfristen im sozialgerichtlichen Verfahren ohne explizite normative Grundlage ist unter dem Gesichtspunkt der Garantie des effektiven Rechtsschutzes (Art 19 Abs 4 Satz 1, Art 103 Abs 1 GG) problematisch, sodass ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung, die auch in der Anordnung einer entsprechenden Geltung des § 127 Abs 2 Satz 2 VwGO im SGG bestehen könnte, die Ausschlussfrist für die Anschlussberufung wohl nicht entsprechend angewandt werden kann. Das dürfte auch deshalb anzunehmen sein, weil im Berufungsverfahren der Sozialgerichtsbarkeit im Unterschied zu demjenigen in der Verwaltungs- und in der Zivilgerichtsbarkeit kein Vertretungszwang herrscht, und die Vorschriften über die Zustellung von Berufungs- und Berufungsbegründungsschriften sowie daran anknüpfende Fristen auf einen durch professionelle Bevollmächtigte geführten Prozess zugeschnitten sind.

27

Würde - was das LSG nicht erwogen hat - auf der Grundlage einer analogen Anwendung des § 127 Abs 2 Satz 2 VwGO im sozialgerichtlichen Verfahren auf den Nachweis der Zustellung der Berufungsbegründungsschrift verzichtet und der Nachweis ihrer tatsächlichen Kenntnis für ausreichend gehalten, wäre die Anschlussberufung der zu 2. beigeladenen Krankenkasse hier ebenfalls unzulässig. Diese hat, wie sich aus ihrer Reaktion im Berufungsverfahren vom 4.4.2006 ergibt, Monate vor Einlegung der Anschlussberufung am 28.11.2006 Kenntnis von der Berufungsbegründung des Klägers gehabt. Die entsprechende Anwendung der Monatsfrist des § 127 Abs 2 Satz 2 VwGO würde dann ebenfalls zur Unzulässigkeit ihrer Berufung führen. Demgegenüber hätte die vom Berufungsgericht offenbar befürwortete unbefristete Zulassung der Anschlussberufung bis zur mündlichen Verhandlung zur Folge, dass das LSG trotz Entscheidungsreife der Hauptberufung den Rechtsstreit vertagen müsste, wenn zum Gegenstand der Anschlussberufung noch Sachaufklärungsbedarf besteht. Das könnte zu Verzögerungen der Entscheidung führen, die auch im Hinblick auf das Gebot der Gewährung von Rechtsschutz in angemessener Zeit (Art 6 Europäische Menschenrechtskonvention) möglichst zu vermeiden sind.

28

Diese Erwägungen geben dem Senat Anlass, trotz der gewichtigen Einwände des Berufungsgerichts an der bisherigen Rechtsprechung des BSG zur Anschlussberufung festzuhalten und von einer andernfalls gebotenen Anrufung des Großen Senats nach § 41 Abs 2 SGG im Hinblick auf die Rechtsprechung anderer Senate zum Gegenstand der Anschlussberufung im sozialgerichtlichen Verfahren abzusehen.

29

2. Im Übrigen erweist sich die Revision des Klägers aber als unbegründet.

30

a. Das Berufungsgericht hat angenommen, § 14 Abs 1 iVm Abs 3 der seit dem Jahre 1994 geltenden und für die Verordnungen des Klägers im Jahre 1999 noch anwendbaren Prüfvereinbarung für den Bezirk der zu 1. beigeladenen KÄV Berlin gestatte die Festsetzung von Arzneikostenregressen, soweit der Vertragsarzt Arzneimittel verordnet hat, die in der vertragsärztlichen Versorgung nicht verordnungsfähig sind. Die Kenntnis des Vertragsarztes von der fehlenden Verordnungsfähigkeit oder generell ein Verschulden des Arztes sei insoweit nicht Voraussetzung für die Festsetzung eines Regresses. Soweit der Kläger § 14 der Prüfvereinbarung anders versteht und annimmt, diese Norm erfasse nur Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung bzw die Festsetzung eines verschuldensabhängigen "sonstigen Schadens" und nicht die Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel, ist dem im Revisionsverfahren nicht weiter nachzugehen. Die Prüfvereinbarung stellt Landesrecht iS des § 162 SGG dar, das das Revisionsgericht in der Auslegung des Berufungsgerichts seiner Entscheidung zugrunde zu legen hat. Von diesem Grundsatz sind in der Rechtsprechung des BSG zwei Ausnahmen anerkannt. Danach können landesrechtliche Normen vom Revisionsgericht eigenständig ausgelegt und angewandt werden, wenn es sich um Normen handelt, die inhaltsgleich in Bezirken verschiedener LSG gelten, soweit die Übereinstimmung im Interesse der Rechtsvereinheitlichung bewusst und gewollt ist (BSG vom 8.9.2009 - B 1 KR 8/09 R - RdNr 26, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt. Es ist weder geltend gemacht noch gerichtsbekannt, dass die Berliner Prüfvereinbarung aus dem Jahr 1994 inhaltsgleich in anderen KÄV-Bezirken gilt.

31

Landesrechtliche Normen sind weiterhin einer eigenständigen Auslegung und Anwendung des BSG zugänglich, wenn das LSG entscheidungserhebliche Vorschriften unberücksichtigt gelassen hat (BSGE 98, 89 = SozR 4-2500 § 85 Nr 31, jeweils RdNr 15). Hier hat jedoch das LSG die als Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides ersichtlich einschlägige Vorschrift des § 14 der Prüfvereinbarung zutreffend herangezogen und unter Anwendung der allgemein anerkannten juristischen Auslegungskriterien ausgelegt. Der Kläger rügt auch keinen Verstoß gegen diese Auslegungsgrundsätze oder die Denkgesetze, sondern setzt der Auslegung des Berufungsgerichts seine abweichende Auslegung entgegen. Das führt nicht dazu, dass entgegen der Vorgabe des § 162 SGG das Revisionsgericht zu einer eigenständigen Auslegung berufen wäre.

32

Soweit § 14 der Prüfvereinbarung in der Auslegung des LSG eine hinreichende Grundlage für die Festsetzung von Arzneikostenregressen wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel darstellt, steht die Vorschrift mit Bundesrecht in Einklang. Der Senat hat mehrfach entschieden, dass auf der Grundlage des § 106 Abs 2 SGB V in den Prüfvereinbarungen Rechtsgrundlagen für Arzneikostenregresse festgeschrieben werden dürfen, soweit Vertragsärzte Arznei- und Heilmittel verordnet haben, die nicht Gegenstand der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung sind(zB BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 52; vgl zuletzt BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 37/08 R - RdNr 17 ff mwN, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Das stellt der Kläger selbst nicht in Abrede.

33

b. Soweit der Kläger in formeller Hinsicht weiter rügt, der angefochtene Bescheid des Beklagten sei fehlerhaft, weil er in einer Sitzung gefasst worden sei, in der ein Vertreter der Krankenkassen den Vorsitz innegehabt habe, kann dem nicht gefolgt werden. Weder die Prüfvereinbarung im Bezirk der zu 1. beigeladenen KÄV noch Bundesrecht haben vorgeschrieben, dass in den Jahren, in denen Prüfungs- und Beschwerdeausschüsse alternierend von einem Vertreter der Krankenkassen und der Vertragsärzte geleitet worden sind, Entscheidungen des Prüfungsausschusses, die unter ärztlichem Vorsitz getroffen worden sind, vom Beschwerdeausschuss nur unter Vorsitz eines Vertreters der Krankenkassen und umgekehrt überprüft werden dürfen.

34

Nach § 106 Abs 4 Satz 3 SGB V idF des Gesundheitsstrukturgesetzes vom 21.12.1992 führte in den von Vertretern der Ärzte und der Krankenkassen in gleicher Zahl besetzten Prüfungs- und Beschwerdeausschüssen jährlich wechselnd ein Vertreter der Ärzte und der Krankenkassen den Vorsitz. Die Stimme des Vorsitzenden gab bei Stimmengleichheit den Ausschlag (aaO, Satz 4). Diese als defizitär bewertete Regelung war manipulationsanfällig (vgl näher BSGE 92, 283 = SozR 4-2500 § 106 Nr 5 auch zur Neuregelung im Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung)und ist deshalb zum 1.1.2004 ohne Übergangsregelung in der Weise geändert worden, dass die Gremien nunmehr von einem neutralen Vorsitzenden geleitet werden. Für die Zeit bis zum 31.12.2003 galten aber die früheren Regelungen über den im Jahresturnus wechselnden Vorsitz fort, und diesen lag die Auffassung der Revision von einem notwendigen Wechsel im Vorsitz zwischen den beiden Verwaltungsinstanzen nicht zugrunde.

35

Der Kläger verweist selbst auf früher geltende Prüfvereinbarungen im Bezirk der KÄV Bayerns und der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Berlin, in denen bestimmt war, den Vorsitz im Beschwerdeausschuss führe ein Vertreter der Ärzte (Zahnärzte), wenn in dem zu entscheidenden Fall ein Vertreter der Krankenkassen den Vorsitz im Prüfungsausschuss inne hatte und umgekehrt. Dass eine solche Regelung im Bezirk der Beigeladenen zu 1. gegolten habe, macht der Kläger nicht geltend. Seine Auffassung, auch ohne ausdrückliche Regelung in der maßgeblichen Prüfvereinbarung ergebe sich dieser Grundsatz unmittelbar als Folge des § 106 Abs 4 Satz 3 SGB V aF über den turnusmäßigen Wechsel im Vorsitz von Prüfungs- und Beschwerdeausschuss, trifft nicht zu. Die Annahme einer solchen bundesrechtlichen Vorgabe hätte das Prüfverfahren verkompliziert und wäre ohne nähere Regelungen in den Prüfvereinbarungen kaum umsetzbar gewesen. Die Beschwerdeausschüsse hätten Beschlüsse über Entscheidungen der Prüfungsausschüsse möglicherweise zurückstellen müssen, weil im jeweiligen Jahr die "richtige" Besetzung nicht verfügbar gewesen wäre; alternativ hätte immer ein Vorsitzender der "Bank", die im jeweiligen Jahr im Beschwerdeausschuss nicht den Vorsitzenden stellt, zur Verfügung stehen müssen, um über Entscheidungen des Prüfungsausschusses zu beraten, die unter anderem Vorsitz getroffen worden sind. Ob die damit verbundenen formellen Erschwerungen des Prüfungsverfahrens bundesrechtlich unbedenklich gewesen wären, bleibt offen (zu den Grenzen des Gestaltungsspielraums der Gesamtvertragspartner bei Ausgestaltung der Prüfvereinbarung vgl BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 53 S 290 f). Eine Verpflichtung der Prüfgremien, ohne explizite Regelung in der Prüfvereinbarung so zu verfahren, hat jedenfalls nicht bestanden.

36

c. Soweit der Kläger geltend macht, die Entscheidung durch den Beklagten am 12.12.2001 sei nur deshalb unter dem Vorsitz eines Krankenkassenvertreters gefallen, weil die Kassenvertreter die ursprünglich vorgesehene Sitzung am 24.9.2001 boykottiert hätten, führt das zu keiner anderen Beurteilung. Da ein Arzt keinen Anspruch darauf hat, dass über seine Angelegenheit immer unter dem Vorsitz eines Arztes im Beschwerdeausschuss entschieden wird, wenn der Prüfungsausschuss unter dem Vorsitz eines Krankenkassenvertreters entschieden hat, stellt die Vertagung einer Sitzung auch dann grundsätzlich keinen Rechtsverstoß dar, wenn diese zur Folge haben sollte, dass der Vorsitz in der tatsächlich entscheidenden Sitzung wechselt. Im Übrigen hat das Berufungsgericht nicht iS des § 163 SGG festgestellt, dass die Vertagung der Entscheidung vom 24.9.2001 allein darauf beruht hat, dass die Krankenkassenvertreter erreichen wollten, dass über die Angelegenheit des Klägers in der Besetzung des Beschwerdeausschusses mit einem Vorsitzenden aus ihren Reihen entschieden wird. Schließlich ist im Hinblick auf die Rügen des Klägers zur Zusammensetzung des Beklagten bei der Beschlussfassung darauf hinzuweisen, dass die Krankenkassen nach der Rechtsprechung des Senats gegen Entscheidungen der Prüfgremien, mit denen ua Anträge auf Festsetzung von Honorarkürzungen oder Arzneikostenregressen abgelehnt werden, Rechtsmittel ergreifen können (zB BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 1 und BSG MedR 2004, 577, jeweils zu unzureichenden Kürzungen vertragszahnärztlichen Honorars; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 24 zum Sprechstundenbedarfsregress). Da vorliegend Ermessens- und Beurteilungsspielräume allenfalls am Rande in Rede stehen, spricht wenig dafür, dass die zu 2. beigeladene Krankenkasse eine - unterstellt für den Kläger positive - Entscheidung des Beklagten unter anderem Vorsitz auf sich hätte beruhen lassen.

37

d. Der Kläger durfte über "Polyglobin 5 %" in den streitbefangenen Quartalen keine vertragsärztliche Verordnung ausstellen. Er hat dieses Arzneimittel außerhalb der arzneimittelrechtlichen Zulassung verordnet.

38

Die Zulassung von Polyglobin war nach den Feststellungen des LSG auf die Behandlung der idiopathischen thrombozytopenischen Purpura (Hautblutungen) beschränkt, und an dieser Erkrankung hat die Versicherte H. nicht gelitten. Ein Arzneimittel darf grundsätzlich nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung für einen Einsatz außerhalb der arzneimittelrechtlich zugelassenen Indikation verordnet werden. Das hat der 1. Senat des BSG mit Urteil vom 19.3.2002 (BSGE 89, 184 = SozR 3-2500 § 31 Nr 8) unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung entschieden und daran bis heute festgehalten (zB BSGE 93, 236 = SozR 4-2500 § 27 Nr 1). Der 6. Senat des BSG ist dem für die Festsetzung von Arzneikostenregressen gefolgt (vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 RdNr 19; vgl auch BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 37/08 R - RdNr 26, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).

39

Der Kläger kann sich zur Rechtfertigung seiner Verordnungen von Polyglobin weder auf Vertrauensschutz noch auf einen der Annahmetatbestände stützen, unter denen Arzneimittel vertragsärztlich auch außerhalb der zugelassenen Indikation verordnet werden dürfen. Der Kläger ist der Auffassung, Vertragsärzte hätten in der Zeit zwischen dem Urteil des 1. Senats vom 5.7.1995 zur Drogensubstitution mit dem Codein-Präparat Remedacen (BSGE 76, 194 = SozR 3-2500 § 27 Nr 5) und dem Bekanntwerden des Urteils des 8. Senats vom 30.9.1999 zur SKAT-Therapie (BSGE 85, 36 = SozR 3-2500 § 27 Nr 11) generell darauf vertrauen dürfen, Arzneimittel im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung auch außerhalb der Zulassungsindikationen nach dem Arzneimittelrecht verordnen zu dürfen. Dem folgt der Senat in Übereinstimmung mit dem Berufungsgericht nicht.

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Es ist bereits fraglich, ob ein Vertragsarzt im Hinblick auf das zu der sehr speziellen Situation der Drogensubstitution ergangene Urteil des 1. Senats vom 5.7.1995 generell darauf vertrauen durfte, Arzneimittel auch außerhalb ihrer Zulassungsindikation verordnen zu dürfen. Allenfalls kommt ein Vertrauen darauf in Betracht, dass die Bindung der vertragsärztlichen Verordnung an die Zulassung des jeweiligen Fertigarzneimittels nach dem AMG in dem Sinne gelockert ist, dass in bestimmten Konstellationen eine die arzneimittelrechtliche Zulassung überschreitende Verordnung, die medizinisch sinnvoll oder sogar geboten ist, auch krankenversicherungsrechtlich zulässig sein kann. In diesem Sinne ist das Urteil des 8. Senats vom 30.9.1999 richtigerweise zu verstehen. Weitergehende Schlussfolgerungen aus diesem Urteil im Sinne eines uneingeschränkt erlaubten indikationsfremden Einsatzes von Fertigarzneimitteln liegen eher fern, zumal ein beliebiger, allein nach Gutdünken jedes einzelnen Arztes erfolgender, Einsatz eines Medikaments außerhalb der Zulassung nicht ernsthaft für sachgerecht gehalten werden kann .

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e. Im Übrigen sind schon kurz nach Veröffentlichung des Urteils des 1. Senats vom 5.7.1995 zur Drogensubstitution in der Rechtsprechung des BSG Zweifel an der allgemeinen Aussagekraft dieses Urteils über den entschiedenen Fall hinaus artikuliert worden. Schon drei Monate nach dem Urteil des 1. Senats hat der allein für das Vertragsarztrecht zuständige erkennende Senat Bedenken gegen die Zulässigkeit des Einsatzes von Remedacen zur Drogensubstitution geäußert und auf die Problematik der Beachtung der Richtlinien des (früheren) Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen im Zusammenhang mit sog Außenseitermethoden hingewiesen (Urteil vom 18.10.1995, SozR 3-5550 § 17 Nr 2 S 5). In der Sache sind sodann die Grundsätze des Urteils vom 5.7.1995 durch die neuere Rechtsprechung des 6. und des 1. Senats zur Rechtsqualität der Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen, zur Methodenanerkennung nach § 135 Abs 1 SGB V und zum Zusammenhang zwischen dieser Anerkennung und den Prinzipien der Arzneimitteltherapie deutlich modifiziert worden(Urteil des 6. Senats vom 20.3.1996, BSGE 78, 70 = SozR 3-2500 § 92 Nr 6 "Methadon"; Urteile des 1. Senats vom 16.9.1997, BSGE 81, 54 = SozR 3-2500 § 135 Nr 4, BSGE 81, 73 = SozR 3-2500 § 92 Nr 7). Spätestens nach Bekanntwerden dieser Urteile war deutlich, dass die ältere Rechtsprechung des BSG zu den (untergesetzlichen) Vorgaben des Leistungs- und Leistungserbringungsrechts in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht mehr uneingeschränkt fortgeführt werden würde. Kein Vertragsarzt musste die aufgezeigten Wendungen der Rechtsprechung kennen oder nachvollziehen. Wer aber - wie der Kläger - geltend macht, Verordnungen aus dem Jahre 1999 im Vertrauen auf eine zu einer Sonderkonstellation ergangene und vereinzelt gebliebene Rechtsprechung des BSG aus dem Jahre 1995 getätigt zu haben, muss sich entgegenhalten lassen, dass sich die Rechtsprechung weiterentwickelt hat. Jedenfalls im Jahr 1999 hat es für einen Vertragsarzt erkennbar keine hinreichende Sicherheit mehr gegeben, nach eigener Einschätzung Off-Label-Use-Verordnungen ausstellen zu dürfen, ohne Gefahr zu laufen, insoweit in Regress genommen zu werden.

42

f. Zudem sind sowohl das Urteil des 1. Senats vom 5.7.1995, auf das sich der Kläger beruft, wie auch die folgenden Entscheidungen des 1. und des 8. Senats des BSG zu den Rechtsansprüchen von Versicherten gegen ihre Krankenkasse ergangen. Aus diesen Urteilen ergibt sich nicht unmittelbar, wie sich ein Vertragsarzt zu Arzneimittelverordnungen verhalten sollte, die erkennbar außerhalb der Zulassungsindikation des jeweiligen Arzneimittels erfolgten, von denen er aber annahm, sie könnten vom Patienten beansprucht werden. Dazu ist dem Urteil des erkennenden Senats vom 18.10.1995 (6 RKa 3/93) zur Drogensubstitution zu entnehmen, dass in solchen Fällen jedenfalls eine exakte Dokumentation und eine engmaschige Verlaufskontrolle der Behandlung geboten waren (SozR 3-5550 § 17 Nr 2 S 8; vgl auch BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 37/08 R - RdNr 39, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Damit ist es zB nicht vereinbar, auf laborchemische Untersuchungen zum Nachweis eines - vermeintlichen oder tatsächlich bestehenden - "Antikörpermangelsyndroms" zu verzichten, wenn die umstrittene Off-Label-Verordnung von Immunglobulinen gerade auf diese Diagnose reagiert.

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Ein Vertragsarzt, der Medikamente außerhalb ihrer zugelassenen Indikationen verordnet, kann weder sich noch der Krankenkasse Gewissheit darüber verschaffen, dass die Verordnung den Vorgaben des Wirtschaftlichkeitsgebotes genügt, also notwendig, zweckmäßig und wirtschaftlich ist. Bei Off-Label-Verordnungen hat nämlich gerade keine Prüfung von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des jeweiligen Arzneimittels stattgefunden, die seinen Einsatz (auch) im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung rechtfertigt. Eine solche Prüfung ist im AMG nur indikationsbezogen vorgeschrieben und durchführbar; die von der Zulassung nach dem AMG ausgehende Schutzwirkung und Qualitäts- wie Wirksamkeitserwartung greift bei einem Einsatz des Medikaments außerhalb der Zulassung gerade nicht ein (vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 RdNr 19; s auch BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 37/08 - RdNr 27 ff, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Soweit danach ein Vertragsarzt Verordnungen ohne gesicherten Nachweis von Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels ausstellt, muss zwingend nachträglich geprüft werden dürfen, ob die jeweilige Verordnung den Regeln des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung entspricht. Wenn der Vertragsarzt davon absieht, in Fällen eines Off-Label-Use die Krankenkasse vor Ausstellung der Verordnung einzuschalten, wie es der Senat in einem Beschluss vom 31.5.2006 dargestellt hat (B 6 KA 53/05 B, MedR 2007, 557, 560), muss er hinnehmen, dass die Einhaltung der Vorgaben der vertragsärztlichen Versorgung im Nachhinein geprüft wird.

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Der Beklagte hält dem Kläger - anders als dieser nahe legen will - keine schuldhafte Verletzung vertragsärztlicher Pflichten vor, die nunmehr sanktioniert wird. Der Beklagte hat lediglich die Position der zu 2. beigeladenen Krankenkasse bestätigt, dass sie objektiv zu Unrecht erhebliche Kosten für die Versorgung ihrer Versicherten H. mit einem Immunglobulin aufgewandt hat. Weil der Kläger der Beigeladenen zu 2. keine Gelegenheit gegeben hat, ihre Auffassung zur Rechtmäßigkeit des Einsatzes von Immunglobulinen bei der Versicherten H. vor Einlösung der Verordnungen darzulegen, muss es der Krankenkasse möglich sein, ihren Standpunkt nachträglich durchzusetzen, soweit er rechtlicher Prüfung standhält. Dazu sieht die Prüfvereinbarung im Einklang mit Bundesrecht das Verfahren der Regressfestsetzung vor. Soweit der Kläger geltend macht, nach dem im Jahr 1999 geltenden Recht habe er zu Gunsten der H. kein Privatrezept ausstellen dürfen, weil das gegen § 29 Abs 1 Satz 2 BMV-Ä verstoßen hätte, folgt der Senat dem nicht. Der Beschluss des Senats vom 31.5.2006 (MedR 2007, 557), der diesen Weg aufgezeigt hat, ist zu Off-Label-Use-Verordnungen aus dem Jahr 1997 ergangen. Auch 1997 und 1999 galt das Verbot, sich als Vertragsarzt vertragsärztliche Verordnungen einzeln genehmigen zu lassen; dieses Verbot hat sich - wie der Senat dargelegt hat - immer nur auf Verordnungen im Rahmen der Leistungspflicht der Krankenkassen bezogen. Wie die Rechtslage zu beurteilen wäre, wenn der Kläger im Sommer 1999 vergeblich bei der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2. angefragt und explizit um eine Entscheidung über das aus Sicht dieser Krankenkasse richtige Vorgehen gebeten hätte, kann offen bleiben. Der Kläger macht selbst nicht geltend, diesen Weg beschritten zu haben.

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g. Der vom Beklagten aufrecht erhaltene Regress gegen den Kläger ist schließlich nicht deshalb rechtswidrig, weil der Versicherten H. bei Ausstellung der umstrittenen Verordnungen nach den Grundsätzen des Beschlusses des BVerfG vom 6.12.2005 (BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5) gegen die Rechtsvorgängerin der zu 2. beigeladenen Krankenkasse ein Anspruch auf Versorgung mit Polyglobin 5 % zugestanden hätte. Nach den Feststellungen des LSG liegen die tatsächlichen Voraussetzungen eines solchen, auf §§ 27 und 31 SGB V iVm Art 2 Abs 1 GG und dem Sozialstaatsprinzip bzw Art 2 Abs 2 Satz 1 GG und der hieraus abzuleitenden Schutzpflicht gegründeten Anspruchs nicht vor. Diese Feststellungen des LSG sind für den Senat nach § 163 SGG bindend, weil der Kläger dazu keine zulässigen Revisionsrügen angebracht hat.

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Richtig ist allerdings der Ausgangspunkt der Revision: Wenn feststünde, dass H. nach den tatsächlichen Verhältnissen des Jahres 1999 einen Anspruch auf Versorgung mit Polyglobin als Sachleistung der Krankenkasse gehabt hätte, dürfte wegen der für diese Versorgung angefallenen Kosten kein Regress gegen den Kläger festgesetzt werden. Diese Konsequenz aus der Entscheidung des BVerfG hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 5.11.2008 zu Wobe Mugos (SozR 4-2500 § 106 Nr 21; ebenso BSG MedR 2010, 276) inzident angesprochen und hält daran fest. Der verschuldensunabhängige Schadensersatzanspruch der Krankenkasse gegen einen Vertragsarzt wegen unzulässiger Arzneimittelverordnungen beruht im Kern darauf, dass die Krankenkasse einen Ausgleich für die Bezahlung von Medikamenten erhält, die sie bei korrekten Verhalten des Arztes nicht hätte finanzieren müssen. Wenn sich nachträglich herausstellt, dass der Versicherte, zu dessen Gunsten der Vertragsarzt die umstrittenen Verordnungen ausgestellt hat, auf die Versorgung mit dem verordneten Arzneimittel einen Anspruch gegen seine Krankenkasse hatte, ist dieser durch die Bezahlung dieses Arzneimittels dem Grunde nach jedenfalls kein Schaden entstanden, den der Vertragsarzt nunmehr ersetzen müsste. Lässt sich allerdings nicht mit hinreichender Gewissheit feststellen, dass die Voraussetzungen für einen ausnahmsweise gerechtfertigten Off-Label-Use vorgelegen haben, geht das zu Lasten des Arztes. Er rückt, obwohl er sich nach der Ausrichtung des Verfahrens gegen einen Regress wendet, hinsichtlich der Verteilung von Darlegungs- und Beweislast in die Stellung ein, die der Versicherte gehabt hätte, wenn er seinen Standpunkt zur der Verordnungsfähigkeit eines Arzneimittels gegen die Krankenkasse nach § 13 Abs 3 SGB V im Wege der Geltendmachung eines Kostenerstattungsanspruchs durchsetzen müsste. Wer geltend machen will, der Versorgungsanspruch umfasse in einer bestimmten Konstellation auch die Versorgung mit zugelassenen Arzneimitteln außerhalb der Zulassungsindikationen, dringt damit nicht durch, wenn sich unter Ausschöpfung aller Möglichkeiten zur Sachaufklärung nicht feststellen lässt, dass die dafür insbesondere in der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG und inzwischen auch vom Gemeinsamen Bundesausschuss (§ 30 der Arzneimittel-Richtlinie iVm Anlage VI) formulierten Voraussetzungen vorgelegen haben. Das ist auch hier der Fall und geht zu Lasten des Klägers.

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h. Das LSG ist in Übereinstimmung mit der Revision zutreffend davon ausgegangen, dass die Versicherte H. an einer lebensbedrohlichen Erkrankung (metastasierendes Karzinom der Eileiter) gelitten hat. Zu dessen kausaler Behandlung hätte bei Fehlen einer allgemein anerkannten, medizinischem Standard entsprechenden Behandlungsmethode nach der Rechtsprechung des BVerfG ein Arzneimittel auch außerhalb seiner Zulassungsindikation eingesetzt werden dürfen, wenn nach der vorhandenen Studienlage auf diese Weise die nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf positive Behandlungserfolge bestanden hätten (BVerfGE 115, 25, 49 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 RdNr 33). Das nimmt der Kläger selbst für die Verordnung von Polyglobin nicht an. Er geht vielmehr davon aus, dass die Versicherte H. an einem Antikörpermangel litt, der unbehandelt eine Fortführung der überlebensnotwendigen Chemotherapie ausgeschlossen hätte oder hat. Wenn die Rechtsprechung des BVerfG auf diese Konstellation Anwendung finden sollte, was der Senat entgegen der Auffassung des LSG nicht von vornherein für ausgeschlossen hält, müssen jedenfalls die Anforderungen an einen zulässigen Off-Label-Use entsprechend erfüllt sein. Es muss deshalb feststehen, dass der Patient neben der lebensbedrohlichen Erkrankung an einer weiteren Gesundheitsstörung leidet, die die Anwendung aller zur Behandlung des Hauptleidens in Betracht kommenden Behandlungsmöglichkeiten ausschließt. Weiterhin muss der Off-Label-Einsatz des anzuwendenden Arzneimittels mit gewisser Wahrscheinlichkeit die zweite Erkrankung so beeinflussen, dass eine Erfolg versprechende Behandlung des Hauptleidens wieder oder erstmals möglich wird. Schließlich darf es für die zweite Erkrankung keine anerkannten Behandlungsmöglichkeiten - zB mit entsprechend zugelassenen Arzneimitteln - geben. Diese Voraussetzungen sind hier jedenfalls nicht - wie es notwendig wäre, um der Klage zum Erfolg zu verhelfen - kumulativ erfüllt.

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i. Erhebliche Zweifel bestehen bereits daran, ob das vom Kläger so bezeichnete "sekundäre Antikörpermangelsyndrom" eine eigenständige und hinreichende spezifische Erkrankung ist, die abgegrenzt vom Karzinomleiden behandelt werden kann und muss. Der Kläger hat dazu in den Tatsacheninstanzen nicht Präzises vorgetragen. Zudem steht nicht fest, dass die Patientin H. an einem Antikörpermangelsyndrom litt, das schulmedizinisch nicht behandelbar war. Die zur Abstützung dieser Diagnose und des Ausmaßes der Erkrankung möglichen laborchemischen Untersuchungen hat der Kläger nach den Feststellungen des LSG nicht durchgeführt oder veranlasst. Dazu mag er - wie die Revision geltend macht - berufsrechtlich nicht verpflichtet gewesen sein. Er hat damit aber im Hinblick auf den Off-Label-Use zur Unaufklärbarkeit des genauen Gesundheitszustandes der Versicherten H. in der zweiten Hälfte des Jahres 1999 beigetragen. Das geht zu seinen Lasten.

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j. Außerdem fehlt es an ausreichenden Feststellungen bzw Belegen für das vom Kläger geltend gemachte Dilemma, die lebensbedrohliche Ersterkrankung nur durch die Behandlung der Zweiterkrankung mit Polyglobin 5 % therapieren zu können. Der Kläger setzt schon die Anforderungen an den Nachweis einer eigenständigen Zweiterkrankung zu niedrig an. Die Versicherte H. litt nach den Ausführungen des Klägers an einer "Verminderung der Immunitätslage" als Folge sowohl des Karzinomleidens als auch der aggressiven Chemotherapien. Darauf habe sie mit wiederholten schweren bakteriellen und viralen Infektionen reagiert, die er - der Kläger - als "Zeichen eines sekundären Antikörpermangels" gedeutet habe. Für keine dieser "wiederholten" Infektionen hat der Kläger im Verwaltungsverfahren oder in den Vorinstanzen jedoch konkret und eingehend belegt, dass diesen durch anerkannte Behandlungsverfahren nicht hätten effektiv entgegengewirkt werden können. Spezifische Darlegungen dazu, die dann dem LSG ggf Anlass zu weiterer Sachaufklärung hätten geben können, waren vor allem deshalb unerlässlich, weil der Kläger selbst einen Zusammenhang zwischen dem Krebsleiden und der Chemotherapie mit der geschwächten Immunitätslage der H. herstellt. Da nicht alle Patienten, deren Abwehrsystem durch Krebs und Chemotherapie geschwächt sind, mit Immunglobulin behandelt werden bzw nach dem gebotenen Behandlungsstandard behandelt werden müssen oder im Jahr 1999 so behandelt wurden oder behandelt werden mussten, hätte der Kläger fallbezogen und detailliert darlegen müssen, inwieweit sich die gesundheitliche Lage der H. von derjenigen anderer chemotherapeutisch behandelter Krebspatienten unterschied, und auf der Basis welcher exakten Befunde er die Anwendung von Polyglobin 5 % für unerlässlich hielt. Das ist nicht geschehen und spricht dafür, dass sich der Kläger von der Gabe eines Immunglobulins ganz generell eine Stärkung der Abwehrlage der H. und damit mutmaßlich eine bessere Resistenz gegen Infektionen versprach. Das reicht für einen Off-Label-Use, dessen Zulässigkeit jedenfalls in Fällen der hier vorliegenden Art von dem Gesundheitszustand des konkreten Patienten abhängt, nicht aus.

50

k. Schließlich ist die positive Wirkung, die der Kläger dem Einsatz von Immunglobulin bei fortgeschrittener Krebserkrankung zuschreibt, nach den Feststellungen des LSG auch nicht hinreichend belegt.

51

Das LSG hat im Einzelnen dargestellt, dass die bis 1999 zum Einsatz von Immunglobulinen vorhandenen Studien und publizierten Forschungsergebnisse nicht darauf hindeuten, dass die Gesundheitsstörungen der Versicherten H. durch den Einsatz von Polyglobin erfolgreich behandelt werden konnten. Das LSG ist zutreffend von den in der Rechtsprechung des 1. Senats des BSG ermittelten Grundsätzen zum Anspruch der Versicherten auf Versorgung mit (in Deutschland oder der EU) nicht zugelassenen Arzneimitteln (dazu BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4) oder mit Arzneimitteln außerhalb zugelassener Indikationen (BSGE 89, 184 = SozR 3-2500 § 31 Nr 8) ausgegangen. Es hat näher ausgeführt, dass keine wissenschaftliche Arbeit vorliege oder vom Kläger benannt sei, in der der zulassungsüberschreitende Einsatz von Immunglobulinen zur Behandlung einer auf der Intoleranz von Chemotherapeutika beruhenden Erkrankung als medizinisch geboten bewertet wird. Einen Konsens der einschlägigen Fachkreise, dass Polyglobin ein sekundäres Antikörpersyndrom positiv beeinflussen könne, hat das LSG gerade nicht feststellen können. Soweit die Revision die vorhandenen medizinischen Unterlagen lediglich anders würdigt, vermag sie damit die Feststellungen iS des § 163 SGG nicht zu entkräften.

52

Soweit der Kläger die Sachaufklärung des LSG zu den Erfolgsaussichten der Behandlung mit Immunglobulinen für unzureichend hält, berücksichtigt er nicht hinreichend, dass sich der 1. Senat des BSG bereits mehrfach mit dem Anspruch der Versicherten auf Versorgung mit Immunglobulinen befasst hat. In den Urteilen vom 19.3.2002 (BSGE 89, 184 = SozR 3-2500 § 31 Nr 8), vom 27.3.2007 (B 1 KR 17/06 R) und vom 28.2.2008 (SozR 4-2500 § 13 Nr 16), die sämtlich die Versorgung mit Immunglobulinpräparaten - jeweils bezogen auf die Indikation Multiple Sklerose - zum Gegenstand hatten, wird der Stand der medizinischen Forschung zu dieser Wirkstoffgruppe für die streitbefangenen Jahre 1997 bis 2003 eingehend aufgearbeitet. Zwar können die Forschungsergebnisse zur Möglichkeit, durch die Gabe von Immunglobulinen die Multiple Sklerose günstig zu beeinflussen, nicht ohne Weiteres auf die hier zu beurteilende Situation der unterstützenden Behandlung bei Krebserkrankungen übertragen werden, doch sind die Wirkungen und die in Frage kommenden Indikationen für Immunglobulin bezogen auf den hier relevanten Zeitraum gut erforscht und die Forschungsergebnisse - soweit krankenversicherungsrechtlich von Bedeutung - in der Rechtsprechung des BSG umfassend rezipiert worden. Zudem sind die Urteile des 1. Senats des BSG vom 27.3.2007 und vom 28.2.2008 Gegenstand der verfassungsgerichtlichen Prüfung gewesen. Mit Kammerbeschlüssen vom 30.6.2008 (1 BvR 1665/07 zum BSG-Urteil B 1 KR 17/06 R) und vom 8.7.2009 (1 BvR 1531/09 zum BSG-Urteil B 1 KR 15/07 R) sind die Verfassungsbeschwerden der unterlegenen Kläger jeweils nicht zur Entscheidung angenommen worden. Beide Kammerbeschlüsse sind auf der Basis der grundlegenden Entscheidung des BVerfG vom 6.12.2005 ergangen und billigen insbesondere, dass die Rechtsprechung des BSG strenge Anforderungen an den Nachweis stellt, dass mit dem zulassungsüberschreitenden Einsatz des jeweils betroffenen Arzneimittels hinreichende Erfolgsaussichten verbunden sein müssen (BVerfG vom 30.6.2008 - 1 BvR 1665/07 - NJW 2008, 3556 f RdNr 9 bis 11). Es reicht danach als Grundlage für einen Off-Label-Use von Arzneimitteln in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht aus, dass positive Folgen einer solchen Behandlung nach dem Wirkungsmechanismus von Immunglobulinen nicht schlechthin ausgeschlossen werden können, dass Patienten in Einzelfällen nach Verabreichung der umstrittenen Medikamente eine Verbesserung ihres Befindens beschreiben und dass einzelne Ärzte oder Wissenschaftler mit plausiblen Gründen einen von der verbreiteten Auffassung abweichenden Standpunkt zu den Erfolgsaussichten einer Behandlung vertreten. Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe und im Hinblick auf die schon vorliegende Rechtsprechung des 1. Senats des BSG ist die Sachverhaltsermittlung des Berufungsgerichts ausreichend.

53

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs 1 iVm § 155 Abs 1 VwGO und berücksichtigt das teilweise Obsiegen und Unterliegen der Beteiligten. Die außergerichtlichen Kosten der zu 1. beigeladenen KÄV sind nach § 162 Abs 3 VwGO nicht erstattungsfähig, weil diese keine Anträge gestellt hat(vgl BSGE 96, 257 = SozR 4-1300 § 63 Nr 3, RdNr 16).

(1) Ein schriftlicher oder elektronischer sowie ein schriftlich oder elektronisch bestätigter Verwaltungsakt ist mit einer Begründung zu versehen. In der Begründung sind die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitzuteilen, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen haben. Die Begründung von Ermessensentscheidungen muss auch die Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist.

(2) Einer Begründung bedarf es nicht,

1.
soweit die Behörde einem Antrag entspricht oder einer Erklärung folgt und der Verwaltungsakt nicht in Rechte eines anderen eingreift,
2.
soweit demjenigen, für den der Verwaltungsakt bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, die Auffassung der Behörde über die Sach- und Rechtslage bereits bekannt oder auch ohne Begründung für ihn ohne weiteres erkennbar ist,
3.
wenn die Behörde gleichartige Verwaltungsakte in größerer Zahl oder Verwaltungsakte mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlässt und die Begründung nach den Umständen des Einzelfalles nicht geboten ist,
4.
wenn sich dies aus einer Rechtsvorschrift ergibt,
5.
wenn eine Allgemeinverfügung öffentlich bekannt gegeben wird.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Nr. 1 bis 3 ist der Verwaltungsakt schriftlich oder elektronisch zu begründen, wenn der Beteiligte, dem der Verwaltungsakt bekannt gegeben ist, es innerhalb eines Jahres seit Bekanntgabe verlangt.

(1) Betriebe und Einrichtungen, die Arzneimittel entwickeln, herstellen, klinisch prüfen, prüfen, lagern, verpacken, einführen, in den Verkehr bringen oder sonst mit ihnen Handel treiben, haben dies vor der Aufnahme der Tätigkeiten der zuständigen Behörde anzuzeigen. Satz 1 gilt entsprechend für Einrichtungen, die Gewebe gewinnen, die die für die Gewinnung erforderliche Laboruntersuchung durchführen, Gewebe be- oder verarbeiten, konservieren, prüfen, lagern, einführen oder in Verkehr bringen. Die Entwicklung von Arzneimitteln ist anzuzeigen, soweit sie durch eine Rechtsverordnung nach § 54 geregelt ist. Das Gleiche gilt für Personen, die diese Tätigkeiten selbständig und berufsmäßig ausüben, sowie für Personen oder Personenvereinigungen, die Arzneimittel für andere sammeln. In der Anzeige sind die Art der Tätigkeit und die Betriebsstätte anzugeben; werden Arzneimittel gesammelt, so ist das Nähere über die Art der Sammlung und über die Lagerstätte anzugeben. Die Sätze 1 und 3 bis 5 gelten entsprechend für Betriebe und Einrichtungen, die Wirkstoffe oder andere zur Arzneimittelherstellung bestimmte Stoffe herstellen, prüfen, lagern, verpacken, einführen, in den Verkehr bringen oder sonst mit ihnen Handel treiben, soweit diese Tätigkeiten durch eine Rechtsverordnung nach § 54 geregelt sind. Satz 1 findet keine Anwendung auf die Rekonstitution, soweit es sich nicht um Arzneimittel handelt, die zur klinischen Prüfung bestimmt sind. Die Sätze 1 bis 6 gelten auch für Betriebe und Einrichtungen, die mit den dort genannten Tätigkeiten im Zusammenhang stehende Aufzeichnungen aufbewahren. Die Sätze 1 und 5 gelten auch für Betriebe und Einrichtungen, die einen Datenspeicher einrichten oder verwalten, der zum Datenspeicher- und -abrufsystem nach Artikel 31 der Delegierten Verordnung (EU) 2016/161 gehört.

(2) Ist die Herstellung von Arzneimitteln beabsichtigt, für die es einer Erlaubnis nach § 13 nicht bedarf, so sind die Arzneimittel mit ihrer Bezeichnung und Zusammensetzung anzuzeigen.

(3) Nachträgliche Änderungen sind ebenfalls anzuzeigen. Bei Betrieben und Einrichtungen, die Wirkstoffe herstellen, einführen oder sonst mit ihnen Handel treiben, genügt jährlich eine Anzeige, sofern die Änderungen keine Auswirkungen auf die Qualität oder Sicherheit der Wirkstoffe haben können.

(3a) Betriebe und Einrichtungen, die mit den in Absatz 1 Satz 1 bis 4 und 6 genannten Tätigkeiten im Zusammenhang stehende Aufzeichnungen außerhalb der von der Erlaubnis nach den §§ 13, 20b, 20c, 52a, 72b oder 72c erfassten Räume aufbewahren lassen, haben dies vor Aufnahme der Tätigkeit der zuständigen Behörde anzuzeigen; dies gilt auch für nachträgliche Änderungen.

(4) Die Absätze 1 bis 3 gelten nicht für diejenigen, die eine Erlaubnis nach § 13, § 20b, § 20c, § 52a, § 72, § 72b oder § 72c haben, für Apotheken nach dem Gesetz über das Apothekenwesen und für klinische Prüfungen mit Arzneimitteln, die in den Anwendungsbereich der Verordnung (EU) Nr. 536/2014 fallen.

(5) Wer als pharmazeutischer Unternehmer ein Arzneimittel, das nach § 36 Absatz 1 von der Pflicht zur Zulassung freigestellt ist, in den Verkehr bringt, hat dies zuvor der zuständigen Bundesoberbehörde und der zuständigen Behörde anzuzeigen. In der Anzeige sind der Hersteller, die verwendete Bezeichnung, die verwendeten nicht wirksamen Bestandteile, soweit sie nicht in der Verordnung nach § 36 Absatz 1 festgelegt sind, sowie die tatsächliche Zusammensetzung des Arzneimittels, soweit die Verordnung nach § 36 Absatz 1 diesbezügliche Unterschiede erlaubt, anzugeben. Anzuzeigen sind auch jede Änderung der Angaben und die Beendigung des Inverkehrbringens.

(6) Wer Untersuchungen durchführt, die dazu bestimmt sind, Erkenntnisse bei der Anwendung zugelassener oder registrierter Arzneimittel zu sammeln, hat dies der zuständigen Bundesoberbehörde, der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen und dem Verband der Privaten Krankenversicherung e. V. unverzüglich anzuzeigen. Dabei sind Ort, Zeit, Ziel und Beobachtungsplan der Anwendungsbeobachtung anzugeben sowie gegenüber der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen die beteiligten Ärzte namentlich mit Angabe der lebenslangen Arztnummer, der Betriebsstättennummer und der Praxisadresse zu benennen. Entschädigungen, die an Ärzte für ihre Beteiligung an Untersuchungen nach Satz 1 geleistet werden, sind nach ihrer Art und Höhe so zu bemessen, dass kein Anreiz für eine bevorzugte Verschreibung oder Empfehlung bestimmter Arzneimittel entsteht. Sofern beteiligte Ärzte Leistungen zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung erbringen, sind bei Anzeigen nach Satz 1 auch die Art und die Höhe der jeweils an sie tatsächlich geleisteten Entschädigungen anzugeben sowie jeweils eine Ausfertigung der mit ihnen geschlossenen Verträge und jeweils eine Darstellung des Aufwandes für die beteiligten Ärzte und eine Begründung für die Angemessenheit der Entschädigung zu übermitteln. Sofern sich bei den in Satz 4 genannten Informationen Änderungen ergeben, sind die jeweiligen Informationen nach Satz 4 vollständig in der geänderten, aktualisierten Form innerhalb von vier Wochen nach jedem Quartalsende zu übermitteln; die tatsächlich geleisteten Entschädigungen sind mit Zuordnung zu beteiligten Ärzten namentlich mit Angabe der lebenslangen Arztnummer, der Betriebsstättennummer und der Praxisadresse zu übermitteln. Innerhalb eines Jahres nach Abschluss der Datenerfassung sind unter Angabe der insgesamt beteiligten Ärzte die Anzahl der jeweils und insgesamt beteiligten Patienten und Art und Höhe der jeweils und insgesamt geleisteten Entschädigungen zu übermitteln. Der zuständigen Bundesoberbehörde ist innerhalb eines Jahres nach Abschluss der Datenerfassung ein Abschlussbericht zu übermitteln. § 42b Absatz 2 Satz 1 und 4 gilt entsprechend. Die Angaben nach diesem Absatz sind elektronisch zu übermitteln. Hierfür machen die zuständigen Bundesoberbehörden elektronische Formatvorgaben bekannt; die zuständige Bundesoberbehörde hat ihr übermittelte Anzeigen und Abschlussberichte der Öffentlichkeit über ein Internetportal zur Verfügung zu stellen. Für die Veröffentlichung der Anzeigen gilt § 42b Absatz 2 Satz 4 entsprechend. Die Sätze 4 bis 6 gelten nicht für Anzeigen gegenüber der zuständigen Bundesoberbehörde. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung, der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und der Verband der Privaten Krankenversicherung e. V. legen einvernehmlich Formatvorgaben für die elektronische Übermittlung der an sie zu richtenden Angaben fest und geben diese bekannt. Die Sätze 1 bis 12 gelten nicht für Unbedenklichkeitsstudien nach § 63f.

(7) Wer beabsichtigt, gewerbs- oder berufsmäßig Arzneimittel, die in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union zum Inverkehrbringen durch einen anderen pharmazeutischen Unternehmer zugelassen sind, erstmalig aus diesem Mitgliedstaat in den Geltungsbereich des Gesetzes zum Zweck des Inverkehrbringens im Geltungsbereich des Gesetzes zu verbringen, hat dies dem Inhaber der Zulassung vor der Aufnahme der Tätigkeit anzuzeigen. Für Arzneimittel, für die eine Genehmigung für das Inverkehrbringen gemäß der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 erteilt worden ist, gilt Satz 1 mit der Maßgabe, dass die Anzeige dem Inhaber der Genehmigung und der Europäischen Arzneimittel-Agentur zu übermitteln ist. An die Agentur ist eine Gebühr für die Überprüfung der Einhaltung der Bedingungen, die in den unionsrechtlichen Rechtsvorschriften über Arzneimittel und den Genehmigungen für das Inverkehrbringen festgelegt sind, zu entrichten; die Bemessung der Gebühr richtet sich nach den unionsrechtlichen Rechtsvorschriften.

(8) Wer zum Zweck des Einzelhandels Arzneimittel im Wege des Versandhandels über das Internet anbieten will, hat dies vor Aufnahme der Tätigkeit der zuständigen Behörde unter Angabe des Namens oder der Firma und der Anschrift des Ortes, von dem aus die Arzneimittel geliefert werden sollen, und die Adresse jedes Internetportals einschließlich aller Angaben zu deren Identifizierung anzuzeigen. Nachträgliche Änderungen sind ebenfalls anzuzeigen. Die zuständige Behörde übermittelt diese Informationen an eine Datenbank nach § 67a. Das Internetportal nach Satz 1 muss den Namen und die Adresse der zuständigen Behörde und ihre sonstigen Kontaktdaten, das gemeinsame Versandhandelslogo nach Artikel 85c der Richtlinie 2001/83/EG aufweisen und eine Verbindung zum Internetportal des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte haben.

(9) Wer nicht zulassungs- oder genehmigungspflichtige Arzneimittel für neuartige Therapien bei einem Patienten anwendet, hat dies der zuständigen Bundesoberbehörde gemäß den Sätzen 2 und 3 anzuzeigen. Die Anzeige ist unverzüglich nach Beginn der Anwendung einzureichen. Die Anzeige muss die folgenden Angaben enthalten:

1.
den Namen und die Anschrift der behandelnden Person,
2.
den Namen und die Anschrift der Einrichtung, in der der Patient behandelt wurde,
3.
die Bezeichnung des Arzneimittels,
4.
die Wirkstoffe nach Art und Menge und die Art der sonstigen Bestandteile des Arzneimittels,
5.
die Darreichungsform,
6.
die Art der Anwendung,
7.
den Nachweis, dass die behandelnde Person zur Herstellung des Arzneimittels berechtigt ist,
8.
Initialen, Geschlecht und Geburtsjahr des Patienten, der mit dem Arzneimittel behandelt wurde,
9.
den Tag der Behandlung oder den Zeitraum der Behandlung und
10.
die Indikation, in der das Arzneimittel angewendet wird.
Die zuständige Bundesoberbehörde gibt das für die Anzeige zu verwendende Formular auf ihrer Internetseite bekannt.

(1) Fertigarzneimittel dürfen im Geltungsbereich dieses Gesetzes nur in den Verkehr gebracht werden, wenn sie durch die zuständige Bundesoberbehörde zugelassen sind oder wenn für sie die Europäische Gemeinschaft oder die Europäische Union eine Genehmigung für das Inverkehrbringen nach Artikel 3 Absatz 1 oder 2 der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 erteilt hat. Satz 1 gilt auch in Verbindung mit der Verordnung (EG) Nr. 1901/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Kinderarzneimittel und zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1768/92, der Richtlinie 2001/83/EG und der Verordnung (EU) Nr. 536/2014, der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 (ABl. L 378 vom 27.12.2006, S. 1; L 201 vom 27.7.2012, S. 28), die zuletzt durch die Verordnung (EU) 2019/5 (ABl. L 4 vom 7.1.2019, S. 24) geändert worden ist, in Verbindung mit der Verordnung (EU) Nr. 536/2014 oder in Verbindung mit der Verordnung (EG) Nr. 1394/2007.

(2) Einer Zulassung bedarf es nicht für Arzneimittel, die

1.
auf Grund nachweislich häufiger ärztlicher oder zahnärztlicher Verschreibung in den wesentlichen Herstellungsschritten in einer Apotheke in einer Menge bis zu hundert abgabefertigen Packungen an einem Tag im Rahmen des üblichen Apothekenbetriebs hergestellt werden und zur Abgabe im Rahmen der bestehenden Apothekenbetriebserlaubnis bestimmt sind,
1a.
Arzneimittel sind, bei deren Herstellung Stoffe menschlicher Herkunft eingesetzt werden und die entweder zur autologen oder gerichteten, für eine bestimmte Person vorgesehene Anwendung bestimmt sind oder auf Grund einer Rezeptur für einzelne Personen hergestellt werden, es sei denn, es handelt sich um Arzneimittel im Sinne von § 4 Absatz 4,
1b.
andere als die in Nummer 1a genannten Arzneimittel sind und für Apotheken, denen für einen Patienten eine Verschreibung vorliegt, aus im Geltungsbereich dieses Gesetzes zugelassenen Arzneimitteln
a)
als Zytostatikazubereitung oder für die parenterale Ernährung sowie in anderen medizinisch begründeten besonderen Bedarfsfällen, sofern es für die ausreichende Versorgung des Patienten erforderlich ist und kein zugelassenes Arzneimittel zur Verfügung steht, hergestellt werden oder
b)
als Blister aus unveränderten Arzneimitteln hergestellt werden oder
c)
in unveränderter Form abgefüllt werden,
1c.
antivirale oder antibakterielle Wirksamkeit haben und zur Behandlung einer bedrohlichen übertragbaren Krankheit, deren Ausbreitung eine sofortige und das übliche Maß erheblich überschreitende Bereitstellung von spezifischen Arzneimitteln erforderlich macht, aus Wirkstoffen hergestellt werden, die von den Gesundheitsbehörden des Bundes oder der Länder oder von diesen benannten Stellen für diese Zwecke bevorratet wurden, soweit ihre Herstellung in einer Apotheke zur Abgabe im Rahmen der bestehenden Apothekenbetriebserlaubnis oder zur Abgabe an andere Apotheken erfolgt,
1d.
Gewebezubereitungen sind, die der Pflicht zur Genehmigung nach den Vorschriften des § 21a Abs. 1 unterliegen,
1e.
Heilwässer, Bademoore oder andere Peloide sind, die nicht im Voraus hergestellt und nicht in einer zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Packung in den Verkehr gebracht werden, oder die ausschließlich zur äußeren Anwendung oder zur Inhalation vor Ort bestimmt sind,
1f.
medizinische Gase sind und die für einzelne Personen aus im Geltungsbereich dieses Gesetzes zugelassenen Arzneimitteln durch Abfüllen und Kennzeichnen in Unternehmen, die nach § 50 zum Einzelhandel mit Arzneimitteln außerhalb von Apotheken befugt sind, hergestellt werden,
1g.
als Therapieallergene für einzelne Patienten auf Grund einer Rezeptur hergestellt werden,
2.
zur klinischen Prüfung bestimmt sind oder
3.
unter den in Artikel 83 der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 genannten Voraussetzungen kostenlos für eine Anwendung bei Patienten zur Verfügung gestellt werden, die an einer zu einer schweren Behinderung führenden Erkrankung leiden oder deren Krankheit lebensbedrohend ist, und die mit einem zugelassenen Arzneimittel nicht zufrieden stellend behandelt werden können; dies gilt auch für die nicht den Kategorien des Artikels 3 Absatz 1 oder 2 der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 zugehörigen Arzneimittel; Verfahrensregelungen werden in einer Rechtsverordnung nach § 80 bestimmt.

(2a) (weggefallen)

(3) Die Zulassung ist vom pharmazeutischen Unternehmer zu beantragen. Für ein Fertigarzneimittel, das in Apotheken oder sonstigen Einzelhandelsbetrieben auf Grund einheitlicher Vorschriften hergestellt und unter einer einheitlichen Bezeichnung an Verbraucher abgegeben wird, ist die Zulassung vom Herausgeber der Herstellungsvorschrift zu beantragen. Wird ein Fertigarzneimittel für mehrere Apotheken oder sonstige Einzelhandelsbetriebe hergestellt und soll es unter deren Namen und unter einer einheitlichen Bezeichnung an Verbraucher abgegeben werden, so hat der Hersteller die Zulassung zu beantragen.

(4) Die zuständige Bundesoberbehörde entscheidet ferner, unabhängig von einem Zulassungsantrag nach Absatz 3 oder von einem Genehmigungsantrag nach § 21a Absatz 1 oder § 42 Absatz 2, auf Antrag einer zuständigen Landesbehörde über die Zulassungspflicht eines Arzneimittels, die Genehmigungspflicht einer Gewebezubereitung oder über die Genehmigungspflicht einer klinischen Prüfung. Dem Antrag hat die zuständige Landesbehörde eine begründete Stellungnahme zur Einstufung des Arzneimittels oder der klinischen Prüfung beizufügen.

(1) Die Krankenkassen stellen den Versicherten die im Dritten Kapitel genannten Leistungen unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12) zur Verfügung, soweit diese Leistungen nicht der Eigenverantwortung der Versicherten zugerechnet werden. Behandlungsmethoden, Arznei- und Heilmittel der besonderen Therapierichtungen sind nicht ausgeschlossen. Qualität und Wirksamkeit der Leistungen haben dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen.

(1a) Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, können auch eine von Absatz 1 Satz 3 abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Die Krankenkasse erteilt für Leistungen nach Satz 1 vor Beginn der Behandlung eine Kostenübernahmeerklärung, wenn Versicherte oder behandelnde Leistungserbringer dies beantragen. Mit der Kostenübernahmeerklärung wird die Abrechnungsmöglichkeit der Leistung nach Satz 1 festgestellt.

(2) Die Versicherten erhalten die Leistungen als Sach- und Dienstleistungen, soweit dieses oder das Neunte Buch nichts Abweichendes vorsehen. Die Leistungen werden auf Antrag durch ein Persönliches Budget erbracht; § 29 des Neunten Buches gilt entsprechend. Über die Erbringung der Sach- und Dienstleistungen schließen die Krankenkassen nach den Vorschriften des Vierten Kapitels Verträge mit den Leistungserbringern.

(3) Bei der Auswahl der Leistungserbringer ist ihre Vielfalt zu beachten. Den religiösen Bedürfnissen der Versicherten ist Rechnung zu tragen.

(4) Krankenkassen, Leistungserbringer und Versicherte haben darauf zu achten, daß die Leistungen wirksam und wirtschaftlich erbracht und nur im notwendigen Umfang in Anspruch genommen werden.

(1) Fertigarzneimittel dürfen im Geltungsbereich dieses Gesetzes nur in den Verkehr gebracht werden, wenn sie durch die zuständige Bundesoberbehörde zugelassen sind oder wenn für sie die Europäische Gemeinschaft oder die Europäische Union eine Genehmigung für das Inverkehrbringen nach Artikel 3 Absatz 1 oder 2 der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 erteilt hat. Satz 1 gilt auch in Verbindung mit der Verordnung (EG) Nr. 1901/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Kinderarzneimittel und zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1768/92, der Richtlinie 2001/83/EG und der Verordnung (EU) Nr. 536/2014, der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 (ABl. L 378 vom 27.12.2006, S. 1; L 201 vom 27.7.2012, S. 28), die zuletzt durch die Verordnung (EU) 2019/5 (ABl. L 4 vom 7.1.2019, S. 24) geändert worden ist, in Verbindung mit der Verordnung (EU) Nr. 536/2014 oder in Verbindung mit der Verordnung (EG) Nr. 1394/2007.

(2) Einer Zulassung bedarf es nicht für Arzneimittel, die

1.
auf Grund nachweislich häufiger ärztlicher oder zahnärztlicher Verschreibung in den wesentlichen Herstellungsschritten in einer Apotheke in einer Menge bis zu hundert abgabefertigen Packungen an einem Tag im Rahmen des üblichen Apothekenbetriebs hergestellt werden und zur Abgabe im Rahmen der bestehenden Apothekenbetriebserlaubnis bestimmt sind,
1a.
Arzneimittel sind, bei deren Herstellung Stoffe menschlicher Herkunft eingesetzt werden und die entweder zur autologen oder gerichteten, für eine bestimmte Person vorgesehene Anwendung bestimmt sind oder auf Grund einer Rezeptur für einzelne Personen hergestellt werden, es sei denn, es handelt sich um Arzneimittel im Sinne von § 4 Absatz 4,
1b.
andere als die in Nummer 1a genannten Arzneimittel sind und für Apotheken, denen für einen Patienten eine Verschreibung vorliegt, aus im Geltungsbereich dieses Gesetzes zugelassenen Arzneimitteln
a)
als Zytostatikazubereitung oder für die parenterale Ernährung sowie in anderen medizinisch begründeten besonderen Bedarfsfällen, sofern es für die ausreichende Versorgung des Patienten erforderlich ist und kein zugelassenes Arzneimittel zur Verfügung steht, hergestellt werden oder
b)
als Blister aus unveränderten Arzneimitteln hergestellt werden oder
c)
in unveränderter Form abgefüllt werden,
1c.
antivirale oder antibakterielle Wirksamkeit haben und zur Behandlung einer bedrohlichen übertragbaren Krankheit, deren Ausbreitung eine sofortige und das übliche Maß erheblich überschreitende Bereitstellung von spezifischen Arzneimitteln erforderlich macht, aus Wirkstoffen hergestellt werden, die von den Gesundheitsbehörden des Bundes oder der Länder oder von diesen benannten Stellen für diese Zwecke bevorratet wurden, soweit ihre Herstellung in einer Apotheke zur Abgabe im Rahmen der bestehenden Apothekenbetriebserlaubnis oder zur Abgabe an andere Apotheken erfolgt,
1d.
Gewebezubereitungen sind, die der Pflicht zur Genehmigung nach den Vorschriften des § 21a Abs. 1 unterliegen,
1e.
Heilwässer, Bademoore oder andere Peloide sind, die nicht im Voraus hergestellt und nicht in einer zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Packung in den Verkehr gebracht werden, oder die ausschließlich zur äußeren Anwendung oder zur Inhalation vor Ort bestimmt sind,
1f.
medizinische Gase sind und die für einzelne Personen aus im Geltungsbereich dieses Gesetzes zugelassenen Arzneimitteln durch Abfüllen und Kennzeichnen in Unternehmen, die nach § 50 zum Einzelhandel mit Arzneimitteln außerhalb von Apotheken befugt sind, hergestellt werden,
1g.
als Therapieallergene für einzelne Patienten auf Grund einer Rezeptur hergestellt werden,
2.
zur klinischen Prüfung bestimmt sind oder
3.
unter den in Artikel 83 der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 genannten Voraussetzungen kostenlos für eine Anwendung bei Patienten zur Verfügung gestellt werden, die an einer zu einer schweren Behinderung führenden Erkrankung leiden oder deren Krankheit lebensbedrohend ist, und die mit einem zugelassenen Arzneimittel nicht zufrieden stellend behandelt werden können; dies gilt auch für die nicht den Kategorien des Artikels 3 Absatz 1 oder 2 der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 zugehörigen Arzneimittel; Verfahrensregelungen werden in einer Rechtsverordnung nach § 80 bestimmt.

(2a) (weggefallen)

(3) Die Zulassung ist vom pharmazeutischen Unternehmer zu beantragen. Für ein Fertigarzneimittel, das in Apotheken oder sonstigen Einzelhandelsbetrieben auf Grund einheitlicher Vorschriften hergestellt und unter einer einheitlichen Bezeichnung an Verbraucher abgegeben wird, ist die Zulassung vom Herausgeber der Herstellungsvorschrift zu beantragen. Wird ein Fertigarzneimittel für mehrere Apotheken oder sonstige Einzelhandelsbetriebe hergestellt und soll es unter deren Namen und unter einer einheitlichen Bezeichnung an Verbraucher abgegeben werden, so hat der Hersteller die Zulassung zu beantragen.

(4) Die zuständige Bundesoberbehörde entscheidet ferner, unabhängig von einem Zulassungsantrag nach Absatz 3 oder von einem Genehmigungsantrag nach § 21a Absatz 1 oder § 42 Absatz 2, auf Antrag einer zuständigen Landesbehörde über die Zulassungspflicht eines Arzneimittels, die Genehmigungspflicht einer Gewebezubereitung oder über die Genehmigungspflicht einer klinischen Prüfung. Dem Antrag hat die zuständige Landesbehörde eine begründete Stellungnahme zur Einstufung des Arzneimittels oder der klinischen Prüfung beizufügen.

Tatbestand

1

Umstritten ist ein Arzneikostenregress wegen der Verordnung des Arzneimittels Polyglobin in den Quartalen II/1999 bis IV/1999.

2

Der in diesen Quartalen als Hausarzt an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Kläger verordnete insgesamt 17-mal "Polyglobin 5 %" für die 1932 geborene Versicherte H. Diese litt an einem metastasierenden Karzinom der Eileiter, das auch die Leber befallen hatte, und ist 2001 verstorben. Die Kosten je Verordnung beliefen sich auf 3209,02 DM. Auf Antrag der Rechtsvorgängerin der zu 2. beigeladenen Krankenkasse vom 1.12.2000 setzte der Prüfungsausschuss auf der Grundlage des § 14 der für den Bezirk der zu 1. beigeladenen Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) geltenden Prüfvereinbarung eine Schadensersatzpflicht des Klägers wegen der Verordnung von "Polyglobin" in Höhe von 51 553 DM fest. Dieser Betrag ergab sich auf der Grundlage der Bruttoverordnungskosten unter Abzug eines fünfprozentigen Apothekenrabatts und der von der Versicherten geleisteten Zuzahlungen. Der beklagte Beschwerdeausschuss wies den Widerspruch des Klägers mit der Begründung zurück, Polyglobin sei nicht im Rahmen der Zulassungsindikationen verordnet worden, und für eine Verordnung außerhalb der zugelassenen Indikationen - der Kläger hatte die Behandlung eines Antikörpermangels bei der Versicherten als Grund für die Verordnungen angeführt - habe keine rechtliche Grundlage bestanden.

3

Das SG hat den Bescheid des Beklagten aufgehoben, soweit die Verordnungen im Quartal II/1999 ausgestellt worden sind, weil die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2. die Antragsfrist versäumt habe. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen, weil für einen zulassungsüberschreitenden Einsatz von Polyglobin die rechtlichen Voraussetzungen, die inzwischen von der Rechtsprechung des BSG geklärt seien, nicht vorgelegen hätten.

4

Dieses Urteil haben der Kläger am 15.4.2005 mit der Berufung und die Beigeladene zu 2. am 28.11.2006 mit der Anschlussberufung angegriffen. Der Kläger hat geltend gemacht, die Verordnung von Polyglobin in den streitbefangenen Quartalen habe den Behandlungserfolg der Chemotherapie absichern sollen und sei damit zur erfolgreichen Behandlung des inoperablen metastasierenden Tubenkarzinoms notwendig gewesen. Nach der Entscheidung des BSG vom 5.7.1995 (Remedacen) habe er darauf vertrauen können, verschreibungspflichtige Medikamente auch außerhalb ihres Zulassungsbereichs verordnen zu dürfen. Der durch dieses höchstrichterliche Urteil ausgelöste Vertrauensschutz sei frühestens durch das Urteil des BSG vom 30.9.1999 (SKAT) eingeschränkt worden. Dieses Urteil habe er bei Ausstellung der hier betroffenen Verordnungen nicht kennen können; insoweit sei ihm zumindest Vertrauensschutz zuzubilligen. Im Übrigen seien die von ihm vorgenommenen Verordnungen auch nach den heute geltenden Maßstäben nicht zu beanstanden, weil die Voraussetzungen für einen indikationsüberschreitenden Einsatz von Polyglobin nach den im Beschluss des BVerfG vom 6.12.2005 formulierten Maßstäben erfüllt seien.

5

Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und auf die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. das Urteil des SG geändert und die Klage auch hinsichtlich der Verordnungen aus dem Quartal II/1999 abgewiesen. Die Anschlussberufung sei zulässig, obwohl diese sich nicht auf den Teil des Streitgegenstandes beziehe, der Gegenstand der Berufung des Klägers sei (Quartale III und IV/1999). Soweit das BSG die Auffassung vertrete, eine Anschlussberufung müsse sich innerhalb des Streitgegenstandes der Hauptberufung bewegen, sei dem nicht zu folgen. Dem Gegner des Berufungsführers müsse es möglich sein, durch Anschließung an die Berufung des Hauptberufungsführers eine Überprüfung des erstinstanzlichen Urteils zu erreichen, auch soweit ein Streitgegenstand betroffen sei, der von der Berufung des Klägers nicht erfasst werde.

6

Die Berufung der beigeladenen Krankenkasse sei aus denselben Gründen begründet wie diejenige des Klägers unbegründet. Der Beklagte sei berechtigt gewesen, auf der Grundlage des § 14 der für Berlin geltenden Prüfvereinbarung Arzneikostenregresse gegen den Kläger wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel festzusetzen. Das setze nach der gefestigten Rechtsprechung des BSG kein Verschulden des Vertragsarztes voraus. Auch ein Antrag der jeweils betroffenen Krankenkasse sei nicht erforderlich gewesen; soweit die Prüfvereinbarung etwas anderes vorschreibe, sei das nach der Rechtsprechung des BSG mit höherrangigem Recht nicht vereinbar und deshalb unwirksam. Aus diesem Grund habe das SG der Klage hinsichtlich des Quartals II/1999 zu Unrecht stattgegeben. Auf Vertrauensschutz könne der Kläger sich nicht berufen. Soweit der 8. Senat des BSG im Jahr 1999 ausgeführt habe, die Versicherten hätten im Anschluss an das Urteil des 1. Senats des BSG vom 15.7.1995 zumindest bis zur Veröffentlichung des Urteils aus dem Jahre 1999 darauf vertrauen dürfen, dass sie mit Arzneimitteln auch außerhalb des durch die Zulassung nach dem Arzneimittelgesetz (AMG) bestimmten Indikationsbereichs versorgt werden dürften, könne dem nicht gefolgt werden. Schließlich führe auch der Beschluss des BVerfG vom 6.12.2005 nicht zu einer anderen Beurteilung, weil die Wirksamkeit von Polyglobin zur Behandlung der nach Auffassung des Klägers bei der Patientin H. vorhandenen Antikörperstörung nicht belegt sei (Urteil vom 26.11.2008).

7

Mit seiner Revision rügt der Kläger in verfahrensrechtlicher Hinsicht die Entscheidung des Berufungsgerichts, die Anschlussrevision der Beigeladenen zu 2. als zulässig anzusehen. Diese Berufung sei nach Ablauf der auch für diese Beigeladene geltenden Berufungsfrist von einem Monat nach Zustellung des sozialgerichtlichen Urteils eingelegt worden. Als unselbstständige Anschlussberufung sei sie nicht zulässig, weil sie sich nicht auf den Gegenstand der von ihm - dem Kläger - eingelegten Hauptberufung beziehe. Nach der Rechtsprechung des BSG dürfe nach Ablauf der für die Beteiligten geltenden Berufungsfrist der Streitgegenstand des Berufungsverfahrens nicht mehr erweitert werden. Seine - des Klägers - Verordnungen in den drei streitbefangenen Quartalen bildeten jeweils unterschiedliche Streitgegenstände, was das SG im Ausgangspunkt zutreffend dadurch zum Ausdruck gebracht habe, dass es den Regressbescheid hinsichtlich des Quartals II/1999 aufgehoben und hinsichtlich der in den beiden folgenden Quartalen ausgestellten Verordnungen für rechtmäßig gehalten habe. Deshalb sei der angefochtene Regressbescheid hinsichtlich der Verordnungen aus dem Quartal II/1999 dem Berufungsgericht mit seiner - des Klägers - (Haupt)Berufung nicht angefallen und habe durch die zu 2. beigeladene Krankenkasse nach Ablauf der Berufungsfrist nicht mehr in das Berufungsverfahren einbezogen werden können.

8

Im Übrigen sei das Urteil des LSG fehlerhaft, soweit es die Regresse für rechtmäßig gehalten habe. Der vom Berufungsgericht herangezogene § 14 Abs 1 der Prüfvereinbarung sei schon generell keine tragfähige Grundlage für einen Regress wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel. Die Prüfvereinbarung regele lediglich Verstöße gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot sowie Regresse wegen schuldhafter Verursachung eines "sonstigen Schadens". Der in der Rechtsprechung des BSG zugelassene Regress wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Mittel hätte in der Prüfvereinbarung zwar geregelt werden können, sei dort tatsächlich aber nicht geregelt worden.

9

Weiterhin sei der angefochtene Bescheid fehlerhaft, weil im Prüfungsausschuss wie im Beschwerdeausschuss jeweils unter Vorsitz eines Vertreters der Krankenkassen entschieden worden sei. Die Krankenkassenvertreter hätten eine Vertagung der Entscheidung des Beklagten in einer Sitzung unter Vorsitz eines Vertreters der Ärzte herbeigeführt, um so zu erreichen, dass über die Widersprüche des Klägers gegen die Entscheidung des Prüfungsausschusses, die unter Vorsitz eines Vertreters der Krankenkassen getroffen worden sei, erneut unter Vorsitz eines Vertreters der Krankenkassen entschieden werde. Das sei unzulässig. Die Vorschriften über den wechselnden Vorsitz im Prüfungs- und Beschwerdeausschuss nach § 106 SGB V aF könnten nur so verstanden werden, dass jedenfalls über Entscheidungen des Prüfungsausschusses, bei denen ein Vertreter der Krankenkassen den Vorsitz gehabt habe, in der Besetzung des Beschwerdeausschusses mit einem Vorsitzenden aus den Reihen der Vertragsärzte entschieden werden müsse.

10

Die Verordnung von Polyglobin sei zur Behandlung der bei der Versicherten H. vorhandenen lebensbedrohlichen Karzinomerkrankung notwendig gewesen. Zwar sei der Einsatz von Polyglobin nicht unmittelbar zur Heilung der Tumorerkrankung bzw zur Linderung der damit verbundenen Beschwerden erfolgt, doch habe die Versicherte unter einer Antikörperstörung gelitten, die eine Chemotherapie unmöglich gemacht habe, die ihrerseits zur Behandlung des Tumorgrundleidens erforderlich gewesen sei. Der Einsatz von Polyglobin habe die Voraussetzungen für eine Fortsetzung der Chemotherapie schaffen sollen, und seine Rechtmäßigkeit müsse deshalb aus medizinischen Gründen nach denselben Maßstäben beurteilt werden wie die Verordnung von Arzneimitteln zur kausalen Krebstherapie. Jedenfalls habe er - der Kläger - darauf vertrauen dürfen, dass im Hinblick auf die Rechtsprechung des BSG auch der die Indikationsgrenzen überschreitende Einsatz generell zugelassener Arzneimittel (Off-Label-Use) im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung möglich gewesen sei. Das habe der 1. Senat des BSG im Juli 1995 zum Einsatz des Codeinpräparates Remedacen zur Drogensubstitution entschieden, und der 8. Senat des BSG, der mit dieser Rechtsprechung nicht einverstanden gewesen sei, habe im Jahr 1999 für die Zeit bis zur Verkündung seiner Entscheidung den Versicherten Vertrauensschutz zugebilligt. Auf diesen Vertrauensschutz könne er - der Kläger - sich hier auch berufen. Soweit der 6. Senat des BSG im Mai 2006 entschieden habe, Vertrauensschutzaspekte spielten insoweit keine Rolle, weil Vertragsärzte, die Arzneimittel außerhalb der Zulassungsindikationen einsetzen wollten, gehalten seien, ein Privatrezept auszustellen und die Versicherten bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche gegen die Krankenkasse zu unterstützen, sei das auf die hier maßgebliche Rechtslage des Jahres 1999 nicht übertragbar. Zu diesem Zeitpunkt sei nach § 29 Abs 1 Satz 2 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) die Genehmigung von Verordnungen durch eine Krankenkasse unzulässig gewesen. In Verbindung mit der Rechtsprechung des 1. Senats des BSG zu Remedacen habe sich daraus die Berechtigung von Vertragsärzten ergeben, den Off-Label-Use-Einsatz im regulären Verfahren durch Ausstellen von vertragsärztlichen Verordnungen zu praktizieren. Soweit das LSG bemängelt habe, das bei der Versicherten H. vorliegende Antikörpermangelsyndrom, das letztlich den Einsatz von Polyglobin erforderlich gemacht habe, sei nicht ausreichend belegt, könne dem nicht gefolgt werden. Entgegen der Auffassung des LSG seien laborchemische Untersuchungen zum Nachweis dieses Antikörpermangelsyndroms verzichtbar.

11

Der Kläger beantragt,

die Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 26.11.2008 und des Sozialgerichts Berlin vom 9.2.2005, soweit hier die Klage abgewiesen wurde, sowie den Bescheid des Beklagten vom 12.12.2001 aufzuheben,

hilfsweise, die Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 26.11.2008 und des Sozialgerichts Berlin vom 9.2.2005 sowie den Bescheid des Beklagten vom 12.12.2001 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, über den Widerspruch des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu entscheiden,

weiter hilfsweise, das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 26.11.2008 aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

12

Der Beklagte und die Beigeladene zu 2. beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

13

Zutreffend habe das Berufungsgericht entschieden, dass die Partner der Prüfvereinbarungen nicht einmal berechtigt gewesen wären, Arzneikostenregresse wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel vom Verschulden des Vertragsarztes abhängig zu machen. Entgegen der Auffassung des Klägers habe die maßgebliche Prüfvereinbarung aus dem Jahre 1994 nicht vorgeschrieben, dass eine unter dem Vorsitz eines Kassenvertreters getroffene Entscheidung vom Beschwerdeausschuss nur unter dem Vorsitz eines Vertreters der Ärzte überprüft werden dürfe. Eine solche Regelung wäre auch nicht praktikabel gewesen und hätte die Dauer der Prüfverfahren erheblich verlängert. Die Ausführungen des Klägers hinsichtlich seines Vertrauens auf bestimmte Entscheidungen des BSG seien irrelevant. Es sei lebensfremd, dass ein Vertragsarzt die einzelnen Entwicklungsschritte der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Kenntnis nehme und sein Verordnungsverhalten daran ausrichte. Eine Ausnahmelage im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG vom 6.12.2005 habe in den streitbefangenen Quartalen bei der Versicherten H. nicht bestanden.

14

Die zu 2. beigeladene Krankenkasse hält das Urteil des LSG ebenfalls für zutreffend. Zu Recht habe das LSG ihre Anschlussberufung als zulässig angesehen. Folge man der Auffassung des Klägers, gebe es für die Anschlussberufung im sozialgerichtlichen Verfahren überhaupt keinen Anwendungsbereich, weil die Hauptberufung regelmäßig nur insoweit erhoben werde, als der Rechtsmittelführer durch das sozialgerichtliche Urteil beschwert sei. Für eine Anschlussberufung sei dann kein Raum, weil im Rahmen der Beschwer des Klägers der Anschlussberufungsführer selbst mit dem angefochtenen Urteil einverstanden sei. Ein Grund für eine derart restriktive Handhabung entgegen der Rechtsprechung in den anderen Gerichtszweigen sei nicht erkennbar.

Entscheidungsgründe

15

Die Revision des Klägers hat teilweise Erfolg. Zu Recht rügt er, dass das Berufungsgericht über den angefochtenen Bescheid des Beklagten hinsichtlich der Verordnungen aus dem Quartal II/1999 in der Sache entschieden habe. Insoweit ist die zugunsten des Klägers ergangene Entscheidung des SG rechtskräftig geworden, weil die Beigeladene zu 2. innerhalb der Berufungsfrist keine Berufung eingelegt hat. Ihre Anschlussberufung war unzulässig (1). Keinen Erfolg hat die Revision dagegen hinsichtlich der Verordnungen in den Quartalen III und IV/1999. Insoweit hat das LSG die Berufung des Klägers gegen das sozialgerichtliche Urteil zu Recht zurückgewiesen. Der angefochtene Bescheid des Beklagten ist rechtmäßig (2).

16

1. Die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. vom 28.11.2006 war unzulässig. Das Berufungsgericht hätte auf diese Anschlussberufung hin nicht in eine Sachprüfung des angefochtenen Bescheides im Hinblick auf die Verordnungen des Klägers aus dem Quartal II/1999 eintreten dürfen. Insoweit war das der Klage stattgebende Urteil des SG nämlich bereits rechtskräftig geworden.

17

a. Die Berufung der beigeladenen Krankenkasse hätte nur als Anschlussberufung iS des § 202 SGG iVm § 524 ZPO zulässig sein können. Eine eigenständige Berufung wäre wegen Versäumung der Berufungsfrist des § 151 Abs 1 SGG unzulässig. Das Urteil des SG ist der Beigeladenen zu 2. am 16.3.2005 zugestellt worden; die Monatsfrist des § 151 Abs 1 SGG ist durch die Einlegung der Berufung am 28.11.2006 nicht gewahrt worden.

18

Die Berufungsfrist des § 151 Abs 1 SGG gilt nicht für die Anschlussberufung, die nach der Rechtsprechung des BSG auch in der Sozialgerichtsbarkeit statthaft ist(BSGE 63, 167, 169 = SozR 1500 § 54 Nr 85; Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer (Hrsg), SGG 9. Aufl 2008, § 143 RdNr 5). Die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. war hier aber unzulässig, weil sie nicht den gleichen prozessualen Anspruch wie die Hauptberufung des Klägers betroffen, sondern einen neuen Streitgegenstand in das Berufungsverfahren eingeführt hat. Das ist nach der Rechtsprechung aller mit dieser Rechtsfrage bisher befassten Senate des BSG ausgeschlossen (zB Urteil des 9. Senats vom 8.7.1969 = SozR Nr 12 zu § 521 ZPO; 6. Senat vom 19.6.1996 - 6 RKa 24/95 - = USK 96131) Diese Entscheidungen sind zu Ansprüchen ergangen, die Gegenstand des Klageverfahrens, aber nicht der Hauptberufung waren. Das Urteil des 4. Senats vom 10.2.2005 - B 4 RA 48/04 R - betrifft einen mit der Anschlussberufung geltend gemachten Anspruch, der nicht einmal Gegenstand des Klageverfahrens gewesen ist. Die Rechtsauffassung des BSG zur Begrenzung der Anschlussberufung auf den Streitgegenstand der Hauptberufung wird in den Kommentaren zum SGG - soweit ersichtlich ohne Ausnahme - geteilt (Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 143 RdNr 5d; Eckertz in: Lüdtke, Handkommentar Sozialgerichtsgesetz, 3. Aufl 2009, § 143 RdNr 37; Behn in: Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, 87. Ergänzungslieferung, Stand: Mai 2009 - Gesamtwerk, § 143 RdNr 68 f; Frehse in: Jansen, SGG, 3. Aufl 2009, § 143 RdNr 7; Waschull in: Berchtold/Richter, Prozesse in Sozialsachen, 2009, § 6 RdNr 130). Nach Bernsdorff (in: Hennig, SGG, Stand Februar 2009 - Gesamtwerk - § 143 RdNr 27) liegt keine Anschlussberufung vor, wenn sich der Antrag des Berufungsbeklagten bei teilbarem Streitgegenstand gegen einen anderen als den mit der Berufung angegriffenen Teil des erstinstanzlichen Urteils richtet (ähnlich Breitkreuz in: Breitkreuz/Fichte, SGG, 2009, § 143 RdNr 24).

19

b. Bei Anwendung dieser Rechtsauffassung ist die Anschlussberufung unzulässig, wie das LSG zutreffend angenommen hat. Die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. betrifft einen anderen Streitgegenstand als die Hauptberufung, weil diese die Verordnungen des Klägers aus den Quartalen III/1999 und IV/1999, jene aber solche aus dem Quartal II/1999 erfasst. Vertragsärztliche Honorarbescheide sowie Bescheide der Gremien der Wirtschaftlichkeitsprüfung ergehen quartalsbezogen und enthalten, wenn Entscheidungen mehrere Quartale betreffen (vgl zB BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 30/08 R - RdNr 24 mwN, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen), verschiedene Regelungen iS des § 31 Satz 1 SGB X. Selbst innerhalb eines Bescheides für ein Quartal können zahlreiche eigenständige "Regelungen" ergehen, die selbstständig anfechtbar sind. Das hat der Senat in einem Urteil vom 23.2.2005 (SozR 4-1500 § 92 Nr 2) für einen Honorarbescheid näher dargelegt; in dem schon zitierten Urteil vom 19.6.1996 (6 RKa 24/95) hat der Senat das in Bezug auf einen Bescheid zur Wirtschaftlichkeitsprüfung hinsichtlich von Kürzungen für bestimmte Leistungen bzw Leistungssparten als selbstverständlich vorausgesetzt und im Urteil vom 16.7.2008 ausdrücklich ausgesprochen (BSGE 101, 130 = SozR 4-2500 § 106 Nr 19, RdNr 25 am Ende).

20

Diese Rechtsprechung kann allerdings nicht ohne Weiteres auf Kostenregresse wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel übertragen werden. Derartige Regressbescheide können quartalsbezogen ergehen, etwa wenn ein Arzt über einen längeren Zeitraum hinweg bestimmte Medikamente für zahlreiche Patienten verordnet. Zwingend ist die Bindung eines Kostenregresses ebenso wie eines Regresses wegen eines sog "sonstigen Schadens" an den Quartalsturnus indessen nicht und bietet sich gerade in Konstellationen nicht an, in denen es um die Behandlung eines Versicherten mit einem umstrittenen Medikament über mehrere Quartale geht. Ein solcher Fall ist hier zu beurteilen, und sowohl der Regressantrag der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2. wie die Entscheidungen des Prüfungsausschusses und des Beklagten haben nicht nach den drei betroffenen Quartalen differenziert und mussten das auch nicht.

21

Ursprünglich bildete deshalb der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Aufhebung der - Verordnungen aus drei Quartalen erfassenden - Entscheidung des Beklagten vom 12.12.2001 den Streitgegenstand des gerichtlichen Verfahrens. Das SG hat diesen einheitlichen Streitgegenstand jedoch getrennt und die Regressfestsetzung je nach Zuordnung der beanstandeten Verordnungen des Klägers zu den Quartalen II/1999 einerseits sowie III und IV 1999 andererseits unterschiedlich beurteilt. Anlass dazu hat dem SG die (mittelbar) quartalsbezogene Regelung über die Antragsfrist der Krankenkasse in § 14 Abs 2 der maßgeblichen Prüfvereinbarung gegeben. Weil offenbar die Krankenkassen die Verordnungen aus jedem Quartal zusammengefasst zu einem bestimmten Termin erhalten, der wiederum für den Beginn der Antragsfrist nach § 14 Abs 2 von Bedeutung ist, konnte nach Ansicht des SG die Prüfung der Einhaltung dieser Frist nur differenziert für jedes Quartal erfolgen. Das Urteil des SG hat inzident die angefochtene Entscheidung des Beklagten in zumindest zwei Regelungen iS des § 31 Satz 1 SGB X aufgespalten, nämlich hinsichtlich der aus dem Quartal II/1999 und hinsichtlich der aus den Quartalen III/1999 sowie IV/1999 stammenden Verordnungen des Klägers. Bundesrecht ist dadurch nicht verletzt, und das SG hat durch den Tenor seines Urteils die Beteiligten über das gerichtliche Vorgehen hinreichend deutlich informiert.

22

Damit bestand bei Zustellung des SG-Urteils eine Rechtslage, wie sie derjenigen bei Honorarfestsetzungen oder Kürzungs- bzw Regressbescheiden entspricht, die von vornherein mehrere Quartale erfassen. Für jedes dieser Quartale ist (mindestens) eine Regelung angefochten, deren prozessuales Schicksal von demjenigen für die anderen Quartale abweichen kann; die Regelung für jedes Quartal bildet einen eigenständigen Streitgegenstand. Als Folge der Hauptberufung des Klägers war der angefochtene Bescheid des Beklagten Gegenstand des Berufungsverfahrens nur hinsichtlich der aus den Quartalen III/1999 und IV/1999 stammenden Verordnungen; das ist dem Antrag des Klägers im LSG-Verfahren deutlich zu entnehmen. Die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. hat mit der Entscheidung des Beklagten über die aus dem Quartal II/1999 stammenden Verordnungen einen neuen Streitgegenstand in das Berufungsverfahren eingeführt. Das ist nach der bisherigen Rechtsprechung des BSG nicht zulässig. Ein Anlass, von dieser Rechtsprechung abzuweichen, ist nicht ersichtlich.

23

c. Kein durchgreifendes Bedenken ergibt sich aus dem Hinweis der Beigeladenen zu 2., auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des BSG bleibe für die Anschlussberufung nur ein sehr begrenzter Anwendungsbereich. Wenn die Anschlussberufung nur innerhalb des prozessualen Anspruchs erhoben werden kann, der Gegenstand der Hauptberufung ist, kommt im vertragsärztlichen Bereich bei Honorarkürzungen bzw Arzneikostenregressen eine Anschlussberufung typischerweise nur dann in Betracht, wenn das SG auf die Klage die zuständige Behörde zur Neubescheidung nach bestimmten Maßgaben verurteilt und der Kläger mit seiner Berufung die endgültige Aufhebung der ihn belastenden Bescheide begehrt. Dieser Berufung können sich dann die KÄV, der Beschwerdeausschuss oder die beigeladenen Krankenkassen (bzw Krankenkassenverbände) mit dem Antrag anschließen, die Klage in vollem Umfang abzuweisen, auch nachdem die für sie laufende Berufungsfrist abgelaufen ist. Alle übrigen Regelungen der ursprünglich angefochtenen Entscheidung, über die das SG entschieden hat, ohne dass ein Beteiligter das mit der Berufung angefochten hat, die also etwa andere Leistungspositionen oder andere Quartale betreffen, werden dagegen bestandskräftig. Das ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts im vertragsärztlichen Bereich richtig und praktikabel.

24

Auf der Grundlage der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts bliebe dagegen möglicherweise während der gesamten Dauer eines Berufungsverfahrens offen, ob Regelungen in Kürzungs- oder Regressbescheiden, die nicht Gegenstand der Hauptberufung sind, bestandskräftig werden oder nicht. Soweit etwa in einer Entscheidung des Beschwerdeausschusses Honorarkürzungen oder Arzneikostenregresse für eine größere Zahl von Quartalen auf der Grundlage einer Vielzahl von Entscheidungen des Prüfungsausschusses (oder der Prüfungsstelle iS des § 106 Abs 4 Satz 1 SGB V idF des GKV-WSG vom 26.3.2007) zusammengefasst worden sind, bleibt deren Bestandskraft über Jahre hinweg offen, auch wenn nur eine Detailregelung hinsichtlich eines einzelnen Quartals Gegenstand des Berufungsverfahrens ist. Das ist sowohl für den beteiligten Vertragsarzt wie für die KÄV und die Krankenkassen als Kostenträger schwierig zu handhaben, weil ggf Rückstellungen gebildet werden müssten und Beträge nicht verbucht werden könnten.

25

Ein tatsächliches Bedürfnis, diese Rechtsfolgen in Kauf zu nehmen, um den Beteiligten bis zum Abschluss der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz die Möglichkeit der Anschlussberufung auch außerhalb des prozessualen Anspruchs, der Gegenstand der Hauptberufung ist, offen zu halten, vermag der Senat nicht zu erkennen. Ob Honorarkürzungs- oder Regressbescheide, die verschiedene Regelungen iS des § 31 Satz 1 SGB X zum Inhalt haben und häufig mehrere Quartale betreffen, einzeln angegriffen oder durch die Widerspruchsstelle zusammengefasst bzw im gerichtlichen Verfahren auf der Grundlage des § 113 Abs 1 SGG verbunden werden, ist eine Frage der Praktikabilität. Jeder Verfahrensbeteiligte hat nach Bekanntgabe des das Verwaltungsverfahren abschließenden Bescheides oder des erstinstanzlichen Urteils eine Frist von einem Monat, innerhalb der er prüfen und entscheiden kann, ob und ggf inwieweit er die Entscheidung der Behörde bzw des erstinstanzlichen Gerichts hinnehmen will oder nicht. Ein berechtigtes Interesse, Monate oder sogar Jahre nach Einlegung der Berufung des Gegners noch Regelungen der gerichtlichen Überprüfung des LSG zuführen zu können, zu denen die Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts zunächst hingenommen worden ist, besteht nicht.

26

d. Zudem kann die prozessuale Sicht des Berufungsgerichts die Entscheidungsreife der Berufung in Frage stellen, jedenfalls soweit keine Frist für die Anschlussberufung normiert ist. Während nach § 127 Abs 2 Satz 2 VwGO die Anschließung nur bis zum Ablauf eines Monats nach Zustellung der Berufungsbegründungsschrift zugelassen wird, besteht keine ebensolche Bestimmung im SGG. Die VwGO-Vorschrift soll nach vorherrschender Auffassung auf das sozialgerichtliche Verfahren nicht übertragen werden können, weil dafür eine rechtliche Grundlage fehlt. Vergleichbares wird hinsichtlich der ähnlichen Frist des § 524 Abs 2 Satz 2 ZPO angenommen, die immerhin über § 202 SGG grundsätzlich im sozialgerichtlichen Verfahren angewandt werden könnte(vgl Leitherer, aaO, § 143 RdNr 5 f). Nach dieser Vorschrift ist die Anschlussberufung zulässig bis zum Ablauf der dem Berufungsbeklagten gesetzten Frist zur Berufungserwiderung. Eine dem § 521 Abs 1 ZPO entsprechende Vorschrift über die Zustellung der Berufungsschrift und der Berufungsbegründungsschrift an den Gegner kennt das SGG nicht. Die entsprechende Anwendung des § 524 Abs 2 Satz 2 ZPO über § 202 SGG setzt aber die Zustellung mindestens der Berufungsbegründung an den Gegner voraus, damit Klarheit über den Beginn der Frist für die Einlegung der Anschlussberufung besteht. Die Anwendung von Ausschlussfristen im sozialgerichtlichen Verfahren ohne explizite normative Grundlage ist unter dem Gesichtspunkt der Garantie des effektiven Rechtsschutzes (Art 19 Abs 4 Satz 1, Art 103 Abs 1 GG) problematisch, sodass ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung, die auch in der Anordnung einer entsprechenden Geltung des § 127 Abs 2 Satz 2 VwGO im SGG bestehen könnte, die Ausschlussfrist für die Anschlussberufung wohl nicht entsprechend angewandt werden kann. Das dürfte auch deshalb anzunehmen sein, weil im Berufungsverfahren der Sozialgerichtsbarkeit im Unterschied zu demjenigen in der Verwaltungs- und in der Zivilgerichtsbarkeit kein Vertretungszwang herrscht, und die Vorschriften über die Zustellung von Berufungs- und Berufungsbegründungsschriften sowie daran anknüpfende Fristen auf einen durch professionelle Bevollmächtigte geführten Prozess zugeschnitten sind.

27

Würde - was das LSG nicht erwogen hat - auf der Grundlage einer analogen Anwendung des § 127 Abs 2 Satz 2 VwGO im sozialgerichtlichen Verfahren auf den Nachweis der Zustellung der Berufungsbegründungsschrift verzichtet und der Nachweis ihrer tatsächlichen Kenntnis für ausreichend gehalten, wäre die Anschlussberufung der zu 2. beigeladenen Krankenkasse hier ebenfalls unzulässig. Diese hat, wie sich aus ihrer Reaktion im Berufungsverfahren vom 4.4.2006 ergibt, Monate vor Einlegung der Anschlussberufung am 28.11.2006 Kenntnis von der Berufungsbegründung des Klägers gehabt. Die entsprechende Anwendung der Monatsfrist des § 127 Abs 2 Satz 2 VwGO würde dann ebenfalls zur Unzulässigkeit ihrer Berufung führen. Demgegenüber hätte die vom Berufungsgericht offenbar befürwortete unbefristete Zulassung der Anschlussberufung bis zur mündlichen Verhandlung zur Folge, dass das LSG trotz Entscheidungsreife der Hauptberufung den Rechtsstreit vertagen müsste, wenn zum Gegenstand der Anschlussberufung noch Sachaufklärungsbedarf besteht. Das könnte zu Verzögerungen der Entscheidung führen, die auch im Hinblick auf das Gebot der Gewährung von Rechtsschutz in angemessener Zeit (Art 6 Europäische Menschenrechtskonvention) möglichst zu vermeiden sind.

28

Diese Erwägungen geben dem Senat Anlass, trotz der gewichtigen Einwände des Berufungsgerichts an der bisherigen Rechtsprechung des BSG zur Anschlussberufung festzuhalten und von einer andernfalls gebotenen Anrufung des Großen Senats nach § 41 Abs 2 SGG im Hinblick auf die Rechtsprechung anderer Senate zum Gegenstand der Anschlussberufung im sozialgerichtlichen Verfahren abzusehen.

29

2. Im Übrigen erweist sich die Revision des Klägers aber als unbegründet.

30

a. Das Berufungsgericht hat angenommen, § 14 Abs 1 iVm Abs 3 der seit dem Jahre 1994 geltenden und für die Verordnungen des Klägers im Jahre 1999 noch anwendbaren Prüfvereinbarung für den Bezirk der zu 1. beigeladenen KÄV Berlin gestatte die Festsetzung von Arzneikostenregressen, soweit der Vertragsarzt Arzneimittel verordnet hat, die in der vertragsärztlichen Versorgung nicht verordnungsfähig sind. Die Kenntnis des Vertragsarztes von der fehlenden Verordnungsfähigkeit oder generell ein Verschulden des Arztes sei insoweit nicht Voraussetzung für die Festsetzung eines Regresses. Soweit der Kläger § 14 der Prüfvereinbarung anders versteht und annimmt, diese Norm erfasse nur Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung bzw die Festsetzung eines verschuldensabhängigen "sonstigen Schadens" und nicht die Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel, ist dem im Revisionsverfahren nicht weiter nachzugehen. Die Prüfvereinbarung stellt Landesrecht iS des § 162 SGG dar, das das Revisionsgericht in der Auslegung des Berufungsgerichts seiner Entscheidung zugrunde zu legen hat. Von diesem Grundsatz sind in der Rechtsprechung des BSG zwei Ausnahmen anerkannt. Danach können landesrechtliche Normen vom Revisionsgericht eigenständig ausgelegt und angewandt werden, wenn es sich um Normen handelt, die inhaltsgleich in Bezirken verschiedener LSG gelten, soweit die Übereinstimmung im Interesse der Rechtsvereinheitlichung bewusst und gewollt ist (BSG vom 8.9.2009 - B 1 KR 8/09 R - RdNr 26, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt. Es ist weder geltend gemacht noch gerichtsbekannt, dass die Berliner Prüfvereinbarung aus dem Jahr 1994 inhaltsgleich in anderen KÄV-Bezirken gilt.

31

Landesrechtliche Normen sind weiterhin einer eigenständigen Auslegung und Anwendung des BSG zugänglich, wenn das LSG entscheidungserhebliche Vorschriften unberücksichtigt gelassen hat (BSGE 98, 89 = SozR 4-2500 § 85 Nr 31, jeweils RdNr 15). Hier hat jedoch das LSG die als Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides ersichtlich einschlägige Vorschrift des § 14 der Prüfvereinbarung zutreffend herangezogen und unter Anwendung der allgemein anerkannten juristischen Auslegungskriterien ausgelegt. Der Kläger rügt auch keinen Verstoß gegen diese Auslegungsgrundsätze oder die Denkgesetze, sondern setzt der Auslegung des Berufungsgerichts seine abweichende Auslegung entgegen. Das führt nicht dazu, dass entgegen der Vorgabe des § 162 SGG das Revisionsgericht zu einer eigenständigen Auslegung berufen wäre.

32

Soweit § 14 der Prüfvereinbarung in der Auslegung des LSG eine hinreichende Grundlage für die Festsetzung von Arzneikostenregressen wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel darstellt, steht die Vorschrift mit Bundesrecht in Einklang. Der Senat hat mehrfach entschieden, dass auf der Grundlage des § 106 Abs 2 SGB V in den Prüfvereinbarungen Rechtsgrundlagen für Arzneikostenregresse festgeschrieben werden dürfen, soweit Vertragsärzte Arznei- und Heilmittel verordnet haben, die nicht Gegenstand der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung sind(zB BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 52; vgl zuletzt BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 37/08 R - RdNr 17 ff mwN, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Das stellt der Kläger selbst nicht in Abrede.

33

b. Soweit der Kläger in formeller Hinsicht weiter rügt, der angefochtene Bescheid des Beklagten sei fehlerhaft, weil er in einer Sitzung gefasst worden sei, in der ein Vertreter der Krankenkassen den Vorsitz innegehabt habe, kann dem nicht gefolgt werden. Weder die Prüfvereinbarung im Bezirk der zu 1. beigeladenen KÄV noch Bundesrecht haben vorgeschrieben, dass in den Jahren, in denen Prüfungs- und Beschwerdeausschüsse alternierend von einem Vertreter der Krankenkassen und der Vertragsärzte geleitet worden sind, Entscheidungen des Prüfungsausschusses, die unter ärztlichem Vorsitz getroffen worden sind, vom Beschwerdeausschuss nur unter Vorsitz eines Vertreters der Krankenkassen und umgekehrt überprüft werden dürfen.

34

Nach § 106 Abs 4 Satz 3 SGB V idF des Gesundheitsstrukturgesetzes vom 21.12.1992 führte in den von Vertretern der Ärzte und der Krankenkassen in gleicher Zahl besetzten Prüfungs- und Beschwerdeausschüssen jährlich wechselnd ein Vertreter der Ärzte und der Krankenkassen den Vorsitz. Die Stimme des Vorsitzenden gab bei Stimmengleichheit den Ausschlag (aaO, Satz 4). Diese als defizitär bewertete Regelung war manipulationsanfällig (vgl näher BSGE 92, 283 = SozR 4-2500 § 106 Nr 5 auch zur Neuregelung im Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung)und ist deshalb zum 1.1.2004 ohne Übergangsregelung in der Weise geändert worden, dass die Gremien nunmehr von einem neutralen Vorsitzenden geleitet werden. Für die Zeit bis zum 31.12.2003 galten aber die früheren Regelungen über den im Jahresturnus wechselnden Vorsitz fort, und diesen lag die Auffassung der Revision von einem notwendigen Wechsel im Vorsitz zwischen den beiden Verwaltungsinstanzen nicht zugrunde.

35

Der Kläger verweist selbst auf früher geltende Prüfvereinbarungen im Bezirk der KÄV Bayerns und der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Berlin, in denen bestimmt war, den Vorsitz im Beschwerdeausschuss führe ein Vertreter der Ärzte (Zahnärzte), wenn in dem zu entscheidenden Fall ein Vertreter der Krankenkassen den Vorsitz im Prüfungsausschuss inne hatte und umgekehrt. Dass eine solche Regelung im Bezirk der Beigeladenen zu 1. gegolten habe, macht der Kläger nicht geltend. Seine Auffassung, auch ohne ausdrückliche Regelung in der maßgeblichen Prüfvereinbarung ergebe sich dieser Grundsatz unmittelbar als Folge des § 106 Abs 4 Satz 3 SGB V aF über den turnusmäßigen Wechsel im Vorsitz von Prüfungs- und Beschwerdeausschuss, trifft nicht zu. Die Annahme einer solchen bundesrechtlichen Vorgabe hätte das Prüfverfahren verkompliziert und wäre ohne nähere Regelungen in den Prüfvereinbarungen kaum umsetzbar gewesen. Die Beschwerdeausschüsse hätten Beschlüsse über Entscheidungen der Prüfungsausschüsse möglicherweise zurückstellen müssen, weil im jeweiligen Jahr die "richtige" Besetzung nicht verfügbar gewesen wäre; alternativ hätte immer ein Vorsitzender der "Bank", die im jeweiligen Jahr im Beschwerdeausschuss nicht den Vorsitzenden stellt, zur Verfügung stehen müssen, um über Entscheidungen des Prüfungsausschusses zu beraten, die unter anderem Vorsitz getroffen worden sind. Ob die damit verbundenen formellen Erschwerungen des Prüfungsverfahrens bundesrechtlich unbedenklich gewesen wären, bleibt offen (zu den Grenzen des Gestaltungsspielraums der Gesamtvertragspartner bei Ausgestaltung der Prüfvereinbarung vgl BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 53 S 290 f). Eine Verpflichtung der Prüfgremien, ohne explizite Regelung in der Prüfvereinbarung so zu verfahren, hat jedenfalls nicht bestanden.

36

c. Soweit der Kläger geltend macht, die Entscheidung durch den Beklagten am 12.12.2001 sei nur deshalb unter dem Vorsitz eines Krankenkassenvertreters gefallen, weil die Kassenvertreter die ursprünglich vorgesehene Sitzung am 24.9.2001 boykottiert hätten, führt das zu keiner anderen Beurteilung. Da ein Arzt keinen Anspruch darauf hat, dass über seine Angelegenheit immer unter dem Vorsitz eines Arztes im Beschwerdeausschuss entschieden wird, wenn der Prüfungsausschuss unter dem Vorsitz eines Krankenkassenvertreters entschieden hat, stellt die Vertagung einer Sitzung auch dann grundsätzlich keinen Rechtsverstoß dar, wenn diese zur Folge haben sollte, dass der Vorsitz in der tatsächlich entscheidenden Sitzung wechselt. Im Übrigen hat das Berufungsgericht nicht iS des § 163 SGG festgestellt, dass die Vertagung der Entscheidung vom 24.9.2001 allein darauf beruht hat, dass die Krankenkassenvertreter erreichen wollten, dass über die Angelegenheit des Klägers in der Besetzung des Beschwerdeausschusses mit einem Vorsitzenden aus ihren Reihen entschieden wird. Schließlich ist im Hinblick auf die Rügen des Klägers zur Zusammensetzung des Beklagten bei der Beschlussfassung darauf hinzuweisen, dass die Krankenkassen nach der Rechtsprechung des Senats gegen Entscheidungen der Prüfgremien, mit denen ua Anträge auf Festsetzung von Honorarkürzungen oder Arzneikostenregressen abgelehnt werden, Rechtsmittel ergreifen können (zB BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 1 und BSG MedR 2004, 577, jeweils zu unzureichenden Kürzungen vertragszahnärztlichen Honorars; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 24 zum Sprechstundenbedarfsregress). Da vorliegend Ermessens- und Beurteilungsspielräume allenfalls am Rande in Rede stehen, spricht wenig dafür, dass die zu 2. beigeladene Krankenkasse eine - unterstellt für den Kläger positive - Entscheidung des Beklagten unter anderem Vorsitz auf sich hätte beruhen lassen.

37

d. Der Kläger durfte über "Polyglobin 5 %" in den streitbefangenen Quartalen keine vertragsärztliche Verordnung ausstellen. Er hat dieses Arzneimittel außerhalb der arzneimittelrechtlichen Zulassung verordnet.

38

Die Zulassung von Polyglobin war nach den Feststellungen des LSG auf die Behandlung der idiopathischen thrombozytopenischen Purpura (Hautblutungen) beschränkt, und an dieser Erkrankung hat die Versicherte H. nicht gelitten. Ein Arzneimittel darf grundsätzlich nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung für einen Einsatz außerhalb der arzneimittelrechtlich zugelassenen Indikation verordnet werden. Das hat der 1. Senat des BSG mit Urteil vom 19.3.2002 (BSGE 89, 184 = SozR 3-2500 § 31 Nr 8) unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung entschieden und daran bis heute festgehalten (zB BSGE 93, 236 = SozR 4-2500 § 27 Nr 1). Der 6. Senat des BSG ist dem für die Festsetzung von Arzneikostenregressen gefolgt (vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 RdNr 19; vgl auch BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 37/08 R - RdNr 26, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).

39

Der Kläger kann sich zur Rechtfertigung seiner Verordnungen von Polyglobin weder auf Vertrauensschutz noch auf einen der Annahmetatbestände stützen, unter denen Arzneimittel vertragsärztlich auch außerhalb der zugelassenen Indikation verordnet werden dürfen. Der Kläger ist der Auffassung, Vertragsärzte hätten in der Zeit zwischen dem Urteil des 1. Senats vom 5.7.1995 zur Drogensubstitution mit dem Codein-Präparat Remedacen (BSGE 76, 194 = SozR 3-2500 § 27 Nr 5) und dem Bekanntwerden des Urteils des 8. Senats vom 30.9.1999 zur SKAT-Therapie (BSGE 85, 36 = SozR 3-2500 § 27 Nr 11) generell darauf vertrauen dürfen, Arzneimittel im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung auch außerhalb der Zulassungsindikationen nach dem Arzneimittelrecht verordnen zu dürfen. Dem folgt der Senat in Übereinstimmung mit dem Berufungsgericht nicht.

40

Es ist bereits fraglich, ob ein Vertragsarzt im Hinblick auf das zu der sehr speziellen Situation der Drogensubstitution ergangene Urteil des 1. Senats vom 5.7.1995 generell darauf vertrauen durfte, Arzneimittel auch außerhalb ihrer Zulassungsindikation verordnen zu dürfen. Allenfalls kommt ein Vertrauen darauf in Betracht, dass die Bindung der vertragsärztlichen Verordnung an die Zulassung des jeweiligen Fertigarzneimittels nach dem AMG in dem Sinne gelockert ist, dass in bestimmten Konstellationen eine die arzneimittelrechtliche Zulassung überschreitende Verordnung, die medizinisch sinnvoll oder sogar geboten ist, auch krankenversicherungsrechtlich zulässig sein kann. In diesem Sinne ist das Urteil des 8. Senats vom 30.9.1999 richtigerweise zu verstehen. Weitergehende Schlussfolgerungen aus diesem Urteil im Sinne eines uneingeschränkt erlaubten indikationsfremden Einsatzes von Fertigarzneimitteln liegen eher fern, zumal ein beliebiger, allein nach Gutdünken jedes einzelnen Arztes erfolgender, Einsatz eines Medikaments außerhalb der Zulassung nicht ernsthaft für sachgerecht gehalten werden kann .

41

e. Im Übrigen sind schon kurz nach Veröffentlichung des Urteils des 1. Senats vom 5.7.1995 zur Drogensubstitution in der Rechtsprechung des BSG Zweifel an der allgemeinen Aussagekraft dieses Urteils über den entschiedenen Fall hinaus artikuliert worden. Schon drei Monate nach dem Urteil des 1. Senats hat der allein für das Vertragsarztrecht zuständige erkennende Senat Bedenken gegen die Zulässigkeit des Einsatzes von Remedacen zur Drogensubstitution geäußert und auf die Problematik der Beachtung der Richtlinien des (früheren) Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen im Zusammenhang mit sog Außenseitermethoden hingewiesen (Urteil vom 18.10.1995, SozR 3-5550 § 17 Nr 2 S 5). In der Sache sind sodann die Grundsätze des Urteils vom 5.7.1995 durch die neuere Rechtsprechung des 6. und des 1. Senats zur Rechtsqualität der Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen, zur Methodenanerkennung nach § 135 Abs 1 SGB V und zum Zusammenhang zwischen dieser Anerkennung und den Prinzipien der Arzneimitteltherapie deutlich modifiziert worden(Urteil des 6. Senats vom 20.3.1996, BSGE 78, 70 = SozR 3-2500 § 92 Nr 6 "Methadon"; Urteile des 1. Senats vom 16.9.1997, BSGE 81, 54 = SozR 3-2500 § 135 Nr 4, BSGE 81, 73 = SozR 3-2500 § 92 Nr 7). Spätestens nach Bekanntwerden dieser Urteile war deutlich, dass die ältere Rechtsprechung des BSG zu den (untergesetzlichen) Vorgaben des Leistungs- und Leistungserbringungsrechts in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht mehr uneingeschränkt fortgeführt werden würde. Kein Vertragsarzt musste die aufgezeigten Wendungen der Rechtsprechung kennen oder nachvollziehen. Wer aber - wie der Kläger - geltend macht, Verordnungen aus dem Jahre 1999 im Vertrauen auf eine zu einer Sonderkonstellation ergangene und vereinzelt gebliebene Rechtsprechung des BSG aus dem Jahre 1995 getätigt zu haben, muss sich entgegenhalten lassen, dass sich die Rechtsprechung weiterentwickelt hat. Jedenfalls im Jahr 1999 hat es für einen Vertragsarzt erkennbar keine hinreichende Sicherheit mehr gegeben, nach eigener Einschätzung Off-Label-Use-Verordnungen ausstellen zu dürfen, ohne Gefahr zu laufen, insoweit in Regress genommen zu werden.

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f. Zudem sind sowohl das Urteil des 1. Senats vom 5.7.1995, auf das sich der Kläger beruft, wie auch die folgenden Entscheidungen des 1. und des 8. Senats des BSG zu den Rechtsansprüchen von Versicherten gegen ihre Krankenkasse ergangen. Aus diesen Urteilen ergibt sich nicht unmittelbar, wie sich ein Vertragsarzt zu Arzneimittelverordnungen verhalten sollte, die erkennbar außerhalb der Zulassungsindikation des jeweiligen Arzneimittels erfolgten, von denen er aber annahm, sie könnten vom Patienten beansprucht werden. Dazu ist dem Urteil des erkennenden Senats vom 18.10.1995 (6 RKa 3/93) zur Drogensubstitution zu entnehmen, dass in solchen Fällen jedenfalls eine exakte Dokumentation und eine engmaschige Verlaufskontrolle der Behandlung geboten waren (SozR 3-5550 § 17 Nr 2 S 8; vgl auch BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 37/08 R - RdNr 39, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Damit ist es zB nicht vereinbar, auf laborchemische Untersuchungen zum Nachweis eines - vermeintlichen oder tatsächlich bestehenden - "Antikörpermangelsyndroms" zu verzichten, wenn die umstrittene Off-Label-Verordnung von Immunglobulinen gerade auf diese Diagnose reagiert.

43

Ein Vertragsarzt, der Medikamente außerhalb ihrer zugelassenen Indikationen verordnet, kann weder sich noch der Krankenkasse Gewissheit darüber verschaffen, dass die Verordnung den Vorgaben des Wirtschaftlichkeitsgebotes genügt, also notwendig, zweckmäßig und wirtschaftlich ist. Bei Off-Label-Verordnungen hat nämlich gerade keine Prüfung von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des jeweiligen Arzneimittels stattgefunden, die seinen Einsatz (auch) im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung rechtfertigt. Eine solche Prüfung ist im AMG nur indikationsbezogen vorgeschrieben und durchführbar; die von der Zulassung nach dem AMG ausgehende Schutzwirkung und Qualitäts- wie Wirksamkeitserwartung greift bei einem Einsatz des Medikaments außerhalb der Zulassung gerade nicht ein (vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 RdNr 19; s auch BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 37/08 - RdNr 27 ff, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Soweit danach ein Vertragsarzt Verordnungen ohne gesicherten Nachweis von Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels ausstellt, muss zwingend nachträglich geprüft werden dürfen, ob die jeweilige Verordnung den Regeln des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung entspricht. Wenn der Vertragsarzt davon absieht, in Fällen eines Off-Label-Use die Krankenkasse vor Ausstellung der Verordnung einzuschalten, wie es der Senat in einem Beschluss vom 31.5.2006 dargestellt hat (B 6 KA 53/05 B, MedR 2007, 557, 560), muss er hinnehmen, dass die Einhaltung der Vorgaben der vertragsärztlichen Versorgung im Nachhinein geprüft wird.

44

Der Beklagte hält dem Kläger - anders als dieser nahe legen will - keine schuldhafte Verletzung vertragsärztlicher Pflichten vor, die nunmehr sanktioniert wird. Der Beklagte hat lediglich die Position der zu 2. beigeladenen Krankenkasse bestätigt, dass sie objektiv zu Unrecht erhebliche Kosten für die Versorgung ihrer Versicherten H. mit einem Immunglobulin aufgewandt hat. Weil der Kläger der Beigeladenen zu 2. keine Gelegenheit gegeben hat, ihre Auffassung zur Rechtmäßigkeit des Einsatzes von Immunglobulinen bei der Versicherten H. vor Einlösung der Verordnungen darzulegen, muss es der Krankenkasse möglich sein, ihren Standpunkt nachträglich durchzusetzen, soweit er rechtlicher Prüfung standhält. Dazu sieht die Prüfvereinbarung im Einklang mit Bundesrecht das Verfahren der Regressfestsetzung vor. Soweit der Kläger geltend macht, nach dem im Jahr 1999 geltenden Recht habe er zu Gunsten der H. kein Privatrezept ausstellen dürfen, weil das gegen § 29 Abs 1 Satz 2 BMV-Ä verstoßen hätte, folgt der Senat dem nicht. Der Beschluss des Senats vom 31.5.2006 (MedR 2007, 557), der diesen Weg aufgezeigt hat, ist zu Off-Label-Use-Verordnungen aus dem Jahr 1997 ergangen. Auch 1997 und 1999 galt das Verbot, sich als Vertragsarzt vertragsärztliche Verordnungen einzeln genehmigen zu lassen; dieses Verbot hat sich - wie der Senat dargelegt hat - immer nur auf Verordnungen im Rahmen der Leistungspflicht der Krankenkassen bezogen. Wie die Rechtslage zu beurteilen wäre, wenn der Kläger im Sommer 1999 vergeblich bei der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2. angefragt und explizit um eine Entscheidung über das aus Sicht dieser Krankenkasse richtige Vorgehen gebeten hätte, kann offen bleiben. Der Kläger macht selbst nicht geltend, diesen Weg beschritten zu haben.

45

g. Der vom Beklagten aufrecht erhaltene Regress gegen den Kläger ist schließlich nicht deshalb rechtswidrig, weil der Versicherten H. bei Ausstellung der umstrittenen Verordnungen nach den Grundsätzen des Beschlusses des BVerfG vom 6.12.2005 (BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5) gegen die Rechtsvorgängerin der zu 2. beigeladenen Krankenkasse ein Anspruch auf Versorgung mit Polyglobin 5 % zugestanden hätte. Nach den Feststellungen des LSG liegen die tatsächlichen Voraussetzungen eines solchen, auf §§ 27 und 31 SGB V iVm Art 2 Abs 1 GG und dem Sozialstaatsprinzip bzw Art 2 Abs 2 Satz 1 GG und der hieraus abzuleitenden Schutzpflicht gegründeten Anspruchs nicht vor. Diese Feststellungen des LSG sind für den Senat nach § 163 SGG bindend, weil der Kläger dazu keine zulässigen Revisionsrügen angebracht hat.

46

Richtig ist allerdings der Ausgangspunkt der Revision: Wenn feststünde, dass H. nach den tatsächlichen Verhältnissen des Jahres 1999 einen Anspruch auf Versorgung mit Polyglobin als Sachleistung der Krankenkasse gehabt hätte, dürfte wegen der für diese Versorgung angefallenen Kosten kein Regress gegen den Kläger festgesetzt werden. Diese Konsequenz aus der Entscheidung des BVerfG hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 5.11.2008 zu Wobe Mugos (SozR 4-2500 § 106 Nr 21; ebenso BSG MedR 2010, 276) inzident angesprochen und hält daran fest. Der verschuldensunabhängige Schadensersatzanspruch der Krankenkasse gegen einen Vertragsarzt wegen unzulässiger Arzneimittelverordnungen beruht im Kern darauf, dass die Krankenkasse einen Ausgleich für die Bezahlung von Medikamenten erhält, die sie bei korrekten Verhalten des Arztes nicht hätte finanzieren müssen. Wenn sich nachträglich herausstellt, dass der Versicherte, zu dessen Gunsten der Vertragsarzt die umstrittenen Verordnungen ausgestellt hat, auf die Versorgung mit dem verordneten Arzneimittel einen Anspruch gegen seine Krankenkasse hatte, ist dieser durch die Bezahlung dieses Arzneimittels dem Grunde nach jedenfalls kein Schaden entstanden, den der Vertragsarzt nunmehr ersetzen müsste. Lässt sich allerdings nicht mit hinreichender Gewissheit feststellen, dass die Voraussetzungen für einen ausnahmsweise gerechtfertigten Off-Label-Use vorgelegen haben, geht das zu Lasten des Arztes. Er rückt, obwohl er sich nach der Ausrichtung des Verfahrens gegen einen Regress wendet, hinsichtlich der Verteilung von Darlegungs- und Beweislast in die Stellung ein, die der Versicherte gehabt hätte, wenn er seinen Standpunkt zur der Verordnungsfähigkeit eines Arzneimittels gegen die Krankenkasse nach § 13 Abs 3 SGB V im Wege der Geltendmachung eines Kostenerstattungsanspruchs durchsetzen müsste. Wer geltend machen will, der Versorgungsanspruch umfasse in einer bestimmten Konstellation auch die Versorgung mit zugelassenen Arzneimitteln außerhalb der Zulassungsindikationen, dringt damit nicht durch, wenn sich unter Ausschöpfung aller Möglichkeiten zur Sachaufklärung nicht feststellen lässt, dass die dafür insbesondere in der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG und inzwischen auch vom Gemeinsamen Bundesausschuss (§ 30 der Arzneimittel-Richtlinie iVm Anlage VI) formulierten Voraussetzungen vorgelegen haben. Das ist auch hier der Fall und geht zu Lasten des Klägers.

47

h. Das LSG ist in Übereinstimmung mit der Revision zutreffend davon ausgegangen, dass die Versicherte H. an einer lebensbedrohlichen Erkrankung (metastasierendes Karzinom der Eileiter) gelitten hat. Zu dessen kausaler Behandlung hätte bei Fehlen einer allgemein anerkannten, medizinischem Standard entsprechenden Behandlungsmethode nach der Rechtsprechung des BVerfG ein Arzneimittel auch außerhalb seiner Zulassungsindikation eingesetzt werden dürfen, wenn nach der vorhandenen Studienlage auf diese Weise die nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf positive Behandlungserfolge bestanden hätten (BVerfGE 115, 25, 49 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 RdNr 33). Das nimmt der Kläger selbst für die Verordnung von Polyglobin nicht an. Er geht vielmehr davon aus, dass die Versicherte H. an einem Antikörpermangel litt, der unbehandelt eine Fortführung der überlebensnotwendigen Chemotherapie ausgeschlossen hätte oder hat. Wenn die Rechtsprechung des BVerfG auf diese Konstellation Anwendung finden sollte, was der Senat entgegen der Auffassung des LSG nicht von vornherein für ausgeschlossen hält, müssen jedenfalls die Anforderungen an einen zulässigen Off-Label-Use entsprechend erfüllt sein. Es muss deshalb feststehen, dass der Patient neben der lebensbedrohlichen Erkrankung an einer weiteren Gesundheitsstörung leidet, die die Anwendung aller zur Behandlung des Hauptleidens in Betracht kommenden Behandlungsmöglichkeiten ausschließt. Weiterhin muss der Off-Label-Einsatz des anzuwendenden Arzneimittels mit gewisser Wahrscheinlichkeit die zweite Erkrankung so beeinflussen, dass eine Erfolg versprechende Behandlung des Hauptleidens wieder oder erstmals möglich wird. Schließlich darf es für die zweite Erkrankung keine anerkannten Behandlungsmöglichkeiten - zB mit entsprechend zugelassenen Arzneimitteln - geben. Diese Voraussetzungen sind hier jedenfalls nicht - wie es notwendig wäre, um der Klage zum Erfolg zu verhelfen - kumulativ erfüllt.

48

i. Erhebliche Zweifel bestehen bereits daran, ob das vom Kläger so bezeichnete "sekundäre Antikörpermangelsyndrom" eine eigenständige und hinreichende spezifische Erkrankung ist, die abgegrenzt vom Karzinomleiden behandelt werden kann und muss. Der Kläger hat dazu in den Tatsacheninstanzen nicht Präzises vorgetragen. Zudem steht nicht fest, dass die Patientin H. an einem Antikörpermangelsyndrom litt, das schulmedizinisch nicht behandelbar war. Die zur Abstützung dieser Diagnose und des Ausmaßes der Erkrankung möglichen laborchemischen Untersuchungen hat der Kläger nach den Feststellungen des LSG nicht durchgeführt oder veranlasst. Dazu mag er - wie die Revision geltend macht - berufsrechtlich nicht verpflichtet gewesen sein. Er hat damit aber im Hinblick auf den Off-Label-Use zur Unaufklärbarkeit des genauen Gesundheitszustandes der Versicherten H. in der zweiten Hälfte des Jahres 1999 beigetragen. Das geht zu seinen Lasten.

49

j. Außerdem fehlt es an ausreichenden Feststellungen bzw Belegen für das vom Kläger geltend gemachte Dilemma, die lebensbedrohliche Ersterkrankung nur durch die Behandlung der Zweiterkrankung mit Polyglobin 5 % therapieren zu können. Der Kläger setzt schon die Anforderungen an den Nachweis einer eigenständigen Zweiterkrankung zu niedrig an. Die Versicherte H. litt nach den Ausführungen des Klägers an einer "Verminderung der Immunitätslage" als Folge sowohl des Karzinomleidens als auch der aggressiven Chemotherapien. Darauf habe sie mit wiederholten schweren bakteriellen und viralen Infektionen reagiert, die er - der Kläger - als "Zeichen eines sekundären Antikörpermangels" gedeutet habe. Für keine dieser "wiederholten" Infektionen hat der Kläger im Verwaltungsverfahren oder in den Vorinstanzen jedoch konkret und eingehend belegt, dass diesen durch anerkannte Behandlungsverfahren nicht hätten effektiv entgegengewirkt werden können. Spezifische Darlegungen dazu, die dann dem LSG ggf Anlass zu weiterer Sachaufklärung hätten geben können, waren vor allem deshalb unerlässlich, weil der Kläger selbst einen Zusammenhang zwischen dem Krebsleiden und der Chemotherapie mit der geschwächten Immunitätslage der H. herstellt. Da nicht alle Patienten, deren Abwehrsystem durch Krebs und Chemotherapie geschwächt sind, mit Immunglobulin behandelt werden bzw nach dem gebotenen Behandlungsstandard behandelt werden müssen oder im Jahr 1999 so behandelt wurden oder behandelt werden mussten, hätte der Kläger fallbezogen und detailliert darlegen müssen, inwieweit sich die gesundheitliche Lage der H. von derjenigen anderer chemotherapeutisch behandelter Krebspatienten unterschied, und auf der Basis welcher exakten Befunde er die Anwendung von Polyglobin 5 % für unerlässlich hielt. Das ist nicht geschehen und spricht dafür, dass sich der Kläger von der Gabe eines Immunglobulins ganz generell eine Stärkung der Abwehrlage der H. und damit mutmaßlich eine bessere Resistenz gegen Infektionen versprach. Das reicht für einen Off-Label-Use, dessen Zulässigkeit jedenfalls in Fällen der hier vorliegenden Art von dem Gesundheitszustand des konkreten Patienten abhängt, nicht aus.

50

k. Schließlich ist die positive Wirkung, die der Kläger dem Einsatz von Immunglobulin bei fortgeschrittener Krebserkrankung zuschreibt, nach den Feststellungen des LSG auch nicht hinreichend belegt.

51

Das LSG hat im Einzelnen dargestellt, dass die bis 1999 zum Einsatz von Immunglobulinen vorhandenen Studien und publizierten Forschungsergebnisse nicht darauf hindeuten, dass die Gesundheitsstörungen der Versicherten H. durch den Einsatz von Polyglobin erfolgreich behandelt werden konnten. Das LSG ist zutreffend von den in der Rechtsprechung des 1. Senats des BSG ermittelten Grundsätzen zum Anspruch der Versicherten auf Versorgung mit (in Deutschland oder der EU) nicht zugelassenen Arzneimitteln (dazu BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4) oder mit Arzneimitteln außerhalb zugelassener Indikationen (BSGE 89, 184 = SozR 3-2500 § 31 Nr 8) ausgegangen. Es hat näher ausgeführt, dass keine wissenschaftliche Arbeit vorliege oder vom Kläger benannt sei, in der der zulassungsüberschreitende Einsatz von Immunglobulinen zur Behandlung einer auf der Intoleranz von Chemotherapeutika beruhenden Erkrankung als medizinisch geboten bewertet wird. Einen Konsens der einschlägigen Fachkreise, dass Polyglobin ein sekundäres Antikörpersyndrom positiv beeinflussen könne, hat das LSG gerade nicht feststellen können. Soweit die Revision die vorhandenen medizinischen Unterlagen lediglich anders würdigt, vermag sie damit die Feststellungen iS des § 163 SGG nicht zu entkräften.

52

Soweit der Kläger die Sachaufklärung des LSG zu den Erfolgsaussichten der Behandlung mit Immunglobulinen für unzureichend hält, berücksichtigt er nicht hinreichend, dass sich der 1. Senat des BSG bereits mehrfach mit dem Anspruch der Versicherten auf Versorgung mit Immunglobulinen befasst hat. In den Urteilen vom 19.3.2002 (BSGE 89, 184 = SozR 3-2500 § 31 Nr 8), vom 27.3.2007 (B 1 KR 17/06 R) und vom 28.2.2008 (SozR 4-2500 § 13 Nr 16), die sämtlich die Versorgung mit Immunglobulinpräparaten - jeweils bezogen auf die Indikation Multiple Sklerose - zum Gegenstand hatten, wird der Stand der medizinischen Forschung zu dieser Wirkstoffgruppe für die streitbefangenen Jahre 1997 bis 2003 eingehend aufgearbeitet. Zwar können die Forschungsergebnisse zur Möglichkeit, durch die Gabe von Immunglobulinen die Multiple Sklerose günstig zu beeinflussen, nicht ohne Weiteres auf die hier zu beurteilende Situation der unterstützenden Behandlung bei Krebserkrankungen übertragen werden, doch sind die Wirkungen und die in Frage kommenden Indikationen für Immunglobulin bezogen auf den hier relevanten Zeitraum gut erforscht und die Forschungsergebnisse - soweit krankenversicherungsrechtlich von Bedeutung - in der Rechtsprechung des BSG umfassend rezipiert worden. Zudem sind die Urteile des 1. Senats des BSG vom 27.3.2007 und vom 28.2.2008 Gegenstand der verfassungsgerichtlichen Prüfung gewesen. Mit Kammerbeschlüssen vom 30.6.2008 (1 BvR 1665/07 zum BSG-Urteil B 1 KR 17/06 R) und vom 8.7.2009 (1 BvR 1531/09 zum BSG-Urteil B 1 KR 15/07 R) sind die Verfassungsbeschwerden der unterlegenen Kläger jeweils nicht zur Entscheidung angenommen worden. Beide Kammerbeschlüsse sind auf der Basis der grundlegenden Entscheidung des BVerfG vom 6.12.2005 ergangen und billigen insbesondere, dass die Rechtsprechung des BSG strenge Anforderungen an den Nachweis stellt, dass mit dem zulassungsüberschreitenden Einsatz des jeweils betroffenen Arzneimittels hinreichende Erfolgsaussichten verbunden sein müssen (BVerfG vom 30.6.2008 - 1 BvR 1665/07 - NJW 2008, 3556 f RdNr 9 bis 11). Es reicht danach als Grundlage für einen Off-Label-Use von Arzneimitteln in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht aus, dass positive Folgen einer solchen Behandlung nach dem Wirkungsmechanismus von Immunglobulinen nicht schlechthin ausgeschlossen werden können, dass Patienten in Einzelfällen nach Verabreichung der umstrittenen Medikamente eine Verbesserung ihres Befindens beschreiben und dass einzelne Ärzte oder Wissenschaftler mit plausiblen Gründen einen von der verbreiteten Auffassung abweichenden Standpunkt zu den Erfolgsaussichten einer Behandlung vertreten. Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe und im Hinblick auf die schon vorliegende Rechtsprechung des 1. Senats des BSG ist die Sachverhaltsermittlung des Berufungsgerichts ausreichend.

53

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs 1 iVm § 155 Abs 1 VwGO und berücksichtigt das teilweise Obsiegen und Unterliegen der Beteiligten. Die außergerichtlichen Kosten der zu 1. beigeladenen KÄV sind nach § 162 Abs 3 VwGO nicht erstattungsfähig, weil diese keine Anträge gestellt hat(vgl BSGE 96, 257 = SozR 4-1300 § 63 Nr 3, RdNr 16).

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

Tatbestand

1

Umstritten ist ein Arzneikostenregress wegen der Verordnung des Arzneimittels Polyglobin in den Quartalen II/1999 bis IV/1999.

2

Der in diesen Quartalen als Hausarzt an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Kläger verordnete insgesamt 17-mal "Polyglobin 5 %" für die 1932 geborene Versicherte H. Diese litt an einem metastasierenden Karzinom der Eileiter, das auch die Leber befallen hatte, und ist 2001 verstorben. Die Kosten je Verordnung beliefen sich auf 3209,02 DM. Auf Antrag der Rechtsvorgängerin der zu 2. beigeladenen Krankenkasse vom 1.12.2000 setzte der Prüfungsausschuss auf der Grundlage des § 14 der für den Bezirk der zu 1. beigeladenen Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) geltenden Prüfvereinbarung eine Schadensersatzpflicht des Klägers wegen der Verordnung von "Polyglobin" in Höhe von 51 553 DM fest. Dieser Betrag ergab sich auf der Grundlage der Bruttoverordnungskosten unter Abzug eines fünfprozentigen Apothekenrabatts und der von der Versicherten geleisteten Zuzahlungen. Der beklagte Beschwerdeausschuss wies den Widerspruch des Klägers mit der Begründung zurück, Polyglobin sei nicht im Rahmen der Zulassungsindikationen verordnet worden, und für eine Verordnung außerhalb der zugelassenen Indikationen - der Kläger hatte die Behandlung eines Antikörpermangels bei der Versicherten als Grund für die Verordnungen angeführt - habe keine rechtliche Grundlage bestanden.

3

Das SG hat den Bescheid des Beklagten aufgehoben, soweit die Verordnungen im Quartal II/1999 ausgestellt worden sind, weil die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2. die Antragsfrist versäumt habe. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen, weil für einen zulassungsüberschreitenden Einsatz von Polyglobin die rechtlichen Voraussetzungen, die inzwischen von der Rechtsprechung des BSG geklärt seien, nicht vorgelegen hätten.

4

Dieses Urteil haben der Kläger am 15.4.2005 mit der Berufung und die Beigeladene zu 2. am 28.11.2006 mit der Anschlussberufung angegriffen. Der Kläger hat geltend gemacht, die Verordnung von Polyglobin in den streitbefangenen Quartalen habe den Behandlungserfolg der Chemotherapie absichern sollen und sei damit zur erfolgreichen Behandlung des inoperablen metastasierenden Tubenkarzinoms notwendig gewesen. Nach der Entscheidung des BSG vom 5.7.1995 (Remedacen) habe er darauf vertrauen können, verschreibungspflichtige Medikamente auch außerhalb ihres Zulassungsbereichs verordnen zu dürfen. Der durch dieses höchstrichterliche Urteil ausgelöste Vertrauensschutz sei frühestens durch das Urteil des BSG vom 30.9.1999 (SKAT) eingeschränkt worden. Dieses Urteil habe er bei Ausstellung der hier betroffenen Verordnungen nicht kennen können; insoweit sei ihm zumindest Vertrauensschutz zuzubilligen. Im Übrigen seien die von ihm vorgenommenen Verordnungen auch nach den heute geltenden Maßstäben nicht zu beanstanden, weil die Voraussetzungen für einen indikationsüberschreitenden Einsatz von Polyglobin nach den im Beschluss des BVerfG vom 6.12.2005 formulierten Maßstäben erfüllt seien.

5

Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und auf die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. das Urteil des SG geändert und die Klage auch hinsichtlich der Verordnungen aus dem Quartal II/1999 abgewiesen. Die Anschlussberufung sei zulässig, obwohl diese sich nicht auf den Teil des Streitgegenstandes beziehe, der Gegenstand der Berufung des Klägers sei (Quartale III und IV/1999). Soweit das BSG die Auffassung vertrete, eine Anschlussberufung müsse sich innerhalb des Streitgegenstandes der Hauptberufung bewegen, sei dem nicht zu folgen. Dem Gegner des Berufungsführers müsse es möglich sein, durch Anschließung an die Berufung des Hauptberufungsführers eine Überprüfung des erstinstanzlichen Urteils zu erreichen, auch soweit ein Streitgegenstand betroffen sei, der von der Berufung des Klägers nicht erfasst werde.

6

Die Berufung der beigeladenen Krankenkasse sei aus denselben Gründen begründet wie diejenige des Klägers unbegründet. Der Beklagte sei berechtigt gewesen, auf der Grundlage des § 14 der für Berlin geltenden Prüfvereinbarung Arzneikostenregresse gegen den Kläger wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel festzusetzen. Das setze nach der gefestigten Rechtsprechung des BSG kein Verschulden des Vertragsarztes voraus. Auch ein Antrag der jeweils betroffenen Krankenkasse sei nicht erforderlich gewesen; soweit die Prüfvereinbarung etwas anderes vorschreibe, sei das nach der Rechtsprechung des BSG mit höherrangigem Recht nicht vereinbar und deshalb unwirksam. Aus diesem Grund habe das SG der Klage hinsichtlich des Quartals II/1999 zu Unrecht stattgegeben. Auf Vertrauensschutz könne der Kläger sich nicht berufen. Soweit der 8. Senat des BSG im Jahr 1999 ausgeführt habe, die Versicherten hätten im Anschluss an das Urteil des 1. Senats des BSG vom 15.7.1995 zumindest bis zur Veröffentlichung des Urteils aus dem Jahre 1999 darauf vertrauen dürfen, dass sie mit Arzneimitteln auch außerhalb des durch die Zulassung nach dem Arzneimittelgesetz (AMG) bestimmten Indikationsbereichs versorgt werden dürften, könne dem nicht gefolgt werden. Schließlich führe auch der Beschluss des BVerfG vom 6.12.2005 nicht zu einer anderen Beurteilung, weil die Wirksamkeit von Polyglobin zur Behandlung der nach Auffassung des Klägers bei der Patientin H. vorhandenen Antikörperstörung nicht belegt sei (Urteil vom 26.11.2008).

7

Mit seiner Revision rügt der Kläger in verfahrensrechtlicher Hinsicht die Entscheidung des Berufungsgerichts, die Anschlussrevision der Beigeladenen zu 2. als zulässig anzusehen. Diese Berufung sei nach Ablauf der auch für diese Beigeladene geltenden Berufungsfrist von einem Monat nach Zustellung des sozialgerichtlichen Urteils eingelegt worden. Als unselbstständige Anschlussberufung sei sie nicht zulässig, weil sie sich nicht auf den Gegenstand der von ihm - dem Kläger - eingelegten Hauptberufung beziehe. Nach der Rechtsprechung des BSG dürfe nach Ablauf der für die Beteiligten geltenden Berufungsfrist der Streitgegenstand des Berufungsverfahrens nicht mehr erweitert werden. Seine - des Klägers - Verordnungen in den drei streitbefangenen Quartalen bildeten jeweils unterschiedliche Streitgegenstände, was das SG im Ausgangspunkt zutreffend dadurch zum Ausdruck gebracht habe, dass es den Regressbescheid hinsichtlich des Quartals II/1999 aufgehoben und hinsichtlich der in den beiden folgenden Quartalen ausgestellten Verordnungen für rechtmäßig gehalten habe. Deshalb sei der angefochtene Regressbescheid hinsichtlich der Verordnungen aus dem Quartal II/1999 dem Berufungsgericht mit seiner - des Klägers - (Haupt)Berufung nicht angefallen und habe durch die zu 2. beigeladene Krankenkasse nach Ablauf der Berufungsfrist nicht mehr in das Berufungsverfahren einbezogen werden können.

8

Im Übrigen sei das Urteil des LSG fehlerhaft, soweit es die Regresse für rechtmäßig gehalten habe. Der vom Berufungsgericht herangezogene § 14 Abs 1 der Prüfvereinbarung sei schon generell keine tragfähige Grundlage für einen Regress wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel. Die Prüfvereinbarung regele lediglich Verstöße gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot sowie Regresse wegen schuldhafter Verursachung eines "sonstigen Schadens". Der in der Rechtsprechung des BSG zugelassene Regress wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Mittel hätte in der Prüfvereinbarung zwar geregelt werden können, sei dort tatsächlich aber nicht geregelt worden.

9

Weiterhin sei der angefochtene Bescheid fehlerhaft, weil im Prüfungsausschuss wie im Beschwerdeausschuss jeweils unter Vorsitz eines Vertreters der Krankenkassen entschieden worden sei. Die Krankenkassenvertreter hätten eine Vertagung der Entscheidung des Beklagten in einer Sitzung unter Vorsitz eines Vertreters der Ärzte herbeigeführt, um so zu erreichen, dass über die Widersprüche des Klägers gegen die Entscheidung des Prüfungsausschusses, die unter Vorsitz eines Vertreters der Krankenkassen getroffen worden sei, erneut unter Vorsitz eines Vertreters der Krankenkassen entschieden werde. Das sei unzulässig. Die Vorschriften über den wechselnden Vorsitz im Prüfungs- und Beschwerdeausschuss nach § 106 SGB V aF könnten nur so verstanden werden, dass jedenfalls über Entscheidungen des Prüfungsausschusses, bei denen ein Vertreter der Krankenkassen den Vorsitz gehabt habe, in der Besetzung des Beschwerdeausschusses mit einem Vorsitzenden aus den Reihen der Vertragsärzte entschieden werden müsse.

10

Die Verordnung von Polyglobin sei zur Behandlung der bei der Versicherten H. vorhandenen lebensbedrohlichen Karzinomerkrankung notwendig gewesen. Zwar sei der Einsatz von Polyglobin nicht unmittelbar zur Heilung der Tumorerkrankung bzw zur Linderung der damit verbundenen Beschwerden erfolgt, doch habe die Versicherte unter einer Antikörperstörung gelitten, die eine Chemotherapie unmöglich gemacht habe, die ihrerseits zur Behandlung des Tumorgrundleidens erforderlich gewesen sei. Der Einsatz von Polyglobin habe die Voraussetzungen für eine Fortsetzung der Chemotherapie schaffen sollen, und seine Rechtmäßigkeit müsse deshalb aus medizinischen Gründen nach denselben Maßstäben beurteilt werden wie die Verordnung von Arzneimitteln zur kausalen Krebstherapie. Jedenfalls habe er - der Kläger - darauf vertrauen dürfen, dass im Hinblick auf die Rechtsprechung des BSG auch der die Indikationsgrenzen überschreitende Einsatz generell zugelassener Arzneimittel (Off-Label-Use) im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung möglich gewesen sei. Das habe der 1. Senat des BSG im Juli 1995 zum Einsatz des Codeinpräparates Remedacen zur Drogensubstitution entschieden, und der 8. Senat des BSG, der mit dieser Rechtsprechung nicht einverstanden gewesen sei, habe im Jahr 1999 für die Zeit bis zur Verkündung seiner Entscheidung den Versicherten Vertrauensschutz zugebilligt. Auf diesen Vertrauensschutz könne er - der Kläger - sich hier auch berufen. Soweit der 6. Senat des BSG im Mai 2006 entschieden habe, Vertrauensschutzaspekte spielten insoweit keine Rolle, weil Vertragsärzte, die Arzneimittel außerhalb der Zulassungsindikationen einsetzen wollten, gehalten seien, ein Privatrezept auszustellen und die Versicherten bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche gegen die Krankenkasse zu unterstützen, sei das auf die hier maßgebliche Rechtslage des Jahres 1999 nicht übertragbar. Zu diesem Zeitpunkt sei nach § 29 Abs 1 Satz 2 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) die Genehmigung von Verordnungen durch eine Krankenkasse unzulässig gewesen. In Verbindung mit der Rechtsprechung des 1. Senats des BSG zu Remedacen habe sich daraus die Berechtigung von Vertragsärzten ergeben, den Off-Label-Use-Einsatz im regulären Verfahren durch Ausstellen von vertragsärztlichen Verordnungen zu praktizieren. Soweit das LSG bemängelt habe, das bei der Versicherten H. vorliegende Antikörpermangelsyndrom, das letztlich den Einsatz von Polyglobin erforderlich gemacht habe, sei nicht ausreichend belegt, könne dem nicht gefolgt werden. Entgegen der Auffassung des LSG seien laborchemische Untersuchungen zum Nachweis dieses Antikörpermangelsyndroms verzichtbar.

11

Der Kläger beantragt,

die Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 26.11.2008 und des Sozialgerichts Berlin vom 9.2.2005, soweit hier die Klage abgewiesen wurde, sowie den Bescheid des Beklagten vom 12.12.2001 aufzuheben,

hilfsweise, die Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 26.11.2008 und des Sozialgerichts Berlin vom 9.2.2005 sowie den Bescheid des Beklagten vom 12.12.2001 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, über den Widerspruch des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu entscheiden,

weiter hilfsweise, das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 26.11.2008 aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

12

Der Beklagte und die Beigeladene zu 2. beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

13

Zutreffend habe das Berufungsgericht entschieden, dass die Partner der Prüfvereinbarungen nicht einmal berechtigt gewesen wären, Arzneikostenregresse wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel vom Verschulden des Vertragsarztes abhängig zu machen. Entgegen der Auffassung des Klägers habe die maßgebliche Prüfvereinbarung aus dem Jahre 1994 nicht vorgeschrieben, dass eine unter dem Vorsitz eines Kassenvertreters getroffene Entscheidung vom Beschwerdeausschuss nur unter dem Vorsitz eines Vertreters der Ärzte überprüft werden dürfe. Eine solche Regelung wäre auch nicht praktikabel gewesen und hätte die Dauer der Prüfverfahren erheblich verlängert. Die Ausführungen des Klägers hinsichtlich seines Vertrauens auf bestimmte Entscheidungen des BSG seien irrelevant. Es sei lebensfremd, dass ein Vertragsarzt die einzelnen Entwicklungsschritte der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Kenntnis nehme und sein Verordnungsverhalten daran ausrichte. Eine Ausnahmelage im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG vom 6.12.2005 habe in den streitbefangenen Quartalen bei der Versicherten H. nicht bestanden.

14

Die zu 2. beigeladene Krankenkasse hält das Urteil des LSG ebenfalls für zutreffend. Zu Recht habe das LSG ihre Anschlussberufung als zulässig angesehen. Folge man der Auffassung des Klägers, gebe es für die Anschlussberufung im sozialgerichtlichen Verfahren überhaupt keinen Anwendungsbereich, weil die Hauptberufung regelmäßig nur insoweit erhoben werde, als der Rechtsmittelführer durch das sozialgerichtliche Urteil beschwert sei. Für eine Anschlussberufung sei dann kein Raum, weil im Rahmen der Beschwer des Klägers der Anschlussberufungsführer selbst mit dem angefochtenen Urteil einverstanden sei. Ein Grund für eine derart restriktive Handhabung entgegen der Rechtsprechung in den anderen Gerichtszweigen sei nicht erkennbar.

Entscheidungsgründe

15

Die Revision des Klägers hat teilweise Erfolg. Zu Recht rügt er, dass das Berufungsgericht über den angefochtenen Bescheid des Beklagten hinsichtlich der Verordnungen aus dem Quartal II/1999 in der Sache entschieden habe. Insoweit ist die zugunsten des Klägers ergangene Entscheidung des SG rechtskräftig geworden, weil die Beigeladene zu 2. innerhalb der Berufungsfrist keine Berufung eingelegt hat. Ihre Anschlussberufung war unzulässig (1). Keinen Erfolg hat die Revision dagegen hinsichtlich der Verordnungen in den Quartalen III und IV/1999. Insoweit hat das LSG die Berufung des Klägers gegen das sozialgerichtliche Urteil zu Recht zurückgewiesen. Der angefochtene Bescheid des Beklagten ist rechtmäßig (2).

16

1. Die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. vom 28.11.2006 war unzulässig. Das Berufungsgericht hätte auf diese Anschlussberufung hin nicht in eine Sachprüfung des angefochtenen Bescheides im Hinblick auf die Verordnungen des Klägers aus dem Quartal II/1999 eintreten dürfen. Insoweit war das der Klage stattgebende Urteil des SG nämlich bereits rechtskräftig geworden.

17

a. Die Berufung der beigeladenen Krankenkasse hätte nur als Anschlussberufung iS des § 202 SGG iVm § 524 ZPO zulässig sein können. Eine eigenständige Berufung wäre wegen Versäumung der Berufungsfrist des § 151 Abs 1 SGG unzulässig. Das Urteil des SG ist der Beigeladenen zu 2. am 16.3.2005 zugestellt worden; die Monatsfrist des § 151 Abs 1 SGG ist durch die Einlegung der Berufung am 28.11.2006 nicht gewahrt worden.

18

Die Berufungsfrist des § 151 Abs 1 SGG gilt nicht für die Anschlussberufung, die nach der Rechtsprechung des BSG auch in der Sozialgerichtsbarkeit statthaft ist(BSGE 63, 167, 169 = SozR 1500 § 54 Nr 85; Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer (Hrsg), SGG 9. Aufl 2008, § 143 RdNr 5). Die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. war hier aber unzulässig, weil sie nicht den gleichen prozessualen Anspruch wie die Hauptberufung des Klägers betroffen, sondern einen neuen Streitgegenstand in das Berufungsverfahren eingeführt hat. Das ist nach der Rechtsprechung aller mit dieser Rechtsfrage bisher befassten Senate des BSG ausgeschlossen (zB Urteil des 9. Senats vom 8.7.1969 = SozR Nr 12 zu § 521 ZPO; 6. Senat vom 19.6.1996 - 6 RKa 24/95 - = USK 96131) Diese Entscheidungen sind zu Ansprüchen ergangen, die Gegenstand des Klageverfahrens, aber nicht der Hauptberufung waren. Das Urteil des 4. Senats vom 10.2.2005 - B 4 RA 48/04 R - betrifft einen mit der Anschlussberufung geltend gemachten Anspruch, der nicht einmal Gegenstand des Klageverfahrens gewesen ist. Die Rechtsauffassung des BSG zur Begrenzung der Anschlussberufung auf den Streitgegenstand der Hauptberufung wird in den Kommentaren zum SGG - soweit ersichtlich ohne Ausnahme - geteilt (Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 143 RdNr 5d; Eckertz in: Lüdtke, Handkommentar Sozialgerichtsgesetz, 3. Aufl 2009, § 143 RdNr 37; Behn in: Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, 87. Ergänzungslieferung, Stand: Mai 2009 - Gesamtwerk, § 143 RdNr 68 f; Frehse in: Jansen, SGG, 3. Aufl 2009, § 143 RdNr 7; Waschull in: Berchtold/Richter, Prozesse in Sozialsachen, 2009, § 6 RdNr 130). Nach Bernsdorff (in: Hennig, SGG, Stand Februar 2009 - Gesamtwerk - § 143 RdNr 27) liegt keine Anschlussberufung vor, wenn sich der Antrag des Berufungsbeklagten bei teilbarem Streitgegenstand gegen einen anderen als den mit der Berufung angegriffenen Teil des erstinstanzlichen Urteils richtet (ähnlich Breitkreuz in: Breitkreuz/Fichte, SGG, 2009, § 143 RdNr 24).

19

b. Bei Anwendung dieser Rechtsauffassung ist die Anschlussberufung unzulässig, wie das LSG zutreffend angenommen hat. Die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. betrifft einen anderen Streitgegenstand als die Hauptberufung, weil diese die Verordnungen des Klägers aus den Quartalen III/1999 und IV/1999, jene aber solche aus dem Quartal II/1999 erfasst. Vertragsärztliche Honorarbescheide sowie Bescheide der Gremien der Wirtschaftlichkeitsprüfung ergehen quartalsbezogen und enthalten, wenn Entscheidungen mehrere Quartale betreffen (vgl zB BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 30/08 R - RdNr 24 mwN, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen), verschiedene Regelungen iS des § 31 Satz 1 SGB X. Selbst innerhalb eines Bescheides für ein Quartal können zahlreiche eigenständige "Regelungen" ergehen, die selbstständig anfechtbar sind. Das hat der Senat in einem Urteil vom 23.2.2005 (SozR 4-1500 § 92 Nr 2) für einen Honorarbescheid näher dargelegt; in dem schon zitierten Urteil vom 19.6.1996 (6 RKa 24/95) hat der Senat das in Bezug auf einen Bescheid zur Wirtschaftlichkeitsprüfung hinsichtlich von Kürzungen für bestimmte Leistungen bzw Leistungssparten als selbstverständlich vorausgesetzt und im Urteil vom 16.7.2008 ausdrücklich ausgesprochen (BSGE 101, 130 = SozR 4-2500 § 106 Nr 19, RdNr 25 am Ende).

20

Diese Rechtsprechung kann allerdings nicht ohne Weiteres auf Kostenregresse wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel übertragen werden. Derartige Regressbescheide können quartalsbezogen ergehen, etwa wenn ein Arzt über einen längeren Zeitraum hinweg bestimmte Medikamente für zahlreiche Patienten verordnet. Zwingend ist die Bindung eines Kostenregresses ebenso wie eines Regresses wegen eines sog "sonstigen Schadens" an den Quartalsturnus indessen nicht und bietet sich gerade in Konstellationen nicht an, in denen es um die Behandlung eines Versicherten mit einem umstrittenen Medikament über mehrere Quartale geht. Ein solcher Fall ist hier zu beurteilen, und sowohl der Regressantrag der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2. wie die Entscheidungen des Prüfungsausschusses und des Beklagten haben nicht nach den drei betroffenen Quartalen differenziert und mussten das auch nicht.

21

Ursprünglich bildete deshalb der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Aufhebung der - Verordnungen aus drei Quartalen erfassenden - Entscheidung des Beklagten vom 12.12.2001 den Streitgegenstand des gerichtlichen Verfahrens. Das SG hat diesen einheitlichen Streitgegenstand jedoch getrennt und die Regressfestsetzung je nach Zuordnung der beanstandeten Verordnungen des Klägers zu den Quartalen II/1999 einerseits sowie III und IV 1999 andererseits unterschiedlich beurteilt. Anlass dazu hat dem SG die (mittelbar) quartalsbezogene Regelung über die Antragsfrist der Krankenkasse in § 14 Abs 2 der maßgeblichen Prüfvereinbarung gegeben. Weil offenbar die Krankenkassen die Verordnungen aus jedem Quartal zusammengefasst zu einem bestimmten Termin erhalten, der wiederum für den Beginn der Antragsfrist nach § 14 Abs 2 von Bedeutung ist, konnte nach Ansicht des SG die Prüfung der Einhaltung dieser Frist nur differenziert für jedes Quartal erfolgen. Das Urteil des SG hat inzident die angefochtene Entscheidung des Beklagten in zumindest zwei Regelungen iS des § 31 Satz 1 SGB X aufgespalten, nämlich hinsichtlich der aus dem Quartal II/1999 und hinsichtlich der aus den Quartalen III/1999 sowie IV/1999 stammenden Verordnungen des Klägers. Bundesrecht ist dadurch nicht verletzt, und das SG hat durch den Tenor seines Urteils die Beteiligten über das gerichtliche Vorgehen hinreichend deutlich informiert.

22

Damit bestand bei Zustellung des SG-Urteils eine Rechtslage, wie sie derjenigen bei Honorarfestsetzungen oder Kürzungs- bzw Regressbescheiden entspricht, die von vornherein mehrere Quartale erfassen. Für jedes dieser Quartale ist (mindestens) eine Regelung angefochten, deren prozessuales Schicksal von demjenigen für die anderen Quartale abweichen kann; die Regelung für jedes Quartal bildet einen eigenständigen Streitgegenstand. Als Folge der Hauptberufung des Klägers war der angefochtene Bescheid des Beklagten Gegenstand des Berufungsverfahrens nur hinsichtlich der aus den Quartalen III/1999 und IV/1999 stammenden Verordnungen; das ist dem Antrag des Klägers im LSG-Verfahren deutlich zu entnehmen. Die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. hat mit der Entscheidung des Beklagten über die aus dem Quartal II/1999 stammenden Verordnungen einen neuen Streitgegenstand in das Berufungsverfahren eingeführt. Das ist nach der bisherigen Rechtsprechung des BSG nicht zulässig. Ein Anlass, von dieser Rechtsprechung abzuweichen, ist nicht ersichtlich.

23

c. Kein durchgreifendes Bedenken ergibt sich aus dem Hinweis der Beigeladenen zu 2., auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des BSG bleibe für die Anschlussberufung nur ein sehr begrenzter Anwendungsbereich. Wenn die Anschlussberufung nur innerhalb des prozessualen Anspruchs erhoben werden kann, der Gegenstand der Hauptberufung ist, kommt im vertragsärztlichen Bereich bei Honorarkürzungen bzw Arzneikostenregressen eine Anschlussberufung typischerweise nur dann in Betracht, wenn das SG auf die Klage die zuständige Behörde zur Neubescheidung nach bestimmten Maßgaben verurteilt und der Kläger mit seiner Berufung die endgültige Aufhebung der ihn belastenden Bescheide begehrt. Dieser Berufung können sich dann die KÄV, der Beschwerdeausschuss oder die beigeladenen Krankenkassen (bzw Krankenkassenverbände) mit dem Antrag anschließen, die Klage in vollem Umfang abzuweisen, auch nachdem die für sie laufende Berufungsfrist abgelaufen ist. Alle übrigen Regelungen der ursprünglich angefochtenen Entscheidung, über die das SG entschieden hat, ohne dass ein Beteiligter das mit der Berufung angefochten hat, die also etwa andere Leistungspositionen oder andere Quartale betreffen, werden dagegen bestandskräftig. Das ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts im vertragsärztlichen Bereich richtig und praktikabel.

24

Auf der Grundlage der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts bliebe dagegen möglicherweise während der gesamten Dauer eines Berufungsverfahrens offen, ob Regelungen in Kürzungs- oder Regressbescheiden, die nicht Gegenstand der Hauptberufung sind, bestandskräftig werden oder nicht. Soweit etwa in einer Entscheidung des Beschwerdeausschusses Honorarkürzungen oder Arzneikostenregresse für eine größere Zahl von Quartalen auf der Grundlage einer Vielzahl von Entscheidungen des Prüfungsausschusses (oder der Prüfungsstelle iS des § 106 Abs 4 Satz 1 SGB V idF des GKV-WSG vom 26.3.2007) zusammengefasst worden sind, bleibt deren Bestandskraft über Jahre hinweg offen, auch wenn nur eine Detailregelung hinsichtlich eines einzelnen Quartals Gegenstand des Berufungsverfahrens ist. Das ist sowohl für den beteiligten Vertragsarzt wie für die KÄV und die Krankenkassen als Kostenträger schwierig zu handhaben, weil ggf Rückstellungen gebildet werden müssten und Beträge nicht verbucht werden könnten.

25

Ein tatsächliches Bedürfnis, diese Rechtsfolgen in Kauf zu nehmen, um den Beteiligten bis zum Abschluss der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz die Möglichkeit der Anschlussberufung auch außerhalb des prozessualen Anspruchs, der Gegenstand der Hauptberufung ist, offen zu halten, vermag der Senat nicht zu erkennen. Ob Honorarkürzungs- oder Regressbescheide, die verschiedene Regelungen iS des § 31 Satz 1 SGB X zum Inhalt haben und häufig mehrere Quartale betreffen, einzeln angegriffen oder durch die Widerspruchsstelle zusammengefasst bzw im gerichtlichen Verfahren auf der Grundlage des § 113 Abs 1 SGG verbunden werden, ist eine Frage der Praktikabilität. Jeder Verfahrensbeteiligte hat nach Bekanntgabe des das Verwaltungsverfahren abschließenden Bescheides oder des erstinstanzlichen Urteils eine Frist von einem Monat, innerhalb der er prüfen und entscheiden kann, ob und ggf inwieweit er die Entscheidung der Behörde bzw des erstinstanzlichen Gerichts hinnehmen will oder nicht. Ein berechtigtes Interesse, Monate oder sogar Jahre nach Einlegung der Berufung des Gegners noch Regelungen der gerichtlichen Überprüfung des LSG zuführen zu können, zu denen die Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts zunächst hingenommen worden ist, besteht nicht.

26

d. Zudem kann die prozessuale Sicht des Berufungsgerichts die Entscheidungsreife der Berufung in Frage stellen, jedenfalls soweit keine Frist für die Anschlussberufung normiert ist. Während nach § 127 Abs 2 Satz 2 VwGO die Anschließung nur bis zum Ablauf eines Monats nach Zustellung der Berufungsbegründungsschrift zugelassen wird, besteht keine ebensolche Bestimmung im SGG. Die VwGO-Vorschrift soll nach vorherrschender Auffassung auf das sozialgerichtliche Verfahren nicht übertragen werden können, weil dafür eine rechtliche Grundlage fehlt. Vergleichbares wird hinsichtlich der ähnlichen Frist des § 524 Abs 2 Satz 2 ZPO angenommen, die immerhin über § 202 SGG grundsätzlich im sozialgerichtlichen Verfahren angewandt werden könnte(vgl Leitherer, aaO, § 143 RdNr 5 f). Nach dieser Vorschrift ist die Anschlussberufung zulässig bis zum Ablauf der dem Berufungsbeklagten gesetzten Frist zur Berufungserwiderung. Eine dem § 521 Abs 1 ZPO entsprechende Vorschrift über die Zustellung der Berufungsschrift und der Berufungsbegründungsschrift an den Gegner kennt das SGG nicht. Die entsprechende Anwendung des § 524 Abs 2 Satz 2 ZPO über § 202 SGG setzt aber die Zustellung mindestens der Berufungsbegründung an den Gegner voraus, damit Klarheit über den Beginn der Frist für die Einlegung der Anschlussberufung besteht. Die Anwendung von Ausschlussfristen im sozialgerichtlichen Verfahren ohne explizite normative Grundlage ist unter dem Gesichtspunkt der Garantie des effektiven Rechtsschutzes (Art 19 Abs 4 Satz 1, Art 103 Abs 1 GG) problematisch, sodass ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung, die auch in der Anordnung einer entsprechenden Geltung des § 127 Abs 2 Satz 2 VwGO im SGG bestehen könnte, die Ausschlussfrist für die Anschlussberufung wohl nicht entsprechend angewandt werden kann. Das dürfte auch deshalb anzunehmen sein, weil im Berufungsverfahren der Sozialgerichtsbarkeit im Unterschied zu demjenigen in der Verwaltungs- und in der Zivilgerichtsbarkeit kein Vertretungszwang herrscht, und die Vorschriften über die Zustellung von Berufungs- und Berufungsbegründungsschriften sowie daran anknüpfende Fristen auf einen durch professionelle Bevollmächtigte geführten Prozess zugeschnitten sind.

27

Würde - was das LSG nicht erwogen hat - auf der Grundlage einer analogen Anwendung des § 127 Abs 2 Satz 2 VwGO im sozialgerichtlichen Verfahren auf den Nachweis der Zustellung der Berufungsbegründungsschrift verzichtet und der Nachweis ihrer tatsächlichen Kenntnis für ausreichend gehalten, wäre die Anschlussberufung der zu 2. beigeladenen Krankenkasse hier ebenfalls unzulässig. Diese hat, wie sich aus ihrer Reaktion im Berufungsverfahren vom 4.4.2006 ergibt, Monate vor Einlegung der Anschlussberufung am 28.11.2006 Kenntnis von der Berufungsbegründung des Klägers gehabt. Die entsprechende Anwendung der Monatsfrist des § 127 Abs 2 Satz 2 VwGO würde dann ebenfalls zur Unzulässigkeit ihrer Berufung führen. Demgegenüber hätte die vom Berufungsgericht offenbar befürwortete unbefristete Zulassung der Anschlussberufung bis zur mündlichen Verhandlung zur Folge, dass das LSG trotz Entscheidungsreife der Hauptberufung den Rechtsstreit vertagen müsste, wenn zum Gegenstand der Anschlussberufung noch Sachaufklärungsbedarf besteht. Das könnte zu Verzögerungen der Entscheidung führen, die auch im Hinblick auf das Gebot der Gewährung von Rechtsschutz in angemessener Zeit (Art 6 Europäische Menschenrechtskonvention) möglichst zu vermeiden sind.

28

Diese Erwägungen geben dem Senat Anlass, trotz der gewichtigen Einwände des Berufungsgerichts an der bisherigen Rechtsprechung des BSG zur Anschlussberufung festzuhalten und von einer andernfalls gebotenen Anrufung des Großen Senats nach § 41 Abs 2 SGG im Hinblick auf die Rechtsprechung anderer Senate zum Gegenstand der Anschlussberufung im sozialgerichtlichen Verfahren abzusehen.

29

2. Im Übrigen erweist sich die Revision des Klägers aber als unbegründet.

30

a. Das Berufungsgericht hat angenommen, § 14 Abs 1 iVm Abs 3 der seit dem Jahre 1994 geltenden und für die Verordnungen des Klägers im Jahre 1999 noch anwendbaren Prüfvereinbarung für den Bezirk der zu 1. beigeladenen KÄV Berlin gestatte die Festsetzung von Arzneikostenregressen, soweit der Vertragsarzt Arzneimittel verordnet hat, die in der vertragsärztlichen Versorgung nicht verordnungsfähig sind. Die Kenntnis des Vertragsarztes von der fehlenden Verordnungsfähigkeit oder generell ein Verschulden des Arztes sei insoweit nicht Voraussetzung für die Festsetzung eines Regresses. Soweit der Kläger § 14 der Prüfvereinbarung anders versteht und annimmt, diese Norm erfasse nur Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung bzw die Festsetzung eines verschuldensabhängigen "sonstigen Schadens" und nicht die Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel, ist dem im Revisionsverfahren nicht weiter nachzugehen. Die Prüfvereinbarung stellt Landesrecht iS des § 162 SGG dar, das das Revisionsgericht in der Auslegung des Berufungsgerichts seiner Entscheidung zugrunde zu legen hat. Von diesem Grundsatz sind in der Rechtsprechung des BSG zwei Ausnahmen anerkannt. Danach können landesrechtliche Normen vom Revisionsgericht eigenständig ausgelegt und angewandt werden, wenn es sich um Normen handelt, die inhaltsgleich in Bezirken verschiedener LSG gelten, soweit die Übereinstimmung im Interesse der Rechtsvereinheitlichung bewusst und gewollt ist (BSG vom 8.9.2009 - B 1 KR 8/09 R - RdNr 26, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt. Es ist weder geltend gemacht noch gerichtsbekannt, dass die Berliner Prüfvereinbarung aus dem Jahr 1994 inhaltsgleich in anderen KÄV-Bezirken gilt.

31

Landesrechtliche Normen sind weiterhin einer eigenständigen Auslegung und Anwendung des BSG zugänglich, wenn das LSG entscheidungserhebliche Vorschriften unberücksichtigt gelassen hat (BSGE 98, 89 = SozR 4-2500 § 85 Nr 31, jeweils RdNr 15). Hier hat jedoch das LSG die als Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides ersichtlich einschlägige Vorschrift des § 14 der Prüfvereinbarung zutreffend herangezogen und unter Anwendung der allgemein anerkannten juristischen Auslegungskriterien ausgelegt. Der Kläger rügt auch keinen Verstoß gegen diese Auslegungsgrundsätze oder die Denkgesetze, sondern setzt der Auslegung des Berufungsgerichts seine abweichende Auslegung entgegen. Das führt nicht dazu, dass entgegen der Vorgabe des § 162 SGG das Revisionsgericht zu einer eigenständigen Auslegung berufen wäre.

32

Soweit § 14 der Prüfvereinbarung in der Auslegung des LSG eine hinreichende Grundlage für die Festsetzung von Arzneikostenregressen wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel darstellt, steht die Vorschrift mit Bundesrecht in Einklang. Der Senat hat mehrfach entschieden, dass auf der Grundlage des § 106 Abs 2 SGB V in den Prüfvereinbarungen Rechtsgrundlagen für Arzneikostenregresse festgeschrieben werden dürfen, soweit Vertragsärzte Arznei- und Heilmittel verordnet haben, die nicht Gegenstand der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung sind(zB BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 52; vgl zuletzt BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 37/08 R - RdNr 17 ff mwN, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Das stellt der Kläger selbst nicht in Abrede.

33

b. Soweit der Kläger in formeller Hinsicht weiter rügt, der angefochtene Bescheid des Beklagten sei fehlerhaft, weil er in einer Sitzung gefasst worden sei, in der ein Vertreter der Krankenkassen den Vorsitz innegehabt habe, kann dem nicht gefolgt werden. Weder die Prüfvereinbarung im Bezirk der zu 1. beigeladenen KÄV noch Bundesrecht haben vorgeschrieben, dass in den Jahren, in denen Prüfungs- und Beschwerdeausschüsse alternierend von einem Vertreter der Krankenkassen und der Vertragsärzte geleitet worden sind, Entscheidungen des Prüfungsausschusses, die unter ärztlichem Vorsitz getroffen worden sind, vom Beschwerdeausschuss nur unter Vorsitz eines Vertreters der Krankenkassen und umgekehrt überprüft werden dürfen.

34

Nach § 106 Abs 4 Satz 3 SGB V idF des Gesundheitsstrukturgesetzes vom 21.12.1992 führte in den von Vertretern der Ärzte und der Krankenkassen in gleicher Zahl besetzten Prüfungs- und Beschwerdeausschüssen jährlich wechselnd ein Vertreter der Ärzte und der Krankenkassen den Vorsitz. Die Stimme des Vorsitzenden gab bei Stimmengleichheit den Ausschlag (aaO, Satz 4). Diese als defizitär bewertete Regelung war manipulationsanfällig (vgl näher BSGE 92, 283 = SozR 4-2500 § 106 Nr 5 auch zur Neuregelung im Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung)und ist deshalb zum 1.1.2004 ohne Übergangsregelung in der Weise geändert worden, dass die Gremien nunmehr von einem neutralen Vorsitzenden geleitet werden. Für die Zeit bis zum 31.12.2003 galten aber die früheren Regelungen über den im Jahresturnus wechselnden Vorsitz fort, und diesen lag die Auffassung der Revision von einem notwendigen Wechsel im Vorsitz zwischen den beiden Verwaltungsinstanzen nicht zugrunde.

35

Der Kläger verweist selbst auf früher geltende Prüfvereinbarungen im Bezirk der KÄV Bayerns und der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Berlin, in denen bestimmt war, den Vorsitz im Beschwerdeausschuss führe ein Vertreter der Ärzte (Zahnärzte), wenn in dem zu entscheidenden Fall ein Vertreter der Krankenkassen den Vorsitz im Prüfungsausschuss inne hatte und umgekehrt. Dass eine solche Regelung im Bezirk der Beigeladenen zu 1. gegolten habe, macht der Kläger nicht geltend. Seine Auffassung, auch ohne ausdrückliche Regelung in der maßgeblichen Prüfvereinbarung ergebe sich dieser Grundsatz unmittelbar als Folge des § 106 Abs 4 Satz 3 SGB V aF über den turnusmäßigen Wechsel im Vorsitz von Prüfungs- und Beschwerdeausschuss, trifft nicht zu. Die Annahme einer solchen bundesrechtlichen Vorgabe hätte das Prüfverfahren verkompliziert und wäre ohne nähere Regelungen in den Prüfvereinbarungen kaum umsetzbar gewesen. Die Beschwerdeausschüsse hätten Beschlüsse über Entscheidungen der Prüfungsausschüsse möglicherweise zurückstellen müssen, weil im jeweiligen Jahr die "richtige" Besetzung nicht verfügbar gewesen wäre; alternativ hätte immer ein Vorsitzender der "Bank", die im jeweiligen Jahr im Beschwerdeausschuss nicht den Vorsitzenden stellt, zur Verfügung stehen müssen, um über Entscheidungen des Prüfungsausschusses zu beraten, die unter anderem Vorsitz getroffen worden sind. Ob die damit verbundenen formellen Erschwerungen des Prüfungsverfahrens bundesrechtlich unbedenklich gewesen wären, bleibt offen (zu den Grenzen des Gestaltungsspielraums der Gesamtvertragspartner bei Ausgestaltung der Prüfvereinbarung vgl BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 53 S 290 f). Eine Verpflichtung der Prüfgremien, ohne explizite Regelung in der Prüfvereinbarung so zu verfahren, hat jedenfalls nicht bestanden.

36

c. Soweit der Kläger geltend macht, die Entscheidung durch den Beklagten am 12.12.2001 sei nur deshalb unter dem Vorsitz eines Krankenkassenvertreters gefallen, weil die Kassenvertreter die ursprünglich vorgesehene Sitzung am 24.9.2001 boykottiert hätten, führt das zu keiner anderen Beurteilung. Da ein Arzt keinen Anspruch darauf hat, dass über seine Angelegenheit immer unter dem Vorsitz eines Arztes im Beschwerdeausschuss entschieden wird, wenn der Prüfungsausschuss unter dem Vorsitz eines Krankenkassenvertreters entschieden hat, stellt die Vertagung einer Sitzung auch dann grundsätzlich keinen Rechtsverstoß dar, wenn diese zur Folge haben sollte, dass der Vorsitz in der tatsächlich entscheidenden Sitzung wechselt. Im Übrigen hat das Berufungsgericht nicht iS des § 163 SGG festgestellt, dass die Vertagung der Entscheidung vom 24.9.2001 allein darauf beruht hat, dass die Krankenkassenvertreter erreichen wollten, dass über die Angelegenheit des Klägers in der Besetzung des Beschwerdeausschusses mit einem Vorsitzenden aus ihren Reihen entschieden wird. Schließlich ist im Hinblick auf die Rügen des Klägers zur Zusammensetzung des Beklagten bei der Beschlussfassung darauf hinzuweisen, dass die Krankenkassen nach der Rechtsprechung des Senats gegen Entscheidungen der Prüfgremien, mit denen ua Anträge auf Festsetzung von Honorarkürzungen oder Arzneikostenregressen abgelehnt werden, Rechtsmittel ergreifen können (zB BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 1 und BSG MedR 2004, 577, jeweils zu unzureichenden Kürzungen vertragszahnärztlichen Honorars; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 24 zum Sprechstundenbedarfsregress). Da vorliegend Ermessens- und Beurteilungsspielräume allenfalls am Rande in Rede stehen, spricht wenig dafür, dass die zu 2. beigeladene Krankenkasse eine - unterstellt für den Kläger positive - Entscheidung des Beklagten unter anderem Vorsitz auf sich hätte beruhen lassen.

37

d. Der Kläger durfte über "Polyglobin 5 %" in den streitbefangenen Quartalen keine vertragsärztliche Verordnung ausstellen. Er hat dieses Arzneimittel außerhalb der arzneimittelrechtlichen Zulassung verordnet.

38

Die Zulassung von Polyglobin war nach den Feststellungen des LSG auf die Behandlung der idiopathischen thrombozytopenischen Purpura (Hautblutungen) beschränkt, und an dieser Erkrankung hat die Versicherte H. nicht gelitten. Ein Arzneimittel darf grundsätzlich nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung für einen Einsatz außerhalb der arzneimittelrechtlich zugelassenen Indikation verordnet werden. Das hat der 1. Senat des BSG mit Urteil vom 19.3.2002 (BSGE 89, 184 = SozR 3-2500 § 31 Nr 8) unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung entschieden und daran bis heute festgehalten (zB BSGE 93, 236 = SozR 4-2500 § 27 Nr 1). Der 6. Senat des BSG ist dem für die Festsetzung von Arzneikostenregressen gefolgt (vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 RdNr 19; vgl auch BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 37/08 R - RdNr 26, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).

39

Der Kläger kann sich zur Rechtfertigung seiner Verordnungen von Polyglobin weder auf Vertrauensschutz noch auf einen der Annahmetatbestände stützen, unter denen Arzneimittel vertragsärztlich auch außerhalb der zugelassenen Indikation verordnet werden dürfen. Der Kläger ist der Auffassung, Vertragsärzte hätten in der Zeit zwischen dem Urteil des 1. Senats vom 5.7.1995 zur Drogensubstitution mit dem Codein-Präparat Remedacen (BSGE 76, 194 = SozR 3-2500 § 27 Nr 5) und dem Bekanntwerden des Urteils des 8. Senats vom 30.9.1999 zur SKAT-Therapie (BSGE 85, 36 = SozR 3-2500 § 27 Nr 11) generell darauf vertrauen dürfen, Arzneimittel im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung auch außerhalb der Zulassungsindikationen nach dem Arzneimittelrecht verordnen zu dürfen. Dem folgt der Senat in Übereinstimmung mit dem Berufungsgericht nicht.

40

Es ist bereits fraglich, ob ein Vertragsarzt im Hinblick auf das zu der sehr speziellen Situation der Drogensubstitution ergangene Urteil des 1. Senats vom 5.7.1995 generell darauf vertrauen durfte, Arzneimittel auch außerhalb ihrer Zulassungsindikation verordnen zu dürfen. Allenfalls kommt ein Vertrauen darauf in Betracht, dass die Bindung der vertragsärztlichen Verordnung an die Zulassung des jeweiligen Fertigarzneimittels nach dem AMG in dem Sinne gelockert ist, dass in bestimmten Konstellationen eine die arzneimittelrechtliche Zulassung überschreitende Verordnung, die medizinisch sinnvoll oder sogar geboten ist, auch krankenversicherungsrechtlich zulässig sein kann. In diesem Sinne ist das Urteil des 8. Senats vom 30.9.1999 richtigerweise zu verstehen. Weitergehende Schlussfolgerungen aus diesem Urteil im Sinne eines uneingeschränkt erlaubten indikationsfremden Einsatzes von Fertigarzneimitteln liegen eher fern, zumal ein beliebiger, allein nach Gutdünken jedes einzelnen Arztes erfolgender, Einsatz eines Medikaments außerhalb der Zulassung nicht ernsthaft für sachgerecht gehalten werden kann .

41

e. Im Übrigen sind schon kurz nach Veröffentlichung des Urteils des 1. Senats vom 5.7.1995 zur Drogensubstitution in der Rechtsprechung des BSG Zweifel an der allgemeinen Aussagekraft dieses Urteils über den entschiedenen Fall hinaus artikuliert worden. Schon drei Monate nach dem Urteil des 1. Senats hat der allein für das Vertragsarztrecht zuständige erkennende Senat Bedenken gegen die Zulässigkeit des Einsatzes von Remedacen zur Drogensubstitution geäußert und auf die Problematik der Beachtung der Richtlinien des (früheren) Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen im Zusammenhang mit sog Außenseitermethoden hingewiesen (Urteil vom 18.10.1995, SozR 3-5550 § 17 Nr 2 S 5). In der Sache sind sodann die Grundsätze des Urteils vom 5.7.1995 durch die neuere Rechtsprechung des 6. und des 1. Senats zur Rechtsqualität der Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen, zur Methodenanerkennung nach § 135 Abs 1 SGB V und zum Zusammenhang zwischen dieser Anerkennung und den Prinzipien der Arzneimitteltherapie deutlich modifiziert worden(Urteil des 6. Senats vom 20.3.1996, BSGE 78, 70 = SozR 3-2500 § 92 Nr 6 "Methadon"; Urteile des 1. Senats vom 16.9.1997, BSGE 81, 54 = SozR 3-2500 § 135 Nr 4, BSGE 81, 73 = SozR 3-2500 § 92 Nr 7). Spätestens nach Bekanntwerden dieser Urteile war deutlich, dass die ältere Rechtsprechung des BSG zu den (untergesetzlichen) Vorgaben des Leistungs- und Leistungserbringungsrechts in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht mehr uneingeschränkt fortgeführt werden würde. Kein Vertragsarzt musste die aufgezeigten Wendungen der Rechtsprechung kennen oder nachvollziehen. Wer aber - wie der Kläger - geltend macht, Verordnungen aus dem Jahre 1999 im Vertrauen auf eine zu einer Sonderkonstellation ergangene und vereinzelt gebliebene Rechtsprechung des BSG aus dem Jahre 1995 getätigt zu haben, muss sich entgegenhalten lassen, dass sich die Rechtsprechung weiterentwickelt hat. Jedenfalls im Jahr 1999 hat es für einen Vertragsarzt erkennbar keine hinreichende Sicherheit mehr gegeben, nach eigener Einschätzung Off-Label-Use-Verordnungen ausstellen zu dürfen, ohne Gefahr zu laufen, insoweit in Regress genommen zu werden.

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f. Zudem sind sowohl das Urteil des 1. Senats vom 5.7.1995, auf das sich der Kläger beruft, wie auch die folgenden Entscheidungen des 1. und des 8. Senats des BSG zu den Rechtsansprüchen von Versicherten gegen ihre Krankenkasse ergangen. Aus diesen Urteilen ergibt sich nicht unmittelbar, wie sich ein Vertragsarzt zu Arzneimittelverordnungen verhalten sollte, die erkennbar außerhalb der Zulassungsindikation des jeweiligen Arzneimittels erfolgten, von denen er aber annahm, sie könnten vom Patienten beansprucht werden. Dazu ist dem Urteil des erkennenden Senats vom 18.10.1995 (6 RKa 3/93) zur Drogensubstitution zu entnehmen, dass in solchen Fällen jedenfalls eine exakte Dokumentation und eine engmaschige Verlaufskontrolle der Behandlung geboten waren (SozR 3-5550 § 17 Nr 2 S 8; vgl auch BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 37/08 R - RdNr 39, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Damit ist es zB nicht vereinbar, auf laborchemische Untersuchungen zum Nachweis eines - vermeintlichen oder tatsächlich bestehenden - "Antikörpermangelsyndroms" zu verzichten, wenn die umstrittene Off-Label-Verordnung von Immunglobulinen gerade auf diese Diagnose reagiert.

43

Ein Vertragsarzt, der Medikamente außerhalb ihrer zugelassenen Indikationen verordnet, kann weder sich noch der Krankenkasse Gewissheit darüber verschaffen, dass die Verordnung den Vorgaben des Wirtschaftlichkeitsgebotes genügt, also notwendig, zweckmäßig und wirtschaftlich ist. Bei Off-Label-Verordnungen hat nämlich gerade keine Prüfung von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des jeweiligen Arzneimittels stattgefunden, die seinen Einsatz (auch) im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung rechtfertigt. Eine solche Prüfung ist im AMG nur indikationsbezogen vorgeschrieben und durchführbar; die von der Zulassung nach dem AMG ausgehende Schutzwirkung und Qualitäts- wie Wirksamkeitserwartung greift bei einem Einsatz des Medikaments außerhalb der Zulassung gerade nicht ein (vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 RdNr 19; s auch BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 37/08 - RdNr 27 ff, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Soweit danach ein Vertragsarzt Verordnungen ohne gesicherten Nachweis von Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels ausstellt, muss zwingend nachträglich geprüft werden dürfen, ob die jeweilige Verordnung den Regeln des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung entspricht. Wenn der Vertragsarzt davon absieht, in Fällen eines Off-Label-Use die Krankenkasse vor Ausstellung der Verordnung einzuschalten, wie es der Senat in einem Beschluss vom 31.5.2006 dargestellt hat (B 6 KA 53/05 B, MedR 2007, 557, 560), muss er hinnehmen, dass die Einhaltung der Vorgaben der vertragsärztlichen Versorgung im Nachhinein geprüft wird.

44

Der Beklagte hält dem Kläger - anders als dieser nahe legen will - keine schuldhafte Verletzung vertragsärztlicher Pflichten vor, die nunmehr sanktioniert wird. Der Beklagte hat lediglich die Position der zu 2. beigeladenen Krankenkasse bestätigt, dass sie objektiv zu Unrecht erhebliche Kosten für die Versorgung ihrer Versicherten H. mit einem Immunglobulin aufgewandt hat. Weil der Kläger der Beigeladenen zu 2. keine Gelegenheit gegeben hat, ihre Auffassung zur Rechtmäßigkeit des Einsatzes von Immunglobulinen bei der Versicherten H. vor Einlösung der Verordnungen darzulegen, muss es der Krankenkasse möglich sein, ihren Standpunkt nachträglich durchzusetzen, soweit er rechtlicher Prüfung standhält. Dazu sieht die Prüfvereinbarung im Einklang mit Bundesrecht das Verfahren der Regressfestsetzung vor. Soweit der Kläger geltend macht, nach dem im Jahr 1999 geltenden Recht habe er zu Gunsten der H. kein Privatrezept ausstellen dürfen, weil das gegen § 29 Abs 1 Satz 2 BMV-Ä verstoßen hätte, folgt der Senat dem nicht. Der Beschluss des Senats vom 31.5.2006 (MedR 2007, 557), der diesen Weg aufgezeigt hat, ist zu Off-Label-Use-Verordnungen aus dem Jahr 1997 ergangen. Auch 1997 und 1999 galt das Verbot, sich als Vertragsarzt vertragsärztliche Verordnungen einzeln genehmigen zu lassen; dieses Verbot hat sich - wie der Senat dargelegt hat - immer nur auf Verordnungen im Rahmen der Leistungspflicht der Krankenkassen bezogen. Wie die Rechtslage zu beurteilen wäre, wenn der Kläger im Sommer 1999 vergeblich bei der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2. angefragt und explizit um eine Entscheidung über das aus Sicht dieser Krankenkasse richtige Vorgehen gebeten hätte, kann offen bleiben. Der Kläger macht selbst nicht geltend, diesen Weg beschritten zu haben.

45

g. Der vom Beklagten aufrecht erhaltene Regress gegen den Kläger ist schließlich nicht deshalb rechtswidrig, weil der Versicherten H. bei Ausstellung der umstrittenen Verordnungen nach den Grundsätzen des Beschlusses des BVerfG vom 6.12.2005 (BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5) gegen die Rechtsvorgängerin der zu 2. beigeladenen Krankenkasse ein Anspruch auf Versorgung mit Polyglobin 5 % zugestanden hätte. Nach den Feststellungen des LSG liegen die tatsächlichen Voraussetzungen eines solchen, auf §§ 27 und 31 SGB V iVm Art 2 Abs 1 GG und dem Sozialstaatsprinzip bzw Art 2 Abs 2 Satz 1 GG und der hieraus abzuleitenden Schutzpflicht gegründeten Anspruchs nicht vor. Diese Feststellungen des LSG sind für den Senat nach § 163 SGG bindend, weil der Kläger dazu keine zulässigen Revisionsrügen angebracht hat.

46

Richtig ist allerdings der Ausgangspunkt der Revision: Wenn feststünde, dass H. nach den tatsächlichen Verhältnissen des Jahres 1999 einen Anspruch auf Versorgung mit Polyglobin als Sachleistung der Krankenkasse gehabt hätte, dürfte wegen der für diese Versorgung angefallenen Kosten kein Regress gegen den Kläger festgesetzt werden. Diese Konsequenz aus der Entscheidung des BVerfG hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 5.11.2008 zu Wobe Mugos (SozR 4-2500 § 106 Nr 21; ebenso BSG MedR 2010, 276) inzident angesprochen und hält daran fest. Der verschuldensunabhängige Schadensersatzanspruch der Krankenkasse gegen einen Vertragsarzt wegen unzulässiger Arzneimittelverordnungen beruht im Kern darauf, dass die Krankenkasse einen Ausgleich für die Bezahlung von Medikamenten erhält, die sie bei korrekten Verhalten des Arztes nicht hätte finanzieren müssen. Wenn sich nachträglich herausstellt, dass der Versicherte, zu dessen Gunsten der Vertragsarzt die umstrittenen Verordnungen ausgestellt hat, auf die Versorgung mit dem verordneten Arzneimittel einen Anspruch gegen seine Krankenkasse hatte, ist dieser durch die Bezahlung dieses Arzneimittels dem Grunde nach jedenfalls kein Schaden entstanden, den der Vertragsarzt nunmehr ersetzen müsste. Lässt sich allerdings nicht mit hinreichender Gewissheit feststellen, dass die Voraussetzungen für einen ausnahmsweise gerechtfertigten Off-Label-Use vorgelegen haben, geht das zu Lasten des Arztes. Er rückt, obwohl er sich nach der Ausrichtung des Verfahrens gegen einen Regress wendet, hinsichtlich der Verteilung von Darlegungs- und Beweislast in die Stellung ein, die der Versicherte gehabt hätte, wenn er seinen Standpunkt zur der Verordnungsfähigkeit eines Arzneimittels gegen die Krankenkasse nach § 13 Abs 3 SGB V im Wege der Geltendmachung eines Kostenerstattungsanspruchs durchsetzen müsste. Wer geltend machen will, der Versorgungsanspruch umfasse in einer bestimmten Konstellation auch die Versorgung mit zugelassenen Arzneimitteln außerhalb der Zulassungsindikationen, dringt damit nicht durch, wenn sich unter Ausschöpfung aller Möglichkeiten zur Sachaufklärung nicht feststellen lässt, dass die dafür insbesondere in der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG und inzwischen auch vom Gemeinsamen Bundesausschuss (§ 30 der Arzneimittel-Richtlinie iVm Anlage VI) formulierten Voraussetzungen vorgelegen haben. Das ist auch hier der Fall und geht zu Lasten des Klägers.

47

h. Das LSG ist in Übereinstimmung mit der Revision zutreffend davon ausgegangen, dass die Versicherte H. an einer lebensbedrohlichen Erkrankung (metastasierendes Karzinom der Eileiter) gelitten hat. Zu dessen kausaler Behandlung hätte bei Fehlen einer allgemein anerkannten, medizinischem Standard entsprechenden Behandlungsmethode nach der Rechtsprechung des BVerfG ein Arzneimittel auch außerhalb seiner Zulassungsindikation eingesetzt werden dürfen, wenn nach der vorhandenen Studienlage auf diese Weise die nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf positive Behandlungserfolge bestanden hätten (BVerfGE 115, 25, 49 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 RdNr 33). Das nimmt der Kläger selbst für die Verordnung von Polyglobin nicht an. Er geht vielmehr davon aus, dass die Versicherte H. an einem Antikörpermangel litt, der unbehandelt eine Fortführung der überlebensnotwendigen Chemotherapie ausgeschlossen hätte oder hat. Wenn die Rechtsprechung des BVerfG auf diese Konstellation Anwendung finden sollte, was der Senat entgegen der Auffassung des LSG nicht von vornherein für ausgeschlossen hält, müssen jedenfalls die Anforderungen an einen zulässigen Off-Label-Use entsprechend erfüllt sein. Es muss deshalb feststehen, dass der Patient neben der lebensbedrohlichen Erkrankung an einer weiteren Gesundheitsstörung leidet, die die Anwendung aller zur Behandlung des Hauptleidens in Betracht kommenden Behandlungsmöglichkeiten ausschließt. Weiterhin muss der Off-Label-Einsatz des anzuwendenden Arzneimittels mit gewisser Wahrscheinlichkeit die zweite Erkrankung so beeinflussen, dass eine Erfolg versprechende Behandlung des Hauptleidens wieder oder erstmals möglich wird. Schließlich darf es für die zweite Erkrankung keine anerkannten Behandlungsmöglichkeiten - zB mit entsprechend zugelassenen Arzneimitteln - geben. Diese Voraussetzungen sind hier jedenfalls nicht - wie es notwendig wäre, um der Klage zum Erfolg zu verhelfen - kumulativ erfüllt.

48

i. Erhebliche Zweifel bestehen bereits daran, ob das vom Kläger so bezeichnete "sekundäre Antikörpermangelsyndrom" eine eigenständige und hinreichende spezifische Erkrankung ist, die abgegrenzt vom Karzinomleiden behandelt werden kann und muss. Der Kläger hat dazu in den Tatsacheninstanzen nicht Präzises vorgetragen. Zudem steht nicht fest, dass die Patientin H. an einem Antikörpermangelsyndrom litt, das schulmedizinisch nicht behandelbar war. Die zur Abstützung dieser Diagnose und des Ausmaßes der Erkrankung möglichen laborchemischen Untersuchungen hat der Kläger nach den Feststellungen des LSG nicht durchgeführt oder veranlasst. Dazu mag er - wie die Revision geltend macht - berufsrechtlich nicht verpflichtet gewesen sein. Er hat damit aber im Hinblick auf den Off-Label-Use zur Unaufklärbarkeit des genauen Gesundheitszustandes der Versicherten H. in der zweiten Hälfte des Jahres 1999 beigetragen. Das geht zu seinen Lasten.

49

j. Außerdem fehlt es an ausreichenden Feststellungen bzw Belegen für das vom Kläger geltend gemachte Dilemma, die lebensbedrohliche Ersterkrankung nur durch die Behandlung der Zweiterkrankung mit Polyglobin 5 % therapieren zu können. Der Kläger setzt schon die Anforderungen an den Nachweis einer eigenständigen Zweiterkrankung zu niedrig an. Die Versicherte H. litt nach den Ausführungen des Klägers an einer "Verminderung der Immunitätslage" als Folge sowohl des Karzinomleidens als auch der aggressiven Chemotherapien. Darauf habe sie mit wiederholten schweren bakteriellen und viralen Infektionen reagiert, die er - der Kläger - als "Zeichen eines sekundären Antikörpermangels" gedeutet habe. Für keine dieser "wiederholten" Infektionen hat der Kläger im Verwaltungsverfahren oder in den Vorinstanzen jedoch konkret und eingehend belegt, dass diesen durch anerkannte Behandlungsverfahren nicht hätten effektiv entgegengewirkt werden können. Spezifische Darlegungen dazu, die dann dem LSG ggf Anlass zu weiterer Sachaufklärung hätten geben können, waren vor allem deshalb unerlässlich, weil der Kläger selbst einen Zusammenhang zwischen dem Krebsleiden und der Chemotherapie mit der geschwächten Immunitätslage der H. herstellt. Da nicht alle Patienten, deren Abwehrsystem durch Krebs und Chemotherapie geschwächt sind, mit Immunglobulin behandelt werden bzw nach dem gebotenen Behandlungsstandard behandelt werden müssen oder im Jahr 1999 so behandelt wurden oder behandelt werden mussten, hätte der Kläger fallbezogen und detailliert darlegen müssen, inwieweit sich die gesundheitliche Lage der H. von derjenigen anderer chemotherapeutisch behandelter Krebspatienten unterschied, und auf der Basis welcher exakten Befunde er die Anwendung von Polyglobin 5 % für unerlässlich hielt. Das ist nicht geschehen und spricht dafür, dass sich der Kläger von der Gabe eines Immunglobulins ganz generell eine Stärkung der Abwehrlage der H. und damit mutmaßlich eine bessere Resistenz gegen Infektionen versprach. Das reicht für einen Off-Label-Use, dessen Zulässigkeit jedenfalls in Fällen der hier vorliegenden Art von dem Gesundheitszustand des konkreten Patienten abhängt, nicht aus.

50

k. Schließlich ist die positive Wirkung, die der Kläger dem Einsatz von Immunglobulin bei fortgeschrittener Krebserkrankung zuschreibt, nach den Feststellungen des LSG auch nicht hinreichend belegt.

51

Das LSG hat im Einzelnen dargestellt, dass die bis 1999 zum Einsatz von Immunglobulinen vorhandenen Studien und publizierten Forschungsergebnisse nicht darauf hindeuten, dass die Gesundheitsstörungen der Versicherten H. durch den Einsatz von Polyglobin erfolgreich behandelt werden konnten. Das LSG ist zutreffend von den in der Rechtsprechung des 1. Senats des BSG ermittelten Grundsätzen zum Anspruch der Versicherten auf Versorgung mit (in Deutschland oder der EU) nicht zugelassenen Arzneimitteln (dazu BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4) oder mit Arzneimitteln außerhalb zugelassener Indikationen (BSGE 89, 184 = SozR 3-2500 § 31 Nr 8) ausgegangen. Es hat näher ausgeführt, dass keine wissenschaftliche Arbeit vorliege oder vom Kläger benannt sei, in der der zulassungsüberschreitende Einsatz von Immunglobulinen zur Behandlung einer auf der Intoleranz von Chemotherapeutika beruhenden Erkrankung als medizinisch geboten bewertet wird. Einen Konsens der einschlägigen Fachkreise, dass Polyglobin ein sekundäres Antikörpersyndrom positiv beeinflussen könne, hat das LSG gerade nicht feststellen können. Soweit die Revision die vorhandenen medizinischen Unterlagen lediglich anders würdigt, vermag sie damit die Feststellungen iS des § 163 SGG nicht zu entkräften.

52

Soweit der Kläger die Sachaufklärung des LSG zu den Erfolgsaussichten der Behandlung mit Immunglobulinen für unzureichend hält, berücksichtigt er nicht hinreichend, dass sich der 1. Senat des BSG bereits mehrfach mit dem Anspruch der Versicherten auf Versorgung mit Immunglobulinen befasst hat. In den Urteilen vom 19.3.2002 (BSGE 89, 184 = SozR 3-2500 § 31 Nr 8), vom 27.3.2007 (B 1 KR 17/06 R) und vom 28.2.2008 (SozR 4-2500 § 13 Nr 16), die sämtlich die Versorgung mit Immunglobulinpräparaten - jeweils bezogen auf die Indikation Multiple Sklerose - zum Gegenstand hatten, wird der Stand der medizinischen Forschung zu dieser Wirkstoffgruppe für die streitbefangenen Jahre 1997 bis 2003 eingehend aufgearbeitet. Zwar können die Forschungsergebnisse zur Möglichkeit, durch die Gabe von Immunglobulinen die Multiple Sklerose günstig zu beeinflussen, nicht ohne Weiteres auf die hier zu beurteilende Situation der unterstützenden Behandlung bei Krebserkrankungen übertragen werden, doch sind die Wirkungen und die in Frage kommenden Indikationen für Immunglobulin bezogen auf den hier relevanten Zeitraum gut erforscht und die Forschungsergebnisse - soweit krankenversicherungsrechtlich von Bedeutung - in der Rechtsprechung des BSG umfassend rezipiert worden. Zudem sind die Urteile des 1. Senats des BSG vom 27.3.2007 und vom 28.2.2008 Gegenstand der verfassungsgerichtlichen Prüfung gewesen. Mit Kammerbeschlüssen vom 30.6.2008 (1 BvR 1665/07 zum BSG-Urteil B 1 KR 17/06 R) und vom 8.7.2009 (1 BvR 1531/09 zum BSG-Urteil B 1 KR 15/07 R) sind die Verfassungsbeschwerden der unterlegenen Kläger jeweils nicht zur Entscheidung angenommen worden. Beide Kammerbeschlüsse sind auf der Basis der grundlegenden Entscheidung des BVerfG vom 6.12.2005 ergangen und billigen insbesondere, dass die Rechtsprechung des BSG strenge Anforderungen an den Nachweis stellt, dass mit dem zulassungsüberschreitenden Einsatz des jeweils betroffenen Arzneimittels hinreichende Erfolgsaussichten verbunden sein müssen (BVerfG vom 30.6.2008 - 1 BvR 1665/07 - NJW 2008, 3556 f RdNr 9 bis 11). Es reicht danach als Grundlage für einen Off-Label-Use von Arzneimitteln in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht aus, dass positive Folgen einer solchen Behandlung nach dem Wirkungsmechanismus von Immunglobulinen nicht schlechthin ausgeschlossen werden können, dass Patienten in Einzelfällen nach Verabreichung der umstrittenen Medikamente eine Verbesserung ihres Befindens beschreiben und dass einzelne Ärzte oder Wissenschaftler mit plausiblen Gründen einen von der verbreiteten Auffassung abweichenden Standpunkt zu den Erfolgsaussichten einer Behandlung vertreten. Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe und im Hinblick auf die schon vorliegende Rechtsprechung des 1. Senats des BSG ist die Sachverhaltsermittlung des Berufungsgerichts ausreichend.

53

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs 1 iVm § 155 Abs 1 VwGO und berücksichtigt das teilweise Obsiegen und Unterliegen der Beteiligten. Die außergerichtlichen Kosten der zu 1. beigeladenen KÄV sind nach § 162 Abs 3 VwGO nicht erstattungsfähig, weil diese keine Anträge gestellt hat(vgl BSGE 96, 257 = SozR 4-1300 § 63 Nr 3, RdNr 16).

(1) Ein schriftlicher oder elektronischer sowie ein schriftlich oder elektronisch bestätigter Verwaltungsakt ist mit einer Begründung zu versehen. In der Begründung sind die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitzuteilen, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen haben. Die Begründung von Ermessensentscheidungen muss auch die Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist.

(2) Einer Begründung bedarf es nicht,

1.
soweit die Behörde einem Antrag entspricht oder einer Erklärung folgt und der Verwaltungsakt nicht in Rechte eines anderen eingreift,
2.
soweit demjenigen, für den der Verwaltungsakt bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, die Auffassung der Behörde über die Sach- und Rechtslage bereits bekannt oder auch ohne Begründung für ihn ohne weiteres erkennbar ist,
3.
wenn die Behörde gleichartige Verwaltungsakte in größerer Zahl oder Verwaltungsakte mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlässt und die Begründung nach den Umständen des Einzelfalles nicht geboten ist,
4.
wenn sich dies aus einer Rechtsvorschrift ergibt,
5.
wenn eine Allgemeinverfügung öffentlich bekannt gegeben wird.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Nr. 1 bis 3 ist der Verwaltungsakt schriftlich oder elektronisch zu begründen, wenn der Beteiligte, dem der Verwaltungsakt bekannt gegeben ist, es innerhalb eines Jahres seit Bekanntgabe verlangt.

(1) Die Krankenkassen stellen den Versicherten die im Dritten Kapitel genannten Leistungen unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12) zur Verfügung, soweit diese Leistungen nicht der Eigenverantwortung der Versicherten zugerechnet werden. Behandlungsmethoden, Arznei- und Heilmittel der besonderen Therapierichtungen sind nicht ausgeschlossen. Qualität und Wirksamkeit der Leistungen haben dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen.

(1a) Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, können auch eine von Absatz 1 Satz 3 abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Die Krankenkasse erteilt für Leistungen nach Satz 1 vor Beginn der Behandlung eine Kostenübernahmeerklärung, wenn Versicherte oder behandelnde Leistungserbringer dies beantragen. Mit der Kostenübernahmeerklärung wird die Abrechnungsmöglichkeit der Leistung nach Satz 1 festgestellt.

(2) Die Versicherten erhalten die Leistungen als Sach- und Dienstleistungen, soweit dieses oder das Neunte Buch nichts Abweichendes vorsehen. Die Leistungen werden auf Antrag durch ein Persönliches Budget erbracht; § 29 des Neunten Buches gilt entsprechend. Über die Erbringung der Sach- und Dienstleistungen schließen die Krankenkassen nach den Vorschriften des Vierten Kapitels Verträge mit den Leistungserbringern.

(3) Bei der Auswahl der Leistungserbringer ist ihre Vielfalt zu beachten. Den religiösen Bedürfnissen der Versicherten ist Rechnung zu tragen.

(4) Krankenkassen, Leistungserbringer und Versicherte haben darauf zu achten, daß die Leistungen wirksam und wirtschaftlich erbracht und nur im notwendigen Umfang in Anspruch genommen werden.

(1) Fertigarzneimittel dürfen im Geltungsbereich dieses Gesetzes nur in den Verkehr gebracht werden, wenn sie durch die zuständige Bundesoberbehörde zugelassen sind oder wenn für sie die Europäische Gemeinschaft oder die Europäische Union eine Genehmigung für das Inverkehrbringen nach Artikel 3 Absatz 1 oder 2 der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 erteilt hat. Satz 1 gilt auch in Verbindung mit der Verordnung (EG) Nr. 1901/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Kinderarzneimittel und zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1768/92, der Richtlinie 2001/83/EG und der Verordnung (EU) Nr. 536/2014, der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 (ABl. L 378 vom 27.12.2006, S. 1; L 201 vom 27.7.2012, S. 28), die zuletzt durch die Verordnung (EU) 2019/5 (ABl. L 4 vom 7.1.2019, S. 24) geändert worden ist, in Verbindung mit der Verordnung (EU) Nr. 536/2014 oder in Verbindung mit der Verordnung (EG) Nr. 1394/2007.

(2) Einer Zulassung bedarf es nicht für Arzneimittel, die

1.
auf Grund nachweislich häufiger ärztlicher oder zahnärztlicher Verschreibung in den wesentlichen Herstellungsschritten in einer Apotheke in einer Menge bis zu hundert abgabefertigen Packungen an einem Tag im Rahmen des üblichen Apothekenbetriebs hergestellt werden und zur Abgabe im Rahmen der bestehenden Apothekenbetriebserlaubnis bestimmt sind,
1a.
Arzneimittel sind, bei deren Herstellung Stoffe menschlicher Herkunft eingesetzt werden und die entweder zur autologen oder gerichteten, für eine bestimmte Person vorgesehene Anwendung bestimmt sind oder auf Grund einer Rezeptur für einzelne Personen hergestellt werden, es sei denn, es handelt sich um Arzneimittel im Sinne von § 4 Absatz 4,
1b.
andere als die in Nummer 1a genannten Arzneimittel sind und für Apotheken, denen für einen Patienten eine Verschreibung vorliegt, aus im Geltungsbereich dieses Gesetzes zugelassenen Arzneimitteln
a)
als Zytostatikazubereitung oder für die parenterale Ernährung sowie in anderen medizinisch begründeten besonderen Bedarfsfällen, sofern es für die ausreichende Versorgung des Patienten erforderlich ist und kein zugelassenes Arzneimittel zur Verfügung steht, hergestellt werden oder
b)
als Blister aus unveränderten Arzneimitteln hergestellt werden oder
c)
in unveränderter Form abgefüllt werden,
1c.
antivirale oder antibakterielle Wirksamkeit haben und zur Behandlung einer bedrohlichen übertragbaren Krankheit, deren Ausbreitung eine sofortige und das übliche Maß erheblich überschreitende Bereitstellung von spezifischen Arzneimitteln erforderlich macht, aus Wirkstoffen hergestellt werden, die von den Gesundheitsbehörden des Bundes oder der Länder oder von diesen benannten Stellen für diese Zwecke bevorratet wurden, soweit ihre Herstellung in einer Apotheke zur Abgabe im Rahmen der bestehenden Apothekenbetriebserlaubnis oder zur Abgabe an andere Apotheken erfolgt,
1d.
Gewebezubereitungen sind, die der Pflicht zur Genehmigung nach den Vorschriften des § 21a Abs. 1 unterliegen,
1e.
Heilwässer, Bademoore oder andere Peloide sind, die nicht im Voraus hergestellt und nicht in einer zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Packung in den Verkehr gebracht werden, oder die ausschließlich zur äußeren Anwendung oder zur Inhalation vor Ort bestimmt sind,
1f.
medizinische Gase sind und die für einzelne Personen aus im Geltungsbereich dieses Gesetzes zugelassenen Arzneimitteln durch Abfüllen und Kennzeichnen in Unternehmen, die nach § 50 zum Einzelhandel mit Arzneimitteln außerhalb von Apotheken befugt sind, hergestellt werden,
1g.
als Therapieallergene für einzelne Patienten auf Grund einer Rezeptur hergestellt werden,
2.
zur klinischen Prüfung bestimmt sind oder
3.
unter den in Artikel 83 der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 genannten Voraussetzungen kostenlos für eine Anwendung bei Patienten zur Verfügung gestellt werden, die an einer zu einer schweren Behinderung führenden Erkrankung leiden oder deren Krankheit lebensbedrohend ist, und die mit einem zugelassenen Arzneimittel nicht zufrieden stellend behandelt werden können; dies gilt auch für die nicht den Kategorien des Artikels 3 Absatz 1 oder 2 der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 zugehörigen Arzneimittel; Verfahrensregelungen werden in einer Rechtsverordnung nach § 80 bestimmt.

(2a) (weggefallen)

(3) Die Zulassung ist vom pharmazeutischen Unternehmer zu beantragen. Für ein Fertigarzneimittel, das in Apotheken oder sonstigen Einzelhandelsbetrieben auf Grund einheitlicher Vorschriften hergestellt und unter einer einheitlichen Bezeichnung an Verbraucher abgegeben wird, ist die Zulassung vom Herausgeber der Herstellungsvorschrift zu beantragen. Wird ein Fertigarzneimittel für mehrere Apotheken oder sonstige Einzelhandelsbetriebe hergestellt und soll es unter deren Namen und unter einer einheitlichen Bezeichnung an Verbraucher abgegeben werden, so hat der Hersteller die Zulassung zu beantragen.

(4) Die zuständige Bundesoberbehörde entscheidet ferner, unabhängig von einem Zulassungsantrag nach Absatz 3 oder von einem Genehmigungsantrag nach § 21a Absatz 1 oder § 42 Absatz 2, auf Antrag einer zuständigen Landesbehörde über die Zulassungspflicht eines Arzneimittels, die Genehmigungspflicht einer Gewebezubereitung oder über die Genehmigungspflicht einer klinischen Prüfung. Dem Antrag hat die zuständige Landesbehörde eine begründete Stellungnahme zur Einstufung des Arzneimittels oder der klinischen Prüfung beizufügen.

(1) Die Krankenkassen stellen den Versicherten die im Dritten Kapitel genannten Leistungen unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12) zur Verfügung, soweit diese Leistungen nicht der Eigenverantwortung der Versicherten zugerechnet werden. Behandlungsmethoden, Arznei- und Heilmittel der besonderen Therapierichtungen sind nicht ausgeschlossen. Qualität und Wirksamkeit der Leistungen haben dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen.

(1a) Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, können auch eine von Absatz 1 Satz 3 abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Die Krankenkasse erteilt für Leistungen nach Satz 1 vor Beginn der Behandlung eine Kostenübernahmeerklärung, wenn Versicherte oder behandelnde Leistungserbringer dies beantragen. Mit der Kostenübernahmeerklärung wird die Abrechnungsmöglichkeit der Leistung nach Satz 1 festgestellt.

(2) Die Versicherten erhalten die Leistungen als Sach- und Dienstleistungen, soweit dieses oder das Neunte Buch nichts Abweichendes vorsehen. Die Leistungen werden auf Antrag durch ein Persönliches Budget erbracht; § 29 des Neunten Buches gilt entsprechend. Über die Erbringung der Sach- und Dienstleistungen schließen die Krankenkassen nach den Vorschriften des Vierten Kapitels Verträge mit den Leistungserbringern.

(3) Bei der Auswahl der Leistungserbringer ist ihre Vielfalt zu beachten. Den religiösen Bedürfnissen der Versicherten ist Rechnung zu tragen.

(4) Krankenkassen, Leistungserbringer und Versicherte haben darauf zu achten, daß die Leistungen wirksam und wirtschaftlich erbracht und nur im notwendigen Umfang in Anspruch genommen werden.

(1) Fertigarzneimittel dürfen im Geltungsbereich dieses Gesetzes nur in den Verkehr gebracht werden, wenn sie durch die zuständige Bundesoberbehörde zugelassen sind oder wenn für sie die Europäische Gemeinschaft oder die Europäische Union eine Genehmigung für das Inverkehrbringen nach Artikel 3 Absatz 1 oder 2 der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 erteilt hat. Satz 1 gilt auch in Verbindung mit der Verordnung (EG) Nr. 1901/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Kinderarzneimittel und zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1768/92, der Richtlinie 2001/83/EG und der Verordnung (EU) Nr. 536/2014, der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 (ABl. L 378 vom 27.12.2006, S. 1; L 201 vom 27.7.2012, S. 28), die zuletzt durch die Verordnung (EU) 2019/5 (ABl. L 4 vom 7.1.2019, S. 24) geändert worden ist, in Verbindung mit der Verordnung (EU) Nr. 536/2014 oder in Verbindung mit der Verordnung (EG) Nr. 1394/2007.

(2) Einer Zulassung bedarf es nicht für Arzneimittel, die

1.
auf Grund nachweislich häufiger ärztlicher oder zahnärztlicher Verschreibung in den wesentlichen Herstellungsschritten in einer Apotheke in einer Menge bis zu hundert abgabefertigen Packungen an einem Tag im Rahmen des üblichen Apothekenbetriebs hergestellt werden und zur Abgabe im Rahmen der bestehenden Apothekenbetriebserlaubnis bestimmt sind,
1a.
Arzneimittel sind, bei deren Herstellung Stoffe menschlicher Herkunft eingesetzt werden und die entweder zur autologen oder gerichteten, für eine bestimmte Person vorgesehene Anwendung bestimmt sind oder auf Grund einer Rezeptur für einzelne Personen hergestellt werden, es sei denn, es handelt sich um Arzneimittel im Sinne von § 4 Absatz 4,
1b.
andere als die in Nummer 1a genannten Arzneimittel sind und für Apotheken, denen für einen Patienten eine Verschreibung vorliegt, aus im Geltungsbereich dieses Gesetzes zugelassenen Arzneimitteln
a)
als Zytostatikazubereitung oder für die parenterale Ernährung sowie in anderen medizinisch begründeten besonderen Bedarfsfällen, sofern es für die ausreichende Versorgung des Patienten erforderlich ist und kein zugelassenes Arzneimittel zur Verfügung steht, hergestellt werden oder
b)
als Blister aus unveränderten Arzneimitteln hergestellt werden oder
c)
in unveränderter Form abgefüllt werden,
1c.
antivirale oder antibakterielle Wirksamkeit haben und zur Behandlung einer bedrohlichen übertragbaren Krankheit, deren Ausbreitung eine sofortige und das übliche Maß erheblich überschreitende Bereitstellung von spezifischen Arzneimitteln erforderlich macht, aus Wirkstoffen hergestellt werden, die von den Gesundheitsbehörden des Bundes oder der Länder oder von diesen benannten Stellen für diese Zwecke bevorratet wurden, soweit ihre Herstellung in einer Apotheke zur Abgabe im Rahmen der bestehenden Apothekenbetriebserlaubnis oder zur Abgabe an andere Apotheken erfolgt,
1d.
Gewebezubereitungen sind, die der Pflicht zur Genehmigung nach den Vorschriften des § 21a Abs. 1 unterliegen,
1e.
Heilwässer, Bademoore oder andere Peloide sind, die nicht im Voraus hergestellt und nicht in einer zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Packung in den Verkehr gebracht werden, oder die ausschließlich zur äußeren Anwendung oder zur Inhalation vor Ort bestimmt sind,
1f.
medizinische Gase sind und die für einzelne Personen aus im Geltungsbereich dieses Gesetzes zugelassenen Arzneimitteln durch Abfüllen und Kennzeichnen in Unternehmen, die nach § 50 zum Einzelhandel mit Arzneimitteln außerhalb von Apotheken befugt sind, hergestellt werden,
1g.
als Therapieallergene für einzelne Patienten auf Grund einer Rezeptur hergestellt werden,
2.
zur klinischen Prüfung bestimmt sind oder
3.
unter den in Artikel 83 der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 genannten Voraussetzungen kostenlos für eine Anwendung bei Patienten zur Verfügung gestellt werden, die an einer zu einer schweren Behinderung führenden Erkrankung leiden oder deren Krankheit lebensbedrohend ist, und die mit einem zugelassenen Arzneimittel nicht zufrieden stellend behandelt werden können; dies gilt auch für die nicht den Kategorien des Artikels 3 Absatz 1 oder 2 der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 zugehörigen Arzneimittel; Verfahrensregelungen werden in einer Rechtsverordnung nach § 80 bestimmt.

(2a) (weggefallen)

(3) Die Zulassung ist vom pharmazeutischen Unternehmer zu beantragen. Für ein Fertigarzneimittel, das in Apotheken oder sonstigen Einzelhandelsbetrieben auf Grund einheitlicher Vorschriften hergestellt und unter einer einheitlichen Bezeichnung an Verbraucher abgegeben wird, ist die Zulassung vom Herausgeber der Herstellungsvorschrift zu beantragen. Wird ein Fertigarzneimittel für mehrere Apotheken oder sonstige Einzelhandelsbetriebe hergestellt und soll es unter deren Namen und unter einer einheitlichen Bezeichnung an Verbraucher abgegeben werden, so hat der Hersteller die Zulassung zu beantragen.

(4) Die zuständige Bundesoberbehörde entscheidet ferner, unabhängig von einem Zulassungsantrag nach Absatz 3 oder von einem Genehmigungsantrag nach § 21a Absatz 1 oder § 42 Absatz 2, auf Antrag einer zuständigen Landesbehörde über die Zulassungspflicht eines Arzneimittels, die Genehmigungspflicht einer Gewebezubereitung oder über die Genehmigungspflicht einer klinischen Prüfung. Dem Antrag hat die zuständige Landesbehörde eine begründete Stellungnahme zur Einstufung des Arzneimittels oder der klinischen Prüfung beizufügen.

Tatbestand

1

Umstritten ist ein Arzneikostenregress wegen der Verordnung des Arzneimittels Polyglobin in den Quartalen II/1999 bis IV/1999.

2

Der in diesen Quartalen als Hausarzt an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Kläger verordnete insgesamt 17-mal "Polyglobin 5 %" für die 1932 geborene Versicherte H. Diese litt an einem metastasierenden Karzinom der Eileiter, das auch die Leber befallen hatte, und ist 2001 verstorben. Die Kosten je Verordnung beliefen sich auf 3209,02 DM. Auf Antrag der Rechtsvorgängerin der zu 2. beigeladenen Krankenkasse vom 1.12.2000 setzte der Prüfungsausschuss auf der Grundlage des § 14 der für den Bezirk der zu 1. beigeladenen Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) geltenden Prüfvereinbarung eine Schadensersatzpflicht des Klägers wegen der Verordnung von "Polyglobin" in Höhe von 51 553 DM fest. Dieser Betrag ergab sich auf der Grundlage der Bruttoverordnungskosten unter Abzug eines fünfprozentigen Apothekenrabatts und der von der Versicherten geleisteten Zuzahlungen. Der beklagte Beschwerdeausschuss wies den Widerspruch des Klägers mit der Begründung zurück, Polyglobin sei nicht im Rahmen der Zulassungsindikationen verordnet worden, und für eine Verordnung außerhalb der zugelassenen Indikationen - der Kläger hatte die Behandlung eines Antikörpermangels bei der Versicherten als Grund für die Verordnungen angeführt - habe keine rechtliche Grundlage bestanden.

3

Das SG hat den Bescheid des Beklagten aufgehoben, soweit die Verordnungen im Quartal II/1999 ausgestellt worden sind, weil die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2. die Antragsfrist versäumt habe. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen, weil für einen zulassungsüberschreitenden Einsatz von Polyglobin die rechtlichen Voraussetzungen, die inzwischen von der Rechtsprechung des BSG geklärt seien, nicht vorgelegen hätten.

4

Dieses Urteil haben der Kläger am 15.4.2005 mit der Berufung und die Beigeladene zu 2. am 28.11.2006 mit der Anschlussberufung angegriffen. Der Kläger hat geltend gemacht, die Verordnung von Polyglobin in den streitbefangenen Quartalen habe den Behandlungserfolg der Chemotherapie absichern sollen und sei damit zur erfolgreichen Behandlung des inoperablen metastasierenden Tubenkarzinoms notwendig gewesen. Nach der Entscheidung des BSG vom 5.7.1995 (Remedacen) habe er darauf vertrauen können, verschreibungspflichtige Medikamente auch außerhalb ihres Zulassungsbereichs verordnen zu dürfen. Der durch dieses höchstrichterliche Urteil ausgelöste Vertrauensschutz sei frühestens durch das Urteil des BSG vom 30.9.1999 (SKAT) eingeschränkt worden. Dieses Urteil habe er bei Ausstellung der hier betroffenen Verordnungen nicht kennen können; insoweit sei ihm zumindest Vertrauensschutz zuzubilligen. Im Übrigen seien die von ihm vorgenommenen Verordnungen auch nach den heute geltenden Maßstäben nicht zu beanstanden, weil die Voraussetzungen für einen indikationsüberschreitenden Einsatz von Polyglobin nach den im Beschluss des BVerfG vom 6.12.2005 formulierten Maßstäben erfüllt seien.

5

Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und auf die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. das Urteil des SG geändert und die Klage auch hinsichtlich der Verordnungen aus dem Quartal II/1999 abgewiesen. Die Anschlussberufung sei zulässig, obwohl diese sich nicht auf den Teil des Streitgegenstandes beziehe, der Gegenstand der Berufung des Klägers sei (Quartale III und IV/1999). Soweit das BSG die Auffassung vertrete, eine Anschlussberufung müsse sich innerhalb des Streitgegenstandes der Hauptberufung bewegen, sei dem nicht zu folgen. Dem Gegner des Berufungsführers müsse es möglich sein, durch Anschließung an die Berufung des Hauptberufungsführers eine Überprüfung des erstinstanzlichen Urteils zu erreichen, auch soweit ein Streitgegenstand betroffen sei, der von der Berufung des Klägers nicht erfasst werde.

6

Die Berufung der beigeladenen Krankenkasse sei aus denselben Gründen begründet wie diejenige des Klägers unbegründet. Der Beklagte sei berechtigt gewesen, auf der Grundlage des § 14 der für Berlin geltenden Prüfvereinbarung Arzneikostenregresse gegen den Kläger wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel festzusetzen. Das setze nach der gefestigten Rechtsprechung des BSG kein Verschulden des Vertragsarztes voraus. Auch ein Antrag der jeweils betroffenen Krankenkasse sei nicht erforderlich gewesen; soweit die Prüfvereinbarung etwas anderes vorschreibe, sei das nach der Rechtsprechung des BSG mit höherrangigem Recht nicht vereinbar und deshalb unwirksam. Aus diesem Grund habe das SG der Klage hinsichtlich des Quartals II/1999 zu Unrecht stattgegeben. Auf Vertrauensschutz könne der Kläger sich nicht berufen. Soweit der 8. Senat des BSG im Jahr 1999 ausgeführt habe, die Versicherten hätten im Anschluss an das Urteil des 1. Senats des BSG vom 15.7.1995 zumindest bis zur Veröffentlichung des Urteils aus dem Jahre 1999 darauf vertrauen dürfen, dass sie mit Arzneimitteln auch außerhalb des durch die Zulassung nach dem Arzneimittelgesetz (AMG) bestimmten Indikationsbereichs versorgt werden dürften, könne dem nicht gefolgt werden. Schließlich führe auch der Beschluss des BVerfG vom 6.12.2005 nicht zu einer anderen Beurteilung, weil die Wirksamkeit von Polyglobin zur Behandlung der nach Auffassung des Klägers bei der Patientin H. vorhandenen Antikörperstörung nicht belegt sei (Urteil vom 26.11.2008).

7

Mit seiner Revision rügt der Kläger in verfahrensrechtlicher Hinsicht die Entscheidung des Berufungsgerichts, die Anschlussrevision der Beigeladenen zu 2. als zulässig anzusehen. Diese Berufung sei nach Ablauf der auch für diese Beigeladene geltenden Berufungsfrist von einem Monat nach Zustellung des sozialgerichtlichen Urteils eingelegt worden. Als unselbstständige Anschlussberufung sei sie nicht zulässig, weil sie sich nicht auf den Gegenstand der von ihm - dem Kläger - eingelegten Hauptberufung beziehe. Nach der Rechtsprechung des BSG dürfe nach Ablauf der für die Beteiligten geltenden Berufungsfrist der Streitgegenstand des Berufungsverfahrens nicht mehr erweitert werden. Seine - des Klägers - Verordnungen in den drei streitbefangenen Quartalen bildeten jeweils unterschiedliche Streitgegenstände, was das SG im Ausgangspunkt zutreffend dadurch zum Ausdruck gebracht habe, dass es den Regressbescheid hinsichtlich des Quartals II/1999 aufgehoben und hinsichtlich der in den beiden folgenden Quartalen ausgestellten Verordnungen für rechtmäßig gehalten habe. Deshalb sei der angefochtene Regressbescheid hinsichtlich der Verordnungen aus dem Quartal II/1999 dem Berufungsgericht mit seiner - des Klägers - (Haupt)Berufung nicht angefallen und habe durch die zu 2. beigeladene Krankenkasse nach Ablauf der Berufungsfrist nicht mehr in das Berufungsverfahren einbezogen werden können.

8

Im Übrigen sei das Urteil des LSG fehlerhaft, soweit es die Regresse für rechtmäßig gehalten habe. Der vom Berufungsgericht herangezogene § 14 Abs 1 der Prüfvereinbarung sei schon generell keine tragfähige Grundlage für einen Regress wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel. Die Prüfvereinbarung regele lediglich Verstöße gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot sowie Regresse wegen schuldhafter Verursachung eines "sonstigen Schadens". Der in der Rechtsprechung des BSG zugelassene Regress wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Mittel hätte in der Prüfvereinbarung zwar geregelt werden können, sei dort tatsächlich aber nicht geregelt worden.

9

Weiterhin sei der angefochtene Bescheid fehlerhaft, weil im Prüfungsausschuss wie im Beschwerdeausschuss jeweils unter Vorsitz eines Vertreters der Krankenkassen entschieden worden sei. Die Krankenkassenvertreter hätten eine Vertagung der Entscheidung des Beklagten in einer Sitzung unter Vorsitz eines Vertreters der Ärzte herbeigeführt, um so zu erreichen, dass über die Widersprüche des Klägers gegen die Entscheidung des Prüfungsausschusses, die unter Vorsitz eines Vertreters der Krankenkassen getroffen worden sei, erneut unter Vorsitz eines Vertreters der Krankenkassen entschieden werde. Das sei unzulässig. Die Vorschriften über den wechselnden Vorsitz im Prüfungs- und Beschwerdeausschuss nach § 106 SGB V aF könnten nur so verstanden werden, dass jedenfalls über Entscheidungen des Prüfungsausschusses, bei denen ein Vertreter der Krankenkassen den Vorsitz gehabt habe, in der Besetzung des Beschwerdeausschusses mit einem Vorsitzenden aus den Reihen der Vertragsärzte entschieden werden müsse.

10

Die Verordnung von Polyglobin sei zur Behandlung der bei der Versicherten H. vorhandenen lebensbedrohlichen Karzinomerkrankung notwendig gewesen. Zwar sei der Einsatz von Polyglobin nicht unmittelbar zur Heilung der Tumorerkrankung bzw zur Linderung der damit verbundenen Beschwerden erfolgt, doch habe die Versicherte unter einer Antikörperstörung gelitten, die eine Chemotherapie unmöglich gemacht habe, die ihrerseits zur Behandlung des Tumorgrundleidens erforderlich gewesen sei. Der Einsatz von Polyglobin habe die Voraussetzungen für eine Fortsetzung der Chemotherapie schaffen sollen, und seine Rechtmäßigkeit müsse deshalb aus medizinischen Gründen nach denselben Maßstäben beurteilt werden wie die Verordnung von Arzneimitteln zur kausalen Krebstherapie. Jedenfalls habe er - der Kläger - darauf vertrauen dürfen, dass im Hinblick auf die Rechtsprechung des BSG auch der die Indikationsgrenzen überschreitende Einsatz generell zugelassener Arzneimittel (Off-Label-Use) im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung möglich gewesen sei. Das habe der 1. Senat des BSG im Juli 1995 zum Einsatz des Codeinpräparates Remedacen zur Drogensubstitution entschieden, und der 8. Senat des BSG, der mit dieser Rechtsprechung nicht einverstanden gewesen sei, habe im Jahr 1999 für die Zeit bis zur Verkündung seiner Entscheidung den Versicherten Vertrauensschutz zugebilligt. Auf diesen Vertrauensschutz könne er - der Kläger - sich hier auch berufen. Soweit der 6. Senat des BSG im Mai 2006 entschieden habe, Vertrauensschutzaspekte spielten insoweit keine Rolle, weil Vertragsärzte, die Arzneimittel außerhalb der Zulassungsindikationen einsetzen wollten, gehalten seien, ein Privatrezept auszustellen und die Versicherten bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche gegen die Krankenkasse zu unterstützen, sei das auf die hier maßgebliche Rechtslage des Jahres 1999 nicht übertragbar. Zu diesem Zeitpunkt sei nach § 29 Abs 1 Satz 2 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) die Genehmigung von Verordnungen durch eine Krankenkasse unzulässig gewesen. In Verbindung mit der Rechtsprechung des 1. Senats des BSG zu Remedacen habe sich daraus die Berechtigung von Vertragsärzten ergeben, den Off-Label-Use-Einsatz im regulären Verfahren durch Ausstellen von vertragsärztlichen Verordnungen zu praktizieren. Soweit das LSG bemängelt habe, das bei der Versicherten H. vorliegende Antikörpermangelsyndrom, das letztlich den Einsatz von Polyglobin erforderlich gemacht habe, sei nicht ausreichend belegt, könne dem nicht gefolgt werden. Entgegen der Auffassung des LSG seien laborchemische Untersuchungen zum Nachweis dieses Antikörpermangelsyndroms verzichtbar.

11

Der Kläger beantragt,

die Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 26.11.2008 und des Sozialgerichts Berlin vom 9.2.2005, soweit hier die Klage abgewiesen wurde, sowie den Bescheid des Beklagten vom 12.12.2001 aufzuheben,

hilfsweise, die Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 26.11.2008 und des Sozialgerichts Berlin vom 9.2.2005 sowie den Bescheid des Beklagten vom 12.12.2001 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, über den Widerspruch des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu entscheiden,

weiter hilfsweise, das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 26.11.2008 aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

12

Der Beklagte und die Beigeladene zu 2. beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

13

Zutreffend habe das Berufungsgericht entschieden, dass die Partner der Prüfvereinbarungen nicht einmal berechtigt gewesen wären, Arzneikostenregresse wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel vom Verschulden des Vertragsarztes abhängig zu machen. Entgegen der Auffassung des Klägers habe die maßgebliche Prüfvereinbarung aus dem Jahre 1994 nicht vorgeschrieben, dass eine unter dem Vorsitz eines Kassenvertreters getroffene Entscheidung vom Beschwerdeausschuss nur unter dem Vorsitz eines Vertreters der Ärzte überprüft werden dürfe. Eine solche Regelung wäre auch nicht praktikabel gewesen und hätte die Dauer der Prüfverfahren erheblich verlängert. Die Ausführungen des Klägers hinsichtlich seines Vertrauens auf bestimmte Entscheidungen des BSG seien irrelevant. Es sei lebensfremd, dass ein Vertragsarzt die einzelnen Entwicklungsschritte der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Kenntnis nehme und sein Verordnungsverhalten daran ausrichte. Eine Ausnahmelage im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG vom 6.12.2005 habe in den streitbefangenen Quartalen bei der Versicherten H. nicht bestanden.

14

Die zu 2. beigeladene Krankenkasse hält das Urteil des LSG ebenfalls für zutreffend. Zu Recht habe das LSG ihre Anschlussberufung als zulässig angesehen. Folge man der Auffassung des Klägers, gebe es für die Anschlussberufung im sozialgerichtlichen Verfahren überhaupt keinen Anwendungsbereich, weil die Hauptberufung regelmäßig nur insoweit erhoben werde, als der Rechtsmittelführer durch das sozialgerichtliche Urteil beschwert sei. Für eine Anschlussberufung sei dann kein Raum, weil im Rahmen der Beschwer des Klägers der Anschlussberufungsführer selbst mit dem angefochtenen Urteil einverstanden sei. Ein Grund für eine derart restriktive Handhabung entgegen der Rechtsprechung in den anderen Gerichtszweigen sei nicht erkennbar.

Entscheidungsgründe

15

Die Revision des Klägers hat teilweise Erfolg. Zu Recht rügt er, dass das Berufungsgericht über den angefochtenen Bescheid des Beklagten hinsichtlich der Verordnungen aus dem Quartal II/1999 in der Sache entschieden habe. Insoweit ist die zugunsten des Klägers ergangene Entscheidung des SG rechtskräftig geworden, weil die Beigeladene zu 2. innerhalb der Berufungsfrist keine Berufung eingelegt hat. Ihre Anschlussberufung war unzulässig (1). Keinen Erfolg hat die Revision dagegen hinsichtlich der Verordnungen in den Quartalen III und IV/1999. Insoweit hat das LSG die Berufung des Klägers gegen das sozialgerichtliche Urteil zu Recht zurückgewiesen. Der angefochtene Bescheid des Beklagten ist rechtmäßig (2).

16

1. Die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. vom 28.11.2006 war unzulässig. Das Berufungsgericht hätte auf diese Anschlussberufung hin nicht in eine Sachprüfung des angefochtenen Bescheides im Hinblick auf die Verordnungen des Klägers aus dem Quartal II/1999 eintreten dürfen. Insoweit war das der Klage stattgebende Urteil des SG nämlich bereits rechtskräftig geworden.

17

a. Die Berufung der beigeladenen Krankenkasse hätte nur als Anschlussberufung iS des § 202 SGG iVm § 524 ZPO zulässig sein können. Eine eigenständige Berufung wäre wegen Versäumung der Berufungsfrist des § 151 Abs 1 SGG unzulässig. Das Urteil des SG ist der Beigeladenen zu 2. am 16.3.2005 zugestellt worden; die Monatsfrist des § 151 Abs 1 SGG ist durch die Einlegung der Berufung am 28.11.2006 nicht gewahrt worden.

18

Die Berufungsfrist des § 151 Abs 1 SGG gilt nicht für die Anschlussberufung, die nach der Rechtsprechung des BSG auch in der Sozialgerichtsbarkeit statthaft ist(BSGE 63, 167, 169 = SozR 1500 § 54 Nr 85; Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer (Hrsg), SGG 9. Aufl 2008, § 143 RdNr 5). Die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. war hier aber unzulässig, weil sie nicht den gleichen prozessualen Anspruch wie die Hauptberufung des Klägers betroffen, sondern einen neuen Streitgegenstand in das Berufungsverfahren eingeführt hat. Das ist nach der Rechtsprechung aller mit dieser Rechtsfrage bisher befassten Senate des BSG ausgeschlossen (zB Urteil des 9. Senats vom 8.7.1969 = SozR Nr 12 zu § 521 ZPO; 6. Senat vom 19.6.1996 - 6 RKa 24/95 - = USK 96131) Diese Entscheidungen sind zu Ansprüchen ergangen, die Gegenstand des Klageverfahrens, aber nicht der Hauptberufung waren. Das Urteil des 4. Senats vom 10.2.2005 - B 4 RA 48/04 R - betrifft einen mit der Anschlussberufung geltend gemachten Anspruch, der nicht einmal Gegenstand des Klageverfahrens gewesen ist. Die Rechtsauffassung des BSG zur Begrenzung der Anschlussberufung auf den Streitgegenstand der Hauptberufung wird in den Kommentaren zum SGG - soweit ersichtlich ohne Ausnahme - geteilt (Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 143 RdNr 5d; Eckertz in: Lüdtke, Handkommentar Sozialgerichtsgesetz, 3. Aufl 2009, § 143 RdNr 37; Behn in: Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, 87. Ergänzungslieferung, Stand: Mai 2009 - Gesamtwerk, § 143 RdNr 68 f; Frehse in: Jansen, SGG, 3. Aufl 2009, § 143 RdNr 7; Waschull in: Berchtold/Richter, Prozesse in Sozialsachen, 2009, § 6 RdNr 130). Nach Bernsdorff (in: Hennig, SGG, Stand Februar 2009 - Gesamtwerk - § 143 RdNr 27) liegt keine Anschlussberufung vor, wenn sich der Antrag des Berufungsbeklagten bei teilbarem Streitgegenstand gegen einen anderen als den mit der Berufung angegriffenen Teil des erstinstanzlichen Urteils richtet (ähnlich Breitkreuz in: Breitkreuz/Fichte, SGG, 2009, § 143 RdNr 24).

19

b. Bei Anwendung dieser Rechtsauffassung ist die Anschlussberufung unzulässig, wie das LSG zutreffend angenommen hat. Die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. betrifft einen anderen Streitgegenstand als die Hauptberufung, weil diese die Verordnungen des Klägers aus den Quartalen III/1999 und IV/1999, jene aber solche aus dem Quartal II/1999 erfasst. Vertragsärztliche Honorarbescheide sowie Bescheide der Gremien der Wirtschaftlichkeitsprüfung ergehen quartalsbezogen und enthalten, wenn Entscheidungen mehrere Quartale betreffen (vgl zB BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 30/08 R - RdNr 24 mwN, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen), verschiedene Regelungen iS des § 31 Satz 1 SGB X. Selbst innerhalb eines Bescheides für ein Quartal können zahlreiche eigenständige "Regelungen" ergehen, die selbstständig anfechtbar sind. Das hat der Senat in einem Urteil vom 23.2.2005 (SozR 4-1500 § 92 Nr 2) für einen Honorarbescheid näher dargelegt; in dem schon zitierten Urteil vom 19.6.1996 (6 RKa 24/95) hat der Senat das in Bezug auf einen Bescheid zur Wirtschaftlichkeitsprüfung hinsichtlich von Kürzungen für bestimmte Leistungen bzw Leistungssparten als selbstverständlich vorausgesetzt und im Urteil vom 16.7.2008 ausdrücklich ausgesprochen (BSGE 101, 130 = SozR 4-2500 § 106 Nr 19, RdNr 25 am Ende).

20

Diese Rechtsprechung kann allerdings nicht ohne Weiteres auf Kostenregresse wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel übertragen werden. Derartige Regressbescheide können quartalsbezogen ergehen, etwa wenn ein Arzt über einen längeren Zeitraum hinweg bestimmte Medikamente für zahlreiche Patienten verordnet. Zwingend ist die Bindung eines Kostenregresses ebenso wie eines Regresses wegen eines sog "sonstigen Schadens" an den Quartalsturnus indessen nicht und bietet sich gerade in Konstellationen nicht an, in denen es um die Behandlung eines Versicherten mit einem umstrittenen Medikament über mehrere Quartale geht. Ein solcher Fall ist hier zu beurteilen, und sowohl der Regressantrag der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2. wie die Entscheidungen des Prüfungsausschusses und des Beklagten haben nicht nach den drei betroffenen Quartalen differenziert und mussten das auch nicht.

21

Ursprünglich bildete deshalb der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Aufhebung der - Verordnungen aus drei Quartalen erfassenden - Entscheidung des Beklagten vom 12.12.2001 den Streitgegenstand des gerichtlichen Verfahrens. Das SG hat diesen einheitlichen Streitgegenstand jedoch getrennt und die Regressfestsetzung je nach Zuordnung der beanstandeten Verordnungen des Klägers zu den Quartalen II/1999 einerseits sowie III und IV 1999 andererseits unterschiedlich beurteilt. Anlass dazu hat dem SG die (mittelbar) quartalsbezogene Regelung über die Antragsfrist der Krankenkasse in § 14 Abs 2 der maßgeblichen Prüfvereinbarung gegeben. Weil offenbar die Krankenkassen die Verordnungen aus jedem Quartal zusammengefasst zu einem bestimmten Termin erhalten, der wiederum für den Beginn der Antragsfrist nach § 14 Abs 2 von Bedeutung ist, konnte nach Ansicht des SG die Prüfung der Einhaltung dieser Frist nur differenziert für jedes Quartal erfolgen. Das Urteil des SG hat inzident die angefochtene Entscheidung des Beklagten in zumindest zwei Regelungen iS des § 31 Satz 1 SGB X aufgespalten, nämlich hinsichtlich der aus dem Quartal II/1999 und hinsichtlich der aus den Quartalen III/1999 sowie IV/1999 stammenden Verordnungen des Klägers. Bundesrecht ist dadurch nicht verletzt, und das SG hat durch den Tenor seines Urteils die Beteiligten über das gerichtliche Vorgehen hinreichend deutlich informiert.

22

Damit bestand bei Zustellung des SG-Urteils eine Rechtslage, wie sie derjenigen bei Honorarfestsetzungen oder Kürzungs- bzw Regressbescheiden entspricht, die von vornherein mehrere Quartale erfassen. Für jedes dieser Quartale ist (mindestens) eine Regelung angefochten, deren prozessuales Schicksal von demjenigen für die anderen Quartale abweichen kann; die Regelung für jedes Quartal bildet einen eigenständigen Streitgegenstand. Als Folge der Hauptberufung des Klägers war der angefochtene Bescheid des Beklagten Gegenstand des Berufungsverfahrens nur hinsichtlich der aus den Quartalen III/1999 und IV/1999 stammenden Verordnungen; das ist dem Antrag des Klägers im LSG-Verfahren deutlich zu entnehmen. Die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. hat mit der Entscheidung des Beklagten über die aus dem Quartal II/1999 stammenden Verordnungen einen neuen Streitgegenstand in das Berufungsverfahren eingeführt. Das ist nach der bisherigen Rechtsprechung des BSG nicht zulässig. Ein Anlass, von dieser Rechtsprechung abzuweichen, ist nicht ersichtlich.

23

c. Kein durchgreifendes Bedenken ergibt sich aus dem Hinweis der Beigeladenen zu 2., auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des BSG bleibe für die Anschlussberufung nur ein sehr begrenzter Anwendungsbereich. Wenn die Anschlussberufung nur innerhalb des prozessualen Anspruchs erhoben werden kann, der Gegenstand der Hauptberufung ist, kommt im vertragsärztlichen Bereich bei Honorarkürzungen bzw Arzneikostenregressen eine Anschlussberufung typischerweise nur dann in Betracht, wenn das SG auf die Klage die zuständige Behörde zur Neubescheidung nach bestimmten Maßgaben verurteilt und der Kläger mit seiner Berufung die endgültige Aufhebung der ihn belastenden Bescheide begehrt. Dieser Berufung können sich dann die KÄV, der Beschwerdeausschuss oder die beigeladenen Krankenkassen (bzw Krankenkassenverbände) mit dem Antrag anschließen, die Klage in vollem Umfang abzuweisen, auch nachdem die für sie laufende Berufungsfrist abgelaufen ist. Alle übrigen Regelungen der ursprünglich angefochtenen Entscheidung, über die das SG entschieden hat, ohne dass ein Beteiligter das mit der Berufung angefochten hat, die also etwa andere Leistungspositionen oder andere Quartale betreffen, werden dagegen bestandskräftig. Das ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts im vertragsärztlichen Bereich richtig und praktikabel.

24

Auf der Grundlage der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts bliebe dagegen möglicherweise während der gesamten Dauer eines Berufungsverfahrens offen, ob Regelungen in Kürzungs- oder Regressbescheiden, die nicht Gegenstand der Hauptberufung sind, bestandskräftig werden oder nicht. Soweit etwa in einer Entscheidung des Beschwerdeausschusses Honorarkürzungen oder Arzneikostenregresse für eine größere Zahl von Quartalen auf der Grundlage einer Vielzahl von Entscheidungen des Prüfungsausschusses (oder der Prüfungsstelle iS des § 106 Abs 4 Satz 1 SGB V idF des GKV-WSG vom 26.3.2007) zusammengefasst worden sind, bleibt deren Bestandskraft über Jahre hinweg offen, auch wenn nur eine Detailregelung hinsichtlich eines einzelnen Quartals Gegenstand des Berufungsverfahrens ist. Das ist sowohl für den beteiligten Vertragsarzt wie für die KÄV und die Krankenkassen als Kostenträger schwierig zu handhaben, weil ggf Rückstellungen gebildet werden müssten und Beträge nicht verbucht werden könnten.

25

Ein tatsächliches Bedürfnis, diese Rechtsfolgen in Kauf zu nehmen, um den Beteiligten bis zum Abschluss der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz die Möglichkeit der Anschlussberufung auch außerhalb des prozessualen Anspruchs, der Gegenstand der Hauptberufung ist, offen zu halten, vermag der Senat nicht zu erkennen. Ob Honorarkürzungs- oder Regressbescheide, die verschiedene Regelungen iS des § 31 Satz 1 SGB X zum Inhalt haben und häufig mehrere Quartale betreffen, einzeln angegriffen oder durch die Widerspruchsstelle zusammengefasst bzw im gerichtlichen Verfahren auf der Grundlage des § 113 Abs 1 SGG verbunden werden, ist eine Frage der Praktikabilität. Jeder Verfahrensbeteiligte hat nach Bekanntgabe des das Verwaltungsverfahren abschließenden Bescheides oder des erstinstanzlichen Urteils eine Frist von einem Monat, innerhalb der er prüfen und entscheiden kann, ob und ggf inwieweit er die Entscheidung der Behörde bzw des erstinstanzlichen Gerichts hinnehmen will oder nicht. Ein berechtigtes Interesse, Monate oder sogar Jahre nach Einlegung der Berufung des Gegners noch Regelungen der gerichtlichen Überprüfung des LSG zuführen zu können, zu denen die Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts zunächst hingenommen worden ist, besteht nicht.

26

d. Zudem kann die prozessuale Sicht des Berufungsgerichts die Entscheidungsreife der Berufung in Frage stellen, jedenfalls soweit keine Frist für die Anschlussberufung normiert ist. Während nach § 127 Abs 2 Satz 2 VwGO die Anschließung nur bis zum Ablauf eines Monats nach Zustellung der Berufungsbegründungsschrift zugelassen wird, besteht keine ebensolche Bestimmung im SGG. Die VwGO-Vorschrift soll nach vorherrschender Auffassung auf das sozialgerichtliche Verfahren nicht übertragen werden können, weil dafür eine rechtliche Grundlage fehlt. Vergleichbares wird hinsichtlich der ähnlichen Frist des § 524 Abs 2 Satz 2 ZPO angenommen, die immerhin über § 202 SGG grundsätzlich im sozialgerichtlichen Verfahren angewandt werden könnte(vgl Leitherer, aaO, § 143 RdNr 5 f). Nach dieser Vorschrift ist die Anschlussberufung zulässig bis zum Ablauf der dem Berufungsbeklagten gesetzten Frist zur Berufungserwiderung. Eine dem § 521 Abs 1 ZPO entsprechende Vorschrift über die Zustellung der Berufungsschrift und der Berufungsbegründungsschrift an den Gegner kennt das SGG nicht. Die entsprechende Anwendung des § 524 Abs 2 Satz 2 ZPO über § 202 SGG setzt aber die Zustellung mindestens der Berufungsbegründung an den Gegner voraus, damit Klarheit über den Beginn der Frist für die Einlegung der Anschlussberufung besteht. Die Anwendung von Ausschlussfristen im sozialgerichtlichen Verfahren ohne explizite normative Grundlage ist unter dem Gesichtspunkt der Garantie des effektiven Rechtsschutzes (Art 19 Abs 4 Satz 1, Art 103 Abs 1 GG) problematisch, sodass ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung, die auch in der Anordnung einer entsprechenden Geltung des § 127 Abs 2 Satz 2 VwGO im SGG bestehen könnte, die Ausschlussfrist für die Anschlussberufung wohl nicht entsprechend angewandt werden kann. Das dürfte auch deshalb anzunehmen sein, weil im Berufungsverfahren der Sozialgerichtsbarkeit im Unterschied zu demjenigen in der Verwaltungs- und in der Zivilgerichtsbarkeit kein Vertretungszwang herrscht, und die Vorschriften über die Zustellung von Berufungs- und Berufungsbegründungsschriften sowie daran anknüpfende Fristen auf einen durch professionelle Bevollmächtigte geführten Prozess zugeschnitten sind.

27

Würde - was das LSG nicht erwogen hat - auf der Grundlage einer analogen Anwendung des § 127 Abs 2 Satz 2 VwGO im sozialgerichtlichen Verfahren auf den Nachweis der Zustellung der Berufungsbegründungsschrift verzichtet und der Nachweis ihrer tatsächlichen Kenntnis für ausreichend gehalten, wäre die Anschlussberufung der zu 2. beigeladenen Krankenkasse hier ebenfalls unzulässig. Diese hat, wie sich aus ihrer Reaktion im Berufungsverfahren vom 4.4.2006 ergibt, Monate vor Einlegung der Anschlussberufung am 28.11.2006 Kenntnis von der Berufungsbegründung des Klägers gehabt. Die entsprechende Anwendung der Monatsfrist des § 127 Abs 2 Satz 2 VwGO würde dann ebenfalls zur Unzulässigkeit ihrer Berufung führen. Demgegenüber hätte die vom Berufungsgericht offenbar befürwortete unbefristete Zulassung der Anschlussberufung bis zur mündlichen Verhandlung zur Folge, dass das LSG trotz Entscheidungsreife der Hauptberufung den Rechtsstreit vertagen müsste, wenn zum Gegenstand der Anschlussberufung noch Sachaufklärungsbedarf besteht. Das könnte zu Verzögerungen der Entscheidung führen, die auch im Hinblick auf das Gebot der Gewährung von Rechtsschutz in angemessener Zeit (Art 6 Europäische Menschenrechtskonvention) möglichst zu vermeiden sind.

28

Diese Erwägungen geben dem Senat Anlass, trotz der gewichtigen Einwände des Berufungsgerichts an der bisherigen Rechtsprechung des BSG zur Anschlussberufung festzuhalten und von einer andernfalls gebotenen Anrufung des Großen Senats nach § 41 Abs 2 SGG im Hinblick auf die Rechtsprechung anderer Senate zum Gegenstand der Anschlussberufung im sozialgerichtlichen Verfahren abzusehen.

29

2. Im Übrigen erweist sich die Revision des Klägers aber als unbegründet.

30

a. Das Berufungsgericht hat angenommen, § 14 Abs 1 iVm Abs 3 der seit dem Jahre 1994 geltenden und für die Verordnungen des Klägers im Jahre 1999 noch anwendbaren Prüfvereinbarung für den Bezirk der zu 1. beigeladenen KÄV Berlin gestatte die Festsetzung von Arzneikostenregressen, soweit der Vertragsarzt Arzneimittel verordnet hat, die in der vertragsärztlichen Versorgung nicht verordnungsfähig sind. Die Kenntnis des Vertragsarztes von der fehlenden Verordnungsfähigkeit oder generell ein Verschulden des Arztes sei insoweit nicht Voraussetzung für die Festsetzung eines Regresses. Soweit der Kläger § 14 der Prüfvereinbarung anders versteht und annimmt, diese Norm erfasse nur Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung bzw die Festsetzung eines verschuldensabhängigen "sonstigen Schadens" und nicht die Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel, ist dem im Revisionsverfahren nicht weiter nachzugehen. Die Prüfvereinbarung stellt Landesrecht iS des § 162 SGG dar, das das Revisionsgericht in der Auslegung des Berufungsgerichts seiner Entscheidung zugrunde zu legen hat. Von diesem Grundsatz sind in der Rechtsprechung des BSG zwei Ausnahmen anerkannt. Danach können landesrechtliche Normen vom Revisionsgericht eigenständig ausgelegt und angewandt werden, wenn es sich um Normen handelt, die inhaltsgleich in Bezirken verschiedener LSG gelten, soweit die Übereinstimmung im Interesse der Rechtsvereinheitlichung bewusst und gewollt ist (BSG vom 8.9.2009 - B 1 KR 8/09 R - RdNr 26, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt. Es ist weder geltend gemacht noch gerichtsbekannt, dass die Berliner Prüfvereinbarung aus dem Jahr 1994 inhaltsgleich in anderen KÄV-Bezirken gilt.

31

Landesrechtliche Normen sind weiterhin einer eigenständigen Auslegung und Anwendung des BSG zugänglich, wenn das LSG entscheidungserhebliche Vorschriften unberücksichtigt gelassen hat (BSGE 98, 89 = SozR 4-2500 § 85 Nr 31, jeweils RdNr 15). Hier hat jedoch das LSG die als Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides ersichtlich einschlägige Vorschrift des § 14 der Prüfvereinbarung zutreffend herangezogen und unter Anwendung der allgemein anerkannten juristischen Auslegungskriterien ausgelegt. Der Kläger rügt auch keinen Verstoß gegen diese Auslegungsgrundsätze oder die Denkgesetze, sondern setzt der Auslegung des Berufungsgerichts seine abweichende Auslegung entgegen. Das führt nicht dazu, dass entgegen der Vorgabe des § 162 SGG das Revisionsgericht zu einer eigenständigen Auslegung berufen wäre.

32

Soweit § 14 der Prüfvereinbarung in der Auslegung des LSG eine hinreichende Grundlage für die Festsetzung von Arzneikostenregressen wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel darstellt, steht die Vorschrift mit Bundesrecht in Einklang. Der Senat hat mehrfach entschieden, dass auf der Grundlage des § 106 Abs 2 SGB V in den Prüfvereinbarungen Rechtsgrundlagen für Arzneikostenregresse festgeschrieben werden dürfen, soweit Vertragsärzte Arznei- und Heilmittel verordnet haben, die nicht Gegenstand der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung sind(zB BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 52; vgl zuletzt BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 37/08 R - RdNr 17 ff mwN, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Das stellt der Kläger selbst nicht in Abrede.

33

b. Soweit der Kläger in formeller Hinsicht weiter rügt, der angefochtene Bescheid des Beklagten sei fehlerhaft, weil er in einer Sitzung gefasst worden sei, in der ein Vertreter der Krankenkassen den Vorsitz innegehabt habe, kann dem nicht gefolgt werden. Weder die Prüfvereinbarung im Bezirk der zu 1. beigeladenen KÄV noch Bundesrecht haben vorgeschrieben, dass in den Jahren, in denen Prüfungs- und Beschwerdeausschüsse alternierend von einem Vertreter der Krankenkassen und der Vertragsärzte geleitet worden sind, Entscheidungen des Prüfungsausschusses, die unter ärztlichem Vorsitz getroffen worden sind, vom Beschwerdeausschuss nur unter Vorsitz eines Vertreters der Krankenkassen und umgekehrt überprüft werden dürfen.

34

Nach § 106 Abs 4 Satz 3 SGB V idF des Gesundheitsstrukturgesetzes vom 21.12.1992 führte in den von Vertretern der Ärzte und der Krankenkassen in gleicher Zahl besetzten Prüfungs- und Beschwerdeausschüssen jährlich wechselnd ein Vertreter der Ärzte und der Krankenkassen den Vorsitz. Die Stimme des Vorsitzenden gab bei Stimmengleichheit den Ausschlag (aaO, Satz 4). Diese als defizitär bewertete Regelung war manipulationsanfällig (vgl näher BSGE 92, 283 = SozR 4-2500 § 106 Nr 5 auch zur Neuregelung im Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung)und ist deshalb zum 1.1.2004 ohne Übergangsregelung in der Weise geändert worden, dass die Gremien nunmehr von einem neutralen Vorsitzenden geleitet werden. Für die Zeit bis zum 31.12.2003 galten aber die früheren Regelungen über den im Jahresturnus wechselnden Vorsitz fort, und diesen lag die Auffassung der Revision von einem notwendigen Wechsel im Vorsitz zwischen den beiden Verwaltungsinstanzen nicht zugrunde.

35

Der Kläger verweist selbst auf früher geltende Prüfvereinbarungen im Bezirk der KÄV Bayerns und der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Berlin, in denen bestimmt war, den Vorsitz im Beschwerdeausschuss führe ein Vertreter der Ärzte (Zahnärzte), wenn in dem zu entscheidenden Fall ein Vertreter der Krankenkassen den Vorsitz im Prüfungsausschuss inne hatte und umgekehrt. Dass eine solche Regelung im Bezirk der Beigeladenen zu 1. gegolten habe, macht der Kläger nicht geltend. Seine Auffassung, auch ohne ausdrückliche Regelung in der maßgeblichen Prüfvereinbarung ergebe sich dieser Grundsatz unmittelbar als Folge des § 106 Abs 4 Satz 3 SGB V aF über den turnusmäßigen Wechsel im Vorsitz von Prüfungs- und Beschwerdeausschuss, trifft nicht zu. Die Annahme einer solchen bundesrechtlichen Vorgabe hätte das Prüfverfahren verkompliziert und wäre ohne nähere Regelungen in den Prüfvereinbarungen kaum umsetzbar gewesen. Die Beschwerdeausschüsse hätten Beschlüsse über Entscheidungen der Prüfungsausschüsse möglicherweise zurückstellen müssen, weil im jeweiligen Jahr die "richtige" Besetzung nicht verfügbar gewesen wäre; alternativ hätte immer ein Vorsitzender der "Bank", die im jeweiligen Jahr im Beschwerdeausschuss nicht den Vorsitzenden stellt, zur Verfügung stehen müssen, um über Entscheidungen des Prüfungsausschusses zu beraten, die unter anderem Vorsitz getroffen worden sind. Ob die damit verbundenen formellen Erschwerungen des Prüfungsverfahrens bundesrechtlich unbedenklich gewesen wären, bleibt offen (zu den Grenzen des Gestaltungsspielraums der Gesamtvertragspartner bei Ausgestaltung der Prüfvereinbarung vgl BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 53 S 290 f). Eine Verpflichtung der Prüfgremien, ohne explizite Regelung in der Prüfvereinbarung so zu verfahren, hat jedenfalls nicht bestanden.

36

c. Soweit der Kläger geltend macht, die Entscheidung durch den Beklagten am 12.12.2001 sei nur deshalb unter dem Vorsitz eines Krankenkassenvertreters gefallen, weil die Kassenvertreter die ursprünglich vorgesehene Sitzung am 24.9.2001 boykottiert hätten, führt das zu keiner anderen Beurteilung. Da ein Arzt keinen Anspruch darauf hat, dass über seine Angelegenheit immer unter dem Vorsitz eines Arztes im Beschwerdeausschuss entschieden wird, wenn der Prüfungsausschuss unter dem Vorsitz eines Krankenkassenvertreters entschieden hat, stellt die Vertagung einer Sitzung auch dann grundsätzlich keinen Rechtsverstoß dar, wenn diese zur Folge haben sollte, dass der Vorsitz in der tatsächlich entscheidenden Sitzung wechselt. Im Übrigen hat das Berufungsgericht nicht iS des § 163 SGG festgestellt, dass die Vertagung der Entscheidung vom 24.9.2001 allein darauf beruht hat, dass die Krankenkassenvertreter erreichen wollten, dass über die Angelegenheit des Klägers in der Besetzung des Beschwerdeausschusses mit einem Vorsitzenden aus ihren Reihen entschieden wird. Schließlich ist im Hinblick auf die Rügen des Klägers zur Zusammensetzung des Beklagten bei der Beschlussfassung darauf hinzuweisen, dass die Krankenkassen nach der Rechtsprechung des Senats gegen Entscheidungen der Prüfgremien, mit denen ua Anträge auf Festsetzung von Honorarkürzungen oder Arzneikostenregressen abgelehnt werden, Rechtsmittel ergreifen können (zB BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 1 und BSG MedR 2004, 577, jeweils zu unzureichenden Kürzungen vertragszahnärztlichen Honorars; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 24 zum Sprechstundenbedarfsregress). Da vorliegend Ermessens- und Beurteilungsspielräume allenfalls am Rande in Rede stehen, spricht wenig dafür, dass die zu 2. beigeladene Krankenkasse eine - unterstellt für den Kläger positive - Entscheidung des Beklagten unter anderem Vorsitz auf sich hätte beruhen lassen.

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d. Der Kläger durfte über "Polyglobin 5 %" in den streitbefangenen Quartalen keine vertragsärztliche Verordnung ausstellen. Er hat dieses Arzneimittel außerhalb der arzneimittelrechtlichen Zulassung verordnet.

38

Die Zulassung von Polyglobin war nach den Feststellungen des LSG auf die Behandlung der idiopathischen thrombozytopenischen Purpura (Hautblutungen) beschränkt, und an dieser Erkrankung hat die Versicherte H. nicht gelitten. Ein Arzneimittel darf grundsätzlich nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung für einen Einsatz außerhalb der arzneimittelrechtlich zugelassenen Indikation verordnet werden. Das hat der 1. Senat des BSG mit Urteil vom 19.3.2002 (BSGE 89, 184 = SozR 3-2500 § 31 Nr 8) unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung entschieden und daran bis heute festgehalten (zB BSGE 93, 236 = SozR 4-2500 § 27 Nr 1). Der 6. Senat des BSG ist dem für die Festsetzung von Arzneikostenregressen gefolgt (vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 RdNr 19; vgl auch BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 37/08 R - RdNr 26, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).

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Der Kläger kann sich zur Rechtfertigung seiner Verordnungen von Polyglobin weder auf Vertrauensschutz noch auf einen der Annahmetatbestände stützen, unter denen Arzneimittel vertragsärztlich auch außerhalb der zugelassenen Indikation verordnet werden dürfen. Der Kläger ist der Auffassung, Vertragsärzte hätten in der Zeit zwischen dem Urteil des 1. Senats vom 5.7.1995 zur Drogensubstitution mit dem Codein-Präparat Remedacen (BSGE 76, 194 = SozR 3-2500 § 27 Nr 5) und dem Bekanntwerden des Urteils des 8. Senats vom 30.9.1999 zur SKAT-Therapie (BSGE 85, 36 = SozR 3-2500 § 27 Nr 11) generell darauf vertrauen dürfen, Arzneimittel im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung auch außerhalb der Zulassungsindikationen nach dem Arzneimittelrecht verordnen zu dürfen. Dem folgt der Senat in Übereinstimmung mit dem Berufungsgericht nicht.

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Es ist bereits fraglich, ob ein Vertragsarzt im Hinblick auf das zu der sehr speziellen Situation der Drogensubstitution ergangene Urteil des 1. Senats vom 5.7.1995 generell darauf vertrauen durfte, Arzneimittel auch außerhalb ihrer Zulassungsindikation verordnen zu dürfen. Allenfalls kommt ein Vertrauen darauf in Betracht, dass die Bindung der vertragsärztlichen Verordnung an die Zulassung des jeweiligen Fertigarzneimittels nach dem AMG in dem Sinne gelockert ist, dass in bestimmten Konstellationen eine die arzneimittelrechtliche Zulassung überschreitende Verordnung, die medizinisch sinnvoll oder sogar geboten ist, auch krankenversicherungsrechtlich zulässig sein kann. In diesem Sinne ist das Urteil des 8. Senats vom 30.9.1999 richtigerweise zu verstehen. Weitergehende Schlussfolgerungen aus diesem Urteil im Sinne eines uneingeschränkt erlaubten indikationsfremden Einsatzes von Fertigarzneimitteln liegen eher fern, zumal ein beliebiger, allein nach Gutdünken jedes einzelnen Arztes erfolgender, Einsatz eines Medikaments außerhalb der Zulassung nicht ernsthaft für sachgerecht gehalten werden kann .

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e. Im Übrigen sind schon kurz nach Veröffentlichung des Urteils des 1. Senats vom 5.7.1995 zur Drogensubstitution in der Rechtsprechung des BSG Zweifel an der allgemeinen Aussagekraft dieses Urteils über den entschiedenen Fall hinaus artikuliert worden. Schon drei Monate nach dem Urteil des 1. Senats hat der allein für das Vertragsarztrecht zuständige erkennende Senat Bedenken gegen die Zulässigkeit des Einsatzes von Remedacen zur Drogensubstitution geäußert und auf die Problematik der Beachtung der Richtlinien des (früheren) Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen im Zusammenhang mit sog Außenseitermethoden hingewiesen (Urteil vom 18.10.1995, SozR 3-5550 § 17 Nr 2 S 5). In der Sache sind sodann die Grundsätze des Urteils vom 5.7.1995 durch die neuere Rechtsprechung des 6. und des 1. Senats zur Rechtsqualität der Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen, zur Methodenanerkennung nach § 135 Abs 1 SGB V und zum Zusammenhang zwischen dieser Anerkennung und den Prinzipien der Arzneimitteltherapie deutlich modifiziert worden(Urteil des 6. Senats vom 20.3.1996, BSGE 78, 70 = SozR 3-2500 § 92 Nr 6 "Methadon"; Urteile des 1. Senats vom 16.9.1997, BSGE 81, 54 = SozR 3-2500 § 135 Nr 4, BSGE 81, 73 = SozR 3-2500 § 92 Nr 7). Spätestens nach Bekanntwerden dieser Urteile war deutlich, dass die ältere Rechtsprechung des BSG zu den (untergesetzlichen) Vorgaben des Leistungs- und Leistungserbringungsrechts in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht mehr uneingeschränkt fortgeführt werden würde. Kein Vertragsarzt musste die aufgezeigten Wendungen der Rechtsprechung kennen oder nachvollziehen. Wer aber - wie der Kläger - geltend macht, Verordnungen aus dem Jahre 1999 im Vertrauen auf eine zu einer Sonderkonstellation ergangene und vereinzelt gebliebene Rechtsprechung des BSG aus dem Jahre 1995 getätigt zu haben, muss sich entgegenhalten lassen, dass sich die Rechtsprechung weiterentwickelt hat. Jedenfalls im Jahr 1999 hat es für einen Vertragsarzt erkennbar keine hinreichende Sicherheit mehr gegeben, nach eigener Einschätzung Off-Label-Use-Verordnungen ausstellen zu dürfen, ohne Gefahr zu laufen, insoweit in Regress genommen zu werden.

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f. Zudem sind sowohl das Urteil des 1. Senats vom 5.7.1995, auf das sich der Kläger beruft, wie auch die folgenden Entscheidungen des 1. und des 8. Senats des BSG zu den Rechtsansprüchen von Versicherten gegen ihre Krankenkasse ergangen. Aus diesen Urteilen ergibt sich nicht unmittelbar, wie sich ein Vertragsarzt zu Arzneimittelverordnungen verhalten sollte, die erkennbar außerhalb der Zulassungsindikation des jeweiligen Arzneimittels erfolgten, von denen er aber annahm, sie könnten vom Patienten beansprucht werden. Dazu ist dem Urteil des erkennenden Senats vom 18.10.1995 (6 RKa 3/93) zur Drogensubstitution zu entnehmen, dass in solchen Fällen jedenfalls eine exakte Dokumentation und eine engmaschige Verlaufskontrolle der Behandlung geboten waren (SozR 3-5550 § 17 Nr 2 S 8; vgl auch BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 37/08 R - RdNr 39, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Damit ist es zB nicht vereinbar, auf laborchemische Untersuchungen zum Nachweis eines - vermeintlichen oder tatsächlich bestehenden - "Antikörpermangelsyndroms" zu verzichten, wenn die umstrittene Off-Label-Verordnung von Immunglobulinen gerade auf diese Diagnose reagiert.

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Ein Vertragsarzt, der Medikamente außerhalb ihrer zugelassenen Indikationen verordnet, kann weder sich noch der Krankenkasse Gewissheit darüber verschaffen, dass die Verordnung den Vorgaben des Wirtschaftlichkeitsgebotes genügt, also notwendig, zweckmäßig und wirtschaftlich ist. Bei Off-Label-Verordnungen hat nämlich gerade keine Prüfung von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des jeweiligen Arzneimittels stattgefunden, die seinen Einsatz (auch) im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung rechtfertigt. Eine solche Prüfung ist im AMG nur indikationsbezogen vorgeschrieben und durchführbar; die von der Zulassung nach dem AMG ausgehende Schutzwirkung und Qualitäts- wie Wirksamkeitserwartung greift bei einem Einsatz des Medikaments außerhalb der Zulassung gerade nicht ein (vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 RdNr 19; s auch BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 37/08 - RdNr 27 ff, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Soweit danach ein Vertragsarzt Verordnungen ohne gesicherten Nachweis von Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels ausstellt, muss zwingend nachträglich geprüft werden dürfen, ob die jeweilige Verordnung den Regeln des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung entspricht. Wenn der Vertragsarzt davon absieht, in Fällen eines Off-Label-Use die Krankenkasse vor Ausstellung der Verordnung einzuschalten, wie es der Senat in einem Beschluss vom 31.5.2006 dargestellt hat (B 6 KA 53/05 B, MedR 2007, 557, 560), muss er hinnehmen, dass die Einhaltung der Vorgaben der vertragsärztlichen Versorgung im Nachhinein geprüft wird.

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Der Beklagte hält dem Kläger - anders als dieser nahe legen will - keine schuldhafte Verletzung vertragsärztlicher Pflichten vor, die nunmehr sanktioniert wird. Der Beklagte hat lediglich die Position der zu 2. beigeladenen Krankenkasse bestätigt, dass sie objektiv zu Unrecht erhebliche Kosten für die Versorgung ihrer Versicherten H. mit einem Immunglobulin aufgewandt hat. Weil der Kläger der Beigeladenen zu 2. keine Gelegenheit gegeben hat, ihre Auffassung zur Rechtmäßigkeit des Einsatzes von Immunglobulinen bei der Versicherten H. vor Einlösung der Verordnungen darzulegen, muss es der Krankenkasse möglich sein, ihren Standpunkt nachträglich durchzusetzen, soweit er rechtlicher Prüfung standhält. Dazu sieht die Prüfvereinbarung im Einklang mit Bundesrecht das Verfahren der Regressfestsetzung vor. Soweit der Kläger geltend macht, nach dem im Jahr 1999 geltenden Recht habe er zu Gunsten der H. kein Privatrezept ausstellen dürfen, weil das gegen § 29 Abs 1 Satz 2 BMV-Ä verstoßen hätte, folgt der Senat dem nicht. Der Beschluss des Senats vom 31.5.2006 (MedR 2007, 557), der diesen Weg aufgezeigt hat, ist zu Off-Label-Use-Verordnungen aus dem Jahr 1997 ergangen. Auch 1997 und 1999 galt das Verbot, sich als Vertragsarzt vertragsärztliche Verordnungen einzeln genehmigen zu lassen; dieses Verbot hat sich - wie der Senat dargelegt hat - immer nur auf Verordnungen im Rahmen der Leistungspflicht der Krankenkassen bezogen. Wie die Rechtslage zu beurteilen wäre, wenn der Kläger im Sommer 1999 vergeblich bei der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2. angefragt und explizit um eine Entscheidung über das aus Sicht dieser Krankenkasse richtige Vorgehen gebeten hätte, kann offen bleiben. Der Kläger macht selbst nicht geltend, diesen Weg beschritten zu haben.

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g. Der vom Beklagten aufrecht erhaltene Regress gegen den Kläger ist schließlich nicht deshalb rechtswidrig, weil der Versicherten H. bei Ausstellung der umstrittenen Verordnungen nach den Grundsätzen des Beschlusses des BVerfG vom 6.12.2005 (BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5) gegen die Rechtsvorgängerin der zu 2. beigeladenen Krankenkasse ein Anspruch auf Versorgung mit Polyglobin 5 % zugestanden hätte. Nach den Feststellungen des LSG liegen die tatsächlichen Voraussetzungen eines solchen, auf §§ 27 und 31 SGB V iVm Art 2 Abs 1 GG und dem Sozialstaatsprinzip bzw Art 2 Abs 2 Satz 1 GG und der hieraus abzuleitenden Schutzpflicht gegründeten Anspruchs nicht vor. Diese Feststellungen des LSG sind für den Senat nach § 163 SGG bindend, weil der Kläger dazu keine zulässigen Revisionsrügen angebracht hat.

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Richtig ist allerdings der Ausgangspunkt der Revision: Wenn feststünde, dass H. nach den tatsächlichen Verhältnissen des Jahres 1999 einen Anspruch auf Versorgung mit Polyglobin als Sachleistung der Krankenkasse gehabt hätte, dürfte wegen der für diese Versorgung angefallenen Kosten kein Regress gegen den Kläger festgesetzt werden. Diese Konsequenz aus der Entscheidung des BVerfG hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 5.11.2008 zu Wobe Mugos (SozR 4-2500 § 106 Nr 21; ebenso BSG MedR 2010, 276) inzident angesprochen und hält daran fest. Der verschuldensunabhängige Schadensersatzanspruch der Krankenkasse gegen einen Vertragsarzt wegen unzulässiger Arzneimittelverordnungen beruht im Kern darauf, dass die Krankenkasse einen Ausgleich für die Bezahlung von Medikamenten erhält, die sie bei korrekten Verhalten des Arztes nicht hätte finanzieren müssen. Wenn sich nachträglich herausstellt, dass der Versicherte, zu dessen Gunsten der Vertragsarzt die umstrittenen Verordnungen ausgestellt hat, auf die Versorgung mit dem verordneten Arzneimittel einen Anspruch gegen seine Krankenkasse hatte, ist dieser durch die Bezahlung dieses Arzneimittels dem Grunde nach jedenfalls kein Schaden entstanden, den der Vertragsarzt nunmehr ersetzen müsste. Lässt sich allerdings nicht mit hinreichender Gewissheit feststellen, dass die Voraussetzungen für einen ausnahmsweise gerechtfertigten Off-Label-Use vorgelegen haben, geht das zu Lasten des Arztes. Er rückt, obwohl er sich nach der Ausrichtung des Verfahrens gegen einen Regress wendet, hinsichtlich der Verteilung von Darlegungs- und Beweislast in die Stellung ein, die der Versicherte gehabt hätte, wenn er seinen Standpunkt zur der Verordnungsfähigkeit eines Arzneimittels gegen die Krankenkasse nach § 13 Abs 3 SGB V im Wege der Geltendmachung eines Kostenerstattungsanspruchs durchsetzen müsste. Wer geltend machen will, der Versorgungsanspruch umfasse in einer bestimmten Konstellation auch die Versorgung mit zugelassenen Arzneimitteln außerhalb der Zulassungsindikationen, dringt damit nicht durch, wenn sich unter Ausschöpfung aller Möglichkeiten zur Sachaufklärung nicht feststellen lässt, dass die dafür insbesondere in der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG und inzwischen auch vom Gemeinsamen Bundesausschuss (§ 30 der Arzneimittel-Richtlinie iVm Anlage VI) formulierten Voraussetzungen vorgelegen haben. Das ist auch hier der Fall und geht zu Lasten des Klägers.

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h. Das LSG ist in Übereinstimmung mit der Revision zutreffend davon ausgegangen, dass die Versicherte H. an einer lebensbedrohlichen Erkrankung (metastasierendes Karzinom der Eileiter) gelitten hat. Zu dessen kausaler Behandlung hätte bei Fehlen einer allgemein anerkannten, medizinischem Standard entsprechenden Behandlungsmethode nach der Rechtsprechung des BVerfG ein Arzneimittel auch außerhalb seiner Zulassungsindikation eingesetzt werden dürfen, wenn nach der vorhandenen Studienlage auf diese Weise die nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf positive Behandlungserfolge bestanden hätten (BVerfGE 115, 25, 49 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 RdNr 33). Das nimmt der Kläger selbst für die Verordnung von Polyglobin nicht an. Er geht vielmehr davon aus, dass die Versicherte H. an einem Antikörpermangel litt, der unbehandelt eine Fortführung der überlebensnotwendigen Chemotherapie ausgeschlossen hätte oder hat. Wenn die Rechtsprechung des BVerfG auf diese Konstellation Anwendung finden sollte, was der Senat entgegen der Auffassung des LSG nicht von vornherein für ausgeschlossen hält, müssen jedenfalls die Anforderungen an einen zulässigen Off-Label-Use entsprechend erfüllt sein. Es muss deshalb feststehen, dass der Patient neben der lebensbedrohlichen Erkrankung an einer weiteren Gesundheitsstörung leidet, die die Anwendung aller zur Behandlung des Hauptleidens in Betracht kommenden Behandlungsmöglichkeiten ausschließt. Weiterhin muss der Off-Label-Einsatz des anzuwendenden Arzneimittels mit gewisser Wahrscheinlichkeit die zweite Erkrankung so beeinflussen, dass eine Erfolg versprechende Behandlung des Hauptleidens wieder oder erstmals möglich wird. Schließlich darf es für die zweite Erkrankung keine anerkannten Behandlungsmöglichkeiten - zB mit entsprechend zugelassenen Arzneimitteln - geben. Diese Voraussetzungen sind hier jedenfalls nicht - wie es notwendig wäre, um der Klage zum Erfolg zu verhelfen - kumulativ erfüllt.

48

i. Erhebliche Zweifel bestehen bereits daran, ob das vom Kläger so bezeichnete "sekundäre Antikörpermangelsyndrom" eine eigenständige und hinreichende spezifische Erkrankung ist, die abgegrenzt vom Karzinomleiden behandelt werden kann und muss. Der Kläger hat dazu in den Tatsacheninstanzen nicht Präzises vorgetragen. Zudem steht nicht fest, dass die Patientin H. an einem Antikörpermangelsyndrom litt, das schulmedizinisch nicht behandelbar war. Die zur Abstützung dieser Diagnose und des Ausmaßes der Erkrankung möglichen laborchemischen Untersuchungen hat der Kläger nach den Feststellungen des LSG nicht durchgeführt oder veranlasst. Dazu mag er - wie die Revision geltend macht - berufsrechtlich nicht verpflichtet gewesen sein. Er hat damit aber im Hinblick auf den Off-Label-Use zur Unaufklärbarkeit des genauen Gesundheitszustandes der Versicherten H. in der zweiten Hälfte des Jahres 1999 beigetragen. Das geht zu seinen Lasten.

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j. Außerdem fehlt es an ausreichenden Feststellungen bzw Belegen für das vom Kläger geltend gemachte Dilemma, die lebensbedrohliche Ersterkrankung nur durch die Behandlung der Zweiterkrankung mit Polyglobin 5 % therapieren zu können. Der Kläger setzt schon die Anforderungen an den Nachweis einer eigenständigen Zweiterkrankung zu niedrig an. Die Versicherte H. litt nach den Ausführungen des Klägers an einer "Verminderung der Immunitätslage" als Folge sowohl des Karzinomleidens als auch der aggressiven Chemotherapien. Darauf habe sie mit wiederholten schweren bakteriellen und viralen Infektionen reagiert, die er - der Kläger - als "Zeichen eines sekundären Antikörpermangels" gedeutet habe. Für keine dieser "wiederholten" Infektionen hat der Kläger im Verwaltungsverfahren oder in den Vorinstanzen jedoch konkret und eingehend belegt, dass diesen durch anerkannte Behandlungsverfahren nicht hätten effektiv entgegengewirkt werden können. Spezifische Darlegungen dazu, die dann dem LSG ggf Anlass zu weiterer Sachaufklärung hätten geben können, waren vor allem deshalb unerlässlich, weil der Kläger selbst einen Zusammenhang zwischen dem Krebsleiden und der Chemotherapie mit der geschwächten Immunitätslage der H. herstellt. Da nicht alle Patienten, deren Abwehrsystem durch Krebs und Chemotherapie geschwächt sind, mit Immunglobulin behandelt werden bzw nach dem gebotenen Behandlungsstandard behandelt werden müssen oder im Jahr 1999 so behandelt wurden oder behandelt werden mussten, hätte der Kläger fallbezogen und detailliert darlegen müssen, inwieweit sich die gesundheitliche Lage der H. von derjenigen anderer chemotherapeutisch behandelter Krebspatienten unterschied, und auf der Basis welcher exakten Befunde er die Anwendung von Polyglobin 5 % für unerlässlich hielt. Das ist nicht geschehen und spricht dafür, dass sich der Kläger von der Gabe eines Immunglobulins ganz generell eine Stärkung der Abwehrlage der H. und damit mutmaßlich eine bessere Resistenz gegen Infektionen versprach. Das reicht für einen Off-Label-Use, dessen Zulässigkeit jedenfalls in Fällen der hier vorliegenden Art von dem Gesundheitszustand des konkreten Patienten abhängt, nicht aus.

50

k. Schließlich ist die positive Wirkung, die der Kläger dem Einsatz von Immunglobulin bei fortgeschrittener Krebserkrankung zuschreibt, nach den Feststellungen des LSG auch nicht hinreichend belegt.

51

Das LSG hat im Einzelnen dargestellt, dass die bis 1999 zum Einsatz von Immunglobulinen vorhandenen Studien und publizierten Forschungsergebnisse nicht darauf hindeuten, dass die Gesundheitsstörungen der Versicherten H. durch den Einsatz von Polyglobin erfolgreich behandelt werden konnten. Das LSG ist zutreffend von den in der Rechtsprechung des 1. Senats des BSG ermittelten Grundsätzen zum Anspruch der Versicherten auf Versorgung mit (in Deutschland oder der EU) nicht zugelassenen Arzneimitteln (dazu BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4) oder mit Arzneimitteln außerhalb zugelassener Indikationen (BSGE 89, 184 = SozR 3-2500 § 31 Nr 8) ausgegangen. Es hat näher ausgeführt, dass keine wissenschaftliche Arbeit vorliege oder vom Kläger benannt sei, in der der zulassungsüberschreitende Einsatz von Immunglobulinen zur Behandlung einer auf der Intoleranz von Chemotherapeutika beruhenden Erkrankung als medizinisch geboten bewertet wird. Einen Konsens der einschlägigen Fachkreise, dass Polyglobin ein sekundäres Antikörpersyndrom positiv beeinflussen könne, hat das LSG gerade nicht feststellen können. Soweit die Revision die vorhandenen medizinischen Unterlagen lediglich anders würdigt, vermag sie damit die Feststellungen iS des § 163 SGG nicht zu entkräften.

52

Soweit der Kläger die Sachaufklärung des LSG zu den Erfolgsaussichten der Behandlung mit Immunglobulinen für unzureichend hält, berücksichtigt er nicht hinreichend, dass sich der 1. Senat des BSG bereits mehrfach mit dem Anspruch der Versicherten auf Versorgung mit Immunglobulinen befasst hat. In den Urteilen vom 19.3.2002 (BSGE 89, 184 = SozR 3-2500 § 31 Nr 8), vom 27.3.2007 (B 1 KR 17/06 R) und vom 28.2.2008 (SozR 4-2500 § 13 Nr 16), die sämtlich die Versorgung mit Immunglobulinpräparaten - jeweils bezogen auf die Indikation Multiple Sklerose - zum Gegenstand hatten, wird der Stand der medizinischen Forschung zu dieser Wirkstoffgruppe für die streitbefangenen Jahre 1997 bis 2003 eingehend aufgearbeitet. Zwar können die Forschungsergebnisse zur Möglichkeit, durch die Gabe von Immunglobulinen die Multiple Sklerose günstig zu beeinflussen, nicht ohne Weiteres auf die hier zu beurteilende Situation der unterstützenden Behandlung bei Krebserkrankungen übertragen werden, doch sind die Wirkungen und die in Frage kommenden Indikationen für Immunglobulin bezogen auf den hier relevanten Zeitraum gut erforscht und die Forschungsergebnisse - soweit krankenversicherungsrechtlich von Bedeutung - in der Rechtsprechung des BSG umfassend rezipiert worden. Zudem sind die Urteile des 1. Senats des BSG vom 27.3.2007 und vom 28.2.2008 Gegenstand der verfassungsgerichtlichen Prüfung gewesen. Mit Kammerbeschlüssen vom 30.6.2008 (1 BvR 1665/07 zum BSG-Urteil B 1 KR 17/06 R) und vom 8.7.2009 (1 BvR 1531/09 zum BSG-Urteil B 1 KR 15/07 R) sind die Verfassungsbeschwerden der unterlegenen Kläger jeweils nicht zur Entscheidung angenommen worden. Beide Kammerbeschlüsse sind auf der Basis der grundlegenden Entscheidung des BVerfG vom 6.12.2005 ergangen und billigen insbesondere, dass die Rechtsprechung des BSG strenge Anforderungen an den Nachweis stellt, dass mit dem zulassungsüberschreitenden Einsatz des jeweils betroffenen Arzneimittels hinreichende Erfolgsaussichten verbunden sein müssen (BVerfG vom 30.6.2008 - 1 BvR 1665/07 - NJW 2008, 3556 f RdNr 9 bis 11). Es reicht danach als Grundlage für einen Off-Label-Use von Arzneimitteln in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht aus, dass positive Folgen einer solchen Behandlung nach dem Wirkungsmechanismus von Immunglobulinen nicht schlechthin ausgeschlossen werden können, dass Patienten in Einzelfällen nach Verabreichung der umstrittenen Medikamente eine Verbesserung ihres Befindens beschreiben und dass einzelne Ärzte oder Wissenschaftler mit plausiblen Gründen einen von der verbreiteten Auffassung abweichenden Standpunkt zu den Erfolgsaussichten einer Behandlung vertreten. Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe und im Hinblick auf die schon vorliegende Rechtsprechung des 1. Senats des BSG ist die Sachverhaltsermittlung des Berufungsgerichts ausreichend.

53

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs 1 iVm § 155 Abs 1 VwGO und berücksichtigt das teilweise Obsiegen und Unterliegen der Beteiligten. Die außergerichtlichen Kosten der zu 1. beigeladenen KÄV sind nach § 162 Abs 3 VwGO nicht erstattungsfähig, weil diese keine Anträge gestellt hat(vgl BSGE 96, 257 = SozR 4-1300 § 63 Nr 3, RdNr 16).

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

Tatbestand

1

Umstritten ist ein Arzneikostenregress wegen der Verordnung des Arzneimittels Polyglobin in den Quartalen II/1999 bis IV/1999.

2

Der in diesen Quartalen als Hausarzt an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Kläger verordnete insgesamt 17-mal "Polyglobin 5 %" für die 1932 geborene Versicherte H. Diese litt an einem metastasierenden Karzinom der Eileiter, das auch die Leber befallen hatte, und ist 2001 verstorben. Die Kosten je Verordnung beliefen sich auf 3209,02 DM. Auf Antrag der Rechtsvorgängerin der zu 2. beigeladenen Krankenkasse vom 1.12.2000 setzte der Prüfungsausschuss auf der Grundlage des § 14 der für den Bezirk der zu 1. beigeladenen Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) geltenden Prüfvereinbarung eine Schadensersatzpflicht des Klägers wegen der Verordnung von "Polyglobin" in Höhe von 51 553 DM fest. Dieser Betrag ergab sich auf der Grundlage der Bruttoverordnungskosten unter Abzug eines fünfprozentigen Apothekenrabatts und der von der Versicherten geleisteten Zuzahlungen. Der beklagte Beschwerdeausschuss wies den Widerspruch des Klägers mit der Begründung zurück, Polyglobin sei nicht im Rahmen der Zulassungsindikationen verordnet worden, und für eine Verordnung außerhalb der zugelassenen Indikationen - der Kläger hatte die Behandlung eines Antikörpermangels bei der Versicherten als Grund für die Verordnungen angeführt - habe keine rechtliche Grundlage bestanden.

3

Das SG hat den Bescheid des Beklagten aufgehoben, soweit die Verordnungen im Quartal II/1999 ausgestellt worden sind, weil die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2. die Antragsfrist versäumt habe. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen, weil für einen zulassungsüberschreitenden Einsatz von Polyglobin die rechtlichen Voraussetzungen, die inzwischen von der Rechtsprechung des BSG geklärt seien, nicht vorgelegen hätten.

4

Dieses Urteil haben der Kläger am 15.4.2005 mit der Berufung und die Beigeladene zu 2. am 28.11.2006 mit der Anschlussberufung angegriffen. Der Kläger hat geltend gemacht, die Verordnung von Polyglobin in den streitbefangenen Quartalen habe den Behandlungserfolg der Chemotherapie absichern sollen und sei damit zur erfolgreichen Behandlung des inoperablen metastasierenden Tubenkarzinoms notwendig gewesen. Nach der Entscheidung des BSG vom 5.7.1995 (Remedacen) habe er darauf vertrauen können, verschreibungspflichtige Medikamente auch außerhalb ihres Zulassungsbereichs verordnen zu dürfen. Der durch dieses höchstrichterliche Urteil ausgelöste Vertrauensschutz sei frühestens durch das Urteil des BSG vom 30.9.1999 (SKAT) eingeschränkt worden. Dieses Urteil habe er bei Ausstellung der hier betroffenen Verordnungen nicht kennen können; insoweit sei ihm zumindest Vertrauensschutz zuzubilligen. Im Übrigen seien die von ihm vorgenommenen Verordnungen auch nach den heute geltenden Maßstäben nicht zu beanstanden, weil die Voraussetzungen für einen indikationsüberschreitenden Einsatz von Polyglobin nach den im Beschluss des BVerfG vom 6.12.2005 formulierten Maßstäben erfüllt seien.

5

Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und auf die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. das Urteil des SG geändert und die Klage auch hinsichtlich der Verordnungen aus dem Quartal II/1999 abgewiesen. Die Anschlussberufung sei zulässig, obwohl diese sich nicht auf den Teil des Streitgegenstandes beziehe, der Gegenstand der Berufung des Klägers sei (Quartale III und IV/1999). Soweit das BSG die Auffassung vertrete, eine Anschlussberufung müsse sich innerhalb des Streitgegenstandes der Hauptberufung bewegen, sei dem nicht zu folgen. Dem Gegner des Berufungsführers müsse es möglich sein, durch Anschließung an die Berufung des Hauptberufungsführers eine Überprüfung des erstinstanzlichen Urteils zu erreichen, auch soweit ein Streitgegenstand betroffen sei, der von der Berufung des Klägers nicht erfasst werde.

6

Die Berufung der beigeladenen Krankenkasse sei aus denselben Gründen begründet wie diejenige des Klägers unbegründet. Der Beklagte sei berechtigt gewesen, auf der Grundlage des § 14 der für Berlin geltenden Prüfvereinbarung Arzneikostenregresse gegen den Kläger wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel festzusetzen. Das setze nach der gefestigten Rechtsprechung des BSG kein Verschulden des Vertragsarztes voraus. Auch ein Antrag der jeweils betroffenen Krankenkasse sei nicht erforderlich gewesen; soweit die Prüfvereinbarung etwas anderes vorschreibe, sei das nach der Rechtsprechung des BSG mit höherrangigem Recht nicht vereinbar und deshalb unwirksam. Aus diesem Grund habe das SG der Klage hinsichtlich des Quartals II/1999 zu Unrecht stattgegeben. Auf Vertrauensschutz könne der Kläger sich nicht berufen. Soweit der 8. Senat des BSG im Jahr 1999 ausgeführt habe, die Versicherten hätten im Anschluss an das Urteil des 1. Senats des BSG vom 15.7.1995 zumindest bis zur Veröffentlichung des Urteils aus dem Jahre 1999 darauf vertrauen dürfen, dass sie mit Arzneimitteln auch außerhalb des durch die Zulassung nach dem Arzneimittelgesetz (AMG) bestimmten Indikationsbereichs versorgt werden dürften, könne dem nicht gefolgt werden. Schließlich führe auch der Beschluss des BVerfG vom 6.12.2005 nicht zu einer anderen Beurteilung, weil die Wirksamkeit von Polyglobin zur Behandlung der nach Auffassung des Klägers bei der Patientin H. vorhandenen Antikörperstörung nicht belegt sei (Urteil vom 26.11.2008).

7

Mit seiner Revision rügt der Kläger in verfahrensrechtlicher Hinsicht die Entscheidung des Berufungsgerichts, die Anschlussrevision der Beigeladenen zu 2. als zulässig anzusehen. Diese Berufung sei nach Ablauf der auch für diese Beigeladene geltenden Berufungsfrist von einem Monat nach Zustellung des sozialgerichtlichen Urteils eingelegt worden. Als unselbstständige Anschlussberufung sei sie nicht zulässig, weil sie sich nicht auf den Gegenstand der von ihm - dem Kläger - eingelegten Hauptberufung beziehe. Nach der Rechtsprechung des BSG dürfe nach Ablauf der für die Beteiligten geltenden Berufungsfrist der Streitgegenstand des Berufungsverfahrens nicht mehr erweitert werden. Seine - des Klägers - Verordnungen in den drei streitbefangenen Quartalen bildeten jeweils unterschiedliche Streitgegenstände, was das SG im Ausgangspunkt zutreffend dadurch zum Ausdruck gebracht habe, dass es den Regressbescheid hinsichtlich des Quartals II/1999 aufgehoben und hinsichtlich der in den beiden folgenden Quartalen ausgestellten Verordnungen für rechtmäßig gehalten habe. Deshalb sei der angefochtene Regressbescheid hinsichtlich der Verordnungen aus dem Quartal II/1999 dem Berufungsgericht mit seiner - des Klägers - (Haupt)Berufung nicht angefallen und habe durch die zu 2. beigeladene Krankenkasse nach Ablauf der Berufungsfrist nicht mehr in das Berufungsverfahren einbezogen werden können.

8

Im Übrigen sei das Urteil des LSG fehlerhaft, soweit es die Regresse für rechtmäßig gehalten habe. Der vom Berufungsgericht herangezogene § 14 Abs 1 der Prüfvereinbarung sei schon generell keine tragfähige Grundlage für einen Regress wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel. Die Prüfvereinbarung regele lediglich Verstöße gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot sowie Regresse wegen schuldhafter Verursachung eines "sonstigen Schadens". Der in der Rechtsprechung des BSG zugelassene Regress wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Mittel hätte in der Prüfvereinbarung zwar geregelt werden können, sei dort tatsächlich aber nicht geregelt worden.

9

Weiterhin sei der angefochtene Bescheid fehlerhaft, weil im Prüfungsausschuss wie im Beschwerdeausschuss jeweils unter Vorsitz eines Vertreters der Krankenkassen entschieden worden sei. Die Krankenkassenvertreter hätten eine Vertagung der Entscheidung des Beklagten in einer Sitzung unter Vorsitz eines Vertreters der Ärzte herbeigeführt, um so zu erreichen, dass über die Widersprüche des Klägers gegen die Entscheidung des Prüfungsausschusses, die unter Vorsitz eines Vertreters der Krankenkassen getroffen worden sei, erneut unter Vorsitz eines Vertreters der Krankenkassen entschieden werde. Das sei unzulässig. Die Vorschriften über den wechselnden Vorsitz im Prüfungs- und Beschwerdeausschuss nach § 106 SGB V aF könnten nur so verstanden werden, dass jedenfalls über Entscheidungen des Prüfungsausschusses, bei denen ein Vertreter der Krankenkassen den Vorsitz gehabt habe, in der Besetzung des Beschwerdeausschusses mit einem Vorsitzenden aus den Reihen der Vertragsärzte entschieden werden müsse.

10

Die Verordnung von Polyglobin sei zur Behandlung der bei der Versicherten H. vorhandenen lebensbedrohlichen Karzinomerkrankung notwendig gewesen. Zwar sei der Einsatz von Polyglobin nicht unmittelbar zur Heilung der Tumorerkrankung bzw zur Linderung der damit verbundenen Beschwerden erfolgt, doch habe die Versicherte unter einer Antikörperstörung gelitten, die eine Chemotherapie unmöglich gemacht habe, die ihrerseits zur Behandlung des Tumorgrundleidens erforderlich gewesen sei. Der Einsatz von Polyglobin habe die Voraussetzungen für eine Fortsetzung der Chemotherapie schaffen sollen, und seine Rechtmäßigkeit müsse deshalb aus medizinischen Gründen nach denselben Maßstäben beurteilt werden wie die Verordnung von Arzneimitteln zur kausalen Krebstherapie. Jedenfalls habe er - der Kläger - darauf vertrauen dürfen, dass im Hinblick auf die Rechtsprechung des BSG auch der die Indikationsgrenzen überschreitende Einsatz generell zugelassener Arzneimittel (Off-Label-Use) im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung möglich gewesen sei. Das habe der 1. Senat des BSG im Juli 1995 zum Einsatz des Codeinpräparates Remedacen zur Drogensubstitution entschieden, und der 8. Senat des BSG, der mit dieser Rechtsprechung nicht einverstanden gewesen sei, habe im Jahr 1999 für die Zeit bis zur Verkündung seiner Entscheidung den Versicherten Vertrauensschutz zugebilligt. Auf diesen Vertrauensschutz könne er - der Kläger - sich hier auch berufen. Soweit der 6. Senat des BSG im Mai 2006 entschieden habe, Vertrauensschutzaspekte spielten insoweit keine Rolle, weil Vertragsärzte, die Arzneimittel außerhalb der Zulassungsindikationen einsetzen wollten, gehalten seien, ein Privatrezept auszustellen und die Versicherten bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche gegen die Krankenkasse zu unterstützen, sei das auf die hier maßgebliche Rechtslage des Jahres 1999 nicht übertragbar. Zu diesem Zeitpunkt sei nach § 29 Abs 1 Satz 2 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) die Genehmigung von Verordnungen durch eine Krankenkasse unzulässig gewesen. In Verbindung mit der Rechtsprechung des 1. Senats des BSG zu Remedacen habe sich daraus die Berechtigung von Vertragsärzten ergeben, den Off-Label-Use-Einsatz im regulären Verfahren durch Ausstellen von vertragsärztlichen Verordnungen zu praktizieren. Soweit das LSG bemängelt habe, das bei der Versicherten H. vorliegende Antikörpermangelsyndrom, das letztlich den Einsatz von Polyglobin erforderlich gemacht habe, sei nicht ausreichend belegt, könne dem nicht gefolgt werden. Entgegen der Auffassung des LSG seien laborchemische Untersuchungen zum Nachweis dieses Antikörpermangelsyndroms verzichtbar.

11

Der Kläger beantragt,

die Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 26.11.2008 und des Sozialgerichts Berlin vom 9.2.2005, soweit hier die Klage abgewiesen wurde, sowie den Bescheid des Beklagten vom 12.12.2001 aufzuheben,

hilfsweise, die Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 26.11.2008 und des Sozialgerichts Berlin vom 9.2.2005 sowie den Bescheid des Beklagten vom 12.12.2001 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, über den Widerspruch des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu entscheiden,

weiter hilfsweise, das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 26.11.2008 aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

12

Der Beklagte und die Beigeladene zu 2. beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

13

Zutreffend habe das Berufungsgericht entschieden, dass die Partner der Prüfvereinbarungen nicht einmal berechtigt gewesen wären, Arzneikostenregresse wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel vom Verschulden des Vertragsarztes abhängig zu machen. Entgegen der Auffassung des Klägers habe die maßgebliche Prüfvereinbarung aus dem Jahre 1994 nicht vorgeschrieben, dass eine unter dem Vorsitz eines Kassenvertreters getroffene Entscheidung vom Beschwerdeausschuss nur unter dem Vorsitz eines Vertreters der Ärzte überprüft werden dürfe. Eine solche Regelung wäre auch nicht praktikabel gewesen und hätte die Dauer der Prüfverfahren erheblich verlängert. Die Ausführungen des Klägers hinsichtlich seines Vertrauens auf bestimmte Entscheidungen des BSG seien irrelevant. Es sei lebensfremd, dass ein Vertragsarzt die einzelnen Entwicklungsschritte der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Kenntnis nehme und sein Verordnungsverhalten daran ausrichte. Eine Ausnahmelage im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG vom 6.12.2005 habe in den streitbefangenen Quartalen bei der Versicherten H. nicht bestanden.

14

Die zu 2. beigeladene Krankenkasse hält das Urteil des LSG ebenfalls für zutreffend. Zu Recht habe das LSG ihre Anschlussberufung als zulässig angesehen. Folge man der Auffassung des Klägers, gebe es für die Anschlussberufung im sozialgerichtlichen Verfahren überhaupt keinen Anwendungsbereich, weil die Hauptberufung regelmäßig nur insoweit erhoben werde, als der Rechtsmittelführer durch das sozialgerichtliche Urteil beschwert sei. Für eine Anschlussberufung sei dann kein Raum, weil im Rahmen der Beschwer des Klägers der Anschlussberufungsführer selbst mit dem angefochtenen Urteil einverstanden sei. Ein Grund für eine derart restriktive Handhabung entgegen der Rechtsprechung in den anderen Gerichtszweigen sei nicht erkennbar.

Entscheidungsgründe

15

Die Revision des Klägers hat teilweise Erfolg. Zu Recht rügt er, dass das Berufungsgericht über den angefochtenen Bescheid des Beklagten hinsichtlich der Verordnungen aus dem Quartal II/1999 in der Sache entschieden habe. Insoweit ist die zugunsten des Klägers ergangene Entscheidung des SG rechtskräftig geworden, weil die Beigeladene zu 2. innerhalb der Berufungsfrist keine Berufung eingelegt hat. Ihre Anschlussberufung war unzulässig (1). Keinen Erfolg hat die Revision dagegen hinsichtlich der Verordnungen in den Quartalen III und IV/1999. Insoweit hat das LSG die Berufung des Klägers gegen das sozialgerichtliche Urteil zu Recht zurückgewiesen. Der angefochtene Bescheid des Beklagten ist rechtmäßig (2).

16

1. Die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. vom 28.11.2006 war unzulässig. Das Berufungsgericht hätte auf diese Anschlussberufung hin nicht in eine Sachprüfung des angefochtenen Bescheides im Hinblick auf die Verordnungen des Klägers aus dem Quartal II/1999 eintreten dürfen. Insoweit war das der Klage stattgebende Urteil des SG nämlich bereits rechtskräftig geworden.

17

a. Die Berufung der beigeladenen Krankenkasse hätte nur als Anschlussberufung iS des § 202 SGG iVm § 524 ZPO zulässig sein können. Eine eigenständige Berufung wäre wegen Versäumung der Berufungsfrist des § 151 Abs 1 SGG unzulässig. Das Urteil des SG ist der Beigeladenen zu 2. am 16.3.2005 zugestellt worden; die Monatsfrist des § 151 Abs 1 SGG ist durch die Einlegung der Berufung am 28.11.2006 nicht gewahrt worden.

18

Die Berufungsfrist des § 151 Abs 1 SGG gilt nicht für die Anschlussberufung, die nach der Rechtsprechung des BSG auch in der Sozialgerichtsbarkeit statthaft ist(BSGE 63, 167, 169 = SozR 1500 § 54 Nr 85; Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer (Hrsg), SGG 9. Aufl 2008, § 143 RdNr 5). Die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. war hier aber unzulässig, weil sie nicht den gleichen prozessualen Anspruch wie die Hauptberufung des Klägers betroffen, sondern einen neuen Streitgegenstand in das Berufungsverfahren eingeführt hat. Das ist nach der Rechtsprechung aller mit dieser Rechtsfrage bisher befassten Senate des BSG ausgeschlossen (zB Urteil des 9. Senats vom 8.7.1969 = SozR Nr 12 zu § 521 ZPO; 6. Senat vom 19.6.1996 - 6 RKa 24/95 - = USK 96131) Diese Entscheidungen sind zu Ansprüchen ergangen, die Gegenstand des Klageverfahrens, aber nicht der Hauptberufung waren. Das Urteil des 4. Senats vom 10.2.2005 - B 4 RA 48/04 R - betrifft einen mit der Anschlussberufung geltend gemachten Anspruch, der nicht einmal Gegenstand des Klageverfahrens gewesen ist. Die Rechtsauffassung des BSG zur Begrenzung der Anschlussberufung auf den Streitgegenstand der Hauptberufung wird in den Kommentaren zum SGG - soweit ersichtlich ohne Ausnahme - geteilt (Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 143 RdNr 5d; Eckertz in: Lüdtke, Handkommentar Sozialgerichtsgesetz, 3. Aufl 2009, § 143 RdNr 37; Behn in: Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, 87. Ergänzungslieferung, Stand: Mai 2009 - Gesamtwerk, § 143 RdNr 68 f; Frehse in: Jansen, SGG, 3. Aufl 2009, § 143 RdNr 7; Waschull in: Berchtold/Richter, Prozesse in Sozialsachen, 2009, § 6 RdNr 130). Nach Bernsdorff (in: Hennig, SGG, Stand Februar 2009 - Gesamtwerk - § 143 RdNr 27) liegt keine Anschlussberufung vor, wenn sich der Antrag des Berufungsbeklagten bei teilbarem Streitgegenstand gegen einen anderen als den mit der Berufung angegriffenen Teil des erstinstanzlichen Urteils richtet (ähnlich Breitkreuz in: Breitkreuz/Fichte, SGG, 2009, § 143 RdNr 24).

19

b. Bei Anwendung dieser Rechtsauffassung ist die Anschlussberufung unzulässig, wie das LSG zutreffend angenommen hat. Die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. betrifft einen anderen Streitgegenstand als die Hauptberufung, weil diese die Verordnungen des Klägers aus den Quartalen III/1999 und IV/1999, jene aber solche aus dem Quartal II/1999 erfasst. Vertragsärztliche Honorarbescheide sowie Bescheide der Gremien der Wirtschaftlichkeitsprüfung ergehen quartalsbezogen und enthalten, wenn Entscheidungen mehrere Quartale betreffen (vgl zB BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 30/08 R - RdNr 24 mwN, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen), verschiedene Regelungen iS des § 31 Satz 1 SGB X. Selbst innerhalb eines Bescheides für ein Quartal können zahlreiche eigenständige "Regelungen" ergehen, die selbstständig anfechtbar sind. Das hat der Senat in einem Urteil vom 23.2.2005 (SozR 4-1500 § 92 Nr 2) für einen Honorarbescheid näher dargelegt; in dem schon zitierten Urteil vom 19.6.1996 (6 RKa 24/95) hat der Senat das in Bezug auf einen Bescheid zur Wirtschaftlichkeitsprüfung hinsichtlich von Kürzungen für bestimmte Leistungen bzw Leistungssparten als selbstverständlich vorausgesetzt und im Urteil vom 16.7.2008 ausdrücklich ausgesprochen (BSGE 101, 130 = SozR 4-2500 § 106 Nr 19, RdNr 25 am Ende).

20

Diese Rechtsprechung kann allerdings nicht ohne Weiteres auf Kostenregresse wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel übertragen werden. Derartige Regressbescheide können quartalsbezogen ergehen, etwa wenn ein Arzt über einen längeren Zeitraum hinweg bestimmte Medikamente für zahlreiche Patienten verordnet. Zwingend ist die Bindung eines Kostenregresses ebenso wie eines Regresses wegen eines sog "sonstigen Schadens" an den Quartalsturnus indessen nicht und bietet sich gerade in Konstellationen nicht an, in denen es um die Behandlung eines Versicherten mit einem umstrittenen Medikament über mehrere Quartale geht. Ein solcher Fall ist hier zu beurteilen, und sowohl der Regressantrag der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2. wie die Entscheidungen des Prüfungsausschusses und des Beklagten haben nicht nach den drei betroffenen Quartalen differenziert und mussten das auch nicht.

21

Ursprünglich bildete deshalb der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Aufhebung der - Verordnungen aus drei Quartalen erfassenden - Entscheidung des Beklagten vom 12.12.2001 den Streitgegenstand des gerichtlichen Verfahrens. Das SG hat diesen einheitlichen Streitgegenstand jedoch getrennt und die Regressfestsetzung je nach Zuordnung der beanstandeten Verordnungen des Klägers zu den Quartalen II/1999 einerseits sowie III und IV 1999 andererseits unterschiedlich beurteilt. Anlass dazu hat dem SG die (mittelbar) quartalsbezogene Regelung über die Antragsfrist der Krankenkasse in § 14 Abs 2 der maßgeblichen Prüfvereinbarung gegeben. Weil offenbar die Krankenkassen die Verordnungen aus jedem Quartal zusammengefasst zu einem bestimmten Termin erhalten, der wiederum für den Beginn der Antragsfrist nach § 14 Abs 2 von Bedeutung ist, konnte nach Ansicht des SG die Prüfung der Einhaltung dieser Frist nur differenziert für jedes Quartal erfolgen. Das Urteil des SG hat inzident die angefochtene Entscheidung des Beklagten in zumindest zwei Regelungen iS des § 31 Satz 1 SGB X aufgespalten, nämlich hinsichtlich der aus dem Quartal II/1999 und hinsichtlich der aus den Quartalen III/1999 sowie IV/1999 stammenden Verordnungen des Klägers. Bundesrecht ist dadurch nicht verletzt, und das SG hat durch den Tenor seines Urteils die Beteiligten über das gerichtliche Vorgehen hinreichend deutlich informiert.

22

Damit bestand bei Zustellung des SG-Urteils eine Rechtslage, wie sie derjenigen bei Honorarfestsetzungen oder Kürzungs- bzw Regressbescheiden entspricht, die von vornherein mehrere Quartale erfassen. Für jedes dieser Quartale ist (mindestens) eine Regelung angefochten, deren prozessuales Schicksal von demjenigen für die anderen Quartale abweichen kann; die Regelung für jedes Quartal bildet einen eigenständigen Streitgegenstand. Als Folge der Hauptberufung des Klägers war der angefochtene Bescheid des Beklagten Gegenstand des Berufungsverfahrens nur hinsichtlich der aus den Quartalen III/1999 und IV/1999 stammenden Verordnungen; das ist dem Antrag des Klägers im LSG-Verfahren deutlich zu entnehmen. Die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. hat mit der Entscheidung des Beklagten über die aus dem Quartal II/1999 stammenden Verordnungen einen neuen Streitgegenstand in das Berufungsverfahren eingeführt. Das ist nach der bisherigen Rechtsprechung des BSG nicht zulässig. Ein Anlass, von dieser Rechtsprechung abzuweichen, ist nicht ersichtlich.

23

c. Kein durchgreifendes Bedenken ergibt sich aus dem Hinweis der Beigeladenen zu 2., auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des BSG bleibe für die Anschlussberufung nur ein sehr begrenzter Anwendungsbereich. Wenn die Anschlussberufung nur innerhalb des prozessualen Anspruchs erhoben werden kann, der Gegenstand der Hauptberufung ist, kommt im vertragsärztlichen Bereich bei Honorarkürzungen bzw Arzneikostenregressen eine Anschlussberufung typischerweise nur dann in Betracht, wenn das SG auf die Klage die zuständige Behörde zur Neubescheidung nach bestimmten Maßgaben verurteilt und der Kläger mit seiner Berufung die endgültige Aufhebung der ihn belastenden Bescheide begehrt. Dieser Berufung können sich dann die KÄV, der Beschwerdeausschuss oder die beigeladenen Krankenkassen (bzw Krankenkassenverbände) mit dem Antrag anschließen, die Klage in vollem Umfang abzuweisen, auch nachdem die für sie laufende Berufungsfrist abgelaufen ist. Alle übrigen Regelungen der ursprünglich angefochtenen Entscheidung, über die das SG entschieden hat, ohne dass ein Beteiligter das mit der Berufung angefochten hat, die also etwa andere Leistungspositionen oder andere Quartale betreffen, werden dagegen bestandskräftig. Das ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts im vertragsärztlichen Bereich richtig und praktikabel.

24

Auf der Grundlage der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts bliebe dagegen möglicherweise während der gesamten Dauer eines Berufungsverfahrens offen, ob Regelungen in Kürzungs- oder Regressbescheiden, die nicht Gegenstand der Hauptberufung sind, bestandskräftig werden oder nicht. Soweit etwa in einer Entscheidung des Beschwerdeausschusses Honorarkürzungen oder Arzneikostenregresse für eine größere Zahl von Quartalen auf der Grundlage einer Vielzahl von Entscheidungen des Prüfungsausschusses (oder der Prüfungsstelle iS des § 106 Abs 4 Satz 1 SGB V idF des GKV-WSG vom 26.3.2007) zusammengefasst worden sind, bleibt deren Bestandskraft über Jahre hinweg offen, auch wenn nur eine Detailregelung hinsichtlich eines einzelnen Quartals Gegenstand des Berufungsverfahrens ist. Das ist sowohl für den beteiligten Vertragsarzt wie für die KÄV und die Krankenkassen als Kostenträger schwierig zu handhaben, weil ggf Rückstellungen gebildet werden müssten und Beträge nicht verbucht werden könnten.

25

Ein tatsächliches Bedürfnis, diese Rechtsfolgen in Kauf zu nehmen, um den Beteiligten bis zum Abschluss der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz die Möglichkeit der Anschlussberufung auch außerhalb des prozessualen Anspruchs, der Gegenstand der Hauptberufung ist, offen zu halten, vermag der Senat nicht zu erkennen. Ob Honorarkürzungs- oder Regressbescheide, die verschiedene Regelungen iS des § 31 Satz 1 SGB X zum Inhalt haben und häufig mehrere Quartale betreffen, einzeln angegriffen oder durch die Widerspruchsstelle zusammengefasst bzw im gerichtlichen Verfahren auf der Grundlage des § 113 Abs 1 SGG verbunden werden, ist eine Frage der Praktikabilität. Jeder Verfahrensbeteiligte hat nach Bekanntgabe des das Verwaltungsverfahren abschließenden Bescheides oder des erstinstanzlichen Urteils eine Frist von einem Monat, innerhalb der er prüfen und entscheiden kann, ob und ggf inwieweit er die Entscheidung der Behörde bzw des erstinstanzlichen Gerichts hinnehmen will oder nicht. Ein berechtigtes Interesse, Monate oder sogar Jahre nach Einlegung der Berufung des Gegners noch Regelungen der gerichtlichen Überprüfung des LSG zuführen zu können, zu denen die Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts zunächst hingenommen worden ist, besteht nicht.

26

d. Zudem kann die prozessuale Sicht des Berufungsgerichts die Entscheidungsreife der Berufung in Frage stellen, jedenfalls soweit keine Frist für die Anschlussberufung normiert ist. Während nach § 127 Abs 2 Satz 2 VwGO die Anschließung nur bis zum Ablauf eines Monats nach Zustellung der Berufungsbegründungsschrift zugelassen wird, besteht keine ebensolche Bestimmung im SGG. Die VwGO-Vorschrift soll nach vorherrschender Auffassung auf das sozialgerichtliche Verfahren nicht übertragen werden können, weil dafür eine rechtliche Grundlage fehlt. Vergleichbares wird hinsichtlich der ähnlichen Frist des § 524 Abs 2 Satz 2 ZPO angenommen, die immerhin über § 202 SGG grundsätzlich im sozialgerichtlichen Verfahren angewandt werden könnte(vgl Leitherer, aaO, § 143 RdNr 5 f). Nach dieser Vorschrift ist die Anschlussberufung zulässig bis zum Ablauf der dem Berufungsbeklagten gesetzten Frist zur Berufungserwiderung. Eine dem § 521 Abs 1 ZPO entsprechende Vorschrift über die Zustellung der Berufungsschrift und der Berufungsbegründungsschrift an den Gegner kennt das SGG nicht. Die entsprechende Anwendung des § 524 Abs 2 Satz 2 ZPO über § 202 SGG setzt aber die Zustellung mindestens der Berufungsbegründung an den Gegner voraus, damit Klarheit über den Beginn der Frist für die Einlegung der Anschlussberufung besteht. Die Anwendung von Ausschlussfristen im sozialgerichtlichen Verfahren ohne explizite normative Grundlage ist unter dem Gesichtspunkt der Garantie des effektiven Rechtsschutzes (Art 19 Abs 4 Satz 1, Art 103 Abs 1 GG) problematisch, sodass ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung, die auch in der Anordnung einer entsprechenden Geltung des § 127 Abs 2 Satz 2 VwGO im SGG bestehen könnte, die Ausschlussfrist für die Anschlussberufung wohl nicht entsprechend angewandt werden kann. Das dürfte auch deshalb anzunehmen sein, weil im Berufungsverfahren der Sozialgerichtsbarkeit im Unterschied zu demjenigen in der Verwaltungs- und in der Zivilgerichtsbarkeit kein Vertretungszwang herrscht, und die Vorschriften über die Zustellung von Berufungs- und Berufungsbegründungsschriften sowie daran anknüpfende Fristen auf einen durch professionelle Bevollmächtigte geführten Prozess zugeschnitten sind.

27

Würde - was das LSG nicht erwogen hat - auf der Grundlage einer analogen Anwendung des § 127 Abs 2 Satz 2 VwGO im sozialgerichtlichen Verfahren auf den Nachweis der Zustellung der Berufungsbegründungsschrift verzichtet und der Nachweis ihrer tatsächlichen Kenntnis für ausreichend gehalten, wäre die Anschlussberufung der zu 2. beigeladenen Krankenkasse hier ebenfalls unzulässig. Diese hat, wie sich aus ihrer Reaktion im Berufungsverfahren vom 4.4.2006 ergibt, Monate vor Einlegung der Anschlussberufung am 28.11.2006 Kenntnis von der Berufungsbegründung des Klägers gehabt. Die entsprechende Anwendung der Monatsfrist des § 127 Abs 2 Satz 2 VwGO würde dann ebenfalls zur Unzulässigkeit ihrer Berufung führen. Demgegenüber hätte die vom Berufungsgericht offenbar befürwortete unbefristete Zulassung der Anschlussberufung bis zur mündlichen Verhandlung zur Folge, dass das LSG trotz Entscheidungsreife der Hauptberufung den Rechtsstreit vertagen müsste, wenn zum Gegenstand der Anschlussberufung noch Sachaufklärungsbedarf besteht. Das könnte zu Verzögerungen der Entscheidung führen, die auch im Hinblick auf das Gebot der Gewährung von Rechtsschutz in angemessener Zeit (Art 6 Europäische Menschenrechtskonvention) möglichst zu vermeiden sind.

28

Diese Erwägungen geben dem Senat Anlass, trotz der gewichtigen Einwände des Berufungsgerichts an der bisherigen Rechtsprechung des BSG zur Anschlussberufung festzuhalten und von einer andernfalls gebotenen Anrufung des Großen Senats nach § 41 Abs 2 SGG im Hinblick auf die Rechtsprechung anderer Senate zum Gegenstand der Anschlussberufung im sozialgerichtlichen Verfahren abzusehen.

29

2. Im Übrigen erweist sich die Revision des Klägers aber als unbegründet.

30

a. Das Berufungsgericht hat angenommen, § 14 Abs 1 iVm Abs 3 der seit dem Jahre 1994 geltenden und für die Verordnungen des Klägers im Jahre 1999 noch anwendbaren Prüfvereinbarung für den Bezirk der zu 1. beigeladenen KÄV Berlin gestatte die Festsetzung von Arzneikostenregressen, soweit der Vertragsarzt Arzneimittel verordnet hat, die in der vertragsärztlichen Versorgung nicht verordnungsfähig sind. Die Kenntnis des Vertragsarztes von der fehlenden Verordnungsfähigkeit oder generell ein Verschulden des Arztes sei insoweit nicht Voraussetzung für die Festsetzung eines Regresses. Soweit der Kläger § 14 der Prüfvereinbarung anders versteht und annimmt, diese Norm erfasse nur Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung bzw die Festsetzung eines verschuldensabhängigen "sonstigen Schadens" und nicht die Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel, ist dem im Revisionsverfahren nicht weiter nachzugehen. Die Prüfvereinbarung stellt Landesrecht iS des § 162 SGG dar, das das Revisionsgericht in der Auslegung des Berufungsgerichts seiner Entscheidung zugrunde zu legen hat. Von diesem Grundsatz sind in der Rechtsprechung des BSG zwei Ausnahmen anerkannt. Danach können landesrechtliche Normen vom Revisionsgericht eigenständig ausgelegt und angewandt werden, wenn es sich um Normen handelt, die inhaltsgleich in Bezirken verschiedener LSG gelten, soweit die Übereinstimmung im Interesse der Rechtsvereinheitlichung bewusst und gewollt ist (BSG vom 8.9.2009 - B 1 KR 8/09 R - RdNr 26, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt. Es ist weder geltend gemacht noch gerichtsbekannt, dass die Berliner Prüfvereinbarung aus dem Jahr 1994 inhaltsgleich in anderen KÄV-Bezirken gilt.

31

Landesrechtliche Normen sind weiterhin einer eigenständigen Auslegung und Anwendung des BSG zugänglich, wenn das LSG entscheidungserhebliche Vorschriften unberücksichtigt gelassen hat (BSGE 98, 89 = SozR 4-2500 § 85 Nr 31, jeweils RdNr 15). Hier hat jedoch das LSG die als Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides ersichtlich einschlägige Vorschrift des § 14 der Prüfvereinbarung zutreffend herangezogen und unter Anwendung der allgemein anerkannten juristischen Auslegungskriterien ausgelegt. Der Kläger rügt auch keinen Verstoß gegen diese Auslegungsgrundsätze oder die Denkgesetze, sondern setzt der Auslegung des Berufungsgerichts seine abweichende Auslegung entgegen. Das führt nicht dazu, dass entgegen der Vorgabe des § 162 SGG das Revisionsgericht zu einer eigenständigen Auslegung berufen wäre.

32

Soweit § 14 der Prüfvereinbarung in der Auslegung des LSG eine hinreichende Grundlage für die Festsetzung von Arzneikostenregressen wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel darstellt, steht die Vorschrift mit Bundesrecht in Einklang. Der Senat hat mehrfach entschieden, dass auf der Grundlage des § 106 Abs 2 SGB V in den Prüfvereinbarungen Rechtsgrundlagen für Arzneikostenregresse festgeschrieben werden dürfen, soweit Vertragsärzte Arznei- und Heilmittel verordnet haben, die nicht Gegenstand der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung sind(zB BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 52; vgl zuletzt BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 37/08 R - RdNr 17 ff mwN, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Das stellt der Kläger selbst nicht in Abrede.

33

b. Soweit der Kläger in formeller Hinsicht weiter rügt, der angefochtene Bescheid des Beklagten sei fehlerhaft, weil er in einer Sitzung gefasst worden sei, in der ein Vertreter der Krankenkassen den Vorsitz innegehabt habe, kann dem nicht gefolgt werden. Weder die Prüfvereinbarung im Bezirk der zu 1. beigeladenen KÄV noch Bundesrecht haben vorgeschrieben, dass in den Jahren, in denen Prüfungs- und Beschwerdeausschüsse alternierend von einem Vertreter der Krankenkassen und der Vertragsärzte geleitet worden sind, Entscheidungen des Prüfungsausschusses, die unter ärztlichem Vorsitz getroffen worden sind, vom Beschwerdeausschuss nur unter Vorsitz eines Vertreters der Krankenkassen und umgekehrt überprüft werden dürfen.

34

Nach § 106 Abs 4 Satz 3 SGB V idF des Gesundheitsstrukturgesetzes vom 21.12.1992 führte in den von Vertretern der Ärzte und der Krankenkassen in gleicher Zahl besetzten Prüfungs- und Beschwerdeausschüssen jährlich wechselnd ein Vertreter der Ärzte und der Krankenkassen den Vorsitz. Die Stimme des Vorsitzenden gab bei Stimmengleichheit den Ausschlag (aaO, Satz 4). Diese als defizitär bewertete Regelung war manipulationsanfällig (vgl näher BSGE 92, 283 = SozR 4-2500 § 106 Nr 5 auch zur Neuregelung im Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung)und ist deshalb zum 1.1.2004 ohne Übergangsregelung in der Weise geändert worden, dass die Gremien nunmehr von einem neutralen Vorsitzenden geleitet werden. Für die Zeit bis zum 31.12.2003 galten aber die früheren Regelungen über den im Jahresturnus wechselnden Vorsitz fort, und diesen lag die Auffassung der Revision von einem notwendigen Wechsel im Vorsitz zwischen den beiden Verwaltungsinstanzen nicht zugrunde.

35

Der Kläger verweist selbst auf früher geltende Prüfvereinbarungen im Bezirk der KÄV Bayerns und der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Berlin, in denen bestimmt war, den Vorsitz im Beschwerdeausschuss führe ein Vertreter der Ärzte (Zahnärzte), wenn in dem zu entscheidenden Fall ein Vertreter der Krankenkassen den Vorsitz im Prüfungsausschuss inne hatte und umgekehrt. Dass eine solche Regelung im Bezirk der Beigeladenen zu 1. gegolten habe, macht der Kläger nicht geltend. Seine Auffassung, auch ohne ausdrückliche Regelung in der maßgeblichen Prüfvereinbarung ergebe sich dieser Grundsatz unmittelbar als Folge des § 106 Abs 4 Satz 3 SGB V aF über den turnusmäßigen Wechsel im Vorsitz von Prüfungs- und Beschwerdeausschuss, trifft nicht zu. Die Annahme einer solchen bundesrechtlichen Vorgabe hätte das Prüfverfahren verkompliziert und wäre ohne nähere Regelungen in den Prüfvereinbarungen kaum umsetzbar gewesen. Die Beschwerdeausschüsse hätten Beschlüsse über Entscheidungen der Prüfungsausschüsse möglicherweise zurückstellen müssen, weil im jeweiligen Jahr die "richtige" Besetzung nicht verfügbar gewesen wäre; alternativ hätte immer ein Vorsitzender der "Bank", die im jeweiligen Jahr im Beschwerdeausschuss nicht den Vorsitzenden stellt, zur Verfügung stehen müssen, um über Entscheidungen des Prüfungsausschusses zu beraten, die unter anderem Vorsitz getroffen worden sind. Ob die damit verbundenen formellen Erschwerungen des Prüfungsverfahrens bundesrechtlich unbedenklich gewesen wären, bleibt offen (zu den Grenzen des Gestaltungsspielraums der Gesamtvertragspartner bei Ausgestaltung der Prüfvereinbarung vgl BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 53 S 290 f). Eine Verpflichtung der Prüfgremien, ohne explizite Regelung in der Prüfvereinbarung so zu verfahren, hat jedenfalls nicht bestanden.

36

c. Soweit der Kläger geltend macht, die Entscheidung durch den Beklagten am 12.12.2001 sei nur deshalb unter dem Vorsitz eines Krankenkassenvertreters gefallen, weil die Kassenvertreter die ursprünglich vorgesehene Sitzung am 24.9.2001 boykottiert hätten, führt das zu keiner anderen Beurteilung. Da ein Arzt keinen Anspruch darauf hat, dass über seine Angelegenheit immer unter dem Vorsitz eines Arztes im Beschwerdeausschuss entschieden wird, wenn der Prüfungsausschuss unter dem Vorsitz eines Krankenkassenvertreters entschieden hat, stellt die Vertagung einer Sitzung auch dann grundsätzlich keinen Rechtsverstoß dar, wenn diese zur Folge haben sollte, dass der Vorsitz in der tatsächlich entscheidenden Sitzung wechselt. Im Übrigen hat das Berufungsgericht nicht iS des § 163 SGG festgestellt, dass die Vertagung der Entscheidung vom 24.9.2001 allein darauf beruht hat, dass die Krankenkassenvertreter erreichen wollten, dass über die Angelegenheit des Klägers in der Besetzung des Beschwerdeausschusses mit einem Vorsitzenden aus ihren Reihen entschieden wird. Schließlich ist im Hinblick auf die Rügen des Klägers zur Zusammensetzung des Beklagten bei der Beschlussfassung darauf hinzuweisen, dass die Krankenkassen nach der Rechtsprechung des Senats gegen Entscheidungen der Prüfgremien, mit denen ua Anträge auf Festsetzung von Honorarkürzungen oder Arzneikostenregressen abgelehnt werden, Rechtsmittel ergreifen können (zB BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 1 und BSG MedR 2004, 577, jeweils zu unzureichenden Kürzungen vertragszahnärztlichen Honorars; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 24 zum Sprechstundenbedarfsregress). Da vorliegend Ermessens- und Beurteilungsspielräume allenfalls am Rande in Rede stehen, spricht wenig dafür, dass die zu 2. beigeladene Krankenkasse eine - unterstellt für den Kläger positive - Entscheidung des Beklagten unter anderem Vorsitz auf sich hätte beruhen lassen.

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d. Der Kläger durfte über "Polyglobin 5 %" in den streitbefangenen Quartalen keine vertragsärztliche Verordnung ausstellen. Er hat dieses Arzneimittel außerhalb der arzneimittelrechtlichen Zulassung verordnet.

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Die Zulassung von Polyglobin war nach den Feststellungen des LSG auf die Behandlung der idiopathischen thrombozytopenischen Purpura (Hautblutungen) beschränkt, und an dieser Erkrankung hat die Versicherte H. nicht gelitten. Ein Arzneimittel darf grundsätzlich nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung für einen Einsatz außerhalb der arzneimittelrechtlich zugelassenen Indikation verordnet werden. Das hat der 1. Senat des BSG mit Urteil vom 19.3.2002 (BSGE 89, 184 = SozR 3-2500 § 31 Nr 8) unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung entschieden und daran bis heute festgehalten (zB BSGE 93, 236 = SozR 4-2500 § 27 Nr 1). Der 6. Senat des BSG ist dem für die Festsetzung von Arzneikostenregressen gefolgt (vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 RdNr 19; vgl auch BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 37/08 R - RdNr 26, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).

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Der Kläger kann sich zur Rechtfertigung seiner Verordnungen von Polyglobin weder auf Vertrauensschutz noch auf einen der Annahmetatbestände stützen, unter denen Arzneimittel vertragsärztlich auch außerhalb der zugelassenen Indikation verordnet werden dürfen. Der Kläger ist der Auffassung, Vertragsärzte hätten in der Zeit zwischen dem Urteil des 1. Senats vom 5.7.1995 zur Drogensubstitution mit dem Codein-Präparat Remedacen (BSGE 76, 194 = SozR 3-2500 § 27 Nr 5) und dem Bekanntwerden des Urteils des 8. Senats vom 30.9.1999 zur SKAT-Therapie (BSGE 85, 36 = SozR 3-2500 § 27 Nr 11) generell darauf vertrauen dürfen, Arzneimittel im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung auch außerhalb der Zulassungsindikationen nach dem Arzneimittelrecht verordnen zu dürfen. Dem folgt der Senat in Übereinstimmung mit dem Berufungsgericht nicht.

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Es ist bereits fraglich, ob ein Vertragsarzt im Hinblick auf das zu der sehr speziellen Situation der Drogensubstitution ergangene Urteil des 1. Senats vom 5.7.1995 generell darauf vertrauen durfte, Arzneimittel auch außerhalb ihrer Zulassungsindikation verordnen zu dürfen. Allenfalls kommt ein Vertrauen darauf in Betracht, dass die Bindung der vertragsärztlichen Verordnung an die Zulassung des jeweiligen Fertigarzneimittels nach dem AMG in dem Sinne gelockert ist, dass in bestimmten Konstellationen eine die arzneimittelrechtliche Zulassung überschreitende Verordnung, die medizinisch sinnvoll oder sogar geboten ist, auch krankenversicherungsrechtlich zulässig sein kann. In diesem Sinne ist das Urteil des 8. Senats vom 30.9.1999 richtigerweise zu verstehen. Weitergehende Schlussfolgerungen aus diesem Urteil im Sinne eines uneingeschränkt erlaubten indikationsfremden Einsatzes von Fertigarzneimitteln liegen eher fern, zumal ein beliebiger, allein nach Gutdünken jedes einzelnen Arztes erfolgender, Einsatz eines Medikaments außerhalb der Zulassung nicht ernsthaft für sachgerecht gehalten werden kann .

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e. Im Übrigen sind schon kurz nach Veröffentlichung des Urteils des 1. Senats vom 5.7.1995 zur Drogensubstitution in der Rechtsprechung des BSG Zweifel an der allgemeinen Aussagekraft dieses Urteils über den entschiedenen Fall hinaus artikuliert worden. Schon drei Monate nach dem Urteil des 1. Senats hat der allein für das Vertragsarztrecht zuständige erkennende Senat Bedenken gegen die Zulässigkeit des Einsatzes von Remedacen zur Drogensubstitution geäußert und auf die Problematik der Beachtung der Richtlinien des (früheren) Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen im Zusammenhang mit sog Außenseitermethoden hingewiesen (Urteil vom 18.10.1995, SozR 3-5550 § 17 Nr 2 S 5). In der Sache sind sodann die Grundsätze des Urteils vom 5.7.1995 durch die neuere Rechtsprechung des 6. und des 1. Senats zur Rechtsqualität der Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen, zur Methodenanerkennung nach § 135 Abs 1 SGB V und zum Zusammenhang zwischen dieser Anerkennung und den Prinzipien der Arzneimitteltherapie deutlich modifiziert worden(Urteil des 6. Senats vom 20.3.1996, BSGE 78, 70 = SozR 3-2500 § 92 Nr 6 "Methadon"; Urteile des 1. Senats vom 16.9.1997, BSGE 81, 54 = SozR 3-2500 § 135 Nr 4, BSGE 81, 73 = SozR 3-2500 § 92 Nr 7). Spätestens nach Bekanntwerden dieser Urteile war deutlich, dass die ältere Rechtsprechung des BSG zu den (untergesetzlichen) Vorgaben des Leistungs- und Leistungserbringungsrechts in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht mehr uneingeschränkt fortgeführt werden würde. Kein Vertragsarzt musste die aufgezeigten Wendungen der Rechtsprechung kennen oder nachvollziehen. Wer aber - wie der Kläger - geltend macht, Verordnungen aus dem Jahre 1999 im Vertrauen auf eine zu einer Sonderkonstellation ergangene und vereinzelt gebliebene Rechtsprechung des BSG aus dem Jahre 1995 getätigt zu haben, muss sich entgegenhalten lassen, dass sich die Rechtsprechung weiterentwickelt hat. Jedenfalls im Jahr 1999 hat es für einen Vertragsarzt erkennbar keine hinreichende Sicherheit mehr gegeben, nach eigener Einschätzung Off-Label-Use-Verordnungen ausstellen zu dürfen, ohne Gefahr zu laufen, insoweit in Regress genommen zu werden.

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f. Zudem sind sowohl das Urteil des 1. Senats vom 5.7.1995, auf das sich der Kläger beruft, wie auch die folgenden Entscheidungen des 1. und des 8. Senats des BSG zu den Rechtsansprüchen von Versicherten gegen ihre Krankenkasse ergangen. Aus diesen Urteilen ergibt sich nicht unmittelbar, wie sich ein Vertragsarzt zu Arzneimittelverordnungen verhalten sollte, die erkennbar außerhalb der Zulassungsindikation des jeweiligen Arzneimittels erfolgten, von denen er aber annahm, sie könnten vom Patienten beansprucht werden. Dazu ist dem Urteil des erkennenden Senats vom 18.10.1995 (6 RKa 3/93) zur Drogensubstitution zu entnehmen, dass in solchen Fällen jedenfalls eine exakte Dokumentation und eine engmaschige Verlaufskontrolle der Behandlung geboten waren (SozR 3-5550 § 17 Nr 2 S 8; vgl auch BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 37/08 R - RdNr 39, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Damit ist es zB nicht vereinbar, auf laborchemische Untersuchungen zum Nachweis eines - vermeintlichen oder tatsächlich bestehenden - "Antikörpermangelsyndroms" zu verzichten, wenn die umstrittene Off-Label-Verordnung von Immunglobulinen gerade auf diese Diagnose reagiert.

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Ein Vertragsarzt, der Medikamente außerhalb ihrer zugelassenen Indikationen verordnet, kann weder sich noch der Krankenkasse Gewissheit darüber verschaffen, dass die Verordnung den Vorgaben des Wirtschaftlichkeitsgebotes genügt, also notwendig, zweckmäßig und wirtschaftlich ist. Bei Off-Label-Verordnungen hat nämlich gerade keine Prüfung von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des jeweiligen Arzneimittels stattgefunden, die seinen Einsatz (auch) im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung rechtfertigt. Eine solche Prüfung ist im AMG nur indikationsbezogen vorgeschrieben und durchführbar; die von der Zulassung nach dem AMG ausgehende Schutzwirkung und Qualitäts- wie Wirksamkeitserwartung greift bei einem Einsatz des Medikaments außerhalb der Zulassung gerade nicht ein (vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 RdNr 19; s auch BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 37/08 - RdNr 27 ff, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Soweit danach ein Vertragsarzt Verordnungen ohne gesicherten Nachweis von Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels ausstellt, muss zwingend nachträglich geprüft werden dürfen, ob die jeweilige Verordnung den Regeln des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung entspricht. Wenn der Vertragsarzt davon absieht, in Fällen eines Off-Label-Use die Krankenkasse vor Ausstellung der Verordnung einzuschalten, wie es der Senat in einem Beschluss vom 31.5.2006 dargestellt hat (B 6 KA 53/05 B, MedR 2007, 557, 560), muss er hinnehmen, dass die Einhaltung der Vorgaben der vertragsärztlichen Versorgung im Nachhinein geprüft wird.

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Der Beklagte hält dem Kläger - anders als dieser nahe legen will - keine schuldhafte Verletzung vertragsärztlicher Pflichten vor, die nunmehr sanktioniert wird. Der Beklagte hat lediglich die Position der zu 2. beigeladenen Krankenkasse bestätigt, dass sie objektiv zu Unrecht erhebliche Kosten für die Versorgung ihrer Versicherten H. mit einem Immunglobulin aufgewandt hat. Weil der Kläger der Beigeladenen zu 2. keine Gelegenheit gegeben hat, ihre Auffassung zur Rechtmäßigkeit des Einsatzes von Immunglobulinen bei der Versicherten H. vor Einlösung der Verordnungen darzulegen, muss es der Krankenkasse möglich sein, ihren Standpunkt nachträglich durchzusetzen, soweit er rechtlicher Prüfung standhält. Dazu sieht die Prüfvereinbarung im Einklang mit Bundesrecht das Verfahren der Regressfestsetzung vor. Soweit der Kläger geltend macht, nach dem im Jahr 1999 geltenden Recht habe er zu Gunsten der H. kein Privatrezept ausstellen dürfen, weil das gegen § 29 Abs 1 Satz 2 BMV-Ä verstoßen hätte, folgt der Senat dem nicht. Der Beschluss des Senats vom 31.5.2006 (MedR 2007, 557), der diesen Weg aufgezeigt hat, ist zu Off-Label-Use-Verordnungen aus dem Jahr 1997 ergangen. Auch 1997 und 1999 galt das Verbot, sich als Vertragsarzt vertragsärztliche Verordnungen einzeln genehmigen zu lassen; dieses Verbot hat sich - wie der Senat dargelegt hat - immer nur auf Verordnungen im Rahmen der Leistungspflicht der Krankenkassen bezogen. Wie die Rechtslage zu beurteilen wäre, wenn der Kläger im Sommer 1999 vergeblich bei der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2. angefragt und explizit um eine Entscheidung über das aus Sicht dieser Krankenkasse richtige Vorgehen gebeten hätte, kann offen bleiben. Der Kläger macht selbst nicht geltend, diesen Weg beschritten zu haben.

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g. Der vom Beklagten aufrecht erhaltene Regress gegen den Kläger ist schließlich nicht deshalb rechtswidrig, weil der Versicherten H. bei Ausstellung der umstrittenen Verordnungen nach den Grundsätzen des Beschlusses des BVerfG vom 6.12.2005 (BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5) gegen die Rechtsvorgängerin der zu 2. beigeladenen Krankenkasse ein Anspruch auf Versorgung mit Polyglobin 5 % zugestanden hätte. Nach den Feststellungen des LSG liegen die tatsächlichen Voraussetzungen eines solchen, auf §§ 27 und 31 SGB V iVm Art 2 Abs 1 GG und dem Sozialstaatsprinzip bzw Art 2 Abs 2 Satz 1 GG und der hieraus abzuleitenden Schutzpflicht gegründeten Anspruchs nicht vor. Diese Feststellungen des LSG sind für den Senat nach § 163 SGG bindend, weil der Kläger dazu keine zulässigen Revisionsrügen angebracht hat.

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Richtig ist allerdings der Ausgangspunkt der Revision: Wenn feststünde, dass H. nach den tatsächlichen Verhältnissen des Jahres 1999 einen Anspruch auf Versorgung mit Polyglobin als Sachleistung der Krankenkasse gehabt hätte, dürfte wegen der für diese Versorgung angefallenen Kosten kein Regress gegen den Kläger festgesetzt werden. Diese Konsequenz aus der Entscheidung des BVerfG hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 5.11.2008 zu Wobe Mugos (SozR 4-2500 § 106 Nr 21; ebenso BSG MedR 2010, 276) inzident angesprochen und hält daran fest. Der verschuldensunabhängige Schadensersatzanspruch der Krankenkasse gegen einen Vertragsarzt wegen unzulässiger Arzneimittelverordnungen beruht im Kern darauf, dass die Krankenkasse einen Ausgleich für die Bezahlung von Medikamenten erhält, die sie bei korrekten Verhalten des Arztes nicht hätte finanzieren müssen. Wenn sich nachträglich herausstellt, dass der Versicherte, zu dessen Gunsten der Vertragsarzt die umstrittenen Verordnungen ausgestellt hat, auf die Versorgung mit dem verordneten Arzneimittel einen Anspruch gegen seine Krankenkasse hatte, ist dieser durch die Bezahlung dieses Arzneimittels dem Grunde nach jedenfalls kein Schaden entstanden, den der Vertragsarzt nunmehr ersetzen müsste. Lässt sich allerdings nicht mit hinreichender Gewissheit feststellen, dass die Voraussetzungen für einen ausnahmsweise gerechtfertigten Off-Label-Use vorgelegen haben, geht das zu Lasten des Arztes. Er rückt, obwohl er sich nach der Ausrichtung des Verfahrens gegen einen Regress wendet, hinsichtlich der Verteilung von Darlegungs- und Beweislast in die Stellung ein, die der Versicherte gehabt hätte, wenn er seinen Standpunkt zur der Verordnungsfähigkeit eines Arzneimittels gegen die Krankenkasse nach § 13 Abs 3 SGB V im Wege der Geltendmachung eines Kostenerstattungsanspruchs durchsetzen müsste. Wer geltend machen will, der Versorgungsanspruch umfasse in einer bestimmten Konstellation auch die Versorgung mit zugelassenen Arzneimitteln außerhalb der Zulassungsindikationen, dringt damit nicht durch, wenn sich unter Ausschöpfung aller Möglichkeiten zur Sachaufklärung nicht feststellen lässt, dass die dafür insbesondere in der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG und inzwischen auch vom Gemeinsamen Bundesausschuss (§ 30 der Arzneimittel-Richtlinie iVm Anlage VI) formulierten Voraussetzungen vorgelegen haben. Das ist auch hier der Fall und geht zu Lasten des Klägers.

47

h. Das LSG ist in Übereinstimmung mit der Revision zutreffend davon ausgegangen, dass die Versicherte H. an einer lebensbedrohlichen Erkrankung (metastasierendes Karzinom der Eileiter) gelitten hat. Zu dessen kausaler Behandlung hätte bei Fehlen einer allgemein anerkannten, medizinischem Standard entsprechenden Behandlungsmethode nach der Rechtsprechung des BVerfG ein Arzneimittel auch außerhalb seiner Zulassungsindikation eingesetzt werden dürfen, wenn nach der vorhandenen Studienlage auf diese Weise die nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf positive Behandlungserfolge bestanden hätten (BVerfGE 115, 25, 49 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 RdNr 33). Das nimmt der Kläger selbst für die Verordnung von Polyglobin nicht an. Er geht vielmehr davon aus, dass die Versicherte H. an einem Antikörpermangel litt, der unbehandelt eine Fortführung der überlebensnotwendigen Chemotherapie ausgeschlossen hätte oder hat. Wenn die Rechtsprechung des BVerfG auf diese Konstellation Anwendung finden sollte, was der Senat entgegen der Auffassung des LSG nicht von vornherein für ausgeschlossen hält, müssen jedenfalls die Anforderungen an einen zulässigen Off-Label-Use entsprechend erfüllt sein. Es muss deshalb feststehen, dass der Patient neben der lebensbedrohlichen Erkrankung an einer weiteren Gesundheitsstörung leidet, die die Anwendung aller zur Behandlung des Hauptleidens in Betracht kommenden Behandlungsmöglichkeiten ausschließt. Weiterhin muss der Off-Label-Einsatz des anzuwendenden Arzneimittels mit gewisser Wahrscheinlichkeit die zweite Erkrankung so beeinflussen, dass eine Erfolg versprechende Behandlung des Hauptleidens wieder oder erstmals möglich wird. Schließlich darf es für die zweite Erkrankung keine anerkannten Behandlungsmöglichkeiten - zB mit entsprechend zugelassenen Arzneimitteln - geben. Diese Voraussetzungen sind hier jedenfalls nicht - wie es notwendig wäre, um der Klage zum Erfolg zu verhelfen - kumulativ erfüllt.

48

i. Erhebliche Zweifel bestehen bereits daran, ob das vom Kläger so bezeichnete "sekundäre Antikörpermangelsyndrom" eine eigenständige und hinreichende spezifische Erkrankung ist, die abgegrenzt vom Karzinomleiden behandelt werden kann und muss. Der Kläger hat dazu in den Tatsacheninstanzen nicht Präzises vorgetragen. Zudem steht nicht fest, dass die Patientin H. an einem Antikörpermangelsyndrom litt, das schulmedizinisch nicht behandelbar war. Die zur Abstützung dieser Diagnose und des Ausmaßes der Erkrankung möglichen laborchemischen Untersuchungen hat der Kläger nach den Feststellungen des LSG nicht durchgeführt oder veranlasst. Dazu mag er - wie die Revision geltend macht - berufsrechtlich nicht verpflichtet gewesen sein. Er hat damit aber im Hinblick auf den Off-Label-Use zur Unaufklärbarkeit des genauen Gesundheitszustandes der Versicherten H. in der zweiten Hälfte des Jahres 1999 beigetragen. Das geht zu seinen Lasten.

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j. Außerdem fehlt es an ausreichenden Feststellungen bzw Belegen für das vom Kläger geltend gemachte Dilemma, die lebensbedrohliche Ersterkrankung nur durch die Behandlung der Zweiterkrankung mit Polyglobin 5 % therapieren zu können. Der Kläger setzt schon die Anforderungen an den Nachweis einer eigenständigen Zweiterkrankung zu niedrig an. Die Versicherte H. litt nach den Ausführungen des Klägers an einer "Verminderung der Immunitätslage" als Folge sowohl des Karzinomleidens als auch der aggressiven Chemotherapien. Darauf habe sie mit wiederholten schweren bakteriellen und viralen Infektionen reagiert, die er - der Kläger - als "Zeichen eines sekundären Antikörpermangels" gedeutet habe. Für keine dieser "wiederholten" Infektionen hat der Kläger im Verwaltungsverfahren oder in den Vorinstanzen jedoch konkret und eingehend belegt, dass diesen durch anerkannte Behandlungsverfahren nicht hätten effektiv entgegengewirkt werden können. Spezifische Darlegungen dazu, die dann dem LSG ggf Anlass zu weiterer Sachaufklärung hätten geben können, waren vor allem deshalb unerlässlich, weil der Kläger selbst einen Zusammenhang zwischen dem Krebsleiden und der Chemotherapie mit der geschwächten Immunitätslage der H. herstellt. Da nicht alle Patienten, deren Abwehrsystem durch Krebs und Chemotherapie geschwächt sind, mit Immunglobulin behandelt werden bzw nach dem gebotenen Behandlungsstandard behandelt werden müssen oder im Jahr 1999 so behandelt wurden oder behandelt werden mussten, hätte der Kläger fallbezogen und detailliert darlegen müssen, inwieweit sich die gesundheitliche Lage der H. von derjenigen anderer chemotherapeutisch behandelter Krebspatienten unterschied, und auf der Basis welcher exakten Befunde er die Anwendung von Polyglobin 5 % für unerlässlich hielt. Das ist nicht geschehen und spricht dafür, dass sich der Kläger von der Gabe eines Immunglobulins ganz generell eine Stärkung der Abwehrlage der H. und damit mutmaßlich eine bessere Resistenz gegen Infektionen versprach. Das reicht für einen Off-Label-Use, dessen Zulässigkeit jedenfalls in Fällen der hier vorliegenden Art von dem Gesundheitszustand des konkreten Patienten abhängt, nicht aus.

50

k. Schließlich ist die positive Wirkung, die der Kläger dem Einsatz von Immunglobulin bei fortgeschrittener Krebserkrankung zuschreibt, nach den Feststellungen des LSG auch nicht hinreichend belegt.

51

Das LSG hat im Einzelnen dargestellt, dass die bis 1999 zum Einsatz von Immunglobulinen vorhandenen Studien und publizierten Forschungsergebnisse nicht darauf hindeuten, dass die Gesundheitsstörungen der Versicherten H. durch den Einsatz von Polyglobin erfolgreich behandelt werden konnten. Das LSG ist zutreffend von den in der Rechtsprechung des 1. Senats des BSG ermittelten Grundsätzen zum Anspruch der Versicherten auf Versorgung mit (in Deutschland oder der EU) nicht zugelassenen Arzneimitteln (dazu BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4) oder mit Arzneimitteln außerhalb zugelassener Indikationen (BSGE 89, 184 = SozR 3-2500 § 31 Nr 8) ausgegangen. Es hat näher ausgeführt, dass keine wissenschaftliche Arbeit vorliege oder vom Kläger benannt sei, in der der zulassungsüberschreitende Einsatz von Immunglobulinen zur Behandlung einer auf der Intoleranz von Chemotherapeutika beruhenden Erkrankung als medizinisch geboten bewertet wird. Einen Konsens der einschlägigen Fachkreise, dass Polyglobin ein sekundäres Antikörpersyndrom positiv beeinflussen könne, hat das LSG gerade nicht feststellen können. Soweit die Revision die vorhandenen medizinischen Unterlagen lediglich anders würdigt, vermag sie damit die Feststellungen iS des § 163 SGG nicht zu entkräften.

52

Soweit der Kläger die Sachaufklärung des LSG zu den Erfolgsaussichten der Behandlung mit Immunglobulinen für unzureichend hält, berücksichtigt er nicht hinreichend, dass sich der 1. Senat des BSG bereits mehrfach mit dem Anspruch der Versicherten auf Versorgung mit Immunglobulinen befasst hat. In den Urteilen vom 19.3.2002 (BSGE 89, 184 = SozR 3-2500 § 31 Nr 8), vom 27.3.2007 (B 1 KR 17/06 R) und vom 28.2.2008 (SozR 4-2500 § 13 Nr 16), die sämtlich die Versorgung mit Immunglobulinpräparaten - jeweils bezogen auf die Indikation Multiple Sklerose - zum Gegenstand hatten, wird der Stand der medizinischen Forschung zu dieser Wirkstoffgruppe für die streitbefangenen Jahre 1997 bis 2003 eingehend aufgearbeitet. Zwar können die Forschungsergebnisse zur Möglichkeit, durch die Gabe von Immunglobulinen die Multiple Sklerose günstig zu beeinflussen, nicht ohne Weiteres auf die hier zu beurteilende Situation der unterstützenden Behandlung bei Krebserkrankungen übertragen werden, doch sind die Wirkungen und die in Frage kommenden Indikationen für Immunglobulin bezogen auf den hier relevanten Zeitraum gut erforscht und die Forschungsergebnisse - soweit krankenversicherungsrechtlich von Bedeutung - in der Rechtsprechung des BSG umfassend rezipiert worden. Zudem sind die Urteile des 1. Senats des BSG vom 27.3.2007 und vom 28.2.2008 Gegenstand der verfassungsgerichtlichen Prüfung gewesen. Mit Kammerbeschlüssen vom 30.6.2008 (1 BvR 1665/07 zum BSG-Urteil B 1 KR 17/06 R) und vom 8.7.2009 (1 BvR 1531/09 zum BSG-Urteil B 1 KR 15/07 R) sind die Verfassungsbeschwerden der unterlegenen Kläger jeweils nicht zur Entscheidung angenommen worden. Beide Kammerbeschlüsse sind auf der Basis der grundlegenden Entscheidung des BVerfG vom 6.12.2005 ergangen und billigen insbesondere, dass die Rechtsprechung des BSG strenge Anforderungen an den Nachweis stellt, dass mit dem zulassungsüberschreitenden Einsatz des jeweils betroffenen Arzneimittels hinreichende Erfolgsaussichten verbunden sein müssen (BVerfG vom 30.6.2008 - 1 BvR 1665/07 - NJW 2008, 3556 f RdNr 9 bis 11). Es reicht danach als Grundlage für einen Off-Label-Use von Arzneimitteln in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht aus, dass positive Folgen einer solchen Behandlung nach dem Wirkungsmechanismus von Immunglobulinen nicht schlechthin ausgeschlossen werden können, dass Patienten in Einzelfällen nach Verabreichung der umstrittenen Medikamente eine Verbesserung ihres Befindens beschreiben und dass einzelne Ärzte oder Wissenschaftler mit plausiblen Gründen einen von der verbreiteten Auffassung abweichenden Standpunkt zu den Erfolgsaussichten einer Behandlung vertreten. Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe und im Hinblick auf die schon vorliegende Rechtsprechung des 1. Senats des BSG ist die Sachverhaltsermittlung des Berufungsgerichts ausreichend.

53

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs 1 iVm § 155 Abs 1 VwGO und berücksichtigt das teilweise Obsiegen und Unterliegen der Beteiligten. Die außergerichtlichen Kosten der zu 1. beigeladenen KÄV sind nach § 162 Abs 3 VwGO nicht erstattungsfähig, weil diese keine Anträge gestellt hat(vgl BSGE 96, 257 = SozR 4-1300 § 63 Nr 3, RdNr 16).

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozial-gerichts vom 6. Oktober 2009 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt auch die Kosten des Revisionsverfahrens, mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Tatbestand

1

Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Regressbescheides wegen der Verordnung von zwei Arzneimitteln für Krebskranke.

2

Der Kläger ist Facharzt für Innere Medizin (Arzt für Onkologie und für Pneumologie ), Chefarzt des onkologischen Schwerpunktes eines Krankenhauses mit einem Zentrum für Pneumologie und Thoraxchirurgie und zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung ermächtigt. Er verordnete in den Quartalen II/2001, IV/2002 und I bis III/2003 bei Patienten, die bei der zu 1. beigeladenen Krankenkasse (KK) versichert waren, die Arzneimittel Megestat und Dronabinol. Auf Antrag der Beigeladenen zu 1. setzte der Prüfungsausschuss gegen den Kläger einen Regress von ca 1960 Euro fest; die beklagte Prüfungseinrichtung wies den Widerspruch des Klägers zurück (Bescheide vom 23.9.2004 und vom 5.1.2006) : Megestat sei nach dem Arzneimittelgesetz (AMG) nur zur palliativen Behandlung fortgeschrittener Karzinome der Brust und der Gebärmutter zugelassen; die vom Kläger behandelten Patienten seien dagegen an Bronchialkrebs oder Karzinomen der Thoraxorgane erkrankt gewesen. Das Arzneimittel Dronabinol sei in Deutschland überhaupt nicht zugelassen.

3

Klage und Berufung des Klägers sind erfolglos geblieben (Urteil des SG vom 30.4.2008; Urteil des LSG vom 6.10.2009, Parallelurteil veröffentlicht in NZS 2010, 394, und in einer Kurzfassung in MedR 2010, 256). Im Urteil des LSG ist unter anderem ausgeführt, der Kläger habe die Arzneimittel Megestat und Dronabinol nicht zu Lasten der gesetzlichen KK verordnen dürfen. Megestat sei nur zur palliativen Behandlung fortgeschrittener Karzinome der Brust und der Gebärmutter zugelassen. Die vom Kläger vorgenommenen Verordnungen bei anderen Tumorerkrankungen zur Behebung der Kachexie (Appetitlosigkeit mit der Folge körperlicher Auszehrung) stellten keinen zulässigen Off-Label-Use dar. Ausreichende wissenschaftlich nachprüfbare Studien, die die Eignung und Unbedenklichkeit der Arzneimittel auch im Falle anderer Krebsarten, insbesondere bei Bronchialkrebs, belegen könnten, ergäben sich aus den vorliegenden und den vom Kläger angeführten Stellungnahmen nicht. Es fehle auch an der erforderlichen Gewichtung und Abwägung der Risiken thromboembolischer und vaskulärer Komplikationen. Das vom Kläger verordnete Dronabinol sei in Deutschland überhaupt nicht zugelassen, es sei hier nur als Rezepturarzneimittel verkehrsfähig. So unterliege es nicht dem Zulassungsverfahren nach dem AMG; aber die damit durchgeführte pharmakologische Therapie erfordere eine empfehlende Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) gemäß § 135 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V oder, da eine solche nicht vorliege, sonstiger ausreichender Belege ihrer Eignung und Unbedenklichkeit. Solche Belege lägen aber für die bei den Patienten des Klägers in Rede stehenden Krebserkrankungen nicht vor; auch hier fehle es an der erforderlichen Gewichtung und Abwägung der genannten Risiken. Die Zulässigkeit der Verordnungen von Megestat und/oder Dronabinol ergebe sich auch nicht unter Berücksichtigung der abgeschwächten Anforderungen des BVerfG-Beschlusses vom 6.12.2005. Denn die vom Kläger vorgenommenen Verordnungen dieser Arzneimittel seien nicht darauf angelegt, auf die lebensbedrohliche (Krebs-)Erkrankung selbst einzuwirken, sondern hätten sich allein gegen die im Endstadium dieser Erkrankung auftretende Kachexie gerichtet. Der Gesichtspunkt, dass dies die Lebensqualität des Erkrankten in seiner Endphase insgesamt deutlich verbessert habe, reiche nicht aus.

4

Mit seiner Revision erhebt der Kläger sowohl inhaltliche als auch verfahrensbezogene Rügen. Das LSG habe verkannt, dass ausreichende Belege für die Eignung und Unbedenklichkeit der von ihm - dem Kläger- vorgenommenen Behandlungen vorgelegen hätten. Als Beleg dürften außerhalb des AMG-Zulassungsverfahrens keine sog Phase III-Studien gefordert werden, vielmehr reiche der Konsens in einschlägigen Fachkreisen über den voraussichtlichen Nutzen aus. Dieser Konsens werde durch die im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren vorgelegten Veröffentlichungen und Stellungnahmen, insbesondere auch die zusammenfassenden Metaanalysen, belegt. Das LSG habe die vorgelegten umfangreichen Studien nicht angemessen ausgewertet. Wenn das LSG diese nicht als ausreichend angesehen habe, hätte es ein Sachverständigengutachten einholen müssen; hierzu hätte es sich angesichts der Mängel des Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) gedrängt fühlen müssen. Bei verfahrensfehlerfreiem Vorgehen des LSG hätte sich ergeben, dass schon im Zeitpunkt der von ihm - dem Kläger - durchgeführten Behandlungen ausreichende Belege für die Eignung und Unbedenklichkeit vorgelegen hätten und ein Konsens in Fachkreisen bestanden habe. Die Rechtswidrigkeit des Regresses ergebe sich ferner daraus, dass ein Anspruch der Versicherten auf die durchgeführten Behandlungen aufgrund der Entscheidung des BVerfG vom 6.12.2005 (BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5) bestanden habe. Außer einer - auch vom LSG anerkannten - lebensbedrohlichen Erkrankung und dem Fehlen einer Therapiealternative habe auch eine Aussicht auf spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bestanden. Zwar seien die Behandlungen mit Megestat und Dronabinol nicht auf die Heilung des Tumors als solchen angelegt gewesen, aber sie seien gegen die mit diesem Grundleiden einhergehende - nicht eigenständige - (Begleit-)Erkrankung der (Tumor-)Kachexie gerichtet gewesen und durch die Bekämpfung der damit einhergehenden weiteren Krankheitsauswirkungen wie starke Abmagerung, allgemeiner Kräfteverfall, Appetitlosigkeit und Apathie geeignet gewesen, eine Gewichtszunahme, eine Stärkung des Organismus und eine Förderung des psychischen Wohlbefindens und des Lebenswillens zu bewirken und damit zu einer Verlängerung der lebenswerten Lebenszeit und auch zu einer - manchmal sogar signifikanten - Verlängerung des Lebens insgesamt zu führen. Die Annahme des LSG, er - der Kläger - habe die Verlängerung der Lebensdauer nicht als Behandlungsziel angegeben, sei unrichtig; wenn das LSG sein Vorbringen derart eingeschränkt gesehen habe, hätte es ihn zumindest darauf hinweisen müssen. Die Auffassung, die Anwendungen von Megestat und Dronabinol seien ausschließlich auf die Verbesserung der Lebensqualität und nicht auf die Verlängerung der Lebensdauer gerichtet gewesen, verletze die Grenzen der freien Beweiswürdigung; sie sei auch weder als Erfahrungssatz noch medizinisch begründbar. Aber selbst wenn man die Lebensverlängerung außer Betracht lasse, sei nach den Vorgaben des BVerfG eine Leistungspflicht anzuerkennen. Der Entscheidung vom 6.12.2005 sei nicht zu entnehmen, dass sich die spürbare positive Auswirkung auf die lebensbedrohliche Krankheit selbst beziehen müsse. Der vorliegende Fall der Linderung von Krankheitsbeschwerden einer lebensbedrohlichen Erkrankung werde von den Grundsätzen des Beschlusses des BVerfG mitumfasst. Nicht tragfähig sei schließlich das Argument des LSG, durch Akzeptieren der Behandlung mit Megestat und/oder Dronabinol würde das Erfordernis der Arzneimittelzulassung und das Arzneimittelzulassungsverfahren entwertet. Bei schwerwiegenden Krebserkrankungen falle nach dem Grundsatz "je schwerwiegender die Erkrankung und hoffnungsloser die Situation, desto geringere Anforderungen", die Nutzen-Risiko-Analyse eindeutig positiv aus. Dabei sei eine den Regeln der ärztlichen Kunst entsprechende Behandlung durch den Kläger als langjährigem Chefarzt des onkologischen Schwerpunktes an dem einer Universität angeschlossenen Lehrkrankenhaus evident gewährleistet.

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Der Kläger beantragt,
das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 6. Oktober 2009, das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 30. April 2008 sowie den Bescheid der Beklagten vom 5. Januar 2006 aufzuheben,
hilfsweise,
das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 6. Oktober 2009 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen.

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Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

7

Sie verteidigt das Urteil des LSG. Das LSG habe zu Recht verneint, dass die Eignung und Unbedenklichkeit der vom Kläger durchgeführten Behandlungen mit Megestat und/oder Dronabinol hinreichend belegt seien. Die Studien belegten auch keinen Konsens über eine Verbesserung der Lebensqualität durch solche Behandlungen, zumal nicht für den Zeitpunkt der durchgeführten Behandlung. Jedenfalls sei deren Einsatz nicht darauf ausgerichtet gewesen, auf die lebensbedrohliche Tumorerkrankung selbst einzuwirken. Zudem würden unkalkulierbare Risiken in Kauf genommen, sodass ein Heilversuch vorliege, der gesonderten Regelungen und Voraussetzungen unterliege. Es reiche nicht aus, dass der Kläger für seine Patienten angebe, diese hätten von der Arzneigabe kurzfristig profitiert. Auch hätte er die Entwicklung bei seinen Patienten umfassend dokumentieren müssen.

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Die Beigeladenen geben im Revisionsverfahren keine Stellungnahme ab.

Entscheidungsgründe

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Die Revision des Klägers ist sowohl mit dem Haupt- als auch mit dem Hilfsantrag unbegründet. Das angefochtene Urteil des LSG lässt keine Verletzung von Bundesrecht erkennen. Der angefochtene Arzneikostenregress ist nicht zu beanstanden.

10

A. Rechtsgrundlage des angefochtenen Arzneikostenregresses ist § 106 Abs 2 SGB V(hier zugrunde zu legen idF des GKV-Gesundheitsreformgesetzes 2000 vom 22.12.1999, BGBl I 2626, die auch in den weiteren Jahren 2001 bis 2003 galt; zur Maßgeblichkeit des § 106 Abs 2 SGB V für Verordnungsregresse in Fallkonstellationen der vorliegenden Art vgl zuletzt BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 17; BSG vom 5.5.2010 - B 6 KA 5/09 R - RdNr 14 iVm 21 ff mwN - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen; BSG vom 18.8.2010 - B 6 KA 14/09 R - RdNr 16 iVm 25 f mwN - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen) . Danach wird die Wirtschaftlichkeit der Versorgung unter anderem durch arztbezogene Prüfungen ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen, entweder nach Durchschnittswerten oder anhand von Richtgrößenvolumina (§ 106 Abs 2 Satz 1 Nr 1) und/oder auf der Grundlage von Stichproben (aaO Satz 1 Nr 2) , geprüft. Über diese Prüfungsarten hinaus können die Landesverbände der KKn mit den Kassenärztlichen Vereinigungen (KÄVen) gemäß § 106 Abs 2 Satz 4 SGB V andere arztbezogene Prüfungsarten vereinbaren(vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 17 RdNr 12 f mwN; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 RdNr 14; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 17; BSG vom 18.8.2010 - B 6 KA 14/09 R - RdNr 16) . Diese Prüfvereinbarungen ermächtigen regelmäßig auch zu Einzelfallprüfungen. Einzelfallprüfungen sind insbesondere dann sachgerecht - und die Wahl dieser Prüfmethode rechtmäßig -, wenn das individuelle Vorgehen eines Arztes in bestimmten einzelnen Behandlungsfällen hinsichtlich des Behandlungs- oder Verordnungsumfangs am Maßstab des Wirtschaftlichkeitsgebots überprüft werden soll (s BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 RdNr 14; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 17; BSG vom 5.5.2010 aaO RdNr 14) .

11

Wie sich aus den Urteilen des Senats vom 5.5.2010 und vom 18.8.2010 ergibt, handelt es sich bei den vorliegenden Streitigkeiten über die vertragsarztrechtliche Zulässigkeit von Arzneiverordnungen um einen Fall des § 106 SGB V und nicht um einen Regress "wegen sonstigen Schadens" im Sinne des § 48 Bundesmantelvertrag-Ärzte(BSG vom 5.5.2010 - B 6 KA 5/09 R - RdNr 20 bis 26, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen, und BSG vom 18.8.2010 - B 6 KA 14/09 R - RdNr 25 f, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen) . Denn vorliegend steht ein Fehler der Verordnung selbst in Frage, wie dies bei Verstößen gegen die Arzneimittel-Richtlinie bzw bei Verordnungen nicht verordnungsfähiger Arzneimittel und auch bei Verordnungen außerhalb der nach dem AMG erteilten Zulassung der Fall ist (vgl BSG vom 18.8.2010 aaO RdNr 25 am Ende) .

12

B. Der Regressbescheid war rechtmäßig. Die Voraussetzungen für einen Regress im Wege der Einzelfallprüfung gemäß § 106 SGB V waren erfüllt. Der Kläger durfte die Arzneimittel Megestat und Dronabinol nicht zur Behandlung der Kachexie (Appetitlosigkeit mit der Folge körperlicher Auszehrung) bei Bronchialkarzinomen und Tumoren der Thoraxorgane verordnen.

13

Dies folgt für Megestat daraus, dass dessen Zulassung nach dem AMG nur für die Anwendung bei der Kachexie im Falle von Brust- und Gebärmutterkrebs erfolgt war, sodass die Verordnung von Megestat bei anderen Krebsarten einen Off-Label-Use darstellte. Dessen Voraussetzungen waren nicht erfüllt, insbesondere waren die Eignung und Unbedenklichkeit des Einsatzes dieses Arzneimittels nicht ausreichend belegt (unten 1.). Für Dronabinol ergibt sich die Unzulässigkeit der Verordnungen des Klägers daraus, dass es in Deutschland nicht zugelassen, hier vielmehr nur als Rezepturarzneimittel verkehrsfähig war, ohne dass aber der G-BA für eine pharmakologische Therapie unter Einsatz dieses Medikaments eine empfehlende Richtlinie gemäß § 135 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V erlassen hat. Es lagen auch keine sonstigen ausreichenden Belege seiner Eignung und Unbedenklichkeit vor (unten 2.). Schließlich können die Verordnungen von Megestat und Dronabil auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Behandlung einer lebensbedrohlichen Erkrankung und den dafür vom BVerfG herausgestellten abgeschwächten Anforderungen gerechtfertigt werden (unten 3.).

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1. Die Verordnungsfähigkeit eines Fertigarzneimittels wie Megestat ist in erster Linie danach zu beurteilen, mit welchen Maßgaben es im Arzneimittelzulassungsverfahren nach dem AMG zugelassen wurde. In diesem Verfahren werden Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit anhand vom Arzneimittelhersteller vorzulegender Studien überprüft (vgl §§ 21, 22, 24, 25 Abs 5 Satz 1 AMG) . Die Zulassung des Arzneimittels erfolgt nicht unbegrenzt, sondern nur nach Maßgabe der anhand der Studien ausgewiesenen und überprüften Anwendungsgebiete (vgl § 22 Abs 1 Nr 6 AMG und dazu BSGE 89, 184, 186 f = SozR 3-2500 § 31 Nr 8 S 30 f). So erfolgte die Zulassung von Megestat, wie im Urteil des LSG festgestellt worden ist, für die palliative Behandlung bei Brust- und Gebärmutterkrebs und hier für den Einsatz gegen die bei solchen Krebsbehandlungen auftretende Kachexie.

15

Der Kläger setzte Megestat indessen nicht in diesem Anwendungsgebiet ein. Zwar waren die Verordnungen des Klägers auch gegen die bei Krebsbehandlungen auftretende Kachexie gerichtet, aber nicht im Zusammenhang mit Brust- und Gebärmutterkrebs von Frauen. Er verordnete Megestat vielmehr gegen die Kachexie insbesondere bei fortgeschrittenen Bronchialkarzinomen und Tumoren der Thoraxorgane. Mithin lag ein Off-Label-Use vor.

16

Ein Off-Label-Use ist nur unter engen Voraussetzungen zulässig. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass nicht das Verfahren nach dem AMG durchlaufen wurde, das mit der Überprüfung der Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit auf die Gewährleistung von Arzneimittelsicherheit angelegt ist. Wie vom 1. Senat des BSG in langjähriger Rechtsprechung wiederholt herausgestellt und vom 6. Senat weitergeführt worden ist, müssen für einen zulässigen Off-Label-Use - zum einen - eine schwerwiegende Erkrankung vorliegen (dh eine die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung), und es darf - zum anderen - keine andere - zugelassene - Therapie verfügbar sein, und - zum dritten - aufgrund der Datenlage muss die begründete Aussicht bestehen, dass mit dem betroffenen Arzneimittel ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann (so zB BSG vom 28.2.2008, SozR 4-2500 § 13 Nr 16 RdNr 21, 23, 26 mit Hinweis auf die stRspr; vgl auch Senatsurteile vom 5.5.2010, zB - B 6 KA 6/09 R - SozR 4-2500 § 106 Nr 27 RdNr 51 f und - B 6 KA 20/09 R - in RdNr 46 f sowie - B 6 KA 24/09 R - in RdNr 18 ff). Abzustellen ist dabei auf die im Zeitpunkt der Behandlung vorliegenden Erkenntnisse (BSG vom 28.2.2008 aaO RdNr 21). Das Erfordernis der Aussicht auf einen Behandlungserfolg umfasst dabei nicht nur die Qualität und Wirksamkeit eines Arzneimittels, sondern schließt auch ein, dass mit der Medikation keine unvertretbaren Nebenwirkungen und Risiken verbunden sein dürfen. Gerade die Notwendigkeit der Analyse und Gewichtung eventueller unzuträglicher Nebenwirkungen ist ein zentrales Element des Überprüfungsstandards, auf den die Neugestaltung des AMG vom 24.8.1976 ausgerichtet ist, deren Konzeption ihren Ursprung in den Erfahrungen der 1960er Jahre mit den nicht ausreichend analysierten Nebenwirkungen von Contergan hat (vgl hierzu BR-Drucks 552/74 S 43 und BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 RdNr 21) . Soll die Verordnung eines Arzneimittels ausnahmsweise ohne derartige Gewähr der Arzneimittelsicherheit in Betracht kommen, so müssen für diesen Off-Label-Use anderweitig Qualitätsstandards, die dem Einsatz im Rahmen der Zulassungsindikation vergleichbar sind, gewährleistet und hinreichend belegt sein. Dabei muss auch gesichert sein, dass von der Off-Label-Medikation keine unzuträglichen Nebenwirkungen ausgehen; die Patienten sollen vor unkalkulierbaren Risiken geschützt werden (vgl BSGE 104, 160 = SozR 4-2500 § 13 Nr 22 RdNr 18 mwN; s auch zB BSGE 97, 112 = SozR 4-2500 § 31 Nr 5, RdNr 18; BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 16 RdNr 33).

17

Wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, sind nicht alle für einen Off-Label-Use bestehenden Regelvoraussetzungen erfüllt. Das LSG hat, ohne dass seine Ausführungen insoweit revisionsgerichtlich zu beanstanden wären (zu den vom Kläger dagegen erhobenen Verfahrensrügen siehe unten D.) , ausgeführt, dass es sich zwar bei fortgeschrittenen Bronchialkarzinomen und Tumoren der Thoraxorgane um schwerwiegende Erkrankungen handelt. Das LSG hat auch die weitere Voraussetzung, dass keine andere zugelassene Therapie zur Verfügung gestanden hat, tendenziell bejaht: Es hat dargelegt, die Ansicht der Beklagten sei unzutreffend, die Patienten könnten auf die Gabe hochkalorischer Kost verwiesen werden; denn dies stelle keine gleichwertige Alternative dar. Damit würde zwar die tumorinduzierte Kachexie behandelt, aber nicht - wie mit Megestat - erreicht, dass der Patient wieder mit Appetit natürliche Nahrung zu sich nehme. Ferner hat das LSG ins Feld geführt, dass die Gabe hochkalorischer Kost nicht selten zu Verdauungsproblemen führe (Diarrhoe). Das LSG hat über das Vorliegen dieser Voraussetzung (Fehlen einer anderen zugelassenen Therapie) allerdings nicht abschließend entschieden, dies vielmehr offengelassen, weil es jedenfalls an der dritten Voraussetzung fehle, nämlich an ausreichenden Belegen für eine begründete Aussicht auf einen Behandlungserfolg: Das LSG hat hierzu ausgeführt, dass diese dritte Voraussetzung nur dann erfüllt wäre, wenn im Behandlungszeitpunkt entweder bereits eine klinische Prüfung mit Phase III-Studien veröffentlicht und ein entsprechender Zulassungsantrag gestellt worden wäre oder wenn sonstwie zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen vorgelegen hätten, aufgrund derer sich in den einschlägigen Fachkreisen ein Konsens über den voraussichtlichen Nutzen der angewendeten Methode gebildet hätte. Das LSG hat die dritte Voraussetzung für einen zulässigen Off-Label-Use in unbedenklicher Weise als nicht erfüllt angesehen.

18

Im Einzelnen hat das LSG - unter anderem unter Bezugnahme auf das Gutachten des MDK vom 17.4.2003, das im Widerspruchsverfahren von der Beklagten eingeholt worden war - Folgendes ausgeführt: Bis 2003 gab es keine Phase III-Studien zum Einsatz von Megestat zur Bekämpfung der Kachexie bei anderen Krebsarten als Brust- und Gebärmutterkrebs. Die Studie, an der auch der Kläger selbst beteiligt war, betraf nur 33 Patienten; zudem wurde darin konzediert, dass noch eine Reihe von Fragen offen geblieben war und noch eine Placebo-kontrollierte Doppelblindstudie erforderlich sei. Andere Studien kamen zwar zum Ergebnis einer Verbesserung der Kachexie, aber vielfach mit der Einschränkung, dass dies nicht mit einer Verbesserung der Lebensqualität einhergehe. Es wurden auch erhebliche Nebenwirkungen beschrieben wie Übelkeit/Erbrechen, Diarrhoe, Sodbrennen, Muskelkrämpfe, Müdigkeit, Kopfschmerzen und, wie das LSG weiterhin hervorgehoben hat, auch Thrombose und Embolie, womit tödliche Komplikationen und Lebensverkürzungen verbunden sein könnten.

19

Das LSG hat weiter rechtsfehlerfrei aufgezeigt, dass sich nichts anderes aus der Zusammenfassung (dem sog abstract) einer Metaanalyse von Berenstein und Ortiz aus dem Jahr 2005 ergibt. Abgesehen davon, dass diese schon nicht ohne Weiteres für den früher gelegenen Verordnungs- und Regresszeitraum (bis 2003) maßgeblich sein kann, ergibt sie, dass auch im Jahr 2005 noch keine ausreichenden Belege für eine begründete Aussicht auf einen Behandlungserfolg mit Megestat bei Bronchialkarzinom vorlagen. Auch sie erfüllten nicht die Voraussetzungen einer Phase III-Studie an einem größeren Patientenkollektiv. Zwar bezogen sie auch andere Studien - und damit insgesamt 4000 Patienten ein -, die aber teilweise andere Erkrankungen als Krebs betrafen; zudem bestätigten sie zwar, dass Megestat den Appetit verbessere und zur Gewichtszunahme führe, ergaben aber nicht den Schluss auf eine Verbesserung der Lebensqualität. Auch die Zusammenfassung (das sog abstract) einer Metaanalyse von Lesniak/Bala/Jaeschke/Krzakowski aus dem Jahr 2008 ergab, wie im Urteil des LSG festgestellt, keine vorteilhaften Auswirkungen der Behandlung mit Megestat auf die gesamte Lebensqualität. Für eine valide Beurteilung wurde eine neue Studie für erforderlich gehalten.

20

Gegen die Eignung und Unbedenklichkeit von Megestat für die Behandlung von Kachexie in Fällen von Bronchialkarzinomen und Karzinomen der Thoraxorgane spricht auch die aktualisierte Fachinformation mit Stand vom Januar 2009: In ihr sind, wie das LSG dargestellt hat, als Indikation nur die palliative Behandlung von Mammakarzinomen und Endometriumkarzinomen (Innenhaut der Gebärmutter) genannt, und die Anwendung von Megestat zur Behandlung anderer neoplastischer Erkrankungen wird ausdrücklich nicht empfohlen.

21

Demnach fehlte es bei den vom Kläger vorgenommenen Verordnungen von Megestat an einer begründeten Aussicht auf einen Behandlungserfolg. Wie dargelegt, erfordert dies ausreichende Belege für die Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit (oben RdNr 16) . Dies haben die im Verfahren eingeholten und die vom Kläger vorgelegten Stellungnahmen nicht ausreichend belegt. Wie das LSG ausgeführt hat, war der Kläger an einer der Studien zu Megestat sogar selbst beteiligt und diese ergab zusammengefasst, dass noch eine Reihe von Fragen offen war, sodass noch weiterer Überprüfungsbedarf gesehen wurde. Mithin war unter eigener Beteiligung des Klägers klargestellt, dass die Überprüfungen noch nicht zu einem abschließenden positiven Ergebnis gelangt waren, die Erprobungsphase vielmehr noch nicht als abgeschlossen betrachtet werden konnte. Dabei ist auch von Bedeutung, dass die zahlreichen Studien keine Abwägung mit eventuell zu befürchtenden Nebenwirkungen im Falle anderer Krebsarten als Brust- und Gebärmutterkrebs enthielten, solche aber im Zusammenhang mit dem Einsatz von Megestat in vielfältiger und schwerwiegender Gestalt diskutiert wurden, bis hin zu lebensgefährdenden Komplikationen wie Thrombose und Embolie (zur Ausrichtung des AMG auf Arzneimittelsicherheit vgl oben RdNr 16) .

22

Demgegenüber greift keine der vom Kläger erhobenen Einwendungen durch. Weder die von ihm gegen die Verfahrensweise des LSG vorgebrachten Rügen (hierzu im Einzelnen s unten D.) noch seine Einwände gegen die vom LSG zugrunde gelegten inhaltlichen Maßstäbe haben Erfolg. Der Senat folgt schon nicht seiner Ansicht, die vom LSG gestellten Anforderungen an die Qualität der wissenschaftlichen Erkenntnisse für einen zulässigen Off-Label-Use seien überzogen. Der Kläger meint, es werde mehr gefordert, als an wissenschaftlichen Erkenntnissen überhaupt möglich und ethisch vertretbar sei. Für Krankheitsfälle der hier vorliegenden Art lasse sich kein Patientenkollektiv finden, das für eine Phase III-Studie ausreichend groß sei, das weiterhin einheitlich vorbehandelt werde und bei dem die Parameter zur Lebensqualität und Toxizität standardisiert erfasst werden könnten. Es müsse ausreichen, dass in den einschlägigen Fachkreisen aufgrund einer Vielzahl der veröffentlichten Erkenntnisse mit positiven Ergebnissen zur Appetitsteigerung und Gewichtszunahme sowie zum Allgemeinbefinden ein Konsens über den Nutzen einer Verabreichung von Megestat bestanden habe, wogegen etwaige Nachteile durch Nebenwirkungen und Risiken nicht ins Gewicht fallen könnten und zu vernachlässigen seien. Abgesehen davon, dass nach den Feststellungen des LSG für den Off-Label-Use von Megestat keine Phase III-Studien vorliegen, konnten auch den anderen - weniger validen - Studien keine ausreichenden Belege für die Eignung und Unbedenklichkeit des Einsatzes von Megestat entnommen werden. Insbesondere ergab die Studie, an der der Kläger selbst teilnahm, dass - wie schon erwähnt - die Erprobungsphase noch nicht als abgeschlossen angesehen werden konnte. Das LSG hat auch keinen Konsens über die Eignung und Unbedenklichkeit der Anwendung von Megestat feststellen können, es hat vielmehr formuliert, dass für das Vorliegen eines Konsenses keine Anhaltspunkte vorlagen. Dieser Feststellung hat der Kläger mit seinem Einwand, schon im Zeitpunkt seiner Medikation habe in den Fachkreisen Konsens über Qualität und Wirksamkeit von Megestat bei Tumor-Kachexie bestanden, lediglich seine gegenteilige Ansicht entgegengesetzt. Den vom LSG getroffenen Tatsachenfeststellungen, die vom Revisionsgericht grundsätzlich als verbindlich zugrunde zu legen sind (§ 163 SGG) , lediglich die Behauptung anderer Tatsachen entgegenzusetzen, reicht revisionsrechtlich nicht aus (vgl BSGE 89, 250, 252 = SozR 3-4100 § 119 Nr 24 S 123 mwN; BSG vom 1.7.2010 - B 11 AL 1/09 R - RdNr 25, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen) .

23

Die "Regel"voraussetzungen eines zulässigen Off-Label-Use bei den vom Kläger vorgenommenen Verordnungen von Megestat sind damit nicht erfüllt. Aber auch die vom BVerfG herausgestellten Anforderungen greifen nicht ein, wie noch unter 3. darzulegen ist.

24

2. Für Dronabinol gilt im Ergebnis nichts anderes. Dronabinol ist allerdings anders als Megestat kein Fertigarzneimittel, für das eine Zulassung nach dem AMG erforderlich ist, sodass dementsprechend auch nicht die Maßstäbe des Off-Label-Use anwendbar sind. Dronabinol ist ein sog Rezepturarzneimittel und als solches nach dem AMG aufgrund der erteilten Herstellungserlaubnis (§ 13 AMG) auch verkehrsfähig, ohne dass eine Überprüfung seiner Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit nach dem AMG stattfinden musste oder stattgefunden hat (vgl §§ 13 bis 15 iVm § 43 Abs 2 Halbsatz 2 iVm § 47 AMG; s dazu BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 30) . Mit der Verkehrsfähigkeit sind Rezepturarzneimittel zugleich auch verordnungsfähig, es sei denn, nach anderen Regelungen ist ein Anerkennungsverfahren erforderlich. Dies ist gemäß § 135 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V der Fall, wenn der Einsatz des Arzneimittels Gegenstand einer neuen Arzneitherapie im Sinne dieser Regelung ist, für die dann entsprechend den Vorgaben dieser Vorschrift eine empfehlende Richtlinie erforderlich ist(zu diesen Zusammenhängen s ausführlich BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 26 ff; - zur Anwendung des § 135 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V auch auf Behandlungen unter Anwendung von Hilfsmitteln: BSG - 3. Senat - vom 12.8.2009, BSGE 104, 95 = SozR 4-2500 § 139 Nr 4, RdNr 17 ff) .

25

Dementsprechend bedurfte es für den Einsatz von Dronabinol grundsätzlich einer anerkennenden Richtlinie gemäß § 135 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V. Denn es handelte sich um eine neue Arzneitherapie. Die Einordnung als Arzneitherapie ergibt sich aus dem Urteil des 1. Senats vom 27.3.2007 (USK 2007- 36 ); auf die dortigen Ausführungen wird verwiesen, in denen der 1. Senat sich mit Behandlungen mit cannabinolhaltigen Arzneimitteln befasst hat und diese als eine auf einem bestimmten theoretisch-wissenschaftlichen Konzept fußende Vorgehensweise der Krankenbehandlung qualifiziert hat (vgl BSG USK aaO S 236 f; zur "Methode" iS des § 135 Abs 1 SGB V vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 31 mwN).

26

Eine unter Einsatz von Dronabinol durchgeführte Arzneitherapie ist auch "neu" iS des § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V. Neu ist eine Behandlungsmethode zunächst dann, wenn sie erst nach Inkrafttreten des § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V - also erst in der Zeit seit dem 1.1.1989 - als kassen- bzw vertragsärztliche Behandlungsmethode praktiziert worden ist. Neu ist auch eine Behandlungsmethode, für die eine entsprechende Leistungsposition im Einheitlichen Bewertungsmaßstab für ärztliche Leistungen (EBM-Ä) zunächst nicht bestand, diese vielmehr erst später - nach dem 1.1.1989 - in das Leistungsverzeichnis des EBM-Ä aufgenommen wurde (vgl BSG vom 22.3.2005, BSGE 94, 221 RdNr 24 = SozR 4-2400 § 89 Nr 3 RdNr 25; BSG vom 26.9.2006, SozR 4-2500 § 27 Nr 10 RdNr 17-19; s auch BSGE 81, 54, 57 f = SozR 3-2500 § 135 Nr 4 S 12 f) . Nach diesen Abgrenzungen ist bei Arzneitherapien - bei Arzneimitteln ist kein Raum für die Schaffung einer Leistungsposition im EBM-Ä - darauf abzustellen, ob sie schon vor dem 1.1.1989 oder erst nach dem 1.1.1989 praktiziert wurden. Wurden sie schon vorher praktiziert, so sind sie nicht neu; dann käme nur eine Überprüfung durch den § 135 Abs 1 Satz 2 SGB V in Betracht, wonach die Verordnungsfähigkeit erst ausgeschlossen wäre, wenn der G-BA die Methode ausdrücklich für unvereinbar mit den Erfordernissen des § 135 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V erklärt hatte(§ 135 Abs 1 Satz 3 SGB V). Im vorliegenden Fall der Verordnung von Dronabinol wird weder vom LSG noch vom Kläger erwogen, es könnte sich um eine schon vor dem 1.1.1989 praktizierte Arzneitherapie handeln; vielmehr haben sowohl das LSG als auch der Kläger ihren Ausführungen zugrunde gelegt, dass es sich um eine neue Behandlungsmethode handelt.

27

Liegt eine neue Behandlungsmethode vor, ohne dass aber eine empfehlende Richtlinie des G-BA ergangen ist, so ist die Anwendung dieser Methode - dh hier eine Therapie unter Einsatz von Dronabinol - grundsätzlich unzulässig, es sei denn, ein Ausnahmetatbestand wäre erfüllt. Als Ausnahmetatbestand kommt vorliegend ein sog Seltenheitsfall, der ausnahmsweise zu einem Einzelimport oder zu einer Einzelanwendung berechtigen würde, nicht in Betracht; denn die Krankheitsbeschwerden, derentwegen der Kläger Dronabinol einsetzte, sind nicht so selten, dass sie sich systematischer Erforschung und Behandlung entzögen (zu diesen Voraussetzungen vgl zB BSG vom 27.3.2007, USK 2007-36 S 237; BSG vom 8.9.2009, BSGE 104, 160 = SozR 4-2500 § 13 Nr 22, RdNr 20) . Auch die besondere Situation, dass als Folge des Fehlens einer durch Richtlinie anerkannten Behandlungsmethode eine Versorgungslücke entsteht und ein Bedarf nach ihrem Einsatz auch ohne empfehlende Richtlinie des GBA besteht, war nicht gegeben. Ein solcher Bedarf würde voraussetzen, dass ausreichende Belege für die Eignung und Unbedenklichkeit der Methode vorliegen (vgl hierzu BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 32 mwN) . Solche lagen indessen für Dronabinol ebenso wenig wie für Megestat vor; hierzu wird auf obige Ausführungen unter 1. (RdNr 17 ff) verwiesen.

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3. Schließlich lagen auch die Voraussetzungen, unter denen nach der Rechtsprechung des BVerfG der Einsatz eines Arzneimittels unter Außerachtlassung der Begrenzungen durch das AMG und durch § 135 Abs 1 SGB V zulässig sein kann, nicht vor. Allerdings hat das BVerfG in Erkrankungsfällen, die als hoffnungslos erscheinen, aus Art 2 Abs 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip und aus Art 2 Abs 2 Satz 1 GG iVm der daraus abzuleitenden Schutzpflicht entnommen, dass Therapiemethoden, die nach dem AMG oder dem SGB V an sich nicht angewendet werden dürfen, unter bestimmten Voraussetzungen doch zulässig sind. Das BVerfG hat insoweit dem Versicherten einen erweiterten Behandlungsanspruch gemäß §§ 27 ff SGB V eingeräumt, was reziprok bedeutet, dass dann in entsprechender Weise der Arzt zur Gewährung der Behandlung bzw zur Verordnung des Arzneimittels berechtigt und verpflichtet ist.

29

a) Das BVerfG hat - zunächst für nicht anerkannte Behandlungsmethoden - aus Art 2 Abs 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip und aus Art 2 Abs 2 Satz 1 GG iVm der sich daraus ergebenden Schutzpflicht abgeleitet, dass in Fällen, in denen eine lebensbedrohliche oder in der Regel tödlich verlaufende Krankheit vorliegt und eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, der Versicherte nicht von der Gewährung einer von ihm gewählten, ärztlich angewandten Behandlungsmethode ausgeschlossen werden darf, wenn diese eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bietet (BVerfGE 115, 25, 49 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 RdNr 33) . Es muss eine durch nahe Lebensgefahr gekennzeichnete individuelle Notlage gegeben sein (BVerfG vom 30.6.2008, NJW 2008, 3556 RdNr 10; an die verfassungsrechtliche Rechtsprechung anknüpfend BSG vom 4.4.2006, BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4, RdNr 35; BSG vom 14.12.2006, SozR 4-2500 § 31 Nr 8 RdNr 20; BSG vom 27.3.2007, USK 2007-36 S 238; BSG vom 28.2.2008, BSGE 100, 103 = SozR 4-2500 § 31 Nr 9, RdNr 32; BSG vom 16.12.2008, USK 2008-73 S 575) . Das BVerfG hat in einer speziellen Situation - Apheresebehandlung in einem besonderen Fall - ausreichen lassen, dass die Erkrankung voraussichtlich erst in einigen Jahren zum Tod führt (BVerfG vom 6.2.2007 - 1 BvR 3101/06 - RdNr 22, in Juris dokumentiert) .

30

Diese Grundsätze haben das BVerfG und das BSG auf den Bereich der Versorgung mit Arzneimitteln übertragen. Sofern eine im vorgenannten Sinne lebensbedrohliche Erkrankung vorliegt (oder - wie das BSG es formuliert - eine wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung, vgl dazu BSG vom 4.4.2006, BSGE 96, 153 = SozR 4-2500 § 27 Nr 7, RdNr 31 am Ende; BSG vom 14.12.2006, USK 2006-111 S 767/768; BSG vom 27.3.2007, USK 2007-36 S 237 unter 2.; BSG vom 28.2.2008, BSGE 100, 103 = SozR 4-2500 § 31 Nr 9 RdNr 32 am Ende) und eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, erstreckt sich der Versorgungsanspruch des Versicherten über die Beschränkungen der arzneimittelrechtlichen Zulassung hinaus - dh sowohl bei Fehlen jeglicher Arzneimittelzulassung als auch bei Einsatz außerhalb des in der Zulassung ausgewiesenen Anwendungsbereichs - auf die Versorgung mit solchen Arzneimitteln, die eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bieten (s hierzu BVerfG vom 30.6.2008 aaO; ebenso zB BSG vom 4.4.2006, BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4, RdNr 19; BSG vom 28.2.2008, SozR 4-2500 § 13 Nr 16 RdNr 30 mwN) . Dies bedeutet, verglichen mit den "Regel"voraussetzungen für einen Off-Label-Use bzw für eine gemäß § 135 Abs 1 SGB V anerkennungsbedürftige, aber nicht anerkannte Behandlungsmethode, dass - über eine schwerwiegende Erkrankung hinausgehend - eine lebensbedrohliche oder in der Regel tödlich verlaufende Krankheit vorliegen muss: Nur unter dieser Voraussetzung ist das Erfordernis ausreichender Belege für die Eignung und Unbedenklichkeit des Einsatzes des Arzneimittels bzw der Behandlungsmethode dahin abzuschwächen, dass eine nicht ganz fern liegende Aussicht positiver Einwirkung auf den Krankheitsverlauf ausreicht.

31

Hat der erkrankte Versicherte nach diesen rechtlichen Maßstäben Anspruch auf die Versorgung mit einem bestimmten Arzneimittel, so darf nicht wegen der Verordnung dieses Medikaments ein Regress gegen den verordnenden Arzt festgesetzt werden.

32

b) Dabei ist stets der Ausgangspunkt des BVerfG zu beachten, nämlich dass nur insoweit, als eine lebensbedrohliche Erkrankung und deren Heilung in Frage steht, die erweiternde Auslegung der leistungsrechtlichen Vorschriften des SGB V geboten ist. Dementsprechend gilt der Maßstab, dass eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf ausreicht, nur insoweit, als eine Aussicht auf Heilung der Grunderkrankung selbst oder auf positive Einwirkung auf den Verlauf der Grunderkrankung als solcher besteht. Nur in einer solchen Situation ist die dargelegte verfassungskonforme Erweiterung des Leistungsanspruchs des Versicherten gemäß §§ 27 ff SGB V veranlasst und gerechtfertigt. Diese (str)enge Sicht ist nicht etwa, wie gelegentlich geltend gemacht wird, durch die Entscheidung des BVerfG vom 6.2.2007 in Frage gestellt worden (BVerfG - 1 BvR 3101/06 -, in Juris dokumentiert) . Hierin hat das BVerfG lediglich klargestellt, dass bei der Frage, ob eine Behandlung auf eine lebensbedrohliche Erkrankung einwirkt, das sog Gesamtrisikoprofil mitzuberücksichtigen ist in dem Sinne, dass die Einwirkung auf einen Faktor im Gesamtrisikoprofil ausreicht. Damit ist aber nicht in Zweifel gezogen, dass es sich auch in solchen Fällen um die Einwirkung auf die lebensbedrohliche Erkrankung selbst handeln muss.

33

Diesen rechtlichen Ausgangspunkt hat auch das LSG zugrunde gelegt. Dementsprechend hat es das Erfordernis einer auf Indizien gestützten, nicht ganz fern liegenden Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf als nicht erfüllt angesehen, denn die vom Kläger praktizierte Anwendung von Megestat und Dronabinol bei Patienten mit einem fortgeschrittenen Bronchialkarzinom oder einem Karzinom der Thoraxorgane war nicht darauf gerichtet, die lebensbedrohliche Erkrankung als solche zu heilen oder positiv auf ihren Verlauf einzuwirken, sondern der Einsatz von Megestat und Dronabinol zielte "nur" auf die Verbesserung der Lebensqualität in dem Sinne, dass der Erkrankte wieder mit Appetit natürliche Nahrung zu sich nimmt und dadurch der tumorinduzierten Kachexie (Appetitlosigkeit mit der Folge körperlicher Auszehrung) entgegengewirkt wird. Der Kläger wollte mit der Anwendung von Megestat und Dronabinol also nicht auf die lebensbedrohliche Erkrankung als solche einwirken, sondern nur deren weitere Auswirkungen abmildern. Dementsprechend hat das LSG zu Recht für den vorliegenden Fall die Entscheidung des BVerfG vom 6.12.2005 als nicht einschlägig erachtet.

34

Entgegen der Ansicht des Klägers kommt es hier nicht darauf an, ob durch den Einsatz von Megestat und Dronabinol der Appetit von Patienten, die er wegen eines Bronchialkarzinoms oder eines Karzinoms der Thoraxorgane behandelte, wiederhergestellt und ob dadurch eine günstigere Prognose hinsichtlich der diesen noch verbleibenden Lebenszeit erreicht werden konnte. Nach dem Beschluss des BVerfG vom 6.12.2005 (BVerfGE 115, 25, 49 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 RdNr 33) soll dem Patienten - bildlich gesprochen - der Strohhalm der Hoffnung auf Heilung, an den er sich klammert, nicht wegen Fehlens wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit verweigert werden. Hoffnungen in diesem Sinne kann ein Patient aber nur mit Behandlungsmethoden verbinden, die darauf gerichtet sind, auf seine mutmaßlich tödlich verlaufende Grunderkrankung als solche einzuwirken. Für Behandlungsverfahren, die dies nach ihrem eigenen methodischen Ansatz nicht leisten, gelten die reduzierten Wirksamkeitsanforderungen der Rechtsprechung des BVerfG von vornherein nicht. Soweit mit dem in § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V genannten Behandlungsziel "Krankheitsbeschwerden zu lindern" jede Verbesserung der Lebensqualität eines schwerkranken Patienten verbunden wird, ist dieses Ziel nicht von der Ausweitung der Leistungsansprüche der Versicherten gemäß dem Beschluss des BVerfG vom 6.12.2005 erfasst. Allein die Hoffnung einer - unter Umständen ganz geringen - Chance auf Heilung der Krankheit oder auf nachhaltige, nicht nur wenige Tage oder Wochen umfassende, Lebensverlängerung rechtfertigt es, die Voraussetzungen an den Nachweis der Wirksamkeit von Behandlungsmethoden so weit zu reduzieren, wie das in dem Beschluss des BVerfG erfolgt ist.

35

Dem wird die Ansicht des Klägers nicht gerecht, jede Verbesserung des Appetits des Patienten könne dessen subjektive Lebensqualität verbessern und so mittelbar - ungeachtet des dadurch nicht beeinflussten Wachstums des Tumors - eine (geringfügige) Lebensverlängerung bewirken. Nicht jede Verbesserung der Lebensqualität - zumal wenn diese in der Gesamtschau mit den möglichen vielfältigen und schwerwiegenden Nebenwirkungen zweifelhaft erscheint -, sondern nur die Erfüllung der Hoffnung des Patienten auf eine rettende Behandlung in einer aussichtslosen gesundheitlichen Situation indiziert die vom BVerfG beschriebene notstandsähnliche Lage, in der (nahezu) jeder Behandlungsansatz auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung möglich sein soll.

36

Sind demnach die vom BVerfG herausgestellten Voraussetzungen für erweiterte Behandlungsmöglichkeiten ohne die Beschränkungen durch das AMG und durch § 135 Abs 1 SGB V für den Einsatz von Megestat und Dronabinol nicht erfüllt, so kommt es auf die weiteren Voraussetzungen für die Anwendung der Rechtsprechung des BVerfG nicht an. Das BVerfG und das BSG haben in ihren Entscheidungen insbesondere klargestellt, dass in Fällen, in denen die genannte Rechtsprechung des BVerfG einschlägig ist, immer auch die Voraussetzung erfüllt sein muss, dass keine Alternative einer allgemein anerkannten - dh nach dem AMG und SGB V zulässigen -, dem medizinischem Standard entsprechenden Behandlung besteht. Hierauf einzugehen, erübrigt sich, weil es schon an den "Grund"voraussetzungen für eine Anwendung der BVerfG-Rechtsprechung fehlt.

37

C. Bei allem ist schließlich darauf hinzuweisen, dass der Kläger das Risiko eines Regresses, wie er ihm gegenüber festgesetzt worden ist, hätte vermeiden können: Er hätte - worauf der Senat in ständiger Rechtsprechung hinweist -, für den Versicherten ein Privatrezept ausstellen und es diesem überlassen können, sich bei seiner KK um Erstattung der Kosten zu bemühen. Ermöglicht der Vertragsarzt indessen nicht auf diese Weise eine Vorab-Prüfung durch die KK, sondern stellt er ohne vorherige Rückfrage bei dieser eine vertragsärztliche Verordnung aus und löst der Patient diese in der Apotheke ein, so sind damit die Arzneikosten angefallen und die KK kann nur noch im Regressweg geltend machen, ihre Leistungspflicht habe nicht bestanden. Verhindert der Vertragsarzt durch diesen Weg der vertragsärztlichen Verordnung bei einem medizinisch umstrittenen Arzneieinsatz ohne dementsprechende Zulassung eine Vorab-Prüfung durch die KK und übernimmt er damit das Risiko, dass später die Leistungspflicht der KK verneint wird, so kann ein entsprechender Regress nicht beanstandet werden (stRspr, zB BSG vom 31.5.2006, MedR 2007, 557, 560, und - ausführlich - BSG vom 5.5.2010, SozR 4-2500 § 106 Nr 27 RdNr 43 f, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen) .

38

D. Die vom Kläger erhobenen Verfahrensrügen greifen nicht durch.

39

Die Einholung eines Sachverständigengutachtens steht im Ermessen des Gerichts. Eine Pflicht zur Einholung besteht nur dann, wenn sich dem Gericht dessen Einholung aufdrängen muss (stRspr, vgl zB BSG vom 5.5.2010 - B 6 KA 20/09 R -, Juris RdNr 49, und - B 6 KA 24/09 R -, Juris RdNr 20 - jeweils mwN; vgl auch BSG vom 3.2.2010, SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 37) . Das war hier nicht der Fall. Nach der für die Beurteilung der Notwendigkeit (weiterer) Beweiserhebung maßgeblichen Rechtsauffassung des LSG hat dieses kein Gutachten einholen müssen. Das LSG hat als maßgeblich erachtet, dass es im maßgeblichen Zeitraum der Jahre 2001 bis 2003 keinen fachwissenschaftlichen Konsens zum Einsatz von Megestat und Dronabinol auch bei Bronchialkarzinomen und Karzinomen der Thoraxorgane gegeben hat. Die Anregungen des Klägers zur Einholung eines Gutachtens sind darauf gerichtet gewesen, Belege dafür zu gewinnen, dass dieser Einsatz auch Befürworter hatte. Dem hat das LSG nicht ohne Weiteres nachgehen müssen, weil das zur Feststellung eines allgemeinen Konsenses, den das LSG aus Rechtsgründen für erforderlich gehalten hat, nichts Entscheidendes hätte beitragen können.

40

Die Rüge des Klägers, das LSG habe die von ihm im Berufungsverfahren eingereichten Studien nicht ausgewertet, scheitert daran, dass grundsätzlich die Vermutung besteht, dass das Gericht alles Eingereichte zur Kenntnis genommen und in seine Erwägungen einbezogen hat (stRspr des BVerfG und des BSG, vgl zB BSG vom 2.9.2009, SozR 4-2500 § 103 Nr 6 RdNr 20 mit zahlreichen BVerfG- und BSG-Angaben) . Gegenteiliges bedürfte besonderer Anhaltspunkte, die der Kläger nicht aufgezeigt hat und auch nicht ersichtlich sind.

41

Ebenso wenig dringt der Kläger mit seiner Rüge durch, das LSG habe das Vorliegen eines Konsenses in Fachkreisen nicht erkannt. Hierin liegt lediglich die Rüge, das LSG sei von einem falschen Ausgangspunkt ausgegangen. Dem lediglich die abweichende Sicht eines anderen Ausgangspunktes entgegenzusetzen, reicht für eine Verfahrensrüge nicht aus (vgl oben RdNr 22 am Ende) .

42

Schließlich greift auch seine Rüge der Verkennung der Grenzen der freien Beweiswürdigung nicht durch. Er bringt dazu vor, die Feststellungen des LSG, dass die Anwendung von Megestat und Dronabinol ausschließlich auf die Verbesserung der Lebensqualität und nicht auf die Verlängerung der Lebensdauer gerichtet sei, seien weder als Erfahrungssatz noch medizinisch begründbar. Dies ist schon nicht entscheidungserheblich, wie aus obigen Ausführungen zu C. folgt, wonach eine nur geringfügige Lebensverlängerung bei einem Behandlungsansatz, der von vornherein nicht auf eine Beeinflussung des Grundleidens zielt, nicht der vom BVerfG herausgearbeiteten Ausnahme von den Verordnungsvoraussetzungen gemäß dem AMG bzw gemäß § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V entspricht(vgl RdNr 36) . Vor allem ist nicht ersichtlich, dass das LSG insoweit einen Erfahrungssatz hätte aufstellen wollen. Vielmehr setzt auch hier der Kläger nur seine eigene Auffassung derjenigen des LSG entgegen.

43

E. Dem Regress stehen schließlich auch keine Grundrechtspositionen des Klägers entgegen. Insbesondere ist das Grundrecht der Berufsfreiheit gemäß Art 12 Abs 1 GG nicht verletzt. Dieses Grundrecht unterliegt - ebenso wie Art 14 Abs 1 GG - einem Gesetzesvorbehalt, darf also durch Gesetz eingeschränkt werden. Das ist durch die vorliegend einschlägigen Bestimmungen des AMG und der §§ 106, 135 Abs 1 SGB V geschehen. Die Anwendung dieser Regelungen belastet den Kläger nicht unverhältnismäßig (vgl BSG vom 3.2.2010, SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 46 iVm 48) .

44

Dabei kommt es nicht darauf an, ob die zu 1. beigeladene KK bei Nichtverordnung von Megestat und Dronabinol Kosten für andere Behandlungsarten hätte tragen müssen - sog Vorteilsausgleichung - (vgl zB BSG SozR 4-2500 § 39 Nr 3 RdNr 14 mwN; BSGE 101, 252 = SozR 4-2500 § 115b Nr 2 RdNr 21; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 47) .

45

F. Nach alledem ist nicht nur der Hauptantrag des Klägers auf Bescheidaufhebung zurückzuweisen, sondern ebenso der Hilfsantrag: Für die hilfsweise begehrte Zurückverweisung der Sache an das LSG ist kein Raum, denn der gegenüber dem Kläger ausgesprochene Regress hat sich im Revisionsverfahren gemäß vorstehenden Ausführungen abschließend als rechtmäßig erwiesen.

46

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 3 SGG iVm einer entsprechenden Anwendung von § 154 Abs 2 iVm § 162 Abs 3 VwGO. Der Kläger trägt als unterlegener Rechtsmittelführer die Kosten des Revisionsverfahrens (§ 154 Abs 2 VwGO) . Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten von Beigeladenen ist nicht veranlasst, weil diese im Verfahren keine Anträge gestellt haben (vgl BSGE 96, 257 = SozR 4-1300 § 63 Nr 3, RdNr 16) .

Tatbestand

1

Umstritten ist ein Arzneikostenregress wegen der Verordnung des Arzneimittels Alphaglobin in den Quartalen I, II und IV/1999.

2

Der als Arzt für Nervenheilkunde an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Kläger behandelte ua im Jahr 1999 die im Jahr 1971 geborene Patientin O., die an Multipler Sklerose (MS) litt. Die Patientin hatte 1996 ein erstes Kind geboren und bei ihr bestand der Wunsch nach einem zweiten Kind. Für die Zeit vor und nach der Empfängnis verordnete der Kläger in den drei streitbefangenen Quartalen insgesamt fünfmal das intravenös zu verabreichende Arzneimittel Alphaglobin, das später den Handelsnamen "Flebogamma 5 %" trug. Der Kläger hielt die Verordnung eines Immunglobulinpräparates für geboten, weil andere Arzneimittel zur Behandlung einer schubförmig verlaufenden MS im zeitlichen Zusammenhang mit Empfängnis und Geburt kontraindiziert seien.

3

Auf Antrag der Rechtsvorgängerin der zu 2. beigeladenen Krankenkasse der Versicherten O. vom 14.11.2000 setzte der Prüfungsausschuss im Juli 2001 eine Schadensersatzverpflichtung des Klägers für die Kosten von Alphaglobin in Höhe von insgesamt ca 19 100 DM fest. Der Prüfungsausschuss begründete seine Entscheidung damit, Alphaglobin sei zur Behandlung der MS nicht zugelassen. Der beklagte Beschwerdeausschuss wies den Widerspruch des Klägers mit der Begründung zurück, auch die Voraussetzungen für einen indikationsüberschreitenden Einsatz seien nicht erfüllt. Es bestehe kein Konsens in der medizinischen Wissenschaft und bei den einschlägigen Fachgesellschaften hinsichtlich einer Empfehlung für eine prophylaktische Therapie mit Immunglobulinen für Patientinnen in der Zeit unmittelbar vor oder nach der Geburt eines Kindes.

4

Das SG hat den Bescheid des Beklagten aufgehoben. Es hat diese Entscheidung damit begründet, die für die Behandlung der schubförmig verlaufenden MS zugelassenen Arzneimittel seien während der Schwangerschaft und der Stillzeit einer Mutter nicht risikolos einsetzbar gewesen. Zur Anwendung eines Immunglobulins habe es daher keine therapeutisch gleichwertige und nebenwirkungsarme Behandlungsmöglichkeit gegeben.

5

Auf die Berufungen des beklagten Beschwerdeausschusses und der zu 2. beigeladenen Krankenkasse hat das LSG das sozialgerichtliche Urteil geändert und die Klage abgewiesen. Es hat unter Hinweis auf Entscheidungen des BSG zum Anspruch von an MS erkrankten Versicherten auf die Versorgung mit Immunglobulinen ausgeführt, der Nachweis einer hinreichenden Wirksamkeit von Alphaglobin zur Behandlung der MS sei nicht geführt. Das gehe nach den anzuwendenden Grundsätzen zur Verteilung der Beweislast bei Arzneikostenregressen wegen unzulässiger Verordnungen zu Lasten des Vertragsarztes. Auch aus der Entscheidung des BVerfG vom 6.12.2005 zum Anspruch der Versicherten auf Versorgung mit nicht allgemein wissenschaftlich anerkannten Behandlungsmethoden folge kein anderes Ergebnis (Urteil vom 22.4.2009).

6

Mit seiner Revision rügt der Kläger in erster Linie, das LSG habe den Sachverhalt entgegen seiner Verpflichtung gemäß § 103 Satz 1 SGG nicht hinreichend aufgeklärt. Entscheidungserheblich sei, ob die schubförmige MS durch einen immunologischen Pathomechanismus hervorgerufen werde und ob das ggf bereits im Jahre 1999 bekannt gewesen sei. Rechne die MS zu diesen Erkrankungen, so sei der Einsatz von Alphaglobin im Jahr 1999 von der arzneimittelrechtlichen Zulassung dieses Präparates gedeckt gewesen; die Voraussetzung eines Off-Label-Use hätten deshalb gar nicht erörtert werden müssen. Das LSG hätte sich nicht mit der Einholung einer Auskunft des Paul-Ehrlich-Instituts zufrieden geben dürfen, sondern hätte ein Sachverständigengutachten zur Zuordnung der MS zu den Erkrankungen, die durch einen immunologischen Pathomechanismus hervorgerufen werden, einholen müssen. Die Auseinandersetzung des Berufungsgerichts mit den von den Verfahrensbeteiligten eingereichten medizinischen Stellungnahmen sei unzureichend. Deshalb habe er - der Kläger - von Herrn Prof. B., Institut für Neuropathologie der Georg-August-Universität G. ein Gutachten eingeholt, das seine Auffassung bestätige. Nach diesem Gutachten könne davon ausgegangen werden, dass die schubförmig verlaufende MS eine sog Autoimmunerkrankung sei, die durch einen immunologischen Pathomechanismus hervorgerufen werde, und dass das auch schon 1999 so zu beurteilen gewesen sei. Das LSG hätte zumindest die Beteiligten darauf hinweisen müssen, dass es seine eigene Sachkunde für ausreichend halte, den Ursachenzusammenhang hinsichtlich der MS zu beurteilen.

7

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 22.4.2009 aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Entscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Bundessozialgerichts an das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg zurückzuverweisen.

8

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

9

Die zu 2. beigeladene Krankenkasse beantragt ebenfalls,

die Revision zurückzuweisen.

10

Nach ihrer Ansicht hat das LSG weder seine Amtsermittlungspflicht missachtet noch den Beteiligten unzureichend rechtliches Gehör gewährt. Die Feststellung des LSG, dass die Entstehungsbedingungen für MS in der medizinischen Wissenschaft noch ungeklärt seien, könne durch die Aussagen einzelner Sachverständiger nicht widerlegt werden. Deshalb habe das LSG von der Einholung eines Sachverständigengutachtens absehen und den Rechtsstreit nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast entscheiden dürfen. Dass die Beweislast in diesem Fall den Kläger treffe, habe das LSG zutreffend dargelegt.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg. Das LSG hat die Klage gegen den angefochtenen Regressbescheid des beklagten Beschwerdeausschusses zu Recht abgewiesen.

12

Auf der Grundlage des § 14 der im Bezirk der zu 1. beigeladenen Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) geltenden Prüfvereinbarung iVm § 106 Abs 2 SGB V war der Beklagte berechtigt, wegen der Verordnung von Arzneimitteln, die in der vertragsärztlichen Versorgung nicht verordnet werden dürfen, einen Kostenregress gegen den verordnenden Arzt festzusetzen. Die Festsetzung eines derartigen Kostenregresses hat allein die Unzulässigkeit der umstrittenen Verordnung in der vertragsärztlichen Versorgung zur Voraussetzung und setzt kein Verschulden des Vertragsarztes voraus. Das hat das LSG eingehend dargelegt und wird von den Beteiligten in diesem Verfahren nicht in Frage gestellt. Im Übrigen stimmt der Senat den Ausführungen des LSG zu, wie sich aus den Urteilen vom 5.5.2010 in den Verfahren B 6 KA 6/09 R (zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen) und B 6 KA 20/09 R ergibt.

13

1. Zu Recht gehen sowohl das LSG wie der Kläger davon aus, dass der vom Beklagten aufrecht erhaltene Regress rechtswidrig wäre, wenn feststünde, dass O. nach den tatsächlichen Verhältnissen des Jahres 1999 einen Anspruch auf Versorgung mit Alphaglobin als Sachleistung der Krankenkasse gehabt hätte. Diese Konsequenz aus der Entscheidung des BVerfG hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 5.11.2008 zu Wobe Mugos (SozR 4-2500 § 106 Nr 21; ebenso BSG MedR 2010, 276) inzident angesprochen und hält daran fest. Der verschuldensunabhängige Schadensersatzanspruch der Krankenkasse gegen einen Vertragsarzt wegen unzulässiger Arzneimittelverordnungen beruht im Kern darauf, dass die Krankenkasse einen Ausgleich für die Bezahlung von Medikamenten erhält, die sie bei korrekten Verhalten des Arztes nicht hätte finanzieren müssen. Wenn sich nachträglich herausstellt, dass der Versicherte, zu dessen Gunsten der Vertragsarzt die umstrittenen Verordnungen ausgestellt hat, auf die Versorgung mit dem verordneten Arzneimittel einen Anspruch gegen seine Krankenkasse hatte, ist dieser durch die Bezahlung dieses Arzneimittels dem Grunde nach jedenfalls kein Schaden entstanden, den der Vertragsarzt nunmehr ersetzen müsste. Lässt sich allerdings nicht mit hinreichender Gewissheit feststellen, dass die Voraussetzungen für einen ausnahmsweise gerechtfertigten Off-Label-Use vorgelegen haben, geht das zu Lasten des Arztes. Er rückt, obwohl er sich nach der Ausrichtung des Verfahrens gegen einen Regress wendet, hinsichtlich der Verteilung von Darlegungs- und Beweislast in die Stellung ein, die der Versicherte gehabt hätte, wenn er seinen Standpunkt zu der Verordnungsfähigkeit eines Arzneimittels gegen die Krankenkasse nach § 13 Abs 3 SGB V im Wege der Geltendmachung eines Kostenerstattungsanspruchs durchsetzen müsste. Wer geltend machen will, der Versorgungsanspruch umfasse in einer bestimmten Konstellation auch die Versorgung mit zugelassenen Arzneimitteln außerhalb der Zulassungsindikationen, dringt damit nicht durch, wenn sich unter Ausschöpfung aller Möglichkeiten zur Sachaufklärung nicht feststellen lässt, dass die dafür insbesondere in der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG und inzwischen auch vom GBA (§ 30 der Arzneimittel-Richtlinie iVm Anlage VI) formulierten Voraussetzungen vorgelegen haben.

14

Das ist auch hier der Fall und geht zu Lasten des Klägers. Die Versicherte O. konnte die Versorgung mit Alphaglobin zur Behandlung ihrer MS nicht beanspruchen. Das Medikament war für die Behandlung der MS nicht zugelassen, und die Voraussetzungen für einen Off-Label-Use haben - auch unter Berücksichtigung der Grundsätze des Beschlusses des BVerfG vom 6.12.2005 - nicht vorgelegen.

15

a. Das LSG hat zunächst dargelegt, dass der Kläger das verordnete Immunglobulin außerhalb der Zulassung nach § 21 Abs 1 Arzneimittelgesetz (AMG) verordnet hat. Für das Krankheitsbild der MS ist nach der Auslegung der für die Zulassung maßgeblichen Unterlagen sowie der Fachinformation für "Alphaglobin" dieses Medikament nicht zugelassen. Dass eine ausdrückliche Zulassung von Alphaglobin zur Behandlung der MS erfolgt sei, macht auch der Kläger nicht geltend. Er ist aber der Auffassung, die MS gehöre zu den im zweiten einleitenden Absatz der Fachinformationen für Alphaglobin erwähnten Krankheitsbildern, die durch einen immunologischen Pathomechanismus induziert sind. Darauf kommt es entgegen der Auffassung des Klägers auf der Grundlage der Feststellungen des LSG jedoch nicht entscheidend an.

16

Das LSG hat unter Auswertung der Stellungnahme des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) vom 6.4.2009 dargestellt, dass die Fachinformationen zu Alphaglobin einerseits konkrete Indikationen im Sinne von klar umschriebenen Krankheiten aufführen (zB Leukämie, AIDS bei Kindern) und andererseits eine offene Formulierung enthalten. Danach "wird Immunglobulin von Menschen auch bei verschiedenen Krankheitsbildern angewandt, die durch einen immunologischen Pathomechanismus (zB Alloantikörper und/oder Metoantikörper) induziert werden, wie zB bei autoimmunen Thrombozytopenie (ITP)". Soweit mit dieser sehr weiten Wendung eine arzneimittelrechtliche Zulassung auch für Indikationen eröffnet wird, die nicht als Beispielsfälle konkret genannt werden oder solchen ähnlich sind, setzt ein zulassungskonformer Einsatz des Mittels voraus, dass kein vernünftiger Zweifel daran besteht, dass die zu behandelnde Erkrankung durch einen immunologischen Pathomechanismus als zentral wirkende Ursache induziert wird. Wenn insoweit die Meinung des einzelnen Arztes oder einzelner Wissenschaftler ausschlaggebend wären, könnte die arzneimittelrechtliche Zulassung ihre Funktion nicht erfüllen, nämlich Qualität, Unbedenklichkeit und Wirksamkeit eines Arzneimittels indikationsbezogen zu garantieren (vgl BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 16 RdNr 20). Daher erfolgt eine Verordnung von Alphaglobin immer dann außerhalb der zugelassenen Indikation, wenn eine Krankheit behandelt werden soll, von der gerade nicht im Sinne eines Konsenses der Fachwelt feststeht, dass sie primär durch einen "immunologischen Pathomechanismus" ausgelöst wird. Dasselbe gilt, wenn auf einer konkreteren Stufe für eine bestimmte Erkrankung durch Studien keine positiven Wirkungen des Einsatzes des betroffenen Arzneimittels belegt ist. Wenn Studien keinen Beleg dafür liefern, dass eine schubförmig verlaufene MS durch die Gabe von Immunglobulinen positiv beeinflussbar ist, kann die sehr viel abstraktere Frage, ob Immunsystemstörungen ursächlich für MS sind oder sein können, offen bleiben. Kein Vertragsarzt ist unter Hinweis auf einen (möglichen oder sogar wahrscheinlichen) Zusammenhang zwischen Störungen des Immunsystems und MS berechtigt, Immunglobuline zur Behandlung der MS zu verordnen, wenn Studien belegen, dass insoweit keine Wirkungen auf den Verlauf der MS erzielt werden können. Die ohnehin problematische Einbindung der in der medizinischen Wissenschaft nach wie vor ungeklärten Frage der Verursachung von MS in die Indikation eines Arzneimittels durch die Formulierung der Fachinformationen zu Alphaglobin hat keine praktische Bedeutung mehr, wenn die Wirkungen gerade dieses Arzneimittels erforscht sind und keine positiven Wirkungen für die Behandlung der MS belegt sind. Das ist hier der Fall.

17

b. Die Studienlage zur positiven Beeinflussbarkeit der schubförmig verlaufenden MS durch die Verabreichung von Immunglobulinen hat das LSG zutreffend ausgewertet. Soweit der Kläger geltend macht, die in diesem Zusammenhang erforderlichen Feststellungen habe das Berufungsgericht unter Verletzung der ihm obliegenden Sachaufklärungsverpflichtung (§ 103 SGG)getroffen, kann dem nicht gefolgt werden.

18

Das beruht im Wesentlichen darauf, dass nach der Rechtsprechung des für das Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung zuständigen 1. Senats des BSG Versicherte, die an MS erkrankt waren, in den Jahren 1999 bis 2002 keinen Anspruch auf Versorgung mit Immunglobulin hatten. Das hat dieser Senat in seinem grundlegenden Urteil zum Off-label-Use vom 19.3.2002 (BSGE 89, 184 = SozR 3-2500 § 31 Nr 8), das ebenfalls zu Immunglobulinen ergangen ist, näher dargelegt und mit einem Urteil vom 27.3.2007 (B 1 KR 17/06 R) zur Versorgung mit einem intravenös zu verabreichenden Immunglobulin zur Behandlung einer MS in einer sekundär-chronischen Form mit Schüben bekräftigt. Mit Urteil vom 28.2.2008 (SozR 4-2500 § 13 Nr 16) hat der 1. Senat in einem Fall, der dem hier zu beurteilenden sehr ähnlich ist, entschieden, dass auch versicherte Mütter, die an einer schweren, jedoch nicht tödlich oder regelmäßig tödlich verlaufenden Krankheit leiden, auch unter Berücksichtigung der Wertung des Art 6 Abs 4 GG während der Stillphase ihres Kindes keinen Anspruch auf Versorgung mit einem nicht zugelassenem Arzneimittel haben, wenn die bekannten Forschungsergebnisse eine arzneimittelrechtliche Erweiterung des Indikationsgebietes für das konkrete Arzneimittel nicht erwarten lassen. Diese Entscheidung ist zur Verordnung eines intravenös zu verabreichenden Immunglobulins bei einer Schwangeren mit MS in den Jahren 2002/2003 ergangen und hat sich mit den zu diesem Zeitpunkt sowie den in der Zeit bis zum Erlass des Urteils im Jahre 2008 publizierten Forschungsergebnissen eingehend befasst. Der 1. Senat des BSG ist abschließend zu dem Ergebnis gelangt, für die Anwendung von Immunglobulinen während der Schwangerschaft und danach zur Prophylaxe postportaler Schübe einer MS gebe es keinen Konsens in der medizinischen Wissenschaft. Diese Aussage beruht nach Auffassung des 1. Senats auch darauf, dass in der Vergangenheit gefährliche Nebenwirkungen der Therapie mit intravenös verabreichten Immunglobulinen auftraten und es keine hinreichenden Studien zu den Nebenwirkungen dieser Therapie, ua in der Stillzeit, gibt.

19

Eine weitere Sachaufklärung hat das LSG nicht vornehmen müssen. Die Anforderungen an die Sachaufklärung nach § 103 SGG bei Fragen der generellen Eignung und Wirksamkeit eines bestimmten Arzneimittels bzw des Zusammenhangs zwischen einer bestimmten Gesundheitsstörung und der Beeinflussbarkeit durch ein insoweit arzneimittelrechtlich nicht zugelassenes Arzneimittel einer bestimmten Wirkstoffgruppe können nicht abstrakt bestimmt werden, sondern hängen davon ab, welche Feststellungen dazu bzw zu vergleichbaren Konstellationen in der Vergangenheit getroffen worden sind. Da sich das BSG in drei Entscheidungen, davon in zwei Entscheidungen aus jüngerer bzw jüngster Zeit, eingehend mit der krankenversicherungsrechtlichen Zulässigkeit des Einsatzes von Immunglobulinen bei MS und speziell auch des Anspruchs von an MS erkrankten Müttern oder Frauen mit Kinderwunsch auf Versorgung mit Immunglobulinen in der Phase kurz vor oder kurz nach der Geburt befasst hatte, hat sich das LSG auch auf die Ergebnisse dieser Entscheidungen und die darin ausgewerteten Informationen beziehen dürfen. Da das LSG im Sommer 2009 seinerseits eine aktuelle Stellungnahme des PEI eingeholt und ausgewertet hat, war gewährleistet, dass die Frage der generellen Eignung von Immunglobulinen zur Behandlung der MS in den Jahren 1999 bis 2001 umfassend geklärt war. Dass der Kläger nunmehr Stellungnahmen von Ärzten eingeholt und dem Senat zugänglich gemacht hat, die sich mit der Einordnung der MS als einer Autoimmunerkrankung befassen und diese Zuordnung sowohl gegenwärtig wie auch schon bezogen auf die Jahre 1999 und 2000 für richtig halten, ändert nichts daran, dass das LSG der konkret entscheidungserheblichen tatsächlichen Frage einer wissenschaftlich belegten Eignung von Immunglobulinen zur Behandlung der MS hinreichend und mit einem schlüssigen Ergebnis nachgegangen ist.

20

Deshalb hat das Berufungsgericht ohne Verletzung seiner Sachaufklärungspflicht die Einholung eines Sachverständigengutachtens ablehnen dürfen. Ob ein Gericht ein Gutachten oder ein weiteres Gutachten einholt, liegt in seinem Ermessen. Der für andere Beweismittel wie insbesondere den Zeugenbeweis geltende Grundsatz, dass eine Beweiswürdigung nicht vorweggenommen werden darf, gilt nicht für die Frage der Einholung von Sachverständigengutachten. Hier darf das Gericht unter Hinweis darauf, dass von einem Gutachten keine (weiteren) Erkenntnisse zu erwarten seien, weil das Gericht ausreichende eigene Sachkunde habe oder weil ihm bereits ausreichende sachverständige Erkenntnisse vorlägen, dessen Einholung ablehnen. Das Gericht übt sein Ermessen nur dann fehlerhaft aus, wenn sich ihm die Notwendigkeit der Einholung eines (weiteren) Sachverständigengutachtens hätte aufdrängen müssen (s zB BVerwG NVwZ 1993, 268; BVerwG NVwZ 2009, 320 RdNr 4; BVerwG NJW 2009, 2614 RdNr 7; BSG SozVers 2002, 218 f; ebenso BSG vom 17.3.2010 - B 6 KA 23/09 B - RdNr 29). Ein solcher Ausnahmefall hat angesichts der geschilderten Situation, insbesondere auch der im Sommer 2009 eingeholten Stellungnahme des PEI, nicht vorgelegen.

21

Im Hinblick auf den nicht belegten positiven Einfluss der Verabreichung eines Immunglobulin-Präparates auf den Verlauf der MS war die Verordnung von Polyglobin für die Versicherte O. auch nicht unter dem Gesichtspunkt eines Off-Label-Use gerechtfertigt. Das hat das LSG näher dargelegt und ist vom Kläger, wie ausgeführt, weder im Berufungs- noch im Revisionsverfahren durchgreifend in Frage gestellt worden. Im Übrigen hat sich der Senat zur Verordnung von Immunglobulinen im Jahr 1999 zur unterstützenden Behandlung von Krebsleiden unter dem Aspekt des Off-Label-Use und auch im Hinblick auf den Beschluss des BVerfG vom 6.12.2005 (BVerfGE 115, 15) in seinem Urteil vom 5.5.2010 - B 6 KA 6/09 R - eingehend geäußert.

22

c. Ob der Kläger im Hinblick auf die auch in der Stellungnahme des PEI näher dargestellten abweichenden Stellungnahmen fachkundiger Ärzte im Jahr 1999 subjektiv davon überzeugt sein durfte, der Versicherten O. im zeitlichen Zusammenhang mit der Empfängnis und Geburt ihres zweiten Kindes durch die Verordnung von Alphaglobin zu helfen, ist nicht entscheidungserheblich. Der Beklagte hält dem Kläger nicht wie in einem Disziplinarverfahren die Verletzung vertragsärztlicher Pflichten, sondern die Verordnung eines Arzneimittels vor, das nicht zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung gehört hat. Das ist nach objektiv-rechtlichen Maßstäben zu klären, wie das LSG zutreffend erkannt hat.

23

3. Der Beklagte hat mit dem angefochtenen Bescheid zutreffend die Position der zu 2. beigeladenen Krankenkasse bestätigt, dass sie objektiv zu Unrecht erhebliche Kosten für die Versorgung ihrer Versicherten O. mit einem Immunglobulin aufgewandt hat.

24

Weil der Kläger der Beigeladenen zu 2. keine Gelegenheit gegeben hatte, ihre Auffassung zur Rechtmäßigkeit des Einsatzes von Immunglobulinen bei der Versicherten O. vor Einlösung der Verordnungen darzulegen, war die Krankenkasse darauf verwiesen, ihren Standpunkt nachträglich durchzusetzen, soweit er rechtlicher Prüfung standhält. Dazu sieht die Prüfvereinbarung im Einklang mit Bundesrecht das Verfahren der Regressfestsetzung vor. Der Senat hat in seinem Beschluss vom 31.5.2006 (MedR 2007, 557, 560) zu Off-Label-Use-Verordnungen aus dem Jahre 1997 darauf hingewiesen, dass der Vertragsarzt bei von ihm als gerechtfertigt angesehenen Verordnungen außerhalb der Zulassungsindikation ein Privatrezept ausstellen darf. Das verstieß auch 1999 nicht gegen den Bundesmantelvertrag-Ärzte. Dessen § 29 Abs 1 Satz 2 enthält zwar das Verbot, sich als Vertragsarzt vertragsärztliche Verordnungen einzeln genehmigen zu lassen; dieses Verbot hat sich - wie der Senat dargelegt hat - immer nur auf Verordnungen im Rahmen der Leistungspflicht der Krankenkassen bezogen.

25

Wie die Rechtslage zu beurteilen wäre, wenn der Kläger zu Beginn des Jahres 1999 vergeblich bei der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2. angefragt und explizit um eine Entscheidung über das aus Sicht dieser Krankenkasse richtige Vorgehen gebeten hätte, kann offen bleiben. Der Kläger macht selbst nicht geltend, diesen Weg beschritten zu haben.

26

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der zu 1. beigeladenen KÄV sind nach § 162 Abs 3 VwGO nicht erstattungsfähig, weil diese keine Anträge gestellt hat(vgl BSGE 96, 257 = SozR 4-1300 § 63 Nr 3, RdNr 16).

(1) Die Krankenkasse darf anstelle der Sach- oder Dienstleistung (§ 2 Abs. 2) Kosten nur erstatten, soweit es dieses oder das Neunte Buch vorsieht.

(2) Versicherte können anstelle der Sach- oder Dienstleistungen Kostenerstattung wählen. Hierüber haben sie ihre Krankenkasse vor Inanspruchnahme der Leistung in Kenntnis zu setzen. Der Leistungserbringer hat die Versicherten vor Inanspruchnahme der Leistung darüber zu informieren, dass Kosten, die nicht von der Krankenkasse übernommen werden, von dem Versicherten zu tragen sind. Eine Einschränkung der Wahl auf den Bereich der ärztlichen Versorgung, der zahnärztlichen Versorgung, den stationären Bereich oder auf veranlasste Leistungen ist möglich. Nicht im Vierten Kapitel genannte Leistungserbringer dürfen nur nach vorheriger Zustimmung der Krankenkasse in Anspruch genommen werden. Eine Zustimmung kann erteilt werden, wenn medizinische oder soziale Gründe eine Inanspruchnahme dieser Leistungserbringer rechtfertigen und eine zumindest gleichwertige Versorgung gewährleistet ist. Die Inanspruchnahme von Leistungserbringern nach § 95b Absatz 3 Satz 1 im Wege der Kostenerstattung ist ausgeschlossen. Anspruch auf Erstattung besteht höchstens in Höhe der Vergütung, die die Krankenkasse bei Erbringung als Sachleistung zu tragen hätte. Die Satzung hat das Verfahren der Kostenerstattung zu regeln. Sie kann dabei Abschläge vom Erstattungsbetrag für Verwaltungskosten in Höhe von höchstens 5 Prozent in Abzug bringen. Im Falle der Kostenerstattung nach § 129 Absatz 1 Satz 6 sind die der Krankenkasse entgangenen Rabatte nach § 130a Absatz 8 sowie die Mehrkosten im Vergleich zur Abgabe eines Arzneimittels nach § 129 Absatz 1 Satz 3 und 5 zu berücksichtigen; die Abschläge sollen pauschaliert werden. Die Versicherten sind an ihre Wahl der Kostenerstattung mindestens ein Kalendervierteljahr gebunden.

(3) Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Die Kosten für selbstbeschaffte Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nach dem Neunten Buch werden nach § 18 des Neunten Buches erstattet. Die Kosten für selbstbeschaffte Leistungen, die durch einen Psychotherapeuten erbracht werden, sind erstattungsfähig, sofern dieser die Voraussetzungen des § 95c erfüllt.

(3a) Die Krankenkasse hat über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des Medizinischen Dienstes, eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten. Der Medizinische Dienst nimmt innerhalb von drei Wochen gutachtlich Stellung. Wird ein im Bundesmantelvertrag für Zahnärzte vorgesehenes Gutachterverfahren gemäß § 87 Absatz 1c durchgeführt, hat die Krankenkasse ab Antragseingang innerhalb von sechs Wochen zu entscheiden; der Gutachter nimmt innerhalb von vier Wochen Stellung. Kann die Krankenkasse Fristen nach Satz 1 oder Satz 4 nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich oder elektronisch mit; für die elektronische Mitteilung gilt § 37 Absatz 2b des Zehnten Buches entsprechend. Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt. Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist die Krankenkasse zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet. Die Krankenkasse berichtet dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen jährlich über die Anzahl der Fälle, in denen Fristen nicht eingehalten oder Kostenerstattungen vorgenommen wurden. Für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation gelten die §§ 14 bis 24 des Neunten Buches zur Koordinierung der Leistungen und zur Erstattung selbst beschaffter Leistungen.

(4) Versicherte sind berechtigt, auch Leistungserbringer in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz anstelle der Sach- oder Dienstleistung im Wege der Kostenerstattung in Anspruch zu nehmen, es sei denn, Behandlungen für diesen Personenkreis im anderen Staat sind auf der Grundlage eines Pauschbetrages zu erstatten oder unterliegen auf Grund eines vereinbarten Erstattungsverzichts nicht der Erstattung. Es dürfen nur solche Leistungserbringer in Anspruch genommen werden, bei denen die Bedingungen des Zugangs und der Ausübung des Berufes Gegenstand einer Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft sind oder die im jeweiligen nationalen System der Krankenversicherung des Aufenthaltsstaates zur Versorgung der Versicherten berechtigt sind. Der Anspruch auf Erstattung besteht höchstens in Höhe der Vergütung, die die Krankenkasse bei Erbringung als Sachleistung im Inland zu tragen hätte. Die Satzung hat das Verfahren der Kostenerstattung zu regeln. Sie hat dabei ausreichende Abschläge vom Erstattungsbetrag für Verwaltungskosten in Höhe von höchstens 5 Prozent vorzusehen sowie vorgesehene Zuzahlungen in Abzug zu bringen. Ist eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit nur in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum möglich, kann die Krankenkasse die Kosten der erforderlichen Behandlung auch ganz übernehmen.

(5) Abweichend von Absatz 4 können in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz Krankenhausleistungen nach § 39 nur nach vorheriger Zustimmung durch die Krankenkassen in Anspruch genommen werden. Die Zustimmung darf nur versagt werden, wenn die gleiche oder eine für den Versicherten ebenso wirksame, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit rechtzeitig bei einem Vertragspartner der Krankenkasse im Inland erlangt werden kann.

(6) § 18 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 gilt in den Fällen der Absätze 4 und 5 entsprechend.

Tatbestand

1

Umstritten ist ein Arzneikostenregress wegen der Verordnung des Arzneimittels Polyglobin in den Quartalen II/1999 bis IV/1999.

2

Der in diesen Quartalen als Hausarzt an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Kläger verordnete insgesamt 17-mal "Polyglobin 5 %" für die 1932 geborene Versicherte H. Diese litt an einem metastasierenden Karzinom der Eileiter, das auch die Leber befallen hatte, und ist 2001 verstorben. Die Kosten je Verordnung beliefen sich auf 3209,02 DM. Auf Antrag der Rechtsvorgängerin der zu 2. beigeladenen Krankenkasse vom 1.12.2000 setzte der Prüfungsausschuss auf der Grundlage des § 14 der für den Bezirk der zu 1. beigeladenen Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) geltenden Prüfvereinbarung eine Schadensersatzpflicht des Klägers wegen der Verordnung von "Polyglobin" in Höhe von 51 553 DM fest. Dieser Betrag ergab sich auf der Grundlage der Bruttoverordnungskosten unter Abzug eines fünfprozentigen Apothekenrabatts und der von der Versicherten geleisteten Zuzahlungen. Der beklagte Beschwerdeausschuss wies den Widerspruch des Klägers mit der Begründung zurück, Polyglobin sei nicht im Rahmen der Zulassungsindikationen verordnet worden, und für eine Verordnung außerhalb der zugelassenen Indikationen - der Kläger hatte die Behandlung eines Antikörpermangels bei der Versicherten als Grund für die Verordnungen angeführt - habe keine rechtliche Grundlage bestanden.

3

Das SG hat den Bescheid des Beklagten aufgehoben, soweit die Verordnungen im Quartal II/1999 ausgestellt worden sind, weil die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2. die Antragsfrist versäumt habe. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen, weil für einen zulassungsüberschreitenden Einsatz von Polyglobin die rechtlichen Voraussetzungen, die inzwischen von der Rechtsprechung des BSG geklärt seien, nicht vorgelegen hätten.

4

Dieses Urteil haben der Kläger am 15.4.2005 mit der Berufung und die Beigeladene zu 2. am 28.11.2006 mit der Anschlussberufung angegriffen. Der Kläger hat geltend gemacht, die Verordnung von Polyglobin in den streitbefangenen Quartalen habe den Behandlungserfolg der Chemotherapie absichern sollen und sei damit zur erfolgreichen Behandlung des inoperablen metastasierenden Tubenkarzinoms notwendig gewesen. Nach der Entscheidung des BSG vom 5.7.1995 (Remedacen) habe er darauf vertrauen können, verschreibungspflichtige Medikamente auch außerhalb ihres Zulassungsbereichs verordnen zu dürfen. Der durch dieses höchstrichterliche Urteil ausgelöste Vertrauensschutz sei frühestens durch das Urteil des BSG vom 30.9.1999 (SKAT) eingeschränkt worden. Dieses Urteil habe er bei Ausstellung der hier betroffenen Verordnungen nicht kennen können; insoweit sei ihm zumindest Vertrauensschutz zuzubilligen. Im Übrigen seien die von ihm vorgenommenen Verordnungen auch nach den heute geltenden Maßstäben nicht zu beanstanden, weil die Voraussetzungen für einen indikationsüberschreitenden Einsatz von Polyglobin nach den im Beschluss des BVerfG vom 6.12.2005 formulierten Maßstäben erfüllt seien.

5

Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und auf die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. das Urteil des SG geändert und die Klage auch hinsichtlich der Verordnungen aus dem Quartal II/1999 abgewiesen. Die Anschlussberufung sei zulässig, obwohl diese sich nicht auf den Teil des Streitgegenstandes beziehe, der Gegenstand der Berufung des Klägers sei (Quartale III und IV/1999). Soweit das BSG die Auffassung vertrete, eine Anschlussberufung müsse sich innerhalb des Streitgegenstandes der Hauptberufung bewegen, sei dem nicht zu folgen. Dem Gegner des Berufungsführers müsse es möglich sein, durch Anschließung an die Berufung des Hauptberufungsführers eine Überprüfung des erstinstanzlichen Urteils zu erreichen, auch soweit ein Streitgegenstand betroffen sei, der von der Berufung des Klägers nicht erfasst werde.

6

Die Berufung der beigeladenen Krankenkasse sei aus denselben Gründen begründet wie diejenige des Klägers unbegründet. Der Beklagte sei berechtigt gewesen, auf der Grundlage des § 14 der für Berlin geltenden Prüfvereinbarung Arzneikostenregresse gegen den Kläger wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel festzusetzen. Das setze nach der gefestigten Rechtsprechung des BSG kein Verschulden des Vertragsarztes voraus. Auch ein Antrag der jeweils betroffenen Krankenkasse sei nicht erforderlich gewesen; soweit die Prüfvereinbarung etwas anderes vorschreibe, sei das nach der Rechtsprechung des BSG mit höherrangigem Recht nicht vereinbar und deshalb unwirksam. Aus diesem Grund habe das SG der Klage hinsichtlich des Quartals II/1999 zu Unrecht stattgegeben. Auf Vertrauensschutz könne der Kläger sich nicht berufen. Soweit der 8. Senat des BSG im Jahr 1999 ausgeführt habe, die Versicherten hätten im Anschluss an das Urteil des 1. Senats des BSG vom 15.7.1995 zumindest bis zur Veröffentlichung des Urteils aus dem Jahre 1999 darauf vertrauen dürfen, dass sie mit Arzneimitteln auch außerhalb des durch die Zulassung nach dem Arzneimittelgesetz (AMG) bestimmten Indikationsbereichs versorgt werden dürften, könne dem nicht gefolgt werden. Schließlich führe auch der Beschluss des BVerfG vom 6.12.2005 nicht zu einer anderen Beurteilung, weil die Wirksamkeit von Polyglobin zur Behandlung der nach Auffassung des Klägers bei der Patientin H. vorhandenen Antikörperstörung nicht belegt sei (Urteil vom 26.11.2008).

7

Mit seiner Revision rügt der Kläger in verfahrensrechtlicher Hinsicht die Entscheidung des Berufungsgerichts, die Anschlussrevision der Beigeladenen zu 2. als zulässig anzusehen. Diese Berufung sei nach Ablauf der auch für diese Beigeladene geltenden Berufungsfrist von einem Monat nach Zustellung des sozialgerichtlichen Urteils eingelegt worden. Als unselbstständige Anschlussberufung sei sie nicht zulässig, weil sie sich nicht auf den Gegenstand der von ihm - dem Kläger - eingelegten Hauptberufung beziehe. Nach der Rechtsprechung des BSG dürfe nach Ablauf der für die Beteiligten geltenden Berufungsfrist der Streitgegenstand des Berufungsverfahrens nicht mehr erweitert werden. Seine - des Klägers - Verordnungen in den drei streitbefangenen Quartalen bildeten jeweils unterschiedliche Streitgegenstände, was das SG im Ausgangspunkt zutreffend dadurch zum Ausdruck gebracht habe, dass es den Regressbescheid hinsichtlich des Quartals II/1999 aufgehoben und hinsichtlich der in den beiden folgenden Quartalen ausgestellten Verordnungen für rechtmäßig gehalten habe. Deshalb sei der angefochtene Regressbescheid hinsichtlich der Verordnungen aus dem Quartal II/1999 dem Berufungsgericht mit seiner - des Klägers - (Haupt)Berufung nicht angefallen und habe durch die zu 2. beigeladene Krankenkasse nach Ablauf der Berufungsfrist nicht mehr in das Berufungsverfahren einbezogen werden können.

8

Im Übrigen sei das Urteil des LSG fehlerhaft, soweit es die Regresse für rechtmäßig gehalten habe. Der vom Berufungsgericht herangezogene § 14 Abs 1 der Prüfvereinbarung sei schon generell keine tragfähige Grundlage für einen Regress wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel. Die Prüfvereinbarung regele lediglich Verstöße gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot sowie Regresse wegen schuldhafter Verursachung eines "sonstigen Schadens". Der in der Rechtsprechung des BSG zugelassene Regress wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Mittel hätte in der Prüfvereinbarung zwar geregelt werden können, sei dort tatsächlich aber nicht geregelt worden.

9

Weiterhin sei der angefochtene Bescheid fehlerhaft, weil im Prüfungsausschuss wie im Beschwerdeausschuss jeweils unter Vorsitz eines Vertreters der Krankenkassen entschieden worden sei. Die Krankenkassenvertreter hätten eine Vertagung der Entscheidung des Beklagten in einer Sitzung unter Vorsitz eines Vertreters der Ärzte herbeigeführt, um so zu erreichen, dass über die Widersprüche des Klägers gegen die Entscheidung des Prüfungsausschusses, die unter Vorsitz eines Vertreters der Krankenkassen getroffen worden sei, erneut unter Vorsitz eines Vertreters der Krankenkassen entschieden werde. Das sei unzulässig. Die Vorschriften über den wechselnden Vorsitz im Prüfungs- und Beschwerdeausschuss nach § 106 SGB V aF könnten nur so verstanden werden, dass jedenfalls über Entscheidungen des Prüfungsausschusses, bei denen ein Vertreter der Krankenkassen den Vorsitz gehabt habe, in der Besetzung des Beschwerdeausschusses mit einem Vorsitzenden aus den Reihen der Vertragsärzte entschieden werden müsse.

10

Die Verordnung von Polyglobin sei zur Behandlung der bei der Versicherten H. vorhandenen lebensbedrohlichen Karzinomerkrankung notwendig gewesen. Zwar sei der Einsatz von Polyglobin nicht unmittelbar zur Heilung der Tumorerkrankung bzw zur Linderung der damit verbundenen Beschwerden erfolgt, doch habe die Versicherte unter einer Antikörperstörung gelitten, die eine Chemotherapie unmöglich gemacht habe, die ihrerseits zur Behandlung des Tumorgrundleidens erforderlich gewesen sei. Der Einsatz von Polyglobin habe die Voraussetzungen für eine Fortsetzung der Chemotherapie schaffen sollen, und seine Rechtmäßigkeit müsse deshalb aus medizinischen Gründen nach denselben Maßstäben beurteilt werden wie die Verordnung von Arzneimitteln zur kausalen Krebstherapie. Jedenfalls habe er - der Kläger - darauf vertrauen dürfen, dass im Hinblick auf die Rechtsprechung des BSG auch der die Indikationsgrenzen überschreitende Einsatz generell zugelassener Arzneimittel (Off-Label-Use) im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung möglich gewesen sei. Das habe der 1. Senat des BSG im Juli 1995 zum Einsatz des Codeinpräparates Remedacen zur Drogensubstitution entschieden, und der 8. Senat des BSG, der mit dieser Rechtsprechung nicht einverstanden gewesen sei, habe im Jahr 1999 für die Zeit bis zur Verkündung seiner Entscheidung den Versicherten Vertrauensschutz zugebilligt. Auf diesen Vertrauensschutz könne er - der Kläger - sich hier auch berufen. Soweit der 6. Senat des BSG im Mai 2006 entschieden habe, Vertrauensschutzaspekte spielten insoweit keine Rolle, weil Vertragsärzte, die Arzneimittel außerhalb der Zulassungsindikationen einsetzen wollten, gehalten seien, ein Privatrezept auszustellen und die Versicherten bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche gegen die Krankenkasse zu unterstützen, sei das auf die hier maßgebliche Rechtslage des Jahres 1999 nicht übertragbar. Zu diesem Zeitpunkt sei nach § 29 Abs 1 Satz 2 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) die Genehmigung von Verordnungen durch eine Krankenkasse unzulässig gewesen. In Verbindung mit der Rechtsprechung des 1. Senats des BSG zu Remedacen habe sich daraus die Berechtigung von Vertragsärzten ergeben, den Off-Label-Use-Einsatz im regulären Verfahren durch Ausstellen von vertragsärztlichen Verordnungen zu praktizieren. Soweit das LSG bemängelt habe, das bei der Versicherten H. vorliegende Antikörpermangelsyndrom, das letztlich den Einsatz von Polyglobin erforderlich gemacht habe, sei nicht ausreichend belegt, könne dem nicht gefolgt werden. Entgegen der Auffassung des LSG seien laborchemische Untersuchungen zum Nachweis dieses Antikörpermangelsyndroms verzichtbar.

11

Der Kläger beantragt,

die Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 26.11.2008 und des Sozialgerichts Berlin vom 9.2.2005, soweit hier die Klage abgewiesen wurde, sowie den Bescheid des Beklagten vom 12.12.2001 aufzuheben,

hilfsweise, die Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 26.11.2008 und des Sozialgerichts Berlin vom 9.2.2005 sowie den Bescheid des Beklagten vom 12.12.2001 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, über den Widerspruch des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu entscheiden,

weiter hilfsweise, das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 26.11.2008 aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

12

Der Beklagte und die Beigeladene zu 2. beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

13

Zutreffend habe das Berufungsgericht entschieden, dass die Partner der Prüfvereinbarungen nicht einmal berechtigt gewesen wären, Arzneikostenregresse wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel vom Verschulden des Vertragsarztes abhängig zu machen. Entgegen der Auffassung des Klägers habe die maßgebliche Prüfvereinbarung aus dem Jahre 1994 nicht vorgeschrieben, dass eine unter dem Vorsitz eines Kassenvertreters getroffene Entscheidung vom Beschwerdeausschuss nur unter dem Vorsitz eines Vertreters der Ärzte überprüft werden dürfe. Eine solche Regelung wäre auch nicht praktikabel gewesen und hätte die Dauer der Prüfverfahren erheblich verlängert. Die Ausführungen des Klägers hinsichtlich seines Vertrauens auf bestimmte Entscheidungen des BSG seien irrelevant. Es sei lebensfremd, dass ein Vertragsarzt die einzelnen Entwicklungsschritte der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Kenntnis nehme und sein Verordnungsverhalten daran ausrichte. Eine Ausnahmelage im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG vom 6.12.2005 habe in den streitbefangenen Quartalen bei der Versicherten H. nicht bestanden.

14

Die zu 2. beigeladene Krankenkasse hält das Urteil des LSG ebenfalls für zutreffend. Zu Recht habe das LSG ihre Anschlussberufung als zulässig angesehen. Folge man der Auffassung des Klägers, gebe es für die Anschlussberufung im sozialgerichtlichen Verfahren überhaupt keinen Anwendungsbereich, weil die Hauptberufung regelmäßig nur insoweit erhoben werde, als der Rechtsmittelführer durch das sozialgerichtliche Urteil beschwert sei. Für eine Anschlussberufung sei dann kein Raum, weil im Rahmen der Beschwer des Klägers der Anschlussberufungsführer selbst mit dem angefochtenen Urteil einverstanden sei. Ein Grund für eine derart restriktive Handhabung entgegen der Rechtsprechung in den anderen Gerichtszweigen sei nicht erkennbar.

Entscheidungsgründe

15

Die Revision des Klägers hat teilweise Erfolg. Zu Recht rügt er, dass das Berufungsgericht über den angefochtenen Bescheid des Beklagten hinsichtlich der Verordnungen aus dem Quartal II/1999 in der Sache entschieden habe. Insoweit ist die zugunsten des Klägers ergangene Entscheidung des SG rechtskräftig geworden, weil die Beigeladene zu 2. innerhalb der Berufungsfrist keine Berufung eingelegt hat. Ihre Anschlussberufung war unzulässig (1). Keinen Erfolg hat die Revision dagegen hinsichtlich der Verordnungen in den Quartalen III und IV/1999. Insoweit hat das LSG die Berufung des Klägers gegen das sozialgerichtliche Urteil zu Recht zurückgewiesen. Der angefochtene Bescheid des Beklagten ist rechtmäßig (2).

16

1. Die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. vom 28.11.2006 war unzulässig. Das Berufungsgericht hätte auf diese Anschlussberufung hin nicht in eine Sachprüfung des angefochtenen Bescheides im Hinblick auf die Verordnungen des Klägers aus dem Quartal II/1999 eintreten dürfen. Insoweit war das der Klage stattgebende Urteil des SG nämlich bereits rechtskräftig geworden.

17

a. Die Berufung der beigeladenen Krankenkasse hätte nur als Anschlussberufung iS des § 202 SGG iVm § 524 ZPO zulässig sein können. Eine eigenständige Berufung wäre wegen Versäumung der Berufungsfrist des § 151 Abs 1 SGG unzulässig. Das Urteil des SG ist der Beigeladenen zu 2. am 16.3.2005 zugestellt worden; die Monatsfrist des § 151 Abs 1 SGG ist durch die Einlegung der Berufung am 28.11.2006 nicht gewahrt worden.

18

Die Berufungsfrist des § 151 Abs 1 SGG gilt nicht für die Anschlussberufung, die nach der Rechtsprechung des BSG auch in der Sozialgerichtsbarkeit statthaft ist(BSGE 63, 167, 169 = SozR 1500 § 54 Nr 85; Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer (Hrsg), SGG 9. Aufl 2008, § 143 RdNr 5). Die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. war hier aber unzulässig, weil sie nicht den gleichen prozessualen Anspruch wie die Hauptberufung des Klägers betroffen, sondern einen neuen Streitgegenstand in das Berufungsverfahren eingeführt hat. Das ist nach der Rechtsprechung aller mit dieser Rechtsfrage bisher befassten Senate des BSG ausgeschlossen (zB Urteil des 9. Senats vom 8.7.1969 = SozR Nr 12 zu § 521 ZPO; 6. Senat vom 19.6.1996 - 6 RKa 24/95 - = USK 96131) Diese Entscheidungen sind zu Ansprüchen ergangen, die Gegenstand des Klageverfahrens, aber nicht der Hauptberufung waren. Das Urteil des 4. Senats vom 10.2.2005 - B 4 RA 48/04 R - betrifft einen mit der Anschlussberufung geltend gemachten Anspruch, der nicht einmal Gegenstand des Klageverfahrens gewesen ist. Die Rechtsauffassung des BSG zur Begrenzung der Anschlussberufung auf den Streitgegenstand der Hauptberufung wird in den Kommentaren zum SGG - soweit ersichtlich ohne Ausnahme - geteilt (Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 143 RdNr 5d; Eckertz in: Lüdtke, Handkommentar Sozialgerichtsgesetz, 3. Aufl 2009, § 143 RdNr 37; Behn in: Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, 87. Ergänzungslieferung, Stand: Mai 2009 - Gesamtwerk, § 143 RdNr 68 f; Frehse in: Jansen, SGG, 3. Aufl 2009, § 143 RdNr 7; Waschull in: Berchtold/Richter, Prozesse in Sozialsachen, 2009, § 6 RdNr 130). Nach Bernsdorff (in: Hennig, SGG, Stand Februar 2009 - Gesamtwerk - § 143 RdNr 27) liegt keine Anschlussberufung vor, wenn sich der Antrag des Berufungsbeklagten bei teilbarem Streitgegenstand gegen einen anderen als den mit der Berufung angegriffenen Teil des erstinstanzlichen Urteils richtet (ähnlich Breitkreuz in: Breitkreuz/Fichte, SGG, 2009, § 143 RdNr 24).

19

b. Bei Anwendung dieser Rechtsauffassung ist die Anschlussberufung unzulässig, wie das LSG zutreffend angenommen hat. Die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. betrifft einen anderen Streitgegenstand als die Hauptberufung, weil diese die Verordnungen des Klägers aus den Quartalen III/1999 und IV/1999, jene aber solche aus dem Quartal II/1999 erfasst. Vertragsärztliche Honorarbescheide sowie Bescheide der Gremien der Wirtschaftlichkeitsprüfung ergehen quartalsbezogen und enthalten, wenn Entscheidungen mehrere Quartale betreffen (vgl zB BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 30/08 R - RdNr 24 mwN, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen), verschiedene Regelungen iS des § 31 Satz 1 SGB X. Selbst innerhalb eines Bescheides für ein Quartal können zahlreiche eigenständige "Regelungen" ergehen, die selbstständig anfechtbar sind. Das hat der Senat in einem Urteil vom 23.2.2005 (SozR 4-1500 § 92 Nr 2) für einen Honorarbescheid näher dargelegt; in dem schon zitierten Urteil vom 19.6.1996 (6 RKa 24/95) hat der Senat das in Bezug auf einen Bescheid zur Wirtschaftlichkeitsprüfung hinsichtlich von Kürzungen für bestimmte Leistungen bzw Leistungssparten als selbstverständlich vorausgesetzt und im Urteil vom 16.7.2008 ausdrücklich ausgesprochen (BSGE 101, 130 = SozR 4-2500 § 106 Nr 19, RdNr 25 am Ende).

20

Diese Rechtsprechung kann allerdings nicht ohne Weiteres auf Kostenregresse wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel übertragen werden. Derartige Regressbescheide können quartalsbezogen ergehen, etwa wenn ein Arzt über einen längeren Zeitraum hinweg bestimmte Medikamente für zahlreiche Patienten verordnet. Zwingend ist die Bindung eines Kostenregresses ebenso wie eines Regresses wegen eines sog "sonstigen Schadens" an den Quartalsturnus indessen nicht und bietet sich gerade in Konstellationen nicht an, in denen es um die Behandlung eines Versicherten mit einem umstrittenen Medikament über mehrere Quartale geht. Ein solcher Fall ist hier zu beurteilen, und sowohl der Regressantrag der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2. wie die Entscheidungen des Prüfungsausschusses und des Beklagten haben nicht nach den drei betroffenen Quartalen differenziert und mussten das auch nicht.

21

Ursprünglich bildete deshalb der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Aufhebung der - Verordnungen aus drei Quartalen erfassenden - Entscheidung des Beklagten vom 12.12.2001 den Streitgegenstand des gerichtlichen Verfahrens. Das SG hat diesen einheitlichen Streitgegenstand jedoch getrennt und die Regressfestsetzung je nach Zuordnung der beanstandeten Verordnungen des Klägers zu den Quartalen II/1999 einerseits sowie III und IV 1999 andererseits unterschiedlich beurteilt. Anlass dazu hat dem SG die (mittelbar) quartalsbezogene Regelung über die Antragsfrist der Krankenkasse in § 14 Abs 2 der maßgeblichen Prüfvereinbarung gegeben. Weil offenbar die Krankenkassen die Verordnungen aus jedem Quartal zusammengefasst zu einem bestimmten Termin erhalten, der wiederum für den Beginn der Antragsfrist nach § 14 Abs 2 von Bedeutung ist, konnte nach Ansicht des SG die Prüfung der Einhaltung dieser Frist nur differenziert für jedes Quartal erfolgen. Das Urteil des SG hat inzident die angefochtene Entscheidung des Beklagten in zumindest zwei Regelungen iS des § 31 Satz 1 SGB X aufgespalten, nämlich hinsichtlich der aus dem Quartal II/1999 und hinsichtlich der aus den Quartalen III/1999 sowie IV/1999 stammenden Verordnungen des Klägers. Bundesrecht ist dadurch nicht verletzt, und das SG hat durch den Tenor seines Urteils die Beteiligten über das gerichtliche Vorgehen hinreichend deutlich informiert.

22

Damit bestand bei Zustellung des SG-Urteils eine Rechtslage, wie sie derjenigen bei Honorarfestsetzungen oder Kürzungs- bzw Regressbescheiden entspricht, die von vornherein mehrere Quartale erfassen. Für jedes dieser Quartale ist (mindestens) eine Regelung angefochten, deren prozessuales Schicksal von demjenigen für die anderen Quartale abweichen kann; die Regelung für jedes Quartal bildet einen eigenständigen Streitgegenstand. Als Folge der Hauptberufung des Klägers war der angefochtene Bescheid des Beklagten Gegenstand des Berufungsverfahrens nur hinsichtlich der aus den Quartalen III/1999 und IV/1999 stammenden Verordnungen; das ist dem Antrag des Klägers im LSG-Verfahren deutlich zu entnehmen. Die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. hat mit der Entscheidung des Beklagten über die aus dem Quartal II/1999 stammenden Verordnungen einen neuen Streitgegenstand in das Berufungsverfahren eingeführt. Das ist nach der bisherigen Rechtsprechung des BSG nicht zulässig. Ein Anlass, von dieser Rechtsprechung abzuweichen, ist nicht ersichtlich.

23

c. Kein durchgreifendes Bedenken ergibt sich aus dem Hinweis der Beigeladenen zu 2., auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des BSG bleibe für die Anschlussberufung nur ein sehr begrenzter Anwendungsbereich. Wenn die Anschlussberufung nur innerhalb des prozessualen Anspruchs erhoben werden kann, der Gegenstand der Hauptberufung ist, kommt im vertragsärztlichen Bereich bei Honorarkürzungen bzw Arzneikostenregressen eine Anschlussberufung typischerweise nur dann in Betracht, wenn das SG auf die Klage die zuständige Behörde zur Neubescheidung nach bestimmten Maßgaben verurteilt und der Kläger mit seiner Berufung die endgültige Aufhebung der ihn belastenden Bescheide begehrt. Dieser Berufung können sich dann die KÄV, der Beschwerdeausschuss oder die beigeladenen Krankenkassen (bzw Krankenkassenverbände) mit dem Antrag anschließen, die Klage in vollem Umfang abzuweisen, auch nachdem die für sie laufende Berufungsfrist abgelaufen ist. Alle übrigen Regelungen der ursprünglich angefochtenen Entscheidung, über die das SG entschieden hat, ohne dass ein Beteiligter das mit der Berufung angefochten hat, die also etwa andere Leistungspositionen oder andere Quartale betreffen, werden dagegen bestandskräftig. Das ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts im vertragsärztlichen Bereich richtig und praktikabel.

24

Auf der Grundlage der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts bliebe dagegen möglicherweise während der gesamten Dauer eines Berufungsverfahrens offen, ob Regelungen in Kürzungs- oder Regressbescheiden, die nicht Gegenstand der Hauptberufung sind, bestandskräftig werden oder nicht. Soweit etwa in einer Entscheidung des Beschwerdeausschusses Honorarkürzungen oder Arzneikostenregresse für eine größere Zahl von Quartalen auf der Grundlage einer Vielzahl von Entscheidungen des Prüfungsausschusses (oder der Prüfungsstelle iS des § 106 Abs 4 Satz 1 SGB V idF des GKV-WSG vom 26.3.2007) zusammengefasst worden sind, bleibt deren Bestandskraft über Jahre hinweg offen, auch wenn nur eine Detailregelung hinsichtlich eines einzelnen Quartals Gegenstand des Berufungsverfahrens ist. Das ist sowohl für den beteiligten Vertragsarzt wie für die KÄV und die Krankenkassen als Kostenträger schwierig zu handhaben, weil ggf Rückstellungen gebildet werden müssten und Beträge nicht verbucht werden könnten.

25

Ein tatsächliches Bedürfnis, diese Rechtsfolgen in Kauf zu nehmen, um den Beteiligten bis zum Abschluss der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz die Möglichkeit der Anschlussberufung auch außerhalb des prozessualen Anspruchs, der Gegenstand der Hauptberufung ist, offen zu halten, vermag der Senat nicht zu erkennen. Ob Honorarkürzungs- oder Regressbescheide, die verschiedene Regelungen iS des § 31 Satz 1 SGB X zum Inhalt haben und häufig mehrere Quartale betreffen, einzeln angegriffen oder durch die Widerspruchsstelle zusammengefasst bzw im gerichtlichen Verfahren auf der Grundlage des § 113 Abs 1 SGG verbunden werden, ist eine Frage der Praktikabilität. Jeder Verfahrensbeteiligte hat nach Bekanntgabe des das Verwaltungsverfahren abschließenden Bescheides oder des erstinstanzlichen Urteils eine Frist von einem Monat, innerhalb der er prüfen und entscheiden kann, ob und ggf inwieweit er die Entscheidung der Behörde bzw des erstinstanzlichen Gerichts hinnehmen will oder nicht. Ein berechtigtes Interesse, Monate oder sogar Jahre nach Einlegung der Berufung des Gegners noch Regelungen der gerichtlichen Überprüfung des LSG zuführen zu können, zu denen die Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts zunächst hingenommen worden ist, besteht nicht.

26

d. Zudem kann die prozessuale Sicht des Berufungsgerichts die Entscheidungsreife der Berufung in Frage stellen, jedenfalls soweit keine Frist für die Anschlussberufung normiert ist. Während nach § 127 Abs 2 Satz 2 VwGO die Anschließung nur bis zum Ablauf eines Monats nach Zustellung der Berufungsbegründungsschrift zugelassen wird, besteht keine ebensolche Bestimmung im SGG. Die VwGO-Vorschrift soll nach vorherrschender Auffassung auf das sozialgerichtliche Verfahren nicht übertragen werden können, weil dafür eine rechtliche Grundlage fehlt. Vergleichbares wird hinsichtlich der ähnlichen Frist des § 524 Abs 2 Satz 2 ZPO angenommen, die immerhin über § 202 SGG grundsätzlich im sozialgerichtlichen Verfahren angewandt werden könnte(vgl Leitherer, aaO, § 143 RdNr 5 f). Nach dieser Vorschrift ist die Anschlussberufung zulässig bis zum Ablauf der dem Berufungsbeklagten gesetzten Frist zur Berufungserwiderung. Eine dem § 521 Abs 1 ZPO entsprechende Vorschrift über die Zustellung der Berufungsschrift und der Berufungsbegründungsschrift an den Gegner kennt das SGG nicht. Die entsprechende Anwendung des § 524 Abs 2 Satz 2 ZPO über § 202 SGG setzt aber die Zustellung mindestens der Berufungsbegründung an den Gegner voraus, damit Klarheit über den Beginn der Frist für die Einlegung der Anschlussberufung besteht. Die Anwendung von Ausschlussfristen im sozialgerichtlichen Verfahren ohne explizite normative Grundlage ist unter dem Gesichtspunkt der Garantie des effektiven Rechtsschutzes (Art 19 Abs 4 Satz 1, Art 103 Abs 1 GG) problematisch, sodass ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung, die auch in der Anordnung einer entsprechenden Geltung des § 127 Abs 2 Satz 2 VwGO im SGG bestehen könnte, die Ausschlussfrist für die Anschlussberufung wohl nicht entsprechend angewandt werden kann. Das dürfte auch deshalb anzunehmen sein, weil im Berufungsverfahren der Sozialgerichtsbarkeit im Unterschied zu demjenigen in der Verwaltungs- und in der Zivilgerichtsbarkeit kein Vertretungszwang herrscht, und die Vorschriften über die Zustellung von Berufungs- und Berufungsbegründungsschriften sowie daran anknüpfende Fristen auf einen durch professionelle Bevollmächtigte geführten Prozess zugeschnitten sind.

27

Würde - was das LSG nicht erwogen hat - auf der Grundlage einer analogen Anwendung des § 127 Abs 2 Satz 2 VwGO im sozialgerichtlichen Verfahren auf den Nachweis der Zustellung der Berufungsbegründungsschrift verzichtet und der Nachweis ihrer tatsächlichen Kenntnis für ausreichend gehalten, wäre die Anschlussberufung der zu 2. beigeladenen Krankenkasse hier ebenfalls unzulässig. Diese hat, wie sich aus ihrer Reaktion im Berufungsverfahren vom 4.4.2006 ergibt, Monate vor Einlegung der Anschlussberufung am 28.11.2006 Kenntnis von der Berufungsbegründung des Klägers gehabt. Die entsprechende Anwendung der Monatsfrist des § 127 Abs 2 Satz 2 VwGO würde dann ebenfalls zur Unzulässigkeit ihrer Berufung führen. Demgegenüber hätte die vom Berufungsgericht offenbar befürwortete unbefristete Zulassung der Anschlussberufung bis zur mündlichen Verhandlung zur Folge, dass das LSG trotz Entscheidungsreife der Hauptberufung den Rechtsstreit vertagen müsste, wenn zum Gegenstand der Anschlussberufung noch Sachaufklärungsbedarf besteht. Das könnte zu Verzögerungen der Entscheidung führen, die auch im Hinblick auf das Gebot der Gewährung von Rechtsschutz in angemessener Zeit (Art 6 Europäische Menschenrechtskonvention) möglichst zu vermeiden sind.

28

Diese Erwägungen geben dem Senat Anlass, trotz der gewichtigen Einwände des Berufungsgerichts an der bisherigen Rechtsprechung des BSG zur Anschlussberufung festzuhalten und von einer andernfalls gebotenen Anrufung des Großen Senats nach § 41 Abs 2 SGG im Hinblick auf die Rechtsprechung anderer Senate zum Gegenstand der Anschlussberufung im sozialgerichtlichen Verfahren abzusehen.

29

2. Im Übrigen erweist sich die Revision des Klägers aber als unbegründet.

30

a. Das Berufungsgericht hat angenommen, § 14 Abs 1 iVm Abs 3 der seit dem Jahre 1994 geltenden und für die Verordnungen des Klägers im Jahre 1999 noch anwendbaren Prüfvereinbarung für den Bezirk der zu 1. beigeladenen KÄV Berlin gestatte die Festsetzung von Arzneikostenregressen, soweit der Vertragsarzt Arzneimittel verordnet hat, die in der vertragsärztlichen Versorgung nicht verordnungsfähig sind. Die Kenntnis des Vertragsarztes von der fehlenden Verordnungsfähigkeit oder generell ein Verschulden des Arztes sei insoweit nicht Voraussetzung für die Festsetzung eines Regresses. Soweit der Kläger § 14 der Prüfvereinbarung anders versteht und annimmt, diese Norm erfasse nur Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung bzw die Festsetzung eines verschuldensabhängigen "sonstigen Schadens" und nicht die Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel, ist dem im Revisionsverfahren nicht weiter nachzugehen. Die Prüfvereinbarung stellt Landesrecht iS des § 162 SGG dar, das das Revisionsgericht in der Auslegung des Berufungsgerichts seiner Entscheidung zugrunde zu legen hat. Von diesem Grundsatz sind in der Rechtsprechung des BSG zwei Ausnahmen anerkannt. Danach können landesrechtliche Normen vom Revisionsgericht eigenständig ausgelegt und angewandt werden, wenn es sich um Normen handelt, die inhaltsgleich in Bezirken verschiedener LSG gelten, soweit die Übereinstimmung im Interesse der Rechtsvereinheitlichung bewusst und gewollt ist (BSG vom 8.9.2009 - B 1 KR 8/09 R - RdNr 26, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt. Es ist weder geltend gemacht noch gerichtsbekannt, dass die Berliner Prüfvereinbarung aus dem Jahr 1994 inhaltsgleich in anderen KÄV-Bezirken gilt.

31

Landesrechtliche Normen sind weiterhin einer eigenständigen Auslegung und Anwendung des BSG zugänglich, wenn das LSG entscheidungserhebliche Vorschriften unberücksichtigt gelassen hat (BSGE 98, 89 = SozR 4-2500 § 85 Nr 31, jeweils RdNr 15). Hier hat jedoch das LSG die als Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides ersichtlich einschlägige Vorschrift des § 14 der Prüfvereinbarung zutreffend herangezogen und unter Anwendung der allgemein anerkannten juristischen Auslegungskriterien ausgelegt. Der Kläger rügt auch keinen Verstoß gegen diese Auslegungsgrundsätze oder die Denkgesetze, sondern setzt der Auslegung des Berufungsgerichts seine abweichende Auslegung entgegen. Das führt nicht dazu, dass entgegen der Vorgabe des § 162 SGG das Revisionsgericht zu einer eigenständigen Auslegung berufen wäre.

32

Soweit § 14 der Prüfvereinbarung in der Auslegung des LSG eine hinreichende Grundlage für die Festsetzung von Arzneikostenregressen wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel darstellt, steht die Vorschrift mit Bundesrecht in Einklang. Der Senat hat mehrfach entschieden, dass auf der Grundlage des § 106 Abs 2 SGB V in den Prüfvereinbarungen Rechtsgrundlagen für Arzneikostenregresse festgeschrieben werden dürfen, soweit Vertragsärzte Arznei- und Heilmittel verordnet haben, die nicht Gegenstand der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung sind(zB BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 52; vgl zuletzt BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 37/08 R - RdNr 17 ff mwN, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Das stellt der Kläger selbst nicht in Abrede.

33

b. Soweit der Kläger in formeller Hinsicht weiter rügt, der angefochtene Bescheid des Beklagten sei fehlerhaft, weil er in einer Sitzung gefasst worden sei, in der ein Vertreter der Krankenkassen den Vorsitz innegehabt habe, kann dem nicht gefolgt werden. Weder die Prüfvereinbarung im Bezirk der zu 1. beigeladenen KÄV noch Bundesrecht haben vorgeschrieben, dass in den Jahren, in denen Prüfungs- und Beschwerdeausschüsse alternierend von einem Vertreter der Krankenkassen und der Vertragsärzte geleitet worden sind, Entscheidungen des Prüfungsausschusses, die unter ärztlichem Vorsitz getroffen worden sind, vom Beschwerdeausschuss nur unter Vorsitz eines Vertreters der Krankenkassen und umgekehrt überprüft werden dürfen.

34

Nach § 106 Abs 4 Satz 3 SGB V idF des Gesundheitsstrukturgesetzes vom 21.12.1992 führte in den von Vertretern der Ärzte und der Krankenkassen in gleicher Zahl besetzten Prüfungs- und Beschwerdeausschüssen jährlich wechselnd ein Vertreter der Ärzte und der Krankenkassen den Vorsitz. Die Stimme des Vorsitzenden gab bei Stimmengleichheit den Ausschlag (aaO, Satz 4). Diese als defizitär bewertete Regelung war manipulationsanfällig (vgl näher BSGE 92, 283 = SozR 4-2500 § 106 Nr 5 auch zur Neuregelung im Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung)und ist deshalb zum 1.1.2004 ohne Übergangsregelung in der Weise geändert worden, dass die Gremien nunmehr von einem neutralen Vorsitzenden geleitet werden. Für die Zeit bis zum 31.12.2003 galten aber die früheren Regelungen über den im Jahresturnus wechselnden Vorsitz fort, und diesen lag die Auffassung der Revision von einem notwendigen Wechsel im Vorsitz zwischen den beiden Verwaltungsinstanzen nicht zugrunde.

35

Der Kläger verweist selbst auf früher geltende Prüfvereinbarungen im Bezirk der KÄV Bayerns und der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Berlin, in denen bestimmt war, den Vorsitz im Beschwerdeausschuss führe ein Vertreter der Ärzte (Zahnärzte), wenn in dem zu entscheidenden Fall ein Vertreter der Krankenkassen den Vorsitz im Prüfungsausschuss inne hatte und umgekehrt. Dass eine solche Regelung im Bezirk der Beigeladenen zu 1. gegolten habe, macht der Kläger nicht geltend. Seine Auffassung, auch ohne ausdrückliche Regelung in der maßgeblichen Prüfvereinbarung ergebe sich dieser Grundsatz unmittelbar als Folge des § 106 Abs 4 Satz 3 SGB V aF über den turnusmäßigen Wechsel im Vorsitz von Prüfungs- und Beschwerdeausschuss, trifft nicht zu. Die Annahme einer solchen bundesrechtlichen Vorgabe hätte das Prüfverfahren verkompliziert und wäre ohne nähere Regelungen in den Prüfvereinbarungen kaum umsetzbar gewesen. Die Beschwerdeausschüsse hätten Beschlüsse über Entscheidungen der Prüfungsausschüsse möglicherweise zurückstellen müssen, weil im jeweiligen Jahr die "richtige" Besetzung nicht verfügbar gewesen wäre; alternativ hätte immer ein Vorsitzender der "Bank", die im jeweiligen Jahr im Beschwerdeausschuss nicht den Vorsitzenden stellt, zur Verfügung stehen müssen, um über Entscheidungen des Prüfungsausschusses zu beraten, die unter anderem Vorsitz getroffen worden sind. Ob die damit verbundenen formellen Erschwerungen des Prüfungsverfahrens bundesrechtlich unbedenklich gewesen wären, bleibt offen (zu den Grenzen des Gestaltungsspielraums der Gesamtvertragspartner bei Ausgestaltung der Prüfvereinbarung vgl BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 53 S 290 f). Eine Verpflichtung der Prüfgremien, ohne explizite Regelung in der Prüfvereinbarung so zu verfahren, hat jedenfalls nicht bestanden.

36

c. Soweit der Kläger geltend macht, die Entscheidung durch den Beklagten am 12.12.2001 sei nur deshalb unter dem Vorsitz eines Krankenkassenvertreters gefallen, weil die Kassenvertreter die ursprünglich vorgesehene Sitzung am 24.9.2001 boykottiert hätten, führt das zu keiner anderen Beurteilung. Da ein Arzt keinen Anspruch darauf hat, dass über seine Angelegenheit immer unter dem Vorsitz eines Arztes im Beschwerdeausschuss entschieden wird, wenn der Prüfungsausschuss unter dem Vorsitz eines Krankenkassenvertreters entschieden hat, stellt die Vertagung einer Sitzung auch dann grundsätzlich keinen Rechtsverstoß dar, wenn diese zur Folge haben sollte, dass der Vorsitz in der tatsächlich entscheidenden Sitzung wechselt. Im Übrigen hat das Berufungsgericht nicht iS des § 163 SGG festgestellt, dass die Vertagung der Entscheidung vom 24.9.2001 allein darauf beruht hat, dass die Krankenkassenvertreter erreichen wollten, dass über die Angelegenheit des Klägers in der Besetzung des Beschwerdeausschusses mit einem Vorsitzenden aus ihren Reihen entschieden wird. Schließlich ist im Hinblick auf die Rügen des Klägers zur Zusammensetzung des Beklagten bei der Beschlussfassung darauf hinzuweisen, dass die Krankenkassen nach der Rechtsprechung des Senats gegen Entscheidungen der Prüfgremien, mit denen ua Anträge auf Festsetzung von Honorarkürzungen oder Arzneikostenregressen abgelehnt werden, Rechtsmittel ergreifen können (zB BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 1 und BSG MedR 2004, 577, jeweils zu unzureichenden Kürzungen vertragszahnärztlichen Honorars; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 24 zum Sprechstundenbedarfsregress). Da vorliegend Ermessens- und Beurteilungsspielräume allenfalls am Rande in Rede stehen, spricht wenig dafür, dass die zu 2. beigeladene Krankenkasse eine - unterstellt für den Kläger positive - Entscheidung des Beklagten unter anderem Vorsitz auf sich hätte beruhen lassen.

37

d. Der Kläger durfte über "Polyglobin 5 %" in den streitbefangenen Quartalen keine vertragsärztliche Verordnung ausstellen. Er hat dieses Arzneimittel außerhalb der arzneimittelrechtlichen Zulassung verordnet.

38

Die Zulassung von Polyglobin war nach den Feststellungen des LSG auf die Behandlung der idiopathischen thrombozytopenischen Purpura (Hautblutungen) beschränkt, und an dieser Erkrankung hat die Versicherte H. nicht gelitten. Ein Arzneimittel darf grundsätzlich nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung für einen Einsatz außerhalb der arzneimittelrechtlich zugelassenen Indikation verordnet werden. Das hat der 1. Senat des BSG mit Urteil vom 19.3.2002 (BSGE 89, 184 = SozR 3-2500 § 31 Nr 8) unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung entschieden und daran bis heute festgehalten (zB BSGE 93, 236 = SozR 4-2500 § 27 Nr 1). Der 6. Senat des BSG ist dem für die Festsetzung von Arzneikostenregressen gefolgt (vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 RdNr 19; vgl auch BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 37/08 R - RdNr 26, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).

39

Der Kläger kann sich zur Rechtfertigung seiner Verordnungen von Polyglobin weder auf Vertrauensschutz noch auf einen der Annahmetatbestände stützen, unter denen Arzneimittel vertragsärztlich auch außerhalb der zugelassenen Indikation verordnet werden dürfen. Der Kläger ist der Auffassung, Vertragsärzte hätten in der Zeit zwischen dem Urteil des 1. Senats vom 5.7.1995 zur Drogensubstitution mit dem Codein-Präparat Remedacen (BSGE 76, 194 = SozR 3-2500 § 27 Nr 5) und dem Bekanntwerden des Urteils des 8. Senats vom 30.9.1999 zur SKAT-Therapie (BSGE 85, 36 = SozR 3-2500 § 27 Nr 11) generell darauf vertrauen dürfen, Arzneimittel im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung auch außerhalb der Zulassungsindikationen nach dem Arzneimittelrecht verordnen zu dürfen. Dem folgt der Senat in Übereinstimmung mit dem Berufungsgericht nicht.

40

Es ist bereits fraglich, ob ein Vertragsarzt im Hinblick auf das zu der sehr speziellen Situation der Drogensubstitution ergangene Urteil des 1. Senats vom 5.7.1995 generell darauf vertrauen durfte, Arzneimittel auch außerhalb ihrer Zulassungsindikation verordnen zu dürfen. Allenfalls kommt ein Vertrauen darauf in Betracht, dass die Bindung der vertragsärztlichen Verordnung an die Zulassung des jeweiligen Fertigarzneimittels nach dem AMG in dem Sinne gelockert ist, dass in bestimmten Konstellationen eine die arzneimittelrechtliche Zulassung überschreitende Verordnung, die medizinisch sinnvoll oder sogar geboten ist, auch krankenversicherungsrechtlich zulässig sein kann. In diesem Sinne ist das Urteil des 8. Senats vom 30.9.1999 richtigerweise zu verstehen. Weitergehende Schlussfolgerungen aus diesem Urteil im Sinne eines uneingeschränkt erlaubten indikationsfremden Einsatzes von Fertigarzneimitteln liegen eher fern, zumal ein beliebiger, allein nach Gutdünken jedes einzelnen Arztes erfolgender, Einsatz eines Medikaments außerhalb der Zulassung nicht ernsthaft für sachgerecht gehalten werden kann .

41

e. Im Übrigen sind schon kurz nach Veröffentlichung des Urteils des 1. Senats vom 5.7.1995 zur Drogensubstitution in der Rechtsprechung des BSG Zweifel an der allgemeinen Aussagekraft dieses Urteils über den entschiedenen Fall hinaus artikuliert worden. Schon drei Monate nach dem Urteil des 1. Senats hat der allein für das Vertragsarztrecht zuständige erkennende Senat Bedenken gegen die Zulässigkeit des Einsatzes von Remedacen zur Drogensubstitution geäußert und auf die Problematik der Beachtung der Richtlinien des (früheren) Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen im Zusammenhang mit sog Außenseitermethoden hingewiesen (Urteil vom 18.10.1995, SozR 3-5550 § 17 Nr 2 S 5). In der Sache sind sodann die Grundsätze des Urteils vom 5.7.1995 durch die neuere Rechtsprechung des 6. und des 1. Senats zur Rechtsqualität der Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen, zur Methodenanerkennung nach § 135 Abs 1 SGB V und zum Zusammenhang zwischen dieser Anerkennung und den Prinzipien der Arzneimitteltherapie deutlich modifiziert worden(Urteil des 6. Senats vom 20.3.1996, BSGE 78, 70 = SozR 3-2500 § 92 Nr 6 "Methadon"; Urteile des 1. Senats vom 16.9.1997, BSGE 81, 54 = SozR 3-2500 § 135 Nr 4, BSGE 81, 73 = SozR 3-2500 § 92 Nr 7). Spätestens nach Bekanntwerden dieser Urteile war deutlich, dass die ältere Rechtsprechung des BSG zu den (untergesetzlichen) Vorgaben des Leistungs- und Leistungserbringungsrechts in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht mehr uneingeschränkt fortgeführt werden würde. Kein Vertragsarzt musste die aufgezeigten Wendungen der Rechtsprechung kennen oder nachvollziehen. Wer aber - wie der Kläger - geltend macht, Verordnungen aus dem Jahre 1999 im Vertrauen auf eine zu einer Sonderkonstellation ergangene und vereinzelt gebliebene Rechtsprechung des BSG aus dem Jahre 1995 getätigt zu haben, muss sich entgegenhalten lassen, dass sich die Rechtsprechung weiterentwickelt hat. Jedenfalls im Jahr 1999 hat es für einen Vertragsarzt erkennbar keine hinreichende Sicherheit mehr gegeben, nach eigener Einschätzung Off-Label-Use-Verordnungen ausstellen zu dürfen, ohne Gefahr zu laufen, insoweit in Regress genommen zu werden.

42

f. Zudem sind sowohl das Urteil des 1. Senats vom 5.7.1995, auf das sich der Kläger beruft, wie auch die folgenden Entscheidungen des 1. und des 8. Senats des BSG zu den Rechtsansprüchen von Versicherten gegen ihre Krankenkasse ergangen. Aus diesen Urteilen ergibt sich nicht unmittelbar, wie sich ein Vertragsarzt zu Arzneimittelverordnungen verhalten sollte, die erkennbar außerhalb der Zulassungsindikation des jeweiligen Arzneimittels erfolgten, von denen er aber annahm, sie könnten vom Patienten beansprucht werden. Dazu ist dem Urteil des erkennenden Senats vom 18.10.1995 (6 RKa 3/93) zur Drogensubstitution zu entnehmen, dass in solchen Fällen jedenfalls eine exakte Dokumentation und eine engmaschige Verlaufskontrolle der Behandlung geboten waren (SozR 3-5550 § 17 Nr 2 S 8; vgl auch BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 37/08 R - RdNr 39, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Damit ist es zB nicht vereinbar, auf laborchemische Untersuchungen zum Nachweis eines - vermeintlichen oder tatsächlich bestehenden - "Antikörpermangelsyndroms" zu verzichten, wenn die umstrittene Off-Label-Verordnung von Immunglobulinen gerade auf diese Diagnose reagiert.

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Ein Vertragsarzt, der Medikamente außerhalb ihrer zugelassenen Indikationen verordnet, kann weder sich noch der Krankenkasse Gewissheit darüber verschaffen, dass die Verordnung den Vorgaben des Wirtschaftlichkeitsgebotes genügt, also notwendig, zweckmäßig und wirtschaftlich ist. Bei Off-Label-Verordnungen hat nämlich gerade keine Prüfung von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des jeweiligen Arzneimittels stattgefunden, die seinen Einsatz (auch) im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung rechtfertigt. Eine solche Prüfung ist im AMG nur indikationsbezogen vorgeschrieben und durchführbar; die von der Zulassung nach dem AMG ausgehende Schutzwirkung und Qualitäts- wie Wirksamkeitserwartung greift bei einem Einsatz des Medikaments außerhalb der Zulassung gerade nicht ein (vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 RdNr 19; s auch BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 37/08 - RdNr 27 ff, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Soweit danach ein Vertragsarzt Verordnungen ohne gesicherten Nachweis von Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels ausstellt, muss zwingend nachträglich geprüft werden dürfen, ob die jeweilige Verordnung den Regeln des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung entspricht. Wenn der Vertragsarzt davon absieht, in Fällen eines Off-Label-Use die Krankenkasse vor Ausstellung der Verordnung einzuschalten, wie es der Senat in einem Beschluss vom 31.5.2006 dargestellt hat (B 6 KA 53/05 B, MedR 2007, 557, 560), muss er hinnehmen, dass die Einhaltung der Vorgaben der vertragsärztlichen Versorgung im Nachhinein geprüft wird.

44

Der Beklagte hält dem Kläger - anders als dieser nahe legen will - keine schuldhafte Verletzung vertragsärztlicher Pflichten vor, die nunmehr sanktioniert wird. Der Beklagte hat lediglich die Position der zu 2. beigeladenen Krankenkasse bestätigt, dass sie objektiv zu Unrecht erhebliche Kosten für die Versorgung ihrer Versicherten H. mit einem Immunglobulin aufgewandt hat. Weil der Kläger der Beigeladenen zu 2. keine Gelegenheit gegeben hat, ihre Auffassung zur Rechtmäßigkeit des Einsatzes von Immunglobulinen bei der Versicherten H. vor Einlösung der Verordnungen darzulegen, muss es der Krankenkasse möglich sein, ihren Standpunkt nachträglich durchzusetzen, soweit er rechtlicher Prüfung standhält. Dazu sieht die Prüfvereinbarung im Einklang mit Bundesrecht das Verfahren der Regressfestsetzung vor. Soweit der Kläger geltend macht, nach dem im Jahr 1999 geltenden Recht habe er zu Gunsten der H. kein Privatrezept ausstellen dürfen, weil das gegen § 29 Abs 1 Satz 2 BMV-Ä verstoßen hätte, folgt der Senat dem nicht. Der Beschluss des Senats vom 31.5.2006 (MedR 2007, 557), der diesen Weg aufgezeigt hat, ist zu Off-Label-Use-Verordnungen aus dem Jahr 1997 ergangen. Auch 1997 und 1999 galt das Verbot, sich als Vertragsarzt vertragsärztliche Verordnungen einzeln genehmigen zu lassen; dieses Verbot hat sich - wie der Senat dargelegt hat - immer nur auf Verordnungen im Rahmen der Leistungspflicht der Krankenkassen bezogen. Wie die Rechtslage zu beurteilen wäre, wenn der Kläger im Sommer 1999 vergeblich bei der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2. angefragt und explizit um eine Entscheidung über das aus Sicht dieser Krankenkasse richtige Vorgehen gebeten hätte, kann offen bleiben. Der Kläger macht selbst nicht geltend, diesen Weg beschritten zu haben.

45

g. Der vom Beklagten aufrecht erhaltene Regress gegen den Kläger ist schließlich nicht deshalb rechtswidrig, weil der Versicherten H. bei Ausstellung der umstrittenen Verordnungen nach den Grundsätzen des Beschlusses des BVerfG vom 6.12.2005 (BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5) gegen die Rechtsvorgängerin der zu 2. beigeladenen Krankenkasse ein Anspruch auf Versorgung mit Polyglobin 5 % zugestanden hätte. Nach den Feststellungen des LSG liegen die tatsächlichen Voraussetzungen eines solchen, auf §§ 27 und 31 SGB V iVm Art 2 Abs 1 GG und dem Sozialstaatsprinzip bzw Art 2 Abs 2 Satz 1 GG und der hieraus abzuleitenden Schutzpflicht gegründeten Anspruchs nicht vor. Diese Feststellungen des LSG sind für den Senat nach § 163 SGG bindend, weil der Kläger dazu keine zulässigen Revisionsrügen angebracht hat.

46

Richtig ist allerdings der Ausgangspunkt der Revision: Wenn feststünde, dass H. nach den tatsächlichen Verhältnissen des Jahres 1999 einen Anspruch auf Versorgung mit Polyglobin als Sachleistung der Krankenkasse gehabt hätte, dürfte wegen der für diese Versorgung angefallenen Kosten kein Regress gegen den Kläger festgesetzt werden. Diese Konsequenz aus der Entscheidung des BVerfG hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 5.11.2008 zu Wobe Mugos (SozR 4-2500 § 106 Nr 21; ebenso BSG MedR 2010, 276) inzident angesprochen und hält daran fest. Der verschuldensunabhängige Schadensersatzanspruch der Krankenkasse gegen einen Vertragsarzt wegen unzulässiger Arzneimittelverordnungen beruht im Kern darauf, dass die Krankenkasse einen Ausgleich für die Bezahlung von Medikamenten erhält, die sie bei korrekten Verhalten des Arztes nicht hätte finanzieren müssen. Wenn sich nachträglich herausstellt, dass der Versicherte, zu dessen Gunsten der Vertragsarzt die umstrittenen Verordnungen ausgestellt hat, auf die Versorgung mit dem verordneten Arzneimittel einen Anspruch gegen seine Krankenkasse hatte, ist dieser durch die Bezahlung dieses Arzneimittels dem Grunde nach jedenfalls kein Schaden entstanden, den der Vertragsarzt nunmehr ersetzen müsste. Lässt sich allerdings nicht mit hinreichender Gewissheit feststellen, dass die Voraussetzungen für einen ausnahmsweise gerechtfertigten Off-Label-Use vorgelegen haben, geht das zu Lasten des Arztes. Er rückt, obwohl er sich nach der Ausrichtung des Verfahrens gegen einen Regress wendet, hinsichtlich der Verteilung von Darlegungs- und Beweislast in die Stellung ein, die der Versicherte gehabt hätte, wenn er seinen Standpunkt zur der Verordnungsfähigkeit eines Arzneimittels gegen die Krankenkasse nach § 13 Abs 3 SGB V im Wege der Geltendmachung eines Kostenerstattungsanspruchs durchsetzen müsste. Wer geltend machen will, der Versorgungsanspruch umfasse in einer bestimmten Konstellation auch die Versorgung mit zugelassenen Arzneimitteln außerhalb der Zulassungsindikationen, dringt damit nicht durch, wenn sich unter Ausschöpfung aller Möglichkeiten zur Sachaufklärung nicht feststellen lässt, dass die dafür insbesondere in der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG und inzwischen auch vom Gemeinsamen Bundesausschuss (§ 30 der Arzneimittel-Richtlinie iVm Anlage VI) formulierten Voraussetzungen vorgelegen haben. Das ist auch hier der Fall und geht zu Lasten des Klägers.

47

h. Das LSG ist in Übereinstimmung mit der Revision zutreffend davon ausgegangen, dass die Versicherte H. an einer lebensbedrohlichen Erkrankung (metastasierendes Karzinom der Eileiter) gelitten hat. Zu dessen kausaler Behandlung hätte bei Fehlen einer allgemein anerkannten, medizinischem Standard entsprechenden Behandlungsmethode nach der Rechtsprechung des BVerfG ein Arzneimittel auch außerhalb seiner Zulassungsindikation eingesetzt werden dürfen, wenn nach der vorhandenen Studienlage auf diese Weise die nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf positive Behandlungserfolge bestanden hätten (BVerfGE 115, 25, 49 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 RdNr 33). Das nimmt der Kläger selbst für die Verordnung von Polyglobin nicht an. Er geht vielmehr davon aus, dass die Versicherte H. an einem Antikörpermangel litt, der unbehandelt eine Fortführung der überlebensnotwendigen Chemotherapie ausgeschlossen hätte oder hat. Wenn die Rechtsprechung des BVerfG auf diese Konstellation Anwendung finden sollte, was der Senat entgegen der Auffassung des LSG nicht von vornherein für ausgeschlossen hält, müssen jedenfalls die Anforderungen an einen zulässigen Off-Label-Use entsprechend erfüllt sein. Es muss deshalb feststehen, dass der Patient neben der lebensbedrohlichen Erkrankung an einer weiteren Gesundheitsstörung leidet, die die Anwendung aller zur Behandlung des Hauptleidens in Betracht kommenden Behandlungsmöglichkeiten ausschließt. Weiterhin muss der Off-Label-Einsatz des anzuwendenden Arzneimittels mit gewisser Wahrscheinlichkeit die zweite Erkrankung so beeinflussen, dass eine Erfolg versprechende Behandlung des Hauptleidens wieder oder erstmals möglich wird. Schließlich darf es für die zweite Erkrankung keine anerkannten Behandlungsmöglichkeiten - zB mit entsprechend zugelassenen Arzneimitteln - geben. Diese Voraussetzungen sind hier jedenfalls nicht - wie es notwendig wäre, um der Klage zum Erfolg zu verhelfen - kumulativ erfüllt.

48

i. Erhebliche Zweifel bestehen bereits daran, ob das vom Kläger so bezeichnete "sekundäre Antikörpermangelsyndrom" eine eigenständige und hinreichende spezifische Erkrankung ist, die abgegrenzt vom Karzinomleiden behandelt werden kann und muss. Der Kläger hat dazu in den Tatsacheninstanzen nicht Präzises vorgetragen. Zudem steht nicht fest, dass die Patientin H. an einem Antikörpermangelsyndrom litt, das schulmedizinisch nicht behandelbar war. Die zur Abstützung dieser Diagnose und des Ausmaßes der Erkrankung möglichen laborchemischen Untersuchungen hat der Kläger nach den Feststellungen des LSG nicht durchgeführt oder veranlasst. Dazu mag er - wie die Revision geltend macht - berufsrechtlich nicht verpflichtet gewesen sein. Er hat damit aber im Hinblick auf den Off-Label-Use zur Unaufklärbarkeit des genauen Gesundheitszustandes der Versicherten H. in der zweiten Hälfte des Jahres 1999 beigetragen. Das geht zu seinen Lasten.

49

j. Außerdem fehlt es an ausreichenden Feststellungen bzw Belegen für das vom Kläger geltend gemachte Dilemma, die lebensbedrohliche Ersterkrankung nur durch die Behandlung der Zweiterkrankung mit Polyglobin 5 % therapieren zu können. Der Kläger setzt schon die Anforderungen an den Nachweis einer eigenständigen Zweiterkrankung zu niedrig an. Die Versicherte H. litt nach den Ausführungen des Klägers an einer "Verminderung der Immunitätslage" als Folge sowohl des Karzinomleidens als auch der aggressiven Chemotherapien. Darauf habe sie mit wiederholten schweren bakteriellen und viralen Infektionen reagiert, die er - der Kläger - als "Zeichen eines sekundären Antikörpermangels" gedeutet habe. Für keine dieser "wiederholten" Infektionen hat der Kläger im Verwaltungsverfahren oder in den Vorinstanzen jedoch konkret und eingehend belegt, dass diesen durch anerkannte Behandlungsverfahren nicht hätten effektiv entgegengewirkt werden können. Spezifische Darlegungen dazu, die dann dem LSG ggf Anlass zu weiterer Sachaufklärung hätten geben können, waren vor allem deshalb unerlässlich, weil der Kläger selbst einen Zusammenhang zwischen dem Krebsleiden und der Chemotherapie mit der geschwächten Immunitätslage der H. herstellt. Da nicht alle Patienten, deren Abwehrsystem durch Krebs und Chemotherapie geschwächt sind, mit Immunglobulin behandelt werden bzw nach dem gebotenen Behandlungsstandard behandelt werden müssen oder im Jahr 1999 so behandelt wurden oder behandelt werden mussten, hätte der Kläger fallbezogen und detailliert darlegen müssen, inwieweit sich die gesundheitliche Lage der H. von derjenigen anderer chemotherapeutisch behandelter Krebspatienten unterschied, und auf der Basis welcher exakten Befunde er die Anwendung von Polyglobin 5 % für unerlässlich hielt. Das ist nicht geschehen und spricht dafür, dass sich der Kläger von der Gabe eines Immunglobulins ganz generell eine Stärkung der Abwehrlage der H. und damit mutmaßlich eine bessere Resistenz gegen Infektionen versprach. Das reicht für einen Off-Label-Use, dessen Zulässigkeit jedenfalls in Fällen der hier vorliegenden Art von dem Gesundheitszustand des konkreten Patienten abhängt, nicht aus.

50

k. Schließlich ist die positive Wirkung, die der Kläger dem Einsatz von Immunglobulin bei fortgeschrittener Krebserkrankung zuschreibt, nach den Feststellungen des LSG auch nicht hinreichend belegt.

51

Das LSG hat im Einzelnen dargestellt, dass die bis 1999 zum Einsatz von Immunglobulinen vorhandenen Studien und publizierten Forschungsergebnisse nicht darauf hindeuten, dass die Gesundheitsstörungen der Versicherten H. durch den Einsatz von Polyglobin erfolgreich behandelt werden konnten. Das LSG ist zutreffend von den in der Rechtsprechung des 1. Senats des BSG ermittelten Grundsätzen zum Anspruch der Versicherten auf Versorgung mit (in Deutschland oder der EU) nicht zugelassenen Arzneimitteln (dazu BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4) oder mit Arzneimitteln außerhalb zugelassener Indikationen (BSGE 89, 184 = SozR 3-2500 § 31 Nr 8) ausgegangen. Es hat näher ausgeführt, dass keine wissenschaftliche Arbeit vorliege oder vom Kläger benannt sei, in der der zulassungsüberschreitende Einsatz von Immunglobulinen zur Behandlung einer auf der Intoleranz von Chemotherapeutika beruhenden Erkrankung als medizinisch geboten bewertet wird. Einen Konsens der einschlägigen Fachkreise, dass Polyglobin ein sekundäres Antikörpersyndrom positiv beeinflussen könne, hat das LSG gerade nicht feststellen können. Soweit die Revision die vorhandenen medizinischen Unterlagen lediglich anders würdigt, vermag sie damit die Feststellungen iS des § 163 SGG nicht zu entkräften.

52

Soweit der Kläger die Sachaufklärung des LSG zu den Erfolgsaussichten der Behandlung mit Immunglobulinen für unzureichend hält, berücksichtigt er nicht hinreichend, dass sich der 1. Senat des BSG bereits mehrfach mit dem Anspruch der Versicherten auf Versorgung mit Immunglobulinen befasst hat. In den Urteilen vom 19.3.2002 (BSGE 89, 184 = SozR 3-2500 § 31 Nr 8), vom 27.3.2007 (B 1 KR 17/06 R) und vom 28.2.2008 (SozR 4-2500 § 13 Nr 16), die sämtlich die Versorgung mit Immunglobulinpräparaten - jeweils bezogen auf die Indikation Multiple Sklerose - zum Gegenstand hatten, wird der Stand der medizinischen Forschung zu dieser Wirkstoffgruppe für die streitbefangenen Jahre 1997 bis 2003 eingehend aufgearbeitet. Zwar können die Forschungsergebnisse zur Möglichkeit, durch die Gabe von Immunglobulinen die Multiple Sklerose günstig zu beeinflussen, nicht ohne Weiteres auf die hier zu beurteilende Situation der unterstützenden Behandlung bei Krebserkrankungen übertragen werden, doch sind die Wirkungen und die in Frage kommenden Indikationen für Immunglobulin bezogen auf den hier relevanten Zeitraum gut erforscht und die Forschungsergebnisse - soweit krankenversicherungsrechtlich von Bedeutung - in der Rechtsprechung des BSG umfassend rezipiert worden. Zudem sind die Urteile des 1. Senats des BSG vom 27.3.2007 und vom 28.2.2008 Gegenstand der verfassungsgerichtlichen Prüfung gewesen. Mit Kammerbeschlüssen vom 30.6.2008 (1 BvR 1665/07 zum BSG-Urteil B 1 KR 17/06 R) und vom 8.7.2009 (1 BvR 1531/09 zum BSG-Urteil B 1 KR 15/07 R) sind die Verfassungsbeschwerden der unterlegenen Kläger jeweils nicht zur Entscheidung angenommen worden. Beide Kammerbeschlüsse sind auf der Basis der grundlegenden Entscheidung des BVerfG vom 6.12.2005 ergangen und billigen insbesondere, dass die Rechtsprechung des BSG strenge Anforderungen an den Nachweis stellt, dass mit dem zulassungsüberschreitenden Einsatz des jeweils betroffenen Arzneimittels hinreichende Erfolgsaussichten verbunden sein müssen (BVerfG vom 30.6.2008 - 1 BvR 1665/07 - NJW 2008, 3556 f RdNr 9 bis 11). Es reicht danach als Grundlage für einen Off-Label-Use von Arzneimitteln in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht aus, dass positive Folgen einer solchen Behandlung nach dem Wirkungsmechanismus von Immunglobulinen nicht schlechthin ausgeschlossen werden können, dass Patienten in Einzelfällen nach Verabreichung der umstrittenen Medikamente eine Verbesserung ihres Befindens beschreiben und dass einzelne Ärzte oder Wissenschaftler mit plausiblen Gründen einen von der verbreiteten Auffassung abweichenden Standpunkt zu den Erfolgsaussichten einer Behandlung vertreten. Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe und im Hinblick auf die schon vorliegende Rechtsprechung des 1. Senats des BSG ist die Sachverhaltsermittlung des Berufungsgerichts ausreichend.

53

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs 1 iVm § 155 Abs 1 VwGO und berücksichtigt das teilweise Obsiegen und Unterliegen der Beteiligten. Die außergerichtlichen Kosten der zu 1. beigeladenen KÄV sind nach § 162 Abs 3 VwGO nicht erstattungsfähig, weil diese keine Anträge gestellt hat(vgl BSGE 96, 257 = SozR 4-1300 § 63 Nr 3, RdNr 16).

(1) Ein schriftlicher oder elektronischer sowie ein schriftlich oder elektronisch bestätigter Verwaltungsakt ist mit einer Begründung zu versehen. In der Begründung sind die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitzuteilen, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen haben. Die Begründung von Ermessensentscheidungen muss auch die Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist.

(2) Einer Begründung bedarf es nicht,

1.
soweit die Behörde einem Antrag entspricht oder einer Erklärung folgt und der Verwaltungsakt nicht in Rechte eines anderen eingreift,
2.
soweit demjenigen, für den der Verwaltungsakt bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, die Auffassung der Behörde über die Sach- und Rechtslage bereits bekannt oder auch ohne Begründung für ihn ohne weiteres erkennbar ist,
3.
wenn die Behörde gleichartige Verwaltungsakte in größerer Zahl oder Verwaltungsakte mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlässt und die Begründung nach den Umständen des Einzelfalles nicht geboten ist,
4.
wenn sich dies aus einer Rechtsvorschrift ergibt,
5.
wenn eine Allgemeinverfügung öffentlich bekannt gegeben wird.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Nr. 1 bis 3 ist der Verwaltungsakt schriftlich oder elektronisch zu begründen, wenn der Beteiligte, dem der Verwaltungsakt bekannt gegeben ist, es innerhalb eines Jahres seit Bekanntgabe verlangt.

(1) Die Krankenkassen stellen den Versicherten die im Dritten Kapitel genannten Leistungen unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12) zur Verfügung, soweit diese Leistungen nicht der Eigenverantwortung der Versicherten zugerechnet werden. Behandlungsmethoden, Arznei- und Heilmittel der besonderen Therapierichtungen sind nicht ausgeschlossen. Qualität und Wirksamkeit der Leistungen haben dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen.

(1a) Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, können auch eine von Absatz 1 Satz 3 abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Die Krankenkasse erteilt für Leistungen nach Satz 1 vor Beginn der Behandlung eine Kostenübernahmeerklärung, wenn Versicherte oder behandelnde Leistungserbringer dies beantragen. Mit der Kostenübernahmeerklärung wird die Abrechnungsmöglichkeit der Leistung nach Satz 1 festgestellt.

(2) Die Versicherten erhalten die Leistungen als Sach- und Dienstleistungen, soweit dieses oder das Neunte Buch nichts Abweichendes vorsehen. Die Leistungen werden auf Antrag durch ein Persönliches Budget erbracht; § 29 des Neunten Buches gilt entsprechend. Über die Erbringung der Sach- und Dienstleistungen schließen die Krankenkassen nach den Vorschriften des Vierten Kapitels Verträge mit den Leistungserbringern.

(3) Bei der Auswahl der Leistungserbringer ist ihre Vielfalt zu beachten. Den religiösen Bedürfnissen der Versicherten ist Rechnung zu tragen.

(4) Krankenkassen, Leistungserbringer und Versicherte haben darauf zu achten, daß die Leistungen wirksam und wirtschaftlich erbracht und nur im notwendigen Umfang in Anspruch genommen werden.

(1) Fertigarzneimittel dürfen im Geltungsbereich dieses Gesetzes nur in den Verkehr gebracht werden, wenn sie durch die zuständige Bundesoberbehörde zugelassen sind oder wenn für sie die Europäische Gemeinschaft oder die Europäische Union eine Genehmigung für das Inverkehrbringen nach Artikel 3 Absatz 1 oder 2 der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 erteilt hat. Satz 1 gilt auch in Verbindung mit der Verordnung (EG) Nr. 1901/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Kinderarzneimittel und zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1768/92, der Richtlinie 2001/83/EG und der Verordnung (EU) Nr. 536/2014, der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 (ABl. L 378 vom 27.12.2006, S. 1; L 201 vom 27.7.2012, S. 28), die zuletzt durch die Verordnung (EU) 2019/5 (ABl. L 4 vom 7.1.2019, S. 24) geändert worden ist, in Verbindung mit der Verordnung (EU) Nr. 536/2014 oder in Verbindung mit der Verordnung (EG) Nr. 1394/2007.

(2) Einer Zulassung bedarf es nicht für Arzneimittel, die

1.
auf Grund nachweislich häufiger ärztlicher oder zahnärztlicher Verschreibung in den wesentlichen Herstellungsschritten in einer Apotheke in einer Menge bis zu hundert abgabefertigen Packungen an einem Tag im Rahmen des üblichen Apothekenbetriebs hergestellt werden und zur Abgabe im Rahmen der bestehenden Apothekenbetriebserlaubnis bestimmt sind,
1a.
Arzneimittel sind, bei deren Herstellung Stoffe menschlicher Herkunft eingesetzt werden und die entweder zur autologen oder gerichteten, für eine bestimmte Person vorgesehene Anwendung bestimmt sind oder auf Grund einer Rezeptur für einzelne Personen hergestellt werden, es sei denn, es handelt sich um Arzneimittel im Sinne von § 4 Absatz 4,
1b.
andere als die in Nummer 1a genannten Arzneimittel sind und für Apotheken, denen für einen Patienten eine Verschreibung vorliegt, aus im Geltungsbereich dieses Gesetzes zugelassenen Arzneimitteln
a)
als Zytostatikazubereitung oder für die parenterale Ernährung sowie in anderen medizinisch begründeten besonderen Bedarfsfällen, sofern es für die ausreichende Versorgung des Patienten erforderlich ist und kein zugelassenes Arzneimittel zur Verfügung steht, hergestellt werden oder
b)
als Blister aus unveränderten Arzneimitteln hergestellt werden oder
c)
in unveränderter Form abgefüllt werden,
1c.
antivirale oder antibakterielle Wirksamkeit haben und zur Behandlung einer bedrohlichen übertragbaren Krankheit, deren Ausbreitung eine sofortige und das übliche Maß erheblich überschreitende Bereitstellung von spezifischen Arzneimitteln erforderlich macht, aus Wirkstoffen hergestellt werden, die von den Gesundheitsbehörden des Bundes oder der Länder oder von diesen benannten Stellen für diese Zwecke bevorratet wurden, soweit ihre Herstellung in einer Apotheke zur Abgabe im Rahmen der bestehenden Apothekenbetriebserlaubnis oder zur Abgabe an andere Apotheken erfolgt,
1d.
Gewebezubereitungen sind, die der Pflicht zur Genehmigung nach den Vorschriften des § 21a Abs. 1 unterliegen,
1e.
Heilwässer, Bademoore oder andere Peloide sind, die nicht im Voraus hergestellt und nicht in einer zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Packung in den Verkehr gebracht werden, oder die ausschließlich zur äußeren Anwendung oder zur Inhalation vor Ort bestimmt sind,
1f.
medizinische Gase sind und die für einzelne Personen aus im Geltungsbereich dieses Gesetzes zugelassenen Arzneimitteln durch Abfüllen und Kennzeichnen in Unternehmen, die nach § 50 zum Einzelhandel mit Arzneimitteln außerhalb von Apotheken befugt sind, hergestellt werden,
1g.
als Therapieallergene für einzelne Patienten auf Grund einer Rezeptur hergestellt werden,
2.
zur klinischen Prüfung bestimmt sind oder
3.
unter den in Artikel 83 der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 genannten Voraussetzungen kostenlos für eine Anwendung bei Patienten zur Verfügung gestellt werden, die an einer zu einer schweren Behinderung führenden Erkrankung leiden oder deren Krankheit lebensbedrohend ist, und die mit einem zugelassenen Arzneimittel nicht zufrieden stellend behandelt werden können; dies gilt auch für die nicht den Kategorien des Artikels 3 Absatz 1 oder 2 der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 zugehörigen Arzneimittel; Verfahrensregelungen werden in einer Rechtsverordnung nach § 80 bestimmt.

(2a) (weggefallen)

(3) Die Zulassung ist vom pharmazeutischen Unternehmer zu beantragen. Für ein Fertigarzneimittel, das in Apotheken oder sonstigen Einzelhandelsbetrieben auf Grund einheitlicher Vorschriften hergestellt und unter einer einheitlichen Bezeichnung an Verbraucher abgegeben wird, ist die Zulassung vom Herausgeber der Herstellungsvorschrift zu beantragen. Wird ein Fertigarzneimittel für mehrere Apotheken oder sonstige Einzelhandelsbetriebe hergestellt und soll es unter deren Namen und unter einer einheitlichen Bezeichnung an Verbraucher abgegeben werden, so hat der Hersteller die Zulassung zu beantragen.

(4) Die zuständige Bundesoberbehörde entscheidet ferner, unabhängig von einem Zulassungsantrag nach Absatz 3 oder von einem Genehmigungsantrag nach § 21a Absatz 1 oder § 42 Absatz 2, auf Antrag einer zuständigen Landesbehörde über die Zulassungspflicht eines Arzneimittels, die Genehmigungspflicht einer Gewebezubereitung oder über die Genehmigungspflicht einer klinischen Prüfung. Dem Antrag hat die zuständige Landesbehörde eine begründete Stellungnahme zur Einstufung des Arzneimittels oder der klinischen Prüfung beizufügen.

(1) Die Krankenkassen stellen den Versicherten die im Dritten Kapitel genannten Leistungen unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12) zur Verfügung, soweit diese Leistungen nicht der Eigenverantwortung der Versicherten zugerechnet werden. Behandlungsmethoden, Arznei- und Heilmittel der besonderen Therapierichtungen sind nicht ausgeschlossen. Qualität und Wirksamkeit der Leistungen haben dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen.

(1a) Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, können auch eine von Absatz 1 Satz 3 abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Die Krankenkasse erteilt für Leistungen nach Satz 1 vor Beginn der Behandlung eine Kostenübernahmeerklärung, wenn Versicherte oder behandelnde Leistungserbringer dies beantragen. Mit der Kostenübernahmeerklärung wird die Abrechnungsmöglichkeit der Leistung nach Satz 1 festgestellt.

(2) Die Versicherten erhalten die Leistungen als Sach- und Dienstleistungen, soweit dieses oder das Neunte Buch nichts Abweichendes vorsehen. Die Leistungen werden auf Antrag durch ein Persönliches Budget erbracht; § 29 des Neunten Buches gilt entsprechend. Über die Erbringung der Sach- und Dienstleistungen schließen die Krankenkassen nach den Vorschriften des Vierten Kapitels Verträge mit den Leistungserbringern.

(3) Bei der Auswahl der Leistungserbringer ist ihre Vielfalt zu beachten. Den religiösen Bedürfnissen der Versicherten ist Rechnung zu tragen.

(4) Krankenkassen, Leistungserbringer und Versicherte haben darauf zu achten, daß die Leistungen wirksam und wirtschaftlich erbracht und nur im notwendigen Umfang in Anspruch genommen werden.

(1) Fertigarzneimittel dürfen im Geltungsbereich dieses Gesetzes nur in den Verkehr gebracht werden, wenn sie durch die zuständige Bundesoberbehörde zugelassen sind oder wenn für sie die Europäische Gemeinschaft oder die Europäische Union eine Genehmigung für das Inverkehrbringen nach Artikel 3 Absatz 1 oder 2 der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 erteilt hat. Satz 1 gilt auch in Verbindung mit der Verordnung (EG) Nr. 1901/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Kinderarzneimittel und zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1768/92, der Richtlinie 2001/83/EG und der Verordnung (EU) Nr. 536/2014, der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 (ABl. L 378 vom 27.12.2006, S. 1; L 201 vom 27.7.2012, S. 28), die zuletzt durch die Verordnung (EU) 2019/5 (ABl. L 4 vom 7.1.2019, S. 24) geändert worden ist, in Verbindung mit der Verordnung (EU) Nr. 536/2014 oder in Verbindung mit der Verordnung (EG) Nr. 1394/2007.

(2) Einer Zulassung bedarf es nicht für Arzneimittel, die

1.
auf Grund nachweislich häufiger ärztlicher oder zahnärztlicher Verschreibung in den wesentlichen Herstellungsschritten in einer Apotheke in einer Menge bis zu hundert abgabefertigen Packungen an einem Tag im Rahmen des üblichen Apothekenbetriebs hergestellt werden und zur Abgabe im Rahmen der bestehenden Apothekenbetriebserlaubnis bestimmt sind,
1a.
Arzneimittel sind, bei deren Herstellung Stoffe menschlicher Herkunft eingesetzt werden und die entweder zur autologen oder gerichteten, für eine bestimmte Person vorgesehene Anwendung bestimmt sind oder auf Grund einer Rezeptur für einzelne Personen hergestellt werden, es sei denn, es handelt sich um Arzneimittel im Sinne von § 4 Absatz 4,
1b.
andere als die in Nummer 1a genannten Arzneimittel sind und für Apotheken, denen für einen Patienten eine Verschreibung vorliegt, aus im Geltungsbereich dieses Gesetzes zugelassenen Arzneimitteln
a)
als Zytostatikazubereitung oder für die parenterale Ernährung sowie in anderen medizinisch begründeten besonderen Bedarfsfällen, sofern es für die ausreichende Versorgung des Patienten erforderlich ist und kein zugelassenes Arzneimittel zur Verfügung steht, hergestellt werden oder
b)
als Blister aus unveränderten Arzneimitteln hergestellt werden oder
c)
in unveränderter Form abgefüllt werden,
1c.
antivirale oder antibakterielle Wirksamkeit haben und zur Behandlung einer bedrohlichen übertragbaren Krankheit, deren Ausbreitung eine sofortige und das übliche Maß erheblich überschreitende Bereitstellung von spezifischen Arzneimitteln erforderlich macht, aus Wirkstoffen hergestellt werden, die von den Gesundheitsbehörden des Bundes oder der Länder oder von diesen benannten Stellen für diese Zwecke bevorratet wurden, soweit ihre Herstellung in einer Apotheke zur Abgabe im Rahmen der bestehenden Apothekenbetriebserlaubnis oder zur Abgabe an andere Apotheken erfolgt,
1d.
Gewebezubereitungen sind, die der Pflicht zur Genehmigung nach den Vorschriften des § 21a Abs. 1 unterliegen,
1e.
Heilwässer, Bademoore oder andere Peloide sind, die nicht im Voraus hergestellt und nicht in einer zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Packung in den Verkehr gebracht werden, oder die ausschließlich zur äußeren Anwendung oder zur Inhalation vor Ort bestimmt sind,
1f.
medizinische Gase sind und die für einzelne Personen aus im Geltungsbereich dieses Gesetzes zugelassenen Arzneimitteln durch Abfüllen und Kennzeichnen in Unternehmen, die nach § 50 zum Einzelhandel mit Arzneimitteln außerhalb von Apotheken befugt sind, hergestellt werden,
1g.
als Therapieallergene für einzelne Patienten auf Grund einer Rezeptur hergestellt werden,
2.
zur klinischen Prüfung bestimmt sind oder
3.
unter den in Artikel 83 der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 genannten Voraussetzungen kostenlos für eine Anwendung bei Patienten zur Verfügung gestellt werden, die an einer zu einer schweren Behinderung führenden Erkrankung leiden oder deren Krankheit lebensbedrohend ist, und die mit einem zugelassenen Arzneimittel nicht zufrieden stellend behandelt werden können; dies gilt auch für die nicht den Kategorien des Artikels 3 Absatz 1 oder 2 der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 zugehörigen Arzneimittel; Verfahrensregelungen werden in einer Rechtsverordnung nach § 80 bestimmt.

(2a) (weggefallen)

(3) Die Zulassung ist vom pharmazeutischen Unternehmer zu beantragen. Für ein Fertigarzneimittel, das in Apotheken oder sonstigen Einzelhandelsbetrieben auf Grund einheitlicher Vorschriften hergestellt und unter einer einheitlichen Bezeichnung an Verbraucher abgegeben wird, ist die Zulassung vom Herausgeber der Herstellungsvorschrift zu beantragen. Wird ein Fertigarzneimittel für mehrere Apotheken oder sonstige Einzelhandelsbetriebe hergestellt und soll es unter deren Namen und unter einer einheitlichen Bezeichnung an Verbraucher abgegeben werden, so hat der Hersteller die Zulassung zu beantragen.

(4) Die zuständige Bundesoberbehörde entscheidet ferner, unabhängig von einem Zulassungsantrag nach Absatz 3 oder von einem Genehmigungsantrag nach § 21a Absatz 1 oder § 42 Absatz 2, auf Antrag einer zuständigen Landesbehörde über die Zulassungspflicht eines Arzneimittels, die Genehmigungspflicht einer Gewebezubereitung oder über die Genehmigungspflicht einer klinischen Prüfung. Dem Antrag hat die zuständige Landesbehörde eine begründete Stellungnahme zur Einstufung des Arzneimittels oder der klinischen Prüfung beizufügen.

Tatbestand

1

Umstritten ist ein Arzneikostenregress wegen der Verordnung des Arzneimittels Polyglobin in den Quartalen II/1999 bis IV/1999.

2

Der in diesen Quartalen als Hausarzt an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Kläger verordnete insgesamt 17-mal "Polyglobin 5 %" für die 1932 geborene Versicherte H. Diese litt an einem metastasierenden Karzinom der Eileiter, das auch die Leber befallen hatte, und ist 2001 verstorben. Die Kosten je Verordnung beliefen sich auf 3209,02 DM. Auf Antrag der Rechtsvorgängerin der zu 2. beigeladenen Krankenkasse vom 1.12.2000 setzte der Prüfungsausschuss auf der Grundlage des § 14 der für den Bezirk der zu 1. beigeladenen Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) geltenden Prüfvereinbarung eine Schadensersatzpflicht des Klägers wegen der Verordnung von "Polyglobin" in Höhe von 51 553 DM fest. Dieser Betrag ergab sich auf der Grundlage der Bruttoverordnungskosten unter Abzug eines fünfprozentigen Apothekenrabatts und der von der Versicherten geleisteten Zuzahlungen. Der beklagte Beschwerdeausschuss wies den Widerspruch des Klägers mit der Begründung zurück, Polyglobin sei nicht im Rahmen der Zulassungsindikationen verordnet worden, und für eine Verordnung außerhalb der zugelassenen Indikationen - der Kläger hatte die Behandlung eines Antikörpermangels bei der Versicherten als Grund für die Verordnungen angeführt - habe keine rechtliche Grundlage bestanden.

3

Das SG hat den Bescheid des Beklagten aufgehoben, soweit die Verordnungen im Quartal II/1999 ausgestellt worden sind, weil die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2. die Antragsfrist versäumt habe. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen, weil für einen zulassungsüberschreitenden Einsatz von Polyglobin die rechtlichen Voraussetzungen, die inzwischen von der Rechtsprechung des BSG geklärt seien, nicht vorgelegen hätten.

4

Dieses Urteil haben der Kläger am 15.4.2005 mit der Berufung und die Beigeladene zu 2. am 28.11.2006 mit der Anschlussberufung angegriffen. Der Kläger hat geltend gemacht, die Verordnung von Polyglobin in den streitbefangenen Quartalen habe den Behandlungserfolg der Chemotherapie absichern sollen und sei damit zur erfolgreichen Behandlung des inoperablen metastasierenden Tubenkarzinoms notwendig gewesen. Nach der Entscheidung des BSG vom 5.7.1995 (Remedacen) habe er darauf vertrauen können, verschreibungspflichtige Medikamente auch außerhalb ihres Zulassungsbereichs verordnen zu dürfen. Der durch dieses höchstrichterliche Urteil ausgelöste Vertrauensschutz sei frühestens durch das Urteil des BSG vom 30.9.1999 (SKAT) eingeschränkt worden. Dieses Urteil habe er bei Ausstellung der hier betroffenen Verordnungen nicht kennen können; insoweit sei ihm zumindest Vertrauensschutz zuzubilligen. Im Übrigen seien die von ihm vorgenommenen Verordnungen auch nach den heute geltenden Maßstäben nicht zu beanstanden, weil die Voraussetzungen für einen indikationsüberschreitenden Einsatz von Polyglobin nach den im Beschluss des BVerfG vom 6.12.2005 formulierten Maßstäben erfüllt seien.

5

Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und auf die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. das Urteil des SG geändert und die Klage auch hinsichtlich der Verordnungen aus dem Quartal II/1999 abgewiesen. Die Anschlussberufung sei zulässig, obwohl diese sich nicht auf den Teil des Streitgegenstandes beziehe, der Gegenstand der Berufung des Klägers sei (Quartale III und IV/1999). Soweit das BSG die Auffassung vertrete, eine Anschlussberufung müsse sich innerhalb des Streitgegenstandes der Hauptberufung bewegen, sei dem nicht zu folgen. Dem Gegner des Berufungsführers müsse es möglich sein, durch Anschließung an die Berufung des Hauptberufungsführers eine Überprüfung des erstinstanzlichen Urteils zu erreichen, auch soweit ein Streitgegenstand betroffen sei, der von der Berufung des Klägers nicht erfasst werde.

6

Die Berufung der beigeladenen Krankenkasse sei aus denselben Gründen begründet wie diejenige des Klägers unbegründet. Der Beklagte sei berechtigt gewesen, auf der Grundlage des § 14 der für Berlin geltenden Prüfvereinbarung Arzneikostenregresse gegen den Kläger wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel festzusetzen. Das setze nach der gefestigten Rechtsprechung des BSG kein Verschulden des Vertragsarztes voraus. Auch ein Antrag der jeweils betroffenen Krankenkasse sei nicht erforderlich gewesen; soweit die Prüfvereinbarung etwas anderes vorschreibe, sei das nach der Rechtsprechung des BSG mit höherrangigem Recht nicht vereinbar und deshalb unwirksam. Aus diesem Grund habe das SG der Klage hinsichtlich des Quartals II/1999 zu Unrecht stattgegeben. Auf Vertrauensschutz könne der Kläger sich nicht berufen. Soweit der 8. Senat des BSG im Jahr 1999 ausgeführt habe, die Versicherten hätten im Anschluss an das Urteil des 1. Senats des BSG vom 15.7.1995 zumindest bis zur Veröffentlichung des Urteils aus dem Jahre 1999 darauf vertrauen dürfen, dass sie mit Arzneimitteln auch außerhalb des durch die Zulassung nach dem Arzneimittelgesetz (AMG) bestimmten Indikationsbereichs versorgt werden dürften, könne dem nicht gefolgt werden. Schließlich führe auch der Beschluss des BVerfG vom 6.12.2005 nicht zu einer anderen Beurteilung, weil die Wirksamkeit von Polyglobin zur Behandlung der nach Auffassung des Klägers bei der Patientin H. vorhandenen Antikörperstörung nicht belegt sei (Urteil vom 26.11.2008).

7

Mit seiner Revision rügt der Kläger in verfahrensrechtlicher Hinsicht die Entscheidung des Berufungsgerichts, die Anschlussrevision der Beigeladenen zu 2. als zulässig anzusehen. Diese Berufung sei nach Ablauf der auch für diese Beigeladene geltenden Berufungsfrist von einem Monat nach Zustellung des sozialgerichtlichen Urteils eingelegt worden. Als unselbstständige Anschlussberufung sei sie nicht zulässig, weil sie sich nicht auf den Gegenstand der von ihm - dem Kläger - eingelegten Hauptberufung beziehe. Nach der Rechtsprechung des BSG dürfe nach Ablauf der für die Beteiligten geltenden Berufungsfrist der Streitgegenstand des Berufungsverfahrens nicht mehr erweitert werden. Seine - des Klägers - Verordnungen in den drei streitbefangenen Quartalen bildeten jeweils unterschiedliche Streitgegenstände, was das SG im Ausgangspunkt zutreffend dadurch zum Ausdruck gebracht habe, dass es den Regressbescheid hinsichtlich des Quartals II/1999 aufgehoben und hinsichtlich der in den beiden folgenden Quartalen ausgestellten Verordnungen für rechtmäßig gehalten habe. Deshalb sei der angefochtene Regressbescheid hinsichtlich der Verordnungen aus dem Quartal II/1999 dem Berufungsgericht mit seiner - des Klägers - (Haupt)Berufung nicht angefallen und habe durch die zu 2. beigeladene Krankenkasse nach Ablauf der Berufungsfrist nicht mehr in das Berufungsverfahren einbezogen werden können.

8

Im Übrigen sei das Urteil des LSG fehlerhaft, soweit es die Regresse für rechtmäßig gehalten habe. Der vom Berufungsgericht herangezogene § 14 Abs 1 der Prüfvereinbarung sei schon generell keine tragfähige Grundlage für einen Regress wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel. Die Prüfvereinbarung regele lediglich Verstöße gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot sowie Regresse wegen schuldhafter Verursachung eines "sonstigen Schadens". Der in der Rechtsprechung des BSG zugelassene Regress wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Mittel hätte in der Prüfvereinbarung zwar geregelt werden können, sei dort tatsächlich aber nicht geregelt worden.

9

Weiterhin sei der angefochtene Bescheid fehlerhaft, weil im Prüfungsausschuss wie im Beschwerdeausschuss jeweils unter Vorsitz eines Vertreters der Krankenkassen entschieden worden sei. Die Krankenkassenvertreter hätten eine Vertagung der Entscheidung des Beklagten in einer Sitzung unter Vorsitz eines Vertreters der Ärzte herbeigeführt, um so zu erreichen, dass über die Widersprüche des Klägers gegen die Entscheidung des Prüfungsausschusses, die unter Vorsitz eines Vertreters der Krankenkassen getroffen worden sei, erneut unter Vorsitz eines Vertreters der Krankenkassen entschieden werde. Das sei unzulässig. Die Vorschriften über den wechselnden Vorsitz im Prüfungs- und Beschwerdeausschuss nach § 106 SGB V aF könnten nur so verstanden werden, dass jedenfalls über Entscheidungen des Prüfungsausschusses, bei denen ein Vertreter der Krankenkassen den Vorsitz gehabt habe, in der Besetzung des Beschwerdeausschusses mit einem Vorsitzenden aus den Reihen der Vertragsärzte entschieden werden müsse.

10

Die Verordnung von Polyglobin sei zur Behandlung der bei der Versicherten H. vorhandenen lebensbedrohlichen Karzinomerkrankung notwendig gewesen. Zwar sei der Einsatz von Polyglobin nicht unmittelbar zur Heilung der Tumorerkrankung bzw zur Linderung der damit verbundenen Beschwerden erfolgt, doch habe die Versicherte unter einer Antikörperstörung gelitten, die eine Chemotherapie unmöglich gemacht habe, die ihrerseits zur Behandlung des Tumorgrundleidens erforderlich gewesen sei. Der Einsatz von Polyglobin habe die Voraussetzungen für eine Fortsetzung der Chemotherapie schaffen sollen, und seine Rechtmäßigkeit müsse deshalb aus medizinischen Gründen nach denselben Maßstäben beurteilt werden wie die Verordnung von Arzneimitteln zur kausalen Krebstherapie. Jedenfalls habe er - der Kläger - darauf vertrauen dürfen, dass im Hinblick auf die Rechtsprechung des BSG auch der die Indikationsgrenzen überschreitende Einsatz generell zugelassener Arzneimittel (Off-Label-Use) im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung möglich gewesen sei. Das habe der 1. Senat des BSG im Juli 1995 zum Einsatz des Codeinpräparates Remedacen zur Drogensubstitution entschieden, und der 8. Senat des BSG, der mit dieser Rechtsprechung nicht einverstanden gewesen sei, habe im Jahr 1999 für die Zeit bis zur Verkündung seiner Entscheidung den Versicherten Vertrauensschutz zugebilligt. Auf diesen Vertrauensschutz könne er - der Kläger - sich hier auch berufen. Soweit der 6. Senat des BSG im Mai 2006 entschieden habe, Vertrauensschutzaspekte spielten insoweit keine Rolle, weil Vertragsärzte, die Arzneimittel außerhalb der Zulassungsindikationen einsetzen wollten, gehalten seien, ein Privatrezept auszustellen und die Versicherten bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche gegen die Krankenkasse zu unterstützen, sei das auf die hier maßgebliche Rechtslage des Jahres 1999 nicht übertragbar. Zu diesem Zeitpunkt sei nach § 29 Abs 1 Satz 2 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) die Genehmigung von Verordnungen durch eine Krankenkasse unzulässig gewesen. In Verbindung mit der Rechtsprechung des 1. Senats des BSG zu Remedacen habe sich daraus die Berechtigung von Vertragsärzten ergeben, den Off-Label-Use-Einsatz im regulären Verfahren durch Ausstellen von vertragsärztlichen Verordnungen zu praktizieren. Soweit das LSG bemängelt habe, das bei der Versicherten H. vorliegende Antikörpermangelsyndrom, das letztlich den Einsatz von Polyglobin erforderlich gemacht habe, sei nicht ausreichend belegt, könne dem nicht gefolgt werden. Entgegen der Auffassung des LSG seien laborchemische Untersuchungen zum Nachweis dieses Antikörpermangelsyndroms verzichtbar.

11

Der Kläger beantragt,

die Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 26.11.2008 und des Sozialgerichts Berlin vom 9.2.2005, soweit hier die Klage abgewiesen wurde, sowie den Bescheid des Beklagten vom 12.12.2001 aufzuheben,

hilfsweise, die Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 26.11.2008 und des Sozialgerichts Berlin vom 9.2.2005 sowie den Bescheid des Beklagten vom 12.12.2001 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, über den Widerspruch des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu entscheiden,

weiter hilfsweise, das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 26.11.2008 aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

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Der Beklagte und die Beigeladene zu 2. beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

13

Zutreffend habe das Berufungsgericht entschieden, dass die Partner der Prüfvereinbarungen nicht einmal berechtigt gewesen wären, Arzneikostenregresse wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel vom Verschulden des Vertragsarztes abhängig zu machen. Entgegen der Auffassung des Klägers habe die maßgebliche Prüfvereinbarung aus dem Jahre 1994 nicht vorgeschrieben, dass eine unter dem Vorsitz eines Kassenvertreters getroffene Entscheidung vom Beschwerdeausschuss nur unter dem Vorsitz eines Vertreters der Ärzte überprüft werden dürfe. Eine solche Regelung wäre auch nicht praktikabel gewesen und hätte die Dauer der Prüfverfahren erheblich verlängert. Die Ausführungen des Klägers hinsichtlich seines Vertrauens auf bestimmte Entscheidungen des BSG seien irrelevant. Es sei lebensfremd, dass ein Vertragsarzt die einzelnen Entwicklungsschritte der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Kenntnis nehme und sein Verordnungsverhalten daran ausrichte. Eine Ausnahmelage im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG vom 6.12.2005 habe in den streitbefangenen Quartalen bei der Versicherten H. nicht bestanden.

14

Die zu 2. beigeladene Krankenkasse hält das Urteil des LSG ebenfalls für zutreffend. Zu Recht habe das LSG ihre Anschlussberufung als zulässig angesehen. Folge man der Auffassung des Klägers, gebe es für die Anschlussberufung im sozialgerichtlichen Verfahren überhaupt keinen Anwendungsbereich, weil die Hauptberufung regelmäßig nur insoweit erhoben werde, als der Rechtsmittelführer durch das sozialgerichtliche Urteil beschwert sei. Für eine Anschlussberufung sei dann kein Raum, weil im Rahmen der Beschwer des Klägers der Anschlussberufungsführer selbst mit dem angefochtenen Urteil einverstanden sei. Ein Grund für eine derart restriktive Handhabung entgegen der Rechtsprechung in den anderen Gerichtszweigen sei nicht erkennbar.

Entscheidungsgründe

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Die Revision des Klägers hat teilweise Erfolg. Zu Recht rügt er, dass das Berufungsgericht über den angefochtenen Bescheid des Beklagten hinsichtlich der Verordnungen aus dem Quartal II/1999 in der Sache entschieden habe. Insoweit ist die zugunsten des Klägers ergangene Entscheidung des SG rechtskräftig geworden, weil die Beigeladene zu 2. innerhalb der Berufungsfrist keine Berufung eingelegt hat. Ihre Anschlussberufung war unzulässig (1). Keinen Erfolg hat die Revision dagegen hinsichtlich der Verordnungen in den Quartalen III und IV/1999. Insoweit hat das LSG die Berufung des Klägers gegen das sozialgerichtliche Urteil zu Recht zurückgewiesen. Der angefochtene Bescheid des Beklagten ist rechtmäßig (2).

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1. Die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. vom 28.11.2006 war unzulässig. Das Berufungsgericht hätte auf diese Anschlussberufung hin nicht in eine Sachprüfung des angefochtenen Bescheides im Hinblick auf die Verordnungen des Klägers aus dem Quartal II/1999 eintreten dürfen. Insoweit war das der Klage stattgebende Urteil des SG nämlich bereits rechtskräftig geworden.

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a. Die Berufung der beigeladenen Krankenkasse hätte nur als Anschlussberufung iS des § 202 SGG iVm § 524 ZPO zulässig sein können. Eine eigenständige Berufung wäre wegen Versäumung der Berufungsfrist des § 151 Abs 1 SGG unzulässig. Das Urteil des SG ist der Beigeladenen zu 2. am 16.3.2005 zugestellt worden; die Monatsfrist des § 151 Abs 1 SGG ist durch die Einlegung der Berufung am 28.11.2006 nicht gewahrt worden.

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Die Berufungsfrist des § 151 Abs 1 SGG gilt nicht für die Anschlussberufung, die nach der Rechtsprechung des BSG auch in der Sozialgerichtsbarkeit statthaft ist(BSGE 63, 167, 169 = SozR 1500 § 54 Nr 85; Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer (Hrsg), SGG 9. Aufl 2008, § 143 RdNr 5). Die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. war hier aber unzulässig, weil sie nicht den gleichen prozessualen Anspruch wie die Hauptberufung des Klägers betroffen, sondern einen neuen Streitgegenstand in das Berufungsverfahren eingeführt hat. Das ist nach der Rechtsprechung aller mit dieser Rechtsfrage bisher befassten Senate des BSG ausgeschlossen (zB Urteil des 9. Senats vom 8.7.1969 = SozR Nr 12 zu § 521 ZPO; 6. Senat vom 19.6.1996 - 6 RKa 24/95 - = USK 96131) Diese Entscheidungen sind zu Ansprüchen ergangen, die Gegenstand des Klageverfahrens, aber nicht der Hauptberufung waren. Das Urteil des 4. Senats vom 10.2.2005 - B 4 RA 48/04 R - betrifft einen mit der Anschlussberufung geltend gemachten Anspruch, der nicht einmal Gegenstand des Klageverfahrens gewesen ist. Die Rechtsauffassung des BSG zur Begrenzung der Anschlussberufung auf den Streitgegenstand der Hauptberufung wird in den Kommentaren zum SGG - soweit ersichtlich ohne Ausnahme - geteilt (Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 143 RdNr 5d; Eckertz in: Lüdtke, Handkommentar Sozialgerichtsgesetz, 3. Aufl 2009, § 143 RdNr 37; Behn in: Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, 87. Ergänzungslieferung, Stand: Mai 2009 - Gesamtwerk, § 143 RdNr 68 f; Frehse in: Jansen, SGG, 3. Aufl 2009, § 143 RdNr 7; Waschull in: Berchtold/Richter, Prozesse in Sozialsachen, 2009, § 6 RdNr 130). Nach Bernsdorff (in: Hennig, SGG, Stand Februar 2009 - Gesamtwerk - § 143 RdNr 27) liegt keine Anschlussberufung vor, wenn sich der Antrag des Berufungsbeklagten bei teilbarem Streitgegenstand gegen einen anderen als den mit der Berufung angegriffenen Teil des erstinstanzlichen Urteils richtet (ähnlich Breitkreuz in: Breitkreuz/Fichte, SGG, 2009, § 143 RdNr 24).

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b. Bei Anwendung dieser Rechtsauffassung ist die Anschlussberufung unzulässig, wie das LSG zutreffend angenommen hat. Die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. betrifft einen anderen Streitgegenstand als die Hauptberufung, weil diese die Verordnungen des Klägers aus den Quartalen III/1999 und IV/1999, jene aber solche aus dem Quartal II/1999 erfasst. Vertragsärztliche Honorarbescheide sowie Bescheide der Gremien der Wirtschaftlichkeitsprüfung ergehen quartalsbezogen und enthalten, wenn Entscheidungen mehrere Quartale betreffen (vgl zB BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 30/08 R - RdNr 24 mwN, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen), verschiedene Regelungen iS des § 31 Satz 1 SGB X. Selbst innerhalb eines Bescheides für ein Quartal können zahlreiche eigenständige "Regelungen" ergehen, die selbstständig anfechtbar sind. Das hat der Senat in einem Urteil vom 23.2.2005 (SozR 4-1500 § 92 Nr 2) für einen Honorarbescheid näher dargelegt; in dem schon zitierten Urteil vom 19.6.1996 (6 RKa 24/95) hat der Senat das in Bezug auf einen Bescheid zur Wirtschaftlichkeitsprüfung hinsichtlich von Kürzungen für bestimmte Leistungen bzw Leistungssparten als selbstverständlich vorausgesetzt und im Urteil vom 16.7.2008 ausdrücklich ausgesprochen (BSGE 101, 130 = SozR 4-2500 § 106 Nr 19, RdNr 25 am Ende).

20

Diese Rechtsprechung kann allerdings nicht ohne Weiteres auf Kostenregresse wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel übertragen werden. Derartige Regressbescheide können quartalsbezogen ergehen, etwa wenn ein Arzt über einen längeren Zeitraum hinweg bestimmte Medikamente für zahlreiche Patienten verordnet. Zwingend ist die Bindung eines Kostenregresses ebenso wie eines Regresses wegen eines sog "sonstigen Schadens" an den Quartalsturnus indessen nicht und bietet sich gerade in Konstellationen nicht an, in denen es um die Behandlung eines Versicherten mit einem umstrittenen Medikament über mehrere Quartale geht. Ein solcher Fall ist hier zu beurteilen, und sowohl der Regressantrag der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2. wie die Entscheidungen des Prüfungsausschusses und des Beklagten haben nicht nach den drei betroffenen Quartalen differenziert und mussten das auch nicht.

21

Ursprünglich bildete deshalb der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Aufhebung der - Verordnungen aus drei Quartalen erfassenden - Entscheidung des Beklagten vom 12.12.2001 den Streitgegenstand des gerichtlichen Verfahrens. Das SG hat diesen einheitlichen Streitgegenstand jedoch getrennt und die Regressfestsetzung je nach Zuordnung der beanstandeten Verordnungen des Klägers zu den Quartalen II/1999 einerseits sowie III und IV 1999 andererseits unterschiedlich beurteilt. Anlass dazu hat dem SG die (mittelbar) quartalsbezogene Regelung über die Antragsfrist der Krankenkasse in § 14 Abs 2 der maßgeblichen Prüfvereinbarung gegeben. Weil offenbar die Krankenkassen die Verordnungen aus jedem Quartal zusammengefasst zu einem bestimmten Termin erhalten, der wiederum für den Beginn der Antragsfrist nach § 14 Abs 2 von Bedeutung ist, konnte nach Ansicht des SG die Prüfung der Einhaltung dieser Frist nur differenziert für jedes Quartal erfolgen. Das Urteil des SG hat inzident die angefochtene Entscheidung des Beklagten in zumindest zwei Regelungen iS des § 31 Satz 1 SGB X aufgespalten, nämlich hinsichtlich der aus dem Quartal II/1999 und hinsichtlich der aus den Quartalen III/1999 sowie IV/1999 stammenden Verordnungen des Klägers. Bundesrecht ist dadurch nicht verletzt, und das SG hat durch den Tenor seines Urteils die Beteiligten über das gerichtliche Vorgehen hinreichend deutlich informiert.

22

Damit bestand bei Zustellung des SG-Urteils eine Rechtslage, wie sie derjenigen bei Honorarfestsetzungen oder Kürzungs- bzw Regressbescheiden entspricht, die von vornherein mehrere Quartale erfassen. Für jedes dieser Quartale ist (mindestens) eine Regelung angefochten, deren prozessuales Schicksal von demjenigen für die anderen Quartale abweichen kann; die Regelung für jedes Quartal bildet einen eigenständigen Streitgegenstand. Als Folge der Hauptberufung des Klägers war der angefochtene Bescheid des Beklagten Gegenstand des Berufungsverfahrens nur hinsichtlich der aus den Quartalen III/1999 und IV/1999 stammenden Verordnungen; das ist dem Antrag des Klägers im LSG-Verfahren deutlich zu entnehmen. Die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. hat mit der Entscheidung des Beklagten über die aus dem Quartal II/1999 stammenden Verordnungen einen neuen Streitgegenstand in das Berufungsverfahren eingeführt. Das ist nach der bisherigen Rechtsprechung des BSG nicht zulässig. Ein Anlass, von dieser Rechtsprechung abzuweichen, ist nicht ersichtlich.

23

c. Kein durchgreifendes Bedenken ergibt sich aus dem Hinweis der Beigeladenen zu 2., auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des BSG bleibe für die Anschlussberufung nur ein sehr begrenzter Anwendungsbereich. Wenn die Anschlussberufung nur innerhalb des prozessualen Anspruchs erhoben werden kann, der Gegenstand der Hauptberufung ist, kommt im vertragsärztlichen Bereich bei Honorarkürzungen bzw Arzneikostenregressen eine Anschlussberufung typischerweise nur dann in Betracht, wenn das SG auf die Klage die zuständige Behörde zur Neubescheidung nach bestimmten Maßgaben verurteilt und der Kläger mit seiner Berufung die endgültige Aufhebung der ihn belastenden Bescheide begehrt. Dieser Berufung können sich dann die KÄV, der Beschwerdeausschuss oder die beigeladenen Krankenkassen (bzw Krankenkassenverbände) mit dem Antrag anschließen, die Klage in vollem Umfang abzuweisen, auch nachdem die für sie laufende Berufungsfrist abgelaufen ist. Alle übrigen Regelungen der ursprünglich angefochtenen Entscheidung, über die das SG entschieden hat, ohne dass ein Beteiligter das mit der Berufung angefochten hat, die also etwa andere Leistungspositionen oder andere Quartale betreffen, werden dagegen bestandskräftig. Das ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts im vertragsärztlichen Bereich richtig und praktikabel.

24

Auf der Grundlage der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts bliebe dagegen möglicherweise während der gesamten Dauer eines Berufungsverfahrens offen, ob Regelungen in Kürzungs- oder Regressbescheiden, die nicht Gegenstand der Hauptberufung sind, bestandskräftig werden oder nicht. Soweit etwa in einer Entscheidung des Beschwerdeausschusses Honorarkürzungen oder Arzneikostenregresse für eine größere Zahl von Quartalen auf der Grundlage einer Vielzahl von Entscheidungen des Prüfungsausschusses (oder der Prüfungsstelle iS des § 106 Abs 4 Satz 1 SGB V idF des GKV-WSG vom 26.3.2007) zusammengefasst worden sind, bleibt deren Bestandskraft über Jahre hinweg offen, auch wenn nur eine Detailregelung hinsichtlich eines einzelnen Quartals Gegenstand des Berufungsverfahrens ist. Das ist sowohl für den beteiligten Vertragsarzt wie für die KÄV und die Krankenkassen als Kostenträger schwierig zu handhaben, weil ggf Rückstellungen gebildet werden müssten und Beträge nicht verbucht werden könnten.

25

Ein tatsächliches Bedürfnis, diese Rechtsfolgen in Kauf zu nehmen, um den Beteiligten bis zum Abschluss der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz die Möglichkeit der Anschlussberufung auch außerhalb des prozessualen Anspruchs, der Gegenstand der Hauptberufung ist, offen zu halten, vermag der Senat nicht zu erkennen. Ob Honorarkürzungs- oder Regressbescheide, die verschiedene Regelungen iS des § 31 Satz 1 SGB X zum Inhalt haben und häufig mehrere Quartale betreffen, einzeln angegriffen oder durch die Widerspruchsstelle zusammengefasst bzw im gerichtlichen Verfahren auf der Grundlage des § 113 Abs 1 SGG verbunden werden, ist eine Frage der Praktikabilität. Jeder Verfahrensbeteiligte hat nach Bekanntgabe des das Verwaltungsverfahren abschließenden Bescheides oder des erstinstanzlichen Urteils eine Frist von einem Monat, innerhalb der er prüfen und entscheiden kann, ob und ggf inwieweit er die Entscheidung der Behörde bzw des erstinstanzlichen Gerichts hinnehmen will oder nicht. Ein berechtigtes Interesse, Monate oder sogar Jahre nach Einlegung der Berufung des Gegners noch Regelungen der gerichtlichen Überprüfung des LSG zuführen zu können, zu denen die Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts zunächst hingenommen worden ist, besteht nicht.

26

d. Zudem kann die prozessuale Sicht des Berufungsgerichts die Entscheidungsreife der Berufung in Frage stellen, jedenfalls soweit keine Frist für die Anschlussberufung normiert ist. Während nach § 127 Abs 2 Satz 2 VwGO die Anschließung nur bis zum Ablauf eines Monats nach Zustellung der Berufungsbegründungsschrift zugelassen wird, besteht keine ebensolche Bestimmung im SGG. Die VwGO-Vorschrift soll nach vorherrschender Auffassung auf das sozialgerichtliche Verfahren nicht übertragen werden können, weil dafür eine rechtliche Grundlage fehlt. Vergleichbares wird hinsichtlich der ähnlichen Frist des § 524 Abs 2 Satz 2 ZPO angenommen, die immerhin über § 202 SGG grundsätzlich im sozialgerichtlichen Verfahren angewandt werden könnte(vgl Leitherer, aaO, § 143 RdNr 5 f). Nach dieser Vorschrift ist die Anschlussberufung zulässig bis zum Ablauf der dem Berufungsbeklagten gesetzten Frist zur Berufungserwiderung. Eine dem § 521 Abs 1 ZPO entsprechende Vorschrift über die Zustellung der Berufungsschrift und der Berufungsbegründungsschrift an den Gegner kennt das SGG nicht. Die entsprechende Anwendung des § 524 Abs 2 Satz 2 ZPO über § 202 SGG setzt aber die Zustellung mindestens der Berufungsbegründung an den Gegner voraus, damit Klarheit über den Beginn der Frist für die Einlegung der Anschlussberufung besteht. Die Anwendung von Ausschlussfristen im sozialgerichtlichen Verfahren ohne explizite normative Grundlage ist unter dem Gesichtspunkt der Garantie des effektiven Rechtsschutzes (Art 19 Abs 4 Satz 1, Art 103 Abs 1 GG) problematisch, sodass ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung, die auch in der Anordnung einer entsprechenden Geltung des § 127 Abs 2 Satz 2 VwGO im SGG bestehen könnte, die Ausschlussfrist für die Anschlussberufung wohl nicht entsprechend angewandt werden kann. Das dürfte auch deshalb anzunehmen sein, weil im Berufungsverfahren der Sozialgerichtsbarkeit im Unterschied zu demjenigen in der Verwaltungs- und in der Zivilgerichtsbarkeit kein Vertretungszwang herrscht, und die Vorschriften über die Zustellung von Berufungs- und Berufungsbegründungsschriften sowie daran anknüpfende Fristen auf einen durch professionelle Bevollmächtigte geführten Prozess zugeschnitten sind.

27

Würde - was das LSG nicht erwogen hat - auf der Grundlage einer analogen Anwendung des § 127 Abs 2 Satz 2 VwGO im sozialgerichtlichen Verfahren auf den Nachweis der Zustellung der Berufungsbegründungsschrift verzichtet und der Nachweis ihrer tatsächlichen Kenntnis für ausreichend gehalten, wäre die Anschlussberufung der zu 2. beigeladenen Krankenkasse hier ebenfalls unzulässig. Diese hat, wie sich aus ihrer Reaktion im Berufungsverfahren vom 4.4.2006 ergibt, Monate vor Einlegung der Anschlussberufung am 28.11.2006 Kenntnis von der Berufungsbegründung des Klägers gehabt. Die entsprechende Anwendung der Monatsfrist des § 127 Abs 2 Satz 2 VwGO würde dann ebenfalls zur Unzulässigkeit ihrer Berufung führen. Demgegenüber hätte die vom Berufungsgericht offenbar befürwortete unbefristete Zulassung der Anschlussberufung bis zur mündlichen Verhandlung zur Folge, dass das LSG trotz Entscheidungsreife der Hauptberufung den Rechtsstreit vertagen müsste, wenn zum Gegenstand der Anschlussberufung noch Sachaufklärungsbedarf besteht. Das könnte zu Verzögerungen der Entscheidung führen, die auch im Hinblick auf das Gebot der Gewährung von Rechtsschutz in angemessener Zeit (Art 6 Europäische Menschenrechtskonvention) möglichst zu vermeiden sind.

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Diese Erwägungen geben dem Senat Anlass, trotz der gewichtigen Einwände des Berufungsgerichts an der bisherigen Rechtsprechung des BSG zur Anschlussberufung festzuhalten und von einer andernfalls gebotenen Anrufung des Großen Senats nach § 41 Abs 2 SGG im Hinblick auf die Rechtsprechung anderer Senate zum Gegenstand der Anschlussberufung im sozialgerichtlichen Verfahren abzusehen.

29

2. Im Übrigen erweist sich die Revision des Klägers aber als unbegründet.

30

a. Das Berufungsgericht hat angenommen, § 14 Abs 1 iVm Abs 3 der seit dem Jahre 1994 geltenden und für die Verordnungen des Klägers im Jahre 1999 noch anwendbaren Prüfvereinbarung für den Bezirk der zu 1. beigeladenen KÄV Berlin gestatte die Festsetzung von Arzneikostenregressen, soweit der Vertragsarzt Arzneimittel verordnet hat, die in der vertragsärztlichen Versorgung nicht verordnungsfähig sind. Die Kenntnis des Vertragsarztes von der fehlenden Verordnungsfähigkeit oder generell ein Verschulden des Arztes sei insoweit nicht Voraussetzung für die Festsetzung eines Regresses. Soweit der Kläger § 14 der Prüfvereinbarung anders versteht und annimmt, diese Norm erfasse nur Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung bzw die Festsetzung eines verschuldensabhängigen "sonstigen Schadens" und nicht die Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel, ist dem im Revisionsverfahren nicht weiter nachzugehen. Die Prüfvereinbarung stellt Landesrecht iS des § 162 SGG dar, das das Revisionsgericht in der Auslegung des Berufungsgerichts seiner Entscheidung zugrunde zu legen hat. Von diesem Grundsatz sind in der Rechtsprechung des BSG zwei Ausnahmen anerkannt. Danach können landesrechtliche Normen vom Revisionsgericht eigenständig ausgelegt und angewandt werden, wenn es sich um Normen handelt, die inhaltsgleich in Bezirken verschiedener LSG gelten, soweit die Übereinstimmung im Interesse der Rechtsvereinheitlichung bewusst und gewollt ist (BSG vom 8.9.2009 - B 1 KR 8/09 R - RdNr 26, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt. Es ist weder geltend gemacht noch gerichtsbekannt, dass die Berliner Prüfvereinbarung aus dem Jahr 1994 inhaltsgleich in anderen KÄV-Bezirken gilt.

31

Landesrechtliche Normen sind weiterhin einer eigenständigen Auslegung und Anwendung des BSG zugänglich, wenn das LSG entscheidungserhebliche Vorschriften unberücksichtigt gelassen hat (BSGE 98, 89 = SozR 4-2500 § 85 Nr 31, jeweils RdNr 15). Hier hat jedoch das LSG die als Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides ersichtlich einschlägige Vorschrift des § 14 der Prüfvereinbarung zutreffend herangezogen und unter Anwendung der allgemein anerkannten juristischen Auslegungskriterien ausgelegt. Der Kläger rügt auch keinen Verstoß gegen diese Auslegungsgrundsätze oder die Denkgesetze, sondern setzt der Auslegung des Berufungsgerichts seine abweichende Auslegung entgegen. Das führt nicht dazu, dass entgegen der Vorgabe des § 162 SGG das Revisionsgericht zu einer eigenständigen Auslegung berufen wäre.

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Soweit § 14 der Prüfvereinbarung in der Auslegung des LSG eine hinreichende Grundlage für die Festsetzung von Arzneikostenregressen wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel darstellt, steht die Vorschrift mit Bundesrecht in Einklang. Der Senat hat mehrfach entschieden, dass auf der Grundlage des § 106 Abs 2 SGB V in den Prüfvereinbarungen Rechtsgrundlagen für Arzneikostenregresse festgeschrieben werden dürfen, soweit Vertragsärzte Arznei- und Heilmittel verordnet haben, die nicht Gegenstand der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung sind(zB BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 52; vgl zuletzt BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 37/08 R - RdNr 17 ff mwN, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Das stellt der Kläger selbst nicht in Abrede.

33

b. Soweit der Kläger in formeller Hinsicht weiter rügt, der angefochtene Bescheid des Beklagten sei fehlerhaft, weil er in einer Sitzung gefasst worden sei, in der ein Vertreter der Krankenkassen den Vorsitz innegehabt habe, kann dem nicht gefolgt werden. Weder die Prüfvereinbarung im Bezirk der zu 1. beigeladenen KÄV noch Bundesrecht haben vorgeschrieben, dass in den Jahren, in denen Prüfungs- und Beschwerdeausschüsse alternierend von einem Vertreter der Krankenkassen und der Vertragsärzte geleitet worden sind, Entscheidungen des Prüfungsausschusses, die unter ärztlichem Vorsitz getroffen worden sind, vom Beschwerdeausschuss nur unter Vorsitz eines Vertreters der Krankenkassen und umgekehrt überprüft werden dürfen.

34

Nach § 106 Abs 4 Satz 3 SGB V idF des Gesundheitsstrukturgesetzes vom 21.12.1992 führte in den von Vertretern der Ärzte und der Krankenkassen in gleicher Zahl besetzten Prüfungs- und Beschwerdeausschüssen jährlich wechselnd ein Vertreter der Ärzte und der Krankenkassen den Vorsitz. Die Stimme des Vorsitzenden gab bei Stimmengleichheit den Ausschlag (aaO, Satz 4). Diese als defizitär bewertete Regelung war manipulationsanfällig (vgl näher BSGE 92, 283 = SozR 4-2500 § 106 Nr 5 auch zur Neuregelung im Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung)und ist deshalb zum 1.1.2004 ohne Übergangsregelung in der Weise geändert worden, dass die Gremien nunmehr von einem neutralen Vorsitzenden geleitet werden. Für die Zeit bis zum 31.12.2003 galten aber die früheren Regelungen über den im Jahresturnus wechselnden Vorsitz fort, und diesen lag die Auffassung der Revision von einem notwendigen Wechsel im Vorsitz zwischen den beiden Verwaltungsinstanzen nicht zugrunde.

35

Der Kläger verweist selbst auf früher geltende Prüfvereinbarungen im Bezirk der KÄV Bayerns und der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Berlin, in denen bestimmt war, den Vorsitz im Beschwerdeausschuss führe ein Vertreter der Ärzte (Zahnärzte), wenn in dem zu entscheidenden Fall ein Vertreter der Krankenkassen den Vorsitz im Prüfungsausschuss inne hatte und umgekehrt. Dass eine solche Regelung im Bezirk der Beigeladenen zu 1. gegolten habe, macht der Kläger nicht geltend. Seine Auffassung, auch ohne ausdrückliche Regelung in der maßgeblichen Prüfvereinbarung ergebe sich dieser Grundsatz unmittelbar als Folge des § 106 Abs 4 Satz 3 SGB V aF über den turnusmäßigen Wechsel im Vorsitz von Prüfungs- und Beschwerdeausschuss, trifft nicht zu. Die Annahme einer solchen bundesrechtlichen Vorgabe hätte das Prüfverfahren verkompliziert und wäre ohne nähere Regelungen in den Prüfvereinbarungen kaum umsetzbar gewesen. Die Beschwerdeausschüsse hätten Beschlüsse über Entscheidungen der Prüfungsausschüsse möglicherweise zurückstellen müssen, weil im jeweiligen Jahr die "richtige" Besetzung nicht verfügbar gewesen wäre; alternativ hätte immer ein Vorsitzender der "Bank", die im jeweiligen Jahr im Beschwerdeausschuss nicht den Vorsitzenden stellt, zur Verfügung stehen müssen, um über Entscheidungen des Prüfungsausschusses zu beraten, die unter anderem Vorsitz getroffen worden sind. Ob die damit verbundenen formellen Erschwerungen des Prüfungsverfahrens bundesrechtlich unbedenklich gewesen wären, bleibt offen (zu den Grenzen des Gestaltungsspielraums der Gesamtvertragspartner bei Ausgestaltung der Prüfvereinbarung vgl BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 53 S 290 f). Eine Verpflichtung der Prüfgremien, ohne explizite Regelung in der Prüfvereinbarung so zu verfahren, hat jedenfalls nicht bestanden.

36

c. Soweit der Kläger geltend macht, die Entscheidung durch den Beklagten am 12.12.2001 sei nur deshalb unter dem Vorsitz eines Krankenkassenvertreters gefallen, weil die Kassenvertreter die ursprünglich vorgesehene Sitzung am 24.9.2001 boykottiert hätten, führt das zu keiner anderen Beurteilung. Da ein Arzt keinen Anspruch darauf hat, dass über seine Angelegenheit immer unter dem Vorsitz eines Arztes im Beschwerdeausschuss entschieden wird, wenn der Prüfungsausschuss unter dem Vorsitz eines Krankenkassenvertreters entschieden hat, stellt die Vertagung einer Sitzung auch dann grundsätzlich keinen Rechtsverstoß dar, wenn diese zur Folge haben sollte, dass der Vorsitz in der tatsächlich entscheidenden Sitzung wechselt. Im Übrigen hat das Berufungsgericht nicht iS des § 163 SGG festgestellt, dass die Vertagung der Entscheidung vom 24.9.2001 allein darauf beruht hat, dass die Krankenkassenvertreter erreichen wollten, dass über die Angelegenheit des Klägers in der Besetzung des Beschwerdeausschusses mit einem Vorsitzenden aus ihren Reihen entschieden wird. Schließlich ist im Hinblick auf die Rügen des Klägers zur Zusammensetzung des Beklagten bei der Beschlussfassung darauf hinzuweisen, dass die Krankenkassen nach der Rechtsprechung des Senats gegen Entscheidungen der Prüfgremien, mit denen ua Anträge auf Festsetzung von Honorarkürzungen oder Arzneikostenregressen abgelehnt werden, Rechtsmittel ergreifen können (zB BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 1 und BSG MedR 2004, 577, jeweils zu unzureichenden Kürzungen vertragszahnärztlichen Honorars; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 24 zum Sprechstundenbedarfsregress). Da vorliegend Ermessens- und Beurteilungsspielräume allenfalls am Rande in Rede stehen, spricht wenig dafür, dass die zu 2. beigeladene Krankenkasse eine - unterstellt für den Kläger positive - Entscheidung des Beklagten unter anderem Vorsitz auf sich hätte beruhen lassen.

37

d. Der Kläger durfte über "Polyglobin 5 %" in den streitbefangenen Quartalen keine vertragsärztliche Verordnung ausstellen. Er hat dieses Arzneimittel außerhalb der arzneimittelrechtlichen Zulassung verordnet.

38

Die Zulassung von Polyglobin war nach den Feststellungen des LSG auf die Behandlung der idiopathischen thrombozytopenischen Purpura (Hautblutungen) beschränkt, und an dieser Erkrankung hat die Versicherte H. nicht gelitten. Ein Arzneimittel darf grundsätzlich nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung für einen Einsatz außerhalb der arzneimittelrechtlich zugelassenen Indikation verordnet werden. Das hat der 1. Senat des BSG mit Urteil vom 19.3.2002 (BSGE 89, 184 = SozR 3-2500 § 31 Nr 8) unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung entschieden und daran bis heute festgehalten (zB BSGE 93, 236 = SozR 4-2500 § 27 Nr 1). Der 6. Senat des BSG ist dem für die Festsetzung von Arzneikostenregressen gefolgt (vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 RdNr 19; vgl auch BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 37/08 R - RdNr 26, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).

39

Der Kläger kann sich zur Rechtfertigung seiner Verordnungen von Polyglobin weder auf Vertrauensschutz noch auf einen der Annahmetatbestände stützen, unter denen Arzneimittel vertragsärztlich auch außerhalb der zugelassenen Indikation verordnet werden dürfen. Der Kläger ist der Auffassung, Vertragsärzte hätten in der Zeit zwischen dem Urteil des 1. Senats vom 5.7.1995 zur Drogensubstitution mit dem Codein-Präparat Remedacen (BSGE 76, 194 = SozR 3-2500 § 27 Nr 5) und dem Bekanntwerden des Urteils des 8. Senats vom 30.9.1999 zur SKAT-Therapie (BSGE 85, 36 = SozR 3-2500 § 27 Nr 11) generell darauf vertrauen dürfen, Arzneimittel im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung auch außerhalb der Zulassungsindikationen nach dem Arzneimittelrecht verordnen zu dürfen. Dem folgt der Senat in Übereinstimmung mit dem Berufungsgericht nicht.

40

Es ist bereits fraglich, ob ein Vertragsarzt im Hinblick auf das zu der sehr speziellen Situation der Drogensubstitution ergangene Urteil des 1. Senats vom 5.7.1995 generell darauf vertrauen durfte, Arzneimittel auch außerhalb ihrer Zulassungsindikation verordnen zu dürfen. Allenfalls kommt ein Vertrauen darauf in Betracht, dass die Bindung der vertragsärztlichen Verordnung an die Zulassung des jeweiligen Fertigarzneimittels nach dem AMG in dem Sinne gelockert ist, dass in bestimmten Konstellationen eine die arzneimittelrechtliche Zulassung überschreitende Verordnung, die medizinisch sinnvoll oder sogar geboten ist, auch krankenversicherungsrechtlich zulässig sein kann. In diesem Sinne ist das Urteil des 8. Senats vom 30.9.1999 richtigerweise zu verstehen. Weitergehende Schlussfolgerungen aus diesem Urteil im Sinne eines uneingeschränkt erlaubten indikationsfremden Einsatzes von Fertigarzneimitteln liegen eher fern, zumal ein beliebiger, allein nach Gutdünken jedes einzelnen Arztes erfolgender, Einsatz eines Medikaments außerhalb der Zulassung nicht ernsthaft für sachgerecht gehalten werden kann .

41

e. Im Übrigen sind schon kurz nach Veröffentlichung des Urteils des 1. Senats vom 5.7.1995 zur Drogensubstitution in der Rechtsprechung des BSG Zweifel an der allgemeinen Aussagekraft dieses Urteils über den entschiedenen Fall hinaus artikuliert worden. Schon drei Monate nach dem Urteil des 1. Senats hat der allein für das Vertragsarztrecht zuständige erkennende Senat Bedenken gegen die Zulässigkeit des Einsatzes von Remedacen zur Drogensubstitution geäußert und auf die Problematik der Beachtung der Richtlinien des (früheren) Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen im Zusammenhang mit sog Außenseitermethoden hingewiesen (Urteil vom 18.10.1995, SozR 3-5550 § 17 Nr 2 S 5). In der Sache sind sodann die Grundsätze des Urteils vom 5.7.1995 durch die neuere Rechtsprechung des 6. und des 1. Senats zur Rechtsqualität der Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen, zur Methodenanerkennung nach § 135 Abs 1 SGB V und zum Zusammenhang zwischen dieser Anerkennung und den Prinzipien der Arzneimitteltherapie deutlich modifiziert worden(Urteil des 6. Senats vom 20.3.1996, BSGE 78, 70 = SozR 3-2500 § 92 Nr 6 "Methadon"; Urteile des 1. Senats vom 16.9.1997, BSGE 81, 54 = SozR 3-2500 § 135 Nr 4, BSGE 81, 73 = SozR 3-2500 § 92 Nr 7). Spätestens nach Bekanntwerden dieser Urteile war deutlich, dass die ältere Rechtsprechung des BSG zu den (untergesetzlichen) Vorgaben des Leistungs- und Leistungserbringungsrechts in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht mehr uneingeschränkt fortgeführt werden würde. Kein Vertragsarzt musste die aufgezeigten Wendungen der Rechtsprechung kennen oder nachvollziehen. Wer aber - wie der Kläger - geltend macht, Verordnungen aus dem Jahre 1999 im Vertrauen auf eine zu einer Sonderkonstellation ergangene und vereinzelt gebliebene Rechtsprechung des BSG aus dem Jahre 1995 getätigt zu haben, muss sich entgegenhalten lassen, dass sich die Rechtsprechung weiterentwickelt hat. Jedenfalls im Jahr 1999 hat es für einen Vertragsarzt erkennbar keine hinreichende Sicherheit mehr gegeben, nach eigener Einschätzung Off-Label-Use-Verordnungen ausstellen zu dürfen, ohne Gefahr zu laufen, insoweit in Regress genommen zu werden.

42

f. Zudem sind sowohl das Urteil des 1. Senats vom 5.7.1995, auf das sich der Kläger beruft, wie auch die folgenden Entscheidungen des 1. und des 8. Senats des BSG zu den Rechtsansprüchen von Versicherten gegen ihre Krankenkasse ergangen. Aus diesen Urteilen ergibt sich nicht unmittelbar, wie sich ein Vertragsarzt zu Arzneimittelverordnungen verhalten sollte, die erkennbar außerhalb der Zulassungsindikation des jeweiligen Arzneimittels erfolgten, von denen er aber annahm, sie könnten vom Patienten beansprucht werden. Dazu ist dem Urteil des erkennenden Senats vom 18.10.1995 (6 RKa 3/93) zur Drogensubstitution zu entnehmen, dass in solchen Fällen jedenfalls eine exakte Dokumentation und eine engmaschige Verlaufskontrolle der Behandlung geboten waren (SozR 3-5550 § 17 Nr 2 S 8; vgl auch BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 37/08 R - RdNr 39, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Damit ist es zB nicht vereinbar, auf laborchemische Untersuchungen zum Nachweis eines - vermeintlichen oder tatsächlich bestehenden - "Antikörpermangelsyndroms" zu verzichten, wenn die umstrittene Off-Label-Verordnung von Immunglobulinen gerade auf diese Diagnose reagiert.

43

Ein Vertragsarzt, der Medikamente außerhalb ihrer zugelassenen Indikationen verordnet, kann weder sich noch der Krankenkasse Gewissheit darüber verschaffen, dass die Verordnung den Vorgaben des Wirtschaftlichkeitsgebotes genügt, also notwendig, zweckmäßig und wirtschaftlich ist. Bei Off-Label-Verordnungen hat nämlich gerade keine Prüfung von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des jeweiligen Arzneimittels stattgefunden, die seinen Einsatz (auch) im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung rechtfertigt. Eine solche Prüfung ist im AMG nur indikationsbezogen vorgeschrieben und durchführbar; die von der Zulassung nach dem AMG ausgehende Schutzwirkung und Qualitäts- wie Wirksamkeitserwartung greift bei einem Einsatz des Medikaments außerhalb der Zulassung gerade nicht ein (vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 RdNr 19; s auch BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 37/08 - RdNr 27 ff, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Soweit danach ein Vertragsarzt Verordnungen ohne gesicherten Nachweis von Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels ausstellt, muss zwingend nachträglich geprüft werden dürfen, ob die jeweilige Verordnung den Regeln des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung entspricht. Wenn der Vertragsarzt davon absieht, in Fällen eines Off-Label-Use die Krankenkasse vor Ausstellung der Verordnung einzuschalten, wie es der Senat in einem Beschluss vom 31.5.2006 dargestellt hat (B 6 KA 53/05 B, MedR 2007, 557, 560), muss er hinnehmen, dass die Einhaltung der Vorgaben der vertragsärztlichen Versorgung im Nachhinein geprüft wird.

44

Der Beklagte hält dem Kläger - anders als dieser nahe legen will - keine schuldhafte Verletzung vertragsärztlicher Pflichten vor, die nunmehr sanktioniert wird. Der Beklagte hat lediglich die Position der zu 2. beigeladenen Krankenkasse bestätigt, dass sie objektiv zu Unrecht erhebliche Kosten für die Versorgung ihrer Versicherten H. mit einem Immunglobulin aufgewandt hat. Weil der Kläger der Beigeladenen zu 2. keine Gelegenheit gegeben hat, ihre Auffassung zur Rechtmäßigkeit des Einsatzes von Immunglobulinen bei der Versicherten H. vor Einlösung der Verordnungen darzulegen, muss es der Krankenkasse möglich sein, ihren Standpunkt nachträglich durchzusetzen, soweit er rechtlicher Prüfung standhält. Dazu sieht die Prüfvereinbarung im Einklang mit Bundesrecht das Verfahren der Regressfestsetzung vor. Soweit der Kläger geltend macht, nach dem im Jahr 1999 geltenden Recht habe er zu Gunsten der H. kein Privatrezept ausstellen dürfen, weil das gegen § 29 Abs 1 Satz 2 BMV-Ä verstoßen hätte, folgt der Senat dem nicht. Der Beschluss des Senats vom 31.5.2006 (MedR 2007, 557), der diesen Weg aufgezeigt hat, ist zu Off-Label-Use-Verordnungen aus dem Jahr 1997 ergangen. Auch 1997 und 1999 galt das Verbot, sich als Vertragsarzt vertragsärztliche Verordnungen einzeln genehmigen zu lassen; dieses Verbot hat sich - wie der Senat dargelegt hat - immer nur auf Verordnungen im Rahmen der Leistungspflicht der Krankenkassen bezogen. Wie die Rechtslage zu beurteilen wäre, wenn der Kläger im Sommer 1999 vergeblich bei der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2. angefragt und explizit um eine Entscheidung über das aus Sicht dieser Krankenkasse richtige Vorgehen gebeten hätte, kann offen bleiben. Der Kläger macht selbst nicht geltend, diesen Weg beschritten zu haben.

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g. Der vom Beklagten aufrecht erhaltene Regress gegen den Kläger ist schließlich nicht deshalb rechtswidrig, weil der Versicherten H. bei Ausstellung der umstrittenen Verordnungen nach den Grundsätzen des Beschlusses des BVerfG vom 6.12.2005 (BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5) gegen die Rechtsvorgängerin der zu 2. beigeladenen Krankenkasse ein Anspruch auf Versorgung mit Polyglobin 5 % zugestanden hätte. Nach den Feststellungen des LSG liegen die tatsächlichen Voraussetzungen eines solchen, auf §§ 27 und 31 SGB V iVm Art 2 Abs 1 GG und dem Sozialstaatsprinzip bzw Art 2 Abs 2 Satz 1 GG und der hieraus abzuleitenden Schutzpflicht gegründeten Anspruchs nicht vor. Diese Feststellungen des LSG sind für den Senat nach § 163 SGG bindend, weil der Kläger dazu keine zulässigen Revisionsrügen angebracht hat.

46

Richtig ist allerdings der Ausgangspunkt der Revision: Wenn feststünde, dass H. nach den tatsächlichen Verhältnissen des Jahres 1999 einen Anspruch auf Versorgung mit Polyglobin als Sachleistung der Krankenkasse gehabt hätte, dürfte wegen der für diese Versorgung angefallenen Kosten kein Regress gegen den Kläger festgesetzt werden. Diese Konsequenz aus der Entscheidung des BVerfG hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 5.11.2008 zu Wobe Mugos (SozR 4-2500 § 106 Nr 21; ebenso BSG MedR 2010, 276) inzident angesprochen und hält daran fest. Der verschuldensunabhängige Schadensersatzanspruch der Krankenkasse gegen einen Vertragsarzt wegen unzulässiger Arzneimittelverordnungen beruht im Kern darauf, dass die Krankenkasse einen Ausgleich für die Bezahlung von Medikamenten erhält, die sie bei korrekten Verhalten des Arztes nicht hätte finanzieren müssen. Wenn sich nachträglich herausstellt, dass der Versicherte, zu dessen Gunsten der Vertragsarzt die umstrittenen Verordnungen ausgestellt hat, auf die Versorgung mit dem verordneten Arzneimittel einen Anspruch gegen seine Krankenkasse hatte, ist dieser durch die Bezahlung dieses Arzneimittels dem Grunde nach jedenfalls kein Schaden entstanden, den der Vertragsarzt nunmehr ersetzen müsste. Lässt sich allerdings nicht mit hinreichender Gewissheit feststellen, dass die Voraussetzungen für einen ausnahmsweise gerechtfertigten Off-Label-Use vorgelegen haben, geht das zu Lasten des Arztes. Er rückt, obwohl er sich nach der Ausrichtung des Verfahrens gegen einen Regress wendet, hinsichtlich der Verteilung von Darlegungs- und Beweislast in die Stellung ein, die der Versicherte gehabt hätte, wenn er seinen Standpunkt zur der Verordnungsfähigkeit eines Arzneimittels gegen die Krankenkasse nach § 13 Abs 3 SGB V im Wege der Geltendmachung eines Kostenerstattungsanspruchs durchsetzen müsste. Wer geltend machen will, der Versorgungsanspruch umfasse in einer bestimmten Konstellation auch die Versorgung mit zugelassenen Arzneimitteln außerhalb der Zulassungsindikationen, dringt damit nicht durch, wenn sich unter Ausschöpfung aller Möglichkeiten zur Sachaufklärung nicht feststellen lässt, dass die dafür insbesondere in der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG und inzwischen auch vom Gemeinsamen Bundesausschuss (§ 30 der Arzneimittel-Richtlinie iVm Anlage VI) formulierten Voraussetzungen vorgelegen haben. Das ist auch hier der Fall und geht zu Lasten des Klägers.

47

h. Das LSG ist in Übereinstimmung mit der Revision zutreffend davon ausgegangen, dass die Versicherte H. an einer lebensbedrohlichen Erkrankung (metastasierendes Karzinom der Eileiter) gelitten hat. Zu dessen kausaler Behandlung hätte bei Fehlen einer allgemein anerkannten, medizinischem Standard entsprechenden Behandlungsmethode nach der Rechtsprechung des BVerfG ein Arzneimittel auch außerhalb seiner Zulassungsindikation eingesetzt werden dürfen, wenn nach der vorhandenen Studienlage auf diese Weise die nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf positive Behandlungserfolge bestanden hätten (BVerfGE 115, 25, 49 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 RdNr 33). Das nimmt der Kläger selbst für die Verordnung von Polyglobin nicht an. Er geht vielmehr davon aus, dass die Versicherte H. an einem Antikörpermangel litt, der unbehandelt eine Fortführung der überlebensnotwendigen Chemotherapie ausgeschlossen hätte oder hat. Wenn die Rechtsprechung des BVerfG auf diese Konstellation Anwendung finden sollte, was der Senat entgegen der Auffassung des LSG nicht von vornherein für ausgeschlossen hält, müssen jedenfalls die Anforderungen an einen zulässigen Off-Label-Use entsprechend erfüllt sein. Es muss deshalb feststehen, dass der Patient neben der lebensbedrohlichen Erkrankung an einer weiteren Gesundheitsstörung leidet, die die Anwendung aller zur Behandlung des Hauptleidens in Betracht kommenden Behandlungsmöglichkeiten ausschließt. Weiterhin muss der Off-Label-Einsatz des anzuwendenden Arzneimittels mit gewisser Wahrscheinlichkeit die zweite Erkrankung so beeinflussen, dass eine Erfolg versprechende Behandlung des Hauptleidens wieder oder erstmals möglich wird. Schließlich darf es für die zweite Erkrankung keine anerkannten Behandlungsmöglichkeiten - zB mit entsprechend zugelassenen Arzneimitteln - geben. Diese Voraussetzungen sind hier jedenfalls nicht - wie es notwendig wäre, um der Klage zum Erfolg zu verhelfen - kumulativ erfüllt.

48

i. Erhebliche Zweifel bestehen bereits daran, ob das vom Kläger so bezeichnete "sekundäre Antikörpermangelsyndrom" eine eigenständige und hinreichende spezifische Erkrankung ist, die abgegrenzt vom Karzinomleiden behandelt werden kann und muss. Der Kläger hat dazu in den Tatsacheninstanzen nicht Präzises vorgetragen. Zudem steht nicht fest, dass die Patientin H. an einem Antikörpermangelsyndrom litt, das schulmedizinisch nicht behandelbar war. Die zur Abstützung dieser Diagnose und des Ausmaßes der Erkrankung möglichen laborchemischen Untersuchungen hat der Kläger nach den Feststellungen des LSG nicht durchgeführt oder veranlasst. Dazu mag er - wie die Revision geltend macht - berufsrechtlich nicht verpflichtet gewesen sein. Er hat damit aber im Hinblick auf den Off-Label-Use zur Unaufklärbarkeit des genauen Gesundheitszustandes der Versicherten H. in der zweiten Hälfte des Jahres 1999 beigetragen. Das geht zu seinen Lasten.

49

j. Außerdem fehlt es an ausreichenden Feststellungen bzw Belegen für das vom Kläger geltend gemachte Dilemma, die lebensbedrohliche Ersterkrankung nur durch die Behandlung der Zweiterkrankung mit Polyglobin 5 % therapieren zu können. Der Kläger setzt schon die Anforderungen an den Nachweis einer eigenständigen Zweiterkrankung zu niedrig an. Die Versicherte H. litt nach den Ausführungen des Klägers an einer "Verminderung der Immunitätslage" als Folge sowohl des Karzinomleidens als auch der aggressiven Chemotherapien. Darauf habe sie mit wiederholten schweren bakteriellen und viralen Infektionen reagiert, die er - der Kläger - als "Zeichen eines sekundären Antikörpermangels" gedeutet habe. Für keine dieser "wiederholten" Infektionen hat der Kläger im Verwaltungsverfahren oder in den Vorinstanzen jedoch konkret und eingehend belegt, dass diesen durch anerkannte Behandlungsverfahren nicht hätten effektiv entgegengewirkt werden können. Spezifische Darlegungen dazu, die dann dem LSG ggf Anlass zu weiterer Sachaufklärung hätten geben können, waren vor allem deshalb unerlässlich, weil der Kläger selbst einen Zusammenhang zwischen dem Krebsleiden und der Chemotherapie mit der geschwächten Immunitätslage der H. herstellt. Da nicht alle Patienten, deren Abwehrsystem durch Krebs und Chemotherapie geschwächt sind, mit Immunglobulin behandelt werden bzw nach dem gebotenen Behandlungsstandard behandelt werden müssen oder im Jahr 1999 so behandelt wurden oder behandelt werden mussten, hätte der Kläger fallbezogen und detailliert darlegen müssen, inwieweit sich die gesundheitliche Lage der H. von derjenigen anderer chemotherapeutisch behandelter Krebspatienten unterschied, und auf der Basis welcher exakten Befunde er die Anwendung von Polyglobin 5 % für unerlässlich hielt. Das ist nicht geschehen und spricht dafür, dass sich der Kläger von der Gabe eines Immunglobulins ganz generell eine Stärkung der Abwehrlage der H. und damit mutmaßlich eine bessere Resistenz gegen Infektionen versprach. Das reicht für einen Off-Label-Use, dessen Zulässigkeit jedenfalls in Fällen der hier vorliegenden Art von dem Gesundheitszustand des konkreten Patienten abhängt, nicht aus.

50

k. Schließlich ist die positive Wirkung, die der Kläger dem Einsatz von Immunglobulin bei fortgeschrittener Krebserkrankung zuschreibt, nach den Feststellungen des LSG auch nicht hinreichend belegt.

51

Das LSG hat im Einzelnen dargestellt, dass die bis 1999 zum Einsatz von Immunglobulinen vorhandenen Studien und publizierten Forschungsergebnisse nicht darauf hindeuten, dass die Gesundheitsstörungen der Versicherten H. durch den Einsatz von Polyglobin erfolgreich behandelt werden konnten. Das LSG ist zutreffend von den in der Rechtsprechung des 1. Senats des BSG ermittelten Grundsätzen zum Anspruch der Versicherten auf Versorgung mit (in Deutschland oder der EU) nicht zugelassenen Arzneimitteln (dazu BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4) oder mit Arzneimitteln außerhalb zugelassener Indikationen (BSGE 89, 184 = SozR 3-2500 § 31 Nr 8) ausgegangen. Es hat näher ausgeführt, dass keine wissenschaftliche Arbeit vorliege oder vom Kläger benannt sei, in der der zulassungsüberschreitende Einsatz von Immunglobulinen zur Behandlung einer auf der Intoleranz von Chemotherapeutika beruhenden Erkrankung als medizinisch geboten bewertet wird. Einen Konsens der einschlägigen Fachkreise, dass Polyglobin ein sekundäres Antikörpersyndrom positiv beeinflussen könne, hat das LSG gerade nicht feststellen können. Soweit die Revision die vorhandenen medizinischen Unterlagen lediglich anders würdigt, vermag sie damit die Feststellungen iS des § 163 SGG nicht zu entkräften.

52

Soweit der Kläger die Sachaufklärung des LSG zu den Erfolgsaussichten der Behandlung mit Immunglobulinen für unzureichend hält, berücksichtigt er nicht hinreichend, dass sich der 1. Senat des BSG bereits mehrfach mit dem Anspruch der Versicherten auf Versorgung mit Immunglobulinen befasst hat. In den Urteilen vom 19.3.2002 (BSGE 89, 184 = SozR 3-2500 § 31 Nr 8), vom 27.3.2007 (B 1 KR 17/06 R) und vom 28.2.2008 (SozR 4-2500 § 13 Nr 16), die sämtlich die Versorgung mit Immunglobulinpräparaten - jeweils bezogen auf die Indikation Multiple Sklerose - zum Gegenstand hatten, wird der Stand der medizinischen Forschung zu dieser Wirkstoffgruppe für die streitbefangenen Jahre 1997 bis 2003 eingehend aufgearbeitet. Zwar können die Forschungsergebnisse zur Möglichkeit, durch die Gabe von Immunglobulinen die Multiple Sklerose günstig zu beeinflussen, nicht ohne Weiteres auf die hier zu beurteilende Situation der unterstützenden Behandlung bei Krebserkrankungen übertragen werden, doch sind die Wirkungen und die in Frage kommenden Indikationen für Immunglobulin bezogen auf den hier relevanten Zeitraum gut erforscht und die Forschungsergebnisse - soweit krankenversicherungsrechtlich von Bedeutung - in der Rechtsprechung des BSG umfassend rezipiert worden. Zudem sind die Urteile des 1. Senats des BSG vom 27.3.2007 und vom 28.2.2008 Gegenstand der verfassungsgerichtlichen Prüfung gewesen. Mit Kammerbeschlüssen vom 30.6.2008 (1 BvR 1665/07 zum BSG-Urteil B 1 KR 17/06 R) und vom 8.7.2009 (1 BvR 1531/09 zum BSG-Urteil B 1 KR 15/07 R) sind die Verfassungsbeschwerden der unterlegenen Kläger jeweils nicht zur Entscheidung angenommen worden. Beide Kammerbeschlüsse sind auf der Basis der grundlegenden Entscheidung des BVerfG vom 6.12.2005 ergangen und billigen insbesondere, dass die Rechtsprechung des BSG strenge Anforderungen an den Nachweis stellt, dass mit dem zulassungsüberschreitenden Einsatz des jeweils betroffenen Arzneimittels hinreichende Erfolgsaussichten verbunden sein müssen (BVerfG vom 30.6.2008 - 1 BvR 1665/07 - NJW 2008, 3556 f RdNr 9 bis 11). Es reicht danach als Grundlage für einen Off-Label-Use von Arzneimitteln in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht aus, dass positive Folgen einer solchen Behandlung nach dem Wirkungsmechanismus von Immunglobulinen nicht schlechthin ausgeschlossen werden können, dass Patienten in Einzelfällen nach Verabreichung der umstrittenen Medikamente eine Verbesserung ihres Befindens beschreiben und dass einzelne Ärzte oder Wissenschaftler mit plausiblen Gründen einen von der verbreiteten Auffassung abweichenden Standpunkt zu den Erfolgsaussichten einer Behandlung vertreten. Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe und im Hinblick auf die schon vorliegende Rechtsprechung des 1. Senats des BSG ist die Sachverhaltsermittlung des Berufungsgerichts ausreichend.

53

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs 1 iVm § 155 Abs 1 VwGO und berücksichtigt das teilweise Obsiegen und Unterliegen der Beteiligten. Die außergerichtlichen Kosten der zu 1. beigeladenen KÄV sind nach § 162 Abs 3 VwGO nicht erstattungsfähig, weil diese keine Anträge gestellt hat(vgl BSGE 96, 257 = SozR 4-1300 § 63 Nr 3, RdNr 16).

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

Tatbestand

1

Umstritten ist ein Arzneikostenregress wegen der Verordnung des Arzneimittels Polyglobin in den Quartalen II/1999 bis IV/1999.

2

Der in diesen Quartalen als Hausarzt an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Kläger verordnete insgesamt 17-mal "Polyglobin 5 %" für die 1932 geborene Versicherte H. Diese litt an einem metastasierenden Karzinom der Eileiter, das auch die Leber befallen hatte, und ist 2001 verstorben. Die Kosten je Verordnung beliefen sich auf 3209,02 DM. Auf Antrag der Rechtsvorgängerin der zu 2. beigeladenen Krankenkasse vom 1.12.2000 setzte der Prüfungsausschuss auf der Grundlage des § 14 der für den Bezirk der zu 1. beigeladenen Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) geltenden Prüfvereinbarung eine Schadensersatzpflicht des Klägers wegen der Verordnung von "Polyglobin" in Höhe von 51 553 DM fest. Dieser Betrag ergab sich auf der Grundlage der Bruttoverordnungskosten unter Abzug eines fünfprozentigen Apothekenrabatts und der von der Versicherten geleisteten Zuzahlungen. Der beklagte Beschwerdeausschuss wies den Widerspruch des Klägers mit der Begründung zurück, Polyglobin sei nicht im Rahmen der Zulassungsindikationen verordnet worden, und für eine Verordnung außerhalb der zugelassenen Indikationen - der Kläger hatte die Behandlung eines Antikörpermangels bei der Versicherten als Grund für die Verordnungen angeführt - habe keine rechtliche Grundlage bestanden.

3

Das SG hat den Bescheid des Beklagten aufgehoben, soweit die Verordnungen im Quartal II/1999 ausgestellt worden sind, weil die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2. die Antragsfrist versäumt habe. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen, weil für einen zulassungsüberschreitenden Einsatz von Polyglobin die rechtlichen Voraussetzungen, die inzwischen von der Rechtsprechung des BSG geklärt seien, nicht vorgelegen hätten.

4

Dieses Urteil haben der Kläger am 15.4.2005 mit der Berufung und die Beigeladene zu 2. am 28.11.2006 mit der Anschlussberufung angegriffen. Der Kläger hat geltend gemacht, die Verordnung von Polyglobin in den streitbefangenen Quartalen habe den Behandlungserfolg der Chemotherapie absichern sollen und sei damit zur erfolgreichen Behandlung des inoperablen metastasierenden Tubenkarzinoms notwendig gewesen. Nach der Entscheidung des BSG vom 5.7.1995 (Remedacen) habe er darauf vertrauen können, verschreibungspflichtige Medikamente auch außerhalb ihres Zulassungsbereichs verordnen zu dürfen. Der durch dieses höchstrichterliche Urteil ausgelöste Vertrauensschutz sei frühestens durch das Urteil des BSG vom 30.9.1999 (SKAT) eingeschränkt worden. Dieses Urteil habe er bei Ausstellung der hier betroffenen Verordnungen nicht kennen können; insoweit sei ihm zumindest Vertrauensschutz zuzubilligen. Im Übrigen seien die von ihm vorgenommenen Verordnungen auch nach den heute geltenden Maßstäben nicht zu beanstanden, weil die Voraussetzungen für einen indikationsüberschreitenden Einsatz von Polyglobin nach den im Beschluss des BVerfG vom 6.12.2005 formulierten Maßstäben erfüllt seien.

5

Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und auf die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. das Urteil des SG geändert und die Klage auch hinsichtlich der Verordnungen aus dem Quartal II/1999 abgewiesen. Die Anschlussberufung sei zulässig, obwohl diese sich nicht auf den Teil des Streitgegenstandes beziehe, der Gegenstand der Berufung des Klägers sei (Quartale III und IV/1999). Soweit das BSG die Auffassung vertrete, eine Anschlussberufung müsse sich innerhalb des Streitgegenstandes der Hauptberufung bewegen, sei dem nicht zu folgen. Dem Gegner des Berufungsführers müsse es möglich sein, durch Anschließung an die Berufung des Hauptberufungsführers eine Überprüfung des erstinstanzlichen Urteils zu erreichen, auch soweit ein Streitgegenstand betroffen sei, der von der Berufung des Klägers nicht erfasst werde.

6

Die Berufung der beigeladenen Krankenkasse sei aus denselben Gründen begründet wie diejenige des Klägers unbegründet. Der Beklagte sei berechtigt gewesen, auf der Grundlage des § 14 der für Berlin geltenden Prüfvereinbarung Arzneikostenregresse gegen den Kläger wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel festzusetzen. Das setze nach der gefestigten Rechtsprechung des BSG kein Verschulden des Vertragsarztes voraus. Auch ein Antrag der jeweils betroffenen Krankenkasse sei nicht erforderlich gewesen; soweit die Prüfvereinbarung etwas anderes vorschreibe, sei das nach der Rechtsprechung des BSG mit höherrangigem Recht nicht vereinbar und deshalb unwirksam. Aus diesem Grund habe das SG der Klage hinsichtlich des Quartals II/1999 zu Unrecht stattgegeben. Auf Vertrauensschutz könne der Kläger sich nicht berufen. Soweit der 8. Senat des BSG im Jahr 1999 ausgeführt habe, die Versicherten hätten im Anschluss an das Urteil des 1. Senats des BSG vom 15.7.1995 zumindest bis zur Veröffentlichung des Urteils aus dem Jahre 1999 darauf vertrauen dürfen, dass sie mit Arzneimitteln auch außerhalb des durch die Zulassung nach dem Arzneimittelgesetz (AMG) bestimmten Indikationsbereichs versorgt werden dürften, könne dem nicht gefolgt werden. Schließlich führe auch der Beschluss des BVerfG vom 6.12.2005 nicht zu einer anderen Beurteilung, weil die Wirksamkeit von Polyglobin zur Behandlung der nach Auffassung des Klägers bei der Patientin H. vorhandenen Antikörperstörung nicht belegt sei (Urteil vom 26.11.2008).

7

Mit seiner Revision rügt der Kläger in verfahrensrechtlicher Hinsicht die Entscheidung des Berufungsgerichts, die Anschlussrevision der Beigeladenen zu 2. als zulässig anzusehen. Diese Berufung sei nach Ablauf der auch für diese Beigeladene geltenden Berufungsfrist von einem Monat nach Zustellung des sozialgerichtlichen Urteils eingelegt worden. Als unselbstständige Anschlussberufung sei sie nicht zulässig, weil sie sich nicht auf den Gegenstand der von ihm - dem Kläger - eingelegten Hauptberufung beziehe. Nach der Rechtsprechung des BSG dürfe nach Ablauf der für die Beteiligten geltenden Berufungsfrist der Streitgegenstand des Berufungsverfahrens nicht mehr erweitert werden. Seine - des Klägers - Verordnungen in den drei streitbefangenen Quartalen bildeten jeweils unterschiedliche Streitgegenstände, was das SG im Ausgangspunkt zutreffend dadurch zum Ausdruck gebracht habe, dass es den Regressbescheid hinsichtlich des Quartals II/1999 aufgehoben und hinsichtlich der in den beiden folgenden Quartalen ausgestellten Verordnungen für rechtmäßig gehalten habe. Deshalb sei der angefochtene Regressbescheid hinsichtlich der Verordnungen aus dem Quartal II/1999 dem Berufungsgericht mit seiner - des Klägers - (Haupt)Berufung nicht angefallen und habe durch die zu 2. beigeladene Krankenkasse nach Ablauf der Berufungsfrist nicht mehr in das Berufungsverfahren einbezogen werden können.

8

Im Übrigen sei das Urteil des LSG fehlerhaft, soweit es die Regresse für rechtmäßig gehalten habe. Der vom Berufungsgericht herangezogene § 14 Abs 1 der Prüfvereinbarung sei schon generell keine tragfähige Grundlage für einen Regress wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel. Die Prüfvereinbarung regele lediglich Verstöße gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot sowie Regresse wegen schuldhafter Verursachung eines "sonstigen Schadens". Der in der Rechtsprechung des BSG zugelassene Regress wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Mittel hätte in der Prüfvereinbarung zwar geregelt werden können, sei dort tatsächlich aber nicht geregelt worden.

9

Weiterhin sei der angefochtene Bescheid fehlerhaft, weil im Prüfungsausschuss wie im Beschwerdeausschuss jeweils unter Vorsitz eines Vertreters der Krankenkassen entschieden worden sei. Die Krankenkassenvertreter hätten eine Vertagung der Entscheidung des Beklagten in einer Sitzung unter Vorsitz eines Vertreters der Ärzte herbeigeführt, um so zu erreichen, dass über die Widersprüche des Klägers gegen die Entscheidung des Prüfungsausschusses, die unter Vorsitz eines Vertreters der Krankenkassen getroffen worden sei, erneut unter Vorsitz eines Vertreters der Krankenkassen entschieden werde. Das sei unzulässig. Die Vorschriften über den wechselnden Vorsitz im Prüfungs- und Beschwerdeausschuss nach § 106 SGB V aF könnten nur so verstanden werden, dass jedenfalls über Entscheidungen des Prüfungsausschusses, bei denen ein Vertreter der Krankenkassen den Vorsitz gehabt habe, in der Besetzung des Beschwerdeausschusses mit einem Vorsitzenden aus den Reihen der Vertragsärzte entschieden werden müsse.

10

Die Verordnung von Polyglobin sei zur Behandlung der bei der Versicherten H. vorhandenen lebensbedrohlichen Karzinomerkrankung notwendig gewesen. Zwar sei der Einsatz von Polyglobin nicht unmittelbar zur Heilung der Tumorerkrankung bzw zur Linderung der damit verbundenen Beschwerden erfolgt, doch habe die Versicherte unter einer Antikörperstörung gelitten, die eine Chemotherapie unmöglich gemacht habe, die ihrerseits zur Behandlung des Tumorgrundleidens erforderlich gewesen sei. Der Einsatz von Polyglobin habe die Voraussetzungen für eine Fortsetzung der Chemotherapie schaffen sollen, und seine Rechtmäßigkeit müsse deshalb aus medizinischen Gründen nach denselben Maßstäben beurteilt werden wie die Verordnung von Arzneimitteln zur kausalen Krebstherapie. Jedenfalls habe er - der Kläger - darauf vertrauen dürfen, dass im Hinblick auf die Rechtsprechung des BSG auch der die Indikationsgrenzen überschreitende Einsatz generell zugelassener Arzneimittel (Off-Label-Use) im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung möglich gewesen sei. Das habe der 1. Senat des BSG im Juli 1995 zum Einsatz des Codeinpräparates Remedacen zur Drogensubstitution entschieden, und der 8. Senat des BSG, der mit dieser Rechtsprechung nicht einverstanden gewesen sei, habe im Jahr 1999 für die Zeit bis zur Verkündung seiner Entscheidung den Versicherten Vertrauensschutz zugebilligt. Auf diesen Vertrauensschutz könne er - der Kläger - sich hier auch berufen. Soweit der 6. Senat des BSG im Mai 2006 entschieden habe, Vertrauensschutzaspekte spielten insoweit keine Rolle, weil Vertragsärzte, die Arzneimittel außerhalb der Zulassungsindikationen einsetzen wollten, gehalten seien, ein Privatrezept auszustellen und die Versicherten bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche gegen die Krankenkasse zu unterstützen, sei das auf die hier maßgebliche Rechtslage des Jahres 1999 nicht übertragbar. Zu diesem Zeitpunkt sei nach § 29 Abs 1 Satz 2 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) die Genehmigung von Verordnungen durch eine Krankenkasse unzulässig gewesen. In Verbindung mit der Rechtsprechung des 1. Senats des BSG zu Remedacen habe sich daraus die Berechtigung von Vertragsärzten ergeben, den Off-Label-Use-Einsatz im regulären Verfahren durch Ausstellen von vertragsärztlichen Verordnungen zu praktizieren. Soweit das LSG bemängelt habe, das bei der Versicherten H. vorliegende Antikörpermangelsyndrom, das letztlich den Einsatz von Polyglobin erforderlich gemacht habe, sei nicht ausreichend belegt, könne dem nicht gefolgt werden. Entgegen der Auffassung des LSG seien laborchemische Untersuchungen zum Nachweis dieses Antikörpermangelsyndroms verzichtbar.

11

Der Kläger beantragt,

die Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 26.11.2008 und des Sozialgerichts Berlin vom 9.2.2005, soweit hier die Klage abgewiesen wurde, sowie den Bescheid des Beklagten vom 12.12.2001 aufzuheben,

hilfsweise, die Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 26.11.2008 und des Sozialgerichts Berlin vom 9.2.2005 sowie den Bescheid des Beklagten vom 12.12.2001 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, über den Widerspruch des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu entscheiden,

weiter hilfsweise, das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 26.11.2008 aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

12

Der Beklagte und die Beigeladene zu 2. beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

13

Zutreffend habe das Berufungsgericht entschieden, dass die Partner der Prüfvereinbarungen nicht einmal berechtigt gewesen wären, Arzneikostenregresse wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel vom Verschulden des Vertragsarztes abhängig zu machen. Entgegen der Auffassung des Klägers habe die maßgebliche Prüfvereinbarung aus dem Jahre 1994 nicht vorgeschrieben, dass eine unter dem Vorsitz eines Kassenvertreters getroffene Entscheidung vom Beschwerdeausschuss nur unter dem Vorsitz eines Vertreters der Ärzte überprüft werden dürfe. Eine solche Regelung wäre auch nicht praktikabel gewesen und hätte die Dauer der Prüfverfahren erheblich verlängert. Die Ausführungen des Klägers hinsichtlich seines Vertrauens auf bestimmte Entscheidungen des BSG seien irrelevant. Es sei lebensfremd, dass ein Vertragsarzt die einzelnen Entwicklungsschritte der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Kenntnis nehme und sein Verordnungsverhalten daran ausrichte. Eine Ausnahmelage im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG vom 6.12.2005 habe in den streitbefangenen Quartalen bei der Versicherten H. nicht bestanden.

14

Die zu 2. beigeladene Krankenkasse hält das Urteil des LSG ebenfalls für zutreffend. Zu Recht habe das LSG ihre Anschlussberufung als zulässig angesehen. Folge man der Auffassung des Klägers, gebe es für die Anschlussberufung im sozialgerichtlichen Verfahren überhaupt keinen Anwendungsbereich, weil die Hauptberufung regelmäßig nur insoweit erhoben werde, als der Rechtsmittelführer durch das sozialgerichtliche Urteil beschwert sei. Für eine Anschlussberufung sei dann kein Raum, weil im Rahmen der Beschwer des Klägers der Anschlussberufungsführer selbst mit dem angefochtenen Urteil einverstanden sei. Ein Grund für eine derart restriktive Handhabung entgegen der Rechtsprechung in den anderen Gerichtszweigen sei nicht erkennbar.

Entscheidungsgründe

15

Die Revision des Klägers hat teilweise Erfolg. Zu Recht rügt er, dass das Berufungsgericht über den angefochtenen Bescheid des Beklagten hinsichtlich der Verordnungen aus dem Quartal II/1999 in der Sache entschieden habe. Insoweit ist die zugunsten des Klägers ergangene Entscheidung des SG rechtskräftig geworden, weil die Beigeladene zu 2. innerhalb der Berufungsfrist keine Berufung eingelegt hat. Ihre Anschlussberufung war unzulässig (1). Keinen Erfolg hat die Revision dagegen hinsichtlich der Verordnungen in den Quartalen III und IV/1999. Insoweit hat das LSG die Berufung des Klägers gegen das sozialgerichtliche Urteil zu Recht zurückgewiesen. Der angefochtene Bescheid des Beklagten ist rechtmäßig (2).

16

1. Die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. vom 28.11.2006 war unzulässig. Das Berufungsgericht hätte auf diese Anschlussberufung hin nicht in eine Sachprüfung des angefochtenen Bescheides im Hinblick auf die Verordnungen des Klägers aus dem Quartal II/1999 eintreten dürfen. Insoweit war das der Klage stattgebende Urteil des SG nämlich bereits rechtskräftig geworden.

17

a. Die Berufung der beigeladenen Krankenkasse hätte nur als Anschlussberufung iS des § 202 SGG iVm § 524 ZPO zulässig sein können. Eine eigenständige Berufung wäre wegen Versäumung der Berufungsfrist des § 151 Abs 1 SGG unzulässig. Das Urteil des SG ist der Beigeladenen zu 2. am 16.3.2005 zugestellt worden; die Monatsfrist des § 151 Abs 1 SGG ist durch die Einlegung der Berufung am 28.11.2006 nicht gewahrt worden.

18

Die Berufungsfrist des § 151 Abs 1 SGG gilt nicht für die Anschlussberufung, die nach der Rechtsprechung des BSG auch in der Sozialgerichtsbarkeit statthaft ist(BSGE 63, 167, 169 = SozR 1500 § 54 Nr 85; Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer (Hrsg), SGG 9. Aufl 2008, § 143 RdNr 5). Die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. war hier aber unzulässig, weil sie nicht den gleichen prozessualen Anspruch wie die Hauptberufung des Klägers betroffen, sondern einen neuen Streitgegenstand in das Berufungsverfahren eingeführt hat. Das ist nach der Rechtsprechung aller mit dieser Rechtsfrage bisher befassten Senate des BSG ausgeschlossen (zB Urteil des 9. Senats vom 8.7.1969 = SozR Nr 12 zu § 521 ZPO; 6. Senat vom 19.6.1996 - 6 RKa 24/95 - = USK 96131) Diese Entscheidungen sind zu Ansprüchen ergangen, die Gegenstand des Klageverfahrens, aber nicht der Hauptberufung waren. Das Urteil des 4. Senats vom 10.2.2005 - B 4 RA 48/04 R - betrifft einen mit der Anschlussberufung geltend gemachten Anspruch, der nicht einmal Gegenstand des Klageverfahrens gewesen ist. Die Rechtsauffassung des BSG zur Begrenzung der Anschlussberufung auf den Streitgegenstand der Hauptberufung wird in den Kommentaren zum SGG - soweit ersichtlich ohne Ausnahme - geteilt (Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 143 RdNr 5d; Eckertz in: Lüdtke, Handkommentar Sozialgerichtsgesetz, 3. Aufl 2009, § 143 RdNr 37; Behn in: Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, 87. Ergänzungslieferung, Stand: Mai 2009 - Gesamtwerk, § 143 RdNr 68 f; Frehse in: Jansen, SGG, 3. Aufl 2009, § 143 RdNr 7; Waschull in: Berchtold/Richter, Prozesse in Sozialsachen, 2009, § 6 RdNr 130). Nach Bernsdorff (in: Hennig, SGG, Stand Februar 2009 - Gesamtwerk - § 143 RdNr 27) liegt keine Anschlussberufung vor, wenn sich der Antrag des Berufungsbeklagten bei teilbarem Streitgegenstand gegen einen anderen als den mit der Berufung angegriffenen Teil des erstinstanzlichen Urteils richtet (ähnlich Breitkreuz in: Breitkreuz/Fichte, SGG, 2009, § 143 RdNr 24).

19

b. Bei Anwendung dieser Rechtsauffassung ist die Anschlussberufung unzulässig, wie das LSG zutreffend angenommen hat. Die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. betrifft einen anderen Streitgegenstand als die Hauptberufung, weil diese die Verordnungen des Klägers aus den Quartalen III/1999 und IV/1999, jene aber solche aus dem Quartal II/1999 erfasst. Vertragsärztliche Honorarbescheide sowie Bescheide der Gremien der Wirtschaftlichkeitsprüfung ergehen quartalsbezogen und enthalten, wenn Entscheidungen mehrere Quartale betreffen (vgl zB BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 30/08 R - RdNr 24 mwN, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen), verschiedene Regelungen iS des § 31 Satz 1 SGB X. Selbst innerhalb eines Bescheides für ein Quartal können zahlreiche eigenständige "Regelungen" ergehen, die selbstständig anfechtbar sind. Das hat der Senat in einem Urteil vom 23.2.2005 (SozR 4-1500 § 92 Nr 2) für einen Honorarbescheid näher dargelegt; in dem schon zitierten Urteil vom 19.6.1996 (6 RKa 24/95) hat der Senat das in Bezug auf einen Bescheid zur Wirtschaftlichkeitsprüfung hinsichtlich von Kürzungen für bestimmte Leistungen bzw Leistungssparten als selbstverständlich vorausgesetzt und im Urteil vom 16.7.2008 ausdrücklich ausgesprochen (BSGE 101, 130 = SozR 4-2500 § 106 Nr 19, RdNr 25 am Ende).

20

Diese Rechtsprechung kann allerdings nicht ohne Weiteres auf Kostenregresse wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel übertragen werden. Derartige Regressbescheide können quartalsbezogen ergehen, etwa wenn ein Arzt über einen längeren Zeitraum hinweg bestimmte Medikamente für zahlreiche Patienten verordnet. Zwingend ist die Bindung eines Kostenregresses ebenso wie eines Regresses wegen eines sog "sonstigen Schadens" an den Quartalsturnus indessen nicht und bietet sich gerade in Konstellationen nicht an, in denen es um die Behandlung eines Versicherten mit einem umstrittenen Medikament über mehrere Quartale geht. Ein solcher Fall ist hier zu beurteilen, und sowohl der Regressantrag der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2. wie die Entscheidungen des Prüfungsausschusses und des Beklagten haben nicht nach den drei betroffenen Quartalen differenziert und mussten das auch nicht.

21

Ursprünglich bildete deshalb der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Aufhebung der - Verordnungen aus drei Quartalen erfassenden - Entscheidung des Beklagten vom 12.12.2001 den Streitgegenstand des gerichtlichen Verfahrens. Das SG hat diesen einheitlichen Streitgegenstand jedoch getrennt und die Regressfestsetzung je nach Zuordnung der beanstandeten Verordnungen des Klägers zu den Quartalen II/1999 einerseits sowie III und IV 1999 andererseits unterschiedlich beurteilt. Anlass dazu hat dem SG die (mittelbar) quartalsbezogene Regelung über die Antragsfrist der Krankenkasse in § 14 Abs 2 der maßgeblichen Prüfvereinbarung gegeben. Weil offenbar die Krankenkassen die Verordnungen aus jedem Quartal zusammengefasst zu einem bestimmten Termin erhalten, der wiederum für den Beginn der Antragsfrist nach § 14 Abs 2 von Bedeutung ist, konnte nach Ansicht des SG die Prüfung der Einhaltung dieser Frist nur differenziert für jedes Quartal erfolgen. Das Urteil des SG hat inzident die angefochtene Entscheidung des Beklagten in zumindest zwei Regelungen iS des § 31 Satz 1 SGB X aufgespalten, nämlich hinsichtlich der aus dem Quartal II/1999 und hinsichtlich der aus den Quartalen III/1999 sowie IV/1999 stammenden Verordnungen des Klägers. Bundesrecht ist dadurch nicht verletzt, und das SG hat durch den Tenor seines Urteils die Beteiligten über das gerichtliche Vorgehen hinreichend deutlich informiert.

22

Damit bestand bei Zustellung des SG-Urteils eine Rechtslage, wie sie derjenigen bei Honorarfestsetzungen oder Kürzungs- bzw Regressbescheiden entspricht, die von vornherein mehrere Quartale erfassen. Für jedes dieser Quartale ist (mindestens) eine Regelung angefochten, deren prozessuales Schicksal von demjenigen für die anderen Quartale abweichen kann; die Regelung für jedes Quartal bildet einen eigenständigen Streitgegenstand. Als Folge der Hauptberufung des Klägers war der angefochtene Bescheid des Beklagten Gegenstand des Berufungsverfahrens nur hinsichtlich der aus den Quartalen III/1999 und IV/1999 stammenden Verordnungen; das ist dem Antrag des Klägers im LSG-Verfahren deutlich zu entnehmen. Die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. hat mit der Entscheidung des Beklagten über die aus dem Quartal II/1999 stammenden Verordnungen einen neuen Streitgegenstand in das Berufungsverfahren eingeführt. Das ist nach der bisherigen Rechtsprechung des BSG nicht zulässig. Ein Anlass, von dieser Rechtsprechung abzuweichen, ist nicht ersichtlich.

23

c. Kein durchgreifendes Bedenken ergibt sich aus dem Hinweis der Beigeladenen zu 2., auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des BSG bleibe für die Anschlussberufung nur ein sehr begrenzter Anwendungsbereich. Wenn die Anschlussberufung nur innerhalb des prozessualen Anspruchs erhoben werden kann, der Gegenstand der Hauptberufung ist, kommt im vertragsärztlichen Bereich bei Honorarkürzungen bzw Arzneikostenregressen eine Anschlussberufung typischerweise nur dann in Betracht, wenn das SG auf die Klage die zuständige Behörde zur Neubescheidung nach bestimmten Maßgaben verurteilt und der Kläger mit seiner Berufung die endgültige Aufhebung der ihn belastenden Bescheide begehrt. Dieser Berufung können sich dann die KÄV, der Beschwerdeausschuss oder die beigeladenen Krankenkassen (bzw Krankenkassenverbände) mit dem Antrag anschließen, die Klage in vollem Umfang abzuweisen, auch nachdem die für sie laufende Berufungsfrist abgelaufen ist. Alle übrigen Regelungen der ursprünglich angefochtenen Entscheidung, über die das SG entschieden hat, ohne dass ein Beteiligter das mit der Berufung angefochten hat, die also etwa andere Leistungspositionen oder andere Quartale betreffen, werden dagegen bestandskräftig. Das ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts im vertragsärztlichen Bereich richtig und praktikabel.

24

Auf der Grundlage der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts bliebe dagegen möglicherweise während der gesamten Dauer eines Berufungsverfahrens offen, ob Regelungen in Kürzungs- oder Regressbescheiden, die nicht Gegenstand der Hauptberufung sind, bestandskräftig werden oder nicht. Soweit etwa in einer Entscheidung des Beschwerdeausschusses Honorarkürzungen oder Arzneikostenregresse für eine größere Zahl von Quartalen auf der Grundlage einer Vielzahl von Entscheidungen des Prüfungsausschusses (oder der Prüfungsstelle iS des § 106 Abs 4 Satz 1 SGB V idF des GKV-WSG vom 26.3.2007) zusammengefasst worden sind, bleibt deren Bestandskraft über Jahre hinweg offen, auch wenn nur eine Detailregelung hinsichtlich eines einzelnen Quartals Gegenstand des Berufungsverfahrens ist. Das ist sowohl für den beteiligten Vertragsarzt wie für die KÄV und die Krankenkassen als Kostenträger schwierig zu handhaben, weil ggf Rückstellungen gebildet werden müssten und Beträge nicht verbucht werden könnten.

25

Ein tatsächliches Bedürfnis, diese Rechtsfolgen in Kauf zu nehmen, um den Beteiligten bis zum Abschluss der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz die Möglichkeit der Anschlussberufung auch außerhalb des prozessualen Anspruchs, der Gegenstand der Hauptberufung ist, offen zu halten, vermag der Senat nicht zu erkennen. Ob Honorarkürzungs- oder Regressbescheide, die verschiedene Regelungen iS des § 31 Satz 1 SGB X zum Inhalt haben und häufig mehrere Quartale betreffen, einzeln angegriffen oder durch die Widerspruchsstelle zusammengefasst bzw im gerichtlichen Verfahren auf der Grundlage des § 113 Abs 1 SGG verbunden werden, ist eine Frage der Praktikabilität. Jeder Verfahrensbeteiligte hat nach Bekanntgabe des das Verwaltungsverfahren abschließenden Bescheides oder des erstinstanzlichen Urteils eine Frist von einem Monat, innerhalb der er prüfen und entscheiden kann, ob und ggf inwieweit er die Entscheidung der Behörde bzw des erstinstanzlichen Gerichts hinnehmen will oder nicht. Ein berechtigtes Interesse, Monate oder sogar Jahre nach Einlegung der Berufung des Gegners noch Regelungen der gerichtlichen Überprüfung des LSG zuführen zu können, zu denen die Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts zunächst hingenommen worden ist, besteht nicht.

26

d. Zudem kann die prozessuale Sicht des Berufungsgerichts die Entscheidungsreife der Berufung in Frage stellen, jedenfalls soweit keine Frist für die Anschlussberufung normiert ist. Während nach § 127 Abs 2 Satz 2 VwGO die Anschließung nur bis zum Ablauf eines Monats nach Zustellung der Berufungsbegründungsschrift zugelassen wird, besteht keine ebensolche Bestimmung im SGG. Die VwGO-Vorschrift soll nach vorherrschender Auffassung auf das sozialgerichtliche Verfahren nicht übertragen werden können, weil dafür eine rechtliche Grundlage fehlt. Vergleichbares wird hinsichtlich der ähnlichen Frist des § 524 Abs 2 Satz 2 ZPO angenommen, die immerhin über § 202 SGG grundsätzlich im sozialgerichtlichen Verfahren angewandt werden könnte(vgl Leitherer, aaO, § 143 RdNr 5 f). Nach dieser Vorschrift ist die Anschlussberufung zulässig bis zum Ablauf der dem Berufungsbeklagten gesetzten Frist zur Berufungserwiderung. Eine dem § 521 Abs 1 ZPO entsprechende Vorschrift über die Zustellung der Berufungsschrift und der Berufungsbegründungsschrift an den Gegner kennt das SGG nicht. Die entsprechende Anwendung des § 524 Abs 2 Satz 2 ZPO über § 202 SGG setzt aber die Zustellung mindestens der Berufungsbegründung an den Gegner voraus, damit Klarheit über den Beginn der Frist für die Einlegung der Anschlussberufung besteht. Die Anwendung von Ausschlussfristen im sozialgerichtlichen Verfahren ohne explizite normative Grundlage ist unter dem Gesichtspunkt der Garantie des effektiven Rechtsschutzes (Art 19 Abs 4 Satz 1, Art 103 Abs 1 GG) problematisch, sodass ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung, die auch in der Anordnung einer entsprechenden Geltung des § 127 Abs 2 Satz 2 VwGO im SGG bestehen könnte, die Ausschlussfrist für die Anschlussberufung wohl nicht entsprechend angewandt werden kann. Das dürfte auch deshalb anzunehmen sein, weil im Berufungsverfahren der Sozialgerichtsbarkeit im Unterschied zu demjenigen in der Verwaltungs- und in der Zivilgerichtsbarkeit kein Vertretungszwang herrscht, und die Vorschriften über die Zustellung von Berufungs- und Berufungsbegründungsschriften sowie daran anknüpfende Fristen auf einen durch professionelle Bevollmächtigte geführten Prozess zugeschnitten sind.

27

Würde - was das LSG nicht erwogen hat - auf der Grundlage einer analogen Anwendung des § 127 Abs 2 Satz 2 VwGO im sozialgerichtlichen Verfahren auf den Nachweis der Zustellung der Berufungsbegründungsschrift verzichtet und der Nachweis ihrer tatsächlichen Kenntnis für ausreichend gehalten, wäre die Anschlussberufung der zu 2. beigeladenen Krankenkasse hier ebenfalls unzulässig. Diese hat, wie sich aus ihrer Reaktion im Berufungsverfahren vom 4.4.2006 ergibt, Monate vor Einlegung der Anschlussberufung am 28.11.2006 Kenntnis von der Berufungsbegründung des Klägers gehabt. Die entsprechende Anwendung der Monatsfrist des § 127 Abs 2 Satz 2 VwGO würde dann ebenfalls zur Unzulässigkeit ihrer Berufung führen. Demgegenüber hätte die vom Berufungsgericht offenbar befürwortete unbefristete Zulassung der Anschlussberufung bis zur mündlichen Verhandlung zur Folge, dass das LSG trotz Entscheidungsreife der Hauptberufung den Rechtsstreit vertagen müsste, wenn zum Gegenstand der Anschlussberufung noch Sachaufklärungsbedarf besteht. Das könnte zu Verzögerungen der Entscheidung führen, die auch im Hinblick auf das Gebot der Gewährung von Rechtsschutz in angemessener Zeit (Art 6 Europäische Menschenrechtskonvention) möglichst zu vermeiden sind.

28

Diese Erwägungen geben dem Senat Anlass, trotz der gewichtigen Einwände des Berufungsgerichts an der bisherigen Rechtsprechung des BSG zur Anschlussberufung festzuhalten und von einer andernfalls gebotenen Anrufung des Großen Senats nach § 41 Abs 2 SGG im Hinblick auf die Rechtsprechung anderer Senate zum Gegenstand der Anschlussberufung im sozialgerichtlichen Verfahren abzusehen.

29

2. Im Übrigen erweist sich die Revision des Klägers aber als unbegründet.

30

a. Das Berufungsgericht hat angenommen, § 14 Abs 1 iVm Abs 3 der seit dem Jahre 1994 geltenden und für die Verordnungen des Klägers im Jahre 1999 noch anwendbaren Prüfvereinbarung für den Bezirk der zu 1. beigeladenen KÄV Berlin gestatte die Festsetzung von Arzneikostenregressen, soweit der Vertragsarzt Arzneimittel verordnet hat, die in der vertragsärztlichen Versorgung nicht verordnungsfähig sind. Die Kenntnis des Vertragsarztes von der fehlenden Verordnungsfähigkeit oder generell ein Verschulden des Arztes sei insoweit nicht Voraussetzung für die Festsetzung eines Regresses. Soweit der Kläger § 14 der Prüfvereinbarung anders versteht und annimmt, diese Norm erfasse nur Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung bzw die Festsetzung eines verschuldensabhängigen "sonstigen Schadens" und nicht die Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel, ist dem im Revisionsverfahren nicht weiter nachzugehen. Die Prüfvereinbarung stellt Landesrecht iS des § 162 SGG dar, das das Revisionsgericht in der Auslegung des Berufungsgerichts seiner Entscheidung zugrunde zu legen hat. Von diesem Grundsatz sind in der Rechtsprechung des BSG zwei Ausnahmen anerkannt. Danach können landesrechtliche Normen vom Revisionsgericht eigenständig ausgelegt und angewandt werden, wenn es sich um Normen handelt, die inhaltsgleich in Bezirken verschiedener LSG gelten, soweit die Übereinstimmung im Interesse der Rechtsvereinheitlichung bewusst und gewollt ist (BSG vom 8.9.2009 - B 1 KR 8/09 R - RdNr 26, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt. Es ist weder geltend gemacht noch gerichtsbekannt, dass die Berliner Prüfvereinbarung aus dem Jahr 1994 inhaltsgleich in anderen KÄV-Bezirken gilt.

31

Landesrechtliche Normen sind weiterhin einer eigenständigen Auslegung und Anwendung des BSG zugänglich, wenn das LSG entscheidungserhebliche Vorschriften unberücksichtigt gelassen hat (BSGE 98, 89 = SozR 4-2500 § 85 Nr 31, jeweils RdNr 15). Hier hat jedoch das LSG die als Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides ersichtlich einschlägige Vorschrift des § 14 der Prüfvereinbarung zutreffend herangezogen und unter Anwendung der allgemein anerkannten juristischen Auslegungskriterien ausgelegt. Der Kläger rügt auch keinen Verstoß gegen diese Auslegungsgrundsätze oder die Denkgesetze, sondern setzt der Auslegung des Berufungsgerichts seine abweichende Auslegung entgegen. Das führt nicht dazu, dass entgegen der Vorgabe des § 162 SGG das Revisionsgericht zu einer eigenständigen Auslegung berufen wäre.

32

Soweit § 14 der Prüfvereinbarung in der Auslegung des LSG eine hinreichende Grundlage für die Festsetzung von Arzneikostenregressen wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel darstellt, steht die Vorschrift mit Bundesrecht in Einklang. Der Senat hat mehrfach entschieden, dass auf der Grundlage des § 106 Abs 2 SGB V in den Prüfvereinbarungen Rechtsgrundlagen für Arzneikostenregresse festgeschrieben werden dürfen, soweit Vertragsärzte Arznei- und Heilmittel verordnet haben, die nicht Gegenstand der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung sind(zB BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 52; vgl zuletzt BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 37/08 R - RdNr 17 ff mwN, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Das stellt der Kläger selbst nicht in Abrede.

33

b. Soweit der Kläger in formeller Hinsicht weiter rügt, der angefochtene Bescheid des Beklagten sei fehlerhaft, weil er in einer Sitzung gefasst worden sei, in der ein Vertreter der Krankenkassen den Vorsitz innegehabt habe, kann dem nicht gefolgt werden. Weder die Prüfvereinbarung im Bezirk der zu 1. beigeladenen KÄV noch Bundesrecht haben vorgeschrieben, dass in den Jahren, in denen Prüfungs- und Beschwerdeausschüsse alternierend von einem Vertreter der Krankenkassen und der Vertragsärzte geleitet worden sind, Entscheidungen des Prüfungsausschusses, die unter ärztlichem Vorsitz getroffen worden sind, vom Beschwerdeausschuss nur unter Vorsitz eines Vertreters der Krankenkassen und umgekehrt überprüft werden dürfen.

34

Nach § 106 Abs 4 Satz 3 SGB V idF des Gesundheitsstrukturgesetzes vom 21.12.1992 führte in den von Vertretern der Ärzte und der Krankenkassen in gleicher Zahl besetzten Prüfungs- und Beschwerdeausschüssen jährlich wechselnd ein Vertreter der Ärzte und der Krankenkassen den Vorsitz. Die Stimme des Vorsitzenden gab bei Stimmengleichheit den Ausschlag (aaO, Satz 4). Diese als defizitär bewertete Regelung war manipulationsanfällig (vgl näher BSGE 92, 283 = SozR 4-2500 § 106 Nr 5 auch zur Neuregelung im Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung)und ist deshalb zum 1.1.2004 ohne Übergangsregelung in der Weise geändert worden, dass die Gremien nunmehr von einem neutralen Vorsitzenden geleitet werden. Für die Zeit bis zum 31.12.2003 galten aber die früheren Regelungen über den im Jahresturnus wechselnden Vorsitz fort, und diesen lag die Auffassung der Revision von einem notwendigen Wechsel im Vorsitz zwischen den beiden Verwaltungsinstanzen nicht zugrunde.

35

Der Kläger verweist selbst auf früher geltende Prüfvereinbarungen im Bezirk der KÄV Bayerns und der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Berlin, in denen bestimmt war, den Vorsitz im Beschwerdeausschuss führe ein Vertreter der Ärzte (Zahnärzte), wenn in dem zu entscheidenden Fall ein Vertreter der Krankenkassen den Vorsitz im Prüfungsausschuss inne hatte und umgekehrt. Dass eine solche Regelung im Bezirk der Beigeladenen zu 1. gegolten habe, macht der Kläger nicht geltend. Seine Auffassung, auch ohne ausdrückliche Regelung in der maßgeblichen Prüfvereinbarung ergebe sich dieser Grundsatz unmittelbar als Folge des § 106 Abs 4 Satz 3 SGB V aF über den turnusmäßigen Wechsel im Vorsitz von Prüfungs- und Beschwerdeausschuss, trifft nicht zu. Die Annahme einer solchen bundesrechtlichen Vorgabe hätte das Prüfverfahren verkompliziert und wäre ohne nähere Regelungen in den Prüfvereinbarungen kaum umsetzbar gewesen. Die Beschwerdeausschüsse hätten Beschlüsse über Entscheidungen der Prüfungsausschüsse möglicherweise zurückstellen müssen, weil im jeweiligen Jahr die "richtige" Besetzung nicht verfügbar gewesen wäre; alternativ hätte immer ein Vorsitzender der "Bank", die im jeweiligen Jahr im Beschwerdeausschuss nicht den Vorsitzenden stellt, zur Verfügung stehen müssen, um über Entscheidungen des Prüfungsausschusses zu beraten, die unter anderem Vorsitz getroffen worden sind. Ob die damit verbundenen formellen Erschwerungen des Prüfungsverfahrens bundesrechtlich unbedenklich gewesen wären, bleibt offen (zu den Grenzen des Gestaltungsspielraums der Gesamtvertragspartner bei Ausgestaltung der Prüfvereinbarung vgl BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 53 S 290 f). Eine Verpflichtung der Prüfgremien, ohne explizite Regelung in der Prüfvereinbarung so zu verfahren, hat jedenfalls nicht bestanden.

36

c. Soweit der Kläger geltend macht, die Entscheidung durch den Beklagten am 12.12.2001 sei nur deshalb unter dem Vorsitz eines Krankenkassenvertreters gefallen, weil die Kassenvertreter die ursprünglich vorgesehene Sitzung am 24.9.2001 boykottiert hätten, führt das zu keiner anderen Beurteilung. Da ein Arzt keinen Anspruch darauf hat, dass über seine Angelegenheit immer unter dem Vorsitz eines Arztes im Beschwerdeausschuss entschieden wird, wenn der Prüfungsausschuss unter dem Vorsitz eines Krankenkassenvertreters entschieden hat, stellt die Vertagung einer Sitzung auch dann grundsätzlich keinen Rechtsverstoß dar, wenn diese zur Folge haben sollte, dass der Vorsitz in der tatsächlich entscheidenden Sitzung wechselt. Im Übrigen hat das Berufungsgericht nicht iS des § 163 SGG festgestellt, dass die Vertagung der Entscheidung vom 24.9.2001 allein darauf beruht hat, dass die Krankenkassenvertreter erreichen wollten, dass über die Angelegenheit des Klägers in der Besetzung des Beschwerdeausschusses mit einem Vorsitzenden aus ihren Reihen entschieden wird. Schließlich ist im Hinblick auf die Rügen des Klägers zur Zusammensetzung des Beklagten bei der Beschlussfassung darauf hinzuweisen, dass die Krankenkassen nach der Rechtsprechung des Senats gegen Entscheidungen der Prüfgremien, mit denen ua Anträge auf Festsetzung von Honorarkürzungen oder Arzneikostenregressen abgelehnt werden, Rechtsmittel ergreifen können (zB BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 1 und BSG MedR 2004, 577, jeweils zu unzureichenden Kürzungen vertragszahnärztlichen Honorars; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 24 zum Sprechstundenbedarfsregress). Da vorliegend Ermessens- und Beurteilungsspielräume allenfalls am Rande in Rede stehen, spricht wenig dafür, dass die zu 2. beigeladene Krankenkasse eine - unterstellt für den Kläger positive - Entscheidung des Beklagten unter anderem Vorsitz auf sich hätte beruhen lassen.

37

d. Der Kläger durfte über "Polyglobin 5 %" in den streitbefangenen Quartalen keine vertragsärztliche Verordnung ausstellen. Er hat dieses Arzneimittel außerhalb der arzneimittelrechtlichen Zulassung verordnet.

38

Die Zulassung von Polyglobin war nach den Feststellungen des LSG auf die Behandlung der idiopathischen thrombozytopenischen Purpura (Hautblutungen) beschränkt, und an dieser Erkrankung hat die Versicherte H. nicht gelitten. Ein Arzneimittel darf grundsätzlich nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung für einen Einsatz außerhalb der arzneimittelrechtlich zugelassenen Indikation verordnet werden. Das hat der 1. Senat des BSG mit Urteil vom 19.3.2002 (BSGE 89, 184 = SozR 3-2500 § 31 Nr 8) unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung entschieden und daran bis heute festgehalten (zB BSGE 93, 236 = SozR 4-2500 § 27 Nr 1). Der 6. Senat des BSG ist dem für die Festsetzung von Arzneikostenregressen gefolgt (vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 RdNr 19; vgl auch BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 37/08 R - RdNr 26, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).

39

Der Kläger kann sich zur Rechtfertigung seiner Verordnungen von Polyglobin weder auf Vertrauensschutz noch auf einen der Annahmetatbestände stützen, unter denen Arzneimittel vertragsärztlich auch außerhalb der zugelassenen Indikation verordnet werden dürfen. Der Kläger ist der Auffassung, Vertragsärzte hätten in der Zeit zwischen dem Urteil des 1. Senats vom 5.7.1995 zur Drogensubstitution mit dem Codein-Präparat Remedacen (BSGE 76, 194 = SozR 3-2500 § 27 Nr 5) und dem Bekanntwerden des Urteils des 8. Senats vom 30.9.1999 zur SKAT-Therapie (BSGE 85, 36 = SozR 3-2500 § 27 Nr 11) generell darauf vertrauen dürfen, Arzneimittel im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung auch außerhalb der Zulassungsindikationen nach dem Arzneimittelrecht verordnen zu dürfen. Dem folgt der Senat in Übereinstimmung mit dem Berufungsgericht nicht.

40

Es ist bereits fraglich, ob ein Vertragsarzt im Hinblick auf das zu der sehr speziellen Situation der Drogensubstitution ergangene Urteil des 1. Senats vom 5.7.1995 generell darauf vertrauen durfte, Arzneimittel auch außerhalb ihrer Zulassungsindikation verordnen zu dürfen. Allenfalls kommt ein Vertrauen darauf in Betracht, dass die Bindung der vertragsärztlichen Verordnung an die Zulassung des jeweiligen Fertigarzneimittels nach dem AMG in dem Sinne gelockert ist, dass in bestimmten Konstellationen eine die arzneimittelrechtliche Zulassung überschreitende Verordnung, die medizinisch sinnvoll oder sogar geboten ist, auch krankenversicherungsrechtlich zulässig sein kann. In diesem Sinne ist das Urteil des 8. Senats vom 30.9.1999 richtigerweise zu verstehen. Weitergehende Schlussfolgerungen aus diesem Urteil im Sinne eines uneingeschränkt erlaubten indikationsfremden Einsatzes von Fertigarzneimitteln liegen eher fern, zumal ein beliebiger, allein nach Gutdünken jedes einzelnen Arztes erfolgender, Einsatz eines Medikaments außerhalb der Zulassung nicht ernsthaft für sachgerecht gehalten werden kann .

41

e. Im Übrigen sind schon kurz nach Veröffentlichung des Urteils des 1. Senats vom 5.7.1995 zur Drogensubstitution in der Rechtsprechung des BSG Zweifel an der allgemeinen Aussagekraft dieses Urteils über den entschiedenen Fall hinaus artikuliert worden. Schon drei Monate nach dem Urteil des 1. Senats hat der allein für das Vertragsarztrecht zuständige erkennende Senat Bedenken gegen die Zulässigkeit des Einsatzes von Remedacen zur Drogensubstitution geäußert und auf die Problematik der Beachtung der Richtlinien des (früheren) Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen im Zusammenhang mit sog Außenseitermethoden hingewiesen (Urteil vom 18.10.1995, SozR 3-5550 § 17 Nr 2 S 5). In der Sache sind sodann die Grundsätze des Urteils vom 5.7.1995 durch die neuere Rechtsprechung des 6. und des 1. Senats zur Rechtsqualität der Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen, zur Methodenanerkennung nach § 135 Abs 1 SGB V und zum Zusammenhang zwischen dieser Anerkennung und den Prinzipien der Arzneimitteltherapie deutlich modifiziert worden(Urteil des 6. Senats vom 20.3.1996, BSGE 78, 70 = SozR 3-2500 § 92 Nr 6 "Methadon"; Urteile des 1. Senats vom 16.9.1997, BSGE 81, 54 = SozR 3-2500 § 135 Nr 4, BSGE 81, 73 = SozR 3-2500 § 92 Nr 7). Spätestens nach Bekanntwerden dieser Urteile war deutlich, dass die ältere Rechtsprechung des BSG zu den (untergesetzlichen) Vorgaben des Leistungs- und Leistungserbringungsrechts in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht mehr uneingeschränkt fortgeführt werden würde. Kein Vertragsarzt musste die aufgezeigten Wendungen der Rechtsprechung kennen oder nachvollziehen. Wer aber - wie der Kläger - geltend macht, Verordnungen aus dem Jahre 1999 im Vertrauen auf eine zu einer Sonderkonstellation ergangene und vereinzelt gebliebene Rechtsprechung des BSG aus dem Jahre 1995 getätigt zu haben, muss sich entgegenhalten lassen, dass sich die Rechtsprechung weiterentwickelt hat. Jedenfalls im Jahr 1999 hat es für einen Vertragsarzt erkennbar keine hinreichende Sicherheit mehr gegeben, nach eigener Einschätzung Off-Label-Use-Verordnungen ausstellen zu dürfen, ohne Gefahr zu laufen, insoweit in Regress genommen zu werden.

42

f. Zudem sind sowohl das Urteil des 1. Senats vom 5.7.1995, auf das sich der Kläger beruft, wie auch die folgenden Entscheidungen des 1. und des 8. Senats des BSG zu den Rechtsansprüchen von Versicherten gegen ihre Krankenkasse ergangen. Aus diesen Urteilen ergibt sich nicht unmittelbar, wie sich ein Vertragsarzt zu Arzneimittelverordnungen verhalten sollte, die erkennbar außerhalb der Zulassungsindikation des jeweiligen Arzneimittels erfolgten, von denen er aber annahm, sie könnten vom Patienten beansprucht werden. Dazu ist dem Urteil des erkennenden Senats vom 18.10.1995 (6 RKa 3/93) zur Drogensubstitution zu entnehmen, dass in solchen Fällen jedenfalls eine exakte Dokumentation und eine engmaschige Verlaufskontrolle der Behandlung geboten waren (SozR 3-5550 § 17 Nr 2 S 8; vgl auch BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 37/08 R - RdNr 39, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Damit ist es zB nicht vereinbar, auf laborchemische Untersuchungen zum Nachweis eines - vermeintlichen oder tatsächlich bestehenden - "Antikörpermangelsyndroms" zu verzichten, wenn die umstrittene Off-Label-Verordnung von Immunglobulinen gerade auf diese Diagnose reagiert.

43

Ein Vertragsarzt, der Medikamente außerhalb ihrer zugelassenen Indikationen verordnet, kann weder sich noch der Krankenkasse Gewissheit darüber verschaffen, dass die Verordnung den Vorgaben des Wirtschaftlichkeitsgebotes genügt, also notwendig, zweckmäßig und wirtschaftlich ist. Bei Off-Label-Verordnungen hat nämlich gerade keine Prüfung von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des jeweiligen Arzneimittels stattgefunden, die seinen Einsatz (auch) im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung rechtfertigt. Eine solche Prüfung ist im AMG nur indikationsbezogen vorgeschrieben und durchführbar; die von der Zulassung nach dem AMG ausgehende Schutzwirkung und Qualitäts- wie Wirksamkeitserwartung greift bei einem Einsatz des Medikaments außerhalb der Zulassung gerade nicht ein (vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 RdNr 19; s auch BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 37/08 - RdNr 27 ff, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Soweit danach ein Vertragsarzt Verordnungen ohne gesicherten Nachweis von Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels ausstellt, muss zwingend nachträglich geprüft werden dürfen, ob die jeweilige Verordnung den Regeln des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung entspricht. Wenn der Vertragsarzt davon absieht, in Fällen eines Off-Label-Use die Krankenkasse vor Ausstellung der Verordnung einzuschalten, wie es der Senat in einem Beschluss vom 31.5.2006 dargestellt hat (B 6 KA 53/05 B, MedR 2007, 557, 560), muss er hinnehmen, dass die Einhaltung der Vorgaben der vertragsärztlichen Versorgung im Nachhinein geprüft wird.

44

Der Beklagte hält dem Kläger - anders als dieser nahe legen will - keine schuldhafte Verletzung vertragsärztlicher Pflichten vor, die nunmehr sanktioniert wird. Der Beklagte hat lediglich die Position der zu 2. beigeladenen Krankenkasse bestätigt, dass sie objektiv zu Unrecht erhebliche Kosten für die Versorgung ihrer Versicherten H. mit einem Immunglobulin aufgewandt hat. Weil der Kläger der Beigeladenen zu 2. keine Gelegenheit gegeben hat, ihre Auffassung zur Rechtmäßigkeit des Einsatzes von Immunglobulinen bei der Versicherten H. vor Einlösung der Verordnungen darzulegen, muss es der Krankenkasse möglich sein, ihren Standpunkt nachträglich durchzusetzen, soweit er rechtlicher Prüfung standhält. Dazu sieht die Prüfvereinbarung im Einklang mit Bundesrecht das Verfahren der Regressfestsetzung vor. Soweit der Kläger geltend macht, nach dem im Jahr 1999 geltenden Recht habe er zu Gunsten der H. kein Privatrezept ausstellen dürfen, weil das gegen § 29 Abs 1 Satz 2 BMV-Ä verstoßen hätte, folgt der Senat dem nicht. Der Beschluss des Senats vom 31.5.2006 (MedR 2007, 557), der diesen Weg aufgezeigt hat, ist zu Off-Label-Use-Verordnungen aus dem Jahr 1997 ergangen. Auch 1997 und 1999 galt das Verbot, sich als Vertragsarzt vertragsärztliche Verordnungen einzeln genehmigen zu lassen; dieses Verbot hat sich - wie der Senat dargelegt hat - immer nur auf Verordnungen im Rahmen der Leistungspflicht der Krankenkassen bezogen. Wie die Rechtslage zu beurteilen wäre, wenn der Kläger im Sommer 1999 vergeblich bei der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2. angefragt und explizit um eine Entscheidung über das aus Sicht dieser Krankenkasse richtige Vorgehen gebeten hätte, kann offen bleiben. Der Kläger macht selbst nicht geltend, diesen Weg beschritten zu haben.

45

g. Der vom Beklagten aufrecht erhaltene Regress gegen den Kläger ist schließlich nicht deshalb rechtswidrig, weil der Versicherten H. bei Ausstellung der umstrittenen Verordnungen nach den Grundsätzen des Beschlusses des BVerfG vom 6.12.2005 (BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5) gegen die Rechtsvorgängerin der zu 2. beigeladenen Krankenkasse ein Anspruch auf Versorgung mit Polyglobin 5 % zugestanden hätte. Nach den Feststellungen des LSG liegen die tatsächlichen Voraussetzungen eines solchen, auf §§ 27 und 31 SGB V iVm Art 2 Abs 1 GG und dem Sozialstaatsprinzip bzw Art 2 Abs 2 Satz 1 GG und der hieraus abzuleitenden Schutzpflicht gegründeten Anspruchs nicht vor. Diese Feststellungen des LSG sind für den Senat nach § 163 SGG bindend, weil der Kläger dazu keine zulässigen Revisionsrügen angebracht hat.

46

Richtig ist allerdings der Ausgangspunkt der Revision: Wenn feststünde, dass H. nach den tatsächlichen Verhältnissen des Jahres 1999 einen Anspruch auf Versorgung mit Polyglobin als Sachleistung der Krankenkasse gehabt hätte, dürfte wegen der für diese Versorgung angefallenen Kosten kein Regress gegen den Kläger festgesetzt werden. Diese Konsequenz aus der Entscheidung des BVerfG hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 5.11.2008 zu Wobe Mugos (SozR 4-2500 § 106 Nr 21; ebenso BSG MedR 2010, 276) inzident angesprochen und hält daran fest. Der verschuldensunabhängige Schadensersatzanspruch der Krankenkasse gegen einen Vertragsarzt wegen unzulässiger Arzneimittelverordnungen beruht im Kern darauf, dass die Krankenkasse einen Ausgleich für die Bezahlung von Medikamenten erhält, die sie bei korrekten Verhalten des Arztes nicht hätte finanzieren müssen. Wenn sich nachträglich herausstellt, dass der Versicherte, zu dessen Gunsten der Vertragsarzt die umstrittenen Verordnungen ausgestellt hat, auf die Versorgung mit dem verordneten Arzneimittel einen Anspruch gegen seine Krankenkasse hatte, ist dieser durch die Bezahlung dieses Arzneimittels dem Grunde nach jedenfalls kein Schaden entstanden, den der Vertragsarzt nunmehr ersetzen müsste. Lässt sich allerdings nicht mit hinreichender Gewissheit feststellen, dass die Voraussetzungen für einen ausnahmsweise gerechtfertigten Off-Label-Use vorgelegen haben, geht das zu Lasten des Arztes. Er rückt, obwohl er sich nach der Ausrichtung des Verfahrens gegen einen Regress wendet, hinsichtlich der Verteilung von Darlegungs- und Beweislast in die Stellung ein, die der Versicherte gehabt hätte, wenn er seinen Standpunkt zur der Verordnungsfähigkeit eines Arzneimittels gegen die Krankenkasse nach § 13 Abs 3 SGB V im Wege der Geltendmachung eines Kostenerstattungsanspruchs durchsetzen müsste. Wer geltend machen will, der Versorgungsanspruch umfasse in einer bestimmten Konstellation auch die Versorgung mit zugelassenen Arzneimitteln außerhalb der Zulassungsindikationen, dringt damit nicht durch, wenn sich unter Ausschöpfung aller Möglichkeiten zur Sachaufklärung nicht feststellen lässt, dass die dafür insbesondere in der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG und inzwischen auch vom Gemeinsamen Bundesausschuss (§ 30 der Arzneimittel-Richtlinie iVm Anlage VI) formulierten Voraussetzungen vorgelegen haben. Das ist auch hier der Fall und geht zu Lasten des Klägers.

47

h. Das LSG ist in Übereinstimmung mit der Revision zutreffend davon ausgegangen, dass die Versicherte H. an einer lebensbedrohlichen Erkrankung (metastasierendes Karzinom der Eileiter) gelitten hat. Zu dessen kausaler Behandlung hätte bei Fehlen einer allgemein anerkannten, medizinischem Standard entsprechenden Behandlungsmethode nach der Rechtsprechung des BVerfG ein Arzneimittel auch außerhalb seiner Zulassungsindikation eingesetzt werden dürfen, wenn nach der vorhandenen Studienlage auf diese Weise die nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf positive Behandlungserfolge bestanden hätten (BVerfGE 115, 25, 49 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 RdNr 33). Das nimmt der Kläger selbst für die Verordnung von Polyglobin nicht an. Er geht vielmehr davon aus, dass die Versicherte H. an einem Antikörpermangel litt, der unbehandelt eine Fortführung der überlebensnotwendigen Chemotherapie ausgeschlossen hätte oder hat. Wenn die Rechtsprechung des BVerfG auf diese Konstellation Anwendung finden sollte, was der Senat entgegen der Auffassung des LSG nicht von vornherein für ausgeschlossen hält, müssen jedenfalls die Anforderungen an einen zulässigen Off-Label-Use entsprechend erfüllt sein. Es muss deshalb feststehen, dass der Patient neben der lebensbedrohlichen Erkrankung an einer weiteren Gesundheitsstörung leidet, die die Anwendung aller zur Behandlung des Hauptleidens in Betracht kommenden Behandlungsmöglichkeiten ausschließt. Weiterhin muss der Off-Label-Einsatz des anzuwendenden Arzneimittels mit gewisser Wahrscheinlichkeit die zweite Erkrankung so beeinflussen, dass eine Erfolg versprechende Behandlung des Hauptleidens wieder oder erstmals möglich wird. Schließlich darf es für die zweite Erkrankung keine anerkannten Behandlungsmöglichkeiten - zB mit entsprechend zugelassenen Arzneimitteln - geben. Diese Voraussetzungen sind hier jedenfalls nicht - wie es notwendig wäre, um der Klage zum Erfolg zu verhelfen - kumulativ erfüllt.

48

i. Erhebliche Zweifel bestehen bereits daran, ob das vom Kläger so bezeichnete "sekundäre Antikörpermangelsyndrom" eine eigenständige und hinreichende spezifische Erkrankung ist, die abgegrenzt vom Karzinomleiden behandelt werden kann und muss. Der Kläger hat dazu in den Tatsacheninstanzen nicht Präzises vorgetragen. Zudem steht nicht fest, dass die Patientin H. an einem Antikörpermangelsyndrom litt, das schulmedizinisch nicht behandelbar war. Die zur Abstützung dieser Diagnose und des Ausmaßes der Erkrankung möglichen laborchemischen Untersuchungen hat der Kläger nach den Feststellungen des LSG nicht durchgeführt oder veranlasst. Dazu mag er - wie die Revision geltend macht - berufsrechtlich nicht verpflichtet gewesen sein. Er hat damit aber im Hinblick auf den Off-Label-Use zur Unaufklärbarkeit des genauen Gesundheitszustandes der Versicherten H. in der zweiten Hälfte des Jahres 1999 beigetragen. Das geht zu seinen Lasten.

49

j. Außerdem fehlt es an ausreichenden Feststellungen bzw Belegen für das vom Kläger geltend gemachte Dilemma, die lebensbedrohliche Ersterkrankung nur durch die Behandlung der Zweiterkrankung mit Polyglobin 5 % therapieren zu können. Der Kläger setzt schon die Anforderungen an den Nachweis einer eigenständigen Zweiterkrankung zu niedrig an. Die Versicherte H. litt nach den Ausführungen des Klägers an einer "Verminderung der Immunitätslage" als Folge sowohl des Karzinomleidens als auch der aggressiven Chemotherapien. Darauf habe sie mit wiederholten schweren bakteriellen und viralen Infektionen reagiert, die er - der Kläger - als "Zeichen eines sekundären Antikörpermangels" gedeutet habe. Für keine dieser "wiederholten" Infektionen hat der Kläger im Verwaltungsverfahren oder in den Vorinstanzen jedoch konkret und eingehend belegt, dass diesen durch anerkannte Behandlungsverfahren nicht hätten effektiv entgegengewirkt werden können. Spezifische Darlegungen dazu, die dann dem LSG ggf Anlass zu weiterer Sachaufklärung hätten geben können, waren vor allem deshalb unerlässlich, weil der Kläger selbst einen Zusammenhang zwischen dem Krebsleiden und der Chemotherapie mit der geschwächten Immunitätslage der H. herstellt. Da nicht alle Patienten, deren Abwehrsystem durch Krebs und Chemotherapie geschwächt sind, mit Immunglobulin behandelt werden bzw nach dem gebotenen Behandlungsstandard behandelt werden müssen oder im Jahr 1999 so behandelt wurden oder behandelt werden mussten, hätte der Kläger fallbezogen und detailliert darlegen müssen, inwieweit sich die gesundheitliche Lage der H. von derjenigen anderer chemotherapeutisch behandelter Krebspatienten unterschied, und auf der Basis welcher exakten Befunde er die Anwendung von Polyglobin 5 % für unerlässlich hielt. Das ist nicht geschehen und spricht dafür, dass sich der Kläger von der Gabe eines Immunglobulins ganz generell eine Stärkung der Abwehrlage der H. und damit mutmaßlich eine bessere Resistenz gegen Infektionen versprach. Das reicht für einen Off-Label-Use, dessen Zulässigkeit jedenfalls in Fällen der hier vorliegenden Art von dem Gesundheitszustand des konkreten Patienten abhängt, nicht aus.

50

k. Schließlich ist die positive Wirkung, die der Kläger dem Einsatz von Immunglobulin bei fortgeschrittener Krebserkrankung zuschreibt, nach den Feststellungen des LSG auch nicht hinreichend belegt.

51

Das LSG hat im Einzelnen dargestellt, dass die bis 1999 zum Einsatz von Immunglobulinen vorhandenen Studien und publizierten Forschungsergebnisse nicht darauf hindeuten, dass die Gesundheitsstörungen der Versicherten H. durch den Einsatz von Polyglobin erfolgreich behandelt werden konnten. Das LSG ist zutreffend von den in der Rechtsprechung des 1. Senats des BSG ermittelten Grundsätzen zum Anspruch der Versicherten auf Versorgung mit (in Deutschland oder der EU) nicht zugelassenen Arzneimitteln (dazu BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4) oder mit Arzneimitteln außerhalb zugelassener Indikationen (BSGE 89, 184 = SozR 3-2500 § 31 Nr 8) ausgegangen. Es hat näher ausgeführt, dass keine wissenschaftliche Arbeit vorliege oder vom Kläger benannt sei, in der der zulassungsüberschreitende Einsatz von Immunglobulinen zur Behandlung einer auf der Intoleranz von Chemotherapeutika beruhenden Erkrankung als medizinisch geboten bewertet wird. Einen Konsens der einschlägigen Fachkreise, dass Polyglobin ein sekundäres Antikörpersyndrom positiv beeinflussen könne, hat das LSG gerade nicht feststellen können. Soweit die Revision die vorhandenen medizinischen Unterlagen lediglich anders würdigt, vermag sie damit die Feststellungen iS des § 163 SGG nicht zu entkräften.

52

Soweit der Kläger die Sachaufklärung des LSG zu den Erfolgsaussichten der Behandlung mit Immunglobulinen für unzureichend hält, berücksichtigt er nicht hinreichend, dass sich der 1. Senat des BSG bereits mehrfach mit dem Anspruch der Versicherten auf Versorgung mit Immunglobulinen befasst hat. In den Urteilen vom 19.3.2002 (BSGE 89, 184 = SozR 3-2500 § 31 Nr 8), vom 27.3.2007 (B 1 KR 17/06 R) und vom 28.2.2008 (SozR 4-2500 § 13 Nr 16), die sämtlich die Versorgung mit Immunglobulinpräparaten - jeweils bezogen auf die Indikation Multiple Sklerose - zum Gegenstand hatten, wird der Stand der medizinischen Forschung zu dieser Wirkstoffgruppe für die streitbefangenen Jahre 1997 bis 2003 eingehend aufgearbeitet. Zwar können die Forschungsergebnisse zur Möglichkeit, durch die Gabe von Immunglobulinen die Multiple Sklerose günstig zu beeinflussen, nicht ohne Weiteres auf die hier zu beurteilende Situation der unterstützenden Behandlung bei Krebserkrankungen übertragen werden, doch sind die Wirkungen und die in Frage kommenden Indikationen für Immunglobulin bezogen auf den hier relevanten Zeitraum gut erforscht und die Forschungsergebnisse - soweit krankenversicherungsrechtlich von Bedeutung - in der Rechtsprechung des BSG umfassend rezipiert worden. Zudem sind die Urteile des 1. Senats des BSG vom 27.3.2007 und vom 28.2.2008 Gegenstand der verfassungsgerichtlichen Prüfung gewesen. Mit Kammerbeschlüssen vom 30.6.2008 (1 BvR 1665/07 zum BSG-Urteil B 1 KR 17/06 R) und vom 8.7.2009 (1 BvR 1531/09 zum BSG-Urteil B 1 KR 15/07 R) sind die Verfassungsbeschwerden der unterlegenen Kläger jeweils nicht zur Entscheidung angenommen worden. Beide Kammerbeschlüsse sind auf der Basis der grundlegenden Entscheidung des BVerfG vom 6.12.2005 ergangen und billigen insbesondere, dass die Rechtsprechung des BSG strenge Anforderungen an den Nachweis stellt, dass mit dem zulassungsüberschreitenden Einsatz des jeweils betroffenen Arzneimittels hinreichende Erfolgsaussichten verbunden sein müssen (BVerfG vom 30.6.2008 - 1 BvR 1665/07 - NJW 2008, 3556 f RdNr 9 bis 11). Es reicht danach als Grundlage für einen Off-Label-Use von Arzneimitteln in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht aus, dass positive Folgen einer solchen Behandlung nach dem Wirkungsmechanismus von Immunglobulinen nicht schlechthin ausgeschlossen werden können, dass Patienten in Einzelfällen nach Verabreichung der umstrittenen Medikamente eine Verbesserung ihres Befindens beschreiben und dass einzelne Ärzte oder Wissenschaftler mit plausiblen Gründen einen von der verbreiteten Auffassung abweichenden Standpunkt zu den Erfolgsaussichten einer Behandlung vertreten. Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe und im Hinblick auf die schon vorliegende Rechtsprechung des 1. Senats des BSG ist die Sachverhaltsermittlung des Berufungsgerichts ausreichend.

53

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs 1 iVm § 155 Abs 1 VwGO und berücksichtigt das teilweise Obsiegen und Unterliegen der Beteiligten. Die außergerichtlichen Kosten der zu 1. beigeladenen KÄV sind nach § 162 Abs 3 VwGO nicht erstattungsfähig, weil diese keine Anträge gestellt hat(vgl BSGE 96, 257 = SozR 4-1300 § 63 Nr 3, RdNr 16).

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozial-gerichts vom 6. Oktober 2009 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt auch die Kosten des Revisionsverfahrens, mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Tatbestand

1

Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Regressbescheides wegen der Verordnung von zwei Arzneimitteln für Krebskranke.

2

Der Kläger ist Facharzt für Innere Medizin (Arzt für Onkologie und für Pneumologie ), Chefarzt des onkologischen Schwerpunktes eines Krankenhauses mit einem Zentrum für Pneumologie und Thoraxchirurgie und zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung ermächtigt. Er verordnete in den Quartalen II/2001, IV/2002 und I bis III/2003 bei Patienten, die bei der zu 1. beigeladenen Krankenkasse (KK) versichert waren, die Arzneimittel Megestat und Dronabinol. Auf Antrag der Beigeladenen zu 1. setzte der Prüfungsausschuss gegen den Kläger einen Regress von ca 1960 Euro fest; die beklagte Prüfungseinrichtung wies den Widerspruch des Klägers zurück (Bescheide vom 23.9.2004 und vom 5.1.2006) : Megestat sei nach dem Arzneimittelgesetz (AMG) nur zur palliativen Behandlung fortgeschrittener Karzinome der Brust und der Gebärmutter zugelassen; die vom Kläger behandelten Patienten seien dagegen an Bronchialkrebs oder Karzinomen der Thoraxorgane erkrankt gewesen. Das Arzneimittel Dronabinol sei in Deutschland überhaupt nicht zugelassen.

3

Klage und Berufung des Klägers sind erfolglos geblieben (Urteil des SG vom 30.4.2008; Urteil des LSG vom 6.10.2009, Parallelurteil veröffentlicht in NZS 2010, 394, und in einer Kurzfassung in MedR 2010, 256). Im Urteil des LSG ist unter anderem ausgeführt, der Kläger habe die Arzneimittel Megestat und Dronabinol nicht zu Lasten der gesetzlichen KK verordnen dürfen. Megestat sei nur zur palliativen Behandlung fortgeschrittener Karzinome der Brust und der Gebärmutter zugelassen. Die vom Kläger vorgenommenen Verordnungen bei anderen Tumorerkrankungen zur Behebung der Kachexie (Appetitlosigkeit mit der Folge körperlicher Auszehrung) stellten keinen zulässigen Off-Label-Use dar. Ausreichende wissenschaftlich nachprüfbare Studien, die die Eignung und Unbedenklichkeit der Arzneimittel auch im Falle anderer Krebsarten, insbesondere bei Bronchialkrebs, belegen könnten, ergäben sich aus den vorliegenden und den vom Kläger angeführten Stellungnahmen nicht. Es fehle auch an der erforderlichen Gewichtung und Abwägung der Risiken thromboembolischer und vaskulärer Komplikationen. Das vom Kläger verordnete Dronabinol sei in Deutschland überhaupt nicht zugelassen, es sei hier nur als Rezepturarzneimittel verkehrsfähig. So unterliege es nicht dem Zulassungsverfahren nach dem AMG; aber die damit durchgeführte pharmakologische Therapie erfordere eine empfehlende Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) gemäß § 135 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V oder, da eine solche nicht vorliege, sonstiger ausreichender Belege ihrer Eignung und Unbedenklichkeit. Solche Belege lägen aber für die bei den Patienten des Klägers in Rede stehenden Krebserkrankungen nicht vor; auch hier fehle es an der erforderlichen Gewichtung und Abwägung der genannten Risiken. Die Zulässigkeit der Verordnungen von Megestat und/oder Dronabinol ergebe sich auch nicht unter Berücksichtigung der abgeschwächten Anforderungen des BVerfG-Beschlusses vom 6.12.2005. Denn die vom Kläger vorgenommenen Verordnungen dieser Arzneimittel seien nicht darauf angelegt, auf die lebensbedrohliche (Krebs-)Erkrankung selbst einzuwirken, sondern hätten sich allein gegen die im Endstadium dieser Erkrankung auftretende Kachexie gerichtet. Der Gesichtspunkt, dass dies die Lebensqualität des Erkrankten in seiner Endphase insgesamt deutlich verbessert habe, reiche nicht aus.

4

Mit seiner Revision erhebt der Kläger sowohl inhaltliche als auch verfahrensbezogene Rügen. Das LSG habe verkannt, dass ausreichende Belege für die Eignung und Unbedenklichkeit der von ihm - dem Kläger- vorgenommenen Behandlungen vorgelegen hätten. Als Beleg dürften außerhalb des AMG-Zulassungsverfahrens keine sog Phase III-Studien gefordert werden, vielmehr reiche der Konsens in einschlägigen Fachkreisen über den voraussichtlichen Nutzen aus. Dieser Konsens werde durch die im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren vorgelegten Veröffentlichungen und Stellungnahmen, insbesondere auch die zusammenfassenden Metaanalysen, belegt. Das LSG habe die vorgelegten umfangreichen Studien nicht angemessen ausgewertet. Wenn das LSG diese nicht als ausreichend angesehen habe, hätte es ein Sachverständigengutachten einholen müssen; hierzu hätte es sich angesichts der Mängel des Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) gedrängt fühlen müssen. Bei verfahrensfehlerfreiem Vorgehen des LSG hätte sich ergeben, dass schon im Zeitpunkt der von ihm - dem Kläger - durchgeführten Behandlungen ausreichende Belege für die Eignung und Unbedenklichkeit vorgelegen hätten und ein Konsens in Fachkreisen bestanden habe. Die Rechtswidrigkeit des Regresses ergebe sich ferner daraus, dass ein Anspruch der Versicherten auf die durchgeführten Behandlungen aufgrund der Entscheidung des BVerfG vom 6.12.2005 (BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5) bestanden habe. Außer einer - auch vom LSG anerkannten - lebensbedrohlichen Erkrankung und dem Fehlen einer Therapiealternative habe auch eine Aussicht auf spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bestanden. Zwar seien die Behandlungen mit Megestat und Dronabinol nicht auf die Heilung des Tumors als solchen angelegt gewesen, aber sie seien gegen die mit diesem Grundleiden einhergehende - nicht eigenständige - (Begleit-)Erkrankung der (Tumor-)Kachexie gerichtet gewesen und durch die Bekämpfung der damit einhergehenden weiteren Krankheitsauswirkungen wie starke Abmagerung, allgemeiner Kräfteverfall, Appetitlosigkeit und Apathie geeignet gewesen, eine Gewichtszunahme, eine Stärkung des Organismus und eine Förderung des psychischen Wohlbefindens und des Lebenswillens zu bewirken und damit zu einer Verlängerung der lebenswerten Lebenszeit und auch zu einer - manchmal sogar signifikanten - Verlängerung des Lebens insgesamt zu führen. Die Annahme des LSG, er - der Kläger - habe die Verlängerung der Lebensdauer nicht als Behandlungsziel angegeben, sei unrichtig; wenn das LSG sein Vorbringen derart eingeschränkt gesehen habe, hätte es ihn zumindest darauf hinweisen müssen. Die Auffassung, die Anwendungen von Megestat und Dronabinol seien ausschließlich auf die Verbesserung der Lebensqualität und nicht auf die Verlängerung der Lebensdauer gerichtet gewesen, verletze die Grenzen der freien Beweiswürdigung; sie sei auch weder als Erfahrungssatz noch medizinisch begründbar. Aber selbst wenn man die Lebensverlängerung außer Betracht lasse, sei nach den Vorgaben des BVerfG eine Leistungspflicht anzuerkennen. Der Entscheidung vom 6.12.2005 sei nicht zu entnehmen, dass sich die spürbare positive Auswirkung auf die lebensbedrohliche Krankheit selbst beziehen müsse. Der vorliegende Fall der Linderung von Krankheitsbeschwerden einer lebensbedrohlichen Erkrankung werde von den Grundsätzen des Beschlusses des BVerfG mitumfasst. Nicht tragfähig sei schließlich das Argument des LSG, durch Akzeptieren der Behandlung mit Megestat und/oder Dronabinol würde das Erfordernis der Arzneimittelzulassung und das Arzneimittelzulassungsverfahren entwertet. Bei schwerwiegenden Krebserkrankungen falle nach dem Grundsatz "je schwerwiegender die Erkrankung und hoffnungsloser die Situation, desto geringere Anforderungen", die Nutzen-Risiko-Analyse eindeutig positiv aus. Dabei sei eine den Regeln der ärztlichen Kunst entsprechende Behandlung durch den Kläger als langjährigem Chefarzt des onkologischen Schwerpunktes an dem einer Universität angeschlossenen Lehrkrankenhaus evident gewährleistet.

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Der Kläger beantragt,
das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 6. Oktober 2009, das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 30. April 2008 sowie den Bescheid der Beklagten vom 5. Januar 2006 aufzuheben,
hilfsweise,
das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 6. Oktober 2009 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen.

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Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

7

Sie verteidigt das Urteil des LSG. Das LSG habe zu Recht verneint, dass die Eignung und Unbedenklichkeit der vom Kläger durchgeführten Behandlungen mit Megestat und/oder Dronabinol hinreichend belegt seien. Die Studien belegten auch keinen Konsens über eine Verbesserung der Lebensqualität durch solche Behandlungen, zumal nicht für den Zeitpunkt der durchgeführten Behandlung. Jedenfalls sei deren Einsatz nicht darauf ausgerichtet gewesen, auf die lebensbedrohliche Tumorerkrankung selbst einzuwirken. Zudem würden unkalkulierbare Risiken in Kauf genommen, sodass ein Heilversuch vorliege, der gesonderten Regelungen und Voraussetzungen unterliege. Es reiche nicht aus, dass der Kläger für seine Patienten angebe, diese hätten von der Arzneigabe kurzfristig profitiert. Auch hätte er die Entwicklung bei seinen Patienten umfassend dokumentieren müssen.

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Die Beigeladenen geben im Revisionsverfahren keine Stellungnahme ab.

Entscheidungsgründe

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Die Revision des Klägers ist sowohl mit dem Haupt- als auch mit dem Hilfsantrag unbegründet. Das angefochtene Urteil des LSG lässt keine Verletzung von Bundesrecht erkennen. Der angefochtene Arzneikostenregress ist nicht zu beanstanden.

10

A. Rechtsgrundlage des angefochtenen Arzneikostenregresses ist § 106 Abs 2 SGB V(hier zugrunde zu legen idF des GKV-Gesundheitsreformgesetzes 2000 vom 22.12.1999, BGBl I 2626, die auch in den weiteren Jahren 2001 bis 2003 galt; zur Maßgeblichkeit des § 106 Abs 2 SGB V für Verordnungsregresse in Fallkonstellationen der vorliegenden Art vgl zuletzt BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 17; BSG vom 5.5.2010 - B 6 KA 5/09 R - RdNr 14 iVm 21 ff mwN - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen; BSG vom 18.8.2010 - B 6 KA 14/09 R - RdNr 16 iVm 25 f mwN - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen) . Danach wird die Wirtschaftlichkeit der Versorgung unter anderem durch arztbezogene Prüfungen ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen, entweder nach Durchschnittswerten oder anhand von Richtgrößenvolumina (§ 106 Abs 2 Satz 1 Nr 1) und/oder auf der Grundlage von Stichproben (aaO Satz 1 Nr 2) , geprüft. Über diese Prüfungsarten hinaus können die Landesverbände der KKn mit den Kassenärztlichen Vereinigungen (KÄVen) gemäß § 106 Abs 2 Satz 4 SGB V andere arztbezogene Prüfungsarten vereinbaren(vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 17 RdNr 12 f mwN; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 RdNr 14; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 17; BSG vom 18.8.2010 - B 6 KA 14/09 R - RdNr 16) . Diese Prüfvereinbarungen ermächtigen regelmäßig auch zu Einzelfallprüfungen. Einzelfallprüfungen sind insbesondere dann sachgerecht - und die Wahl dieser Prüfmethode rechtmäßig -, wenn das individuelle Vorgehen eines Arztes in bestimmten einzelnen Behandlungsfällen hinsichtlich des Behandlungs- oder Verordnungsumfangs am Maßstab des Wirtschaftlichkeitsgebots überprüft werden soll (s BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 RdNr 14; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 17; BSG vom 5.5.2010 aaO RdNr 14) .

11

Wie sich aus den Urteilen des Senats vom 5.5.2010 und vom 18.8.2010 ergibt, handelt es sich bei den vorliegenden Streitigkeiten über die vertragsarztrechtliche Zulässigkeit von Arzneiverordnungen um einen Fall des § 106 SGB V und nicht um einen Regress "wegen sonstigen Schadens" im Sinne des § 48 Bundesmantelvertrag-Ärzte(BSG vom 5.5.2010 - B 6 KA 5/09 R - RdNr 20 bis 26, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen, und BSG vom 18.8.2010 - B 6 KA 14/09 R - RdNr 25 f, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen) . Denn vorliegend steht ein Fehler der Verordnung selbst in Frage, wie dies bei Verstößen gegen die Arzneimittel-Richtlinie bzw bei Verordnungen nicht verordnungsfähiger Arzneimittel und auch bei Verordnungen außerhalb der nach dem AMG erteilten Zulassung der Fall ist (vgl BSG vom 18.8.2010 aaO RdNr 25 am Ende) .

12

B. Der Regressbescheid war rechtmäßig. Die Voraussetzungen für einen Regress im Wege der Einzelfallprüfung gemäß § 106 SGB V waren erfüllt. Der Kläger durfte die Arzneimittel Megestat und Dronabinol nicht zur Behandlung der Kachexie (Appetitlosigkeit mit der Folge körperlicher Auszehrung) bei Bronchialkarzinomen und Tumoren der Thoraxorgane verordnen.

13

Dies folgt für Megestat daraus, dass dessen Zulassung nach dem AMG nur für die Anwendung bei der Kachexie im Falle von Brust- und Gebärmutterkrebs erfolgt war, sodass die Verordnung von Megestat bei anderen Krebsarten einen Off-Label-Use darstellte. Dessen Voraussetzungen waren nicht erfüllt, insbesondere waren die Eignung und Unbedenklichkeit des Einsatzes dieses Arzneimittels nicht ausreichend belegt (unten 1.). Für Dronabinol ergibt sich die Unzulässigkeit der Verordnungen des Klägers daraus, dass es in Deutschland nicht zugelassen, hier vielmehr nur als Rezepturarzneimittel verkehrsfähig war, ohne dass aber der G-BA für eine pharmakologische Therapie unter Einsatz dieses Medikaments eine empfehlende Richtlinie gemäß § 135 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V erlassen hat. Es lagen auch keine sonstigen ausreichenden Belege seiner Eignung und Unbedenklichkeit vor (unten 2.). Schließlich können die Verordnungen von Megestat und Dronabil auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Behandlung einer lebensbedrohlichen Erkrankung und den dafür vom BVerfG herausgestellten abgeschwächten Anforderungen gerechtfertigt werden (unten 3.).

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1. Die Verordnungsfähigkeit eines Fertigarzneimittels wie Megestat ist in erster Linie danach zu beurteilen, mit welchen Maßgaben es im Arzneimittelzulassungsverfahren nach dem AMG zugelassen wurde. In diesem Verfahren werden Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit anhand vom Arzneimittelhersteller vorzulegender Studien überprüft (vgl §§ 21, 22, 24, 25 Abs 5 Satz 1 AMG) . Die Zulassung des Arzneimittels erfolgt nicht unbegrenzt, sondern nur nach Maßgabe der anhand der Studien ausgewiesenen und überprüften Anwendungsgebiete (vgl § 22 Abs 1 Nr 6 AMG und dazu BSGE 89, 184, 186 f = SozR 3-2500 § 31 Nr 8 S 30 f). So erfolgte die Zulassung von Megestat, wie im Urteil des LSG festgestellt worden ist, für die palliative Behandlung bei Brust- und Gebärmutterkrebs und hier für den Einsatz gegen die bei solchen Krebsbehandlungen auftretende Kachexie.

15

Der Kläger setzte Megestat indessen nicht in diesem Anwendungsgebiet ein. Zwar waren die Verordnungen des Klägers auch gegen die bei Krebsbehandlungen auftretende Kachexie gerichtet, aber nicht im Zusammenhang mit Brust- und Gebärmutterkrebs von Frauen. Er verordnete Megestat vielmehr gegen die Kachexie insbesondere bei fortgeschrittenen Bronchialkarzinomen und Tumoren der Thoraxorgane. Mithin lag ein Off-Label-Use vor.

16

Ein Off-Label-Use ist nur unter engen Voraussetzungen zulässig. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass nicht das Verfahren nach dem AMG durchlaufen wurde, das mit der Überprüfung der Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit auf die Gewährleistung von Arzneimittelsicherheit angelegt ist. Wie vom 1. Senat des BSG in langjähriger Rechtsprechung wiederholt herausgestellt und vom 6. Senat weitergeführt worden ist, müssen für einen zulässigen Off-Label-Use - zum einen - eine schwerwiegende Erkrankung vorliegen (dh eine die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung), und es darf - zum anderen - keine andere - zugelassene - Therapie verfügbar sein, und - zum dritten - aufgrund der Datenlage muss die begründete Aussicht bestehen, dass mit dem betroffenen Arzneimittel ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann (so zB BSG vom 28.2.2008, SozR 4-2500 § 13 Nr 16 RdNr 21, 23, 26 mit Hinweis auf die stRspr; vgl auch Senatsurteile vom 5.5.2010, zB - B 6 KA 6/09 R - SozR 4-2500 § 106 Nr 27 RdNr 51 f und - B 6 KA 20/09 R - in RdNr 46 f sowie - B 6 KA 24/09 R - in RdNr 18 ff). Abzustellen ist dabei auf die im Zeitpunkt der Behandlung vorliegenden Erkenntnisse (BSG vom 28.2.2008 aaO RdNr 21). Das Erfordernis der Aussicht auf einen Behandlungserfolg umfasst dabei nicht nur die Qualität und Wirksamkeit eines Arzneimittels, sondern schließt auch ein, dass mit der Medikation keine unvertretbaren Nebenwirkungen und Risiken verbunden sein dürfen. Gerade die Notwendigkeit der Analyse und Gewichtung eventueller unzuträglicher Nebenwirkungen ist ein zentrales Element des Überprüfungsstandards, auf den die Neugestaltung des AMG vom 24.8.1976 ausgerichtet ist, deren Konzeption ihren Ursprung in den Erfahrungen der 1960er Jahre mit den nicht ausreichend analysierten Nebenwirkungen von Contergan hat (vgl hierzu BR-Drucks 552/74 S 43 und BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 RdNr 21) . Soll die Verordnung eines Arzneimittels ausnahmsweise ohne derartige Gewähr der Arzneimittelsicherheit in Betracht kommen, so müssen für diesen Off-Label-Use anderweitig Qualitätsstandards, die dem Einsatz im Rahmen der Zulassungsindikation vergleichbar sind, gewährleistet und hinreichend belegt sein. Dabei muss auch gesichert sein, dass von der Off-Label-Medikation keine unzuträglichen Nebenwirkungen ausgehen; die Patienten sollen vor unkalkulierbaren Risiken geschützt werden (vgl BSGE 104, 160 = SozR 4-2500 § 13 Nr 22 RdNr 18 mwN; s auch zB BSGE 97, 112 = SozR 4-2500 § 31 Nr 5, RdNr 18; BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 16 RdNr 33).

17

Wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, sind nicht alle für einen Off-Label-Use bestehenden Regelvoraussetzungen erfüllt. Das LSG hat, ohne dass seine Ausführungen insoweit revisionsgerichtlich zu beanstanden wären (zu den vom Kläger dagegen erhobenen Verfahrensrügen siehe unten D.) , ausgeführt, dass es sich zwar bei fortgeschrittenen Bronchialkarzinomen und Tumoren der Thoraxorgane um schwerwiegende Erkrankungen handelt. Das LSG hat auch die weitere Voraussetzung, dass keine andere zugelassene Therapie zur Verfügung gestanden hat, tendenziell bejaht: Es hat dargelegt, die Ansicht der Beklagten sei unzutreffend, die Patienten könnten auf die Gabe hochkalorischer Kost verwiesen werden; denn dies stelle keine gleichwertige Alternative dar. Damit würde zwar die tumorinduzierte Kachexie behandelt, aber nicht - wie mit Megestat - erreicht, dass der Patient wieder mit Appetit natürliche Nahrung zu sich nehme. Ferner hat das LSG ins Feld geführt, dass die Gabe hochkalorischer Kost nicht selten zu Verdauungsproblemen führe (Diarrhoe). Das LSG hat über das Vorliegen dieser Voraussetzung (Fehlen einer anderen zugelassenen Therapie) allerdings nicht abschließend entschieden, dies vielmehr offengelassen, weil es jedenfalls an der dritten Voraussetzung fehle, nämlich an ausreichenden Belegen für eine begründete Aussicht auf einen Behandlungserfolg: Das LSG hat hierzu ausgeführt, dass diese dritte Voraussetzung nur dann erfüllt wäre, wenn im Behandlungszeitpunkt entweder bereits eine klinische Prüfung mit Phase III-Studien veröffentlicht und ein entsprechender Zulassungsantrag gestellt worden wäre oder wenn sonstwie zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen vorgelegen hätten, aufgrund derer sich in den einschlägigen Fachkreisen ein Konsens über den voraussichtlichen Nutzen der angewendeten Methode gebildet hätte. Das LSG hat die dritte Voraussetzung für einen zulässigen Off-Label-Use in unbedenklicher Weise als nicht erfüllt angesehen.

18

Im Einzelnen hat das LSG - unter anderem unter Bezugnahme auf das Gutachten des MDK vom 17.4.2003, das im Widerspruchsverfahren von der Beklagten eingeholt worden war - Folgendes ausgeführt: Bis 2003 gab es keine Phase III-Studien zum Einsatz von Megestat zur Bekämpfung der Kachexie bei anderen Krebsarten als Brust- und Gebärmutterkrebs. Die Studie, an der auch der Kläger selbst beteiligt war, betraf nur 33 Patienten; zudem wurde darin konzediert, dass noch eine Reihe von Fragen offen geblieben war und noch eine Placebo-kontrollierte Doppelblindstudie erforderlich sei. Andere Studien kamen zwar zum Ergebnis einer Verbesserung der Kachexie, aber vielfach mit der Einschränkung, dass dies nicht mit einer Verbesserung der Lebensqualität einhergehe. Es wurden auch erhebliche Nebenwirkungen beschrieben wie Übelkeit/Erbrechen, Diarrhoe, Sodbrennen, Muskelkrämpfe, Müdigkeit, Kopfschmerzen und, wie das LSG weiterhin hervorgehoben hat, auch Thrombose und Embolie, womit tödliche Komplikationen und Lebensverkürzungen verbunden sein könnten.

19

Das LSG hat weiter rechtsfehlerfrei aufgezeigt, dass sich nichts anderes aus der Zusammenfassung (dem sog abstract) einer Metaanalyse von Berenstein und Ortiz aus dem Jahr 2005 ergibt. Abgesehen davon, dass diese schon nicht ohne Weiteres für den früher gelegenen Verordnungs- und Regresszeitraum (bis 2003) maßgeblich sein kann, ergibt sie, dass auch im Jahr 2005 noch keine ausreichenden Belege für eine begründete Aussicht auf einen Behandlungserfolg mit Megestat bei Bronchialkarzinom vorlagen. Auch sie erfüllten nicht die Voraussetzungen einer Phase III-Studie an einem größeren Patientenkollektiv. Zwar bezogen sie auch andere Studien - und damit insgesamt 4000 Patienten ein -, die aber teilweise andere Erkrankungen als Krebs betrafen; zudem bestätigten sie zwar, dass Megestat den Appetit verbessere und zur Gewichtszunahme führe, ergaben aber nicht den Schluss auf eine Verbesserung der Lebensqualität. Auch die Zusammenfassung (das sog abstract) einer Metaanalyse von Lesniak/Bala/Jaeschke/Krzakowski aus dem Jahr 2008 ergab, wie im Urteil des LSG festgestellt, keine vorteilhaften Auswirkungen der Behandlung mit Megestat auf die gesamte Lebensqualität. Für eine valide Beurteilung wurde eine neue Studie für erforderlich gehalten.

20

Gegen die Eignung und Unbedenklichkeit von Megestat für die Behandlung von Kachexie in Fällen von Bronchialkarzinomen und Karzinomen der Thoraxorgane spricht auch die aktualisierte Fachinformation mit Stand vom Januar 2009: In ihr sind, wie das LSG dargestellt hat, als Indikation nur die palliative Behandlung von Mammakarzinomen und Endometriumkarzinomen (Innenhaut der Gebärmutter) genannt, und die Anwendung von Megestat zur Behandlung anderer neoplastischer Erkrankungen wird ausdrücklich nicht empfohlen.

21

Demnach fehlte es bei den vom Kläger vorgenommenen Verordnungen von Megestat an einer begründeten Aussicht auf einen Behandlungserfolg. Wie dargelegt, erfordert dies ausreichende Belege für die Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit (oben RdNr 16) . Dies haben die im Verfahren eingeholten und die vom Kläger vorgelegten Stellungnahmen nicht ausreichend belegt. Wie das LSG ausgeführt hat, war der Kläger an einer der Studien zu Megestat sogar selbst beteiligt und diese ergab zusammengefasst, dass noch eine Reihe von Fragen offen war, sodass noch weiterer Überprüfungsbedarf gesehen wurde. Mithin war unter eigener Beteiligung des Klägers klargestellt, dass die Überprüfungen noch nicht zu einem abschließenden positiven Ergebnis gelangt waren, die Erprobungsphase vielmehr noch nicht als abgeschlossen betrachtet werden konnte. Dabei ist auch von Bedeutung, dass die zahlreichen Studien keine Abwägung mit eventuell zu befürchtenden Nebenwirkungen im Falle anderer Krebsarten als Brust- und Gebärmutterkrebs enthielten, solche aber im Zusammenhang mit dem Einsatz von Megestat in vielfältiger und schwerwiegender Gestalt diskutiert wurden, bis hin zu lebensgefährdenden Komplikationen wie Thrombose und Embolie (zur Ausrichtung des AMG auf Arzneimittelsicherheit vgl oben RdNr 16) .

22

Demgegenüber greift keine der vom Kläger erhobenen Einwendungen durch. Weder die von ihm gegen die Verfahrensweise des LSG vorgebrachten Rügen (hierzu im Einzelnen s unten D.) noch seine Einwände gegen die vom LSG zugrunde gelegten inhaltlichen Maßstäbe haben Erfolg. Der Senat folgt schon nicht seiner Ansicht, die vom LSG gestellten Anforderungen an die Qualität der wissenschaftlichen Erkenntnisse für einen zulässigen Off-Label-Use seien überzogen. Der Kläger meint, es werde mehr gefordert, als an wissenschaftlichen Erkenntnissen überhaupt möglich und ethisch vertretbar sei. Für Krankheitsfälle der hier vorliegenden Art lasse sich kein Patientenkollektiv finden, das für eine Phase III-Studie ausreichend groß sei, das weiterhin einheitlich vorbehandelt werde und bei dem die Parameter zur Lebensqualität und Toxizität standardisiert erfasst werden könnten. Es müsse ausreichen, dass in den einschlägigen Fachkreisen aufgrund einer Vielzahl der veröffentlichten Erkenntnisse mit positiven Ergebnissen zur Appetitsteigerung und Gewichtszunahme sowie zum Allgemeinbefinden ein Konsens über den Nutzen einer Verabreichung von Megestat bestanden habe, wogegen etwaige Nachteile durch Nebenwirkungen und Risiken nicht ins Gewicht fallen könnten und zu vernachlässigen seien. Abgesehen davon, dass nach den Feststellungen des LSG für den Off-Label-Use von Megestat keine Phase III-Studien vorliegen, konnten auch den anderen - weniger validen - Studien keine ausreichenden Belege für die Eignung und Unbedenklichkeit des Einsatzes von Megestat entnommen werden. Insbesondere ergab die Studie, an der der Kläger selbst teilnahm, dass - wie schon erwähnt - die Erprobungsphase noch nicht als abgeschlossen angesehen werden konnte. Das LSG hat auch keinen Konsens über die Eignung und Unbedenklichkeit der Anwendung von Megestat feststellen können, es hat vielmehr formuliert, dass für das Vorliegen eines Konsenses keine Anhaltspunkte vorlagen. Dieser Feststellung hat der Kläger mit seinem Einwand, schon im Zeitpunkt seiner Medikation habe in den Fachkreisen Konsens über Qualität und Wirksamkeit von Megestat bei Tumor-Kachexie bestanden, lediglich seine gegenteilige Ansicht entgegengesetzt. Den vom LSG getroffenen Tatsachenfeststellungen, die vom Revisionsgericht grundsätzlich als verbindlich zugrunde zu legen sind (§ 163 SGG) , lediglich die Behauptung anderer Tatsachen entgegenzusetzen, reicht revisionsrechtlich nicht aus (vgl BSGE 89, 250, 252 = SozR 3-4100 § 119 Nr 24 S 123 mwN; BSG vom 1.7.2010 - B 11 AL 1/09 R - RdNr 25, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen) .

23

Die "Regel"voraussetzungen eines zulässigen Off-Label-Use bei den vom Kläger vorgenommenen Verordnungen von Megestat sind damit nicht erfüllt. Aber auch die vom BVerfG herausgestellten Anforderungen greifen nicht ein, wie noch unter 3. darzulegen ist.

24

2. Für Dronabinol gilt im Ergebnis nichts anderes. Dronabinol ist allerdings anders als Megestat kein Fertigarzneimittel, für das eine Zulassung nach dem AMG erforderlich ist, sodass dementsprechend auch nicht die Maßstäbe des Off-Label-Use anwendbar sind. Dronabinol ist ein sog Rezepturarzneimittel und als solches nach dem AMG aufgrund der erteilten Herstellungserlaubnis (§ 13 AMG) auch verkehrsfähig, ohne dass eine Überprüfung seiner Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit nach dem AMG stattfinden musste oder stattgefunden hat (vgl §§ 13 bis 15 iVm § 43 Abs 2 Halbsatz 2 iVm § 47 AMG; s dazu BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 30) . Mit der Verkehrsfähigkeit sind Rezepturarzneimittel zugleich auch verordnungsfähig, es sei denn, nach anderen Regelungen ist ein Anerkennungsverfahren erforderlich. Dies ist gemäß § 135 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V der Fall, wenn der Einsatz des Arzneimittels Gegenstand einer neuen Arzneitherapie im Sinne dieser Regelung ist, für die dann entsprechend den Vorgaben dieser Vorschrift eine empfehlende Richtlinie erforderlich ist(zu diesen Zusammenhängen s ausführlich BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 26 ff; - zur Anwendung des § 135 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V auch auf Behandlungen unter Anwendung von Hilfsmitteln: BSG - 3. Senat - vom 12.8.2009, BSGE 104, 95 = SozR 4-2500 § 139 Nr 4, RdNr 17 ff) .

25

Dementsprechend bedurfte es für den Einsatz von Dronabinol grundsätzlich einer anerkennenden Richtlinie gemäß § 135 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V. Denn es handelte sich um eine neue Arzneitherapie. Die Einordnung als Arzneitherapie ergibt sich aus dem Urteil des 1. Senats vom 27.3.2007 (USK 2007- 36 ); auf die dortigen Ausführungen wird verwiesen, in denen der 1. Senat sich mit Behandlungen mit cannabinolhaltigen Arzneimitteln befasst hat und diese als eine auf einem bestimmten theoretisch-wissenschaftlichen Konzept fußende Vorgehensweise der Krankenbehandlung qualifiziert hat (vgl BSG USK aaO S 236 f; zur "Methode" iS des § 135 Abs 1 SGB V vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 31 mwN).

26

Eine unter Einsatz von Dronabinol durchgeführte Arzneitherapie ist auch "neu" iS des § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V. Neu ist eine Behandlungsmethode zunächst dann, wenn sie erst nach Inkrafttreten des § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V - also erst in der Zeit seit dem 1.1.1989 - als kassen- bzw vertragsärztliche Behandlungsmethode praktiziert worden ist. Neu ist auch eine Behandlungsmethode, für die eine entsprechende Leistungsposition im Einheitlichen Bewertungsmaßstab für ärztliche Leistungen (EBM-Ä) zunächst nicht bestand, diese vielmehr erst später - nach dem 1.1.1989 - in das Leistungsverzeichnis des EBM-Ä aufgenommen wurde (vgl BSG vom 22.3.2005, BSGE 94, 221 RdNr 24 = SozR 4-2400 § 89 Nr 3 RdNr 25; BSG vom 26.9.2006, SozR 4-2500 § 27 Nr 10 RdNr 17-19; s auch BSGE 81, 54, 57 f = SozR 3-2500 § 135 Nr 4 S 12 f) . Nach diesen Abgrenzungen ist bei Arzneitherapien - bei Arzneimitteln ist kein Raum für die Schaffung einer Leistungsposition im EBM-Ä - darauf abzustellen, ob sie schon vor dem 1.1.1989 oder erst nach dem 1.1.1989 praktiziert wurden. Wurden sie schon vorher praktiziert, so sind sie nicht neu; dann käme nur eine Überprüfung durch den § 135 Abs 1 Satz 2 SGB V in Betracht, wonach die Verordnungsfähigkeit erst ausgeschlossen wäre, wenn der G-BA die Methode ausdrücklich für unvereinbar mit den Erfordernissen des § 135 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V erklärt hatte(§ 135 Abs 1 Satz 3 SGB V). Im vorliegenden Fall der Verordnung von Dronabinol wird weder vom LSG noch vom Kläger erwogen, es könnte sich um eine schon vor dem 1.1.1989 praktizierte Arzneitherapie handeln; vielmehr haben sowohl das LSG als auch der Kläger ihren Ausführungen zugrunde gelegt, dass es sich um eine neue Behandlungsmethode handelt.

27

Liegt eine neue Behandlungsmethode vor, ohne dass aber eine empfehlende Richtlinie des G-BA ergangen ist, so ist die Anwendung dieser Methode - dh hier eine Therapie unter Einsatz von Dronabinol - grundsätzlich unzulässig, es sei denn, ein Ausnahmetatbestand wäre erfüllt. Als Ausnahmetatbestand kommt vorliegend ein sog Seltenheitsfall, der ausnahmsweise zu einem Einzelimport oder zu einer Einzelanwendung berechtigen würde, nicht in Betracht; denn die Krankheitsbeschwerden, derentwegen der Kläger Dronabinol einsetzte, sind nicht so selten, dass sie sich systematischer Erforschung und Behandlung entzögen (zu diesen Voraussetzungen vgl zB BSG vom 27.3.2007, USK 2007-36 S 237; BSG vom 8.9.2009, BSGE 104, 160 = SozR 4-2500 § 13 Nr 22, RdNr 20) . Auch die besondere Situation, dass als Folge des Fehlens einer durch Richtlinie anerkannten Behandlungsmethode eine Versorgungslücke entsteht und ein Bedarf nach ihrem Einsatz auch ohne empfehlende Richtlinie des GBA besteht, war nicht gegeben. Ein solcher Bedarf würde voraussetzen, dass ausreichende Belege für die Eignung und Unbedenklichkeit der Methode vorliegen (vgl hierzu BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 32 mwN) . Solche lagen indessen für Dronabinol ebenso wenig wie für Megestat vor; hierzu wird auf obige Ausführungen unter 1. (RdNr 17 ff) verwiesen.

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3. Schließlich lagen auch die Voraussetzungen, unter denen nach der Rechtsprechung des BVerfG der Einsatz eines Arzneimittels unter Außerachtlassung der Begrenzungen durch das AMG und durch § 135 Abs 1 SGB V zulässig sein kann, nicht vor. Allerdings hat das BVerfG in Erkrankungsfällen, die als hoffnungslos erscheinen, aus Art 2 Abs 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip und aus Art 2 Abs 2 Satz 1 GG iVm der daraus abzuleitenden Schutzpflicht entnommen, dass Therapiemethoden, die nach dem AMG oder dem SGB V an sich nicht angewendet werden dürfen, unter bestimmten Voraussetzungen doch zulässig sind. Das BVerfG hat insoweit dem Versicherten einen erweiterten Behandlungsanspruch gemäß §§ 27 ff SGB V eingeräumt, was reziprok bedeutet, dass dann in entsprechender Weise der Arzt zur Gewährung der Behandlung bzw zur Verordnung des Arzneimittels berechtigt und verpflichtet ist.

29

a) Das BVerfG hat - zunächst für nicht anerkannte Behandlungsmethoden - aus Art 2 Abs 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip und aus Art 2 Abs 2 Satz 1 GG iVm der sich daraus ergebenden Schutzpflicht abgeleitet, dass in Fällen, in denen eine lebensbedrohliche oder in der Regel tödlich verlaufende Krankheit vorliegt und eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, der Versicherte nicht von der Gewährung einer von ihm gewählten, ärztlich angewandten Behandlungsmethode ausgeschlossen werden darf, wenn diese eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bietet (BVerfGE 115, 25, 49 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 RdNr 33) . Es muss eine durch nahe Lebensgefahr gekennzeichnete individuelle Notlage gegeben sein (BVerfG vom 30.6.2008, NJW 2008, 3556 RdNr 10; an die verfassungsrechtliche Rechtsprechung anknüpfend BSG vom 4.4.2006, BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4, RdNr 35; BSG vom 14.12.2006, SozR 4-2500 § 31 Nr 8 RdNr 20; BSG vom 27.3.2007, USK 2007-36 S 238; BSG vom 28.2.2008, BSGE 100, 103 = SozR 4-2500 § 31 Nr 9, RdNr 32; BSG vom 16.12.2008, USK 2008-73 S 575) . Das BVerfG hat in einer speziellen Situation - Apheresebehandlung in einem besonderen Fall - ausreichen lassen, dass die Erkrankung voraussichtlich erst in einigen Jahren zum Tod führt (BVerfG vom 6.2.2007 - 1 BvR 3101/06 - RdNr 22, in Juris dokumentiert) .

30

Diese Grundsätze haben das BVerfG und das BSG auf den Bereich der Versorgung mit Arzneimitteln übertragen. Sofern eine im vorgenannten Sinne lebensbedrohliche Erkrankung vorliegt (oder - wie das BSG es formuliert - eine wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung, vgl dazu BSG vom 4.4.2006, BSGE 96, 153 = SozR 4-2500 § 27 Nr 7, RdNr 31 am Ende; BSG vom 14.12.2006, USK 2006-111 S 767/768; BSG vom 27.3.2007, USK 2007-36 S 237 unter 2.; BSG vom 28.2.2008, BSGE 100, 103 = SozR 4-2500 § 31 Nr 9 RdNr 32 am Ende) und eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, erstreckt sich der Versorgungsanspruch des Versicherten über die Beschränkungen der arzneimittelrechtlichen Zulassung hinaus - dh sowohl bei Fehlen jeglicher Arzneimittelzulassung als auch bei Einsatz außerhalb des in der Zulassung ausgewiesenen Anwendungsbereichs - auf die Versorgung mit solchen Arzneimitteln, die eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bieten (s hierzu BVerfG vom 30.6.2008 aaO; ebenso zB BSG vom 4.4.2006, BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4, RdNr 19; BSG vom 28.2.2008, SozR 4-2500 § 13 Nr 16 RdNr 30 mwN) . Dies bedeutet, verglichen mit den "Regel"voraussetzungen für einen Off-Label-Use bzw für eine gemäß § 135 Abs 1 SGB V anerkennungsbedürftige, aber nicht anerkannte Behandlungsmethode, dass - über eine schwerwiegende Erkrankung hinausgehend - eine lebensbedrohliche oder in der Regel tödlich verlaufende Krankheit vorliegen muss: Nur unter dieser Voraussetzung ist das Erfordernis ausreichender Belege für die Eignung und Unbedenklichkeit des Einsatzes des Arzneimittels bzw der Behandlungsmethode dahin abzuschwächen, dass eine nicht ganz fern liegende Aussicht positiver Einwirkung auf den Krankheitsverlauf ausreicht.

31

Hat der erkrankte Versicherte nach diesen rechtlichen Maßstäben Anspruch auf die Versorgung mit einem bestimmten Arzneimittel, so darf nicht wegen der Verordnung dieses Medikaments ein Regress gegen den verordnenden Arzt festgesetzt werden.

32

b) Dabei ist stets der Ausgangspunkt des BVerfG zu beachten, nämlich dass nur insoweit, als eine lebensbedrohliche Erkrankung und deren Heilung in Frage steht, die erweiternde Auslegung der leistungsrechtlichen Vorschriften des SGB V geboten ist. Dementsprechend gilt der Maßstab, dass eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf ausreicht, nur insoweit, als eine Aussicht auf Heilung der Grunderkrankung selbst oder auf positive Einwirkung auf den Verlauf der Grunderkrankung als solcher besteht. Nur in einer solchen Situation ist die dargelegte verfassungskonforme Erweiterung des Leistungsanspruchs des Versicherten gemäß §§ 27 ff SGB V veranlasst und gerechtfertigt. Diese (str)enge Sicht ist nicht etwa, wie gelegentlich geltend gemacht wird, durch die Entscheidung des BVerfG vom 6.2.2007 in Frage gestellt worden (BVerfG - 1 BvR 3101/06 -, in Juris dokumentiert) . Hierin hat das BVerfG lediglich klargestellt, dass bei der Frage, ob eine Behandlung auf eine lebensbedrohliche Erkrankung einwirkt, das sog Gesamtrisikoprofil mitzuberücksichtigen ist in dem Sinne, dass die Einwirkung auf einen Faktor im Gesamtrisikoprofil ausreicht. Damit ist aber nicht in Zweifel gezogen, dass es sich auch in solchen Fällen um die Einwirkung auf die lebensbedrohliche Erkrankung selbst handeln muss.

33

Diesen rechtlichen Ausgangspunkt hat auch das LSG zugrunde gelegt. Dementsprechend hat es das Erfordernis einer auf Indizien gestützten, nicht ganz fern liegenden Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf als nicht erfüllt angesehen, denn die vom Kläger praktizierte Anwendung von Megestat und Dronabinol bei Patienten mit einem fortgeschrittenen Bronchialkarzinom oder einem Karzinom der Thoraxorgane war nicht darauf gerichtet, die lebensbedrohliche Erkrankung als solche zu heilen oder positiv auf ihren Verlauf einzuwirken, sondern der Einsatz von Megestat und Dronabinol zielte "nur" auf die Verbesserung der Lebensqualität in dem Sinne, dass der Erkrankte wieder mit Appetit natürliche Nahrung zu sich nimmt und dadurch der tumorinduzierten Kachexie (Appetitlosigkeit mit der Folge körperlicher Auszehrung) entgegengewirkt wird. Der Kläger wollte mit der Anwendung von Megestat und Dronabinol also nicht auf die lebensbedrohliche Erkrankung als solche einwirken, sondern nur deren weitere Auswirkungen abmildern. Dementsprechend hat das LSG zu Recht für den vorliegenden Fall die Entscheidung des BVerfG vom 6.12.2005 als nicht einschlägig erachtet.

34

Entgegen der Ansicht des Klägers kommt es hier nicht darauf an, ob durch den Einsatz von Megestat und Dronabinol der Appetit von Patienten, die er wegen eines Bronchialkarzinoms oder eines Karzinoms der Thoraxorgane behandelte, wiederhergestellt und ob dadurch eine günstigere Prognose hinsichtlich der diesen noch verbleibenden Lebenszeit erreicht werden konnte. Nach dem Beschluss des BVerfG vom 6.12.2005 (BVerfGE 115, 25, 49 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 RdNr 33) soll dem Patienten - bildlich gesprochen - der Strohhalm der Hoffnung auf Heilung, an den er sich klammert, nicht wegen Fehlens wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit verweigert werden. Hoffnungen in diesem Sinne kann ein Patient aber nur mit Behandlungsmethoden verbinden, die darauf gerichtet sind, auf seine mutmaßlich tödlich verlaufende Grunderkrankung als solche einzuwirken. Für Behandlungsverfahren, die dies nach ihrem eigenen methodischen Ansatz nicht leisten, gelten die reduzierten Wirksamkeitsanforderungen der Rechtsprechung des BVerfG von vornherein nicht. Soweit mit dem in § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V genannten Behandlungsziel "Krankheitsbeschwerden zu lindern" jede Verbesserung der Lebensqualität eines schwerkranken Patienten verbunden wird, ist dieses Ziel nicht von der Ausweitung der Leistungsansprüche der Versicherten gemäß dem Beschluss des BVerfG vom 6.12.2005 erfasst. Allein die Hoffnung einer - unter Umständen ganz geringen - Chance auf Heilung der Krankheit oder auf nachhaltige, nicht nur wenige Tage oder Wochen umfassende, Lebensverlängerung rechtfertigt es, die Voraussetzungen an den Nachweis der Wirksamkeit von Behandlungsmethoden so weit zu reduzieren, wie das in dem Beschluss des BVerfG erfolgt ist.

35

Dem wird die Ansicht des Klägers nicht gerecht, jede Verbesserung des Appetits des Patienten könne dessen subjektive Lebensqualität verbessern und so mittelbar - ungeachtet des dadurch nicht beeinflussten Wachstums des Tumors - eine (geringfügige) Lebensverlängerung bewirken. Nicht jede Verbesserung der Lebensqualität - zumal wenn diese in der Gesamtschau mit den möglichen vielfältigen und schwerwiegenden Nebenwirkungen zweifelhaft erscheint -, sondern nur die Erfüllung der Hoffnung des Patienten auf eine rettende Behandlung in einer aussichtslosen gesundheitlichen Situation indiziert die vom BVerfG beschriebene notstandsähnliche Lage, in der (nahezu) jeder Behandlungsansatz auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung möglich sein soll.

36

Sind demnach die vom BVerfG herausgestellten Voraussetzungen für erweiterte Behandlungsmöglichkeiten ohne die Beschränkungen durch das AMG und durch § 135 Abs 1 SGB V für den Einsatz von Megestat und Dronabinol nicht erfüllt, so kommt es auf die weiteren Voraussetzungen für die Anwendung der Rechtsprechung des BVerfG nicht an. Das BVerfG und das BSG haben in ihren Entscheidungen insbesondere klargestellt, dass in Fällen, in denen die genannte Rechtsprechung des BVerfG einschlägig ist, immer auch die Voraussetzung erfüllt sein muss, dass keine Alternative einer allgemein anerkannten - dh nach dem AMG und SGB V zulässigen -, dem medizinischem Standard entsprechenden Behandlung besteht. Hierauf einzugehen, erübrigt sich, weil es schon an den "Grund"voraussetzungen für eine Anwendung der BVerfG-Rechtsprechung fehlt.

37

C. Bei allem ist schließlich darauf hinzuweisen, dass der Kläger das Risiko eines Regresses, wie er ihm gegenüber festgesetzt worden ist, hätte vermeiden können: Er hätte - worauf der Senat in ständiger Rechtsprechung hinweist -, für den Versicherten ein Privatrezept ausstellen und es diesem überlassen können, sich bei seiner KK um Erstattung der Kosten zu bemühen. Ermöglicht der Vertragsarzt indessen nicht auf diese Weise eine Vorab-Prüfung durch die KK, sondern stellt er ohne vorherige Rückfrage bei dieser eine vertragsärztliche Verordnung aus und löst der Patient diese in der Apotheke ein, so sind damit die Arzneikosten angefallen und die KK kann nur noch im Regressweg geltend machen, ihre Leistungspflicht habe nicht bestanden. Verhindert der Vertragsarzt durch diesen Weg der vertragsärztlichen Verordnung bei einem medizinisch umstrittenen Arzneieinsatz ohne dementsprechende Zulassung eine Vorab-Prüfung durch die KK und übernimmt er damit das Risiko, dass später die Leistungspflicht der KK verneint wird, so kann ein entsprechender Regress nicht beanstandet werden (stRspr, zB BSG vom 31.5.2006, MedR 2007, 557, 560, und - ausführlich - BSG vom 5.5.2010, SozR 4-2500 § 106 Nr 27 RdNr 43 f, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen) .

38

D. Die vom Kläger erhobenen Verfahrensrügen greifen nicht durch.

39

Die Einholung eines Sachverständigengutachtens steht im Ermessen des Gerichts. Eine Pflicht zur Einholung besteht nur dann, wenn sich dem Gericht dessen Einholung aufdrängen muss (stRspr, vgl zB BSG vom 5.5.2010 - B 6 KA 20/09 R -, Juris RdNr 49, und - B 6 KA 24/09 R -, Juris RdNr 20 - jeweils mwN; vgl auch BSG vom 3.2.2010, SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 37) . Das war hier nicht der Fall. Nach der für die Beurteilung der Notwendigkeit (weiterer) Beweiserhebung maßgeblichen Rechtsauffassung des LSG hat dieses kein Gutachten einholen müssen. Das LSG hat als maßgeblich erachtet, dass es im maßgeblichen Zeitraum der Jahre 2001 bis 2003 keinen fachwissenschaftlichen Konsens zum Einsatz von Megestat und Dronabinol auch bei Bronchialkarzinomen und Karzinomen der Thoraxorgane gegeben hat. Die Anregungen des Klägers zur Einholung eines Gutachtens sind darauf gerichtet gewesen, Belege dafür zu gewinnen, dass dieser Einsatz auch Befürworter hatte. Dem hat das LSG nicht ohne Weiteres nachgehen müssen, weil das zur Feststellung eines allgemeinen Konsenses, den das LSG aus Rechtsgründen für erforderlich gehalten hat, nichts Entscheidendes hätte beitragen können.

40

Die Rüge des Klägers, das LSG habe die von ihm im Berufungsverfahren eingereichten Studien nicht ausgewertet, scheitert daran, dass grundsätzlich die Vermutung besteht, dass das Gericht alles Eingereichte zur Kenntnis genommen und in seine Erwägungen einbezogen hat (stRspr des BVerfG und des BSG, vgl zB BSG vom 2.9.2009, SozR 4-2500 § 103 Nr 6 RdNr 20 mit zahlreichen BVerfG- und BSG-Angaben) . Gegenteiliges bedürfte besonderer Anhaltspunkte, die der Kläger nicht aufgezeigt hat und auch nicht ersichtlich sind.

41

Ebenso wenig dringt der Kläger mit seiner Rüge durch, das LSG habe das Vorliegen eines Konsenses in Fachkreisen nicht erkannt. Hierin liegt lediglich die Rüge, das LSG sei von einem falschen Ausgangspunkt ausgegangen. Dem lediglich die abweichende Sicht eines anderen Ausgangspunktes entgegenzusetzen, reicht für eine Verfahrensrüge nicht aus (vgl oben RdNr 22 am Ende) .

42

Schließlich greift auch seine Rüge der Verkennung der Grenzen der freien Beweiswürdigung nicht durch. Er bringt dazu vor, die Feststellungen des LSG, dass die Anwendung von Megestat und Dronabinol ausschließlich auf die Verbesserung der Lebensqualität und nicht auf die Verlängerung der Lebensdauer gerichtet sei, seien weder als Erfahrungssatz noch medizinisch begründbar. Dies ist schon nicht entscheidungserheblich, wie aus obigen Ausführungen zu C. folgt, wonach eine nur geringfügige Lebensverlängerung bei einem Behandlungsansatz, der von vornherein nicht auf eine Beeinflussung des Grundleidens zielt, nicht der vom BVerfG herausgearbeiteten Ausnahme von den Verordnungsvoraussetzungen gemäß dem AMG bzw gemäß § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V entspricht(vgl RdNr 36) . Vor allem ist nicht ersichtlich, dass das LSG insoweit einen Erfahrungssatz hätte aufstellen wollen. Vielmehr setzt auch hier der Kläger nur seine eigene Auffassung derjenigen des LSG entgegen.

43

E. Dem Regress stehen schließlich auch keine Grundrechtspositionen des Klägers entgegen. Insbesondere ist das Grundrecht der Berufsfreiheit gemäß Art 12 Abs 1 GG nicht verletzt. Dieses Grundrecht unterliegt - ebenso wie Art 14 Abs 1 GG - einem Gesetzesvorbehalt, darf also durch Gesetz eingeschränkt werden. Das ist durch die vorliegend einschlägigen Bestimmungen des AMG und der §§ 106, 135 Abs 1 SGB V geschehen. Die Anwendung dieser Regelungen belastet den Kläger nicht unverhältnismäßig (vgl BSG vom 3.2.2010, SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 46 iVm 48) .

44

Dabei kommt es nicht darauf an, ob die zu 1. beigeladene KK bei Nichtverordnung von Megestat und Dronabinol Kosten für andere Behandlungsarten hätte tragen müssen - sog Vorteilsausgleichung - (vgl zB BSG SozR 4-2500 § 39 Nr 3 RdNr 14 mwN; BSGE 101, 252 = SozR 4-2500 § 115b Nr 2 RdNr 21; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 47) .

45

F. Nach alledem ist nicht nur der Hauptantrag des Klägers auf Bescheidaufhebung zurückzuweisen, sondern ebenso der Hilfsantrag: Für die hilfsweise begehrte Zurückverweisung der Sache an das LSG ist kein Raum, denn der gegenüber dem Kläger ausgesprochene Regress hat sich im Revisionsverfahren gemäß vorstehenden Ausführungen abschließend als rechtmäßig erwiesen.

46

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 3 SGG iVm einer entsprechenden Anwendung von § 154 Abs 2 iVm § 162 Abs 3 VwGO. Der Kläger trägt als unterlegener Rechtsmittelführer die Kosten des Revisionsverfahrens (§ 154 Abs 2 VwGO) . Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten von Beigeladenen ist nicht veranlasst, weil diese im Verfahren keine Anträge gestellt haben (vgl BSGE 96, 257 = SozR 4-1300 § 63 Nr 3, RdNr 16) .

(1) Ein schriftlicher oder elektronischer sowie ein schriftlich oder elektronisch bestätigter Verwaltungsakt ist mit einer Begründung zu versehen. In der Begründung sind die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitzuteilen, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen haben. Die Begründung von Ermessensentscheidungen muss auch die Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist.

(2) Einer Begründung bedarf es nicht,

1.
soweit die Behörde einem Antrag entspricht oder einer Erklärung folgt und der Verwaltungsakt nicht in Rechte eines anderen eingreift,
2.
soweit demjenigen, für den der Verwaltungsakt bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, die Auffassung der Behörde über die Sach- und Rechtslage bereits bekannt oder auch ohne Begründung für ihn ohne weiteres erkennbar ist,
3.
wenn die Behörde gleichartige Verwaltungsakte in größerer Zahl oder Verwaltungsakte mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlässt und die Begründung nach den Umständen des Einzelfalles nicht geboten ist,
4.
wenn sich dies aus einer Rechtsvorschrift ergibt,
5.
wenn eine Allgemeinverfügung öffentlich bekannt gegeben wird.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Nr. 1 bis 3 ist der Verwaltungsakt schriftlich oder elektronisch zu begründen, wenn der Beteiligte, dem der Verwaltungsakt bekannt gegeben ist, es innerhalb eines Jahres seit Bekanntgabe verlangt.

Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

(1) Die Krankenkassen und die Kassenärztlichen Vereinigungen überwachen die Wirtschaftlichkeit der vertragsärztlichen Versorgung durch Beratungen und Prüfungen. Die Landesverbände der Krankenkassen und die Ersatzkassen gemeinsam und einheitlich und die Kassenärztlichen Vereinigungen vereinbaren Inhalt und Durchführung der Beratungen und Prüfungen nach Absatz 2 sowie die Voraussetzungen für Einzelfallprüfungen. Die Vertragspartner können die Prüfungsstelle mit der Prüfung ärztlich verordneter Leistungen in der ambulanten Versorgung außerhalb der vertragsärztlichen Versorgung beauftragen und tragen die Kosten. Die Krankenkassen übermitteln der Prüfungsstelle die Daten der in der ambulanten Versorgung außerhalb der vertragsärztlichen Versorgung verordneten Leistungen; dabei sind zusätzlich die Zahl der Behandlungsfälle und eine Zuordnung der verordneten Leistungen zum Datum der Behandlung zu übermitteln. Die §§ 296 und 297 gelten entsprechend.

(2) Die Wirtschaftlichkeit der Versorgung wird von der Prüfungsstelle nach § 106c geprüft durch

1.
arztbezogene Prüfungen ärztlicher Leistungen nach § 106a,
2.
arztbezogene Prüfungen ärztlich verordneter Leistungen nach § 106b.
Die Prüfungen werden auf der Grundlage der Daten durchgeführt, die der Prüfungsstelle nach § 106c gemäß § 296 Absatz 1, 2 und 4 sowie § 297 Absatz 2 übermittelt werden. Hat die Prüfungsstelle Zweifel an der Richtigkeit der übermittelten Daten, ermittelt sie die Datengrundlagen für die Prüfung aus einer Stichprobe der abgerechneten Behandlungsfälle des Arztes und rechnet die so ermittelten Teildaten nach einem statistisch zulässigen Verfahren auf die Grundgesamtheit der Arztpraxis hoch.

(3) Die Prüfungsstelle nach § 106c bereitet die für die Prüfungen nach Absatz 2 erforderlichen Daten und sonstigen Unterlagen auf, trifft Feststellungen zu den für die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit wesentlichen Sachverhalten und entscheidet unter Beachtung der Vereinbarungen nach den §§ 106a und 106b, ob der Vertragsarzt, der ermächtigte Arzt oder die ermächtigte Einrichtung gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen hat und welche Maßnahmen zu treffen sind. Eine Maßnahme kann insbesondere auch die Festsetzung einer Nachforderung oder einer Kürzung sein. Die Festsetzung einer Nachforderung oder einer Kürzung auf Grund einer Wirtschaftlichkeitsprüfung, die von Amts wegen durchzuführen ist, muss für ärztliche Leistungen innerhalb von zwei Jahren ab Erlass des Honorarbescheides und für ärztlich verordnete Leistungen innerhalb von zwei Jahren ab dem Schluss des Kalenderjahres, in dem die Leistungen verordnet worden sind, erfolgen; § 45 Absatz 2 des Ersten Buches gilt entsprechend. Für Wirtschaftlichkeitsprüfungen, die auf Grund eines Antrags erfolgen, ist der Antrag für die Prüfung ärztlicher Leistungen spätestens 18 Monate nach Erlass des Honorarbescheides und für die Prüfung ärztlich verordneter Leistungen spätestens 18 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Leistungen verordnet worden sind, bei der Prüfungsstelle nach § 106c einzureichen. Die Festsetzung einer Nachforderung oder einer Kürzung muss innerhalb weiterer zwölf Monate nach Ablauf der in Satz 4 genannten Frist erfolgen; die Regelung des § 45 Absatz 2 des Ersten Buches findet keine entsprechende Anwendung. Gezielte Beratungen sollen weiteren Maßnahmen in der Regel vorangehen. Die Prüfungsstelle berät die Vertragsärzte auf der Grundlage von Übersichten über die von ihnen im Zeitraum eines Jahres oder in einem kürzeren Zeitraum erbrachten, verordneten oder veranlassten Leistungen über Fragen der Wirtschaftlichkeit und Qualität der Versorgung.

(4) Werden Wirtschaftlichkeitsprüfungen nicht in dem vorgesehenen Umfang oder nicht entsprechend den für ihre Durchführung geltenden Vorgaben durchgeführt, haften die zuständigen Vorstandsmitglieder der Krankenkassenverbände und Kassenärztlichen Vereinigungen für eine ordnungsgemäße Umsetzung. Können Wirtschaftlichkeitsprüfungen nicht in dem vorgesehenen Umfang oder nicht entsprechend den für ihre Durchführung geltenden Vorgaben durchgeführt werden, weil die erforderlichen Daten nach den §§ 296 und 297 nicht oder nicht im vorgesehenen Umfang oder nicht fristgerecht übermittelt worden sind, haften die zuständigen Vorstandsmitglieder der Krankenkassen oder der Kassenärztlichen Vereinigungen. Die zuständige Aufsichtsbehörde hat nach Anhörung der Vorstandsmitglieder und der jeweils entsandten Vertreter im Ausschuss den Verwaltungsrat oder die Vertreterversammlung zu veranlassen, das Vorstandsmitglied auf Ersatz des aus der Pflichtverletzung entstandenen Schadens in Anspruch zu nehmen, falls der Verwaltungsrat oder die Vertreterversammlung das Regressverfahren nicht bereits von sich aus eingeleitet hat.

(5) Die Absätze 1 bis 4 gelten auch für die Prüfung der Wirtschaftlichkeit der im Krankenhaus erbrachten ambulanten ärztlichen und belegärztlichen Leistungen.

(1) Ein schriftlicher oder elektronischer sowie ein schriftlich oder elektronisch bestätigter Verwaltungsakt ist mit einer Begründung zu versehen. In der Begründung sind die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitzuteilen, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen haben. Die Begründung von Ermessensentscheidungen muss auch die Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist.

(2) Einer Begründung bedarf es nicht,

1.
soweit die Behörde einem Antrag entspricht oder einer Erklärung folgt und der Verwaltungsakt nicht in Rechte eines anderen eingreift,
2.
soweit demjenigen, für den der Verwaltungsakt bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, die Auffassung der Behörde über die Sach- und Rechtslage bereits bekannt oder auch ohne Begründung für ihn ohne weiteres erkennbar ist,
3.
wenn die Behörde gleichartige Verwaltungsakte in größerer Zahl oder Verwaltungsakte mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlässt und die Begründung nach den Umständen des Einzelfalles nicht geboten ist,
4.
wenn sich dies aus einer Rechtsvorschrift ergibt,
5.
wenn eine Allgemeinverfügung öffentlich bekannt gegeben wird.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Nr. 1 bis 3 ist der Verwaltungsakt schriftlich oder elektronisch zu begründen, wenn der Beteiligte, dem der Verwaltungsakt bekannt gegeben ist, es innerhalb eines Jahres seit Bekanntgabe verlangt.

Tatbestand

1

Umstritten ist ein Arzneikostenregress wegen der Verordnung des Arzneimittels Polyglobin in den Quartalen II/1999 bis IV/1999.

2

Der in diesen Quartalen als Hausarzt an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Kläger verordnete insgesamt 17-mal "Polyglobin 5 %" für die 1932 geborene Versicherte H. Diese litt an einem metastasierenden Karzinom der Eileiter, das auch die Leber befallen hatte, und ist 2001 verstorben. Die Kosten je Verordnung beliefen sich auf 3209,02 DM. Auf Antrag der Rechtsvorgängerin der zu 2. beigeladenen Krankenkasse vom 1.12.2000 setzte der Prüfungsausschuss auf der Grundlage des § 14 der für den Bezirk der zu 1. beigeladenen Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) geltenden Prüfvereinbarung eine Schadensersatzpflicht des Klägers wegen der Verordnung von "Polyglobin" in Höhe von 51 553 DM fest. Dieser Betrag ergab sich auf der Grundlage der Bruttoverordnungskosten unter Abzug eines fünfprozentigen Apothekenrabatts und der von der Versicherten geleisteten Zuzahlungen. Der beklagte Beschwerdeausschuss wies den Widerspruch des Klägers mit der Begründung zurück, Polyglobin sei nicht im Rahmen der Zulassungsindikationen verordnet worden, und für eine Verordnung außerhalb der zugelassenen Indikationen - der Kläger hatte die Behandlung eines Antikörpermangels bei der Versicherten als Grund für die Verordnungen angeführt - habe keine rechtliche Grundlage bestanden.

3

Das SG hat den Bescheid des Beklagten aufgehoben, soweit die Verordnungen im Quartal II/1999 ausgestellt worden sind, weil die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2. die Antragsfrist versäumt habe. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen, weil für einen zulassungsüberschreitenden Einsatz von Polyglobin die rechtlichen Voraussetzungen, die inzwischen von der Rechtsprechung des BSG geklärt seien, nicht vorgelegen hätten.

4

Dieses Urteil haben der Kläger am 15.4.2005 mit der Berufung und die Beigeladene zu 2. am 28.11.2006 mit der Anschlussberufung angegriffen. Der Kläger hat geltend gemacht, die Verordnung von Polyglobin in den streitbefangenen Quartalen habe den Behandlungserfolg der Chemotherapie absichern sollen und sei damit zur erfolgreichen Behandlung des inoperablen metastasierenden Tubenkarzinoms notwendig gewesen. Nach der Entscheidung des BSG vom 5.7.1995 (Remedacen) habe er darauf vertrauen können, verschreibungspflichtige Medikamente auch außerhalb ihres Zulassungsbereichs verordnen zu dürfen. Der durch dieses höchstrichterliche Urteil ausgelöste Vertrauensschutz sei frühestens durch das Urteil des BSG vom 30.9.1999 (SKAT) eingeschränkt worden. Dieses Urteil habe er bei Ausstellung der hier betroffenen Verordnungen nicht kennen können; insoweit sei ihm zumindest Vertrauensschutz zuzubilligen. Im Übrigen seien die von ihm vorgenommenen Verordnungen auch nach den heute geltenden Maßstäben nicht zu beanstanden, weil die Voraussetzungen für einen indikationsüberschreitenden Einsatz von Polyglobin nach den im Beschluss des BVerfG vom 6.12.2005 formulierten Maßstäben erfüllt seien.

5

Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und auf die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. das Urteil des SG geändert und die Klage auch hinsichtlich der Verordnungen aus dem Quartal II/1999 abgewiesen. Die Anschlussberufung sei zulässig, obwohl diese sich nicht auf den Teil des Streitgegenstandes beziehe, der Gegenstand der Berufung des Klägers sei (Quartale III und IV/1999). Soweit das BSG die Auffassung vertrete, eine Anschlussberufung müsse sich innerhalb des Streitgegenstandes der Hauptberufung bewegen, sei dem nicht zu folgen. Dem Gegner des Berufungsführers müsse es möglich sein, durch Anschließung an die Berufung des Hauptberufungsführers eine Überprüfung des erstinstanzlichen Urteils zu erreichen, auch soweit ein Streitgegenstand betroffen sei, der von der Berufung des Klägers nicht erfasst werde.

6

Die Berufung der beigeladenen Krankenkasse sei aus denselben Gründen begründet wie diejenige des Klägers unbegründet. Der Beklagte sei berechtigt gewesen, auf der Grundlage des § 14 der für Berlin geltenden Prüfvereinbarung Arzneikostenregresse gegen den Kläger wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel festzusetzen. Das setze nach der gefestigten Rechtsprechung des BSG kein Verschulden des Vertragsarztes voraus. Auch ein Antrag der jeweils betroffenen Krankenkasse sei nicht erforderlich gewesen; soweit die Prüfvereinbarung etwas anderes vorschreibe, sei das nach der Rechtsprechung des BSG mit höherrangigem Recht nicht vereinbar und deshalb unwirksam. Aus diesem Grund habe das SG der Klage hinsichtlich des Quartals II/1999 zu Unrecht stattgegeben. Auf Vertrauensschutz könne der Kläger sich nicht berufen. Soweit der 8. Senat des BSG im Jahr 1999 ausgeführt habe, die Versicherten hätten im Anschluss an das Urteil des 1. Senats des BSG vom 15.7.1995 zumindest bis zur Veröffentlichung des Urteils aus dem Jahre 1999 darauf vertrauen dürfen, dass sie mit Arzneimitteln auch außerhalb des durch die Zulassung nach dem Arzneimittelgesetz (AMG) bestimmten Indikationsbereichs versorgt werden dürften, könne dem nicht gefolgt werden. Schließlich führe auch der Beschluss des BVerfG vom 6.12.2005 nicht zu einer anderen Beurteilung, weil die Wirksamkeit von Polyglobin zur Behandlung der nach Auffassung des Klägers bei der Patientin H. vorhandenen Antikörperstörung nicht belegt sei (Urteil vom 26.11.2008).

7

Mit seiner Revision rügt der Kläger in verfahrensrechtlicher Hinsicht die Entscheidung des Berufungsgerichts, die Anschlussrevision der Beigeladenen zu 2. als zulässig anzusehen. Diese Berufung sei nach Ablauf der auch für diese Beigeladene geltenden Berufungsfrist von einem Monat nach Zustellung des sozialgerichtlichen Urteils eingelegt worden. Als unselbstständige Anschlussberufung sei sie nicht zulässig, weil sie sich nicht auf den Gegenstand der von ihm - dem Kläger - eingelegten Hauptberufung beziehe. Nach der Rechtsprechung des BSG dürfe nach Ablauf der für die Beteiligten geltenden Berufungsfrist der Streitgegenstand des Berufungsverfahrens nicht mehr erweitert werden. Seine - des Klägers - Verordnungen in den drei streitbefangenen Quartalen bildeten jeweils unterschiedliche Streitgegenstände, was das SG im Ausgangspunkt zutreffend dadurch zum Ausdruck gebracht habe, dass es den Regressbescheid hinsichtlich des Quartals II/1999 aufgehoben und hinsichtlich der in den beiden folgenden Quartalen ausgestellten Verordnungen für rechtmäßig gehalten habe. Deshalb sei der angefochtene Regressbescheid hinsichtlich der Verordnungen aus dem Quartal II/1999 dem Berufungsgericht mit seiner - des Klägers - (Haupt)Berufung nicht angefallen und habe durch die zu 2. beigeladene Krankenkasse nach Ablauf der Berufungsfrist nicht mehr in das Berufungsverfahren einbezogen werden können.

8

Im Übrigen sei das Urteil des LSG fehlerhaft, soweit es die Regresse für rechtmäßig gehalten habe. Der vom Berufungsgericht herangezogene § 14 Abs 1 der Prüfvereinbarung sei schon generell keine tragfähige Grundlage für einen Regress wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel. Die Prüfvereinbarung regele lediglich Verstöße gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot sowie Regresse wegen schuldhafter Verursachung eines "sonstigen Schadens". Der in der Rechtsprechung des BSG zugelassene Regress wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Mittel hätte in der Prüfvereinbarung zwar geregelt werden können, sei dort tatsächlich aber nicht geregelt worden.

9

Weiterhin sei der angefochtene Bescheid fehlerhaft, weil im Prüfungsausschuss wie im Beschwerdeausschuss jeweils unter Vorsitz eines Vertreters der Krankenkassen entschieden worden sei. Die Krankenkassenvertreter hätten eine Vertagung der Entscheidung des Beklagten in einer Sitzung unter Vorsitz eines Vertreters der Ärzte herbeigeführt, um so zu erreichen, dass über die Widersprüche des Klägers gegen die Entscheidung des Prüfungsausschusses, die unter Vorsitz eines Vertreters der Krankenkassen getroffen worden sei, erneut unter Vorsitz eines Vertreters der Krankenkassen entschieden werde. Das sei unzulässig. Die Vorschriften über den wechselnden Vorsitz im Prüfungs- und Beschwerdeausschuss nach § 106 SGB V aF könnten nur so verstanden werden, dass jedenfalls über Entscheidungen des Prüfungsausschusses, bei denen ein Vertreter der Krankenkassen den Vorsitz gehabt habe, in der Besetzung des Beschwerdeausschusses mit einem Vorsitzenden aus den Reihen der Vertragsärzte entschieden werden müsse.

10

Die Verordnung von Polyglobin sei zur Behandlung der bei der Versicherten H. vorhandenen lebensbedrohlichen Karzinomerkrankung notwendig gewesen. Zwar sei der Einsatz von Polyglobin nicht unmittelbar zur Heilung der Tumorerkrankung bzw zur Linderung der damit verbundenen Beschwerden erfolgt, doch habe die Versicherte unter einer Antikörperstörung gelitten, die eine Chemotherapie unmöglich gemacht habe, die ihrerseits zur Behandlung des Tumorgrundleidens erforderlich gewesen sei. Der Einsatz von Polyglobin habe die Voraussetzungen für eine Fortsetzung der Chemotherapie schaffen sollen, und seine Rechtmäßigkeit müsse deshalb aus medizinischen Gründen nach denselben Maßstäben beurteilt werden wie die Verordnung von Arzneimitteln zur kausalen Krebstherapie. Jedenfalls habe er - der Kläger - darauf vertrauen dürfen, dass im Hinblick auf die Rechtsprechung des BSG auch der die Indikationsgrenzen überschreitende Einsatz generell zugelassener Arzneimittel (Off-Label-Use) im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung möglich gewesen sei. Das habe der 1. Senat des BSG im Juli 1995 zum Einsatz des Codeinpräparates Remedacen zur Drogensubstitution entschieden, und der 8. Senat des BSG, der mit dieser Rechtsprechung nicht einverstanden gewesen sei, habe im Jahr 1999 für die Zeit bis zur Verkündung seiner Entscheidung den Versicherten Vertrauensschutz zugebilligt. Auf diesen Vertrauensschutz könne er - der Kläger - sich hier auch berufen. Soweit der 6. Senat des BSG im Mai 2006 entschieden habe, Vertrauensschutzaspekte spielten insoweit keine Rolle, weil Vertragsärzte, die Arzneimittel außerhalb der Zulassungsindikationen einsetzen wollten, gehalten seien, ein Privatrezept auszustellen und die Versicherten bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche gegen die Krankenkasse zu unterstützen, sei das auf die hier maßgebliche Rechtslage des Jahres 1999 nicht übertragbar. Zu diesem Zeitpunkt sei nach § 29 Abs 1 Satz 2 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) die Genehmigung von Verordnungen durch eine Krankenkasse unzulässig gewesen. In Verbindung mit der Rechtsprechung des 1. Senats des BSG zu Remedacen habe sich daraus die Berechtigung von Vertragsärzten ergeben, den Off-Label-Use-Einsatz im regulären Verfahren durch Ausstellen von vertragsärztlichen Verordnungen zu praktizieren. Soweit das LSG bemängelt habe, das bei der Versicherten H. vorliegende Antikörpermangelsyndrom, das letztlich den Einsatz von Polyglobin erforderlich gemacht habe, sei nicht ausreichend belegt, könne dem nicht gefolgt werden. Entgegen der Auffassung des LSG seien laborchemische Untersuchungen zum Nachweis dieses Antikörpermangelsyndroms verzichtbar.

11

Der Kläger beantragt,

die Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 26.11.2008 und des Sozialgerichts Berlin vom 9.2.2005, soweit hier die Klage abgewiesen wurde, sowie den Bescheid des Beklagten vom 12.12.2001 aufzuheben,

hilfsweise, die Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 26.11.2008 und des Sozialgerichts Berlin vom 9.2.2005 sowie den Bescheid des Beklagten vom 12.12.2001 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, über den Widerspruch des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu entscheiden,

weiter hilfsweise, das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 26.11.2008 aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

12

Der Beklagte und die Beigeladene zu 2. beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

13

Zutreffend habe das Berufungsgericht entschieden, dass die Partner der Prüfvereinbarungen nicht einmal berechtigt gewesen wären, Arzneikostenregresse wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel vom Verschulden des Vertragsarztes abhängig zu machen. Entgegen der Auffassung des Klägers habe die maßgebliche Prüfvereinbarung aus dem Jahre 1994 nicht vorgeschrieben, dass eine unter dem Vorsitz eines Kassenvertreters getroffene Entscheidung vom Beschwerdeausschuss nur unter dem Vorsitz eines Vertreters der Ärzte überprüft werden dürfe. Eine solche Regelung wäre auch nicht praktikabel gewesen und hätte die Dauer der Prüfverfahren erheblich verlängert. Die Ausführungen des Klägers hinsichtlich seines Vertrauens auf bestimmte Entscheidungen des BSG seien irrelevant. Es sei lebensfremd, dass ein Vertragsarzt die einzelnen Entwicklungsschritte der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Kenntnis nehme und sein Verordnungsverhalten daran ausrichte. Eine Ausnahmelage im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG vom 6.12.2005 habe in den streitbefangenen Quartalen bei der Versicherten H. nicht bestanden.

14

Die zu 2. beigeladene Krankenkasse hält das Urteil des LSG ebenfalls für zutreffend. Zu Recht habe das LSG ihre Anschlussberufung als zulässig angesehen. Folge man der Auffassung des Klägers, gebe es für die Anschlussberufung im sozialgerichtlichen Verfahren überhaupt keinen Anwendungsbereich, weil die Hauptberufung regelmäßig nur insoweit erhoben werde, als der Rechtsmittelführer durch das sozialgerichtliche Urteil beschwert sei. Für eine Anschlussberufung sei dann kein Raum, weil im Rahmen der Beschwer des Klägers der Anschlussberufungsführer selbst mit dem angefochtenen Urteil einverstanden sei. Ein Grund für eine derart restriktive Handhabung entgegen der Rechtsprechung in den anderen Gerichtszweigen sei nicht erkennbar.

Entscheidungsgründe

15

Die Revision des Klägers hat teilweise Erfolg. Zu Recht rügt er, dass das Berufungsgericht über den angefochtenen Bescheid des Beklagten hinsichtlich der Verordnungen aus dem Quartal II/1999 in der Sache entschieden habe. Insoweit ist die zugunsten des Klägers ergangene Entscheidung des SG rechtskräftig geworden, weil die Beigeladene zu 2. innerhalb der Berufungsfrist keine Berufung eingelegt hat. Ihre Anschlussberufung war unzulässig (1). Keinen Erfolg hat die Revision dagegen hinsichtlich der Verordnungen in den Quartalen III und IV/1999. Insoweit hat das LSG die Berufung des Klägers gegen das sozialgerichtliche Urteil zu Recht zurückgewiesen. Der angefochtene Bescheid des Beklagten ist rechtmäßig (2).

16

1. Die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. vom 28.11.2006 war unzulässig. Das Berufungsgericht hätte auf diese Anschlussberufung hin nicht in eine Sachprüfung des angefochtenen Bescheides im Hinblick auf die Verordnungen des Klägers aus dem Quartal II/1999 eintreten dürfen. Insoweit war das der Klage stattgebende Urteil des SG nämlich bereits rechtskräftig geworden.

17

a. Die Berufung der beigeladenen Krankenkasse hätte nur als Anschlussberufung iS des § 202 SGG iVm § 524 ZPO zulässig sein können. Eine eigenständige Berufung wäre wegen Versäumung der Berufungsfrist des § 151 Abs 1 SGG unzulässig. Das Urteil des SG ist der Beigeladenen zu 2. am 16.3.2005 zugestellt worden; die Monatsfrist des § 151 Abs 1 SGG ist durch die Einlegung der Berufung am 28.11.2006 nicht gewahrt worden.

18

Die Berufungsfrist des § 151 Abs 1 SGG gilt nicht für die Anschlussberufung, die nach der Rechtsprechung des BSG auch in der Sozialgerichtsbarkeit statthaft ist(BSGE 63, 167, 169 = SozR 1500 § 54 Nr 85; Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer (Hrsg), SGG 9. Aufl 2008, § 143 RdNr 5). Die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. war hier aber unzulässig, weil sie nicht den gleichen prozessualen Anspruch wie die Hauptberufung des Klägers betroffen, sondern einen neuen Streitgegenstand in das Berufungsverfahren eingeführt hat. Das ist nach der Rechtsprechung aller mit dieser Rechtsfrage bisher befassten Senate des BSG ausgeschlossen (zB Urteil des 9. Senats vom 8.7.1969 = SozR Nr 12 zu § 521 ZPO; 6. Senat vom 19.6.1996 - 6 RKa 24/95 - = USK 96131) Diese Entscheidungen sind zu Ansprüchen ergangen, die Gegenstand des Klageverfahrens, aber nicht der Hauptberufung waren. Das Urteil des 4. Senats vom 10.2.2005 - B 4 RA 48/04 R - betrifft einen mit der Anschlussberufung geltend gemachten Anspruch, der nicht einmal Gegenstand des Klageverfahrens gewesen ist. Die Rechtsauffassung des BSG zur Begrenzung der Anschlussberufung auf den Streitgegenstand der Hauptberufung wird in den Kommentaren zum SGG - soweit ersichtlich ohne Ausnahme - geteilt (Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 143 RdNr 5d; Eckertz in: Lüdtke, Handkommentar Sozialgerichtsgesetz, 3. Aufl 2009, § 143 RdNr 37; Behn in: Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, 87. Ergänzungslieferung, Stand: Mai 2009 - Gesamtwerk, § 143 RdNr 68 f; Frehse in: Jansen, SGG, 3. Aufl 2009, § 143 RdNr 7; Waschull in: Berchtold/Richter, Prozesse in Sozialsachen, 2009, § 6 RdNr 130). Nach Bernsdorff (in: Hennig, SGG, Stand Februar 2009 - Gesamtwerk - § 143 RdNr 27) liegt keine Anschlussberufung vor, wenn sich der Antrag des Berufungsbeklagten bei teilbarem Streitgegenstand gegen einen anderen als den mit der Berufung angegriffenen Teil des erstinstanzlichen Urteils richtet (ähnlich Breitkreuz in: Breitkreuz/Fichte, SGG, 2009, § 143 RdNr 24).

19

b. Bei Anwendung dieser Rechtsauffassung ist die Anschlussberufung unzulässig, wie das LSG zutreffend angenommen hat. Die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. betrifft einen anderen Streitgegenstand als die Hauptberufung, weil diese die Verordnungen des Klägers aus den Quartalen III/1999 und IV/1999, jene aber solche aus dem Quartal II/1999 erfasst. Vertragsärztliche Honorarbescheide sowie Bescheide der Gremien der Wirtschaftlichkeitsprüfung ergehen quartalsbezogen und enthalten, wenn Entscheidungen mehrere Quartale betreffen (vgl zB BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 30/08 R - RdNr 24 mwN, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen), verschiedene Regelungen iS des § 31 Satz 1 SGB X. Selbst innerhalb eines Bescheides für ein Quartal können zahlreiche eigenständige "Regelungen" ergehen, die selbstständig anfechtbar sind. Das hat der Senat in einem Urteil vom 23.2.2005 (SozR 4-1500 § 92 Nr 2) für einen Honorarbescheid näher dargelegt; in dem schon zitierten Urteil vom 19.6.1996 (6 RKa 24/95) hat der Senat das in Bezug auf einen Bescheid zur Wirtschaftlichkeitsprüfung hinsichtlich von Kürzungen für bestimmte Leistungen bzw Leistungssparten als selbstverständlich vorausgesetzt und im Urteil vom 16.7.2008 ausdrücklich ausgesprochen (BSGE 101, 130 = SozR 4-2500 § 106 Nr 19, RdNr 25 am Ende).

20

Diese Rechtsprechung kann allerdings nicht ohne Weiteres auf Kostenregresse wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel übertragen werden. Derartige Regressbescheide können quartalsbezogen ergehen, etwa wenn ein Arzt über einen längeren Zeitraum hinweg bestimmte Medikamente für zahlreiche Patienten verordnet. Zwingend ist die Bindung eines Kostenregresses ebenso wie eines Regresses wegen eines sog "sonstigen Schadens" an den Quartalsturnus indessen nicht und bietet sich gerade in Konstellationen nicht an, in denen es um die Behandlung eines Versicherten mit einem umstrittenen Medikament über mehrere Quartale geht. Ein solcher Fall ist hier zu beurteilen, und sowohl der Regressantrag der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2. wie die Entscheidungen des Prüfungsausschusses und des Beklagten haben nicht nach den drei betroffenen Quartalen differenziert und mussten das auch nicht.

21

Ursprünglich bildete deshalb der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Aufhebung der - Verordnungen aus drei Quartalen erfassenden - Entscheidung des Beklagten vom 12.12.2001 den Streitgegenstand des gerichtlichen Verfahrens. Das SG hat diesen einheitlichen Streitgegenstand jedoch getrennt und die Regressfestsetzung je nach Zuordnung der beanstandeten Verordnungen des Klägers zu den Quartalen II/1999 einerseits sowie III und IV 1999 andererseits unterschiedlich beurteilt. Anlass dazu hat dem SG die (mittelbar) quartalsbezogene Regelung über die Antragsfrist der Krankenkasse in § 14 Abs 2 der maßgeblichen Prüfvereinbarung gegeben. Weil offenbar die Krankenkassen die Verordnungen aus jedem Quartal zusammengefasst zu einem bestimmten Termin erhalten, der wiederum für den Beginn der Antragsfrist nach § 14 Abs 2 von Bedeutung ist, konnte nach Ansicht des SG die Prüfung der Einhaltung dieser Frist nur differenziert für jedes Quartal erfolgen. Das Urteil des SG hat inzident die angefochtene Entscheidung des Beklagten in zumindest zwei Regelungen iS des § 31 Satz 1 SGB X aufgespalten, nämlich hinsichtlich der aus dem Quartal II/1999 und hinsichtlich der aus den Quartalen III/1999 sowie IV/1999 stammenden Verordnungen des Klägers. Bundesrecht ist dadurch nicht verletzt, und das SG hat durch den Tenor seines Urteils die Beteiligten über das gerichtliche Vorgehen hinreichend deutlich informiert.

22

Damit bestand bei Zustellung des SG-Urteils eine Rechtslage, wie sie derjenigen bei Honorarfestsetzungen oder Kürzungs- bzw Regressbescheiden entspricht, die von vornherein mehrere Quartale erfassen. Für jedes dieser Quartale ist (mindestens) eine Regelung angefochten, deren prozessuales Schicksal von demjenigen für die anderen Quartale abweichen kann; die Regelung für jedes Quartal bildet einen eigenständigen Streitgegenstand. Als Folge der Hauptberufung des Klägers war der angefochtene Bescheid des Beklagten Gegenstand des Berufungsverfahrens nur hinsichtlich der aus den Quartalen III/1999 und IV/1999 stammenden Verordnungen; das ist dem Antrag des Klägers im LSG-Verfahren deutlich zu entnehmen. Die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. hat mit der Entscheidung des Beklagten über die aus dem Quartal II/1999 stammenden Verordnungen einen neuen Streitgegenstand in das Berufungsverfahren eingeführt. Das ist nach der bisherigen Rechtsprechung des BSG nicht zulässig. Ein Anlass, von dieser Rechtsprechung abzuweichen, ist nicht ersichtlich.

23

c. Kein durchgreifendes Bedenken ergibt sich aus dem Hinweis der Beigeladenen zu 2., auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des BSG bleibe für die Anschlussberufung nur ein sehr begrenzter Anwendungsbereich. Wenn die Anschlussberufung nur innerhalb des prozessualen Anspruchs erhoben werden kann, der Gegenstand der Hauptberufung ist, kommt im vertragsärztlichen Bereich bei Honorarkürzungen bzw Arzneikostenregressen eine Anschlussberufung typischerweise nur dann in Betracht, wenn das SG auf die Klage die zuständige Behörde zur Neubescheidung nach bestimmten Maßgaben verurteilt und der Kläger mit seiner Berufung die endgültige Aufhebung der ihn belastenden Bescheide begehrt. Dieser Berufung können sich dann die KÄV, der Beschwerdeausschuss oder die beigeladenen Krankenkassen (bzw Krankenkassenverbände) mit dem Antrag anschließen, die Klage in vollem Umfang abzuweisen, auch nachdem die für sie laufende Berufungsfrist abgelaufen ist. Alle übrigen Regelungen der ursprünglich angefochtenen Entscheidung, über die das SG entschieden hat, ohne dass ein Beteiligter das mit der Berufung angefochten hat, die also etwa andere Leistungspositionen oder andere Quartale betreffen, werden dagegen bestandskräftig. Das ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts im vertragsärztlichen Bereich richtig und praktikabel.

24

Auf der Grundlage der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts bliebe dagegen möglicherweise während der gesamten Dauer eines Berufungsverfahrens offen, ob Regelungen in Kürzungs- oder Regressbescheiden, die nicht Gegenstand der Hauptberufung sind, bestandskräftig werden oder nicht. Soweit etwa in einer Entscheidung des Beschwerdeausschusses Honorarkürzungen oder Arzneikostenregresse für eine größere Zahl von Quartalen auf der Grundlage einer Vielzahl von Entscheidungen des Prüfungsausschusses (oder der Prüfungsstelle iS des § 106 Abs 4 Satz 1 SGB V idF des GKV-WSG vom 26.3.2007) zusammengefasst worden sind, bleibt deren Bestandskraft über Jahre hinweg offen, auch wenn nur eine Detailregelung hinsichtlich eines einzelnen Quartals Gegenstand des Berufungsverfahrens ist. Das ist sowohl für den beteiligten Vertragsarzt wie für die KÄV und die Krankenkassen als Kostenträger schwierig zu handhaben, weil ggf Rückstellungen gebildet werden müssten und Beträge nicht verbucht werden könnten.

25

Ein tatsächliches Bedürfnis, diese Rechtsfolgen in Kauf zu nehmen, um den Beteiligten bis zum Abschluss der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz die Möglichkeit der Anschlussberufung auch außerhalb des prozessualen Anspruchs, der Gegenstand der Hauptberufung ist, offen zu halten, vermag der Senat nicht zu erkennen. Ob Honorarkürzungs- oder Regressbescheide, die verschiedene Regelungen iS des § 31 Satz 1 SGB X zum Inhalt haben und häufig mehrere Quartale betreffen, einzeln angegriffen oder durch die Widerspruchsstelle zusammengefasst bzw im gerichtlichen Verfahren auf der Grundlage des § 113 Abs 1 SGG verbunden werden, ist eine Frage der Praktikabilität. Jeder Verfahrensbeteiligte hat nach Bekanntgabe des das Verwaltungsverfahren abschließenden Bescheides oder des erstinstanzlichen Urteils eine Frist von einem Monat, innerhalb der er prüfen und entscheiden kann, ob und ggf inwieweit er die Entscheidung der Behörde bzw des erstinstanzlichen Gerichts hinnehmen will oder nicht. Ein berechtigtes Interesse, Monate oder sogar Jahre nach Einlegung der Berufung des Gegners noch Regelungen der gerichtlichen Überprüfung des LSG zuführen zu können, zu denen die Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts zunächst hingenommen worden ist, besteht nicht.

26

d. Zudem kann die prozessuale Sicht des Berufungsgerichts die Entscheidungsreife der Berufung in Frage stellen, jedenfalls soweit keine Frist für die Anschlussberufung normiert ist. Während nach § 127 Abs 2 Satz 2 VwGO die Anschließung nur bis zum Ablauf eines Monats nach Zustellung der Berufungsbegründungsschrift zugelassen wird, besteht keine ebensolche Bestimmung im SGG. Die VwGO-Vorschrift soll nach vorherrschender Auffassung auf das sozialgerichtliche Verfahren nicht übertragen werden können, weil dafür eine rechtliche Grundlage fehlt. Vergleichbares wird hinsichtlich der ähnlichen Frist des § 524 Abs 2 Satz 2 ZPO angenommen, die immerhin über § 202 SGG grundsätzlich im sozialgerichtlichen Verfahren angewandt werden könnte(vgl Leitherer, aaO, § 143 RdNr 5 f). Nach dieser Vorschrift ist die Anschlussberufung zulässig bis zum Ablauf der dem Berufungsbeklagten gesetzten Frist zur Berufungserwiderung. Eine dem § 521 Abs 1 ZPO entsprechende Vorschrift über die Zustellung der Berufungsschrift und der Berufungsbegründungsschrift an den Gegner kennt das SGG nicht. Die entsprechende Anwendung des § 524 Abs 2 Satz 2 ZPO über § 202 SGG setzt aber die Zustellung mindestens der Berufungsbegründung an den Gegner voraus, damit Klarheit über den Beginn der Frist für die Einlegung der Anschlussberufung besteht. Die Anwendung von Ausschlussfristen im sozialgerichtlichen Verfahren ohne explizite normative Grundlage ist unter dem Gesichtspunkt der Garantie des effektiven Rechtsschutzes (Art 19 Abs 4 Satz 1, Art 103 Abs 1 GG) problematisch, sodass ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung, die auch in der Anordnung einer entsprechenden Geltung des § 127 Abs 2 Satz 2 VwGO im SGG bestehen könnte, die Ausschlussfrist für die Anschlussberufung wohl nicht entsprechend angewandt werden kann. Das dürfte auch deshalb anzunehmen sein, weil im Berufungsverfahren der Sozialgerichtsbarkeit im Unterschied zu demjenigen in der Verwaltungs- und in der Zivilgerichtsbarkeit kein Vertretungszwang herrscht, und die Vorschriften über die Zustellung von Berufungs- und Berufungsbegründungsschriften sowie daran anknüpfende Fristen auf einen durch professionelle Bevollmächtigte geführten Prozess zugeschnitten sind.

27

Würde - was das LSG nicht erwogen hat - auf der Grundlage einer analogen Anwendung des § 127 Abs 2 Satz 2 VwGO im sozialgerichtlichen Verfahren auf den Nachweis der Zustellung der Berufungsbegründungsschrift verzichtet und der Nachweis ihrer tatsächlichen Kenntnis für ausreichend gehalten, wäre die Anschlussberufung der zu 2. beigeladenen Krankenkasse hier ebenfalls unzulässig. Diese hat, wie sich aus ihrer Reaktion im Berufungsverfahren vom 4.4.2006 ergibt, Monate vor Einlegung der Anschlussberufung am 28.11.2006 Kenntnis von der Berufungsbegründung des Klägers gehabt. Die entsprechende Anwendung der Monatsfrist des § 127 Abs 2 Satz 2 VwGO würde dann ebenfalls zur Unzulässigkeit ihrer Berufung führen. Demgegenüber hätte die vom Berufungsgericht offenbar befürwortete unbefristete Zulassung der Anschlussberufung bis zur mündlichen Verhandlung zur Folge, dass das LSG trotz Entscheidungsreife der Hauptberufung den Rechtsstreit vertagen müsste, wenn zum Gegenstand der Anschlussberufung noch Sachaufklärungsbedarf besteht. Das könnte zu Verzögerungen der Entscheidung führen, die auch im Hinblick auf das Gebot der Gewährung von Rechtsschutz in angemessener Zeit (Art 6 Europäische Menschenrechtskonvention) möglichst zu vermeiden sind.

28

Diese Erwägungen geben dem Senat Anlass, trotz der gewichtigen Einwände des Berufungsgerichts an der bisherigen Rechtsprechung des BSG zur Anschlussberufung festzuhalten und von einer andernfalls gebotenen Anrufung des Großen Senats nach § 41 Abs 2 SGG im Hinblick auf die Rechtsprechung anderer Senate zum Gegenstand der Anschlussberufung im sozialgerichtlichen Verfahren abzusehen.

29

2. Im Übrigen erweist sich die Revision des Klägers aber als unbegründet.

30

a. Das Berufungsgericht hat angenommen, § 14 Abs 1 iVm Abs 3 der seit dem Jahre 1994 geltenden und für die Verordnungen des Klägers im Jahre 1999 noch anwendbaren Prüfvereinbarung für den Bezirk der zu 1. beigeladenen KÄV Berlin gestatte die Festsetzung von Arzneikostenregressen, soweit der Vertragsarzt Arzneimittel verordnet hat, die in der vertragsärztlichen Versorgung nicht verordnungsfähig sind. Die Kenntnis des Vertragsarztes von der fehlenden Verordnungsfähigkeit oder generell ein Verschulden des Arztes sei insoweit nicht Voraussetzung für die Festsetzung eines Regresses. Soweit der Kläger § 14 der Prüfvereinbarung anders versteht und annimmt, diese Norm erfasse nur Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung bzw die Festsetzung eines verschuldensabhängigen "sonstigen Schadens" und nicht die Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel, ist dem im Revisionsverfahren nicht weiter nachzugehen. Die Prüfvereinbarung stellt Landesrecht iS des § 162 SGG dar, das das Revisionsgericht in der Auslegung des Berufungsgerichts seiner Entscheidung zugrunde zu legen hat. Von diesem Grundsatz sind in der Rechtsprechung des BSG zwei Ausnahmen anerkannt. Danach können landesrechtliche Normen vom Revisionsgericht eigenständig ausgelegt und angewandt werden, wenn es sich um Normen handelt, die inhaltsgleich in Bezirken verschiedener LSG gelten, soweit die Übereinstimmung im Interesse der Rechtsvereinheitlichung bewusst und gewollt ist (BSG vom 8.9.2009 - B 1 KR 8/09 R - RdNr 26, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt. Es ist weder geltend gemacht noch gerichtsbekannt, dass die Berliner Prüfvereinbarung aus dem Jahr 1994 inhaltsgleich in anderen KÄV-Bezirken gilt.

31

Landesrechtliche Normen sind weiterhin einer eigenständigen Auslegung und Anwendung des BSG zugänglich, wenn das LSG entscheidungserhebliche Vorschriften unberücksichtigt gelassen hat (BSGE 98, 89 = SozR 4-2500 § 85 Nr 31, jeweils RdNr 15). Hier hat jedoch das LSG die als Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides ersichtlich einschlägige Vorschrift des § 14 der Prüfvereinbarung zutreffend herangezogen und unter Anwendung der allgemein anerkannten juristischen Auslegungskriterien ausgelegt. Der Kläger rügt auch keinen Verstoß gegen diese Auslegungsgrundsätze oder die Denkgesetze, sondern setzt der Auslegung des Berufungsgerichts seine abweichende Auslegung entgegen. Das führt nicht dazu, dass entgegen der Vorgabe des § 162 SGG das Revisionsgericht zu einer eigenständigen Auslegung berufen wäre.

32

Soweit § 14 der Prüfvereinbarung in der Auslegung des LSG eine hinreichende Grundlage für die Festsetzung von Arzneikostenregressen wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel darstellt, steht die Vorschrift mit Bundesrecht in Einklang. Der Senat hat mehrfach entschieden, dass auf der Grundlage des § 106 Abs 2 SGB V in den Prüfvereinbarungen Rechtsgrundlagen für Arzneikostenregresse festgeschrieben werden dürfen, soweit Vertragsärzte Arznei- und Heilmittel verordnet haben, die nicht Gegenstand der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung sind(zB BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 52; vgl zuletzt BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 37/08 R - RdNr 17 ff mwN, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Das stellt der Kläger selbst nicht in Abrede.

33

b. Soweit der Kläger in formeller Hinsicht weiter rügt, der angefochtene Bescheid des Beklagten sei fehlerhaft, weil er in einer Sitzung gefasst worden sei, in der ein Vertreter der Krankenkassen den Vorsitz innegehabt habe, kann dem nicht gefolgt werden. Weder die Prüfvereinbarung im Bezirk der zu 1. beigeladenen KÄV noch Bundesrecht haben vorgeschrieben, dass in den Jahren, in denen Prüfungs- und Beschwerdeausschüsse alternierend von einem Vertreter der Krankenkassen und der Vertragsärzte geleitet worden sind, Entscheidungen des Prüfungsausschusses, die unter ärztlichem Vorsitz getroffen worden sind, vom Beschwerdeausschuss nur unter Vorsitz eines Vertreters der Krankenkassen und umgekehrt überprüft werden dürfen.

34

Nach § 106 Abs 4 Satz 3 SGB V idF des Gesundheitsstrukturgesetzes vom 21.12.1992 führte in den von Vertretern der Ärzte und der Krankenkassen in gleicher Zahl besetzten Prüfungs- und Beschwerdeausschüssen jährlich wechselnd ein Vertreter der Ärzte und der Krankenkassen den Vorsitz. Die Stimme des Vorsitzenden gab bei Stimmengleichheit den Ausschlag (aaO, Satz 4). Diese als defizitär bewertete Regelung war manipulationsanfällig (vgl näher BSGE 92, 283 = SozR 4-2500 § 106 Nr 5 auch zur Neuregelung im Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung)und ist deshalb zum 1.1.2004 ohne Übergangsregelung in der Weise geändert worden, dass die Gremien nunmehr von einem neutralen Vorsitzenden geleitet werden. Für die Zeit bis zum 31.12.2003 galten aber die früheren Regelungen über den im Jahresturnus wechselnden Vorsitz fort, und diesen lag die Auffassung der Revision von einem notwendigen Wechsel im Vorsitz zwischen den beiden Verwaltungsinstanzen nicht zugrunde.

35

Der Kläger verweist selbst auf früher geltende Prüfvereinbarungen im Bezirk der KÄV Bayerns und der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Berlin, in denen bestimmt war, den Vorsitz im Beschwerdeausschuss führe ein Vertreter der Ärzte (Zahnärzte), wenn in dem zu entscheidenden Fall ein Vertreter der Krankenkassen den Vorsitz im Prüfungsausschuss inne hatte und umgekehrt. Dass eine solche Regelung im Bezirk der Beigeladenen zu 1. gegolten habe, macht der Kläger nicht geltend. Seine Auffassung, auch ohne ausdrückliche Regelung in der maßgeblichen Prüfvereinbarung ergebe sich dieser Grundsatz unmittelbar als Folge des § 106 Abs 4 Satz 3 SGB V aF über den turnusmäßigen Wechsel im Vorsitz von Prüfungs- und Beschwerdeausschuss, trifft nicht zu. Die Annahme einer solchen bundesrechtlichen Vorgabe hätte das Prüfverfahren verkompliziert und wäre ohne nähere Regelungen in den Prüfvereinbarungen kaum umsetzbar gewesen. Die Beschwerdeausschüsse hätten Beschlüsse über Entscheidungen der Prüfungsausschüsse möglicherweise zurückstellen müssen, weil im jeweiligen Jahr die "richtige" Besetzung nicht verfügbar gewesen wäre; alternativ hätte immer ein Vorsitzender der "Bank", die im jeweiligen Jahr im Beschwerdeausschuss nicht den Vorsitzenden stellt, zur Verfügung stehen müssen, um über Entscheidungen des Prüfungsausschusses zu beraten, die unter anderem Vorsitz getroffen worden sind. Ob die damit verbundenen formellen Erschwerungen des Prüfungsverfahrens bundesrechtlich unbedenklich gewesen wären, bleibt offen (zu den Grenzen des Gestaltungsspielraums der Gesamtvertragspartner bei Ausgestaltung der Prüfvereinbarung vgl BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 53 S 290 f). Eine Verpflichtung der Prüfgremien, ohne explizite Regelung in der Prüfvereinbarung so zu verfahren, hat jedenfalls nicht bestanden.

36

c. Soweit der Kläger geltend macht, die Entscheidung durch den Beklagten am 12.12.2001 sei nur deshalb unter dem Vorsitz eines Krankenkassenvertreters gefallen, weil die Kassenvertreter die ursprünglich vorgesehene Sitzung am 24.9.2001 boykottiert hätten, führt das zu keiner anderen Beurteilung. Da ein Arzt keinen Anspruch darauf hat, dass über seine Angelegenheit immer unter dem Vorsitz eines Arztes im Beschwerdeausschuss entschieden wird, wenn der Prüfungsausschuss unter dem Vorsitz eines Krankenkassenvertreters entschieden hat, stellt die Vertagung einer Sitzung auch dann grundsätzlich keinen Rechtsverstoß dar, wenn diese zur Folge haben sollte, dass der Vorsitz in der tatsächlich entscheidenden Sitzung wechselt. Im Übrigen hat das Berufungsgericht nicht iS des § 163 SGG festgestellt, dass die Vertagung der Entscheidung vom 24.9.2001 allein darauf beruht hat, dass die Krankenkassenvertreter erreichen wollten, dass über die Angelegenheit des Klägers in der Besetzung des Beschwerdeausschusses mit einem Vorsitzenden aus ihren Reihen entschieden wird. Schließlich ist im Hinblick auf die Rügen des Klägers zur Zusammensetzung des Beklagten bei der Beschlussfassung darauf hinzuweisen, dass die Krankenkassen nach der Rechtsprechung des Senats gegen Entscheidungen der Prüfgremien, mit denen ua Anträge auf Festsetzung von Honorarkürzungen oder Arzneikostenregressen abgelehnt werden, Rechtsmittel ergreifen können (zB BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 1 und BSG MedR 2004, 577, jeweils zu unzureichenden Kürzungen vertragszahnärztlichen Honorars; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 24 zum Sprechstundenbedarfsregress). Da vorliegend Ermessens- und Beurteilungsspielräume allenfalls am Rande in Rede stehen, spricht wenig dafür, dass die zu 2. beigeladene Krankenkasse eine - unterstellt für den Kläger positive - Entscheidung des Beklagten unter anderem Vorsitz auf sich hätte beruhen lassen.

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d. Der Kläger durfte über "Polyglobin 5 %" in den streitbefangenen Quartalen keine vertragsärztliche Verordnung ausstellen. Er hat dieses Arzneimittel außerhalb der arzneimittelrechtlichen Zulassung verordnet.

38

Die Zulassung von Polyglobin war nach den Feststellungen des LSG auf die Behandlung der idiopathischen thrombozytopenischen Purpura (Hautblutungen) beschränkt, und an dieser Erkrankung hat die Versicherte H. nicht gelitten. Ein Arzneimittel darf grundsätzlich nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung für einen Einsatz außerhalb der arzneimittelrechtlich zugelassenen Indikation verordnet werden. Das hat der 1. Senat des BSG mit Urteil vom 19.3.2002 (BSGE 89, 184 = SozR 3-2500 § 31 Nr 8) unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung entschieden und daran bis heute festgehalten (zB BSGE 93, 236 = SozR 4-2500 § 27 Nr 1). Der 6. Senat des BSG ist dem für die Festsetzung von Arzneikostenregressen gefolgt (vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 RdNr 19; vgl auch BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 37/08 R - RdNr 26, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).

39

Der Kläger kann sich zur Rechtfertigung seiner Verordnungen von Polyglobin weder auf Vertrauensschutz noch auf einen der Annahmetatbestände stützen, unter denen Arzneimittel vertragsärztlich auch außerhalb der zugelassenen Indikation verordnet werden dürfen. Der Kläger ist der Auffassung, Vertragsärzte hätten in der Zeit zwischen dem Urteil des 1. Senats vom 5.7.1995 zur Drogensubstitution mit dem Codein-Präparat Remedacen (BSGE 76, 194 = SozR 3-2500 § 27 Nr 5) und dem Bekanntwerden des Urteils des 8. Senats vom 30.9.1999 zur SKAT-Therapie (BSGE 85, 36 = SozR 3-2500 § 27 Nr 11) generell darauf vertrauen dürfen, Arzneimittel im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung auch außerhalb der Zulassungsindikationen nach dem Arzneimittelrecht verordnen zu dürfen. Dem folgt der Senat in Übereinstimmung mit dem Berufungsgericht nicht.

40

Es ist bereits fraglich, ob ein Vertragsarzt im Hinblick auf das zu der sehr speziellen Situation der Drogensubstitution ergangene Urteil des 1. Senats vom 5.7.1995 generell darauf vertrauen durfte, Arzneimittel auch außerhalb ihrer Zulassungsindikation verordnen zu dürfen. Allenfalls kommt ein Vertrauen darauf in Betracht, dass die Bindung der vertragsärztlichen Verordnung an die Zulassung des jeweiligen Fertigarzneimittels nach dem AMG in dem Sinne gelockert ist, dass in bestimmten Konstellationen eine die arzneimittelrechtliche Zulassung überschreitende Verordnung, die medizinisch sinnvoll oder sogar geboten ist, auch krankenversicherungsrechtlich zulässig sein kann. In diesem Sinne ist das Urteil des 8. Senats vom 30.9.1999 richtigerweise zu verstehen. Weitergehende Schlussfolgerungen aus diesem Urteil im Sinne eines uneingeschränkt erlaubten indikationsfremden Einsatzes von Fertigarzneimitteln liegen eher fern, zumal ein beliebiger, allein nach Gutdünken jedes einzelnen Arztes erfolgender, Einsatz eines Medikaments außerhalb der Zulassung nicht ernsthaft für sachgerecht gehalten werden kann .

41

e. Im Übrigen sind schon kurz nach Veröffentlichung des Urteils des 1. Senats vom 5.7.1995 zur Drogensubstitution in der Rechtsprechung des BSG Zweifel an der allgemeinen Aussagekraft dieses Urteils über den entschiedenen Fall hinaus artikuliert worden. Schon drei Monate nach dem Urteil des 1. Senats hat der allein für das Vertragsarztrecht zuständige erkennende Senat Bedenken gegen die Zulässigkeit des Einsatzes von Remedacen zur Drogensubstitution geäußert und auf die Problematik der Beachtung der Richtlinien des (früheren) Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen im Zusammenhang mit sog Außenseitermethoden hingewiesen (Urteil vom 18.10.1995, SozR 3-5550 § 17 Nr 2 S 5). In der Sache sind sodann die Grundsätze des Urteils vom 5.7.1995 durch die neuere Rechtsprechung des 6. und des 1. Senats zur Rechtsqualität der Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen, zur Methodenanerkennung nach § 135 Abs 1 SGB V und zum Zusammenhang zwischen dieser Anerkennung und den Prinzipien der Arzneimitteltherapie deutlich modifiziert worden(Urteil des 6. Senats vom 20.3.1996, BSGE 78, 70 = SozR 3-2500 § 92 Nr 6 "Methadon"; Urteile des 1. Senats vom 16.9.1997, BSGE 81, 54 = SozR 3-2500 § 135 Nr 4, BSGE 81, 73 = SozR 3-2500 § 92 Nr 7). Spätestens nach Bekanntwerden dieser Urteile war deutlich, dass die ältere Rechtsprechung des BSG zu den (untergesetzlichen) Vorgaben des Leistungs- und Leistungserbringungsrechts in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht mehr uneingeschränkt fortgeführt werden würde. Kein Vertragsarzt musste die aufgezeigten Wendungen der Rechtsprechung kennen oder nachvollziehen. Wer aber - wie der Kläger - geltend macht, Verordnungen aus dem Jahre 1999 im Vertrauen auf eine zu einer Sonderkonstellation ergangene und vereinzelt gebliebene Rechtsprechung des BSG aus dem Jahre 1995 getätigt zu haben, muss sich entgegenhalten lassen, dass sich die Rechtsprechung weiterentwickelt hat. Jedenfalls im Jahr 1999 hat es für einen Vertragsarzt erkennbar keine hinreichende Sicherheit mehr gegeben, nach eigener Einschätzung Off-Label-Use-Verordnungen ausstellen zu dürfen, ohne Gefahr zu laufen, insoweit in Regress genommen zu werden.

42

f. Zudem sind sowohl das Urteil des 1. Senats vom 5.7.1995, auf das sich der Kläger beruft, wie auch die folgenden Entscheidungen des 1. und des 8. Senats des BSG zu den Rechtsansprüchen von Versicherten gegen ihre Krankenkasse ergangen. Aus diesen Urteilen ergibt sich nicht unmittelbar, wie sich ein Vertragsarzt zu Arzneimittelverordnungen verhalten sollte, die erkennbar außerhalb der Zulassungsindikation des jeweiligen Arzneimittels erfolgten, von denen er aber annahm, sie könnten vom Patienten beansprucht werden. Dazu ist dem Urteil des erkennenden Senats vom 18.10.1995 (6 RKa 3/93) zur Drogensubstitution zu entnehmen, dass in solchen Fällen jedenfalls eine exakte Dokumentation und eine engmaschige Verlaufskontrolle der Behandlung geboten waren (SozR 3-5550 § 17 Nr 2 S 8; vgl auch BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 37/08 R - RdNr 39, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Damit ist es zB nicht vereinbar, auf laborchemische Untersuchungen zum Nachweis eines - vermeintlichen oder tatsächlich bestehenden - "Antikörpermangelsyndroms" zu verzichten, wenn die umstrittene Off-Label-Verordnung von Immunglobulinen gerade auf diese Diagnose reagiert.

43

Ein Vertragsarzt, der Medikamente außerhalb ihrer zugelassenen Indikationen verordnet, kann weder sich noch der Krankenkasse Gewissheit darüber verschaffen, dass die Verordnung den Vorgaben des Wirtschaftlichkeitsgebotes genügt, also notwendig, zweckmäßig und wirtschaftlich ist. Bei Off-Label-Verordnungen hat nämlich gerade keine Prüfung von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des jeweiligen Arzneimittels stattgefunden, die seinen Einsatz (auch) im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung rechtfertigt. Eine solche Prüfung ist im AMG nur indikationsbezogen vorgeschrieben und durchführbar; die von der Zulassung nach dem AMG ausgehende Schutzwirkung und Qualitäts- wie Wirksamkeitserwartung greift bei einem Einsatz des Medikaments außerhalb der Zulassung gerade nicht ein (vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 RdNr 19; s auch BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 37/08 - RdNr 27 ff, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Soweit danach ein Vertragsarzt Verordnungen ohne gesicherten Nachweis von Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels ausstellt, muss zwingend nachträglich geprüft werden dürfen, ob die jeweilige Verordnung den Regeln des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung entspricht. Wenn der Vertragsarzt davon absieht, in Fällen eines Off-Label-Use die Krankenkasse vor Ausstellung der Verordnung einzuschalten, wie es der Senat in einem Beschluss vom 31.5.2006 dargestellt hat (B 6 KA 53/05 B, MedR 2007, 557, 560), muss er hinnehmen, dass die Einhaltung der Vorgaben der vertragsärztlichen Versorgung im Nachhinein geprüft wird.

44

Der Beklagte hält dem Kläger - anders als dieser nahe legen will - keine schuldhafte Verletzung vertragsärztlicher Pflichten vor, die nunmehr sanktioniert wird. Der Beklagte hat lediglich die Position der zu 2. beigeladenen Krankenkasse bestätigt, dass sie objektiv zu Unrecht erhebliche Kosten für die Versorgung ihrer Versicherten H. mit einem Immunglobulin aufgewandt hat. Weil der Kläger der Beigeladenen zu 2. keine Gelegenheit gegeben hat, ihre Auffassung zur Rechtmäßigkeit des Einsatzes von Immunglobulinen bei der Versicherten H. vor Einlösung der Verordnungen darzulegen, muss es der Krankenkasse möglich sein, ihren Standpunkt nachträglich durchzusetzen, soweit er rechtlicher Prüfung standhält. Dazu sieht die Prüfvereinbarung im Einklang mit Bundesrecht das Verfahren der Regressfestsetzung vor. Soweit der Kläger geltend macht, nach dem im Jahr 1999 geltenden Recht habe er zu Gunsten der H. kein Privatrezept ausstellen dürfen, weil das gegen § 29 Abs 1 Satz 2 BMV-Ä verstoßen hätte, folgt der Senat dem nicht. Der Beschluss des Senats vom 31.5.2006 (MedR 2007, 557), der diesen Weg aufgezeigt hat, ist zu Off-Label-Use-Verordnungen aus dem Jahr 1997 ergangen. Auch 1997 und 1999 galt das Verbot, sich als Vertragsarzt vertragsärztliche Verordnungen einzeln genehmigen zu lassen; dieses Verbot hat sich - wie der Senat dargelegt hat - immer nur auf Verordnungen im Rahmen der Leistungspflicht der Krankenkassen bezogen. Wie die Rechtslage zu beurteilen wäre, wenn der Kläger im Sommer 1999 vergeblich bei der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2. angefragt und explizit um eine Entscheidung über das aus Sicht dieser Krankenkasse richtige Vorgehen gebeten hätte, kann offen bleiben. Der Kläger macht selbst nicht geltend, diesen Weg beschritten zu haben.

45

g. Der vom Beklagten aufrecht erhaltene Regress gegen den Kläger ist schließlich nicht deshalb rechtswidrig, weil der Versicherten H. bei Ausstellung der umstrittenen Verordnungen nach den Grundsätzen des Beschlusses des BVerfG vom 6.12.2005 (BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5) gegen die Rechtsvorgängerin der zu 2. beigeladenen Krankenkasse ein Anspruch auf Versorgung mit Polyglobin 5 % zugestanden hätte. Nach den Feststellungen des LSG liegen die tatsächlichen Voraussetzungen eines solchen, auf §§ 27 und 31 SGB V iVm Art 2 Abs 1 GG und dem Sozialstaatsprinzip bzw Art 2 Abs 2 Satz 1 GG und der hieraus abzuleitenden Schutzpflicht gegründeten Anspruchs nicht vor. Diese Feststellungen des LSG sind für den Senat nach § 163 SGG bindend, weil der Kläger dazu keine zulässigen Revisionsrügen angebracht hat.

46

Richtig ist allerdings der Ausgangspunkt der Revision: Wenn feststünde, dass H. nach den tatsächlichen Verhältnissen des Jahres 1999 einen Anspruch auf Versorgung mit Polyglobin als Sachleistung der Krankenkasse gehabt hätte, dürfte wegen der für diese Versorgung angefallenen Kosten kein Regress gegen den Kläger festgesetzt werden. Diese Konsequenz aus der Entscheidung des BVerfG hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 5.11.2008 zu Wobe Mugos (SozR 4-2500 § 106 Nr 21; ebenso BSG MedR 2010, 276) inzident angesprochen und hält daran fest. Der verschuldensunabhängige Schadensersatzanspruch der Krankenkasse gegen einen Vertragsarzt wegen unzulässiger Arzneimittelverordnungen beruht im Kern darauf, dass die Krankenkasse einen Ausgleich für die Bezahlung von Medikamenten erhält, die sie bei korrekten Verhalten des Arztes nicht hätte finanzieren müssen. Wenn sich nachträglich herausstellt, dass der Versicherte, zu dessen Gunsten der Vertragsarzt die umstrittenen Verordnungen ausgestellt hat, auf die Versorgung mit dem verordneten Arzneimittel einen Anspruch gegen seine Krankenkasse hatte, ist dieser durch die Bezahlung dieses Arzneimittels dem Grunde nach jedenfalls kein Schaden entstanden, den der Vertragsarzt nunmehr ersetzen müsste. Lässt sich allerdings nicht mit hinreichender Gewissheit feststellen, dass die Voraussetzungen für einen ausnahmsweise gerechtfertigten Off-Label-Use vorgelegen haben, geht das zu Lasten des Arztes. Er rückt, obwohl er sich nach der Ausrichtung des Verfahrens gegen einen Regress wendet, hinsichtlich der Verteilung von Darlegungs- und Beweislast in die Stellung ein, die der Versicherte gehabt hätte, wenn er seinen Standpunkt zur der Verordnungsfähigkeit eines Arzneimittels gegen die Krankenkasse nach § 13 Abs 3 SGB V im Wege der Geltendmachung eines Kostenerstattungsanspruchs durchsetzen müsste. Wer geltend machen will, der Versorgungsanspruch umfasse in einer bestimmten Konstellation auch die Versorgung mit zugelassenen Arzneimitteln außerhalb der Zulassungsindikationen, dringt damit nicht durch, wenn sich unter Ausschöpfung aller Möglichkeiten zur Sachaufklärung nicht feststellen lässt, dass die dafür insbesondere in der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG und inzwischen auch vom Gemeinsamen Bundesausschuss (§ 30 der Arzneimittel-Richtlinie iVm Anlage VI) formulierten Voraussetzungen vorgelegen haben. Das ist auch hier der Fall und geht zu Lasten des Klägers.

47

h. Das LSG ist in Übereinstimmung mit der Revision zutreffend davon ausgegangen, dass die Versicherte H. an einer lebensbedrohlichen Erkrankung (metastasierendes Karzinom der Eileiter) gelitten hat. Zu dessen kausaler Behandlung hätte bei Fehlen einer allgemein anerkannten, medizinischem Standard entsprechenden Behandlungsmethode nach der Rechtsprechung des BVerfG ein Arzneimittel auch außerhalb seiner Zulassungsindikation eingesetzt werden dürfen, wenn nach der vorhandenen Studienlage auf diese Weise die nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf positive Behandlungserfolge bestanden hätten (BVerfGE 115, 25, 49 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 RdNr 33). Das nimmt der Kläger selbst für die Verordnung von Polyglobin nicht an. Er geht vielmehr davon aus, dass die Versicherte H. an einem Antikörpermangel litt, der unbehandelt eine Fortführung der überlebensnotwendigen Chemotherapie ausgeschlossen hätte oder hat. Wenn die Rechtsprechung des BVerfG auf diese Konstellation Anwendung finden sollte, was der Senat entgegen der Auffassung des LSG nicht von vornherein für ausgeschlossen hält, müssen jedenfalls die Anforderungen an einen zulässigen Off-Label-Use entsprechend erfüllt sein. Es muss deshalb feststehen, dass der Patient neben der lebensbedrohlichen Erkrankung an einer weiteren Gesundheitsstörung leidet, die die Anwendung aller zur Behandlung des Hauptleidens in Betracht kommenden Behandlungsmöglichkeiten ausschließt. Weiterhin muss der Off-Label-Einsatz des anzuwendenden Arzneimittels mit gewisser Wahrscheinlichkeit die zweite Erkrankung so beeinflussen, dass eine Erfolg versprechende Behandlung des Hauptleidens wieder oder erstmals möglich wird. Schließlich darf es für die zweite Erkrankung keine anerkannten Behandlungsmöglichkeiten - zB mit entsprechend zugelassenen Arzneimitteln - geben. Diese Voraussetzungen sind hier jedenfalls nicht - wie es notwendig wäre, um der Klage zum Erfolg zu verhelfen - kumulativ erfüllt.

48

i. Erhebliche Zweifel bestehen bereits daran, ob das vom Kläger so bezeichnete "sekundäre Antikörpermangelsyndrom" eine eigenständige und hinreichende spezifische Erkrankung ist, die abgegrenzt vom Karzinomleiden behandelt werden kann und muss. Der Kläger hat dazu in den Tatsacheninstanzen nicht Präzises vorgetragen. Zudem steht nicht fest, dass die Patientin H. an einem Antikörpermangelsyndrom litt, das schulmedizinisch nicht behandelbar war. Die zur Abstützung dieser Diagnose und des Ausmaßes der Erkrankung möglichen laborchemischen Untersuchungen hat der Kläger nach den Feststellungen des LSG nicht durchgeführt oder veranlasst. Dazu mag er - wie die Revision geltend macht - berufsrechtlich nicht verpflichtet gewesen sein. Er hat damit aber im Hinblick auf den Off-Label-Use zur Unaufklärbarkeit des genauen Gesundheitszustandes der Versicherten H. in der zweiten Hälfte des Jahres 1999 beigetragen. Das geht zu seinen Lasten.

49

j. Außerdem fehlt es an ausreichenden Feststellungen bzw Belegen für das vom Kläger geltend gemachte Dilemma, die lebensbedrohliche Ersterkrankung nur durch die Behandlung der Zweiterkrankung mit Polyglobin 5 % therapieren zu können. Der Kläger setzt schon die Anforderungen an den Nachweis einer eigenständigen Zweiterkrankung zu niedrig an. Die Versicherte H. litt nach den Ausführungen des Klägers an einer "Verminderung der Immunitätslage" als Folge sowohl des Karzinomleidens als auch der aggressiven Chemotherapien. Darauf habe sie mit wiederholten schweren bakteriellen und viralen Infektionen reagiert, die er - der Kläger - als "Zeichen eines sekundären Antikörpermangels" gedeutet habe. Für keine dieser "wiederholten" Infektionen hat der Kläger im Verwaltungsverfahren oder in den Vorinstanzen jedoch konkret und eingehend belegt, dass diesen durch anerkannte Behandlungsverfahren nicht hätten effektiv entgegengewirkt werden können. Spezifische Darlegungen dazu, die dann dem LSG ggf Anlass zu weiterer Sachaufklärung hätten geben können, waren vor allem deshalb unerlässlich, weil der Kläger selbst einen Zusammenhang zwischen dem Krebsleiden und der Chemotherapie mit der geschwächten Immunitätslage der H. herstellt. Da nicht alle Patienten, deren Abwehrsystem durch Krebs und Chemotherapie geschwächt sind, mit Immunglobulin behandelt werden bzw nach dem gebotenen Behandlungsstandard behandelt werden müssen oder im Jahr 1999 so behandelt wurden oder behandelt werden mussten, hätte der Kläger fallbezogen und detailliert darlegen müssen, inwieweit sich die gesundheitliche Lage der H. von derjenigen anderer chemotherapeutisch behandelter Krebspatienten unterschied, und auf der Basis welcher exakten Befunde er die Anwendung von Polyglobin 5 % für unerlässlich hielt. Das ist nicht geschehen und spricht dafür, dass sich der Kläger von der Gabe eines Immunglobulins ganz generell eine Stärkung der Abwehrlage der H. und damit mutmaßlich eine bessere Resistenz gegen Infektionen versprach. Das reicht für einen Off-Label-Use, dessen Zulässigkeit jedenfalls in Fällen der hier vorliegenden Art von dem Gesundheitszustand des konkreten Patienten abhängt, nicht aus.

50

k. Schließlich ist die positive Wirkung, die der Kläger dem Einsatz von Immunglobulin bei fortgeschrittener Krebserkrankung zuschreibt, nach den Feststellungen des LSG auch nicht hinreichend belegt.

51

Das LSG hat im Einzelnen dargestellt, dass die bis 1999 zum Einsatz von Immunglobulinen vorhandenen Studien und publizierten Forschungsergebnisse nicht darauf hindeuten, dass die Gesundheitsstörungen der Versicherten H. durch den Einsatz von Polyglobin erfolgreich behandelt werden konnten. Das LSG ist zutreffend von den in der Rechtsprechung des 1. Senats des BSG ermittelten Grundsätzen zum Anspruch der Versicherten auf Versorgung mit (in Deutschland oder der EU) nicht zugelassenen Arzneimitteln (dazu BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4) oder mit Arzneimitteln außerhalb zugelassener Indikationen (BSGE 89, 184 = SozR 3-2500 § 31 Nr 8) ausgegangen. Es hat näher ausgeführt, dass keine wissenschaftliche Arbeit vorliege oder vom Kläger benannt sei, in der der zulassungsüberschreitende Einsatz von Immunglobulinen zur Behandlung einer auf der Intoleranz von Chemotherapeutika beruhenden Erkrankung als medizinisch geboten bewertet wird. Einen Konsens der einschlägigen Fachkreise, dass Polyglobin ein sekundäres Antikörpersyndrom positiv beeinflussen könne, hat das LSG gerade nicht feststellen können. Soweit die Revision die vorhandenen medizinischen Unterlagen lediglich anders würdigt, vermag sie damit die Feststellungen iS des § 163 SGG nicht zu entkräften.

52

Soweit der Kläger die Sachaufklärung des LSG zu den Erfolgsaussichten der Behandlung mit Immunglobulinen für unzureichend hält, berücksichtigt er nicht hinreichend, dass sich der 1. Senat des BSG bereits mehrfach mit dem Anspruch der Versicherten auf Versorgung mit Immunglobulinen befasst hat. In den Urteilen vom 19.3.2002 (BSGE 89, 184 = SozR 3-2500 § 31 Nr 8), vom 27.3.2007 (B 1 KR 17/06 R) und vom 28.2.2008 (SozR 4-2500 § 13 Nr 16), die sämtlich die Versorgung mit Immunglobulinpräparaten - jeweils bezogen auf die Indikation Multiple Sklerose - zum Gegenstand hatten, wird der Stand der medizinischen Forschung zu dieser Wirkstoffgruppe für die streitbefangenen Jahre 1997 bis 2003 eingehend aufgearbeitet. Zwar können die Forschungsergebnisse zur Möglichkeit, durch die Gabe von Immunglobulinen die Multiple Sklerose günstig zu beeinflussen, nicht ohne Weiteres auf die hier zu beurteilende Situation der unterstützenden Behandlung bei Krebserkrankungen übertragen werden, doch sind die Wirkungen und die in Frage kommenden Indikationen für Immunglobulin bezogen auf den hier relevanten Zeitraum gut erforscht und die Forschungsergebnisse - soweit krankenversicherungsrechtlich von Bedeutung - in der Rechtsprechung des BSG umfassend rezipiert worden. Zudem sind die Urteile des 1. Senats des BSG vom 27.3.2007 und vom 28.2.2008 Gegenstand der verfassungsgerichtlichen Prüfung gewesen. Mit Kammerbeschlüssen vom 30.6.2008 (1 BvR 1665/07 zum BSG-Urteil B 1 KR 17/06 R) und vom 8.7.2009 (1 BvR 1531/09 zum BSG-Urteil B 1 KR 15/07 R) sind die Verfassungsbeschwerden der unterlegenen Kläger jeweils nicht zur Entscheidung angenommen worden. Beide Kammerbeschlüsse sind auf der Basis der grundlegenden Entscheidung des BVerfG vom 6.12.2005 ergangen und billigen insbesondere, dass die Rechtsprechung des BSG strenge Anforderungen an den Nachweis stellt, dass mit dem zulassungsüberschreitenden Einsatz des jeweils betroffenen Arzneimittels hinreichende Erfolgsaussichten verbunden sein müssen (BVerfG vom 30.6.2008 - 1 BvR 1665/07 - NJW 2008, 3556 f RdNr 9 bis 11). Es reicht danach als Grundlage für einen Off-Label-Use von Arzneimitteln in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht aus, dass positive Folgen einer solchen Behandlung nach dem Wirkungsmechanismus von Immunglobulinen nicht schlechthin ausgeschlossen werden können, dass Patienten in Einzelfällen nach Verabreichung der umstrittenen Medikamente eine Verbesserung ihres Befindens beschreiben und dass einzelne Ärzte oder Wissenschaftler mit plausiblen Gründen einen von der verbreiteten Auffassung abweichenden Standpunkt zu den Erfolgsaussichten einer Behandlung vertreten. Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe und im Hinblick auf die schon vorliegende Rechtsprechung des 1. Senats des BSG ist die Sachverhaltsermittlung des Berufungsgerichts ausreichend.

53

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs 1 iVm § 155 Abs 1 VwGO und berücksichtigt das teilweise Obsiegen und Unterliegen der Beteiligten. Die außergerichtlichen Kosten der zu 1. beigeladenen KÄV sind nach § 162 Abs 3 VwGO nicht erstattungsfähig, weil diese keine Anträge gestellt hat(vgl BSGE 96, 257 = SozR 4-1300 § 63 Nr 3, RdNr 16).

(1) Die Verjährung wird gehemmt durch

1.
die Erhebung der Klage auf Leistung oder auf Feststellung des Anspruchs, auf Erteilung der Vollstreckungsklausel oder auf Erlass des Vollstreckungsurteils,
1a.
die Erhebung einer Musterfeststellungsklage für einen Anspruch, den ein Gläubiger zu dem zu der Klage geführten Klageregister wirksam angemeldet hat, wenn dem angemeldeten Anspruch derselbe Lebenssachverhalt zugrunde liegt wie den Feststellungszielen der Musterfeststellungsklage,
2.
die Zustellung des Antrags im vereinfachten Verfahren über den Unterhalt Minderjähriger,
3.
die Zustellung des Mahnbescheids im Mahnverfahren oder des Europäischen Zahlungsbefehls im Europäischen Mahnverfahren nach der Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens (ABl. EU Nr. L 399 S. 1),
4.
die Veranlassung der Bekanntgabe eines Antrags, mit dem der Anspruch geltend gemacht wird, bei einer
a)
staatlichen oder staatlich anerkannten Streitbeilegungsstelle oder
b)
anderen Streitbeilegungsstelle, wenn das Verfahren im Einvernehmen mit dem Antragsgegner betrieben wird;
die Verjährung wird schon durch den Eingang des Antrags bei der Streitbeilegungsstelle gehemmt, wenn der Antrag demnächst bekannt gegeben wird,
5.
die Geltendmachung der Aufrechnung des Anspruchs im Prozess,
6.
die Zustellung der Streitverkündung,
6a.
die Zustellung der Anmeldung zu einem Musterverfahren für darin bezeichnete Ansprüche, soweit diesen der gleiche Lebenssachverhalt zugrunde liegt wie den Feststellungszielen des Musterverfahrens und wenn innerhalb von drei Monaten nach dem rechtskräftigen Ende des Musterverfahrens die Klage auf Leistung oder Feststellung der in der Anmeldung bezeichneten Ansprüche erhoben wird,
7.
die Zustellung des Antrags auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens,
8.
den Beginn eines vereinbarten Begutachtungsverfahrens,
9.
die Zustellung des Antrags auf Erlass eines Arrests, einer einstweiligen Verfügung oder einer einstweiligen Anordnung, oder, wenn der Antrag nicht zugestellt wird, dessen Einreichung, wenn der Arrestbefehl, die einstweilige Verfügung oder die einstweilige Anordnung innerhalb eines Monats seit Verkündung oder Zustellung an den Gläubiger dem Schuldner zugestellt wird,
10.
die Anmeldung des Anspruchs im Insolvenzverfahren oder im Schifffahrtsrechtlichen Verteilungsverfahren,
10a.
die Anordnung einer Vollstreckungssperre nach dem Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz, durch die der Gläubiger an der Einleitung der Zwangsvollstreckung wegen des Anspruchs gehindert ist,
11.
den Beginn des schiedsrichterlichen Verfahrens,
12.
die Einreichung des Antrags bei einer Behörde, wenn die Zulässigkeit der Klage von der Vorentscheidung dieser Behörde abhängt und innerhalb von drei Monaten nach Erledigung des Gesuchs die Klage erhoben wird; dies gilt entsprechend für bei einem Gericht oder bei einer in Nummer 4 bezeichneten Streitbeilegungsstelle zu stellende Anträge, deren Zulässigkeit von der Vorentscheidung einer Behörde abhängt,
13.
die Einreichung des Antrags bei dem höheren Gericht, wenn dieses das zuständige Gericht zu bestimmen hat und innerhalb von drei Monaten nach Erledigung des Gesuchs die Klage erhoben oder der Antrag, für den die Gerichtsstandsbestimmung zu erfolgen hat, gestellt wird, und
14.
die Veranlassung der Bekanntgabe des erstmaligen Antrags auf Gewährung von Prozesskostenhilfe oder Verfahrenskostenhilfe; wird die Bekanntgabe demnächst nach der Einreichung des Antrags veranlasst, so tritt die Hemmung der Verjährung bereits mit der Einreichung ein.

(2) Die Hemmung nach Absatz 1 endet sechs Monate nach der rechtskräftigen Entscheidung oder anderweitigen Beendigung des eingeleiteten Verfahrens. Die Hemmung nach Absatz 1 Nummer 1a endet auch sechs Monate nach der Rücknahme der Anmeldung zum Klageregister. Gerät das Verfahren dadurch in Stillstand, dass die Parteien es nicht betreiben, so tritt an die Stelle der Beendigung des Verfahrens die letzte Verfahrenshandlung der Parteien, des Gerichts oder der sonst mit dem Verfahren befassten Stelle. Die Hemmung beginnt erneut, wenn eine der Parteien das Verfahren weiter betreibt.

(3) Auf die Frist nach Absatz 1 Nr. 6a, 9, 12 und 13 finden die §§ 206, 210 und 211 entsprechende Anwendung.

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 13. Oktober 2010 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1896 Euro festgesetzt.

Gründe

1

I. Der als Arzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Kläger wendet sich gegen einen Sprechstundenbedarfsregress für das Quartal IV/1994.

2

Der Kläger überschritt in diesem Quartal den Fachgruppendurchschnitt beim Sprechstundenbedarf (SSB) um 245 %. Nach Begutachtung der Verordnungsweise des Klägers durch den Prüfarzt und nach der Berücksichtigung von Quartalsschwankungen führte der Prüfungsausschuss die Überschreitung auf 100 % zurück und setzte entsprechend einen Regress in Höhe von 3709,78 DM fest (Beschluss vom 12.12.1995). Gegen diesen Bescheid (im Folgenden mit dem Beschlussdatum zitiert) legte der Kläger Widerspruch ein, begründete diesen gegenüber dem beklagten Beschwerdeausschuss aber nicht. Nachdem der Beklagte ihm Ende des Jahres 2003 sowie zu Beginn des Jahres 2004 Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hatte, berief sich der Kläger darauf, nach so langer Zeit besitze er keine Unterlagen aus dem maßgeblichen Quartal mehr, so dass es unzumutbar sei, dass dieser Fall wieder aufgenommen werde.

3

Der Beklagte wies den Widerspruch mit Beschluss vom 2.11.2005 zurück.

4

Klage- und Berufungsverfahren sind für den Kläger erfolglos geblieben. Das LSG ist seiner Auffassung, allein wegen des zwischenzeitlichen Zeitablaufs dürfe kein Regress festgesetzt werden, nicht gefolgt. Zwar habe das Verfahren vor dem beklagten Beschwerdeausschuss zehn Jahre lang gedauert, doch ergebe sich daraus nicht, dass die Regressbescheide rechtswidrig seien. Verjährung komme nach der Rechtsprechung des BSG bei Maßnahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung von vornherein nicht in Betracht. Die vierjährige Ausschlussfrist für die Festsetzung von Regressen wegen unwirtschaftlicher Verordnungen sei entweder durch den Bescheid des Prüfungsausschusses gewahrt bzw zumindest durch diesen Bescheid gehemmt oder unterbrochen worden, so dass sie noch nicht abgelaufen sei, als der Beklagte den das Verwaltungsverfahren abschließenden Bescheid erlassen habe. Auf Verwirkung könne sich der Kläger nicht berufen, weil die allgemeinen Regeln des bürgerlichen Rechts für die Verwirkung in den nach § 78 SGG als Widerspruchsverfahren anzusehenden Verfahren vor dem Beschwerdeausschuss nicht zur Anwendung kämen(Urteil vom 13.10.2010).

5

Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision macht der Kläger geltend, das berufungsgerichtliche Urteil weiche von der Rechtsprechung des BSG ab (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 2 SGG), und im Übrigen seien Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG).

6

II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Ob die vom Kläger erhobene Divergenzrüge den Zulässigkeitsanforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG entspricht, kann offen bleiben. Die Beschwerde ist jedenfalls unbegründet.

7

Der Kläger sieht in der Wendung des Berufungsgerichts, wonach die Entscheidung des Beschwerdeausschusses in einem Verfahren zur Prüfung der Wirtschaftlichkeit keine Ausübung eines Rechtes sei und deshalb nicht der Verwirkung unterliege, einen Widerspruch zu Ausführungen in Urteilen des früher zuständigen 14a Senats des BSG vom 16.6.1993 und des erkennenden Senats vom 5.5.2010. In diesen Entscheidungen ist ausgeführt, das Recht des Prüfungsausschusses, den Honoraranspruch endgültig und entsprechend dem Prüfergebnis anders als im Honorarbescheid festzusetzen bzw Verordnungsregresse zu verhängen, sei nicht auf ein Tun oder Unterlassen des Vertragsarztes gerichtet. Es sei jedenfalls kein Anspruch, sondern eher einem Gestaltungsrecht vergleichbar (vgl BSG vom 5.5.2010 - B 6 KA 5/09 R - SozR 4-2500 § 106 Nr 28 RdNr 18 ff mit Nachweisen zur älteren Rechtsprechung). Ob diese unterschiedlichen Akzentuierungen auf eine Abweichung iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG überhaupt hindeuten und dies vom Kläger hinreichend bezeichnet worden ist, bedarf keiner Entscheidung. In der Sache liegt jedenfalls keine Divergenz vor. Der Senat steht in ständiger Rechtsprechung auf dem Standpunkt, dass das Recht der Prüfgremien, Prüfbescheide zu erlassen, nicht der Verjährung unterliegt, weil die Prüfungsausschüsse vom Arzt kein bestimmtes Tun oder Unterlassen verlangen und nur darauf gerichtete Ansprüche nach § 194 Abs 1 BGB verjähren können. Diesen Gedanken hat das Berufungsgericht auf das Rechtsinstitut der Verwirkung übertragen und ausgeführt, der Verwirkung unterlägen nur Rechte, und die Verpflichtung der Prüfgremien, die Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebotes durch einen Vertragsarzt durchzusetzen, sei kein Recht in diesem Sinne. Das weicht erkennbar nicht von der Rechtsprechung des Senats ab, der formuliert hat, das "Recht" des Prüfungsausschusses, den Honoraranspruch endgültig festzusetzen, sei nicht auf ein Tun und Unterlassen des Vertragsarztes gerichtet, es sei jedenfalls kein Anspruch, sondern allenfalls einem Gestaltungsrecht vergleichbar. Insoweit liegt keine Divergenz in den entscheidungserheblichen Aussagen vor, auf denen das Berufungsurteil beruhen könnte.

8

Soweit der Kläger für grundsätzlich bedeutsam hält, ob das Verfahren vor dem Beschwerdeausschuss einer eigenständigen vierjährigen Ausschlussfrist mit der Folge unterliegt, dass immer dann, wenn das Verfahren nach Anrufung des Beschwerdeausschusses von diesem nicht innerhalb von vier Jahren durch einen Bescheid abgeschlossen ist, eine Honorarkürzung bzw ein Regress nicht mehr festgesetzt werden kann, fehlt es jedenfalls an der Klärungsbedürftigkeit. Auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des Senats zur Durchführung von Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung ergibt sich, dass eine solche Ausschlussfrist für den Abschluss des Verfahrens vor dem Beschwerdeausschuss nicht besteht. Der Senat hat seine Annahme, der das Prüfverfahren abschließende Bescheid der Wirtschaftlichkeitsprüfung müsse innerhalb von vier Jahren nach Festsetzung des von der Kürzungsmaßnahme betroffenen Honorars (bei Honorarkürzungen) bzw des geprüften Zeitraums (bei Verordnungsregressen) abgeschlossen werden, damit begründet, dass es für den Vertragsarzt unzumutbar sei, über einen längeren Zeitraum hinweg nicht zu wissen, ob sein Behandlungs- bzw Verordnungsverhalten Gegenstand von Maßnahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung ist (vgl BSG vom 5.5.2010 - B 6 KA 5/09 R - SozR aaO, RdNr 27 ff). Dieser Zustand des Nichtwissens ist hier durch den Bescheid des Prüfungsausschusses vom 12.12.1995, der dem Kläger weniger als zwei Jahre nach dem der Prüfung unterliegenden Quartal (IV/1994) zugegangen ist, beendet worden. Ab der Kenntnis von diesem Bescheid war das Vertrauen des Klägers, wegen seiner Verordnungsweise im Quartal IV/1994 nicht mit Maßnahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung rechnen zu müssen, zerstört. Nach Anrufung des Beschwerdeausschusses war dieser für die Durchführung des Verfahrens zuständig.

9

Der Beklagte hat allerdings seiner Verpflichtung, das Verfahren angemessen zu fördern und möglichst innerhalb der in § 88 Abs 2 SGG genannten Frist von drei Monaten abzuschließen, soweit dem keine Hinderungsgründe entgegenstehen, in keiner Weise entsprochen. Daraus ist jedoch nicht abzuleiten, dass er allein deshalb an der Festsetzung eines Regresses in Form der Bestätigung der Entscheidung des Prüfungsausschusses gehindert ist. Eine Frist, bis zu der ein Widerspruchsverfahren - das Verfahren vor dem Beschwerdeausschuss gilt als Widerspruchsverfahren (§ 106 Abs 5 Satz 6 SGB V) - abgeschlossen sein muss, ist gesetzlich nicht bestimmt und darf dementsprechend nicht allgemein von der Rechtsprechung vorgegeben werden. Die Beteiligten an dem Verfahren vor dem Beschwerdeausschuss - neben dem betroffenen Arzt die Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) und die Verbände der Krankenkassen (§ 106 Abs 5 Satz 3 SGB V) - können bei nicht näher erklärten Verzögerungen im Verfahrensablauf jederzeit formlos um eine Entscheidung nachsuchen und - unter Beachtung der Maßgaben des § 88 SGG - Untätigkeitsklage erheben. Im Übrigen steht der Auffassung des Klägers, allein durch Zeitablauf und eigenes Stillhalten könne die Entscheidungsbefugnis des Beschwerdeausschusses entfallen, entgegen, dass dieses Gremium der gemeinsamen Selbstverwaltung von Ärzten und Krankenkassen nicht über eigene Ansprüche entscheidet, sondern über Ansprüche der KÄV (auf Rückzahlung von Honorar bei unwirtschaftlicher Behandlungsweise) und der Krankenkassen (auf Erstattung von Kosten für unwirtschaftlich verordnete Arzneimittel). Diese Institutionen haben grundsätzlich keine anderen Einflussmöglichkeiten auf den Verfahrensablauf bei dem Beschwerdeausschuss als der betroffene Arzt.

10

Auch die vom Kläger im Zusammenhang mit einer möglichen Beendigung der Hemmung bzw Unterbrechung der Verjährung (§ 204 Abs 2 Satz 2 BGB) wegen des - unterstellten - Nichtbetreibens des Verfahrens durch den Beklagten aufgeworfenen Fragen rechtfertigen die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung nicht. Zum einen teilt der Senat bereits nicht die dem Berufungsurteil zugrunde liegende Auffassung, dass es für die Wahrung der vierjährigen Ausschlussfrist für Maßnahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung auf den Bescheid des Beklagten ankomme. Diese Funktion kommt vielmehr, wie ausgeführt, dem Bescheid des Prüfungsausschusses zu. Auf dieser Grundlage liegt von vornherein kein Fall der Unterbrechung bzw Hemmung der Ausschlussfrist vor, auf den der Beendigungstatbestand des Nichtbetreibens des Verfahrens Bezug nimmt. Im Übrigen hat der Senat entschieden, dass die Vorschriften des BGB über das Ende der Hemmung bzw Unterbrechung der Verjährung durch Nichtbetreiben des Verfahrens auf das von Amts wegen durchzuführende Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung keine Anwendung finden (Urteil vom 5.5.2010 - B 6 KA 5/09 R - SozR aaO, RdNr 49 f). Selbst auf der Grundlage der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, wonach der Bescheid des Prüfungsausschusses die Ausschlussfrist nicht wahrt, sondern nur unterbricht bzw hemmt, hätte also die lange Dauer des Verfahrens vor dem Beklagten ohne dessen erkennbare zügige Förderung nicht bewirkt, dass die nach Auffassung des LSG durch den Bescheid des Prüfungsausschusses vom 12.12.1995 eingetretene Hemmung bzw Unterbrechung der Ausschlussfrist geendet hätte.

11

Es kann hier offen bleiben, welche rechtlichen Konsequenzen sich zu Gunsten des von einem Prüfungsverfahren betroffenen Arztes ergeben, wenn die dem Beschwerdeausschuss obliegende Sachaufklärung sowie die effektive Rechtsverfolgung des Arztes nach längerer Zeit des faktischen Ruhens des Verfahrens dadurch erschwert werden, dass bestimmte relevante Umstände aus weit zurückliegenden Quartalen nicht mehr aufgeklärt werden können. Darauf kommt es hier nämlich nicht an, weil sich der Kläger lediglich pauschal auf den Zeitablauf und die Unzumutbarkeit eines Verfahrensabschlusses nach sehr langer Zeit berufen hat. Welche konkreten fallspezifischen Aspekte der Kläger zu der auf statistischer Grundlage ermittelten fortwährenden Unwirtschaftlichkeit seines Behandlungs- bzw Verordnungsverhaltens über einen längeren Zeitraum hinweg allein wegen des Zeitablaufs nicht mehr einbringen konnte, hat er nicht substanziiert dargelegt. Die Daten über seine Leistungsabrechnung und seine Verordnung von Arzneimitteln und SSB in dem betreffenden Quartal sowie die entsprechenden Werte seiner Fachgruppe liegen vor, waren und sind dem Kläger bekannt und haben sich (auch) als Folge der kaum nachvollziehbaren Verzögerung des Verfahrens durch den Beklagten nicht geändert.

12

Soweit der Kläger schließlich grundsätzliche Fragen im Zusammenhang mit der Verwirkung aufwirft, besteht auch insoweit kein Klärungsbedarf. Selbst auf der Grundlage der Annahme, dass die Befugnis der Gremien der Wirtschaftlichkeitsprüfung, gegen einen Vertragsarzt Regresse festzusetzen, unter bestimmten Voraussetzungen verwirkt sein könne - was nach der oben dargestellten Rechtsprechung des Senats zumindest nicht naheliegt -, bedürfte es in diesem Zusammenhang keiner Grundsatzentscheidung. Die Verwirkung verlangt neben dem bloßen Zeitablauf immer auch ein Umstandselement in der Weise, dass derjenige, der sich auf Verwirkung beruft, über das bloße Verstreichen von Zeit hinaus aus dem Verhalten des anderen schließen kann, dieser wolle und werde seine Rechtsposition nicht weiter verfolgen (vgl Grüneberg in Palandt, BGB, 70. Aufl 2011, § 242 RdNr 95). Daran fehlt es hier nach den Feststellungen des LSG, weil dem Beklagten außer dem für den Kläger erkennbaren Nichtbetreiben des Verfahrens keine Versäumnisse oder Äußerungen zuzurechnen sind, die der Kläger als Anhaltspunkt für einen Verzicht auf die Fortführung des Verfahrens deuten konnte.

13

Die Kostentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 SGG iVm § 154 Abs 2, § 162 Abs 3 VwGO.

Tenor

Auf die Revisionen des Beklagten und der Beigeladenen zu 2. wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 15. September 2011 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Im Streit steht ein Arzneimittelregress wegen der Verordnung von Wobe Mugos E in den Quartalen III/1999 bis I/2000.

2

Der Kläger nimmt als Arzt für Allgemeinmedizin im Bezirk der zu 1. beigeladenen Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) an der vertragsärztlichen Versorgung teil. In den Quartalen III/1999 bis I/2000 verordnete er einer Patientin, die bei der zu 2. beigeladenen gesetzlichen Krankenkasse versichert war, wiederholt das Fertigarzneimittel Wobe Mugos E. Auf Antrag der Beigeladenen zu 2. setzte der Prüfungsausschuss einen Arzneimittelregress in Höhe von 1863,06 Euro fest; der beklagte Beschwerdeausschuss wies den Widerspruch des Klägers mit Bescheid vom 21.8.2003 zurück. Das SG hat den Bescheid aufgehoben (Urteil des SG vom 6.10.2010); hiergegen hat der Beklagte Berufung eingelegt. Während des Berufungsverfahrens hat der Beklagte den Bescheid vom 21.8.2003 gemäß § 44 Abs 2 SGB X wegen unzulässiger Mitwirkung eines Krankenkassenvertreters zurückgenommen, in der Sache jedoch erneut wegen fehlender Verordnungsfähigkeit von Wobe Mugos E einen Arzneimittelregress in Höhe von 1863,06 Euro festgesetzt(Bescheid vom 1.6.2011).

3

Das LSG hat den Bescheid des Beklagten vom 1.6.2011 aufgehoben (Urteil vom 15.9.2011 = MedR 2012, 764). Der Bescheid sei rechtswidrig, da sich der Kläger auf Vertrauensschutz berufen könne. Die Versicherte und der Kläger hätten ausdrücklich bei der Beigeladenen zu 2. nachgefragt, ob der Versicherten Wobe Mugos E zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) verordnet werden dürfe, woraufhin diese ausdrücklich die Zulässigkeit der Verordnung im konkreten Einzelfall bejaht habe. Dies habe der Kläger mehrfach glaubhaft dargelegt; der Senat habe keine Veranlassung, an seinen Angaben zu zweifeln. § 34 SGB X sei nicht einschlägig, da eine schriftliche Erklärung nicht zwingend Voraussetzung für die Bejahung eines Vertrauensschutzes sei; vielmehr sei eine Würdigung der gesamten Umstände des Einzelfalles vorzunehmen. Danach habe der Kläger darauf vertrauen dürfen, dass die Beigeladene zu 2. keinen Prüfantrag stelle und der Beklagte keinen Regress festsetze.

4

Mit ihren Revisionen rügen sowohl der Beklagte als auch die Beigeladene zu 2. die Verletzung von Bundesrecht. Der Beklagte führt aus, vorliegend sei kein Umstand gegeben, der einen Vertrauensschutz des Klägers begründen könne. Hierfür bedürfe es eines besonderen Vertrauenstatbestandes, insbesondere deswegen, weil bei einem Arzneimittel, welchem die arzneimittelrechtliche Zulassung fehle, keine Überprüfung hinsichtlich dessen Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit stattgefunden habe. Nur die Schriftform stelle sicher, dass die Krankenkassen, deren Aufgabe es sei, die Patienten vor Gesundheitsgefahren zu schützen, nicht ohne sorgfältige Kontrolle und Überprüfung der Sachlage eine Kostenzusage erteilten. Gerade beim Einsatz medizinisch umstrittener Arzneimittel träten häufig medizinisch und/oder pharmakologisch schwierige Problemstellungen auf, welche die Einschaltung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) erforderten. Auch sei die Durchführbarkeit der Wirtschaftlichkeitsprüfung insgesamt in Gefahr, wenn die Prüfgremien zur Klärung der Glaubhaftigkeit des Vortrags eine umfangreiche Beweiserhebung durchzuführen hätten. Hinzuweisen sei schließlich auch auf den durch das GKV-Versorgungsstrukturgesetz (GKV-VStG) eingefügten § 2 Abs 1a SGB V.

5

Die Beigeladene zu 2. führt aus, vorliegend sei unstreitig gegenüber der Versicherten keine Kostenübernahmeerklärung durch Verwaltungsakt erfolgt. Es liege auch keine Zusicherung iS des § 34 SGB X vor, da diese zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform bedürfe. Nach der gängigen Praxis reichten Ärzte Anfragen zur Verordnungsfähigkeit von Arzneimitteln schriftlich ein, und diese Anfragen würden ebenfalls schriftlich beantwortet. Da es bei einer Krankenkasse eine Vielzahl von Arzneimittelanfragen gebe, könne eine ordnungsgemäße Abwicklung nur gewährleistet werden, wenn die Schriftform eingehalten werde. Gerade bei einem umstrittenen Off-Label-Use und bei Import-Verordnungen bedürfe es in der Regel der Prüfung durch den MDK, um die Krankenkasse in die Lage zu versetzen, eine Entscheidung zu treffen. Für das Schriftformerfordernis spreche auch, dass bei den Krankenkassen in regelmäßigen Abständen eine Überprüfung durch den Landesprüfdienst bzw das Bundesversicherungsamt erfolge.

6

Der Beklagte sowie die Beigeladene zu 2. beantragen übereinstimmend,
das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 15.9.2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7

Der Kläger beantragt,
die Revisionen zurückzuweisen.

8

Für die vom Beklagten sowie von der Beigeladenen zu 2. geforderte Schriftform als Wirksamkeitserfordernis fehle es an jeder gesetzlichen Grundlage. Gerade bei der Frage der Verordnungsfähigkeit von Arzneimitteln mache eine rasche und unbürokratische Entscheidung Sinn. Praktischen Schwierigkeiten könne die Beigeladene zu 2. dadurch begegnen, dass sie entsprechende Dienstanweisungen erlasse, wonach für den Fall einer mündlichen Genehmigung zumindest ein schriftlicher Vermerk zu den Akten genommen werde.

9

Die Beigeladene zu 1. führt - ohne einen Antrag zu stellen - aus, das LSG sei zutreffend zu dem Ergebnis gekommen, dass eine entsprechende Genehmigung der Krankenkasse vor Ausstellung der Verordnung vorgelegen habe. Ein Schriftformerfordernis bestehe nicht. Bewillige eine Krankenkasse eine Leistung, bringe sie dadurch zum Ausdruck, dass diese aus ihrer Sicht ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sei. Damit entfalle ihr Recht, nachträglich eine Überprüfung der Wirtschaftlichkeit in die Wege zu leiten. Vor dem Hintergrund des konkreten Krankheitsgeschehens sei eine möglichst zeitnahe Entscheidung durch die Krankenkasse zu treffen; dies möge im Einzelfall auch dazu führen, dass eine derartige Entscheidung telefonisch abgefragt und bestätigt werde. Die Beigeladene zu 2. habe es selbst in der Hand, ihre Mitarbeiter zu verpflichten, derartige Genehmigungen nicht in mündlicher Form zu erteilen.

10

Die übrigen Beigeladenen haben sich weder geäußert noch Anträge gestellt.

Entscheidungsgründe

11

Die Revisionen des Beklagten und der Beigeladenen zu 2. sind in dem Sinne begründet, dass der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen ist. Ob das LSG den Bescheid des Beklagten vom 1.6.2011 zu Recht aufgehoben hat, kann der Senat auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen nicht beurteilen.

12

1. In prozessualer Hinsicht ist klarzustellen, dass das LSG über den während des Berufungsverfahrens ergangenen und Gegenstand des Verfahrens gewordenen Bescheid des Beklagten vom 1.6.2011 nicht auf Berufung, sondern erstinstanzlich "auf Klage" zu entscheiden hatte (stRspr des BSG, vgl BSG SozR 4-1200 § 52 Nr 5 RdNr 36 mwN). Einer Aufhebung auch des sozialgerichtlichen Urteils bedarf es nicht, weil insoweit Erledigung eingetreten ist, da der Beklagte den ursprünglich angefochtenen Bescheid vom 21.8.2003 zurückgenommen und durch einen neuen Bescheid ersetzt hat, der (alleiniger) Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden ist.

13

2. Das LSG hat zutreffend entschieden, dass der Beklagte im Ausgangspunkt zu Recht davon ausgegangen ist, dass der klagende Arzt Wobe Mugos E wegen der generell, also indikationsunabhängig fehlenden Verordnungsfähigkeit von Wobe Mugos E auch schon im hier betroffenen Zeitraum (den Quartalen III/1999 bis I/2000) nicht zu Gunsten der bei der zu 2. beigeladenen Krankenkasse versicherten Patientin verordnen durfte.

14

a. Der Beklagte hat zutreffend erkannt, dass Verordnungen, die die Grenzen der Leistungspflicht der GKV nicht eingehalten haben, keinen "sonstigen Schaden" der Krankenkasse darstellen (vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 28 RdNr 21 ff), sondern ein Arzneikostenregress durchzuführen ist, dessen Rechtsgrundlage § 106 Abs 2 SGB V ist(zur Zugrundelegung des § 106 Abs 2 SGB V vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 17 RdNr 12 und BSGE 101, 130 = SozR 4-2500 § 106 Nr 19, RdNr 14; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 RdNr 14; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 28 RdNr 14).

15

Soweit das Quartal IV/1999 betroffen ist, ist § 106 Abs 2 SGB V in der vom 1.1.1993 bis zum 31.12.1999 geltenden Fassung des Gesundheitsstrukturgesetzes (GSG) maßgeblich; auf das Quartal I/2000 findet § 106 Abs 2 SGB V in der ab 1.1.2000 geltenden Fassung des GKV-Gesundheitsreformgesetzes 2000 (<GKV-GRG 2000> vom 22.12.1999, BGBl I 2626) Anwendung. Nach § 106 Abs 2 SGB V idF des GSG wird die Wirtschaftlichkeit der Versorgung durch arztbezogene Prüfung ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen nach Durchschnittswerten oder bei Überschreitung der Richtgrößen nach § 84 SGB V(aaO Satz 1 Nr 1) und/oder auf der Grundlage von Stichproben (aaO Satz 1 Nr 2) geprüft. Nach § 106 Abs 2 SGB V idF des GKV-GRG 2000 wird die Wirtschaftlichkeit der Versorgung unter anderem durch arztbezogene Prüfung ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen, und zwar entweder nach Durch-schnittswerten oder bei Überschreitung der Richtgrößen nach § 84 SGB V(aaO Satz 1 Nr 1) und/oder auf der Grundlage von Stichproben (aaO Satz 1 Nr 2) geprüft. Über diese Prüfungsarten hinaus können die Landesverbände der Krankenkassen mit den KÄVen gemäß § 106 Abs 2 Satz 4 SGB V (in der durch das GKV-GRG 2000 unveränderten Fassung des GSG) andere arztbezogene Prüfungsarten vereinbaren. Diese Prüfvereinbarungen ermächtigen regelmäßig auch zu Einzelfallprüfungen (s zusammenfassend BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 17 RdNr 12 bis 14 mwN); nach den Feststellungen des LSG sah auch die vorliegend maßgebliche Prüfvereinbarung dies vor. Einzelfallprüfungen sind insbesondere dann sachgerecht - und ihre Auswahl daher rechtmäßig -, wenn das individuelle Vorgehen eines Arztes in einem bestimmten Behandlungsfall hinsichtlich des Behandlungs- und Verordnungsumfangs am Maßstab des Wirtschaftlichkeitsgebots überprüft werden soll (s BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 17 RdNr 16; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 RdNr 14). Dem Bescheid des Beklagten ist auch mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen, dass er eine Einzelfallprüfung wegen Unwirtschaftlichkeit durchgeführt hat.

16

b. Die im vorliegenden Fall aufgrund vorgenannter Rechtsgrundlage durchgeführte Einzelfallprüfung lässt Rechtsfehler nicht erkennen. Die Annahme der Unwirtschaftlichkeit wie auch die Höhe des festgesetzten Regresses sind nicht zu beanstanden. Wie der erkennende Senat - in Fortführung der Rechtsprechung des 1. Senats des BSG (BSGE 95, 132 = SozR 4-2500 § 31 Nr 3) - mit Urteilen vom 5.11.2008 (B 6 KA 63/07 R = SozR 4-2500 § 106 Nr 21 und B 6 KA 64/07 R) sowie vom 6.5.2009 (B 6 KA 3/08 R = USK 2009-14 = MedR 2010, 276) entschieden hat, war die von den dortigen Klägern vorgenommene Verordnung von Wobe Mugos E in den Quartalen III/1999 bis I/2000 nicht zulässig (zuletzt BSG Beschluss vom 27.6.2012 - B 6 KA 72/11 B - Juris RdNr 8 ff). Denn dieses Arzneimittel durfte nicht im Rahmen der GKV verordnet werden; insoweit bestand weder eine Leistungspflicht der Krankenkassen noch ein Versorgungsanspruch der Versicherten. Jedenfalls seit der Ablehnung der Zulassungsverlängerung durch den Bescheid des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte vom 9.6.1998 war Wobe Mugos E nicht mehr verordnungsfähig iS des SGB V (vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 RdNr 25). Fehlt die Verordnungsfähigkeit, so ist Unwirtschaftlichkeit gegeben (BSG aaO unter Hinweis auf BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 52 S 281 f und BSG MedR 2007, 557).

17

3. Ob die Festsetzung des Regresses aus anderen Gründen - namentlich wegen eines Vertrauenstatbestandes - ausgeschlossen ist, kann der Senat nicht abschließend entscheiden. Soweit das LSG indessen angenommen hat, die telefonische Zusage der Verordnungsfähigkeit von Wobe Mugos E seitens eines Mitarbeiters der beigeladenen Krankenkasse begründe zu Gunsten des Klägers einen Vertrauenstatbestand, der die Festsetzung eines Regresses hindert, kann der Senat dem - jedenfalls auf der Basis der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen - nicht folgen.

18

a. In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass die Anerkennung von Vertrauensschutz zunächst erfordert, dass ein anderer Beteiligter insoweit einen besonderen Vertrauenstatbestand gesetzt hat (BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 1 RdNr 18 mwN<= Rspr zur Aufhebung von Honorarbescheiden>; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 24 RdNr 17; zuletzt BSG Beschluss vom 14.12.2011 - B 6 KA 57/11 B - Juris RdNr 9). Bei umstrittenen Verordnungen kann ein derartiger Vertrauenstatbestand nur von den Prüfgremien oder vom Kostenträger - der Krankenkasse - gesetzt werden (BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 24 RdNr 19, 21). Vertrauensschutz setzt nach der Rechtsprechung des Senats zudem voraus, dass die zuständigen Körperschaften oder Gremien explizit die für die von den betroffenen Ärzten praktizierte oder beabsichtigte Verordnungsweise gebilligt und die Ärzte in Kenntnis dieser Auskunft ihre Verordnungsweise fortgesetzt bzw aufgenommen haben (BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 24 RdNr 17). Erforderlich ist eine auf eine verbindliche Festlegung zielende behördliche Äußerung der Entscheidungs- bzw Kostenträger (BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 24 RdNr 19, 21; BSG Beschluss vom 14.12.2011 - B 6 KA 57/11 B - Juris RdNr 9).

19

b. Zusagen oder Erklärungen einer Krankenkasse, eine bestimmte Leistung dem Versicherten als vertragsärztliche Leistung zu gewähren oder die Kosten dafür zu übernehmen, sind nicht von vornherein ausgeschlossen. Insbesondere lässt sich ein derartiges Verbot nicht aus § 29 Abs 1 Satz 2 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) herleiten. Dort ist zwar bestimmt, dass die Genehmigung von Arzneimittelverordnungen durch die Krankenkasse unzulässig ist; hieraus hat der Senat abgeleitet, dass sich ein Vertragsarzt vertragsärztliche Verordnungen nicht einzeln genehmigen lassen darf. Dieses Verbot hat sich - wie der Senat dargelegt hat - jedoch immer nur auf Verordnungen im Rahmen der Leistungspflicht der Krankenkassen bezogen (BSGE 106, 110 = SozR 4-2500 § 106 Nr 27, RdNr 44), nicht hingegen auf (grundsätzlich) außerhalb der Leistungspflicht der GKV liegende Verordnungen. Im Übrigen gehen die zuständigen Senate des BSG in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass in den Fällen, in denen es um die Frage geht, ob ein - grundsätzlich ausgeschlossenes - Arzneimittel ausnahmsweise zu Lasten der gesetzlichen Krankenkasse verordnet werden darf, Raum für eine sogenannte "Vorab-Prüfung" (und -Genehmigung) durch die Krankenkasse ist (s hierzu unter 3.c.cc.(1)).

20

c. Im Ausgangspunkt zutreffend geht das LSG auch davon aus, dass Erklärungen der Krankenkasse, ausnahmsweise die Kosten für die Verordnung eines Arzneimittels zu übernehmen, obwohl das Medikament außerhalb seiner arzneimittelrechtlichen Zulassung eingesetzt werden soll bzw ein Arzneimittel betroffen ist, das überhaupt keine in Deutschland gültige Zulassung besitzt, keinem gesetzlichen Formerfordernis unterliegen. Dabei ist es ohne Bedeutung, ob es dabei - wie vorliegend - um die Genehmigung der ausnahmsweisen vertragsärztlichen Verordnung eines Arzneimittels geht oder um eine Kostenübernahmeerklärung in dem Sinne, dem Versicherten die Kosten des Arzneimittels nach § 13 Abs 3 SGB V zu erstatten.

21

Verwaltungsakte können in jeder Form - also auch mündlich - erlassen werden (§ 33 Abs 2 Satz 1 SGB X; s auch § 9 Satz 1 SGB X). Etwas anderes gilt somit nur dann, wenn die Schriftform ausdrücklich vorgeschrieben ist. Ein derartiges Schriftformerfordernis für die hier in Rede stehende "Entscheidung" der Krankenkasse ist jedoch weder dem Gesetz noch den Bestimmungen des BMV-Ä zu entnehmen (aa.). Ebenso wenig ergibt es sich unter dem Gesichtspunkt einer Zusicherung (bb.). Auch in der Rechtsprechung des BSG zur "Vorab-Prüfung" wird dies nicht gefordert (cc.).

22

aa. Ein gesetzliches Schriftformerfordernis für Erklärungen der Krankenkasse, die die Genehmigung der ausnahmsweisen Verordnung von (grundsätzlich ausgeschlossenen) Arzneimitteln bzw eine "Kostenübernahme" zum Gegenstand haben, lässt sich dem vorliegend maßgeblichen Recht nicht entnehmen. Hieran hat sich auch durch die in jüngerer Zeit in Kraft getretenen Gesetzesänderungen nichts geändert. Weder § 2 Abs 1a SGB V in der ab dem 1.1.2012 geltenden Fassung des GKV-VStG (vom 22.12.2011, BGBl I 2983) noch § 13 Abs 3a SGB V in der ab dem 26.2.2013 geltenden Fassung des Patientenrechtegesetzes (vom 20.2.2013, BGBl I 277) sehen solches vor. § 2 Abs 1a SGB V, der für besondere Ausnahmesituationen einen Anspruch auf eine von § 2 Abs 1 Satz 3 SGB V abweichende Leistung begründet, regelt allein, dass die Krankenkasse auf Antrag des Versicherten bzw des Leistungserbringers eine Kostenübernahmeerklärung erteilt(Satz 2 aaO), mit der die Abrechnungsmöglichkeit der Leistung festgestellt wird (Satz 3 aaO); in welcher Form diese Kostenübernahmeerklärung zu erfolgen hat, ist jedoch nicht bestimmt. Aus den Gesetzesmaterialien lässt sich im Übrigen zweifelsfrei der Wille des Gesetzgebers entnehmen, dass Antrag und Kostenübernahmeerklärung formlos erfolgen können (s Ausschussbericht zum GKV-VStG, BT-Drucks 17/8005 S 103 zu § 2 Abs 1a SGB V; so auch Peters in Kasseler Komm, § 2 SGB V RdNr 6). Auch § 13 Abs 3a SGB V, der Regelungen für den zeitlichen Ablauf des Bewilligungsverfahrens enthält, trifft keine Aussagen zur Form der Bewilligungsentscheidung bzw der Ablehnung des Antrags; geregelt ist insoweit allein, dass die Krankenkasse dann, wenn sie die (Entscheidungs-)Frist nicht einhalten kann, dies schriftlich mitzuteilen hat (aaO Satz 5). Bestimmungen des BMV-Ä lässt sich ebenfalls kein Schriftformerfordernis entnehmen.

23

bb. Entgegen der Auffassung des Beklagten wie der Beigeladenen zu 2. folgt ein Schriftformerfordernis für die hier in Rede stehende Erklärung einer Krankenkasse auch nicht aus § 34 SGB X, weil es sich dabei nicht um eine "Zusicherung" im Sinne dieser Vorschrift handelt. Nach § 34 Abs 1 Satz 1 SGB X bedarf eine von der zuständigen Behörde erteilte Zusage, einen bestimmten Verwaltungsakt später zu erlassen oder zu unterlassen (Zusicherung), zu ihrer Wirksamkeit der schriftlichen Form. Mithin ist die Zusicherung nach § 34 SGB X vom eigentlichen Verwaltungsakt abzugrenzen: Sie unterscheidet sich dadurch vom Verwaltungsakt, dessen Erlass bzw Unterlassen zugesichert werden soll, dass sie keine gegenwärtige Sachregelung trifft, sondern den Erlass (bzw die Unterlassung) eines Verwaltungsaktes für die Zukunft verbindlich in Aussicht stellt(Engelmann in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl 2010, § 34 RdNr 6); das Wesen der Zusicherung liegt darin, dass der Verwaltungsakt erst in der Zukunft erlassen wird (Littmann in Hauck/Noftz, SGB X, K § 34 RdNr 9). Bei der Abgrenzung von Zusicherung und Verwaltungsakt ist auf den objektiven Sinngehalt der Erklärung abzustellen, wie ihn der Empfänger der Erklärung bei verständiger Würdigung nach den Umständen des Einzelfalles objektiv verstehen musste (Engelmann aaO mwN).

24

Nach diesen Maßstäben stellt die Erklärung der Krankenkasse, auf die sich der Kläger beruft, keine Zusicherung eines späteren Verwaltungsaktes dar, sondern ist bereits selbst dieser Verwaltungsakt. Dabei spielt es insoweit keine Rolle, ob die Erklärung auf die Genehmigung einer ausnahmsweisen vertragsärztlichen Verordnung eines Arzneimittels gerichtet ist, dessen Verordnung außerhalb der für das Arzneimittel erteilten Zulassung erfolgt bzw ein Arzneimittel betrifft, das überhaupt keine in Deutschland gültige Zulassung besitzt, oder ob sie die Übernahme der Kosten im Rahmen des § 13 Abs 3 SGB V betrifft. Klarzustellen ist, dass derartige Entscheidungen nur gegenüber dem Patienten selbst erfolgen können; gegenüber dem Vertragsarzt kommt eine Entscheidung der Krankenkasse durch Verwaltungsakt schon wegen des fehlenden Über-Unterordnungsverhältnisses sowie wegen der gesetzlich vorgegebenen Trennung der Rechtskreise (s hierzu BSGE 61, 19, 25 = SozR 2200 § 368f Nr 11 S 34; BSG SozR 4-2500 § 75 Nr 9 RdNr 32)nicht in Betracht.

25

Das Leistungsrecht der GKV ist auf Sach- bzw Naturalleistungen gerichtet. Die Versicherten erhalten die ihnen zustehenden Leistungen nicht unmittelbar von ihrer Krankenkasse, sondern gemäß § 2 Abs 2 Satz 1 SGB V als Sach- und Dienstleistungen, über deren Erbringung die Krankenkassen Verträge mit den Leistungserbringern schließen (§ 2 Abs 2 Satz 3 SGB V). Diese erbringen gemäß den geschlossenen Verträgen die von den Krankenkassen geschuldeten Leistungen oder veranlassen deren Erbringung - etwa durch Verordnung von Arzneimitteln - in eigener Verantwortung (vgl § 29 Abs 1 Satz 2 BMV-Ä für die Verordnung von Arzneimitteln). Im Regelfall liegt daher der Leistungsgewährung überhaupt kein - etwa auf die Versorgung mit Arzneimitteln gerichteter - Verwaltungsakt der Krankenkasse zugrunde.

26

Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn der Bereich der "regulären" Versorgung verlassen wird, insbesondere wenn es um die Verordnung von Arzneimitteln geht, die außerhalb ihrer Zulassung verordnet werden sollen bzw die überhaupt keine Zulassung besitzen. In Abweichung vom Regelsystem, das die Entscheidung über die Verordnung von Arzneimitteln in die Verantwortung des Vertragsarztes stellt (vgl § 29 Abs 1 Satz 1 BMV-Ä), kommt in diesem Bereich eine Verordnung zu Lasten der GKV durch den Vertragsarzt nur und erst dann (regressfrei) in Betracht, wenn die zuständige Krankenkasse die Verordnung im Ausnahmefall genehmigt hat. Diese "Ausnahmegenehmigung" stellt einen Verwaltungsakt iS des § 31 Satz 1 SGB X dar. Auch ein Versicherter oder dessen behandelnder Vertragsarzt, die eine "Vorab-Prüfung" bei der Krankenkasse beantragen, werden deren Erklärung, die Kosten eines bestimmten Arzneimittels zu übernehmen, in aller Regel als Entscheidung über das ausnahmsweise Bejahen einer Leistungspflicht verstehen.

27

cc. Schließlich ist auch in der Rechtsprechung des BSG zur "Vorab-Prüfung" keine Festlegung erfolgt, in welcher Form eine Krankenkasse dem anfragenden Vertragsarzt oder Versicherten das Ergebnis einer von ihr durchgeführten "Vorab-Prüfung" mitzuteilen hat.

28

(1) Die zuständigen Senate des BSG haben in ständiger Rechtsprechung darauf verwiesen, dass der Vertragsarzt in Fällen unklarer Verordnungen - insbesondere bei einem medizinisch umstrittenen Arzneimitteleinsatz bzw in Fällen eines Off-Label-Use - der Krankenkasse als Kostenträger eine Vorab-Prüfung ermöglichen muss, ob sie die Verordnungskosten übernimmt, wenn er sich nicht dem Risiko eines Regresses aussetzen will (BSG Beschluss vom 31.5.2006 - B 6 KA 53/05 B - Juris RdNr 13 = MedR 2007, 557; BSGE 98, 26 = SozR 4-2500 § 13 Nr 12, RdNr 17; BSGE 106, 110 = SozR 4-2500 § 106 Nr 27, RdNr 43; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 30 RdNr 37). Diese "Vorab-Prüfung" kann zum einen vom Arzt selbst veranlasst werden (s hierzu BSG Beschluss vom 31.5.2006 - B 6 KA 53/05 B - Juris RdNr 13 = MedR 2007, 557; BSGE 98, 26 = SozR 4-2500 § 13 Nr 12, RdNr 17 f; BSGE 106, 110 = SozR 4-2500 § 106 Nr 27, RdNr 43), zum anderen durch den Versicherten, der nach § 13 Abs 3 SGB V Kostenerstattung begehrt (s hierzu BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 30 RdNr 37): Ein gängiger Weg ist es, dem Versicherten ein Privatrezept auszustellen und es diesem zu überlassen, sich bei seiner Krankenkasse um Kostenerstattung zu bemühen (vgl BSG Beschluss vom 31.5.2006 - B 6 KA 53/05 B - Juris RdNr 13 = MedR 2007, 557; BSGE 98, 26 = SozR 4-2500 § 13 Nr 12, RdNr 17; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 30 RdNr 37). Bestätigt die Krankenkasse im Rahmen dieser Prüfung, dass eine Leistung - die Verordnung des in Rede stehenden Arzneimittels bzw die Übernahme der Verordnungskosten - zu Unrecht abgelehnt wurde, begründet diese Feststellung einen Vertrauenstatbestand, auf den sich (auch) der verordnende Vertragsarzt berufen kann. Der Vertragsarzt kann aber auch zunächst selbst bei der Krankenkasse deren Auffassung als Kostenträger einholen und (erst) im Ablehnungsfall dem Patienten ein Privatrezept ausstellen (BSG Beschluss vom 31.5.2006 - B 6 KA 53/05 B - Juris RdNr 13 = MedR 2007, 557; BSGE 98, 26 = SozR 4-2500 § 13 Nr 12, RdNr 17).

29

(2) Dass die von der Krankenkasse abzugebende Erklärung über das Ergebnis der von ihr durchgeführten Vorab-Prüfung der Schriftform bedarf, lässt sich der Rechtsprechung nicht entnehmen und wäre nach den vorstehenden Ausführungen zur fehlenden Erforderlichkeit der Schriftform auch nicht begründbar. Gestützt wird diese Annahme dadurch, dass der Gesetzgeber in seiner Begründung zu § 2 Abs 1a SGB V verdeutlicht hat, dass Kostenübernahmeerklärungen der Krankenkassen formlos erfolgen können(Ausschussbericht zum GKV-VStG, BT-Drucks 17/8005 S 103 zu § 2 Abs 1a SGB V); dass für die ausnahmsweise Genehmigung der Verordnung eines an sich nicht (vertragsärztlich) verordnungsfähigen Arzneimittels etwas anderes gelten soll, ist nicht erkennbar. Der Senat stellt daher klar, dass grundsätzlich auch mündliche bzw telefonische Erklärungen der Krankenkasse, die vertragsärztliche Verordnung eines Arzneimittels zu genehmigen, das außerhalb seiner Zulassung verordnet wird oder das über keine in Deutschland gültige Zulassung verfügt, wirksam sein und einem nachfolgenden Regress entgegenstehen können.

30

Zwar wird in der Regel eine schriftliche oder - in Eilfällen - per Mail zugeleitete Entscheidung schon aus Gründen der Rechtssicherheit unverzichtbar sein, auch weil sich ein Leistungserbringer mutmaßlich kaum auf die telefonische Mitteilung eines ihm in der Regel nicht bekannten Mitarbeiters einer Krankenkasse verlassen dürfte. Denn nach allgemeinen Grundsätzen der objektiven Beweislast (s hierzu Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 103 RdNr 19a mwN)trägt derjenige, der sich auf eine Willensäußerung beruft, das Risiko des fehlenden Nachweises (vgl auch BFHE 159, 114 - Juris RdNr 20). Das Risiko, das sich immer dann ergibt, wenn sich das Telefongespräch oder dessen genauer Inhalt nicht nachweisen lassen, trägt in der hier zu beurteilenden Konstellation also der Arzt. Eine schriftliche Dokumentation ist somit zwar sinnvoll, aber - wie dargelegt - keine Wirksamkeitsvoraussetzung.

31

d. Daher ist nicht von vornherein ausgeschlossen, dass auch eine telefonisch übermittelte Zusage einer Krankenkasse, eine Verordnung zu genehmigen, die an sich gesetzlich ausgeschlossen ist, einen Vertrauensschutz des Vertragsarztes begründen kann, der hiervon Kenntnis erlangt oder selbst Empfänger der Mitteilung ist. Das ist jedoch nur unter bestimmten Voraussetzungen der Fall, deren Vorliegen das LSG hier zumindest nicht festgestellt hat.

32

aa. Die lediglich telefonische Mitteilung eines Mitarbeiters der zuständigen Krankenkasse, diese sei mit der Verordnung eines Arzneimittels außerhalb seiner Zulassung nach dem Arzneimittelgesetz (Off-Label-Use) oder eines Mittels ohne deutsche oder europäische Zulassung (Unlicensed Use) einverstanden, kann allenfalls in besonders gelagerten Konstellationen Vertrauensschutz begründen. Denn zum einen setzt die Entscheidung der Krankenkasse, die zulassungsüberschreitende Verordnung eines Arzneimittels oder eines solchen, welches über keine in Deutschland wirksame Zulassung verfügt, auf der Grundlage der hierzu von der Rechtsprechung bzw vom Gesetzgeber aufgestellten Voraussetzungen ausnahmsweise zu genehmigen, die Klärung schwieriger Fragen voraus, die im Regelfall der Hinzuziehung medizinischen Sachverstands bedarf (1). Zum anderen bedarf auch die Tragweite der "Erlaubnis" einer Verordnung auf "Kassenrezept" der Präzisierung (2).

33

(1) Bei der Entscheidung einer Krankenkasse, ob sie ausnahmsweise die Verordnung eines Arzneimittels genehmigt, dessen grundsätzliche Verordnung ausgeschlossen ist, handelt es sich nicht um eine Routineentscheidung wie die Gewährung von Krankengeld oder Haushaltshilfe. Vielmehr kommt in derartigen Fällen eine Genehmigung der Verordnung durch den Vertragsarzt (und damit die Übernahme der Kosten) durch die - an Recht und Gesetz gebundenen - Krankenkassen nur in Ausnahmefällen in Betracht, in denen die in der Rechtsprechung des BSG aufgestellten Voraussetzungen vorliegen. Dies ist nur dann der Fall, wenn es sich um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer beeinträchtigenden) Erkrankung handelt, keine anderweitige anerkannte Therapie verfügbar ist und aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann (zusammenfassend BSGE 109, 212 = SozR 4-2500 § 31 Nr 19, RdNr 16); hinreichende Erfolgsaussichten bestehen nur dann, wenn wissenschaftliche Erkenntnisse über Nutzen und Risiken des Mittels aufgrund von Phase III-Studien vorliegen, die eine erweiternde Zulassung ermöglichen (BSGE 109, 212 = SozR 4-2500 § 31 Nr 19, RdNr 17). Ergänzend hat die Krankenkasse zu prüfen, ob ausnahmsweise eine Verordnung unter Zugrundelegung der vom BVerfG in seinem Beschluss vom 6.12.2005 (BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5) aufgestellten - und jetzt in § 2 Abs 1a SGB V nF normierten - Voraussetzungen zulässig und geboten ist. Auch diese Entscheidung setzt eine eingehende Prüfung voraus, die auf der einen Seite eine Beurteilung des Gesundheitszustandes des Patienten und auf der anderen Seite die Beurteilung der vorhandenen (alternativen) Therapiemöglichkeiten umfasst. Nichts anderes gilt im Falle der Verordnung eines Mittels ohne deutsche oder europäische Zulassung (Unlicensed Use).

34

(2) Zum anderen ist in jedem Einzelfall die Tragweite der von der Krankenkasse durch ihren Mitarbeiter abgegebenen "Erklärung" klärungsbedürftig. So ist zunächst danach zu differenzieren, ob der Mitarbeiter der Krankenkasse dem Arzt zusichert, die Krankenkasse werde die Kosten des Mittels übernehmen, oder ob sie den Vertragsarzt "ermächtigt", eine vertragsärztliche Verordnung auszustellen.

35

In der erstgenannten Konstellation hat die "Zusage" für den Arzt die Konsequenz, dass er ein Privatrezept ausstellt und dem Patienten versichern kann, dass die Krankenkasse die Kosten auf der Grundlage des § 13 Abs 3 SGB V erstatten wird. Der Schutz der Zusage der Krankenkasse wirkt insoweit vor allem haftungsrechtlich, als der Arzt sich in der Regel darauf verlassen darf, dass der Patient das verordnete Mittel tatsächlich zur Verfügung haben wird. Das ist - gerade bei sehr teuren Mitteln und bei Patienten mit geringem Einkommen - ohne die Zusage der Krankenkasse nicht gesichert, was der Arzt für die Behandlung bedenken muss und was ihn gegebenenfalls zur Wahl einer Behandlungsalternative verpflichten kann.

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Die rechtlichen Wirkungen einer "Zusage" des Mitarbeiters der Krankenkasse, der Arzt dürfe das umstrittene Mittel vertragsärztlich verordnen - allein dies steht vorliegend im Streit -, können sehr viel weiter gehen. Je nach gesundheitlicher Situation des Patienten und Inhalt der "Zusage" kann sich der Arzt legitimiert fühlen, einem Versicherten ein bestimmtes Medikament ohne zeitliche und quantitative Begrenzung zu verordnen. Daher ist der Inhalt der Erklärung nicht zuletzt hinsichtlich der (genehmigten) zeitlichen Dauer der Verordnung und der Verordnungsmenge festzustellen. Aus Sicht des Vertragsarztes beinhaltet die Erklärung der Krankenkasse zudem vorrangig die verbindliche Zusage, insoweit auf einen Regress zu verzichten. Der Vertragsarzt könnte dabei davon ausgehen, mit dem Regressverzicht habe die Krankenkasse nicht nur auf den Regress wegen der fehlenden Verordnungsfähigkeit verzichtet, sondern zugesagt, dass die "genehmigte" Verordnung generell der Wirtschaftlichkeitsprüfung - sei es nach Richtgrößen, sei es nach Durchschnittswerten - entzogen wird. Dies ist zwar nachvollziehbar, da andernfalls für den Arzt gerade bei sehr teuren Medikamenten, die die Ärzte seiner Fachgruppe wegen deren Ausschluss aus der Leistungspflicht der Krankenkasse nicht verordnen, das Risiko besteht, dass er wirtschaftlich von dem Verzicht der Krankenkasse auf einen (Einzelfall-)Regress nicht profitiert: Dies wäre dann der Fall, wenn die Verordnung zwar als zulässig, jedoch als unwirtschaftlich iS der §§ 12, 106 SGB V beurteilt wird und insoweit auch keine Praxisbesonderheiten anerkannt sind. Ob die Erklärung der Krankenkasse jedoch überhaupt im Sinne eines derart weitgehenden Regressverzichts zu verstehen ist oder ob sie allein darauf gerichtet ist, die ausnahmsweise Verordnung des Arzneimittels dem Grunde nach zu genehmigen, bedarf gleichfalls der Klärung im Einzelfall.

37

bb. Wegen der schwierigen Fragestellungen sowie der Trageweite der "Erlaubnis" einer vertragsärztlichen Verordnung und der Notwendigkeit, diese präzise nach zeitlicher Dauer und Verordnungsmenge zu bestimmen, kann der Arzt auf die Erklärung der Krankenkasse somit nur vertrauen, wenn er sicher ist, dass diese insbesondere die Voraussetzungen für die Genehmigung fundiert geprüft hat bzw durch den MDK hat prüfen lassen, oder die Entscheidung einer ständigen Verwaltungspraxis der Krankenkasse entspricht. Wenn der Arzt - etwa nach Gesprächen mit (medizinisch oder pharmakologisch) fachkundigen Mitarbeitern der Krankenkasse oder eines Arztes des MDK - sicher sein kann, dass eine solche Prüfung stattgefunden hat, und/oder er aus anderen Gründen davon ausgehen kann, dass der Krankenkassenmitarbeiter sich der Tragweite seiner Erklärung bewusst ist, ist er auch dann geschützt, wenn ihm das Ergebnis der Prüfung "nur" telefonisch übermittelt wird.

38

Hat der Vertragsarzt hingegen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Krankenkasse die Sach- und Rechtslage hinsichtlich der umstrittenen Verordnung geprüft hat, kann er nicht sicher sein, dass der in der Regel insoweit nicht fachkundige Mitarbeiter (in der Leistungsabteilung oder in der Geschäftsstelle der Krankenkasse) die Frage nach der Verordnungsfähigkeit eines an sich ausgeschlossenen Arzneimittels richtig verstanden und seine Antwort in Kenntnis der insoweit maßgeblichen Voraussetzungen und vertragsarztrechtlichen Konsequenzen gegeben hat. Es ist dann naheliegend, dass die vermeintliche "Zusage" auf eine lediglich telefonische Rückfrage hin auch nur eine unverbindliche Meinungsäußerung des Krankenkassenmitarbeiters gewesen sein kann, er sehe keine Bedenken, ohne wirklich den Sachverhalt hinreichend übersehen zu können. Es obliegt dem Vertragsarzt, der eine Entscheidung von unter Umständen erheblichen wirtschaftlichen Auswirkungen auf eine so unsichere Grundlage stützen will, sich durch Bitte um schriftliche Bestätigung der telefonischen "Zusage" bei der Krankenkasse rückzuversichern. Dies wird in aller Regel zumutbar sein.

39

Insoweit zieht der Senat die Rechtsprechung des BFH (vgl BFHE 159, 114, 119 mwN) zur - sehr begrenzten - Verbindlichkeit mündlicher und vor allem telefonischer Zusagen von Mitarbeitern der Finanzverwaltung gegenüber Steuerpflichtigen heran. Danach liegt bei mündlichen Äußerungen von Mitarbeitern der Finanzverwaltung die Annahme nahe, dass lediglich eine unverbindliche Meinungsäußerung abgegeben worden ist und deshalb an den Nachweis der eine Bindung begründenden Merkmale strenge Anforderungen zu stellen sind. Insbesondere muss zweifelsfrei feststehen, dass der Sachverhalt und die rechtliche Frage zutreffend dargelegt sowie von dem die Auskunft erteilenden Mitarbeiter richtig verstanden worden sind (aaO). Dies gilt ungeachtet des Umstands, dass im Steuerrecht ohnehin nur Erklärungen des zuständigen Sachgebietsleiters oder des Vorstehers des Finanzamtes Relevanz besitzen (stRspr des BFH, vgl BFHE 159, 114, 119; BFH Urteil vom 21.8.2012 - VIII R 33/09 = NJW 2013, 639, 640 mwN). Das Risiko, dass der Mitarbeiter Sachverhalt und rechtlich relevante Frage richtig verstanden und auf dieser Basis geantwortet hat, trägt danach grundsätzlich der Steuerpflichtige (BFHE 159, 114, 119). Diese Risikoverteilung ist gerechtfertigt, weil der Betroffene es in der Hand hat, sich mit zumutbarem Aufwand Gewissheit darüber zu verschaffen, ob er auf die mündlich oder telefonisch geäußerte Auffassung - bzw auf das, was er als Auffassung seines Gesprächspartners wahrgenommen hat - vertrauen darf. Das gilt auch für den Vertragsarzt im Rechtsverhältnis zur Krankenkasse seiner Patienten.

40

Etwas anderes gilt nur dann, wenn bei der betreffenden Krankenkasse eine Verwaltungspraxis der Art besteht, dass auf eine Prüfung der rechtlichen sowie der fachlichen Voraussetzungen durch den MDK bzw eigenes (medizinisch oder pharmakologisch) fachkundiges Personal generell verzichtet und/oder die Entscheidung über die Genehmigung der Verordnung derartiger Arzneimittel dem jeweiligen Sachbearbeiter überlassen bleibt. Begibt sich eine Krankenkasse auf diese Art und Weise ihrer Überprüfungsmöglichkeit und ist dies dem Vertragsarzt bekannt, reicht dies aus, um ein Vertrauen des Vertragsarztes in die Verbindlichkeit der Erklärung der Krankenkasse zu begründen. Außer Frage steht, dass eine schriftliche Bestätigung nicht gefordert werden kann, wenn dies seitens der Krankenkasse abgelehnt wird.

41

cc. Somit setzt die Annahme von Vertrauensschutz auf eine lediglich telefonisch erteilte "Erlaubnis" einer bestimmten vertragsärztlichen Verordnung - grundsätzlich - eine Gesamtwürdigung aller maßgeblichen Umstände voraus. Unter Berücksichtigung des Ausnahmecharakters der Verordnung und der damit verbundenen schwierigen medizinischen Fragestellungen (oben 3.d.aa.1) sowie der klärungsbedürftigen Tragweite der Verordnung (oben 3.d.aa.2) ist hierbei etwa von Bedeutung, ob den betreffenden Mitarbeiter der Krankenkasse zum Zeitpunkt des Telefonats der zugrundeliegende Sachverhalt bereits bekannt war; zu berücksichtigen ist daher, ob Erst- oder Folgeverordnungen betroffen sind bzw ob hinsichtlich der Behandlung des betroffenen Patienten schon Kontakt zwischen Vertragsarzt und Krankenkasse bestand. Weiter kann von Bedeutung sein, ob der Arzt eine im Rahmen einer Krankenhausbehandlung begonnene Off-Label-Therapie ambulant fortsetzen will bzw muss oder einen ganz neuen Behandlungsansatz verfolgt.

42

In die Gesamtwürdigung einzubeziehen sind auch die weiteren Umstände der Verordnung, insbesondere deren wirtschaftliche Tragweite; denn es liegt auf der Hand, dass die Entscheidung der Krankenkasse nicht losgelöst von den Kosten des Medikaments und/oder der Dauer der geplanten Therapie betrachtet werden kann. Auch dem verordnenden Arzt ist bewusst, dass die Krankenkasse die Genehmigung einer Verordnung umso intensiver prüfen wird, je höher deren Folgekosten sind. Daher besteht für ihn bei besonders kostenträchtigen Verordnungen eine besondere Sorgfaltspflicht in Bezug auf die Prüfung, ob der die Erklärung abgebende Krankenkassenmitarbeiter sich der Tragweite seiner Erklärung bewusst ist, während er umgekehrt bei Verordnungen von geringer wirtschaftlicher Bedeutung im Regelfall annehmen darf, dass die von der Krankenkasse abgegebene Erklärung verbindlich ist.

43

Wichtig kann weiterhin sein, ob die Verordnung aus medizinischen Gründen nach dem Konzept des Arztes keinen Aufschub duldet, so dass die Bitte um schriftliche oder elektronische Bestätigung des Gesprächsergebnisses kaum zumutbar erscheint. Dies kommt allerdings nur ausnahmsweise in Betracht, etwa dann, wenn die Bestätigung - zB wegen des nahenden Endes der Geschäftszeiten - nicht innerhalb des medizinisch gebotenen Zeitraums erfolgen kann. Zu berücksichtigen ist zudem, ob die Krankenkasse nach ihrer Verwaltungspraxis generell auf eine nähere Überprüfung "irregulärer" Verordnungen verzichtet oder jedenfalls für ein bestimmtes Arzneimittel in vergleichbaren Fällen generell eine "Zusage" erteilt hat.

44

Die unverzichtbare Gesamtwürdigung aller Umstände ist Sache des Tatrichters und nicht des Revisionsgerichts. Bundesrechtlich steht als rechtlicher Rahmen nur fest, dass schutzwürdiges Vertrauen des Arztes auf die lediglich telefonisch übermittelte "Genehmigung" an sich vertragsarztrechtlich unzulässiger Verordnungen den Ausnahmefall bildet. Ergeben die insoweit maßgeblichen Umstände kein eher zu Gunsten des Arztes sprechendes Gesamtbild, kann sich der Arzt auf Vertrauensschutz nicht berufen.

45

4. Das Berufungsgericht wird bei seiner abschließenden Entscheidung auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.

(1) Die Krankenkassen und die Kassenärztlichen Vereinigungen überwachen die Wirtschaftlichkeit der vertragsärztlichen Versorgung durch Beratungen und Prüfungen. Die Landesverbände der Krankenkassen und die Ersatzkassen gemeinsam und einheitlich und die Kassenärztlichen Vereinigungen vereinbaren Inhalt und Durchführung der Beratungen und Prüfungen nach Absatz 2 sowie die Voraussetzungen für Einzelfallprüfungen. Die Vertragspartner können die Prüfungsstelle mit der Prüfung ärztlich verordneter Leistungen in der ambulanten Versorgung außerhalb der vertragsärztlichen Versorgung beauftragen und tragen die Kosten. Die Krankenkassen übermitteln der Prüfungsstelle die Daten der in der ambulanten Versorgung außerhalb der vertragsärztlichen Versorgung verordneten Leistungen; dabei sind zusätzlich die Zahl der Behandlungsfälle und eine Zuordnung der verordneten Leistungen zum Datum der Behandlung zu übermitteln. Die §§ 296 und 297 gelten entsprechend.

(2) Die Wirtschaftlichkeit der Versorgung wird von der Prüfungsstelle nach § 106c geprüft durch

1.
arztbezogene Prüfungen ärztlicher Leistungen nach § 106a,
2.
arztbezogene Prüfungen ärztlich verordneter Leistungen nach § 106b.
Die Prüfungen werden auf der Grundlage der Daten durchgeführt, die der Prüfungsstelle nach § 106c gemäß § 296 Absatz 1, 2 und 4 sowie § 297 Absatz 2 übermittelt werden. Hat die Prüfungsstelle Zweifel an der Richtigkeit der übermittelten Daten, ermittelt sie die Datengrundlagen für die Prüfung aus einer Stichprobe der abgerechneten Behandlungsfälle des Arztes und rechnet die so ermittelten Teildaten nach einem statistisch zulässigen Verfahren auf die Grundgesamtheit der Arztpraxis hoch.

(3) Die Prüfungsstelle nach § 106c bereitet die für die Prüfungen nach Absatz 2 erforderlichen Daten und sonstigen Unterlagen auf, trifft Feststellungen zu den für die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit wesentlichen Sachverhalten und entscheidet unter Beachtung der Vereinbarungen nach den §§ 106a und 106b, ob der Vertragsarzt, der ermächtigte Arzt oder die ermächtigte Einrichtung gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen hat und welche Maßnahmen zu treffen sind. Eine Maßnahme kann insbesondere auch die Festsetzung einer Nachforderung oder einer Kürzung sein. Die Festsetzung einer Nachforderung oder einer Kürzung auf Grund einer Wirtschaftlichkeitsprüfung, die von Amts wegen durchzuführen ist, muss für ärztliche Leistungen innerhalb von zwei Jahren ab Erlass des Honorarbescheides und für ärztlich verordnete Leistungen innerhalb von zwei Jahren ab dem Schluss des Kalenderjahres, in dem die Leistungen verordnet worden sind, erfolgen; § 45 Absatz 2 des Ersten Buches gilt entsprechend. Für Wirtschaftlichkeitsprüfungen, die auf Grund eines Antrags erfolgen, ist der Antrag für die Prüfung ärztlicher Leistungen spätestens 18 Monate nach Erlass des Honorarbescheides und für die Prüfung ärztlich verordneter Leistungen spätestens 18 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Leistungen verordnet worden sind, bei der Prüfungsstelle nach § 106c einzureichen. Die Festsetzung einer Nachforderung oder einer Kürzung muss innerhalb weiterer zwölf Monate nach Ablauf der in Satz 4 genannten Frist erfolgen; die Regelung des § 45 Absatz 2 des Ersten Buches findet keine entsprechende Anwendung. Gezielte Beratungen sollen weiteren Maßnahmen in der Regel vorangehen. Die Prüfungsstelle berät die Vertragsärzte auf der Grundlage von Übersichten über die von ihnen im Zeitraum eines Jahres oder in einem kürzeren Zeitraum erbrachten, verordneten oder veranlassten Leistungen über Fragen der Wirtschaftlichkeit und Qualität der Versorgung.

(4) Werden Wirtschaftlichkeitsprüfungen nicht in dem vorgesehenen Umfang oder nicht entsprechend den für ihre Durchführung geltenden Vorgaben durchgeführt, haften die zuständigen Vorstandsmitglieder der Krankenkassenverbände und Kassenärztlichen Vereinigungen für eine ordnungsgemäße Umsetzung. Können Wirtschaftlichkeitsprüfungen nicht in dem vorgesehenen Umfang oder nicht entsprechend den für ihre Durchführung geltenden Vorgaben durchgeführt werden, weil die erforderlichen Daten nach den §§ 296 und 297 nicht oder nicht im vorgesehenen Umfang oder nicht fristgerecht übermittelt worden sind, haften die zuständigen Vorstandsmitglieder der Krankenkassen oder der Kassenärztlichen Vereinigungen. Die zuständige Aufsichtsbehörde hat nach Anhörung der Vorstandsmitglieder und der jeweils entsandten Vertreter im Ausschuss den Verwaltungsrat oder die Vertreterversammlung zu veranlassen, das Vorstandsmitglied auf Ersatz des aus der Pflichtverletzung entstandenen Schadens in Anspruch zu nehmen, falls der Verwaltungsrat oder die Vertreterversammlung das Regressverfahren nicht bereits von sich aus eingeleitet hat.

(5) Die Absätze 1 bis 4 gelten auch für die Prüfung der Wirtschaftlichkeit der im Krankenhaus erbrachten ambulanten ärztlichen und belegärztlichen Leistungen.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 19. April 2012 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Umstritten ist ein Arzneikostenregress in Höhe von ca 22 700 Euro wegen der Verordnung von Polyglobulin-Infusionslösungen in den Quartalen III/2001 bis II/2002.

2

Auf Antrag der klagenden Krankenkasse setzte der Prüfungsausschuss wegen der Verordnung von Polyglobulin-Infusionslösungen durch die zu 1. beigeladene Gemeinschaftspraxis einen Regress in Höhe von ca 24 000 Euro fest. Er begründete dies damit, die Infusionslösungen seien weder generell noch im Fall der von der Praxis behandelten Patientin S. verordnungsfähig gewesen. Auf den Widerspruch der zu 1. beigeladenen Gemeinschaftspraxis hob der Rechtsvorgänger des beklagten Beschwerdeausschusses (im Folgenden: Beklagter) die Entscheidung des Prüfungsausschusses auf. Er begründete diese Entscheidung damit, die Beigeladene zu 1. habe nachvollziehbar dargelegt, dass bei der betroffenen Patientin keine Alternative zur Behandlung der chronischen idiopathischen demyelinisierenden Polyneuropathie (CIDP) mit den Infusionen bestanden habe. Das SG hat die Klage der Krankenkasse abgewiesen, weil Polyglobulin im streitbefangenen Zeitraum für die Behandlung der bei der Patientin S. vorliegenden Gesundheitsstörung (Guillain-Barré-Syndrom; G-B-S) zugelassen gewesen sei; Rechtsfragen eines Off-Label-Use stellten sich deshalb nicht.

3

Auf die Berufung der Klägerin hat das LSG die sozialgerichtliche Entscheidung geändert und den Bescheid des beklagten Beschwerdeausschusses aufgehoben. Dieser ist verpflichtet worden, über den Regressantrag der Klägerin wegen der Verordnung von Polyglobulin-Infusionslösungen erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts zu entscheiden. Die weitergehende Berufung der Klägerin hat das LSG zurückgewiesen.

4

Das LSG ist der Auffassung, die beigeladene Gemeinschaftspraxis hätte in den streitbefangenen Quartalen zugunsten der Versicherten S. Polyglobulin-Infusionslösungen nicht verordnen dürfen. Die Versicherte habe an einer CIDP und nicht an einem G-B-S gelitten. Für die Behandlung der CIDP habe es an einer arzneimittelrechtlichen Zulassung der Behandlung mit Polyglobulin gefehlt, und auch die Voraussetzungen für einen Einsatz dieses Arzneimittels im Rahmen des Off-Label-Use hätten nicht vorgelegen. Schließlich seien die Ärzte der Beigeladenen zu 1. auch unter Beachtung der Grundsätze des Beschlusses des BVerfG vom 6.12.2005 (1 BvR 347/98 - BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5) nicht berechtigt gewesen, Polyglobulin als Infusionslösungen zu verordnen.

5

Danach stehe fest, dass der Regress, den der Prüfungsausschuss gegen die Beigeladene zu 1. festgesetzt habe, dem Grunde nach gerechtfertigt sei. Der Beklagte sei aber verpflichtet, über die Höhe des Regresses unter Berücksichtigung des ihm insoweit zustehenden Ermessens neu zu entscheiden. Im Regelfall habe zwar der Beschwerdeausschuss kein Ermessen hinsichtlich der Höhe der Regressfestsetzung, weil sich diese bei unzulässigen Arzneimittelverordnungen aus dem Preis für die fehlerhaft verordneten Arzneimittel ergebe, doch sei hier ein besonders gelagerter Fall zu beurteilen, in dem Abweichendes gelte. Es lägen extreme Besonderheiten vor, schon weil kein Konsens in der medizinischen Wissenschaft zum therapeutischen Nutzen des Einsatzes von Polyglobulin-Infusionslösungen bei CIDP bestanden und es zudem an gleichwertigen alternativen Behandlungsmöglichkeiten für die betroffene Patientin gefehlt habe. Im Übrigen sei zu berücksichtigen, dass inzwischen Polyglobulin-Infusionslösungen zur Behandlung der CIDP arzneimittelrechtlich zugelassen seien, sodass nach geltendem Recht korrekte Verordnungen vorlägen (Urteil vom 19.4.2012).

6

Mit ihrer Revision macht die Klägerin geltend, das Berufungsurteil stehe mit Bundesrecht nicht in Einklang. Das BSG habe entschieden, dass bei einem Regress wegen unzulässiger Arzneiverordnungen den Prüfgremien kein Ermessen zustehe, sondern die Kostenträger einen Anspruch auf Auskehrung des Betrages hätten, den sie für die im Widerspruch zu den geltenden Vorschriften verordneten Arzneimittel aufgewandt hätten. Für die vom Berufungsgericht zugelassene Ausnahme eines Entscheidungsermessens der Prüfgremien hinsichtlich der Höhe des Regresses gebe es keine bundesgesetzliche Grundlage.

7

Die Klägerin beantragt,
die Urteile des LSG Rheinland-Pfalz vom 19.4.2012 und des SG Mainz vom 13.5.2009 sowie den Bescheid des Beklagten vom 24.6.2004 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, den Widerspruch der zu 1. beigeladenen Gemeinschaftspraxis gegen den Bescheid des Prüfungsausschusses vom 24.7.2003 zurückzuweisen.

8

Weder der beklagte Beschwerdeausschuss noch die zu 2. beigeladene Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) stellen einen Antrag. Beide halten die Entscheidung des Beklagten, keinen Regress festzusetzen, nach wie vor für richtig. Die zu 1. beigeladene Gemeinschaftspraxis, die ebenfalls keinen Antrag stellt, ist derselben Ansicht und macht geltend, nach arzneimittelrechtlichen Grundsätzen lägen schon keine unzulässigen Verordnungen vor.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision der Klägerin hat im Sinne der Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung an das LSG Erfolg.

10

Im Ausgangspunkt zutreffend hat das LSG dargelegt, dass die Prüfgremien auf der Grundlage des § 106 Abs 2 SGB V idF des Gesundheitsstrukturgesetzes iVm § 8 Abs 3 der Prüfvereinbarung eine Einzelfallprüfung durchführen durften. Gegenstand der Prüfung war hier die Zulässigkeit der Verordnung von Polyglobulin-Infusionslösungen zugunsten der Versicherten S. in den vier streitbefangenen Quartalen (vgl dazu allg BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 30 RdNr 10/11). Streitgegenstand ist bei (potenziell) unzulässigen Verordnungen eine verschuldensunabhängige Maßnahme der Wirtschaftlichkeitsprüfung und nicht die Festsetzung eines "sonstigen Schadens".

11

1. Zu Recht rügt die Klägerin indessen, dass das Berufungsgericht angenommen hat, den Prüfgremien stehe bei der Festsetzung von Regressen wegen unzulässiger Verordnungen hinsichtlich der Höhe des Regresses hier ein Ermessen zu. Der Senat hat in seinem Urteil vom 3.2.2010 (SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 43) ausdrücklich ausgeführt, dass für ein Ermessen im Rahmen der Festsetzung von Regressen wegen unzulässiger Arzneiverordnungen kein Raum ist. Die Zulassung einer Ausnahme von diesem Grundsatz ist weder geboten noch sinnvoll.

12

Die für die Prüfung der Rechtmäßigkeit eines Regresses wegen unzulässiger bzw rechtswidriger Verordnungen maßgeblichen Grundsätze lassen - anders als das Berufungsgericht meint - in vieler Hinsicht Raum für Erwägungen zur besonderen Behandlungssituation des Patienten, zu seiner Vorgeschichte und zum Ineinandergreifen von stationären und ambulanten Behandlungen. Im Übrigen müssen die Prüfgremien nach der Rechtsprechung des Senats sowohl unter dem Gesichtspunkt eines Off-Label-Use als auch im Hinblick auf die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 2 Abs 1a SGB V bzw die dort kodifizierten Aussagen des BVerfG im Beschluss vom 6.12.2005 (BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5)prüfen, ob der Versicherte unter Berücksichtigung der bei ihm vorhandenen schwerwiegenden Gesundheitsstörung Anspruch auf die entsprechende Verordnung hatte (SozR 4-2500 § 106 Nr 30 RdNr 30). Wenn das (auch) unter Berücksichtigung der möglicherweise bestehenden Schwierigkeiten bei der exakten Zuordnung des Beschwerdebildes des Versicherten zu einer medizinischen Diagnose nicht der Fall war, besteht keine Notwendigkeit, der - vom LSG deutlich angesprochenen - Härte der Festsetzung eines Regresses unter dem Gesichtspunkt einer Ermessensausübung hinsichtlich seiner Höhe Rechnung zu tragen.

13

Auch aus der Perspektive der betroffenen Ärzte hält der Senat den vom LSG an dieser Stelle gewiesenen Ausweg in potenziellen Härtefällen nicht für sinnvoll. Wenn die umstrittene Verordnung zumindest unter Berücksichtigung der "weichen" Kriterien der neuesten Rechtsprechung des BVerfG und des BSG zulässig war, ist es nicht gerechtfertigt, die Ärzte, die eine entsprechende Verordnung ausgestellt haben, auch nur zu einem begrenzten, möglicherweise kleinen Teil an den Kosten dieser Verordnung zu beteiligen. Nicht die Ärzte, sondern die Krankenkassen haben für die Kosten solcher Arzneiverordnungen aufzukommen, die Vertragsärzte im Rahmen der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung rechtmäßig ausgestellt haben. Auf der anderen Seite besteht eine entsprechende Zahlungsverpflichtung der Krankenkassen überhaupt nicht - auch nicht zu einem gewissen Anteil -, wenn der Vertragsarzt bei der Verordnung die Regeln des vertragsärztlichen Systems nicht eingehalten hat.

14

Im Übrigen stünde die Verpflichtung der Prüfgremien zur Ausübung von Ermessen zur Regresshöhe mit dem Aspekt der Rechtssicherheit in Widerspruch. Es lassen sich schwerlich allgemeine Grundsätze dazu entwickeln, wann ein - vom LSG hier offenbar ausgenommener - Grenz- oder Extremfall eines Kostenregresses vorliegt, der Anlass für Ermessenserwägungen geben könnte. Auch wäre es den Prüfgremien kaum möglich, § 54 Abs 2 Satz 2 SGG zu genügen und schlüssig darzulegen, dass sie von ihrem Ermessen - nur zur Höhe des Regresses - in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht haben. Es ist insoweit bezeichnend, dass das LSG hier nicht einmal angedeutet hat, wie weit tendenziell der Beklagte den Regress vermindern soll, damit aus der Sicht des Gerichts den besonderen Umständen des Einzelfalls angemessen Rechnung getragen wird. Das beruht vor allem darauf, dass keine sinnvolle Relation herstellbar ist zwischen nicht ausräumbaren Zweifeln an der Angemessenheit eines Regresses dem Grunde nach und dem Ausmaß seiner deshalb gebotenen Verminderung. Die angesprochenen Zweifel im Sinne des Berufungsurteils sind nicht durch die Verpflichtung der Prüfgremien zur Ausübung von Ermessen zur Höhe eines Regresses, sondern durch Anwendung der allgemeinen Rechtsgrundsätze zum Bestehen von Schadensersatzansprüchen aufzulösen. Wenn sich nach Ausschöpfung aller Aufklärungsmöglichkeiten nicht feststellen lässt, dass der Vertragsarzt die umstrittenen Verordnungen nicht hätte ausstellen dürfen, hat er der Krankenkasse des Versicherten keinen Schaden zugefügt, den er ausgleichen müsste.

15

2. Erweist sich damit das Berufungsurteil als unvereinbar mit Bundesrecht, kann der Senat gleichwohl nicht im Sinne der Revision der Klägerin den angefochtenen Bescheid des Beklagten aufheben (§ 170 Abs 2 Satz 1 SGG).

16

Die Ausführungen des LSG zur Rechtmäßigkeit des Regresses dem Grunde nach und zur Notwendigkeit der Ausübung von Ermessen zur Höhe bilden eine erkennbare Einheit. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht die Zulässigkeit der Verordnung von Polyglobulin-Infusionen durch die beigeladene Praxis anders beurteilt hätte, wenn es davon hätte ausgehen müssen, dass Zweifeln an der Vertretbarkeit der Verordnungen nicht durch eine Ermessensbetätigung des Beklagten zur Regresshöhe Rechnung getragen werden kann. Das LSG stellt nämlich zunächst fest, die Versicherte S. habe an einer CIDP gelitten, sodass mangels arzneimittelrechtlicher Zulassung der Polyglobulin-Infusionen zur Behandlung dieser Erkrankung ein Regress festgesetzt werden durfte. In der Passage der Entscheidungsgründe, die sich zur Notwendigkeit der Ausübung von Ermessen verhalten, lässt das LSG dann aber deutliche Zweifel anklingen, ob die Krankheitsbilder der CIDP bzw des G-B-S bei der Versicherten so eindeutig voneinander abgegrenzt waren, dass die Beurteilung, die Verordnung sei wegen des Vorliegens "nur" einer CIDP eindeutig unzulässig gewesen, dem Gericht selbst fraglich erscheint. Für die Zulässigkeit der Verordnung ist jeweils der zum Zeitpunkt ihrer Ausstellung maßgebliche Rechts- und Sachzustand zu berücksichtigen. Dasselbe gilt grundsätzlich für die Kenntnisse der behandelnden Ärzte vom Krankheitsbild der Versicherten. Wenn - was auf der Basis des vom LSG eingeholten Gutachtens und der ergänzenden Stellungnahme des MDK möglich erscheint - die jeweiligen Krankheitsbilder, die ersichtlich nicht grundlegend verschieden sind, nur schwer voneinander abgegrenzt werden können, kann es nicht zu Lasten der verordnenden Ärzte gehen, wenn sie sich nach Abschluss der ihnen möglichen Diagnostik für das Vorliegen einer bestimmten Krankheit entschieden und diese dann sachgerecht behandelt haben.

17

Im hier zu beurteilenden Fall war es für die Ärzte der Beigeladenen kaum möglich, das Krankheitsgeschehen der Versicherten S. eindeutig einer der beiden in Betracht kommenden Krankheitsbezeichnungen - CIDP oder G-B-S - zuzuordnen. Auf der Grundlage der differenzialdiagnostischen Erwägungen der N. im Anschluss an die stationäre Behandlung der Versicherten dort kamen beide Krankheitsbezeichnungen in Betracht. Wenn die Versicherte an einem G-B-S gelitten hat, kann auch eine Therapie dieser Erkrankung mit den dafür zugelassenen Medikamenten regelkonform gewesen sein.

18

Insoweit würde sich dann - wie vom SG richtig gesehen - die Frage nach einem zulässigen Off-Label-Use nicht stellen, weil Polyglobulin-Infusionen zur Behandlung des G-B-S zugelassen waren. Die mehrere Jahre nach Abschluss der streitbefangenen Behandlung erfolgte gutachterliche Einschätzung, dass bei der Versicherten S. doch eher eine anders bezeichnete Krankheit, nämlich eine CIDP, wahrscheinlicher gewesen sei, würde an der Rechtmäßigkeit der Verordnungen nichts ändern. Das gilt selbstverständlich nur unter dem Vorbehalt, dass die Ärzte nicht offensichtlich fernliegende Diagnosen zu Grunde gelegt haben und keine unvollständige Diagnostik erfolgt ist. Soweit sich die behandelnden Ärzte aber auf dem Wissensstand der jeweiligen Zeit, unter Ausschöpfung der ihnen praktisch möglichen Diagnostik sowie nach Auswertung der vorhandenen Befunde für einen bestimmten Therapieweg entschieden und auf der Basis dieser Entscheidung sachgerecht therapiert haben, ist, wenn zur Behandlung dieser Erkrankung die vorgenommenen Arzneiverordnungen zulässig waren, kein Raum für einen Regress.

19

Das LSG wird im Hinblick auf die rechtlich ausgeschlossene Möglichkeit, den bestehenden Zweifeln an der Unzulässigkeit der Verordnungen durch eine Ermessensausübung des Beklagten hinsichtlich der Regresshöhe Rechnung zu tragen, gegebenenfalls durch erneute Befragung des Sachverständigen zu prüfen haben, ob eine klare Zuordnung des Krankheitsbildes der Versicherten zu einer der in Betracht kommenden Krankheitsbezeichnungen möglich war. Wenn das bezogen auf den Zeitpunkt der Ausstellung der Verordnungen nicht möglich war, ist die medizinische Vertretbarkeit der Entscheidung der Beigeladenen zu 1. für die Verordnung von Polyglobulin-Infusionen - gegebenenfalls auch unter Einbeziehung der Grundsätze des Off-Label-Use - zu klären.

20

Das LSG wird bei seiner erneuten Entscheidung auch über die Kosten des Revisionsverfahrens mit zu entscheiden haben.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 15. Februar 2012 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten auch des Revisionsverfahrens, mit Ausnahme der außergericht-lichen Kosten der Beigeladenen.

Tatbestand

1

Streitig ist ein Regress der klagenden Krankenkasse (KK) gegen einen ermächtigten Krankenhausarzt wegen fehlerhafter Ausstellung von Arzneiverordnungen.

2

Die Klägerin ist eine KK im Land Rheinland-Pfalz. Der Beklagte ist Facharzt für Innere Medizin und Gastroenterologie; er war Chefarzt der Medizinischen Klinik eines Krankenhauses in L. und seit 2003 bis zum 28.2.2007 ermächtigt, auf Überweisung vertragsärztliche Behandlungen durchzuführen. Die Beigeladene ist die bei der Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) eingerichtete Schlichtungsstelle gemäß § 49 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä), § 45 Bundesmantelvertrag-Ärzte/Ersatzkassen (EKV-Ä).

3

Die Klägerin rief am 17.12.2007 wegen vom Beklagten ausgestellter Arzneiverordnungen die beigeladene Schlichtungsstelle an. Sie beanstandete zahlreiche Verordnungen des Beklagten als fehlerhaft; die Mehrzahl der erhobenen Beanstandungen verfolgte sie später in diesem Verfahren nicht weiter. Sie hat ihr Regressbegehren schließlich auf sieben Verordnungsfälle beschränkt:

        

Bei drei (Erst-)Verordnungen liege ihr kein Überweisungsschein (= Abrechnungsschein) mit der Angabe einer der Verordnung zugrunde liegenden ärztlichen Behandlung vor (Verordnungen vom 28.3.2003 für H.M., vom 8.7.2005 für H.H. und vom 30.11.2006 für H.O.);

        

eine Verordnung weise keine Unterschrift auf (Verordnung vom 26.1.2007 für A.A.);

        

drei Verordnungen seien nicht vom Beklagten, sondern von einem anderen Arzt des Krankenhauses unterzeichnet (zwei Verordnungen vom 26.1.2007 für A.A. mit der Unterschrift des Oberarztes Dr. S.; eine Verordnung vom 8.8.2007 für I.T. mit der Unterschrift der Nachfolgerin des Beklagten in der Chefarztposition).

4

Die Klägerin hat - wie sie geltend macht: aus Vorsorge gegen eine etwaige Verjährung der von ihr erhobenen Regressansprüche - am 18.12.2009 beim SG Zahlungsklage erhoben. Ihre Forderung hat zuletzt noch 477,72 Euro betragen.

5

Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 15.2.2012): Die Leistungsklage sei unzulässig. Der Klägerin sei der Klageweg verwehrt, denn es bestehe eine ausschließliche Kompetenz der Prüfgremien. Bei diesen könne die Klägerin den Erlass eines Regressbescheides gegen den Beklagten beantragen. Der von ihr geltend gemachte Regress wegen fehlerhafter Verordnungen betreffe in allen sieben Fällen einen sog sonstigen Schaden gemäß § 48 BMV-Ä. Die Zuordnung zum Verfahren gemäß § 48 BMV-Ä entspreche der Rechtsprechung des BSG; dieses ordne diesem Verfahren alle Verordnungen zu, bei denen ein Fehler bei der Art und Weise der Ausstellung der Verordnung - und nicht bei ihrem Inhalt - in Frage stehe. Hierzu gehöre das Fehlen einer durch Überweisungsschein belegten, der Verordnung zugrunde liegenden ärztlichen Behandlung ebenso wie Mängel persönlicher Leistungserbringung einschließlich des Fehlens eigener Unterzeichnung durch den verordnenden ermächtigten Arzt. Wegen dieser Zuständigkeit der Prüfgremien gemäß § 48 BMV-Ä sei weder das Schlichtungsverfahren gemäß § 49 BMV-Ä eröffnet noch Raum für eine Leistungsklage.

6

Die Klägerin hat am 2.4.2012 (Sprung-)Revision eingelegt. Am 18.4.2012 hat sie gegenüber der Schlichtungsstelle, die am 3.2.2010 getagt, aber keine Entscheidung getroffen hatte, ihren Antrag auf Schlichtung zurückgenommen.

7

Mit ihrer Revision macht die Klägerin geltend, entgegen der Auffassung des SG seien für ihr Regressverlangen nicht die Prüfgremien gemäß § 48 BMV-Ä, sondern die Schlichtungsstelle gemäß § 49 BMV-Ä zuständig. Dem Schlichtungsverfahren seien alle Fälle eines Verstoßes gegen das Gebot der persönlichen Leistungserbringung zuzuordnen, wozu nicht nur die ärztliche Entscheidung über das jeweils zu verordnende Medikament, sondern auch die Verordnung selbst und deren eigenhändige Unterzeichnung gehöre. Der Schlichtungsausschuss sei weiterhin zuständig bei Fehlen einer durch Überweisungsschein belegten, der Verordnung zugrunde liegenden ärztlichen Behandlung. In allen Fällen habe der Beklagte auch schuldhaft gehandelt, wie es für eine Schadensfeststellung gemäß § 49 BMV-Ä erforderlich sei. Das fehlerhafte Verordnungsverhalten habe auch einen Schaden verursacht; unbeachtlich sei der Einwand, die Verordnungen seien notwendig gewesen und wären sonst von einem anderen Arzt ebenso ausgestellt worden. Auch bei völligem Fehlen einer Unterschrift - obgleich hier nicht der Vorhalt greife, er habe die Pflicht zu nur eigenhändigem Handeln verletzt - sei er zum Regress verpflichtet.

8

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 15.2.2012 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, an sie 477,72 Euro nebst Zinsen in Höhe von 8 % über dem Basiszinssatz seit dem 18.12.2009 zu zahlen.

9

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

10

Der Beklagte verteidigt das Urteil des SG. Die Zuständigkeit der Prüfgremien gemäß § 48 BMV-Ä entspreche der Auslegung dieser Bestimmung durch das BSG. Die Konsequenz daraus sei allerdings, dass ein Anwendungsraum für das Verfahren gemäß § 49 BMV-Ä nicht mehr erkennbar sei, seit die Praxisgebühr abgeschafft und somit die Verweisung von § 18 Abs 7a Satz 3 auf § 49 BMV-Ä gegenstandslos sei. Wegen der Anwendbarkeit des § 48 BMV-Ä sei kein Raum für eine Leistungsklage der KK, sodass das SG die Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen habe. Die Klageabweisung sei auch richtig, wenn statt der Prüfgremien die Schlichtungsstelle zuständig wäre: Die Anrufung der Schlichtungsstelle wäre dann der einfachere Weg, sodass für eine Klage das Rechtsschutzbedürfnis fehlen würde. Der Klage würde in einem Fall wie hier zudem die Anhängigkeit des Verfahrens vor der Schlichtungsstelle entgegenstehen, wie § 49 Abs 4 Satz 2 BMV-Ä ergebe. §§ 48, 49 BMV-Ä seien auch auf ermächtigte Ärzte anzuwenden, wenn dies auch im BMV-Ä nicht so klar zum Ausdruck komme wie in § 8 Abs 3 EKV-Ä. Im Übrigen wäre eine Leistungsklage, falls sie zulässig wäre, jedenfalls unbegründet; relevante Verordnungsfehler lägen nicht vor. In allen Fällen hätten Überweisungsscheine vorgelegen; er - der Beklagte - habe die Versicherungskarten eingelesen und dem Krankenhaus zur Abrechnung weitergeleitet. Ihm könne das Versäumnis des Krankenhauses, die Behandlung gegenüber der KÄV abzurechnen, nicht zugerechnet werden. Auch das Fehlen eigenhändiger Unterzeichnung von Verordnungen rechtfertige keinen Regress. Es gebe keine Vorschrift, wonach der ermächtigte Arzt das Verordnungsblatt eigenhändig unterzeichnen müsse; er müsse die einzunehmenden Arzneimittel lediglich persönlich auswählen. Überdies sei es in der jeweiligen konkreten Situation rechtens gewesen, die Verordnungen den Patienten ohne seine Unterschrift aushändigen zu lassen: Er sei nach seiner Auswahl der einzunehmenden Arzneimittel jeweils plötzlich abgerufen worden und eine Zeit lang unabkömmlich gewesen; ein Warten auf seine Rückkehr sei den schwerkranken Patienten nicht zuzumuten gewesen. Das Rezept vom 8.8.2007, das seine Nachfolgerin unterzeichnet habe, sei zeitlich weit nach seinem Ausscheiden ausgestellt worden und könne ihm nicht angelastet werden.

11

Die beigeladene Schlichtungsstelle hat sich - ohne einen Antrag zu stellen - dahingehend geäußert, dass ihre Zuständigkeit zweifelhaft sei. Die Rechtsprechung des BSG ergebe Anhaltspunkte für eine Zuständigkeit der Prüfgremien gemäß § 48 BMV-Ä. Für eine Gesamtzuständigkeit der Prüfgremien in allen hier umstrittenen Konstellationen spreche, dass es nicht praktikabel wäre, je nach Typus des Fehlers bei der Ausstellung der Verordnung unterschiedliche Zuständigkeiten - teilweise der Schlichtungsstelle und teilweise der Prüfgremien - anzunehmen.

Entscheidungsgründe

12

Die Revision der Klägerin hat keinen Erfolg. Das SG hat ihre Leistungsklage zu Recht als unzulässig abgewiesen. Die Klägerin hätte, statt Klage gegen den Arzt zu erheben oder die Schlichtungsstelle gemäß § 49 BMV-Ä anzurufen, beim Prüfungsausschuss die Festsetzung eines Regresses gemäß § 48 BMV-Ä wegen fehlerhafter vertragsärztlicher Verordnungen beantragen müssen(unten 1.). Dies gilt für das Vorgehen gegen einen Arzt auch noch nach Beendigung seiner vertragsärztlichen Tätigkeit (unten 2. und 3.) und ebenso gegenüber ermächtigten Krankenhausärzten (unten 4.). Einen entsprechenden Regressantrag kann die Klägerin auch jetzt noch mit Erfolgsaussicht stellen (unten 5.).

13

1. Das SG hat im vorliegenden Fall zu Recht die Klage als unzulässig abgewiesen. Für ein Klageverfahren ist kein Raum; die Klägerin hat nur die Möglichkeit, bei den Prüfgremien den Erlass eines Schadensfeststellungsbescheids zu beantragen.

14

In der Rechtsordnung ist vielfach vorgesehen, dass vor der Geltendmachung eines Anspruchs im Klageweg zunächst ein Verwaltungsverfahren durchzuführen ist - mit der Folge, dass eine unmittelbar erhobene Klage unzulässig ist -. So ist vor Erhebung einer Verpflichtungsklage ein Antragsverfahren bei der Behörde durchzuführen (vgl § 78 Abs 1 Satz 1 SGG; - ebenso § 68 Abs 1 Satz 1 VwGO; vergleichbar auch der Vorrang eines Schiedsverfahrens, § 1032 Abs 1 ZPO). Ebenso darf im Bereich des Vertragsarztrechts eine KK, die zB wegen Verordnungs- oder Behandlungsfehler Ansprüche gegen einen Arzt erhebt, nicht direkt gegen ihn Klage erheben; sie muss vielmehr ein Verwaltungsverfahren bei den Prüfgremien auf Erlass eines Verwaltungsakts gegen den Arzt einleiten, sofern deren Zuständigkeit gemäß § 106 SGB V oder gemäß § 48 BMV-Ä gegeben ist. Der sachliche Grund für diese vorrangigen Zuständigkeiten liegt in der besonderen Sachkunde der fachkundig besetzten Gremien, die die Kompetenz zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit der vertragsärztlichen Tätigkeit haben.

15

Auf der Grundlage der Abgrenzung der §§ 106 SGB V, 48, 49 BMV-Ä voneinander(unten a) sowie speziell zwischen § 106 SGB V zu § 48 BMV-Ä(unten b) ist im vorliegenden Fall die Zuständigkeit gemäß § 48 BMV-Ä gegeben(unten c). Die Folge eines "Leerlaufens" des § 49 BMV-Ä ist hinzunehmen(unten d). Das Ergebnis der Zuständigkeit der Prüfgremien gemäß § 48 BMV-Ä und der daraus folgenden Unzulässigkeit einer direkten Klage der KK gegen den Arzt entspricht dem System des vertragsarztrechtlichen Viereck-Verhältnisses(unten e).

16

a) Die auf der Grundlage des § 106 Abs 4 Satz 1 SGB V errichteten Prüfgremien entscheiden über die Wirtschaftlichkeit vertragsärztlicher Verordnungen. Die Partner der Bundesmantelverträge haben in § 48 BMV-Ä den Prüfgremien aber auch die Kompetenz zugewiesen, den sonstigen durch einen Vertragsarzt verursachten Schaden festzustellen, der einer KK aus der unzulässigen Verordnung von Leistungen oder aus der fehlerhaften Ausstellung von Bescheinigungen entsteht. Nur solche Schadensersatzansprüche, die eine KK gegen einen Vertragsarzt aus der schuldhaften Verletzung vertragsärztlicher Pflichten geltend macht und für deren Prüfung und Feststellung nicht die Verfahren nach §§ 45, 47 und 48 BMV-Ä vorgeschrieben sind, können gemäß § 49 BMV-Ä durch eine Schlichtungsstelle geprüft werden.

17

Die Anrufung der Schlichtungsstelle ist allerdings nicht zwingend vorgeschrieben. Verzichtet die KK darauf oder scheitert die Schlichtung, so kann die KK ihren Anspruch gerichtlich geltend machen (§ 49 Abs 4 BMV-Ä). Insofern liegt es hier anders als in den Fällen der Geltendmachung eines "sonstigen Schadens" im Sinne des § 48 BMV-Ä und der Wirtschaftlichkeitsprüfung gemäß §§ 47 BMV-Ä, 106 SGB V; in diesen beiden Fällen müssen die zuständigen Prüfgremien angerufen werden, die im Falle der §§ 47 BMV-Ä, 106 SGB V im Übrigen auch ohne Antrag tätig werden können.

18

b) Die Zuständigkeit der Prüfgremien, die eine direkte Klage der KK gegen den Arzt sperrt, erfasst alle Arten von Verordnungsfehlern. Deren Sanktionierung ist insgesamt in §§ 47 BMV-Ä, 106 SGB V und § 48 BMV-Ä geregelt und damit umfassend dem Verfahren vor den Prüfgremien zugewiesen. Fehler des Arztes bei der Verordnung von Arznei- oder Heilmitteln, die nicht schon Gegenstand der Wirtschaftlichkeitsprüfung im engeren Sinne sind (§ 106 SGB V), werden ausnahmslos von der Kompetenz der Prüfgremien zur Feststellung "sonstiger Schäden" gemäß § 48 Abs 1 BMV-Ä erfasst. Diese Regelung betrifft, ohne zwischen formalen und inhaltlichen Fehlern zu unterscheiden, generalisierend die "unzulässige Verordnung von Leistungen" und verdrängt insoweit die subsidiäre Regelung des § 49 BMV-Ä, dessen Abs 1 Satz 1 die Verfahren nach §§ 45, 47(heute § 106a, § 106 SGB V) und 48 BMV-Ä ausdrücklich ausnimmt. Dies gilt auch, soweit Verstöße gegen das in § 49 Abs 1 Satz 2 BMV-Ä genannte Gebot der persönlichen Leistungserbringung betroffen sind; hiermit werden nur Behandlungsleistungen angesprochen, nicht Verordnungsleistungen, für die § 48 Abs 1 BMV-Ä die speziellere und deshalb vorrangige Regelung enthält. Somit ist für die Überprüfung von Verordnungen der Anwendungsbereich des § 49 BMV-Ä, der eine Wahlmöglichkeit zwischen der Einleitung eines Verwaltungsverfahrens oder der Erhebung einer Klage(siehe dessen Abs 4) gewährt, von vornherein nicht eröffnet (s hierzu noch RdNr 22).

19

Die für Verordnungsfehler in Betracht kommenden Prüfungen gemäß § 106 SGB V einerseits und § 48 BMV-Ä andererseits - in beiden Konstellationen sind die Prüfgremien zuständig(vgl oben RdNr 16) - hat der Senat danach voneinander abgegrenzt, ob geltend gemacht wird, die Verordnung selbst sei in ihrer inhaltlichen Ausrichtung fehlerhaft gewesen - zB fragwürdiger Off-Label-Use -; dann ist der Anwendungsbereich des § 106 SGB V eröffnet. Wird hingegen geltend gemacht, (nur) die Art und Weise der Ausstellung der Verordnung sei fehlerhaft gewesen, so steht ein "sonstiger Schaden" in Frage, der im Verfahren gemäß § 48 BMV-Ä geltend zu machen ist(vgl BSG vom 5.5.2010, SozR 4-2500 § 106 Nr 28 RdNr 21-26; BSG vom 18.8.2010, SozR 4-2500 § 106 Nr 29 RdNr 25; BSG vom 13.10.2010, SozR 4-2500 § 106 Nr 30 RdNr 11; BSG vom 29.6.2011, SozR 4-2500 § 106 Nr 31 RdN 18 f und 21; BSG vom 12.12.2012 - B 6 KA 50/11 R - RdNr 11, zur Veröffentlichung in BSGE und in SozR 4-2500 § 106 Nr 38 vorgesehen).

20

Diese Unterscheidung zwischen den originären Wirtschaftlichkeitsprüfungsverfahren gemäß § 106 SGB V und den Verfahren zur Feststellung sonstiger Schäden im Sinne des § 48 BMV-Ä hat Bedeutung zum einen insofern, als die Schadensfeststellung nach § 48 Abs 1 BMV-Ä anders als die Prüfung nach § 106 Abs 2 SGB V einen Antrag der KK voraussetzt. Zum anderen setzt eine Schadensfeststellung gemäß § 48 Abs 1 BMV-Ä eine verschuldete Pflichtverletzung voraus(vgl zB BSG vom 5.5.2010, SozR 4-2500 § 106 Nr 28 RdNr 22 und 25 aE; BSG vom 29.6.2011, SozR 4-2500 § 106 Nr 31 RdNr 26, 34; vgl auch BSG SozR 4-5545 Allg Nr 1 RdNr 20). Schließlich unterliegt die Schadensfeststellung einer vierjährigen Verjährungs-, die Wirtschaftlichkeitsprüfung hingegen einer vierjährigen Ausschlussfrist (BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 28 RdNr 20; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 29 RdNr 28, 33; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 31 RdNr 24, 32).

21

c) Die dargestellte Abgrenzung zwischen dem Anwendungsbereich des § 106 SGB V und demjenigen des § 48 BMV-Ä hat der Senat in seiner Rechtsprechung in der Weise umgesetzt, dass er das Regressverlangen wegen einer Verordnung für einen Patienten während dessen Krankenhausaufenthalts dem Verfahren wegen "sonstigen Schadens" gemäß § 48 BMV-Ä zugeordnet hat(BSG vom 5.5.2010 aaO RdNr 25; ebenso BSG vom 29.6.2011 aaO RdNr 18 iVm RdNr 13 f). In diesem Verfahren sind auch Regressverlangen wegen solcher Fehler zu realisieren, wie sie hier von der Klägerin gegen den Beklagten geltend gemacht werden; sowohl die Konstellation, dass eine KK die Unzulässigkeit von vertragsärztlichen Verordnungen darauf stützt, ihr liege kein Überweisungsschein (= Abrechnungsschein) mit der Angabe einer der Verordnung zugrunde liegenden ärztlichen Behandlung vor, als auch der Fall, dass der Arzt das Verordnungsblatt nicht eigenhändig unterzeichnete, betreffen die Verfahrensmodalitäten bei der Ausstellung der Verordnung bzw die Art und Weise des Vorgehens bei deren Ausstellung. In keinem der Fälle wird die inhaltliche Korrektheit der Verordnungen bezweifelt, wie dies zB in Konstellationen eines Off-Label-Use oder eines Verordnungsausschlusses aufgrund der Arzneimittel-Richtlinie (AMRL) oder des SGB V in Frage stehen kann (zum Off-Label-Use vgl zB BSG vom 13.10.2010, BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 30 RdNr 15 ff; - zu inhaltlichen Verordnungsausschlüssen vgl zB: BSG vom 14.12.2011, BSGE 110, 20 = SozR 4-2500 § 92 Nr 13, RdNr 38-40, zum AMRL-Ausschluss von Hustenmitteln mit fixer Kombination gegenläufiger Wirkstoffe und BSG vom 12.12.2012 - B 6 KA 50/11 R - zur Veröffentlichung auch in BSGE und in SozR 4-2500 § 106 Nr 38 RdNr 14 ff vorgesehen - zum gesetzlichen Ausschluss von Appetitzüglern).

22

d) Sind mithin die Prüfgremien umfassend für die Beanstandung von Verordnungsfehlern zuständig - teils im Wege von Wirtschaftlichkeitsprüfungsverfahren gemäß § 106 SGB V und im Übrigen im Schadensfeststellungsverfahren gemäß § 48 BMV-Ä -, so ist kein Raum für eine Anwendung des § 49 BMV-Ä. Einen Überschneidungsbereich zwischen § 48 und § 49 BMV-Ä in dem Sinne, dass ein Regressanspruch wahlweise im Verfahren gemäß § 48 BMV-Ä oder im Verfahren gemäß § 49 BMV-Ä geltend gemacht werden könnte, gibt es nicht; die Zuständigkeitsabgrenzung zwischen § 48 und § 49 BMV-Ä ist - wie auch § 49 Abs 1 Satz 1 mit seiner Abgrenzung zu §§ 45, 47, 48 BMV-Ä ergibt(vgl oben RdNr 16 und 18) - ein Entweder-Oder, die eine Zuordnung nur zu einem dieser Verfahren zulässt. Dafür sprechen auch praktische Erwägungen: Andernfalls wären für die Prüfung einer Verordnung, deren Ausstellung - wie es häufig vorkommt - unter mehreren Aspekten als fehlerhaft beanstandet wird, unterschiedliche Gremien - Schlichtungsstellen oder Prüfgremien - zuständig, was zu nicht sinnvollen Verfahrenskomplikationen führen würde. Die Konzentration der Verordnungskontrolle bei den Prüfgremien verhindert auch divergierende Entscheidungen und kann zur zügigen Verfahrensdurchführung beitragen.

23

Werden demnach Regresse wegen Fehlern bei der Verordnung von Arznei- und Heilmitteln überhaupt nicht von § 49 BMV-Ä erfasst, so hat das allerdings die Konsequenz, dass ein Anwendungsraum für diese Regelung nicht mehr erkennbar ist. Ein ausdrücklicher Anwendungsbereich ergibt sich heute nicht mehr aus § 18 Abs 7a Satz 3 BMV-Ä(vgl dazu BSG vom 8.2.2012 - B 6 KA 12/11 R - SozR 4-2500 § 43b Nr 1 RdNr 20 f, 29 ff), weil dessen Verweisung auf § 49 BMV-Ä seit der Abschaffung der Praxisgebühr(Art 1 des Gesetzes vom 20.12.2012, BGBl I 2789, mit Aufhebung der §§ 28 Abs 4, 43b Abs 2, 106a Abs 3 Satz 1 Nr 4, 295 Abs 2 Satz 1 Nr 8 SGB V) gegenstandslos ist. Mithin bleibt als möglicher Anwendungsbereich des Schlichtungsverfahrens nur noch die Funktion als Auffangvorschrift für Pflichtverletzungen, die weder von § 48 BMV-Ä noch von §§ 47 BMV-Ä, 106 SGB V noch von §§ 45 BMV-Ä, 106a SGB V erfasst werden. Konkrete Beispiele dafür haben die Verfahrensbeteiligten allerdings nicht benennen können und vermag der Senat auch seinerseits nicht zu erkennen, sodass die Funktion als Auffangvorschrift derzeit eher theoretischer Natur sein dürfte.

24

e) Ist ein "Schaden" einer KK von den Prüfgremien festzustellen - sei es im Wege einer Wirtschaftlichkeitsprüfung gemäß § 106 SGB V oder im Wege eines Schadensfeststellungsverfahrens gemäß § 48 BMV-Ä -, so ist wegen deren vorrangiger Zuständigkeit eine direkte Leistungsklage der KK gegen den Arzt unzulässig(oben RdNr 15). Dies entspricht dem System des vertragsarztrechtlichen Viereck-Verhältnisses. Dieses ist dadurch gekennzeichnet, dass Rechtsbeziehungen grundsätzlich nur in dem Viereck-Verhältnis Versicherter-KK-KÄV-Arzt bestehen, eine Rechtsbeziehung unmittelbar zwischen KK und Arzt hingegen nicht. Die Rechtsbeziehungen zwischen den KKn und der KÄV auf der einen Seite und zwischen der KÄV und dem Vertragsarzt auf der anderen Seite sind zu trennen (vgl BSGE 80, 1, 6 = SozR 3-5545 § 19 Nr 2 S 11 = Juris RdNr 22; BSG SozR 4-2500 § 75 Nr 9 RdNr 32; vgl auch BSGE 88, 20, 26 = SozR 3-2500 § 75 Nr 12 S 72 = Juris RdNr 32). Das vertragsarztrechtliche Beziehungsgeflecht vermeidet grundsätzlich unmittelbare Rechtsbeziehungen zwischen den KKn als Leistungsträgern und den (Vertrags-)Ärzten als Leistungserbringern (BSGE 94, 50 = SozR 4-2500 § 72 Nr 2, RdNr 130 = Juris RdNr 143; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 28 RdNr 44; so auch - zum zahnärztlichen Bereich - BSG SozR 4-1500 § 55 Nr 1 RdNr 3 f = Juris RdNr 9 f). Nur in Ausnahmekonstellationen ist ein Rechtsstreit direkt zwischen KK und Arzt zulässig (vgl BSG vom 15.8.2012 - B 6 KA 34/11 R - SozR 4-5540 § 44 Nr 1 RdNr 10 f zum Kostenverlangen für Sprechstundenbedarf). Dementsprechend hat der Senat im Urteil vom 5.5.2010 ausgeführt, dass die KK im Regelfall keine Möglichkeit hat, den Vertragsarzt unmittelbar in Regress zu nehmen, vielmehr die Festsetzung eines Regresses ausschließlich den vertragsarztrechtlichen Gremien zugewiesen ist und die KK daher auf deren Tätigwerden angewiesen ist (BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 28 RdNr 44).

25

2. Diese Grundsätze über die Zuständigkeit der Prüfgremien für die Prüfung und Feststellung der Verletzung vertragsärztlicher Pflichten - je nach Fallkonstellation im Verfahren gemäß §§ 47 BMV-Ä, 106 SGB V oder im Verfahren gemäß § 48 BMV-Ä - gelten auch dann noch, wenn der Arzt nicht mehr vertragsärztlich tätig ist. Deshalb ist im vorliegenden Verfahren der Umstand ohne Bedeutung, dass der Beklagte seit Ende Februar 2007 nicht mehr an der vertragsärztlichen Versorgung der Versicherten mitwirkt. Auch gegen einen ausgeschiedenen Arzt darf eine KK, die ihm die Verletzung vertragsärztlicher Pflichten vorwirft, nicht im Wege der Leistungsklage vorgehen; sie hat vielmehr nur die Möglichkeit, bei den Prüfgremien zu beantragen, dass diese einen Regressbescheid gegen den Arzt erlassen (ebenso Senatsurteil vom 20.3.2013 - B 6 KA 18/12 R -, RdNr 16, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).

26

a) Richtig ist zwar, dass nach dem Ausscheiden aus dem vertragsärztlichen System die Möglichkeit, Ansprüche gegenüber dem Arzt gegen Honoraransprüche aus vertragsärztlichen Leistungen aufzurechnen und somit die Ansprüche durch Einbehalt fälliger Gegenzahlungen zu realisieren, nicht mehr besteht (vgl BSGE 80, 1, 2 f und 7 = SozR 3-5545 § 19 Nr 2 S 7 und 12 = Juris RdNr 14 und 23). Dieser Gesichtspunkt rechtfertigt es aber nicht, die Zuständigkeit der vertragsarztrechtlichen Institutionen für die Prüfung und Feststellung von Ansprüchen gegenüber dem Arzt nach dessen Ausscheiden aus der vertragsärztlichen Versorgung überhaupt zu verneinen und der KK den Klageweg direkt gegen den Arzt zu eröffnen. Es bestehen vielmehr nachgehende Rechte und Pflichten des Vertragsarztes, die mit einer nachwirkenden Kompetenz der Gremien einhergehen (vgl hierzu BSGE 64, 209, 210, 212 = SozR 5550 § 18 Nr 1 S 1/2, 3 = Juris RdNr 12, 19; ebenso BSGE 80, 1, 7 = SozR 3-5545 § 19 Nr 2 S 12 = Juris RdNr 23: "nachwirkende Regelungsbefugnisse"). Aus diesen Nachwirkungen ergibt sich, dass die vertragsarztrechtlichen Gremien auch dann noch für die Beurteilung vertragsärztlichen Verhaltens zuständig sind, wenn der Arzt nicht mehr vertragsärztlich tätig ist. Der sachliche Grund hierfür liegt in der besonderen Sachkunde der fachlich spezialisierten Gremien, die die Kompetenz zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit der vertragsärztlichen Tätigkeit haben (vgl oben RdNr 13 ff). Dieser Grund entfällt nicht dadurch, dass der Arzt aktuell keine vertragsärztliche Tätigkeit ausübt. Der Arzt hätte es sonst in der Hand, sich durch ein Ausscheiden aus der Versorgung einem Verfahren vor den Prüfgremien zu entziehen.

27

Daher steht außer Zweifel, dass die Prüfgremien auch nach dem Ausscheiden eines Arztes ein Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung gegen den Vertragsarzt hinsichtlich vergangener Quartale durchführen können, und ebenso, dass die KÄV noch sachlich-rechnerische Richtigstellungen wegen vertragsärztlicher Fehlabrechnungen durchführen kann. Das hat der Senat auch in seinem Urteil vom 18.12.1996 (BSGE 80, 1, 7 = SozR 3-5545 § 19 Nr 2 S 12) nicht in Frage gestellt. Er hat vielmehr ausdrücklich die aus dem Mitgliedschaftsverhältnis nachwirkende Regelungsbefugnis der KÄV hervorgehoben und ausgeführt, dass sie weiterhin Richtigstellungen vornehmen und zu Unrecht gezahlte Honorare aus der Zeit der vertragsärztlichen Tätigkeit zurückfordern kann. Er hat lediglich gemeint, dass für einen Erstattungsanspruch einer KK der Erlass eines Richtigstellungsbescheids keine notwendige Voraussetzung sei; nur hiervon rückt der Senat ab (vgl nachfolgend b). Die gesetzgeberische Entscheidung, die Tätigkeit der Leistungserbringer im System der vertragsärztlichen Versorgung einem besonderen Regime der ärztlichen Selbstverwaltung mit fachlich spezialisierten Gremien zu unterwerfen, verliert nicht dadurch an Bedeutung, dass die vertragsärztliche Tätigkeit beendet worden ist.

28

b) Aus dieser umfassenden Zuständigkeit der vertragsarztrechtlichen Fachgremien - auch noch nach dem Ausscheiden des Arztes aus der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung - ergeben sich Folgerungen, die Anlass zu einer Klarstellung geben. An der Aussage in der Entscheidung des Senats vom 18.12.1996 (BSGE 80, 1, 6 = SozR 3-5545 § 19 Nr 2), dass eine KK, die nach Ausscheiden eines (Zahn-)Arztes aus dem vertrags(zahn)ärztlichen System von der K(Z)ÄV eine Abrechnungskorrektur verlangt, keine vorherige Richtigstellung durch die K(Z)ÄV erwirken müsse (BSGE 80, 1, 7 = SozR 3-5545 § 19 Nr 2 S 12 f = Juris RdNr 23), hält der Senat für Ansprüche, die nach Veröffentlichung dieses Urteils erstmals geltend gemacht werden, nicht mehr fest. Aus Gründen der Einheitlichkeit der Abwicklung fehlerhafter Leistungserbringung und -abrechnung ist stets der Vorrang der vertrags(zahn)ärztlichen Institutionen (KÄV und Prüfgremien) zu wahren, die den Umfang der Zahlungspflichten des Arztes bzw Zahnarztes mit Wirkung für und gegen alle Beteiligten (Vertragsarzt, KÄV, KKn) verbindlich feststellen (vgl dazu auch BSG SozR 4-5555 § 21 Nr 2). So kann die Gefahr widersprechender Feststellungen, die bei der gerichtlichen Durchsetzung einzelner Rückforderungsansprüche möglich sind, vermindert werden. Der Senat knüpft damit umfassend an seine Aussagen an, dass der frühere Status als Vertrags(zahn)arzt Nachwirkungen entfaltet (BSGE 64, 209, 210, 212 = SozR 5550 § 18 Nr 1 S 1/2, 3 = Juris RdNr 12, 19) und die vertrags(zahn)arztrechtlichen Institutionen nachwirkende Regelungsbefugnisse haben (BSGE 80, 1, 7 = SozR 3-5545 § 19 Nr 2 S 12 = Juris RdNr 23).

29

3. Die Aspekte der Rechtssicherheit und der Verwaltungspraktikabilität stützen die unter 1. und 2. dargestellte Auslegung der maßgeblichen Vorschriften. Die Zuständigkeitskonzentration bei den Prüfgremien sichert inhaltlich eine einheitliche Handhabung innerhalb des KÄV-Bezirks. Sie ermöglicht den KKn, gemeinsam ein Verfahren bei den Prüfgremien einzuleiten, und macht Klageverfahren durch jede einzelne KK entbehrlich. Auch der Arzt muss sich dann nur mit einem Verfahren auseinandersetzen; zudem kann er davon ausgehen, dass im Zusammenhang stehende Umstände bzw andere Verfahren berücksichtigt werden, zB bei einer Richtgrößenprüfung etwa der Aufwand für solche Arzneimittel unberücksichtigt bleibt, deren Kosten bereits als sonstiger Schaden festgesetzt wurden.

30

Die Zuständigkeit der Prüfgremien für die Überprüfung der Korrektheit vertragsärztlicher Verordnungen in allen Varianten auch nach dem Ausscheiden des betroffenen Arztes aus der vertragsärztlichen Versorgung trägt schließlich auch der Verwaltungspraktikabilität Rechnung. Die Prüfgremien verfügen über die jeweils erforderlichen Daten und über die unverzichtbaren Erfahrungen bei der Aufklärung der jeweils entscheidungserheblichen Sachverhalte. Ihnen stehen in manchen Bereichen gerichtlich nur eingeschränkt nachprüfbare Beurteilungsspielräume und Ermessen bei der Bemessung der Höhe von Regressen zu. Auf diese Kompetenzen könnte bei einer Direktklage der KK gegen einen Arzt nicht zurückgegriffen werden. Vergleichbares gilt für die gesetzlich den KÄVen zugewiesenen Verfahren der Plausibilitätsprüfung und der Honorarberichtigung (§ 106a Abs 2 Satz 1 Halbsatz 1 sowie Halbsatz 2 iVm Satz 2 ff SGB V). Auch diese Verfahrenszuständigkeiten würden bei Zulassung von Klagen einer KK gegen einen Arzt wegen fehlerhafter Abrechnungen überspielt; die Gefahr widersprechender Entscheidungen je nach dem, ob ein Arzt an der Versorgung teilnimmt oder nicht, wäre erheblich.

31

4. Die zu 1.-3. dargestellten Grundsätze gelten ebenso wie für Vertragsärzte auch für ermächtigte Ärzte und ermächtigte ärztlich geleitete Einrichtungen. Für die Ermächtigten ergibt sich die Geltung aus § 95 Abs 4 SGB V: Die Ermächtigung bewirkt, dass der ermächtigte Arzt oder die ermächtigte Einrichtung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung berechtigt und verpflichtet ist sowie die vertraglichen Bestimmungen über die vertragsärztliche Versorgung für sie verbindlich sind. Dies schließt auch die Geltung der bundesmantelvertraglichen Regelungen des BMV-Ä und des EKV-Ä ein.

32

Dies steht für den EKV-Ä zumal deshalb außer Zweifel, weil in dessen § 8 Abs 3 nochmals klarstellt ist, dass die im EKV-Ä für Vertragsärzte getroffenen Regelungen auch für zugelassene Einrichtungen sowie ermächtigte Ärzte und ermächtigte ärztlich geleitete Einrichtungen gelten, soweit nichts anderes bestimmt ist. Für den BMV-Ä gilt nichts anderes, auch wenn dieser seit dem 1.7.2007 keine dementsprechende allgemeine Bestimmung mehr enthält. Die Nichtübernahme der früheren entsprechenden Bestimmung des § 4 Abs 1 Satz 2 BMV-Ä(vgl DÄ 2005, A-854) in die Neufassung (DÄ 2007, A-1684, A-1687) hat keine konstitutive Bedeutung. Vielmehr sind die Vertragspartner des BMV-Ä davon ausgegangen, dass dessen Geltung auch für zugelassene Einrichtungen sowie ermächtigte Ärzte und ermächtigte ärztlich geleitete Einrichtungen ohnehin unzweifelhaft ist. Dies ergibt sich aus zahlreichen Einzelregelungen, die die Geltung für diese weiteren Personen und Einrichtungen als selbstverständlich voraussetzen (vgl zB § 1a Satz 1 Nr 5, Nr 15 Ziff 1, Nr 21, Nr 29, § 3 Abs 2 Nr 8, §§ 4 bis 8, § 13 Abs 3, § 15a Abs 1 Satz 7, § 21 Abs 1a Satz 3, § 24 Abs 1 Satz 1, Abs 5 Satz 2 BMV-Ä). Hiervon ist auch der Senat zB in seinem Urteil vom 8.2.2012 mit der Anwendung des BMV-Ä auf die ermächtigten Ärzte und auf die ermächtigten ärztlich geleiteten Einrichtungen ausgegangen (vgl BSG SozR 4-2500 § 43b Nr 1 RdNr 20 ff betr ärztlich geleitete Einrichtungen, hier: Notfallambulanzen der Krankenhäuser). Auch vom Ergebnis her kann die Anwendung auf Ermächtigte nicht zweifelhaft sein; die Geltung für sie steht zB bei der Vordruckvereinbarung der Anlage 2 zum BMV-Ä außer Frage.

33

5. Aus den zu 1.-4. dargelegten Grundsätzen folgt, dass die Leistungsklage der Klägerin gegen den Beklagten unzulässig ist und die Klägerin nur die Möglichkeit hat, bei der Prüfungsstelle zu beantragen, dass diese im Verfahren gemäß § 48 BMV-Ä einen Regressbescheid gegen den Beklagten erlässt. Ein solches Vorgehen wäre bzw ist auch erfolgversprechend; dies scheitert weder an einer Verjährung (unten a) noch am Fehlen eines Schadens (unten b), und in sechs der sieben Verordnungsfälle fallen dem Beklagten auch schuldhafte Pflichtverletzungen zur Last (unten c).

34

a) Einem Schadensfestsetzungsantrag der Klägerin an den Prüfungsausschuss steht nicht die Verjährung entgegen (zur vierjährigen Verjährungsfrist vgl die BSG-Angaben oben in RdNr 20 am Ende). Deren Ablauf war sowohl durch die Anrufung der Schlichtungsstelle - seit Dezember 2007 - als auch durch die Klageerhebung - seit Dezember 2009 - gehemmt (vgl zur Verjährungshemmung durch Antrag auf Schadensfeststellung beim Prüfungsausschuss: BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 28 RdNr 42 ff, insbesondere RdNr 43, 47; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 29 RdNr 39; BSG vom 12.12.2012 - B 6 KA 35/12 R - RdNr 14, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).

35

Der Fristenhemmung steht nicht entgegen, dass diese Rechtsbehelfe unzulässig gewesen sind, die Klägerin sich nämlich - wie dargelegt - an den Prüfungsausschuss hätte wenden müssen. Auch unzulässige Rechtsbehelfe hemmen die Verjährung (vgl allgemein zur Hemmungswirkung unzulässiger Leistungsklagen BGH vom 9.12.2010, NJW 2011, 2193 RdNr 13, 15 und BGH vom 24.5.2012, NJW 2012, 2180 RdNr 17; zur Klageerhebung bei einem unzuständigen Gericht BSG vom 28.9.2006, BSGE 97, 125 = SozR 4-1500 § 92 Nr 3, RdNr 12 und BSG vom 20.10.2010, SozR 4-1500 § 153 Nr 11 RdNr 24). Selbst wenn dies bei offensichtlich unzulässigen Rechtsbehelfen anders zu beurteilen und ihnen keine Hemmungswirkung zuzuerkennen wäre, ergäbe sich hier nichts anderes; denn eine offensichtliche Unzulässigkeit steht nicht in Rede: Vor Ergehen dieses heutigen Urteils war nicht geklärt, wie Regresse wegen Verordnungen ohne Überweisungsschein und ohne eigenhändige Unterzeichnung im Falle nicht mehr vertragsärztlich tätiger Ärzte geltend zu machen sind (vgl oben RdNr 21 und 28).

36

b) In den dargestellten Konstellationen ist auch unzweifelhaft ein Schaden eingetreten. Dem kann nicht ein hypothetischer alternativer Geschehensablauf entgegengehalten werden, etwa mit dem Vorbringen, die Verordnung sei inhaltlich sachgerecht gewesen und bei sachgerechter Ausstellung der Verordnung - sei es durch den Beklagten oder durch einen anderen Arzt - wären der Klägerin dieselben Kosten entstanden und deshalb sei ihr durch den Fehler bei der Ausstellung der Verordnung kein Schaden entstanden (vgl zu solcher Argumentation auch Begriffe wie hypothetische Reserveursache, alternative Kausalität, saldierende Kompensation, Vorteilsausgleichung).

37

Derartige Einwendungen hat der Senat stets zurückgewiesen: Im Vertragsarztrecht ist kein Raum, einen Verstoß gegen Gebote und Verbote, die nicht bloße Ordnungsvorschriften betreffen, durch Berücksichtigung eines hypothetischen alternativen Geschehensablaufs als unbeachtlich anzusehen; denn damit würde das vertragsarztrechtliche Ordnungssystem relativiert. So hat der Senat in seinem Urteil vom 18.8.2010 zusammenfassend ausgeführt: "Die Zuerkennung der Kosten, die bei rechtmäßigem Verhalten angefallen wären, hätte zur Folge, dass es auf die Beachtung der für die vertragsärztliche Versorgung geltenden Bestimmungen nicht ankäme" (BSG aaO SozR 4-2500 § 106 Nr 29 RdNr 51; in der Sache ebenso - zum Teil im Rahmen der Prüfung ungerechtfertigter Bereicherung - BSG vom 8.9.2004, SozR 4-2500 § 39 Nr 3 RdNr 14 betr unzulässige faktisch-stationäre Behandlung; BSG vom 22.3.2006, BSGE 96, 99 = SozR 4-5520 § 33 Nr 6, RdNr 11 betr eine als Praxisgemeinschaft auftretende Gemeinschaftspraxis; BSG vom 28.2.2007, SozR 4-2500 § 39 Nr 7 RdNr 17 f betr zu lange stationäre Versorgung; BSG vom 5.5.2010 BSGE 106, 110 = SozR 4-2500 § 106 Nr 27, RdNr 47 betr Verordnung von Immunglobulin; BSG vom 18.8.2010, SozR 4-2500 § 106 Nr 29 RdNr 51 betr Verordnung von Sprechstundenbedarf; BSG vom 13.10.2010, SozR 4-2500 § 106 Nr 30 RdNr 44 betr Verordnung von Megestat; vgl auch BSG vom 21.6.1995, BSGE 76, 153, 155 f = SozR 3-2500 § 95 Nr 5 S 22 f, und BSG vom 23.6.2010, BSGE 106, 222 = SozR 4-5520 § 32 Nr 4, RdNr 67; vgl ferner die neuere BGH-Rspr zu dem - an sich nicht vergleichbaren - strafrechtlichen Betrugstatbestand in Fällen ärztlichen Fehlverhaltens mit ihrer Bezugnahme auf die "zum Vertragsarztrecht entwickelte streng formale Betrachtungsweise" in BGHSt 57, 95 = NJW 2012, 1377 = MedR 2012, 388, RdNr 82, 85; vgl auch BGHSt 57, 312 = NJW 2012, 3665 = MedR 2013, 174, RdNr 52). Wie die Beispiele der Senatsrechtsprechung zeigen, gilt das vertragsarztrechtliche Prinzip, dass kein Raum für die Berücksichtigung hypothetischer alternativer Geschehensabläufe ist, gleichermaßen für Verfahren gemäß § 106 SGB V wie für solche gemäß § 48 BMV-Ä und für alle Arten von Verstößen gegen Gebote und Verbote, ohne Unterscheidung danach, ob ein sog Status betroffen ist oder nicht; ausgenommen sind nur Verstöße, die lediglich sog Ordnungsvorschriften betreffen.

38

Ein Schaden der KK könnte allerdings dann zu verneinen sein, wenn diese der Apotheke auf eine Verordnung hin - zB weil sie überhaupt nicht unterzeichnet war - überhaupt keine Arzneikostenerstattung gewährt hatte (vgl zur Unterzeichnungspflicht § 3 Abs 2 Satz 1 Buchst n des Arzneiliefervertrags zwischen dem Apothekerverband Rheinland-Pfalz eV und den KKn vom 26.2.1996). Dies wäre ggf im Schadensfeststellungsverfahren aufzuklären.

39

c) In sechs der sieben umstrittenen Verordnungsfälle ist auch die weitere Voraussetzung für einen Schadensregress gemäß § 48 BMV-Ä, dass nämlich eine verschuldete Pflichtverletzung vorliegen muss, auf der Grundlage des vom SG festgestellten Geschehensablaufs zu bejahen(zum Verschuldenserfordernis vgl oben RdNr 20).

40

aa) Schuldhaft hat der Beklagte zunächst in den drei Fällen gehandelt, in denen die Klägerin geltend macht, ihr liege kein Überweisungsschein mit Angabe einer der (Erst-)Verordnung zugrunde liegenden ärztlichen Behandlung vor (hierzu s § 15 Abs 2 BMV-Ä; vgl auch den Einheitlichen Bewertungsmaßstab - Ärzte (EBM-Ä), der eine Vergütung für Rezeptausstellung ohne persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt nur für Wiederholungsrezepte vorsieht, s dazu Nr 01430 EBM-Ä). Es gehört zum Verantwortungsbereich des Arztes, dass die KKn mit Verordnungskosten nur für korrekte Verordnungen belastet wird. Dazu gehört bei einer Erstverordnung, dass ihr eine ärztliche Behandlung zugrunde gelegen hat. Dies muss der Arzt auf dem Abrechnungs- bzw Überweisungsschein dokumentieren, und dieser muss der KÄV vorgelegt werden.

41

Fehlt es hieran - und hat die KK die Verordnungskosten der Apotheke erstattet -, so kann die KK den Arzt in Regress nehmen. Den ermächtigten Ärzten ist die Dienstleistung des Krankenhauses zuzurechnen: Gemäß § 120 Abs 1 Satz 3 SGB V rechnet der Krankenhausträger die den ermächtigten Krankenhausärzten zustehenden Vergütungen "für diese" ab und leitet diese nach Abzug der anteiligen Verwaltungskosten sowie der dem Krankenhaus entstandenen Kosten an die Krankenhausärzte weiter. Aus dem Zusammenhang dieser Regelungen folgt, dass sich die ermächtigten Krankenhausärzte ein Verschulden des Krankenhausträgers bei der Weiterverarbeitung und Weitergabe der ihm zugeleiteten Unterlagen bzw Daten zurechnen lassen müssen. Der Arzt kann sich nicht damit exculpieren, er habe die Behandlung durchgeführt und dokumentiert sowie dies auch dem Krankenhaus zur Weiterverarbeitung und Weitergabe an die KÄV zugeleitet; erst das Krankenhaus habe die entsprechende Abrechnung und Weiterreichung versäumt. Der Arzt kann nur darauf verwiesen werden, ggf nach der Inanspruchnahme durch die KK dann seinerseits das Krankenhaus bzw dessen Träger in Regress zu nehmen. Vorschriften darüber, dass die KK direkt beim Krankenhaus Regress nehmen könnte, bestehen nicht.

42

bb) Bei den drei Verordnungen vom 26.1.2007, bei denen der Beklagte den Patienten Verordnungsblätter ohne seine persönliche Unterzeichnung aushändigen ließ, ist ihm ebenfalls jeweils eine schuldhafte Pflichtverletzung anzulasten. Es lag nämlich jeweils ein Verstoß gegen das Gebot persönlicher Leistungserbringung vor.

43

Diesem Gebot kommt großes Gewicht zu (vgl BSGE 110, 269 = SozR 4-2500 § 95 Nr 24, RdNr 34 iVm 37). Es gilt nicht nur für die Behandlungs-, sondern auch für die Verordnungstätigkeit des Arztes; Vertragsärzte und ermächtigte Krankenhausärzte müssen es gleichermaßen beachten. Ermächtigungen für Krankenhausärzte werden diesen mit Blick auf einen Versorgungsbedarf und ihre persönliche Qualifikation iVm den ihnen im Krankenhaus zur Verfügung stehenden Möglichkeiten erteilt (vgl § 116 SGB V iVm § 31a Abs 1 und 2 Zulassungsverordnung für Vertragsärzte und dazu BSG vom 20.3.2013 - B 6 KA 26/12 R - RdNr 26 am Ende und RdNr 34, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen); eine Ermächtigung berechtigt den ermächtigten Arzt nur persönlich. Eine Befugnis des im stationären Bereich zuständigen Vertreters, den Krankenhausarzt auch bei seiner vertragsärztlichen Tätigkeit zu vertreten, besteht nicht. Unzutreffend ist ferner die Ansicht, das Gebot persönlicher Leistungserbringung fordere lediglich die ärztliche Entscheidung über das zu verordnende Medikament selbst, nicht aber auch die persönliche Ausstellung und Unterzeichnung der Verordnung. Eine solche Einschränkung ist den Regelungen über die persönliche Leistungserbringung nicht zu entnehmen. Auch die Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV) stellt klar, dass die Verschreibung "die eigenhändige Unterschrift der verschreibenden Person" enthalten muss (§ 2 Abs 1 Nr 10 AMVV).

44

Für den Fall, dass ein (Krankenhaus-)Arzt nicht zeitgerecht zur Aushändigung einer von ihm persönlich unterzeichneten Verordnung in der Lage ist, ergibt sich aus § 4 AMVV, dass er den Apotheker - insbesondere fernmündlich - über die Verschreibung und deren Inhalt unterrichten kann, sodass der Apotheker die Arznei vorab aushändigen kann; der Arzt hat dem Apotheker die Verschreibung in schriftlicher oder elektronischer Form unverzüglich nachzureichen. Mit dieser Regelung wird dem Arzt ein Weg gewiesen, dem Patienten noch ohne Aushändigung der persönlich unterzeichneten Verordnung das Medikament zukommen zu lassen. In diesen Rechtsvorschriften sind andere Vorgehensweisen nicht vorgesehen: Zu beanstanden ist daher sowohl der vom Beklagten praktizierte Weg, Verordnungsblätter durch einen anderen Arzt unterzeichnen zu lassen - so in den zwei Fällen der Unterzeichnung durch Dr. S. -, als auch die Aushändigung eines überhaupt nicht unterzeichneten Verordnungsblatts an einen Patienten - so im Fall der einen Verordnung vom 26.1.2007 -. Diese Vorgehensweisen widersprechen sowohl dem Gebot der persönlichen Leistungserbringung als auch den Regelungen der AMVV.

45

Die aufgeführten Pflichtverletzungen sind auch als verschuldet anzusehen. Die Regelungen des BMV-Ä und der AMVV muss jeder Vertragsarzt und ebenso jeder ermächtigte Arzt kennen. Die Ausführungen des Beklagten, die Pflicht zur eigenhändigen Unterzeichnung des Verordnungsblatts sei ihm und generell den ermächtigten Krankenhausärzten nicht bewusst gewesen bzw diese seien durchgängig anders verfahren, können den Beklagten nicht exculpieren.

46

cc) Kein Verschulden trifft den Beklagten demgegenüber im Zusammenhang mit der Verordnung vom 8.8.2007, die seine Arztnummer aufwies, aber von seiner Nachfolgerin unterzeichnet war. Diese Verordnung ist mehr als sechs Monate nach dem Ausscheiden des Beklagten aus der vertragsärztlichen Versorgung ausgestellt worden. Daraus, dass sich im Krankenhaus noch Verordnungsblätter mit seiner Arztnummer befanden und diese nach seinem Ausscheiden noch verwendet wurden, lässt sich keine schuldhafte Pflichtverletzung des Beklagten ableiten. Eine Pflicht, sie bei seinem Ausscheiden zu vernichten, um ihre Verwendung zu verhindern, trifft das Krankenhaus und nicht ihn. Ein Tatbestand, wonach ein insoweit gegebenes Versäumnis des Krankenhauses ihm zuzurechnen wäre, findet sich in der Rechtsordnung nicht; die oben herangezogene Regelung des § 120 Abs 1 Satz 3 SGB V(vgl oben RdNr 41) reicht so weit nicht.

47

d) Schließlich ist im Schadensregressverfahren gemäß § 48 BMV-Ä, soweit eine verschuldete Pflichtverletzung mit Verursachung eines Schadens festgestellt wird, auch noch dessen Höhe festzustellen(vgl zum Abzug von Apothekenrabatt und Patienten-Zuzahlungen und zur Möglichkeit der Pauschalierung die BSG-Angaben bei Th. Clemens in Schlegel/Voelzke/Engelmann, jurisPK-SGB V, 2. Aufl 2012, § 106 RdNr 108).

48

6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm einer entsprechenden Anwendung der §§ 154 ff VwGO. Danach trägt die Klägerin die Kosten des von ihr erfolglos geführten Rechtsmittels (§ 154 Abs 2 VwGO). Eine Erstattung von Kosten der Beigeladenen ist nicht veranlasst; sie hat im Revisionsverfahren keinen Antrag gestellt (§ 162 Abs 3 VwGO, vgl dazu BSGE 96, 257 = SozR 4-1300 § 63 Nr 3, RdNr 16).

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 17. März 2010 aufgehoben, soweit die Klage gegen den Bescheid des Beklagten zu 2. vom 25. August 2009 abgewiesen wurde. Der Bescheid des Beklagten zu 2. vom 25. August 2009 wird aufgehoben. Der Beklagte zu 2. wird verpflichtet, über den Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid der Beklagten zu 1. vom 5. September 2008 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.

Die Klägerin und der Beklagte zu 2. tragen die Kosten des Revisionsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen je zur Hälfte.

Tatbestand

1

Im Streit steht ein Arzneimittelregress wegen der zulassungsüberschreitenden Verordnung eines Medikaments im Quartal II/2005.

2

Die Klägerin ist Trägerin des Universitätsklinikums C. sowie der gemäß § 311 Abs 2 SGB V zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung in B. zugelassenen Fachambulanz für Nephrologie mit Dispensaire-Auftrag. In dieser Fachambulanz wurde der bei der zu 2. beigeladenen gesetzlichen Krankenkasse versicherten Patientin K am 10.6.2005 das Medikament CellCept verordnet. Dieses zur Gruppe der Immunsuppressiva gehörende Medikament ist zur Prophylaxe von akuten Abstoßungsreaktionen bei Organtransplantationen zugelassen, nicht aber zur Behandlung der bei der Patientin vorliegenden Wegenerschen Granulomatose mit Nierenbeteiligung. Auf Antrag der Beigeladenen zu 2. setzte die zu 1. beklagte Prüfungsstelle (als "Funktionsnachfolgerin" des Prüfungsausschusses) wegen der zulassungsüberschreitenden Verordnung von CellCept gegen die Klägerin einen Regress in Höhe von 458,09 Euro fest (Bescheid aus der Sitzung vom 5.9.2008, ausgefertigt am 31.10.2008).

3

Hiergegen hat die Klägerin mit der Begründung Klage erhoben, dass die Voraussetzungen für eine zulassungsüberschreitende Verordnung von CellCept erfüllt seien. Nach einem Hinweis des SG, dass zunächst das Vorverfahren vor dem zu 2. beklagten Beschwerdeausschuss durchzuführen sei, hat die Klägerin erklärt, dass die Klage auch als Widerspruch verstanden werden solle. Der vom SG zur Durchführung des Widerspruchsverfahrens aufgeforderte Beklagte zu 2. wies den Widerspruch mit Bescheid aus der Sitzung vom 25.8.2009 (ausgefertigt am 16.10.2009) als unzulässig zurück. Die Klägerin könne ihr Klageziel mit dem Rechtsbehelf nicht erreichen, weil die Rechtmäßigkeit des Bescheides der Beklagten zu 1. schon Gegenstand des bereits anhängigen Rechtsstreits sei und deshalb eine neue Klage gegen seine - des Beklagten zu 2. - Entscheidung wegen der bereits bestehenden Rechtshängigkeit unzulässig sei. Nachfolgend hat die Klägerin ihre Klage dahingehend erweitert, dass sich diese auch gegen den Bescheid des Beklagten zu 2. richtet.

4

Das SG hat die Klage in vollem Umfang abgewiesen (Urteil vom 17.3.2010). Zur Begründung hat es ausgeführt, die gegen den Bescheid der Beklagten zu 1. erhobene Klage sei unzulässig, da sie der unzutreffende Rechtsbehelf sei; gegen die Entscheidung sei vielmehr der Beklagte zu 2. anzurufen. § 106 Abs 5 Satz 8 SGB V sei nicht einschlägig, da er voraussetze, dass die Verordnung der Leistungen durch das Gesetz oder durch Richtlinien nach § 92 SGB V ausgeschlossen sei. Der Gesetzgeber gehe von leicht überprüfbaren Sachverhalten und gleichartig zu bewertenden Einzelvorgängen aus; es solle für die Regressentscheidung gerade nicht auf eine medizinische Bewertung des Einzelfalls ankommen. Mithin sei immer dann, wenn dies nicht der Fall sei, weiterhin ein Vorverfahren durchzuführen. Zwar beruhe auch die Unzulässigkeit einer Verordnung im Wege des Off-Label-Use auf dem Gesetz (§ 12 Abs 1 SGB V sowie § 2 Abs 1 Satz 3 SGB V), doch gehe ein namentlicher, genereller und ausnahmsloser Ausschluss damit gerade nicht einher. Im Gegenteil sei hier das Arzneimittel - im Rahmen der zugelassenen Anwendungsgebiete - grundsätzlich zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) verordnungsfähig. Im Übrigen sei die Klage auch deswegen unzulässig, weil der Bescheid des Beklagten zu 2. den Bescheid der Beklagten zu 1. ersetzt habe und alleiniger Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung geworden sei.

5

Die Klage gegen den Bescheid des Beklagten zu 2. vom 25.8.2009 sei wegen dessen Bestandskraft unzulässig. Unabhängig davon, dass der Beklagte zu 2. zu Unrecht von der Unzulässigkeit des von der Klägerin erhobenen Widerspruchs ausgegangen sei, sei durch seinen Bescheid zwar das erforderliche Vorverfahren nachgeholt worden, doch sei dieser Bescheid nicht nach § 96 SGG automatisch Gegenstand des zwischen der Klägerin und der zu 1. beklagten Prüfungsstelle anhängigen Rechtsstreits geworden, da nach der Neufassung des § 96 Abs 1 SGG nur ein nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangener Bescheid Verfahrensgegenstand werden könne; der Bescheid des Beklagten zu 2. sei jedoch der Widerspruchsbescheid selbst. Die daher notwendige ausdrückliche Klageänderung (Klageerweiterung) sei zwar sachdienlich und damit (als solche) zulässig, doch habe die Klägerin diese erst nach Ablauf der Klagefrist erklärt.

6

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung von Bundesrecht. Das SG habe § 106 Abs 5 Satz 8 SGB V fehlerhaft ausgelegt. Regresse wegen eines Off-Label-Use seien von dieser Ausnahmevorschrift erfasst, so dass die sofortige Klage gegen den Bescheid der Beklagten zu 1. vorliegend der richtige Rechtsbehelf gewesen sei. Die Auffassung des SG, die Regelung erfasse nur Leistungen, die "ausdrücklich, also namentlich unmittelbar und ausnahmslos durch gesetzliche Regelungen" ausgeschlossen seien, stelle eine unzulässige Auslegung über die Grenzen des Wortlauts des Gesetzes dar. Dieser setze lediglich voraus, dass die Leistungspflicht der Krankenkasse durch das Gesetz ausgeschlossen sei, wobei der grundsätzliche Ausschluss von Gesetzes wegen genüge. Wenn ein Arzneimittel in einem Anwendungsgebiet eingesetzt werde, für das es nicht zugelassen sei, bestehe ein Anspruch des Versicherten und damit eine Leistungspflicht wegen des Wirtschaftlichkeitsgebotes grundsätzlich nicht, sondern nur ausnahmsweise nach bestimmten Kriterien des BSG. Damit sei in derartigen Fällen die Leistung grundsätzlich durch Gesetz ausgeschlossen und die Vorschrift des § 106 Abs 5 Satz 8 SGB V anwendbar.

7

Auch aus der Gesetzesbegründung lasse sich die Schlussfolgerung des SG nicht herleiten. Dem Gesetzgeber sei es offenbar um die Entlastung des Beschwerdeausschusses gegangen. Aufgrund dieser Intention verbiete es sich, die Ausnahmeregelung so weit einzuschränken, dass nur namentliche, ausnahmslose Leistungsausschlüsse davon umfasst seien. Andernfalls stellte sich die Frage nach dem verbleibenden Anwendungsbereich, da die vom SG genannten Fallgestaltungen in der Praxis eher selten seien. Mit der Prüfungsstelle sei eine professionelle Fachbehörde geschaffen worden, die auch die nötige Sachkompetenz besitze, Fälle des Off-Label-Use abschließend zu klären. In der Sache sei die Festsetzung einer Ausgleichspflicht rechtswidrig, da das Medikament im vorliegenden Fall verordnungsfähig gewesen sei; die Voraussetzungen für einen ausnahmsweise zulässigen Off-Label-Use seien erfüllt.

8

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 17.3.2010 sowie den Bescheid der Beklagten zu 1. vom 5.9.2008 und den Bescheid des Beklagten zu 2. vom 25.8.2009 aufzuheben.

9

Die Beklagte zu 1. stellt keinen Antrag. Hinsichtlich der Zulässigkeit der gegen sie erhobenen Klage schließt sie sich den Ausführungen der Klägerin an und verweist ergänzend auf die Anlage zur Tagesordnung eines Gesprächs mit den Leitern und Leiterinnen der Prüfungsstellen und der Vorsitzenden der Beschwerdeausschüsse, in der der Off-Label-Use als Anwendungsfall des § 106 Abs 5 Satz 8 SGB V genannt werde. Materiell-rechtlich habe im streitgegenständlichen Verordnungszeitpunkt aufgrund der Datenlage keine begründete Aussicht bestanden, dass mit dem verordneten Präparat CellCept ein Behandlungserfolg bei der Wegenerschen Granulomatose habe erzielt werden können.

10

Der Beklagte zu 2. stellt keinen Antrag. Er habe allein auf die als Erhebung eines Widerspruchs zu wertende Erklärung der Klägerin vom 2.7.2009 ein Widerspruchsverfahren eingeleitet. Damit sei für ihn keine Verpflichtung vorgegeben, über die Rechtmäßigkeit der Entscheidung der Beklagten zu 1. zu entscheiden.

11

Die zu 1. beigeladene Kassenärztliche Vereinigung, die ebenfalls keinen Antrag stellt, hält die Revision für unbegründet. Die Auslegung des § 106 Abs 5 Satz 8 SGB V sei rechtlich nicht zu beanstanden. Die Regelung sei eng auszulegen, da es sich um eine Ausnahmevorschrift handele, und nach der Gesetzesbegründung der Beschwerdeausschuss nur bei vergleichsweise leicht überprüfbaren Sachverhalten von der Durchführung des Vorverfahrens habe entlastet werden sollen; dies sei bei den einen Off-Label-Use betreffenden Prüfverfahren regelmäßig nicht der Fall.

12

Die Beigeladene zu 2. hat schriftsätzlich beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

13

Inhaltlich schließt sie sich dem Vortrag der Beigeladenen zu 1. an.

Entscheidungsgründe

14

Die Revision der Klägerin ist nur zum Teil begründet. Ihre Klage gegen den Bescheid der zu 1. beklagten Prüfungsstelle hat das SG zu Recht als unzulässig abgewiesen (1.). Die Abweisung der gegen den Bescheid des zu 2. beklagten Beschwerdeausschusses erhobenen Klage ist jedoch zu Unrecht erfolgt, denn insoweit war die Klage zulässig und im Sinne einer Verpflichtung des Beschwerdeausschusses zur Neubescheidung begründet (2.).

15

1. Das SG hat die gegen den Bescheid der Beklagten zu 1. erhobene Klage zu Recht als unzulässig beurteilt. Dies folgt daraus, dass Klagen gegen Bescheide der nach § 106 Abs 4 Satz 1 SGB V errichteten Prüfungsstellen wegen der Besonderheiten des Wirtschaftlichkeitsprüfungsverfahrens grundsätzlich unzulässig sind (a), und auch kein Ausnahmefall vorliegt, in dem ein Vorverfahren - dh eine Überprüfung des Bescheides der Prüfungsstelle durch den Beschwerdeausschuss - ausgeschlossen ist (b).

16

a) Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist in vertragsarztrechtlichen Wirtschaftlichkeitsprüfungsverfahren grundsätzlich allein der das Verwaltungsverfahren abschließende Verwaltungsakt des Beschwerdeausschusses Streitgegenstand nach § 95 SGG(vgl BSGE 74, 59, 60 f = SozR 3-2500 § 106 Nr 22 S 118 f, mwN; zuletzt BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 7 S 61). Der Beschwerdeausschuss wird mit seiner Anrufung für das weitere Prüfverfahren ausschließlich und endgültig zuständig; sein Bescheid ersetzt den ursprünglichen Verwaltungsakt der Prüfungsstelle (stRspr des BSG, vgl BSGE 78, 278, 280 = SozR 3-2500 § 106 Nr 35 S 194; kritisch hierzu Clemens in jurisPK-SGB V, 2008, § 106 RdNr 282). Eine Anfechtungsklage gegen den Bescheid der Prüfungsstelle ist daher in der Regel - von hier nicht einschlägigen Ausnahmefällen abgesehen - unzulässig (stRspr des BSG, vgl BSGE 74, 59, 61 = SozR 3-2500 § 106 Nr 22 S 119; BSGE 75, 220, 221 = SozR 3-2500 § 106 Nr 24 S 132; BSGE 76, 53, 53 f = SozR 3-2500 § 106 Nr 26 S 145; BSGE 76, 149, 153 = SozR 3-2500 § 106 Nr 28 S 160; BSGE 78, 278, 280 = SozR 3-2500 § 106 Nr 35 S 194 f).

17

b) Vorliegend wäre eine Klage gegen den Bescheid der Prüfungsstelle somit nur dann zulässig, wenn eine Entscheidung des Beschwerdeausschusses kraft ausdrücklicher gesetzlicher Regelung nicht zu erfolgen hätte und es nicht zu einer Ersetzung des Bescheides der Prüfungsstelle kommen kann. Ein derartiger Fall ist vorliegend jedoch nicht gegeben.

18

aa) Nach § 78 Abs 1 Satz 1 SGG sind Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit eines Verwaltungsaktes grundsätzlich in einem Vorverfahren nachzuprüfen. Dies gilt - ungeachtet gewisser Besonderheiten und ggf nur entsprechend - auch für das Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 106 SGB V. § 106 Abs 5 Satz 3 SGB V bestimmt, dass die dort aufgeführten Personen und Institutionen gegen die Entscheidungen der Prüfungsstelle die Beschwerdeausschüsse anrufen können; gemäß § 106 Abs 5 Satz 6 SGB V gilt das Verfahren vor dem Beschwerdeausschuss als Vorverfahren(§ 78 Abs 1 SGG). Gemäß § 78 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGG bedarf es eines Vorverfahrens (nur) dann nicht, wenn ein Gesetz dies für besondere Fälle bestimmt.

19

bb) Ein derartiger Ausnahmefall ist in § 106 Abs 5 Satz 8 SGB V(in der ab dem 1.1.2008 geltenden Fassung des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes ) geregelt. Danach findet - abweichend von § 106 Abs 5 Satz 3 SGB V - in Fällen der Festsetzung einer Ausgleichspflicht für den Mehraufwand bei Leistungen, die durch das Gesetz oder durch die Richtlinien nach § 92 SGB V ausgeschlossen sind, ein Vorverfahren nicht statt. Diese Ausnahmeregelung ist, wie ihre Auslegung ergibt, auf Fälle beschränkt, in denen sich die Unzulässigkeit der Verordnung unmittelbar und eindeutig aus dem Gesetz selbst oder aus den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses ergibt (in diesem Sinne auch SG Marburg, Urteil vom 15.12.2010 - S 10 KA 597/09 - juris RdNr 16; ähnlich etwa Wenner, Vertragsarztrecht nach der Gesundheitsreform, 2008, § 25 RdNr 10; Engelhard in Hauck/Noftz, SGB V, Stand: Mai 2011, K § 106 RdNr 599c; weitergehend Clemens in jurisPK-SGB V, 2008, § 106 RdNr 279: "bei Leistungen, die … generell ausgeschlossen sind"). Zudem muss sich der Ausschluss aus spezifischen Regelungen des Krankenversicherungsrechts ergeben.

20

(1) Eine (einschränkende) Auslegung der Norm in diesem Sinne legt bereits ihr Wortlaut nahe. Danach gilt der Ausschluss des Vorverfahrens nur für "Leistungen, die durch das Gesetz oder durch die Richtlinien nach § 92 SGB V ausgeschlossen sind".

21

Durch das Gesetz von der Versorgung ausgeschlossen - also nicht zu Lasten der GKV verordnungsfähig - sind insbesondere nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel (§ 34 Abs 1 Satz 1 SGB V), sogenannte "Bagatellarzneimittel" (§ 34 Abs 1 Satz 6 SGB V) und Arzneimittel zur Erhöhung der Lebensqualität (§ 34 Abs 1 Satz 7 SGB V). Im weiteren Sinne zählen hierzu auch Arzneimittel, die aufgrund gesetzlicher Ermächtigung (vgl § 34 Abs 4 SGB V) durch Rechtsverordnung ausgeschlossen sind. Die Arzneimittelrichtlinie (AMR) nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 6 SGB V setzt diese gesetzlichen Verordnungsausschlüsse im Wesentlichen lediglich um, indem sie die gesetzlichen Ausschlüsse präzisiert (vgl § 34 Abs 1 Satz 9 SGB V)oder im ausdrücklichen gesetzlichen Auftrag (vgl § 34 Abs 1 Satz 2 SGB V)Fallgruppen benennt, in denen ausgeschlossene Arzneimittel ausnahmsweise verordnet werden können. Originäre Verordnungsausschlüsse enthält sie in Bezug auf Arzneimittel, die in der früheren Anlage 2 Nr 2 bis 6 der Verordnung über unwirtschaftliche Arzneimittel in der GKV aufgeführt sind, welche jetzt gemäß § 34 Abs 3 Satz 1 SGB V(in der ab 1.1.2011 geltenden Fassung) Teil der AMR ist.

22

In den genannten Fallgruppen beantwortet sich die Frage, ob ein Arzneimittel einem Verordnungsausschluss unterfällt, unmittelbar aus dem Gesetz bzw aus der AMR. Dass § 106 Abs 5 Satz 8 SGB V nur die Leistungen erfassen soll, deren Verordnung durch spezifische - explizite - gesetzliche oder untergesetzliche Regelungen ausgeschlossen ist, wird durch die Formulierung "durch das Gesetz oder durch die Richtlinien" belegt. Wenn jedwede nicht im Einklang mit dem Gesetz stehende Verordnung hätte erfasst werden sollen, hätte es zum einen der gesonderten Erwähnung der Richtlinien nicht bedurft. Für die Erforderlichkeit eines expliziten gesetzlichen Ausschlusses spricht zum anderen auch die Verwendung des Wortes "durch". "Durch" das Gesetz ausgeschlossen sind Verordnungen dann, wenn dies auf eine eindeutige Regelung in einem spezifischen Gesetz zurückzuführen ist. Andernfalls hätte es nahegelegen, pauschal von einem "gesetzlichen" Ausschluss oder gar nur von "ausgeschlossenen" oder "nicht der Leistungspflicht der GKV unterliegenden" Leistungen zu sprechen.

23

Lediglich "mittelbare" Ausschlüsse durch andere Gesetze - wie etwa durch das Arzneimittelgesetz (AMG) im Wege einer "Transformation" über die §§ 2, 12 SGB V(s hierzu unter cc <3>) genügen daher nicht.

24

(2) Dieses Verständnis des § 106 Abs 5 Satz 8 SGB V bestätigen auch die Gesetzesmaterialien. Nach der Gesetzesbegründung (Fraktionsentwurf zum GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz, BT-Drucks 16/3100 S 138 zu § 106 Abs 5 SGB V, Zu Doppelbuchstabe cc)bewirkt "der Ausschluss eines Vorverfahrens vor dem Beschwerdeausschuss in Prüfungssachen Verordnungen von Arzneimitteln betreffend, die durch Gesetz oder die Richtlinien aus dem Leistungskatalog ausgeschlossen sind, … dass der Beschwerdeausschuss von einer Vielzahl gleichartig zu bearbeitender Einzelvorgänge entlastet wird. Der vergleichsweise leicht überprüfbare Sachverhalt, ob ein Arzneimittel grundsätzlich Gegenstand der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung ist, kann sachgerecht durch die Prüfungsstelle abschließend geklärt werden". Der Gesetzgeber wollte ausweislich dieser Begründung die Beschwerdeausschüsse allein von Fallgestaltungen bzw Anwendungssachverhalten entlasten, die eher technischen Charakter haben und ganz überwiegend in der Umsetzung eindeutiger normativer Vorgaben bestehen. Dass die Ausnahmeregelung "gleichartig zu bearbeitende Einzelvorgänge" erfassen soll, schließt es aus, sie auf Konstellationen zu erstrecken, in denen sich die Entscheidung nicht ohne Weiteres - im Sinne eines "ja" oder "nein" - aus normativen Vorgaben ergibt, sondern es hierzu einer einzelfallbezogenen Prüfung bedarf. Dies wird durch die Erwartung des Gesetzgebers gestützt, dass die von der Ausnahmeregelung erfassten Fallgestaltungen einen "vergleichsweise leicht überprüfbaren Sachverhalt" zum Gegenstand haben.

25

Schließlich soll die Ausnahmeregelung nach der Gesetzesbegründung nur Sachverhalte erfassen, in denen zu prüfen ist, ob ein Arzneimittel "grundsätzlich" Gegenstand der Leistungspflicht der GKV ist. Zwar könnte dies auch in dem Sinne verstanden werden, dass nur Fälle gemeint sind, in denen ein "genereller" Ausschluss der Verordnungsfähigkeit besteht (so offenbar Clemens aaO), oder aber, dass ein unspezifischer, "grundsätzlicher" Ausschluss der Leistungspflicht ("von Gesetzes wegen") für die Anwendbarkeit der Ausnahmeregelung ausreiche und eine ausnahmsweise Zulässigkeit unschädlich sei. Würdigt man die Aussage des Gesetzgebers allerdings in ihrem Zusammenhang - nämlich, dass die Frage des grundsätzlichen Ausschlusses einen vergleichsweise leicht überprüfbaren Sachverhalt darstellen soll -, bestätigt auch dies die Annahme, dass sich der Gesetzgeber auf Fallgestaltungen bezogen hat, in denen sich der Ausschluss der Leistungspflicht ohne Weiteres mit "ja" oder "nein" beantworten lässt, weil sich die Antwort unmittelbar und eindeutig aus dem Gesetz bzw den Richtlinien ergibt.

26

Dass sich der Ausschluss zudem unmittelbar aus spezifischen gesetzlichen oder untergesetzlichen Regelungen des Krankenversicherungsrechts ergeben muss, legt schon die Erwähnung des "Leistungskatalogs" in der Gesetzesbegründung (aaO) nahe. Danach soll die Ausnahmeregelung nur Verordnungen erfassen, die durch Gesetz oder die Richtlinien "aus dem Leistungskatalog" der GKV ausgeschlossen sind. Auch wenn diese Ausschlüsse damit nicht den Charakter eines "Negativkatalogs" haben müssen, legt der Begriff "Katalog" eine detaillierte, spezifische Regelung nahe und steht einer Heranziehung allgemeiner Regelungen entgegen.

27

(3) Die Argumentation der Klägerin, dass es für einen sich "aus dem Gesetz" ergebenden Verordnungsausschluss genügen soll, dass die Verordnung allgemeinen Grundsätzen des Krankenversicherungsrechts, nämlich dem Wirtschaftlichkeitsgebot nach §§ 2, 12 SGB V, zuwiderläuft, überzeugt schon aus den vorstehend dargelegten Gründen nicht. Insbesondere aber steht ihr entgegen, dass sie zur Konsequenz hätte, dass im Verordnungsbereich die Durchführung eines Vorverfahrens vor dem Beschwerdeausschuss generell ausgeschlossen wäre. Denn die Aufgabe der Prüfgremien besteht gerade darin, die Wirtschaftlichkeit der Verordnungen - und damit die Einhaltung des Wirtschaftlichkeitsgebots - zu überprüfen. Wenn es für die Anwendung der Ausschlussregelung genügte, dass eine Arzneimittelverordnung allgemeinen Grundaussagen des SGB V - namentlich dem Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 12 Abs 1 SGB V) - zuwiderläuft, würde § 106 Abs 5 Satz 8 SGB V alle unwirtschaftlichen Verordnungen erfassen.

28

Dass der Gesetzgeber derart weitreichende Konsequenzen beabsichtigt hat, ist nicht erkennbar. Dies stünde im Übrigen nicht im Einklang mit dem Zweck eines Vorverfahrens. Dieses soll die Verwaltung in die Lage versetzen, ihre Verwaltungsakte im Wege der Selbstkontrolle zu überprüfen, den Rechtsschutz der betroffenen Bürger verbessern und die Gerichte vor Überlastung schützen (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, Vor § 77 RdNr 1a). Auch der erkennende Senat hat betont, dass eine Überprüfung in einem Vorverfahren, insbesondere der Verwaltung die Gelegenheit bieten soll, Fehlentscheidungen selbst zu korrigieren, und damit zugleich im Sinne einer Filterfunktion dem Interesse der Entlastung der Gerichte dient (BSG SozR 3-1500 § 78 Nr 5 S 12 unter Hinweis auf BSG SozR 3-5540 Anl 1 § 10 Nr 1 S 10 f). Gerade dann, wenn medizinische Fragen zu beurteilen sind, kommt dem mit Vertretern von Ärzten und Krankenkassen fachkundig besetzten Beschwerdeausschuss bei der Erreichung dieser Ziele große Bedeutung zu. Die vom Gesetzgeber beabsichtigte Entlastung des Beschwerdeausschusses steht dem nicht entgegen, da dieser zwar von gleichförmigen Verfahren entlastet werden sollte, nicht aber von seiner originären Aufgabe einer Überprüfung der Entscheidungen der Prüfungsstelle in allen übrigen Fällen.

29

cc) Bei Anwendung der dargestellten Maßstäbe ergibt sich, dass die vorliegend strittigen Regresse wegen der Verordnung von Arzneimitteln außerhalb ihrer arzneimittelrechtlichen Zulassung - sogenannter "Off-Label-Use" - grundsätzlich nicht zu den Sachverhalten gehören, in denen die Ausnahmeregelung nach § 106 Abs 5 Satz 8 SGB V Anwendung findet.

30

(1) Schon die Vorgabe des Gesetzgebers, dass die Ausnahmeregelung "gleichartig zu bearbeitende Einzelvorgänge" erfassen soll, wird bei Regressen wegen einer zulassungsüberschreitenden Verordnung von Arzneimitteln nicht erfüllt. Denn in derartigen Fällen ist eine Verordnung - von den hier nicht einschlägigen Fällen einer expliziten Regelung in der AMR (s hierzu unter cc <2>) abgesehen - nur ausnahmsweise bei Erfüllung der in der Rechtsprechung des BSG entwickelten (engen) Voraussetzungen zulässig. Voraussetzung für eine ausnahmsweise zulassungsüberschreitende Verordnung von Arzneimitteln ist danach, dass eine schwerwiegende - dh eine die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende - Erkrankung vorliegt, keine andere zugelassene Therapie verfügbar ist und aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betroffenen Arzneimittel ein Behandlungserfolg erzielt werden kann (zuletzt BSG Urteil vom 13.10.2010 - B 6 KA 48/09 R - SozR 4-2500 § 106 Nr 30 RdNr 16 mwN). Daher bedarf es hier regelmäßig einer einzelfallbezogenen Prüfung.

31

Auch die Erwartung des Gesetzgebers, dass es sich um einen "vergleichsweise leicht überprüfbaren Sachverhalt" handeln soll, ist - wie schon die vorstehenden dargestellten Voraussetzungen für eine ausnahmsweise zulassungsüberschreitende Verordnung verdeutlichen - in derartigen Fällen nicht ansatzweise erfüllt. Nicht zuletzt die Ausführungen der Beteiligten zur Validität medizinischer Meinungsäußerungen beim Nachweis der Wirksamkeit des hier regressierten Arzneimittels im konkreten Fall belegen vielmehr, dass schwierige medizinische Fragestellungen im Raum stehen.

32

(2) Keine andere Beurteilung rechtfertigt vorliegend der Umstand, dass Abschnitt K § 30 iVm Anlage VI zum Abschnitt K der AMR(zuletzt geändert durch Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses vom 17.2.2011 - DÄ 2011, A 1251 f) Regelungen zur Verordnungsfähigkeit von zugelassenen Arzneimitteln in nicht zugelassenen Anwendungsgebieten enthält. Denn diese Bestimmung trifft hierzu keine abschließende Regelung, sondern erfasst nur Teilbereiche des Off-Label-Use. Insbesondere lässt sie - ausweislich der Fußnote zu Abschnitt K der AMR - für die nicht ausdrücklich geregelten Fälle eines Off-Label-Use die Rechtsprechung des BSG zur Verordnungsfähigkeit im Einzelfall unberührt. Ein die Anwendung des § 106 Abs 5 Satz 8 SGB V ermöglichender Verordnungsausschluss kann daher allein in Bezug auf die dort ausdrücklich geregelten Fallgestaltungen angenommen werden. Das Arzneimittel, dessen Verordnung im Streit steht, ist jedoch weder in Anlage VI zum Abschnitt K der AMR im dortigen Teil A positiv noch in Teil B negativ aufgeführt.

33

(3) Ein "gesetzlicher" Ausschluss des Off-Label-Use iS des § 106 Abs 5 Satz 8 SGB V lässt sich auch nicht aus dem AMG herleiten. Das AMG selbst verbietet die zulassungsüberschreitende Verordnung von Arzneimitteln nicht; jeder Arzt kann derartige Verordnungen auf Privatrezept vornehmen. Der sich nach dem Recht der GKV ergebende Verordnungsausschluss beruht lediglich mittelbar auf dem AMG: Zwar kann ein Arzneimittel grundsätzlich nicht zu Lasten der GKV in einem Anwendungsbereich verordnet werden, auf das sich die Zulassung nicht erstreckt (vgl schon BSGE 89, 184, 186 = SozR 3-2500 § 31 Nr 8 S 30). Nach der Rechtsprechung der BSG-Senate ergibt sich ein Zusammenspiel zwischen Arzneimittelrecht und Leistungsrecht der GKV allerdings erst unter dem Gesichtspunkt, dass das GKV-Recht bei Arzneimitteln in Bezug auf die Qualitätssicherung weitgehend auf eigene Vorschriften verzichtet und insoweit an das Arzneimittelrecht anknüpft (vgl schon BSGE 89, 184, 185 = SozR 3-2500 § 31 Nr 8 S 29). Nach dem Recht der GKV - § 2 Abs 1 Satz 3, § 12 Abs 1 SGB V - beschränkt sich der Anspruch der Versicherten auf die Versorgung mit Arzneimitteln, die sich als wirtschaftlich und zweckmäßig erwiesen haben und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemeinen Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht. Bei Vorliegen der arzneimittelrechtlichen Zulassung wird davon ausgegangen, dass damit zugleich die Mindeststandards einer wirtschaftlichen und zweckmäßigen Arzneimittelversorgung im Sinne des GKV-Rechts erfüllt sind (BSG aaO). Bei einem Off-Label-Use entfällt diese Annahme.

34

2. Soweit das SG hingegen die Klage gegen den Bescheid des Beklagten zu 2. als unzulässig zurückgewiesen hat, ist die Revision im Sinne einer Aufhebung des Urteils des SG sowie des Bescheides des Beklagten zu 2. vom 25.8.2009 und einer Verpflichtung des Beklagten zu 2. begründet, unter Beachtung der Rechtsauffassung des erkennenden Senats erneut über den von der Klägerin gegen den Bescheid der Prüfungsstelle vom 5.9.2008 erhobenen Widerspruch zu entscheiden.

35

a) Das SG ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Bescheid des Beklagten zu 2. vom 25.8.2009 bereits in Bestandskraft erwachsen ist. Dies ist nicht der Fall, da dieser Bescheid nach § 95 SGG Gegenstand des bereits anhängigen, gegen den Bescheid der Prüfungsstelle gerichteten Verfahrens geworden ist.

36

Nach § 95 SGG ist Gegenstand der Klage der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat. Dem steht nicht entgegen, dass die Klägerin unmittelbar gegen den Bescheid der Prüfungsstelle Klage erhoben hat, denn der Umstand, dass vor Klageerhebung kein Widerspruchsverfahren durchgeführt wurde, obwohl dies erforderlich war, führt im Regelfall nicht zur Abweisung der Klage als unzulässig (vgl BSG SozR 3-1500 § 78 Nr 5 S 15 mwN; s auch Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 78 RdNr 3a). Vielmehr ist in derartigen Fällen den Beteiligten Gelegenheit zu geben, das Vorverfahren nachzuholen (BSG aaO S 11; Leitherer aaO § 78 RdNr 3a mwN); dabei liegt in der Klage zugleich die Einlegung des Widerspruchs (BSG aaO S 12; Leitherer aaO § 78 RdNr 3b mwN). § 95 SGG gilt daher auch in den Fällen, in denen das Widerspruchsverfahren während des Klageverfahrens nachgeholt wird(BSGE 71, 42, 44 = SozR 3-2500 § 87 Nr 4 S 11; Leitherer aaO § 95 RdNr 2).

37

Auch die oben (unter 1. a) dargestellten vertragsarztrechtlichen Besonderheiten des Verfahrens vor dem Beschwerdeausschuss stehen der Anwendung des § 95 SGG auf einen nachfolgenden Bescheid des Beschwerdeausschusses nicht entgegen. Die Aussage des § 95 SGG, dass bei Durchführung eines Vorverfahrens (auch) der Widerspruchsbescheid Gegenstand des Gerichtsverfahrens ist, wird durch die Senatsrechtsprechung als solches nicht in Frage gestellt; § 95 SGG wird durch sie nur in dem Sinne modifiziert, dass der Bescheid der Prüfungsstelle nicht Gegenstand des Verfahrens wird(vgl BSGE 78, 278, 280 = SozR 3-2500 § 106 Nr 35 S 194). Einer gesonderten Klage gegen den Bescheid des Beklagten zu 2. bedurfte es somit nicht, so dass es auf die Frage einer rechtzeitigen Klageerhebung (bzw -erweiterung) nicht ankommt.

38

b) Die somit zulässige Klage gegen den Bescheid des Beschwerdeausschusses ist auch im Sinne einer Verpflichtung des Beklagten zu 2. begründet, unter Beachtung der Rechtsauffassung des erkennenden Senats erneut über den von der Klägerin gegen den Bescheid der Prüfungsstelle vom 5.9.2008 erhobenen Widerspruch zu entscheiden. Der Beklagte zu 2. hat den Widerspruch der Klägerin zu Unrecht als unzulässig zurückgewiesen und damit unter Ablehnung einer Sachentscheidung die seinem verwaltungsmäßigen Aufgabenbereich zugehörenden Feststellungen insgesamt nicht getroffen. Die gegen den Bescheid der Prüfungsstelle erhobene Klage stand einer Bescheidung des Widerspruches in der Sache schon deswegen nicht entgegen, weil Sinn und Zweck der Nachholung des Vorverfahrens durch den Beklagten zu 2. gerade darin bestehen, die zunächst noch fehlende Zulässigkeit der Klage herbeizuführen.

39

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 3 SGG iVm einer entsprechenden Anwendung der §§ 154 ff VwGO. Danach haben die Klägerin und der Beklagte zu 2. die Kosten des Verfahrens vor dem BSG und dem SG je zur Hälfte zu tragen, da sie jeweils zum Teil unterlegen sind (§§ 154 Abs 1, 159 Satz 1 VwGO). Für den Beklagten zu 2. gilt, dass er im Revisionsverfahren in der Weise unterlegen ist, dass der von ihm erlassene Bescheid, der (auch) Gegenstand des Verfahrens gewesen ist, vom Senat aufgehoben worden ist; dies ist auch dann, wenn er - wie hier - im Revisionsverfahren keinen Antrag gestellt hat, ein Unterliegen iS des § 154 Abs 1 VwGO(so schon BSG Urteil vom 2.9.2009 - B 6 KA 34/08 R - RdNr 35 mwN, in BSGE 104, 116 und SozR 4-2500 § 101 Nr 7 nicht abgedruckt).

40

Eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen ist nicht veranlasst, weil diese im Verfahren keinen Antrag gestellt haben (§ 162 Abs 3 VwGO, vgl BSGE 96, 257 = SozR 4-1300 § 63 Nr 3, RdNr 16) bzw ihre Äußerung keine eindeutige Zuordnung in Bezug auf ein Obsiegen oder Unterliegen zulässt.

(1) Die Krankenkassen und die Kassenärztlichen Vereinigungen überwachen die Wirtschaftlichkeit der vertragsärztlichen Versorgung durch Beratungen und Prüfungen. Die Landesverbände der Krankenkassen und die Ersatzkassen gemeinsam und einheitlich und die Kassenärztlichen Vereinigungen vereinbaren Inhalt und Durchführung der Beratungen und Prüfungen nach Absatz 2 sowie die Voraussetzungen für Einzelfallprüfungen. Die Vertragspartner können die Prüfungsstelle mit der Prüfung ärztlich verordneter Leistungen in der ambulanten Versorgung außerhalb der vertragsärztlichen Versorgung beauftragen und tragen die Kosten. Die Krankenkassen übermitteln der Prüfungsstelle die Daten der in der ambulanten Versorgung außerhalb der vertragsärztlichen Versorgung verordneten Leistungen; dabei sind zusätzlich die Zahl der Behandlungsfälle und eine Zuordnung der verordneten Leistungen zum Datum der Behandlung zu übermitteln. Die §§ 296 und 297 gelten entsprechend.

(2) Die Wirtschaftlichkeit der Versorgung wird von der Prüfungsstelle nach § 106c geprüft durch

1.
arztbezogene Prüfungen ärztlicher Leistungen nach § 106a,
2.
arztbezogene Prüfungen ärztlich verordneter Leistungen nach § 106b.
Die Prüfungen werden auf der Grundlage der Daten durchgeführt, die der Prüfungsstelle nach § 106c gemäß § 296 Absatz 1, 2 und 4 sowie § 297 Absatz 2 übermittelt werden. Hat die Prüfungsstelle Zweifel an der Richtigkeit der übermittelten Daten, ermittelt sie die Datengrundlagen für die Prüfung aus einer Stichprobe der abgerechneten Behandlungsfälle des Arztes und rechnet die so ermittelten Teildaten nach einem statistisch zulässigen Verfahren auf die Grundgesamtheit der Arztpraxis hoch.

(3) Die Prüfungsstelle nach § 106c bereitet die für die Prüfungen nach Absatz 2 erforderlichen Daten und sonstigen Unterlagen auf, trifft Feststellungen zu den für die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit wesentlichen Sachverhalten und entscheidet unter Beachtung der Vereinbarungen nach den §§ 106a und 106b, ob der Vertragsarzt, der ermächtigte Arzt oder die ermächtigte Einrichtung gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen hat und welche Maßnahmen zu treffen sind. Eine Maßnahme kann insbesondere auch die Festsetzung einer Nachforderung oder einer Kürzung sein. Die Festsetzung einer Nachforderung oder einer Kürzung auf Grund einer Wirtschaftlichkeitsprüfung, die von Amts wegen durchzuführen ist, muss für ärztliche Leistungen innerhalb von zwei Jahren ab Erlass des Honorarbescheides und für ärztlich verordnete Leistungen innerhalb von zwei Jahren ab dem Schluss des Kalenderjahres, in dem die Leistungen verordnet worden sind, erfolgen; § 45 Absatz 2 des Ersten Buches gilt entsprechend. Für Wirtschaftlichkeitsprüfungen, die auf Grund eines Antrags erfolgen, ist der Antrag für die Prüfung ärztlicher Leistungen spätestens 18 Monate nach Erlass des Honorarbescheides und für die Prüfung ärztlich verordneter Leistungen spätestens 18 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Leistungen verordnet worden sind, bei der Prüfungsstelle nach § 106c einzureichen. Die Festsetzung einer Nachforderung oder einer Kürzung muss innerhalb weiterer zwölf Monate nach Ablauf der in Satz 4 genannten Frist erfolgen; die Regelung des § 45 Absatz 2 des Ersten Buches findet keine entsprechende Anwendung. Gezielte Beratungen sollen weiteren Maßnahmen in der Regel vorangehen. Die Prüfungsstelle berät die Vertragsärzte auf der Grundlage von Übersichten über die von ihnen im Zeitraum eines Jahres oder in einem kürzeren Zeitraum erbrachten, verordneten oder veranlassten Leistungen über Fragen der Wirtschaftlichkeit und Qualität der Versorgung.

(4) Werden Wirtschaftlichkeitsprüfungen nicht in dem vorgesehenen Umfang oder nicht entsprechend den für ihre Durchführung geltenden Vorgaben durchgeführt, haften die zuständigen Vorstandsmitglieder der Krankenkassenverbände und Kassenärztlichen Vereinigungen für eine ordnungsgemäße Umsetzung. Können Wirtschaftlichkeitsprüfungen nicht in dem vorgesehenen Umfang oder nicht entsprechend den für ihre Durchführung geltenden Vorgaben durchgeführt werden, weil die erforderlichen Daten nach den §§ 296 und 297 nicht oder nicht im vorgesehenen Umfang oder nicht fristgerecht übermittelt worden sind, haften die zuständigen Vorstandsmitglieder der Krankenkassen oder der Kassenärztlichen Vereinigungen. Die zuständige Aufsichtsbehörde hat nach Anhörung der Vorstandsmitglieder und der jeweils entsandten Vertreter im Ausschuss den Verwaltungsrat oder die Vertreterversammlung zu veranlassen, das Vorstandsmitglied auf Ersatz des aus der Pflichtverletzung entstandenen Schadens in Anspruch zu nehmen, falls der Verwaltungsrat oder die Vertreterversammlung das Regressverfahren nicht bereits von sich aus eingeleitet hat.

(5) Die Absätze 1 bis 4 gelten auch für die Prüfung der Wirtschaftlichkeit der im Krankenhaus erbrachten ambulanten ärztlichen und belegärztlichen Leistungen.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozial-gerichts vom 6. Oktober 2009 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt auch die Kosten des Revisionsverfahrens, mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Tatbestand

1

Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Regressbescheides wegen der Verordnung von zwei Arzneimitteln für Krebskranke.

2

Der Kläger ist Facharzt für Innere Medizin (Arzt für Onkologie und für Pneumologie ), Chefarzt des onkologischen Schwerpunktes eines Krankenhauses mit einem Zentrum für Pneumologie und Thoraxchirurgie und zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung ermächtigt. Er verordnete in den Quartalen II/2001, IV/2002 und I bis III/2003 bei Patienten, die bei der zu 1. beigeladenen Krankenkasse (KK) versichert waren, die Arzneimittel Megestat und Dronabinol. Auf Antrag der Beigeladenen zu 1. setzte der Prüfungsausschuss gegen den Kläger einen Regress von ca 1960 Euro fest; die beklagte Prüfungseinrichtung wies den Widerspruch des Klägers zurück (Bescheide vom 23.9.2004 und vom 5.1.2006) : Megestat sei nach dem Arzneimittelgesetz (AMG) nur zur palliativen Behandlung fortgeschrittener Karzinome der Brust und der Gebärmutter zugelassen; die vom Kläger behandelten Patienten seien dagegen an Bronchialkrebs oder Karzinomen der Thoraxorgane erkrankt gewesen. Das Arzneimittel Dronabinol sei in Deutschland überhaupt nicht zugelassen.

3

Klage und Berufung des Klägers sind erfolglos geblieben (Urteil des SG vom 30.4.2008; Urteil des LSG vom 6.10.2009, Parallelurteil veröffentlicht in NZS 2010, 394, und in einer Kurzfassung in MedR 2010, 256). Im Urteil des LSG ist unter anderem ausgeführt, der Kläger habe die Arzneimittel Megestat und Dronabinol nicht zu Lasten der gesetzlichen KK verordnen dürfen. Megestat sei nur zur palliativen Behandlung fortgeschrittener Karzinome der Brust und der Gebärmutter zugelassen. Die vom Kläger vorgenommenen Verordnungen bei anderen Tumorerkrankungen zur Behebung der Kachexie (Appetitlosigkeit mit der Folge körperlicher Auszehrung) stellten keinen zulässigen Off-Label-Use dar. Ausreichende wissenschaftlich nachprüfbare Studien, die die Eignung und Unbedenklichkeit der Arzneimittel auch im Falle anderer Krebsarten, insbesondere bei Bronchialkrebs, belegen könnten, ergäben sich aus den vorliegenden und den vom Kläger angeführten Stellungnahmen nicht. Es fehle auch an der erforderlichen Gewichtung und Abwägung der Risiken thromboembolischer und vaskulärer Komplikationen. Das vom Kläger verordnete Dronabinol sei in Deutschland überhaupt nicht zugelassen, es sei hier nur als Rezepturarzneimittel verkehrsfähig. So unterliege es nicht dem Zulassungsverfahren nach dem AMG; aber die damit durchgeführte pharmakologische Therapie erfordere eine empfehlende Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) gemäß § 135 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V oder, da eine solche nicht vorliege, sonstiger ausreichender Belege ihrer Eignung und Unbedenklichkeit. Solche Belege lägen aber für die bei den Patienten des Klägers in Rede stehenden Krebserkrankungen nicht vor; auch hier fehle es an der erforderlichen Gewichtung und Abwägung der genannten Risiken. Die Zulässigkeit der Verordnungen von Megestat und/oder Dronabinol ergebe sich auch nicht unter Berücksichtigung der abgeschwächten Anforderungen des BVerfG-Beschlusses vom 6.12.2005. Denn die vom Kläger vorgenommenen Verordnungen dieser Arzneimittel seien nicht darauf angelegt, auf die lebensbedrohliche (Krebs-)Erkrankung selbst einzuwirken, sondern hätten sich allein gegen die im Endstadium dieser Erkrankung auftretende Kachexie gerichtet. Der Gesichtspunkt, dass dies die Lebensqualität des Erkrankten in seiner Endphase insgesamt deutlich verbessert habe, reiche nicht aus.

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Mit seiner Revision erhebt der Kläger sowohl inhaltliche als auch verfahrensbezogene Rügen. Das LSG habe verkannt, dass ausreichende Belege für die Eignung und Unbedenklichkeit der von ihm - dem Kläger- vorgenommenen Behandlungen vorgelegen hätten. Als Beleg dürften außerhalb des AMG-Zulassungsverfahrens keine sog Phase III-Studien gefordert werden, vielmehr reiche der Konsens in einschlägigen Fachkreisen über den voraussichtlichen Nutzen aus. Dieser Konsens werde durch die im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren vorgelegten Veröffentlichungen und Stellungnahmen, insbesondere auch die zusammenfassenden Metaanalysen, belegt. Das LSG habe die vorgelegten umfangreichen Studien nicht angemessen ausgewertet. Wenn das LSG diese nicht als ausreichend angesehen habe, hätte es ein Sachverständigengutachten einholen müssen; hierzu hätte es sich angesichts der Mängel des Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) gedrängt fühlen müssen. Bei verfahrensfehlerfreiem Vorgehen des LSG hätte sich ergeben, dass schon im Zeitpunkt der von ihm - dem Kläger - durchgeführten Behandlungen ausreichende Belege für die Eignung und Unbedenklichkeit vorgelegen hätten und ein Konsens in Fachkreisen bestanden habe. Die Rechtswidrigkeit des Regresses ergebe sich ferner daraus, dass ein Anspruch der Versicherten auf die durchgeführten Behandlungen aufgrund der Entscheidung des BVerfG vom 6.12.2005 (BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5) bestanden habe. Außer einer - auch vom LSG anerkannten - lebensbedrohlichen Erkrankung und dem Fehlen einer Therapiealternative habe auch eine Aussicht auf spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bestanden. Zwar seien die Behandlungen mit Megestat und Dronabinol nicht auf die Heilung des Tumors als solchen angelegt gewesen, aber sie seien gegen die mit diesem Grundleiden einhergehende - nicht eigenständige - (Begleit-)Erkrankung der (Tumor-)Kachexie gerichtet gewesen und durch die Bekämpfung der damit einhergehenden weiteren Krankheitsauswirkungen wie starke Abmagerung, allgemeiner Kräfteverfall, Appetitlosigkeit und Apathie geeignet gewesen, eine Gewichtszunahme, eine Stärkung des Organismus und eine Förderung des psychischen Wohlbefindens und des Lebenswillens zu bewirken und damit zu einer Verlängerung der lebenswerten Lebenszeit und auch zu einer - manchmal sogar signifikanten - Verlängerung des Lebens insgesamt zu führen. Die Annahme des LSG, er - der Kläger - habe die Verlängerung der Lebensdauer nicht als Behandlungsziel angegeben, sei unrichtig; wenn das LSG sein Vorbringen derart eingeschränkt gesehen habe, hätte es ihn zumindest darauf hinweisen müssen. Die Auffassung, die Anwendungen von Megestat und Dronabinol seien ausschließlich auf die Verbesserung der Lebensqualität und nicht auf die Verlängerung der Lebensdauer gerichtet gewesen, verletze die Grenzen der freien Beweiswürdigung; sie sei auch weder als Erfahrungssatz noch medizinisch begründbar. Aber selbst wenn man die Lebensverlängerung außer Betracht lasse, sei nach den Vorgaben des BVerfG eine Leistungspflicht anzuerkennen. Der Entscheidung vom 6.12.2005 sei nicht zu entnehmen, dass sich die spürbare positive Auswirkung auf die lebensbedrohliche Krankheit selbst beziehen müsse. Der vorliegende Fall der Linderung von Krankheitsbeschwerden einer lebensbedrohlichen Erkrankung werde von den Grundsätzen des Beschlusses des BVerfG mitumfasst. Nicht tragfähig sei schließlich das Argument des LSG, durch Akzeptieren der Behandlung mit Megestat und/oder Dronabinol würde das Erfordernis der Arzneimittelzulassung und das Arzneimittelzulassungsverfahren entwertet. Bei schwerwiegenden Krebserkrankungen falle nach dem Grundsatz "je schwerwiegender die Erkrankung und hoffnungsloser die Situation, desto geringere Anforderungen", die Nutzen-Risiko-Analyse eindeutig positiv aus. Dabei sei eine den Regeln der ärztlichen Kunst entsprechende Behandlung durch den Kläger als langjährigem Chefarzt des onkologischen Schwerpunktes an dem einer Universität angeschlossenen Lehrkrankenhaus evident gewährleistet.

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Der Kläger beantragt,
das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 6. Oktober 2009, das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 30. April 2008 sowie den Bescheid der Beklagten vom 5. Januar 2006 aufzuheben,
hilfsweise,
das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 6. Oktober 2009 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen.

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Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

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Sie verteidigt das Urteil des LSG. Das LSG habe zu Recht verneint, dass die Eignung und Unbedenklichkeit der vom Kläger durchgeführten Behandlungen mit Megestat und/oder Dronabinol hinreichend belegt seien. Die Studien belegten auch keinen Konsens über eine Verbesserung der Lebensqualität durch solche Behandlungen, zumal nicht für den Zeitpunkt der durchgeführten Behandlung. Jedenfalls sei deren Einsatz nicht darauf ausgerichtet gewesen, auf die lebensbedrohliche Tumorerkrankung selbst einzuwirken. Zudem würden unkalkulierbare Risiken in Kauf genommen, sodass ein Heilversuch vorliege, der gesonderten Regelungen und Voraussetzungen unterliege. Es reiche nicht aus, dass der Kläger für seine Patienten angebe, diese hätten von der Arzneigabe kurzfristig profitiert. Auch hätte er die Entwicklung bei seinen Patienten umfassend dokumentieren müssen.

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Die Beigeladenen geben im Revisionsverfahren keine Stellungnahme ab.

Entscheidungsgründe

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Die Revision des Klägers ist sowohl mit dem Haupt- als auch mit dem Hilfsantrag unbegründet. Das angefochtene Urteil des LSG lässt keine Verletzung von Bundesrecht erkennen. Der angefochtene Arzneikostenregress ist nicht zu beanstanden.

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A. Rechtsgrundlage des angefochtenen Arzneikostenregresses ist § 106 Abs 2 SGB V(hier zugrunde zu legen idF des GKV-Gesundheitsreformgesetzes 2000 vom 22.12.1999, BGBl I 2626, die auch in den weiteren Jahren 2001 bis 2003 galt; zur Maßgeblichkeit des § 106 Abs 2 SGB V für Verordnungsregresse in Fallkonstellationen der vorliegenden Art vgl zuletzt BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 17; BSG vom 5.5.2010 - B 6 KA 5/09 R - RdNr 14 iVm 21 ff mwN - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen; BSG vom 18.8.2010 - B 6 KA 14/09 R - RdNr 16 iVm 25 f mwN - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen) . Danach wird die Wirtschaftlichkeit der Versorgung unter anderem durch arztbezogene Prüfungen ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen, entweder nach Durchschnittswerten oder anhand von Richtgrößenvolumina (§ 106 Abs 2 Satz 1 Nr 1) und/oder auf der Grundlage von Stichproben (aaO Satz 1 Nr 2) , geprüft. Über diese Prüfungsarten hinaus können die Landesverbände der KKn mit den Kassenärztlichen Vereinigungen (KÄVen) gemäß § 106 Abs 2 Satz 4 SGB V andere arztbezogene Prüfungsarten vereinbaren(vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 17 RdNr 12 f mwN; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 RdNr 14; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 17; BSG vom 18.8.2010 - B 6 KA 14/09 R - RdNr 16) . Diese Prüfvereinbarungen ermächtigen regelmäßig auch zu Einzelfallprüfungen. Einzelfallprüfungen sind insbesondere dann sachgerecht - und die Wahl dieser Prüfmethode rechtmäßig -, wenn das individuelle Vorgehen eines Arztes in bestimmten einzelnen Behandlungsfällen hinsichtlich des Behandlungs- oder Verordnungsumfangs am Maßstab des Wirtschaftlichkeitsgebots überprüft werden soll (s BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 RdNr 14; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 17; BSG vom 5.5.2010 aaO RdNr 14) .

11

Wie sich aus den Urteilen des Senats vom 5.5.2010 und vom 18.8.2010 ergibt, handelt es sich bei den vorliegenden Streitigkeiten über die vertragsarztrechtliche Zulässigkeit von Arzneiverordnungen um einen Fall des § 106 SGB V und nicht um einen Regress "wegen sonstigen Schadens" im Sinne des § 48 Bundesmantelvertrag-Ärzte(BSG vom 5.5.2010 - B 6 KA 5/09 R - RdNr 20 bis 26, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen, und BSG vom 18.8.2010 - B 6 KA 14/09 R - RdNr 25 f, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen) . Denn vorliegend steht ein Fehler der Verordnung selbst in Frage, wie dies bei Verstößen gegen die Arzneimittel-Richtlinie bzw bei Verordnungen nicht verordnungsfähiger Arzneimittel und auch bei Verordnungen außerhalb der nach dem AMG erteilten Zulassung der Fall ist (vgl BSG vom 18.8.2010 aaO RdNr 25 am Ende) .

12

B. Der Regressbescheid war rechtmäßig. Die Voraussetzungen für einen Regress im Wege der Einzelfallprüfung gemäß § 106 SGB V waren erfüllt. Der Kläger durfte die Arzneimittel Megestat und Dronabinol nicht zur Behandlung der Kachexie (Appetitlosigkeit mit der Folge körperlicher Auszehrung) bei Bronchialkarzinomen und Tumoren der Thoraxorgane verordnen.

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Dies folgt für Megestat daraus, dass dessen Zulassung nach dem AMG nur für die Anwendung bei der Kachexie im Falle von Brust- und Gebärmutterkrebs erfolgt war, sodass die Verordnung von Megestat bei anderen Krebsarten einen Off-Label-Use darstellte. Dessen Voraussetzungen waren nicht erfüllt, insbesondere waren die Eignung und Unbedenklichkeit des Einsatzes dieses Arzneimittels nicht ausreichend belegt (unten 1.). Für Dronabinol ergibt sich die Unzulässigkeit der Verordnungen des Klägers daraus, dass es in Deutschland nicht zugelassen, hier vielmehr nur als Rezepturarzneimittel verkehrsfähig war, ohne dass aber der G-BA für eine pharmakologische Therapie unter Einsatz dieses Medikaments eine empfehlende Richtlinie gemäß § 135 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V erlassen hat. Es lagen auch keine sonstigen ausreichenden Belege seiner Eignung und Unbedenklichkeit vor (unten 2.). Schließlich können die Verordnungen von Megestat und Dronabil auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Behandlung einer lebensbedrohlichen Erkrankung und den dafür vom BVerfG herausgestellten abgeschwächten Anforderungen gerechtfertigt werden (unten 3.).

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1. Die Verordnungsfähigkeit eines Fertigarzneimittels wie Megestat ist in erster Linie danach zu beurteilen, mit welchen Maßgaben es im Arzneimittelzulassungsverfahren nach dem AMG zugelassen wurde. In diesem Verfahren werden Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit anhand vom Arzneimittelhersteller vorzulegender Studien überprüft (vgl §§ 21, 22, 24, 25 Abs 5 Satz 1 AMG) . Die Zulassung des Arzneimittels erfolgt nicht unbegrenzt, sondern nur nach Maßgabe der anhand der Studien ausgewiesenen und überprüften Anwendungsgebiete (vgl § 22 Abs 1 Nr 6 AMG und dazu BSGE 89, 184, 186 f = SozR 3-2500 § 31 Nr 8 S 30 f). So erfolgte die Zulassung von Megestat, wie im Urteil des LSG festgestellt worden ist, für die palliative Behandlung bei Brust- und Gebärmutterkrebs und hier für den Einsatz gegen die bei solchen Krebsbehandlungen auftretende Kachexie.

15

Der Kläger setzte Megestat indessen nicht in diesem Anwendungsgebiet ein. Zwar waren die Verordnungen des Klägers auch gegen die bei Krebsbehandlungen auftretende Kachexie gerichtet, aber nicht im Zusammenhang mit Brust- und Gebärmutterkrebs von Frauen. Er verordnete Megestat vielmehr gegen die Kachexie insbesondere bei fortgeschrittenen Bronchialkarzinomen und Tumoren der Thoraxorgane. Mithin lag ein Off-Label-Use vor.

16

Ein Off-Label-Use ist nur unter engen Voraussetzungen zulässig. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass nicht das Verfahren nach dem AMG durchlaufen wurde, das mit der Überprüfung der Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit auf die Gewährleistung von Arzneimittelsicherheit angelegt ist. Wie vom 1. Senat des BSG in langjähriger Rechtsprechung wiederholt herausgestellt und vom 6. Senat weitergeführt worden ist, müssen für einen zulässigen Off-Label-Use - zum einen - eine schwerwiegende Erkrankung vorliegen (dh eine die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung), und es darf - zum anderen - keine andere - zugelassene - Therapie verfügbar sein, und - zum dritten - aufgrund der Datenlage muss die begründete Aussicht bestehen, dass mit dem betroffenen Arzneimittel ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann (so zB BSG vom 28.2.2008, SozR 4-2500 § 13 Nr 16 RdNr 21, 23, 26 mit Hinweis auf die stRspr; vgl auch Senatsurteile vom 5.5.2010, zB - B 6 KA 6/09 R - SozR 4-2500 § 106 Nr 27 RdNr 51 f und - B 6 KA 20/09 R - in RdNr 46 f sowie - B 6 KA 24/09 R - in RdNr 18 ff). Abzustellen ist dabei auf die im Zeitpunkt der Behandlung vorliegenden Erkenntnisse (BSG vom 28.2.2008 aaO RdNr 21). Das Erfordernis der Aussicht auf einen Behandlungserfolg umfasst dabei nicht nur die Qualität und Wirksamkeit eines Arzneimittels, sondern schließt auch ein, dass mit der Medikation keine unvertretbaren Nebenwirkungen und Risiken verbunden sein dürfen. Gerade die Notwendigkeit der Analyse und Gewichtung eventueller unzuträglicher Nebenwirkungen ist ein zentrales Element des Überprüfungsstandards, auf den die Neugestaltung des AMG vom 24.8.1976 ausgerichtet ist, deren Konzeption ihren Ursprung in den Erfahrungen der 1960er Jahre mit den nicht ausreichend analysierten Nebenwirkungen von Contergan hat (vgl hierzu BR-Drucks 552/74 S 43 und BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 RdNr 21) . Soll die Verordnung eines Arzneimittels ausnahmsweise ohne derartige Gewähr der Arzneimittelsicherheit in Betracht kommen, so müssen für diesen Off-Label-Use anderweitig Qualitätsstandards, die dem Einsatz im Rahmen der Zulassungsindikation vergleichbar sind, gewährleistet und hinreichend belegt sein. Dabei muss auch gesichert sein, dass von der Off-Label-Medikation keine unzuträglichen Nebenwirkungen ausgehen; die Patienten sollen vor unkalkulierbaren Risiken geschützt werden (vgl BSGE 104, 160 = SozR 4-2500 § 13 Nr 22 RdNr 18 mwN; s auch zB BSGE 97, 112 = SozR 4-2500 § 31 Nr 5, RdNr 18; BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 16 RdNr 33).

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Wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, sind nicht alle für einen Off-Label-Use bestehenden Regelvoraussetzungen erfüllt. Das LSG hat, ohne dass seine Ausführungen insoweit revisionsgerichtlich zu beanstanden wären (zu den vom Kläger dagegen erhobenen Verfahrensrügen siehe unten D.) , ausgeführt, dass es sich zwar bei fortgeschrittenen Bronchialkarzinomen und Tumoren der Thoraxorgane um schwerwiegende Erkrankungen handelt. Das LSG hat auch die weitere Voraussetzung, dass keine andere zugelassene Therapie zur Verfügung gestanden hat, tendenziell bejaht: Es hat dargelegt, die Ansicht der Beklagten sei unzutreffend, die Patienten könnten auf die Gabe hochkalorischer Kost verwiesen werden; denn dies stelle keine gleichwertige Alternative dar. Damit würde zwar die tumorinduzierte Kachexie behandelt, aber nicht - wie mit Megestat - erreicht, dass der Patient wieder mit Appetit natürliche Nahrung zu sich nehme. Ferner hat das LSG ins Feld geführt, dass die Gabe hochkalorischer Kost nicht selten zu Verdauungsproblemen führe (Diarrhoe). Das LSG hat über das Vorliegen dieser Voraussetzung (Fehlen einer anderen zugelassenen Therapie) allerdings nicht abschließend entschieden, dies vielmehr offengelassen, weil es jedenfalls an der dritten Voraussetzung fehle, nämlich an ausreichenden Belegen für eine begründete Aussicht auf einen Behandlungserfolg: Das LSG hat hierzu ausgeführt, dass diese dritte Voraussetzung nur dann erfüllt wäre, wenn im Behandlungszeitpunkt entweder bereits eine klinische Prüfung mit Phase III-Studien veröffentlicht und ein entsprechender Zulassungsantrag gestellt worden wäre oder wenn sonstwie zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen vorgelegen hätten, aufgrund derer sich in den einschlägigen Fachkreisen ein Konsens über den voraussichtlichen Nutzen der angewendeten Methode gebildet hätte. Das LSG hat die dritte Voraussetzung für einen zulässigen Off-Label-Use in unbedenklicher Weise als nicht erfüllt angesehen.

18

Im Einzelnen hat das LSG - unter anderem unter Bezugnahme auf das Gutachten des MDK vom 17.4.2003, das im Widerspruchsverfahren von der Beklagten eingeholt worden war - Folgendes ausgeführt: Bis 2003 gab es keine Phase III-Studien zum Einsatz von Megestat zur Bekämpfung der Kachexie bei anderen Krebsarten als Brust- und Gebärmutterkrebs. Die Studie, an der auch der Kläger selbst beteiligt war, betraf nur 33 Patienten; zudem wurde darin konzediert, dass noch eine Reihe von Fragen offen geblieben war und noch eine Placebo-kontrollierte Doppelblindstudie erforderlich sei. Andere Studien kamen zwar zum Ergebnis einer Verbesserung der Kachexie, aber vielfach mit der Einschränkung, dass dies nicht mit einer Verbesserung der Lebensqualität einhergehe. Es wurden auch erhebliche Nebenwirkungen beschrieben wie Übelkeit/Erbrechen, Diarrhoe, Sodbrennen, Muskelkrämpfe, Müdigkeit, Kopfschmerzen und, wie das LSG weiterhin hervorgehoben hat, auch Thrombose und Embolie, womit tödliche Komplikationen und Lebensverkürzungen verbunden sein könnten.

19

Das LSG hat weiter rechtsfehlerfrei aufgezeigt, dass sich nichts anderes aus der Zusammenfassung (dem sog abstract) einer Metaanalyse von Berenstein und Ortiz aus dem Jahr 2005 ergibt. Abgesehen davon, dass diese schon nicht ohne Weiteres für den früher gelegenen Verordnungs- und Regresszeitraum (bis 2003) maßgeblich sein kann, ergibt sie, dass auch im Jahr 2005 noch keine ausreichenden Belege für eine begründete Aussicht auf einen Behandlungserfolg mit Megestat bei Bronchialkarzinom vorlagen. Auch sie erfüllten nicht die Voraussetzungen einer Phase III-Studie an einem größeren Patientenkollektiv. Zwar bezogen sie auch andere Studien - und damit insgesamt 4000 Patienten ein -, die aber teilweise andere Erkrankungen als Krebs betrafen; zudem bestätigten sie zwar, dass Megestat den Appetit verbessere und zur Gewichtszunahme führe, ergaben aber nicht den Schluss auf eine Verbesserung der Lebensqualität. Auch die Zusammenfassung (das sog abstract) einer Metaanalyse von Lesniak/Bala/Jaeschke/Krzakowski aus dem Jahr 2008 ergab, wie im Urteil des LSG festgestellt, keine vorteilhaften Auswirkungen der Behandlung mit Megestat auf die gesamte Lebensqualität. Für eine valide Beurteilung wurde eine neue Studie für erforderlich gehalten.

20

Gegen die Eignung und Unbedenklichkeit von Megestat für die Behandlung von Kachexie in Fällen von Bronchialkarzinomen und Karzinomen der Thoraxorgane spricht auch die aktualisierte Fachinformation mit Stand vom Januar 2009: In ihr sind, wie das LSG dargestellt hat, als Indikation nur die palliative Behandlung von Mammakarzinomen und Endometriumkarzinomen (Innenhaut der Gebärmutter) genannt, und die Anwendung von Megestat zur Behandlung anderer neoplastischer Erkrankungen wird ausdrücklich nicht empfohlen.

21

Demnach fehlte es bei den vom Kläger vorgenommenen Verordnungen von Megestat an einer begründeten Aussicht auf einen Behandlungserfolg. Wie dargelegt, erfordert dies ausreichende Belege für die Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit (oben RdNr 16) . Dies haben die im Verfahren eingeholten und die vom Kläger vorgelegten Stellungnahmen nicht ausreichend belegt. Wie das LSG ausgeführt hat, war der Kläger an einer der Studien zu Megestat sogar selbst beteiligt und diese ergab zusammengefasst, dass noch eine Reihe von Fragen offen war, sodass noch weiterer Überprüfungsbedarf gesehen wurde. Mithin war unter eigener Beteiligung des Klägers klargestellt, dass die Überprüfungen noch nicht zu einem abschließenden positiven Ergebnis gelangt waren, die Erprobungsphase vielmehr noch nicht als abgeschlossen betrachtet werden konnte. Dabei ist auch von Bedeutung, dass die zahlreichen Studien keine Abwägung mit eventuell zu befürchtenden Nebenwirkungen im Falle anderer Krebsarten als Brust- und Gebärmutterkrebs enthielten, solche aber im Zusammenhang mit dem Einsatz von Megestat in vielfältiger und schwerwiegender Gestalt diskutiert wurden, bis hin zu lebensgefährdenden Komplikationen wie Thrombose und Embolie (zur Ausrichtung des AMG auf Arzneimittelsicherheit vgl oben RdNr 16) .

22

Demgegenüber greift keine der vom Kläger erhobenen Einwendungen durch. Weder die von ihm gegen die Verfahrensweise des LSG vorgebrachten Rügen (hierzu im Einzelnen s unten D.) noch seine Einwände gegen die vom LSG zugrunde gelegten inhaltlichen Maßstäbe haben Erfolg. Der Senat folgt schon nicht seiner Ansicht, die vom LSG gestellten Anforderungen an die Qualität der wissenschaftlichen Erkenntnisse für einen zulässigen Off-Label-Use seien überzogen. Der Kläger meint, es werde mehr gefordert, als an wissenschaftlichen Erkenntnissen überhaupt möglich und ethisch vertretbar sei. Für Krankheitsfälle der hier vorliegenden Art lasse sich kein Patientenkollektiv finden, das für eine Phase III-Studie ausreichend groß sei, das weiterhin einheitlich vorbehandelt werde und bei dem die Parameter zur Lebensqualität und Toxizität standardisiert erfasst werden könnten. Es müsse ausreichen, dass in den einschlägigen Fachkreisen aufgrund einer Vielzahl der veröffentlichten Erkenntnisse mit positiven Ergebnissen zur Appetitsteigerung und Gewichtszunahme sowie zum Allgemeinbefinden ein Konsens über den Nutzen einer Verabreichung von Megestat bestanden habe, wogegen etwaige Nachteile durch Nebenwirkungen und Risiken nicht ins Gewicht fallen könnten und zu vernachlässigen seien. Abgesehen davon, dass nach den Feststellungen des LSG für den Off-Label-Use von Megestat keine Phase III-Studien vorliegen, konnten auch den anderen - weniger validen - Studien keine ausreichenden Belege für die Eignung und Unbedenklichkeit des Einsatzes von Megestat entnommen werden. Insbesondere ergab die Studie, an der der Kläger selbst teilnahm, dass - wie schon erwähnt - die Erprobungsphase noch nicht als abgeschlossen angesehen werden konnte. Das LSG hat auch keinen Konsens über die Eignung und Unbedenklichkeit der Anwendung von Megestat feststellen können, es hat vielmehr formuliert, dass für das Vorliegen eines Konsenses keine Anhaltspunkte vorlagen. Dieser Feststellung hat der Kläger mit seinem Einwand, schon im Zeitpunkt seiner Medikation habe in den Fachkreisen Konsens über Qualität und Wirksamkeit von Megestat bei Tumor-Kachexie bestanden, lediglich seine gegenteilige Ansicht entgegengesetzt. Den vom LSG getroffenen Tatsachenfeststellungen, die vom Revisionsgericht grundsätzlich als verbindlich zugrunde zu legen sind (§ 163 SGG) , lediglich die Behauptung anderer Tatsachen entgegenzusetzen, reicht revisionsrechtlich nicht aus (vgl BSGE 89, 250, 252 = SozR 3-4100 § 119 Nr 24 S 123 mwN; BSG vom 1.7.2010 - B 11 AL 1/09 R - RdNr 25, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen) .

23

Die "Regel"voraussetzungen eines zulässigen Off-Label-Use bei den vom Kläger vorgenommenen Verordnungen von Megestat sind damit nicht erfüllt. Aber auch die vom BVerfG herausgestellten Anforderungen greifen nicht ein, wie noch unter 3. darzulegen ist.

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2. Für Dronabinol gilt im Ergebnis nichts anderes. Dronabinol ist allerdings anders als Megestat kein Fertigarzneimittel, für das eine Zulassung nach dem AMG erforderlich ist, sodass dementsprechend auch nicht die Maßstäbe des Off-Label-Use anwendbar sind. Dronabinol ist ein sog Rezepturarzneimittel und als solches nach dem AMG aufgrund der erteilten Herstellungserlaubnis (§ 13 AMG) auch verkehrsfähig, ohne dass eine Überprüfung seiner Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit nach dem AMG stattfinden musste oder stattgefunden hat (vgl §§ 13 bis 15 iVm § 43 Abs 2 Halbsatz 2 iVm § 47 AMG; s dazu BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 30) . Mit der Verkehrsfähigkeit sind Rezepturarzneimittel zugleich auch verordnungsfähig, es sei denn, nach anderen Regelungen ist ein Anerkennungsverfahren erforderlich. Dies ist gemäß § 135 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V der Fall, wenn der Einsatz des Arzneimittels Gegenstand einer neuen Arzneitherapie im Sinne dieser Regelung ist, für die dann entsprechend den Vorgaben dieser Vorschrift eine empfehlende Richtlinie erforderlich ist(zu diesen Zusammenhängen s ausführlich BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 26 ff; - zur Anwendung des § 135 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V auch auf Behandlungen unter Anwendung von Hilfsmitteln: BSG - 3. Senat - vom 12.8.2009, BSGE 104, 95 = SozR 4-2500 § 139 Nr 4, RdNr 17 ff) .

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Dementsprechend bedurfte es für den Einsatz von Dronabinol grundsätzlich einer anerkennenden Richtlinie gemäß § 135 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V. Denn es handelte sich um eine neue Arzneitherapie. Die Einordnung als Arzneitherapie ergibt sich aus dem Urteil des 1. Senats vom 27.3.2007 (USK 2007- 36 ); auf die dortigen Ausführungen wird verwiesen, in denen der 1. Senat sich mit Behandlungen mit cannabinolhaltigen Arzneimitteln befasst hat und diese als eine auf einem bestimmten theoretisch-wissenschaftlichen Konzept fußende Vorgehensweise der Krankenbehandlung qualifiziert hat (vgl BSG USK aaO S 236 f; zur "Methode" iS des § 135 Abs 1 SGB V vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 31 mwN).

26

Eine unter Einsatz von Dronabinol durchgeführte Arzneitherapie ist auch "neu" iS des § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V. Neu ist eine Behandlungsmethode zunächst dann, wenn sie erst nach Inkrafttreten des § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V - also erst in der Zeit seit dem 1.1.1989 - als kassen- bzw vertragsärztliche Behandlungsmethode praktiziert worden ist. Neu ist auch eine Behandlungsmethode, für die eine entsprechende Leistungsposition im Einheitlichen Bewertungsmaßstab für ärztliche Leistungen (EBM-Ä) zunächst nicht bestand, diese vielmehr erst später - nach dem 1.1.1989 - in das Leistungsverzeichnis des EBM-Ä aufgenommen wurde (vgl BSG vom 22.3.2005, BSGE 94, 221 RdNr 24 = SozR 4-2400 § 89 Nr 3 RdNr 25; BSG vom 26.9.2006, SozR 4-2500 § 27 Nr 10 RdNr 17-19; s auch BSGE 81, 54, 57 f = SozR 3-2500 § 135 Nr 4 S 12 f) . Nach diesen Abgrenzungen ist bei Arzneitherapien - bei Arzneimitteln ist kein Raum für die Schaffung einer Leistungsposition im EBM-Ä - darauf abzustellen, ob sie schon vor dem 1.1.1989 oder erst nach dem 1.1.1989 praktiziert wurden. Wurden sie schon vorher praktiziert, so sind sie nicht neu; dann käme nur eine Überprüfung durch den § 135 Abs 1 Satz 2 SGB V in Betracht, wonach die Verordnungsfähigkeit erst ausgeschlossen wäre, wenn der G-BA die Methode ausdrücklich für unvereinbar mit den Erfordernissen des § 135 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V erklärt hatte(§ 135 Abs 1 Satz 3 SGB V). Im vorliegenden Fall der Verordnung von Dronabinol wird weder vom LSG noch vom Kläger erwogen, es könnte sich um eine schon vor dem 1.1.1989 praktizierte Arzneitherapie handeln; vielmehr haben sowohl das LSG als auch der Kläger ihren Ausführungen zugrunde gelegt, dass es sich um eine neue Behandlungsmethode handelt.

27

Liegt eine neue Behandlungsmethode vor, ohne dass aber eine empfehlende Richtlinie des G-BA ergangen ist, so ist die Anwendung dieser Methode - dh hier eine Therapie unter Einsatz von Dronabinol - grundsätzlich unzulässig, es sei denn, ein Ausnahmetatbestand wäre erfüllt. Als Ausnahmetatbestand kommt vorliegend ein sog Seltenheitsfall, der ausnahmsweise zu einem Einzelimport oder zu einer Einzelanwendung berechtigen würde, nicht in Betracht; denn die Krankheitsbeschwerden, derentwegen der Kläger Dronabinol einsetzte, sind nicht so selten, dass sie sich systematischer Erforschung und Behandlung entzögen (zu diesen Voraussetzungen vgl zB BSG vom 27.3.2007, USK 2007-36 S 237; BSG vom 8.9.2009, BSGE 104, 160 = SozR 4-2500 § 13 Nr 22, RdNr 20) . Auch die besondere Situation, dass als Folge des Fehlens einer durch Richtlinie anerkannten Behandlungsmethode eine Versorgungslücke entsteht und ein Bedarf nach ihrem Einsatz auch ohne empfehlende Richtlinie des GBA besteht, war nicht gegeben. Ein solcher Bedarf würde voraussetzen, dass ausreichende Belege für die Eignung und Unbedenklichkeit der Methode vorliegen (vgl hierzu BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 32 mwN) . Solche lagen indessen für Dronabinol ebenso wenig wie für Megestat vor; hierzu wird auf obige Ausführungen unter 1. (RdNr 17 ff) verwiesen.

28

3. Schließlich lagen auch die Voraussetzungen, unter denen nach der Rechtsprechung des BVerfG der Einsatz eines Arzneimittels unter Außerachtlassung der Begrenzungen durch das AMG und durch § 135 Abs 1 SGB V zulässig sein kann, nicht vor. Allerdings hat das BVerfG in Erkrankungsfällen, die als hoffnungslos erscheinen, aus Art 2 Abs 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip und aus Art 2 Abs 2 Satz 1 GG iVm der daraus abzuleitenden Schutzpflicht entnommen, dass Therapiemethoden, die nach dem AMG oder dem SGB V an sich nicht angewendet werden dürfen, unter bestimmten Voraussetzungen doch zulässig sind. Das BVerfG hat insoweit dem Versicherten einen erweiterten Behandlungsanspruch gemäß §§ 27 ff SGB V eingeräumt, was reziprok bedeutet, dass dann in entsprechender Weise der Arzt zur Gewährung der Behandlung bzw zur Verordnung des Arzneimittels berechtigt und verpflichtet ist.

29

a) Das BVerfG hat - zunächst für nicht anerkannte Behandlungsmethoden - aus Art 2 Abs 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip und aus Art 2 Abs 2 Satz 1 GG iVm der sich daraus ergebenden Schutzpflicht abgeleitet, dass in Fällen, in denen eine lebensbedrohliche oder in der Regel tödlich verlaufende Krankheit vorliegt und eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, der Versicherte nicht von der Gewährung einer von ihm gewählten, ärztlich angewandten Behandlungsmethode ausgeschlossen werden darf, wenn diese eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bietet (BVerfGE 115, 25, 49 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 RdNr 33) . Es muss eine durch nahe Lebensgefahr gekennzeichnete individuelle Notlage gegeben sein (BVerfG vom 30.6.2008, NJW 2008, 3556 RdNr 10; an die verfassungsrechtliche Rechtsprechung anknüpfend BSG vom 4.4.2006, BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4, RdNr 35; BSG vom 14.12.2006, SozR 4-2500 § 31 Nr 8 RdNr 20; BSG vom 27.3.2007, USK 2007-36 S 238; BSG vom 28.2.2008, BSGE 100, 103 = SozR 4-2500 § 31 Nr 9, RdNr 32; BSG vom 16.12.2008, USK 2008-73 S 575) . Das BVerfG hat in einer speziellen Situation - Apheresebehandlung in einem besonderen Fall - ausreichen lassen, dass die Erkrankung voraussichtlich erst in einigen Jahren zum Tod führt (BVerfG vom 6.2.2007 - 1 BvR 3101/06 - RdNr 22, in Juris dokumentiert) .

30

Diese Grundsätze haben das BVerfG und das BSG auf den Bereich der Versorgung mit Arzneimitteln übertragen. Sofern eine im vorgenannten Sinne lebensbedrohliche Erkrankung vorliegt (oder - wie das BSG es formuliert - eine wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung, vgl dazu BSG vom 4.4.2006, BSGE 96, 153 = SozR 4-2500 § 27 Nr 7, RdNr 31 am Ende; BSG vom 14.12.2006, USK 2006-111 S 767/768; BSG vom 27.3.2007, USK 2007-36 S 237 unter 2.; BSG vom 28.2.2008, BSGE 100, 103 = SozR 4-2500 § 31 Nr 9 RdNr 32 am Ende) und eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, erstreckt sich der Versorgungsanspruch des Versicherten über die Beschränkungen der arzneimittelrechtlichen Zulassung hinaus - dh sowohl bei Fehlen jeglicher Arzneimittelzulassung als auch bei Einsatz außerhalb des in der Zulassung ausgewiesenen Anwendungsbereichs - auf die Versorgung mit solchen Arzneimitteln, die eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bieten (s hierzu BVerfG vom 30.6.2008 aaO; ebenso zB BSG vom 4.4.2006, BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4, RdNr 19; BSG vom 28.2.2008, SozR 4-2500 § 13 Nr 16 RdNr 30 mwN) . Dies bedeutet, verglichen mit den "Regel"voraussetzungen für einen Off-Label-Use bzw für eine gemäß § 135 Abs 1 SGB V anerkennungsbedürftige, aber nicht anerkannte Behandlungsmethode, dass - über eine schwerwiegende Erkrankung hinausgehend - eine lebensbedrohliche oder in der Regel tödlich verlaufende Krankheit vorliegen muss: Nur unter dieser Voraussetzung ist das Erfordernis ausreichender Belege für die Eignung und Unbedenklichkeit des Einsatzes des Arzneimittels bzw der Behandlungsmethode dahin abzuschwächen, dass eine nicht ganz fern liegende Aussicht positiver Einwirkung auf den Krankheitsverlauf ausreicht.

31

Hat der erkrankte Versicherte nach diesen rechtlichen Maßstäben Anspruch auf die Versorgung mit einem bestimmten Arzneimittel, so darf nicht wegen der Verordnung dieses Medikaments ein Regress gegen den verordnenden Arzt festgesetzt werden.

32

b) Dabei ist stets der Ausgangspunkt des BVerfG zu beachten, nämlich dass nur insoweit, als eine lebensbedrohliche Erkrankung und deren Heilung in Frage steht, die erweiternde Auslegung der leistungsrechtlichen Vorschriften des SGB V geboten ist. Dementsprechend gilt der Maßstab, dass eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf ausreicht, nur insoweit, als eine Aussicht auf Heilung der Grunderkrankung selbst oder auf positive Einwirkung auf den Verlauf der Grunderkrankung als solcher besteht. Nur in einer solchen Situation ist die dargelegte verfassungskonforme Erweiterung des Leistungsanspruchs des Versicherten gemäß §§ 27 ff SGB V veranlasst und gerechtfertigt. Diese (str)enge Sicht ist nicht etwa, wie gelegentlich geltend gemacht wird, durch die Entscheidung des BVerfG vom 6.2.2007 in Frage gestellt worden (BVerfG - 1 BvR 3101/06 -, in Juris dokumentiert) . Hierin hat das BVerfG lediglich klargestellt, dass bei der Frage, ob eine Behandlung auf eine lebensbedrohliche Erkrankung einwirkt, das sog Gesamtrisikoprofil mitzuberücksichtigen ist in dem Sinne, dass die Einwirkung auf einen Faktor im Gesamtrisikoprofil ausreicht. Damit ist aber nicht in Zweifel gezogen, dass es sich auch in solchen Fällen um die Einwirkung auf die lebensbedrohliche Erkrankung selbst handeln muss.

33

Diesen rechtlichen Ausgangspunkt hat auch das LSG zugrunde gelegt. Dementsprechend hat es das Erfordernis einer auf Indizien gestützten, nicht ganz fern liegenden Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf als nicht erfüllt angesehen, denn die vom Kläger praktizierte Anwendung von Megestat und Dronabinol bei Patienten mit einem fortgeschrittenen Bronchialkarzinom oder einem Karzinom der Thoraxorgane war nicht darauf gerichtet, die lebensbedrohliche Erkrankung als solche zu heilen oder positiv auf ihren Verlauf einzuwirken, sondern der Einsatz von Megestat und Dronabinol zielte "nur" auf die Verbesserung der Lebensqualität in dem Sinne, dass der Erkrankte wieder mit Appetit natürliche Nahrung zu sich nimmt und dadurch der tumorinduzierten Kachexie (Appetitlosigkeit mit der Folge körperlicher Auszehrung) entgegengewirkt wird. Der Kläger wollte mit der Anwendung von Megestat und Dronabinol also nicht auf die lebensbedrohliche Erkrankung als solche einwirken, sondern nur deren weitere Auswirkungen abmildern. Dementsprechend hat das LSG zu Recht für den vorliegenden Fall die Entscheidung des BVerfG vom 6.12.2005 als nicht einschlägig erachtet.

34

Entgegen der Ansicht des Klägers kommt es hier nicht darauf an, ob durch den Einsatz von Megestat und Dronabinol der Appetit von Patienten, die er wegen eines Bronchialkarzinoms oder eines Karzinoms der Thoraxorgane behandelte, wiederhergestellt und ob dadurch eine günstigere Prognose hinsichtlich der diesen noch verbleibenden Lebenszeit erreicht werden konnte. Nach dem Beschluss des BVerfG vom 6.12.2005 (BVerfGE 115, 25, 49 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 RdNr 33) soll dem Patienten - bildlich gesprochen - der Strohhalm der Hoffnung auf Heilung, an den er sich klammert, nicht wegen Fehlens wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit verweigert werden. Hoffnungen in diesem Sinne kann ein Patient aber nur mit Behandlungsmethoden verbinden, die darauf gerichtet sind, auf seine mutmaßlich tödlich verlaufende Grunderkrankung als solche einzuwirken. Für Behandlungsverfahren, die dies nach ihrem eigenen methodischen Ansatz nicht leisten, gelten die reduzierten Wirksamkeitsanforderungen der Rechtsprechung des BVerfG von vornherein nicht. Soweit mit dem in § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V genannten Behandlungsziel "Krankheitsbeschwerden zu lindern" jede Verbesserung der Lebensqualität eines schwerkranken Patienten verbunden wird, ist dieses Ziel nicht von der Ausweitung der Leistungsansprüche der Versicherten gemäß dem Beschluss des BVerfG vom 6.12.2005 erfasst. Allein die Hoffnung einer - unter Umständen ganz geringen - Chance auf Heilung der Krankheit oder auf nachhaltige, nicht nur wenige Tage oder Wochen umfassende, Lebensverlängerung rechtfertigt es, die Voraussetzungen an den Nachweis der Wirksamkeit von Behandlungsmethoden so weit zu reduzieren, wie das in dem Beschluss des BVerfG erfolgt ist.

35

Dem wird die Ansicht des Klägers nicht gerecht, jede Verbesserung des Appetits des Patienten könne dessen subjektive Lebensqualität verbessern und so mittelbar - ungeachtet des dadurch nicht beeinflussten Wachstums des Tumors - eine (geringfügige) Lebensverlängerung bewirken. Nicht jede Verbesserung der Lebensqualität - zumal wenn diese in der Gesamtschau mit den möglichen vielfältigen und schwerwiegenden Nebenwirkungen zweifelhaft erscheint -, sondern nur die Erfüllung der Hoffnung des Patienten auf eine rettende Behandlung in einer aussichtslosen gesundheitlichen Situation indiziert die vom BVerfG beschriebene notstandsähnliche Lage, in der (nahezu) jeder Behandlungsansatz auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung möglich sein soll.

36

Sind demnach die vom BVerfG herausgestellten Voraussetzungen für erweiterte Behandlungsmöglichkeiten ohne die Beschränkungen durch das AMG und durch § 135 Abs 1 SGB V für den Einsatz von Megestat und Dronabinol nicht erfüllt, so kommt es auf die weiteren Voraussetzungen für die Anwendung der Rechtsprechung des BVerfG nicht an. Das BVerfG und das BSG haben in ihren Entscheidungen insbesondere klargestellt, dass in Fällen, in denen die genannte Rechtsprechung des BVerfG einschlägig ist, immer auch die Voraussetzung erfüllt sein muss, dass keine Alternative einer allgemein anerkannten - dh nach dem AMG und SGB V zulässigen -, dem medizinischem Standard entsprechenden Behandlung besteht. Hierauf einzugehen, erübrigt sich, weil es schon an den "Grund"voraussetzungen für eine Anwendung der BVerfG-Rechtsprechung fehlt.

37

C. Bei allem ist schließlich darauf hinzuweisen, dass der Kläger das Risiko eines Regresses, wie er ihm gegenüber festgesetzt worden ist, hätte vermeiden können: Er hätte - worauf der Senat in ständiger Rechtsprechung hinweist -, für den Versicherten ein Privatrezept ausstellen und es diesem überlassen können, sich bei seiner KK um Erstattung der Kosten zu bemühen. Ermöglicht der Vertragsarzt indessen nicht auf diese Weise eine Vorab-Prüfung durch die KK, sondern stellt er ohne vorherige Rückfrage bei dieser eine vertragsärztliche Verordnung aus und löst der Patient diese in der Apotheke ein, so sind damit die Arzneikosten angefallen und die KK kann nur noch im Regressweg geltend machen, ihre Leistungspflicht habe nicht bestanden. Verhindert der Vertragsarzt durch diesen Weg der vertragsärztlichen Verordnung bei einem medizinisch umstrittenen Arzneieinsatz ohne dementsprechende Zulassung eine Vorab-Prüfung durch die KK und übernimmt er damit das Risiko, dass später die Leistungspflicht der KK verneint wird, so kann ein entsprechender Regress nicht beanstandet werden (stRspr, zB BSG vom 31.5.2006, MedR 2007, 557, 560, und - ausführlich - BSG vom 5.5.2010, SozR 4-2500 § 106 Nr 27 RdNr 43 f, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen) .

38

D. Die vom Kläger erhobenen Verfahrensrügen greifen nicht durch.

39

Die Einholung eines Sachverständigengutachtens steht im Ermessen des Gerichts. Eine Pflicht zur Einholung besteht nur dann, wenn sich dem Gericht dessen Einholung aufdrängen muss (stRspr, vgl zB BSG vom 5.5.2010 - B 6 KA 20/09 R -, Juris RdNr 49, und - B 6 KA 24/09 R -, Juris RdNr 20 - jeweils mwN; vgl auch BSG vom 3.2.2010, SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 37) . Das war hier nicht der Fall. Nach der für die Beurteilung der Notwendigkeit (weiterer) Beweiserhebung maßgeblichen Rechtsauffassung des LSG hat dieses kein Gutachten einholen müssen. Das LSG hat als maßgeblich erachtet, dass es im maßgeblichen Zeitraum der Jahre 2001 bis 2003 keinen fachwissenschaftlichen Konsens zum Einsatz von Megestat und Dronabinol auch bei Bronchialkarzinomen und Karzinomen der Thoraxorgane gegeben hat. Die Anregungen des Klägers zur Einholung eines Gutachtens sind darauf gerichtet gewesen, Belege dafür zu gewinnen, dass dieser Einsatz auch Befürworter hatte. Dem hat das LSG nicht ohne Weiteres nachgehen müssen, weil das zur Feststellung eines allgemeinen Konsenses, den das LSG aus Rechtsgründen für erforderlich gehalten hat, nichts Entscheidendes hätte beitragen können.

40

Die Rüge des Klägers, das LSG habe die von ihm im Berufungsverfahren eingereichten Studien nicht ausgewertet, scheitert daran, dass grundsätzlich die Vermutung besteht, dass das Gericht alles Eingereichte zur Kenntnis genommen und in seine Erwägungen einbezogen hat (stRspr des BVerfG und des BSG, vgl zB BSG vom 2.9.2009, SozR 4-2500 § 103 Nr 6 RdNr 20 mit zahlreichen BVerfG- und BSG-Angaben) . Gegenteiliges bedürfte besonderer Anhaltspunkte, die der Kläger nicht aufgezeigt hat und auch nicht ersichtlich sind.

41

Ebenso wenig dringt der Kläger mit seiner Rüge durch, das LSG habe das Vorliegen eines Konsenses in Fachkreisen nicht erkannt. Hierin liegt lediglich die Rüge, das LSG sei von einem falschen Ausgangspunkt ausgegangen. Dem lediglich die abweichende Sicht eines anderen Ausgangspunktes entgegenzusetzen, reicht für eine Verfahrensrüge nicht aus (vgl oben RdNr 22 am Ende) .

42

Schließlich greift auch seine Rüge der Verkennung der Grenzen der freien Beweiswürdigung nicht durch. Er bringt dazu vor, die Feststellungen des LSG, dass die Anwendung von Megestat und Dronabinol ausschließlich auf die Verbesserung der Lebensqualität und nicht auf die Verlängerung der Lebensdauer gerichtet sei, seien weder als Erfahrungssatz noch medizinisch begründbar. Dies ist schon nicht entscheidungserheblich, wie aus obigen Ausführungen zu C. folgt, wonach eine nur geringfügige Lebensverlängerung bei einem Behandlungsansatz, der von vornherein nicht auf eine Beeinflussung des Grundleidens zielt, nicht der vom BVerfG herausgearbeiteten Ausnahme von den Verordnungsvoraussetzungen gemäß dem AMG bzw gemäß § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V entspricht(vgl RdNr 36) . Vor allem ist nicht ersichtlich, dass das LSG insoweit einen Erfahrungssatz hätte aufstellen wollen. Vielmehr setzt auch hier der Kläger nur seine eigene Auffassung derjenigen des LSG entgegen.

43

E. Dem Regress stehen schließlich auch keine Grundrechtspositionen des Klägers entgegen. Insbesondere ist das Grundrecht der Berufsfreiheit gemäß Art 12 Abs 1 GG nicht verletzt. Dieses Grundrecht unterliegt - ebenso wie Art 14 Abs 1 GG - einem Gesetzesvorbehalt, darf also durch Gesetz eingeschränkt werden. Das ist durch die vorliegend einschlägigen Bestimmungen des AMG und der §§ 106, 135 Abs 1 SGB V geschehen. Die Anwendung dieser Regelungen belastet den Kläger nicht unverhältnismäßig (vgl BSG vom 3.2.2010, SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 46 iVm 48) .

44

Dabei kommt es nicht darauf an, ob die zu 1. beigeladene KK bei Nichtverordnung von Megestat und Dronabinol Kosten für andere Behandlungsarten hätte tragen müssen - sog Vorteilsausgleichung - (vgl zB BSG SozR 4-2500 § 39 Nr 3 RdNr 14 mwN; BSGE 101, 252 = SozR 4-2500 § 115b Nr 2 RdNr 21; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 47) .

45

F. Nach alledem ist nicht nur der Hauptantrag des Klägers auf Bescheidaufhebung zurückzuweisen, sondern ebenso der Hilfsantrag: Für die hilfsweise begehrte Zurückverweisung der Sache an das LSG ist kein Raum, denn der gegenüber dem Kläger ausgesprochene Regress hat sich im Revisionsverfahren gemäß vorstehenden Ausführungen abschließend als rechtmäßig erwiesen.

46

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 3 SGG iVm einer entsprechenden Anwendung von § 154 Abs 2 iVm § 162 Abs 3 VwGO. Der Kläger trägt als unterlegener Rechtsmittelführer die Kosten des Revisionsverfahrens (§ 154 Abs 2 VwGO) . Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten von Beigeladenen ist nicht veranlasst, weil diese im Verfahren keine Anträge gestellt haben (vgl BSGE 96, 257 = SozR 4-1300 § 63 Nr 3, RdNr 16) .

(1) Die Krankenkassen und die Kassenärztlichen Vereinigungen überwachen die Wirtschaftlichkeit der vertragsärztlichen Versorgung durch Beratungen und Prüfungen. Die Landesverbände der Krankenkassen und die Ersatzkassen gemeinsam und einheitlich und die Kassenärztlichen Vereinigungen vereinbaren Inhalt und Durchführung der Beratungen und Prüfungen nach Absatz 2 sowie die Voraussetzungen für Einzelfallprüfungen. Die Vertragspartner können die Prüfungsstelle mit der Prüfung ärztlich verordneter Leistungen in der ambulanten Versorgung außerhalb der vertragsärztlichen Versorgung beauftragen und tragen die Kosten. Die Krankenkassen übermitteln der Prüfungsstelle die Daten der in der ambulanten Versorgung außerhalb der vertragsärztlichen Versorgung verordneten Leistungen; dabei sind zusätzlich die Zahl der Behandlungsfälle und eine Zuordnung der verordneten Leistungen zum Datum der Behandlung zu übermitteln. Die §§ 296 und 297 gelten entsprechend.

(2) Die Wirtschaftlichkeit der Versorgung wird von der Prüfungsstelle nach § 106c geprüft durch

1.
arztbezogene Prüfungen ärztlicher Leistungen nach § 106a,
2.
arztbezogene Prüfungen ärztlich verordneter Leistungen nach § 106b.
Die Prüfungen werden auf der Grundlage der Daten durchgeführt, die der Prüfungsstelle nach § 106c gemäß § 296 Absatz 1, 2 und 4 sowie § 297 Absatz 2 übermittelt werden. Hat die Prüfungsstelle Zweifel an der Richtigkeit der übermittelten Daten, ermittelt sie die Datengrundlagen für die Prüfung aus einer Stichprobe der abgerechneten Behandlungsfälle des Arztes und rechnet die so ermittelten Teildaten nach einem statistisch zulässigen Verfahren auf die Grundgesamtheit der Arztpraxis hoch.

(3) Die Prüfungsstelle nach § 106c bereitet die für die Prüfungen nach Absatz 2 erforderlichen Daten und sonstigen Unterlagen auf, trifft Feststellungen zu den für die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit wesentlichen Sachverhalten und entscheidet unter Beachtung der Vereinbarungen nach den §§ 106a und 106b, ob der Vertragsarzt, der ermächtigte Arzt oder die ermächtigte Einrichtung gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen hat und welche Maßnahmen zu treffen sind. Eine Maßnahme kann insbesondere auch die Festsetzung einer Nachforderung oder einer Kürzung sein. Die Festsetzung einer Nachforderung oder einer Kürzung auf Grund einer Wirtschaftlichkeitsprüfung, die von Amts wegen durchzuführen ist, muss für ärztliche Leistungen innerhalb von zwei Jahren ab Erlass des Honorarbescheides und für ärztlich verordnete Leistungen innerhalb von zwei Jahren ab dem Schluss des Kalenderjahres, in dem die Leistungen verordnet worden sind, erfolgen; § 45 Absatz 2 des Ersten Buches gilt entsprechend. Für Wirtschaftlichkeitsprüfungen, die auf Grund eines Antrags erfolgen, ist der Antrag für die Prüfung ärztlicher Leistungen spätestens 18 Monate nach Erlass des Honorarbescheides und für die Prüfung ärztlich verordneter Leistungen spätestens 18 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Leistungen verordnet worden sind, bei der Prüfungsstelle nach § 106c einzureichen. Die Festsetzung einer Nachforderung oder einer Kürzung muss innerhalb weiterer zwölf Monate nach Ablauf der in Satz 4 genannten Frist erfolgen; die Regelung des § 45 Absatz 2 des Ersten Buches findet keine entsprechende Anwendung. Gezielte Beratungen sollen weiteren Maßnahmen in der Regel vorangehen. Die Prüfungsstelle berät die Vertragsärzte auf der Grundlage von Übersichten über die von ihnen im Zeitraum eines Jahres oder in einem kürzeren Zeitraum erbrachten, verordneten oder veranlassten Leistungen über Fragen der Wirtschaftlichkeit und Qualität der Versorgung.

(4) Werden Wirtschaftlichkeitsprüfungen nicht in dem vorgesehenen Umfang oder nicht entsprechend den für ihre Durchführung geltenden Vorgaben durchgeführt, haften die zuständigen Vorstandsmitglieder der Krankenkassenverbände und Kassenärztlichen Vereinigungen für eine ordnungsgemäße Umsetzung. Können Wirtschaftlichkeitsprüfungen nicht in dem vorgesehenen Umfang oder nicht entsprechend den für ihre Durchführung geltenden Vorgaben durchgeführt werden, weil die erforderlichen Daten nach den §§ 296 und 297 nicht oder nicht im vorgesehenen Umfang oder nicht fristgerecht übermittelt worden sind, haften die zuständigen Vorstandsmitglieder der Krankenkassen oder der Kassenärztlichen Vereinigungen. Die zuständige Aufsichtsbehörde hat nach Anhörung der Vorstandsmitglieder und der jeweils entsandten Vertreter im Ausschuss den Verwaltungsrat oder die Vertreterversammlung zu veranlassen, das Vorstandsmitglied auf Ersatz des aus der Pflichtverletzung entstandenen Schadens in Anspruch zu nehmen, falls der Verwaltungsrat oder die Vertreterversammlung das Regressverfahren nicht bereits von sich aus eingeleitet hat.

(5) Die Absätze 1 bis 4 gelten auch für die Prüfung der Wirtschaftlichkeit der im Krankenhaus erbrachten ambulanten ärztlichen und belegärztlichen Leistungen.

(1) Versicherte haben Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit die Arzneimittel nicht nach § 34 oder durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 ausgeschlossen sind, und auf Versorgung mit Verbandmitteln, Harn- und Blutteststreifen. Der Gemeinsame Bundesausschuss hat in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 festzulegen, in welchen medizinisch notwendigen Fällen Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen, die als Medizinprodukte nach § 3 Nr. 1 oder Nr. 2 des Medizinproduktegesetzes in der bis einschließlich 25. Mai 2021 geltenden Fassung zur Anwendung am oder im menschlichen Körper bestimmt sind, ausnahmsweise in die Arzneimittelversorgung einbezogen werden; § 34 Abs. 1 Satz 5, 7 und 8 und Abs. 6 sowie § 35 und die §§ 126 und 127 in der bis zum 10. Mai 2019 geltenden Fassung gelten entsprechend. Für verschreibungspflichtige und nicht verschreibungspflichtige Medizinprodukte nach Satz 2 gilt § 34 Abs. 1 Satz 6 entsprechend. Der Vertragsarzt kann Arzneimittel, die auf Grund der Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 von der Versorgung ausgeschlossen sind, ausnahmsweise in medizinisch begründeten Einzelfällen mit Begründung verordnen. Für die Versorgung nach Satz 1 können die Versicherten unter den Apotheken, für die der Rahmenvertrag nach § 129 Abs. 2 Geltung hat, frei wählen. Vertragsärzte und Krankenkassen dürfen, soweit gesetzlich nicht etwas anderes bestimmt oder aus medizinischen Gründen im Einzelfall eine Empfehlung geboten ist, weder die Versicherten dahingehend beeinflussen, Verordnungen bei einer bestimmten Apotheke oder einem sonstigen Leistungserbringer einzulösen, noch unmittelbar oder mittelbar Verordnungen bestimmten Apotheken oder sonstigen Leistungserbringern zuweisen. Die Sätze 5 und 6 gelten auch bei der Einlösung von elektronischen Verordnungen.

(1a) Verbandmittel sind Gegenstände einschließlich Fixiermaterial, deren Hauptwirkung darin besteht, oberflächengeschädigte Körperteile zu bedecken, Körperflüssigkeiten von oberflächengeschädigten Körperteilen aufzusaugen oder beides zu erfüllen. Die Eigenschaft als Verbandmittel entfällt nicht, wenn ein Gegenstand ergänzend weitere Wirkungen entfaltet, die ohne pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkungsweise im menschlichen Körper der Wundheilung dienen, beispielsweise, indem er eine Wunde feucht hält, reinigt, geruchsbindend, antimikrobiell oder metallbeschichtet ist. Erfasst sind auch Gegenstände, die zur individuellen Erstellung von einmaligen Verbänden an Körperteilen, die nicht oberflächengeschädigt sind, gegebenenfalls mehrfach verwendet werden, um Körperteile zu stabilisieren, zu immobilisieren oder zu komprimieren. Das Nähere zur Abgrenzung von Verbandmitteln zu sonstigen Produkten zur Wundbehandlung regelt der Gemeinsame Bundesausschuss bis zum 31. August 2020 in den Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6; Absatz 1 Satz 2 gilt für diese sonstigen Produkte entsprechend. Bis 48 Monate nach dem Wirksamwerden der Regelungen nach Satz 4 sind solche Gegenstände weiterhin zu Lasten der Krankenkassen zu erbringen, die vor dem Wirksamwerden der Regelungen nach Satz 4 erbracht wurden. Der Gemeinsame Bundesausschuss berät Hersteller von sonstigen Produkten zur Wundbehandlung im Rahmen eines Antragsverfahrens insbesondere zu konkreten Inhalten der vorzulegenden Unterlagen und Studien. § 34 Absatz 6 gilt entsprechend. Für die Beratung sind Gebühren zu erheben. Das Nähere zur Beratung und zu den Gebühren regelt der Gemeinsame Bundesausschuss in seiner Verfahrensordnung.

(1b) Für Versicherte, die eine kontinuierliche Versorgung mit einem bestimmten Arzneimittel benötigen, können Vertragsärzte Verordnungen ausstellen, nach denen eine nach der Erstabgabe bis zu dreimal sich wiederholende Abgabe erlaubt ist. Die Verordnungen sind besonders zu kennzeichnen. Sie dürfen bis zu einem Jahr nach Ausstellungsdatum zu Lasten der gesetzlichen Krankenkasse durch Apotheken beliefert werden.

(2) Für ein Arznei- oder Verbandmittel, für das ein Festbetrag nach § 35 festgesetzt ist, trägt die Krankenkasse die Kosten bis zur Höhe dieses Betrages, für andere Arznei- oder Verbandmittel die vollen Kosten, jeweils abzüglich der vom Versicherten zu leistenden Zuzahlung und der Abschläge nach den §§ 130, 130a und dem Gesetz zur Einführung von Abschlägen der pharmazeutischen Großhändler. Hat die Krankenkasse mit einem pharmazeutischen Unternehmen, das ein Festbetragsarzneimittel anbietet, eine Vereinbarung nach § 130a Abs. 8 abgeschlossen, trägt die Krankenkasse abweichend von Satz 1 den Apothekenverkaufspreis dieses Mittels abzüglich der Zuzahlungen und Abschläge nach den §§ 130 und 130a Absatz 1, 1b, 3a und 3b. Diese Vereinbarung ist nur zulässig, wenn hierdurch die Mehrkosten der Überschreitung des Festbetrages ausgeglichen werden. Die Krankenkasse übermittelt die erforderlichen Angaben einschließlich des Arzneimittel- und des Institutionskennzeichens der Krankenkasse an die Vertragspartner nach § 129 Abs. 2; das Nähere ist in den Verträgen nach § 129 Abs. 2 und 5 zu vereinbaren. Versicherte und Apotheken sind nicht verpflichtet, Mehrkosten an die Krankenkasse zurückzuzahlen, wenn die von der Krankenkasse abgeschlossene Vereinbarung den gesetzlichen Anforderungen nicht entspricht.

(2a) (weggefallen)

(3) Versicherte, die das achtzehnte Lebensjahr vollendet haben, leisten an die abgebende Stelle zu jedem zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordneten Arznei- und Verbandmittel als Zuzahlung den sich nach § 61 Satz 1 ergebenden Betrag, jedoch jeweils nicht mehr als die Kosten des Mittels. Satz 1 findet keine Anwendung bei Harn- und Blutteststreifen. Satz 1 gilt auch für Medizinprodukte, die nach Absatz 1 Satz 2 und 3 in die Versorgung mit Arzneimitteln einbezogen worden sind. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen kann Arzneimittel, deren Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmers ohne Mehrwertsteuer mindestens um 20 vom Hundert niedriger als der jeweils gültige Festbetrag ist, der diesem Preis zugrunde liegt, von der Zuzahlung freistellen, wenn hieraus Einsparungen zu erwarten sind. Für andere Arzneimittel, für die eine Vereinbarung nach § 130a Abs. 8 besteht, kann die Krankenkasse die Zuzahlung um die Hälfte ermäßigen oder aufheben, wenn hieraus Einsparungen zu erwarten sind. Absatz 2 Satz 4 gilt entsprechend. Muss für ein Arzneimittel auf Grund eines Arzneimittelrückrufs oder einer von der zuständigen Behörde bekannt gemachten Einschränkung der Verwendbarkeit erneut ein Arzneimittel verordnet werden, so ist die erneute Verordnung zuzahlungsfrei. Eine bereits geleistete Zuzahlung für die erneute Verordnung ist dem Versicherten auf Antrag von der Krankenkasse zu erstatten.

(4) Das Nähere zu therapiegerechten und wirtschaftlichen Packungsgrößen bestimmt das Bundesministerium für Gesundheit durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates. Ein Fertigarzneimittel, dessen Packungsgröße die größte der auf Grund der Verordnung nach Satz 1 bestimmte Packungsgröße übersteigt, ist nicht Gegenstand der Versorgung nach Absatz 1 und darf nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung abgegeben werden.

(5) Versicherte haben Anspruch auf bilanzierte Diäten zur enteralen Ernährung nach Maßgabe der Arzneimittel-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 in der jeweils geltenden und gemäß § 94 Absatz 2 im Bundesanzeiger bekannt gemachten Fassung. Der Gemeinsame Bundesausschuss hat die Entwicklung der Leistungen, auf die Versicherte nach Satz 1 Anspruch haben, zu evaluieren und über das Ergebnis der Evaluation dem Bundesministerium für Gesundheit alle drei Jahre, erstmals zwei Jahre nach dem Inkrafttreten der Regelungen in der Verfahrensordnung nach Satz 5, zu berichten. Stellt der Gemeinsame Bundesausschuss in dem Bericht nach Satz 2 fest, dass zur Gewährleistung einer ausreichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen Versorgung der Versicherten mit bilanzierten Diäten zur enteralen Ernährung Anpassungen der Leistungen, auf die Versicherte nach Satz 1 Anspruch haben, erforderlich sind, regelt er diese Anpassungen spätestens zwei Jahre nach Übersendung des Berichts in den Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6. Der Gemeinsame Bundesausschuss berücksichtigt bei der Evaluation nach Satz 2 und bei der Regelung nach Satz 3 Angaben von Herstellern von Produkten zu bilanzierten Diäten zur enteralen Ernährung zur medizinischen Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit ihrer Produkte sowie Angaben zur Versorgung mit Produkten zu bilanzierten Diäten zur enteralen Ernährung der wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften, des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen, der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der Deutschen Krankenhausgesellschaft. Das Nähere zum Verfahren der Evaluation nach Satz 2 und der Regelung nach Satz 3 regelt der Gemeinsame Bundesausschuss in seiner Verfahrensordnung. Für die Zuzahlung gilt Absatz 3 Satz 1 entsprechend. Für die Abgabe von bilanzierten Diäten zur enteralen Ernährung gelten die §§ 126 und 127 in der bis zum 10. Mai 2019 geltenden Fassung entsprechend. Bei Vereinbarungen nach § 84 Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 sind Leistungen nach Satz 1 zu berücksichtigen.

(6) Versicherte mit einer schwerwiegenden Erkrankung haben Anspruch auf Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten in standardisierter Qualität und auf Versorgung mit Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon, wenn

1.
eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung
a)
nicht zur Verfügung steht oder
b)
im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung der behandelnden Vertragsärztin oder des behandelnden Vertragsarztes unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes der oder des Versicherten nicht zur Anwendung kommen kann,
2.
eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht.
Die Leistung bedarf bei der ersten Verordnung für eine Versicherte oder einen Versicherten der nur in begründeten Ausnahmefällen abzulehnenden Genehmigung der Krankenkasse, die vor Beginn der Leistung zu erteilen ist. Verordnet die Vertragsärztin oder der Vertragsarzt die Leistung nach Satz 1 im Rahmen der Versorgung nach § 37b oder im unmittelbaren Anschluss an eine Behandlung mit einer Leistung nach Satz 1 im Rahmen eines stationären Krankenhausaufenthalts, ist über den Antrag auf Genehmigung nach Satz 2 abweichend von § 13 Absatz 3a Satz 1 innerhalb von drei Tagen nach Antragseingang zu entscheiden. Leistungen, die auf der Grundlage einer Verordnung einer Vertragsärztin oder eines Vertragsarztes zu erbringen sind, bei denen allein die Dosierung eines Arzneimittels nach Satz 1 angepasst wird oder die einen Wechsel zu anderen getrockneten Blüten oder zu anderen Extrakten in standardisierter Qualität anordnen, bedürfen keiner erneuten Genehmigung nach Satz 2. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte wird mit einer bis zum 31. März 2022 laufenden nichtinterventionellen Begleiterhebung zum Einsatz der Leistungen nach Satz 1 beauftragt.Die Vertragsärztin oder der Vertragsarzt, die oder der die Leistung nach Satz 1 verordnet, übermittelt die für die Begleiterhebung erforderlichen Daten dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte in anonymisierter Form; über diese Übermittlung ist die oder der Versicherte vor Verordnung der Leistung von der Vertragsärztin oder dem Vertragsarzt zu informieren.Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte darf die nach Satz 6 übermittelten Daten nur in anonymisierter Form und nur zum Zweck der wissenschaftlichen Begleiterhebung verarbeiten. Das Bundesministerium für Gesundheit wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, den Umfang der zu übermittelnden Daten, das Verfahren zur Durchführung der Begleiterhebung einschließlich der anonymisierten Datenübermittlung sowie das Format des Studienberichts nach Satz 9 zu regeln. Auf der Grundlage der Ergebnisse der Begleiterhebung nach Satz 5 regelt der Gemeinsame Bundesausschuss innerhalb von sechs Monaten nach der Übermittlung der Ergebnisse der Begleiterhebung in Form eines Studienberichts das Nähere zur Leistungsgewährung in den Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6. Der Studienbericht wird vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte auf seiner Internetseite veröffentlicht. Abweichend von § 13 Absatz 3a Satz 1 ist über den Antrag auf Genehmigung innerhalb von zwei Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Sofern eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des Medizinischen Dienstes, eingeholt wird, ist abweichend von § 13 Absatz 3a Satz 1 über den Antrag auf Genehmigung innerhalb von vier Wochen nach Antragseingang zu entscheiden; der Medizinische Dienst nimmt, sofern eine gutachtliche Stellungnahme eingeholt wird, innerhalb von zwei Wochen Stellung.

(7) Der Gemeinsame Bundesausschuss regelt bis zum 1. Oktober 2023 in den Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Nummer 6 das Nähere zu einzelnen Facharztgruppen und den erforderlichen ärztlichen Qualifikationen, bei denen der Genehmigungsvorbehalt nach Absatz 6 Satz 2 entfällt.

(1) Die Krankenkassen stellen den Versicherten die im Dritten Kapitel genannten Leistungen unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12) zur Verfügung, soweit diese Leistungen nicht der Eigenverantwortung der Versicherten zugerechnet werden. Behandlungsmethoden, Arznei- und Heilmittel der besonderen Therapierichtungen sind nicht ausgeschlossen. Qualität und Wirksamkeit der Leistungen haben dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen.

(1a) Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, können auch eine von Absatz 1 Satz 3 abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Die Krankenkasse erteilt für Leistungen nach Satz 1 vor Beginn der Behandlung eine Kostenübernahmeerklärung, wenn Versicherte oder behandelnde Leistungserbringer dies beantragen. Mit der Kostenübernahmeerklärung wird die Abrechnungsmöglichkeit der Leistung nach Satz 1 festgestellt.

(2) Die Versicherten erhalten die Leistungen als Sach- und Dienstleistungen, soweit dieses oder das Neunte Buch nichts Abweichendes vorsehen. Die Leistungen werden auf Antrag durch ein Persönliches Budget erbracht; § 29 des Neunten Buches gilt entsprechend. Über die Erbringung der Sach- und Dienstleistungen schließen die Krankenkassen nach den Vorschriften des Vierten Kapitels Verträge mit den Leistungserbringern.

(3) Bei der Auswahl der Leistungserbringer ist ihre Vielfalt zu beachten. Den religiösen Bedürfnissen der Versicherten ist Rechnung zu tragen.

(4) Krankenkassen, Leistungserbringer und Versicherte haben darauf zu achten, daß die Leistungen wirksam und wirtschaftlich erbracht und nur im notwendigen Umfang in Anspruch genommen werden.

(1) Fertigarzneimittel dürfen im Geltungsbereich dieses Gesetzes nur in den Verkehr gebracht werden, wenn sie durch die zuständige Bundesoberbehörde zugelassen sind oder wenn für sie die Europäische Gemeinschaft oder die Europäische Union eine Genehmigung für das Inverkehrbringen nach Artikel 3 Absatz 1 oder 2 der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 erteilt hat. Satz 1 gilt auch in Verbindung mit der Verordnung (EG) Nr. 1901/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Kinderarzneimittel und zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1768/92, der Richtlinie 2001/83/EG und der Verordnung (EU) Nr. 536/2014, der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 (ABl. L 378 vom 27.12.2006, S. 1; L 201 vom 27.7.2012, S. 28), die zuletzt durch die Verordnung (EU) 2019/5 (ABl. L 4 vom 7.1.2019, S. 24) geändert worden ist, in Verbindung mit der Verordnung (EU) Nr. 536/2014 oder in Verbindung mit der Verordnung (EG) Nr. 1394/2007.

(2) Einer Zulassung bedarf es nicht für Arzneimittel, die

1.
auf Grund nachweislich häufiger ärztlicher oder zahnärztlicher Verschreibung in den wesentlichen Herstellungsschritten in einer Apotheke in einer Menge bis zu hundert abgabefertigen Packungen an einem Tag im Rahmen des üblichen Apothekenbetriebs hergestellt werden und zur Abgabe im Rahmen der bestehenden Apothekenbetriebserlaubnis bestimmt sind,
1a.
Arzneimittel sind, bei deren Herstellung Stoffe menschlicher Herkunft eingesetzt werden und die entweder zur autologen oder gerichteten, für eine bestimmte Person vorgesehene Anwendung bestimmt sind oder auf Grund einer Rezeptur für einzelne Personen hergestellt werden, es sei denn, es handelt sich um Arzneimittel im Sinne von § 4 Absatz 4,
1b.
andere als die in Nummer 1a genannten Arzneimittel sind und für Apotheken, denen für einen Patienten eine Verschreibung vorliegt, aus im Geltungsbereich dieses Gesetzes zugelassenen Arzneimitteln
a)
als Zytostatikazubereitung oder für die parenterale Ernährung sowie in anderen medizinisch begründeten besonderen Bedarfsfällen, sofern es für die ausreichende Versorgung des Patienten erforderlich ist und kein zugelassenes Arzneimittel zur Verfügung steht, hergestellt werden oder
b)
als Blister aus unveränderten Arzneimitteln hergestellt werden oder
c)
in unveränderter Form abgefüllt werden,
1c.
antivirale oder antibakterielle Wirksamkeit haben und zur Behandlung einer bedrohlichen übertragbaren Krankheit, deren Ausbreitung eine sofortige und das übliche Maß erheblich überschreitende Bereitstellung von spezifischen Arzneimitteln erforderlich macht, aus Wirkstoffen hergestellt werden, die von den Gesundheitsbehörden des Bundes oder der Länder oder von diesen benannten Stellen für diese Zwecke bevorratet wurden, soweit ihre Herstellung in einer Apotheke zur Abgabe im Rahmen der bestehenden Apothekenbetriebserlaubnis oder zur Abgabe an andere Apotheken erfolgt,
1d.
Gewebezubereitungen sind, die der Pflicht zur Genehmigung nach den Vorschriften des § 21a Abs. 1 unterliegen,
1e.
Heilwässer, Bademoore oder andere Peloide sind, die nicht im Voraus hergestellt und nicht in einer zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Packung in den Verkehr gebracht werden, oder die ausschließlich zur äußeren Anwendung oder zur Inhalation vor Ort bestimmt sind,
1f.
medizinische Gase sind und die für einzelne Personen aus im Geltungsbereich dieses Gesetzes zugelassenen Arzneimitteln durch Abfüllen und Kennzeichnen in Unternehmen, die nach § 50 zum Einzelhandel mit Arzneimitteln außerhalb von Apotheken befugt sind, hergestellt werden,
1g.
als Therapieallergene für einzelne Patienten auf Grund einer Rezeptur hergestellt werden,
2.
zur klinischen Prüfung bestimmt sind oder
3.
unter den in Artikel 83 der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 genannten Voraussetzungen kostenlos für eine Anwendung bei Patienten zur Verfügung gestellt werden, die an einer zu einer schweren Behinderung führenden Erkrankung leiden oder deren Krankheit lebensbedrohend ist, und die mit einem zugelassenen Arzneimittel nicht zufrieden stellend behandelt werden können; dies gilt auch für die nicht den Kategorien des Artikels 3 Absatz 1 oder 2 der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 zugehörigen Arzneimittel; Verfahrensregelungen werden in einer Rechtsverordnung nach § 80 bestimmt.

(2a) (weggefallen)

(3) Die Zulassung ist vom pharmazeutischen Unternehmer zu beantragen. Für ein Fertigarzneimittel, das in Apotheken oder sonstigen Einzelhandelsbetrieben auf Grund einheitlicher Vorschriften hergestellt und unter einer einheitlichen Bezeichnung an Verbraucher abgegeben wird, ist die Zulassung vom Herausgeber der Herstellungsvorschrift zu beantragen. Wird ein Fertigarzneimittel für mehrere Apotheken oder sonstige Einzelhandelsbetriebe hergestellt und soll es unter deren Namen und unter einer einheitlichen Bezeichnung an Verbraucher abgegeben werden, so hat der Hersteller die Zulassung zu beantragen.

(4) Die zuständige Bundesoberbehörde entscheidet ferner, unabhängig von einem Zulassungsantrag nach Absatz 3 oder von einem Genehmigungsantrag nach § 21a Absatz 1 oder § 42 Absatz 2, auf Antrag einer zuständigen Landesbehörde über die Zulassungspflicht eines Arzneimittels, die Genehmigungspflicht einer Gewebezubereitung oder über die Genehmigungspflicht einer klinischen Prüfung. Dem Antrag hat die zuständige Landesbehörde eine begründete Stellungnahme zur Einstufung des Arzneimittels oder der klinischen Prüfung beizufügen.

(1) Die Krankenkassen stellen den Versicherten die im Dritten Kapitel genannten Leistungen unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12) zur Verfügung, soweit diese Leistungen nicht der Eigenverantwortung der Versicherten zugerechnet werden. Behandlungsmethoden, Arznei- und Heilmittel der besonderen Therapierichtungen sind nicht ausgeschlossen. Qualität und Wirksamkeit der Leistungen haben dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen.

(1a) Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, können auch eine von Absatz 1 Satz 3 abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Die Krankenkasse erteilt für Leistungen nach Satz 1 vor Beginn der Behandlung eine Kostenübernahmeerklärung, wenn Versicherte oder behandelnde Leistungserbringer dies beantragen. Mit der Kostenübernahmeerklärung wird die Abrechnungsmöglichkeit der Leistung nach Satz 1 festgestellt.

(2) Die Versicherten erhalten die Leistungen als Sach- und Dienstleistungen, soweit dieses oder das Neunte Buch nichts Abweichendes vorsehen. Die Leistungen werden auf Antrag durch ein Persönliches Budget erbracht; § 29 des Neunten Buches gilt entsprechend. Über die Erbringung der Sach- und Dienstleistungen schließen die Krankenkassen nach den Vorschriften des Vierten Kapitels Verträge mit den Leistungserbringern.

(3) Bei der Auswahl der Leistungserbringer ist ihre Vielfalt zu beachten. Den religiösen Bedürfnissen der Versicherten ist Rechnung zu tragen.

(4) Krankenkassen, Leistungserbringer und Versicherte haben darauf zu achten, daß die Leistungen wirksam und wirtschaftlich erbracht und nur im notwendigen Umfang in Anspruch genommen werden.

Tatbestand

1

Umstritten ist ein Arzneikostenregress wegen der Verordnung des Arzneimittels Polyglobin in den Quartalen II/1999 bis IV/1999.

2

Der in diesen Quartalen als Hausarzt an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Kläger verordnete insgesamt 17-mal "Polyglobin 5 %" für die 1932 geborene Versicherte H. Diese litt an einem metastasierenden Karzinom der Eileiter, das auch die Leber befallen hatte, und ist 2001 verstorben. Die Kosten je Verordnung beliefen sich auf 3209,02 DM. Auf Antrag der Rechtsvorgängerin der zu 2. beigeladenen Krankenkasse vom 1.12.2000 setzte der Prüfungsausschuss auf der Grundlage des § 14 der für den Bezirk der zu 1. beigeladenen Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) geltenden Prüfvereinbarung eine Schadensersatzpflicht des Klägers wegen der Verordnung von "Polyglobin" in Höhe von 51 553 DM fest. Dieser Betrag ergab sich auf der Grundlage der Bruttoverordnungskosten unter Abzug eines fünfprozentigen Apothekenrabatts und der von der Versicherten geleisteten Zuzahlungen. Der beklagte Beschwerdeausschuss wies den Widerspruch des Klägers mit der Begründung zurück, Polyglobin sei nicht im Rahmen der Zulassungsindikationen verordnet worden, und für eine Verordnung außerhalb der zugelassenen Indikationen - der Kläger hatte die Behandlung eines Antikörpermangels bei der Versicherten als Grund für die Verordnungen angeführt - habe keine rechtliche Grundlage bestanden.

3

Das SG hat den Bescheid des Beklagten aufgehoben, soweit die Verordnungen im Quartal II/1999 ausgestellt worden sind, weil die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2. die Antragsfrist versäumt habe. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen, weil für einen zulassungsüberschreitenden Einsatz von Polyglobin die rechtlichen Voraussetzungen, die inzwischen von der Rechtsprechung des BSG geklärt seien, nicht vorgelegen hätten.

4

Dieses Urteil haben der Kläger am 15.4.2005 mit der Berufung und die Beigeladene zu 2. am 28.11.2006 mit der Anschlussberufung angegriffen. Der Kläger hat geltend gemacht, die Verordnung von Polyglobin in den streitbefangenen Quartalen habe den Behandlungserfolg der Chemotherapie absichern sollen und sei damit zur erfolgreichen Behandlung des inoperablen metastasierenden Tubenkarzinoms notwendig gewesen. Nach der Entscheidung des BSG vom 5.7.1995 (Remedacen) habe er darauf vertrauen können, verschreibungspflichtige Medikamente auch außerhalb ihres Zulassungsbereichs verordnen zu dürfen. Der durch dieses höchstrichterliche Urteil ausgelöste Vertrauensschutz sei frühestens durch das Urteil des BSG vom 30.9.1999 (SKAT) eingeschränkt worden. Dieses Urteil habe er bei Ausstellung der hier betroffenen Verordnungen nicht kennen können; insoweit sei ihm zumindest Vertrauensschutz zuzubilligen. Im Übrigen seien die von ihm vorgenommenen Verordnungen auch nach den heute geltenden Maßstäben nicht zu beanstanden, weil die Voraussetzungen für einen indikationsüberschreitenden Einsatz von Polyglobin nach den im Beschluss des BVerfG vom 6.12.2005 formulierten Maßstäben erfüllt seien.

5

Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und auf die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. das Urteil des SG geändert und die Klage auch hinsichtlich der Verordnungen aus dem Quartal II/1999 abgewiesen. Die Anschlussberufung sei zulässig, obwohl diese sich nicht auf den Teil des Streitgegenstandes beziehe, der Gegenstand der Berufung des Klägers sei (Quartale III und IV/1999). Soweit das BSG die Auffassung vertrete, eine Anschlussberufung müsse sich innerhalb des Streitgegenstandes der Hauptberufung bewegen, sei dem nicht zu folgen. Dem Gegner des Berufungsführers müsse es möglich sein, durch Anschließung an die Berufung des Hauptberufungsführers eine Überprüfung des erstinstanzlichen Urteils zu erreichen, auch soweit ein Streitgegenstand betroffen sei, der von der Berufung des Klägers nicht erfasst werde.

6

Die Berufung der beigeladenen Krankenkasse sei aus denselben Gründen begründet wie diejenige des Klägers unbegründet. Der Beklagte sei berechtigt gewesen, auf der Grundlage des § 14 der für Berlin geltenden Prüfvereinbarung Arzneikostenregresse gegen den Kläger wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel festzusetzen. Das setze nach der gefestigten Rechtsprechung des BSG kein Verschulden des Vertragsarztes voraus. Auch ein Antrag der jeweils betroffenen Krankenkasse sei nicht erforderlich gewesen; soweit die Prüfvereinbarung etwas anderes vorschreibe, sei das nach der Rechtsprechung des BSG mit höherrangigem Recht nicht vereinbar und deshalb unwirksam. Aus diesem Grund habe das SG der Klage hinsichtlich des Quartals II/1999 zu Unrecht stattgegeben. Auf Vertrauensschutz könne der Kläger sich nicht berufen. Soweit der 8. Senat des BSG im Jahr 1999 ausgeführt habe, die Versicherten hätten im Anschluss an das Urteil des 1. Senats des BSG vom 15.7.1995 zumindest bis zur Veröffentlichung des Urteils aus dem Jahre 1999 darauf vertrauen dürfen, dass sie mit Arzneimitteln auch außerhalb des durch die Zulassung nach dem Arzneimittelgesetz (AMG) bestimmten Indikationsbereichs versorgt werden dürften, könne dem nicht gefolgt werden. Schließlich führe auch der Beschluss des BVerfG vom 6.12.2005 nicht zu einer anderen Beurteilung, weil die Wirksamkeit von Polyglobin zur Behandlung der nach Auffassung des Klägers bei der Patientin H. vorhandenen Antikörperstörung nicht belegt sei (Urteil vom 26.11.2008).

7

Mit seiner Revision rügt der Kläger in verfahrensrechtlicher Hinsicht die Entscheidung des Berufungsgerichts, die Anschlussrevision der Beigeladenen zu 2. als zulässig anzusehen. Diese Berufung sei nach Ablauf der auch für diese Beigeladene geltenden Berufungsfrist von einem Monat nach Zustellung des sozialgerichtlichen Urteils eingelegt worden. Als unselbstständige Anschlussberufung sei sie nicht zulässig, weil sie sich nicht auf den Gegenstand der von ihm - dem Kläger - eingelegten Hauptberufung beziehe. Nach der Rechtsprechung des BSG dürfe nach Ablauf der für die Beteiligten geltenden Berufungsfrist der Streitgegenstand des Berufungsverfahrens nicht mehr erweitert werden. Seine - des Klägers - Verordnungen in den drei streitbefangenen Quartalen bildeten jeweils unterschiedliche Streitgegenstände, was das SG im Ausgangspunkt zutreffend dadurch zum Ausdruck gebracht habe, dass es den Regressbescheid hinsichtlich des Quartals II/1999 aufgehoben und hinsichtlich der in den beiden folgenden Quartalen ausgestellten Verordnungen für rechtmäßig gehalten habe. Deshalb sei der angefochtene Regressbescheid hinsichtlich der Verordnungen aus dem Quartal II/1999 dem Berufungsgericht mit seiner - des Klägers - (Haupt)Berufung nicht angefallen und habe durch die zu 2. beigeladene Krankenkasse nach Ablauf der Berufungsfrist nicht mehr in das Berufungsverfahren einbezogen werden können.

8

Im Übrigen sei das Urteil des LSG fehlerhaft, soweit es die Regresse für rechtmäßig gehalten habe. Der vom Berufungsgericht herangezogene § 14 Abs 1 der Prüfvereinbarung sei schon generell keine tragfähige Grundlage für einen Regress wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel. Die Prüfvereinbarung regele lediglich Verstöße gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot sowie Regresse wegen schuldhafter Verursachung eines "sonstigen Schadens". Der in der Rechtsprechung des BSG zugelassene Regress wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Mittel hätte in der Prüfvereinbarung zwar geregelt werden können, sei dort tatsächlich aber nicht geregelt worden.

9

Weiterhin sei der angefochtene Bescheid fehlerhaft, weil im Prüfungsausschuss wie im Beschwerdeausschuss jeweils unter Vorsitz eines Vertreters der Krankenkassen entschieden worden sei. Die Krankenkassenvertreter hätten eine Vertagung der Entscheidung des Beklagten in einer Sitzung unter Vorsitz eines Vertreters der Ärzte herbeigeführt, um so zu erreichen, dass über die Widersprüche des Klägers gegen die Entscheidung des Prüfungsausschusses, die unter Vorsitz eines Vertreters der Krankenkassen getroffen worden sei, erneut unter Vorsitz eines Vertreters der Krankenkassen entschieden werde. Das sei unzulässig. Die Vorschriften über den wechselnden Vorsitz im Prüfungs- und Beschwerdeausschuss nach § 106 SGB V aF könnten nur so verstanden werden, dass jedenfalls über Entscheidungen des Prüfungsausschusses, bei denen ein Vertreter der Krankenkassen den Vorsitz gehabt habe, in der Besetzung des Beschwerdeausschusses mit einem Vorsitzenden aus den Reihen der Vertragsärzte entschieden werden müsse.

10

Die Verordnung von Polyglobin sei zur Behandlung der bei der Versicherten H. vorhandenen lebensbedrohlichen Karzinomerkrankung notwendig gewesen. Zwar sei der Einsatz von Polyglobin nicht unmittelbar zur Heilung der Tumorerkrankung bzw zur Linderung der damit verbundenen Beschwerden erfolgt, doch habe die Versicherte unter einer Antikörperstörung gelitten, die eine Chemotherapie unmöglich gemacht habe, die ihrerseits zur Behandlung des Tumorgrundleidens erforderlich gewesen sei. Der Einsatz von Polyglobin habe die Voraussetzungen für eine Fortsetzung der Chemotherapie schaffen sollen, und seine Rechtmäßigkeit müsse deshalb aus medizinischen Gründen nach denselben Maßstäben beurteilt werden wie die Verordnung von Arzneimitteln zur kausalen Krebstherapie. Jedenfalls habe er - der Kläger - darauf vertrauen dürfen, dass im Hinblick auf die Rechtsprechung des BSG auch der die Indikationsgrenzen überschreitende Einsatz generell zugelassener Arzneimittel (Off-Label-Use) im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung möglich gewesen sei. Das habe der 1. Senat des BSG im Juli 1995 zum Einsatz des Codeinpräparates Remedacen zur Drogensubstitution entschieden, und der 8. Senat des BSG, der mit dieser Rechtsprechung nicht einverstanden gewesen sei, habe im Jahr 1999 für die Zeit bis zur Verkündung seiner Entscheidung den Versicherten Vertrauensschutz zugebilligt. Auf diesen Vertrauensschutz könne er - der Kläger - sich hier auch berufen. Soweit der 6. Senat des BSG im Mai 2006 entschieden habe, Vertrauensschutzaspekte spielten insoweit keine Rolle, weil Vertragsärzte, die Arzneimittel außerhalb der Zulassungsindikationen einsetzen wollten, gehalten seien, ein Privatrezept auszustellen und die Versicherten bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche gegen die Krankenkasse zu unterstützen, sei das auf die hier maßgebliche Rechtslage des Jahres 1999 nicht übertragbar. Zu diesem Zeitpunkt sei nach § 29 Abs 1 Satz 2 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) die Genehmigung von Verordnungen durch eine Krankenkasse unzulässig gewesen. In Verbindung mit der Rechtsprechung des 1. Senats des BSG zu Remedacen habe sich daraus die Berechtigung von Vertragsärzten ergeben, den Off-Label-Use-Einsatz im regulären Verfahren durch Ausstellen von vertragsärztlichen Verordnungen zu praktizieren. Soweit das LSG bemängelt habe, das bei der Versicherten H. vorliegende Antikörpermangelsyndrom, das letztlich den Einsatz von Polyglobin erforderlich gemacht habe, sei nicht ausreichend belegt, könne dem nicht gefolgt werden. Entgegen der Auffassung des LSG seien laborchemische Untersuchungen zum Nachweis dieses Antikörpermangelsyndroms verzichtbar.

11

Der Kläger beantragt,

die Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 26.11.2008 und des Sozialgerichts Berlin vom 9.2.2005, soweit hier die Klage abgewiesen wurde, sowie den Bescheid des Beklagten vom 12.12.2001 aufzuheben,

hilfsweise, die Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 26.11.2008 und des Sozialgerichts Berlin vom 9.2.2005 sowie den Bescheid des Beklagten vom 12.12.2001 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, über den Widerspruch des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu entscheiden,

weiter hilfsweise, das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 26.11.2008 aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

12

Der Beklagte und die Beigeladene zu 2. beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

13

Zutreffend habe das Berufungsgericht entschieden, dass die Partner der Prüfvereinbarungen nicht einmal berechtigt gewesen wären, Arzneikostenregresse wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel vom Verschulden des Vertragsarztes abhängig zu machen. Entgegen der Auffassung des Klägers habe die maßgebliche Prüfvereinbarung aus dem Jahre 1994 nicht vorgeschrieben, dass eine unter dem Vorsitz eines Kassenvertreters getroffene Entscheidung vom Beschwerdeausschuss nur unter dem Vorsitz eines Vertreters der Ärzte überprüft werden dürfe. Eine solche Regelung wäre auch nicht praktikabel gewesen und hätte die Dauer der Prüfverfahren erheblich verlängert. Die Ausführungen des Klägers hinsichtlich seines Vertrauens auf bestimmte Entscheidungen des BSG seien irrelevant. Es sei lebensfremd, dass ein Vertragsarzt die einzelnen Entwicklungsschritte der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Kenntnis nehme und sein Verordnungsverhalten daran ausrichte. Eine Ausnahmelage im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG vom 6.12.2005 habe in den streitbefangenen Quartalen bei der Versicherten H. nicht bestanden.

14

Die zu 2. beigeladene Krankenkasse hält das Urteil des LSG ebenfalls für zutreffend. Zu Recht habe das LSG ihre Anschlussberufung als zulässig angesehen. Folge man der Auffassung des Klägers, gebe es für die Anschlussberufung im sozialgerichtlichen Verfahren überhaupt keinen Anwendungsbereich, weil die Hauptberufung regelmäßig nur insoweit erhoben werde, als der Rechtsmittelführer durch das sozialgerichtliche Urteil beschwert sei. Für eine Anschlussberufung sei dann kein Raum, weil im Rahmen der Beschwer des Klägers der Anschlussberufungsführer selbst mit dem angefochtenen Urteil einverstanden sei. Ein Grund für eine derart restriktive Handhabung entgegen der Rechtsprechung in den anderen Gerichtszweigen sei nicht erkennbar.

Entscheidungsgründe

15

Die Revision des Klägers hat teilweise Erfolg. Zu Recht rügt er, dass das Berufungsgericht über den angefochtenen Bescheid des Beklagten hinsichtlich der Verordnungen aus dem Quartal II/1999 in der Sache entschieden habe. Insoweit ist die zugunsten des Klägers ergangene Entscheidung des SG rechtskräftig geworden, weil die Beigeladene zu 2. innerhalb der Berufungsfrist keine Berufung eingelegt hat. Ihre Anschlussberufung war unzulässig (1). Keinen Erfolg hat die Revision dagegen hinsichtlich der Verordnungen in den Quartalen III und IV/1999. Insoweit hat das LSG die Berufung des Klägers gegen das sozialgerichtliche Urteil zu Recht zurückgewiesen. Der angefochtene Bescheid des Beklagten ist rechtmäßig (2).

16

1. Die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. vom 28.11.2006 war unzulässig. Das Berufungsgericht hätte auf diese Anschlussberufung hin nicht in eine Sachprüfung des angefochtenen Bescheides im Hinblick auf die Verordnungen des Klägers aus dem Quartal II/1999 eintreten dürfen. Insoweit war das der Klage stattgebende Urteil des SG nämlich bereits rechtskräftig geworden.

17

a. Die Berufung der beigeladenen Krankenkasse hätte nur als Anschlussberufung iS des § 202 SGG iVm § 524 ZPO zulässig sein können. Eine eigenständige Berufung wäre wegen Versäumung der Berufungsfrist des § 151 Abs 1 SGG unzulässig. Das Urteil des SG ist der Beigeladenen zu 2. am 16.3.2005 zugestellt worden; die Monatsfrist des § 151 Abs 1 SGG ist durch die Einlegung der Berufung am 28.11.2006 nicht gewahrt worden.

18

Die Berufungsfrist des § 151 Abs 1 SGG gilt nicht für die Anschlussberufung, die nach der Rechtsprechung des BSG auch in der Sozialgerichtsbarkeit statthaft ist(BSGE 63, 167, 169 = SozR 1500 § 54 Nr 85; Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer (Hrsg), SGG 9. Aufl 2008, § 143 RdNr 5). Die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. war hier aber unzulässig, weil sie nicht den gleichen prozessualen Anspruch wie die Hauptberufung des Klägers betroffen, sondern einen neuen Streitgegenstand in das Berufungsverfahren eingeführt hat. Das ist nach der Rechtsprechung aller mit dieser Rechtsfrage bisher befassten Senate des BSG ausgeschlossen (zB Urteil des 9. Senats vom 8.7.1969 = SozR Nr 12 zu § 521 ZPO; 6. Senat vom 19.6.1996 - 6 RKa 24/95 - = USK 96131) Diese Entscheidungen sind zu Ansprüchen ergangen, die Gegenstand des Klageverfahrens, aber nicht der Hauptberufung waren. Das Urteil des 4. Senats vom 10.2.2005 - B 4 RA 48/04 R - betrifft einen mit der Anschlussberufung geltend gemachten Anspruch, der nicht einmal Gegenstand des Klageverfahrens gewesen ist. Die Rechtsauffassung des BSG zur Begrenzung der Anschlussberufung auf den Streitgegenstand der Hauptberufung wird in den Kommentaren zum SGG - soweit ersichtlich ohne Ausnahme - geteilt (Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 143 RdNr 5d; Eckertz in: Lüdtke, Handkommentar Sozialgerichtsgesetz, 3. Aufl 2009, § 143 RdNr 37; Behn in: Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, 87. Ergänzungslieferung, Stand: Mai 2009 - Gesamtwerk, § 143 RdNr 68 f; Frehse in: Jansen, SGG, 3. Aufl 2009, § 143 RdNr 7; Waschull in: Berchtold/Richter, Prozesse in Sozialsachen, 2009, § 6 RdNr 130). Nach Bernsdorff (in: Hennig, SGG, Stand Februar 2009 - Gesamtwerk - § 143 RdNr 27) liegt keine Anschlussberufung vor, wenn sich der Antrag des Berufungsbeklagten bei teilbarem Streitgegenstand gegen einen anderen als den mit der Berufung angegriffenen Teil des erstinstanzlichen Urteils richtet (ähnlich Breitkreuz in: Breitkreuz/Fichte, SGG, 2009, § 143 RdNr 24).

19

b. Bei Anwendung dieser Rechtsauffassung ist die Anschlussberufung unzulässig, wie das LSG zutreffend angenommen hat. Die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. betrifft einen anderen Streitgegenstand als die Hauptberufung, weil diese die Verordnungen des Klägers aus den Quartalen III/1999 und IV/1999, jene aber solche aus dem Quartal II/1999 erfasst. Vertragsärztliche Honorarbescheide sowie Bescheide der Gremien der Wirtschaftlichkeitsprüfung ergehen quartalsbezogen und enthalten, wenn Entscheidungen mehrere Quartale betreffen (vgl zB BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 30/08 R - RdNr 24 mwN, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen), verschiedene Regelungen iS des § 31 Satz 1 SGB X. Selbst innerhalb eines Bescheides für ein Quartal können zahlreiche eigenständige "Regelungen" ergehen, die selbstständig anfechtbar sind. Das hat der Senat in einem Urteil vom 23.2.2005 (SozR 4-1500 § 92 Nr 2) für einen Honorarbescheid näher dargelegt; in dem schon zitierten Urteil vom 19.6.1996 (6 RKa 24/95) hat der Senat das in Bezug auf einen Bescheid zur Wirtschaftlichkeitsprüfung hinsichtlich von Kürzungen für bestimmte Leistungen bzw Leistungssparten als selbstverständlich vorausgesetzt und im Urteil vom 16.7.2008 ausdrücklich ausgesprochen (BSGE 101, 130 = SozR 4-2500 § 106 Nr 19, RdNr 25 am Ende).

20

Diese Rechtsprechung kann allerdings nicht ohne Weiteres auf Kostenregresse wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel übertragen werden. Derartige Regressbescheide können quartalsbezogen ergehen, etwa wenn ein Arzt über einen längeren Zeitraum hinweg bestimmte Medikamente für zahlreiche Patienten verordnet. Zwingend ist die Bindung eines Kostenregresses ebenso wie eines Regresses wegen eines sog "sonstigen Schadens" an den Quartalsturnus indessen nicht und bietet sich gerade in Konstellationen nicht an, in denen es um die Behandlung eines Versicherten mit einem umstrittenen Medikament über mehrere Quartale geht. Ein solcher Fall ist hier zu beurteilen, und sowohl der Regressantrag der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2. wie die Entscheidungen des Prüfungsausschusses und des Beklagten haben nicht nach den drei betroffenen Quartalen differenziert und mussten das auch nicht.

21

Ursprünglich bildete deshalb der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Aufhebung der - Verordnungen aus drei Quartalen erfassenden - Entscheidung des Beklagten vom 12.12.2001 den Streitgegenstand des gerichtlichen Verfahrens. Das SG hat diesen einheitlichen Streitgegenstand jedoch getrennt und die Regressfestsetzung je nach Zuordnung der beanstandeten Verordnungen des Klägers zu den Quartalen II/1999 einerseits sowie III und IV 1999 andererseits unterschiedlich beurteilt. Anlass dazu hat dem SG die (mittelbar) quartalsbezogene Regelung über die Antragsfrist der Krankenkasse in § 14 Abs 2 der maßgeblichen Prüfvereinbarung gegeben. Weil offenbar die Krankenkassen die Verordnungen aus jedem Quartal zusammengefasst zu einem bestimmten Termin erhalten, der wiederum für den Beginn der Antragsfrist nach § 14 Abs 2 von Bedeutung ist, konnte nach Ansicht des SG die Prüfung der Einhaltung dieser Frist nur differenziert für jedes Quartal erfolgen. Das Urteil des SG hat inzident die angefochtene Entscheidung des Beklagten in zumindest zwei Regelungen iS des § 31 Satz 1 SGB X aufgespalten, nämlich hinsichtlich der aus dem Quartal II/1999 und hinsichtlich der aus den Quartalen III/1999 sowie IV/1999 stammenden Verordnungen des Klägers. Bundesrecht ist dadurch nicht verletzt, und das SG hat durch den Tenor seines Urteils die Beteiligten über das gerichtliche Vorgehen hinreichend deutlich informiert.

22

Damit bestand bei Zustellung des SG-Urteils eine Rechtslage, wie sie derjenigen bei Honorarfestsetzungen oder Kürzungs- bzw Regressbescheiden entspricht, die von vornherein mehrere Quartale erfassen. Für jedes dieser Quartale ist (mindestens) eine Regelung angefochten, deren prozessuales Schicksal von demjenigen für die anderen Quartale abweichen kann; die Regelung für jedes Quartal bildet einen eigenständigen Streitgegenstand. Als Folge der Hauptberufung des Klägers war der angefochtene Bescheid des Beklagten Gegenstand des Berufungsverfahrens nur hinsichtlich der aus den Quartalen III/1999 und IV/1999 stammenden Verordnungen; das ist dem Antrag des Klägers im LSG-Verfahren deutlich zu entnehmen. Die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. hat mit der Entscheidung des Beklagten über die aus dem Quartal II/1999 stammenden Verordnungen einen neuen Streitgegenstand in das Berufungsverfahren eingeführt. Das ist nach der bisherigen Rechtsprechung des BSG nicht zulässig. Ein Anlass, von dieser Rechtsprechung abzuweichen, ist nicht ersichtlich.

23

c. Kein durchgreifendes Bedenken ergibt sich aus dem Hinweis der Beigeladenen zu 2., auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des BSG bleibe für die Anschlussberufung nur ein sehr begrenzter Anwendungsbereich. Wenn die Anschlussberufung nur innerhalb des prozessualen Anspruchs erhoben werden kann, der Gegenstand der Hauptberufung ist, kommt im vertragsärztlichen Bereich bei Honorarkürzungen bzw Arzneikostenregressen eine Anschlussberufung typischerweise nur dann in Betracht, wenn das SG auf die Klage die zuständige Behörde zur Neubescheidung nach bestimmten Maßgaben verurteilt und der Kläger mit seiner Berufung die endgültige Aufhebung der ihn belastenden Bescheide begehrt. Dieser Berufung können sich dann die KÄV, der Beschwerdeausschuss oder die beigeladenen Krankenkassen (bzw Krankenkassenverbände) mit dem Antrag anschließen, die Klage in vollem Umfang abzuweisen, auch nachdem die für sie laufende Berufungsfrist abgelaufen ist. Alle übrigen Regelungen der ursprünglich angefochtenen Entscheidung, über die das SG entschieden hat, ohne dass ein Beteiligter das mit der Berufung angefochten hat, die also etwa andere Leistungspositionen oder andere Quartale betreffen, werden dagegen bestandskräftig. Das ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts im vertragsärztlichen Bereich richtig und praktikabel.

24

Auf der Grundlage der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts bliebe dagegen möglicherweise während der gesamten Dauer eines Berufungsverfahrens offen, ob Regelungen in Kürzungs- oder Regressbescheiden, die nicht Gegenstand der Hauptberufung sind, bestandskräftig werden oder nicht. Soweit etwa in einer Entscheidung des Beschwerdeausschusses Honorarkürzungen oder Arzneikostenregresse für eine größere Zahl von Quartalen auf der Grundlage einer Vielzahl von Entscheidungen des Prüfungsausschusses (oder der Prüfungsstelle iS des § 106 Abs 4 Satz 1 SGB V idF des GKV-WSG vom 26.3.2007) zusammengefasst worden sind, bleibt deren Bestandskraft über Jahre hinweg offen, auch wenn nur eine Detailregelung hinsichtlich eines einzelnen Quartals Gegenstand des Berufungsverfahrens ist. Das ist sowohl für den beteiligten Vertragsarzt wie für die KÄV und die Krankenkassen als Kostenträger schwierig zu handhaben, weil ggf Rückstellungen gebildet werden müssten und Beträge nicht verbucht werden könnten.

25

Ein tatsächliches Bedürfnis, diese Rechtsfolgen in Kauf zu nehmen, um den Beteiligten bis zum Abschluss der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz die Möglichkeit der Anschlussberufung auch außerhalb des prozessualen Anspruchs, der Gegenstand der Hauptberufung ist, offen zu halten, vermag der Senat nicht zu erkennen. Ob Honorarkürzungs- oder Regressbescheide, die verschiedene Regelungen iS des § 31 Satz 1 SGB X zum Inhalt haben und häufig mehrere Quartale betreffen, einzeln angegriffen oder durch die Widerspruchsstelle zusammengefasst bzw im gerichtlichen Verfahren auf der Grundlage des § 113 Abs 1 SGG verbunden werden, ist eine Frage der Praktikabilität. Jeder Verfahrensbeteiligte hat nach Bekanntgabe des das Verwaltungsverfahren abschließenden Bescheides oder des erstinstanzlichen Urteils eine Frist von einem Monat, innerhalb der er prüfen und entscheiden kann, ob und ggf inwieweit er die Entscheidung der Behörde bzw des erstinstanzlichen Gerichts hinnehmen will oder nicht. Ein berechtigtes Interesse, Monate oder sogar Jahre nach Einlegung der Berufung des Gegners noch Regelungen der gerichtlichen Überprüfung des LSG zuführen zu können, zu denen die Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts zunächst hingenommen worden ist, besteht nicht.

26

d. Zudem kann die prozessuale Sicht des Berufungsgerichts die Entscheidungsreife der Berufung in Frage stellen, jedenfalls soweit keine Frist für die Anschlussberufung normiert ist. Während nach § 127 Abs 2 Satz 2 VwGO die Anschließung nur bis zum Ablauf eines Monats nach Zustellung der Berufungsbegründungsschrift zugelassen wird, besteht keine ebensolche Bestimmung im SGG. Die VwGO-Vorschrift soll nach vorherrschender Auffassung auf das sozialgerichtliche Verfahren nicht übertragen werden können, weil dafür eine rechtliche Grundlage fehlt. Vergleichbares wird hinsichtlich der ähnlichen Frist des § 524 Abs 2 Satz 2 ZPO angenommen, die immerhin über § 202 SGG grundsätzlich im sozialgerichtlichen Verfahren angewandt werden könnte(vgl Leitherer, aaO, § 143 RdNr 5 f). Nach dieser Vorschrift ist die Anschlussberufung zulässig bis zum Ablauf der dem Berufungsbeklagten gesetzten Frist zur Berufungserwiderung. Eine dem § 521 Abs 1 ZPO entsprechende Vorschrift über die Zustellung der Berufungsschrift und der Berufungsbegründungsschrift an den Gegner kennt das SGG nicht. Die entsprechende Anwendung des § 524 Abs 2 Satz 2 ZPO über § 202 SGG setzt aber die Zustellung mindestens der Berufungsbegründung an den Gegner voraus, damit Klarheit über den Beginn der Frist für die Einlegung der Anschlussberufung besteht. Die Anwendung von Ausschlussfristen im sozialgerichtlichen Verfahren ohne explizite normative Grundlage ist unter dem Gesichtspunkt der Garantie des effektiven Rechtsschutzes (Art 19 Abs 4 Satz 1, Art 103 Abs 1 GG) problematisch, sodass ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung, die auch in der Anordnung einer entsprechenden Geltung des § 127 Abs 2 Satz 2 VwGO im SGG bestehen könnte, die Ausschlussfrist für die Anschlussberufung wohl nicht entsprechend angewandt werden kann. Das dürfte auch deshalb anzunehmen sein, weil im Berufungsverfahren der Sozialgerichtsbarkeit im Unterschied zu demjenigen in der Verwaltungs- und in der Zivilgerichtsbarkeit kein Vertretungszwang herrscht, und die Vorschriften über die Zustellung von Berufungs- und Berufungsbegründungsschriften sowie daran anknüpfende Fristen auf einen durch professionelle Bevollmächtigte geführten Prozess zugeschnitten sind.

27

Würde - was das LSG nicht erwogen hat - auf der Grundlage einer analogen Anwendung des § 127 Abs 2 Satz 2 VwGO im sozialgerichtlichen Verfahren auf den Nachweis der Zustellung der Berufungsbegründungsschrift verzichtet und der Nachweis ihrer tatsächlichen Kenntnis für ausreichend gehalten, wäre die Anschlussberufung der zu 2. beigeladenen Krankenkasse hier ebenfalls unzulässig. Diese hat, wie sich aus ihrer Reaktion im Berufungsverfahren vom 4.4.2006 ergibt, Monate vor Einlegung der Anschlussberufung am 28.11.2006 Kenntnis von der Berufungsbegründung des Klägers gehabt. Die entsprechende Anwendung der Monatsfrist des § 127 Abs 2 Satz 2 VwGO würde dann ebenfalls zur Unzulässigkeit ihrer Berufung führen. Demgegenüber hätte die vom Berufungsgericht offenbar befürwortete unbefristete Zulassung der Anschlussberufung bis zur mündlichen Verhandlung zur Folge, dass das LSG trotz Entscheidungsreife der Hauptberufung den Rechtsstreit vertagen müsste, wenn zum Gegenstand der Anschlussberufung noch Sachaufklärungsbedarf besteht. Das könnte zu Verzögerungen der Entscheidung führen, die auch im Hinblick auf das Gebot der Gewährung von Rechtsschutz in angemessener Zeit (Art 6 Europäische Menschenrechtskonvention) möglichst zu vermeiden sind.

28

Diese Erwägungen geben dem Senat Anlass, trotz der gewichtigen Einwände des Berufungsgerichts an der bisherigen Rechtsprechung des BSG zur Anschlussberufung festzuhalten und von einer andernfalls gebotenen Anrufung des Großen Senats nach § 41 Abs 2 SGG im Hinblick auf die Rechtsprechung anderer Senate zum Gegenstand der Anschlussberufung im sozialgerichtlichen Verfahren abzusehen.

29

2. Im Übrigen erweist sich die Revision des Klägers aber als unbegründet.

30

a. Das Berufungsgericht hat angenommen, § 14 Abs 1 iVm Abs 3 der seit dem Jahre 1994 geltenden und für die Verordnungen des Klägers im Jahre 1999 noch anwendbaren Prüfvereinbarung für den Bezirk der zu 1. beigeladenen KÄV Berlin gestatte die Festsetzung von Arzneikostenregressen, soweit der Vertragsarzt Arzneimittel verordnet hat, die in der vertragsärztlichen Versorgung nicht verordnungsfähig sind. Die Kenntnis des Vertragsarztes von der fehlenden Verordnungsfähigkeit oder generell ein Verschulden des Arztes sei insoweit nicht Voraussetzung für die Festsetzung eines Regresses. Soweit der Kläger § 14 der Prüfvereinbarung anders versteht und annimmt, diese Norm erfasse nur Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung bzw die Festsetzung eines verschuldensabhängigen "sonstigen Schadens" und nicht die Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel, ist dem im Revisionsverfahren nicht weiter nachzugehen. Die Prüfvereinbarung stellt Landesrecht iS des § 162 SGG dar, das das Revisionsgericht in der Auslegung des Berufungsgerichts seiner Entscheidung zugrunde zu legen hat. Von diesem Grundsatz sind in der Rechtsprechung des BSG zwei Ausnahmen anerkannt. Danach können landesrechtliche Normen vom Revisionsgericht eigenständig ausgelegt und angewandt werden, wenn es sich um Normen handelt, die inhaltsgleich in Bezirken verschiedener LSG gelten, soweit die Übereinstimmung im Interesse der Rechtsvereinheitlichung bewusst und gewollt ist (BSG vom 8.9.2009 - B 1 KR 8/09 R - RdNr 26, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt. Es ist weder geltend gemacht noch gerichtsbekannt, dass die Berliner Prüfvereinbarung aus dem Jahr 1994 inhaltsgleich in anderen KÄV-Bezirken gilt.

31

Landesrechtliche Normen sind weiterhin einer eigenständigen Auslegung und Anwendung des BSG zugänglich, wenn das LSG entscheidungserhebliche Vorschriften unberücksichtigt gelassen hat (BSGE 98, 89 = SozR 4-2500 § 85 Nr 31, jeweils RdNr 15). Hier hat jedoch das LSG die als Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides ersichtlich einschlägige Vorschrift des § 14 der Prüfvereinbarung zutreffend herangezogen und unter Anwendung der allgemein anerkannten juristischen Auslegungskriterien ausgelegt. Der Kläger rügt auch keinen Verstoß gegen diese Auslegungsgrundsätze oder die Denkgesetze, sondern setzt der Auslegung des Berufungsgerichts seine abweichende Auslegung entgegen. Das führt nicht dazu, dass entgegen der Vorgabe des § 162 SGG das Revisionsgericht zu einer eigenständigen Auslegung berufen wäre.

32

Soweit § 14 der Prüfvereinbarung in der Auslegung des LSG eine hinreichende Grundlage für die Festsetzung von Arzneikostenregressen wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel darstellt, steht die Vorschrift mit Bundesrecht in Einklang. Der Senat hat mehrfach entschieden, dass auf der Grundlage des § 106 Abs 2 SGB V in den Prüfvereinbarungen Rechtsgrundlagen für Arzneikostenregresse festgeschrieben werden dürfen, soweit Vertragsärzte Arznei- und Heilmittel verordnet haben, die nicht Gegenstand der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung sind(zB BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 52; vgl zuletzt BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 37/08 R - RdNr 17 ff mwN, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Das stellt der Kläger selbst nicht in Abrede.

33

b. Soweit der Kläger in formeller Hinsicht weiter rügt, der angefochtene Bescheid des Beklagten sei fehlerhaft, weil er in einer Sitzung gefasst worden sei, in der ein Vertreter der Krankenkassen den Vorsitz innegehabt habe, kann dem nicht gefolgt werden. Weder die Prüfvereinbarung im Bezirk der zu 1. beigeladenen KÄV noch Bundesrecht haben vorgeschrieben, dass in den Jahren, in denen Prüfungs- und Beschwerdeausschüsse alternierend von einem Vertreter der Krankenkassen und der Vertragsärzte geleitet worden sind, Entscheidungen des Prüfungsausschusses, die unter ärztlichem Vorsitz getroffen worden sind, vom Beschwerdeausschuss nur unter Vorsitz eines Vertreters der Krankenkassen und umgekehrt überprüft werden dürfen.

34

Nach § 106 Abs 4 Satz 3 SGB V idF des Gesundheitsstrukturgesetzes vom 21.12.1992 führte in den von Vertretern der Ärzte und der Krankenkassen in gleicher Zahl besetzten Prüfungs- und Beschwerdeausschüssen jährlich wechselnd ein Vertreter der Ärzte und der Krankenkassen den Vorsitz. Die Stimme des Vorsitzenden gab bei Stimmengleichheit den Ausschlag (aaO, Satz 4). Diese als defizitär bewertete Regelung war manipulationsanfällig (vgl näher BSGE 92, 283 = SozR 4-2500 § 106 Nr 5 auch zur Neuregelung im Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung)und ist deshalb zum 1.1.2004 ohne Übergangsregelung in der Weise geändert worden, dass die Gremien nunmehr von einem neutralen Vorsitzenden geleitet werden. Für die Zeit bis zum 31.12.2003 galten aber die früheren Regelungen über den im Jahresturnus wechselnden Vorsitz fort, und diesen lag die Auffassung der Revision von einem notwendigen Wechsel im Vorsitz zwischen den beiden Verwaltungsinstanzen nicht zugrunde.

35

Der Kläger verweist selbst auf früher geltende Prüfvereinbarungen im Bezirk der KÄV Bayerns und der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Berlin, in denen bestimmt war, den Vorsitz im Beschwerdeausschuss führe ein Vertreter der Ärzte (Zahnärzte), wenn in dem zu entscheidenden Fall ein Vertreter der Krankenkassen den Vorsitz im Prüfungsausschuss inne hatte und umgekehrt. Dass eine solche Regelung im Bezirk der Beigeladenen zu 1. gegolten habe, macht der Kläger nicht geltend. Seine Auffassung, auch ohne ausdrückliche Regelung in der maßgeblichen Prüfvereinbarung ergebe sich dieser Grundsatz unmittelbar als Folge des § 106 Abs 4 Satz 3 SGB V aF über den turnusmäßigen Wechsel im Vorsitz von Prüfungs- und Beschwerdeausschuss, trifft nicht zu. Die Annahme einer solchen bundesrechtlichen Vorgabe hätte das Prüfverfahren verkompliziert und wäre ohne nähere Regelungen in den Prüfvereinbarungen kaum umsetzbar gewesen. Die Beschwerdeausschüsse hätten Beschlüsse über Entscheidungen der Prüfungsausschüsse möglicherweise zurückstellen müssen, weil im jeweiligen Jahr die "richtige" Besetzung nicht verfügbar gewesen wäre; alternativ hätte immer ein Vorsitzender der "Bank", die im jeweiligen Jahr im Beschwerdeausschuss nicht den Vorsitzenden stellt, zur Verfügung stehen müssen, um über Entscheidungen des Prüfungsausschusses zu beraten, die unter anderem Vorsitz getroffen worden sind. Ob die damit verbundenen formellen Erschwerungen des Prüfungsverfahrens bundesrechtlich unbedenklich gewesen wären, bleibt offen (zu den Grenzen des Gestaltungsspielraums der Gesamtvertragspartner bei Ausgestaltung der Prüfvereinbarung vgl BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 53 S 290 f). Eine Verpflichtung der Prüfgremien, ohne explizite Regelung in der Prüfvereinbarung so zu verfahren, hat jedenfalls nicht bestanden.

36

c. Soweit der Kläger geltend macht, die Entscheidung durch den Beklagten am 12.12.2001 sei nur deshalb unter dem Vorsitz eines Krankenkassenvertreters gefallen, weil die Kassenvertreter die ursprünglich vorgesehene Sitzung am 24.9.2001 boykottiert hätten, führt das zu keiner anderen Beurteilung. Da ein Arzt keinen Anspruch darauf hat, dass über seine Angelegenheit immer unter dem Vorsitz eines Arztes im Beschwerdeausschuss entschieden wird, wenn der Prüfungsausschuss unter dem Vorsitz eines Krankenkassenvertreters entschieden hat, stellt die Vertagung einer Sitzung auch dann grundsätzlich keinen Rechtsverstoß dar, wenn diese zur Folge haben sollte, dass der Vorsitz in der tatsächlich entscheidenden Sitzung wechselt. Im Übrigen hat das Berufungsgericht nicht iS des § 163 SGG festgestellt, dass die Vertagung der Entscheidung vom 24.9.2001 allein darauf beruht hat, dass die Krankenkassenvertreter erreichen wollten, dass über die Angelegenheit des Klägers in der Besetzung des Beschwerdeausschusses mit einem Vorsitzenden aus ihren Reihen entschieden wird. Schließlich ist im Hinblick auf die Rügen des Klägers zur Zusammensetzung des Beklagten bei der Beschlussfassung darauf hinzuweisen, dass die Krankenkassen nach der Rechtsprechung des Senats gegen Entscheidungen der Prüfgremien, mit denen ua Anträge auf Festsetzung von Honorarkürzungen oder Arzneikostenregressen abgelehnt werden, Rechtsmittel ergreifen können (zB BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 1 und BSG MedR 2004, 577, jeweils zu unzureichenden Kürzungen vertragszahnärztlichen Honorars; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 24 zum Sprechstundenbedarfsregress). Da vorliegend Ermessens- und Beurteilungsspielräume allenfalls am Rande in Rede stehen, spricht wenig dafür, dass die zu 2. beigeladene Krankenkasse eine - unterstellt für den Kläger positive - Entscheidung des Beklagten unter anderem Vorsitz auf sich hätte beruhen lassen.

37

d. Der Kläger durfte über "Polyglobin 5 %" in den streitbefangenen Quartalen keine vertragsärztliche Verordnung ausstellen. Er hat dieses Arzneimittel außerhalb der arzneimittelrechtlichen Zulassung verordnet.

38

Die Zulassung von Polyglobin war nach den Feststellungen des LSG auf die Behandlung der idiopathischen thrombozytopenischen Purpura (Hautblutungen) beschränkt, und an dieser Erkrankung hat die Versicherte H. nicht gelitten. Ein Arzneimittel darf grundsätzlich nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung für einen Einsatz außerhalb der arzneimittelrechtlich zugelassenen Indikation verordnet werden. Das hat der 1. Senat des BSG mit Urteil vom 19.3.2002 (BSGE 89, 184 = SozR 3-2500 § 31 Nr 8) unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung entschieden und daran bis heute festgehalten (zB BSGE 93, 236 = SozR 4-2500 § 27 Nr 1). Der 6. Senat des BSG ist dem für die Festsetzung von Arzneikostenregressen gefolgt (vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 RdNr 19; vgl auch BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 37/08 R - RdNr 26, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).

39

Der Kläger kann sich zur Rechtfertigung seiner Verordnungen von Polyglobin weder auf Vertrauensschutz noch auf einen der Annahmetatbestände stützen, unter denen Arzneimittel vertragsärztlich auch außerhalb der zugelassenen Indikation verordnet werden dürfen. Der Kläger ist der Auffassung, Vertragsärzte hätten in der Zeit zwischen dem Urteil des 1. Senats vom 5.7.1995 zur Drogensubstitution mit dem Codein-Präparat Remedacen (BSGE 76, 194 = SozR 3-2500 § 27 Nr 5) und dem Bekanntwerden des Urteils des 8. Senats vom 30.9.1999 zur SKAT-Therapie (BSGE 85, 36 = SozR 3-2500 § 27 Nr 11) generell darauf vertrauen dürfen, Arzneimittel im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung auch außerhalb der Zulassungsindikationen nach dem Arzneimittelrecht verordnen zu dürfen. Dem folgt der Senat in Übereinstimmung mit dem Berufungsgericht nicht.

40

Es ist bereits fraglich, ob ein Vertragsarzt im Hinblick auf das zu der sehr speziellen Situation der Drogensubstitution ergangene Urteil des 1. Senats vom 5.7.1995 generell darauf vertrauen durfte, Arzneimittel auch außerhalb ihrer Zulassungsindikation verordnen zu dürfen. Allenfalls kommt ein Vertrauen darauf in Betracht, dass die Bindung der vertragsärztlichen Verordnung an die Zulassung des jeweiligen Fertigarzneimittels nach dem AMG in dem Sinne gelockert ist, dass in bestimmten Konstellationen eine die arzneimittelrechtliche Zulassung überschreitende Verordnung, die medizinisch sinnvoll oder sogar geboten ist, auch krankenversicherungsrechtlich zulässig sein kann. In diesem Sinne ist das Urteil des 8. Senats vom 30.9.1999 richtigerweise zu verstehen. Weitergehende Schlussfolgerungen aus diesem Urteil im Sinne eines uneingeschränkt erlaubten indikationsfremden Einsatzes von Fertigarzneimitteln liegen eher fern, zumal ein beliebiger, allein nach Gutdünken jedes einzelnen Arztes erfolgender, Einsatz eines Medikaments außerhalb der Zulassung nicht ernsthaft für sachgerecht gehalten werden kann .

41

e. Im Übrigen sind schon kurz nach Veröffentlichung des Urteils des 1. Senats vom 5.7.1995 zur Drogensubstitution in der Rechtsprechung des BSG Zweifel an der allgemeinen Aussagekraft dieses Urteils über den entschiedenen Fall hinaus artikuliert worden. Schon drei Monate nach dem Urteil des 1. Senats hat der allein für das Vertragsarztrecht zuständige erkennende Senat Bedenken gegen die Zulässigkeit des Einsatzes von Remedacen zur Drogensubstitution geäußert und auf die Problematik der Beachtung der Richtlinien des (früheren) Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen im Zusammenhang mit sog Außenseitermethoden hingewiesen (Urteil vom 18.10.1995, SozR 3-5550 § 17 Nr 2 S 5). In der Sache sind sodann die Grundsätze des Urteils vom 5.7.1995 durch die neuere Rechtsprechung des 6. und des 1. Senats zur Rechtsqualität der Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen, zur Methodenanerkennung nach § 135 Abs 1 SGB V und zum Zusammenhang zwischen dieser Anerkennung und den Prinzipien der Arzneimitteltherapie deutlich modifiziert worden(Urteil des 6. Senats vom 20.3.1996, BSGE 78, 70 = SozR 3-2500 § 92 Nr 6 "Methadon"; Urteile des 1. Senats vom 16.9.1997, BSGE 81, 54 = SozR 3-2500 § 135 Nr 4, BSGE 81, 73 = SozR 3-2500 § 92 Nr 7). Spätestens nach Bekanntwerden dieser Urteile war deutlich, dass die ältere Rechtsprechung des BSG zu den (untergesetzlichen) Vorgaben des Leistungs- und Leistungserbringungsrechts in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht mehr uneingeschränkt fortgeführt werden würde. Kein Vertragsarzt musste die aufgezeigten Wendungen der Rechtsprechung kennen oder nachvollziehen. Wer aber - wie der Kläger - geltend macht, Verordnungen aus dem Jahre 1999 im Vertrauen auf eine zu einer Sonderkonstellation ergangene und vereinzelt gebliebene Rechtsprechung des BSG aus dem Jahre 1995 getätigt zu haben, muss sich entgegenhalten lassen, dass sich die Rechtsprechung weiterentwickelt hat. Jedenfalls im Jahr 1999 hat es für einen Vertragsarzt erkennbar keine hinreichende Sicherheit mehr gegeben, nach eigener Einschätzung Off-Label-Use-Verordnungen ausstellen zu dürfen, ohne Gefahr zu laufen, insoweit in Regress genommen zu werden.

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f. Zudem sind sowohl das Urteil des 1. Senats vom 5.7.1995, auf das sich der Kläger beruft, wie auch die folgenden Entscheidungen des 1. und des 8. Senats des BSG zu den Rechtsansprüchen von Versicherten gegen ihre Krankenkasse ergangen. Aus diesen Urteilen ergibt sich nicht unmittelbar, wie sich ein Vertragsarzt zu Arzneimittelverordnungen verhalten sollte, die erkennbar außerhalb der Zulassungsindikation des jeweiligen Arzneimittels erfolgten, von denen er aber annahm, sie könnten vom Patienten beansprucht werden. Dazu ist dem Urteil des erkennenden Senats vom 18.10.1995 (6 RKa 3/93) zur Drogensubstitution zu entnehmen, dass in solchen Fällen jedenfalls eine exakte Dokumentation und eine engmaschige Verlaufskontrolle der Behandlung geboten waren (SozR 3-5550 § 17 Nr 2 S 8; vgl auch BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 37/08 R - RdNr 39, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Damit ist es zB nicht vereinbar, auf laborchemische Untersuchungen zum Nachweis eines - vermeintlichen oder tatsächlich bestehenden - "Antikörpermangelsyndroms" zu verzichten, wenn die umstrittene Off-Label-Verordnung von Immunglobulinen gerade auf diese Diagnose reagiert.

43

Ein Vertragsarzt, der Medikamente außerhalb ihrer zugelassenen Indikationen verordnet, kann weder sich noch der Krankenkasse Gewissheit darüber verschaffen, dass die Verordnung den Vorgaben des Wirtschaftlichkeitsgebotes genügt, also notwendig, zweckmäßig und wirtschaftlich ist. Bei Off-Label-Verordnungen hat nämlich gerade keine Prüfung von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des jeweiligen Arzneimittels stattgefunden, die seinen Einsatz (auch) im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung rechtfertigt. Eine solche Prüfung ist im AMG nur indikationsbezogen vorgeschrieben und durchführbar; die von der Zulassung nach dem AMG ausgehende Schutzwirkung und Qualitäts- wie Wirksamkeitserwartung greift bei einem Einsatz des Medikaments außerhalb der Zulassung gerade nicht ein (vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 RdNr 19; s auch BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 37/08 - RdNr 27 ff, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Soweit danach ein Vertragsarzt Verordnungen ohne gesicherten Nachweis von Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels ausstellt, muss zwingend nachträglich geprüft werden dürfen, ob die jeweilige Verordnung den Regeln des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung entspricht. Wenn der Vertragsarzt davon absieht, in Fällen eines Off-Label-Use die Krankenkasse vor Ausstellung der Verordnung einzuschalten, wie es der Senat in einem Beschluss vom 31.5.2006 dargestellt hat (B 6 KA 53/05 B, MedR 2007, 557, 560), muss er hinnehmen, dass die Einhaltung der Vorgaben der vertragsärztlichen Versorgung im Nachhinein geprüft wird.

44

Der Beklagte hält dem Kläger - anders als dieser nahe legen will - keine schuldhafte Verletzung vertragsärztlicher Pflichten vor, die nunmehr sanktioniert wird. Der Beklagte hat lediglich die Position der zu 2. beigeladenen Krankenkasse bestätigt, dass sie objektiv zu Unrecht erhebliche Kosten für die Versorgung ihrer Versicherten H. mit einem Immunglobulin aufgewandt hat. Weil der Kläger der Beigeladenen zu 2. keine Gelegenheit gegeben hat, ihre Auffassung zur Rechtmäßigkeit des Einsatzes von Immunglobulinen bei der Versicherten H. vor Einlösung der Verordnungen darzulegen, muss es der Krankenkasse möglich sein, ihren Standpunkt nachträglich durchzusetzen, soweit er rechtlicher Prüfung standhält. Dazu sieht die Prüfvereinbarung im Einklang mit Bundesrecht das Verfahren der Regressfestsetzung vor. Soweit der Kläger geltend macht, nach dem im Jahr 1999 geltenden Recht habe er zu Gunsten der H. kein Privatrezept ausstellen dürfen, weil das gegen § 29 Abs 1 Satz 2 BMV-Ä verstoßen hätte, folgt der Senat dem nicht. Der Beschluss des Senats vom 31.5.2006 (MedR 2007, 557), der diesen Weg aufgezeigt hat, ist zu Off-Label-Use-Verordnungen aus dem Jahr 1997 ergangen. Auch 1997 und 1999 galt das Verbot, sich als Vertragsarzt vertragsärztliche Verordnungen einzeln genehmigen zu lassen; dieses Verbot hat sich - wie der Senat dargelegt hat - immer nur auf Verordnungen im Rahmen der Leistungspflicht der Krankenkassen bezogen. Wie die Rechtslage zu beurteilen wäre, wenn der Kläger im Sommer 1999 vergeblich bei der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2. angefragt und explizit um eine Entscheidung über das aus Sicht dieser Krankenkasse richtige Vorgehen gebeten hätte, kann offen bleiben. Der Kläger macht selbst nicht geltend, diesen Weg beschritten zu haben.

45

g. Der vom Beklagten aufrecht erhaltene Regress gegen den Kläger ist schließlich nicht deshalb rechtswidrig, weil der Versicherten H. bei Ausstellung der umstrittenen Verordnungen nach den Grundsätzen des Beschlusses des BVerfG vom 6.12.2005 (BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5) gegen die Rechtsvorgängerin der zu 2. beigeladenen Krankenkasse ein Anspruch auf Versorgung mit Polyglobin 5 % zugestanden hätte. Nach den Feststellungen des LSG liegen die tatsächlichen Voraussetzungen eines solchen, auf §§ 27 und 31 SGB V iVm Art 2 Abs 1 GG und dem Sozialstaatsprinzip bzw Art 2 Abs 2 Satz 1 GG und der hieraus abzuleitenden Schutzpflicht gegründeten Anspruchs nicht vor. Diese Feststellungen des LSG sind für den Senat nach § 163 SGG bindend, weil der Kläger dazu keine zulässigen Revisionsrügen angebracht hat.

46

Richtig ist allerdings der Ausgangspunkt der Revision: Wenn feststünde, dass H. nach den tatsächlichen Verhältnissen des Jahres 1999 einen Anspruch auf Versorgung mit Polyglobin als Sachleistung der Krankenkasse gehabt hätte, dürfte wegen der für diese Versorgung angefallenen Kosten kein Regress gegen den Kläger festgesetzt werden. Diese Konsequenz aus der Entscheidung des BVerfG hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 5.11.2008 zu Wobe Mugos (SozR 4-2500 § 106 Nr 21; ebenso BSG MedR 2010, 276) inzident angesprochen und hält daran fest. Der verschuldensunabhängige Schadensersatzanspruch der Krankenkasse gegen einen Vertragsarzt wegen unzulässiger Arzneimittelverordnungen beruht im Kern darauf, dass die Krankenkasse einen Ausgleich für die Bezahlung von Medikamenten erhält, die sie bei korrekten Verhalten des Arztes nicht hätte finanzieren müssen. Wenn sich nachträglich herausstellt, dass der Versicherte, zu dessen Gunsten der Vertragsarzt die umstrittenen Verordnungen ausgestellt hat, auf die Versorgung mit dem verordneten Arzneimittel einen Anspruch gegen seine Krankenkasse hatte, ist dieser durch die Bezahlung dieses Arzneimittels dem Grunde nach jedenfalls kein Schaden entstanden, den der Vertragsarzt nunmehr ersetzen müsste. Lässt sich allerdings nicht mit hinreichender Gewissheit feststellen, dass die Voraussetzungen für einen ausnahmsweise gerechtfertigten Off-Label-Use vorgelegen haben, geht das zu Lasten des Arztes. Er rückt, obwohl er sich nach der Ausrichtung des Verfahrens gegen einen Regress wendet, hinsichtlich der Verteilung von Darlegungs- und Beweislast in die Stellung ein, die der Versicherte gehabt hätte, wenn er seinen Standpunkt zur der Verordnungsfähigkeit eines Arzneimittels gegen die Krankenkasse nach § 13 Abs 3 SGB V im Wege der Geltendmachung eines Kostenerstattungsanspruchs durchsetzen müsste. Wer geltend machen will, der Versorgungsanspruch umfasse in einer bestimmten Konstellation auch die Versorgung mit zugelassenen Arzneimitteln außerhalb der Zulassungsindikationen, dringt damit nicht durch, wenn sich unter Ausschöpfung aller Möglichkeiten zur Sachaufklärung nicht feststellen lässt, dass die dafür insbesondere in der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG und inzwischen auch vom Gemeinsamen Bundesausschuss (§ 30 der Arzneimittel-Richtlinie iVm Anlage VI) formulierten Voraussetzungen vorgelegen haben. Das ist auch hier der Fall und geht zu Lasten des Klägers.

47

h. Das LSG ist in Übereinstimmung mit der Revision zutreffend davon ausgegangen, dass die Versicherte H. an einer lebensbedrohlichen Erkrankung (metastasierendes Karzinom der Eileiter) gelitten hat. Zu dessen kausaler Behandlung hätte bei Fehlen einer allgemein anerkannten, medizinischem Standard entsprechenden Behandlungsmethode nach der Rechtsprechung des BVerfG ein Arzneimittel auch außerhalb seiner Zulassungsindikation eingesetzt werden dürfen, wenn nach der vorhandenen Studienlage auf diese Weise die nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf positive Behandlungserfolge bestanden hätten (BVerfGE 115, 25, 49 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 RdNr 33). Das nimmt der Kläger selbst für die Verordnung von Polyglobin nicht an. Er geht vielmehr davon aus, dass die Versicherte H. an einem Antikörpermangel litt, der unbehandelt eine Fortführung der überlebensnotwendigen Chemotherapie ausgeschlossen hätte oder hat. Wenn die Rechtsprechung des BVerfG auf diese Konstellation Anwendung finden sollte, was der Senat entgegen der Auffassung des LSG nicht von vornherein für ausgeschlossen hält, müssen jedenfalls die Anforderungen an einen zulässigen Off-Label-Use entsprechend erfüllt sein. Es muss deshalb feststehen, dass der Patient neben der lebensbedrohlichen Erkrankung an einer weiteren Gesundheitsstörung leidet, die die Anwendung aller zur Behandlung des Hauptleidens in Betracht kommenden Behandlungsmöglichkeiten ausschließt. Weiterhin muss der Off-Label-Einsatz des anzuwendenden Arzneimittels mit gewisser Wahrscheinlichkeit die zweite Erkrankung so beeinflussen, dass eine Erfolg versprechende Behandlung des Hauptleidens wieder oder erstmals möglich wird. Schließlich darf es für die zweite Erkrankung keine anerkannten Behandlungsmöglichkeiten - zB mit entsprechend zugelassenen Arzneimitteln - geben. Diese Voraussetzungen sind hier jedenfalls nicht - wie es notwendig wäre, um der Klage zum Erfolg zu verhelfen - kumulativ erfüllt.

48

i. Erhebliche Zweifel bestehen bereits daran, ob das vom Kläger so bezeichnete "sekundäre Antikörpermangelsyndrom" eine eigenständige und hinreichende spezifische Erkrankung ist, die abgegrenzt vom Karzinomleiden behandelt werden kann und muss. Der Kläger hat dazu in den Tatsacheninstanzen nicht Präzises vorgetragen. Zudem steht nicht fest, dass die Patientin H. an einem Antikörpermangelsyndrom litt, das schulmedizinisch nicht behandelbar war. Die zur Abstützung dieser Diagnose und des Ausmaßes der Erkrankung möglichen laborchemischen Untersuchungen hat der Kläger nach den Feststellungen des LSG nicht durchgeführt oder veranlasst. Dazu mag er - wie die Revision geltend macht - berufsrechtlich nicht verpflichtet gewesen sein. Er hat damit aber im Hinblick auf den Off-Label-Use zur Unaufklärbarkeit des genauen Gesundheitszustandes der Versicherten H. in der zweiten Hälfte des Jahres 1999 beigetragen. Das geht zu seinen Lasten.

49

j. Außerdem fehlt es an ausreichenden Feststellungen bzw Belegen für das vom Kläger geltend gemachte Dilemma, die lebensbedrohliche Ersterkrankung nur durch die Behandlung der Zweiterkrankung mit Polyglobin 5 % therapieren zu können. Der Kläger setzt schon die Anforderungen an den Nachweis einer eigenständigen Zweiterkrankung zu niedrig an. Die Versicherte H. litt nach den Ausführungen des Klägers an einer "Verminderung der Immunitätslage" als Folge sowohl des Karzinomleidens als auch der aggressiven Chemotherapien. Darauf habe sie mit wiederholten schweren bakteriellen und viralen Infektionen reagiert, die er - der Kläger - als "Zeichen eines sekundären Antikörpermangels" gedeutet habe. Für keine dieser "wiederholten" Infektionen hat der Kläger im Verwaltungsverfahren oder in den Vorinstanzen jedoch konkret und eingehend belegt, dass diesen durch anerkannte Behandlungsverfahren nicht hätten effektiv entgegengewirkt werden können. Spezifische Darlegungen dazu, die dann dem LSG ggf Anlass zu weiterer Sachaufklärung hätten geben können, waren vor allem deshalb unerlässlich, weil der Kläger selbst einen Zusammenhang zwischen dem Krebsleiden und der Chemotherapie mit der geschwächten Immunitätslage der H. herstellt. Da nicht alle Patienten, deren Abwehrsystem durch Krebs und Chemotherapie geschwächt sind, mit Immunglobulin behandelt werden bzw nach dem gebotenen Behandlungsstandard behandelt werden müssen oder im Jahr 1999 so behandelt wurden oder behandelt werden mussten, hätte der Kläger fallbezogen und detailliert darlegen müssen, inwieweit sich die gesundheitliche Lage der H. von derjenigen anderer chemotherapeutisch behandelter Krebspatienten unterschied, und auf der Basis welcher exakten Befunde er die Anwendung von Polyglobin 5 % für unerlässlich hielt. Das ist nicht geschehen und spricht dafür, dass sich der Kläger von der Gabe eines Immunglobulins ganz generell eine Stärkung der Abwehrlage der H. und damit mutmaßlich eine bessere Resistenz gegen Infektionen versprach. Das reicht für einen Off-Label-Use, dessen Zulässigkeit jedenfalls in Fällen der hier vorliegenden Art von dem Gesundheitszustand des konkreten Patienten abhängt, nicht aus.

50

k. Schließlich ist die positive Wirkung, die der Kläger dem Einsatz von Immunglobulin bei fortgeschrittener Krebserkrankung zuschreibt, nach den Feststellungen des LSG auch nicht hinreichend belegt.

51

Das LSG hat im Einzelnen dargestellt, dass die bis 1999 zum Einsatz von Immunglobulinen vorhandenen Studien und publizierten Forschungsergebnisse nicht darauf hindeuten, dass die Gesundheitsstörungen der Versicherten H. durch den Einsatz von Polyglobin erfolgreich behandelt werden konnten. Das LSG ist zutreffend von den in der Rechtsprechung des 1. Senats des BSG ermittelten Grundsätzen zum Anspruch der Versicherten auf Versorgung mit (in Deutschland oder der EU) nicht zugelassenen Arzneimitteln (dazu BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4) oder mit Arzneimitteln außerhalb zugelassener Indikationen (BSGE 89, 184 = SozR 3-2500 § 31 Nr 8) ausgegangen. Es hat näher ausgeführt, dass keine wissenschaftliche Arbeit vorliege oder vom Kläger benannt sei, in der der zulassungsüberschreitende Einsatz von Immunglobulinen zur Behandlung einer auf der Intoleranz von Chemotherapeutika beruhenden Erkrankung als medizinisch geboten bewertet wird. Einen Konsens der einschlägigen Fachkreise, dass Polyglobin ein sekundäres Antikörpersyndrom positiv beeinflussen könne, hat das LSG gerade nicht feststellen können. Soweit die Revision die vorhandenen medizinischen Unterlagen lediglich anders würdigt, vermag sie damit die Feststellungen iS des § 163 SGG nicht zu entkräften.

52

Soweit der Kläger die Sachaufklärung des LSG zu den Erfolgsaussichten der Behandlung mit Immunglobulinen für unzureichend hält, berücksichtigt er nicht hinreichend, dass sich der 1. Senat des BSG bereits mehrfach mit dem Anspruch der Versicherten auf Versorgung mit Immunglobulinen befasst hat. In den Urteilen vom 19.3.2002 (BSGE 89, 184 = SozR 3-2500 § 31 Nr 8), vom 27.3.2007 (B 1 KR 17/06 R) und vom 28.2.2008 (SozR 4-2500 § 13 Nr 16), die sämtlich die Versorgung mit Immunglobulinpräparaten - jeweils bezogen auf die Indikation Multiple Sklerose - zum Gegenstand hatten, wird der Stand der medizinischen Forschung zu dieser Wirkstoffgruppe für die streitbefangenen Jahre 1997 bis 2003 eingehend aufgearbeitet. Zwar können die Forschungsergebnisse zur Möglichkeit, durch die Gabe von Immunglobulinen die Multiple Sklerose günstig zu beeinflussen, nicht ohne Weiteres auf die hier zu beurteilende Situation der unterstützenden Behandlung bei Krebserkrankungen übertragen werden, doch sind die Wirkungen und die in Frage kommenden Indikationen für Immunglobulin bezogen auf den hier relevanten Zeitraum gut erforscht und die Forschungsergebnisse - soweit krankenversicherungsrechtlich von Bedeutung - in der Rechtsprechung des BSG umfassend rezipiert worden. Zudem sind die Urteile des 1. Senats des BSG vom 27.3.2007 und vom 28.2.2008 Gegenstand der verfassungsgerichtlichen Prüfung gewesen. Mit Kammerbeschlüssen vom 30.6.2008 (1 BvR 1665/07 zum BSG-Urteil B 1 KR 17/06 R) und vom 8.7.2009 (1 BvR 1531/09 zum BSG-Urteil B 1 KR 15/07 R) sind die Verfassungsbeschwerden der unterlegenen Kläger jeweils nicht zur Entscheidung angenommen worden. Beide Kammerbeschlüsse sind auf der Basis der grundlegenden Entscheidung des BVerfG vom 6.12.2005 ergangen und billigen insbesondere, dass die Rechtsprechung des BSG strenge Anforderungen an den Nachweis stellt, dass mit dem zulassungsüberschreitenden Einsatz des jeweils betroffenen Arzneimittels hinreichende Erfolgsaussichten verbunden sein müssen (BVerfG vom 30.6.2008 - 1 BvR 1665/07 - NJW 2008, 3556 f RdNr 9 bis 11). Es reicht danach als Grundlage für einen Off-Label-Use von Arzneimitteln in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht aus, dass positive Folgen einer solchen Behandlung nach dem Wirkungsmechanismus von Immunglobulinen nicht schlechthin ausgeschlossen werden können, dass Patienten in Einzelfällen nach Verabreichung der umstrittenen Medikamente eine Verbesserung ihres Befindens beschreiben und dass einzelne Ärzte oder Wissenschaftler mit plausiblen Gründen einen von der verbreiteten Auffassung abweichenden Standpunkt zu den Erfolgsaussichten einer Behandlung vertreten. Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe und im Hinblick auf die schon vorliegende Rechtsprechung des 1. Senats des BSG ist die Sachverhaltsermittlung des Berufungsgerichts ausreichend.

53

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs 1 iVm § 155 Abs 1 VwGO und berücksichtigt das teilweise Obsiegen und Unterliegen der Beteiligten. Die außergerichtlichen Kosten der zu 1. beigeladenen KÄV sind nach § 162 Abs 3 VwGO nicht erstattungsfähig, weil diese keine Anträge gestellt hat(vgl BSGE 96, 257 = SozR 4-1300 § 63 Nr 3, RdNr 16).

(1) Die Krankenkasse darf anstelle der Sach- oder Dienstleistung (§ 2 Abs. 2) Kosten nur erstatten, soweit es dieses oder das Neunte Buch vorsieht.

(2) Versicherte können anstelle der Sach- oder Dienstleistungen Kostenerstattung wählen. Hierüber haben sie ihre Krankenkasse vor Inanspruchnahme der Leistung in Kenntnis zu setzen. Der Leistungserbringer hat die Versicherten vor Inanspruchnahme der Leistung darüber zu informieren, dass Kosten, die nicht von der Krankenkasse übernommen werden, von dem Versicherten zu tragen sind. Eine Einschränkung der Wahl auf den Bereich der ärztlichen Versorgung, der zahnärztlichen Versorgung, den stationären Bereich oder auf veranlasste Leistungen ist möglich. Nicht im Vierten Kapitel genannte Leistungserbringer dürfen nur nach vorheriger Zustimmung der Krankenkasse in Anspruch genommen werden. Eine Zustimmung kann erteilt werden, wenn medizinische oder soziale Gründe eine Inanspruchnahme dieser Leistungserbringer rechtfertigen und eine zumindest gleichwertige Versorgung gewährleistet ist. Die Inanspruchnahme von Leistungserbringern nach § 95b Absatz 3 Satz 1 im Wege der Kostenerstattung ist ausgeschlossen. Anspruch auf Erstattung besteht höchstens in Höhe der Vergütung, die die Krankenkasse bei Erbringung als Sachleistung zu tragen hätte. Die Satzung hat das Verfahren der Kostenerstattung zu regeln. Sie kann dabei Abschläge vom Erstattungsbetrag für Verwaltungskosten in Höhe von höchstens 5 Prozent in Abzug bringen. Im Falle der Kostenerstattung nach § 129 Absatz 1 Satz 6 sind die der Krankenkasse entgangenen Rabatte nach § 130a Absatz 8 sowie die Mehrkosten im Vergleich zur Abgabe eines Arzneimittels nach § 129 Absatz 1 Satz 3 und 5 zu berücksichtigen; die Abschläge sollen pauschaliert werden. Die Versicherten sind an ihre Wahl der Kostenerstattung mindestens ein Kalendervierteljahr gebunden.

(3) Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Die Kosten für selbstbeschaffte Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nach dem Neunten Buch werden nach § 18 des Neunten Buches erstattet. Die Kosten für selbstbeschaffte Leistungen, die durch einen Psychotherapeuten erbracht werden, sind erstattungsfähig, sofern dieser die Voraussetzungen des § 95c erfüllt.

(3a) Die Krankenkasse hat über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des Medizinischen Dienstes, eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten. Der Medizinische Dienst nimmt innerhalb von drei Wochen gutachtlich Stellung. Wird ein im Bundesmantelvertrag für Zahnärzte vorgesehenes Gutachterverfahren gemäß § 87 Absatz 1c durchgeführt, hat die Krankenkasse ab Antragseingang innerhalb von sechs Wochen zu entscheiden; der Gutachter nimmt innerhalb von vier Wochen Stellung. Kann die Krankenkasse Fristen nach Satz 1 oder Satz 4 nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich oder elektronisch mit; für die elektronische Mitteilung gilt § 37 Absatz 2b des Zehnten Buches entsprechend. Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt. Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist die Krankenkasse zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet. Die Krankenkasse berichtet dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen jährlich über die Anzahl der Fälle, in denen Fristen nicht eingehalten oder Kostenerstattungen vorgenommen wurden. Für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation gelten die §§ 14 bis 24 des Neunten Buches zur Koordinierung der Leistungen und zur Erstattung selbst beschaffter Leistungen.

(4) Versicherte sind berechtigt, auch Leistungserbringer in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz anstelle der Sach- oder Dienstleistung im Wege der Kostenerstattung in Anspruch zu nehmen, es sei denn, Behandlungen für diesen Personenkreis im anderen Staat sind auf der Grundlage eines Pauschbetrages zu erstatten oder unterliegen auf Grund eines vereinbarten Erstattungsverzichts nicht der Erstattung. Es dürfen nur solche Leistungserbringer in Anspruch genommen werden, bei denen die Bedingungen des Zugangs und der Ausübung des Berufes Gegenstand einer Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft sind oder die im jeweiligen nationalen System der Krankenversicherung des Aufenthaltsstaates zur Versorgung der Versicherten berechtigt sind. Der Anspruch auf Erstattung besteht höchstens in Höhe der Vergütung, die die Krankenkasse bei Erbringung als Sachleistung im Inland zu tragen hätte. Die Satzung hat das Verfahren der Kostenerstattung zu regeln. Sie hat dabei ausreichende Abschläge vom Erstattungsbetrag für Verwaltungskosten in Höhe von höchstens 5 Prozent vorzusehen sowie vorgesehene Zuzahlungen in Abzug zu bringen. Ist eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit nur in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum möglich, kann die Krankenkasse die Kosten der erforderlichen Behandlung auch ganz übernehmen.

(5) Abweichend von Absatz 4 können in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz Krankenhausleistungen nach § 39 nur nach vorheriger Zustimmung durch die Krankenkassen in Anspruch genommen werden. Die Zustimmung darf nur versagt werden, wenn die gleiche oder eine für den Versicherten ebenso wirksame, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit rechtzeitig bei einem Vertragspartner der Krankenkasse im Inland erlangt werden kann.

(6) § 18 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 gilt in den Fällen der Absätze 4 und 5 entsprechend.

Tatbestand

1

Umstritten ist ein Arzneikostenregress wegen der Verordnung des Arzneimittels Polyglobin in den Quartalen II/1999 bis IV/1999.

2

Der in diesen Quartalen als Hausarzt an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Kläger verordnete insgesamt 17-mal "Polyglobin 5 %" für die 1932 geborene Versicherte H. Diese litt an einem metastasierenden Karzinom der Eileiter, das auch die Leber befallen hatte, und ist 2001 verstorben. Die Kosten je Verordnung beliefen sich auf 3209,02 DM. Auf Antrag der Rechtsvorgängerin der zu 2. beigeladenen Krankenkasse vom 1.12.2000 setzte der Prüfungsausschuss auf der Grundlage des § 14 der für den Bezirk der zu 1. beigeladenen Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) geltenden Prüfvereinbarung eine Schadensersatzpflicht des Klägers wegen der Verordnung von "Polyglobin" in Höhe von 51 553 DM fest. Dieser Betrag ergab sich auf der Grundlage der Bruttoverordnungskosten unter Abzug eines fünfprozentigen Apothekenrabatts und der von der Versicherten geleisteten Zuzahlungen. Der beklagte Beschwerdeausschuss wies den Widerspruch des Klägers mit der Begründung zurück, Polyglobin sei nicht im Rahmen der Zulassungsindikationen verordnet worden, und für eine Verordnung außerhalb der zugelassenen Indikationen - der Kläger hatte die Behandlung eines Antikörpermangels bei der Versicherten als Grund für die Verordnungen angeführt - habe keine rechtliche Grundlage bestanden.

3

Das SG hat den Bescheid des Beklagten aufgehoben, soweit die Verordnungen im Quartal II/1999 ausgestellt worden sind, weil die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2. die Antragsfrist versäumt habe. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen, weil für einen zulassungsüberschreitenden Einsatz von Polyglobin die rechtlichen Voraussetzungen, die inzwischen von der Rechtsprechung des BSG geklärt seien, nicht vorgelegen hätten.

4

Dieses Urteil haben der Kläger am 15.4.2005 mit der Berufung und die Beigeladene zu 2. am 28.11.2006 mit der Anschlussberufung angegriffen. Der Kläger hat geltend gemacht, die Verordnung von Polyglobin in den streitbefangenen Quartalen habe den Behandlungserfolg der Chemotherapie absichern sollen und sei damit zur erfolgreichen Behandlung des inoperablen metastasierenden Tubenkarzinoms notwendig gewesen. Nach der Entscheidung des BSG vom 5.7.1995 (Remedacen) habe er darauf vertrauen können, verschreibungspflichtige Medikamente auch außerhalb ihres Zulassungsbereichs verordnen zu dürfen. Der durch dieses höchstrichterliche Urteil ausgelöste Vertrauensschutz sei frühestens durch das Urteil des BSG vom 30.9.1999 (SKAT) eingeschränkt worden. Dieses Urteil habe er bei Ausstellung der hier betroffenen Verordnungen nicht kennen können; insoweit sei ihm zumindest Vertrauensschutz zuzubilligen. Im Übrigen seien die von ihm vorgenommenen Verordnungen auch nach den heute geltenden Maßstäben nicht zu beanstanden, weil die Voraussetzungen für einen indikationsüberschreitenden Einsatz von Polyglobin nach den im Beschluss des BVerfG vom 6.12.2005 formulierten Maßstäben erfüllt seien.

5

Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und auf die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. das Urteil des SG geändert und die Klage auch hinsichtlich der Verordnungen aus dem Quartal II/1999 abgewiesen. Die Anschlussberufung sei zulässig, obwohl diese sich nicht auf den Teil des Streitgegenstandes beziehe, der Gegenstand der Berufung des Klägers sei (Quartale III und IV/1999). Soweit das BSG die Auffassung vertrete, eine Anschlussberufung müsse sich innerhalb des Streitgegenstandes der Hauptberufung bewegen, sei dem nicht zu folgen. Dem Gegner des Berufungsführers müsse es möglich sein, durch Anschließung an die Berufung des Hauptberufungsführers eine Überprüfung des erstinstanzlichen Urteils zu erreichen, auch soweit ein Streitgegenstand betroffen sei, der von der Berufung des Klägers nicht erfasst werde.

6

Die Berufung der beigeladenen Krankenkasse sei aus denselben Gründen begründet wie diejenige des Klägers unbegründet. Der Beklagte sei berechtigt gewesen, auf der Grundlage des § 14 der für Berlin geltenden Prüfvereinbarung Arzneikostenregresse gegen den Kläger wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel festzusetzen. Das setze nach der gefestigten Rechtsprechung des BSG kein Verschulden des Vertragsarztes voraus. Auch ein Antrag der jeweils betroffenen Krankenkasse sei nicht erforderlich gewesen; soweit die Prüfvereinbarung etwas anderes vorschreibe, sei das nach der Rechtsprechung des BSG mit höherrangigem Recht nicht vereinbar und deshalb unwirksam. Aus diesem Grund habe das SG der Klage hinsichtlich des Quartals II/1999 zu Unrecht stattgegeben. Auf Vertrauensschutz könne der Kläger sich nicht berufen. Soweit der 8. Senat des BSG im Jahr 1999 ausgeführt habe, die Versicherten hätten im Anschluss an das Urteil des 1. Senats des BSG vom 15.7.1995 zumindest bis zur Veröffentlichung des Urteils aus dem Jahre 1999 darauf vertrauen dürfen, dass sie mit Arzneimitteln auch außerhalb des durch die Zulassung nach dem Arzneimittelgesetz (AMG) bestimmten Indikationsbereichs versorgt werden dürften, könne dem nicht gefolgt werden. Schließlich führe auch der Beschluss des BVerfG vom 6.12.2005 nicht zu einer anderen Beurteilung, weil die Wirksamkeit von Polyglobin zur Behandlung der nach Auffassung des Klägers bei der Patientin H. vorhandenen Antikörperstörung nicht belegt sei (Urteil vom 26.11.2008).

7

Mit seiner Revision rügt der Kläger in verfahrensrechtlicher Hinsicht die Entscheidung des Berufungsgerichts, die Anschlussrevision der Beigeladenen zu 2. als zulässig anzusehen. Diese Berufung sei nach Ablauf der auch für diese Beigeladene geltenden Berufungsfrist von einem Monat nach Zustellung des sozialgerichtlichen Urteils eingelegt worden. Als unselbstständige Anschlussberufung sei sie nicht zulässig, weil sie sich nicht auf den Gegenstand der von ihm - dem Kläger - eingelegten Hauptberufung beziehe. Nach der Rechtsprechung des BSG dürfe nach Ablauf der für die Beteiligten geltenden Berufungsfrist der Streitgegenstand des Berufungsverfahrens nicht mehr erweitert werden. Seine - des Klägers - Verordnungen in den drei streitbefangenen Quartalen bildeten jeweils unterschiedliche Streitgegenstände, was das SG im Ausgangspunkt zutreffend dadurch zum Ausdruck gebracht habe, dass es den Regressbescheid hinsichtlich des Quartals II/1999 aufgehoben und hinsichtlich der in den beiden folgenden Quartalen ausgestellten Verordnungen für rechtmäßig gehalten habe. Deshalb sei der angefochtene Regressbescheid hinsichtlich der Verordnungen aus dem Quartal II/1999 dem Berufungsgericht mit seiner - des Klägers - (Haupt)Berufung nicht angefallen und habe durch die zu 2. beigeladene Krankenkasse nach Ablauf der Berufungsfrist nicht mehr in das Berufungsverfahren einbezogen werden können.

8

Im Übrigen sei das Urteil des LSG fehlerhaft, soweit es die Regresse für rechtmäßig gehalten habe. Der vom Berufungsgericht herangezogene § 14 Abs 1 der Prüfvereinbarung sei schon generell keine tragfähige Grundlage für einen Regress wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel. Die Prüfvereinbarung regele lediglich Verstöße gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot sowie Regresse wegen schuldhafter Verursachung eines "sonstigen Schadens". Der in der Rechtsprechung des BSG zugelassene Regress wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Mittel hätte in der Prüfvereinbarung zwar geregelt werden können, sei dort tatsächlich aber nicht geregelt worden.

9

Weiterhin sei der angefochtene Bescheid fehlerhaft, weil im Prüfungsausschuss wie im Beschwerdeausschuss jeweils unter Vorsitz eines Vertreters der Krankenkassen entschieden worden sei. Die Krankenkassenvertreter hätten eine Vertagung der Entscheidung des Beklagten in einer Sitzung unter Vorsitz eines Vertreters der Ärzte herbeigeführt, um so zu erreichen, dass über die Widersprüche des Klägers gegen die Entscheidung des Prüfungsausschusses, die unter Vorsitz eines Vertreters der Krankenkassen getroffen worden sei, erneut unter Vorsitz eines Vertreters der Krankenkassen entschieden werde. Das sei unzulässig. Die Vorschriften über den wechselnden Vorsitz im Prüfungs- und Beschwerdeausschuss nach § 106 SGB V aF könnten nur so verstanden werden, dass jedenfalls über Entscheidungen des Prüfungsausschusses, bei denen ein Vertreter der Krankenkassen den Vorsitz gehabt habe, in der Besetzung des Beschwerdeausschusses mit einem Vorsitzenden aus den Reihen der Vertragsärzte entschieden werden müsse.

10

Die Verordnung von Polyglobin sei zur Behandlung der bei der Versicherten H. vorhandenen lebensbedrohlichen Karzinomerkrankung notwendig gewesen. Zwar sei der Einsatz von Polyglobin nicht unmittelbar zur Heilung der Tumorerkrankung bzw zur Linderung der damit verbundenen Beschwerden erfolgt, doch habe die Versicherte unter einer Antikörperstörung gelitten, die eine Chemotherapie unmöglich gemacht habe, die ihrerseits zur Behandlung des Tumorgrundleidens erforderlich gewesen sei. Der Einsatz von Polyglobin habe die Voraussetzungen für eine Fortsetzung der Chemotherapie schaffen sollen, und seine Rechtmäßigkeit müsse deshalb aus medizinischen Gründen nach denselben Maßstäben beurteilt werden wie die Verordnung von Arzneimitteln zur kausalen Krebstherapie. Jedenfalls habe er - der Kläger - darauf vertrauen dürfen, dass im Hinblick auf die Rechtsprechung des BSG auch der die Indikationsgrenzen überschreitende Einsatz generell zugelassener Arzneimittel (Off-Label-Use) im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung möglich gewesen sei. Das habe der 1. Senat des BSG im Juli 1995 zum Einsatz des Codeinpräparates Remedacen zur Drogensubstitution entschieden, und der 8. Senat des BSG, der mit dieser Rechtsprechung nicht einverstanden gewesen sei, habe im Jahr 1999 für die Zeit bis zur Verkündung seiner Entscheidung den Versicherten Vertrauensschutz zugebilligt. Auf diesen Vertrauensschutz könne er - der Kläger - sich hier auch berufen. Soweit der 6. Senat des BSG im Mai 2006 entschieden habe, Vertrauensschutzaspekte spielten insoweit keine Rolle, weil Vertragsärzte, die Arzneimittel außerhalb der Zulassungsindikationen einsetzen wollten, gehalten seien, ein Privatrezept auszustellen und die Versicherten bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche gegen die Krankenkasse zu unterstützen, sei das auf die hier maßgebliche Rechtslage des Jahres 1999 nicht übertragbar. Zu diesem Zeitpunkt sei nach § 29 Abs 1 Satz 2 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) die Genehmigung von Verordnungen durch eine Krankenkasse unzulässig gewesen. In Verbindung mit der Rechtsprechung des 1. Senats des BSG zu Remedacen habe sich daraus die Berechtigung von Vertragsärzten ergeben, den Off-Label-Use-Einsatz im regulären Verfahren durch Ausstellen von vertragsärztlichen Verordnungen zu praktizieren. Soweit das LSG bemängelt habe, das bei der Versicherten H. vorliegende Antikörpermangelsyndrom, das letztlich den Einsatz von Polyglobin erforderlich gemacht habe, sei nicht ausreichend belegt, könne dem nicht gefolgt werden. Entgegen der Auffassung des LSG seien laborchemische Untersuchungen zum Nachweis dieses Antikörpermangelsyndroms verzichtbar.

11

Der Kläger beantragt,

die Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 26.11.2008 und des Sozialgerichts Berlin vom 9.2.2005, soweit hier die Klage abgewiesen wurde, sowie den Bescheid des Beklagten vom 12.12.2001 aufzuheben,

hilfsweise, die Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 26.11.2008 und des Sozialgerichts Berlin vom 9.2.2005 sowie den Bescheid des Beklagten vom 12.12.2001 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, über den Widerspruch des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu entscheiden,

weiter hilfsweise, das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 26.11.2008 aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

12

Der Beklagte und die Beigeladene zu 2. beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

13

Zutreffend habe das Berufungsgericht entschieden, dass die Partner der Prüfvereinbarungen nicht einmal berechtigt gewesen wären, Arzneikostenregresse wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel vom Verschulden des Vertragsarztes abhängig zu machen. Entgegen der Auffassung des Klägers habe die maßgebliche Prüfvereinbarung aus dem Jahre 1994 nicht vorgeschrieben, dass eine unter dem Vorsitz eines Kassenvertreters getroffene Entscheidung vom Beschwerdeausschuss nur unter dem Vorsitz eines Vertreters der Ärzte überprüft werden dürfe. Eine solche Regelung wäre auch nicht praktikabel gewesen und hätte die Dauer der Prüfverfahren erheblich verlängert. Die Ausführungen des Klägers hinsichtlich seines Vertrauens auf bestimmte Entscheidungen des BSG seien irrelevant. Es sei lebensfremd, dass ein Vertragsarzt die einzelnen Entwicklungsschritte der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Kenntnis nehme und sein Verordnungsverhalten daran ausrichte. Eine Ausnahmelage im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG vom 6.12.2005 habe in den streitbefangenen Quartalen bei der Versicherten H. nicht bestanden.

14

Die zu 2. beigeladene Krankenkasse hält das Urteil des LSG ebenfalls für zutreffend. Zu Recht habe das LSG ihre Anschlussberufung als zulässig angesehen. Folge man der Auffassung des Klägers, gebe es für die Anschlussberufung im sozialgerichtlichen Verfahren überhaupt keinen Anwendungsbereich, weil die Hauptberufung regelmäßig nur insoweit erhoben werde, als der Rechtsmittelführer durch das sozialgerichtliche Urteil beschwert sei. Für eine Anschlussberufung sei dann kein Raum, weil im Rahmen der Beschwer des Klägers der Anschlussberufungsführer selbst mit dem angefochtenen Urteil einverstanden sei. Ein Grund für eine derart restriktive Handhabung entgegen der Rechtsprechung in den anderen Gerichtszweigen sei nicht erkennbar.

Entscheidungsgründe

15

Die Revision des Klägers hat teilweise Erfolg. Zu Recht rügt er, dass das Berufungsgericht über den angefochtenen Bescheid des Beklagten hinsichtlich der Verordnungen aus dem Quartal II/1999 in der Sache entschieden habe. Insoweit ist die zugunsten des Klägers ergangene Entscheidung des SG rechtskräftig geworden, weil die Beigeladene zu 2. innerhalb der Berufungsfrist keine Berufung eingelegt hat. Ihre Anschlussberufung war unzulässig (1). Keinen Erfolg hat die Revision dagegen hinsichtlich der Verordnungen in den Quartalen III und IV/1999. Insoweit hat das LSG die Berufung des Klägers gegen das sozialgerichtliche Urteil zu Recht zurückgewiesen. Der angefochtene Bescheid des Beklagten ist rechtmäßig (2).

16

1. Die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. vom 28.11.2006 war unzulässig. Das Berufungsgericht hätte auf diese Anschlussberufung hin nicht in eine Sachprüfung des angefochtenen Bescheides im Hinblick auf die Verordnungen des Klägers aus dem Quartal II/1999 eintreten dürfen. Insoweit war das der Klage stattgebende Urteil des SG nämlich bereits rechtskräftig geworden.

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a. Die Berufung der beigeladenen Krankenkasse hätte nur als Anschlussberufung iS des § 202 SGG iVm § 524 ZPO zulässig sein können. Eine eigenständige Berufung wäre wegen Versäumung der Berufungsfrist des § 151 Abs 1 SGG unzulässig. Das Urteil des SG ist der Beigeladenen zu 2. am 16.3.2005 zugestellt worden; die Monatsfrist des § 151 Abs 1 SGG ist durch die Einlegung der Berufung am 28.11.2006 nicht gewahrt worden.

18

Die Berufungsfrist des § 151 Abs 1 SGG gilt nicht für die Anschlussberufung, die nach der Rechtsprechung des BSG auch in der Sozialgerichtsbarkeit statthaft ist(BSGE 63, 167, 169 = SozR 1500 § 54 Nr 85; Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer (Hrsg), SGG 9. Aufl 2008, § 143 RdNr 5). Die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. war hier aber unzulässig, weil sie nicht den gleichen prozessualen Anspruch wie die Hauptberufung des Klägers betroffen, sondern einen neuen Streitgegenstand in das Berufungsverfahren eingeführt hat. Das ist nach der Rechtsprechung aller mit dieser Rechtsfrage bisher befassten Senate des BSG ausgeschlossen (zB Urteil des 9. Senats vom 8.7.1969 = SozR Nr 12 zu § 521 ZPO; 6. Senat vom 19.6.1996 - 6 RKa 24/95 - = USK 96131) Diese Entscheidungen sind zu Ansprüchen ergangen, die Gegenstand des Klageverfahrens, aber nicht der Hauptberufung waren. Das Urteil des 4. Senats vom 10.2.2005 - B 4 RA 48/04 R - betrifft einen mit der Anschlussberufung geltend gemachten Anspruch, der nicht einmal Gegenstand des Klageverfahrens gewesen ist. Die Rechtsauffassung des BSG zur Begrenzung der Anschlussberufung auf den Streitgegenstand der Hauptberufung wird in den Kommentaren zum SGG - soweit ersichtlich ohne Ausnahme - geteilt (Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 143 RdNr 5d; Eckertz in: Lüdtke, Handkommentar Sozialgerichtsgesetz, 3. Aufl 2009, § 143 RdNr 37; Behn in: Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, 87. Ergänzungslieferung, Stand: Mai 2009 - Gesamtwerk, § 143 RdNr 68 f; Frehse in: Jansen, SGG, 3. Aufl 2009, § 143 RdNr 7; Waschull in: Berchtold/Richter, Prozesse in Sozialsachen, 2009, § 6 RdNr 130). Nach Bernsdorff (in: Hennig, SGG, Stand Februar 2009 - Gesamtwerk - § 143 RdNr 27) liegt keine Anschlussberufung vor, wenn sich der Antrag des Berufungsbeklagten bei teilbarem Streitgegenstand gegen einen anderen als den mit der Berufung angegriffenen Teil des erstinstanzlichen Urteils richtet (ähnlich Breitkreuz in: Breitkreuz/Fichte, SGG, 2009, § 143 RdNr 24).

19

b. Bei Anwendung dieser Rechtsauffassung ist die Anschlussberufung unzulässig, wie das LSG zutreffend angenommen hat. Die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. betrifft einen anderen Streitgegenstand als die Hauptberufung, weil diese die Verordnungen des Klägers aus den Quartalen III/1999 und IV/1999, jene aber solche aus dem Quartal II/1999 erfasst. Vertragsärztliche Honorarbescheide sowie Bescheide der Gremien der Wirtschaftlichkeitsprüfung ergehen quartalsbezogen und enthalten, wenn Entscheidungen mehrere Quartale betreffen (vgl zB BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 30/08 R - RdNr 24 mwN, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen), verschiedene Regelungen iS des § 31 Satz 1 SGB X. Selbst innerhalb eines Bescheides für ein Quartal können zahlreiche eigenständige "Regelungen" ergehen, die selbstständig anfechtbar sind. Das hat der Senat in einem Urteil vom 23.2.2005 (SozR 4-1500 § 92 Nr 2) für einen Honorarbescheid näher dargelegt; in dem schon zitierten Urteil vom 19.6.1996 (6 RKa 24/95) hat der Senat das in Bezug auf einen Bescheid zur Wirtschaftlichkeitsprüfung hinsichtlich von Kürzungen für bestimmte Leistungen bzw Leistungssparten als selbstverständlich vorausgesetzt und im Urteil vom 16.7.2008 ausdrücklich ausgesprochen (BSGE 101, 130 = SozR 4-2500 § 106 Nr 19, RdNr 25 am Ende).

20

Diese Rechtsprechung kann allerdings nicht ohne Weiteres auf Kostenregresse wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel übertragen werden. Derartige Regressbescheide können quartalsbezogen ergehen, etwa wenn ein Arzt über einen längeren Zeitraum hinweg bestimmte Medikamente für zahlreiche Patienten verordnet. Zwingend ist die Bindung eines Kostenregresses ebenso wie eines Regresses wegen eines sog "sonstigen Schadens" an den Quartalsturnus indessen nicht und bietet sich gerade in Konstellationen nicht an, in denen es um die Behandlung eines Versicherten mit einem umstrittenen Medikament über mehrere Quartale geht. Ein solcher Fall ist hier zu beurteilen, und sowohl der Regressantrag der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2. wie die Entscheidungen des Prüfungsausschusses und des Beklagten haben nicht nach den drei betroffenen Quartalen differenziert und mussten das auch nicht.

21

Ursprünglich bildete deshalb der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Aufhebung der - Verordnungen aus drei Quartalen erfassenden - Entscheidung des Beklagten vom 12.12.2001 den Streitgegenstand des gerichtlichen Verfahrens. Das SG hat diesen einheitlichen Streitgegenstand jedoch getrennt und die Regressfestsetzung je nach Zuordnung der beanstandeten Verordnungen des Klägers zu den Quartalen II/1999 einerseits sowie III und IV 1999 andererseits unterschiedlich beurteilt. Anlass dazu hat dem SG die (mittelbar) quartalsbezogene Regelung über die Antragsfrist der Krankenkasse in § 14 Abs 2 der maßgeblichen Prüfvereinbarung gegeben. Weil offenbar die Krankenkassen die Verordnungen aus jedem Quartal zusammengefasst zu einem bestimmten Termin erhalten, der wiederum für den Beginn der Antragsfrist nach § 14 Abs 2 von Bedeutung ist, konnte nach Ansicht des SG die Prüfung der Einhaltung dieser Frist nur differenziert für jedes Quartal erfolgen. Das Urteil des SG hat inzident die angefochtene Entscheidung des Beklagten in zumindest zwei Regelungen iS des § 31 Satz 1 SGB X aufgespalten, nämlich hinsichtlich der aus dem Quartal II/1999 und hinsichtlich der aus den Quartalen III/1999 sowie IV/1999 stammenden Verordnungen des Klägers. Bundesrecht ist dadurch nicht verletzt, und das SG hat durch den Tenor seines Urteils die Beteiligten über das gerichtliche Vorgehen hinreichend deutlich informiert.

22

Damit bestand bei Zustellung des SG-Urteils eine Rechtslage, wie sie derjenigen bei Honorarfestsetzungen oder Kürzungs- bzw Regressbescheiden entspricht, die von vornherein mehrere Quartale erfassen. Für jedes dieser Quartale ist (mindestens) eine Regelung angefochten, deren prozessuales Schicksal von demjenigen für die anderen Quartale abweichen kann; die Regelung für jedes Quartal bildet einen eigenständigen Streitgegenstand. Als Folge der Hauptberufung des Klägers war der angefochtene Bescheid des Beklagten Gegenstand des Berufungsverfahrens nur hinsichtlich der aus den Quartalen III/1999 und IV/1999 stammenden Verordnungen; das ist dem Antrag des Klägers im LSG-Verfahren deutlich zu entnehmen. Die Anschlussberufung der Beigeladenen zu 2. hat mit der Entscheidung des Beklagten über die aus dem Quartal II/1999 stammenden Verordnungen einen neuen Streitgegenstand in das Berufungsverfahren eingeführt. Das ist nach der bisherigen Rechtsprechung des BSG nicht zulässig. Ein Anlass, von dieser Rechtsprechung abzuweichen, ist nicht ersichtlich.

23

c. Kein durchgreifendes Bedenken ergibt sich aus dem Hinweis der Beigeladenen zu 2., auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des BSG bleibe für die Anschlussberufung nur ein sehr begrenzter Anwendungsbereich. Wenn die Anschlussberufung nur innerhalb des prozessualen Anspruchs erhoben werden kann, der Gegenstand der Hauptberufung ist, kommt im vertragsärztlichen Bereich bei Honorarkürzungen bzw Arzneikostenregressen eine Anschlussberufung typischerweise nur dann in Betracht, wenn das SG auf die Klage die zuständige Behörde zur Neubescheidung nach bestimmten Maßgaben verurteilt und der Kläger mit seiner Berufung die endgültige Aufhebung der ihn belastenden Bescheide begehrt. Dieser Berufung können sich dann die KÄV, der Beschwerdeausschuss oder die beigeladenen Krankenkassen (bzw Krankenkassenverbände) mit dem Antrag anschließen, die Klage in vollem Umfang abzuweisen, auch nachdem die für sie laufende Berufungsfrist abgelaufen ist. Alle übrigen Regelungen der ursprünglich angefochtenen Entscheidung, über die das SG entschieden hat, ohne dass ein Beteiligter das mit der Berufung angefochten hat, die also etwa andere Leistungspositionen oder andere Quartale betreffen, werden dagegen bestandskräftig. Das ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts im vertragsärztlichen Bereich richtig und praktikabel.

24

Auf der Grundlage der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts bliebe dagegen möglicherweise während der gesamten Dauer eines Berufungsverfahrens offen, ob Regelungen in Kürzungs- oder Regressbescheiden, die nicht Gegenstand der Hauptberufung sind, bestandskräftig werden oder nicht. Soweit etwa in einer Entscheidung des Beschwerdeausschusses Honorarkürzungen oder Arzneikostenregresse für eine größere Zahl von Quartalen auf der Grundlage einer Vielzahl von Entscheidungen des Prüfungsausschusses (oder der Prüfungsstelle iS des § 106 Abs 4 Satz 1 SGB V idF des GKV-WSG vom 26.3.2007) zusammengefasst worden sind, bleibt deren Bestandskraft über Jahre hinweg offen, auch wenn nur eine Detailregelung hinsichtlich eines einzelnen Quartals Gegenstand des Berufungsverfahrens ist. Das ist sowohl für den beteiligten Vertragsarzt wie für die KÄV und die Krankenkassen als Kostenträger schwierig zu handhaben, weil ggf Rückstellungen gebildet werden müssten und Beträge nicht verbucht werden könnten.

25

Ein tatsächliches Bedürfnis, diese Rechtsfolgen in Kauf zu nehmen, um den Beteiligten bis zum Abschluss der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz die Möglichkeit der Anschlussberufung auch außerhalb des prozessualen Anspruchs, der Gegenstand der Hauptberufung ist, offen zu halten, vermag der Senat nicht zu erkennen. Ob Honorarkürzungs- oder Regressbescheide, die verschiedene Regelungen iS des § 31 Satz 1 SGB X zum Inhalt haben und häufig mehrere Quartale betreffen, einzeln angegriffen oder durch die Widerspruchsstelle zusammengefasst bzw im gerichtlichen Verfahren auf der Grundlage des § 113 Abs 1 SGG verbunden werden, ist eine Frage der Praktikabilität. Jeder Verfahrensbeteiligte hat nach Bekanntgabe des das Verwaltungsverfahren abschließenden Bescheides oder des erstinstanzlichen Urteils eine Frist von einem Monat, innerhalb der er prüfen und entscheiden kann, ob und ggf inwieweit er die Entscheidung der Behörde bzw des erstinstanzlichen Gerichts hinnehmen will oder nicht. Ein berechtigtes Interesse, Monate oder sogar Jahre nach Einlegung der Berufung des Gegners noch Regelungen der gerichtlichen Überprüfung des LSG zuführen zu können, zu denen die Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts zunächst hingenommen worden ist, besteht nicht.

26

d. Zudem kann die prozessuale Sicht des Berufungsgerichts die Entscheidungsreife der Berufung in Frage stellen, jedenfalls soweit keine Frist für die Anschlussberufung normiert ist. Während nach § 127 Abs 2 Satz 2 VwGO die Anschließung nur bis zum Ablauf eines Monats nach Zustellung der Berufungsbegründungsschrift zugelassen wird, besteht keine ebensolche Bestimmung im SGG. Die VwGO-Vorschrift soll nach vorherrschender Auffassung auf das sozialgerichtliche Verfahren nicht übertragen werden können, weil dafür eine rechtliche Grundlage fehlt. Vergleichbares wird hinsichtlich der ähnlichen Frist des § 524 Abs 2 Satz 2 ZPO angenommen, die immerhin über § 202 SGG grundsätzlich im sozialgerichtlichen Verfahren angewandt werden könnte(vgl Leitherer, aaO, § 143 RdNr 5 f). Nach dieser Vorschrift ist die Anschlussberufung zulässig bis zum Ablauf der dem Berufungsbeklagten gesetzten Frist zur Berufungserwiderung. Eine dem § 521 Abs 1 ZPO entsprechende Vorschrift über die Zustellung der Berufungsschrift und der Berufungsbegründungsschrift an den Gegner kennt das SGG nicht. Die entsprechende Anwendung des § 524 Abs 2 Satz 2 ZPO über § 202 SGG setzt aber die Zustellung mindestens der Berufungsbegründung an den Gegner voraus, damit Klarheit über den Beginn der Frist für die Einlegung der Anschlussberufung besteht. Die Anwendung von Ausschlussfristen im sozialgerichtlichen Verfahren ohne explizite normative Grundlage ist unter dem Gesichtspunkt der Garantie des effektiven Rechtsschutzes (Art 19 Abs 4 Satz 1, Art 103 Abs 1 GG) problematisch, sodass ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung, die auch in der Anordnung einer entsprechenden Geltung des § 127 Abs 2 Satz 2 VwGO im SGG bestehen könnte, die Ausschlussfrist für die Anschlussberufung wohl nicht entsprechend angewandt werden kann. Das dürfte auch deshalb anzunehmen sein, weil im Berufungsverfahren der Sozialgerichtsbarkeit im Unterschied zu demjenigen in der Verwaltungs- und in der Zivilgerichtsbarkeit kein Vertretungszwang herrscht, und die Vorschriften über die Zustellung von Berufungs- und Berufungsbegründungsschriften sowie daran anknüpfende Fristen auf einen durch professionelle Bevollmächtigte geführten Prozess zugeschnitten sind.

27

Würde - was das LSG nicht erwogen hat - auf der Grundlage einer analogen Anwendung des § 127 Abs 2 Satz 2 VwGO im sozialgerichtlichen Verfahren auf den Nachweis der Zustellung der Berufungsbegründungsschrift verzichtet und der Nachweis ihrer tatsächlichen Kenntnis für ausreichend gehalten, wäre die Anschlussberufung der zu 2. beigeladenen Krankenkasse hier ebenfalls unzulässig. Diese hat, wie sich aus ihrer Reaktion im Berufungsverfahren vom 4.4.2006 ergibt, Monate vor Einlegung der Anschlussberufung am 28.11.2006 Kenntnis von der Berufungsbegründung des Klägers gehabt. Die entsprechende Anwendung der Monatsfrist des § 127 Abs 2 Satz 2 VwGO würde dann ebenfalls zur Unzulässigkeit ihrer Berufung führen. Demgegenüber hätte die vom Berufungsgericht offenbar befürwortete unbefristete Zulassung der Anschlussberufung bis zur mündlichen Verhandlung zur Folge, dass das LSG trotz Entscheidungsreife der Hauptberufung den Rechtsstreit vertagen müsste, wenn zum Gegenstand der Anschlussberufung noch Sachaufklärungsbedarf besteht. Das könnte zu Verzögerungen der Entscheidung führen, die auch im Hinblick auf das Gebot der Gewährung von Rechtsschutz in angemessener Zeit (Art 6 Europäische Menschenrechtskonvention) möglichst zu vermeiden sind.

28

Diese Erwägungen geben dem Senat Anlass, trotz der gewichtigen Einwände des Berufungsgerichts an der bisherigen Rechtsprechung des BSG zur Anschlussberufung festzuhalten und von einer andernfalls gebotenen Anrufung des Großen Senats nach § 41 Abs 2 SGG im Hinblick auf die Rechtsprechung anderer Senate zum Gegenstand der Anschlussberufung im sozialgerichtlichen Verfahren abzusehen.

29

2. Im Übrigen erweist sich die Revision des Klägers aber als unbegründet.

30

a. Das Berufungsgericht hat angenommen, § 14 Abs 1 iVm Abs 3 der seit dem Jahre 1994 geltenden und für die Verordnungen des Klägers im Jahre 1999 noch anwendbaren Prüfvereinbarung für den Bezirk der zu 1. beigeladenen KÄV Berlin gestatte die Festsetzung von Arzneikostenregressen, soweit der Vertragsarzt Arzneimittel verordnet hat, die in der vertragsärztlichen Versorgung nicht verordnungsfähig sind. Die Kenntnis des Vertragsarztes von der fehlenden Verordnungsfähigkeit oder generell ein Verschulden des Arztes sei insoweit nicht Voraussetzung für die Festsetzung eines Regresses. Soweit der Kläger § 14 der Prüfvereinbarung anders versteht und annimmt, diese Norm erfasse nur Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung bzw die Festsetzung eines verschuldensabhängigen "sonstigen Schadens" und nicht die Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel, ist dem im Revisionsverfahren nicht weiter nachzugehen. Die Prüfvereinbarung stellt Landesrecht iS des § 162 SGG dar, das das Revisionsgericht in der Auslegung des Berufungsgerichts seiner Entscheidung zugrunde zu legen hat. Von diesem Grundsatz sind in der Rechtsprechung des BSG zwei Ausnahmen anerkannt. Danach können landesrechtliche Normen vom Revisionsgericht eigenständig ausgelegt und angewandt werden, wenn es sich um Normen handelt, die inhaltsgleich in Bezirken verschiedener LSG gelten, soweit die Übereinstimmung im Interesse der Rechtsvereinheitlichung bewusst und gewollt ist (BSG vom 8.9.2009 - B 1 KR 8/09 R - RdNr 26, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt. Es ist weder geltend gemacht noch gerichtsbekannt, dass die Berliner Prüfvereinbarung aus dem Jahr 1994 inhaltsgleich in anderen KÄV-Bezirken gilt.

31

Landesrechtliche Normen sind weiterhin einer eigenständigen Auslegung und Anwendung des BSG zugänglich, wenn das LSG entscheidungserhebliche Vorschriften unberücksichtigt gelassen hat (BSGE 98, 89 = SozR 4-2500 § 85 Nr 31, jeweils RdNr 15). Hier hat jedoch das LSG die als Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides ersichtlich einschlägige Vorschrift des § 14 der Prüfvereinbarung zutreffend herangezogen und unter Anwendung der allgemein anerkannten juristischen Auslegungskriterien ausgelegt. Der Kläger rügt auch keinen Verstoß gegen diese Auslegungsgrundsätze oder die Denkgesetze, sondern setzt der Auslegung des Berufungsgerichts seine abweichende Auslegung entgegen. Das führt nicht dazu, dass entgegen der Vorgabe des § 162 SGG das Revisionsgericht zu einer eigenständigen Auslegung berufen wäre.

32

Soweit § 14 der Prüfvereinbarung in der Auslegung des LSG eine hinreichende Grundlage für die Festsetzung von Arzneikostenregressen wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel darstellt, steht die Vorschrift mit Bundesrecht in Einklang. Der Senat hat mehrfach entschieden, dass auf der Grundlage des § 106 Abs 2 SGB V in den Prüfvereinbarungen Rechtsgrundlagen für Arzneikostenregresse festgeschrieben werden dürfen, soweit Vertragsärzte Arznei- und Heilmittel verordnet haben, die nicht Gegenstand der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung sind(zB BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 52; vgl zuletzt BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 37/08 R - RdNr 17 ff mwN, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Das stellt der Kläger selbst nicht in Abrede.

33

b. Soweit der Kläger in formeller Hinsicht weiter rügt, der angefochtene Bescheid des Beklagten sei fehlerhaft, weil er in einer Sitzung gefasst worden sei, in der ein Vertreter der Krankenkassen den Vorsitz innegehabt habe, kann dem nicht gefolgt werden. Weder die Prüfvereinbarung im Bezirk der zu 1. beigeladenen KÄV noch Bundesrecht haben vorgeschrieben, dass in den Jahren, in denen Prüfungs- und Beschwerdeausschüsse alternierend von einem Vertreter der Krankenkassen und der Vertragsärzte geleitet worden sind, Entscheidungen des Prüfungsausschusses, die unter ärztlichem Vorsitz getroffen worden sind, vom Beschwerdeausschuss nur unter Vorsitz eines Vertreters der Krankenkassen und umgekehrt überprüft werden dürfen.

34

Nach § 106 Abs 4 Satz 3 SGB V idF des Gesundheitsstrukturgesetzes vom 21.12.1992 führte in den von Vertretern der Ärzte und der Krankenkassen in gleicher Zahl besetzten Prüfungs- und Beschwerdeausschüssen jährlich wechselnd ein Vertreter der Ärzte und der Krankenkassen den Vorsitz. Die Stimme des Vorsitzenden gab bei Stimmengleichheit den Ausschlag (aaO, Satz 4). Diese als defizitär bewertete Regelung war manipulationsanfällig (vgl näher BSGE 92, 283 = SozR 4-2500 § 106 Nr 5 auch zur Neuregelung im Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung)und ist deshalb zum 1.1.2004 ohne Übergangsregelung in der Weise geändert worden, dass die Gremien nunmehr von einem neutralen Vorsitzenden geleitet werden. Für die Zeit bis zum 31.12.2003 galten aber die früheren Regelungen über den im Jahresturnus wechselnden Vorsitz fort, und diesen lag die Auffassung der Revision von einem notwendigen Wechsel im Vorsitz zwischen den beiden Verwaltungsinstanzen nicht zugrunde.

35

Der Kläger verweist selbst auf früher geltende Prüfvereinbarungen im Bezirk der KÄV Bayerns und der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Berlin, in denen bestimmt war, den Vorsitz im Beschwerdeausschuss führe ein Vertreter der Ärzte (Zahnärzte), wenn in dem zu entscheidenden Fall ein Vertreter der Krankenkassen den Vorsitz im Prüfungsausschuss inne hatte und umgekehrt. Dass eine solche Regelung im Bezirk der Beigeladenen zu 1. gegolten habe, macht der Kläger nicht geltend. Seine Auffassung, auch ohne ausdrückliche Regelung in der maßgeblichen Prüfvereinbarung ergebe sich dieser Grundsatz unmittelbar als Folge des § 106 Abs 4 Satz 3 SGB V aF über den turnusmäßigen Wechsel im Vorsitz von Prüfungs- und Beschwerdeausschuss, trifft nicht zu. Die Annahme einer solchen bundesrechtlichen Vorgabe hätte das Prüfverfahren verkompliziert und wäre ohne nähere Regelungen in den Prüfvereinbarungen kaum umsetzbar gewesen. Die Beschwerdeausschüsse hätten Beschlüsse über Entscheidungen der Prüfungsausschüsse möglicherweise zurückstellen müssen, weil im jeweiligen Jahr die "richtige" Besetzung nicht verfügbar gewesen wäre; alternativ hätte immer ein Vorsitzender der "Bank", die im jeweiligen Jahr im Beschwerdeausschuss nicht den Vorsitzenden stellt, zur Verfügung stehen müssen, um über Entscheidungen des Prüfungsausschusses zu beraten, die unter anderem Vorsitz getroffen worden sind. Ob die damit verbundenen formellen Erschwerungen des Prüfungsverfahrens bundesrechtlich unbedenklich gewesen wären, bleibt offen (zu den Grenzen des Gestaltungsspielraums der Gesamtvertragspartner bei Ausgestaltung der Prüfvereinbarung vgl BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 53 S 290 f). Eine Verpflichtung der Prüfgremien, ohne explizite Regelung in der Prüfvereinbarung so zu verfahren, hat jedenfalls nicht bestanden.

36

c. Soweit der Kläger geltend macht, die Entscheidung durch den Beklagten am 12.12.2001 sei nur deshalb unter dem Vorsitz eines Krankenkassenvertreters gefallen, weil die Kassenvertreter die ursprünglich vorgesehene Sitzung am 24.9.2001 boykottiert hätten, führt das zu keiner anderen Beurteilung. Da ein Arzt keinen Anspruch darauf hat, dass über seine Angelegenheit immer unter dem Vorsitz eines Arztes im Beschwerdeausschuss entschieden wird, wenn der Prüfungsausschuss unter dem Vorsitz eines Krankenkassenvertreters entschieden hat, stellt die Vertagung einer Sitzung auch dann grundsätzlich keinen Rechtsverstoß dar, wenn diese zur Folge haben sollte, dass der Vorsitz in der tatsächlich entscheidenden Sitzung wechselt. Im Übrigen hat das Berufungsgericht nicht iS des § 163 SGG festgestellt, dass die Vertagung der Entscheidung vom 24.9.2001 allein darauf beruht hat, dass die Krankenkassenvertreter erreichen wollten, dass über die Angelegenheit des Klägers in der Besetzung des Beschwerdeausschusses mit einem Vorsitzenden aus ihren Reihen entschieden wird. Schließlich ist im Hinblick auf die Rügen des Klägers zur Zusammensetzung des Beklagten bei der Beschlussfassung darauf hinzuweisen, dass die Krankenkassen nach der Rechtsprechung des Senats gegen Entscheidungen der Prüfgremien, mit denen ua Anträge auf Festsetzung von Honorarkürzungen oder Arzneikostenregressen abgelehnt werden, Rechtsmittel ergreifen können (zB BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 1 und BSG MedR 2004, 577, jeweils zu unzureichenden Kürzungen vertragszahnärztlichen Honorars; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 24 zum Sprechstundenbedarfsregress). Da vorliegend Ermessens- und Beurteilungsspielräume allenfalls am Rande in Rede stehen, spricht wenig dafür, dass die zu 2. beigeladene Krankenkasse eine - unterstellt für den Kläger positive - Entscheidung des Beklagten unter anderem Vorsitz auf sich hätte beruhen lassen.

37

d. Der Kläger durfte über "Polyglobin 5 %" in den streitbefangenen Quartalen keine vertragsärztliche Verordnung ausstellen. Er hat dieses Arzneimittel außerhalb der arzneimittelrechtlichen Zulassung verordnet.

38

Die Zulassung von Polyglobin war nach den Feststellungen des LSG auf die Behandlung der idiopathischen thrombozytopenischen Purpura (Hautblutungen) beschränkt, und an dieser Erkrankung hat die Versicherte H. nicht gelitten. Ein Arzneimittel darf grundsätzlich nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung für einen Einsatz außerhalb der arzneimittelrechtlich zugelassenen Indikation verordnet werden. Das hat der 1. Senat des BSG mit Urteil vom 19.3.2002 (BSGE 89, 184 = SozR 3-2500 § 31 Nr 8) unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung entschieden und daran bis heute festgehalten (zB BSGE 93, 236 = SozR 4-2500 § 27 Nr 1). Der 6. Senat des BSG ist dem für die Festsetzung von Arzneikostenregressen gefolgt (vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 RdNr 19; vgl auch BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 37/08 R - RdNr 26, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).

39

Der Kläger kann sich zur Rechtfertigung seiner Verordnungen von Polyglobin weder auf Vertrauensschutz noch auf einen der Annahmetatbestände stützen, unter denen Arzneimittel vertragsärztlich auch außerhalb der zugelassenen Indikation verordnet werden dürfen. Der Kläger ist der Auffassung, Vertragsärzte hätten in der Zeit zwischen dem Urteil des 1. Senats vom 5.7.1995 zur Drogensubstitution mit dem Codein-Präparat Remedacen (BSGE 76, 194 = SozR 3-2500 § 27 Nr 5) und dem Bekanntwerden des Urteils des 8. Senats vom 30.9.1999 zur SKAT-Therapie (BSGE 85, 36 = SozR 3-2500 § 27 Nr 11) generell darauf vertrauen dürfen, Arzneimittel im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung auch außerhalb der Zulassungsindikationen nach dem Arzneimittelrecht verordnen zu dürfen. Dem folgt der Senat in Übereinstimmung mit dem Berufungsgericht nicht.

40

Es ist bereits fraglich, ob ein Vertragsarzt im Hinblick auf das zu der sehr speziellen Situation der Drogensubstitution ergangene Urteil des 1. Senats vom 5.7.1995 generell darauf vertrauen durfte, Arzneimittel auch außerhalb ihrer Zulassungsindikation verordnen zu dürfen. Allenfalls kommt ein Vertrauen darauf in Betracht, dass die Bindung der vertragsärztlichen Verordnung an die Zulassung des jeweiligen Fertigarzneimittels nach dem AMG in dem Sinne gelockert ist, dass in bestimmten Konstellationen eine die arzneimittelrechtliche Zulassung überschreitende Verordnung, die medizinisch sinnvoll oder sogar geboten ist, auch krankenversicherungsrechtlich zulässig sein kann. In diesem Sinne ist das Urteil des 8. Senats vom 30.9.1999 richtigerweise zu verstehen. Weitergehende Schlussfolgerungen aus diesem Urteil im Sinne eines uneingeschränkt erlaubten indikationsfremden Einsatzes von Fertigarzneimitteln liegen eher fern, zumal ein beliebiger, allein nach Gutdünken jedes einzelnen Arztes erfolgender, Einsatz eines Medikaments außerhalb der Zulassung nicht ernsthaft für sachgerecht gehalten werden kann .

41

e. Im Übrigen sind schon kurz nach Veröffentlichung des Urteils des 1. Senats vom 5.7.1995 zur Drogensubstitution in der Rechtsprechung des BSG Zweifel an der allgemeinen Aussagekraft dieses Urteils über den entschiedenen Fall hinaus artikuliert worden. Schon drei Monate nach dem Urteil des 1. Senats hat der allein für das Vertragsarztrecht zuständige erkennende Senat Bedenken gegen die Zulässigkeit des Einsatzes von Remedacen zur Drogensubstitution geäußert und auf die Problematik der Beachtung der Richtlinien des (früheren) Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen im Zusammenhang mit sog Außenseitermethoden hingewiesen (Urteil vom 18.10.1995, SozR 3-5550 § 17 Nr 2 S 5). In der Sache sind sodann die Grundsätze des Urteils vom 5.7.1995 durch die neuere Rechtsprechung des 6. und des 1. Senats zur Rechtsqualität der Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen, zur Methodenanerkennung nach § 135 Abs 1 SGB V und zum Zusammenhang zwischen dieser Anerkennung und den Prinzipien der Arzneimitteltherapie deutlich modifiziert worden(Urteil des 6. Senats vom 20.3.1996, BSGE 78, 70 = SozR 3-2500 § 92 Nr 6 "Methadon"; Urteile des 1. Senats vom 16.9.1997, BSGE 81, 54 = SozR 3-2500 § 135 Nr 4, BSGE 81, 73 = SozR 3-2500 § 92 Nr 7). Spätestens nach Bekanntwerden dieser Urteile war deutlich, dass die ältere Rechtsprechung des BSG zu den (untergesetzlichen) Vorgaben des Leistungs- und Leistungserbringungsrechts in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht mehr uneingeschränkt fortgeführt werden würde. Kein Vertragsarzt musste die aufgezeigten Wendungen der Rechtsprechung kennen oder nachvollziehen. Wer aber - wie der Kläger - geltend macht, Verordnungen aus dem Jahre 1999 im Vertrauen auf eine zu einer Sonderkonstellation ergangene und vereinzelt gebliebene Rechtsprechung des BSG aus dem Jahre 1995 getätigt zu haben, muss sich entgegenhalten lassen, dass sich die Rechtsprechung weiterentwickelt hat. Jedenfalls im Jahr 1999 hat es für einen Vertragsarzt erkennbar keine hinreichende Sicherheit mehr gegeben, nach eigener Einschätzung Off-Label-Use-Verordnungen ausstellen zu dürfen, ohne Gefahr zu laufen, insoweit in Regress genommen zu werden.

42

f. Zudem sind sowohl das Urteil des 1. Senats vom 5.7.1995, auf das sich der Kläger beruft, wie auch die folgenden Entscheidungen des 1. und des 8. Senats des BSG zu den Rechtsansprüchen von Versicherten gegen ihre Krankenkasse ergangen. Aus diesen Urteilen ergibt sich nicht unmittelbar, wie sich ein Vertragsarzt zu Arzneimittelverordnungen verhalten sollte, die erkennbar außerhalb der Zulassungsindikation des jeweiligen Arzneimittels erfolgten, von denen er aber annahm, sie könnten vom Patienten beansprucht werden. Dazu ist dem Urteil des erkennenden Senats vom 18.10.1995 (6 RKa 3/93) zur Drogensubstitution zu entnehmen, dass in solchen Fällen jedenfalls eine exakte Dokumentation und eine engmaschige Verlaufskontrolle der Behandlung geboten waren (SozR 3-5550 § 17 Nr 2 S 8; vgl auch BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 37/08 R - RdNr 39, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Damit ist es zB nicht vereinbar, auf laborchemische Untersuchungen zum Nachweis eines - vermeintlichen oder tatsächlich bestehenden - "Antikörpermangelsyndroms" zu verzichten, wenn die umstrittene Off-Label-Verordnung von Immunglobulinen gerade auf diese Diagnose reagiert.

43

Ein Vertragsarzt, der Medikamente außerhalb ihrer zugelassenen Indikationen verordnet, kann weder sich noch der Krankenkasse Gewissheit darüber verschaffen, dass die Verordnung den Vorgaben des Wirtschaftlichkeitsgebotes genügt, also notwendig, zweckmäßig und wirtschaftlich ist. Bei Off-Label-Verordnungen hat nämlich gerade keine Prüfung von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des jeweiligen Arzneimittels stattgefunden, die seinen Einsatz (auch) im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung rechtfertigt. Eine solche Prüfung ist im AMG nur indikationsbezogen vorgeschrieben und durchführbar; die von der Zulassung nach dem AMG ausgehende Schutzwirkung und Qualitäts- wie Wirksamkeitserwartung greift bei einem Einsatz des Medikaments außerhalb der Zulassung gerade nicht ein (vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 RdNr 19; s auch BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 37/08 - RdNr 27 ff, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Soweit danach ein Vertragsarzt Verordnungen ohne gesicherten Nachweis von Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels ausstellt, muss zwingend nachträglich geprüft werden dürfen, ob die jeweilige Verordnung den Regeln des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung entspricht. Wenn der Vertragsarzt davon absieht, in Fällen eines Off-Label-Use die Krankenkasse vor Ausstellung der Verordnung einzuschalten, wie es der Senat in einem Beschluss vom 31.5.2006 dargestellt hat (B 6 KA 53/05 B, MedR 2007, 557, 560), muss er hinnehmen, dass die Einhaltung der Vorgaben der vertragsärztlichen Versorgung im Nachhinein geprüft wird.

44

Der Beklagte hält dem Kläger - anders als dieser nahe legen will - keine schuldhafte Verletzung vertragsärztlicher Pflichten vor, die nunmehr sanktioniert wird. Der Beklagte hat lediglich die Position der zu 2. beigeladenen Krankenkasse bestätigt, dass sie objektiv zu Unrecht erhebliche Kosten für die Versorgung ihrer Versicherten H. mit einem Immunglobulin aufgewandt hat. Weil der Kläger der Beigeladenen zu 2. keine Gelegenheit gegeben hat, ihre Auffassung zur Rechtmäßigkeit des Einsatzes von Immunglobulinen bei der Versicherten H. vor Einlösung der Verordnungen darzulegen, muss es der Krankenkasse möglich sein, ihren Standpunkt nachträglich durchzusetzen, soweit er rechtlicher Prüfung standhält. Dazu sieht die Prüfvereinbarung im Einklang mit Bundesrecht das Verfahren der Regressfestsetzung vor. Soweit der Kläger geltend macht, nach dem im Jahr 1999 geltenden Recht habe er zu Gunsten der H. kein Privatrezept ausstellen dürfen, weil das gegen § 29 Abs 1 Satz 2 BMV-Ä verstoßen hätte, folgt der Senat dem nicht. Der Beschluss des Senats vom 31.5.2006 (MedR 2007, 557), der diesen Weg aufgezeigt hat, ist zu Off-Label-Use-Verordnungen aus dem Jahr 1997 ergangen. Auch 1997 und 1999 galt das Verbot, sich als Vertragsarzt vertragsärztliche Verordnungen einzeln genehmigen zu lassen; dieses Verbot hat sich - wie der Senat dargelegt hat - immer nur auf Verordnungen im Rahmen der Leistungspflicht der Krankenkassen bezogen. Wie die Rechtslage zu beurteilen wäre, wenn der Kläger im Sommer 1999 vergeblich bei der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2. angefragt und explizit um eine Entscheidung über das aus Sicht dieser Krankenkasse richtige Vorgehen gebeten hätte, kann offen bleiben. Der Kläger macht selbst nicht geltend, diesen Weg beschritten zu haben.

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g. Der vom Beklagten aufrecht erhaltene Regress gegen den Kläger ist schließlich nicht deshalb rechtswidrig, weil der Versicherten H. bei Ausstellung der umstrittenen Verordnungen nach den Grundsätzen des Beschlusses des BVerfG vom 6.12.2005 (BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5) gegen die Rechtsvorgängerin der zu 2. beigeladenen Krankenkasse ein Anspruch auf Versorgung mit Polyglobin 5 % zugestanden hätte. Nach den Feststellungen des LSG liegen die tatsächlichen Voraussetzungen eines solchen, auf §§ 27 und 31 SGB V iVm Art 2 Abs 1 GG und dem Sozialstaatsprinzip bzw Art 2 Abs 2 Satz 1 GG und der hieraus abzuleitenden Schutzpflicht gegründeten Anspruchs nicht vor. Diese Feststellungen des LSG sind für den Senat nach § 163 SGG bindend, weil der Kläger dazu keine zulässigen Revisionsrügen angebracht hat.

46

Richtig ist allerdings der Ausgangspunkt der Revision: Wenn feststünde, dass H. nach den tatsächlichen Verhältnissen des Jahres 1999 einen Anspruch auf Versorgung mit Polyglobin als Sachleistung der Krankenkasse gehabt hätte, dürfte wegen der für diese Versorgung angefallenen Kosten kein Regress gegen den Kläger festgesetzt werden. Diese Konsequenz aus der Entscheidung des BVerfG hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 5.11.2008 zu Wobe Mugos (SozR 4-2500 § 106 Nr 21; ebenso BSG MedR 2010, 276) inzident angesprochen und hält daran fest. Der verschuldensunabhängige Schadensersatzanspruch der Krankenkasse gegen einen Vertragsarzt wegen unzulässiger Arzneimittelverordnungen beruht im Kern darauf, dass die Krankenkasse einen Ausgleich für die Bezahlung von Medikamenten erhält, die sie bei korrekten Verhalten des Arztes nicht hätte finanzieren müssen. Wenn sich nachträglich herausstellt, dass der Versicherte, zu dessen Gunsten der Vertragsarzt die umstrittenen Verordnungen ausgestellt hat, auf die Versorgung mit dem verordneten Arzneimittel einen Anspruch gegen seine Krankenkasse hatte, ist dieser durch die Bezahlung dieses Arzneimittels dem Grunde nach jedenfalls kein Schaden entstanden, den der Vertragsarzt nunmehr ersetzen müsste. Lässt sich allerdings nicht mit hinreichender Gewissheit feststellen, dass die Voraussetzungen für einen ausnahmsweise gerechtfertigten Off-Label-Use vorgelegen haben, geht das zu Lasten des Arztes. Er rückt, obwohl er sich nach der Ausrichtung des Verfahrens gegen einen Regress wendet, hinsichtlich der Verteilung von Darlegungs- und Beweislast in die Stellung ein, die der Versicherte gehabt hätte, wenn er seinen Standpunkt zur der Verordnungsfähigkeit eines Arzneimittels gegen die Krankenkasse nach § 13 Abs 3 SGB V im Wege der Geltendmachung eines Kostenerstattungsanspruchs durchsetzen müsste. Wer geltend machen will, der Versorgungsanspruch umfasse in einer bestimmten Konstellation auch die Versorgung mit zugelassenen Arzneimitteln außerhalb der Zulassungsindikationen, dringt damit nicht durch, wenn sich unter Ausschöpfung aller Möglichkeiten zur Sachaufklärung nicht feststellen lässt, dass die dafür insbesondere in der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG und inzwischen auch vom Gemeinsamen Bundesausschuss (§ 30 der Arzneimittel-Richtlinie iVm Anlage VI) formulierten Voraussetzungen vorgelegen haben. Das ist auch hier der Fall und geht zu Lasten des Klägers.

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h. Das LSG ist in Übereinstimmung mit der Revision zutreffend davon ausgegangen, dass die Versicherte H. an einer lebensbedrohlichen Erkrankung (metastasierendes Karzinom der Eileiter) gelitten hat. Zu dessen kausaler Behandlung hätte bei Fehlen einer allgemein anerkannten, medizinischem Standard entsprechenden Behandlungsmethode nach der Rechtsprechung des BVerfG ein Arzneimittel auch außerhalb seiner Zulassungsindikation eingesetzt werden dürfen, wenn nach der vorhandenen Studienlage auf diese Weise die nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf positive Behandlungserfolge bestanden hätten (BVerfGE 115, 25, 49 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 RdNr 33). Das nimmt der Kläger selbst für die Verordnung von Polyglobin nicht an. Er geht vielmehr davon aus, dass die Versicherte H. an einem Antikörpermangel litt, der unbehandelt eine Fortführung der überlebensnotwendigen Chemotherapie ausgeschlossen hätte oder hat. Wenn die Rechtsprechung des BVerfG auf diese Konstellation Anwendung finden sollte, was der Senat entgegen der Auffassung des LSG nicht von vornherein für ausgeschlossen hält, müssen jedenfalls die Anforderungen an einen zulässigen Off-Label-Use entsprechend erfüllt sein. Es muss deshalb feststehen, dass der Patient neben der lebensbedrohlichen Erkrankung an einer weiteren Gesundheitsstörung leidet, die die Anwendung aller zur Behandlung des Hauptleidens in Betracht kommenden Behandlungsmöglichkeiten ausschließt. Weiterhin muss der Off-Label-Einsatz des anzuwendenden Arzneimittels mit gewisser Wahrscheinlichkeit die zweite Erkrankung so beeinflussen, dass eine Erfolg versprechende Behandlung des Hauptleidens wieder oder erstmals möglich wird. Schließlich darf es für die zweite Erkrankung keine anerkannten Behandlungsmöglichkeiten - zB mit entsprechend zugelassenen Arzneimitteln - geben. Diese Voraussetzungen sind hier jedenfalls nicht - wie es notwendig wäre, um der Klage zum Erfolg zu verhelfen - kumulativ erfüllt.

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i. Erhebliche Zweifel bestehen bereits daran, ob das vom Kläger so bezeichnete "sekundäre Antikörpermangelsyndrom" eine eigenständige und hinreichende spezifische Erkrankung ist, die abgegrenzt vom Karzinomleiden behandelt werden kann und muss. Der Kläger hat dazu in den Tatsacheninstanzen nicht Präzises vorgetragen. Zudem steht nicht fest, dass die Patientin H. an einem Antikörpermangelsyndrom litt, das schulmedizinisch nicht behandelbar war. Die zur Abstützung dieser Diagnose und des Ausmaßes der Erkrankung möglichen laborchemischen Untersuchungen hat der Kläger nach den Feststellungen des LSG nicht durchgeführt oder veranlasst. Dazu mag er - wie die Revision geltend macht - berufsrechtlich nicht verpflichtet gewesen sein. Er hat damit aber im Hinblick auf den Off-Label-Use zur Unaufklärbarkeit des genauen Gesundheitszustandes der Versicherten H. in der zweiten Hälfte des Jahres 1999 beigetragen. Das geht zu seinen Lasten.

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j. Außerdem fehlt es an ausreichenden Feststellungen bzw Belegen für das vom Kläger geltend gemachte Dilemma, die lebensbedrohliche Ersterkrankung nur durch die Behandlung der Zweiterkrankung mit Polyglobin 5 % therapieren zu können. Der Kläger setzt schon die Anforderungen an den Nachweis einer eigenständigen Zweiterkrankung zu niedrig an. Die Versicherte H. litt nach den Ausführungen des Klägers an einer "Verminderung der Immunitätslage" als Folge sowohl des Karzinomleidens als auch der aggressiven Chemotherapien. Darauf habe sie mit wiederholten schweren bakteriellen und viralen Infektionen reagiert, die er - der Kläger - als "Zeichen eines sekundären Antikörpermangels" gedeutet habe. Für keine dieser "wiederholten" Infektionen hat der Kläger im Verwaltungsverfahren oder in den Vorinstanzen jedoch konkret und eingehend belegt, dass diesen durch anerkannte Behandlungsverfahren nicht hätten effektiv entgegengewirkt werden können. Spezifische Darlegungen dazu, die dann dem LSG ggf Anlass zu weiterer Sachaufklärung hätten geben können, waren vor allem deshalb unerlässlich, weil der Kläger selbst einen Zusammenhang zwischen dem Krebsleiden und der Chemotherapie mit der geschwächten Immunitätslage der H. herstellt. Da nicht alle Patienten, deren Abwehrsystem durch Krebs und Chemotherapie geschwächt sind, mit Immunglobulin behandelt werden bzw nach dem gebotenen Behandlungsstandard behandelt werden müssen oder im Jahr 1999 so behandelt wurden oder behandelt werden mussten, hätte der Kläger fallbezogen und detailliert darlegen müssen, inwieweit sich die gesundheitliche Lage der H. von derjenigen anderer chemotherapeutisch behandelter Krebspatienten unterschied, und auf der Basis welcher exakten Befunde er die Anwendung von Polyglobin 5 % für unerlässlich hielt. Das ist nicht geschehen und spricht dafür, dass sich der Kläger von der Gabe eines Immunglobulins ganz generell eine Stärkung der Abwehrlage der H. und damit mutmaßlich eine bessere Resistenz gegen Infektionen versprach. Das reicht für einen Off-Label-Use, dessen Zulässigkeit jedenfalls in Fällen der hier vorliegenden Art von dem Gesundheitszustand des konkreten Patienten abhängt, nicht aus.

50

k. Schließlich ist die positive Wirkung, die der Kläger dem Einsatz von Immunglobulin bei fortgeschrittener Krebserkrankung zuschreibt, nach den Feststellungen des LSG auch nicht hinreichend belegt.

51

Das LSG hat im Einzelnen dargestellt, dass die bis 1999 zum Einsatz von Immunglobulinen vorhandenen Studien und publizierten Forschungsergebnisse nicht darauf hindeuten, dass die Gesundheitsstörungen der Versicherten H. durch den Einsatz von Polyglobin erfolgreich behandelt werden konnten. Das LSG ist zutreffend von den in der Rechtsprechung des 1. Senats des BSG ermittelten Grundsätzen zum Anspruch der Versicherten auf Versorgung mit (in Deutschland oder der EU) nicht zugelassenen Arzneimitteln (dazu BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4) oder mit Arzneimitteln außerhalb zugelassener Indikationen (BSGE 89, 184 = SozR 3-2500 § 31 Nr 8) ausgegangen. Es hat näher ausgeführt, dass keine wissenschaftliche Arbeit vorliege oder vom Kläger benannt sei, in der der zulassungsüberschreitende Einsatz von Immunglobulinen zur Behandlung einer auf der Intoleranz von Chemotherapeutika beruhenden Erkrankung als medizinisch geboten bewertet wird. Einen Konsens der einschlägigen Fachkreise, dass Polyglobin ein sekundäres Antikörpersyndrom positiv beeinflussen könne, hat das LSG gerade nicht feststellen können. Soweit die Revision die vorhandenen medizinischen Unterlagen lediglich anders würdigt, vermag sie damit die Feststellungen iS des § 163 SGG nicht zu entkräften.

52

Soweit der Kläger die Sachaufklärung des LSG zu den Erfolgsaussichten der Behandlung mit Immunglobulinen für unzureichend hält, berücksichtigt er nicht hinreichend, dass sich der 1. Senat des BSG bereits mehrfach mit dem Anspruch der Versicherten auf Versorgung mit Immunglobulinen befasst hat. In den Urteilen vom 19.3.2002 (BSGE 89, 184 = SozR 3-2500 § 31 Nr 8), vom 27.3.2007 (B 1 KR 17/06 R) und vom 28.2.2008 (SozR 4-2500 § 13 Nr 16), die sämtlich die Versorgung mit Immunglobulinpräparaten - jeweils bezogen auf die Indikation Multiple Sklerose - zum Gegenstand hatten, wird der Stand der medizinischen Forschung zu dieser Wirkstoffgruppe für die streitbefangenen Jahre 1997 bis 2003 eingehend aufgearbeitet. Zwar können die Forschungsergebnisse zur Möglichkeit, durch die Gabe von Immunglobulinen die Multiple Sklerose günstig zu beeinflussen, nicht ohne Weiteres auf die hier zu beurteilende Situation der unterstützenden Behandlung bei Krebserkrankungen übertragen werden, doch sind die Wirkungen und die in Frage kommenden Indikationen für Immunglobulin bezogen auf den hier relevanten Zeitraum gut erforscht und die Forschungsergebnisse - soweit krankenversicherungsrechtlich von Bedeutung - in der Rechtsprechung des BSG umfassend rezipiert worden. Zudem sind die Urteile des 1. Senats des BSG vom 27.3.2007 und vom 28.2.2008 Gegenstand der verfassungsgerichtlichen Prüfung gewesen. Mit Kammerbeschlüssen vom 30.6.2008 (1 BvR 1665/07 zum BSG-Urteil B 1 KR 17/06 R) und vom 8.7.2009 (1 BvR 1531/09 zum BSG-Urteil B 1 KR 15/07 R) sind die Verfassungsbeschwerden der unterlegenen Kläger jeweils nicht zur Entscheidung angenommen worden. Beide Kammerbeschlüsse sind auf der Basis der grundlegenden Entscheidung des BVerfG vom 6.12.2005 ergangen und billigen insbesondere, dass die Rechtsprechung des BSG strenge Anforderungen an den Nachweis stellt, dass mit dem zulassungsüberschreitenden Einsatz des jeweils betroffenen Arzneimittels hinreichende Erfolgsaussichten verbunden sein müssen (BVerfG vom 30.6.2008 - 1 BvR 1665/07 - NJW 2008, 3556 f RdNr 9 bis 11). Es reicht danach als Grundlage für einen Off-Label-Use von Arzneimitteln in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht aus, dass positive Folgen einer solchen Behandlung nach dem Wirkungsmechanismus von Immunglobulinen nicht schlechthin ausgeschlossen werden können, dass Patienten in Einzelfällen nach Verabreichung der umstrittenen Medikamente eine Verbesserung ihres Befindens beschreiben und dass einzelne Ärzte oder Wissenschaftler mit plausiblen Gründen einen von der verbreiteten Auffassung abweichenden Standpunkt zu den Erfolgsaussichten einer Behandlung vertreten. Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe und im Hinblick auf die schon vorliegende Rechtsprechung des 1. Senats des BSG ist die Sachverhaltsermittlung des Berufungsgerichts ausreichend.

53

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs 1 iVm § 155 Abs 1 VwGO und berücksichtigt das teilweise Obsiegen und Unterliegen der Beteiligten. Die außergerichtlichen Kosten der zu 1. beigeladenen KÄV sind nach § 162 Abs 3 VwGO nicht erstattungsfähig, weil diese keine Anträge gestellt hat(vgl BSGE 96, 257 = SozR 4-1300 § 63 Nr 3, RdNr 16).

(1) Die Krankenkassen und die Kassenärztlichen Vereinigungen überwachen die Wirtschaftlichkeit der vertragsärztlichen Versorgung durch Beratungen und Prüfungen. Die Landesverbände der Krankenkassen und die Ersatzkassen gemeinsam und einheitlich und die Kassenärztlichen Vereinigungen vereinbaren Inhalt und Durchführung der Beratungen und Prüfungen nach Absatz 2 sowie die Voraussetzungen für Einzelfallprüfungen. Die Vertragspartner können die Prüfungsstelle mit der Prüfung ärztlich verordneter Leistungen in der ambulanten Versorgung außerhalb der vertragsärztlichen Versorgung beauftragen und tragen die Kosten. Die Krankenkassen übermitteln der Prüfungsstelle die Daten der in der ambulanten Versorgung außerhalb der vertragsärztlichen Versorgung verordneten Leistungen; dabei sind zusätzlich die Zahl der Behandlungsfälle und eine Zuordnung der verordneten Leistungen zum Datum der Behandlung zu übermitteln. Die §§ 296 und 297 gelten entsprechend.

(2) Die Wirtschaftlichkeit der Versorgung wird von der Prüfungsstelle nach § 106c geprüft durch

1.
arztbezogene Prüfungen ärztlicher Leistungen nach § 106a,
2.
arztbezogene Prüfungen ärztlich verordneter Leistungen nach § 106b.
Die Prüfungen werden auf der Grundlage der Daten durchgeführt, die der Prüfungsstelle nach § 106c gemäß § 296 Absatz 1, 2 und 4 sowie § 297 Absatz 2 übermittelt werden. Hat die Prüfungsstelle Zweifel an der Richtigkeit der übermittelten Daten, ermittelt sie die Datengrundlagen für die Prüfung aus einer Stichprobe der abgerechneten Behandlungsfälle des Arztes und rechnet die so ermittelten Teildaten nach einem statistisch zulässigen Verfahren auf die Grundgesamtheit der Arztpraxis hoch.

(3) Die Prüfungsstelle nach § 106c bereitet die für die Prüfungen nach Absatz 2 erforderlichen Daten und sonstigen Unterlagen auf, trifft Feststellungen zu den für die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit wesentlichen Sachverhalten und entscheidet unter Beachtung der Vereinbarungen nach den §§ 106a und 106b, ob der Vertragsarzt, der ermächtigte Arzt oder die ermächtigte Einrichtung gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen hat und welche Maßnahmen zu treffen sind. Eine Maßnahme kann insbesondere auch die Festsetzung einer Nachforderung oder einer Kürzung sein. Die Festsetzung einer Nachforderung oder einer Kürzung auf Grund einer Wirtschaftlichkeitsprüfung, die von Amts wegen durchzuführen ist, muss für ärztliche Leistungen innerhalb von zwei Jahren ab Erlass des Honorarbescheides und für ärztlich verordnete Leistungen innerhalb von zwei Jahren ab dem Schluss des Kalenderjahres, in dem die Leistungen verordnet worden sind, erfolgen; § 45 Absatz 2 des Ersten Buches gilt entsprechend. Für Wirtschaftlichkeitsprüfungen, die auf Grund eines Antrags erfolgen, ist der Antrag für die Prüfung ärztlicher Leistungen spätestens 18 Monate nach Erlass des Honorarbescheides und für die Prüfung ärztlich verordneter Leistungen spätestens 18 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Leistungen verordnet worden sind, bei der Prüfungsstelle nach § 106c einzureichen. Die Festsetzung einer Nachforderung oder einer Kürzung muss innerhalb weiterer zwölf Monate nach Ablauf der in Satz 4 genannten Frist erfolgen; die Regelung des § 45 Absatz 2 des Ersten Buches findet keine entsprechende Anwendung. Gezielte Beratungen sollen weiteren Maßnahmen in der Regel vorangehen. Die Prüfungsstelle berät die Vertragsärzte auf der Grundlage von Übersichten über die von ihnen im Zeitraum eines Jahres oder in einem kürzeren Zeitraum erbrachten, verordneten oder veranlassten Leistungen über Fragen der Wirtschaftlichkeit und Qualität der Versorgung.

(4) Werden Wirtschaftlichkeitsprüfungen nicht in dem vorgesehenen Umfang oder nicht entsprechend den für ihre Durchführung geltenden Vorgaben durchgeführt, haften die zuständigen Vorstandsmitglieder der Krankenkassenverbände und Kassenärztlichen Vereinigungen für eine ordnungsgemäße Umsetzung. Können Wirtschaftlichkeitsprüfungen nicht in dem vorgesehenen Umfang oder nicht entsprechend den für ihre Durchführung geltenden Vorgaben durchgeführt werden, weil die erforderlichen Daten nach den §§ 296 und 297 nicht oder nicht im vorgesehenen Umfang oder nicht fristgerecht übermittelt worden sind, haften die zuständigen Vorstandsmitglieder der Krankenkassen oder der Kassenärztlichen Vereinigungen. Die zuständige Aufsichtsbehörde hat nach Anhörung der Vorstandsmitglieder und der jeweils entsandten Vertreter im Ausschuss den Verwaltungsrat oder die Vertreterversammlung zu veranlassen, das Vorstandsmitglied auf Ersatz des aus der Pflichtverletzung entstandenen Schadens in Anspruch zu nehmen, falls der Verwaltungsrat oder die Vertreterversammlung das Regressverfahren nicht bereits von sich aus eingeleitet hat.

(5) Die Absätze 1 bis 4 gelten auch für die Prüfung der Wirtschaftlichkeit der im Krankenhaus erbrachten ambulanten ärztlichen und belegärztlichen Leistungen.

(1) Die Krankenkassen stellen den Versicherten die im Dritten Kapitel genannten Leistungen unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12) zur Verfügung, soweit diese Leistungen nicht der Eigenverantwortung der Versicherten zugerechnet werden. Behandlungsmethoden, Arznei- und Heilmittel der besonderen Therapierichtungen sind nicht ausgeschlossen. Qualität und Wirksamkeit der Leistungen haben dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen.

(1a) Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, können auch eine von Absatz 1 Satz 3 abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Die Krankenkasse erteilt für Leistungen nach Satz 1 vor Beginn der Behandlung eine Kostenübernahmeerklärung, wenn Versicherte oder behandelnde Leistungserbringer dies beantragen. Mit der Kostenübernahmeerklärung wird die Abrechnungsmöglichkeit der Leistung nach Satz 1 festgestellt.

(2) Die Versicherten erhalten die Leistungen als Sach- und Dienstleistungen, soweit dieses oder das Neunte Buch nichts Abweichendes vorsehen. Die Leistungen werden auf Antrag durch ein Persönliches Budget erbracht; § 29 des Neunten Buches gilt entsprechend. Über die Erbringung der Sach- und Dienstleistungen schließen die Krankenkassen nach den Vorschriften des Vierten Kapitels Verträge mit den Leistungserbringern.

(3) Bei der Auswahl der Leistungserbringer ist ihre Vielfalt zu beachten. Den religiösen Bedürfnissen der Versicherten ist Rechnung zu tragen.

(4) Krankenkassen, Leistungserbringer und Versicherte haben darauf zu achten, daß die Leistungen wirksam und wirtschaftlich erbracht und nur im notwendigen Umfang in Anspruch genommen werden.

(1) Die Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen.

(2) Ist für eine Leistung ein Festbetrag festgesetzt, erfüllt die Krankenkasse ihre Leistungspflicht mit dem Festbetrag.

(3) Hat die Krankenkasse Leistungen ohne Rechtsgrundlage oder entgegen geltendem Recht erbracht und hat ein Vorstandsmitglied hiervon gewußt oder hätte es hiervon wissen müssen, hat die zuständige Aufsichtsbehörde nach Anhörung des Vorstandsmitglieds den Verwaltungsrat zu veranlassen, das Vorstandsmitglied auf Ersatz des aus der Pflichtverletzung entstandenen Schadens in Anspruch zu nehmen, falls der Verwaltungsrat das Regreßverfahren nicht bereits von sich aus eingeleitet hat.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 22. März 2012 wird zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Kostenübernahme für in der Ukraine erfolgte Behandlungsmaßnahmen.

2

Der im Juli 1978 geborene, bei der beklagten Krankenkasse versicherte Kläger leidet an Zerebralparese mit Bewegungsstörungen seit Geburt im Sinne einer spastischen Tetraplegie und einer massiven statomotorischen Retardierung. Er ließ sich seit 1993 regelmäßig in dem von dem Neurologen und Chirotherapeuten Prof. Dr. Kozijavkin geleiteten Institut in der Ukraine behandeln. Dessen Therapiekonzept, das er selbst "System der intensiven neurophysiologischen Rehabilitation (SINR)" nennt (im Folgenden Methode Kozijavkin), besteht in einer sogenannten multimodalen Behandlung. Es hat zum Ziel, innerhalb einer zweiwöchigen Behandlung unter Beteiligung ärztlicher und nichtärztlicher Fachkräfte eine Verbesserung der Bewegungsmöglichkeiten bei Personen mit infantilen Zentralparesen herbeizuführen. Dazu werden ua Akupressur, Akupunktur, Wärmebehandlung mit Bienenwachs, Reflextherapie, Manualtherapie und Krankengymnastik eingesetzt. Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Behandlung der Wirbelsäule mit Techniken der Manualtherapie, mit deren Hilfe Wirbelsäulenblockaden gelöst werden sollen. An diese Behandlungsphase schließt sich eine drei- bis zwölfmonatige Stabilisierungsphase an, der wiederum eine zweiwöchige intensive Behandlung in der Ukraine folgt. Die Beklagte lehnte Anträge für die Erteilung von Kostenzusagen für Behandlungen vom 19.9. bis 3.10.2000, 10. bis 24.4.2001, 28.9. bis 12.10.2001, 20.3. bis 3.4.2002 und vom 25.3. bis 8.4.2003 jeweils ab (Bescheid vom 17.8.2000; Widerspruchsbescheid vom 22.8.2001; Bescheid vom 5.3.2001; Widerspruchsbescheid vom 22.8.2001; Bescheid vom 21.8.2001; Widerspruchsbescheid vom 5.12.2001; Bescheide vom 6.3.2002 und 26.2.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7.8.2003). Der Kläger ließ sich dennoch in den jeweils beantragten Zeiten in der Ukraine in dem Institut von Prof. Dr. Kozijavkin behandeln und zahlte hierfür insgesamt 20 348,58 Euro.

3

Das SG hat die deshalb erhobenen Klagen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und die Beklagte unter Abweisung der weitergehenden Klage dazu verurteilt, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden (Urteil vom 3.2.2005). Das BSG hat auf die Sprungrevision der Beklagten das SG-Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG Niedersachsen-Bremen zurückverwiesen (BSG Urteil vom 13.12.2005 - B 1 KR 6/05 R - nv), weil über den vom Kläger erhobenen Anspruch ohne weitere Sachaufklärung zu bestimmten generellen und individuellen Tatsachen nicht entschieden werden kann. Das LSG hat die Klage abgewiesen, ohne weiteren Beweis zu erheben (LSG-Beschluss vom 3.3.2010). Das BSG hat den LSG-Beschluss wegen Missachtung der Bindungswirkung (vgl § 170 Abs 5 SGG)aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an einen anderen Senat des LSG zurückverwiesen (BSG Beschluss vom 28.9.2010 - B 1 KR 46/10 B -). Das LSG hat nunmehr nach Beweisaufnahme die Klage abgewiesen: Die Methode Kozijavkin sei zur Zeit der betroffenen Behandlungen nicht allgemein anerkannt gewesen. Eine grundrechtsorientierte Auslegung komme nicht in Betracht, da die Krankheit des Klägers mit einer regelmäßig tödlichen Erkrankung nicht wertungsmäßig vergleichbar sei (Urteil vom 22.3.2012).

4

Der Kläger rügt sinngemäß die Verletzung der Bindungswirkung des ersten Revisionsurteils (vgl § 170 Abs 5 SGG)und des Rechtsgedankens des § 2 Abs 1a SGB V entsprechend der Rechtsprechung des BVerfG(BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5). Das LSG hätte sich aufgrund seines Vorbringens gedrängt sehen müssen, durch Sachverständige festzustellen, dass er durch die Spastik am ganzen Körper infolge der infantilen Zentralparese schmerzintensiv betroffen sei. Dies sei weit unerträglicher als eine Erblindung. Belege für den Nutzen der Methode Kozijavkin bestünden aus jüngerer Zeit und seien zu berücksichtigen.

5

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 22. März 2012 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Stade vom 3. Februar 2005 zurückzuweisen,
hilfsweise,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 22. März 2012 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

6

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

7

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Revision des Klägers ist nicht begründet. Zu Recht hat das LSG das zur Neubescheidung verurteilende SG-Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die angegriffenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig. Der Kläger kann keine Neubescheidung verlangen, denn er hat keinen Anspruch aus § 18 Abs 1 S 1 SGB V auf Erstattung der Kosten in Höhe von 20 348,58 Euro, die ihm durch die mehrfachen Behandlungen in der Ukraine nach der Methode Kozijavkin innerhalb der Gesamtzeit vom 19.9.2000 bis 8.4.2003 entstanden sind. Die Methode Kozijavkin entsprach in diesem Zeitraum nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse (dazu 1.). Die Voraussetzungen einer grundrechtsorientierten Auslegung des § 18 Abs 1 S 1 SGB V sind nicht erfüllt(dazu 2.).

9

1. Nach den auch den erkennenden Senat bindenden Vorgaben (vgl § 170 Abs 5 SGG)des ersten Revisionsurteils (BSG Urteil vom 13.12.2005 - B 1 KR 6/05 R - RdNr 12, nv) beruht der geltend gemachte Anspruch auf § 18 Abs 1 S 1 SGB V(in der hier noch maßgeblichen bis 31.12.2003 geltenden Fassung des Gesundheitsstrukturgesetzes vom 21.12.1992, BGBl I 2266). Der Anspruch setzt voraus, dass eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung der Krankheit des Klägers nur im Ausland, im Institut Prof. Dr. Kozijavkins in der Ukraine, in den genannten Zeiträumen möglich war. Daran fehlt es.

10

Gemäß den bindenden Vorgaben des ersten Revisionsurteils (BSG Urteil vom 13.12.2005 - B 1 KR 6/05 R - RdNr 20 ff, nv) ist entscheidend, dass die Leistung im Ausland zur Zeit der Behandlung den Kriterien des in § 2 Abs 1 S 3 SGB V geregelten Qualitätsgebots entsprach. Das wiederum ist der Fall, wenn die "große Mehrheit der einschlägigen Fachleute (Ärzte, Wissenschaftler)" die Behandlungsmethode befürwortet und von einzelnen, nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen abgesehen, über die Zweckmäßigkeit der Therapie Konsens besteht. Dieses setzt im Regelfall voraus, dass über Qualität und Wirksamkeit der neuen Methode - die in ihrer Gesamtheit und nicht nur in Bezug auf Teilaspekte zu würdigen ist - zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen gemacht werden können. Der Erfolg muss sich aus wissenschaftlich einwandfrei durchgeführten Studien über die Zahl der behandelten Fälle und die Wirksamkeit der Methode ablesen lassen. Die Therapie muss in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen erfolgreich gewesen sein (vgl bereits BSGE 84, 90, 96 f = SozR 3-2500 § 18 Nr 4 S 18 f - Kozijavkin I; BSG SozR 3-2500 § 18 Nr 6 S 23 ff - Kozijavkin II).

11

Nach dem überzeugenden Ergebnis der Beweisaufnahme des LSG war die Methode Kozijavkin noch im Jahr 2005 - und darüber hinaus - nicht allgemein anerkannt. Es fehlten bis zum damaligen Zeitpunkt unabhängige Studien nach anerkannten wissenschaftlichen Standards zur Wirksamkeit der Methode. Entgegen der Auffassung des Klägers hat das LSG sich nicht allein auf deutsche Quellen beschränkt, sondern etwa über die Datenbank DIMDI internationale Publikationen einbezogen (zB Mijna Hadders-Algra, Tineke Dirks, Cornill Blauw-Hospers, Victorine de Graaf-Peters, The Kozijavkin method: giving parents false hope? The Lancet, Bd 365, Lieferung 9462, S 842, 5.3.2005). Die Methode Kozijavkin wird weder in Deutschland noch in anderen Ländern der EU eingesetzt.

12

2. Der Kläger kann sich im Ergebnis auch nicht auf eine grundrechtsorientierte Auslegung des § 18 Abs 1 S 1 SGB V zu seinen Gunsten berufen.

13

a) Der erkennende Senat muss trotz der grundsätzlichen Bindungswirkung (vgl § 170 Abs 5 SGG)seines ersten Revisionsurteils (BSG Urteil vom 13.12.2005 - B 1 KR 6/05 R - Juris) darüber entscheiden, ob der Kläger aufgrund einer grundrechtsorientierten Auslegung des § 18 Abs 1 S 1 SGB V den zu prüfenden Anspruch hat. Ein oberster Gerichtshof des Bundes ist nämlich, wenn er - wie hier der erkennende Senat - seine der Zurückverweisung zugrunde liegende Rechtsauffassung inzwischen geändert hat und erneut mit derselben Sache befasst wird, an seine zunächst vertretene Rechtsauffassung nicht gebunden (vgl GmSOGB BSGE 35, 293, 296 ff = SozR Nr 15 zu § 170 SGG). Das erste Revisionsurteil enthält keine ausdrücklichen Ausführungen zu einer grundrechtsorientierten Auslegung. Die diese Rechtsfigur entwickelnde Rechtsprechung des BVerfG (BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5),die den Beteiligten des dortigen Verfahrens nach dem 6.12.2005 zugestellt wurde, war dem 1. Senat des BSG bei seiner Entscheidung vom 13.12.2005 noch nicht bekannt. Der erkennende Senat hat seine Rechtsprechung zu § 18 Abs 1 S 1 SGB V später dahingehend fortentwickelt, dass ein Leistungs- und Kostenerstattungsanspruch nach dieser Rechtsgrundlage auch dann besteht, wenn für Versicherte eine nach den Inlandsmaßstäben grundrechtsorientierter Leistungsbestimmung in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zu beanspruchende Leistung nur im Ausland möglich ist(vgl BSGE 106, 81 = SozR 4-1500 § 109 Nr 3, RdNr 30). Eine verfassungskonforme Auslegung kommt nicht nur bei lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden (vgl BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4, RdNr 21, 29 mwN - Tomudex), sondern auch bei wertungsmäßig damit vergleichbaren Erkrankungen wie einer drohenden Erblindung in Betracht (vgl BSGE 106, 81 = SozR 4-1500 § 109 Nr 3, RdNr 31; BSGE 96, 153 = SozR 4-2500 § 27 Nr 7, RdNr 31 - D-Ribose).

14

b) Der Kläger kann aus der Regelung des § 2 Abs 1a SGB V nichts für sich herleiten, da sie erst zum 1.1.2012 in Kraft getreten ist (vgl Art 1 Nr 1 und Art 15 Abs 1 Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 22.12.2011, BGBl I 2983). In der Sache führt die Regelung allerdings die Rechtsprechung des BVerfG und des erkennenden Senats zur grundrechtsorientierten Auslegung fort. Auf diese Rechtsprechung (vgl BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5; BSGE 106, 81 = SozR 4-1500 § 109 Nr 3, RdNr 31; BSGE 96, 153 = SozR 4-2500 § 27 Nr 7, RdNr 30 - D-Ribose)sucht sich der Kläger zu stützen. Sie ist ihrer Art nach anzuwenden, greift aber vorliegend nicht ein.

15

c) Die grundrechtsorientierte Auslegung einer Regelung des SGB V über einen Anspruch auf Übernahme einer Behandlungsmethode zu Lasten der GKV setzt voraus, dass folgende drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind: (1.) Es liegt eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung oder wertungsmäßig damit vergleichbaren Erkrankung vor. (2.) Bezüglich dieser Krankheit steht eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung. (3.) Bezüglich der beim Versicherten ärztlich angewandten (neuen, nicht allgemein anerkannten) Behandlungsmethode besteht eine "auf Indizien gestützte", nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf (BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 RdNr 33; BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 21 mwN). Diese Voraussetzungen sind nicht alle erfüllt.

16

aa) Es ist beim Kläger allerdings nicht völlig ausgeschlossen, dass die Auswirkungen seiner infantilen Zerebralparese mit Bewegungsstörungen, einer spastischen Tetraplegie und einer ausgeprägten statomotorischen Retardierung eine Ausprägung erreichen, welche allgemein für eine grundrechtskonforme erweiternde Auslegung des Leistungsrechts der GKV zu fordern ist. Der erkennende Senat hat zwar entschieden, dass ein Versicherter, der an einer infantilen Zerebralparese mit spastischer Paraparese der Beine, Sekundärschäden am knöchernen Apparat (Coxarthrose, Pseudoradikulärsyndrom) und sich dadurch verstärkender Spastik bei in Ruhe einschießenden schmerzhaften Spasmen leidet, nicht die Schwelle erreicht, welche allgemein für eine grundrechtskonforme erweiternde Auslegung des Leistungsrechts der GKV zu fordern ist (vgl BSGE 109, 211 = SozR 4-2500 § 31 Nr 19, RdNr 23). Bei einer spastischen Tetraplegie sind indes nicht lediglich die Beine, sondern alle vier Extremitäten betroffen. Die Körperhaltung ist meist asymmetrisch. Kopf- und Augenkontrolle sowie die Sprachmotorik sind regelmäßig erschwert. Der Kläger beruft sich sinngemäß darauf, ein von ihm beantragtes Sachverständigengutachten hätte eine Spastik des ganzen Körpers ergeben. Ohne genaue Feststellung und Analyse der Funktionsbeeinträchtigungen ist nicht klar, dass der Kläger an einer Erkrankung leidet, die wertungsmäßig einen Schweregrad etwa wie bei einer völligen Erblindung erreicht. Der erkennende Senat unterstellt dies. Denn der Kläger hat die Feststellungen des LSG zur geringfügigeren Erkrankung des Klägers mit durchgreifenden Rügen angegriffen (vgl zu den Anforderungen § 164 Abs 2 S 3 SGG und hierzu BSGE 111, 168 = SozR 4-2500 § 31 Nr 22, RdNr 27 f mwN). Der Senat kann dennoch abschließend über die Sache entscheiden, da die weiteren Voraussetzungen einer grundrechtsorientierten Auslegung nicht erfüllt sind.

17

bb) Bezüglich seiner Krankheit stand dem Kläger im betroffenen Zeitraum eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung in Deutschland zur Verfügung. Die infantile Zerebralparese wird nach allgemein anerkanntem Stand der medizinischen Erkenntnisse als Symptomenkomplex angesehen, für den es keine pauschale, auf alle Patienten in gleicher Weise ausgerichtete Standardtherapie gibt. Vielmehr erfordert die Erkrankung ein individuelles Behandlungskonzept, das den festgestellten Schädigungen, Fähigkeitsstörungen und Beeinträchtigungen Rechnung trägt. Therapieelemente sind regelmäßig funktionelle Übungsbehandlungen der motorischen Störungen einschließlich verordneter Heilmittel (Maßnahmen der physikalischen Therapie, der Ergo-, Stimm-, Sprech- und Sprachtherapie), Pharmakotherapien zur Verringerung von Muskelspasmen oder Verhinderung von Krampfanfällen, verordnete Hilfsmittel, operative Behandlungen bei Kontrakturen und Sehnenverkürzungen, Therapien zusätzlicher Störungen sowie medizinische ambulante, erforderlichenfalls stationäre Rehabilitationsleistungen (vgl Zusammenstellung der Therapieelemente im Grundsatzgutachten des Medizinischen Dienstes der Spitzenverbände der Krankenkasse eV vom 8.5.2003, S 22 ff; vgl auch ebenda, Leitlinien der Gesellschaft für Neuropädiatrie zur Diagnose und Therapie der infantilen Cerebralparese, S 52 ff). Es gibt aufgrund des umfassenden ambulanten und stationären Angebots in Deutschland für die keinesfalls seltenen Fälle infantiler Zerebralparesen insoweit keinerlei Hinweis auf quantitative Versorgungslücken. Die bei der Methode Kozijavkin eingesetzten, sich teilweise mit dem Behandlungsangebot in Deutschland überschneidenden Therapieelemente belegen die Verträglichkeit einer individuellen Therapie nach Standard in Deutschland für den Kläger.

18

Das Ziel der Methode Kozijavkin besteht entsprechend den Feststellungen des LSG darin, innerhalb einer zweiwöchigen Behandlung unter Beteiligung ärztlicher und nichtärztlicher Fachkräfte eine Verbesserung der Bewegungsmöglichkeiten von Personen mit infantiler Zerebralparese zu erreichen. Es geht lediglich darum, Symptome der infantilen Zerebralparese zu lindern und ihre Verschlimmerung zu verhüten. Eine Heilung der Krankheit kommt nicht in Betracht. Auch die in Deutschland angewandten anerkannten Behandlungsstrategien zielen auf eine Linderung und Verhütung der Verschlimmerung der Symptome der infantilen Zerebralparese (vgl Grundsatzgutachten des MDS vom 8.5.2003, S 22 ff; vgl auch ebenda, Leitlinien der Gesellschaft für Neuropädiatrie zur Diagnose und Therapie der infantilen Cerebralparese, S 52 ff).

19

cc) Bezüglich der Methode Kozijavkin besteht auch lediglich eine ganz fern liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf. Eine grundrechtsorientierte Auslegung des § 18 Abs 1 S 1 SGB V darf nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats nicht dazu führen, dass unabhängig von wissenschaftlichen Maßstäben allein die entfernte Hoffnung auf eine positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf zu einer Kostenerstattung zwingt. Abmilderungen des Qualitätsgebots kommen zwar infolge grundrechtsorientierter Auslegung der Regelungen des Leistungsrechts der GKV im Anschluss an den Beschluss des BVerfG vom 6.12.2005 (BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5) und die dazu inzwischen ergangene umfangreiche Folgerechtsprechung des Senats (vgl zB BSGE 96, 153 = SozR 4-2500 § 27 Nr 7, RdNr 31 - D-Ribose; BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4, RdNr 21 und 30 f mwN - Tomudex; BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 20 ff mwN - LITT; BSGE 100, 103 = SozR 4-2500 § 31 Nr 9, RdNr 32 - Lorenzos Öl; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 16 RdNr 12 mwN - ICL; vgl zu weiteren Anwendungsfällen zB: Kretschmer, MEDSACH 2009, 54 ff) auch im Anwendungsbereich des § 18 Abs 1 S 1 SGB V in Betracht(vgl Hauck in Festschrift 50 Jahre saarländische Sozialgerichtsbarkeit, 2009, S 49, 67). Ist für Versicherte eine nach den Inlandsmaßstäben grundrechtsorientierter Leistungsbestimmung in der GKV zu beanspruchende Leistung nur im Ausland möglich, besteht ein Leistungs- und Kostenerstattungsanspruch nach § 18 Abs 1 S 1 SGB V.

20

Die Folge der verfassungskonformen Auslegung ist es indes, dass zur Gewährleistung der verfassungsrechtlichen Schutzpflichten bei neuen Behandlungsmethoden die Einhaltung des Arztvorbehalts (§ 15 SGB V) und die Beachtung der Regeln der ärztlichen Kunst erforderlich bleiben. Dies gilt auch, wenn es beim Versicherten zu einer notstandsähnlichen behandlungsbedürftigen Situation kommt. Gleichermaßen ist das Bestehen von mehr als bloß ganz entfernt liegenden Aussichten auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf durch die streitige Therapie nach den Regeln der ärztlichen Kunst zu beurteilen (vgl näher BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 22 ff mwN - LITT). Dies ändert mithin nichts an der Heranziehung und Maßgeblichkeit allein wissenschaftlicher Maßstäbe zur Beurteilung eines Behandlungserfolgs im Recht der GKV, wie sie sich zB in § 2 Abs 1 S 3 SGB V und auch in § 18 Abs 1 S 1 SGB V niederschlagen und in Sondersituationen evidenzbezogen abgestuft zur Anwendung gelangen können(vgl auch BVerfG Beschluss vom 28.8.2007 - 1 BvR 1617/05 - zur "Kuba-Therapie" bei Retinitis pigmentosa, Verfassungsbeschwerde ua gerichtet gegen den Beschluss des Senats vom 15.6.2005 - B 1 KR 111/04 B - und das Urteil des Bayerischen LSG vom 11.11.2004 - L 4 KR 296/03 -; vgl zum Ganzen BSGE 106, 81 = SozR 4-1500 § 109 Nr 3, RdNr 29 ff). Ziel der grundrechtsorientierten Auslegung ist es, die Gestaltung des Leistungsrechts der GKV an der objektiv-rechtlichen Pflicht des Staates zu orientieren, sich schützend und fördernd vor die Rechtsgüter des Art 2 Abs 2 S 1 GG zu stellen.

21

Die aufgezeigte Zielsetzung begrenzt zugleich die Reichweite einer grundrechtsorientierten Auslegung. So reichen rein experimentelle Behandlungsmethoden, die nicht durch hinreichende Indizien gestützt sind, hierfür nicht aus (vgl zB BVerfG Beschluss vom 26.2.2013 - 1 BvR 2045/12 - NZS 2013, 500, 501 = NJW 2013, 1664, 1665 = Juris RdNr 15). Es ist auch nicht zulässig, den Rechtsgütern des Art 2 Abs 2 S 1 GG die Schutzmechanismen zu entziehen, die die Rechtsordnung hierfür vorsieht. Das hat der erkennende Senat für Arzneimittel - vom BVerfG bestätigt - entschieden und der Gesetzgeber ist dem ebenfalls gefolgt (vgl zu § 2 Abs 1a SGB V GKV-VStG, BR-Drucks 456/11 S 74; BVerfG Beschluss vom 30.6.2008 - 1 BvR 1665/07 - SozR 4-2500 § 31 Nr 17 im Anschluss an BSG USK 2007-25 - mnesis). In diesem Sinne bleiben für nicht oder nicht in der betreffenden Indikation zugelassene Arzneimittel neben der mit dem neuen § 2 Abs 1a SGB V vorgenommenen leistungsrechtlichen Klarstellung die vom BSG entwickelten Grundsätze zur Leistungspflicht der GKV unberührt, die vom BVerfG nicht beanstandet wurden(vgl ebenda).

22

Eine weitere Begrenzung der sich aus der grundrechtsorientierten Auslegung und § 2 Abs 1a SGB V ergebenden Ansprüche auf Methoden, die noch nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen, folgt aus der Mitwirkungsobliegenheit der Behandler. Die aus der grundrechtsorientierten Auslegung und aus § 2 Abs 1a SGB V resultierende Absenkung der Anforderungen, die ansonsten an den Evidenzgrad des Behandlungserfolgs zu stellen sind, verlangt unter dem Gesichtspunkt des Patientenschutzes die jeweils mögliche Erhebung und Zugänglichmachung von nach wissenschaftlichen Maßstäben verfügbaren Informationen durch die Behandler entsprechend ihrem Berufs- und Standesrecht. Die aktive Bereitschaft der Behandler, zum Abbau der (noch) vorhandenen Erkenntnisdefizite beizutragen, ist unverzichtbarer Teil des auch der grundrechtsorientierten Auslegung und § 2 Abs 1a SGB V zugrundeliegenden medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses.

23

Nichts anderes kann gelten für Fälle der Auslandsbehandlung nach einer neuen Methode gemäß § 18 Abs 1 S 1 SGB V, deren grundsätzlicher Anwendbarkeit durch Ärzte im Inland bei hinreichend wissenschaftlicher Fundierung nichts im Wege stünde. Scheitert die Überprüfbarkeit der Methode nach Maßgabe der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft an der langjährig fehlenden, aber in Fachveröffentlichungen geforderten Publikation grundsätzlich verfügbarer Daten - womöglich als Teil eines Marketingkonzepts des Behandlers im Ausland -, sind derartige Erkenntnismängel nicht durch die grundrechtsorientierte Auslegung und § 2 Abs 1a SGB V zu überwinden. Die auch und gerade dem Patientenschutz dienende, tatsächlich mögliche wissenschaftliche Kontrolle, die innerhalb von EU und EWiR die Regelungen über die Zulassung neuer Behandlungsmethoden prägt, steht bei Auslandskrankenbehandlungen nach § 18 SGB V nicht zur Disposition der ausländischen Leistungserbringer. Die grundrechtsorientierte Auslegung des § 18 Abs 1 S 1 SGB V darf nicht dazu dienen, ein Anreizsystem dafür zu schaffen, dass in Deutschland versicherte Patienten Behandlungsleistungen außerhalb von EU und EWiR nur deshalb erhalten, weil sich ihre Anbieter dauerhaft objektiv der tatsächlich möglichen wissenschaftlichen Kontrolle ihrer Leistungen entziehen, insbesondere keine Daten über die Einzelheiten der Behandlung einschließlich ihrer objektivierbaren Folgen veröffentlichen(vgl zur Sicherung des Qualitätsgebots gemäß § 2 Abs 1 S 3 SGB V durch § 135 Abs 1 SGB V BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 18 RdNr 21 mwN; zu seiner Geltung für den Anspruch auf Krankenhausbehandlung vgl BSGE 101, 177 = SozR 4-2500 § 109 Nr 6, RdNr 52; BSG Urteil vom 18.12.2012 - B 1 KR 34/12 R - RdNr 34 mwN, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-2500 § 137 Nr 2 vorgesehen; zur Geltung des Qualitätsgebots für Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen iS von § 107 Abs 2 Nr 2 SGB V vgl BSGE 81, 189, 195 = SozR 3-2500 § 111 Nr 1; BSGE 89, 294, 305 = SozR 3-2500 § 111 Nr 3; Wahl in jurisPK-SGB V, § 111, 2. Aufl, Stand 1.4.2012, RdNr 37 mwN).

24

So liegt es hier. Die Zahl nach der Methode Kozijavkin in der Ukraine behandelter Patienten mit einer Zerebralparese von 10 521 allein im Zeitraum 1991 - 1999, davon 68 % mit Tetraparese (vgl Nachweis im Grundsatzgutachten des MDS vom 8.5.2003, S 43: Kozijavkin/Del Bello, Praktische Paediatrie 2000, Nr 6-8; vgl auch die Zahlen im Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Dr. hc von Voß für das Verfahren Sächsisches LSG L 1 KR 1/03, S 12 f) belegt, dass das dortige Patientenvolumen ohne Weiteres geeignet ist, aussagekräftige statistische Daten zu generieren, um den Nutzen der Therapie zu beurteilen. Es ist ebenfalls wissenschaftlich gesichert, dass kontrollierte prospektive klinische Studien mit einem aussagekräftigen Design über die Methode Kozijavkin möglich sind (vgl Grundsatzgutachten des MDS vom 8.5.2003, S 46 bei Fn 6). Zu einer in Aussicht genommenen Wirksamkeitsstudie zur Methode Kozijavkin (vgl Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Dr. hc von Voß für das Verfahren Sächsisches LSG L 1 KR 1/03, S 14) ist es bisher nicht gekommen. Die Behandlungseinrichtungen in Deutschland wären bei wissenschaftlich hinreichend belegter Wirksamkeit und nachgewiesenem Nutzen der Methode nach dem Sinngehalt des Grundsatzgutachtens des MDS ohne Weiteres in der Lage, hiernach zu verfahren. In diesem Falle würde damit aber auch ein wesentlicher Grund für Patienten aus Deutschland entfallen, zwecks Behandlung nach der Methode Kozijavkin in die Ukraine zu reisen.

25

Die Defizite in der wissenschaftlichen Beweisführung für einen Nutzen der Methode Kozijavkin sind seit langem bekannt. Der erkennende Senat stützte schon seine erste Entscheidung zur Methode Kozijavkin darauf, dass diese Methode bisher nicht ausreichend erforscht und eine abschließende Bewertung ihrer Wirksamkeit und ihrer Risiken deshalb nicht möglich ist. Bereits in der ersten Hälfte der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts war die Erfolgsrate der umstrittenen Therapie mangels vergleichender Effektivitätsstudien nicht objektivierbar (Prof. Dr. Hanefeld, Zentrum für Kinderheilkunde der Universität Göttingen, Stellungnahme vom 13.7.1993; Dr. Rosenkötter, Sozialpädiatrisches Zentrum Ludwigsburg). Die Schwierigkeiten bei der Überprüfung und Bewertung wurden damals auch darauf zurückgeführt, dass die Behandlungsmethode eng an die Person von Dr. Kozijavkin gebunden und eine Einweisung ausländischer Ärzte bisher nicht erfolgt sei. Damit fehlte eine unabdingbare Voraussetzung für die Erlangung der wissenschaftlichen Anerkennung, nämlich die Möglichkeit, die Behandlung an anderer Stelle und durch andere Ärzte zu wiederholen und ihre Ergebnisse überprüfbar zu machen (vgl insgesamt BSGE 84, 90, 97 = SozR 3-2500 § 18 Nr 4).

26

Der kritische wissenschaftliche Umgang ärztlicher Behandler in Deutschland mit der Methode Kozijavkin drückt sich ua auch darin aus, dass sie nicht pauschal alle hierbei aufgeführten Therapieelemente verwenden, sondern lediglich jene Teile, die nach wissenschaftlichen Kriterien für den Patienten einen Nutzen versprechen (vgl die Zusammenstellung der Therapieelemente im Grundsatzgutachten des MDS vom 8.5.2003, S 22 ff). Dementsprechend bejaht etwa die Gesellschaft für Neuropädiatrie in ihrer Stellungnahme zur Methode Kozijavkin den Einsatz therapeutischer Techniken der Manuellen Medizin bei spastischen infantilen Zerebralparesen, allerdings lediglich in nach wissenschaftlichem Standard gesichertem Umfang, welches sie bei der Methode Kozijavkin schon als nicht gewährleistet ansieht. Sie lehnt aber Einzelelemente wie die Apitherapie wegen ihres Risikopotentials ohne gesicherten Nutzen ab (vgl die Wiedergabe im Grundsatzgutachten des MDS vom 8.5.2003, S 58 ff und Stellungnahme des Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin Prof. Dr. Straßburg vom 6.4.2011). In Einklang hiermit hat die Methode Kozijavkin in den vergangenen zehn Jahren im Rahmen der Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit Zerebralparesen in den deutschen Sozialpädiatrischen Zentren keine wesentliche Rolle mehr gespielt (vgl Stellungnahme Prof. Dr. Straßburg vom 6.4.2011).

27

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Tatbestand

1

Streitig ist die Rechtmäßigkeit von Regressbescheiden wegen der Verordnung autologer Tumorvakzine (Quartale II und III/1998, I, II und IV/1999).

2

Der Kläger zu 1. betrieb bis zum Quartal III/1999 zusammen mit dem Kläger zu 2. eine Gemeinschaftspraxis, die danach in eine Praxisgemeinschaft umgewandelt wurde. Beide waren bzw sind als Fachärzte für Innere Medizin im Bezirk der zu 1. beigeladenen Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Gegen sie bzw gegen die von ihnen geführte Gemeinschaftspraxis ergingen Regressbescheide, weil sie in den Quartalen II und III/1998, I, II und IV/1999 autologe Tumorvakzine verordnet hatten, ohne dass sie dazu berechtigt gewesen seien. Die jeweiligen Patienten waren bzw sind bei den zu 2., 9. bis 11. beigeladenen Krankenkassen (KKn) - bzw bei deren Rechtsvorgängern - versichert.

3

Die Verordnungen betrafen das Therapieverfahren der sogenannten aktiv-spezifischen Immunisierung (ASI) mit autologen Tumorvakzinen (Impfungen mit eigenem Körperzellmaterial) bei Patienten, die an Darmkrebs, Nierenkrebs oder Osteosarkom litten. Die Gewinnung autologer Tumorvakzine wird als sogenanntes Rezepturarzneimittel auf Rezeptblättern verordnet und erfolgt für jeden Patienten individuell aus seinen körpereigenen Tumorzellen. Die Bearbeitung und die Injektion der Zellen führte für die Kläger der damalige Pharmahersteller macropharm GmbH bzw für diese Firma der Arzt Dr. N. durch. Dabei fielen je Verordnung bzw Verordnungsserie ca 15.000 DM an. Das vorliegende Revisionsverfahren betrifft insgesamt zehn solcher Verordnung(sseri)en.

4

Die wegen dieser Verordnungen ergangenen Regressbescheide bestätigte - unter Zurückweisung der Widersprüche der Kläger - der beklagte Beschwerdeausschuss. Im Verlauf des sozialgerichtlichen Klageverfahrens ersetzte der Beklagte seine Bescheide durch neue Bescheide vom 9.11.2002. Hierin führte er unter Bezugnahme auf § 106 SGB V aus, dass er von einer vorgängigen Beratung habe absehen können, weil die Kläger - bereits seit 1992 bzw 1997 vertragsärztlich tätig - über das Wirtschaftlichkeitsgebot ausreichend informiert gewesen seien. Zur ASI mit autologen Tumorvakzinen habe es keine Anwendungsempfehlung des Bundesausschusses der Ärzte und KKn (BA - heute Gemeinsamer Bundesausschuss ) gegeben.

5

Der BA beschloss am 10.4.2000 die Zuordnung der ASI zu den nicht anerkannten Behandlungsmethoden (s Richtlinien über die Bewertung ärztlicher Untersuchungs- und Behandlungsmethoden gemäß § 135 Abs 1 SGB V mit der Anfügung der Nr 29 in die Anlage B "nicht anerkannte Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden", BAnz Nr 137 vom 25.7.2000 S 14470 = DÄ 2000, C 1828).

6

Das von den Klägern angerufene SG hat ihre Klagen abgewiesen (Gerichtsbescheide vom 18.8.2003, vom 26.8.2003, vom 27.8.2003, vom 8.10.2003, vom 29.10.2003, vom 20.11.2003, vom 19.11.2003 und vom 2.12.2003). Mit ihren dagegen gerichteten Berufungen sind die Kläger nur zu einem geringen Teil erfolgreich gewesen. Das LSG, das die Berufungsverfahren zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung verbunden hat, hat mit Urteil vom 27.8.2008 auf die Berufung des Klägers zu 2. den Bescheid des Beklagten vom 9.11.2002 insoweit aufgehoben, als dieser einen Regress wegen der Verordnung im Quartal IV/1999 auch gegen den Kläger zu 2. ausgesprochen hatte (L 3 KA 484/03 - in Juris dokumentiert): Hierzu hat das LSG ausgeführt, die Gemeinschaftspraxis habe nur bis zum Quartal III/1999 bestanden und daher habe der Kläger zu 2. diese Verordnung nicht mehr mitzuverantworten, vielmehr habe der Kläger zu 1. sie allein vorgenommen.

7

Im Übrigen hat das LSG in seinem Urteil vom 27.8.2008 die Berufungen der Kläger zurückgewiesen. Der Bescheid vom 9.11.2002, der alleiniger Gegenstand des Verfahrens sei (§ 96 SGG), sei hinsichtlich des Klägers zu 2. im Übrigen rechtmäßig und hinsichtlich des Klägers zu 1. insgesamt rechtmäßig. Der auf eine Einzelfallprüfung nach § 106 SGB V gestützte Regress sei sowohl in formeller als auch in inhaltlicher Hinsicht nicht zu beanstanden. Weder hätte zunächst eine Beratung durchgeführt werden müssen, noch stehe dem Regress eine Überschreitung der Prüfantragsfrist entgegen. Die inhaltliche Rechtmäßigkeit der Bescheide ergebe sich daraus, dass eine Leistungspflicht der KKn für die ASI nicht bestanden habe. Für diese habe es keine Empfehlung des BA oder des G-BA gemäß § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V gegeben. Es habe sich auch nicht um Fälle seltener Krankheiten im Sinne der Rechtsprechung des BSG zu ausnahmsweise zulässigen sogenannten Einzelimporten gehandelt. Zwar seien die betroffenen Patienten im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG lebensbedrohlich erkrankt; sie hätten an metastasierenden bzw rezidivierenden Karzinomerkrankungen mit infauster Prognose gelitten. Die ASI sei allerdings nur adjuvant zur Lebensverlängerung eingesetzt worden. Es fehle sowohl an Darlegungen zur Nichteignung der allgemein anerkannten medizinischen Standardmaßnahmen als auch an ernsthaften Hinweisen dafür, dass die umstrittene Therapie Aussicht auf positive Einwirkung geboten habe, was erhebliche ernsthafte Hinweise auf einen Wirkungszusammenhang erfordere. Wirksamkeitsbelege mit Aussagekraft für die hier zum Einsatz gebrachten Tumorvakzine der Firma macropharm ergäben sich indessen aus den von den Klägern angeführten Phase-III-Studien nicht. Die von der Firma macropharm selbst veröffentlichte Studie von R. reiche nicht aus, denn sie weise methodische Unzulänglichkeiten auf, wie bereits ein LSG und das BSG ausgeführt hätten. Ferner fehle es an der erforderlichen Dokumentation durch die Kläger. Diese hätten lediglich nachträglich kurze Zusammenfassungen angefertigt, zudem habe die verantwortliche Behandlung jedenfalls in einigen Fällen nach ihren eigenen Berichten nicht bei ihnen gelegen, sondern bei Dr. N. Im Übrigen gebe es Zweifel, ob es sich nicht um ein Massenexperiment gehandelt habe, das als Heilversuch den Anforderungen der Deklaration von Helsinki mit vorheriger Anhörung der Ethik-Kommission und ausdrücklicher Einwilligung der Patienten hätte Rechnung tragen müssen. Schließlich könne zur Rechtfertigung der ASI nicht auf ein sogenanntes Systemversagen wegen verspäteter Entscheidung des BA zurückgegriffen werden. Dies komme allenfalls in Betracht, wenn die Wirksamkeit der Therapie durch wissenschaftlich einwandfrei geführte Statistiken aufgrund einer ausreichenden Anzahl von Behandlungsfällen belegt gewesen sei. Solche Belege hätten bis 1998/1999 nicht vorgelegen, wie sich daraus ableiten lasse, dass der BA kurze Zeit später (10.4.2000) festgestellt habe, dass es an ausreichenden Wirksamkeitsnachweisen fehle; dies habe auch das BSG in seiner ASI-Entscheidung vom 28.3.2000 so bestätigt. Auch dafür, dass sich die ASI 1998/1999 wenigstens in der medizinischen Praxis durchgesetzt habe, lägen keine ausreichenden Belege vor. Aufgrund der nach alledem zu verneinenden Leistungspflicht der KKn für die ASI könne der bei den KKn entstandene Schaden regressiert werden. Wie sich aus der Rechtsprechung des BSG ergebe, sei weder Raum für den Gesichtspunkt, dass ohne den Einsatz der Tumorvakzine - durch andere Behandlungsmaßnahmen - ebenfalls Kosten entstanden wären (sogenannte Vorteilsausgleichung), noch sei bei Verordnungsregressen, die auf § 106 SGB V gestützt seien, ein etwaiges Fehlen von Verschulden bedeutsam.

8

Der Kläger zu 1. hat allein Revision eingelegt. Er rügt sinngemäß eine falsche Anwendung des § 106 SGB V in formeller und materieller Hinsicht. Entgegen der Auffassung des LSG sei der Prüfantrag nicht fristgerecht mit hinreichender Begründung gestellt worden. Auch in materieller Hinsicht sei der Regress nicht rechtmäßig. Die Auffassung, er und sein Partner, der Kläger zu 2., hätten die ASI nicht verordnen dürfen, treffe nicht zu. Als zulassungsfreie Rezepturarzneimittel hätten die Tumorvakzine keiner Zulassung nach dem Arzneimittelgesetz (AMG) bedurft. Das LSG habe nicht ausreichend berücksichtigt, dass der BA durch sein Schreiben vom 7.6.1999 die Tumorvakzine vorläufig als verordnungsfähig anerkannt habe. Auch wenn dieses Schreiben nicht die rechtliche Form einer Richtlinie habe, sei es zumindest im Rahmen des Vertrauensschutzes bzw Ermessens bei der Regressentscheidung bis zu der ablehnenden Entscheidung des BA vom 10.4.2000 maßgebend gewesen. Das LSG habe auch die Vorgaben des BVerfG vom 6.12.2005 und des sogenannten Systemversagens fehlerhaft verneint. Die Annahme, die vorliegenden statistischen Wirksamkeitsnachweise seien auf die Vakzine der Firma macropharm nicht übertragbar, leide an Defiziten der Sachverhaltsaufklärung. Soweit das LSG der Auffassung sei, die Vakzine der Firma macropharm unterschieden sich wesentlich von denen, zu denen die Wirksamkeitsnachweise vorgelegen hätten, hätte dem zumindest ein Hinweis an die Kläger vorausgehen müssen, damit klägerseits hätte weiter vorgetragen werden können. Die Ansicht des LSG stehe im Gegensatz zu den Feststellungen des Gerichtsgutachters in dem früheren Verfahren des LSG Niedersachsen und der Studie von Vermorken von 1999. Auch gehe es nicht an, die bei unerklärten Krankheiten geminderten Anforderungen an ein Systemversagen bei Krebserkrankungen mit hohen Erkrankungszahlen außer Anwendung zu lassen. Jedenfalls bei Nieren- und Darmkrebs könne nicht einfach von der Zahl der Erkrankungen auf eine Klärung von Entstehung und Verlauf geschlossen werden. Zu beanstanden sei ferner das Erfordernis, die ASI könne nur dann als verordnungsfähig anerkannt werden, wenn auch eine substantiierte Dokumentation erfolgt sei. Derartige Dokumentationen seien vor 10 Jahren noch nicht üblich gewesen und könnten nicht jetzt nachträglich gefordert werden. In Fällen der vorliegenden Art dürfe nur eine Schlüssigkeit gefordert werden. Dem genügten seine - des Klägers zu 1. - Darlegungen, dass es sich bei den Krebserkrankungen in jedem Einzelfall um unheilbare Erkrankungen gehandelt habe, bei denen die ASI eine nicht fern liegende Aussicht auf Heilung bzw jedenfalls Linderung versprochen habe. Die Anforderung einer Dokumentation passe auch nicht zur Durchführung einer Einzelfallprüfung. Diese gebiete nötigenfalls die Heranziehung der Patienten. Insofern liege ein Mangel der Sachaufklärung vor. Schließlich sei zu beanstanden, dass das LSG das Erfordernis eines Verschuldens und einen Ermessensspielraum der Prüfgremien verneint habe. Dies sei weder mit § 106 Abs 5 SGB V noch mit dem verfassungsrechtlichen Willkür- und Übermaßverbot vereinbar. Die Prüfgremien müssten im Rahmen der von ihnen geforderten wertenden Entscheidung eine Verschuldensprüfung vornehmen oder jedenfalls eine Ermessensentscheidung mit einer Abwägung zwischen den Gemeinwohlbelangen und den Auswirkungen auf den betroffenen Arzt treffen. Eine Haftung könne im Falle bösgläubiger Ärzte berechtigt sein, aber nicht bei schuldlos handelnden wie den Klägern, die in nachvollziehbarem Vertrauen subjektiv rechtstreu gehandelt hätten. Ein Regress stelle sich als "maßlose" Haftung des Vertragsarztes dar, die einer Garantiehaftung für ein Verhalten von vor 10 Jahren gleichkomme und zur Wahrung der Wirtschaftlichkeit weder erforderlich noch verhältnismäßig sei.

9

Der Kläger zu 1. beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 27.8.2008 und die Gerichtsbescheide des Sozialgerichts Hannover vom 18.8.2003, 26.8.2003, 27.8.2003, 8.10.2003, 29.10.2003 und 19.11.2003 sowie die Bescheide des Beklagten vom 9.11.2002 aufzuheben,

hilfsweise,

das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 27.8.2008 aufzuheben und die Sache an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

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Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

11

Die Beigeladene zu 2. beantragt ebenfalls, wie sie schriftsätzlich ausgeführt hat,

die Revision zurückzuweisen.

12

Der Beklagte und die Beigeladenen zu 1., 2., 6., 9. und 10. verteidigen das Urteil des LSG.

13

Die übrigen Beigeladenen äußern sich im Revisionsverfahren nicht.

Entscheidungsgründe

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Die Revision des Klägers zu 1. ist sowohl im Haupt- als auch im Hilfsantrag unbegründet. Das angefochtene Urteil des LSG lässt keine Verletzung von Bundesrecht erkennen. Der angefochtene Arzneikostenregress ist nicht zu beanstanden.

15

1. Gegenstand des Revisionsverfahrens sind die neuen Widerspruchsbescheide des Beklagten vom 9.11.2002, mit denen dieser - seine früheren Bescheide gemäß § 96 SGG ersetzend - die Widersprüche gegen die Regressbescheide des Prüfungsausschusses wegen Verordnung autologer Tumorvakzine im Rahmen von ASI-Behandlungen zurückgewiesen, dh die Regressforderungen des Prüfungsausschusses bestätigt hat(zur Anfechtung nur des Widerspruchsbescheids vgl stRspr des BSG, zB BSGE 72, 214, 219 f = SozR 3-1300 § 35 Nr 5 S 10 f; BSGE 74, 59, 60 = SozR 3-2500 § 106 Nr 22 S 118 f). Gegenstand des Revisionsverfahrens sind die Bescheide allerdings nur insoweit, als sie sich gegen den Kläger zu 1. gerichtet haben. Der Kläger zu 2. hat das Urteil des LSG nicht angefochten; deshalb sind die Bescheide, soweit sie gegen ihn gerichtet worden sind, bestandskräftig.

16

Da nur noch der Kläger zu 1. das Verfahren im Revisionsverfahren weiter betreibt, stellt sich hier nicht die Frage, ob die Mitglieder der Gemeinschaftspraxis im Rubrum als Gemeinschaftspraxis zu führen sind. Die Befugnis des Klägers zu 1., sowohl die Revision als auch die zugrunde liegende Anfechtungsklage allein zu führen, ist nicht zweifelhaft. Er ist persönlich haftender Schuldner für Forderungen gegen die Gemeinschaftspraxis, die sich zB im Falle rechtswidrigen Behandlungs- oder Verordnungsverhaltens von Praxispartnern ergeben (vgl hierzu zB BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 6 RdNr 21 f; BSG SozR 4-5555 § 15 Nr 1 RdNr 15; BSG SozR 4-1500 § 141 Nr 1 RdNr 17 mwN; - zum fiktiven Fortbestehen der Gemeinschaftspraxis für schwebende Auseinandersetzungen um Forderungen und Verbindlichkeiten s § 730 Abs 2 Satz 1 BGB und BSG SozR 4-2500 § 87 Nr 15 RdNr 14; BSGE 98, 89 = SozR 4-2500 § 85 Nr 31, RdNr 11; BSG SozR 4-1500 § 141 Nr 1 RdNr 17). Als Gesellschafter muss er für solche Forderungen gegen die Gemeinschaftspraxis auch in eigener Person einstehen (s zB Sprau in Palandt, BGB, 69. Aufl 2010, § 714 RdNr 10 ff mwN; vgl auch zB BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 6 RdNr 22). Er kann Forderungen, die gegenüber der Gemeinschaftspraxis geltend gemacht werden, wahlweise zusammen mit seinen Praxispartnern gemeinschaftlich abwehren, oder er kann sie - sowohl wenn sie nur gegenüber der Gemeinschaftspraxis als auch wenn sie auch ihm selbst gegenüber geltend gemacht werden - allein abwehren (BSGE 89, 90, 92 f = SozR 3-2500 § 82 Nr 3 S 5; vgl auch BSG, MedR 2004, 172). Aus der Befugnis, eigenständig zu handeln, folgt zugleich, dass der Mitgesamtschuldner weder als sogenannter notwendiger Streitgenosse einbezogen noch notwendig beigeladen werden muss (so auch BSGE aaO mwN). Die eigenständige Anfechtungsbefugnis und Aktivlegitimation steht dem Kläger zu 1. nicht nur gegenüber denjenigen Regressforderungen zu, die die Verordnungen in den Quartalen II und III/1998 sowie I und II/1999 betreffen, sondern ohnehin auch gegenüber der Regressforderung für die Verordnung(sserie) im Quartal IV/1999, als die Gemeinschaftspraxis bereits aufgelöst war.

17

2. Rechtsgrundlage des Arzneikostenregresses ist § 106 Abs 2 SGB V(hier zugrunde zu legen in der Fassung des Gesundheitsstrukturgesetzes vom 21.12.1992, BGBl I 2266, die in den Jahren 1998 und 1999 galt; zur Maßgeblichkeit des § 106 Abs 2 SGB V vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 und MedR 2010, 276, jeweils RdNr 14 mwN). Danach wird die Wirtschaftlichkeit der Versorgung unter anderem durch arztbezogene Prüfungen ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen, entweder nach Durchschnittswerten oder anhand von Richtgrößenvolumina (aaO Nr 1) und/oder auf der Grundlage von Stichproben (aaO Nr 2), geprüft. Über diese Prüfungsarten hinaus können die Landesverbände der KKn mit den KÄVen gemäß § 106 Abs 2 Satz 4 SGB V andere arztbezogene Prüfungsarten vereinbaren(vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 17 RdNr 12 f mwN; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 RdNr 14). Diese Prüfvereinbarungen (PrüfVen) ermächtigen regelmäßig auch zu Einzelfallprüfungen. Diese waren auch in § 9 Abs 3, § 12 Abs 6 ff der hier einschlägigen PrüfV vorgesehen(vgl zur Nicht-Revisibilität der Feststellung und Auslegung von Landesrecht § 162 SGG, dazu zB BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 RdNr 14 mwN). Einzelfallprüfungen sind insbesondere dann sachgerecht - und die Wahl dieser Prüfmethode daher rechtmäßig -, wenn das individuelle Vorgehen eines Arztes in bestimmten einzelnen Behandlungsfällen hinsichtlich des Behandlungs- oder Verordnungsumfangs am Maßstab des Wirtschaftlichkeitsgebots überprüft werden soll (s BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 RdNr 14).

18

3. Die durchgeführten Einzelfallprüfungen lassen Rechtsfehler nicht erkennen. Weder die vom Kläger erhobenen formellen Rügen (nachfolgend a) noch seine materiellen Beanstandungen (unten b) greifen durch.

19

a) Der Senat folgt nicht der Ansicht des Klägers zu 1., das Prüf- und Regressverfahren hätte hinsichtlich derjenigen Quartale, für welche die Prüfanträge erst nach Ablauf der in der PrüfV normierten Frist gestellt worden seien, nicht durchgeführt werden dürfen. Zwar galt nach § 12 Abs 6 PrüfV(hier zugrunde zu legen in der Fassung vom 24.6.1996) eine Frist von zwölf Monaten nach Quartalsende; innerhalb dieser Frist konnten die KKn die Prüfung der Verordnungsweise nach Einzelfällen beantragen. Aus einer Versäumung dieser Frist kann aber nicht abgeleitet werden, das Prüf- und Regressverfahren dürfe nicht durchgeführt werden.

20

Der Senat hat bereits früher dargelegt, dass solche Fristen nicht zum Schutz des Arztes im Sinne eines Ausschlusses der Verfahrensdurchführung normiert sind, sondern dass sie - auch im Interesse des Arztes - der Verfahrensbeschleunigung dienen, also dem Interesse an effektiver Verfahrensdurchführung (s insbesondere BSG USK 9596 S 526; vgl auch BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 28 S 159 f zur Zulässigkeit späterer Antragsnachholung). Wird der Antrag zu spät gestellt, so ist damit dem Interesse an einer Verfahrensbeschleunigung nicht Rechnung getragen. Daraus aber ein Hindernis für die Verfahrensdurchführung überhaupt abzuleiten, liefe der Zielrichtung der Regelungen und im Übrigen auch dem hohen Rang des Wirtschaftlichkeitsgebots mit dem daraus folgenden Ziel möglichst effektiver Verhinderung unwirtschaftlicher Behandlungs- oder Verordnungsweise zuwider.

21

Dem Interesse des Vertragsarztes, nicht damit rechnen zu müssen, dass noch nach Jahr und Tag ein Prüf- und Regressverfahren gegen ihn eingeleitet wird, dient eine andere Frist, nämlich die generell für vertragsärztliche Prüf- und Regressverfahren bestehende Vier-Jahres-Frist (zu dieser Frist allgemein zB BSGE 96, 1 = SozR 4-2500 § 85 Nr 22, RdNr 14; BSGE 97, 84 = SozR 4-2500 § 106 Nr 15, RdNr 12 ff; BSG MedR 2008, 100, 101 f RdNr 16 ff; vgl jetzt § 106 Abs 2 Satz 7 Halbs 2 SGB V zur Frist von zwei Jahren für Verordnungsregresse wegen Überschreitung von Richtgrößenvolumina). Von dieser Ausschlussfrist und ihrer Funktion unterscheidet sich die Zwölf-Monate-Frist für die Stellung des Prüfantrags mit ihrer Ausrichtung auf Beschleunigung. Würde aus deren Versäumung ein Verfahrenshindernis abgeleitet werden, so würde ihr die Funktion beigemessen, die allein der Vier-Jahres-Frist zukommt.

22

Hat mithin die Nichteinhaltung der Zwölf-Monats-Frist nicht die Wirkung eines Verfahrenshindernisses, so kommt es vorliegend nicht darauf an, ob diese Frist in einem der Regressfälle überschritten wurde. Im Übrigen beginnt sie gemäß § 12 Abs 6 PrüfV jeweils erst ab Quartalsende. Daher wurde sie vorliegend auch ohnehin nur in wenigen Fällen - und jeweils auch nur um wenige Tage - überschritten (Eingang der KK-Anträge für das Quartal II/1998 erst am 12.7.1999 - Fall 2 - und am 20.7.1999 - Fall 1 - und für das Quartal II/1999 erst am 3.7.2000 - Fall 6 -; zu diesen Feststellungen s LSG Niedersachsen-Bremen vom 27.8.2008 - L 3 KA 484/03 - Juris RdNr 4 bis 9 iVm 37).

23

Soweit der Kläger zu 1. der Ansicht ist, entsprechend dem Grundsatz "Beratung vor Regress" hätte kein Regress, sondern nur eine Beratung erfolgen dürfen, trifft das nicht zu. Für Prüfungen der Wirtschaftlichkeit der Behandlungs- und Verordnungsweise ist eine vorgängige Beratung gemäß § 106 Abs 5 Satz 2 SGB V dann nicht erforderlich, wenn dem Arzt ein Mehraufwand im Ausmaß eines sogenannten offensichtlichen Missverhältnisses anzulasten ist(vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 und BSG MedR 2010, 276, jeweils RdNr 27 mit Hinweis auf BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 53 S 296; SozR 4-2500 § 106 Nr 1 RdNr 19; BSG MedR 2004, 577, 578 f). Noch weniger ist eine vorgängige Beratung dann geboten, wenn nicht Unwirtschaftlichkeiten durch einen zu hohen Aufwand, sondern einzelne Fälle gänzlich unzulässiger Verordnungen in Frage stehen, wenn also dem Arzt das Fehlen der Arzneimittelzulassung des verordneten Medikaments, ein unzulässiger Off-Label-Use, eine Verordnung entgegen einem Verordnungsausschluss durch die Arzneimittel-Richtlinie (AMRL) oder die Unvereinbarkeit einer Verordnung mit den Vorgaben des § 135 Abs 1 SGB V angelastet wird, also in Fällen, in denen ein sogenannter Basismangel vorliegt(vgl hierzu BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 und BSG MedR 2010, 276, jeweils RdNr 27 am Ende; - zu solchen Verordnungsregressfällen vgl Clemens in Schlegel/Voelzke/Engelmann, , jurisPraxisKommentar SGB V, 2008, § 106 RdNr 53 ff, 56 ff, 71 ff). Dementsprechend ist in der hier einschlägigen PrüfV ausdrücklich geregelt, dass im Falle von Verordnungen unter Verstoß gegen die Arznei-, Heil- und Hilfsmittel-Richtlinien Regressfestsetzungen keine vorherige Beratung voraussetzen (§ 12 Abs 10 iVm Abs 12 PrüfV). Die dem gleichwertige Konstellation des Vorwurfs der Unvereinbarkeit von Verordnungen mit den Vorgaben des § 135 Abs 1 SGB V ist hier gegeben.

24

b) Die vom Kläger zu 1. angefochtenen Verordnungsregresse sind inhaltlich nicht zu beanstanden. Hinsichtlich der ASI bestand weder eine Leistungspflicht der KKn noch ein Versorgungsanspruch der Versicherten.

25

Der Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln besteht im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nur nach Maßgabe des § 27 Abs 1 Satz 2 Nr 3 iVm § 31 Abs 1 SGB V. Aus den dabei mit heranzuziehenden § 2 Abs 1 Satz 3 und § 12 Abs 1 SGB V folgt, dass im Rahmen der GKV nur solche Verordnungen zulässig sind, die die Gewähr für Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit, jeweils nach Maßgabe des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse, bieten(vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 und BSG MedR 2010, 276, jeweils RdNr 17 mwN).

26

aa) Für die Überprüfung von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit hält die Rechtsordnung zwei Verfahren bereit, zum einen für Arzneimittel die Überprüfung im Rahmen der arzneimittelrechtlichen Zulassung - durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte nach §§ 21 ff AMG oder durch die Europäische Arzneimittel-Agentur nach Europäischem Verordnungs- und Richtlinienrecht -, und zum anderen für Behandlungs- und Untersuchungsmethoden die Überprüfung durch den BA - bzw heute G-BA - gemäß § 135 Abs 1 SGB V. Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit müssen grundsätzlich anhand zuverlässiger wissenschaftlich nachprüfbarer Aussagen aufgrund der Beurteilung einer ausreichenden Anzahl von Behandlungsfällen belegt sein; dafür ist in beiden vorgenannten Verfahren die Überprüfung durch Auswertung sogenannter randomisierter, doppelblind durchgeführter und placebokontrollierter Studien vorgesehen.

27

Soweit diese Überprüfung der Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit, wie es bei Arzneimitteln die Regel ist, bereits im Rahmen der arzneimittelrechtlichen Zulassung erfolgt, wird eine etwaige zusätzliche Prüfung nach § 135 Abs 1 SGB V als entbehrlich angesehen(vgl zusammenfassend BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 und BSG MedR 2010, 276, jeweils RdNr 19 mwN zur Rspr und zum Streitstand). Bei Arzneimitteln folgt somit im Regelfall aus der Verkehrsfähigkeit zugleich die Verordnungsfähigkeit im Rahmen der GKV (vgl zu diesem Zusammenhang BSG SozR aaO und MedR aaO, jeweils RdNr 19)

28

bb) Von diesen Grundsätzen sind bei Arzneimitteltherapien allerdings Ausnahmen anerkannt. In den Fällen, in denen die arzneimittelrechtliche Verkehrsfähigkeit nach dem AMG ohne fundierte Überprüfung von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit erlangt werden kann, fehlt die Grundlage dafür, um von der Verkehrsfähigkeit gemäß dem AMG auf die Verordnungsfähigkeit im Rahmen der GKV schließen zu können.

29

In diesem Sinne hat das BSG zu Fällen aus der ersten Zeit nach der Neuordnung des deutschen Arzneimittelrechts Ende der 70er Jahre ausgesprochen, dass die damalige sogenannte fiktive Zulassung, die übergangsrechtlich bis zur fundierten Überprüfung der Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit gewährt wurde, nicht für die Annahme der Verordnungsfähigkeit ausreicht (BSG - 1. Senat - BSGE 95, 132 RdNr 18 ff = SozR 4-2500 § 31 Nr 3 RdNr 25 ff; BSG - 1. Senat - BSGE 82, 233, 235 ff = SozR 3-2500 § 31 Nr 5 S 17 ff; BSG - 6. Senat - SozR 4-2500 § 106 Nr 21 und BSG MedR 2010, 276, jeweils RdNr 21 ff).

30

Dem ist vergleichbar, wenn - wie vorliegend - ein Arzneimittel ohne fundierte Überprüfung von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit deshalb nach dem AMG verkehrsfähig ist, weil es sich um ein sogenanntes Rezepturarzneimittel handelt. Bei Rezepturarzneimitteln, dh solchen, die nicht wie Fertigarzneimittel im Voraus hergestellt und in einer zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Packung in den Verkehr gebracht werden (§ 4 Abs 1 AMG), reicht für die arzneimittelrechtliche Verkehrsfähigkeit eine Herstellungserlaubnis aus (vgl §§ 13 bis 15 iVm § 43 Abs 2 Halbs 2 iVm § 47 AMG); ein Zulassungsverfahren mit Überprüfung von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit anhand randomisierter, doppelblind durchgeführter und placebokontrollierter Studien ist arzneimittelrechtlich nicht vorgesehen (vgl dazu BSGE 86, 54, 60 = SozR 3-2500 § 135 Nr 14 S 65 f). Bei solchen Arzneimitteln fehlt es mithin an der fundierten Überprüfung von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit, sodass sie zwar verkehrsfähig gemäß dem AMG sind, aber ohne dass daraus abgeleitet werden könnte, dass sie auch verordnungsfähig sind.

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cc) Anders wiederum liegt der Fall, wenn das Arzneimittel, das arzneimittelrechtlich keiner Zulassung bedarf, so eingesetzt wird, dass darin zugleich eine auf einem bestimmten theoretisch-wissenschaftlichen Konzept fußende Vorgehensweise der Krankenbehandlung liegt (sogenannte Pharmakotherapie - zur Definition s zB BSGE 86, 54, 58 f = SozR 3-2500 § 135 Nr 14 S 63 f; zum Methodenbegriff vgl ferner zB BSG - 6. Senat - zB BSGE 84, 247, 249 f = SozR 3-2500 § 135 Nr 11 S 50 f; BSG SozR 3-5533 Nr 2449 Nr 2 S 9 f; ebenso BSG - 1. Senat - zB BSGE 94, 221 RdNr 24 = SozR 4-2400 § 89 Nr 3 RdNr 25; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 10 RdNr 16; BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 19 RdNr 14 mwN). Dann liegt eine Behandlungsmethode vor, deren Einsatz im Rahmen der GKV gemäß § 135 Abs 1 SGB V eine positive Empfehlung durch den BA bzw G-BA erfordert. In solchen Fällen ist zwar arzneimittelrechtlich keine fundierte Überprüfung der Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit vorgesehen; da aber eine Behandlungsmethode im Sinne des § 135 Abs 1 SGB V vorliegt, ist das Arzneimittel bzw die dieses einschließende Behandlungsmethode im Verfahren gemäß § 135 Abs 1 SGB V zu überprüfen(BSGE 86, 54, 58, 59 f = SozR 3-2500 § 135 Nr 14 S 63, 65; vgl auch zB BSG SozR 3-2500 § 135 Nr 12 S 55 f). Falls die in diesem Verfahren stattfindende Überprüfung von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit anhand randomisierter, doppelblind durchgeführter und placebokontrollierter Studien zu einer positiven Empfehlung des BA bzw G-BA führt, ist das Arzneimittel dann auch verordnungsfähig. Kommt es demgegenüber zur Zuordnung zu den nicht anerkannten Behandlungsmethoden, so darf eine Therapie mit diesem Arzneimittel nicht erfolgen; dieses ist nicht verordnungsfähig.

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Differenziert sind die Fälle zu beurteilen, in denen das Arzneimittel im Rahmen einer Behandlungsmethode im Sinne des § 135 Abs 1 SGB V eingesetzt werden soll, aber - wie im vorliegenden Fall - im Behandlungszeitpunkt die nach dieser Bestimmung notwendige Überprüfung durch den BA bzw G-BA noch nicht zu einem Ergebnis geführt hat(zur Maßgeblichkeit des Behandlungszeitpunkts s zB BSGE 86, 54, 64 = SozR 3-2500 § 135 Nr 14 S 69 f; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 10 RdNr 12 ff; BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 15 f). Dann ist zu prüfen, ob die Vorenthaltung des Einsatzes in der GKV noch gerechtfertigt ist, ob nämlich die Dauer des Verfahrens noch rechtens ist oder ob die Durchführung des Verfahrens aus sachfremden Gründen verzögert wurde; in letzterem Fall ist weiter zu prüfen, ob die Behandlungsmethode als dem Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechend bewertet werden kann und deshalb ungeachtet des Noch-Nicht-Vorliegens einer positiven Empfehlung für die GKV freigegeben werden kann (BSGE 86, 54, 60 ff, 64 ff = SozR 3-2500 § 135 Nr 14 S 66 ff, 69 ff; BSGE 94, 221 RdNr 23 = SozR 4-2400 § 89 Nr 3 RdNr 24). Bei der ersatzweise gerichtlicherseits vorzunehmenden Bewertung sind die Belege zu würdigen, die im Behandlungszeitpunkt für eine Wirksamkeit sprechen konnten. Dabei sind für eine Wirksamkeitsanerkennung grundsätzlich wissenschaftlich einwandfrei geführte Statistiken zu fordern. Im Falle von Krankheiten allerdings, bei denen Entstehung und Verlauf ungeklärt sind, sodass Therapien nur bei Symptomen ansetzen können, und daher die Forderung von Wirksamkeitsbelegen den Anspruch auf umfassende Krankenbehandlung gemäß § 27 Abs 1 SGB V und die damit korrespondierende Behandlungspflicht des Vertragsarztes unmöglich machen würde(vgl zu diesem Ansatz BSGE 86, 54, 60 f = SozR 3-2500 § 135 Nr 14 S 66), reicht es ersatzweise aus, wenn sich die in Anspruch genommene Therapie in der medizinischen Praxis und/oder in der medizinischen Fachdiskussion durchgesetzt hat (BSG aaO S 62 bzw S 67 f; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 8 RdNr 37; vgl auch BSG SozR 4-2500 § 18 Nr 5 RdNr 25 ff, 29) bzw - in Fällen lebensbedrohlicher oder im Regelfall tödlich verlaufender Erkrankungen - eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung bzw auf eine positive Einwirkung auf den weiteren Krankheitsverlauf gegeben ist (BVerfGE 115, 25, 49 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 RdNr 33).

33

Auch in Fällen lebensbedrohlicher oder im Regelfall tödlich verlaufender Erkrankungen sind aber weitere einschränkende Voraussetzungen zu beachten. Zwar ergeben sich aus der Entscheidung des BVerfG (BVerfGE 115, 25, 49 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 RdNr 33 f) und dem von diesem herangezogenen Sozialstaatsprinzip sowie aus der verfassungsrechtlichen Schutzpflicht des Staates einerseits Abschwächungen zugunsten der Versicherten (vgl hierzu BVerfGE aaO S 41 ff, 44 ff = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 RdNr 17 ff, 24 ff; BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4, RdNr 24 ff). Andererseits besteht aber auch eine Schutzpflicht in der Weise, dass der Staat den Versicherten davor zu bewahren hat, mit zweifelhaften Therapien behandelt zu werden. Dem dient das Erfordernis fundierter Überprüfung von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit. Dies darf nicht durch eine vermeintlich großzügige Gestattung der Versorgung mit Arzneimitteln unterlaufen und umgangen werden (vgl BSG aaO RdNr 25 iVm 35). Dementsprechend darf eine Pharmakotherapie, bei der eine fundierte Überprüfung von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Arzneimittel nicht stattgefunden hat, im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung nur eingesetzt werden, wenn der Wirksamkeitszusammenhang, der dieser Arzneimitteltherapie zugeschrieben wird, wenigstens in gewissem Umfang belegt werden kann. Fehlen höherwertige Studien, so können als Beleg auch Assoziationsbeobachtungen, pathophysiologische Überlegungen, deskriptive Darstellungen, Berichte von Expertenkomitees, Konsensuskonferenzen und Einzelfallberichte in Betracht kommen (vgl Nr 8.2 unter III der NUB-RL; vgl ebenso BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4, RdNr 40 am Ende). Insgesamt müssen - auch bei lebensbedrohlichen oder im Regelfall tödlich verlaufenden Erkrankungen - erhebliche ernsthafte Hinweise auf einen jedenfalls individuellen Wirkungszusammenhang vorliegen (BSG aaO RdNr 47). Dabei kommt auch der fachlichen Einschätzung durch den behandelnden Arzt Bedeutung zu (vgl BVerfGE aaO S 50 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5, RdNr 35 am Ende und BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4, RdNr 47 am Ende).

34

dd) Bei Anwendung dieser Maßstäbe auf die vorliegend zu beurteilenden Verordnungen ergibt sich, dass die vom Kläger zu 1. durchgeführten ASI-Verfahren in der GKV nicht zulässig waren. Die autologen Tumorvakzine wurden im Rahmen einer gemäß § 135 Abs 1 SGB V anerkennungsbedürftigen Behandlungsmethode verordnet, wie das BSG bereits in seiner früheren Entscheidung vom 28.3.2000 ausgeführt hat (BSGE 86, 54, 57 = SozR 3-2500 § 135 Nr 14 S 62). In dem Zeitpunkt, als der Kläger zu 1. bzw die Gemeinschaftspraxis die Verordnungen vornahm (1998/1999), war das Verfahren der ASI gemäß § 135 Abs 1 SGB V noch beim BA anhängig (dieser gab erst am 10.4.2000 eine - negative - Empfehlung ab, s BAnz Nr 137 vom 25.7.2000 S 14470 = DÄ 2000, C 1828), sodass also der Fall fehlender Entscheidung des BA bzw G-BA gemäß § 135 Abs 1 SGB V vorlag.

35

Zu der Frage, ob das Verfahren beim BA im Sinne der in RdNr 32 angesprochenen ersten Voraussetzung zu lange dauerte, braucht vorliegend nicht Stellung genommen zu werden. Denn es fehlen jedenfalls die weiteren Voraussetzungen für eine Akzeptanz der Anwendung dieser Therapiemethode: Ausgehend davon, dass die betroffenen Patienten hier an lebensbedrohlichen oder im Regelfall tödlich verlaufenden Erkrankungen litten (vgl BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4, RdNr 17 betreffend Darmkrebs), bedürfte es wenigstens ausreichender Belege im Sinne erheblicher ernsthafter Hinweise auf einen individuellen Wirkungszusammenhang (s oben RdNr 33 am Ende). Daran fehlt es.

36

Nach den Feststellungen im Berufungsurteil (L 3 KA 484/03 - Juris RdNr 45) gab es zwar Phase-III-Studien, diesen konnte aber keine Aussagekraft für die vom Kläger zu 1. verordneten Tumorvakzine der Firma macropharm entnommen werden. Denn die Tumorvakzine unterschieden sich nach den vorinstanzlichen Feststellungen schon in der Herstellungsweise der verschiedenen Herstellerfirmen. Diese hatten unterschiedliche Anwendungs- und Verarbeitungsmethoden. Zudem erfolgte die Herstellung jeweils speziell für den jeweiligen Versicherten, sodass sie auch untereinander verschieden waren und individueller Beurteilung bedurften (vgl LSG aaO RdNr 44). Tauglich könnte insoweit lediglich die von der Firma macropharm veröffentlichte Studie von R. sein; diese wies aber nach den Feststellungen im Berufungsurteil (aaO RdNr 45) und auch nach der Wertung des BSG in seinem früheren Urteil (BSGE 86, 54, 64 = SozR 3-2500 § 135 Nr 14 S 70) methodische Unzulänglichkeiten auf.

37

Auch hatte sich die ASI mit autologen Tumorvakzinen nicht etwa schon in der medizinischen Praxis durchgesetzt. Diese Behauptung hat das Berufungsgericht als nicht ausreichend belegt bezeichnet (LSG aaO RdNr 48 bis 51). Die dazu vom Kläger zu 1. erhobene Verfahrensrüge, das LSG habe insoweit den Sachverhalt nicht ausreichend aufgeklärt, greift nicht durch. Die Rüge unzureichender Aufklärung des LSG erfordert im Falle eines Klägers, der bereits dort anwaltlich vertreten gewesen ist, die Darlegung, dass sich dem LSG auf der Grundlage des Vorbringens des Klägers weitere Ermittlungen hätten aufdrängen müssen (vgl zB BVerwGE 131, 186, 189 RdNr 13; s auch zB BSGE 102, 181 = SozR 4-2500 § 109 Nr 15, RdNr 24 bis 26). In der Revisionsbegründung wird indessen nicht aufgezeigt, aufgrund welcher konkreten Darlegungen des Klägers zu 1. im LSG-Verfahren sich dem LSG weitere Ermittlungen hätten aufdrängen müssen. Mit seinen Ausführungen, entgegen der Auffassung des LSG hätten die vorliegenden Phase-III-Studien durchaus Aussagekraft für die von ihm zum Einsatz gebrachten Tumorvakzine der Firma macropharm, setzt der Kläger zu 1. dem LSG lediglich seine gegenteilige Ansicht entgegen. Er müsste aber konkrete Ansatzpunkte für Möglichkeiten des LSG zu weitergehender Aufklärung benennen und darlegen, dass er auf diese schon im LSG-Verfahren hingewiesen habe. Dies ist der Revisionsbegründung so nicht zu entnehmen.

38

Zu diesem Fragenkomplex hat es keines Hinweises des LSG bedurft - wie der Kläger zu 1. geltend macht -. Denn dieser Streitpunkt lag schon während des gesamten Verfahrens zu Tage (s dazu auch schon BSGE 86, 54, 64 ff = SozR 3-2500 § 135 Nr 14 S 70 ff). Zudem hat bei ihm, da er bereits im Berufungsverfahren anwaltlich vertreten gewesen ist, vorausgesetzt werden können, dass er die Anforderungen kennt, die erfüllt sein müssen, damit das Gericht Anlass zu weiterer Aufklärung hat.

39

Bei den hier betroffenen Behandlungsfällen fehlt zudem eine weitere Voraussetzung, die für die Anerkennung ärztlich sachgerechten Vorgehens erforderlich wäre: Für die ausnahmsweise Zulässigkeit von Verordnungen zweifelhafter Art muss eine ausreichend substantiierte fachliche Einschätzung durch den verordnenden Arzt selbst erkennbar sein (vgl hierzu BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4, RdNr 47 am Ende und 50); dafür ist auch eine entsprechende therapiebegleitende Kontrolle und Dokumentation durch den behandelnden Arzt erforderlich (vgl dazu BSG aaO RdNr 50 f; s auch BSG SozR 3-5550 § 17 Nr 2 S 8). Indessen lag nach den Feststellungen im Urteil des LSG die Behandlung vor allem in den Händen des Dr. N., der im Auftrag der Firma macropharm die autologen Tumorvakzine herstellte und bearbeitete sowie die ASI bei den Patienten im Wesentlichen durchführte (LSG aaO RdNr 46). Wie im Urteil des LSG festgestellt ist, fertigten der Kläger zu 1. bzw der Partner der damaligen Gemeinschaftspraxis lediglich nachträglich kurze Zusammenfassungen an (LSG aaO RdNr 46).

40

Diese Feststellungen des LSG sind nach alledem tragfähig. Dem LSG fallen keine Verfahrensmängel zur Last. Abgesehen davon, dass die erhobenen Aufklärungsrügen nicht durchgreifen, sind auch keine Verstöße gegen den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs ersichtlich. Insbesondere liegen keine ausreichenden Umstände für die Annahme einer unzulässigen Überraschungsentscheidung vor. Dass das LSG, ohne dass dies voraussehbar gewesen wäre, strengere Anforderungen gestellt hätte als die bisherige BSG-Rechtsprechung, kann bei einem anwaltlich vertretenen Kläger nicht anerkannt werden (vgl zB zu vorgenannten Dokumentationsanforderungen: BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4, RdNr 50 f). Der Kläger zu 1. hat das auch nicht in ausreichend substantiierter Weise geltend gemacht.

41

ee) Waren mithin die autologen Tumorvakzine nicht verordnungsfähig, so war Unwirtschaftlichkeit gegeben (zu dieser Gleichsetzung s BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 und BSG MedR 2010, 276, jeweils RdNr 25 mwN). Bei unwirtschaftlicher Verordnungsweise ist die Festsetzung eines Regresses grundsätzlich berechtigt. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz kommt vorliegend nicht in Betracht.

42

(1) Ohne Erfolg ist der Einwand des Klägers, ihm könne kein Verschulden oder höchstens vermindertes Verschulden angelastet werden und deshalb sei entweder ein Regress ganz ausgeschlossen oder dieser müsse jedenfalls erheblich herabgesetzt werden. Nach der Rechtsprechung des BSG setzen Honorarkürzungen oder Verordnungsregresse gemäß § 106 SGB V kein Verschulden des Vertragsarztes voraus(zuletzt BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 und BSG MedR 2010, 276, jeweils RdNr 28 mwN, im Anschluss an BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 1 RdNr 18; BSG MedR 2004, 577, 578) .

43

Bei Verordnungsregressen der hier vorliegenden Art ist auch kein Raum für eine Ermessensausübung. Bei Regressen, denen unzulässige Verordnungen zugrunde liegen, wie dies beim Fehlen der Arzneimittelzulassung des verordneten Medikaments, bei einem unzulässigen Off-Label-Use, bei Verordnung entgegen einem AMRL-Verordnungsausschluss oder bei Unvereinbarkeit einer Verordnung mit den Vorgaben des § 135 Abs 1 SGB V der Fall ist, kann eine Unwirtschaftlichkeit nur bejaht oder verneint werden(sogenannter Basismangel, vgl oben RdNr 23, vgl dazu BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 und BSG MedR 2010, 276, jeweils RdNr 29). Mit dem Regress lediglich einen Teil der Unwirtschaftlichkeit abzuschöpfen, kann nur in anders gelagerten Fällen in Betracht kommen, zB im Rahmen eines Regresses aufgrund einer sogenannten Durchschnittsprüfung bei insgesamt deutlich höherem Verordnungsvolumen als im Durchschnitt der Arztgruppe und/oder bei einer Anfängerpraxis, evtl auch bei der Belassung von Restüberschreitungen (vgl hierzu BSG SozR 4-1500 § 141 Nr 1 RdNr 30 am Ende; vgl weiterhin BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 und BSG MedR 2010, 276, jeweils RdNr 29 mit Hinweis auf die Fallgruppe "Anfängerpraxis", hierzu s zB Clemens in Schlegel/Voelzke/Engelmann, jurisPraxisKommentar SGB V, 2008, § 106 RdNr 145-147 mwN). Bei Rezepturarzneimitteln, die nicht von Apotheken bezogen werden, ist im Übrigen nicht einmal Raum für einen Abzug von Apothekenrabatt und/oder Patienteneigenanteilen (vgl hierzu zB BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 50 S 269 mwN; BSG SozR 4-1500 § 141 Nr 1 RdNr 32; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 und BSG MedR 2010, 276, jeweils RdNr 33). Dementsprechend ist in solchen Fällen die Höhe des Regresses dahingehend vorgezeichnet, dass vom Arzt Ersatz der vollen Kosten zu fordern ist. Raum für eine Regressermäßigung aufgrund einer Ermessensentscheidung besteht nicht.

44

(2) Zu Unrecht beruft sich der Kläger weiterhin darauf, dass er jedenfalls vor dem Hintergrund des Schreibens des BA vom 7.6.1999 auf die Zulässigkeit der ASI habe vertrauen dürfen. Ein Vertrauen könnte insoweit ohnehin allenfalls für diejenigen Verordnungen in Betracht gezogen werden, die der Kläger zu 1. nach Bekanntwerden des BA-Schreibens tätigte (also für seine Verordnungen im Quartal IV/1999). Indessen begründet das Schreiben bereits von seinem Inhalt her keinen Vertrauensschutz. Denn der BA hat ausdrücklich mitgeteilt, dass der Behandlungsansatz (die Verordnung autologer Tumorvakzine) "bisher ohne abschließendes Ergebnis" von dem dem BA zuarbeitenden Arbeitsausschuss bearbeitet worden sei und dass daher "eine verbindliche Auskunft … zum jetzigen Zeitpunkt nicht gemacht" werden könne. Da das Schreiben somit schon aufgrund seines "offenen Inhalts" für eine Vertrauensbegründung nicht ausreichen kann, bedarf es keiner Erörterung, ob der vom Kläger zu 1. geltend gemachten rechtlichen Bedeutung auch entgegensteht, dass das Schreiben des BA nicht an ihn selbst gerichtet war und dass es nicht die dem BA durch § 135 Abs 1 SGB V vorgegebene Handlungsform "Richtlinie" aufwies. Ist das Schreiben des BA vom 7.6.1999 mithin für den vorliegenden Fall rechtlich irrelevant, so fehlt der vom Kläger zu 1. erhobenen Verfahrensrüge, das LSG hätte es nicht ausreichend berücksichtigt, die Grundlage.

45

Ein Vertrauenstatbestand kann auch nicht darauf gestützt werden, dass in der Regel aus der arzneirechtlichen Verkehrsfähigkeit des Arzneimittels dessen Verordnungsfähigkeit folgt. Denn dies betrifft nur den Regelfall von Fertigarzneimitteln, für deren Verkehrsfähigkeit das Zulassungsverfahren mit fundierter Überprüfung der Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit durchlaufen werden muss, während hier der besondere Fall eines Rezepturarzneimittels zu beurteilen ist. Dass insoweit keine Überprüfung nach dem AMG und typischerweise auch keine dem nahekommende Überprüfung stattgefunden hat, kann bei Ärzten als bekannt vorausgesetzt werden (zur ärztlichen Sachkunde vgl BSGE 103, 1 = SozR 4-2500 § 106a Nr 7, RdNr 24 mit Hinweis auf zB BSGE 96, 1= SozR 4-2500 § 85 Nr 22 RdNr 34). Von daher bedürfte es besonderer Umstände, um annehmen zu können, der Arzt habe auf die Verordnungsfähigkeit vertrauen dürfen. Hierfür fehlt es an den ausreichenden Anhaltspunkten. Den vom Kläger zu 1. angeführten Gerichtsentscheidungen stehen gegenläufige Entscheidungen gegenüber, in denen die Verordnungsfähigkeit autologer Tumorvakzine verneint wurde (s die Angaben im Bescheid des Beklagten vom 9.11.2002 S 4; vgl dazu BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 und BSG MedR 2010, 276, jeweils RdNr 30).

46

(3) Ohne Erfolg wendet der Kläger zu 1. ferner ein, er habe sich in schwierigen Konfliktsituationen bei lebensbedrohlichen Erkrankungen dafür entschieden, eine Behandlung durchzuführen, die immerhin von manchen Medizinern und Gerichten gebilligt worden sei, und deshalb sei unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit (Übermaßverbot) ein Regress ausgeschlossen. Dabei ist schon zweifelhaft, inwieweit nach der vom Beklagten und von den Vorinstanzen vorgenommenen umfänglichen Prüfung überhaupt noch Raum für eine Heranziehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sein kann. Selbst wenn hierfür Raum wäre, könnte dies nicht zu einem Erfolg für den Kläger zu 1. führen. Denn mit den autologen Tumorvakzinen sind Arzneimittel betroffen, bei denen sich Zweifel an der Verordnungsfähigkeit aufdrängen mussten: Eine fundierte Überprüfung der Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit in einem Zulassungsverfahren hatte - da Rezepturarzneimittel - erkennbar nicht stattgefunden, eine Empfehlung des BA gab es nicht, und die Studienlage konnte nicht ohne Weiteres als tragfähig angesehen werden (vgl oben RdNr 34 ff). Nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits - und daher offenzulassen - ist die Frage, ob bzw unter welchen Voraussetzungen ein Arzt, der von einem pharmazeutischen Hersteller zur Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel veranlasst bzw verleitet wird und Regress an die vertragsärztlichen Institutionen leisten muss, Rückgriff gegen den Hersteller nehmen kann.

47

Im Rahmen von Regressen in der GKV ist auch kein Raum für die Berücksichtigung des Gesichtspunktes, dass bei Nicht-Durchführung dieser Arzneimitteltherapie Kosten für andere Behandlungsarten angefallen wären - sogenannte Vorteilsausgleichung - (vgl BSG SozR 4-2500 § 39 Nr 3 RdNr 14 mwN; BSGE 96, 99 = SozR 4-5520 § 33 Nr 6, RdNr 11 mwN; BSG SozR 4-2500 § 115b Nr 2 RdNr 21).

48

c) Dem Regress stehen schließlich auch keine Grundrechtspositionen des Klägers zu 1. entgegen. Insbesondere ist das Grundrecht der Berufsfreiheit gemäß Art 12 Abs 1 GG nicht verletzt. Dieses Grundrecht unterliegt - ebenso wie Art 14 Abs 1 GG - einem Gesetzesvorbehalt, darf also durch Gesetz eingeschränkt werden. Das ist durch die vorliegend einschlägigen Bestimmungen der §§ 106, 135 Abs 1 SGB V geschehen. Die Anwendung dieser Regelungen belastet den Kläger zu 1. nicht unverhältnismäßig (vgl oben RdNr 46).

49

4. Nach alledem ist nicht nur der Hauptantrag des Klägers zu 1. auf Bescheidaufhebung zurückzuweisen, sondern ebenso der Hilfsantrag: Für die hilfsweise begehrte Zurückverweisung der Sache an das LSG ist kein Raum, denn der gegenüber dem Kläger zu 1. ausgesprochene Regress hat sich im Revisionsverfahren gemäß vorstehenden Ausführungen abschließend als rechtmäßig erwiesen.

50

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und Abs 4 SGG in der bis zum 1.1.2002 geltenden - im Hinblick auf die Klageerhebung vor diesem Stichtag hier noch anwendbaren - Fassung (vgl BSG SozR 3-2500 § 116 Nr 24 S 115 ff).

Tatbestand

1

Im Streit steht ein Regress wegen der Verordnung eines Arzneimittels.

2

Der Beigeladene zu 1. ist Chefarzt der Klinik für Frauenheilkunde des Kreiskrankenhauses H. und war im fraglichen Zeitraum zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung ermächtigt. Am 18.12.2000 verordnete er zugunsten eines bei der Beigeladenen zu 8. versicherten Patienten Wobe Mugos E-Tabletten. Am 22.10.2001 stellte die Beigeladene zu 8. bei der klagenden Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) einen Antrag auf Prüfung dieser Verordnung und Festsetzung eines Regresses in Höhe von 260,27 DM (= 133,07 Euro). Mit Schreiben vom 27.12.2001 setzte die Bezirksstelle Hannover der Klägerin den Beigeladenen zu 1. über den Prüfantrag in Kenntnis. Zugleich teilte sie diesem sowie der Beigeladenen zu 8. mit, dass sie den Antrag bis zur Klärung der Rechtslage ruhen lassen werde; die Verordnungsfähigkeit des Präparats sei unsicher, da für Wobe Mugos E-Tabletten nur eine fiktive Zulassung vorliege.

3

Nachdem das BSG mit Urteil vom 27.9.2005 (B 1 KR 6/04 R - BSGE 95, 132 = SozR 4-2500 § 31 Nr 3)entschieden hatte, dass Wobe Mugos E-Tabletten nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden können, setzte der Prüfungsausschuss mit Bescheid vom 10.8.2006 gegen den Beigeladenen zu 1. einen Regress in Höhe von 133,07 Euro fest. Der vom Beigeladenen zu 1. unter Hinweis auf zwischenzeitlich eingetretene Verjährung eingelegte Widerspruch blieb erfolglos. Der Beklagte vertrat die Auffassung, der Ablauf der hier maßgeblichen Verjährungsfrist von vier Jahren sei dadurch unterbrochen (bzw gehemmt) worden, dass der betroffene Vertragsarzt von der Prüfungseinrichtung über die Antragstellung der Krankenkasse informiert und ihm rechtliches Gehör eingeräumt worden sei.

4

Auch die hiergegen von der Klägerin erhobene Klage ist ohne Erfolg geblieben. Das SG hat die Auffassung vertreten, die vierjährige Ausschlussfrist sei im Rahmen der richterlichen Rechtsfortbildung für Honorarkürzungen entwickelt worden; durch die hier festgesetzten Regresse werde jedoch unmittelbar keine Honorarkürzung bewirkt. Eine Ausschlussfrist sei auch nicht zur Wahrung der Rechtssicherheit erforderlich, weil die Prüfvereinbarung vorsehe, dass Krankenkassen Anträge auf Festsetzung eines sonstigen Schadens innerhalb von vier Jahren nach der Pflichtverletzung stellen müssten. Die von der Klägerin erhobene Einrede der Verjährung sei ohne Rechtswirkung, weil das hier fragliche verfahrensrechtliche Gestaltungsrecht grundsätzlich nicht der Verjährung unterliegen könne (Urteil vom 10.10.2007).

5

Auf die Berufung der Klägerin hat das LSG das Urteil des SG sowie den Bescheid des Beklagten aufgehoben. Zur Begründung hat es ausgeführt, zwar sei der Beigeladene zu 1. dem Grunde nach verpflichtet, der betroffenen Krankenkasse den Schaden zu ersetzen, der dieser durch die unzulässige Verordnung von Wobe Mugos E entstanden sei. Jedoch sei der Beklagte durch Fristablauf an der Festsetzung eines Regresses gehindert gewesen. Allerdings greife nicht die von der BSG-Rechtsprechung entwickelte Ausschlussfrist ein, denn für diese sei von vornherein kein Raum, wenn sich - wie hier - die Regressforderung aus einem Schadensersatzanspruch ergebe, bei dem die zeitliche Begrenzung bereits aus der Möglichkeit der Verjährung folge. Der Schadensersatzanspruch der Beigeladenen zu 8. sei verjährt, denn ausgehend von der Einlösung der umstrittenen Verordnung im Jahre 2001 sei der Lauf der vierjährigen Verjährungsfrist mit Ablauf des Jahres 2005 - und damit vor Erlass des Bescheides des Prüfungsausschusses vom 10.8.2006 - vollendet gewesen. Die Verjährung sei auch nicht dadurch gehemmt worden, dass die Beigeladene zu 8. die Festsetzung des Schadensersatzanspruchs bei der Klägerin beantragt und die Klägerin dies dem Beigeladenen zu 1. mitgeteilt habe. § 45 Abs 3 SGB I sei nicht einschlägig, da die darin liegende Privilegierung des Anspruchsinhabers auf Sozialleistungen beschränkt sei(Urteil vom 28.1.2009).

6

Mit seiner Revision rügt der Beklagte die Verletzung von Bundesrecht. Er teile zwar die Auffassung des Berufungsgerichts, dass bei einem Arzneimittelverordnungsregress im Einzelfall wegen der Nähe zum klassischen Schadensersatzrecht keine Ausschlussfrist eingreife, sondern Regressansprüche der Krankenkassen der Verjährung unterlägen, gehe jedoch von einer wirksamen Hemmung der Verjährungsfrist aus. Bei den gesetzlichen Verjährungsregelungen gehe es jeweils um ein Zweierverhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner, während im komplizierten Kompetenzgeflecht im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung immer Verhältnisse mit mehr als zwei Beteiligten zu beurteilen seien. Zudem sei er - der Beklagte - nie Gläubiger der Regressforderung, die er festsetze. Als Konsequenz aus diesen Besonderheiten dürften etwaige Hemmungsvorschriften nur entsprechend und nicht direkt zur Anwendung kommen. In diesem Sinne seien "Verhandlungen" iS des § 203 BGB nF (in der seit dem 1.1.2002 gültigen Fassung) in Form der Rechtsverfolgung bzw eines alle Instanzen durchlaufenden Gerichtsverfahrens erfolgt. Auch eine Anwendung des § 206 BGB sei nicht ausgeschlossen, denn er - der Beklagte - habe die höchstrichterliche Entscheidung zu dem Problemkomplex um das Präparat Wobe Mugos E abwarten müssen, um ggf nicht sehenden Auges rechtswidrige Bescheide zu erlassen. Die vom LSG angeführte Entscheidung des BVerwG sei auf den vorliegenden Fall mangels Vergleichbarkeit nicht übertragbar; sie benachteilige auch diejenigen, die auf ein zweistufiges Verwaltungsverfahren verwiesen würden. Schließlich sei der Grundsatz nicht beachtet worden, dass die Verjährung nicht gegen denjenigen laufe, welcher den Eintritt der Verjährung nicht - klageweise - verhindern könne. Die Beigeladene zu 8. habe keine Möglichkeit gehabt, das laufende Verfahren zu beeinflussen, sondern sei zur Untätigkeit gezwungen gewesen. Nach der Entscheidung des erkennenden Senats vom 28.8.1996 sei eine Hemmung der Verjährungsfrist dann gegeben, wenn die Beteiligten über den Hemmungsgrund "offiziell" Kenntnis erlangt hätten, dieser Hemmungsgrund zweckmäßig sei und nicht eine sittenwidrige Verzögerung bedinge, und der Hemmungszeitraum angemessen sei und nicht gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoße. Diese Voraussetzungen seien vorliegend erfüllt.

7

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 28. Januar 2009 aufzuheben und die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 10. Oktober 2007 zurückzuweisen,

hilfsweise, das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 28. Januar 2009 aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

8

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

9

Die Prüfbefugnis der Gremien nach § 106 SGB V unterliege als verfahrensrechtliches Gestaltungsrecht allein einer vierjährigen Ausschlussfrist. Die Prüfgremien seien in jedem Einzelfall verpflichtet, zunächst von Amts wegen zu prüfen, ob die Prüfbefugnis gegeben oder aufgrund des Ablaufs der Ausschlussfrist entfallen sei. Schon aus Gründen der Rechtssicherheit dürften die Verfahren hinsichtlich der Fristenregelung nicht unterschiedlich beurteilt werden. Es müsse den Prüfgremien von vornherein klar sein, ob Fristenregelungen von Amts wegen vor Beginn der Prüfung (Ausschlussfrist) oder erst im Rahmen der Durchführung der materiellen rechtlichen Prüfung auf Einrede (Verjährung) zu beachten seien. Im vorliegenden Fall sei die Ausschlussfrist nicht wirksam gehemmt worden. Dies erfordere zwingend den Erlass eines Verwaltungsaktes gegenüber dem Betroffenen; die bloße Kenntnisnahme einer solchen Möglichkeit vor Ablauf der Ausschlussfrist genüge nicht. Bei dem Schreiben ihrer Bezirksstelle vom 27.12.2001 handele es sich nicht um einen Verwaltungsakt, sondern um eine bloße Information. Eine Hemmung durch Rechtshandlungen der antragstellenden Krankenkasse komme nur in Ausnahmefällen in Betracht, nämlich dann, wenn es darum gehe, einer Vereitelung der Wirtschaftlichkeitsprüfung durch die Prüfgremien entgegenzutreten. Der Beigeladenen zu 8. habe die Möglichkeit offengestanden, eine Hemmung der Frist durch Erhebung der Untätigkeitsklage nach § 88 SGG zu bewirken. Es hätten weder Verhandlungen in Form der Rechtsverfolgung stattgefunden, noch stelle das Zuwarten auf eine höchstrichterliche Entscheidung höhere Gewalt dar, die eine Rechtsverfolgung verhindert habe.

10

Die Beigeladenen zu 6. und zu 8. haben sich - ohne Anträge zu stellen - den Ausführungen des Beklagten angeschlossen. Die übrigen Beigeladenen haben weder Anträge gestellt noch sich geäußert.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision des Beklagten ist begründet. Das LSG ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Anspruch der Beigeladenen zu 8. auf Festsetzung eines Arzneikostenregresses verjährt ist. Er ist auch nicht aus anderen Gründen ausgeschlossen.

12

1. Die KÄV ist durch den Bescheid, mit dem der Beklagte einen Arzneikostenregress gegen den Beigeladenen zu 1. festgesetzt hat, rechtlich beschwert (BSGE 79, 97, 99 f = SozR 3-5545 § 23 Nr 1 S 3 f; BSGE 92, 283 = SozR 4-2500 § 106 Nr 5, RdNr 21). Eine Betroffenheit der KÄV in eigenen Rechten hat der Senat aus der Gesamtverantwortung der KÄVen für eine den gesetzlichen und vertraglichen Erfordernissen entsprechende Durchführung der vertragsärztlichen Versorgung (§ 75 Abs 1 SGB V)abgeleitet, in die durch die Entscheidung der Prüfgremien eingegriffen wird (BSGE 79 aaO S 99 f = SozR aaO S 4; BSGE 92 aaO = SozR aaO, RdNr 22). Hieraus folgt ihre Befugnis, die Rechtswidrigkeit dieser Entscheidung unabhängig vom Nachweis eines darüber hinausgehenden konkreten rechtlichen Interesses im Einzelfall geltend zu machen (BSGE 79 aaO S 100 = SozR aaO S 4 mwN).

13

2. Für die vom Beigeladenen zu 1. im Quartal IV/2000 vorgenommene Verordnung von Wobe Mugos E haben die Prüfgremien zu Recht einen Regress festgesetzt. Dieser ist - wie auch nicht im Streit steht - in der Sache nicht zu beanstanden. Der Festsetzung eines Regresses stehen auch weder ein Verjährungseintritt noch ein Verstreichen der Ausschlussfrist von vier Jahren entgegen.

14

a) Rechtsgrundlage des Arzneikostenregresses ist § 106 Abs 2 SGB V (hier zugrunde zu legen idF des GKV-Gesundheitsreformgesetzes 2000 vom 22.12.1999, BGBl I 2626, die im Quartal IV/2000 galt; - zur Zugrundelegung des § 106 Abs 2 SGB V vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 17 RdNr 12 und BSGE 101, 130 = SozR 4-2500 § 106 Nr 19, RdNr 14; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 RdNr 14). Danach wird die Wirtschaftlichkeit der Versorgung unter anderem durch arztbezogene Prüfungen ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen, und zwar entweder nach Durchschnittswerten oder bei Überschreitung von Richtgrößen nach § 84 SGB V106 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB V) und/oder auf der Grundlage von Stichproben (§ 106 Abs 2 Satz 1 Nr 2 SGB V) geprüft. Über diese Prüfungsarten hinaus können die Landesverbände der Krankenkassen mit den KÄVen gemäß § 106 Abs 2 Satz 4 SGB V andere arztbezogene Prüfungsarten vereinbaren; diese Prüfvereinbarungen ermächtigen regelmäßig auch zu Einzelfallprüfungen (s zusammenfassend BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 17 RdNr 12 bis 14 mwN). Diese waren auch in der hier einschlägigen Prüfvereinbarung vom 24.6.1996 vorgesehen, wie sich aus dem Urteil des SG ergibt, das für die Feststellung und Auslegung von Landesrecht (auch) zuständig ist (s § 162 SGG und dazu zB BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 17 RdNr 12 mwN). Einzelfallprüfungen sind insbesondere dann sachgerecht - und ihre Auswahl daher rechtmäßig - wenn das individuelle Vorgehen eines Arztes in einem bestimmten Behandlungsfall hinsichtlich des Behandlungs- und Verordnungsumfangs am Maßstab des Wirtschaftlichkeitsgebots überprüft werden soll (s BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 17 RdNr 16; BSG SozR § 106 Nr 21 RdNr 14). Dem Beschluss des Beklagten ist auch mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen, dass er eine Einzelfallprüfung wegen Unwirtschaftlichkeit durchgeführt hat.

15

b) Die im vorliegenden Fall aufgrund vorgenannter Rechtsgrundlage durchgeführte Einzelfallprüfung lässt Rechtsfehler nicht erkennen. Die Annahme der Unwirtschaftlichkeit wie auch die Höhe des festgesetzten Regresses sind nicht zu beanstanden.

16

Wie der Senat bereits mit Urteilen vom 5.11.2008 (B 6 KA 63/07 R = SozR 4-2500 § 106 Nr 21 und B 6 KA 64/07 R) sowie vom 6.5.2009 (B 6 KA 3/08 R = USK 2009-14 = MedR 2010, 276) entschieden hat, war die vom Beigeladenen zu 1. vorgenommene Verordnung von Wobe Mugos E im Quartal IV/2000 nicht zulässig. Denn dieses Arzneimittel durfte nicht im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) verordnet werden; insoweit bestand weder eine Leistungspflicht der Krankenkassen noch ein Versorgungsanspruch der Versicherten. Jedenfalls seit der Ablehnung der Zulassungsverlängerung durch den Bescheid des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte vom 9.6.1998 war Wobe Mugos E nicht mehr verordnungsfähig im Sinne des SGB V (vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 RdNr 25). Fehlte die Verordnungsfähigkeit, so ist Unwirtschaftlichkeit gegeben (BSG aaO unter Hinweis auf BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 52 S 281 f und BSG MedR 2007, 557).

17

c) Die Festsetzung des Regresses ist auch nicht wegen Zeitablaufs ausgeschlossen.

18

aa) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts unterliegt das Recht der Prüfgremien auf Erlass von Prüfbescheiden nicht der Verjährung. Dies hat das BSG - unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung (BSG, Urteil vom 16.1.1991 - BSGE 68, 97 = SozR 3-2500 § 106 Nr 4, und vom 31.7.1991 - BSGE 69, 147 = SozR 3-2500 § 106 Nr 7) bereits mit Urteil vom 16.6.1993 (14a/6 RKa 37/91- BSGE 72, 271 = SozR 3-2500 § 106 Nr 19; bestätigt durch BSGE 79, 97, 100 = SozR 3-5545 § 23 Nr 1 S 4; s auch BSGE 97, 84 = SozR 4-2500 § 106 Nr 15, RdNr 16; BSGE 98, 169 = SozR 4-2500 § 85 Nr 35, RdNr 20)entschieden.

19

(1) Wie der Senat dargelegt hat, unterliegt nach § 194 Abs 1 BGB der Verjährung nur das Recht, von einem Anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen (Anspruch); Rechte, die keine Ansprüche sind, unterliegen nicht der Verjährung (BSGE 72, 271, 273 = SozR 3-2500 § 106 Nr 19 S 107). Das gilt insbesondere für Gestaltungsrechte (BSGE aaO = SozR aaO mwN; s auch Ellenberger in: Palandt, BGB, 69. Aufl 2010, § 194 RdNr 3). Das Prüfverfahren ist nach dem Gesetz auf die endgültige Feststellung des Honoraranspruchs in Ersetzung des Honorarbescheides und auf die Festsetzung eines etwaigen Regresses wegen unwirtschaftlicher Verordnungsweise ausgerichtet (BSG aaO). Das Recht des Prüfungsausschusses, den Honoraranspruch endgültig und entsprechend dem Prüfergebnis anders als im Honorarbescheid festzusetzen, ist nicht auf ein Tun oder Unterlassen des Vertragsarztes gerichtet (BSG aaO). Es ist jedenfalls kein Anspruch, sondern einem Gestaltungsrecht vergleichbar (BSG aaO; s auch BSGE 79, 97, 100 = SozR 3-5545 § 23 Nr 1 S 4).

20

(2) Etwas anderes gilt lediglich für das Verfahren auf Feststellung eines "sonstigen Schadens" (s BSGE 79, 97, 100 = SozR 3-5545 § 23 Nr 1 S 4). Zur Begründung hat der Senat (aaO) auf die Unterschiede verwiesen, die zwischen der Überprüfung des dem Vertragsarzt gegen die KÄV zustehenden Honoraranspruchs unter den Gesichtspunkten der sachlich-rechnerischen Richtigkeit und der Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung auf der einen und der Feststellung eines gegen den Vertragsarzt gerichteten Schadensersatzanspruchs auf der anderen Seite bestehen. Anders als die auf Prüfung und ggf Kürzung der eingereichten Honorarforderung gerichtete Prüfungsbefugnis der Prüfgremien, die - wie dargelegt - als verfahrensrechtliches Gestaltungsrecht nicht der Verjährung unterliegt, bildet das Verfahren auf Feststellung eines "sonstigen Schadens" nach bundesmantelvertraglichen Vorschriften (jetzt § 48 Abs 1 Bundesmantelvertrag-Ärzte/§ 44 Abs 1 Bundesmantelvertrag-Ärzte/Ersatzkassen sowie § 23 Abs 1 Satz 2 Bundesmangelvertrag-Zahnärzte) die Grundlage für die Geltendmachung eines gegen den Vertragsarzt gerichteten Schadensersatzanspruchs, der wie jeder Anspruch verjähren kann (BSG aaO). In diesem Fall wird dem Interesse des betroffenen Vertragsarztes, nicht zeitlich unbegrenzt Ersatzansprüchen aus einer abgeschlossenen Behandlung ausgesetzt zu sein, bereits durch die Verjährungsvorschriften Rechnung getragen.

21

(3) Bei Arzneikostenregressen, die auf der Verordnung eines nicht zu Lasten der GKV verordnungsfähigen Arzneimittels beruhen, handelt es sich jedoch nicht um einen Fall des "sonstigen Schadens" im Sinne der BSG-Rechtsprechung. Der gegenteiligen Auffassung des LSG kann nicht gefolgt werden.

22

Nach der Rechtsprechung des Senats (vgl BSG, Urteile vom 14.3.2001 = SozR 3-2500 § 106 Nr 52 S 283 sowie B 6 KA 18/00 R, vom 30.1.2002, B 6 KA 9/01 R = USK 2002-110 sowie vom 20.10.2004 = SozR 4-2500 § 106 Nr 7 RdNr 12)sind Schadens- und Verordnungsregresse wegen eines Verstoßes gegen die Arzneimittelrichtlinien bzw generell wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel nicht als Fall der Festsetzung eines "sonstigen Schadens" im Sinne der bundesmantelvertraglichen Vorschriften anzusehen. Der durch fehlerhaftes Verordnungsverhalten des Arztes einer Krankenkasse entstandene Schaden unterscheidet sich grundlegend von dem - verschuldensabhängigen (s hierzu BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 52 S 283 und BSG USK 2002-110) - "sonstigen Schaden".

23

Bei Verordnungsregressen besteht der zu ersetzende Schaden der Krankenkasse darin, dass sie an Apotheken Geldbeträge für Arzneien gezahlt hat, welche dem Versicherten gegen Vorlage einer vertragsärztlichen Verordnung ausgehändigt wurden und ausgehändigt werden durften (BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 52 S 284; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 7 RdNr 12). Die Krankenkasse hat mithin Kosten aufgewandt, die sie prinzipiell aufwenden muss, die aber im konkreten Fall nicht angefallen wären, wenn der Vertragsarzt den normativen Vorgaben entsprochen hätte (Wenner, Das Vertragsarztrecht nach der Gesundheitsreform, 2008, § 28 RdNr 3). Der "Schaden", der durch einen Verordnungsregress auszugleichen ist, entspricht somit demjenigen, der durch eine unwirtschaftliche Verordnungsweise im Sinne von § 106 Abs 2 Satz 1 SGB V verursacht worden ist(BSG aaO).

24

Der typische Schadensregress außerhalb des Verordnungsverhaltens ist hingegen dadurch gekennzeichnet, dass das Verhalten des Arztes (zB ein Behandlungsfehler oder eine falsche Bescheinigung) Folgekosten der Krankenkasse in anderen Leistungsbereichen ausgelöst hat (zB notwendige Nachbehandlung, Leistungen wegen Mutterschaft). Der dann zu ersetzende Schaden ist der Struktur nach einem Mangelfolgeschaden nach bürgerlichem Recht vergleichbar (BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 52 S 284; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 7 RdNr 12; in diesem Sinne auch Wenner aaO RdNr 3; vgl ferner BSGE 55, 144 = SozR 2200 § 368n Nr 26).

25

Aber auch außerhalb dieser typischen Konstellationen kann es Verordnungsregresse geben, die dem Schadensregress nach den bundesmantelvertraglichen Vorschriften zuzuordnen sind. Hierfür kommen insbesondere Fallgestaltungen in Betracht, bei denen Fehler in Frage stehen, die nicht speziell der Verordnung selbst anhaften, sondern sich aus der Art und Weise der Ausstellung der Verordnung ergeben. Dies kann zB in Betracht kommen, wenn ein Vertragsarzt für einen Patienten eine Verordnung ausstellt, obgleich er ihn nicht selbst in Behandlung hat, dieser sich zur Zeit der Ausstellung der Verordnung in der Behandlung eines Krankenhauses befindet, in dem umfassend Therapien einschließlich aller Arzneimittel zu gewähren sind. Gleiches gilt, wenn ein ermächtigter Krankenhausarzt Arzneiverordnungen im Rahmen seiner Ermächtigungstätigkeit durch einen insoweit nicht vertretungsbefugten anderen Krankenhausarzt unterzeichnen lässt. In solchen Fällen ist im Wege des Schadensregresses vorzugehen, dessen Rechtmäßigkeit ein Verschulden und die Einhaltung der vierjährigen Verjährungsfrist voraussetzt.

26

Kein Schadensregress nach den bundesmantelvertraglichen Vorschriften, sondern ein Fall der Wirtschaftlichkeitsprüfung gemäß § 106 SGB V liegt indessen zB dann vor, wenn eine Krankenkasse gegenüber einem Vertragsarzt geltend macht, dieser habe die Verteilung des Sprechstundenbedarfs zwischen Primär- und Ersatzkassen fehlerhaft vorgenommen(s BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 7). Ein Fall des § 106 SGB V ist auch dann gegeben, wenn ein Regress deshalb erfolgt, weil die Grenzen der gesetzlichen Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung nicht eingehalten wurden. Auch dieser Regress entspricht der systematischen Struktur nach einem Arzneikostenregress wegen unzureichender Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots oder einer Kürzung vertragsärztlichen Honorars wegen unwirtschaftlicher Leistungserbringung. Diese Maßnahmen knüpfen an die inhaltliche Ausrichtung der Verordnung an, die sich als unzulässig bzw unwirtschaftlich darstellt. Diese Zuordnung wird durch § 106 Abs 5b SGB V bekräftigt, der klarstellt, dass im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung die Einhaltung der Arzneimittel-Richtlinien zu prüfen ist. In solchen Fällen kommt es auf ein Verschulden nicht an.

27

bb) Dass ein Prüfanspruch nicht der Verjährung unterliegt, bedeutet jedoch nicht, dass ein Regressbescheid wegen unzulässiger - und damit unwirtschaftlicher - Arzneiverordnungen zeitlich unbegrenzt ergehen könnte.

28

(1) Wie das BSG bereits mit Urteil vom 16.6.1993 (14a/6 RKa 37/91 - BSGE 72, 271 = SozR 3-2500 § 106 Nr 19)entschieden hat, ergibt sich die Notwendigkeit einer zeitlichen Begrenzung des Prüfverfahrens bereits aus dem rechtsstaatlichen Gebot der Rechtssicherheit (Art 20 Abs 3 GG); greifen die Verjährungsvorschriften nicht ein, so muss der Gefahr eines "ewigen Prüfverfahrens" auf andere Weise Rechnung getragen werden (BSGE aaO S 275 = SozR aaO S 109 f). Daher hat es das BSG als sachgerecht angesehen, die in den Büchern des SGB für die Verjährung einheitlich festgesetzte Frist von vier Jahren im Sinne einer zeitlichen Höchstgrenze als Ausschlussfrist auch auf das Verfahren zur endgültigen Festsetzung der vertragsärztlichen Honorare zu übertragen (BSGE aaO S 277 = SozR aaO S 112). Diese Ausschlussfrist, innerhalb derer der Bescheid ergehen muss, gilt für sachlich-rechnerische Richtigstellungen (s hierzu BSGE 97, 84 = SozR 4-2500 § 106 Nr 15, RdNr 12; BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 22 RdNr 14; BSGE 89, 90, 103 = SozR 3-2500 § 82 Nr 3 S 16)und für Bescheide zur Umsetzung degressionsbedingter Honorarminderungen (BSG MedR 2008, 100 RdNr 15 ff, und BSGE 98, 169 = SozR 4-2500 § 85 Nr 35, RdNr 15 ff)gleichermaßen wie für Wirtschaftlichkeitsprüfungen (s hierzu BSGE 72, 271, 277 = SozR 3-2500 § 106 Nr 19 S 111 f; BSGE 95, 199 = SozR 4-2500 § 106 Nr 11, RdNr 62).

29

(2) Diese Ausschlussfrist gilt auch für Regresse wegen solcher Verordnungen, die die Grenzen der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung nicht eingehalten haben, da sie - wie dargelegt - der systematischen Struktur nach einem Arzneikostenregress wegen unzureichender Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots entsprechen. Soweit das LSG die Auffassung vertritt, dass für eine Ausschlussfrist von vornherein dann kein Raum sei, wenn sich die Regressforderung aus einem Schadensersatzanspruch ergebe, bei dem die zeitliche Begrenzung bereits aus der Möglichkeit der Verjährung erfolge, trägt es der Argumentation des 14a Senats zur Ausschlussfrist nicht hinreichend Rechnung. Dieser hat seine Entscheidung, dass das Recht der Prüfgremien auf Erlass von Honorarkürzungsbescheiden nicht der Verjährung unterliegt, damit begründet, dass dieses Recht keinen Anspruch im Sinne des § 194 BGB darstellt, sondern vielmehr einem Gestaltungsrecht vergleichbar ist. Zwar unterliegen Rückzahlungs- und Schadensersatzansprüche als solche der Verjährung; damit kann aber eine Verjährung des Prüfrechts nicht begründet werden (BSGE 72, 271, 274 = SozR 3-2500 § 106 Nr 19 S 108 f).

30

cc) Der Bescheid vom 10.8.2006 ist allerdings nicht innerhalb der hier maßgeblichen Ausschlussfrist von vier Jahren ergangen.

31

Der die Wirtschaftlichkeitsprüfung bzw die Prüfung der sachlich-rechnerischen Berichtigung abschließende Bescheid muss nach der zitierten Senatsrechtsprechung innerhalb der Ausschlussfrist von vier Jahren ergehen. Dabei kann offen bleiben, wann diese Ausschlussfrist in den Fällen zu laufen beginnt, in denen - wie hier - ein Regress wegen einzelner Arzneimittelverordnungen im Streit steht. Wie der Senat mit Urteil vom 28.3.2007 (B 6 KA 22/06 R - BSGE 98, 169 = SozR 4-2500 § 85 Nr 35; ebenso die weiteren Urteile vom 28.3.2007, MedR 2008, 100 und B 6 KA 28/06 R) entschieden hat, beginnt die Ausschlussfrist "in allen Fällen der Berichtigung von Honorarbescheiden" mit dem Tag nach der Bekanntgabe des für den Abrechnungszeitraum maßgeblichen Honorarbescheids zu laufen (BSGE aaO = SozR aaO, RdNr 18). Ob dies - im Interesse einer einheitlichen Rechtsanwendung - auch bei Arzneikostenregressen entsprechend gilt (zu weiteren möglichen Anknüpfungspunkten s SG Berlin, Urteil vom 27.8.2008 - S 83 KA 653/07, juris), braucht der Senat nicht zu entscheiden. Denn unabhängig davon, ob die Ausschlussfrist noch im Laufe des Jahres 2000 oder - äußerstenfalls - mit Ablauf des Jahres 2001 zu laufen begonnen hatte, war sie spätestens mit Ende des Jahres 2005, also vor Erlass des Regressbescheides, abgelaufen.

32

Später ergehende Kürzungs- bzw Rückforderungsbescheide können regelmäßig nur noch dann Rechtswirkungen entfalten, wenn die Vertrauensschutzausschlusstatbestände des § 45 SGB X(Abs 2 iVm Abs 4 Satz 1) vorliegen (BSGE 98, 169 = SozR 4-2500 § 85 Nr 35, RdNr 16; BSGE 97, 84 = SozR 4-2500 § 106 Nr 15, RdNr 12). Deren Voraussetzungen sind jedoch nicht erfüllt, denn es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Beigeladene zu 1. "bösgläubig" im Sinne des § 45 Abs 2 Satz 3 SGB X war.

33

dd) Der Ablauf der vierjährigen Ausschlussfrist ist jedoch unbeachtlich, weil die Ausschlussfrist vorliegend unterbrochen bzw gehemmt worden ist.

34

(1) Die Möglichkeit einer Unterbrechung bzw Hemmung der Ausschlussfrist für den Erlass von Prüf- und Richtigstellungsbescheiden folgt aus der entsprechenden Anwendung der Vorschriften des § 45 SGB I über die Unterbrechung bzw Hemmung der Verjährung(s hierzu BSGE 97, 84 = SozR 4-2500 § 106 Nr 15, RdNr 14; s auch BSGE 98, 169 = SozR 4-2500 § 85 Nr 35, RdNr 28, und BSG, Beschluss vom 27.4.2005 - B 6 KA 46/04 B - juris RdNr 10 f; vgl auch BSGE 95, 199 = SozR 4-2500 § 106 Nr 11, RdNr 62). Die Anwendung einzelner Verjährungsvorschriften, insbesondere der über die Unterbrechung bzw Hemmung der Verjährung, auf Ausschlussfristen ist trotz der Unterschiede zwischen Verjährung und Ausschlussfrist nicht ausgeschlossen und auch im bürgerlichen Recht anerkannt (BSGE 97, 84 = SozR 4-2500 § 106 Nr 15, RdNr 15 mwN).

35

Dabei sind die Änderungen des § 45 SGB I wie auch der entsprechend anwendbaren BGB-Vorschriften durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz im Ergebnis ohne Bedeutung. Insbesondere für die ohnehin nur entsprechende Heranziehung der Hemmungs- bzw Unterbrechungstatbestände des BGB auf die Ausschlussfrist kommt es nicht darauf an, in welcher Weise sich die zum 1.1.2002 in Kraft getretenen Neuregelungen des BGB auf bereits laufende Verjährungsvorschriften auswirkten. Denn für die Wahrung der genannten Ausschlussfrist ist es ohne Belang, ob die Frist vor dem 1.1.2002 unterbrochen, die Unterbrechungswirkung danach fortdauerte oder ob sie nach diesem Zeitpunkt gehemmt wurde. Für § 45 SGB I gilt nichts anderes. Die Rechtswirkungen von Unterbrechung und Hemmung bleiben insoweit gleich (s schon BSGE 97, 84 = SozR 4-2500 § 106 Nr 15, RdNr 14). Nach § 205 BGB aF wie nach § 209 BGB nF bewirkt die Hemmung, dass der Zeitraum, während dessen die Verjährung gehemmt ist, in die Verjährungsfrist nicht eingerechnet wird; die Unterbrechung der Verjährung bewirkte nach § 217 BGB aF, dass die bis zur Unterbrechung verstrichene Zeit nicht in Betracht kommt.

36

(2) Eine Hemmung der Verjährung bzw des Ablaufs der Ausschlussfrist bei höherer Gewalt nach § 206 BGB nF bzw § 203 BGB aF kommt hier entgegen der Auffassung des Beklagten allerdings nicht in Betracht. Dem steht entgegen, dass höhere Gewalt - zu der auch der Stillstand der Rechtspflege gehört (s Ellenberger in Palandt, BGB, 69. Aufl 2010, § 206 RdNr 1; vgl § 203 Abs 1 BGB aF) - nur dann vorliegt, wenn der Berechtigte auch bei äußerster, nach den Umständen vernünftigerweise zu erwartender Sorgfalt an der Rechtsverfolgung gehindert ist (Lakkis in: JurisPK-BGB, 4. Aufl 2008, § 206 RdNr 2; vgl auch BSGE 101, 235 = SozR 4-1300 § 44 Nr 17, RdNr 31). Die Beigeladene zu 8. war aber nicht in diesem Sinne an der Rechtsverfolgung gehindert, denn ihr stand die rechtliche Möglichkeit offen, im Wege der Untätigkeitsklage nach § 88 Abs 1 SGG eine Entscheidung der Prüfgremien herbeizuführen.

37

Der Senat hat wiederholt auf die Möglichkeit verwiesen, zur Unterbrechung bzw Hemmung der Ausschlussfrist Untätigkeitsklage gegen das zuständige Prüfgremium zu erheben. Bereits mit Urteil vom 8.12.1993 (BSGE 73, 244 = SozR 3-1500 § 88 Nr 1)hatte der 14a Senat betont, dass Antragsteller gegenüber den Prüfgremien einen Rechtsanspruch auf Erlass eines Prüfbescheides haben und ihre Interessen nicht nur durch den Inhalt der Entscheidungen der Prüfgremien berührt werden, sondern auch durch ihren Zeitpunkt (BSGE aaO = SozR aaO S 5). Diesen Anspruch können sie ggf mit der Untätigkeitsklage durchsetzen (BSGE aaO = SozR aaO; s hierzu auch BSG, Urteil vom 20.9.1995 - BSGE 76, 285, 287 = SozR 3-2500 § 106 Nr 30 S 167, 168; BSG, Urteil vom 14.5.1997 - SozR 3-2500 § 106 Nr 39 S 215; zuletzt Urteil vom 6.9.2006 - BSGE 97, 84 = SozR 4-2500 § 106 Nr 15, RdNr 17). Deren Erhebung unterbricht bzw hemmt auch - in entsprechender Anwendung des § 209 Abs 1 BGB aF (in der bis zum 31.12.2001 gültigen Fassung) bzw § 204 BGB nF - die vierjährige Ausschlussfrist(BSGE 76, 285, 289 f = SozR 3-2500 § 106 Nr 30 S 170; s auch BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 39 S 215). Ungeachtet des Umstandes, dass eine Verjährungsunterbrechung bzw -hemmung im Regelfall nur eintritt, wenn die Klage gegen den Schuldner gerichtet wird (s BSGE 79, 97, 103 = SozR 3-5545 § 23 Nr 1 S 7), wird eine analoge Anwendung jedenfalls dann bejaht, wenn dem betroffenen Vertragsarzt vor Ablauf der Frist der Beschluss über seine Beiladung zu diesem Verfahren zugestellt wird und er damit förmlich Kenntnis nimmt (BSGE 76, 285, 293 = SozR 3-2500 § 106 Nr 30 S 170; BSGE 79, 97, 103 = SozR 3-5545 § 23 Nr 1 S 7; s auch BSGE 97, 84 = SozR 4-2500 § 106 Nr 15, RdNr 17).

38

Sofern die Ausführungen des 14a Senats in seiner Entscheidung vom 16.6.1993 (BSGE 72, 271 = SozR 3-2500 § 106 Nr 19), die Deutung des Prüfungsrechts als ein der Verjährung unterliegender Anspruch sei auch deshalb abzulehnen, weil diejenigen Beteiligten, die die Folgen der Verjährung letztlich wirtschaftlich träfe, nämlich Krankenkassen und KÄVen, nicht in der Lage seien, "den Eintritt der Verjährung zu verhindern" (BSGE aaO S 274 = SozR aaO S 109), im gegenteiligen Sinne verstanden werden könnten, wird hieran nicht festgehalten.

39

(3) Zu Recht hat das LSG auch eine Ablaufhemmung in entsprechender Anwendung des § 203 BGB nF(bzw § 852 Abs 2 BGB aF analog) verneint, denn es fanden gerade keine Verhandlungen zwischen dem Schuldner - also dem Beigeladenen zu 1. - und dem Gläubiger - der Beigeladenen zu 8. - statt. Abgesehen davon, dass ein dem Vertragsarzt "aufgezwungenes" Verfahren vor den Prüfgremien schon wegen fehlender Freiwilligkeit nicht einer Verhandlung im Sinne des § 203 BGB nF gleichgestellt werden kann, beschränkten sich die Handlungen der Beteiligten des Verwaltungsverfahrens bis zu dessen Wiederaufnahme auf die Geltendmachung einer entsprechenden (Regress-)Forderung auf der einen und deren Zurückweisung auf der anderen Seite.

40

(4) Eine Unterbrechung bzw Hemmung des Ablaufs der Ausschlussfrist ist jedoch durch die Stellung des Prüfantrages seitens der Beigeladenen zu 8. eingetreten. Diese Wirkung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 204 Abs 1 Nr 12 Halbs 1 BGB nF(bzw § 210 Satz 1 BGB aF)wie auch des § 45 Abs 3 SGB I.

41

(a) Nach § 204 Abs 1 Nr 12 Halbs 1 BGB nF(bzw § 210 Satz 1 BGB aF) wird die Verjährung durch die Einreichung des Antrags bei einer Behörde gehemmt, wenn die Zulässigkeit der Klage von der Vorentscheidung dieser Behörde abhängt und innerhalb von drei Monaten nach Erledigung des Gesuchs die Klage erhoben wird. Eine "Vorabentscheidung" einer Behörde stellen auch die Entscheidungen der Prüfstellen (bzw der früheren Prüfungsausschüsse) nach § 106 SGB V dar.

42

Dem steht nicht entgegen, dass nach ganz herrschender Auffassung in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung nur diejenigen Anträge verjährungshemmende Wirkung haben, die unmittelbar, also ohne weitere Verfahrensschritte, Voraussetzung für die Klageerhebung sind (so grundlegend BVerwGE 57, 306, 309 f; bestätigt durch BVerwGE 102, 33; ohne nähere Begründung auch BVerwG, Urteile vom 15.6.2006 - 2 C 17/05 - Buchholz 240 § 73 BBesG Nr 13 und - 2 C 15/05 - IÖD 2007, 7; die verwaltungsgerichtliche Instanzrechtsprechung ist dem gefolgt: vgl Verwaltungsgericht Kassel, Urteil vom 19.6.2007 - 1 E 520/05 - juris RdNr 7; VG Magdeburg, Urteil vom 21.3.2006 - 5 A 104/05 - juris RdNr 15; Thüringer Oberverwaltungsgericht , Urteil vom 29.10.2009 - 2 KO 893/07 - juris RdNr 40). Zur Begründung wird darauf verwiesen (BVerwGE 57, 306, 309 f), aus der Gleichstellung des Gesuchs an eine Behörde mit den Wirkungen einer die Verjährung unterbrechenden Klageerhebung ergebe sich, dass nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift nur solche Schritte als ausreichend anzusehen seien, die den eindeutigen Willen zur gerichtlichen Durchsetzung des Anspruchs gegenüber dem Schuldner erkennen ließen. Diesem Zweck diene die erstmalige Geltendmachung eines Anspruchs noch nicht, sondern zunächst nur der Konkretisierung eines sich aus dem Gesetz lediglich abstrakt ergebenden Anspruchs. Es sei dem Betroffenen zuzumuten, seinen Anspruch so rechtzeitig bei der Behörde einzureichen, dass gegen den daraufhin erlassenen Verwaltungsakt noch vor Ablauf der Verjährungsfrist Widerspruch eingelegt werden könne.

43

Diese einschränkende Auslegung des § 204 Abs 1 Nr 12 BGB kann jedoch auf die lediglich entsprechende Anwendung der Norm im Vertragsarztrecht wegen der dort bestehenden Besonderheiten nicht übertragen werden. Das BSG hat bereits in seinem Urteil vom 28.8.1996 (BSGE 79, 97 = SozR 3-5545 § 23 Nr 1) dargelegt, dass ein Antrag auf Schadensfeststellung im Prinzip geeignet ist, eine Verjährungsunterbrechung zu bewirken, und eine Anwendung des § 210 BGB (aF) in Betracht käme (BSGE aaO S 101 f = SozR aaO S 6). Es hat ausgeführt, dass diese Norm den Interessen des Anspruchstellers Rechnung tragen solle, der seine Forderung nicht unmittelbar durch Klageerhebung geltend machen könne, weil das Gesetz die Zulässigkeit der Klage von einer vorherigen Überprüfung des Anspruchs in einem Verwaltungsverfahren abhängig mache. Der Rechtsgedanke des § 210 BGB (aF) sei grundsätzlich auf sozialrechtliche Ansprüche übertragbar.

44

Diesen Gedanken fortführend hält der Senat eine Anwendung des § 204 Abs 1 Nr 12 BGB nF im Vertragsarztrecht deswegen für geboten, weil nur so den hier bestehenden Besonderheiten Rechnung getragen werden kann. Im Verwaltungsrecht stehen sich üblicherweise Gläubiger und Schuldner in Zweierbeziehungen unmittelbar gegenüber. So lag der oben angeführten Entscheidung des BVerwG ein Antrag eines Beamten gegen seinen Dienstherrn auf Gewährung beamtenrechtlicher Besoldungszahlungen zugrunde. Demgegenüber bestehen im Vertragsarztrecht wegen der hier maßgeblichen Trennung der Rechtskreise keine unmittelbaren Rechtsbeziehungen zwischen dem "Gläubiger" (der Krankenkasse) und dem "Schuldner" (dem Vertragsarzt). Die Krankenkasse hat im Regelfall keine Möglichkeit, den Vertragsarzt unmittelbar "in Regress" zu nehmen. Vielmehr ist nach den gesetzlichen Vorgaben die Festsetzung eines Regresses ausschließlich den Gremien der gemeinsamen Selbstverwaltung von Ärzten und Krankenkassen zugewiesen (vgl § 106 Abs 4 Satz 1 iVm Abs 5 Satz 1 SGB V). Eine Krankenkasse, die einen Regressanspruch gegen einen Vertragsarzt durchsetzen möchte, ist daher auf ein Tätigwerden der Prüfgremien angewiesen.

45

Dem steht auch nicht die Überlegung entgegen, dass die Beigeladene zu 8. die Möglichkeit gehabt hätte, eine Untätigkeitsklage nach § 88 Abs 1 SGG zu erheben. Zum einen wäre die rechtliche Wirkung einer derartigen Klage nicht sicher zu beurteilen, da die „verjährungsunterbrechende“ Wirkung der Untätigkeitsklage von einer (einfachen) Beiladung des betroffenen Vertragsarztes abhängig ist (vgl BSGE 76, 285, 293 = SozR 3-2500 § 106 Nr 30 S 174; BSGE 79, 97, 103 = SozR 3-5545 § 23 Nr 1 S 7 f; s auch BSGE 97, 84 = SozR 4-2500 § 106 Nr 15, RdNr 17), die wiederum im Ermessen des Gerichts steht. Zum anderen entspricht das Vorgehen, bei einer strittigen und schwierig zu beurteilenden Frage wie der Verordnungsfähigkeit von Wobe Mugos E eine höchstrichterliche Klärung abzuwarten, dem gesetzlich angelegten partnerschaftlichen System der gemeinsamen Selbstverwaltung von Vertragsärzten und Krankenkassen. Dieses würde empfindlich gestört, wenn Krankenkassen wegen des Fehlens einer den Ablauf der Ausschlussfrist hemmenden Wirkung ihres Prüfantrages gezwungen wären, die Prüfungsstellen regelhaft durch Erhebung von Untätigkeitsklagen zu einer vorzeitigen Entscheidung zu nötigen.

46

Somit reicht es im Vertragsarztrecht aus, dass die vom Tätigwerden eines Dritten abhängige Krankenkasse ihr Recht geltend macht. Um allerdings die Rechte des ebenfalls von einer Entscheidung der Prüfgremien abhängigen Vertragsarztes zu wahren, ist der Eintritt einer die Ausschlussfrist unterbrechenden bzw hemmenden Wirkung des Prüfantrags zudem davon abhängig, dass der Anspruchsgegner - der Vertragsarzt - von der Stellung des Prüfantrages Kenntnis erlangt. Dies war vorliegend der Fall. Darüber hinaus war der Beigeladene zu 1. auch über die Gründe informiert, die einer zügigen Entscheidung über den von der Krankenkasse gestellten Prüfantrag entgegenstanden, so dass sich bei ihm kein Vertrauen dahingehend bilden konnte, dass sich der Antrag zwischenzeitlich erledigt haben könnte.

47

(b) Zum selben Ergebnis führt eine entsprechende Anwendung des § 45 Abs 3 SGB I. Danach wird die Verjährung neben den im BGB genannten - nach § 45 Abs 2 SGB I entsprechend anwendbaren - Fällen auch durch schriftlichen Antrag auf die Sozialleistung oder durch Erhebung eines Widerspruchs gehemmt(in der bis zum 31.12.2001 geltenden Fassung: "unterbrochen"). Dementsprechend hat der Antrag der Beigeladenen zu 8. auf Festsetzung eines Arzneikostenregresses den Ablauf der Ausschlussfrist bis zu der Entscheidung der Prüfungsstelle gehemmt.

48

§ 45 SGB I gilt zwar unmittelbar nur für Sozialleistungen, findet aber nach der Rechtsprechung des Senats bezüglich der im Vertragsarztrecht geltenden Ausschlussfristen entsprechende Anwendung(BSGE 97, 84 = SozR 4-2500 § 106 Nr 15, RdNr 14; BSGE 98, 169 = SozR 4-2500 § 85 Nr 35, RdNr 28; BSG, Beschluss vom 27.4.2005 - B 6 KA 46/04 B - juris RdNr 10 f). Auch wenn sich die genannten Entscheidungen des Senats allein auf § 45 Abs 2 SGB I beziehen, ist eine entsprechende Anwendung des § 45 Abs 3 SGB I jedenfalls in den Fällen zu bejahen, in denen der Arzt - wie hier - von dem Prüfantrag der Krankenkasse unterrichtet ist und über den Grund informiert wird, weshalb mit einer zügigen Entscheidung nicht gerechnet werden kann.

49

(c) Die das Verstreichen der Ausschlussfrist unterbrechende bzw hemmende Wirkung des Prüfantrags ist schließlich nicht dadurch entfallen, dass das Verfahren infolge des angeordneten "Ruhens" nicht "betrieben" wurde. Nach § 204 Abs 2 BGB nF endet die Hemmung nach Absatz 1 der Norm ("Hemmung durch Rechtsverfolgung") sechs Monate nach der rechtskräftigen Entscheidung oder anderweitigen Beendigung des eingeleiteten Verfahrens(Satz 1). Gerät das Verfahren dadurch in Stillstand, dass die Parteien es nicht betreiben, so tritt an die Stelle der Beendigung des Verfahrens die letzte Verfahrenshandlung der Parteien, des Gerichts oder der sonst mit dem Verfahren befassten Stelle (§ 204 Abs 2 Satz 2 BGB nF, § 211 Abs 2 Satz 1 BGB aF). Die letzte Verfahrenshandlung in diesem Sinne wäre die Mitteilung des Ruhens durch die KÄV gewesen.

50

Es entspricht jedoch herrschender Auffassung, dass § 204 Abs 2 Satz 2 BGB nF bzw § 211 Abs 2 BGB aF in dem vom Amtsermittlungsgrundsatz beherrschten sozialrechtlichen Verwaltungsverfahren nicht entsprechend anzuwenden ist(BSGE 92, 159 = SozR 4-6580 Art 19 Nr 1, RdNr 12; LSG Hamburg, Urteil vom 24.2.2005 - L 6 RJ 122/03 - juris RdNr 27; Rolfs in Hauck/Noftz, SGB I, § 45 RdNr 26 mwN; aA noch Kretschmer in: GK-SGB I, 3. Aufl 1996, § 45 RdNr 24). Denn das "Betreiben" ist ein spezifisches Erfordernis des vom Beibringungsgrundsatz beherrschten zivilrechtlichen Verfahrens; die Vorschrift passt daher nicht auf das sozialrechtliche Verfahren (BSGE aaO = SozR aaO, RdNr 13; LSG Hamburg aaO).

51

Auch außerhalb des Sozialrechts führt eine Untätigkeit des Gläubigers nicht zur Beendigung der Unterbrechung bzw Hemmung, wenn die Behörde von Amts wegen für den Fortgang des Verfahrens zu sorgen hat (BGH VersR 77, 647; ebenso OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19.12.2008 - 4 N 77.07 - juris RdNr 9; Ellenberger in: Palandt, BGB, 69. Aufl 2010, § 204 RdNr 27; Peters/Jacoby in: Staudinger, BGB, 2009, § 204 RdNr 125, 140; Mansel/Budzikiewicz in: Anwaltkommentar BGB, Band 1, 2005, § 204 RdNr 125; Kesseler in: Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, 4. Aufl 2009, § 204 RdNr 19, 21). Diese Voraussetzungen sind angesichts des Umstandes, dass die Beigeladene zu 8. - abgesehen von der "irregulären" Option einer Untätigkeitsklage - keine Möglichkeit hatte, auf den Fortgang des Verfahrens Einfluss zu nehmen, auch in diesem Fall gegeben.

52

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Halbs 3 SGG iVm einer entsprechenden Anwendung der §§ 154 ff VwGO. Danach hat die Klägerin die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens zu tragen, da sie unterlegen ist (§ 154 Abs 1 VwGO). Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten der Beigeladenen ist nicht veranlasst, weil diese im Verfahren keine Anträge gestellt haben (§ 162 Abs 3 VwGO; vgl BSGE 96, 257 = SozR 4-1300 § 63 Nr 3, RdNr 16).

Tatbestand

1

Umstritten ist ein Arzneikostenregress wegen der Verordnung des Arzneimittels Polyglobin in den Quartalen I und III/2000.

2

Die Klägerin zu 1. ist eine zwischen dem 1.7.2000 und dem 31.12.2004 bestehende Gemeinschaftspraxis, der der Kläger zu 2. und die Klägerin zu 3. angehörten. Der Kläger zu 2. nimmt seit Jahren als Hausarzt an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Zum 1.7.2000 schloss er sich mit der Klägerin zu 3., einer Internistin, zu einer Gemeinschaftspraxis zusammen. Der Kläger zu 2. (Quartal I/2000) und die zu 1. klagende Gemeinschaftspraxis (Quartal III/2000) verordneten zugunsten des M., der bei der Rechtsvorgängerin der zu 2. beigeladenen Krankenkasse versichert war, in 12 Fällen das Arzneimittel Polyglobin 5 % bzw 10 %. Der Versicherte litt an einem "embryonalem Hodenkarzinom mit Lungenmetastasierung".

3

Wegen dieser Verordnungen beantragte die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2. bei den Prüfgremien die Feststellung eines sonstigen Schadens. Der Prüfungsausschuss setzte nach Anhörung der Kläger wegen der Verordnung von Polyglobin einen Regress gegen die Kläger zu 2. und 3. in Höhe von 17 821 Euro fest. Der beklagte Beschwerdeausschuss wies den Widerspruch der Kläger zu 2. und 3. mit der Begründung zurück, Polyglobin sei nicht im Rahmen seiner arzneimittelrechtlichen Zulassung verordnet worden.

4

Das SG hat die von den Klägern zu 2. und 3. gegen diese Entscheidung des Beklagten erhobene Klage mit der Begründung abgewiesen, Polyglobin sei zur Behandlung eines Karzinomleidens außerhalb der Zulassung eingesetzt worden, und die Voraussetzungen für einen ausnahmsweise zulässigen Off-Label-Use hätten nicht vorgelegen. Die Wirksamkeit von Polyglobin zur Behandlung auch eines metastasierenden Karzinomleidens sei nicht belegt.

5

Mit seiner Berufung gegen dieses Urteil hat der Kläger zu 2. geltend gemacht, der Einsatz von Polyglobin zur Behandlung des Versicherten M. sei medizinisch gerechtfertigt. Die Klägerin zu 3. hat vorgetragen, im Quartal I/2000 sei sie noch nicht Mitglied der Gemeinschaftspraxis gewesen, weshalb sie für Verordnungen aus diesem Quartal nicht in Regress genommen werden dürfe.

6

Das LSG hat zunächst durch eine Änderung des Rubrums klargestellt, dass die Klageerhebung durch die nunmehr als Klägerin zu 1. rubrizierende Gemeinschaftspraxis erfolgt sei. Es hat die Berufungen (nur) der Klägerin zu 2. und zu 3. gegen das sozialgerichtliche Urteil für zulässig gehalten, weil jeder Gesellschafter einer BGB-Gesellschaft berechtigt sei, Forderungen der Gesellschaft gerichtlich geltend zu machen. Das LSG hat sodann das Urteil des SG sowie den Bescheid des Beklagten aufgehoben, soweit dieser die Regressfestsetzung für Verordnungen aus dem Quartal I/2000 betrifft. Die Regressfestsetzung sei nach dem nicht auslegungsfähigen Wortlaut der angefochtenen Entscheidung des Beklagten gegen "die" Gemeinschaftspraxis gerichtet, die im Quartal I/2000 aber noch nicht bestanden habe. Allein aus diesem Grunde sei der Bescheid insoweit rechtswidrig. Hinsichtlich der Verordnungen aus dem Quartal III/2000 hat es die Berufungen der Kläger zu 2. und zu 3. zurückgewiesen. Die Voraussetzungen für einen Off-Label-Use hätten nicht vorgelegen (Urteil vom 18.3.2009).

7

Mit seiner Revision rügt der Kläger zu 2., der vom Berufungsgericht herangezogene § 14 Abs 1 der Prüfvereinbarung (PV) ergebe schon generell keine tragfähige Grundlage für einen Regress wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel. Die PV regele lediglich Verstöße gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot sowie Regresse wegen schuldhafter Verursachung eines "sonstigen Schadens". Der in der Rechtsprechung des BSG zugelassene Regress wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Mittel hätte in der PV zwar geregelt werden können, sei dort tatsächlich aber nicht geregelt worden. Zudem habe ein fristgerechter Antrag nach § 14 Abs 1 PV für das Quartal III/2000 nicht vorgelegen. Das LSG habe zu Unrecht unter Bezugnahme auf Rechtsprechung des BSG angenommen, soweit in der maßgeblichen Berliner PV ein Antragserfordernis normiert sei, stehe das mit höherrangigem Recht nicht in Einklang. Auch dem SG könne nicht gefolgt werden, soweit dieses davon ausgegangen sei, die Frist zur Stellung des Prüfantrags beginne erst zu laufen, wenn den Krankenkassen die arztbezogen sortierten Rezepte abschließend vorgelegen hätten. Die Notwendigkeit eines fristgerechten Antrags der betroffenen Krankenkasse diene auch dem Schutz der von den Regressfestsetzung potenziell betroffenen Ärzte.

8

Die Verordnung von Polyglobin sei zur Behandlung des Hodenkarzinoms bei dem Versicherten M. notwendig gewesen. Zwar sei der Einsatz von Polyglobin nicht unmittelbar zur Heilung der Tumorerkrankung bzw zur Linderung der damit verbundenen Beschwerden erfolgt, doch habe der Versicherte als Folge der Chemotherapie unter einer Antikörperstörung gelitten, die dringend habe behandelt werden müssen. Der Einsatz von Polyglobin habe die Voraussetzungen für eine Fortsetzung der Chemotherapie schaffen sollen, und seine Rechtmäßigkeit müsse deshalb aus medizinischen Gründen nach denselben Maßstäben beurteilt werden wie die Verordnung von Arzneimitteln zur kausalen Krebstherapie. Jedenfalls habe er - der Kläger - darauf vertrauen dürfen, dass im Hinblick auf die Rechtsprechung des BSG auch der die Indikationsgrenzen überschreitende Einsatz generell zugelassener Arzneimittel (Off-Label-Use) im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung zulässig gewesen sei. Das habe der 1. Senat des BSG im Juli 1995 zum Einsatz des Codeinpräparates Remedacen zur Drogensubstitution entschieden, und der 8. Senat des BSG, der mit dieser Rechtsprechung nicht einverstanden gewesen sei, habe im Jahr 1999 für die Zeit bis zur Verkündung seiner Entscheidung den Versicherten Vertrauensschutz zugebilligt. Auf diesen Vertrauensschutz könne er - der Kläger - sich hier auch berufen. Soweit der 6. Senat des BSG am 31.5.2006 entschieden habe, Vertrauensschutzaspekte spielten insoweit keine Rolle, weil Vertragsärzte, die Arzneimittel außerhalb der Zulassungsindikationen einsetzen wollten, gehalten seien, ein Privatrezept auszustellen und die Versicherten bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche gegen die Krankenkasse zu unterstützen, sei das auf die hier maßgebliche Rechtslage des Jahres 1999 nicht übertragbar. Zu diesem Zeitpunkt sei nach § 29 Abs 1 Satz 2 Bundesmantelvertrag Ärzte (BMV-Ä) die Genehmigung von Verordnungen durch eine Krankenkasse unzulässig gewesen. In Verbindung mit dem Remedacen-Urteil des 1. Senats des BSG habe sich daraus die Berechtigung von Vertragsärzten ergeben, den Off-Label-Use im regulären Verfahren durch Ausstellen vertragsärztlicher Verordnungen zu praktizieren.

9

Schließlich hätte das LSG dem in der mündlichen Verhandlung vom 18.3.2009 unter Bezugnahme auf den Schriftsatz zur Berufungsbegründung ausdrücklich aufrecht erhaltenen Beweisantrag zur Einholung eines Sachverständigengutachtens nachgehen und zur Anwendung von Polyglobin ein entsprechendes Gutachten einholen müssen. Das habe es unter Verletzung des § 103 Satz 1 SGG fehlerhafterweise unterlassen.

10

Der Kläger zu 2. beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 18.3.2009, soweit die Klage dort abgewiesen wurde, das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 14.6.2006 und den Bescheid des Beklagten vom 25.3.2003 aufzuheben,

hilfsweise,

das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 18.3.2009, soweit die Klage dort abgewiesen wurde, das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 14.6.2006 und den Bescheid des Beklagten vom 25.3.2003 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, über seinen - des Klägers - Widerspruch vom 21.11.2001 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu entscheiden,

weiter hilfsweise,

das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 18.3.2009, soweit die Klage abgewiesen wurde, aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

11

Die Beigeladene zu 2. beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 18.3.2009 abzuändern und die Berufung vollumfänglich zurückzuweisen sowie die Revision des Klägers zu 2. zurückzuweisen.

12

Sie rügt vor allem die Auffassung des Berufungsgerichts, der angefochtene Bescheid des Beklagten sei rechtswidrig, soweit er Verordnungen aus dem Quartal I/2000 betreffe. Der Beklagte habe nicht hinreichend beachtet, dass in diesem Quartal die Gemeinschaftspraxis noch nicht bestanden habe. Deshalb könne sich der Bescheid nur gegen den Kläger zu 2. richten, der die betroffenen Verordnungen ausgestellt habe. Nicht die Gemeinschaftspraxis, sondern die Kläger zu 2. und 3. seien im sozialgerichtlichen Verfahren als (einzige) Kläger aufgetreten. Damit sei immer klar gewesen, dass auch die Verordnungen des Klägers zu 2. betroffen gewesen seien.

13

Die Klägerin zu 3. schließt sich der Revision der Beigeladenen zu 2. an und beantragt,

1. die Revision der Beigeladenen zu 2. zurückzuweisen,

2. das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 18.3.2009, soweit die Klage dort abgewiesen wurde, das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 14.6.2006 und den Bescheid des Beklagten vom 25.3.2003 aufzuheben,

3. hilfsweise das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 18.3.2009, soweit die Klage dort abgewiesen wurde, das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 14.6.2006 und den Bescheid des Beklagten vom 25.3.2003 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, über den Widerspruch vom 21.11.2001 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu entscheiden,

4. weiter hilfsweise, das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 18.3.2009, soweit die Klage dort abgewiesen wurde, aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

14

Sie verweist auf den Umstand, dass sie im Quartal I/2000 der zu 1. klagenden Gemeinschaftspraxis nicht angehörte, und nimmt in der Sache auf die Ausführungen des Klägers zu 2. Bezug.

15

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

16

Er hält das Berufungsurteil für zutreffend.

Entscheidungsgründe

17

Die Revision der zu 2. beigeladenen Krankenkasse hat Erfolg. Das LSG hat das sozialgerichtliche Urteil sowie den angefochtenen Bescheid des beklagten Beschwerdeausschusses hinsichtlich der Verordnungen aus dem Quartal I/2000 zu Unrecht aufgehoben (1.). Dagegen haben die Revisionen des zu 2. klagenden Arztes und der zu 3. klagenden Ärztin in der Sache keinen Erfolg (2.). Auch die Verfahrensrüge des Klägers zu 2. ist nicht begründet (3.).

18

1. Das LSG hat angenommen, der angefochtene Bescheid des Beklagten sei hinsichtlich der aus dem Quartal I/2000 stammenden Verordnungen schon deshalb rechtswidrig, weil dieser Bescheid sich gegen eine Gemeinschaftspraxis - bestehend aus den Klägern zu 2. und 3. - richte, die im Quartal I/2000 nicht bestanden habe. Regressbescheide, die sich gegen eine Gemeinschaftspraxis richten, die zu dem Zeitpunkt, in dem die beanstandeten Verordnungen vorgenommen wurden, nicht bestand, sind rechtswidrig. Auch die Ausführungen des Berufungsgerichts hinsichtlich der vertragsarztrechtlich gebotenen Unterscheidung von Gemeinschaftspraxis und Einzelpraxis stehen mit Bundesrecht im Einklang. Nicht zu folgen ist dem Berufungsgericht jedoch insoweit, als es - zumindest inzident - ausgeschlossen hat, dass sich der Bescheid des Beklagten für das Quartal I/2000 (auch) gegen den Kläger zu 2. richtete.

19

a. Der Antrag der BKK Berlin (Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2.) vom 22.5.2001 nennt als Betreff "Gemeinschaftspraxis Dres. med. Kindler und Dietzmann" und verweist zunächst auf die Arztnummer 7290241, die dem Kläger zu 2. zugeordnet war, und - später - auf die Arztnummer 7280821, die der Gemeinschaftspraxis, bestehend aus den Klägern zu 2. und 3., zugeordnet war. Die Fassung des Antrags rührt daher, dass der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2. im Mai 2001 nicht bewusst war, dass ein Teil der Verordnungen auf einen Zeitraum entfiel, in dem sich hinter der Abrechnungsnummer 7290241 nur die Einzelpraxis des Klägers zu 2. und noch nicht die zu 1. klagende Gemeinschaftspraxis verbarg.

20

Dieser Umstand fiel, offenbar weil hier kein quartalsweise festzusetzender Regress wegen unwirtschaftlichen Behandlungs- oder Verordnungsverhaltens, sondern ein Regress wegen unzulässiger Arzneimittelverordnungen zu Gunsten eines einzelnen Patienten über mehrere Quartale hinweg betroffen war (zu den damit verbundenen verfahrensrechtlichen Konsequenzen näher Senatsurteil vom 5.5.2010 - B 6 KA 6/09 R -; zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen), auch weder der antragstellenden Krankenkasse noch dem Prüfungsausschuss bzw dem beklagten Beschwerdeausschuss auf. In dessen Entscheidung vom 25.3.2003 wird im Rubrum die "Gemeinschaftspraxis" als Widerspruchsführer geführt.

21

Im Klageverfahren sind dagegen - ohne Beanstandung durch das Sozialgericht - lediglich die Kläger zu 2. und 3. als Kläger aufgetreten und durch die jetzigen Bevollmächtigten des Klägers zu 2. vertreten worden. Die Vollmacht vom 27.11.2001 ist von den Klägern zu 2. und 3. unterschrieben und in Sachen dieser beiden Kläger ausgestellt worden. Bis zum Abschluss des sozialgerichtlichen Verfahrens haben die Bevollmächtigten nicht auf den Umstand hingewiesen, dass die Gemeinschaftspraxis im Quartal I/2000 noch nicht bestand. Noch im Termin der mündlichen Verhandlung am 14.6.2006, also fast 1 1/2 Jahre nach Auflösung der Gemeinschaftspraxis, ist Rechtsanwalt Dr. S. für beide Kläger aufgetreten, ohne darauf hinzuweisen, dass der Kläger zu 2. im Quartal I/2000 noch in Einzelpraxis tätig war.

22

Erst im Berufungsverfahren sind die Kläger zu 2. und 3. getrennt aufgetreten; der Kläger zu 2. ist durch die bisherigen Bevollmächtigten beider Kläger und die Klägerin zu 3. durch ihre jetzige Bevollmächtigte vertreten worden. Die Klägerin zu 3. hat erstmals mit ihrer Berufung vom 30.8.2006 erläutert, dass sie ihre Tätigkeit in der Praxis des Klägers zu 2. erst zum Quartal III/2000 aufgenommen habe (vgl das ursprünglich unter dem Aktenzeichen L 7 KA 109/06 geführte Berufungsverfahren, das das LSG zum Verfahren L 7 KA 108/06 des Klägers zu 2. verbunden hat).

23

b. In dieser besonderen Konstellation stellt sich die Rubrizierung der zu 1. klagenden Gemeinschaftspraxis im Rubrum des angefochtenen Bescheides des Beklagten als partielle, aber unschädliche Falschbezeichnung heraus (zur revisionsgerichtlichen Befugnis, Verwaltungsakte auszulegen, s BSGE 96, 161 = SozR 4-2500 § 13 Nr 8, RdNr 16 mwN). Der Bescheid des Beklagten sollte ersichtlich die unter der Arztnummer 7290241 (Kläger zu 2.) ausgestellten Verordnungen auch des Quartals I/2000 erfassen, und das ist weder im Widerspruchs- noch im Klageverfahren als fehlerhaft gerügt worden. Die Beigeladene zu 2. hat zu keinem Zeitpunkt den Eindruck erweckt, sie wolle aus dem Bescheid des Beklagten gegenüber der Klägerin zu 3. Rechte im Hinblick auf Verordnungen aus dem Quartal I/2000 herleiten. Bei verständiger Auslegung der angefochtenen Entscheidung des Beklagten und bei Würdigung des Verhaltens der zu 2. und 3. klagenden Ärzte sowie ihrer Bevollmächtigten im Widerspruchs- und Klageverfahren betrifft der Bescheid des Beklagten, soweit er sich auf das Quartal I/2000 bezieht, Verordnungen nur des Klägers zu 2. und setzt nur diesem gegenüber einen Regress fest. Diese selbstverständliche Rechtsfolge hat der Senat ausdrücklich zur Klarstellung in den Tenor seines Urteils aufgenommen.

24

2. Die Regressfestsetzungen des Beklagten gegenüber dem Kläger zu 2. hinsichtlich der Quartale I und III/2000 und gegenüber der Klägerin zu 3. hinsichtlich des Quartals III/2000 sind weder in formeller noch in materieller Hinsicht zu beanstanden.

25

a. Das Berufungsgericht hat zunächst angenommen, § 14 Abs 1 iVm Abs 3 der seit dem Jahre 1994 geltenden PV, die für die Verordnungen der Kläger im Jahre 2000 noch galt, gestatte die Festsetzung von Arzneikostenregressen, soweit der Vertragsarzt Arzneimittel verordnete, die in der vertragsärztlichen Versorgung nicht verordnungsfähig sind. Die Kenntnis des Vertragsarztes von der fehlenden Verordnungsfähigkeit oder generell ein Verschulden des Arztes seien insoweit nicht Voraussetzung für die Festsetzung eines Regresses. Soweit der Kläger zu 2. § 14 PV anders versteht und annimmt, diese Norm erfasse nur Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung bzw die Festsetzung eines verschuldensabhängigen "sonstigen Schadens" und nicht die Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel, ist dem im Revisionsverfahren nicht weiter nachzugehen. Die PV stellt Landesrecht iS des § 162 SGG dar, das das Revisionsgericht in der Auslegung des Berufungsgerichts seiner Entscheidung zugrunde zu legen hat.

26

Von diesem Grundsatz sind in der Rechtsprechung des BSG zwei Ausnahmen anerkannt. Danach können landesrechtliche Normen vom Revisionsgericht eigenständig ausgelegt und angewandt werden, wenn es sich um Normen handelt, die inhaltsgleich in Bezirken verschiedener LSG gelten, soweit die Übereinstimmung im Interesse der Rechtsvereinheitlichung bewusst und gewollt ist (BSG vom 8.9.2009 - B 1 KR 8/09 R - RdNr 26, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt. Es ist weder geltend gemacht noch gerichtsbekannt, dass die Berliner PV aus dem Jahr 1994 inhaltsgleich in anderen KÄV-Bezirken gilt bzw gegolten hat.

27

Landesrechtliche Normen sind weiterhin einer eigenständigen Auslegung und Anwendung des BSG zugänglich, wenn das LSG entscheidungserhebliche Vorschriften unberücksichtigt gelassen hat (BSGE 98, 89 = SozR 4-2500 § 85 Nr 31, jeweils RdNr 15). Hier hat jedoch das LSG die als Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides ersichtlich einschlägige Vorschrift des § 14 PV zutreffend herangezogen und unter Anwendung der allgemein anerkannten juristischen Auslegungskriterien ausgelegt. Der Kläger zu 2. rügt auch keinen Verstoß gegen diese Auslegungsgrundsätze oder die Denkgesetze, sondern setzt der Auslegung des Berufungsgerichts seine abweichende Auslegung entgegen. Das führt nicht dazu, dass entgegen der Vorgabe des § 162 SGG das Revisionsgericht zu einer eigenständigen Auslegung berufen wäre.

28

Soweit § 14 PV in der Auslegung des LSG eine hinreichende Grundlage für die Festsetzung von Arzneikostenregressen wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel darstellt, steht die Vorschrift mit Bundesrecht in Einklang. Der Senat hat mehrfach entschieden, dass auf der Grundlage des § 106 Abs 2 SGB V in den PV Rechtsgrundlagen für Arzneikostenregresse festgeschrieben werden dürfen, soweit Vertragsärzte Arznei- und Heilmittel verordnet haben, die nicht Gegenstand der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung sind(zB BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 52; vgl zuletzt BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 37/08 R - RdNr 17 ff mwN, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Das stellt der Kläger zu 2. selbst nicht in Abrede.

29

b. Soweit der Kläger zu 2. geltend macht, der Antrag der Rechtsvorgängerin der zu 2. beigeladenen Krankenkasse sei verspätet gestellt worden, muss dem ebenfalls nicht weiter nachgegangen werden. Es kann vielmehr offen bleiben, ob die Frist von "sechs Monaten nach Bekanntwerden des Sachverhalts" iS des § 14 Abs 2 PV hier eingehalten ist, wie das SG angenommen hat, oder ob die Normierung dieser Frist in der PV wegen Unvereinbarkeit mit § 106 SGB V unwirksam ist, wovon das LSG ausgegangen ist. Selbst wenn eine Antragsfrist normiert werden durfte und diese von der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2. nicht eingehalten worden sein sollte, würde daraus nicht die Rechtswidrigkeit der Regressfestsetzung folgen. Aus einer evtl Versäumung der Antragsfrist durch die Krankenkasse kann nämlich nicht abgeleitet werden, das Prüf- und Regressverfahren dürfe nicht durchgeführt werden. Das hat der Senat mit Urteil vom 3.2.2010 (B 6 KA 37/08 R; - RdNr 19 ff, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen) entschieden.

30

Der Senat hatte bereits früher dargelegt, dass solche Fristen nicht zum Schutz des Arztes im Sinne eines Ausschlusses der Verfahrensdurchführung normiert sind, sondern dass sie - auch im Interesse des Arztes - der Verfahrensbeschleunigung und einer effektiven Verfahrensdurchführung dienen (s insbesondere BSG USK 9596, S 526; vgl auch BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 28 S 159 f zur Zulässigkeit späterer Antragsnachholung). Wird der Antrag zu spät gestellt, so ist damit dem Interesse an einer Verfahrensbeschleunigung nicht Rechnung getragen. Daraus aber ein Hindernis für die Verfahrensdurchführung überhaupt abzuleiten, liefe der Zielrichtung der Regelung und im Übrigen auch dem hohen Rang des Wirtschaftlichkeitsgebots mit dem daraus folgenden Ziel möglichst effektiver Verhinderung unwirtschaftlicher Behandlungs- und Verordnungsweise zuwider (vgl BSG USK aaO und SozR aaO S 159).

31

Dem Interesse des Vertragsarztes, nicht damit rechnen zu müssen, dass noch nach Jahr und Tag ein Prüf- und Regressverfahren gegen ihn eingeleitet wird, dient eine andere Frist, nämlich die generell für vertragsärztliche Prüf- und Regessverfahren bestehende Vier-Jahres-Frist (zu dieser Frist allgemein zB BSGE 96, 1 = SozR 4-2500 § 85 Nr 22 RdNr 14; BSGE 97, 84 = SozR 4-2500 § 106 Nr 15 RdNr 12 ff; BSG MedR 2008, 100, 101 f RdNr 16 ff, vgl jetzt § 106 Abs 2 Satz 7 Halbs 2 SGB V zur Frist von zwei Jahren für Verordnungsregresse wegen Überschreitung von Richtgrößenvolumina). Von dieser Ausschlussfrist und ihrer Funktion unterscheidet sich die Sechs-Monats-Frist für die Stellung des Prüfantrags mit ihrer Ausrichtung auf Beschleunigung. Würde aus deren Versäumung ein Verfahrenshindernis abgeleitet werden, so würde ihr die Funktion beigemessen, die allein der Vier-Jahres-Frist zukommt.

32

c. Die Kläger durften über "Polyglobin 5 %" in den streitbefangenen Quartalen keine vertragsärztliche Verordnung ausstellen. Sie haben dieses Arzneimittel außerhalb der arzneimittelrechtlichen Zulassung verordnet.

33

Die Zulassung von Polyglobin war nach den Feststellungen des LSG - bei Vorliegen eines Immunmangelsyndroms - auf die Behandlung eines primären, ursächlichen Mangelsyndroms oder - bei sekundärem Immunmangelsyndrom - auf die Behandlung von Grunderkrankungen wie eine chronisch-lymphatische Leukämie oder ein multiples Myelom begrenzt. An solchen Erkrankungen hat der Versicherte M. nicht gelitten. Ein Arzneimittel darf grundsätzlich nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung für einen Einsatz außerhalb der arzneimittelrechtlich zugelassenen Indikation verordnet werden. Das hat der 1. Senat des BSG mit Urteil vom 19.3.2002 (BSGE 89, 184 = SozR 3-2500 § 31 Nr 8) unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung entschieden und daran bis heute festgehalten (zB BSGE 93, 236 = SozR 4-2500 § 27 Nr 1). Der 6. Senat des BSG ist dem für die Festsetzung von Arzneikostenregressen gefolgt (zB BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 RdNr 19; vgl auch BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 37/08 R - RdNr 26, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).

34

Die Kläger können sich zur Rechtfertigung ihrer Verordnung von Polyglobin weder auf Vertrauensschutz noch auf einen der Annahmefälle stützen, in denen Arzneimittel vertragsärztlich auch außerhalb der zugelassenen Indikation verordnet werden dürfen. Der Kläger zu 2. ist der Auffassung, Vertragsärzte hätten in der Zeit zwischen dem Urteil des 1. Senats vom 5.7.1995 zur Drogensubstitution mit dem Codein-Präparat Remedacen (BSGE 76, 194 = SozR 3-2500 § 27 Nr 5) und dem Bekanntwerden des Urteils des 8. Senats vom 30.9.1999 zur SKAT-Therapie (BSGE 85, 36 = SozR 3-2500 § 27 Nr 11) generell darauf vertrauen dürfen, Arzneimittel im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung auch außerhalb der Zulassungsindikationen nach dem Arzneimittelrecht verordnen zu dürfen. Dem folgt der Senat in Übereinstimmung mit dem Berufungsgericht nicht.

35

Es ist bereits fraglich, ob ein Vertragsarzt im Hinblick auf das zu der sehr speziellen Situation der Drogensubstitution ergangene Urteil des 1. Senats vom 5.7.1995 generell darauf vertrauen durfte, Arzneimittel auch außerhalb ihrer Zulassungsindikation verordnen zu dürfen. Allenfalls kommt ein Vertrauen darauf in Betracht, dass die Bindung der vertragsärztlichen Verordnung an die Zulassung des jeweiligen Fertigarzneimittels nach dem Arzneimittelgesetz (AMG) in dem Sinne gelockert ist, dass in bestimmten Konstellationen eine die arzneimittelrechtliche Zulassung überschreitende Verordnung, die medizinisch sinnvoll oder sogar geboten ist, auch krankenversicherungsrechtlich zulässig sein kann. In diesem Sinne ist das Urteil des 8. Senats vom 30.9.1999 richtigerweise zu verstehen. Weitergehende Schlussfolgerungen aus diesem Urteil im Sinne eines uneingeschränkt erlaubten indikationsfremden Einsatzes von Fertigarzneimitteln liegen eher fern, zumal ein beliebiger, allein nach Gutdünken jedes einzelnen Arztes erfolgender, Einsatz eines Medikaments außerhalb der Zulassung nicht ernsthaft für sachgerecht gehalten werden kann .

36

d. Im Übrigen sind schon kurz nach Veröffentlichung des Urteils des 1. Senats vom 5.7.1995 zur Drogensubstitution in der Rechtsprechung des BSG Zweifel an der allgemeinen Aussagekraft dieses Urteils über den entschiedenen Fall hinaus artikuliert worden. Schon drei Monate nach dem Urteil des 1. Senats hat der allein für das Vertragsarztrecht zuständige erkennende Senat Bedenken gegen die Zulässigkeit des Einsatzes von Remedacen zur Drogensubstitution geäußert und auf die Problematik der Beachtung der Richtlinien des (früheren) Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen im Zusammenhang mit sog Außenseitermethoden hingewiesen (Urteil vom 18.10.1995, SozR 3-5550 § 17 Nr 2 S 5). In der Sache sind sodann die Grundsätze des Urteils vom 5.7.1995 durch die neuere Rechtsprechung des 6. und des 1. Senats zur Rechtsqualität der Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen, zur Methodenanerkennung nach § 135 Abs 1 SGB V und zum Zusammenhang zwischen dieser Anerkennung und den Prinzipien der Arzneimitteltherapie deutlich modifiziert worden(Urteil des 6. Senats vom 20.3.1996, BSGE 78, 70 = SozR 3-2500 § 92 Nr 6 "Methadon"; Urteile des 1. Senats vom 16.9.1997, BSGE 81, 54 = SozR 3-2500 § 135 Nr 4, BSGE 81, 73 = SozR 3-2500 § 92 Nr 7). Spätestens nach Bekanntwerden dieser Urteile war deutlich, dass die ältere Rechtsprechung des BSG zu den (untergesetzlichen) Vorgaben des Leistungs- und Leistungserbringungsrechts in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht mehr uneingeschränkt fortgeführt werden würde. Kein Vertragsarzt musste die aufgezeigten Wendungen der Rechtsprechung kennen oder nachvollziehen. Wer aber - wie der Kläger zu 2 - geltend macht, Verordnungen aus dem Jahre 2000 im Vertrauen auf eine zu einer Sonderkonstellation ergangene und vereinzelt gebliebene Rechtsprechung des BSG aus dem Jahre 1995 getätigt zu haben, muss sich entgegenhalten lassen, dass sich die Rechtsprechung weiterentwickelt hat. Jedenfalls im Jahr 2000 hat es für einen Vertragsarzt erkennbar keine hinreichende Sicherheit mehr gegeben, nach eigener Einschätzung Off-Label-Use-Verordnungen ausstellen zu dürfen, ohne Gefahr zu laufen, insoweit in Regress genommen zu werden.

37

e. Zudem sind sowohl das Urteil des 1. Senats vom 5.7.1995, auf das sich der Kläger zu 2. beruft, wie auch die folgenden Entscheidungen des 1. und des 8. Senats des BSG zu den Rechtsansprüchen von Versicherten gegen ihre Krankenkasse ergangen. Aus diesen Urteilen ergibt sich nicht unmittelbar, wie sich ein Vertragsarzt zu Arzneimittelverordnungen verhalten sollte, die erkennbar außerhalb der Zulassungsindikation des jeweiligen Arzneimittels erfolgten, von denen er aber annahm, sie könnten vom Patienten beansprucht werden. Dazu ist dem Urteil des erkennenden Senats vom 18.10.1995 (6 RKa 3/93) zur Drogensubstitution zu entnehmen, dass in solchen Fällen jedenfalls eine exakte Dokumentation und eine engmaschige Verlaufskontrolle der Behandlung geboten waren (SozR 3-5550 § 17 Nr 2 S 8; vgl auch BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 37/08 R - RdNr 39, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Damit ist es zB nicht vereinbar, auf laborchemische Untersuchungen zum Nachweis eines - vermeintlichen oder tatsächlich bestehenden - "Antikörpermangelsyndroms" zu verzichten, wenn die umstrittene Off-Label-Verordnung von Immunglobulinen gerade auf diese Diagnose reagiert.

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Ein Vertragsarzt, der Medikamente außerhalb ihrer zugelassenen Indikationen verordnet, kann weder sich noch der Krankenkasse Gewissheit darüber verschaffen, dass die Verordnung den Vorgaben des Wirtschaftlichkeitsgebotes genügt, also notwendig, zweckmäßig und wirtschaftlich ist. Bei Off-Label-Verordnungen hat nämlich gerade keine Prüfung von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des jeweiligen Arzneimittels stattgefunden, die seinen Einsatz (auch) im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung rechtfertigt. Eine solche Prüfung ist im AMG nur indikationsbezogen vorgeschrieben und durchführbar; die von der Zulassung nach dem AMG ausgehende Schutzwirkung und Qualitäts- wie Wirksamkeitserwartung greift bei einem Einsatz des Medikaments außerhalb der Zulassung gerade nicht ein (vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 RdNr 19; s auch BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 37/08 - RdNr 27 ff, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Soweit danach ein Vertragsarzt Verordnungen ohne gesicherten Nachweis von Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels ausstellt, muss zwingend nachträglich geprüft werden dürfen, ob die jeweilige Verordnung den Regeln des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung entspricht. Wenn der Vertragsarzt davon absieht, in Fällen eines Off-Label-Use die Krankenkasse vor Ausstellung der Verordnung einzuschalten, wie es der Senat in einem Beschluss vom 31.5.2006 dargestellt hat (B 6 KA 53/05 B, MedR 2007, 557, 560), muss er hinnehmen, dass die Einhaltung der Vorgaben der vertragsärztlichen Versorgung im Nachhinein geprüft wird.

39

Der Beklagte hält den Klägern - anders als diese nahe legen wollen - keine schuldhafte Verletzung vertragsärztlicher Pflichten vor, die nunmehr sanktioniert wird. Der Beklagte hat lediglich die Position der zu 2. beigeladenen Krankenkasse bestätigt, dass sie objektiv zu Unrecht erhebliche Kosten für die Versorgung des M. mit einem Immunglobulin aufgewandt hat. Weil die Kläger der Beigeladenen zu 2. keine Gelegenheit gegeben haben, ihre Auffassung zur Rechtmäßigkeit des Einsatzes von Immunglobulinen bei dem Versicherten M. vor Einlösung der Verordnungen darzulegen, muss es der Krankenkasse möglich sein, ihren Standpunkt nachträglich durchzusetzen, soweit er rechtlicher Prüfung standhält. Dazu sieht die PV im Einklang mit Bundesrecht das Verfahren der Regressfestsetzung vor. Soweit der Kläger zu 1. geltend macht, nach dem im Jahr 2000 geltenden Recht habe er zu Gunsten des M. kein Privatrezept ausstellen dürfen, weil das gegen § 29 Abs 1 Satz 2 BMV-Ä verstoßen hätte, folgt der Senat dem nicht. Der Beschluss des Senats vom 31.5.2006 (MedR 2007, 557), der diesen Weg aufgezeigt hat, ist zu Off-Label-Use-Verordnungen aus dem Jahr 1997 ergangen. Auch in den Jahren 1997 und 2000 galt das Verbot, sich als Vertragsarzt vertragsärztliche Verordnungen einzeln genehmigen zu lassen; dieses Verbot hat sich - wie der Senat dargelegt hat - immer nur auf Verordnungen im Rahmen der Leistungspflicht der Krankenkassen bezogen. Wie die Rechtslage zu beurteilen wäre, wenn die Kläger zu Beginn des Jahres 2000 vergeblich bei der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 2. angefragt und explizit um eine Entscheidung über das aus Sicht dieser Krankenkasse richtige Vorgehen gebeten hätten, kann offen bleiben. Die Kläger machen selbst nicht geltend, diesen Weg beschritten zu haben.

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f. Der vom Beklagten aufrecht erhaltene Regress ist schließlich nicht deshalb rechtswidrig, weil dem Versicherten M. bei Ausstellung der umstrittenen Verordnungen nach den Grundsätzen des Beschlusses des BVerfG vom 6.12.2005 (BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5) gegen die Rechtsvorgängerin der zu 2. beigeladenen Krankenkasse ein Anspruch auf Versorgung mit Polyglobin 5 % zugestanden hätte. Nach den Feststellungen des LSG liegen die tatsächlichen Voraussetzungen eines solchen, auf §§ 27 und 31 SGB V iVm Art 2 Abs 1 GG und dem Sozialstaatsprinzip bzw Art 2 Abs 2 Satz 1 GG und der hieraus abzuleitenden Schutzpflicht gegründeten Anspruchs nicht vor. Diese Feststellungen des LSG sind für den Senat nach § 163 SGG bindend, weil die dazu vom Kläger zu 2. angebrachte Rüge nicht durchgreift (unten 3.).

41

Richtig ist allerdings der Ausgangspunkt der Revision: Wenn feststünde, dass M. nach den tatsächlichen Verhältnissen des Jahres 2000 einen Anspruch auf Versorgung mit Polyglobin als Sachleistung der Krankenkasse gehabt hätte, dürfte wegen der für diese Versorgung angefallenen Kosten kein Regress gegen die Kläger festgesetzt werden. Diese Konsequenz aus der Entscheidung des BVerfG hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 5.11.2008 zu Wobe Mugos (SozR 4-2500 § 106 Nr 21; ebenso BSG MedR 2010, 276) inzident angesprochen und hält daran fest. Der verschuldensunabhängige Schadensersatzanspruch der Krankenkasse gegen einen Vertragsarzt wegen unzulässiger Arzneimittelverordnungen beruht im Kern darauf, dass die Krankenkasse einen Ausgleich für die Bezahlung von Medikamenten erhält, die sie bei korrektem Verhalten des Arztes nicht hätte finanzieren müssen. Wenn sich nachträglich herausstellt, dass der Versicherte, zu dessen Gunsten der Vertragsarzt die umstrittenen Verordnungen ausgestellt hat, auf die Versorgung mit dem verordneten Arzneimittel einen Anspruch gegen seine Krankenkasse hatte, ist dieser durch die Bezahlung dieses Arzneimittels dem Grunde nach jedenfalls kein Schaden entstanden, den der Vertragsarzt nunmehr ersetzen müsste. Lässt sich allerdings nicht mit hinreichender Gewissheit feststellen, dass die Voraussetzungen für einen ausnahmsweise gerechtfertigten Off-Label-Use vorgelegen haben, geht das zu Lasten des Arztes. Er rückt, obwohl er sich nach der Ausrichtung des Verfahrens gegen einen Regress wendet, hinsichtlich der Verteilung von Darlegungs- und Beweislast in die Stellung ein, die der Versicherte gehabt hätte, wenn er seinen Standpunkt zur der Verordnungsfähigkeit eines Arzneimittels gegen die Krankenkasse nach § 13 Abs 3 SGB V im Wege der Geltendmachung eines Kostenerstattungsanspruchs durchsetzen müsste. Wer geltend machen will, der Versorgungsanspruch umfasse in einer bestimmten Konstellation auch die Versorgung mit zugelassenen Arzneimitteln außerhalb der Zulassungsindikationen, dringt damit nicht durch, wenn sich unter Ausschöpfung aller Möglichkeiten zur Sachaufklärung nicht feststellen lässt, dass die dafür insbesondere in der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG und inzwischen auch vom Gemeinsamen Bundesausschuss (§ 30 der Arzneimittel-Richtlinie iVm Anlage VI) formulierten Voraussetzungen vorgelegen haben. Das ist auch hier der Fall und geht zu Lasten der Kläger.

42

g. Das LSG ist in Übereinstimmung mit der Revision zutreffend davon ausgegangen, dass der Versicherte M. an einer schwerwiegenden Erkrankung (Hodenkarzinom) gelitten hat. Ob zu dessen kausaler Behandlung bei Fehlen einer allgemein anerkannten, medizinischem Standard entsprechenden Behandlungsmethode nach der Rechtsprechung des BVerfG ein Arzneimittel auch außerhalb seiner Zulassungsindikation hätte eingesetzt werden dürfen, wenn nach der vorhandenen Studienlage auf diese Weise die nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf positive Behandlungserfolge bestanden hätte (BVerfGE 115, 25, 49 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 RdNr 33), kann offen bleiben. Das nehmen die Kläger nämlich selbst für die Verordnung von Polyglobin nicht an. Sie gehen vielmehr davon aus, dass der Versicherte M. an einem Antikörpermangel litt, der unbehandelt eine Fortführung der notwendigen Chemotherapie erschwert hätte oder hat. Wenn die Rechtsprechung des BVerfG auf diese Konstellation Anwendung finden sollte, was der Senat entgegen der Auffassung des LSG nicht von vornherein für ausgeschlossen hält, müssen jedenfalls die Anforderungen an einen zulässigen Off-Label-Use entsprechend erfüllt sein. Es muss deshalb feststehen, dass der Patient neben der besonders schwerwiegenden Erkrankung (Karzinom) an einer weiteren Gesundheitsstörung gelitten hat, die die Anwendung aller zur Behandlung des Hauptleidens in Betracht kommenden Behandlungsmöglichkeiten ausschließt. Weiterhin muss der Off-Label-Einsatz des anzuwendenden Arzneimittels mit gewisser Wahrscheinlichkeit die zweite Erkrankung so beeinflussen, dass eine Erfolg versprechende Behandlung des Hauptleidens wieder oder erstmals möglich wird. Schließlich darf es für die zweite Erkrankung keine anerkannten Behandlungsmöglichkeiten - zB mit entsprechend zugelassenen Arzneimitteln - geben. Diese Voraussetzungen sind hier jedenfalls nicht - wie es notwendig wäre, um der Klage zum Erfolg zu verhelfen - kumulativ erfüllt.

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h. Erhebliche Zweifel bestehen bereits daran, ob das von den Klägern so bezeichnete "sekundäre Antikörpermangelsyndrom" eine eigenständige und hinreichende spezifische Erkrankung ist, die abgegrenzt vom Karzinomleiden behandelt werden kann und muss. Die Kläger haben dazu in den Tatsacheninstanzen nicht Präzises vorgetragen. Zudem steht nicht fest, dass M. an einem Antikörpermangelsyndrom litt, das schulmedizinisch nicht behandelbar war. Die zur Abstützung dieser Diagnose und des Ausmaßes der Erkrankung möglichen laborchemischen Untersuchungen haben die Kläger nach den Feststellungen des LSG nicht durchgeführt oder veranlasst. Dazu mögen sie - wie die Revision geltend macht - berufsrechtlich nicht verpflichtet gewesen sein. Sie haben damit aber im Hinblick auf den Off-Label-Use zur Unaufklärbarkeit des genauen Gesundheitszustandes des Versicherten M. im Jahr 2000 beigetragen. Das geht zu ihren Lasten.

44

i. Außerdem fehlt es an ausreichenden Feststellungen bzw Belegen für das von den Klägern geltend gemachte Dilemma, die schwerwiegende Ersterkrankung nur durch die Behandlung der Zweiterkrankung mit Polyglobin 5 % therapieren zu können. Der Kläger zu 2. setzt schon die Anforderungen an den Nachweis einer eigenständigen Zweiterkrankung zu niedrig an. Der Versicherte M. litt nach den Ausführungen des Klägers zu 2. an einer "Verminderung der Immunitätslage" als Folge vor allem der aggressiven Chemotherapien. Einzelne Infektionen des Patienten hätten sie - die Kläger - als "Zeichen eines sekundären Antikörpermangels" gedeutet. Für diese Infektionen haben die Kläger im Verwaltungsverfahren oder in den Vorinstanzen jedoch nicht konkret und eingehend belegt, dass ihnen durch anerkannte Behandlungsmaßnahmen nicht hätte effektiv entgegengewirkt werden können. Spezifische Darlegungen dazu, die dann dem LSG ggf Anlass zu weiterer Sachaufklärung hätten geben können, waren vor allem deshalb unerlässlich, weil der Kläger zu 2. selbst einen Zusammenhang zwischen dem Krebsleiden und der Chemotherapie mit der geschwächten Immunitätslage des M. herstellt. Da nicht alle Patienten, deren Abwehrsystem durch Krebs und Chemotherapie geschwächt ist, mit Immunglobulin behandelt werden bzw nach dem gebotenen Behandlungsstandard behandelt werden müssen oder im Jahr 2000 so behandelt wurden oder behandelt werden mussten, hätten die Kläger fallbezogen und detailliert darlegen müssen, inwieweit sich die gesundheitliche Lage des M. von derjenigen anderer chemotherapeutisch behandelter Krebspatienten unterschied, und auf der Basis welcher exakten Befunde sie die Anwendung von Polyglobin 5 % für unerlässlich hielten. Das ist nicht geschehen und spricht dafür, dass sich die Kläger von der Gabe eines Immunglobulins ganz generell eine Stärkung der Abwehrlage des M. und damit mutmaßlich eine bessere Resistenz gegen Infektionen versprachen. Das reicht für einen Off-Label-Use, dessen Zulässigkeit jedenfalls in Fällen der hier vorliegenden Art von dem Gesundheitszustand des konkreten Patienten abhängt, nicht aus.

45

j. Schließlich ist die positive Wirkung, die die Kläger dem Einsatz von Immunglobulin bei fortgeschrittener Krebserkrankung zuschreiben, nach den Feststellungen des LSG nicht hinreichend belegt.

46

Das LSG hat im Einzelnen dargestellt, dass die bis 1999 zum Einsatz von Immunglobulinen vorhandenen Studien und publizierten Forschungsergebnisse nicht darauf hindeuten, dass die Gesundheitsstörungen des Versicherten M. durch den Einsatz von Polyglobin erfolgreich behandelt werden konnten. Das LSG ist zutreffend von den in der Rechtsprechung des 1. Senats des BSG entwickelten Grundsätzen zum Anspruch der Versicherten auf Versorgung mit (in Deutschland oder der EU) nicht zugelassenen Arzneimitteln (dazu BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4) oder mit Arzneimitteln außerhalb zugelassene Indikationen (BSGE 89, 184 = SozR 3-2500 § 31 Nr 8) ausgegangen. Es hat näher ausgeführt, dass keine wissenschaftliche Arbeit vorliege oder von den Klägern benannt sei, in der der zulassungsüberschreitende Einsatz von Immunglobulinen zur Behandlung einer auf der Intoleranz von Chemotherapeutika beruhenden Erkrankung als medizinisch geboten bewertet wird. Einen Konsens der einschlägigen Fachkreise, dass Polyglobin ein sekundäres Antikörpersyndrom positiv beeinflussen könne, hat das LSG gerade nicht feststellen können. Soweit die Revision die vorhandenen medizinischen Unterlagen lediglich anders würdigt, vermag sie damit die Feststellungen iS des § 163 SGG nicht zu entkräften.

47

Soweit der Kläger zu 2. die Sachaufklärung des LSG zu den Erfolgsaussichten der Behandlung mit Immunglobulinen für unzureichend hält, berücksichtigt er nicht hinreichend, dass sich der 1. Senat des BSG bereits mehrfach mit dem Anspruch der Versicherten auf Versorgung mit Immunglobulinen befasst hat. In den Urteilen vom 19.3.2002 (BSGE 89, 184 = SozR 3-2500 § 31 Nr 8), vom 27.3.2007 (B 1 KR 17/06 R) und vom 28.2.2008 (SozR 4-2500 § 13 Nr 16), die sämtlich die Versorgung mit Immunglobulinpräparaten - jeweils bezogen auf die Indikation Multiple Sklerose - zum Gegenstand hatten, wird der Stand der medizinischen Forschung zu dieser Wirkstoffgruppe für die streitbefangenen Jahre 1997 bis 2003 eingehend aufgearbeitet. Zwar können die Forschungsergebnisse zur Möglichkeit, durch die Gabe von Immunglobulinen die Multiple Sklerose günstig zu beeinflussen, nicht ohne Weiteres auf die hier zu beurteilende Situation der unterstützenden Behandlung bei Krebserkrankungen übertragen werden, doch sind die Wirkungen und die in Frage kommenden Indikationen für Immunglobulin bezogen auf den hier relevanten Zeitraum gut erforscht und die Forschungsergebnisse - soweit krankenversicherungsrechtlich von Bedeutung - in der Rechtsprechung des BSG umfassend rezipiert worden. Zudem sind die Urteile des 1. Senats des BSG vom 27.3.2007 und vom 28.2.2008 Gegenstand der verfassungsgerichtlichen Prüfung gewesen. Mit Kammerbeschlüssen vom 30.6.2008 (1 BvR 1665/07 zum BSG-Urteil B 1 KR 17/06 R) und vom 8.7.2009 (1 BvR 1531/09 zum BSG-Urteil B 1 KR 15/07 R) sind die Verfassungsbeschwerden der unterlegenen Kläger jeweils nicht zur Entscheidung angenommen worden. Beide Kammerbeschlüsse sind auf der Basis der grundlegenden Entscheidung des BVerfG vom 6.12.2005 ergangen und billigen insbesondere, dass die Rechtsprechung des BSG strenge Anforderungen an den Nachweis stellt, dass mit dem zulassungsüberschreitenden Einsatz des jeweils betroffenen Arzneimittels hinzureichende Erfolgsaussichten verbunden sein müssen (BVerfG vom 30.6.2008 - 1 BvR 1665/07 - NJW 2008, 3556 f RdNr 9 bis 11). Es reicht danach als Grundlage für einen Off-Label-Use von Arzneimitteln in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht aus, dass positive Folgen einer solchen Behandlung nach dem Wirkungsmechanismus von Immunglobulinen nicht schlechthin ausgeschlossen werden können, dass Patienten in Einzelfällen nach Verabreichung der umstrittenen Medikamente eine Verbesserung ihres Befindens beschreiben und dass einzelne Ärzte oder Wissenschaftler mit plausiblen Gründen einen von der verbreiteten Auffassung abweichenden Standpunkt zu den Erfolgsaussichten einer Behandlung vertreten. Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe und im Hinblick auf die schon vorliegende Rechtsprechung des 1. Senats des BSG ist die Sachverhaltsermittlung des Berufungsgerichts ausreichend.

48

3. Ohne Erfolg macht der Kläger zu 2. schließlich geltend, das LSG hätte einem Beweisantrag vom 12.3.2009, den er in der mündlichen Verhandlung explizit aufrechterhalten hat, nachkommen und ein Gutachten zur Wirkung von Polyglobin 5 % einholen müssen. Das LSG ist diesem Antrag mit hinreichender Begründung nicht gefolgt.

49

Grundsätzlich liegt es im Ermessen des Gerichts, ob es dem Antrag auf Einholung eines Gutachtens oder eines weiteren Gutachtens nachkommt. Der für andere Beweismittel wie insbesondere den Zeugenbeweis geltende Grundsatz, dass eine Beweiswürdigung nicht vorweggenommen werden darf, gilt nicht für die Frage der Einholung von Sachverständigengutachten. Hier darf das Gericht unter Hinweis darauf, dass von einem Sachverständigengutachten keine (weiteren) Erkenntnisse zu erwarten seien, weil das Gericht ausreichend eigene Sachkunde habe oder weil ihm bereits ausreichende sachverständige Erkenntnisse vorliegen, dessen Einholung ablehnen. Das Gericht übt sein Ermessen nur dann fehlerhaft aus, wenn sich ihm die Notwendigkeit der Einholung eines Sachverständigengutachtens hätte aufdrängen müssen (s zB BVerwG NVwZ 1993, 268; BVerfG NVwZ 2009, 320, RdNr 4; BVerwG NJW 2009, 2614 RdNr 7; BSG SozVers 2002, 218 f; ebenso BSG vom 17.3.2010 - B 6 KA 23/09 B - RdNr 29). Ein solcher Ausnahmefall hat hier nicht vorgelegen. Das LSG hat in seiner Entscheidung dargelegt, warum es keinen weiteren Aufklärungsbedarf gesehen hat. Dabei spielt eine Rolle, dass zur Wirksamkeit von Immunglobulinen im (auch) hier betroffenen Zeitraum zahlreiche Entscheidungen des BSG ergangen sind, wie oben (unter 2. j.) näher dargelegt worden ist.

50

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs 1 iVm § 155 Abs 1 VwGO und berücksichtigt die unterschiedliche wirtschaftliche Betroffenheit der Kläger zu 2. und 3. Die außergerichtlichen Kosten der zu 1. beigeladenen KÄV sind nach § 162 Abs 3 VwGO nicht erstattungsfähig, weil diese keine Anträge gestellt hat(vgl BSGE 96, 257 = SozR 4-1300 § 63 Nr 3, RdNr 16).

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.