VG Stuttgart Urteil vom 21.3.2007, 3 K 2703/06 stattgebende Entscheidung - zur Missbräuchliche Berufung auf Gemeinschaftsrecht; Wohnsitzerfordernis und MPU

bei uns veröffentlicht am23.08.2007

Rechtsgebiete

Autoren

Rechtsanwalt Dirk Streifler - Partner

EnglischDeutsch
Zusammenfassung des Autors
Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozess, Straßenverkehrsrecht, Europarecht - BSP Bierbach, Streifler & Partner PartGmbB

Leitsätze

Die Nichterfüllung des Wohnsitzerfordernisses nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. B der Führerscheinrichtlinie 91/439 und die "Umgehung" einer nach § 13 Nr. 2 FeV erforderlichen medizinisch-psychologischen Untersuchung begründen für sich genommen nicht den Einwand der rechtsmissbräuchlichen Berufung auf Gemeinschaftsrecht.

Tenor

Der Bescheid des Landratsamts Heilbronn vom 30.11.2005 wird aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen den für sofort vollziehbar erklärten Bescheid des Landratsamts Heilbronn vom 30.11.2005, mit dem ihm das Recht aberkannt worden ist, von seiner polnischen Fahrerlaubnis in der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch zu machen.

Der 1966 geborene Kläger wurde durch Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 17.10.1989 wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit mit vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr (Blutalkoholkonzentration 1,84 Promille) zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten mit Bewährung verurteilt, wobei für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis eine Sperrfrist von vier Jahren festgesetzt wurde. Nach Vorlage eines positiven medizinisch-psychologischen Gutachtens wurde dem Kläger am 6.10.1994 die Fahrerlaubnis der Klassen 3 bis 5 erteilt.

Am 14.1.1997 beging der Kläger erneut eine Trunkenheitsfahrt (Blutalkoholkonzentration 1,26 Promille). Das Amtsgerichts Leonberg verurteilte ihn deshalb am 5.6.1997 zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen, entzog seine Fahrerlaubnis und ordnete eine Sperrfrist von dreizehn Monaten an.

Der Kläger bemühte sich anschließend mehrfach erfolglos um die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis. Dies scheiterte jeweils daran, dass er ein von der Behörde gefordertes medizinisch-psychologisches Gutachten nicht vorlegte.

Am 20.9.2005 teilte der Polizeiposten Bad Wimpfen der Führerscheinstelle mit, der Kläger sei im Besitz eines am 26.4.2005 von einer polnischen Behörde (S. J.) ausgestellten polnischen Führerscheins der Klasse B.

Darauf forderte das Landratsamt den Kläger auf, ein medizinisch-psychologisches Gutachten zu seiner Fahreignung beizubringen. Zur Begründung wurde angegeben, der Kläger habe in der Vergangenheit Straftaten im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr begangen (Fahren ohne Fahrerlaubnis, Gefährdung des Straßenverkehrs). Es sei daher zu prüfen, ob er derzeit zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet sei. Darauf legitimierte sich die Prozessbevollmächtigte des Klägers. Nachdem trotz Akteneinsicht keine Stellungnahme abgegeben wurde, erkannte das Landratsamt mit Bescheid vom 30.11.2005 dem Kläger unter Anordnung des Sofortvollzugs das Recht ab, von seiner ausländischen Fahrerlaubnis in der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch zu machen. Ferner ordnete der Beklagte die Vorlage des Führerscheins zur Eintragung dieser Entscheidung an.

Am 20.12.2005 erhob der Kläger Widerspruch. Seine Bevollmächtigte berief sich auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur sog. Führerscheinrichtlinie (91/439 EWG). Danach müsse die von polnischen Behörden am 26.4.2005 erteilte Fahrerlaubnis von den deutschen Behörden anerkannt werden. Die Fahreignung sei in Polen überprüft worden. Dies bedeute, dass von der Fahreignung des Klägers im Zeitpunkt der Erteilung der Fahrerlaubnis auszugehen sei. Dem Kläger könnten deshalb die früheren Verkehrsstraftaten nicht entgegengehalten werden. Darauf könne auch keine Gutachtenanordnung gestützt werden.

Der Kläger stellte am 19.12.2005 einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs. Dieser Antrag wurde durch Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 17.1.2006 - 3 K 4430/05 - abgelehnt. Die gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts gerichtete Beschwerde des Klägers wies der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg zurück (Beschluss vom 7.4.2006 - 10 S 311/06 -).

Bereits am 18.1.2006 ging beim Beklagten eine von der Behörde angeforderte Stellungnahme der polnischen Fahrerlaubnisbehörde vom 4.1.2006 ein. Darin heißt es, der Kläger habe bei der Einreichung seines Antrags auf Erteilung einer Fahrerlaubnis versichert, dass zum Zeitpunkt der Antragstellung am 10.3.2005 ihm gegenüber kein rechtskräftiges Urteil über ein Verbot zum Führen von Kraftfahrzeugen vorgelegen habe. Die dem Kläger erteilte Fahrerlaubnis sei an folgende Bedingungen geknüpft worden: ärztliches Gutachten, Teilnahme an einer Schulung, Bestehen der Prüfung und Vorlage einer Aufenthaltsbescheinigung. Am Tag des Erwerbs der Fahrerlaubnis sei ein Nachweis über einen Mindestaufenthalt in Polen von 185 Tagen nicht erforderlich gewesen. Eine entsprechende Regelung sei erst am 20.10.2005 in Kraft getreten. Der Bitte des Landratsamts, die Fahrerlaubnis zurückzunehmen, kam die polnische Behörde nicht nach.

Am 18.7.2006 hat der Kläger Untätigkeitsklage erhoben.

Seine Prozessbevollmächtigte beruft sich auf den Beschluss des Europäischen Gerichtshofs vom 6.4.2006 - C-227/05 - (Halbritter). Darin sei entschieden worden, dass ein Mitgliedstaat die Fahrerlaubnis aus einem anderen EU-Land anerkennen müsse, wenn ein Verkehrssünder sie nach Ablauf einer verhängten Sperrfrist erhalten habe. In einem solchen Fall müsse die Fahrerlaubnis ohne die Durchführung einer medizinisch-psychologischen Begutachtung umgeschrieben werden. Dem Kläger könne nicht vorgeworfen werden, die polnische Fahrerlaubnis missbräuchlich erworben zu haben. Er habe in Polen einen Wohnsitz genommen, weil er in R. ein Engagement in Aussicht gehabt habe. Eine Aufnahme dieser Tätigkeit sei gescheitert, weil er - im Hinblick auf seine in Deutschland lebende Familie (Ehefrau und drei Kleinkinder) - auf eine Fahrerlaubnis im Inland angewiesen sei. Im Übrigen habe der Kläger seit dem Entzug der Fahrerlaubnis über viele Jahre ein beanstandungsfreies Leben geführt. Es sei ihm auch gelungen, beruflich Fuß zu fassen und eine Anstellung bei der Fa. ... zu finden. Infolge der Aberkennungsentscheidung des Landratsamts habe er seine Arbeitsstelle wieder verloren.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 30.11.2005 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte ist der Auffassung, der Beschluss des Europäischen Gerichtshofs vom 6.4.2006 treffe auf den vorliegenden Fall der Umgehung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung nicht zu. Die wiederholten Verurteilungen des Klägers wegen Trunkenheit im Straßenverkehr mit sehr hoher Alkoholisierung seien nach wie vor verwertbar. Der polnischen Behörde seien die wiederholten Fahrerlaubnisentziehungen nicht bekannt gewesen. Da der Kläger nicht belegt habe, dass ihm eine nachhaltige Änderung seines Trinkverhaltens gelungen sei, bestünden Zweifel an seiner Fahreignung. Diese Zweifel rechtfertigten die Aufforderung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens. Da der Kläger kein Gutachten beigebracht habe, sei von einer mangelnden Fahreignung auszugehen.

Mit Beschluss vom 15.3.2007 ist dem Kläger Prozesskostenhilfe bewilligt und seine Prozessbevollmächtigte beigeordnet worden.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und einen Band Akten des Landratsamts Heilbronn verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig.

Der Kläger konnte vor Ergehen eines Widerspruchsbescheids Anfechtungsklage erheben. Da die Widerspruchsbehörde über den Widerspruch des Klägers ohne zureichenden Grund nicht innerhalb der dreimonatigen Frist des § 75 Satz 2 VwGO entschieden hat, sind die Voraussetzungen einer Untätigkeitsklage gemäß § 75 VwGO erfüllt.

Für die Klage besteht auch ein Rechtsschutzbedürfnis. Zwar gilt die Berechtigung einer EU-Fahrerlaubnis nach dem innerstaatlichen Recht (§ 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV) u.a. nicht für diejenigen, denen die Fahrerlaubnis im Inland vorläufig oder rechtskräftig von einem Gericht entzogen worden ist. Diese Vorschrift erfasst den vorliegenden Fall, denn dem Kläger wurde durch Urteil des Amtsgerichts Leonberg vom 5.6.1997 die Fahrerlaubnis entzogen, ohne dass dem Kläger in der Folgezeit im Inland die Fahrerlaubnis wiedererteilt worden wäre. Danach wäre der Kläger an sich nur dann berechtigt, von seiner polnischen Fahrerlaubnis Gebrauch zu machen, wenn er zuvor erfolgreich ein Anerkennungsverfahren gemäß § 28 Abs. 5 FeV durchlaufen hätte. Dies ist hier nicht geschehen, so dass der Kläger nach den Bestimmungen der Fahrerlaubnisverordnung auch ohne den Erlass der Aberkennungsverfügung nicht berechtigt wäre, im Bundesgebiet Kraftfahrzeuge zu führen. Die Bestimmung des § 28 Abs. 4 Nr. 3 und Abs. 5 FeV steht jedoch mit der gemeinschaftsrechtlichen Führerscheinrichtlinie (Richtlinie 91/439/EWG des Rates vom 29.07.1991 über den Führerschein

 

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3 Gesetze werden in diesem Text zitiert

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Zur Vorbereitung von Entscheidungen über die Erteilung oder Verlängerung der Fahrerlaubnis oder über die Anordnung von Beschränkungen oder Auflagen ordnet die Fahrerlaubnisbehörde an, dass

1.
ein ärztliches Gutachten (§ 11 Absatz 2 Satz 3) beizubringen ist, wenn Tatsachen die Annahme von Alkoholabhängigkeit begründen, oder
2.
ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen ist, wenn
a)
nach dem ärztlichen Gutachten zwar keine Alkoholabhängigkeit, jedoch Anzeichen für Alkoholmissbrauch vorliegen oder sonst Tatsachen die Annahme von Alkoholmissbrauch begründen,
b)
wiederholt Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss begangen wurden,
c)
ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr oder einer Atemalkoholkonzentration von0,8 mg/loder mehr geführt wurde,
d)
die Fahrerlaubnis aus einem der unter den Buchstaben a bis c genannten Gründe entzogen war oder
e)
sonst zu klären ist, ob Alkoholmissbrauch oder Alkoholabhängigkeit nicht mehr besteht.
Im Falle des Satzes 1 Nummer 2 Buchstabe b sind Zuwiderhandlungen, die ausschließlich gegen § 24c des Straßenverkehrsgesetzes begangen worden sind, nicht zu berücksichtigen.

Ist über einen Widerspruch oder über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden, so ist die Klage abweichend von § 68 zulässig. Die Klage kann nicht vor Ablauf von drei Monaten seit der Einlegung des Widerspruchs oder seit dem Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts erhoben werden, außer wenn wegen besonderer Umstände des Falles eine kürzere Frist geboten ist. Liegt ein zureichender Grund dafür vor, daß über den Widerspruch noch nicht entschieden oder der beantragte Verwaltungsakt noch nicht erlassen ist, so setzt das Gericht das Verfahren bis zum Ablauf einer von ihm bestimmten Frist, die verlängert werden kann, aus. Wird dem Widerspruch innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist stattgegeben oder der Verwaltungsakt innerhalb dieser Frist erlassen, so ist die Hauptsache für erledigt zu erklären.

(1) Inhaber einer gültigen EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, die ihren ordentlichen Wohnsitz im Sinne des § 7 Absatz 1 oder 2 in der Bundesrepublik Deutschland haben, dürfen – vorbehaltlich der Einschränkungen nach den Absätzen 2 bis 4 – im Umfang ihrer Berechtigung Kraftfahrzeuge im Inland führen. Auflagen zur ausländischen Fahrerlaubnis sind auch im Inland zu beachten. Auf die Fahrerlaubnisse finden die Vorschriften dieser Verordnung Anwendung, soweit nichts anderes bestimmt ist.

(2) Der Umfang der Berechtigung der jeweiligen Fahrerlaubnisklassen ergibt sich aus dem Beschluss (EU) 2016/1945 der Kommission vom 14. Oktober 2016 über Äquivalenzen zwischen Führerscheinklassen (ABl. L 302 vom 9.11.2016, S. 62). Die Berechtigung nach Absatz 1 gilt nicht für Fahrerlaubnisklassen, für die die Entscheidung der Kommission keine entsprechenden Klassen ausweist. Für die Berechtigung zum Führen von Fahrzeugen der Klassen L und T gilt § 6 Absatz 3 entsprechend.

(3) Die Vorschriften über die Geltungsdauer von Fahrerlaubnissen der Klassen C, C1, CE, C1E, D, D1, DE und D1E in § 23 Absatz 1 gelten auch für die entsprechenden EU- und EWR-Fahrerlaubnisse. Grundlage für die Berechnung der Geltungsdauer ist das Datum der Erteilung der ausländischen Fahrerlaubnis. Wäre danach eine solche Fahrerlaubnis ab dem Zeitpunkt der Verlegung des ordentlichen Wohnsitzes in die Bundesrepublik Deutschland nicht mehr gültig, weil seit der Erteilung mehr als fünf Jahre verstrichen sind, besteht die Berechtigung nach Absatz 1 Satz 1 noch sechs Monate, gerechnet von der Begründung des ordentlichen Wohnsitzes im Inland an. Für die Erteilung einer deutschen Fahrerlaubnis ist § 30 in Verbindung mit § 24 Absatz 1 entsprechend anzuwenden.

(4) Die Berechtigung nach Absatz 1 gilt nicht für Inhaber einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis,

1.
die lediglich im Besitz eines Lernführerscheins oder eines anderen vorläufig ausgestellten Führerscheins sind,
2.
die ausweislich des Führerscheins oder vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührender unbestreitbarer Informationen zum Zeitpunkt der Erteilung ihren ordentlichen Wohnsitz im Inland hatten, es sei denn, dass sie als Studierende oder Schüler im Sinne des § 7 Absatz 2 die Fahrerlaubnis während eines mindestens sechsmonatigen Aufenthalts erworben haben,
3.
denen die Fahrerlaubnis im Inland vorläufig oder rechtskräftig von einem Gericht oder sofort vollziehbar oder bestandskräftig von einer Verwaltungsbehörde entzogen worden ist, denen die Fahrerlaubnis bestandskräftig versagt worden ist oder denen die Fahrerlaubnis nur deshalb nicht entzogen worden ist, weil sie zwischenzeitlich auf die Fahrerlaubnis verzichtet haben,
4.
denen auf Grund einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung keine Fahrerlaubnis erteilt werden darf,
5.
solange sie im Inland, in dem Staat, der die Fahrerlaubnis erteilt hatte, oder in dem Staat, in dem sie ihren ordentlichen Wohnsitz haben, einem Fahrverbot unterliegen oder der Führerschein nach § 94 der Strafprozessordnung beschlagnahmt, sichergestellt oder in Verwahrung genommen ist,
6.
die zum Zeitpunkt des Erwerbs der ausländischen EU- oder EWR-Fahrerlaubnis Inhaber einer deutschen Fahrerlaubnis waren,
7.
deren Fahrerlaubnis aufgrund einer Fahrerlaubnis eines Drittstaates, der nicht in der Anlage 11 aufgeführt ist, prüfungsfrei umgetauscht worden ist, oder deren Fahrerlaubnis aufgrund eines gefälschten Führerscheins eines Drittstaates erteilt wurde,
8.
die zum Zeitpunkt der Erteilung einer Fahrerlaubnis eines Drittstaates, die in eine ausländische EU- oder EWR-Fahrerlaubnis umgetauscht worden ist, oder zum Zeitpunkt der Erteilung der EU- oder EWR-Fahrerlaubnis auf Grund einer Fahrerlaubnis eines Drittstaates ihren Wohnsitz im Inland hatten, es sei denn, dass sie die ausländische Erlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeuges als Studierende oder Schüler im Sinne des § 7 Absatz 2 in eine ausländische EU- oder EWR-Fahrerlaubnis während eines mindestens sechsmonatigen Aufenthalts umgetauscht haben, oder
9.
die den Vorbesitz einer anderen Klasse voraussetzt, wenn die Fahrerlaubnis dieser Klasse nach den Nummern 1 bis 8 im Inland nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen berechtigt.
In den Fällen des Satzes 1 kann die Behörde einen feststellenden Verwaltungsakt über die fehlende Berechtigung erlassen. Satz 1 Nummer 3 und 4 ist nur anzuwenden, wenn die dort genannten Maßnahmen im Fahreignungsregister eingetragen und nicht nach § 29 des Straßenverkehrsgesetzes getilgt sind. Satz 1 Nummer 9 gilt auch, wenn sich das Fehlen der Berechtigung nicht unmittelbar aus dem Führerschein ergibt.

(5) Das Recht, von einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis nach einer der in Absatz 4 Nummer 3 und 4 genannten Entscheidungen im Inland Gebrauch zu machen, wird auf Antrag erteilt, wenn die Gründe für die Entziehung oder die Sperre nicht mehr bestehen. Absatz 4 Satz 3 sowie § 20 Absatz 1 und 3 gelten entsprechend.