Bayerisches Landessozialgericht Beschluss, 30. Okt. 2015 - L 16 R 741/15 B ER

bei uns veröffentlicht am30.10.2015

Gericht

Bayerisches Landessozialgericht

Tenor

I.

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts München vom 11. August 2015 aufgehoben und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 22. Juni 2015 bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens angeordnet.

II.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Antragsverfahrens in beiden Rechtszügen.

Gründe

I.

Streitig ist zwischen den Beteiligten die sofortige Vollziehung des Bescheids der Antragsgegnerin vom 22.06.2015, mit dem diese gegenüber der Antragstellerin eine Beitragsforderung von 25.962,64 € einschließlich Säumniszuschlägen in Höhe von 6.118,00 € festgesetzt hat.

Die Antragstellerin, die sich seit 03.02.2014 (Eintragung im Handelsregister) in Liquidation befindet, hatte den Betrieb von Bars und Restaurants zum Gegenstand (hier vor allem ehemaliges Restaurant I. in A-Stadt).

Vom 19.09.2014 bis 24.04.2015 führte die Antragsgegnerin bei der Antragstellerin eine Betriebsprüfung durch.

Mit Bescheid vom 22.06.2015 setzte sie nach Anhörung mit Schreiben vom 24.04.2015 eine Nachforderung zur Sozialversicherung in Höhe von 25.962,64 € (darin enthalten Säumniszuschläge in Höhe von 6.118,00 €) fest. Die Betriebsprüfung habe ergeben, dass für alle in der Anlage genannten Personen in ihrer Tätigkeit als Service Restaurant, Service Kochen, sonstige Dienstleistungen (Dienstleistungen als Bar- und Servicekraft), gastronomische Beratung/Management und küchentechnische Beratung ein dem Grunde nach sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis bestehe. Beiträge wurden für die Kalenderjahre 2011, 2012, und 2013 festgesetzt. Sie betreffen entsprechend der Bezeichnung im Bescheid folgende Personen: N. D., S. K., S. E., S. G., B. H., L. K., C. K., M. M., N. M., R. P., M. R., J. S., J. S., K. Z., C., G., S., B., S. B., B., A. D., H., A. K., S. K., L., M., M., F. N.-D., M. von P., W., W., G., K., N., S. W., A. W., S. S., N. L., M. P., M. a G., B. W., L. Z., J., K. und T.

Soweit für den weit überwiegenden Teil dieser insgesamt 26 Personen Beiträge festgesetzt wurden, enthält der Bescheid den Vermerk „unbekannt“, zum Teil sind nur Vor- oder Nachname benannt, eine Versicherungsnummer ist nur den Arbeitnehmern D., K., S. W., A. W., S. S., N. L., M. P. und M. a G. zugeordnet. Nähere Ausführungen enthält der Bescheid lediglich zur Person des Kochs N. D., da dieser als einziger den Fragebogen zur sozialversicherungsrechtlichen Feststellung beantwortet habe. Dessen Angaben ließen auf ein Beschäftigungsverhältnis schließen. Die anderen Auftragnehmer und die Antragsgegnerin seien ihren Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen, weshalb eine Beurteilung nach Aktenlage in Anlehnung an den Fragebogen bzw. das Tätigkeitsfeld der bei der Antragsgegnerin in den gleichen Berufsgruppen abhängig beschäftigten Arbeitnehmer erfolgt sei. Es handle sich ausweislich der teilweise vorhandenen Belege ausschließlich um Servicepersonal in der Gastronomie und es sei von den gleichen Umständen auszugehen. Es seien auch Säumniszuschläge zu erheben. Die Antragstellerin habe grob fahrlässig die Beschäftigungsverhältnisse falsch beurteilt, sie habe die gleichen Arbeiten auch von abhängig Beschäftigten ausführen lassen und sich nicht um die Klärung des Status der anderen Mitarbeiter bemüht.

In den von der Antragsgegnerin vorgelegten Akten befinden sich (Monats-)Rechnungen von N. D. über „Kochen“, Rechnungen von M. a G. über „Service Restaurant“, von R. K. für „Service Kochen“, von M. P. über „Dienstleistung als Bar und Servicekraft“, von R. P. über „Produktion Kochen“, von J. S. über 9 Arbeitsstunden am 23.01.2011, Monatsrechnungen von M. M. als „Mietkoch“, von C. über Gastronomische Beratung/Management, von F. N.-D. über „küchentechnische Beratung“, von PRT (S. K.) über Veranstaltungsbetreuung, Monatsrechnungen von B. W. über „geleistete Tätigkeit“, von S. S. über „erbrachte Dienstleistung“, von S. von K. über Servicetätigkeit, und von A. S. über „Bar und Servicetätigkeiten“. Abgeheftet ist außerdem eine von der Antragsgegnerin bearbeitete Buchungsliste der Buchhaltung über Fremdleistungen. Diese Liste enthält teilweise Namen mit dem Hinweis Aushilfe, Koch, Service Restaurant oder Putzen, daneben aber auch Warenlieferungen oder Namen wie „G. 30 €“ ohne nähere Erläuterung. Diese Liste wurde von der Antragstellerin auf Anforderung der Antragsgegnerin vorgelegt.

Mit ihrem Widerspruch vom 22.07.2015 beantragte die Antragstellerin, die sofortige Vollziehung des Bescheides auszusetzen. Mit Fax vom 23.07.2015 beantragte sie beim Sozialgericht München die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs.

Die Antragsgegnerin habe sich alleine auf die Prüfung des N. D. gestützt, die anderen Auftragnehmer seien nicht geprüft worden, so dass der Bescheid auf einer fehlerhaften Tatsachenfeststellung beruhe. Die Antragstellerin beschäftige festangestellte Arbeitnehmer und vergebe daneben Aufträge an selbstständige Auftragnehmer, die unterschiedlich häufig für sie tätig seien. Die Auftragserteilung erfolge großteils mündlich und sehr kurzfristig, da es im Gastronomiebereich häufig nicht möglich sei, den benötigten Personalbedarf zu bestimmen. Es sei unerlässlich, Selbstständige zu beauftragen, die abhängig von der Bedarfslage einspringen könnten. Diese Auftragnehmer seien nicht weisungsgebunden. So könnten die Köche, auch wenn die Speisekarte vorgegeben sei, selbst Einkäufe tätigen und die Speisekarte mitgestalten. Den Bedienungen könnten keine Weisungen erteilt werden, wie sie zu bedienen hätten, welche Empfehlungen auszusprechen seien und welche Kenntnisse sie aufweisen müssten. Es bestehe keine Weisungsgebundenheit hinsichtlich Zeit und Ort der Tätigkeit und keine festen Anwesenheitszeiten. Es bestehe keine Vertretungsregelung und sie seien nicht berechtigt, wie die festangestellten Mitarbeiter die Sozialeinrichtungen der Antragstellerin zu nutzen, hätten im Gegensatz zu diesen keinen eigenen Spind und würden nicht zur Weihnachtsfeier eingeladen, sie partizipierten nicht von der Mitgliedschaft bei F.F. Sie trügen auch keine Dienstkleidung und seien größtenteils nicht im Besitz eines Schlüssels. Sie seien frei gewesen, einen Auftrag anzunehmen, seien für mehrere Auftraggeber tätig gewesen und nicht zur persönlichen Leistungserbringung verpflichtet gewesen. Die Abrechnung sei aufgrund individueller Preisvereinbarung nach Stunden erfolgt. Es habe ein Unternehmerrisiko bestanden, da nur die geleisteten Stunden bezahlt worden seien. Einige Auftragnehmer besäßen auch eine eigene Betriebsstätte. Köche hätten ihre eigenen Messer mitgebracht. N. D., R. P., S. B. und M. von P. seien als Köche selbstständig gewesen. F. N.-D. sei für verschiedene Dienstleistungen, unter anderem als Koch und als Berater, gebucht worden. Beraterdienstleistungen würden typischerweise von Selbstständigen erbracht. M. a G. habe ein eigenes Gewerbe angemeldet, einen individuellen Stundensatz ausgehandelt und ein erhebliches Unternehmerrisiko getragen, da nicht abzusehen gewesen sei, welchen Gewinn sie erzielen werde. Sie habe selbst bestimmt, wie lange sie wann tätig sein wolle. Gleiches gelte für B. W., S. S., S. von K. und J. S.

S. K. sei Inhaber des Unternehmens PRT und als solcher mit der Betreuung von Veranstaltungen beauftragt worden. A. K. sei Inhaber des Unternehmens W.G. & C., das sich auf Beratungsleistungen im Bereich Bar und Service spezialisiert habe, trete werbend am Markt auf, besitze eine eigene Betriebsstätte und sei aufgrund freier Preisgestaltung tätig gewesen. M. P. habe vom 01.09.2011 bis 30.11.2011 bei der Antragstellerin eine Ausbildung absolviert und sei vor und nach der Ausbildung abhängig von der Auftragslage als selbstständige Barkraft bei der Antragstellerin tätig gewesen. Diese Tätigkeit habe sich erheblich von der Tätigkeit während der Ausbildung unterschieden. Er habe den Stundensatz von 10,00 € festgelegt und Rechnungen gestellt. Für die Auftragnehmer N. M., S. E., M. R., L. Z., L. K., S. K., K., A. D., M., M. a G., T. R, A. W., C. K., J. S., B. H., G., K. Z., M. M., W., die nur an einzelnen Tagen, teilweise nur ein einziges Mal, als Servicekraft für die Antragstellerin tätig gewesen seien, habe bereits keine Eingliederung in die betriebliche Organisation der Antragstellerin stattgefunden. Auch C. sei in ihrer Tätigkeit für das allgemeine Management, die Veranstaltungsleitung und den Einkauf selbstständig tätig gewesen. Herr J. K. sei vom 24.11.2011 bis zum 31.05.2012 als geringfügig Beschäftigter tätig gewesen. Die Beiträge seien entrichtet worden, so dass keine Nachforderung bestehe. Bei der Position B. handele es sich um eine Rechnung für Blumen anlässlich einer Hochzeit am 12.12.2012. Bei der Position L. handele es sich um die Rechnung für eine Weinlieferung, die im Auftrag und für einen Kunden von dessen Lieferanten bezogen worden sei. Bei der Position M. handele es sich um einen Entsorgungsfachbetrieb. Rechnungen hierüber wurden vorgelegt. Schließlich ergebe sich eine unbillige Härte daraus, dass die Vollziehung des Bescheides vom 22.06.2015 die Zahlungsunfähigkeit der Klägerin im Sinne des § 17 Insolvenzordnung (InsO) zur Folge hätte.

Die Antragsgegnerin lehnte mit Schreiben vom 28.07.2015 den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ab und beantragte gegenüber dem Sozialgericht, den Antrag abzulehnen.

Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides bestünden nicht. Die betroffenen Personen seien am Verfahren beteiligt worden. Allerdings habe wegen mangelnder Mitwirkung auch der Antragstellerin nur nach Aktenlage entschieden werden können. Bedienungs- und Küchenpersonal in gastronomischen Einrichtungen stünden grundsätzlich in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis. Typische Merkmale unternehmerischen Handelns wie z. B. das Aushandeln von Preisen, Warenbezug, Einstellung von Personal, Einsatz von Kapital und Maschinen, Kundenakquisition und insbesondere ein Unternehmerrisiko im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts hätten nicht festgestellt werden können. Die betroffenen Personen seien auch in die betrieblichen Organisationsstrukturen der Antragstellerin eingebunden gewesen. Die Positionen J. K., B. L. und M. seien im Hauptsachverfahren weiter zu prüfen. Die hierauf entfallende Gesamtforderung von 342,55 € zuzüglich Säumniszuschlägen rechtfertige jedoch nicht die Aussetzung der Vollziehung des gesamten Bescheides.

Dieser Auffassung schloss sich das Sozialgericht an und lehnte mit Beschluss vom 11.08.2015 den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ab. Ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestünden nicht. Dabei sei zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber in § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG das Vollzugsrisiko bei Abgabenbescheiden bewusst auf den Adressaten verlagert habe, um die notwendigen Einnahmen der öffentlichen Hand zur Erfüllung ihrer Aufgaben sicherzustellen. Diese Risikoverteilung würde unterlaufen, wenn bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens die Vollziehung ausgesetzt würde. In den Fällen des § 86a Abs. 2 SGG sei in der Regel das Vollziehungsinteresse vorrangig. Es könne davon ausgegangen werden, dass die im Bescheid vom 22.06.2015 genannten Personen bei der Antragsgegnerin abhängig beschäftigt und damit sozialversicherungspflichtig gewesen seien. Regelmäßig würden Tätigkeiten im Restaurant- und Veranstaltungsbetrieb als Koch, Bedienung, Barkraft und im Management im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt werden. Dies zeige sich auch daran, dass die Antragstellerin selbst Köche und Servicekräfte als festangestellte Mitarbeiter beschäftigt habe. Würden festangestellte Mitarbeiter in der gleichen Tätigkeit beschäftigt, seien Unterschiede in der Tätigkeit herauszuarbeiten, die die Tätigkeit der letzteren im Vergleich zu der der festangestellten Mitarbeiter zu einer selbstständigen machten. Dass Bedarf an flexiblen Arbeitskräften bestehe, Rechnungen gestellt würden, teilweise Gewerbeanmeldungen vorgelegen hätten und die sozialen Einrichtungen der Antragstellerin nicht genutzt werden könnten, sei hierfür nicht ausreichend. Soweit die Auftragnehmer S. K. als Inhaber des Unternehmens PRT und A. K. als Inhaber des Unternehmens W.G. & C. jeweils ein eigenes Unternehmen aufgebaut hätten, sei nicht erkennbar und noch zu prüfen, ob auch die Tätigkeit für die Antragstellerin hierunter falle, was ausweislich der vorgelegten Internetausdrucke schwer vorstellbar sei. Auch kurzzeitige Arbeitseinsätze würden in den Anwendungsbereich des § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV fallen. Das Vorbringen hinsichtlich der Position J. K. sei mangels Vorlage von Nachweisen nicht überprüfbar. Gleiches gelte für den Vortrag, bei der Position „B.“ handele es sich um eine Blumenrechnung und die Position „L.“ sei mit der Rechnung der Firma E.M.P. et F. identisch. Soweit die Antragstellerin geltend mache, bei der Position M. sei fälschlicherweise eine Rechnung eines Entsorgungsfachbetriebes berücksichtigt worden, werde darauf hingewiesen, dass dies wohl zutreffend sei, von der Antragsgegnerin im Rahmen des Widerspruchs aber geprüft werde. Für die einzelnen Personen seien die vorgebrachten Tatsachen und Argumente zu würdigen und weitere Ermittlungen durchzuführen. Gegebenenfalls würden sich auch die betroffenen Auftragnehmer, die sich bis jetzt nicht geäußert haben, nunmehr an dem Verfahren beteiligen und die von der Antragsgegnerin erbetenen Auskünfte erteilen. Bei danach offenem Ausgang des Widerspruchsverfahrens könne die Anordnung der aufschiebenden Wirkung auch nicht darauf gestützt werden, dass die Vollziehung des Bescheides für die Antragstellerin eine unbillige, nicht durch öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Die Antragstellerin habe lediglich pauschal vorgetragen, dass sie Insolvenzantrag stellen müsste, ohne die aktuelle Vermögenssituation konkret darzustellen. Das Interesse der Antragsgegnerin an einer zeitnahen Durchsetzung der Forderung sei aber gerade dann hoch, wenn die Antragstellerin behaupte, dass Zahlungsunfähigkeit drohe. In einer solchen Situation sei die Antragsgegnerin verstärkt gehalten, die Beiträge rasch einzutreiben, um die Funktionsfähigkeit der Sozialversicherung sicherzustellen. Die Antragstellerin habe auch nicht dargelegt, dass die Durchsetzbarkeit der Forderung bei weiterem Zuwarten nicht weiter gefährdet wäre als derzeit. Der Beschluss wurde der Antragstellerin am 18.08.2015 zugestellt.

Am 11.09.2015 (Eingang beim Sozialgericht) hat sie Beschwerde gegen den Beschluss eingelegt, die dem Bayer. Landessozialgericht am 02.10.2010 vorgelegt worden ist.

Die Beschwerde wird im Wesentlichen mit dem Vortrag aus der ersten Instanz begründet.

Die Antragsgegnerin hat mit Schriftsatz vom 13.10.2015 zur Beschwerde Stellung genommen und beantragt,

diese zurückzuweisen.

Bei der Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen müsse es sich um Nachteile handeln, die durch spätere Rückzahlung von tatsächlich nicht geschuldeten Beiträgen nicht mehr korrigierbar seien. Dazu zählten Fälle, in denen die Zahlung zur Arbeitgeberinsolvenz führen oder der Bestand des Unternehmens gefährdet würde. Da sich die Beschwerdeführerin in Liquidation befinde, könne durch die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ohnehin der Erhalt des Betriebs nicht mehr gesichert werden. In diesem Fall würden die öffentlichen Interessen an der Geltendmachung der Forderung gegenüber den Liquidatoren überwiegen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die beigezogenen Verwaltungsakten der Antragsgegnerin verwiesen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist insbesondere statthaft und form- und fristgerecht erhoben worden (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Die Beschwerde ist auch begründet. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist begrenzt auf die Dauer des Widerspruchverfahrens.

Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 22.06.2015 ist statthaft gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG, da der Widerspruch gegen den Beitragsbescheid keine aufschiebende Wirkung entfaltet (§ 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG). Danach kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen.

Ob vorläufiger Rechtsschutz gewährt wird, steht im Ermessen des Gerichts („kann“) und erfordert grundsätzlich eine Interessenabwägung der relevanten öffentlichen und privaten Belange für den Fall der Gewährung bzw. Nichtgewährung des vorläufigen Rechtsschutzes bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage. In den Fällen des § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG (Entscheidung über Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten, Anforderung von Beiträgen, Umlagen und sonstigen öffentlichen Abgaben) ist Prüfungsmaßstab § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG (vgl. Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 3. Auflage 2011, Rn. 164 mit weiteren Nachweisen). Nach dieser Regelung soll die Aussetzung der Vollziehung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- und Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

Es bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 28.02.2014, die im Wesentlichen darauf beruhen, dass für den Senat anhand der von der Antragsgegnerin vorgelegten Akten nicht feststellbar ist, auf welcher Grundlage die Antragsgegnerin für den größten Teil der in der Anlage aufgeführten Personen zu den streitigen Feststellungen gekommen ist. Derzeit würde der Bescheid gerichtlicher Überprüfung voraussichtlich nicht standhalten.

Streitig ist zwischen den Beteiligten eine Beitragsforderung in Höhe von 19.844,64 € zuzüglich der hieraus errechneten Säumniszuschläge aufgrund einer Betriebsprüfung nach § 28p Abs. 1 SGB IV. Auf welche Grundlagen die Antragsgegnerin die darin getroffenen Feststellungen gestützt hat und welche Ermittlungen sie durchgeführt hat, kann nach den vorgelegten Akten nur bedingt nachvollzogen werden. Zwar befinden sich für einzelne der Personen Rechnungen in den Akten. Bei der überwiegenden Zahl der im Bescheid als Arbeitnehmer aufgeführten (und von der Antragsgegnerin selbst als unbekannt gekennzeichneten) Personen erschließt sich dem Senat jedoch nicht, auf welcher Grundlage die Antragsgegnerin zum Ergebnis gekommen ist, diese seien jeweils bei der Antragstellerin beschäftigt gewesen. Möglicherweise waren Grundlage die auszugsweise in den Akten abgehefteten Auflistungen über Fremdleistungen, die aber nur teilweise Rückschlüsse dahingehend zulassen, es habe sich dabei um Beschäftigungsverhältnisse gehandelt. Auch im Bescheid wird dies nicht näher erläutert. Die Formulierung „teilweise“ legt nahe, dass tatsächlich nur für einen Teil der angenommenen Beschäftigungsverhältnisse Quittungen bzw. Rechnungen vorgelegen haben.

Der Einwand der Antragstellerin, dass es sich dabei nicht einmal um Dienstleistungen, sondern um Warenlieferungen gehandelt habe, erscheint vor dem Hintergrund der vorgelegten Rechnungen (M.) nicht von vornherein unberechtigt und gibt Anlass zu Zweifeln, ob für alle im Bescheid genannten Personen, soweit es sich dabei um Personen handelt, die für die Feststellung einer Beitragspflicht erforderlichen Feststellungen getroffen wurden.

Die Träger der Rentenversicherung prüfen bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten nach dem Gesetz, die im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag stehen, ordnungsgemäß erfüllen; sie prüfen insbesondere die Richtigkeit der Beitragszahlungen und erlassen im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung gegenüber den Arbeitgebern (§ 28p Abs. 1 SGB IV). Die Arbeitgeber sind verpflichtet, an der Prüfung mitzuwirken und die erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen (§ 28p Abs. 5 SGB IV). Dazu gehören insbesondere Geschäftsbücher, Listen und die Unterlagen, aus denen Angaben zur Beschäftigung hervorgehen. Welche Verpflichtungen die Arbeitgeber im Einzelnen treffen, regelt die Beitragsverfahrensverordnung (BVV). Ermächtigungsgrundlage zum Erlass der Verordnung ist § 28p Abs. 9 Nr. 1 SGB IV. Aber eine fehlende Mitwirkung entbindet den Träger der Rentenversicherung aus den o.g. Gründen nicht von seiner Pflicht zur Amtsermittlung (§ 20 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - SGB X). Die Verpflichtung zur Feststellung der angefallenen Beiträge steht nicht nur im Interesse des Arbeitgebers, sondern vor allem im Interesse der betroffenen Arbeitnehmer. Denn es handelt sich bei Sozialversicherungsbeiträgen nicht um Abgaben im Sinne einer Steuer, ihnen steht vielmehr ein konkreter Anspruch des Arbeitnehmers gegenüber, bei Erfüllung der entsprechenden gesetzlichen Voraussetzungen auch die gesetzlich garantierten Leistungen zu erhalten (Beschluss des Bayer. Landessozialgericht (LSG) vom 30.07.2012, L 5 R 267/12 B ER). Nur wenn der Arbeitgeber seine Aufzeichnungspflichten nicht erfüllt hat und dadurch die erforderlichen Feststellungen nicht mehr getroffen werden können, sieht das Gesetz in § 28f Abs. 2 SGB IV die Möglichkeit vor, Arbeitsentgelte zu schätzen oder einen Summenbescheid zu erlassen. Entscheidend ist, ob ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand festgestellt werden kann, dass Beiträge nicht zu zahlen waren oder Arbeitsentgelt einem bestimmten Beschäftigten zugeordnet werden kann (zu den Anforderungen an einen Summenbescheid vgl. zuletzt BSG, Urteil vom 17.12.2014, B 12 KR 19/12 R). Unter Umständen ist, soweit einzelne Beschäftigte ermittelbar sind und andere nicht, auch „zweigleisig“ zu fahren. Ermöglicht der Arbeitgeber die erforderlichen Feststellungen auch im Widerspruchsverfahren nicht, kann er sich im Gerichtsverfahren nicht mehr mit Erfolg gegen einen Summenbescheid wenden (BSG, Urteil vom 07.02.2002, B 12 KR 12/01 R).

In jedem Fall ist aber zunächst festzustellen, dass der Beitragsforderung Beschäftigungsverhältnisse zugrunde gelegen haben. Soweit es sich um einmalige oder von vornherein befristete Beschäftigungsverhältnisse gehandelt hat, sind die Regelungen zur Versicherungsfreiheit in § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV zu beachten. Gerade bei geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen im Gastronomiebereich, in dem viele Studenten arbeiten, stellt sich außerdem die Frage, ob diese nicht gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) von der Krankenversicherungspflicht befreit sind. Gleiches gilt für die Versicherungspflicht nach dem Recht der Arbeitsförderung (§ 27 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Drittes Buch - SGB III).

Ob und auf welcher Grundlage die Antragsgegnerin diese Feststellungen getroffen hat und ob ihr dies möglich gewesen wäre, vermag der Senat für den überwiegenden Teil der im Bescheid aufgeführten Personen nicht festzustellen. Danach ist lediglich nachvollziehbar, dass die Antragsgegnerin sich ohne Erfolg an Herrn S.K., Herrn J. K. und Frau S. S. gewandt hat. Dass die Antragstellerin ihre Aufzeichnungspflichten verletzt hätte, kann weder den Akten entnommen werden, noch wird dies von der Antragsgegnerin vorgetragen. Dass es während der über sechs Monate andauernden Prüfung nicht möglich gewesen sein soll, mit dem Ansprechpartner der Antragstellerin persönlich zu klären, welche Personen für die Antragstellerin in welcher Funktion tätig waren und bei welchen Posten es sich um Waren- oder Lieferantenrechnungen handelt, ist für den Senat nicht nachvollziehbar. Dies zu klären und damit die erforderlichen Ermittlungen im Verwaltungsverfahren nachzuholen, wird nicht als Aufgabe der Gerichte angesehen (vgl. zur Funktionstrennung von Verwaltung und Gerichten: BSG, Urteil vom 25.06.2015, B 14 AS 30/14 R - Terminbericht).

Zwar teilt auch der Senat die Auffassung des Sozialgerichts, dass der Vortrag zur Selbstständigkeit der „auf Rechnung“ beschäftigten Aushilfen nicht geeignet ist, eine Beschäftigung auszuschließen. Insbesondere stehen weder eine anderweitig ausgeübte Selbstständigkeit noch die Möglichkeit, einen Auftrag abzulehnen oder für andere Auftraggeber tätig zu sein, der Annahme einer Beschäftigung entgegen. Das bedeutet, dass die als Servicemitarbeiter, Bedienungen und Köche beauftragten Personen wohl ebenso bei der Antragstellerin beschäftigt gewesen sein dürften wie die fest angestellten Mitarbeiter, wenn auch im Einzelfall nur kurzfristig. Auch die Tatsache, dass Einzelne offensichtlich nur einmalig für die Antragstellerin gearbeitet haben, steht weder einer Eingliederung in deren Betrieb im Rahmen dieser kurzfristigen Tätigkeit noch der Annahme eines Beschäftigungsverhältnisses entgegen.

Auch wenn danach hinsichtlich des wohl größeren Teils der geforderten Summe keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken bestehen, werden aufgrund der dargestellten Mängel des streitigen Bescheids die Interessen der Antragstellerin, bis zum Abschluss der im Übrigen auch von der Antragsgegnerin selbst noch für erforderlich angesehenen Ermittlungen von einer Vollstreckung vorläufig verschont zu bleiben, als überwiegend angesehen. Dies gilt auch vor dem Hintergrund der Auflösung der Gesellschaft. Richtig ist, dass der Betrieb der Antragstellerin aufgrund deren Auflösung nicht mehr gefährdet werden kann. Von den noch durchzuführenden Ermittlungen hängt aber ab, in welcher Höhe die Forderung der Antragsgegnerin berechtigt ist, was unter Umständen Auswirkungen auf die Frage haben kann, ob eine ordnungsgemäße Liquidation noch möglich ist. Bis dahin sind die Interessen der Antragsgegnerin durch die Regelung in § 73 Abs. 2 Satz 2 GmbH-Gesetz weitgehend geschützt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Satz 1 SGG i. V. m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung.

Die Festsetzung des Streitwerts folgt derjenigen des Sozialgerichts (§§ 52, Abs. 3, 47 Abs. 2 Gerichtskostengesetz).

Dieser Beschluss ist für die Beteiligten unanfechtbar (§ 177 SGG).

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Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


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Insolvenzordnung - InsO | § 17 Zahlungsunfähigkeit


(1) Allgemeiner Eröffnungsgrund ist die Zahlungsunfähigkeit. (2) Der Schuldner ist zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Zahlungsunfähigkeit ist in der Regel anzunehmen, wenn der Schuldner sei

Sozialgesetzbuch (SGB) Viertes Buch (IV) - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (Artikel I des Gesetzes vom 23. Dezember 1976, BGBl. I S. 3845) - SGB 4 | § 8 Geringfügige Beschäftigung und geringfügige selbständige Tätigkeit; Geringfügigkeitsgrenze


(1) Eine geringfügige Beschäftigung liegt vor, wenn 1. das Arbeitsentgelt aus dieser Beschäftigung regelmäßig die Geringfügigkeitsgrenze nicht übersteigt,2. die Beschäftigung innerhalb eines Kalenderjahres auf längstens drei Monate oder 70 Arbeitstag

Sozialgesetzbuch (SGB) Viertes Buch (IV) - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (Artikel I des Gesetzes vom 23. Dezember 1976, BGBl. I S. 3845) - SGB 4 | § 28p Prüfung bei den Arbeitgebern


(1) Die Träger der Rentenversicherung prüfen bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten nach diesem Gesetzbuch, die im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag stehen, ordnungsgemäß erfüllen; sie prüf

Sozialgesetzbuch (SGB) Viertes Buch (IV) - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (Artikel I des Gesetzes vom 23. Dezember 1976, BGBl. I S. 3845) - SGB 4 | § 28f Aufzeichnungspflicht, Nachweise der Beitragsabrechnung und der Beitragszahlung


(1) Der Arbeitgeber hat für jeden Beschäftigten, getrennt nach Kalenderjahren, Entgeltunterlagen im Geltungsbereich dieses Gesetzes in deutscher Sprache zu führen und bis zum Ablauf des auf die letzte Prüfung (§ 28p) folgenden Kalenderjahres geordnet

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(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Drittwirkung.

(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt

1.
bei der Entscheidung über Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten sowie der Anforderung von Beiträgen, Umlagen und sonstigen öffentlichen Abgaben einschließlich der darauf entfallenden Nebenkosten,
2.
in Angelegenheiten des sozialen Entschädigungsrechts und der Bundesagentur für Arbeit bei Verwaltungsakten, die eine laufende Leistung entziehen oder herabsetzen,
3.
für die Anfechtungsklage in Angelegenheiten der Sozialversicherung bei Verwaltungsakten, die eine laufende Leistung herabsetzen oder entziehen,
4.
in anderen durch Bundesgesetz vorgeschriebenen Fällen,
5.
in Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten ist und die Stelle, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, die sofortige Vollziehung mit schriftlicher Begründung des besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung anordnet.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 kann die Stelle, die den Verwaltungsakt erlassen oder die über den Widerspruch zu entscheiden hat, die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen. In den Fällen des Absatzes 2 Nr. 1 soll die Aussetzung der Vollziehung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. In den Fällen des Absatzes 2 Nr. 2 ist in Angelegenheiten des sozialen Entschädigungsrechts die nächsthöhere Behörde zuständig, es sei denn, diese ist eine oberste Bundes- oder eine oberste Landesbehörde. Die Entscheidung kann mit Auflagen versehen oder befristet werden. Die Stelle kann die Entscheidung jederzeit ändern oder aufheben.

(4) Die aufschiebende Wirkung entfällt, wenn eine Erlaubnis nach Artikel 1 § 1 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. Februar 1995 (BGBl. I S. 158), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 23. Juli 2001 (BGBl. I S. 1852) geändert worden ist, aufgehoben oder nicht verlängert wird. Absatz 3 gilt entsprechend.

(1) Das Gericht der Hauptsache kann auf Antrag

1.
in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung haben, die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise anordnen,
2.
in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen,
3.
in den Fällen des § 86a Abs. 3 die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise wiederherstellen.
Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen oder befolgt worden, kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung oder die Anordnung der sofortigen Vollziehung kann mit Auflagen versehen oder befristet werden. Das Gericht der Hauptsache kann auf Antrag die Maßnahmen jederzeit ändern oder aufheben.

(2) Soweit ein Fall des Absatzes 1 nicht vorliegt, kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das Gericht der Hauptsache ist das Gericht des ersten Rechtszugs und, wenn die Hauptsache im Berufungsverfahren anhängig ist, das Berufungsgericht. Die §§ 920, 921, 923, 926, 928, 929 Absatz 1 und 3, die §§ 930 bis 932, 938, 939 und 945 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend.

(3) Die Anträge nach den Absätzen 1 und 2 sind schon vor Klageerhebung zulässig.

(4) Das Gericht entscheidet durch Beschluss.

(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Drittwirkung.

(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt

1.
bei der Entscheidung über Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten sowie der Anforderung von Beiträgen, Umlagen und sonstigen öffentlichen Abgaben einschließlich der darauf entfallenden Nebenkosten,
2.
in Angelegenheiten des sozialen Entschädigungsrechts und der Bundesagentur für Arbeit bei Verwaltungsakten, die eine laufende Leistung entziehen oder herabsetzen,
3.
für die Anfechtungsklage in Angelegenheiten der Sozialversicherung bei Verwaltungsakten, die eine laufende Leistung herabsetzen oder entziehen,
4.
in anderen durch Bundesgesetz vorgeschriebenen Fällen,
5.
in Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten ist und die Stelle, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, die sofortige Vollziehung mit schriftlicher Begründung des besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung anordnet.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 kann die Stelle, die den Verwaltungsakt erlassen oder die über den Widerspruch zu entscheiden hat, die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen. In den Fällen des Absatzes 2 Nr. 1 soll die Aussetzung der Vollziehung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. In den Fällen des Absatzes 2 Nr. 2 ist in Angelegenheiten des sozialen Entschädigungsrechts die nächsthöhere Behörde zuständig, es sei denn, diese ist eine oberste Bundes- oder eine oberste Landesbehörde. Die Entscheidung kann mit Auflagen versehen oder befristet werden. Die Stelle kann die Entscheidung jederzeit ändern oder aufheben.

(4) Die aufschiebende Wirkung entfällt, wenn eine Erlaubnis nach Artikel 1 § 1 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. Februar 1995 (BGBl. I S. 158), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 23. Juli 2001 (BGBl. I S. 1852) geändert worden ist, aufgehoben oder nicht verlängert wird. Absatz 3 gilt entsprechend.

(1) Die Träger der Rentenversicherung prüfen bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten nach diesem Gesetzbuch, die im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag stehen, ordnungsgemäß erfüllen; sie prüfen insbesondere die Richtigkeit der Beitragszahlungen und der Meldungen (§ 28a) mindestens alle vier Jahre. Die Prüfung soll in kürzeren Zeitabständen erfolgen, wenn der Arbeitgeber dies verlangt. Die Einzugsstelle unterrichtet den für den Arbeitgeber zuständigen Träger der Rentenversicherung, wenn sie eine alsbaldige Prüfung bei dem Arbeitgeber für erforderlich hält. Die Prüfung umfasst auch die Entgeltunterlagen der Beschäftigten, für die Beiträge nicht gezahlt wurden. Die Träger der Rentenversicherung erlassen im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern; insoweit gelten § 28h Absatz 2 sowie § 93 in Verbindung mit § 89 Absatz 5 des Zehnten Buches nicht. Die landwirtschaftliche Krankenkasse nimmt abweichend von Satz 1 die Prüfung für die bei ihr versicherten mitarbeitenden Familienangehörigen vor.

(1a) Die Prüfung nach Absatz 1 umfasst die ordnungsgemäße Erfüllung der Meldepflichten nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz und die rechtzeitige und vollständige Entrichtung der Künstlersozialabgabe durch die Arbeitgeber. Die Prüfung erfolgt

1.
mindestens alle vier Jahre bei den Arbeitgebern, die als abgabepflichtige Unternehmer nach § 24 des Künstlersozialversicherungsgesetzes bei der Künstlersozialkasse erfasst wurden,
2.
mindestens alle vier Jahre bei den Arbeitgebern mit mehr als 19 Beschäftigten und
3.
bei mindestens 40 Prozent der im jeweiligen Kalenderjahr zur Prüfung nach Absatz 1 anstehenden Arbeitgeber mit weniger als 20 Beschäftigten.
Hat ein Arbeitgeber mehrere Beschäftigungsbetriebe, wird er insgesamt geprüft. Das Prüfverfahren kann mit der Aufforderung zur Meldung eingeleitet werden. Die Träger der Deutschen Rentenversicherung erlassen die erforderlichen Verwaltungsakte zur Künstlersozialabgabepflicht, zur Höhe der Künstlersozialabgabe und zur Höhe der Vorauszahlungen nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz einschließlich der Widerspruchsbescheide. Die Träger der Rentenversicherung unterrichten die Künstlersozialkasse über Sachverhalte, welche die Melde- und Abgabepflichten der Arbeitgeber nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz betreffen. Für die Prüfung der Arbeitgeber durch die Künstlersozialkasse gilt § 35 des Künstlersozialversicherungsgesetzes.

(1b) Die Träger der Rentenversicherung legen im Benehmen mit der Künstlersozialkasse die Kriterien zur Auswahl der nach Absatz 1a Satz 2 Nummer 3 zu prüfenden Arbeitgeber fest. Die Auswahl dient dem Ziel, alle abgabepflichtigen Arbeitgeber zu erfassen. Arbeitgeber mit weniger als 20 Beschäftigten, die nicht nach Absatz 1a Satz 2 Nummer 3 zu prüfen sind, werden durch die Träger der Rentenversicherung im Rahmen der Prüfung nach Absatz 1 im Hinblick auf die Künstlersozialabgabe beraten. Dazu erhalten sie mit der Prüfankündigung Hinweise zur Künstlersozialabgabe. Im Rahmen der Prüfung nach Absatz 1 lässt sich der zuständige Träger der Rentenversicherung durch den Arbeitgeber schriftlich oder elektronisch bestätigen, dass der Arbeitgeber über die Künstlersozialabgabe unterrichtet wurde und abgabepflichtige Sachverhalte melden wird. Bestätigt der Arbeitgeber dies nicht, wird die Prüfung nach Absatz 1a Satz 1 unverzüglich durchgeführt. Erlangt ein Träger der Rentenversicherung im Rahmen einer Prüfung nach Absatz 1 bei Arbeitgebern mit weniger als 20 Beschäftigten, die nicht nach Absatz 1a Satz 2 Nummer 3 geprüft werden, Hinweise auf einen künstlersozialabgabepflichtigen Sachverhalt, muss er diesen nachgehen.

(1c) Die Träger der Rentenversicherung teilen den Trägern der Unfallversicherung die Feststellungen aus der Prüfung bei den Arbeitgebern nach § 166 Absatz 2 des Siebten Buches mit. Die Träger der Unfallversicherung erlassen die erforderlichen Bescheide.

(2) Im Bereich der Regionalträger richtet sich die örtliche Zuständigkeit nach dem Sitz der Lohn- und Gehaltsabrechnungsstelle des Arbeitgebers. Die Träger der Rentenversicherung stimmen sich darüber ab, welche Arbeitgeber sie prüfen; ein Arbeitgeber ist jeweils nur von einem Träger der Rentenversicherung zu prüfen.

(3) Die Träger der Rentenversicherung unterrichten die Einzugsstellen über Sachverhalte, soweit sie die Zahlungspflicht oder die Meldepflicht des Arbeitgebers betreffen.

(4) Die Deutsche Rentenversicherung Bund führt ein Dateisystem, in dem die Träger der Rentenversicherung ihre elektronischen Akten führen, die im Zusammenhang mit der Durchführung der Prüfungen nach den Absätzen 1, 1a und 1c stehen. Die in diesem Dateisystem gespeicherten Daten dürfen nur für die Prüfung bei den Arbeitgebern durch die jeweils zuständigen Träger der Rentenversicherung verarbeitet werden.

(5) Die Arbeitgeber sind verpflichtet, angemessene Prüfhilfen zu leisten. Abrechnungsverfahren, die mit Hilfe automatischer Einrichtungen durchgeführt werden, sind in die Prüfung einzubeziehen.

(6) Zu prüfen sind auch steuerberatende Stellen, Rechenzentren und vergleichbare Einrichtungen, die im Auftrag des Arbeitgebers oder einer von ihm beauftragten Person Löhne und Gehälter abrechnen oder Meldungen erstatten. Die örtliche Zuständigkeit richtet sich im Bereich der Regionalträger nach dem Sitz dieser Stellen. Absatz 5 gilt entsprechend.

(6a) Für die Prüfung nach Absatz 1 sind dem zuständigen Rentenversicherungsträger die notwendigen Daten elektronisch aus einem systemgeprüften Entgeltabrechnungsprogramm zu übermitteln; für Daten aus der Finanzbuchhaltung kann dies nur im Einvernehmen mit dem Arbeitgeber erfolgen. Die Deutsche Rentenversicherung Bund bestimmt in Grundsätzen bundeseinheitlich das Nähere zum Verfahren der Datenübermittlung und der dafür erforderlichen Datensätze und Datenbausteine. Die Grundsätze bedürfen der Genehmigung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, das vorher die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände anzuhören hat.

(7) Die Träger der Rentenversicherung haben eine Übersicht über die Ergebnisse ihrer Prüfungen zu führen und bis zum 31. März eines jeden Jahres für das abgelaufene Kalenderjahr den Aufsichtsbehörden vorzulegen. Das Nähere über Inhalt und Form der Übersicht bestimmen einvernehmlich die Aufsichtsbehörden der Träger der Rentenversicherung mit Wirkung für diese.

(8) Die Deutsche Rentenversicherung Bund führt ein Dateisystem, in dem der Name, die Anschrift, die Betriebsnummer, der für den Arbeitgeber zuständige Unfallversicherungsträger und weitere Identifikationsmerkmale eines jeden Arbeitgebers sowie die für die Planung der Prüfungen bei den Arbeitgebern und die für die Übersichten nach Absatz 7 erforderlichen Daten gespeichert sind; die Deutsche Rentenversicherung Bund darf die in diesem Dateisystem gespeicherten Daten nur für die Prüfung bei den Arbeitgebern und zur Ermittlung der nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz abgabepflichtigen Unternehmer verarbeiten. In das Dateisystem ist eine Kennzeichnung aufzunehmen, wenn nach § 166 Absatz 2 Satz 2 des Siebten Buches die Prüfung der Arbeitgeber für die Unfallversicherung nicht von den Trägern der Rentenversicherung durchzuführen ist; die Träger der Unfallversicherung haben die erforderlichen Angaben zu übermitteln. Die Datenstelle der Rentenversicherung führt für die Prüfung bei den Arbeitgebern ein Dateisystem, in dem neben der Betriebsnummer eines jeden Arbeitgebers, die Betriebsnummer des für den Arbeitgeber zuständigen Unfallversicherungsträgers, die Unternehmernummer nach § 136a des Siebten Buches des Arbeitgebers, das in der Unfallversicherung beitragspflichtige Entgelt der bei ihm Beschäftigten in Euro, die anzuwendenden Gefahrtarifstellen der bei ihm Beschäftigten, die Versicherungsnummern der bei ihm Beschäftigten einschließlich des Beginns und des Endes von deren Beschäftigung, die Bezeichnung der für jeden Beschäftigten zuständigen Einzugsstelle sowie eine Kennzeichnung des Vorliegens einer geringfügigen Beschäftigung gespeichert sind. Sie darf die Daten der Stammsatzdatei nach § 150 Absatz 1 und 2 des Sechsten Buches sowie die Daten des Dateisystems nach § 150 Absatz 3 des Sechsten Buches und der Stammdatendatei nach § 101 für die Prüfung bei den Arbeitgebern speichern, verändern, nutzen, übermitteln oder in der Verarbeitung einschränken; dies gilt für die Daten der Stammsatzdatei auch für Prüfungen nach § 212a des Sechsten Buches. Sie ist verpflichtet, auf Anforderung des prüfenden Trägers der Rentenversicherung

1.
die in den Dateisystemen nach den Sätzen 1 und 3 gespeicherten Daten,
2.
die in den Versicherungskonten der Träger der Rentenversicherung gespeicherten, auf den Prüfungszeitraum entfallenden Daten der bei dem zu prüfenden Arbeitgeber Beschäftigten,
3.
die bei den für den Arbeitgeber zuständigen Einzugsstellen gespeicherten Daten aus den Beitragsnachweisen (§ 28f Absatz 3) für die Zeit nach dem Zeitpunkt, bis zu dem der Arbeitgeber zuletzt geprüft wurde,
4.
die bei der Künstlersozialkasse über den Arbeitgeber gespeicherten Daten zur Melde- und Abgabepflicht für den Zeitraum seit der letzten Prüfung sowie
5.
die bei den Trägern der Unfallversicherung gespeicherten Daten zur Melde- und Beitragspflicht sowie zur Gefahrtarifstelle für den Zeitraum seit der letzten Prüfung
zu verarbeiten, soweit dies für die Prüfung, ob die Arbeitgeber ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten nach diesem Gesetzbuch, die im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag stehen, sowie ihre Pflichten als zur Abgabe Verpflichtete nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz und ihre Pflichten nach dem Siebten Buch zur Meldung und Beitragszahlung ordnungsgemäß erfüllen, erforderlich ist. Die dem prüfenden Träger der Rentenversicherung übermittelten Daten sind unverzüglich nach Abschluss der Prüfung bei der Datenstelle und beim prüfenden Träger der Rentenversicherung zu löschen. Die Träger der Rentenversicherung, die Einzugsstellen, die Künstlersozialkasse und die Bundesagentur für Arbeit sind verpflichtet, der Deutschen Rentenversicherung Bund und der Datenstelle die für die Prüfung bei den Arbeitgebern erforderlichen Daten zu übermitteln. Sind für die Prüfung bei den Arbeitgebern Daten zu übermitteln, so dürfen sie auch durch Abruf im automatisierten Verfahren übermittelt werden, ohne dass es einer Genehmigung nach § 79 Absatz 1 des Zehnten Buches bedarf. Soweit es für die Erfüllung der Aufgaben der gemeinsamen Einrichtung als Einzugsstelle nach § 356 des Dritten Buches erforderlich ist, wertet die Datenstelle der Rentenversicherung aus den Daten nach Satz 5 das Identifikationsmerkmal zur wirtschaftlichen Tätigkeit des geprüften Arbeitgebers sowie die Angaben über die Tätigkeit nach dem Schlüsselverzeichnis der Bundesagentur für Arbeit der Beschäftigten des geprüften Arbeitgebers aus und übermittelt das Ergebnis der gemeinsamen Einrichtung. Die übermittelten Daten dürfen von der gemeinsamen Einrichtung auch zum Zweck der Erfüllung der Aufgaben nach § 5 des Tarifvertragsgesetzes genutzt werden. Die Kosten der Auswertung und der Übermittlung der Daten nach Satz 9 hat die gemeinsame Einrichtung der Deutschen Rentenversicherung Bund zu erstatten. Die gemeinsame Einrichtung berichtet dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales bis zum 1. Januar 2025 über die Wirksamkeit des Verfahrens nach Satz 9.

(9) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales bestimmt im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Gesundheit durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates das Nähere über

1.
den Umfang der Pflichten des Arbeitgebers, der Beschäftigten und der in Absatz 6 genannten Stellen bei Abrechnungsverfahren, die mit Hilfe automatischer Einrichtungen durchgeführt werden,
2.
die Durchführung der Prüfung sowie die Behebung von Mängeln, die bei der Prüfung festgestellt worden sind, und
3.
den Inhalt des Dateisystems nach Absatz 8 Satz 1 hinsichtlich der für die Planung der Prüfungen bei Arbeitgebern und der für die Prüfung bei Einzugsstellen erforderlichen Daten, über den Aufbau und die Aktualisierung dieses Dateisystems sowie über den Umfang der Daten aus diesem Dateisystem, die von den Einzugsstellen und der Bundesagentur für Arbeit nach § 28q Absatz 5 abgerufen werden können.

(10) Arbeitgeber werden wegen der Beschäftigten in privaten Haushalten nicht geprüft.

(11) Sind beim Übergang der Prüfung der Arbeitgeber von Krankenkassen auf die Träger der Rentenversicherung Angestellte übernommen worden, die am 1. Januar 1995 ganz oder überwiegend mit der Prüfung der Arbeitgeber beschäftigt waren, sind die bis zum Zeitpunkt der Übernahme gültigen Tarifverträge oder sonstigen kollektiven Vereinbarungen für die übernommenen Arbeitnehmer bis zum Inkrafttreten neuer Tarifverträge oder sonstiger kollektiver Vereinbarungen maßgebend. Soweit es sich bei einem gemäß Satz 1 übernommenen Beschäftigten um einen Dienstordnungs-Angestellten handelt, tragen der aufnehmende Träger der Rentenversicherung und die abgebende Krankenkasse bei Eintritt des Versorgungsfalles die Versorgungsbezüge anteilig, sofern der Angestellte im Zeitpunkt der Übernahme das 45. Lebensjahr bereits vollendet hatte. § 107b Absatz 2 bis 5 des Beamtenversorgungsgesetzes gilt sinngemäß.

(1) Der Arbeitgeber hat für jeden Beschäftigten, getrennt nach Kalenderjahren, Entgeltunterlagen im Geltungsbereich dieses Gesetzes in deutscher Sprache zu führen und bis zum Ablauf des auf die letzte Prüfung (§ 28p) folgenden Kalenderjahres geordnet aufzubewahren. Satz 1 gilt nicht hinsichtlich der Beschäftigten in privaten Haushalten. Die landwirtschaftliche Krankenkasse kann wegen der mitarbeitenden Familienangehörigen Ausnahmen zulassen. Für die Aufbewahrung der Beitragsabrechnungen und der Beitragsnachweise gilt Satz 1.

(1a) Bei der Ausführung eines Dienst- oder Werkvertrages im Baugewerbe oder durch Unternehmer im Speditions-, Transport- und damit verbundenen Logistikgewerbe, die im Bereich der Kurier-, Express- und Paketdienste tätig sind und im Auftrag eines anderen Unternehmers Pakete befördern, hat der Unternehmer die Entgeltunterlagen und die Beitragsabrechnung so zu gestalten, dass eine Zuordnung der Arbeitnehmer, des Arbeitsentgelts und des darauf entfallenden Gesamtsozialversicherungsbeitrags zu dem jeweiligen Dienst- oder Werkvertrag möglich ist. Die Pflicht nach Satz 1 ruht für einen Unternehmer im Speditions-, Transport- und damit verbundenen Logistikgewerbe, der im Bereich der Kurier-, Express- und Paketdienste tätig ist, solange er eine Präqualifikation oder eine Unbedenklichkeitsbescheinigung im Sinne von § 28e Absatz 3f Satz 1 und 2 oder eine Unbedenklichkeitsbescheinigung nach § 150 Absatz 3 Satz 2 des Siebten Buches vorlegen kann.

(1b) Hat ein Arbeitgeber keinen Sitz im Inland, hat er zur Erfüllung der Pflichten nach Absatz 1 Satz 1 einen Bevollmächtigten mit Sitz im Inland zu bestellen. Als Sitz des Arbeitgebers gilt der Beschäftigungsbetrieb des Bevollmächtigten im Inland, in Ermangelung eines solchen der Wohnsitz oder gewöhnliche Aufenthalt des Bevollmächtigten. Im Fall von Satz 2 zweiter Halbsatz findet § 98 Absatz 1 Satz 4 des Zehnten Buches keine Anwendung.

(2) Hat ein Arbeitgeber die Aufzeichnungspflicht nicht ordnungsgemäß erfüllt und können dadurch die Versicherungs- oder Beitragspflicht oder die Beitragshöhe nicht festgestellt werden, kann der prüfende Träger der Rentenversicherung den Beitrag in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung und zur Arbeitsförderung von der Summe der vom Arbeitgeber gezahlten Arbeitsentgelte geltend machen. Satz 1 gilt nicht, soweit ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand festgestellt werden kann, dass Beiträge nicht zu zahlen waren oder Arbeitsentgelt einem bestimmten Beschäftigten zugeordnet werden kann. Soweit der prüfende Träger der Rentenversicherung die Höhe der Arbeitsentgelte nicht oder nicht ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand ermitteln kann, hat er diese zu schätzen. Dabei ist für das monatliche Arbeitsentgelt eines Beschäftigten das am Beschäftigungsort ortsübliche Arbeitsentgelt mitzuberücksichtigen. Der prüfende Träger der Rentenversicherung hat einen auf Grund der Sätze 1, 3 und 4 ergangenen Bescheid insoweit zu widerrufen, als nachträglich Versicherungs- oder Beitragspflicht oder Versicherungsfreiheit festgestellt und die Höhe des Arbeitsentgelts nachgewiesen werden. Die von dem Arbeitgeber auf Grund dieses Bescheides geleisteten Zahlungen sind insoweit mit der Beitragsforderung zu verrechnen.

(3) Der Arbeitgeber hat der Einzugsstelle einen Beitragsnachweis zwei Arbeitstage vor Fälligkeit der Beiträge durch Datenübertragung zu übermitteln; dies gilt nicht hinsichtlich der Beschäftigten in privaten Haushalten bei Verwendung von Haushaltsschecks. Übermittelt der Arbeitgeber den Beitragsnachweis nicht zwei Arbeitstage vor Fälligkeit der Beiträge, so kann die Einzugsstelle das für die Beitragsberechnung maßgebende Arbeitsentgelt schätzen, bis der Nachweis ordnungsgemäß übermittelt wird. Der Beitragsnachweis gilt für die Vollstreckung als Leistungsbescheid der Einzugsstelle und im Insolvenzverfahren als Dokument zur Glaubhaftmachung der Forderungen der Einzugsstelle. Im Beitragsnachweis ist auch die Steuernummer des Arbeitgebers anzugeben, wenn der Beitragsnachweis die Pauschsteuer für geringfügig Beschäftigte enthält.

(4) (weggefallen)

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 24. Mai 2012 aufgehoben, soweit Gesamtsozialversicherungsbeiträge von mehr als 854 057,07 Euro nacherhoben werden.

Die Sache wird insoweit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 880 389,23 Euro festgesetzt.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten der Sache nach (noch) darüber, ob die Klägerin wegen im Jahr 2003 gewährter Fahrvergünstigungen nachträglich Gesamtsozialversicherungsbeiträge zu zahlen hat.

2

Die Klägerin, eine Konzerntochter der Deutsche Bahn AG, gewährte ihren mehr als 50 000 Mitarbeitern in den Jahren 1999 bis 2003 verschiedene Fahrvergünstigungen (Freifahrten und Fahrpreisermäßigungen für Personalfahrten, Auslandsfahrten, Jahresnetzkarten, Schüler- und Ausbildungsfahrkarten, Urlaubsfahrkarten). Den geldwerten Vorteil der Fahrvergünstigungen versteuerte die Klägerin teilweise pauschal, teilweise aber auch gar nicht.

3

Im Anschluss an eine Lohnsteuer-Außenprüfung bei der Klägerin forderte das Betriebsstättenfinanzamt Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer nach, für die Jahre 1999 bis 2001 in Höhe von insgesamt 6 214 284,34 Euro (Bescheid vom 13.2.2004) und für das Jahr 2003 in Höhe von 44 474,61 Euro (Bescheid vom 18.10.2004). Wegen der geprüften Sachverhalte und der Berechnungsgrundlagen verweisen die Bescheide auf Prüfungsberichte über die Außenprüfung, wonach "auf Antrag des Arbeitgebers … die Lohnsteuer mit einem Pauschsteuersatz erhoben (§ 40 EStG)" wurde.

4

Der beklagte Rentenversicherungsträger forderte von der Klägerin nach einer Betriebsprüfung mit einem nicht personenbezogenen Bescheid (Summenbescheid) vom 27.12.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.5.2006 für die Zeiträume 1.1.1999 bis 31.12.2001 und 1.1. bis 31.12.2003 Gesamtsozialversicherungsbeiträge in Höhe von 3 391 734,94 Euro nach. Er wertete hierbei die genannten Bescheide des Betriebsstättenfinanzamts aus und nahm dessen Steuernachforderungen zum Anlass für seine Beitragsnachforderung.

5

Auf die hiergegen erhobene Klage hat das SG die angefochtenen Bescheide insoweit aufgehoben, als die Beklagte darin wegen der den Mitarbeitern der Klägerin gewährten Fahrvergünstigungen Gesamtsozialversicherungsbeiträge für die Jahre 1999 und 2000 nachforderte, weil diese im Zeitpunkt ihrer Festsetzung bereits verjährt gewesen seien (Urteil vom 15.6.2009). Daraufhin hat die Beklagte ihre Forderung auf 880 389,23 Euro für die Jahre 2001 und 2003 beschränkt (Bescheid vom 30.9.2009), auf das Jahr 2003 entfallen davon noch 26 332,16 Euro. Die Berufung der Klägerin hat das LSG zurückgewiesen: Die in den in 2001 und 2003 gewährten Fahrvergünstigungen liegenden geldwerten Vorteile seien beitragspflichtiges Arbeitsentgelt und nicht aufgrund des § 2 Abs 1 S 1 Nr 1 ArEV hiervon ausgenommen. Der Tatbestand dieser Norm sei nicht erfüllt, weil den Bescheiden, mit denen das Betriebsstättenfinanzamt die Steuern auf die Fahrvergünstigungen festgesetzt habe, nach Überzeugung des Gerichts keine Pauschalierung nach § 40 Abs 1 S 1 Nr 1 EStG, sondern nach § 40 Abs 1 S 1 Nr 2 EStG zugrunde liege. Dies ergebe sich zum einen aus dem Inhalt der Berichte über die Lohnsteueraußenprüfung, auf die in den Bescheiden jeweils Bezug genommen werde. Zum anderen sei nach dem Inhalt eines Schreibens des Finanzamts an die Klägerin, "die Nacherhebung der Lohnsteuer durch Nachforderungsbescheide … gemäß § 40 Abs 1 S 1 Nr 2 EStG" erfolgt. Zudem habe nach diesem Schreiben die "für eine Pauschalierung nach § 40 Abs 1 S 1 Nr 1 EStG zwingend vorzunehmende Überprüfung der 1000 €-Grenze pro Arbeitnehmer … im Rahmen der Außenprüfung mangels Aufzeichnungen des Arbeitgebers" nicht durchgeführt werden können. Offenbleiben könne, ob auch nachträglich eine Pauschalierung nach § 40 Abs 1 S 1 Nr 1 EStG hätte beantragt werden können, weil die Klägerin einen solchen Antrag weder gestellt noch die "Pauschalierungsbescheide" angefochten habe. Ein solcher Antrag hätte auch keine Erfolgsaussichten gehabt, da die obligatorische Prüfung der 1000 Euro-Grenze nicht mehr erfolgen könne; eine Schätzung sei nicht zulässig. Für die Fehlerhaftigkeit der Entscheidung der Finanzbehörden gebe es keine ausreichenden Anhaltspunkte. Die dieser Entscheidung trotz fehlender Bindung der Sozialversicherungsträger hieran zukommende starke Indizwirkung sei nicht in Frage gestellt (Urteil vom 24.5.2012).

6

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin sinngemäß eine Verletzung von § 2 Abs 1 S 1 Nr 1 ArEV. Entgegen der Auffassung des LSG lägen die Voraussetzungen des dort geregelten, zum Nichteingreifen der Beitragspflicht führenden Ausnahmetatbestandes vor, weil die Fahrvergünstigungen insgesamt als "sonstige Bezüge" nach § 40 Abs 1 S 1 Nr 1 EStG anzusehen seien. Die Voraussetzungen einer darauf gegründeten lohnsteuerrechtlichen Pauschalierung seien im sozialversicherungsrechtlichen Verfahren ohne Bindung an Entscheidungen der Finanzverwaltung zu prüfen und auch - wie nach § 2 Abs 1 S 1 Nr 1 ArEV erforderlich - dem Grunde nach erfüllt; insbesondere liege ein auf Pauschalierung nach § 40 Abs 1 S 1 Nr 1 EStG gerichteter Antrag im sozialversicherungsrechtlichen Verfahren vor. In Bezug auf die Einhaltung der 1000 Euro-Grenze sei die Höhe der Bezüge zu schätzen. Für die "Qualifikation" der Fahrvergünstigungen als "sonstige Bezüge" nach § 40 Abs 1 S 1 Nr 1 EStG komme es im Kontext des § 2 Abs 1 S 1 Nr 1 ArEV nach Wortlaut, Systematik und Zweck der Norm nur darauf an, ob die Vergünstigungen ihrer Art nach materiell-rechtlich solche Bezüge darstellen könnten; auf den Zeitpunkt der Pauschalversteuerung komme es hingegen nicht an. Eine Bindung der Sozialversicherung an die Entscheidungen der Finanzverwaltung scheide im Übrigen schon deshalb aus, weil die Pauschalierungsgrundlage nicht Bestandteil des Verfügungssatzes eines Lohnsteuernachforderungsbescheides sei und dieser nicht wegen Anwendung einer bestimmten Pauschalierungsgrundlage angefochten werden könne.

7

Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Hessischen Landessozialgerichts vom 24. Mai 2012 und des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 15. Juni 2009 zu ändern sowie den Bescheid der Beklagten vom 27. Dezember 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Mai 2006 und des Bescheides vom 30. September 2009 aufzuheben soweit darin Gesamtsozialversicherungsbeiträge von mehr als 854 057,07 Euro nacherhoben werden.

8

Die Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

9

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Ihre Bescheide seien bezogen auf das noch streitige Jahr 2003 rechtmäßig. Das LSG habe bindend festgestellt, dass die Pauschalierung auf Antrag der Klägerin nach § 40 Abs 1 S 1 Nr 2 EStG vorgenommen worden sei, was die Klägerin nicht mit einer zulässigen Revisionsrüge angegriffen habe. Die bindenden Bescheide des Finanzamtes hätten Tatbestandswirkung. Daher habe sie kein eigenes Prüfungsrecht, ob eine Lohnsteuerpauschalierung nach § 40 Abs 1 S 1 Nr 1 oder Nr 2 EStG vorzunehmen sei. Selbst ohne Tatbestandswirkung komme der Entscheidung der Finanzbehörden eine starke Indizwirkung zu, ohne dass vorliegend Anhaltspunkte für deren Fehlerhaftigkeit bestünden. Zudem verlange bereits die Verordnungsermächtigung in § 17 Abs 1 S 2 SGB IV eine möglichst weitgehende Übereinstimmung mit dem Steuerrecht.

10

Die Beigeladenen haben von einer Stellungnahme abgesehen und keine Anträge gestellt.

Entscheidungsgründe

11

Die zulässige Revision der Klägerin ist nur im Sinne einer Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG begründet.

12

Der Senat selbst kann nicht abschließend entscheiden, ob und ggf in welchem Umfang das LSG die Berufung der Klägerin gegen das ihre Klage insoweit abweisende Urteil des SG zu Unrecht zurückgewiesen hat und ob der Bescheid der Beklagten vom 27.12.2005, ihr Widerspruchsbescheid vom 30.5.2006 sowie der Bescheid vom 30.9.2009 vollständig oder teilweise nicht rechtmäßig sind, soweit es die - über den auf die im Jahr 2001 gewährten Fahrvergünstigungen entfallenden Teil der Beitragsnachforderungen der Beklagten (854 057,07 Euro) hinausgehende - Forderung von weiteren 26 332,16 Euro betrifft (zum Gegenstand des Revisionsverfahrens sogleich 1.). Zwar erfüllen die mit den von der Beklagten ihren Mitarbeitern gewährten Fahrvergünstigungen verbundenen Vorteile grundsätzlich den Begriff des Arbeitsentgelts (hierzu 2.), dennoch sind sie im Beitragserhebungszeitraum 2003 nach § 2 Abs 1 S 1 Nr 1 ArEV(idF der Verordnung zur Änderung der Sachbezugsverordnung und der ArEV vom 18.12.1998, BGBl I 3822) vom Arbeitsentgelt ausgenommen, dies jedoch - wegen § 40 Abs 1 S 3 EStG - nur bis zu einem Wert von 1000 Euro je Arbeitnehmer und Kalenderjahr(hierzu 3.). Allerdings kann der Senat auf Grundlage der vom LSG festgestellten Tatsachen nicht abschließend entscheiden, ob und ggf in welchem Umfang die von der Klägerin gewährten Fahrvergünstigungen im Jahr 2003 diese Wertgrenze überstiegen und deshalb die Beitragsforderung der Beklagten für den Beitragserhebungszeitraum 2003 teilweise begründet ist (hierzu 4.). Deshalb ist der Rechtsstreit insoweit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 S 2 SGG).

13

1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur noch das zulässig mit der Anfechtungsklage verfolgte Begehren der Klägerin auf Teilaufhebung der angefochtenen Bescheide, die in einem einheitlichen Gesamtbetrag weitere Gesamtsozialversicherungsbeiträge auf in den Jahren 2001 und 2003 (im Folgenden: Beitragserhebungszeitraum 2001 bzw 2003) gewährte Fahrvergünstigungen festsetzen. Ihr ursprünglich weitergehendes Begehren hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat auf den Teil der nach dem Urteil des SG (nur) noch streitigen Beitragsforderung beschränkt, welcher über einen Teilbetrag von 854 057,07 Euro hinausgeht, der sich rechnerisch für den Beitragserhebungszeitraum 2001 ergibt. Streitig bleibt damit der sich für den Beitragserhebungszeitraum 2003 ergebende Teilbetrag von 26 332,16 Euro.

14

2. Der mit den Fahrvergünstigungen verbundene geldwerte Vorteil unterfällt grundsätzlich dem Begriff des Arbeitsentgelts, das der Beitragsbemessung in den Zweigen der Sozialversicherung zugrunde zu legen ist.

15

Der Beitragsbemessung in der Kranken- und Pflegeversicherung sowie in der Renten- und Arbeitslosenversicherung wurde im Jahr 2003 - ebenso wie 2001 - bei versicherungspflichtig Beschäftigten das "Arbeitsentgelt" zugrunde gelegt (§ 226 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB V; § 57 Abs 1 SGB XI iVm § 226 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB V; § 162 Nr 1 SGB VI; § 342 SGB III). Arbeitsentgelt sind nach § 14 Abs 1 S 1 SGB IV in seiner bis heute unveränderten Fassung alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden.

16

Bei den Fahrvergünstigungen (Freifahrten und Fahrpreisermäßigungen), die im Jahr 2003 von den Beschäftigten der Klägerin in Anspruch genommen wurden, handelte es sich (grundsätzlich) um Arbeitsentgelt in diesem Sinne, weil diese den Beschäftigten einen geldwerten Vorteil verschafften. Er lag darin, dass für Bahnfahrten - auf inländischen und ausländischen Streckennetzen - kein Fahrpreis oder jedenfalls betragsmäßig weniger als der übliche Fahrpreis gezahlt werden musste. Dieser finanzielle Vorteil wurde auch aufgrund der Beschäftigung bei der Klägerin erlangt.

17

3. Dennoch ist dieser geldwerte Vorteil im Beitragserhebungszeitraum 2003 aufgrund von § 2 Abs 1 S 1 Nr 1 ArEV nicht dem Arbeitsentgelt zuzurechnen, allerdings wegen § 40 Abs 1 S 3 EStG nur bis zu einem Wert von 1000 Euro je Arbeitnehmer und Kalenderjahr(zu dieser Wertgrenze unten 4.). Insbesondere sind die Fahrvergünstigungen "sonstige Bezüge" nach § 40 Abs 1 S 1 Nr 1 EStG, ohne dass die vom LSG festgestellte nachträgliche Versteuerung der Fahrvergünstigungen nach § 40 Abs 1 S 1 Nr 2 EStG zu einer Zurechnung dieser Bezüge zum Arbeitsentgelt führt(hierzu a). Zugleich steht die (Negativ)Voraussetzung des § 2 Abs 1 S 1 Nr 1 ArEV, nach der nur "nicht einmalig gezahltes Arbeitsentgelt nach § 23a SGB IV" dem beitragspflichtigen Arbeitsentgelt nicht zuzurechnen ist, der Ausnahme vom Arbeitsentgelt im Beitragserhebungszeitraum 2003 nicht (mehr) entgegen(hierzu b).

18

a) Die im Beitragserhebungszeitraum 2003 gewährten Fahrvergünstigungen sind "sonstige Bezüge" nach § 40 Abs 1 S 1 Nr 1 iVm Abs 1 S 3 EStG(Abs 1 S 3 in der ab 21.9.2002 geltenden Fassung des Gesetzes zur Umrechnung und Glättung steuerlicher Euro-Beträge vom 19.12.2000, BGBl I 1790), die bis zu einem Wert von 1000 Euro je Arbeitnehmer und Kalenderjahr nach § 2 Abs 1 S 1 Nr 1 ArEV nicht dem Arbeitsentgelt zuzurechnen sind. Insoweit kommt es nicht darauf an, ob diese Bezüge "wirklich" nach § 40 Abs 1 S 1 Nr 1 EStG versteuert wurden. Vielmehr genügt es, dass es sich bei den gewährten Vergünstigungen "ihrer Art nach" um sonstige Bezüge im Sinne dieser Vorschrift handelt, für die der Arbeitgeber die Lohnsteuer (grundsätzlich) mit einem Pauschsteuersatz erheben kann, und dass der Arbeitgeber die Lohnsteuer nicht (tatsächlich) nach den Vorschriften der §§ 39b, 39c oder 39d EStG(zu den Normen des EStG sogleich aa) erhebt (vgl ebenso zu § 1 Abs 1 S 1 Nr 2, S 2 SvEV: Werner in jurisPK-SGB IV, 2. Aufl 2011, § 14 RdNr 131 f, 134; Baier in Krauskopf, Soziale KV/PV, § 14 SGB IV RdNr 18, Stand Einzelkommentierung November 2010; Seewald in Kasseler Komm, § 14 SGB IV RdNr 99 f, Stand Einzelkommentierung August 2008). Dies folgt aus der Auslegung des § 2 Abs 1 S 1 ArEV nach Wortlaut und innerer Systematik(hierzu bb), die auch durch die Regelungsgeschichte und die Materialien (BR-Drucks 877/98) zur Verordnung zur Änderung der Sachbezugsverordnung und der ArEV vom 18.12.1998 (BGBl I 3822) gestützt wird (hierzu cc). Auch die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Bejahung "sonstiger Bezüge" nach § 40 Abs 1 S 1 Nr 1 EStG liegen vor(hierzu dd).

19

aa) Gemäß § 40 Abs 1 S 1 Nr 1 EStG(in der hier anzuwendenden, der Ursprungsfassung vom 21.6.1979, BGBl I 721 entsprechenden Fassung der Neubekanntmachung vom 19.10.2002, BGBl I 4210) kann das Betriebsstättenfinanzamt auf Antrag des Arbeitgebers die Erhebung der Lohnsteuer mit einem unter Berücksichtigung des § 38a EStG zu ermittelnden Pauschsteuersatz zulassen, soweit von dem Arbeitgeber sonstige Bezüge in einer größeren Zahl von Fällen gewährt werden. Ein sonstiger Bezug ist nach § 38a Abs 1 S 3 EStG(in der Fassung der Neubekanntmachung vom 19.10.2002, aaO) der Arbeitslohn, der nicht als laufender Arbeitslohn gezahlt wird (BSGE 89, 158, 167 = SozR 3-2400 § 28f Nr 3 S 12), dem Arbeitnehmer also nicht regelmäßig fortlaufend zufließt (vgl Krüger in Schmidt, EStG, 33. Aufl 2014, § 40 RdNr 6, § 39b RdNr 3; vgl auch R 115 LStH 2003 zu § 39b EStG mit verschiedenen Beispielen). Eine größere Zahl von Fällen wird in der Praxis ohne weitere Prüfung angenommen, wenn gleichzeitig mindestens 20 Arbeitnehmer in die Pauschalbesteuerung einbezogen werden (vgl Krüger, aaO, § 40 RdNr 6; vgl auch R 126 Abs 1 LStH 2003 zu § 40 Abs 1 EStG). Die Pauschalierung ist in den Fällen des § 40 Abs 1 S 1 Nr 1 EStG jedoch ausgeschlossen, soweit der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer sonstige Bezüge von mehr als 1000 Euro im Kalenderjahr gewährt(§ 40 Abs 1 S 3 EStG in der ab 21.9.2002 geltenden Fassung, aaO). Allerdings ist nur die Besteuerung des diesen Jahresbetrag übersteigenden Teils der sonstigen Bezüge nach einem Pauschsteuersatz unzulässig (vgl Krüger, aaO; vgl auch R 126 Abs 2 S 2 LStH 2003 zu § 40 Abs 1 EStG: Besteuerung für den betreffenden Arbeitnehmer insoweit nach § 39b Abs 3 EStG). Eine Erhebung der Lohnsteuer mit einem unter Berücksichtigung des § 38a EStG zu ermittelnden Pauschsteuersatz ist nach § 40 Abs 1 S 1 Nr 2 EStG zudem dann zulässig, wenn in einer größeren Zahl von Fällen Lohnsteuer nachzuerheben ist, weil der Arbeitgeber die Lohnsteuer nicht vorschriftsmäßig einbehalten hat. Demgegenüber regelt § 39b EStG als "Normalfall" des Lohnsteuerabzugs dessen Durchführung bei unbeschränkt einkommensteuerpflichtigen Arbeitnehmern durch den Arbeitgeber, § 39c EStG die Durchführung des Lohnsteuerabzugs ohne Lohnsteuerkarte und § 39d EStG die Durchführung des Lohnsteuerabzugs für beschränkt einkommensteuerpflichtige Arbeitnehmer(hier jeweils anzuwenden in den Fassungen durch die Gesetze vom 23.12.2002, BGBl I 4621, und vom 15.12.2003, BGBl I 2645). Der Lohnsteuerabzug nach §§ 39b, 39c, 39d EStG unterscheidet sich gegenüber dem nach § 40 Abs 1 EStG ua dadurch, dass er nicht wie dieser an die individuelle Lohnsteuer der Arbeitnehmergruppe(vgl Krüger in Schmidt, aaO, § 40 RdNr 1), sondern an die individuellen Besteuerungsgrundlagen der einzelnen Arbeitnehmer anknüpft.

20

bb) Für das Nichtzurechnen zum Arbeitsentgelt kommt es in Fällen der § 2 Abs 1 S 1 Nr 1 ArEV - entgegen der Auffassung der Beklagen und des LSG - bereits nach Wortlaut und innerer Systematik des § 2 Abs 1 S 1 ArEV nicht darauf an, dass die Lohnsteuer tatsächlich nach § 40 Abs 1 S 1 Nr 1 EStG erhoben wird.

21

§ 2 Abs 1 S 1 Nr 1 ArEV nennt vier Voraussetzungen der eingangs des S 1 genannten Rechtsfolge ("Dem Arbeitsentgelt sind nicht zuzurechnen"): So muss es sich erstens um "sonstige Bezüge nach § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes" handeln, die zweitens "nicht einmalig gezahltes Arbeitsentgelt nach § 23a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch sind", von denen drittens "der Arbeitgeber die Lohnsteuer mit einem Pauschsteuersatz erheben kann" und von denen der Arbeitgeber viertens "die Lohnsteuer nicht nach den Vorschriften der §§ 39b, 39c oder 39d des Einkommensteuergesetzes erhebt". Damit knüpft die erste Voraussetzung des § 2 Abs 1 S 1 Nr 1 ArEV zunächst allein an die Eigenschaft als "sonstiger Bezug" nach § 40 Abs 1 S 1 Nr 1 EStG an, ohne dass bereits an dieser Stelle etwas über die tatsächliche Form der Steuererhebung ausgesagt wäre. Dies entspricht den weiteren Fallgruppen des § 2 Abs 1 S 1 ArEV, die in gleicher Weise (zunächst) nur an eine bestimmte Eigenschaft anknüpfen(Nr 2: Einnahmen nach § 40 Abs 2 EStG; Nr 3: Beiträge und Zuwendungen nach § 40b EStG). Auch die dritte Voraussetzung knüpft nicht an die konkrete Form der Steuererhebung an, sondern begrenzt den Umfang der Nichtzurechnung der in Nr 1 bis 3 genannten Bezüge, Einnahmen, Beiträge und Zuwendungen auf den Teil ("soweit"), von dem der Arbeitgeber die Lohnsteuer mit einem Pauschsteuersatz erheben kann. Dabei zeigt das Wort "kann" an, dass es auch im Rahmen dieser Voraussetzung nur auf die Möglichkeit einer Lohnsteuererhebung mit einem Pauschsteuersatz ankommt. Erst die vierte (negative) Voraussetzung knüpft - wie aus der Verwendung des Wortes "erhebt" folgt - an die konkrete Lohnsteuererhebung im Einzelfall an, indem sie diejenigen Bezüge, Einnahmen, Beiträge und Zuwendungen nicht vom Arbeitsentgelt ausnimmt, von denen der Arbeitgeber die Lohnsteuer (tatsächlich) nach den §§ 39b, 39c oder 39d EStG "erhebt". Im Umkehrschluss ergibt sich aus der Anknüpfung dieser negativen Voraussetzung an die tatsächliche (individualisierte) Durchführung des Lohnsteuerabzugs durch den Arbeitgeber allein nach den §§ 39b, 39c oder 39d EStG, dass eine nachträgliche (pauschalisierte) Versteuerung "sonstiger Bezüge" auf Grundlage des § 40 Abs 1 S 1 Nr 2 EStG nicht der Nichtzurechnung dieser Bezüge zum Arbeitsentgelt entgegensteht. Knüpft somit die erste Voraussetzung des § 2 Abs 1 S 1 Nr 1 ArEV allein an die Eigenschaft als "sonstiger Bezug" nach § 40 Abs 1 S 1 Nr 1 EStG an, kommt es zugleich nicht darauf an, ob durch den Arbeitgeber - hier die Klägerin - tatsächlich ein Antrag auf Pauschalierung nach § 40 Abs 1 S 1 Nr 1 EStG gestellt und ob ein solcher Antrag vom Betriebsstättenfinanzamt genehmigt wurde. Der gegenteiligen Auffassung der Beklagten und des LSG kann daher nicht gefolgt werden.

22

cc) Diese aus Wortlaut und innerer Systematik des § 2 Abs 1 S 1 ArEV gewonnene Auslegung wird auch durch die Regelungsgeschichte und die Materialien zur Verordnung zur Änderung der Sachbezugsverordnung und der ArEV vom 18.12.1998 (BGBl I 3822) gestützt, durch die § 2 Abs 1 S 1 ArEV die vorliegend anzuwendende Fassung erhielt. Bis zur Änderung durch die genannte Verordnung waren nach § 2 Abs 1 S 1 ArEV in der Fassung durch die Verordnung zur Änderung der ArEV und der Sachbezugsverordnung 1989 vom 12.12.1989 (BGBl I 2177) dem Arbeitsentgelt nicht zuzurechnen ua bestimmte sonstige Bezüge nach § 40 Abs 1 S 1 Nr 1 EStG und Einnahmen nach § 40 Abs 2 EStG "soweit der Arbeitgeber die Lohnsteuer mit einem Pauschsteuersatz erhebt".

23

Durch Art 2 Nr 2 Buchst a der Verordnung zur Änderung der Sachbezugsverordnung und der ArEV vom 18.12.1998 (aaO) wurde mit Wirkung zum 1.1.1999 in § 2 Abs 1 S 1 ArEV ua das Wort "erhebt" durch die Worte "erheben kann und er die Lohnsteuer nicht nach den Vorschriften der §§ 39b, 39c oder 39d des Einkommensteuergesetzes erhebt" ersetzt. Durch die Neufassung des § 2 Abs 1 S 1 ArEV sollte - so ausdrücklich die Begründung der Bundesregierung zu dieser Änderung(BR-Drucks 877/98 S 5 unter 2.) - sichergestellt werden, dass es bei den in Nr 1 bis 3 dieses Satzes genannten Einnahmen für die Nichtzurechnung zum Arbeitsentgelt "nur auf die Möglichkeit einer Pauschalversteuerung, nicht aber auf ihren Zeitpunkt, insbesondere nicht auf die Fälligkeit der Beiträge ankommt". Dies sollte allerdings nicht gelten, soweit der Arbeitgeber die Lohnsteuer im Regelbesteuerungsverfahren erhebt; insoweit sollten die betreffenden Einnahmen Arbeitsentgelt darstellen, das bei den Beiträgen und Leistungen zu berücksichtigen ist.

24

Mit anderen Worten: Nach dem bis zum 31.12.1998 gültigen Wortlaut des § 2 Abs 1 S 1 Nr 1 ArEV kam es also für die Nichtzurechnung zum Arbeitsentgelt darauf an, dass (tatsächlich) "der Arbeitgeber die Lohnsteuer mit einem Pauschsteuersatz erhebt". Diese Formulierung wurde durch eine Neufassung ersetzt, wonach es nur noch darauf ankam, dass "der Arbeitgeber die Lohnsteuer mit einem Pauschsteuersatz erheben kann". Ausweislich der zitierten Begründung der Bundesregierung lag es auch gerade in ihrer Absicht sicherzustellen, dass es für die Nichtzurechnung zum Arbeitsentgelt nicht auf eine tatsächliche Pauschalversteuerung ankommt, sondern - soweit der Arbeitgeber die Lohnsteuer nicht tatsächlich im Regelbesteuerungsverfahren erhebt - allein auf die Möglichkeit der Pauschalversteuerung (vgl zu § 1 Abs 1 S 1 Nr 2, S 2 SvEV Werner in jurisPK-SGB IV, 2. Aufl 2011, § 14 RdNr 131 f). Dieser Regelungsabsicht würde es jedoch zuwiderlaufen, wollte man gleichwohl - mit der Beklagten und dem LSG - auch für Beitragserhebungszeiträume nach 1998 die Nichtzurechnung zum Arbeitsentgelt nach § 2 Abs 1 S 1 Nr 1 ArEV von einer tatsächlichen Versteuerung sonstiger Bezüge nach § 40 Abs 1 S 1 Nr 1 EStG abhängig machen.

25

dd) Die von der Klägerin ihren Mitarbeitern im Jahr 2003 gewährten Fahrvergünstigungen sind auch ihrer Art nach "sonstige Bezüge nach § 40 Abs 1 S 1 Nr 1 EStG"(zu den Voraussetzungen siehe bereits oben II. 3. a aa). Dass es sich bei diesen Fahrvergünstigungen um Arbeitslohn handelt, der nicht als laufender Arbeitslohn gezahlt wurde, den Arbeitnehmern der Klägerin also nicht regelmäßig fortlaufend zufloss (vgl § 38a Abs 1 S 3 EStG), und das diese Vergünstigungen im Jahr 2003 mehr als 20 Arbeitnehmern durch die Klägerin gewährt worden sind, ist zwischen den Beteiligten nicht umstritten. Auf Grundlage der - nicht mit Revisionsrügen angegriffenen und daher bindenden (vgl § 163 SGG)- Tatsachenfeststellungen des LSG hat der Senat auch keinen Anlass, hieran zu zweifeln.

26

b) Bei den im Jahr 2003 gewährten Fahrvergünstigungen handelt es sich - anders als in dem Fahrvergünstigungen des Beitragserhebungszeitraums 2001 betreffenden Urteil des Senats vom 18.12.2013 - B 12 R 2/11 R (SozR 4-2400 § 23a Nr 7)- nicht um einmalig gezahltes Arbeitsentgelt, weshalb die (Negativ)Voraussetzung des § 2 Abs 1 S 1 Nr 1 ArEV, nach der nur "nicht einmalig gezahltes Arbeitsentgelt nach § 23a SGB IV" dem beitragspflichtigen Arbeitsentgelt nicht zuzurechnen ist, einer Ausnahme der Fahrvergünstigungen vom Arbeitsentgelt nicht (mehr) entgegensteht.

27

Nach § 23a Abs 1 S 2 SGB IV in der ab 1.1.2003 geltenden Fassung (des Art 2 Nr 7a des Zweiten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2002, BGBl I 4621) werden als einmalig gezahltes Arbeitsentgelt im Sinne des § 23a Abs 1 S 1 SGB IV erbrachte Zuwendungen ua dann vom Begriff des einmalig gezahlten Arbeitsentgelts ausgenommen, wenn sie "als Waren oder Dienstleistungen, die vom Arbeitgeber nicht überwiegend für den Bedarf seiner Beschäftigten hergestellt, vertrieben oder erbracht werden und monatlich in Anspruch genommen werden können"(Nr 2) oder "als sonstige Sachbezüge" (Nr 3) vom Arbeitgeber erbracht werden.

28

Bei den den Mitarbeitern der Beklagten gewährten Fahrvergünstigungen handelt es sich - dem Grunde nach - um einmalig gezahltes Arbeitsentgelt im Sinne von § 23a Abs 1 S 1 SGB IV. Im - für die Beurteilung einer Zuwendung als laufendes Arbeitsentgelt oder Einmalzahlung maßgebenden (vgl BSGE 103, 229 = SozR 4-2400 § 23a Nr 5, RdNr 17; SozR 4-2400 § 14 Nr 7 RdNr 16 f) - Zeitpunkt der Entstehung der Beitragsansprüche (vgl zum Entstehen des Beitragsanspruchs bei Zufluss von Arbeitsentgelt: BSGE 103, 229 = SozR 4-2400 § 23a Nr 5, RdNr 17, und BSG SozR 4-2400 § 14 Nr 7 RdNr 17, jeweils unter Hinweis auf BSG SozR 3-2400 § 14 Nr 24 S 63) konnten die Zahlungen als Arbeitsentgelt einem konkreten Entgeltabrechnungszeitraum weder im Hinblick auf den Umfang noch im Hinblick auf die Art einer (konkreten) Arbeitsleistung zugeordnet werden (zur Maßgeblichkeit dieser Kriterien und zur Qualifizierung von Fahrvergünstigungen als Einmalzahlung vgl BSG SozR 4-2400 § 23a Nr 7 RdNr 22 ff mwN).

29

Jedoch greift bezüglich der im Jahr 2003 gewährten Fahrvergünstigungen die Fiktion des § 23a Abs 1 S 2 SGB IV, weshalb diese nicht als "einmalig gezahltes" Arbeitsentgelt gelten. Dabei kann offen bleiben, ob die Fahrvergünstigungen stets im Sinne von § 23a Abs 1 S 2 Nr 2 SGB IV monatlich in Anspruch genommen werden konnten; jedenfalls handelte es sich um "sonstige Sachbezüge" im Sinne von § 23a Abs 1 S 2 Nr 3 SGB IV(zum Begriff vgl BSG SozR 4-2400 § 23a Nr 6 RdNr 21 ff), was zwischen den Beteiligten auch nicht im Streit ist.

30

4. Der Rechtsstreit ist jedoch zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 S 2 SGG), weil der Senat auf Grundlage der vom LSG festgestellten Tatsachen nicht beurteilen kann, ob die noch streitige Beitragsforderung der Beklagten, also der sich rechnerisch für den Beitragserhebungszeitraum 2003 ergebende Teilbetrag von 26 332,16 Euro, in voller Höhe, nur teilweise oder gar nicht begründet ist. Hierfür fehlen Feststellungen dazu, ob und in welchem Umfang an einzelne Mitarbeiter von der Klägerin Fahrvergünstigungen und andere "sonstige Bezüge" gewährt wurden, deren Gesamtwert im Jahr 2003 die Pauschalierungsgrenze von 1000 Euro (§ 40 Abs 1 S 3 EStG) überstieg. Diese Feststellungen hat das LSG - auf Grundlage seiner Rechtsauffassung konsequent - bislang nicht getroffen.

31

Auf die genannten Feststellungen kommt es mit Blick auf die dritte Voraussetzung (vgl oben II. 3. a bb) der Nichtzurechnung zum Arbeitsentgelt nach § 2 Abs 1 S 1 Nr 1 ArEV indessen für den Ausgang des Rechtsstreits entscheidend an. Auch wenn nach der das LSG bei seiner erneuten Entscheidung bindenden rechtlichen Beurteilung des Senats (vgl § 170 Abs 5 SGG) die von der Klägerin ihren Mitarbeitern im Jahr 2003 gewährten Fahrvergünstigungen ihrer Art nach "sonstige Bezüge nach § 40 Abs 1 S 1 Nr 1 EStG" und kein einmalig gezahltes Arbeitsentgelt nach § 23a SGB IV sind und die Klägerin die Lohnsteuer nicht nach den Vorschriften der §§ 39b, 39c oder 39d EStG erhob, so sind diese Bezüge dem Arbeitsentgelt doch nur insoweit nicht zuzurechnen, als "der Arbeitgeber die Lohnsteuer mit einem Pauschsteuersatz erheben kann". Bei der vorliegend in Rede stehenden Pauschalierung der Lohnsteuer nach § 40 Abs 1 S 1 Nr 1 EStG wird diese Möglichkeit durch § 40 Abs 1 S 3 EStG auf sonstige Bezüge bis zu 1000 Euro je Arbeitnehmer im Kalenderjahr beschränkt. Die Lohnsteuer von dem Teil der sonstigen Bezüge, der diesen Jahresbetrag übersteigt, kann der Arbeitgeber nicht nach einem Pauschsteuersatz erheben (vgl oben II. 3. a aa). Dieser Teil des Wertes der von der Klägerin ihren Mitarbeitern gewährten Fahrvergünstigungen erfüllt mithin nicht alle Voraussetzungen des § 2 Abs 1 S 1 Nr 1 ArEV und ist daher als Arbeitsentgelt im Sinne von § 14 Abs 1 S 1 SGB IV der Beitragsbemessung in den Zweigen der Sozialversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung zugrunde zu legen. Die Beitragsforderung der Beklagten wäre in dem sich hieraus ergebenden Umfang rechtmäßig.

32

Vor diesem Hintergrund wird das LSG im Rahmen der erneuten Verhandlung des Rechtsstreits aufzuklären haben, in welchem Umfang der Gesamtwert der von der Klägerin im Jahr 2003 gewährten Fahrvergünstigungen und anderen "sonstigen Bezüge" bei einzelnen Mitarbeitern die Pauschalierungsgrenze von 1000 Euro im Kalenderjahr überstieg. Sollte sich dies - entsprechend den bereits dazu gemachten Ausführungen des LSG im angegriffenen Urteil - nicht mehr feststellen lassen, so ist der Wert der über die 1000 Euro-Grenze hinaus gewährten sonstigen Bezüge (= Arbeitsentgelt) nach § 28f Abs 2 S 3 SGB IV auf Grundlage aller ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand ermittelbaren geeigneten tatsächlichen Anhaltspunkte zu schätzen, was dem Revisionsgericht nicht möglich ist.

33

5. Die Revision der Klägerin ist auch nicht deshalb in vollem Umfange begründet, weil die Beklagte schon aus anderen Gründen nicht berechtigt wäre, für die Beitragserhebungszeiträume 2001 und 2003 Gesamtsozialversicherungsbeiträge von mehr als 854 057,07 Euro nachzuerheben. Insbesondere war die Beklagte im Rahmen der von ihr durchgeführten Betriebsprüfung befugt, Verwaltungsakte zur Höhe des Gesamtsozialversicherungsbeitrags gegenüber der Klägerin als Arbeitgeberin zu erlassen (§ 28p Abs 1 S 5 Halbs 1 SGB IV). Sie durfte nach § 28f Abs 2 SGB IV den Gesamtsozialversicherungsbeitrag auch von der Summe der von der Klägerin gewährten, in den Fahrvergünstigungen liegenden Vorteile geltend machen. Allein (schon) aus der (teilweisen) Nichtentrichtung von Beiträgen ergibt sich, dass die Klägerin ihren Aufzeichnungspflichten als Arbeitgeberin offenkundig nicht nachgekommen war. Die Beklagte durfte einen personenbezogenen Beitragsbescheid ferner im Hinblick auf die Zahl der gewährten Fahrvergünstigungen und der begünstigten (teilweise nicht sozialversicherungspflichtigen) Personen als unverhältnismäßig aufwändig ansehen. Zudem hat die Klägerin das Vorliegen der Voraussetzungen für den Erlass eines Summenbescheides bis zum Abschluss des Vorverfahrens nicht beanstandet (vgl hierzu allgemein BSGE 89, 158, 163 = SozR 3-2400 § 28f Nr 3 S 8). Ebenso wenig hat sie in diesem Zusammenhang nach den Feststellungen des LSG Einwände gegen die Berechnung des Nachforderungsbetrags - etwa gegen die Anwendung der Zuordnungsregelung für Einmalzahlungen - erhoben, insbesondere nicht geltend gemacht, die Reduzierung der Bemessungsgrundlage um 28,07 vH wegen der Begünstigung von nicht (wegen Beschäftigung) sozialversicherungspflichtigen Personen sei zu gering ausgefallen. Zudem gehörten die mit den Fahrvergünstigungen gewährten geldwerten Vorteile im Beitragserhebungszeitraum 2001 vollständig zum beitragspflichtigen Arbeitsentgelt. Dies ist unter den Beteiligten nicht umstritten. Von Amts wegen zu berücksichtigende Umstände, die dies in Frage stellen könnten, sind für den Senat nicht erkennbar; auch wenn diese Vorteile als sonstige Bezüge nach § 40 Abs 1 S 1 Nr 1 EStG zu qualifizieren wären, so wäre die zweite Voraussetzung des § 2 Abs 1 S 1 Nr 1 ArEV - kein einmalig gezahltes Arbeitsentgelt - aufgrund der bis zum 31.12.2002 geltenden Fassung des § 23a SGB IV nicht erfüllt gewesen (vgl BSG SozR 4-2400 § 23a Nr 7).

34

6. Die Kostenentscheidung bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung des LSG vorbehalten.

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7. Der Streitwert für das Revisionsverfahren ist gemäß § 197a Abs 1 S 1 Teils 1 SGG iVm § 63 Abs 2 S 1, § 52 Abs 1 und 3, § 47 Abs 1 GKG entsprechend den von den Beteiligten nicht beanstandeten Feststellungen des LSG in Höhe des noch streitigen Betrages der Beitragsnachforderung festzusetzen.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 13. Juni 2013 geändert.

Die Berufung der Klägerin wird als unzulässig verworfen, soweit die Aufhebung des Bescheids vom 27. September 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Juni 2007 auch hinsichtlich ihres Sohnes beantragt wurde.

Im Übrigen wird die Revision des Beklagten zurückgewiesen.

Der Beklagte hat der Klägerin 3/4 der Kosten des Rechtsstreits in allen drei Rechtszügen zu erstatten.

Tatbestand

1

Umstritten ist die Rücknahme einer Leistungsbewilligung ab dem 1.10.2006. Das beklagte Jobcenter bewilligte der Klägerin und ihrem minderjährigen Sohn mit Bescheid vom 14.7.2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) vom 1.7. bis zum 31.12.2006 in Höhe von 592,23 Euro monatlich. In ihrem Leistungsantrag hatte die Klägerin angegeben, mit ihrem geschiedenen Ehemann K. als Mitmieter in einer gemeinsam ab dem 1.3.2005 angemieteten Wohnung zu leben. K. erklärte nach Antragstellung, er und die Klägerin bildeten keine Bedarfsgemeinschaft. Zugleich legte er Verdienstbescheinigungen für die Monate Oktober 2005 bis April 2006 vor. Nach einem im August 2006 durchgeführten Hausbesuch in der Wohnung der Klägerin ging der Beklagte vom Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft zwischen der Klägerin und ihrem geschiedenen Ehemann aus und forderte beide mit Schreiben vom 20.9.2006 unter Hinweis auf ihre Mitwirkungspflicht nach §§ 60 ff Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) auf, bis zum 26.9.2006 die Verdienstabrechnungen des K. für Mai bis August 2006 sowie seine Kontoauszüge der letzten drei Monate einzureichen. Nach einem Aktenvermerk des Beklagten vom 27.9.2006 hatte die Klägerin auf dieses Schreiben telefonisch mitgeteilt, dass K. seine Unterlagen nicht vorlegen wolle, da keine eheähnliche Gemeinschaft zwischen ihnen bestehe.

2

Daraufhin hat der Beklagte mit Bescheid vom 27.9.2006 die Leistungen ab 1.10.2006 wegen Nichterfüllung der Mitwirkungspflicht nach §§ 60 ff SGB I eingestellt und den Bewilligungsbescheid ab dem 1.10.2006 aufgehoben. Den eingelegten Widerspruch hat der Beklagte nach einem Anhörungsschreiben zu einer Änderung der Rechtsgrundlage mit Widerspruchsbescheid vom 20.6.2007 zurückgewiesen. Der Bewilligungsbescheid sei zu Recht nach § 45 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) aufgehoben worden, da bei dessen Erlass nicht bekannt gewesen sei, dass die Klägerin und K. eine Bedarfsgemeinschaft bildeten. Die Klägerin habe nicht darlegen können, dass sie hilfebedürftig sei. Es sei davon auszugehen, dass die Bedarfsgemeinschaft in der Lage sei, den notwendigen Lebensunterhalt aus dem vorhandenen Einkommen zu bestreiten.

3

Auf ihre am 24.7.2007 erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) K. als Zeugen vernommen und die Klage abgewiesen (Urteil vom 21.7.2010). Im von der Klägerin angestrengten Berufungsverfahren hat K. dem Landessozialgericht (LSG) Einkommensunterlagen zugeschickt mit dem Hinweis, dass diese lediglich für das Gericht bestimmt seien. Daraufhin hat der Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG hilfsweise beantragt, Beweis darüber zu erheben, dass K. im streitigen Zeitraum monatlich weiterhin 1700 Euro brutto an Einkünften gehabt habe, durch die von K. bei Gericht eingereichten Unterlagen und das Zeugnis des K. Das LSG hat das Urteil des SG sowie den Bescheid vom 27.9.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids aufgehoben, weil die Voraussetzungen des § 45 SGB X nicht erfüllt seien(Urteil vom 13.6.2013). Der Beklagte trage die Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts nach der genannten Vorschrift und sei verpflichtet gewesen, die Auskünfte bei K. selbst unmittelbar nach § 60 Abs 4 SGB II einzufordern. Da der Beklagte dies unterlassen habe, "greife" sein in der mündlichen Verhandlung hilfsweise gestellter Beweisantrag nicht. Eine Leistungsentziehung gegenüber der Klägerin wegen fehlender Mitwirkung komme in einem solchen Fall nicht in Betracht; für die Annahme einer fehlenden Hilfebedürftigkeit sei der Beklagte mangels Umkehr der Beweislast beweispflichtig geblieben. Im Übrigen sei die Aufhebungsentscheidung nicht ausreichend iS von § 35 Abs 1 SGB X begründet worden, da lediglich von dem Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft ausgegangen worden sei; dies allein führe jedoch nicht zur Rechtswidrigkeit der bewilligten Leistungen.

4

Gegen dieses Urteil wendet sich der Beklagte mit seiner vom Senat zugelassenen Revision. Er rügt eine Verletzung von § 103 Sozialgerichtsgesetz (SGG), weil das LSG dem hilfsweise gestellten Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt sei. Verfahrensfehlerhaft sei insbesondere, dass das LSG nicht mitgeteilt habe, warum es den Beweisantrag abgelehnt habe. Im Hinblick auf die Aktenlage sei die Tatsachenbehauptung aufgestellt worden, dass der geschiedene Ehemann der Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum Bruttobezüge von 1700 Euro gehabt habe. Die Höhe seiner angenommenen Einkünfte ergebe sich aus den von ihm vorgelegten Unterlagen, wonach er zwischen November 2005 und April 2006 konstante Bruttoeinkünfte ("Festlohn") von 1700 Euro gehabt habe, teilweise zuzüglich Urlaubsgeld. Das LSG habe, ausgehend von seiner Auffassung, dass ihm - dem Beklagten - die Beweislast für das Vorliegen der notwendigen Voraussetzungen einer Rücknahme des Leistungsbescheids, also insbesondere die mangelnde Hilfebedürftigkeit, oblegen habe, dem Beweisantrag nachgehen müssen. Außerdem verletze das Urteil des LSG Bundesrecht, weil es die Voraussetzungen für eine Aufhebung nach § 45 SGB X mit Wirkung nur für die Zukunft verkannt habe.

5

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 13. Juni 2013 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 21. Juli 2010 zurückzuweisen.

6

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

7

Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend. Dieses sei nicht vom Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft ausgegangen, weshalb das Bundessozialgericht (BSG) über die Sache ohne Zurückverweisung an das LSG abschließend entscheiden könne.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Revision des Beklagten ist nur zum Teil begründet, insofern ist das Urteil des LSG vom 13.6.2013 zu ändern (§ 170 Abs 2 Satz 1 SGG), im Übrigen ist die Revision als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG).

9

Die Revision ist begründet und das Urteil des LSG ist zu ändern, soweit in ihm der angefochtene Bescheid vom 27.9.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.6.2007 auch hinsichtlich des Sohnes der Klägerin aufgehoben wurde. Die Berufung der Klägerin war hinsichtlich der vom Beklagten aufgehobenen Einzelansprüche des Sohnes als unzulässig zu verwerfen, weil nur die anwaltlich vertretene Klägerin sich gegen den Bescheid gewandt hat, der Sohn an dem Klageverfahren von Anfang an nicht beteiligt war und die Übergangsfrist bis zum 30.6.2007 (vgl BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - BSGE 97, 217 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1, RdNr 11) zur Zeit der Klageerhebung am 24.7.2007 abgelaufen war. Der Bescheid des Beklagten ist insoweit bestandskräftig geworden.

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Im Verhältnis zur Klägerin ist die Revision des Beklagten unbegründet, weil die Voraussetzungen für die Rücknahme des Bewilligungsbescheids vom 14.7.2006 durch den angefochtenen Bescheid vom 27.9.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.6.2007 nach § 45 SGB X nicht erfüllt sind.

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1. Gegenstand des Revisionsverfahrens sind neben dem Urteil des LSG, mit dem das für den Beklagten günstige Urteil des SG aufgehoben worden ist, der Bescheid des Beklagten vom 27.9.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.6.2007, mit dem die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts mit Wirkung ab dem 1.10.2006 eingestellt, der zuvor ergangene Bewilligungsbescheid vom 14.7.2006 für die Klägerin und ihren Sohn für die Zeit ab dem 1.10.2006 aufgehoben und ein gesonderter Bescheid hinsichtlich der Rücknahme der Bewilligung für den Zeitraum von Juli bis September 2006 sowie ein Erstattungsbescheid angekündigt worden sind. Sowohl die Klägerin als auch ihr minderjähriger Sohn waren in dem Bewilligungsbescheid namentlich im Rahmen einer Bedarfsgemeinschaft aufgeführt, gegen sie richtete sich sowohl der ursprüngliche Bescheid vom 27.9.2006 als auch der Widerspruchsbescheid vom 20.6.2007 (im Folgenden: Rücknahmebescheid).

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2. Verfahrensrechtliche Hindernisse stehen einer Sachentscheidung des Senats nicht entgegen. Gegen den genannten Rücknahmebescheid geht die Klägerin zu Recht mit einer reinen Anfechtungsklage nach § 54 Abs 1 Satz 1 Alt 1 SGG vor. Eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage war vorliegend nicht notwendig, denn wenn der Rücknahmebescheid durch das Gericht aufgehoben wird, bleibt es bei der ursprünglichen Leistungsbewilligung des Bescheids vom 14.7.2006 für den Zeitraum vom 1.10.2006 bis 31.12.2006.

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3. Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 27.9.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.6.2007 ist formell rechtmäßig. Insbesondere wurde die Klägerin im Laufe des Widerspruchsverfahrens zu einer Rücknahme nach § 45 SGB X gemäß § 24 SGB X angehört. Ebenso wenig fehlt es dem Bescheid iS von § 35 SGB X deshalb an einer Begründung, weil der Beklagte lediglich Ausführungen zum Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft gemacht hat und im Übrigen davon ausgegangen ist, die Bedarfsgemeinschaft sei in der Lage, den notwendigen Unterhalt aus vorhandenem Einkommen zu bestreiten. Selbst wenn diese Begründung unzureichend oder fehlerhaft ist, würde sich dies als bloßer Begründungsmangel oder Begründungsfehler bei einem gebundenen Verwaltungsakt nicht auf dessen formelle Rechtmäßigkeit selbst auswirken (vgl BSG Urteil vom 29.6.2000 - B 11 AL 85/99 R - BSGE 87, 8 = SozR 3-4100 § 152 Nr 9 mwN).

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4. Zutreffend hat das LSG entschieden, dass die Feststellungen des Beklagten (zur Ermittlungspflicht des LSG unter 5.) die aufgeführten Rücknahmevoraussetzungen nicht tragen. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der Beklagte, der nach § 85 Abs 2 SGG iVm § 44b Abs 1 Satz 3 und § 6d SGB II für die Widerspruchsentscheidung zuständig war, im Rahmen seiner umfassenden Prüfungskompetenz(siehe nur Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 85 RdNr 4a) die im Ausgangsbescheid vom 27.9.2006 angeführte Rechtsgrundlage im Widerspruchsbescheid durch eine andere Rechtsgrundlage ersetzen durfte. Jedenfalls liegen die Voraussetzungen von § 40 Abs 1 Satz 1 SGB II in der in der strittigen Zeit geltenden Fassung sowie von § 45 Abs 1 und Abs 2 Satz 3 Nr 3 SGB X als der in dem Widerspruchsbescheid genannten Rechtsgrundlage für den in die Zukunft gerichteten Rücknahmebescheid nicht vor.

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a) Nach § 45 Abs 1 SGB X darf ein begünstigender Verwaltungsakt, soweit er rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen werden. Nach § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 3 SGB X kann sich der Begünstigte dabei nicht auf sein Vertrauen auf den Bestand des Verwaltungsakts berufen, wenn er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts nach der genannten Vorschrift setzt nach deren systematischen Stellung im Gefüge der §§ 44 ff SGB X voraus, dass eine ursprüngliche Rechtswidrigkeit vorlag, der Verwaltungsakt also bereits im Zeitpunkt seines Erlasses rechtswidrig war(stRspr, vgl nur BSG Urteil vom 1.6.2006 - B 7a AL 76/05 R - BSGE 96, 285 = SozR 4-4300 § 122 Nr 4, RdNr 13; ebenso Schütze in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 45 RdNr 31 mwN).

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Diese Voraussetzungen für eine Rücknahme des Bewilligungsbescheids vom 14.7.2006 sind dem Bescheid vom 27.9.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids nicht zu entnehmen. Der Beklagte hat zur Begründung der Rücknahme in dem Widerspruchsbescheid ausgeführt, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II gehabt habe, weil sie nicht habe nachweisen können, dass sie hilfebedürftig nach § 9 SGB II gewesen sei, da sie mit ihrem früheren Ehemann eine Bedarfsgemeinschaft iS des § 7 Abs 3 SGB II gebildet habe. Die Klägerin könne sich nicht auf Vertrauen berufen, da ihr die näheren Umstände ihres Zusammenlebens bekannt gewesen seien.

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Diese Begründung trägt indes nicht die Rücknahme der Leistungsbewilligung, weil es an einer entscheidenden Voraussetzung für eine solche Rücknahme fehlt. Notwendig für die Verneinung der Hilfebedürftigkeit ist in derartigen Konstellationen nicht nur das Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft, sondern ebenfalls, dass innerhalb der Bedarfsgemeinschaft ein ausreichendes zu berücksichtigendes Einkommen erzielt wird (§ 9 Abs 2 SGB II). Zur Höhe des zu berücksichtigenden Einkommens hat der Beklagte aber keine Feststellungen in den angefochtenen Bescheiden getroffen und insbesondere nicht ein Auskunftsverlangen nach § 60 Abs 4 Satz 1 SGB II gegen den früheren Ehemann K. der Klägerin eingeleitet, sondern nur ausgeführt, es sei davon auszugehen, dass die Bedarfsgemeinschaft in der Lage sei, den notwendigen Lebensunterhalt aus dem vorhandenen Einkommen zu bestreiten. Dies war keine Feststellung aufgrund von Ermittlungen, sondern eine bloße Vermutung, auf die jedoch ein Rücknahmebescheid nicht gestützt werden kann.

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b) Dass es Aufgabe des beklagten Jobcenters ist, alle Tatsachen zu ermitteln, die zum Erlass eines Verwaltungsakts notwendig sind, folgt aus dem in § 20 SGB X festgeschriebenen Untersuchungsgrundsatz, dessen Reichweite sich nach dem jeweiligen Gegenstand des Verwaltungsverfahrens richtet(vgl Siefert in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 20 RdNr 5). Es müssen somit alle Tatsachen ermittelt werden, die für die Verwaltungsentscheidung wesentlich im Sinne von entscheidungserheblich sind. Ein Absehen von Ermittlungen ist nur zulässig, wenn es auf die ungeklärte Tatsache nicht ankommt, sie offenkundig ist oder als wahr unterstellt werden kann oder das Beweismittel unerreichbar ist (siehe Siefert, aaO, § 20 RdNr 15; Luthe in jurisPK-SGB X, 2013, § 20 RdNr 13).

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Dementsprechend durfte es der Beklagte bei seiner Prüfung, ob die Voraussetzungen des § 45 SGB X für eine Rücknahme des Leistungsbescheids vorlagen, nicht dahingestellt sein lassen, ob und ggf in welcher Höhe Einkommen vorhanden war, das für die Deckung der Bedarfe der Bedarfsgemeinschaft ganz oder teilweise ausgereicht hätte. Im Ausgangspunkt noch zutreffend ist der Beklagte seiner Ermittlungspflicht hier insoweit nachgekommen, als er nach einem durchgeführten Hausbesuch und Abwägung weiterer Tatsachen, wie der Zeitdauer des Zusammenlebens der Klägerin und des K. und der Übernahme finanzieller Forderungen, zu der Folgerung gelangt ist, dass zwischen der Klägerin und dem K. eine eheähnliche Gemeinschaft und eine Bedarfsgemeinschaft vorgelegen habe. Es kam dann bei der folgenden Prüfung aber nicht - wie der Beklagte im Widerspruchsbescheid nochmals ausgeführt hat - darauf an, ob die Klägerin ihre Hilfebedürftigkeit darlegen konnte, sondern in der Rücknahmesituation war der Beklagte gehalten, die erforderlichen Ermittlungen zum zu berücksichtigenden Einkommen und der sich daraus ergebenden Folgen für die Hilfebedürftigkeit der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft anzustellen, wozu er zunächst das angesprochene Verfahren nach § 60 Abs 4 Satz 1 SGB II gegenüber dem K. hätte einleiten müssen.

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c) Nach den allgemeinen Regeln für die Darlegungs- und Beweislast gilt, dass derjenige die objektiven Tatsachen darlegen muss, die den von ihm geltend gemachten Anspruch begründen. Dies betrifft sowohl das Vorhandensein von positiven, als auch das Fehlen von negativen Tatbestandsvoraussetzungen (vgl allgemein bereits BSG Urteil vom 24.10.1957 - 10 RV 945/55 - BSGE 6, 70). Damit trägt der Beklagte nicht nur die objektive Beweislast für die belastende Rücknahmeentscheidung (siehe nur BSG Urteil vom 13.9.2006 - B 11a AL 13/06 R - RdNr 18; BSG Urteil vom 20.10.2005 - B 7a/7 AL 102/04 R - SozR 4-1500 § 103 Nr 5 RdNr 13 ff; BSG Urteil vom 2.4.2009 - B 2 U 25/07 R - SozR 4-1300 § 45 Nr 8), sondern er ist bereits im vorherigen Verfahrensstadium verpflichtet, die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Norm, auf die er seine Verwaltungsentscheidung stützt, zu ermitteln und entsprechend festzustellen, damit sich der Leistungsberechtigte im Verfahren mit seiner Argumentation auf die die Entscheidung tragenden Gründe einrichten kann.

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Das ist auch ausnahmsweise deshalb nicht unbeachtlich, weil von Ermittlungen abgesehen werden konnte, da die ungeklärte Tatsache nicht oder nur unter unzumutbar erschwerten Bedingungen zu erreichen war. Vielmehr stand dem Beklagten gerade für Sachverhalte wie dem vorliegenden, bei dem das Bestehen einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft bestritten wird und mit einer Weigerung des Partners, die geforderte Auskunft über die Einkommens- und Vermögenssituation zu erteilen, einhergeht (§ 60 Abs 4 SGB II), die Möglichkeit zur Verfügung, sich zur Ermittlung des Vorliegens der tatsächlichen Voraussetzungen des Leistungsanspruchs unmittelbar an den Dritten zu wenden. Der Beklagte kann auf der Grundlage des § 60 Abs 4 Satz 1 Nr 1 SGB II einen Verwaltungsakt erlassen und bei unterbliebener oder pflichtwidriger Erfüllung der Auskunftspflicht durch den Dritten die Rechte und Befugnisse nach den §§ 62 und 63 SGB II (Schadenersatz, Ordnungswidrigkeitenrecht) in Anspruch nehmen, zudem wäre ein vollstreckungsrechtlicher Zwangsgeldbescheid gemäß § 40 Abs 6 SGB II nach Erlass des Auskunftsverwaltungsakts gemäß § 60 Abs 4 SGB II zu erwägen(vgl Blüggel in Eicher, SGB II, 3. Aufl 2013, § 60 RdNr 56 ff mwN).

22

5. Das LSG war aufgrund seiner Amtsermittlungspflicht nach § 103 SGG nicht verpflichtet, die vom Beklagten unterlassene Ermittlung des zu berücksichtigenden Einkommens als Voraussetzung für seinen Rücknahmebescheid hinsichtlich des Bewilligungsbescheids nachzuholen.

23

a) Die Gerichte sind grundsätzlich verpflichtet, den angefochtenen Verwaltungsakt in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht umfassend nachzuprüfen (vgl § 54 Abs 2 Satz 1, § 103 SGG); die beklagte Behörde kann deshalb im Laufe des Gerichtsverfahrens neue Tatsachen und Rechtsgründe "nachschieben" (stRspr: BSGE 3, 209, 216; BSGE 9, 277, 279 f; zuletzt etwa BSG Urteil vom 24.2.2011 - B 14 AS 87/09 R - BSGE 107, 255 = SozR 4-4200 § 60 Nr 1; vgl zudem BSG Urteil vom 21.9.2000 - B 11 AL 7/00 R - BSGE 87, 132, 139 = SozR 3-4100 § 128 Nr 10 S 87 f: nicht nur "Kassation", sondern auch "Reformation"). Hinsichtlich eines solchen Nachschiebens von Gründen gibt es jedoch bei belastenden Verwaltungsakten, die im Wege der reinen Anfechtungsklage angefochten werden, Einschränkungen, wenn die Verwaltungsakte dadurch in ihrem Wesen verändert werden und der Betroffene infolgedessen in seiner Rechtsverteidigung beeinträchtigt werden kann (BSGE 3, 209, 216; BSGE 9, 277, 279 f; BSGE 29, 129, 132; BSGE 38, 157, 159; BSGE 87, 8, 12; vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 54 RdNr 35 f mwN; Kischel, Folgen von Begründungsfehlern, 2004, 189 ff). Da die Aufrechterhaltung eines Verwaltungsakts mit einer völlig neuen tatsächlichen Begründung dem Erlass eines neuen Verwaltungsakts gleichkommt, würde das Gericht andernfalls entgegen dem Grundsatz der Gewaltentrennung (Art 20 Abs 2 Satz 2 Grundgesetz) selbst aktiv in das Verwaltungsgeschehen eingreifen (BSGE 9, 277, 280). Eine solche Änderung des "Wesens" eines Verwaltungsakts, das in Anlehnung an den Streitgegenstand eines Gerichtsverfahrens bestimmt werden kann (vgl dahingehend schon BSGE 9, 277, 280 sowie Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl 2015, § 113 RdNr 69), ist ua angenommen worden, wenn die Regelung auf einen anderen Lebenssachverhalt gestützt wird, zB bei einem Streit um die Höhe einer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung im Laufe des Gerichtsverfahrens ein weiteres Element der Rentenberechnung vom Rentenversicherungsträger in Abrede gestellt wird (BSGE 38, 157, 159; BSG SozR 1500 § 77 Nr 56), oder wenn auf eine andere Rechtsgrundlage zurückgegriffen werden soll, die einem anderen Zweck dient (BSG Urteil vom 24.2.2011 - B 14 AS 87/09 R - BSGE 107, 255 = SozR 4-4200 § 60 Nr 1, RdNr 16).

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b) Neben dieser Entwicklung der Rechtsprechung hat der Gesetzgeber einerseits in § 41 Abs 2 SGB X die Heilungsmöglichkeiten für Verfahrens- und Formfehler der Behörde bei Erlass eines Verwaltungsakts bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines gerichtlichen Verfahrens erleichtert(vgl dazu kritisch und zum Verhältnis von Verwaltung und Gericht: Dolderer, DÖV 1999, 104 ff) und andererseits die Möglichkeit der Zurückverweisung vom Gericht an die Behörde eingeführt, wenn diese Ermittlungen unterlässt (§ 131 Abs 5 SGG), sowie dem Gericht das Recht eingeräumt, der Behörde die Kosten einer von ihr unterlassenen und vom Gericht nachgeholten Ermittlung aufzuerlegen (§ 192 Abs 4 SGG). Hierdurch sind die Heilungs- und Nachbesserungsmöglichkeiten der Behörde in formeller Hinsicht erweitert worden, während sie auf der anderen Seite ihre Ermittlungsarbeit nicht auf die Gerichte verlagern soll, weil diese für die materielle Entscheidung von zentraler Bedeutung ist und deren Kern und damit das Wesen des erlassenden Verwaltungsakts bestimmt. Ausgehend von diesen Konkretisierungen des Gesetzgebers und der zuvor dargestellten Rechtsprechung ist in reinen Anfechtungssachen das Nachschieben eines Grundes durch die Behörde regelmäßig unzulässig (vgl zur gesetzlich ausdrücklich angeordneten Pflicht der Gerichte zur Nachermittlung neuer Sachverhalte im Asylrecht etwa BVerwG Urteil vom 29.6.2015 - 1 C 2/15 - juris RdNr 14 f), wenn dieser umfassende Ermittlungen seitens des Gerichts erfordert, die Behörde ihrerseits insofern keine Ermittlungen angestellt hat und der Verwaltungsakt hierdurch einen anderen Wesenskern erhält, weil dann der angefochtene Verwaltungsakt - bei einem entsprechenden Ergebnis der Ermittlungen - mit einer wesentlich anderen Begründung bestand hätte (vgl Kischel, Folgen von Begründungsfehlern, 2004, 190 f).

25

c) Nach diesen Voraussetzungen zielte der Beweisantrag des Beklagten auf eine Wesensänderung des angefochtenen Rücknahmebescheids in der Gestalt des Widerspruchsbescheids ab, weil dieser ausschließlich auf das Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft zwischen der Klägerin und K. sowie die nicht nachgewiesene Hilfebedürftigkeit der Klägerin gestützt und mangels weiterer Ermittlungen des Beklagten zum Einkommen des K. offenkundig rechtswidrig war. Erst wenn das LSG dem gestellten Beweisantrag des Beklagten zur Ermittlung des Einkommens des K. nachgekommen wäre, hätte das Gericht die Grundlagen für die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts legen können. Trotz des Zusammenhangs zwischen dem Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft und der Erzielung von Einkommen innerhalb der Bedarfsgemeinschaft nach § 9 Abs 2 SGB II sind es grundlegend verschiedene Prüfungspunkte, bei denen eigenständige Ermittlungen erforderlich sind, wie zB die Auskunfts- und Mitwirkungspflichten nach § 60 SGB II zeigen. Es handelt sich also nicht nur um eine Ergänzung des Sachverhalts, auf den der Beklagte seine Entscheidung gestützt hat, sondern um die umfassende Prüfung einer weiteren Voraussetzung für den angefochtenen Rücknahmebescheid, die der Beklagte bisher nicht beachtet hatte und deren Prüfung und Aufklärung in tatsächlicher Hinsicht in erster Linie von ihm durchzuführen war. Außerdem wären hierdurch die Verteidigungsmöglichkeiten der Klägerin erheblich erschwert worden, weil - zumal im Stadium des Berufungsverfahrens - die gesonderte Prüfung der Rechtmäßigkeit des Auskunftsverlangens seitens des Beklagten gegenüber ihrem geschiedenen Ehemann hinsichtlich des auf der Grundlage von § 60 Abs 4 Satz 1 SGB II zu führenden Verfahrens entfallen wäre. Im Rahmen einer Anfechtungsklage der vorliegenden Art ist es Aufgabe des Gerichts, die Entscheidung der Verwaltungsbehörde zu überprüfen, nicht aber die Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts erst zu schaffen.

26

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

(1) Gehört in einem Rechtszug weder der Kläger noch der Beklagte zu den in § 183 genannten Personen oder handelt es sich um ein Verfahren wegen eines überlangen Gerichtsverfahrens (§ 202 Satz 2), werden Kosten nach den Vorschriften des Gerichtskostengesetzes erhoben; die §§ 184 bis 195 finden keine Anwendung; die §§ 154 bis 162 der Verwaltungsgerichtsordnung sind entsprechend anzuwenden. Wird die Klage zurückgenommen, findet § 161 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung keine Anwendung.

(2) Dem Beigeladenen werden die Kosten außer in den Fällen des § 154 Abs. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung auch auferlegt, soweit er verurteilt wird (§ 75 Abs. 5). Ist eine der in § 183 genannten Personen beigeladen, können dieser Kosten nur unter den Voraussetzungen von § 192 auferlegt werden. Aufwendungen des Beigeladenen werden unter den Voraussetzungen des § 191 vergütet; sie gehören nicht zu den Gerichtskosten.

(3) Die Absätze 1 und 2 gelten auch für Träger der Sozialhilfe einschließlich der Leistungen nach Teil 2 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch, soweit sie an Erstattungsstreitigkeiten mit anderen Trägern beteiligt sind.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

Entscheidungen des Landessozialgerichts, seines Vorsitzenden oder des Berichterstatters können vorbehaltlich des § 160a Abs. 1 dieses Gesetzes und des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden.