Ehrenamt: Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung soll ausgeweitet werden

bei uns veröffentlicht am15.12.2008

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Rechtsanwalt

für Familien- und Erbrecht

EnglischDeutsch
Zusammenfassung des Autors
Rechtsanwalt für Versicherungsrecht - S&K Rechtsanwälte in Berlin-Mitte
Das Bundeskabinett hat beschlossen, die gesetzliche Unfallversicherung zu modernisieren. Im „Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Unfallversicherung (UVMG)“ wird der Personenkreis erweitert, der sich gegen Unfälle freiwillig in der gesetzlichen Unfallversicherung versichern kann. Das betrifft insbesondere gemeinnützige Vereine.

Seit 2005 können sich gewählte Ehrenamtsträger in gemeinnützigen Organisationen gegen einen Pauschalbetrag von 2,73 Euro pro Jahr freiwillig versichern. Bisher gilt das aber nur für Inhaber eines offiziellen Wahlamts – also vor allem Vorstandsmitglieder. Künftig sollen den günstigen Versicherungsschutz nicht nur gewählte, sondern auch beauftragte Ehrenamtsträger bekommen. Auch ehrenamtliche Vereinshelfer und engagierte Mitglieder kämen damit in den Genuss aller Leistungen, die die gesetzliche Unfallversicherung bietet. Bisher mussten Vereine dazu meist sehr viel kostenträchtigere Gruppenunfallversicherungen abschließen.


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(1) Das Gericht der Hauptsache kann auf Antrag

1.
in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung haben, die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise anordnen,
2.
in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen,
3.
in den Fällen des § 86a Abs. 3 die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise wiederherstellen.
Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen oder befolgt worden, kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung oder die Anordnung der sofortigen Vollziehung kann mit Auflagen versehen oder befristet werden. Das Gericht der Hauptsache kann auf Antrag die Maßnahmen jederzeit ändern oder aufheben.

(2) Soweit ein Fall des Absatzes 1 nicht vorliegt, kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das Gericht der Hauptsache ist das Gericht des ersten Rechtszugs und, wenn die Hauptsache im Berufungsverfahren anhängig ist, das Berufungsgericht. Die §§ 920, 921, 923, 926, 928, 929 Absatz 1 und 3, die §§ 930 bis 932, 938, 939 und 945 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend.

(3) Die Anträge nach den Absätzen 1 und 2 sind schon vor Klageerhebung zulässig.

(4) Das Gericht entscheidet durch Beschluss.

(1) Das Gesuch soll die Bezeichnung des Anspruchs unter Angabe des Geldbetrages oder des Geldwertes sowie die Bezeichnung des Arrestgrundes enthalten.

(2) Der Anspruch und der Arrestgrund sind glaubhaft zu machen.

(3) Das Gesuch kann vor der Geschäftsstelle zu Protokoll erklärt werden.

(1) Das Gericht der Hauptsache kann auf Antrag

1.
in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung haben, die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise anordnen,
2.
in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen,
3.
in den Fällen des § 86a Abs. 3 die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise wiederherstellen.
Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen oder befolgt worden, kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung oder die Anordnung der sofortigen Vollziehung kann mit Auflagen versehen oder befristet werden. Das Gericht der Hauptsache kann auf Antrag die Maßnahmen jederzeit ändern oder aufheben.

(2) Soweit ein Fall des Absatzes 1 nicht vorliegt, kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das Gericht der Hauptsache ist das Gericht des ersten Rechtszugs und, wenn die Hauptsache im Berufungsverfahren anhängig ist, das Berufungsgericht. Die §§ 920, 921, 923, 926, 928, 929 Absatz 1 und 3, die §§ 930 bis 932, 938, 939 und 945 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend.

(3) Die Anträge nach den Absätzen 1 und 2 sind schon vor Klageerhebung zulässig.

(4) Das Gericht entscheidet durch Beschluss.

(1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die

1.
das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,
2.
erwerbsfähig sind,
3.
hilfebedürftig sind und
4.
ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).
Ausgenommen sind
1.
Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2.
Ausländerinnen und Ausländer,
a)
die kein Aufenthaltsrecht haben oder
b)
deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt,
und ihre Familienangehörigen,
3.
Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes.
Satz 2 Nummer 1 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Abweichend von Satz 2 Nummer 2 erhalten Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach diesem Buch, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. Die Frist nach Satz 4 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

(2) Leistungen erhalten auch Personen, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Dienstleistungen und Sachleistungen werden ihnen nur erbracht, wenn dadurch Hemmnisse bei der Eingliederung der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten beseitigt oder vermindert werden. Zur Deckung der Bedarfe nach § 28 erhalten die dort genannten Personen auch dann Leistungen für Bildung und Teilhabe, wenn sie mit Personen in einem Haushalt zusammenleben, mit denen sie nur deshalb keine Bedarfsgemeinschaft bilden, weil diese aufgrund des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens selbst nicht leistungsberechtigt sind.

(3) Zur Bedarfsgemeinschaft gehören

1.
die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten,
2.
die im Haushalt lebenden Eltern oder der im Haushalt lebende Elternteil eines unverheirateten erwerbsfähigen Kindes, welches das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, und die im Haushalt lebende Partnerin oder der im Haushalt lebende Partner dieses Elternteils,
3.
als Partnerin oder Partner der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten
a)
die nicht dauernd getrennt lebende Ehegattin oder der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte,
b)
die nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartnerin oder der nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartner,
c)
eine Person, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.
4.
die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in den Nummern 1 bis 3 genannten Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können.

(3a) Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird vermutet, wenn Partner

1.
länger als ein Jahr zusammenleben,
2.
mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben,
3.
Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder
4.
befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.

(4) Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht. Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt. Abweichend von Satz 1 erhält Leistungen nach diesem Buch,

1.
wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 des Fünften Buches) untergebracht ist oder
2.
wer in einer stationären Einrichtung nach Satz 1 untergebracht und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist.
Die Sätze 1 und 3 Nummer 2 gelten für Bewohner von Räumlichkeiten im Sinne des § 42a Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und Satz 3 des Zwölften Buches entsprechend.

(4a) (weggefallen)

(5) Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderungsfähig ist, haben über die Leistungen nach § 27 hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Satz 1 gilt auch für Auszubildende, deren Bedarf sich nach § 61 Absatz 2, § 62 Absatz 3, § 123 Nummer 2 sowie § 124 Nummer 2 des Dritten Buches bemisst.

(6) Absatz 5 Satz 1 ist nicht anzuwenden auf Auszubildende,

1.
die aufgrund von § 2 Absatz 1a des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben,
2.
deren Bedarf sich nach den §§ 12, 13 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 oder nach § 13 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bemisst und die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz
a)
erhalten oder nur wegen der Vorschriften zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen nicht erhalten oder
b)
beantragt haben und über deren Antrag das zuständige Amt für Ausbildungsförderung noch nicht entschieden hat; lehnt das zuständige Amt für Ausbildungsförderung die Leistungen ab, findet Absatz 5 mit Beginn des folgenden Monats Anwendung, oder
3.
die eine Abendhauptschule, eine Abendrealschule oder ein Abendgymnasium besuchen, sofern sie aufgrund des § 10 Absatz 3 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben.

(1) Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält.

(2) Bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, sind auch das Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen. Bei unverheirateten Kindern, die mit ihren Eltern oder einem Elternteil in einer Bedarfsgemeinschaft leben und die ihren Lebensunterhalt nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen sichern können, sind auch das Einkommen und Vermögen der Eltern oder des Elternteils und dessen in Bedarfsgemeinschaft lebender Partnerin oder lebenden Partners zu berücksichtigen. Ist in einer Bedarfsgemeinschaft nicht der gesamte Bedarf aus eigenen Kräften und Mitteln gedeckt, gilt jede Person der Bedarfsgemeinschaft im Verhältnis des eigenen Bedarfs zum Gesamtbedarf als hilfebedürftig, dabei bleiben die Bedarfe nach § 28 außer Betracht. In den Fällen des § 7 Absatz 2 Satz 3 ist Einkommen und Vermögen, soweit es die nach Satz 3 zu berücksichtigenden Bedarfe übersteigt, im Verhältnis mehrerer Leistungsberechtigter zueinander zu gleichen Teilen zu berücksichtigen.

(3) Absatz 2 Satz 2 findet keine Anwendung auf ein Kind, das schwanger ist oder sein Kind bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahres betreut.

(4) Hilfebedürftig ist auch derjenige, dem der sofortige Verbrauch oder die sofortige Verwertung von zu berücksichtigendem Vermögen nicht möglich ist oder für den dies eine besondere Härte bedeuten würde.

(5) Leben Hilfebedürftige in Haushaltsgemeinschaft mit Verwandten oder Verschwägerten, so wird vermutet, dass sie von ihnen Leistungen erhalten, soweit dies nach deren Einkommen und Vermögen erwartet werden kann.

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

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Tenor

1. Das Verfahren wird ausgesetzt.

2. Dem Bundesverfassungsgericht wird folgende Frage zur Entscheidung vorgelegt:

Ist § 22 Abs. 1 Satz 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in der Fassung der Bekanntmachung vom 13.05.2011 (BGBI. Nr. 23, S. 868) mit Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG - Sozialstaatlichkeit - und dem sich daraus ergebenden Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar, soweit nach dessen 2. Halbsatz die für die Höhe des Anspruchs auf Grundsicherungsleistungen nach §§ 19 Abs. 1, 19 Abs. 3 S. 1 SGB II maßgeblichen Bedarfe für Unterkunft und Heizung lediglich anerkannt werden, soweit die tatsächlichen Aufwendungen hierfür angemessen sind, ohne dass der Gesetzgeber nähere Bestimmungen darüber getroffen hat, unter welchen Umständen von unangemessenen Aufwendungen auszugehen ist?

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt höhere Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014.

2

Der am … geborene Kläger bezieht seit November 2009 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II vom Beklagten. Zunächst lebte der Kläger gemeinsam mit seiner Mutter in einer 73 m² großen Mietwohnung in …. Mietvertragspartnerin war zunächst die Mutter. Seit deren Tod am … wohnt der Kläger allein in dieser Wohnung.

3

Mit Schreiben vom 05.03.2012 forderte der Beklagte den Kläger zur Senkung seiner Unterkunftskosten auf. Eine Prüfung des Leistungsanspruchs habe ergeben, dass die tatsächlichen Aufwendungen für die Wohnung des Klägers in Höhe von 313 Euro monatlicher Kaltmiete für 73 m² Wohnfläche unangemessen seien. Der Beklagte teilte dem Kläger darüber hinaus mit, dass für ihn und die in seinem Haushalt lebenden Personen eine Kaltmiete von 285 Euro pro Monat angemessen sei, welche sich aus einer maximal zu beanspruchenden Wohnfläche von 50 m² und einem Mietpreis von 5,70 Euro pro Quadratmeter für Wohnraum in … errechne. Die Bemühungen zur Senkung der Kaltmiete solle der Kläger bis spätestens 30.09.2012 belegen und durch Vorlage geeigneter Unterlagen (Zeitungsannoncen, Anzeigenrechnungen, Durchschriften von Schreiben an mögliche Vermieter, Eintragung in die Liste der Wohnungssuchenden usw.) nachweisen. Für den Fall, dass der Kläger nicht zu einer Reduzierung der derzeitigen Unterkunftskosten bereit sei bzw. sein Bemühen bis zum 30.09.2012 nicht glaubwürdig belegen könne, weise der Beklagte darauf hin, dass ab dem 01.10.2012 nur noch angemessene Kaltmietkosten in Höhe des vorstehend ermittelten Betrages bei der Feststellung des Leistungsanspruches berücksichtigt werden könnten.

4

Mit Bescheid vom 21.03.2012 bewilligte der Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 01.05.2012 bis zum 31.10.2012. Für den Monat Oktober 2012 bewilligte der Beklagte Arbeitslosengeld II unter Berücksichtigung einer als angemessen angesehenen Kaltmiete von 285 Euro und teilte dies dem Kläger unter Hinweis auf das Schreiben vom 05.03.2012 mit.

5

Der Kläger schloss am 26.03.2012 mit Wirkung zum 01.04.2012 einen eigenen Mietvertrag mit der …. mbH & Co. Kg über die bereits bewohnte Wohnung. Die Grundmiete betrug zunächst 313,90 Euro, hinzu kamen 118 Euro Betriebskostenvorauszahlung und 33 Euro für eine Garage. Daneben hatte der Kläger monatliche Abschläge in Höhe von zunächst 75 Euro monatlich an den Energieversorger e… GmbH für Heizgaslieferungen zu entrichten.

6

Mit Bescheid vom 03.09.2013 bewilligte der Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 01.10.2013 bis zum 31.03.2014 in monatlicher Höhe von 860 Euro. Hierbei berücksichtigte der Beklagte einen Regelbedarf in Höhe von 382 Euro monatlich, einen Bedarf für die Kosten der Kaltmiete in Höhe von monatlich 285 Euro und Bedarfe für Heizkosten in Höhe von 75 Euro sowie weitere Nebenkosten in Höhe von 118 Euro monatlich.

7

Mit Schreiben vom 23.09.2013 teilte die Vermieterin des Klägers diesem mit, dass die Kaltmiete ab dem 01.01.2014 auf 335,80 Euro erhöht werde. Die Nebenkostenvorauszahlung verbleibe bei 118 Euro, so dass sich eine neue Gesamtmiete von 453,80 Euro ergebe. Die Vermieterin begründete die Erhöhung damit, dass die Grundmiete seit geraumer Zeit nicht erhöht worden sei. In Folge der allgemeinen Preissteigerungen hätten sich die Kosten für die Verwaltung und Instandhaltung erhöht, so dass auch die Vermieterin die Miete gemäß den gesetzlichen Bestimmungen erhöhen müsse. Die Miete dürfe sich gemäß § 558 Abs. 3 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) innerhalb eines Zeitraumes von drei Jahren nicht um mehr als 15 % erhöhen. Gemäß diesen Bestimmungen werde die monatliche Grundmiete für die Wohnung des Klägers von derzeit 4,30 €/m² auf 4,60 €/m² um 0,30 €/m² erhöht. Bei einer Wohnfläche von 73 m² ergebe dies eine monatliche Erhöhung um 21,90 Euro von seither 313,90 Euro auf 335,80 Euro. Dies entspreche einer Erhöhung um 6,98 %.

8

Mit Schreiben vom 20.11.2013 setzte der Energielieferant des Klägers im Rahmen der Verbrauchsabrechnung für den Zeitraum vom 05.10.2012 bis zum 30.09.2013 die monatlichen Abschläge ab Dezember 2013 auf 100 Euro fest, wovon 49 Euro auf Strom und 51 Euro auf Gas entfielen. Gleichzeitig forderte er vom Kläger eine Nachzahlung in Höhe von 190,37 Euro.

9

Der Kläger setzte den Beklagten am 25.11.2013 von der Mieterhöhung in Kenntnis. Zeitgleich übersandte der Kläger die Verbrauchsabrechnung seines Energielieferanten und beantragte die Übernahme des Nachzahlungsbetrags durch den Beklagten.

10

Mit Änderungsbescheid vom 26.11.2013 bewilligte der Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 in Höhe von 785 Euro und für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 in Höhe von 845 Euro monatlich. Hierbei entfielen für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 auf den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts 382 Euro und auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung 403 Euro, für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 jeweils 391 Euro auf den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts und 454 Euro auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung. Zur Begründung der Änderung teilte der Beklagte mit, dass laut Verbrauchsabrechnung im Monat Dezember 2013 keine Gasrate fällig werde. Somit werde im Dezember 2013 keine Gasrate berücksichtigt. Ab Januar erfolge eine Erhöhung der Regelleistung auf 391 Euro.

11

Mit einem weiteren Bescheid vom 26.11.2013 lehnte der Beklagte die Übernahme der Nachzahlung ab. Zur Begründung teilte er mit, dass die bereits berücksichtigten Gaskosten den tatsächlichen Gaskosten gegenübergestellt worden seien. Hieraus ergebe sich kein Nachzahlungsbetrag.

12

Mit einem weiteren Änderungsbescheid vom 26.11.2013 hob der Beklagte den Bescheid vom gleichen Tag teilweise auf und bewilligte dem Kläger für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 Arbeitslosengeld II in Höhe von 836 Euro, wobei 382 Euro auf den Regelbedarf und 454 Euro auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung entfielen. Zur Begründung teilte der Beklagte mit, dass die neue monatliche Gasrate von 51 Euro berücksichtigt werde. Für den Monat Dezember 2013 würden die Leistungen auf Grund einer Aufrechnung bzw. Tilgung in Höhe von 60 Euro an die Zentralkasse der Bundesagentur für Arbeit geleistet, in Höhe von 464,90 Euro an die Vermieterin des Klägers und in Höhe von 311,10 Euro an den Kläger selbst.

13

Gegen "den Änderungsbescheid vom 26.11.2013" erhob der Kläger mit Schreiben vom 29.11.2013, eingegangen beim Beklagten am 02.12.2013, Widerspruch. Zur Begründung führte er aus, dass er sich schon seit zwei Jahren um eine günstige Zweizimmerwohnung bemühe, dies auf dem privaten Wohnungsmarkt aber unter 350 bis 390 Euro überhaupt nicht möglich sei. Auch bei der ... habe er sich vormerken lassen, dort seien schon 500 bis 550 Suchende vorgemerkt. Weiterhin mache er darauf aufmerksam, dass er einen gesetzlichen Anspruch auf den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 382 Euro bzw. 391 Euro monatlich habe, den er in den letzten Jahren nie gehabt habe, weil er immer wieder Darlehensbeträge an die Zentralkasse habe zurückzahlen müssen.

14

Mit Bescheid vom 17.12.2013 bewilligte ... dem Kläger eine bis zum 30.11.2015 befristete Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung in Höhe eines Zahlbetrags von monatlich 573,24 Euro ab dem 01.02.2014 nach Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen am 23.07.2013. Der Beklagte erhielt hierüber im Zuge der Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs am 23.12.2013 eine Mitteilung durch die ....

15

Mit Änderungsbescheid vom 06.01.2014 bewilligte der Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 in Höhe von 836,50 Euro und für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 in Höhe von 845,50 Euro monatlich. Hierbei entfielen für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 382 Euro auf den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts und 454,50 Euro auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung, für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 jeweils 391 Euro auf den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts und 454,50 Euro auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung. Zur Begründung teilte der Beklagte mit, dass sich der geringfügig geänderte Betrag aus einem neuen schlüssigen Konzept ergebe. Dieser Bescheid wurde laut Aktenvermerk "an RA gesendet".

16

Mit Widerspruchsbescheid vom 09.01.2014 (Az. W-52704-00887/13) wies der Beklagte den Widerspruch gegen den Änderungsbescheid vom 26.11.2013 zurück. Der Kläger sei bereits mit Schreiben vom 05.03.2012 darauf aufmerksam gemacht worden, dass seine Unterkunftskosten aus beihilferechtlicher Sicht unangemessen seien und nicht dauerhaft übernommen werden könnten. Er sei dazu aufgefordert worden, sich um Anmietung kostengünstigeren Wohnraums zu bemühen oder seine Unterkunftskosten auf andere Art zu reduzieren. Nachweise für Bemühungen um Kostensenkung seien nicht vorgelegt worden. Ab dem 01.10.2012 sei die Kaltmiete des Klägers bei der Ermittlung des Bedarfs mit 285 Euro berücksichtigt worden.

17

Bedarfe für Unterkunft und Heizung würden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen seien. Soweit die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang überstiegen, seien sie als Bedarf so lange anzuerkennen, wie es der oder dem alleinstehenden Leistungsberechtigten oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten sei, durch Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. Die Wohnung des Klägers sei nicht kostenangemessen. Zur Bestimmung der angemessenen Unterkunftskosten sei ein schlüssiges Konzept erarbeitet worden. Die Verbandsgemeinden und Städte im Zuständigkeitsbereich des Beklagten seien nach den Kriterien Bevölkerungsentwicklung, Bevölkerungsdichte, zu versteuerndem Einkommen pro Steuerpflichtigem, Siedlungsstruktur, Neubautätigkeit, Bodenpreis und Zentralität in drei Cluster eingeteilt worden. … gehöre auf Grund der durchschnittlichen Bevölkerungsentwicklung und Zentralität, überdurchschnittlichen Bevölkerungsdichte, Siedlungsstruktur und Bodenpreise, unterdurchschnittlichem Pro-Kopf-Einkommen und unterdurchschnittlicher Neubautätigkeit ebenso wie die Stadt … dem Wohnungsmarkttyp I an. Die Bestandsmieten für Wohnungen in allen Verbandsgemeinden und Städten aller drei Wohnungsmarkttypen seien durch Anfragen bei großen Vermietern und 2.000 stichprobenartigen Anschreiben an kleine Vermieter erhoben worden. Von den Anfragen an kleine Vermieter seien 750 auf den Wohnungsmarkttyp II entfallen. Von den rund 54.500 Mietwohnungen im Zuständigkeitsbereich des Beklagten seien für 779 plausible und relevante Werte ermittelt worden, von denen nach Kappung der Extremwerte 728 in die weitere Auswertung einbezogen worden seien. Für alle Wohnungsgrößengruppen in allen Wohnmarkttypen seien mindestens 20 gültige Mietwerte erhoben worden. Für den Wohnungsmarkt u.a. der Stadt … habe sich nach alldem in der 40-%-Perzentile eine durchschnittliche Nettokaltmiete für Wohnungen der hier interessierenden Größe von bis zu 50 m² von 5,70 Euro/m² bzw. bei einer Wohnungsgröße von 50 m² eine Nettokaltmiete von 285,50 Euro ergeben. Der Anteil der Bedarfsgemeinschaften betrage im gesamten Zuständigkeitsbereich des Beklagten ca. 4,5 % an allen Haushalten, der Anteil der einkommensschwachen Haushalte betrage ca. 8 %. Durch Berücksichtigung der 40 %-Perzentile werde vor diesem Hintergrund eine Ghettobildung vermieden und die Versorgung der Bedarfsgemeinschaften und Niedriglohnempfänger mit kostenangemessenem Wohnraum sichergestellt.

18

Die Vorlage einer Reihe von Wohnungsangeboten aus dem Internetangebot von www.immobilien-scout24.de sei nicht geeignet, die Angemessenheit einer Unterkunft zu begründen. Die Vorlage diverser Wohnungsanzeigen belege ebenfalls nicht ausreichende Eigenbemühungen zur Senkung der Unterkunftskosten. Es bestehe auch nicht ausnahmsweise ein Anspruch auf Zusicherung der Übernahme höherer als angemessener Kosten. Insbesondere seien keine Tatsachen erkennbar, die den sicheren Rückschluss darauf zuließen, dass der Kläger die Wohnung in absehbarer Zeit aus eigenen Mitteln werde finanzieren können. Auch aus sonstigen Gründen sei ein Ausscheiden aus dem Leistungsbezug nach dem SGB II nicht absehbar. Die weiteren Unterkunftskosten, nämlich Heiz- und Betriebskosten, seien in tatsächlicher Höhe berücksichtigt worden.

19

Der Widerspruchsbescheid wurde laut Aktenvermerk am 10.01.2014 in den Hausbriefkasten des Klägers eingeworfen.

20

Gegen den Änderungsbescheid vom 06.01.2014 erhob der Kläger mit Schreiben vom 13.01.2014 Widerspruch (Eingang beim Beklagten am 14.01.2014).

21

Mit Änderungsbescheid vom 15.01.2014 hob der Beklagte den Bescheid vom 06.01.2014 teilweise auf und bewilligte dem Kläger für den Zeitraum vom 01.02.2014 bis zum 31.03.2014 nur noch einen Betrag von 302,26 Euro (Bedarfe für Unterkunft und Heizung) monatlich. Zur Begründung teilte er mit, dass die von der ... gewährte Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung in Höhe von 543,24 Euro monatlich als Einkommen berücksichtigt werde. Die Entscheidung beruhe auf § 48 Abs. 1 S. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) in Verbindung mit § 40 Abs. 1 S. 1 SGB II. Die Entscheidung vom 06.01.2014 sei mit Wirkung für die Zukunft im Zeitraum vom 01.02.2014 bis zum 31.03.2014 teilweise aufzuheben, da eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen eingetreten sei.

22

Mit Widerspruchsbescheid vom 16.01.2014 (Az. W-52704-00027/14) verwarf der Beklagte den Widerspruch gegen den Änderungsbescheid vom 06.01.2014 als unzulässig. Der Bescheid vom 06.01.2014 sei Gegenstand des Widerspruchsverfahrens W-52704-00887/13 geworden und könne nicht in einem weiteren neuen Widerspruchsverfahren isoliert angefochten werden.

23

Am 17.01.2014 beantragte der Kläger beim Beklagten die Gewährung eines Darlehens in Höhe von 600 Euro mit monatlicher Tilgung von 30 Euro ab März 2014. Der Kläger begründete den Antrag damit, dass er seine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung erst Ende Februar 2014 erhalte und deshalb nicht in der Lage sei, seinen Verpflichtungen nachzukommen.

24

Mit Bescheid vom 24.01.2014 bewilligte der Beklagte dem Kläger das beantragte Darlehen über 600 Euro gegen monatliche Tilgungsraten von 30 Euro ab dem 01.02.2014, die gegen die laufenden Leistungen aufgerechnet werden sollten.

25

Mit Schreiben vom 26.01.2014 (Eingang beim Beklagten am 27.01.2014) erhob der Kläger Widerspruch gegen den Änderungsbescheid vom 15.01.2014. Zur Begründung teilte er mit, dass für Versicherungen nur ein Pauschalbetrag von 30 Euro berücksichtigt worden sei. Tatsächlich habe er Beträge für Versicherungen in Höhe von 35,19 Euro monatlich zu zahlen (Hausratversicherung: 5,01 Euro, Haftpflichtversicherung: 8,01 Euro, Glasversicherung: 3,20 Euro, Kfz-Haftpflichtversicherung: 18,97 Euro). Der Kläger legte Nachweise hierfür vor.

26

Mit Änderungsbescheid vom 30.01.2014 bewilligte der Beklagte dem Kläger Leistungen für den Zeitraum vom 01.02.2014 bis zum 31.03.2014 in Höhe von 321,23 Euro monatlich (Bedarfe für Unterkunft und Heizung) und hob den Änderungsbescheid vom 15.01.2014 insoweit auf. Zur Begründung teilte der Beklagte mit, dass auf Grund der Berücksichtigung der Kfz-Haftpflichtversicherung als Absetzungsbetrag für den genannten Zeitraum 18,97 Euro monatlich mehr als bisher bewilligt würden.

27

Der Kläger hat am 10.02.2014 Klage erhoben. Zur Begründung führt er aus, dass es sich bei seiner Wohnung um eine angemessene Wohnung handele. Unabhängig davon bemühe er sich schon seit zwei Jahren um eine noch günstigere Wohnung. Die Mietpreise beliefen sich auf dem privaten Wohnungsmarkt jedoch zwischen 350 Euro und 390 Euro. Ferner habe er sich bei der … & Co. KG für eine Zweizimmerwohnung vormerken lassen. Zu beachten sei jedoch, dass bereits etwa 500 bis 550 Suchende vorgemerkt seien. Im Übrigen sei ihm ein Umzug auch subjektiv nicht zumutbar, jedenfalls nicht in eine beliebige Wohnung. Er leide an Asthma und Atemnot. Ferner habe er gesundheitliche Probleme am rechten Bein. Dort klemme sich ein Nerv in die Leiste ein, insbesondere bei Belastung des Beins. Daneben bestünden Schwerhörigkeit und Gleichgewichtsstörungen. Er beziehe daher seit Februar 2014 ein Erwerbsunfähigkeitsrente, die vorerst befristet sei. Auf Grund seines gesundheitlichen Zustands könne er einen Umzug derzeit auch nicht selbst durchführen. Er sei nicht belastbar. Die Umzugskosten müssten ebenfalls vom Beklagten getragen werden. Auch die Möbel seien nicht umzugsfähig, so dass er sich auch diesbezüglich an den Beklagten wenden müsste. Ein Umzug wäre daher insgesamt unwirtschaftlich.

28

Mit Widerspruchsbescheid vom 13.02.2014 (W-52704-00074/14) verwarf der Beklagte den Widerspruch vom 26.01.2014 gegen den Bescheid vom 15.01.2014 als unzulässig. Der Bescheid vom 15.01.2014 sei Gegenstand des vorliegenden Klageverfahrens geworden und könne nicht in einem weiteren neuen Widerspruchsverfahren isoliert angefochten werden.

29

Mit Bescheid vom 25.02.2014 bewilligte der Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 01.04.2014 bis zum 30.09.2014.

30

Mit Änderungsbescheid vom 26.03.2014 hob der Beklagte die Bescheide vom 26.11.2013, 06.01.2014, 15.01.2014 und 30.01.2014 teilweise auf und bewilligte dem Kläger Arbeitslosengeld II für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 in Höhe von 840,72 Euro, für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.01.2014 in Höhe von 849,72 Euro und für den Zeitraum vom 01.02.2014 bis zum 31.03.2014 in Höhe von 325,45 Euro monatlich. Hierbei entfielen für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 382 Euro auf den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts und 458,72 Euro auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung, für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.01.2014 391 Euro auf den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts und 458,72 Euro auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung sowie für den Zeitraum vom 01.02.2014 bis zum 31.03.2014 325,45 Euro ausschließlich auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung. Zur Begründung teilte der Beklagte mit, dass Beheizung und Wassererwärmung über eine Kombigastherme erfolgten und deshalb zusätzliche Heizkosten anerkannt würden. Der Beklagte schlüsselte die auf die Unterkunfts- und Heizungskosten entfallenden Bedarfspositionen wie folgt auf: Grundmiete 285,50 Euro, Heizung 51,00 Euro, Nebenkosten 118,00 Euro, zusätzliche Stromkosten Heizung 4,22 Euro.

31

Im Laufe des Klageverfahrens hat der Kläger seinen Vortrag dahingehend erweitert, dass die Berücksichtigung eines Betrags von 4,22 Euro an Stromkosten im Rahmen der Kosten der Unterkunft und Heizung für den Betrieb der Gastherme und der Zeitschaltuhr nicht ausreichend sei. Die Gastherme sei für die Warmwasseraufbereitung ganzjährig in Betriebsbereitschaft, im Heizungsbetrieb laufe sie für sechs bis sieben Monate im Jahr. Die Zeitschaltuhr laufe das ganze Jahr über. Mit Strom versorgt würden die elektronische Steuerung der Therme, die Heizungsumwälzungspumpe, die elektronische Zündung und die Zeitschaltuhr.

32

Dem Kläger entstünden auch erhebliche Mehrkosten für die Lebensführung und Ernährung auf Grund seines im März 2014 erstdiagnostizierten Diabetes mellitus Typ II.

33

Der Kläger beantragt,

34

den Beklagten unter Abänderung der Bescheide vom 26.11.2013 und 06.01.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.01.2014 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 15.01.2014, 30.01.2014 und 26.03.2014 zu verurteilen, dem Kläger höhere Leistungen für Unterkunft und Heizung ab dem 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 zu bewilligen und zu zahlen.

35

Der Beklagte beantragt,

36

die Klage abzuweisen.

37

Zur Begründung verweist er auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid. Darüber hinaus weist der Beklagte auf die Kostensenkungsaufforderung vom 05.03.2012 hin und äußert die Auffassung, dass die gesundheitlichen Einschränkungen des Klägers keinen erhöhten Wohnflächenbedarf begründeten. Auch sei eine Kostensenkung durch Umzug nicht unwirtschaftlich. Im Übrigen sei § 22 Abs. 1 S. 4 SGB II nicht drittschützend.

38

Der Beklagte hat dem Gericht ein "Schlüssiges Konzept zur Ermittlung der KdU-Kosten im …" vorgelegt. Dieses Konzept wurde von der Firma ...), im Juni 2013 erstellt. Zur Erstellung des Konzeptes hat … in einem ersten Schritt Wohnungsmarkttypen zur regionalen Differenzierung des Kreisgebiets gebildet, in einem zweiten Schritt eine (nach eigenen Angaben) repräsentative Erhebung von Bestandsmieten durchgeführt, in einem dritten Schritt aktuelle Bestandsmieten erhoben und abschließend regionalisierte Mietpreisobergrenzen unter Einbeziehung von Bestands- und Angebotsmieten "ermittelt". Das Konzept sieht eine Aufteilung des Kreisgebietes in drei Wohnungsmarkttypen vor, für die jeweils eigene Mietobergrenzen gelten sollen. Der Wohnungsmarkttyp I umfasst die Städte … und …, der Wohnungsmarkttyp II die Verbandsgemeinden … und W… und der Wohnungsmarkttyp III die Verbandsgemeinden …. Diese Wohnungsmarkttypen wurden mittels einer Clusteranalyse auf Basis verschiedener Indikatoren (Bevölkerungsentwicklung, Bevölkerungsdichte, Siedlungsstruktur, Pro-Kopf-Einkommen, Neubautätigkeit, Bodenpreis, Zentralität) gebildet. ... erhob sodann Daten von Bestands- und Angebotsmieten und wertete diese bezogen auf Wohnungsmarkttypen und Wohnflächenklassen aus. Das Konzept sieht im Ergebnis eine Angemessenheitsgrenze für die Nettokaltmiete in Höhe von 285,50 Euro für Einpersonenhaushalte im Wohnort des Klägers … vor.

39

Zur weiteren Darstellung des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Prozessakte einschließlich des von … erstellten Konzeptes und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten (zwei Bände) verwiesen.

Entscheidungsgründe

A.

40

Der Rechtsstreit ist gemäß Art. 100 Abs. 1 S. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. §§ 13 Nr. 11, 80 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) auszusetzen und es ist eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) darüber einzuholen, ob die §§ 19 Abs. 1, 19 Abs. 3 S. 1, 22 Abs. 1 S. 1 SGB II in der Fassung der Bekanntmachung vom 13.05.2011 (BGBl. I Nr. 23, S. 868) insoweit mit Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG - Sozialstaatlichkeit - und dem sich daraus ergebenden Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar sind, als die für die Höhe der Grundsicherungsleistungen maßgeblichen Bedarfe für Unterkunft und Heizung lediglich in Höhe eines als "angemessen" bezeichneten Teils der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt werden.

41

Der Befund der Verfassungswidrigkeit basiert auf der Überzeugung der Kammer, dass es dem Gesetzgeber verwehrt ist, die Höhe des Anspruchs auf Leistungen zur Existenzsicherung im Bereich der Unterkunftsbedarfe ausschließlich unter Verwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „Angemessenheit“ zu begrenzen (vgl. auch die bereits anhängigen Urteilsverfassungsbeschwerden 1 BvR 617/14 und 1 BvR 944/14).

42

Nach Art. 100 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GG (konkrete Normenkontrolle) hat ein Gericht das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des BVerfG einzuholen, wenn es ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig hält. Gemäß § 80 Abs. 2 S. 1 BVerfGG ist zu begründen, inwiefern von der Gültigkeit der Rechtsvorschrift die Entscheidung des Gerichts abhängig und mit welcher übergeordneten Rechtsnorm die Vorschrift unvereinbar ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 06.11.2014 - 2 BvL 2/11 - Rn. 5 - alle Gerichtsentscheidungen zitiert nach juris, wenn nicht anders angegeben). Die Voraussetzungen für ein konkretes Normenkontrollverfahren sind vorliegend erfüllt.

I.

43

Die Zuständigkeit des BVerfG ist gegeben, da das vorlegende Gericht ein Bundesgesetz für mit dem Grundgesetz nicht vereinbar hält (Art. 100 Abs. 1 S. 1 Var. 2 GG).

II.

44

Die vorlegende Kammer ist als Spruchkörper des Sozialgerichts Mainz ein vorlageberechtigtes Gericht im Sinne des Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG.

III.

45

Bei der als verfassungswidrig gerügten Vorschrift des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II handelt es sich um ein formelles, nachkonstitutionelles Bundesgesetz. Somit liegt ein vorlagefähiger Gegenstand vor.

IV.

46

Die Kammer ist von der Verfassungswidrigkeit des Gesetzes überzeugt.

47

Der für die Höhe der zu berücksichtigenden Unterkunftsbedarfe - abgesehen von der Beschränkung auf die tatsächlichen Aufwendungen - nach dem Gesetz allein maßgebliche Begriff der "Angemessenheit" verfügt nicht über eine hinreichende Aussagekraft, um den aus dem Demokratieprinzip resultierenden Bestimmtheitserfordernissen einer gesetzgeberischen Gestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09) zu genügen. Aus diesem Grund ist auch eine verfassungsrechtliche Überprüfung des Gesetzes im Wege der Evidenzkontrolle hinsichtlich der Wahrung des Existenzminimums (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 141 und Rn. 151 ff.) von vornherein ausgeschlossen. Für eine Prüfung der Grundlagen und der Methode der Leistungsbemessung (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 142 ff. und Rn. 159 ff.) fehlt es gleichfalls an einem hinreichend bestimmten gesetzlichen Anspruch als Bezugspunkt. Die diesbezüglich durch das BVerfG entwickelten Minimalanforderungen sind schon deshalb nicht gewahrt, weil der Gesetzgeber bezogen auf Unterkunftsbedarfe das Ziel, ein menschenwürdiges Dasein zu sichern, nicht in einer Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG gerecht werdenden Weise erfasst und umschrieben und weder ein zur Bemessung des Existenzminimums im Grundsatz taugliches Berechnungsverfahren gewählt noch die hierfür erforderlichen Tatsachen ermittelt hat (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 143).

48

Die Kammer hat sich mit der Frage der Verfassungswidrigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II einschließlich der Möglichkeit der verfassungskonformen Auslegung und der zu dieser Thematik veröffentlichten Rechtsprechung und Literatur ausführlich auseinandergesetzt.

49

Der Begriff der Angemessenheit im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II wurde durch Rechtsprechung und Literatur in zahlreichen Entscheidungen und Beiträgen konkretisiert, wobei nach Erlass des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.) die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Regelung bzw. einer möglichen verfassungskonformen Auslegung thematisiert wurde.

50

1. Die für die Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) zuständigen Senate des Bundessozialgerichts (BSG) haben ihre Rechtsprechung zur Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zunächst weitgehend ohne ausdrückliche Anbindung an verfassungsrechtliche Fragestellungen (vgl. aber BSG, Urteil vom 16.12.2008 - B 4 AS 1/08 R - Rn. 15) entwickelt und sich hierbei an der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zum früheren Bundessozialhilfegesetz (BSHG) orientiert (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 17). Das BSG hat den Begriff der "Angemessenheit" des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II bis zum Urteil des BVerfG vom 09.02.2010 in zahlreichen Entscheidungen konkretisiert (u.a. BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 17 ff.; BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - Rn. 24 ff.; BSG, Urteil vom 15.04.2008 - B 14/7b AS 34/06 R; BSG, Urteil vom 18.06.2008 - B 14/11b AS 44/06 R; BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R; BSG, Urteil vom 20.08.2009 - B 14 AS 41/08 R; BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R; BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 70/08 R; BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R; BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R) und hierbei die Anforderungen an die zur Entscheidung berufenen Leistungsträger und Tatsachengerichte allmählich verfeinert (vgl. Berlit, info also 2010, S. 195; umfassende Darstellungen auch bei Boerner in: Löns/Herold-Tews, SGB II, § 22 Rn. 6 ff., 3. Auflage 2011; Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 44 ff., 5. Auflage 2013; Lauterbach in: Gagel SGB II / SGB III, § 22 SGB II Rn. 33 ff., 55. Ergänzungslieferung 2014; Piepenstock in jurisPK-SGB II, § 22 Rn. 65 ff., 3. Auflage 2012, Stand: 01.12.2014; Wiemer, NZS 2012, S. 9 ff.).

51

1.1 Das BSG geht demnach davon aus, dass § 22 SGB II mit seinen tatbestandlichen Voraussetzungen an die sozialhilferechtlichen Regelungen anknüpfe (BSG, Urteil vom 23.11.2006 - B 11b AS 3/05 R - Rn. 15).

52

Es ist darüber hinaus der Auffassung, der Begriff der "Angemessenheit" unterliege als unbestimmter Rechtsbegriff der uneingeschränkten richterlichen Kontrolle (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - Rn. 21 ff.). Ein Beurteilungsspielraum sei dem Leistungsträger nicht zuzubilligen. Folgerichtig hat das BSG in den beiden Urteilen, die zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen nach § 22 Abs. 1 S. 1 2. Hs. SGB II bisher ergangen sind und (anders als alle anderen etwa 40 Entscheidungen) nicht zu einer Zurückverweisung an die Tatsacheninstanz führten, nicht die ursprüngliche Konzeption des Leistungsträgers auf deren Schlüssigkeit, sondern die Verifikation der Angemessenheitsgrenzen anhand eigener Ermittlungen und Wertungen durch die Tatsacheninstanzen geprüft (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - Rn. 24 ff.; BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 77/12 R - Rn. 26 und Rn. 28).

53

Der Begriff der Angemessenheit soll nach dem BSG in einem mehrstufigen Verfahren weiter konkretisiert werden, wonach in einem ersten Schritt eine abstrakt angemessene Wohnungsgröße und ein angemessener Wohnungsstandard festzustellen, in einem zweiten Schritt ein räumlicher Vergleichsmaßstab zu bilden, in einem weiteren Schritt mit Hilfe eines "schlüssigen Konzepts" des Leistungsträgers die Höhe der Kosten für eine angemessene Wohnung auf dem für den Hilfebedürftigen maßgeblichen Wohnungsmarkt zu ermitteln und abschließend zu prüfen sei, ob eine abstrakt angemessene Wohnung durch den Hilfesuchenden konkret hätte angemietet werden können (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 22; BSG, Urteil vom 20.08.2009 - B 14 AS 41/08 R - Rn. 14). Im Streitfall sei das der Bestimmung der Kosten zu Grunde liegende Konzept von den Gerichten in vollem Umfang zu überprüfen und gegebenenfalls ein solches Konzept durch eigene Ermittlungen zu ergänzen (BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 2/10 R - Rn. 16).

54

Die angemessene Wohnfläche bestimmt das BSG bezogen auf die Anzahl der Personen in der Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 SGB II (BSG, Urteil vom 18.06.2008 - B 14/11b AS 61/0AS 61/06 - Rn. 21) anhand der Verwaltungsvorschriften zur Förderungsfähigkeit im sozialen Wohnungsbau, die die Länder nach § 10 WoFG als Förderhöchstgrenze festsetzen dürfen. Dies führt teilweise zu Abweichungen bezüglich der als angemessen angesehenen Wohnfläche zwischen den Bundesländern (vgl. zu Einpersonenhaushalten: BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R - Rn. 21 - Baden-Württemberg; BSG, Urteil vom 26.05.2011 - B 14 AS 132/10 R - Rn. 20 - Bremen; BSG, Urteil vom 16.05.2012 - B 4 AS 109/11 R - Rn. 17 - Nordrhein-Westfalen; Übersicht bei Boerner in: Löns/Herold-Tews, SGB II, § 22 Rn. 25, 3. Auflage 2011).

55

Zur Abgrenzung des räumlichen Vergleichsmaßstabs ist nach der Rechtsprechung des BSG ein "Vergleichsraum" zu bilden, der Bezugspunkt für die Ermittlung der tatsächlichen Verhältnisse auf dem Wohnungsmarkt und für den als angemessen anzunehmenden Quadratmetermietpreis sein soll. Mit dem Vergleichsraum soll beschrieben werden, welche ausreichend großen Räume der Wohnbebauung auf Grund ihrer räumlichen Nähe zueinander, ihrer Infrastruktur und insbesondere ihrer verkehrstechnischen Verbundenheit einen insgesamt betrachtet homogenen Lebens- und Wohnbereich bilden (BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 21). Bei kreisfreien Städten hat das BSG bislang in jedem entscheidungserheblichen Fall angenommen, dass der Vergleichsraum mit dem Stadtgebiet identisch sei (vgl. BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 2/10 R - Rn. 18 - Berlin - einerseits und BSG, Urteil vom 18.02.2010 - B 14 AS 73/08 R - Rn. 25 - Zweibrücken - andererseits).

56

Der angemessene Wohnungsstandard wird durch das BSG dahingehend weiter konkretisiert, dass lediglich ein einfacher und im unteren Marktsegment liegender Ausstattungsgrad der Wohnung vorliegen solle (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - Rn. 24), bzw. dass die Aufwendungen für die Wohnung nur dann angemessen seien, wenn diese nach Ausstattung, Lage und Bausubstanz einfachen und grundlegenden Bedürfnissen genüge und keinen gehobenen Wohnstandard aufweise und es sich um eine Wohnung mit bescheidenem Zuschnitt handle (BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 14). Dieser Wohnstandard solle sich im Quadratmetermietpreis niederschlagen, welcher gemeinsam mit der angemessenen Wohnungsgröße einen der beiden Faktoren für die abstrakte Angemessenheitsgrenze bilde (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 17). Die "Ermittlung" des angemessenen Quadratmetermietpreises ist der eigentliche Gegenstand der Rechtsprechung zum "schlüssigen Konzept" (vgl. BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 17 ff.). Hierdurch soll unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse ein gleichmäßiges Verwaltungshandeln innerhalb eines Vergleichsraums gewährleistet werden (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 18).

57

Für die konkrete Bestimmung der Angemessenheitsgrenze seien auf Grundlage eines "schlüssigen Konzepts" Daten über den örtlichen Wohnungsmarkt zu erheben. Ein qualifizierter Mietspiegel könne hierfür die Grundlage sein. Hierbei stellt das BSG zahlreiche qualitative Anforderungen auf und verlangt "Angaben über die gezogenen Schlüsse". Unter dem "schlüssigen Konzept" versteht das BSG ein planmäßiges Vorgehen des Grundsicherungsträgers im Sinne der systematischen Ermittlung und Bewertung genereller, wenngleich orts- und zeitbedingter Tatsachen für sämtliche Anwendungsfälle im maßgeblichen Vergleichsraum und nicht nur ein punktuelles Vorgehen von Fall zu Fall (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 19). Schlüssig sei das Konzept, wenn es mindestens die folgenden Voraussetzungen erfülle (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 19):

58

Die Datenerhebung darf ausschließlich in dem genau eingegrenzten und muss über den gesamten Vergleichsraum erfolgen (keine Ghettobildung),

59

es bedarf einer nachvollziehbaren Definition des Gegenstandes der Beobachtung, z.B. welche Art von Wohnungen - Differenzierung nach Standard der Wohnungen, Brutto- und Nettomiete , Differenzierung nach Wohnungsgröße,
Angaben über den Beobachtungszeitraum,
Festlegung der Art und Weise der Datenerhebung (Erkenntnisquellen, z.B. Mietspiegel),
Repräsentativität des Umfangs der eingezogenen Daten,
Validität der Datenerhebung,
Einhaltung anerkannter mathematisch-statistischer Grundsätze der Datenauswertung und
Angaben über die gezogenen Schlüsse (z.B. Spannoberwert oder Kappungsgrenze)."

60

Die Verwaltung sei mangels normativer Vorgaben durch den Gesetz- und Verordnungsgeber nicht auf eine bestimmte Vorgehensweise festgelegt (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 20). Ein schlüssiges Konzept, welches vorrangig der Grundsicherungsträger vorzulegen habe, müsse grundsätzlich bereits im Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung vorliegen (BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 2/10 R - Rn. 21).

61

Das Produkt aus angemessenem Quadratmetermietpreis und angemessener Wohnungsgröße ergebe die für die Bestimmung der angemessenen Unterkunftskosten maßgebliche Mietobergrenze (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 20).

62

Für den Fall, dass ein schlüssiges Konzept für den festgelegten Vergleichsraum nicht erarbeitet werden könne, seien grundsätzlich die tatsächlichen Aufwendungen zu übernehmen. Diese würden dann für den streitigen Zeitraum durch die Tabellenwerte aus § 8 Abs. 1 Wohngeldgesetz (WoGG) in der bis zum 31.12.2008 geltenden Fassung (rechte Spalte) bzw. § 12 Abs. 1 WoGG in den ab dem 01.01.2009 geltenden Fassungen zuzüglich eines Sicherheitszuschlags von 10 % im Sinne einer Angemessenheitsobergrenze gedeckelt (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 27; BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - Rn. 27; BSG, Urteil vom 22.03.2012 - B 4 AS 16/11 R - Rn. 24; BSG, Urteil vom 11.12.2012 - B 4 AS 44/12 R - Rn. 19).

63

1.2 Das Urteil des BVerfG vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.) wurde in den seither ergangenen Entscheidungen des BSG zur Frage der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft und Heizung zunächst nicht rezipiert (vgl. BSG, Urteil vom 18.02.2010 - B 14 AS 74/08 R; BSG, Urteil vom 18.02.2010 - B 14 AS 73/08 R; BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 65/09 R; BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 15/09 R; BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 50/10 R; BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 2/10 R; BSG, Urteil vom 06.04.2011 - B 4 AS 119/10 R; BSG, Urteil vom 13.04.2011 - B 14 AS 106/10 R; BSG, Urteil vom 13.04.2011 - B 14 AS 32/09 R; BSG, Urteil vom 13.04.2011 - B 14 AS 85/09 R; BSG, Urteil vom 26.05.2011 - B 14 AS 86/09 R; BSG, Urteil vom 26.05.2011 - B 14 AS 132/10 R; BSG, Urteil vom 23.08.2011 - B 14 AS 91/10 R; BSG, Urteil vom 06.10.2011 - B 14 AS 131/10 R; BSG, Urteil vom 20.12.2011 - B 4 AS 19/11 R; BSG, Urteil vom 22.03.2012 - B 4 AS 16/11 R; BSG, Urteil vom 16.05.2012 - B 4 AS 109/11 R; BSG, Urteil vom 22.08.2012 - B 14 AS 13/12 R; BSG, Urteil vom 11.12.2012 - B 4 AS 44/12 R; BSG, Urteil vom 14.02.2013 - B 14 AS 61/12 R; BSG, Urteil vom 16.04.2013 - B 14 AS 28/12 R; BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 4/13 R; BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 77/12 R; BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R; BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 42/13 R; BSG, Urteil vom 06.08.2014 - B 4 AS 37/13 R). Erwähnung (ohne inhaltliche Auseinandersetzung) fand es lediglich im Urteil des 14. Senats vom 13.04.2011 (B 14 AS 106/10 R - Rn. 40). Dies hat sich erst in jüngerer Zeit geändert, zuerst in Bezug auf Heizkosten (BSG, Urteil vom 12.06.2013 - B 14 AS 60/12 R - Rn. 21), dann im Zusammenhang mit Satzungen, die auf Grund landesrechtlicher Ermächtigungen nach den §§ 22a bis 22c SGB II erlassen wurden (BSG, Urteil vom 17.10.2013 - B 14 AS 70/12 R - Rn. 30, 33 und 34 ff.; BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 53/13 R - Rn. 38).

64

Die Frage, ob § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II bzw. die hierzu ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar ist, hat das BSG bislang in Urteilen nicht thematisiert. Allerdings haben beide derzeit zuständigen Senate des BSG in mehreren Fällen Nichtzulassungsbeschwerden als unzulässig verworfen, die auf eine Klärung dieser Rechtsfragen abzielten (BSG, Beschluss vom 10.01.2014 - B 4 AS 379/13 B - BeckRS 2014, 65972; BSG, Beschluss vom 10.01.2014 - B 4 AS 382/13 B - BeckRS 2014, 65975; BSG, Beschluss vom 10.01.2014 - B 4 AS 383/13 B - BeckRS 2014, 65976; BSG, Beschluss vom 27.01.2014 - B 14 AS 317/13 B - BeckRS 2014, 66500; BSG, Beschluss vom 27.01.2014 - B 14 AS 318/13 B - BeckRS 2014, 66877; BSG, Beschluss vom 17.02.2014 - B 14 AS 355/13 B - BeckRS 2014, 66962; BSG, Beschluss vom 07.04.2014 - B 14 AS 311/13 B).

65

Den Entscheidungen des BSG und den Verlautbarungen von den Grundsicherungssenaten des BSG angehörigen Richterinnen in Literaturbeiträgen (vgl. BSG, Urteil vom 12.06.2013 - B 14 AS 60/12 R - Rn. 21; BSG, Urteil vom 17.10.2013 - B 14 AS 70/12 R - Rn. 33; Knickrehm, NZM 2013. S. 602 ff.; dies., SozSich 2010, S. 193; dies., jM 2014, S. 339; Krauß, Sozialrecht aktuell 2011, S. 144 ff.) lässt sich jedoch entnehmen, dass sich das BSG der Grundrechtsrelevanz des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II bewusst ist und die eigene Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs für verfassungskonform im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG hält. Dies wird letztendlich damit begründet, dass mit den vom BSG an die Verwaltung und die Instanzrechtsprechung gerichteten Vorgaben zur Entwicklung schlüssiger Konzepte zur Bestimmung der angemessenen Unterkunftskosten den Rationalitäts- und Transparenzanforderungen des BVerfG Rechnung getragen werden könne (vgl. Knickrehm, jM 2014, S. 340). Mit Fragen der demokratischen Legitimation hat sich das BSG bislang ausschließlich im Zusammenhang mit den Satzungsermächtigungsregelungen der §§ 22a bis 22c SGB II befasst (BSG, Urteil vom 17.10.2013 - B 14 AS 70/12 R - Rn. 34 ff.; BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 53/13 R - Rn. 38).

66

Das Problem der mangelnden Bestimmtheit des Angemessenheitsbegriffs thematisiert das BSG im Zusammenhang mit der Frage, ob der Verwaltung ein Beurteilungsspielraum einzuräumen ist (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - Rn. 24), jedoch nicht im Hinblick auf die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes.

67

2. Der für das Sozialhilferecht (SGB XII) zuständige 8. Senat des BSG hat sich der Rechtsprechung der für das Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) zuständigen Senate in Bezug auf die Parallelvorschrift des § 29 Abs. 1 S. 3 SGB XII a.F. (inzwischen ersetzt durch § 35 Abs. 2 S. 2 SGB XII n.F.) angeschlossen (BSG, Urteil vom 23.03.2010 - B 8 SO 24/08 R - Rn. 14 ff.).

68

3. Einige Sozialgerichte haben die Rechtsprechung des BSG zum "schlüssigen Konzept" als nicht vereinbar mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs.1 GG, wie es im Urteil des BVerfG vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.) näher bestimmt worden ist, angesehen, jedoch eine verfassungskonforme Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II für möglich gehalten.

69

3.1 Die 17. Kammer des SG Mainz vertrat mit Urteil vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09) und in weiteren Entscheidungen (Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12; Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 751/12; Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 119/13; Urteil vom 18.10.2013 - S 17 AS 1069/12; zur Parallelregelung in § 35 Abs. 2 S. 2 SGB XII: Urteil vom 22.10.2012 - S 17 SO 145/11) die Auffassung, dass die Rechtsprechung des BSG zur Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verstoße, die Regelung als solche jedoch einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich sei.

70

Der in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II verwendete "unbestimmte Rechtsbegriff" der "Angemessenheit", welcher der alleinige normtextliche Anknüpfungspunkt für die Beschränkung der Übernahme der Kosten der Unterkunft im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II sei, genüge den im Urteil vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.) durch das BVerfG gestellten Anforderungen nicht. Indem das BSG in Fortführung der Rechtsprechung des BVerwG zum Sozialhilferecht den Angemessenheitsbegriff ausgehend von einem einfachen, im unteren Marktsegment liegenden Wohnstandard im Sinne einer allgemein anzuwendenden Mietobergrenze konkretisiere, bestimme es den Umfang der zur Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums erforderlichen Leistungen im Wesentlichen selbst bzw. gebe der Verwaltung die Rahmenbedingungen hierfür vor. Dies betreffe den vom Existenzminimum umfassten Unterkunftsbedarf unmittelbar und - wenn nicht die vollen Unterkunftskosten übernommen würden - mittelbar auch die durch die Regelbedarfspauschale gedeckten Kosten. Das BSG verwende den Angemessenheitsbegriff somit als normtextlichen Ausgangspunkt und Rechtfertigungsgrund für die Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums. Auf Grund seiner Entstehungsgeschichte und seiner Unbestimmtheit sei der Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II hierzu angesichts der verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht geeignet (SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 68).

71

Der Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II selbst sei jedoch einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich. Dass der Gesetzgeber die Übernahme der Kosten der Unterkunft und Heizung ausdrücklich unter einen Angemessenheitsvorbehalt stelle, dürfe hierbei nicht zum Zwecke der Erhaltung eines verfassungsgemäßen Zustands übergangen, sondern müsse einer Konkretisierung zugeführt werden, welche dem Grundrecht auf Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums mit seinen prozeduralen Implikationen nicht widerspreche (SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 86). Eine verfassungskonforme Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs setze daher voraus, dass sie mit Wortlaut und Systematik des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II vereinbar sei. Dazu müsse berücksichtigt werden, dass der Gestaltungsauftrag an den Gesetzgeber zur Bestimmung des Umfangs des Anspruchs auf das unterkunftsbezogene Existenzminimum nicht unterlaufen werde. Demzufolge müsse der Angemessenheitsbegriff so konkretisiert werden, dass er eine andere Funktion einnehme als die der Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums. Im semantischen und systematischen Kontext habe der Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II dennoch eine Begrenzungsfunktion, die jenseits (im Sinne von oberhalb) des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums für die Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums liegen müsse. Da dem Gesetzgeber in dem Bereich, der über die physische Existenzsicherung hinausgehe, ein weiter Gestaltungsspielraum zustehe, könne die Angemessenheitsgrenze funktionell nur im Sinne der Missbrauchsverhütung verstanden werden. Eine sinnvolle und verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Funktion des Angemessenheitsbegriffs könne demzufolge sein, die staatliche Leistungspflicht nur in Einzelfällen zu begrenzen, in denen Leistungsberechtigte hinsichtlich ihrer Unterkunft erkennbar über den ortsüblichen Verhältnissen lebten (SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 87).

72

Die Kammer konkretisiere den Angemessenheitsbegriff daher in der Weise, dass unangemessen im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II lediglich Kosten der Unterkunft seien, die deutlich über den üblichen Unterkunftskosten für der Größe und Struktur nach vergleichbare Haushalte im geografischen Vergleichsraum lägen (SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 84).

73

3.2 Die 20. Kammer des SG Leipzig kommt im Urteil vom 15.02.2013 (S 20 AS 2707/12 - Rn. 41 ff.; bestätigt im Urteil vom 16.12.2013 - S 20 AS 879/11 - Rn. 72) zu einem ähnlichen Ergebnis. § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II genüge nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Es sei weder Aufgabe der Verwaltung noch der Rechtsprechung, die Höhe bzw. den Umfang des sich aus § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II ergebenden Leistungsanspruchs zu bestimmen. Dies sei allein Sache des Gesetzgebers und zwar, da es sich beim SGB II um Bundesrecht handele, primär des Bundesgesetzgebers. Denn auch die Leistungen für Unterkunft und Heizung gehörten mit zum existenznotwendigen Bedarf. Die derzeit geltende Regelung sei jedoch als gesetzliche Grundlage für einen individuellen Sozialleistungsanspruch in Tatbestand und Rechtsfolge gerade nicht hinreichend bestimmt. Denn ließen sich angemessene Kosten ebenso einfach und klar bestimmen wie tatsächliche Kosten, gäbe es nicht schon seit Jahren die andauernde Flut von Rechtsstreitigkeiten um die von den Leistungsträgern anzuerkennenden Unterkunftskosten. Durch die Satzungslösung (§§ 22a bis 22c SGB II) sei bislang noch keine Abhilfe geschaffen. Die eigentliche Problemlösung, die Konkretisierung des sich aus § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ergebenden Anspruchs, sei nur verschoben, nämlich auf die nachgeordneten Gesetzgebungsinstanzen, die Länder und Kommunen. Ob auch sie als „der Gesetzgeber“ im Sinne der Entscheidung des BVerfG vom 09.02.2010 anzusehen seien, könne dahinstehen. Bis zum Vorliegen eines vom BVerfG geforderten, hinreichend konkreten Gesetzes zum existenznotwendigen Unterkunftsbedarf stelle sich für die Rechtsprechung und Verwaltung nur die Frage, ob und gegebenenfalls wie § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II verfassungskonform ausgelegt werden könne. Eine verfassungskonforme Interpretation sei aus Sicht der Kammer möglich. Denn die Regelung erscheine nicht insgesamt verfassungswidrig. § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II sei nicht völlig unklar bzw. unbestimmt. Die Vorschrift werde es nur durch den angehängten zweiten Halbsatz. Erst dieser stelle den sich aus dem ersten Halbsatz zunächst eindeutig ergebenden Leistungsanspruch wieder in Frage. Die Kammer lege die Vorschrift so aus, dass vorrangig der Teil maßgeblich sei, der den verfassungsrechtlichen Vorgaben genüge. Das sei der erste Halbsatz, der auf die tatsächlichen Kosten abstelle. Der verbleibende Teil, der defizitäre zweite Halbsatz, sei lediglich in Ausnahmefällen heranzuziehen. Er könne vorläufig nur als eine Art Korrektiv dienen, nämlich dann, wenn die Unterkunftsverhältnisse bzw. -kosten in einem offensichtlichen Missverhältnis zu den sonstigen Lebensumständen des Alg-II-Empfängers stünden. Bewegten sich die Unterkunftsverhältnisse bzw. -kosten hingegen im gewöhnlichen, d.h. durchschnittlichen Rahmen, seien sie vollständig zu übernehmen.

74

3.3 Auch die 20. Kammer des SG Dresden vertritt im Urteil vom 25.01.2013 (S 20 AS 4915/11 - Rn. 26 ff.; offen gelassen hingegen im Urteil vom 07.04.2014 - S 20 AS 13/14 - Rn. 31) die Auffassung, dass die Rechtsprechung des BSG mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht vereinbar sei. Sie hält jedoch eine verfassungskonforme Auslegung dahingehend für möglich, dass als angemessene Unterkunftskosten stets die um 10 % erhöhten Höchstwerte nach § 12 WoGG angesehen werden könnten.

75

Zur Begründung ihrer Auffassung führt die Kammer aus, dass die Grenzen der möglichen verfassungskonformen Auslegung überschritten seien, wenn die Rechtsprechung selbst ohne entsprechende Vorgaben durch den Gesetzgeber umfangreiche Anforderungen an eine die Existenzsicherung beschränkende Ausfüllung eines unbestimmten Rechtsbegriffes stelle. Das vom BVerfG geforderte transparente und sachgerechte Verfahren sei nicht eingehalten, wenn der vom Gesetzgeber lediglich vorgegebene unbestimmte Rechtsbegriff „angemessen“ auf Grund von der Rechtsprechung entwickelter Vorgaben von der zuständigen Behörde ausgefüllt werden müsse. Eine Deckelung der (angemessenen) Bedarfe der Unterkunft, die den Vorgaben des BVerfG genüge, könne daher allenfalls auf der Grundlage von §§ 22a bis 22c SGB II erfolgen. Wie problematisch die Rechtsprechung des BSG zum „schlüssigen Konzept“ sich in der Praxis auswirke, könne bereits daraus ersehen werden, dass es bislang soweit ersichtlich bundesweit erst einem Jobcenter gelungen sei, ein „schlüssiges Konzept“ zu erstellen, das vor dem BSG Bestand gehabt habe. Die Rechtsprechung des BSG habe in diesem Kernbereich des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums keinerlei Rechtssicherheit gebracht, sondern vielmehr für einen erheblichen Teil der auf Grundsicherungsleistungen angewiesenen Menschen zu dauerhafter Unsicherheit über einen beträchtlichen Teil der ihnen zustehenden Leistungen geführt. Solange keine den Vorgaben des BVerfG genügende Regelung über die Ermittlung der Angemessenheit der Bedarfe der Unterkunft im Sinne von § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zur Verfügung stehe, erscheine es der Kammer angezeigt, in diesem Zusammenhang auf die vom Gesetzgeber in einem dem vom BVerfG verlangten nahekommenden Verfahren errechneten Werte der Tabelle in § 12 Abs. 1 WoGG zurückzugreifen und diese um einen maßvollen Zuschlag von 10 % zu erhöhen.

76

4. Es liegen mehrere instanzgerichtliche Entscheidungen vor, die sich kritisch mit der Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II in den genannten Entscheidungen der Sozialgerichte Mainz, Leipzig und Dresden befassen und (wie der Großteil der Rechtsprechung im Übrigen) dem Grunde nach der Auffassung des BSG beitreten.

77

4.1 Der 1. Senat des LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 19/13 - Rn. 41; Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 3518/11 ZVW - Rn. 39; dem folgend: SG Karlsruhe Urteil vom 06.02.2014 - S 13 AS 235/13 - Rn. 53 f.) vertritt in nahezu wörtlicher Anlehnung an Link (in: jurisPK-SGB XII, § 35 Rn. 65.3, 1. Auflage 2011, Stand 31.01.2014) die Auffassung, dass der Gesetzgeber auch im Hinblick auf Art. 1 Abs. 1 und 20 Abs. 1 GG grundsätzlich dazu berechtigt gewesen sei, die Übernahme der Kosten für die Unterkunft und Heizung im Grundsicherungsbereich davon abhängig zu machen, dass diese „angemessen“ seien. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG sichere nach der Rechtsprechung des BVerfG jedem Hilfebedürftigen diejenigen materiellen Voraussetzungen zu, die für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich seien. Die Rechtsprechung des BSG zur Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs „angemessen“ im Sinne von § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II biete mit dem eigens hierfür entwickelten schlüssigen Konzept gerade ein - vom BVerfG im Urteil vom 09.02.2010 gefordertes - transparentes und sachgerechtes Verfahren, um realitätsgerecht sowie nachvollziehbar auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren die Angemessenheit der Kosten für die Unterkunft und Heizung zu ermitteln. In diesem Zusammenhang sei auch zu berücksichtigen, dass das BVerfG ausdrücklich betont habe, dass bei der Bestimmung des Umfangs der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zukomme, der die Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse ebenso wie die wertende Einschätzung des notwendigen Bedarfs umfasse. Mit Hilfe des unbestimmten Rechtsbegriffs „angemessen“ und der insofern gefestigten Rechtsprechung des BSG würden die Verwaltung und die Gerichte in die Lage versetzt, den tatsächlichen Verhältnissen vor Ort im Wege einer Einzelfallprüfung Rechnung zu tragen. Damit könnten im Hinblick auf die Kosten der Unterkunft und Heizung diejenigen materiellen Voraussetzungen ermittelt werden, die für die physische Existenz des Hilfesuchenden (Grundbedürfnis „Wohnen“) unerlässlich seien. Die vom SG Mainz präferierte „verfassungskonforme Auslegung“ in der Weise, dass unangemessen im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II lediglich Kosten der Unterkunft seien, die deutlich über den üblichen Unterkunftskosten für der Größe und Struktur nach vergleichbare Haushalte im geografischen Vergleichsraum lägen („offenkundiges Missverhältnis“), stelle letztendlich nichts anderes als eine (wenn auch von einem anderen Ausgangspunkt ausgehende) Substitution des schlüssigen Konzepts dar, die jedoch gerade im Hinblick auf das vom BVerfG geforderte transparente, nachvollziehbare und schlüssige Verfahren zur Ermittlung der Bedarfe nicht zu überzeugen vermöge. Denn nach welchen Kriterien und nach welchem Verfahren ermittelt werden solle, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe die geltend gemachten Unterkunftskosten „deutlich über den üblichen Unterkunftskosten“ lägen und mithin ein „offenkundiges Missverhältnis“ bestehe, habe das SG Mainz im Urteil vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09) nicht dargelegt. Vielmehr greife es zur Ermittlung der ortsüblichen Verhältnisse auf einen qualifizierten Mietspiegel zurück, "der jedoch nach der Rechtsprechung des BSG (...) in Ermangelung eines anderen schlüssigen Konzepts zur Bestimmung der angemessenen Nettokaltmiete herangezogen" werden könne (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 19/13 - Rn. 41).

78

4.2 Die 49. Kammer des SG Dresden (Urteil vom 10.09.2013 - S 49 AS 8234/10 - Rn. 54 ff.; dem folgend: Sächsisches LSG, Urteil vom 19.12.2013 - L 7 AS 637/12 - Rn. 63 ff.) konstatiert in Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung der 17. Kammer des SG Mainz, dass die Bestimmung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft nicht einem Parlamentsgesetz vorbehalten sei. Einem solchen unterliege nur die Bestimmung des Existenzminimums. § 22 SGB II gehe über dieses Minimum jedoch deutlich hinaus. Er bestimme, dass die tatsächlichen Kosten bis an die Grenze der Angemessenheit zu ersetzen seien und ziehe damit eine Obergrenze. Das Existenzminimum bedeute dagegen die Bestimmung einer Untergrenze. Die Bestimmung einer zur Wahrung des Existenzminimums im Bereich von Unterkunft und Heizung relevanten Untergrenze käme nur in der Form einer Definition des erforderlichen Wohn- und Heizstandards in Betracht, also der Bestimmung einer Mindestwohnfläche und -ausstattung und des Mindestumfangs des Heizniveaus. Selbst wenn dies bundes- oder landeseinheitlich bestimmt werden könnte, würde dies nicht die zur Wahrung dieses Standards erforderlichen Aufwendungen betreffen, denn diese würden im Gegensatz zum Warenkorb des Regelsatzes nach § 20 SGB II durch die Besonderheiten regionaler Märkte beeinflusst. Dieser Umstand finde in den verschiedenen Mietstufen der Wohngeldtabelle seinen Ausdruck. Zumindest die existenznotwendigen Kosten der Unterkunft könnten weder Bundes- noch Landesgesetzgeber in einer für das gesamte Bundes- oder Landesgebiet hinreichend zuverlässigen und transparenten Weise sachgerecht ermitteln, wie sie das BVerfG für die Ermittlung des Existenzminimums verlange. Weil überdies Ansatzpunkte fehlten, die befürchten ließen, dass der nach der Rechtsprechung des BSG für die Beurteilung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft zu Grunde zu legende Wohnstandard die aus der Gewährleistung des Existenzminimums herzuleitenden Mindeststandards unterschreiten könnte, könne bei der Bestimmung der angemessenen Kosten der Unterkunft auf eine formal-gesetzliche Grundlage verzichtet werden. Wäre zur Bestimmung der angemessenen Kosten von Unterkunft und Heizung ein Parlamentsgesetz erforderlich, dessen Zustandekommen den für die Bemessung des Existenzminimums geltenden verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen müsse, hätte es für den 1. Senat des BVerfG nahe liegen müssen, in seiner Entscheidung über den Regelsatz des Arbeitslosengeldes II gemäß § 78 S. 2 BVerfGG auch § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II als aus denselben Gründen mit dem Grundgesetz unvereinbar zu erklären. Dies sei jedoch nicht geschehen. Insofern gehe wohl auch das BVerfG davon aus, dass § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II aus verfassungsrechtlicher Sicht anders zu beurteilen sei und Fragen der Gewährleistung des Existenzminimums nicht unmittelbar aufwerfe.

79

4.3 Im Rahmen eines ablehnenden Beschlusses in einem Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren führt der 2. Senat des LSG-Baden-Württemberg (Beschluss vom 28.10.2013 - L 2 SO 1510/13 NZB - Rn. 12 ff.) - wohl bezogen auf die Parallelvorschrift des § 35 Abs. 2 S. 2 SGB XII - aus, dass das BSG zu der Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II - wenn auch nicht ausdrücklich - bereits Stellung genommen habe. Das BSG habe bereits im Urteil vom 07.11.2006 (B 7b AS 10/06 R - Rn. 24 u. 28) ausgeführt, § 22 Abs. 1 SGB II gestehe „nur eine Wohnung mit bescheidenem Zuschnitt“ sowie einen „einfachen und im unteren Segment liegenden Ausstattungsgrad“ zu. Diese Rechtsprechung sei fortan fortgeführt worden, so dass davon ausgegangen werden müsse, dass die Vereinbarkeit des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit mit verfassungsrechtlichen Anforderungen bereits geprüft worden sei. Dass das BSG in einer zukünftigen Entscheidung hiervon abweichen werde, sei aus derzeitiger Sicht nicht zu erwarten, zumal auch das SG Mainz (Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09) in seiner Entscheidung weiter mit dem Begriff der Angemessenheit agiere, diesen bzw. die Grenze der Unangemessenheit lediglich anders definiere als das BSG. Insoweit beruhten die Bedenken dann allerdings nicht auf einem Widerspruch zum Parlamentsvorbehalt, sondern moniert werde die konkrete Auslegung des Begriffs der Angemessenheit, die aus Sicht des SG Mainz inhaltlich verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht genüge. Eine Änderung der Rechtsprechung lasse dies nicht erwarten. Darüber hinaus ließen sich der vom SG Mainz zitierten Entscheidung des BVerfG aus Sicht des Senats die angeführten Zweifel auch nicht entnehmen. Dies ergebe sich zum einen daraus, dass das BVerfG in seinem Urteil vom 09.02.2010 darstelle, mit welchen Leistungen im SGB II „der Gesetzgeber entsprechend den materiellen Vorgaben des Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG ein subsidiäres System sozialer Sicherung des Existenzminimums geschaffen habe“ (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 147). Bei der Darstellung der verschiedenen Leistungsarten verweise es unmittelbar anschließend auch darauf, „§ 22 Abs. 1 SGB II stell(e) die Übernahme angemessener Kosten für Unterkunft und Heizung nach dem individuellen Bedarf sicher“ (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 148). Damit beziehe es die in § 22 Abs. 1 SGB II getroffene Regelung in den Kreis der Leistungen ein, die der Gesetzgeber in der Verfassung entsprechender Weise durch die Normen des SGB II gewähre. Zum anderen habe das BVerfG bereits im Jahr 2011 zur inhaltlichen Ausfüllung des Begriffs der „Angemessenheit“ im § 22 Abs. 1 SGB II durch das BSG Stellung bezogen, auf die aus seiner Sicht bereits zu dieser Zeit gefestigte Rechtsprechung des BSG hingewiesen und dessen dreischrittige Prüfung dargestellt (BVerfG, Beschluss vom 27.09.2011 - 1 BvR 232/11 - Rn. 23 ff). In diesem Zusammenhang werde an keiner Stelle darauf hingewiesen, dass es Zweifel an dem normierten unbestimmten Rechtsbegriff der „Angemessenheit“ geben könnte, woraus nur geschlossen werden könne, dass das Gericht schon damals von der Verfassungsgemäßheit der Regelung ausgegangen sei.

80

Eine Änderung der Rechtsprechung durch das BSG stehe damit nach derzeitigem Stand praktisch außer Zweifel, so dass die aufgeworfene Rechtsfrage keine grundsätzliche Bedeutung habe (LSG-Baden-Württemberg, Beschluss vom 28.10.2013 - L 2 SO 1510/13 NZB - Rn. 15).

81

4.4 Der 2. Senat des LSG Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 11.03.2014 - L 2 AS 276/14 B ER - Rn. 7) begründet seine Ablehnung der Auffassung des SG Mainz aus dem Urteil vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09) damit, dass es sich dabei ersichtlich um eine Einzelentscheidung handele, die auch vom BSG nicht geteilt werde.

82

4.5 Der 2. Senat des LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 26.03.2014 - L 2 AS 104/14 - Rn. 43; Urteil vom 26.03.2014 - L 2 AS 3878/11 - Rn. 44; ähnlich bereits SG Karlsruhe, Urteil vom 06.02.2014 - S 13 AS 235/13 - Rn. 49 ff.) äußert sich weiter dahingehend, dass die vom SG Mainz in seiner Entscheidung vom 08.06.2012 vertretene Auffassung, dass der in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II verwendete Begriff der „Angemessenheit“ den im Urteil des BVerfG vom 09.02.2010 aufgestellten Anforderungen nicht genüge, falsch sei. Das BVerfG habe in Kenntnis der Rechtsprechung des BSG zum so genannten „schlüssigen Konzept“ die Vorschrift des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II bereits gebilligt und ausgerechnet in dem vom SG Mainz als Beleg für seine irrige Auffassung angeführten Urteil folgendes ausgeführt: „§ 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II stellt die Übernahme angemessener Kosten für Unterkunft und Heizung nach dem individuellen Bedarf sicher“ (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 148). Damit sei die Entscheidung des SG Mainz schon im Ansatz unrichtig, wenn sie der Meinung sei, es fehle für die Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „Angemessenheit“ an einer hinreichenden parlamentsgesetzlichen Grundlage und der Bundesgesetzgeber stehe „demnach in der Verantwortung, das Sozialstaatsprinzip selbst durch ein Gesetz hinreichend zu konkretisieren und zu gewährleisten, dass auf die zur Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums erforderlichen Leistungen auch ein entsprechender Rechtsanspruch besteh(e)“. Das sei, wie das BVerfG klar gestellt habe, bereits in ausreichendem Maße geschehen. Auch in seiner Entscheidung vom 27.09.2011 (1 BvR 232/11 - Rn. 24 f.) habe das BVerfG das schlüssige Konzept des BSG ersichtlich für geeignet erachtet, den unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit auszufüllen. Diese Entscheidung scheine dem SG Mainz nicht bekannt gewesen zu sein.

83

5. In der Literatur findet eine Auseinandersetzung darüber, ob § 22 Abs. 1 S. 1 Halbsatz 2 SGB II verfassungswidrig sein könnte, - anders als in Bezug auf die §§ 22a bis 22 c SGB II (vgl. Putz, SozSich 2011, S. 232 ff.; Berlit in: LPK-SGB II, §22a Rn. 3 ff., 5. Auflage 2013) - bislang kaum statt. In Folge des Urteils des SG Mainz vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09) wird allerdings diskutiert, ob die Konkretisierung des Angemessenheitsbegriff durch das BSG gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verstößt.

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5.1 Knickrehm (SozSich 2010, S. 193) stellt fest, dass aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG ein Anspruch der Grundrechtsträger auf eine existenzsichernde Leistung nach dem SGB II, die nach den vom BVerfG vorgegebenen Maßstäben zu bestimmen sei, folge. Die Bestimmung müsse mit einer Methode erfolgen, die gewährleiste, dass die existenznotwendigen Aufwendungen realitätsgerecht und nachvollziehbar in einem transparenten und sachgerechten Verfahren ermittelt werden. Diese Vorgaben seien nicht nur bei der Festlegung der Höhe der Regelleistung zu beachten, sondern auch, wenn Leistungen für Unterkunft und Heizung pauschaliert werden sollen. Der Bedarf "Wohnen" sei Teil des physischen Existenzminimums und erfordere daher ebenfalls eine umfassende Deckung. Die Höhe einer Pauschale für das "Wohnen" sei daher realitätsgerecht zu ermitteln, also so zu bestimmen, dass es tatsächlich möglich sei, mit der Leistung angemessenen Wohnraum im bisherigen Umfeld des Hilfebedürftigen - im Sinne der bisherigen Rechtslage - zu mieten. Dieses gelte nicht nur für eine bundeseinheitliche Pauschale. Auch Satzungs- und Verordnungsgeber müssten sich an die vom BVerfG aufgezeigten Maßstäbe halten. Durch das vom BSG entwickelte "schlüssige Konzept" könnten jedoch bereits jetzt und im Rahmen des unbestimmten Rechtsbegriffs der "Angemessenheit" die Maßstäbe des BVerfG umgesetzt werden. Die Methoden zur Datenerhebung und Datenauswertung für die Bildung einer Pauschale dürften wohl nicht hinter den Anforderungen des schlüssigen Konzepts zurückbleiben.

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5.2 Mutschler (NZS 2011, S. 483 f.) hebt bezogen auf das zum 01.04.2011 in §§ 22a bis 22c SGB II eingeführte Satzungsmodell hervor, dass die Entscheidung des BVerfG zu den Regelsätzen zwar nicht unmittelbar Maßstäbe für die gesetzliche Regelung der Kosten der Unterkunft und Heizung setze, aber unzweifelhaft sei, dass das Grundrecht des Art. 1 Abs. 1 GG auch die Gewährleistung des Existenzminimums hinsichtlich der Grundbedürfnisse Wohnen und Heizen umfasse. Daher sei anzunehmen, dass besondere Begründungsanforderungen auch an die gesetzlichen und untergesetzlichen Normen zu stellen seien, die die Höhe der angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung regelten. Vor diesem Hintergrund gebe es Kritik am Satzungskonzept in dem Sinne, dass konkretere Vorgaben gefordert würden. Vergleiche man die gesetzliche Begründung, die Regelungsdichte und die Begründungspflichten des Satzungsmodells mit derjenigen zu § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II, sei jedenfalls festzuhalten, dass die Einzelfallprüfung eher größere Defizite an gesetzlicher Begründung aufweise.

86

5.3 Putz (SozSich 2011, S. 233 ff.) vertritt in Bezug auf die Satzungsermächtigung nach § 22a SGB II die Auffassung, dass mit der Wesentlichkeitstheorie eine Auslegung des § 22a Abs. 2 SGB II allenfalls vereinbar wäre, die es dem Satzungsgeber nur gestatten würde, eine Pauschale in Höhe der Angemessenheitsgrenze des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II festzusetzen. Eine den Anforderungen des BVerfG an die Ermittlung dieses Teils des Existenzminimums genügende Methode könne es schon deswegen nicht geben, weil keine Methode denkbar sei, durch welche die nach der Wesentlichkeitstheorie erforderlichen, aber bei der Satzungsermächtigung fehlenden Vorgaben des Bundesgesetzgebers ersetzt werden könnten.

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5.4 Luik (jurisPR-SozR 22/2013 Anm. 1; ähnlich ders. in: Eicher, SGB II, § 22 Rn. 6, 3. Auflage 2013) hält die Auffassung der 17. Kammer des SG Mainz für unzutreffend, da eine verfassungsrechtliche Klärung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II und der BSG-Rechtsprechung zum schlüssigen Konzept längst erfolgt sei. Für die Annahme von Verfassungswidrigkeit reiche es dann nicht aus, den Erwägungen einer fachgerichtlichen Entscheidung die eigene Sichtweise entgegenzustellen, ohne sich mit der bereits ergangenen Rechtsprechung des BVerfG zu befassen. In Kenntnis der Rechtsprechung des BSG aus 2009 zum „schlüssigen Konzept“ habe das BVerfG die Vorschrift des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ausdrücklich mit der Aussage gebilligt, § 22 Abs. 1 SGB II stelle die Übernahme angemessener Kosten für Unterkunft und Heizung nach dem individuellen Bedarf sicher (Bezugnahme auf BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 148). Damit sei im Grunde schon alles gesagt, § 22 SGB II und die BSG-Rechtsprechung seien in Karlsruhe „durch“. Im Urteil vom 09.02.2010 sei es nicht nur um die Regelleistung gegangen. Das BVerfG habe auch die „KdU“ mit abgehandelt und dem Bereich des physischen Existenzminimums zugeordnet, mit allen sich verfahrensrechtlich hieraus ergebenden Konsequenzen für die Erfassung der sozialen Wirklichkeit. Die Erfordernisse der zeit- und realitätsgerechten Bestimmung des Anspruchs einschließlich Transparenz, Folgerichtigkeit und Nachvollziehbarkeit gälten auch für die KdU. Dies sei in der Sache nichts anderes als die vom BSG als schlüssiges Konzept bezeichnete zeit- und realitätsgerechte Erfassung der sozialen Wirklichkeit des lokalen Wohnungsmarkts im jeweiligen Vergleichsraum. Die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe sei verfassungsrechtlich grundsätzlich unbedenklich. Dem Bestimmtheitserfordernis sei genügt, wenn Auslegungsprobleme mit herkömmlichen juristischen Methoden bewältigt werden könnten. Die Auslegungsbedürftigkeit allein nehme einer Vorschrift nicht die gebotene Bestimmtheit. Es sei gerade die Aufgabe der fachgerichtlichen Rechtsprechung, Auslegungs- und Zweifelsfragen zu klären. Das BVerfG habe in einer Entscheidung vom 27.09.2011 (1 BvR 232/11 - Rn. 24 f.) die fachgerichtliche Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs durch das BSG ausdrücklich gebilligt und für geeignet erachtet, den unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit auszufüllen. Dies entspreche ganz der Karlsruher Linie, wonach die Anwendung und Auslegung einfachen Rechts und die Konkretisierung bzw. Anwendungskontrolle unbestimmter Rechtsbegriffe der jeweiligen Fachgerichtsbarkeit obliegen würden.

88

5.5 Link (in: jurisPK SGB XII, § 35 Rn. 65.3, 1. Auflage 2011, Stand 31.01.2014) kritisiert ebenfalls das Urteil des SG Mainz vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09). Dessen Auffassung überzeuge nicht. Der Gesetzgeber sei auch im Hinblick auf Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 20 Abs. 1 GG grundsätzlich berechtigt, die Übernahme der Kosten für die Unterkunft und Heizung im Grundsicherungsbereich davon abhängig zu machen, dass diese „angemessen“ seien. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG sichere nach der Rechtsprechung des BVerfG jedem Hilfebedürftigen diejenigen materiellen Voraussetzungen zu, die für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich seien. Die Rechtsprechung des BSG zur Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs „angemessen“ im Sinne von § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II biete mit dem eigens hierfür entwickelten schlüssigen Konzept gerade ein - vom BVerfG im Urteil vom 09.02.2010 gefordertes - transparentes und sachgerechtes Verfahren, um realitätsgerecht sowie nachvollziehbar auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren die Angemessenheit der Kosten für die Unterkunft und Heizung zu ermitteln. In diesem Zusammenhang sei auch zu berücksichtigen, dass das BVerfG ausdrücklich betont habe, dass bei der Bestimmung des Umfangs der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zukomme, der die Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse ebenso wie die wertende Einschätzung des notwendigen Bedarfs umfasse. Mit Hilfe des unbestimmten Rechtsbegriffs „angemessen“ und der insofern gefestigten Rechtsprechung des BSG würden die Verwaltung und die Gerichte in die Lage versetzt, den tatsächlichen Verhältnissen vor Ort im Wege einer Einzelfallprüfung Rechnung zu tragen. Damit könnten im Hinblick auf die Kosten der Unterkunft und Heizung diejenigen materiellen Voraussetzungen ermittelt werden, die für die physische Existenz des Hilfesuchenden (Grundbedürfnis „Wohnen“) unerlässlich seien. Die von der 17. Kammer des SG Mainz präferierte „verfassungskonforme Auslegung“ in der Weise, dass unangemessen im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II lediglich Kosten der Unterkunft seien, die deutlich über den üblichen Unterkunftskosten für der Größe und Struktur nach vergleichbare Haushalte im geografischen Vergleichsraum lägen („offenkundiges Missverhältnis“), stelle letztendlich nichts anderes als eine (wenn auch von einem anderen Ausgangspunkt ausgehende) Substitution des schlüssigen Konzepts dar, die jedoch gerade im Hinblick auf das vom BVerfG geforderte transparente, nachvollziehbare und schlüssige Verfahren zur Ermittlung der Bedarfe nicht zu überzeugen vermöge. Denn nach welchen Kriterien und nach welchem Verfahren ermittelt werden solle, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe die geltend gemachten Unterkunftskosten „deutlich über den üblichen Unterkunftskosten“ liegen und mithin ein „offenkundiges Missverhältnis“ bestehe, habe das SG Mainz im genannten Urteil nicht dargelegt.

89

5.6 Berlit (in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 60 f., 5. Auflage 2013) führt aus, dass in der Instanzrechtsprechung kritisiert werde, dass die ausdifferenzierte Rechtsprechung des BSG zum „schlüssigen Konzept“ nicht den prozeduralen Anforderungen an eine hinreichend bestimmte parlamentsgesetzliche Grundlage, die nach dem Regelleistungsurteil des BVerfG zu stellen seien, genüge. Diese Kritik verweise zutreffend auf eine unzureichende explizite Anbindung der BSG-Rechtsprechung zum „schlüssigen Konzept“ an die BVerfG-Rechtsprechung zum Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum. Sie vernachlässige im Ergebnis aber, dass diese Rechtsprechung zur Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „Angemessenheit“ an eine auch dem SGB II-Gesetzgeber bekannte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zum Angemessenheitsbegriff im Bundessozialhilfegesetz (BSHG) anknüpfe, die diesen Begriff gerade nicht als Angemessenheitsvorbehalt zur Reduktion in Fällen offenkundiger Missverhältnisse sehe. Die BSG-Rechtsprechung sei zudem in ihrem sachlichen Regelungsgehalt erneut in den Vorgaben für die Satzungsregelung aufgegriffen worden. Aus der Kritik folge jedenfalls nicht, dass im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung lediglich solche Kosten der Unterkunft als unangemessen zu werten seien, die deutlich über den üblichen Unterkunftskosten für der Größe und Struktur nach vergleichbare Haushalte im geografischen Vergleichsraum liegen. Dass das BSG die Anforderungen an ein schlüssiges Konzept zu hoch geschraubt habe und es wegen der Vielzahl an Prüfungskomponenten und dem einhergehenden Ermittlungsaufwand für die Grundsicherungsstellen und Gerichte in der Praxis für die Praxis wenig hilfreich sei, rechtfertige nicht, diesen Versuch einer rationalen, operationalisierbaren Annäherung an die Ausfüllung des Angemessenheitsbegriffs aufzugeben. Die Forderung nach einem „schlüssigen Konzept“ setze für den Unterkunftsbedarf die für den Regelbedarf geltenden Anforderungen an Rationalität und Transparenz der Leistungsbemessung um.

90

In Bezug auf die später mit § 22a SGB II eingeführte Satzungslösung stelltBerlit hingegen fest, dass ein kommunaler Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum in Bezug auf „standardbildende“ Faktoren den Auftrag des Gesetzgebers, die zur Existenzsicherung erforderlichen Leistungen selbst festzulegen, verfehle (Berlit, info also 2010, S. 203).

91

5.7 Stölting (in: Eicher, SGB II, § 1 Rn. 16, 3. Auflage 2013) sieht hingegen das Problem, dass § 22 SGB II anders als bei der Regelleistung nicht einen bestimmten Betrag vorsehe. Diese Regelung gerate in Konflikt mit der Entscheidung des BVerfG vom 09.02.2010, denn danach müsse die verfassungsrechtliche Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch ein Parlamentsgesetz erfolgen, welches einen konkreten Leistungsanspruch des Bürgers gegenüber dem zuständigen Leistungsträger enthalte. Aus dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip ergebe sich die Pflicht des Gesetzgebers, die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen selbst zu treffen. Dies gelte in besonderem Maße, wenn und soweit es um die Sicherung der Menschenwürde und der menschlichen Existenz gehe.

92

In einer Anmerkung zum Urteil des BSG vom 22.08.2012 (B 14 AS 13/12 R - SGb 2013, S. 545 f.) führt Stölting aus, dass bei der Verwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit zu bedenken sei, dass es sich bei der Übernahme von Unterkunftskosten nicht um eine freiwillige Leistung des Gesetzgebers handele, sondern das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vielmehr einen Anspruch auf Zurverfügungstellung der Mittel begründe, die zur Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich seien. Hierzu gehörten auch die Unterkunftskosten. Der Gesetzgeber bewege sich mit der Vorschrift des § 22 SGB II in einem grundrechtsgeprägten Bereich und habe insoweit besondere Vorgaben zu beachten, die sich aus der Wesentlichkeitstheorie des BVerfG ergäben. Danach sei der Gesetzgeber verpflichtet, alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen und dürfe sie nicht anderen Normgebern überlassen. Wann es danach einer Regelung durch den parlamentarischen Gesetzgeber bedürfe, lasse sich nur im Blick auf den jeweiligen Sachbereich und auf die Eigenart des betroffenen Regelungsgegenstandes beurteilen. Die verfassungsrechtlichen Wertungskriterien seien dabei den tragenden Prinzipien des Grundgesetzes, insbesondere den darin verbürgten Grundrechten, zu entnehmen. Danach bedeute wesentlich im grundrechtsrelevanten Bereich in der Regel „wesentlich für die Verwirklichung der Grundrechte“. Dementsprechend habe das BVerfG in der Entscheidung zu den Regelsätzen nach dem SGB II gefordert, dass die verfassungsrechtliche Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch ein Parlamentsgesetz erfolge, das einen konkreten Leistungsanspruch des Bürgers gegenüber dem zuständigen Leistungsträger enthalte. Diesen Anforderungen genüge die Vorschrift des § 22 SGB II nicht. Es handele sich dabei zwar um ein Parlamentsgesetz, das jedoch weder einen konkreten Anspruch enthalte, noch Vorgaben mache, wie dieser von den Behörden und gegebenenfalls von den Gerichten zu ermitteln sei. Aus diesem Grund sei es der Rechtsprechung auch acht Jahre nach Inkrafttreten des SGB II nicht gelungen, die Unsicherheiten bei der Bestimmung der angemessenen Unterkunftskosten zu beseitigen und die Zahl der Verfahren in diesem Bereich zu reduzieren. Das BSG setzte sich im kommentierten Urteil und in anderen aktuellen Urteilen nicht mit der verfassungsrechtlichen Problematik auseinander. Dies erscheine jedoch dringend erforderlich, da es nach der Entscheidung des BVerfG zu den Regelsätzen des SGB II auch in diesem Bereich einer Neubestimmung bedürfe. Die Rechtsprechung werde zu erwägen haben, grundsätzlich die tatsächlichen Unterkunftskosten anzuerkennen, soweit diese nicht evident unangemessen seien.

93

In seiner Kommentierung zu § 35a SGB XII führtStölting (jurisPK-SGB XII, § 35a Rn. 10, 2. Auflage 2014, Stand 25.06.2014) weiter aus, dass das BVerfG in der Entscheidung vom 09.02.2010 zwar ausgeführt habe, dass § 22 Abs. 1 SGB II die Übernahme angemessener Kosten für Unterkunft und Heizung nach dem individuellen Bedarf sicherstelle. Es dürfe jedoch bezweifelt werden, dass damit eine verbindliche Aussage zur Vereinbarkeit des § 22 Abs. 1 SGB II mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums getroffen worden sei, da sich die Entscheidung auf die Regelleistungen nach dem SGB II beziehe.

94

5.8 Nach Piepenstock (in: jurisPK-SGB II, § 22 Rn. 82.1 f., 3. Auflage 2012, Stand 01.12.2014) stellt das SG Mainz im Urteil vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09) zutreffend heraus, dass sich das BSG in seiner fortgesetzten Rechtsprechung zum „schlüssigen Konzept“ nicht hinreichend mit dem Urteil des BVerfG vom 09.02.2010 auseinandergesetzt habe. Das vom BSG entwickelte „schlüssige Konzept“ habe bisher nicht abschließend überzeugen können. Die vom BSG vorgenommene Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „Angemessenheit“ mit ihrem konkret-individuellen Prüfmaßstab (Stichwort: Einzelfallgerechtigkeit) erweise sich wegen der Vielzahl an Prüfungskomponenten und dem einhergehenden Ermittlungsaufwand für die Grundsicherungsstellen und Gerichte in der Praxis als sehr komplex und daher oft wenig hilfreich.

95

5.9 Nach Nguyen (in: jurisPK-SGB XII, § 35 Rn. 65, 2. Auflage 2014, Stand 24.11.2014) stößt die Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs allein durch die Rechtsprechung - an Stelle einer parlamentsgesetzlichen Konkretisierung - im Hinblick auf die Vorgaben des BVerfG zur Gewährleistung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG und dem Wesentlichkeitsgrundsatz auf Bedenken.

96

5.10 Frerichs (jurisPK-SGB XII, § 3 AsylbLG, Rn. 45, 2. Auflage 2014, Stand 03.11.2014) konstatiert, dass das BVerfG im Regelsatzurteil vom 09.02.2010 eindrucksvoll die Bedeutung des Vorbehalts des Gesetzes im Fürsorgerecht hervorgehoben und die in der Nachkriegszeit begonnene Entwicklung des unmittelbar auf dem Schutzgehalt von Art. 1 Abs. 1 GG beruhenden Leistungsgrundrechts abgeschlossen habe. Dem Gesetzgeber (und nicht dem Rechtsanwender) obliege die Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse und die wertende Einschätzung des notwendigen Bedarfs. Diese Frage sei jüngst in Rechtsprechung (Bezugnahme auf die Urteile des SG Mainz vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12, vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 und vom 22.10.2012 - S 17 SO 145/11 sowie auf das Urteil des SG Leipzig vom 15.02.2013 - S 20 AS 2707/12) und Literatur auch wegen des unbestimmten Rechtsbegriffs der angemessenen Aufwendungen für Unterkunft nach § 22 Abs. 1 SGB II virulent geworden.

97

Frerichs vertritt des weiteren - im Kontext mit unbestimmten Rechtsbegriffen im Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) - die Auffassung, dass Regelungen dieser Art einer methodengerechten Ermittlung des menschenwürdigen Existenzminimums in einem inhaltlich transparenten und nachvollziehbaren Verfahren entbehren und die Gefahr bergen würden, dass bei der Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums die Regelungskompetenz in verfassungsrechtlich bedenklichem Ausmaß auf den Rechtsanwender delegiert wird (Frerichs, ZESAR 2014, S. 287).

98

6. Die vorlegende Kammer ist nach Auswertung der vertretenen Auffassungen in Rechtsprechung und Literatur der im Folgenden noch zu begründenden Überzeugung, dass die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verfassungswidrig ist. Eine verfassungskonforme Auslegung ist - entgegen der Auffassungen der 17. Kammer des SG Mainz (Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 84 ff.), der 20. Kammer des SG Leipzig (Urteil vom 15.02.2013 - S 20 AS 2707/12 - Rn. 50 ff.) und der 20. Kammer des SG Dresden (Urteil vom 25.01.2013 - S 20 AS 4915/11 - Rn. 33) - nicht möglich. Sie wird auch nicht durch die Rechtsprechung des BSG zum „schlüssigen Konzept“ gewährleistet. Sämtliche diesbezüglich vertretenen Auffassungen laufen entweder auf eine verfassungswidrige Wahrnehmung des der Legislative obliegenden Gestaltungsauftrags durch Gerichte und Verwaltung oder auf eine gleichfalls verfassungswidrige faktische Normverwerfung wiederum durch Gerichte und Verwaltung hinaus.

V.

99

Die Vorlagefrage ist für das vorliegende Klageverfahren entscheidungserheblich.

100

Nach Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG ist ein Vorlageverfahren nur dann zulässig, wenn es für die Entscheidung auf die Gültigkeit des für verfassungswidrig gehaltenen Gesetzes ankommt.

101

Dies setzt - wenn nicht die Zulässigkeitsvoraussetzungen selbst Gegenstand der Vorlage sind - zunächst voraus, dass die dem Vorlagebeschluss zu Grunde liegende Klage zulässig ist (1) und dass im Falle der - hier vorliegenden - Leistungsklage die Anspruchsvoraussetzungen im Übrigen vorliegen (2). Ferner muss es für die Entscheidung des Gerichts auf die Gültigkeit der zur Prüfung vorgelegten Norm ankommen. Dies setzt voraus, dass bei Gültigkeit der Regelung ein anderes Entscheidungsspektrum eröffnet wird, als bei deren Nichtigkeit (3). Der Klage dürfte auch nicht aus einem anderen Rechtsgrund stattzugeben sein (4).

102

1. Die Klage ist zulässig. Das Gericht ist zur Sachentscheidung berufen.

103

1.1 Der Kläger hat seine Klage frist- und formgerecht erhoben. Das Widerspruchsverfahren ist durchgeführt und abgeschlossen worden. Der auf den 09.01.2014 datierte Widerspruchsbescheid ist dem Kläger laut Aktenvermerk des Beklagten am 10.01.2014 in den Hausbriefkasten eingeworfen worden, so dass frühestens von einem Zugang an diesem Tag ausgegangen werden kann. Die Dreitagesfiktion des § 37 Abs. 2 S. 1 SGB X greift hier nicht, da der Widerspruchsbescheid nicht durch die Post übermittelt wurde. Die Klage ist am 10.02.2014, durch die Prozessbevollmächtigte des Klägers unterschrieben, per Telefax beim Gericht eingegangen. Damit ist die Schriftform des § 90 SGG gewahrt (vgl. Binder in: Lüdtke, § 90 Rn. 4, 4. Auflage 2012). Auch die Klagefrist des § 90 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 SGG von einem Monat nach Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids ist eingehalten (§ 64 Abs. 2 S. 1 SGG).

104

1.2 Obwohl dem Gericht bislang keine schriftliche Vollmacht vorliegt, ist gemäß § 73 Abs. 6 S. 5 SGG einstweilen von einer wirksamen Bevollmächtigung der den Kläger vertretenden Rechtsanwälte auszugehen. Das Gericht hat einen Mangel der Vollmacht nur dann von Amts wegen zu berücksichtigen, wenn als Bevollmächtigter kein Rechtsanwalt auftritt.

105

1.3 Die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage, mit welcher der Kläger die Änderung der Bewilligungsbescheide und die Zahlung höherer Leistungen verlangt, ist nach § 54 Abs. 4 SGG statthaft. Der Streitgegenstand wurde im Sinne des § 92 Abs. 1 S. 1 SGG hinreichend bestimmt. Eine exakte Bezifferung des geltend gemachten Anspruchs ist nicht erforderlich. § 92 Abs. 1 S. 3 SGG enthält hinsichtlich der Bestimmtheit des Antrags lediglich eine Sollvorschrift. Aus dem systematischen Zusammenhang mit der Regelung zum Grundurteil in § 130 Abs. 1 S. 1 SGG ergibt sich zudem, dass bei Geldleistungen keine Bezifferung des Antrags erfolgen muss. Nach § 130 Abs. 1 S. 1 SGG kann zur Leistung nur dem Grunde nach verurteilt werden, wenn gemäß § 54 Abs. 4 SGG oder § 54 Abs. 5 SGG eine Leistung in Geld begehrt wird, auf die ein Rechtsanspruch besteht. Aus der Befugnis des Gerichts, ein Grundurteil zu erlassen, folgt die Statthaftigkeit einer entsprechenden unbezifferten Antragstellung. Im Übrigen lässt sich das klägerische Begehren in hinreichender Bestimmtheit dem Vorbringen in der Klageschrift entnehmen.

106

1.4 Der Kläger ist klagebefugt im Sinne von § 54 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 1 SGG, da er geltend macht, durch den angefochtenen Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt zu sein.

107

1.5 Zulässiger Streitgegenstand ist der zunächst mit Widerspruch vom 29.11.2013 angefochtene Änderungsbescheid vom 26.11.2013 in der Fassung der Änderungsbescheide vom gleichen Tag und vom 06.01.2014 (§ 86 SGG bzw. § 96 Abs. 1 SGG) in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.01.2014 (§ 95 SGG) und in der Fassung der Änderungsbescheide vom 15.01.2014, 30.01.2014 und 26.03.2014 (§ 96 Abs. 1 GG). Vom Streitgegenstand umfasst ist der Leistungszeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014.

108

1.5.1 Der Änderungsbescheid vom 26.11.2013 hat den ursprünglichen Bewilligungsbescheid vom 03.09.2013 für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 abgeändert und die Leistungen für diesen Zeitraum neu festgesetzt. Da sich die Neufestsetzung nicht auf den vom ursprünglichen Bewilligungsbescheid mit abgedeckten Zeitraum vom 01.10.2013 bis zum 30.11.2013 erstreckt, unterliegt dieser Zeitraum weiterhin der Regelung durch den Bescheid vom 03.09.2013, der mit der vorliegenden Klage nicht zulässig angefochten wurde. Mit dem fristgerecht erhobenen Widerspruch vom 29.11.2013 (Eingang beim Beklagten am 02.12.2013) wurde dementsprechend nur der Leistungszeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 zum Gegenstand der Überprüfung gemacht.

109

1.5.2 Der noch am 26.11.2013 erlassene Änderungsbescheid ist ebenfalls Gegenstand des Widerspruchsverfahrens geworden. Insoweit kann dahin stehen, ob der Bescheid erst nach Erhebung des Widerspruchs beim Kläger zugegangen ist, mit der Folge, dass der Bescheid nach § 86 SGG in das Widerspruchsverfahren einbezogen wäre, oder ob der Kläger mit seinem Widerspruch von Beginn an den zweiten Änderungsbescheid zusätzlich oder ausschließlich angefochten hat.

110

1.5.3 Auch der Änderungsbescheid vom 06.01.2014 ist Gegenstand des vorliegenden Verfahrens geworden. Dies ist insofern von Bedeutung, als mit diesem Bescheid nach dessen Verfügungssätzen der gesamte streitgegenständliche Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 neu geregelt wird. Die vorher ergangenen Bescheide haben sich insoweit erledigt (§ 39 Abs. 2 SGB X), so dass die Klage bei fehlender Einbeziehung des Änderungsbescheids vom 06.01.2014 und der nachfolgenden Änderungsbescheide in Folge der Erledigung der angefochtenen Bescheide unzulässig würde.

111

Es kann hier offen bleiben, ob die Einbeziehung bereits nach § 86 SGG im Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 26.11.2013 erfolgte, oder erst im Klageverfahren nach § 96 Abs. 1 SGG. Die Beantwortung dieser Frage hinge davon ab, ob dem Kläger (oder dessen Prozessbevollmächtigter) zuerst der Änderungsbescheid vom 06.01.2014 oder der Widerspruchsbescheid vom 09.01.2014 zugegangen ist. Insoweit besteht Unklarheit, da der Bescheid vom 06.01.2014 laut Aktenvermerk ohne Datumsangabe an die Rechtsanwältin des Klägers übersandt wurde, während der Widerspruchsbescheid dem Kläger am 10.01.2014 in den Hausbriefkasten eingeworfen wurde. Somit erscheint denkbar, dass der Änderungsbescheid vom 06.01.2014 erst nach dem Widerspruchsbescheid bekanntgegeben und damit wirksam geworden ist. Eine Einbeziehung nach § 86 SGG in das Widerspruchsverfahren wäre ausgeschlossen, da die Abänderung ausdrücklich „während“ des Vorverfahrens, d.h. bis zum Abschluss des selben erfolgen muss (a.A. noch BSG, Urteil vom 01.08.1978 - 7 RAr 37/77 - Rn. 18f.; BSG, Urteil vom 15.02.1990 - 7 RAr 22/89 - Rn. 18.; BSG, Urteil vom 29.11.1990 - 7 RAr 10/89 - Rn. 26; BSG, Urteil vom 12.05.1993 - 7 RAr 56/92 - Rn. 13).

112

Im Falle der Bekanntgabe des Bescheids vom 06.01.2014 nach Zugang des Widerspruchsbescheids vom 09.01.2014 wäre der Bescheid nach § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des vorliegenden Klageverfahrens geworden. Nach § 96 Abs. 1 SGG wird ein neuer Verwaltungsakt nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. Für den Fall, dass der Bescheid vom 06.01.2014 nach Erlass des Widerspruchbescheides ergangen ist, wären die übrigen Voraussetzungen des § 96 Abs. 1 SGG erfüllt. § 96 Abs. 1 SGG setzt neben der Ersetzung oder Abänderung des klagegegenständlichen Bescheids nur voraus, dass der ändernde Bescheid nach Erlass des Widerspruchsbescheids ergangen ist; er muss hingegen nicht erst nach Klageerhebung ergangen sein (vgl. BT-Drucks. 16/7716, S. 19). Die Formulierung „(n)ach Klageerhebung“ am Anfang des § 96 Abs. 1 SGG bringt lediglich zum Ausdruck, dass eine Einbeziehung des nach Erlass des Widerspruchsbescheids ergangenen Änderungsbescheids - logischerweise - erst nach Klageerhebung Gegenstand des Klageverfahrens werden kann, da vorher noch kein Klageverfahren rechtshängig (§ 94 Abs. 1 SGG) ist, dessen Gegenstand der Bescheid werden könnte.

113

1.5.4 Der Änderungsbescheid vom 15.01.2014 ist gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden (siehe Ziffer 1.5.3). Entsprechendes gilt für den Änderungsbescheid vom 30.01.2014.

114

1.5.5 Auch der während des Klageverfahrens ergangene Änderungsbescheid vom 26.03.2014 ist gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden.

115

1.5.6 Der Bescheid über die Darlehensgewährung einschließlich der Aufrechnungserklärung vom 24.01.2014 ist hingegen nicht gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden, da hiermit weder der Ausgangsbescheid vom 26.11.2013 noch die folgenden Änderungsbescheide abgeändert oder ersetzt werden. Die mit dem Bescheid vom 24.01.2014 verfügte Aufrechnung ist keine teilweise Aufhebung oder Rücknahme der Leistungsbewilligung (Bittner in: jurisPK-SGB II, § 42a Rn. 33.1, 3. Auflage 2012, Stand: 22.07.2014). Die Tilgung eines Darlehens durch Aufrechnung nach § 42a Abs. 2. S. 1 SGB II berührt nur den Auszahlungsanspruch, nicht den sich nach dem Bedarf richtenden Leistungsanspruch (LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 27.12.2011 - L 5 AS 473/11 B ER - Rn. 25).

116

1.5.7 Der Bescheid vom 25.02.2014 und hierzu ergangene Änderungsbescheide über den Zeitraum vom 01.04.2014 bis zum 30.09.2014 sind ebenfalls nicht gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden. Mit diesen Bescheiden werden weder der Ausgangsbescheid vom 26.11.2013 noch die folgenden Änderungsbescheide geändert oder ersetzt (vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 14/06 R - Rn. 30).

117

1.6 Es kann offen bleiben, ob der Kläger den Streitgegenstand auf Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II beschränkt hat bzw. zulässigerweise beschränken durfte (zu dieser Möglichkeit vgl. BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 42/13 R - Rn. 10 ff.; zur alten Rechtslage: BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - Rn. 18 ff.). Denn auch wenn die (monatliche) Gesamthöhe des dem Kläger im Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 zu bewilligenden Arbeitslosengeldes II vom Streitgegenstand umfasst sein sollte, bliebe die Vorlagefrage entscheidungserheblich.

118

2. Der Kläger hat für den streitgegenständlichen Zeitraum dem Grunde nach einen Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach § 19 SGB II (Arbeitslosengeld II). Gemäß § 19 Abs. 1 S. 1, S. 3 SGB II erhalten erwerbsfähige Leistungsberechtigte Arbeitslosengeld II unter Berücksichtigung von Regelbedarf, Mehrbedarfen und Bedarf für Unterkunft und Heizung, wobei das zu berücksichtigende Einkommen und Vermögen die Geldleistungen mindert (§ 19 Abs. 3 S. 1 SGB II).

119

2.1 Der Kläger war erwerbsfähiger Leistungsberechtigter in diesem Sinne, weil er seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hatte (§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB II), älter als 15 Jahre war und die für ihn nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II maßgebliche Altersgrenze von 65 Jahren und acht Monaten noch nicht erreicht hatte.

120

2.2 Der Kläger war im streitgegenständlichen Zeitraum erwerbsfähig im Sinne des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II, da er nicht wegen Krankheit oder Behinderung außerstande war, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 8 Abs. 1 SGB II). Der Kläger bezog zwar ab dem 01.02.2014 eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung von der DRV Bund. Diese setzt jedoch lediglich voraus, dass der Versicherte wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 S. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VI), bzw. ein berufsbezogenes Absinken der Erwerbsfähigkeit auf weniger als sechs Stunden täglich (§ 240 Abs. 2 S. 1 SGB VI). Dafür, dass der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum nicht mehr dazu in der Lage gewesen sein könnte, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig sein, liegen keine Anhaltspunkte vor. Im Rentenbescheid vom 17.12.2013 wurde vielmehr festgehalten, dass ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung nicht bestehe. Eine weitergehende Einschränkung der Erwerbsfähigkeit wird weder vom Kläger noch vom Beklagten behauptet. Der Beklagte ist auch nach dem vorliegend streitigen Zeitraum noch von der Erwerbsfähigkeit des Klägers im Sinne des § 8 Abs. 1 SGB II ausgegangen. Da selbst im Falle des Herabsinkens der Erwerbsfähigkeit auf unter drei Stunden täglich zunächst die Nahtlosigkeitsregelung des § 44a Abs. 1 S. 7 SGB II greifen würde (vgl. zur Vorgängerregelung BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - Rn. 19 m.w.N.; Korte in: LPK-SGB II, § 44a Rn. 23 f., 5. Auflage 2013; Knapp in: jurisPK-SGB II, § 44a Rn. 68, 3. Auflage 2012, Stand: 16.08.2013), sind weitere Ermittlungen hinsichtlich der Erwerbsfähigkeit des Klägers nicht angezeigt.

121

2.3 Der Kläger war hilfebedürftig im Sinne des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB II, was gemäß § 9 Abs. 1 SGB II der Fall ist, wenn jemand seinen eigenen Lebensunterhalt und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus dem zu berücksichtigenden Einkommen und Vermögen (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 SGB II), sichern kann und die nötige Hilfe nicht von anderen erhält. Dies trifft vorliegend zu, weil dem Bedarf des Klägers zum Lebensunterhalt im streitgegenständlichen Zeitraum kein Einkommen oder Vermögen gegenüberstand, das den Bedarf vollständig hätte decken können. Als Einkommen zu berücksichtigen war seit dem 01.02.2014 lediglich die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, die zur Deckung des Gesamtbedarfs bereits ohne Berücksichtigung eines höheren Unterkunftsbedarfes nicht ausreichte.

122

2.4 Der Kläger war nicht nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II, § 7 Abs. 4 SGB II, § 7 Abs. 5 SGB II oder § 77 Abs. 1 SGB II i.V.m. § 7 Abs. 4a SGB II a.F. von den Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgeschlossen.

123

2.5 Der Kläger hatte im streitgegenständlichen Zeitraum tatsächliche Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, so dass er dem Grunde nach Anspruch auf Leistungen unter Berücksichtigung von Bedarfen für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II hat. Der Kläger ist alleiniger Mietvertragspartner. Im Monat Dezember 2013 hatte der Kläger eine Kaltmiete in Höhe von 313,90 Euro, eine Nebenkostenvorauszahlung in Höhe von 118 Euro und eine Rate für die Heizgaslieferung in Höhe von 51 Euro zuzüglich eines als Heizungsbedarf zu qualifizierenden Anteils der Stromkostenvorauszahlung zu entrichten. Im Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 hatte der Kläger eine Kaltmiete in Höhe von 335,80 Euro, eine Nebenkostenvorauszahlung in Höhe von 118 Euro und eine Rate für die Heizgaslieferung in Höhe von 51 Euro zuzüglich eines als Heizungsbedarf zu qualifizierenden Anteils der Stromkostenvorauszahlung zu entrichten.

124

Die tatsächlichen Aufwendungen sind nachgewiesen durch eine Mietbescheinigung vom 19.03.2012 (Kaltmiete von 313,90 Euro und Betriebskostenvorauszahlung in Höhe von 118 Euro), durch den Mietvertrag vom 26.03.2012 und durch das Schreiben der Vermieterin vom 23.09.2013 (Erhöhung der Kaltmiete auf 335,80 Euro; Betriebskostenvorauszahlung weiter bei 118 Euro). Das Gericht hat keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Mieterhöhung zum 01.01.2014 zivilrechtlich unwirksam sein könnte.

125

Der Abschlag für die Heizgaslieferung in Höhe von 51 Euro monatlich ist nachgewiesen durch die Verbrauchsabrechnung vom 20.11.2013.

126

Die auf dem Mietvertrag für die selbst bewohnte Wohnung beruhenden Verpflichtungen des Klägers zur Zahlung der Kaltmiete und der Nebenkostenvorauszahlung sind Aufwendungen für Unterkunft im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II (BSG, Urteil vom 25.06.2008 - B 11b AS 35/06 R - Rn. 20). Die für die Belieferung mit Heizgas zu zahlende Rate ist als Heizungsbedarf im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II anzuerkennen. Entsprechendes gilt nach der Rechtsauffassung der vorlegenden Kammer auch für einen noch abschließend zu schätzenden Anteil der Stromkostenvorauszahlung, der zum Betrieb der Kombigastherme erforderlich ist.

127

3. Die Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist für die durch das Gericht zu treffende Sachentscheidung über den Anspruch des Klägers entscheidungserheblich.

128

Entscheidungserheblichkeit im Sinne des Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG liegt bereits vor, wenn bei Gültigkeit der Vorschrift (3.2) ein Entscheidungsspektrum eröffnet wird, das eine Abweichung von der Entscheidung bei Nichtigkeit der Vorschrift (3.1) ermöglicht. Nicht erforderlich ist hingegen das Vorliegen einer einzigen Entscheidungsalternative, da andernfalls eine Vorlage von für verfassungswidrig zu unbestimmt gehaltenen Regelungen ausgeschlossen wäre.

129

3.1 Im Falle der Verfassungswidrigkeit und Nichtigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II wäre der Beklagte zur Gewährung von höheren Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 zu verurteilen. Die den Bedarf für Unterkunft und Heizung regelnde Vorschrift des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II hätte bei Nichtigerklärung des zweiten Halbsatzes den Wortlaut:

130

"Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt."

131

Demzufolge wären bei der Berechnung des Leistungsanspruchs im Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in tatsächlicher Höhe ohne weitere Begrenzung zu berücksichtigen.

132

Konkret würde dies im vorliegenden Verfahren zu einer Verurteilung des Beklagten zu höheren Leistungen unter Berücksichtigung eines höheren Bedarfs für Unterkunft im Umfang von 28,40 Euro für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 sowie im Umfang von 50,30 Euro monatlich für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 führen. Die monatliche Differenz resultiert daraus, dass der Beklagte bei der Leistungsberechnung an Stelle der tatsächlich geschuldeten Kaltmiete von 313,90 Euro für den Monat Dezember 2013 und in Höhe von 335,80 Euro monatlich für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 durchgehend eine für angemessen gehaltene monatliche Kaltmiete von 285,50 Euro zu Grunde legte. Diese Differenz schlägt zunächst auf den berücksichtigten Bedarf für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II und sodann auf die Höhe der Gesamtleistung nach § 19 Abs. 1 S. 3 SGB II durch.

133

Die Kammer hat keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Beklagte eine andere Bedarfsposition (rechtswidrig) zu hoch angesetzt hätte, so dass die Unterdeckung im Bereich der Kaltmiete durch einen anderen Bedarfsanteil teilweise oder vollständig ausgeglichen wäre, mit der Folge, dass auch im Falle der Nichtigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 SGB II nicht zu höheren Leistungen zu verurteilen wäre. Insbesondere ist die zusätzliche Berücksichtigung eines Teils der Stromkosten des Klägers als Heizkosten im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II vor dem Hintergrund des elektrischen Betriebs der Kombigastherme dem Grunde nach nicht zu beanstanden (vgl. BSG, Urteil vom 07.07.2011 - B 14 AS 51/10 R - Rn. 15). Ob der hierbei durch den Beklagten berücksichtigte Betrag von 4,22 Euro monatlich zu niedrig, zu hoch oder zutreffend angesetzt ist, wird das Gericht im Falle eines Urteils gemäß § 202 SGG i.V.m. § 287 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) durch Schätzung zu bestimmen haben, da für den Stromverbrauch der Kombigastherme kein separater Zähler bzw. Zwischenzähler existiert, sodass die Stromkosten nicht konkret ausgewiesen werden können (vgl. BSG, Urteil vom 07.07.2011 - B 14 AS 51/10 R - Rn. 15; BSG, Urteil vom 20.08.2009 - B 14 AS 41/08 R - Rn. 27). Diese Schätzung ist kein Teil der Sachverhaltsermittlung, sondern kann erst anhand der ermittelten Tatsachen im Urteil erfolgen, so dass hierdurch die Zulässigkeit des Vorlageverfahrens (etwa wegen unvollständiger Tatsachenermittlung) nicht in Frage gestellt wird. Im Übrigen würde selbst unter der Annahme, die Stromkosten für die Kombigastherme seien nicht als Bedarf nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zu berücksichtigen (so vertreten durch SG Augsburg, Urteil vom 14.02.2013 - S 16 AS 887/12 - Rn. 12 ff.), eine rechtswidrige Begünstigung nur im Umfang von 4,22 Euro monatlich vorliegen, wodurch die Differenz zwischen tatsächlicher und bei der Bedarfsberechnung berücksichtigter Kaltmiete nur marginal kompensiert würde.

134

Entsprechendes gilt für die einkommensmindernde Berücksichtigung der Beiträge zur Kfz-Haftpflichtversicherung, die nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 12.06.2013 - B 14 AS 73/12 R - Rn. 27) zusätzlich zur Versicherungspauschale nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 AlgIIV abzusetzen sind. Für die vom Beklagten durchgeführte Durchschnittsberechnung gibt es keine Rechtsgrundlage, so dass der vierteljährlich fällige Beitrag ausschließlich im jeweiligen Fälligkeitsmonat vom Einkommen abzusetzen wäre. Demzufolge liegt rechnerisch eine rechtswidrige Begünstigung des Klägers in den Monaten Februar und März 2014 um den Betrag von 18,97 Euro monatlich vor, die aber ebenfalls nur zu einer teilweisen Kompensation der Differenz zwischen tatsächlicher und als angemessen anerkannter Kaltmiete, beschränkt auf den Zeitraum vom 01.02.2014 bis zum 31.03.2014, führt.

135

Bei Nichtigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II hätte der Kläger demzufolge einen gegenüber dem Änderungsbescheid vom 26.03.2014 höheren Leistungsanspruch. Der Beklagte wäre entsprechend zu verurteilen.

136

3.2 Im Falle der Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II wäre hingegen offen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Beklagte zu höheren Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 zu verurteilen wäre. Dies hinge davon ab, wie der Begriff der Angemessenheit im vorliegenden Fall zu konkretisieren wäre.

137

Die wesentliche verfassungsrechtliche Problematik besteht hier darin, dass es der für verfassungswidrig gehaltenen Vorschrift an der hinreichenden Bestimmtheit (bzw. Intensionstiefe, vgl. Müller/Christensen, Juristische Methodik, 10. Auflage 2009, S. 196) mangelt. Dies hat nicht nur (zur Überzeugung der Kammer) die Verfassungswidrigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II zur Folge, sondern führt auch dazu, dass sich die Rechtsfolgen unter Annahme der Gültigkeit der Vorschrift nicht ohne weiteres bestimmen lassen. Wegen der Unbestimmtheit des Angemessenheitsbegriffs könnte im Falle der Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II jede Entscheidung mit dem Wortlaut des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II in Einklang gebracht werden, die im Einzelfall zur Verurteilung zur Leistung unter Berücksichtigung der Unterkunftsaufwendungen in tatsächlicher Höhe führt. Auch ließe sich in jedem Einzelfall eine Kürzung des Leistungsanspruchs unter Berufung auf den Wortlaut des § 22 Abs. 1 S. Hs. 2 SGB II begründen, insbesondere auch die vom Beklagten im vorliegenden Fall verfügte Begrenzung (3.2.1). Zur Darlegung der Entscheidungserheblichkeit muss es daher genügen, dass die Kammer das Spektrum der Entscheidungsmöglichkeiten für den Fall der Gültigkeit der Vorschrift aufzeigt (3.2.2), da andernfalls eine Vorlage von für verfassungswidrig zu unbestimmt gehaltenen Regelungen ausgeschlossen wäre (3.2.3).

138

3.2.1 Die Frage der Entscheidungserheblichkeit im Sinne des Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG muss aus der Perspektive einer für den Fall der Gültigkeit der vorgelegten Norm anzunehmenden hypothetischen Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts beantwortet werden (vgl. BVerfG, Entscheidung vom 06.11.1957 - 2 BvL 12/56, 2 BvL 12 BvL 13/56, 2 BvL 12 BvL 14/56, 2 BvL 12 BvL 15/56 - Rn. 13). Die Kammer muss bei Bildung dieser hypothetischen Rechtsauffassung notwendigerweise die Vorstellungen außer Betracht lassen, die zur Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der Vorschrift geführt haben.

139

Unter Vorwegnahme der Darlegungen zur Begründetheit des Vorlagebeschlusses beruht der Befund der Verfassungswidrigkeit im Wesentlichen auf folgenden Überlegungen:

140

1. Der Gesetzgeber verstößt gegen Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG, indem er die konkrete Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums im für dessen Verwirklichung zentralen Bereich des unterkunftsbezogenen Existenzminimums durch Verwendung eines "unbestimmten Rechtsbegriffs" im Wesentlichen der Verwaltung und der Rechtsprechung überlässt.

141

2. Der Gesetzgeber verstößt gegen Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG, weil er die zur Festsetzung der existenzsichernden Leistungen erforderliche Auswahl der Methoden zur Ermittlung der Bedarfe und zur folgerichtigen Begründbarkeit der Höhe des Leistungsanspruchs unterlassen hat.

142

Unter der Annahme, dass beide Vorwürfe nicht zuträfen, wäre dem Gericht ein Spektrum "vertretbarer", d.h. mit dem Gesetzeswortlaut und der Gesetzessystematik vereinbarer Entscheidungen eröffnet, das eine volle Klageabweisung, ein volles Obsiegen des Klägers und jede Entscheidung zwischen beiden Polen grundsätzlich ermöglicht. Um dies zu belegen, genügt es, sich die zahlreichen Wertentscheidungen zu vergegenwärtigen, die ausgehend vom unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit getroffen werden müssen, um zu einer konkreten Einzelfallentscheidung zu kommen.

143

a) Die Bestimmung der Angemessenheitsgrenze des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II hinge, sofern das BVerfG die Vorschrift nicht für nichtig erklärt oder die Verfassungswidrigkeit unter Anordnung anderer Rechtsfolgen feststellt, davon ab, nach welchen Parametern eine verfassungskonforme Konkretisierung der Vorschrift stattzufinden hätte. Sollte das BVerfG der Interpretation des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II überhaupt eine verfassungsrechtliche Relevanz zubilligen, wäre das vorlegende Gericht gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG auch an die Vorgaben des BVerfG zur verfassungskonformen Anwendung der Regelung gebunden (BVerfG, Beschluss vom 10.06.1975 - 2 BvR 1018/74 - Rn. 14; BVerfG, Beschluss vom 27.01.2006 - 1 BvQ 2/06 - Rn. 33 ff.). Über derartige Vorgaben lässt sich gegenwärtig nur spekulieren. Rein tatsächlich ist nicht auszuschließen, dass das BVerfG eine oder mehrere der bisher zur Konkretisierung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II vertretenen Auffassungen als verfassungskonform erachten könnte.

144

b) Folgte das Gericht - sofern es ihm durch das BVerfG freigestellt werden sollte - nach verfassungsgerichtlicher Bestätigung der Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II der Rechtsprechung des BSG (s.o. unter A. IV. 1), hätte eine Überprüfung und gegebenenfalls Nachbesserung des vom Beklagten vorgelegten Konzepts zur Bestimmung der maßgeblichen Mietobergrenzen nach dessen Kriterien zu erfolgen. Ob die aus dem von A & K erarbeiteten Konzept abgeleitete Entscheidung des Beklagten über die dem Kläger zu gewährenden Leistungen den Anforderungen der BSG-Rechtsprechung standhalten würde, ist völlig offen. Ohne dass dies an dieser Stelle genauerer Erörterung bedürfte, eröffnet bereits die uneingeschränkte Prüfungsbefugnis der Gerichte die Möglichkeit zu einer Korrektur des Konzepts, da dieses - notwendigerweise - mit subjektiven Wertentscheidungen operiert, die jedes zur Entscheidung berufene Gericht auch anders treffen könnte (vgl. zu dieser Problematik: SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 65 ff.).

145

Anhaltspunkte für eine (nach Maßgabe des BSG) fehlende "Schlüssigkeit" des vorgelegten Konzepts ergeben sich jedenfalls aus der Ausgestaltung der Vergleichsräume, die anhand von Clusteranalysen empirisch-statistisch differenzierter Wohnungsmarkttypen und nicht nach "homogenen Lebensbereichen" (vgl. BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 21) vorgenommen wurde, des Weiteren aus der relativ geringen Stichprobe bei der Datenerhebung (vgl. BSG, Urteil vom 18.06.2008 - B 14/7b AS 44/06 R - Rn. 16) und aus der Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen ausschließlich anhand der Kaltmiete bei Berücksichtigung der kalten Nebenkosten in tatsächlicher Höhe (entgegen BSG, Urteil vom 13.04.2011 - B 14 AS 32/09 R - Rn. 28; BSG, Urteil vom 13.04.2011 - B 14 AS 85/09 R - Rn. 29). Letztendlich basiert die Festlegung der Perzentilen, mit denen die Angemessenheitsgrenze innerhalb der für die jeweilige Haushaltsgröße und den jeweiligen Wohnungsmarkttyp festgelegt werden, auf einer anhand von Plausibilitätserwägungen erfolgten Setzung des Konzepterstellers. Das zur Entscheidung berufene Gericht könnte auf der Basis der Rechtsprechung des BSG auch andere Perzentilen zur Festsetzung der abstrakten Angemessenheitsgrenze als "schlüssig" erachten. Mögliche Korrekturen durch das Gericht würden gegebenenfalls zu Nachermittlungen, aber nicht zwangsläufig zu einer Erhöhung der Angemessenheitsgrenzen führen.

146

Nach derzeitiger Rechtsprechung des BSG wäre im Falle fehlender Ermittlungsmöglichkeiten von einer Angemessenheitsobergrenze auszugehen, die das BSG für die Bruttokaltmiete in Höhe der um 10 % angehobenen Höchstwerte nach § 12 Abs. 1 WoGG verortet (BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R - Rn. 25 ff. m.w.N.). Dies zu Grunde gelegt, kann davon ausgegangen werden, dass bei Unschlüssigkeit des Konzepts und durch das Gericht festgestelltem Ermittlungsausfall jedenfalls keine höheren Werte als die um 10 % erhöhten Höchstwerte nach § 12 Abs. 1 WoGG als Bruttokaltmiete zu berücksichtigen wären. Dies ergäbe im Falle eines Einpersonenhaushalts in Alzey (Mietenstufe III) einen Höchstwert nach § 12 Abs. 1 WoGG von 330 Euro. Um 10 % erhöht ergäbe dies eine Angemessenheitsobergrenze von 363 Euro. Die tatsächliche Bruttokaltmiete des Klägers lag für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.12.2013 bei 431,90 Euro (313,90 Euro Grundmiete zuzüglich 118 Euro Nebenkostenvorauszahlung) und für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.03.2014 bei 453,80 Euro (335,80 Euro Grundmiete zuzüglich 118 Euro Nebenkostenvorauszahlung). Tatsächlich berücksichtigte der Beklagte bei dem Kläger mit dem Änderungsbescheid vom 26.03.2014 über den gesamten streitgegenständlichen Zeitraum eine Bruttokaltmiete von 403,50 Euro (285,50 Euro "angemessene" Kaltmiete zuzüglich 118 Euro Nebenkostenvorauszahlung). Die tatsächlich bewilligten Leistungen lagen somit bereits über der vom BSG entwickelten "Angemessenheitsobergrenze".

147

Sollte sich die Rechtsprechung des BSG als verfassungsrechtlich vertretbar erweisen und würde sich die Kammer dieser Rechtsauffassung nach Entscheidung des BVerfG anschließen, würde dies im Ergebnis wahrscheinlich nicht dazu führen, dass die tatsächliche Bruttokaltmiete des Klägers als abstrakt angemessen angesehen werden könnte. Vor dem Hintergrund der Bestandsschutzregelung des § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II wäre aber auch dies für den streitgegenständlichen Zeitraum nicht völlig ausgeschlossen. Die Klage wäre aber wahrscheinlich (teilweise) abzuweisen.

148

c) Würde das Gericht der Auffassung der 20. Kammer des SG Dresden (Urteil vom 25.01.2013 - S 20 AS 4915/11 - Rn. 33; s.o. unter A. IV. 3.3) folgen, bedürfte es keiner weiteren Ermittlungen, weil die danach maßgeblichen Höchstbeträge nach § 12 WoGG sich dem Gesetz entnehmen und rechnerisch um 10 % erhöhen ließen. Hieraus ergäbe sich kein höherer Leistungsanspruch des Klägers. Die Klage wäre insoweit abzuweisen.

149

d) Würde die Kammer sich der Rechtsauffassung der 17. Kammer des SG Mainz (Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 91 ff.; Urteil vom 22.10.2012 - S 17 SO 145/11 - Rn. 84 ff.; Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 72 ff.; Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 751/12 - Rn. 41; Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 119/13 - Rn. 39; Urteil vom 18.10.2013 - S 17 AS 1069/12 - Rn. 50; s.o. unter A. IV. 3.1) oder der 20. Kammer des SG Leipzig (Urteil vom 15.02.2013 - S 20 AS 2707/12 - Rn. 41 ff.; Urteil vom 16.12.2013 - S 20 AS 879/11 - Rn. 72; s.o. unter A. IV. 3.2) anschließen, dürften weitere Ermittlungen angesichts der relativ geringen Überschreitung der vom Beklagten zu Grunde gelegten Angemessenheitsgrenze ebenfalls obsolet sein. Der Beklagte wäre wohl zur Gewährung von höheren Leistungen unter Berücksichtigung der tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung zu verurteilen.

150

3.2.2 Die Frage, welche Auswirkung die Gültigkeit einer Vorschrift auf das Ergebnis des Prozesses haben würde, ist gerade bei normbereichsgeprägten unbestimmten Rechtsbegriffen wie dem der "Angemessenheit tatsächlicher Aufwendungen" nicht durch die (hypothetische) Einnahme eines juristischen Standpunktes zu lösen, weil sich die Entscheidungstätigkeit des Gerichts nicht in einer einfachen Subsumtion eines Falles unter einen Gesetzestext erschöpft. Die Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs steuert von vornherein Richtung und Intensität der gerichtlichen Ermittlungen, deren Ergebnisse wiederum auf die (weitere) Konkretisierung des Rechtsbegriffs zurückwirken. Dies lässt sich methodologisch als mit-normative Wirkung von Sachbereichselementen beschreiben und kommt in der Rechtspraxis beispielsweise darin zum Ausdruck, dass Verwaltung und Tatsachengerichte nach der Rechtsprechung des BSG den durch das BSG initiierten Vorgang der Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs mit Hilfe empirisch-statistischer Wohnungsmarktanalysen zu vervollständigen haben.

151

Aus diesem Grund sieht sich die Kammer weder dazu verpflichtet noch dazu in der Lage, der Frage, wie die Angemessenheitsgrenze bei Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift im konkreten Fall zu bestimmen wäre, zur Klärung der Entscheidungserheblichkeit vorzugreifen und auf dieser Basis eine gegebenenfalls erforderliche Sachverhaltsaufklärung zu betreiben. Eine Beweisaufnahme würde die Vorlage an das BVerfG nicht vermeiden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 31.01.1978 - 2 BvL 8/77 - Rn. 56), weil sie nicht dazu geeignet wäre, das Entscheidungsspektrum der Kammer soweit einzuschränken, dass nur noch ein mit dem Falle der Nichtigkeit der Vorschrift identisches Ergebnis vertretbar wäre. Die üblicherweise geforderte klare Entscheidungsalternative bei Nichtigkeit der Vorschrift einerseits und bei Gültigkeit andererseits (vgl. BVerfG, Entscheidung vom 06.11.1957 - 2 BvL 12/56 u. a. - Rn. 12; BVerfG, Beschluss vom 22.04.1986 - 2 BvL 6/84 - Rn. 32; BVerfG, Beschluss vom 07.12.1988 - 1 BvL 27/88 - Rn. 13; BVerfG, Beschluss vom 01.04.2014 - 2 BvL 2/09 - Rn. 44; BVerfG, Beschluss vom 19.11.2014 - 2 BvL 2/13 - Rn. 38), kann und muss demzufolge nicht dargelegt werden.

152

Diese Ausgangssituation erfordert vielmehr eine Fortentwicklung der verfassungsprozessrechtlichen Dogmatik zur Entscheidungserheblichkeit dergestalt, dass Entscheidungserheblichkeit bereits dann gegeben ist, wenn bei Gültigkeit der Vorschrift ein Entscheidungsspektrum eröffnet wird, das eine Abweichung von der Entscheidung bei Nichtigkeit der Vorschrift ermöglicht. Diese Erweiterung ist notwendig, um Verfassungsverstöße bei bzw. durch Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe justiziabel zu machen und hierbei die Grenzen verfassungskonformer Auslegungsmöglichkeiten zu wahren. Sie ist mit dem Wortlaut des Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG vereinbar, der lediglich besagt, dass es bei der Entscheidung des Gerichts auf die Gültigkeit des Gesetzes ankommen muss. Dies erfordert noch keine Festlegung, auf welche exakte Weise sich die gesetzliche Regelung im Falle ihrer Gültigkeit auf das Ergebnis der Entscheidung auswirkt. Die Entscheidungserheblichkeit ist bereits dann gegeben, wenn der für verfassungswidrig gehaltene Normbestandteil als wesentliches Eingangsdatum im Konkretisierungsprozess das Ergebnis der Endentscheidung beeinflusst (vgl. bereits BVerfG, Beschluss vom 31.01.1978 - 2 BvL 8/77 - Rn. 28).

153

3.2.3 Die Alternative zu dieser Vorgehensweise bestünde darin, die Entscheidungserheblichkeit zu verneinen, weil der unbestimmte Rechtsbegriff der „Angemessenheit“ jedenfalls auch eine Entscheidung ermöglicht, die im Ergebnis einer Entscheidung bei Nichtigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II gleichkommt, beispielsweise unter Zugrundelegung der Rechtsauffassung der 17. Kammer des SG Mainz oder der 20. Kammer des SG Leipzig (s.o. unter A. V. 3.2.1 d).

154

Auf diese Weise wäre das Gericht gezwungen, seiner hypothetischen Rechtsauffassung für den Fall der Gültigkeit der Vorschrift stets die Entscheidungsalternative zu Grunde zu legen, die das gleiche Ergebnis mit sich brächte wie im Falle der Nichtigkeit der Vorschrift.

155

Das Gericht ist jedoch nicht dazu berechtigt oder gar verpflichtet, einer für unzutreffend gehaltenen Auffassung über die Möglichkeit einer "verfassungskonformen Auslegung" zu folgen, um die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage zu beseitigen. Dies führte zu einer faktischen Nichtanwendung der Vorschrift und damit entgegen Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 97 Abs. 1 GG zu einer Normverwerfung, die gemäß Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG dem BVerfG vorbehalten ist.

156

3.2.4 Bei Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II würde dem Gericht ein gegenüber der Situation bei Nichtigkeit der Vorschrift erheblich erweitertes Entscheidungsspektrum eröffnet. Auf die Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II kommt es bei der Entscheidung des Falles somit an.

157

4. Die Entscheidungserheblichkeit wird ferner nicht dadurch beseitigt, dass die streitgegenständlichen Bescheide aus einem anderen Rechtsgrund aufzuheben wären und/oder dem Kläger aus anderen Rechtsgründen höhere Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.03.2014 zustehen könnten.

158

4.1 Die streitgegenständlichen Bescheide weisen keine entscheidungserheblichen formellen Mängel auf. Insbesondere ist der die früheren Bescheide ersetzende Änderungsbescheid vom 26.03.2014 sowohl begründet (§ 35 SGB X) als auch inhaltlich hinreichend bestimmt (§ 33 Abs. 1 SGB X). Die mit diesem Bescheid aufgehobenen älteren Bescheide wurden mit korrekter Datumsangabe und bezogen auf den betroffenen Leistungszeitraum eindeutig bezeichnet. Die Leistungsbewilligung wurde hinsichtlich der Bedarfsarten Regelbedarf, Unterkunftsbedarf und Heizungsbedarf differenziert auf die jeweiligen Bewilligungsmonate dargestellt, so dass der Bescheid auch im Hinblick auf mögliche Folgeentscheidungen nach § 22 Abs. 7 SGB II, § 22 Abs. 8 SGB II oder § 40 Abs. 4 S. 1 SGB II hinreichend bestimmt ist.

159

4.2 Der Kläger hat nicht aus anderen Rechtsgründen einen Anspruch auf höhere Leistungen, der das im vorliegenden Verfahren verfolgte Begehren vollständig erfüllen würde.

160

4.2.1 Der Kläger hat nicht aus einem von der Frage der Angemessenheit unabhängigen Rechtsgrund einen Anspruch auf Berücksichtigung der tatsächlichen Aufwendungen für die Kaltmiete.

161

a) Ob der Kläger in den Genuss der Bestandsschutzregelung des § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II kommen kann, hängt davon ab, ob und gegebenenfalls auf welche Weise der Begriff der Angemessenheit einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich ist.

162

Nach § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II sind die den der Besonderheit des Einzelfalls angemessenen Umfang übersteigenden Aufwendungen für Unterkunft und Heizung so lange als Bedarf zu berücksichtigen, wie es dem oder der Leistungsberechtigten oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II knüpft in dessen erstem Halbsatz an die Angemessenheitsgrenze des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II an. Diese bildet den sachlichen Bezugspunkt für die Frage, ob eine Kostensenkung unmöglich oder unzumutbar ist (vgl. zur Prüfungsreihenfolge auch BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 2/10 R - Rn. 31).

163

Ohne die Frage der (konkreten) Angemessenheit zu klären, könnte eine Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Kostensenkung daher nur angenommen werden, wenn diese oder jene bereits unabhängig davon bestünde, welche Unterkunftsalternativen (oder andere Kostensenkungsmöglichkeiten) für den Leistungsberechtigten bestanden haben mögen. Rein hypothetisch könnte eine generelle Unmöglichkeit der Kostensenkung ohne Bezugnahme auf eine Angemessenheitsgrenze ansonsten nur angenommen werden, wenn es objektiv und unabhängig von näheren Eingrenzungen ("Vergleichsraum" usw.) für niemanden eine Möglichkeit gäbe, eine kostengünstigere Unterkunft als die vom Kläger bewohnte zu finden. Dass dies vorliegend nicht der Fall ist, belegen schon die von A & K im Zuge der Konzepterstellung erhobenen Angebotsmieten, die zum Teil eine geringere Kaltmiete als die vom Kläger geschuldete auswiesen.

164

Um § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II losgelöst von der Konkretisierung der Angemessenheitsgrenze nach § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II zur Anwendung zu bringen, müsste der Leistungsberechtigte daher aus in seiner Person liegenden Gründen an seine konkret bewohnte Unterkunft derart gebunden sein, dass jeglicher Wohnungswechsel unmöglich oder unzumutbar wäre. Dies könnte beispielsweise aus behinderungsbedingten Gründen, aus der Verpflichtung zur Pflege von Angehörigen oder mit einer notwendig mit der Wohnung verknüpften Erwerbstätigkeit der Fall sein. Im Falle des Klägers liegen derartige Umstände nicht vor. Die vom Kläger mitgeteilten gesundheitlichen Einschränkungen schließen eine Kostensenkung durch Umzug nicht von vornherein aus. Auch die Regelhöchstfrist von sechs Monaten war im streitgegenständlichen Zeitraum bereits deutlich überschritten.

165

Der Kläger hat auch nicht bereits deshalb einen höheren Leistungsanspruch, weil die an ihn gerichtete Kostensenkungsaufforderung vom 05.03.2012 mangelhaft gewesen sein könnte. Der Beklagte hat in seinem Aufforderungsschreiben zwar nur eine Nettokaltmiete als Referenzmiete benannt, was nach der neueren Rechtsprechung des BSG den an die Kostensenkungsaufforderung zu stellenden Anforderungen nicht genügen würde (vgl. BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 77/12 R - Rn. 43 m.w.N.). Die Kostensenkungsaufforderung ist jedoch keine formelle Voraussetzung für eine Absenkung des anzuerkennenden Unterkunftsbedarfs nach § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II (vgl. BSG, Urteil vom 22.03.2012 - B 4 AS 16/11 R - Rn. 19). Es ist zwar auch ohne nähere Bestimmung des Angemessenheitsbegriffs einleuchtend, die Entstehung einer Kostensenkungsobliegenheit an die Kenntnis derselben zu knüpfen. Diese Voraussetzung lässt sich dem Tatbestand der Unzumutbarkeit des Umzugs in dem Sinne zuordnen, dass eine Kostensenkung ohne Kenntnis der Notwendigkeit derselben vom Leistungsberechtigten nicht erwartet werden kann. Losgelöst von einer Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs muss aber insoweit genügen, dass dem Leistungsberechtigten überhaupt mitgeteilt wird, dass der Leistungsträger die bisher berücksichtigten unterkunftsbezogenen Aufwendungen für unangemessen hält und eine Absenkung der Leistung beabsichtigt. Dies hat der Beklagte dem Kläger im Schreiben vom 05.03.2012 mitgeteilt.

166

Die vom BSG entwickelten qualitativen Voraussetzungen für die "Wirksamkeit" der Kostensenkungsaufforderung resultieren hingegen aus einer bestimmten Auslegung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II und setzen sowohl dessen Verfassungsmäßigkeit als auch eine nähere Konkretisierung voraus. Die Bestandsschutzregelung des § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II weist bei Abstraktion von den für den vorliegenden Beschluss maßgeblichen verfassungsrechtlichen Bedenken ein dem § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II vergleichbar breites Spektrum an Konkretisierungs- und Entscheidungsmöglichkeiten auf. Hiervon werden auch die aus der Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs abgeleiteten Voraussetzungen für den Eintritt der Kostensenkungsobliegenheit erfasst.

167

Daher hängt auch die Frage, ob dem Kläger die Bestandsschutzregelung des § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II zu Gute kommen kann, von der Gültigkeit der Vorschrift des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ab.

168

Dem Gericht ist es verwehrt, § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II "verfassungskonform" so auszulegen, dass in Folge der Unbestimmtheit des Angemessenheitsbegriffs eine Kostensenkung per se unmöglich oder unzumutbar wäre, gegebenenfalls vermittelt über die Behauptung, dass der Leistungsträger in Folge der Unbestimmtheit und/oder Verfassungswidrigkeit des Angemessenheitsbegriffs gar nicht dazu in der Lage sei, eine rechtmäßige Kostensenkungsaufforderung zu erteilen. Eine solche Auslegung liefe auf eine Negation der Wirkungen des Angemessenheitsbegriffs zwar nicht im unmittelbaren Anwendungsbereich des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II, jedoch in dessen Auswirkungen auf § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II hinaus. Eine solche Vorgehensweise käme einer Normverwerfung gleich, die dem Fachgericht wegen seiner Bindung an das Gesetz nicht gestattet ist.

169

b) Der Kläger hat auch keinen mit dem Klagebegehren gleichwertigen Anspruch auf Übernahme des Differenzbetrags aus tatsächlicher und berücksichtigter Kaltmiete aus § 22 Abs. 8 SGB II.

170

Nach § 22 Abs. 8 S. 1 SGB II können Schulden übernommen werden, sofern Arbeitslosengeld II für den Bedarf für Unterkunft und Heizung erbracht wird, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Nach § 22 Abs. 8 S. 2 SGB II sollen Schulden übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Gemäß § 22 Abs. 8 S. 4 SGB II sollen diesbezügliche Geldleistungen als Darlehen erbracht werden. Nach § 42a Abs. 2 S. 1 SGB II werden Rückzahlungsansprüche aus Darlehen ab dem Monat, der auf die Auszahlung folgt, durch monatliche Aufrechnung in Höhe von 10 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs getilgt, solange Darlehensnehmer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts beziehen.

171

Es kann vorliegend offen bleiben, ob zwischen dem Anspruch auf Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 SGB II und der Schuldenübernahme nach § 22 Abs. 8 SGB II ein Ausschließlichkeitsverhältnis besteht (soBerlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 188, 5. Auflage 2013) und ob eine Leistung zur Sicherung einer nicht kostenangemessenen Unterkunft grundsätzlich nicht gerechtfertigt im Sinne des § 22 Abs. 8 S. 1 SGB II sein kann (vgl. Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 194, 5. Auflage 2013). Desgleichen kann offen bleiben, ob die Anspruchsvoraussetzungen des § 22 Abs. 8 SGB II im Falle des Klägers gegeben wären und ob ein derartiger Anspruch bereits an einer fehlenden separaten Antragstellung scheitern würde (vgl. BSG, Urteil vom 18.11.2014 - B 4 AS 3/14 R - Rn. 15). Denn jedenfalls im Hinblick auf die Rechtsfolgen würde durch die Verurteilung des Beklagten zur Gewährung von Leistungen nach § 22 Abs. 8 SGB II dem Begehren des Klägers nicht vollumfänglich entsprochen. Zunächst könnte der Beklagte auf Grund des eingeräumten Ermessens (abgesehen vom Fall der Ermessensreduzierung auf Null) im Unterschied zur Verurteilung zu Leistungen nach §§ 19 Abs. 1, 22 Abs. 1 S. 1 SGB II durch das Gericht nur zur Neubescheidung verpflichtet werden (§ 131 Abs. 2 S. 3, Abs. 3 SGG; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 131 Rn. 12d, 11. Auflage 2014). Darüber hinaus hätte der Beklagte die Schulden im Regelfall darlehensweise zu übernehmen (§ 22 Abs. 8 S. 4 SGB II), was bereits als solches eine vergleichsweise schlechtere Rechtsposition als die begehrte vermittelt, die wegen der bei darlehensweiser Gewährung zwingenden Tilgungsregelung des § 42a Abs. 2 S. 1 SGB II weiter verschlechtert würde (vgl. zu den Möglichkeiten und Grenzen einer verfassungskonformen Auslegung von Sollvorschriften im Zusammenhang mit § 42a Abs. 1 S. 1 SGB II: SG Berlin, Urteil vom 22.02.2013 - S 37 AS 25006/12 - Rn. 29 ff. einerseits und SG Mainz, Urteil vom 18.10.2013 - S 17 AS 1069/12 - Rn. 100 f. andererseits und Bittner in: jurisPK-SGB II, § 42a Rn. 31.1, 3. Auflage 2012, Stand: 22.07.2014).

172

c) Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger einen Anspruch auf Berücksichtigung der tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft aus § 22 Abs. 1 S. 4 SGB II hat.

173

Nach dieser Vorschrift muss eine Absenkung der nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II unangemessenen Aufwendungen nicht gefordert werden, wenn diese unter Berücksichtigung der bei einem Wohnungswechsel zu erbringenden Leistungen unwirtschaftlich wäre. Unabhängig von der umstritten Frage, ob § 22 Abs. 1 S. 4 SGB II überhaupt ein subjektives Recht gewährt (verneinend: Sächsisches LSG, Urteil vom 19.12.2013 - L 7 AS 637/12 - Rn. 202 unter Verweis auf die Gesetzesbegründung - BT-Drucks. 17/3404, S. 98; bejahend: Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 96, 5. Auflage 2013), stünde die Entscheidung, ob eine Absenkung der für unangemessen gehaltenen Aufwendungen verlangt wird, im Ermessen des Leistungsträgers (Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 96, 5. Auflage 2013), was sich aus der Wendung "muss nicht gefordert werden" im Gesetzeswortlaut ergibt. Die Frage, wann ein Wohnungswechsel in Folge zu übernehmender Umzugskosten unwirtschaftlich wäre, hinge im Übrigen wesentlich davon ab, in welchem Umfang der Leistungsberechtigte zur Senkung seiner Unterkunftskosten verpflichtet wäre. Dies ergäbe sich wiederum aus der Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II, sodass die Anwendbarkeit des § 22 Abs. 1 S. 4 SGB II ihrerseits von der Gültigkeit der Vorschrift des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II abhängt.

174

4.2.2 Andere Rechtsgrundlagen, die dem Kläger materiell einen höheren Leistungsanspruch verschaffen können, stellen die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage bereits deshalb nicht in Frage, weil sie zum auf höhere Leistungen nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II gerichteten klägerischen Begehren allenfalls hinzutreten, dieses jedoch nicht erfüllen können. Deshalb hängt die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage nicht von der Verfassungsmäßigkeit des Regelbedarfs nach § 20 SGB II ab (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12, 1 BvL 12/12, 1 BvR 1691/13), unabhängig davon, ob von einer Trennbarkeit der Streitgegenstände Regelbedarf und Unterkunftsbedarf ausgegangen wird. Auch die im vorliegenden Verfahren gegebenenfalls noch zu klärende Frage, ob ein Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung nach § 21 Abs. 5 SGB II auf Grund eines Diabetes mellitus Typ II zu berücksichtigen ist, berührt die Entscheidungserheblichkeit nicht. Gemessen an der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 20.02.2014 - B 14 AS 65/12 R - Rn. 25 ff.) dürfte dem Kläger ohnehin frühestens ab dessen Kenntnis von der ernährungsrelevanten Erkrankung ein Mehrbedarf zustehen, die er erst im Zuge der Krankenhausbehandlung Ende März 2014 erlangte.

175

Desgleichen lässt es die Entscheidungserheblichkeit unberührt, dass der Kläger einen höheren Anspruch auf Leistungen für Unterkunft und Heizung im Hinblick auf die im Dezember 2013 an den Energielieferanten zu entrichtende Nachzahlung und auf eine - schätzungsabhängig - weitergehende Berücksichtigung von laufenden Stromkosten als Heizkosten haben könnte. Denn diese Positionen stellten eine Erhöhung der tatsächlichen Aufwendungen dar, die zur nicht vollständig berücksichtigten Kaltmiete hinzuträten und das Klagebegehren somit nicht erschöpfen würden. Entsprechendes gilt für die Frage, ob der Kläger noch Mietaufwendungen für die Garage schuldet und diese als Unterkunftskosten zu berücksichtigen wären.

176

4.2.3 Die Entscheidungserheblichkeit wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Beklagte für den Zeitraum vom 01.02.2014 bis zum 31.03.2014 zur Gewährung höherer Leistungen verurteilt werden könnte, weil die Teilaufhebung der Leistungsbewilligung mit Änderungsbescheid vom 15.01.2014 rechtwidrig gewesen sein könnte und deshalb aufzuheben wäre.

177

Die mit dem Änderungsbescheid vom 15.01.2014 verfügte und in den Folgeänderungen aufrechterhaltene teilweise Aufhebung des Bescheids vom 06.01.2014 ist entgegen der Begründung des Bescheids am Maßstab des § 45 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 SGB X zu messen. Entgegen der Auffassung des Beklagten ist § 48 Abs. 1 SGB X nicht einschlägig, da der zurückzunehmende Bescheid vom 06.01.2014 bereits nach Erlass des Rentenbescheids vom 17.12.2013 ergangen ist, so dass in der Sach- und Rechtslage bezüglich der Rentenbewilligung nach dem 06.01.2014 keine Änderung mehr eingetreten ist. Vielmehr war der Änderungsbescheid vom 06.01.2014 von Beginn an rechtswidrig zu Gunsten des Klägers, soweit die ab dem 01.02.2014 zu erwartende Rentenzahlung nicht als Einkommen berücksichtigt wurde.

178

Nach § 45 Abs. 2 S. 1 SGB X darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Gemäß § 45 Abs. 2 S. 2 SGB X ist das Vertrauen in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen bereits verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Da die teilweise Rücknahme der Leistungsbewilligung ausschließlich mit Wirkung für die Zukunft (ab dem 01.02.2014) erfolgte, der Kläger die Leistungen zum Zeitpunkt der Rücknahme dementsprechend noch nicht erhalten hatte, konnte er sie auch noch nicht verbraucht haben. Für im Vertrauen auf noch auszuzahlende Leistungen getätigte Vermögensdispositionen gibt es keine Anhaltspunkte. Deshalb kann davon ausgegangen werden, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Erlasses des Änderungsbescheids vom 15.01.2014 noch kein schutzwürdiges Vertrauen aufgebaut hatte, das einer teilweisen Rücknahme der Leistungsbewilligung mit Wirkung für die Zukunft entgegenstünde.

179

Die Teilaufhebung könnte allerdings deshalb rechtwidrig sein, weil der Beklagte bei Erlass des Änderungsbescheides vom 15.01.2014 kein Ermessen ausgeübt hat. Für Rücknahmen rechtswidrig begünstigender Verwaltungsakte nach § 45 SGB X sieht § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) nur eine gebundene Entscheidung vor, wenn die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 S. 3 SGB X vorliegen, also entweder eine Erwirkung des Verwaltungsaktes durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung, das Beruhen des Verwaltungsaktes auf vorsätzlich oder grob fahrlässig getätigten unrichtigen oder unvollständigen Angaben oder die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis des Klägers von der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes. Nach derzeitigem Verfahrensstand käme allenfalls eine Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis des Klägers von der Rechtswidrigkeit des Bescheids vom 06.01.2014 in Betracht, wobei auch hierfür keine konkreten Anhaltspunkte vorliegen.

180

Bei Fehlen der Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 S. 3 SGB X hätte der Beklagte eine Ermessensentscheidung zu treffen gehabt (Conradis in: LPK-SGB II, § 40 Rn. 15, 5. Auflage 2013). Der Änderungsbescheid vom 15.01.2014 enthält keine Ermessenserwägungen. Dies gilt auch für die Änderungsbescheide vom 30.01.2014 und vom 26.03.2014. Dem liegt die ausdrücklich geäußerte Auffassung des Beklagten zu Grunde, dass ein Fall des § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X vorliege. Hierüber hätte gemäß § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 3 S. 1 SGB III eine gebundene Entscheidung zu ergehen.

181

Eine Heilung des Ermessensfehlers wäre jedoch zumindest durch Erlass eines Gegenstandsbescheids nach § 96 Abs. 1 SGG denkbar (BSG, Urteil vom 22.03.2005 - B 1 A 1/03 R - Rn. 17; Waschull in: Diering/Timme/Waschull, SGB X, § 41 Rn. 14, 3. Auflage 2011), solange die Zweijahresfrist des § 45 Abs. 3 S. 1 SGB X noch nicht abgelaufen ist.

182

Ob die Voraussetzungen für die mit Bescheid vom 15.01.2014 erfolgte teilweise Rücknahme des Änderungsbescheids vom 06.01.2014 gegeben waren, musste von der vorlegenden Kammer noch nicht abschließend geklärt werden, da der ebenfalls streitgegenständliche Zeitraum vom 01.12.2013 bis zum 31.01.2014 hiervon nicht betroffen ist und diese Frage auf die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage somit keinen Einfluss hat.

VI.

183

Das BVerfG hat sich mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II noch nicht befasst, so dass der Zulässigkeit der Vorlage nicht der Einwand der Rechtskraft nach § 31 Abs. 1 BVerfGG entgegensteht (vgl. zu dieser Voraussetzung BVerfG, Beschluss vom 30.05.1972 - 1 BvL 18/71 - Rn. 18).

184

1. Im Nichtannahmebeschluss der 3. Kammer des 1. Senats des BVerfG vom 07.11.2007 (1 BvR 1840/07) wird § 22 SGB II erwähnt, die Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift jedoch nicht geprüft.

185

2. Im Nichtannahmebeschluss vom 25.11.2009 (1 BvR 2515/09 - Rn. 7) führt die 2. Kammer des 1. Senats des BVerfG an, dass sich aus der bisherigen Rechtsprechung des BSG ergebe, dass es sich bei den Kosten für Renovierungsarbeiten, die während eines laufenden Mietverhältnisses vorgenommen werden, nicht um angemessene Kosten der Unterkunft im Sinne von § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II handele, wenn der Hilfebedürftige hierzu nach dem Mietvertrag nicht wirksam verpflichtet sei und sie auch nicht zur Aufrechterhaltung der Bewohnbarkeit der Wohnung erforderlich seien. Das BVerfG referiert hier die Rechtsprechung des BSG unter Bezugnahme auf das Urteil vom 16.12.2008 (B 4 AS 49/07 R - Rn. 28) dergestalt, dass dieses hinsichtlich der "Bewohnbarkeit" der Wohnung auf einen einfachen Ausstattungsgrad oder auf einen Ausstattungsstandard im unteren Wohnungssegment abgestellt habe, ohne diese Frage einer eigenen, verfassungsrechtlichen Bewertung zu unterziehen. Gegenstand dieses Verfahrens war eine Verfassungsbeschwerde, die sich auf eine Verletzung des Art. 19 Abs. 4 GG sowie auf eine Verletzung Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 20 Abs. 3 GG stützte. Eine Verletzung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums wurde - soweit dies dem Beschlusstext entnommen werden kann - nicht geltend gemacht und wurde vom BVerfG auch nicht geprüft.

186

3. Im Urteil vom 09.02.2010 hat das BVerfG (1 BvL 1/09 u.a.) die Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II nicht geprüft. Streitgegenstand war ausschließlich die Verfassungsmäßigkeit der Höhe der damaligen Regelleistung (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 1, 85, 99, 106, 125, 126, 127, 129). Mit der Formulierung, "§ 22 Abs. 1 SGB II stell(e) die Übernahme angemessener Kosten für Unterkunft und Heizung nach dem individuellen Bedarf sicher" (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 148), hat das BVerfG erkennbar weder eine Prüfung der Regelung als solcher noch der hierzu ergangenen fachgerichtlichen Rechtsprechung durchgeführt (vgl. auch Stölting in: jurisPK-SGB XII, § 35a Rn. 10, 2. Auflage 2014, Stand 25.06.2014). Das BVerfG formuliert vielmehr einen Anspruch oder ein Postulat, äußert sich aber nicht zu der Frage, ob § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verfassungswidrig ist. Diese Frage war im Urteil vom 09.02.2010 nicht streitgegenständlich, so dass das BVerfG nicht zur Entscheidung hierüber befugt war (§ 81 BVerfGG). Soweit in der zitierten Formulierung zum Ausdruck gebracht wird, dass § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II grundsätzlich zur Verschaffung existenzsichernder Leistungen für die Unterkunft geeignet ist, ist dem zuzustimmen. Dies ergibt sich daraus, dass nach dem ersten Halbsatz der Regelung grundsätzlich der tatsächliche Bedarf zu berücksichtigen ist.

187

4. Im Nichtannahmebeschluss vom 24.03.2010 (1 BvR 395/09 - Rn. 3) war ebenfalls nur die Regelleistung Gegenstand der Prüfung.

188

5. Im Nichtannahmebeschluss vom 07.07.2010 (1 BvR 2556/09 - Rn. 25) findet § 22 SGB II nur am Rande Erwähnung.

189

6. Im stattgebenden Kammerbeschluss des BVerfG vom 27.09.2011 (1 BvR 232/11) war die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ebenfalls nicht Gegenstand der Prüfung. Das BVerfG stellt hier lediglich fest, dass die im dem Verfahren vor dem BVerfG zu Grunde liegenden Gerichtsverfahren aufgeworfene Rechtsfrage, ob die den Beschwerdeführern tatsächlich entstehenden Kosten der Unterkunft als angemessen anzusehen seien, zum gängigen Geschäft eines Sozialgerichts gehöre und diese Frage bereits bei Klageerhebung in den Grundzügen höchstrichterlich geklärt gewesen sei (BVerfG, Beschluss vom 27.09.2011 - 1 BvR 232/11 - Rn. 23). Das BVerfG erläutert dann kurz den Stand der Rechtsprechung des BSG zur Frage der Angemessenheit, ohne diese einer verfassungsrechtlichen Prüfung zu unterziehen (BVerfG, Beschluss vom 27.09.2011 - 1 BvR 232/11 - Rn. 25). Dass eine solche Prüfung dort unterblieben ist, war folgerichtig, da die streitgegenständliche Verfassungsbeschwerde sich lediglich gegen die (vermeintlich) überlange Verfahrensdauer vor einem Sozialgericht gerichtet hatte. Die Frage, ob ein Gericht in angemessener Zeit entscheiden kann, ist unterscheidbar und zu unterscheiden von der Frage, ob die Entscheidung auf Grund einer verfassungsgemäßen Norm oder auf welche Weise verfassungskonform zu erfolgen hat. Eine Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der dem Rechtsstreit zu Grunde liegenden Normen wäre deshalb fehl am Platze gewesen und entspräche auch nicht der Zurückhaltung, die sich das BVerfG bei der Prüfung fachgerichtlicher Entscheidungen nach eigenem Selbstverständnis auferlegt (vgl. Baer, NZS 2014, S. 4).

190

7. Im Urteil vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11) spielt die Angemessenheit von Unterkunftsleistungen bzw. -bedarfen keine Rolle. Es wird lediglich am Rande erwähnt, dass Kosten für Unterkunft und Heizöl nach dem AsylbLG in tatsächlicher Höhe gedeckt würden (BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 - Rn. 83).

191

8. Der Nichtannahmebeschluss des BVerfG vom 29.05.2013 (1 BvR 1083/09) enthält keinerlei Ausführungen zum Verhältnis von § 22 SGB II zum Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums.

192

9. Auch im Beschluss vom 23.07.2014 (1 BvL 10/12 u.a.) unterlagen nur die Leistungen für den Regelbedarf der verfassungsrechtlichen Prüfung. Hinsichtlich der Bedarfe für Unterkunft und Heizung hält das BVerfG lediglich fest, dass nach § 22 Abs. 1 SGB II die angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung übernommen würden (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 90).

193

10. Die Behauptung, das BVerfG habe die Rechtsprechung des BSG zum Begriff der Angemessenheit bereits gebilligt (Luik, jurisPR-SozR 22/2013 Anm. 1; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 28.10.2013 - L 2 SO 1510/13 NZB - Rn. 12 ff.; SG Karlsruhe, Urteil vom 06.02.2014 - S 13 AS 235/13 - Rn. 49 ff.; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26.03.2014 - L 2 AS 104/14 - Rn. 43; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26.03.2014 - L 2 AS 3878/11 - Rn. 44), erweist sich somit als haltlos. Es trifft auch nicht zu, dass es für den 1. Senat des BVerfG nahegelegen hätte, in seiner Entscheidung über die Regelleistungen des Arbeitslosengeldes II gemäß § 78 S. 2 BVerfGG auch § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II aus denselben Gründen für mit dem Grundgesetz unvereinbar zu erklären (so aber SG Dresden, Urteil vom 10.09.2013 - S 49 AS 8234/10 - Rn. 57). Im Gegenteil hätte es eine Kompetenzüberschreitung des BVerfG bedeutet, eine Norm für verfassungswidrig zu erklären, auf deren Gültigkeit es im zu entscheidenden Verfahren nicht ankam.

VII.

194

Einer Rüge der Nichtigkeit der Rechtsvorschrift durch die Beteiligen bedarf es nicht (§ 80 Abs. 3 BVerfGG).

B.

195

§ 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist verfassungswidrig. Die Regelung verstößt gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG (Schutz der Menschenwürde) in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG (Sozialstaatsprinzip).

I.

196

Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ergibt sich aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art 20 Abs. 1 GG (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 133).

197

1. Mit dem Urteil vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.), bestätigt und ergänzt durch das Urteil vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11) und den Beschluss vom 23.07.2014 (1 BvL 10/12 u.a.), hat das BVerfG die auf Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG (Sozialstaatsprinzip) gestützte staatliche Pflicht zur Existenzsicherung subjektivrechtlich fundiert und ein Recht auf parlamentsgesetzliche Konkretisierung in strikten einfachgesetzlichen Anspruchspositionen konstituiert (soRixen, SGb 2010, S. 240). Bereits mit Beschluss vom 12.05.2005 hatte das BVerfG klargestellt, dass die Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens eine verfassungsrechtliche Pflicht des Staates sei, die aus dem Gebot zum Schutze der Menschenwürde in Verbindung mit dem Sozialstaatsgebot folgt (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 - Rn. 28).

198

Im Urteil vom 09.02.2010 stellt das BVerfG nicht nur prozedurale Anforderungen an die Bestimmung des menschenwürdigen Existenzminimums an einen beliebigen (staatlichen) Akteur, sondern weist die Bestimmung des Anspruchsinhalts auch einem konkreten Adressaten, dem Bundesgesetzgeber, zu. Der Bundesgesetzgeber steht, da er von seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz für das Recht der öffentlichen Fürsorge aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG umfassend Gebrauch gemacht hat (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 181), demnach in der Verantwortung, das Sozialstaatsprinzip selbst durch ein Gesetz hinreichend zu konkretisieren und zu gewährleisten, dass auf die zur Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums erforderlichen Leistungen auch ein entsprechender Rechtsanspruch besteht (Berlit in: LPK-SGB II, § 22a Rn. 6, 5. Auflage 2013). Hiermit hat das BVerfG das Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG als Gewährleistungsrecht im Sozialrecht aktiviert (Aubel in: Emmenegger/Wiedmann, Leitlinien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erörtert von den wissenschaftlichen Mitarbeitern, Band 2, 1. Auflage 2011, S. 275).

199

2. Das BVerfG entwickelt das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG. Das Menschenwürdeprinzip aus Art. 1 Abs. 1 GG wird dabei als eigentliche Anspruchsgrundlage herangezogen, während das Sozialstaatsgebot des Art. 20 Abs. 1 GG im Sinne eines Gestaltungsgebots mit erheblichem Wertungsspielraum verstanden wird (vgl. BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 - Rn. 62). Das auf dieser Grundlage bestimmte Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 GG hat in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG demnach neben dem absolut wirkenden Anspruch aus Art. 1 Abs. 1 GG auf Achtung der Würde jedes Einzelnen eigenständige Bedeutung. Es ist dem Grunde nach unverfügbar und muss eingelöst werden, bedarf aber der Konkretisierung und stetigen Aktualisierung durch den Gesetzgeber, der die zu erbringenden Leistungen an dem jeweiligen Entwicklungsstand des Gemeinwesens und den bestehenden Lebensbedingungen auszurichten hat. Dabei steht ihm ein Gestaltungsspielraum zu (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 133).

200

Der unmittelbare verfassungsrechtliche Leistungsanspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums erstreckt sich nach den Ausführungen des BVerfG nur auf diejenigen Mittel, die zur Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich sind. Er gewährleistet hierbei das gesamte Existenzminimum durch eine einheitliche grundrechtliche Garantie, die sowohl die physische Existenz des Menschen, also Nahrung, Kleidung, Hausrat, Unterkunft, Heizung, Hygiene und Gesundheit als auch die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und zu einem Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben umfasst, da der Mensch als Person notwendig in sozialen Bezügen existiert (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 135).

201

Das BVerfG führt hierzu weiter aus, dass die verfassungsrechtliche Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch ein Parlamentsgesetz erfolgen müsse, das einen konkreten Leistungsanspruch des Bürgers gegenüber dem zuständigen Leistungsträger enthalte. Aus dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip ergebe sich die Pflicht des Gesetzgebers, die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen selbst zu treffen. Dies gelte in besonderem Maße, wenn und soweit es um die Sicherung der Menschenwürde und der menschlichen Existenz gehe. Zudem könne sich der von Verfassungs wegen bestehende Gestaltungsspielraum des Parlaments nur im Rahmen eines Gesetzes entfalten und konkretisieren. Schließlich sei die Begründung von Geldleistungsansprüchen auch mit erheblichen finanziellen Auswirkungen für die öffentlichen Haushalte verbunden. Derartige Entscheidungen seien dem Gesetzgeber vorbehalten (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 136). Wenn der Gesetzgeber seiner verfassungsmäßigen Pflicht zur Bestimmung des Existenzminimums nicht hinreichend nachkomme, sei das einfache Recht im Umfang seiner defizitären Gestaltung verfassungswidrig (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 137).

202

Der Umfang des Anspruchs könne im Hinblick auf die Arten des Bedarfs und die dafür erforderlichen Mittel nicht unmittelbar aus der Verfassung abgeleitet werden. Er hänge von den gesellschaftlichen Anschauungen über das für ein menschenwürdiges Dasein Erforderliche, der konkreten Lebenssituation des Hilfebedürftigen sowie den jeweiligen wirtschaftlichen und technischen Gegebenheiten ab und sei danach vom Gesetzgeber konkret zu bestimmen. Das Sozialstaatsgebot des Art. 20 Abs. 1 GG halte den Gesetzgeber an, die soziale Wirklichkeit zeit- und realitätsgerecht im Hinblick auf die Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums zu erfassen. Die hierbei erforderlichen Wertungen kämen dem parlamentarischen Gesetzgeber zu. Ihm obliege es, den Leistungsanspruch in Tatbestand und Rechtsfolge zu konkretisieren. Ihm komme Gestaltungsspielraum bei der Bestimmung des Umfangs der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums zu. Dieser umfasse die Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse ebenso wie die wertende Einschätzung des notwendigen Bedarfs und sei zudem von unterschiedlicher Weite: Er sei enger, soweit der Gesetzgeber das zur Sicherung der physischen Existenz eines Menschen Notwendige konkretisiere, und weiter, wo es um Art und Umfang der Möglichkeit zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben gehe (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 138).

203

Zur Konkretisierung des Anspruchs habe der Gesetzgeber alle existenznotwendigen Aufwendungen folgerichtig in einem transparenten und sachgerechten Verfahren nach dem tatsächlichen Bedarf, also realitätsgerecht, zu bemessen. Hierzu habe er zunächst die Bedarfsarten sowie die dafür aufzuwendenden Kosten zu ermitteln und auf dieser Basis die Höhe des Gesamtbedarfs zu bestimmen. Das Grundgesetz schreibe ihm dafür keine bestimmte Methode vor (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 139). Es komme dem Gesetzgeber zu, die Methode zur Ermittlung der Bedarfe und zur Berechnung der Leistungen zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz im Rahmen der Tauglichkeit und Sachgerechtigkeit selbst auszuwählen. Die getroffene Entscheidung verändere allerdings nicht die grundrechtlichen Maßstäbe (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 78).

204

3. Zum (verfassungs-)gerichtlichen Prüfungsmaßstab führt das BVerfG aus, dass dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der Bemessung des Existenzminimums eine zurückhaltende Kontrolle durch das BVerfG entspreche.

205

Das Grundgesetz selbst gebe keinen exakt bezifferten Anspruch vor. Deswegen könne auch der Umfang dieses Anspruchs im Hinblick auf die Arten des Bedarfs und der dafür erforderlichen Mittel nicht unmittelbar aus der Verfassung abgeleitet werden. Dem BVerfG komme nicht die Aufgabe zu, zu entscheiden, wie hoch ein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums sein müsse. Es sei zudem nicht seine Aufgabe, zu prüfen, ob der Gesetzgeber die gerechteste, zweckmäßigste und vernünftigste Lösung zur Erfüllung seiner Aufgaben gewählt habe. Aus verfassungsrechtlicher Sicht komme es vielmehr entscheidend darauf an, dass die Untergrenze eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht unterschritten werde und die Höhe der Leistungen zu dessen Sicherung insgesamt tragfähig begründbar sei (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 80).

206

Die materielle Kontrolle der Höhe von Sozialleistungen zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz beschränke sich darauf, ob die Leistungen evident unzureichend seien. Diese Kontrolle beziehe sich auf die Höhe der Leistungen insgesamt und nicht auf einzelne Berechnungselemente, die dazu dienten, diese Höhe zu bestimmen. Evident unzureichend seien Sozialleistungen nur, wenn offensichtlich sei, dass sie in der Gesamtsumme keinesfalls sicherstellen könnten, Hilfebedürftigen in Deutschland ein Leben zu ermöglichen, das physisch, sozial und kulturell als menschenwürdig anzusehen sei (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 81).

207

Jenseits der Evidenzkontrolle überprüfe das BVerfG, ob Leistungen jeweils aktuell auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren im Ergebnis zu rechtfertigen seien. Das BVerfG setze sich dabei nicht mit eigener Sachkompetenz an die Stelle des Gesetzgebers, sondern überprüfe lediglich die gesetzgeberischen Festlegungen zur Berechnung von grundgesetzlich nicht exakt bezifferbaren, aber grundrechtlich garantierten Leistungen. Ließen sich diese nachvollziehbar und sachlich differenziert tragfähig begründen, stünden sie mit Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG im Einklang (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 82).

208

Entscheidend sei, dass der Gesetzgeber seine Entscheidung an den konkreten Bedarfen der Hilfebedürftigen ausrichte und die Leistungen zur Konkretisierung des grundrechtlich fundierten Anspruchs tragfähig begründet werden könnten (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 76). Die sich aus der Verfassung ergebenden Anforderungen an die methodisch sachgerechte Bestimmung grundrechtlich garantierter Leistungen bezögen sich nicht auf das Verfahren der Gesetzgebung, sondern auf dessen Ergebnisse. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG bringe für den Gesetzgeber keine spezifischen Pflichten im Verfahren mit sich. Entscheidend sei, ob sich die Höhe existenzsichernder Leistungen durch realitätsgerechte, schlüssige Berechnungen sachlich differenziert begründen lasse. Das Grundgesetz enthalte in den Art. 76 ff. GG zwar Vorgaben für das Gesetzgebungsverfahren, die auch die Transparenz der Entscheidungen des Gesetzgebers sicherten. Das parlamentarische Verfahren mit der ihm eigenen Öffentlichkeitsfunktion sichere so, dass die erforderlichen gesetzgeberischen Entscheidungen öffentlich verhandelt würden und ermögliche, dass sie in der breiteren Öffentlichkeit diskutiert würden. Die Verfassung schreibe jedoch nicht vor, was, wie und wann genau im Gesetzgebungsverfahren zu begründen und zu berechnen sei, sondern lasse Raum für Verhandlungen und für den politischen Kompromiss. Das Grundgesetz verpflichte den Gesetzgeber insofern auch nicht, durch Einbeziehung aller denkbaren Faktoren eine optimale Bestimmung des Existenzminimums vorzunehmen. Darum zu ringen sei vielmehr Sache der Politik (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 77).

209

Zur Ermöglichung der verfassungsgerichtlichen Kontrolle bestehe für den Gesetzgeber die Obliegenheit, die zur Bestimmung des Existenzminimums im Gesetzgebungsverfahren eingesetzten Methoden und Berechnungsschritte nachvollziehbar offenzulegen. Komme er dieser Obliegenheit nicht hinreichend nach, stehe die Ermittlung des Existenzminimums bereits wegen dieser Mängel nicht mehr mit Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG in Einklang (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 144).

210

4. Die vorlegende Kammer ist gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG an die vom BVerfG für das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums im Urteil vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.), im Urteil vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11) und im Beschluss vom 23.07.2014 (1 BvL 10/12 u.a.) entwickelten Maßstäbe gebunden. Die Bindungswirkung der Entscheidungen des BVerfG umfasst in sachlicher Hinsicht nicht nur die Entscheidungsformel, sondern auch die tragenden Gründe der Entscheidung (BVerfG, Entscheidung vom 20.01.1966 - 1 BvR 140/62 - Rn. 40; BVerfG, Beschluss vom 10.06.1975 - 2 BvR 1018/74 - Rn. 13 f.; vgl. BVerfG, Einstweilige Anordnung vom 27.01.2006 - 1 BvQ 4/06 - Rn. 27 ff. ; vgl. Gaier, JuS 2011, S. 961).

211

5. Die Kammer schließt sich den Ausführungen des BVerfG aber auch grundsätzlich an. Die Entwicklung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ist dem Umstand geschuldet, dass sowohl die Menschenwürdegarantie als auch das Sozialstaatsprinzip als echte, einklagbare, verfassungsrechtliche Garantien verstanden werden, nicht nur als bloße Programmsätze. Ein menschenwürdiges Leben, zu dessen Achtung und Schutz alle staatliche Gewalt nach Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG verpflichtet ist, kann nur mit einem Mindestmaß an materiellen und sozialen Ressourcen geführt werden (vgl. Schulz, SGb 2010, S. 203 f.). Der Schutz der Menschenwürde liefe ohne Rücksicht auf ihre ökonomischen Bedingungen ins Leere (Drohsel, NZS 2014, S. 99). Vor diesem Hintergrund erscheint es auch vertretbar, das Grund- und Menschenrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums allein auf Art. 1 Abs. 1 GG zu stützen (vgl. Tiedemann, NVwZ 2012, S. 1032 f.).

212

5.1 Das Bekenntnis zum Sozialstaat bedingt die (Selbst-)Verpflichtung des Staates und der ihn tragenden Gesellschaft, ein solches menschenwürdiges Leben auch denen zu garantieren, die hierfür nicht aus eigener Kraft (bzw. mit den Mitteln, die ihnen Staat und Gesellschaft anderweitig durch Bildung, Infrastruktur etc. zur Verfügung stellen) sorgen können. Die objektive staatliche Verpflichtung zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums enthält auch die Verpflichtung, Hilfebedürftigen einen Anspruch auf die Leistung zu verschaffen (so bereits BVerfG, Urteil vom 07.06.2005 - 1 BvR 1508/96 - Rn. 48; vgl. Baer, NZS 2014, S. 3). Diese subjektivrechtliche Seite der verfassungsrechtlichen Garantie ist eine zwingende Folge daraus, dass Art. 1 Abs. 1 GG als echte Rechtsnorm verstanden wird. Ohne subjektivrechtliche Fundierung liefe die Garantie der Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ins Leere, sie wäre abhängig von der jeweiligen Staatsräson und vollständig Verhandlungsmasse im politischen Prozess (vgl. Spellbrink, NZS 2010, S. 653). Der Hilfebedürftige bliebe Almosenempfänger (Baer, NZS 2014, S. 3). Insofern ist es konsequent, die Garantie der Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums terminologisch und dogmatisch in den Rang eines Grundrechts und Menschenrechts (BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10 u.a. - Rn. 62) zu erheben.

213

5.2 Die Unverfügbarkeit des Grundrechts (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 133; BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 74) resultiert aus dessen Verankerung im Grundsatz der Achtung der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG), insofern hierin der Schutz der Selbstbestimmung des Menschen auf Grund seines Eigenwerts angesprochen wird (vgl. Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1 Abs. 1 Rn. 10, 4. Auflage 1999). Der Mensch kann seinen Achtungsanspruch nach Art. 1 Abs. 1 GG nicht verwirken, auch nicht durch selbst zu verantwortende Handlungen. Die vom BVerfG hervorgehobene Unverfügbarkeit "dem Grunde nach" bringt lediglich zum Ausdruck, dass hinsichtlich der Art und Höhe der existenzsichernden Leistungen ein Gestaltungsspielraum besteht. Die Verwendung dieser Formulierung ist abzugrenzen von einem lediglich "grundsätzlich" bestehenden Recht, welches im Ausnahmefall auch nicht bestehen kann. Die Verpflichtung zur "Konkretisierung" und "Aktualisierung" (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 133; BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 74) bedeutet keine Einschränkungsbefugnis.

214

Bei der verfassungsrechtlichen Pflicht zur Sicherung des Existenzminimums geht es nicht darum, bestimmte Lebensentwürfe zu ermöglichen, sondern das physische Überleben und ein Mindestmaß an sozialer Teilhabe des Menschen im Falle der Hilfebedürftigkeit unabhängig von dessen Lebensentwurf zu garantieren. Der Staat kann Art und Höhe der Gewährung von Sozialleistungen generell zwar von der Erfüllung von Verhaltenserwartungen abhängig machen, nicht jedoch die Gewährleistung des Existenzminimums. Der gesetzliche Leistungsanspruch muss so ausgestaltet sein, dass er stets den gesamten existenznotwendigen Bedarf jedes individuellen Grundrechtsträgers deckt (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 137).

215

Die Gewährung existenzsichernder Leistungen darf deshalb nicht von der Erfüllung von Gegenleistungen oder von bestimmten Handlungen durch den Hilfebedürftigen abhängig gemacht werden (a.A. wohl Berlit, info also 2013, S. 201 f.). Dies lässt die Zulässigkeit der Schaffung von Mitwirkungsobliegenheiten unberührt, die dazu dienen, festzustellen, ob Hilfebedürftigkeit überhaupt besteht (vgl. §§ 60 ff. Erstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB I -; vgl. auch Aubel in: Emmenegger/Wiedmann, Leitlinien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erörtert von den wissenschaftlichen Mitarbeitern, Band 2, 1. Auflage 2011, S. 290). Die Unverfügbarkeit des Grundrechts ist nicht durch den Verweis auf ein Prinzip der Selbstverantwortlichkeit, das gleichfalls ein Gebot der Menschenwürde sei, zu relativieren (in diese Richtung Görisch, NZS 2011, S. 648; Berlit, info also 2013, S. 200; weitere Nachweise bei Kempny/Krüger, SGb 2013, S. 390). Auch wenn nach bestimmten Menschenwürdekonzeptionen Erwerbsarbeit zur Würdeverwirklichung gehört, folgt hieraus nicht, dass der ebenfalls der Menschenwürdegarantie unterfallende Schutz des physischen und soziokulturellen Existenzminimums bei Verstoß gegen Erwerbsobliegenheiten wegfallen dürfte. Aus der Einbeziehung der Selbstverwirklichung durch Erwerbsarbeit in den Schutz der Menschenwürdegarantie könnte allenfalls gefolgert werden, dass der Staat derartige Selbstverwirklichung nicht verhindern darf und möglichst fördern sollte. Einer hilfebedürftigen Person existenzsichernde Leistungen vorzuenthalten, weil sie beispielsweise einer Erwerbsarbeit nicht nachgehen will, mag eine sozialpolitische Wunschvorstellung sein; die Annahme, dass dies als ein Ausdruck der Anerkennung der Menschenwürde des Betroffenen erscheinen könne (vgl. Kempny/Krüger, SGb 2013, S. 390; Berlit, info also 2013, S. 200), liegt jedoch fern. Schließlich ist mit dem Anspruch auf existenzsichernde Leistungen kein Verbot der Selbstverwirklichung durch Erwerbsarbeit verbunden. Die Einräumung eines Anspruchs auf existenzsichernde Leistungen kann für sich genommen die Menschenwürde nicht verletzen.

216

Die Beschränkung der Reichweite des Schutzes durch Art. 1 Abs. 1 GG durch Anreicherung des Menschenwürdebegriffs mit bestimmten Vorstellungen vom „guten“, "eigenverantwortlichen" oder „gemeinschaftsdienlichen“ Leben hätte letztendlich zur Folge, dass die Verwirklichung der Würde des Menschen Staats- oder Gemeinschaftszwecken untergeordnet werden dürfte. Dies zu verhindern, ist gerade der Sinn des Art. 1 Abs. 1 GG, der die Menschenwürde für unantastbar erklärt.

217

Die Verankerung des Existenzsicherungsgrundrechts in der Menschenwürdegarantie schließt es somit aus, die Frage, wem existenzsichernde Leistungen zu gewähren sind, vom durch demokratischen Mehrheitsbeschluss zugeschriebenen Wert eines Menschen oder seiner Handlungen für die Gesellschaft abhängig zu machen (vgl. Spellbrink, NZS 2010, S. 653).

218

Einschränkungen des materiellen Anspruchs der Höhe nach sind daher verfassungswidrig, wenn sie dazu führen, dass die Höhe der verbliebenen Sozialleistungen zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz evident unzureichend ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 81) oder sich durch realitätsgerechte, schlüssige Berechnungen nicht sachlich differenziert begründen lässt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 82). An diesem verfassungsrechtlichen Maßstab sind die im SGB II vorgesehenen Leistungseinschränkungen zu prüfen (neben § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II z.B. auch § 22 Abs. 5 S. 1 SGB II, § 22 Abs. 5 S. 4 SGB II, § 31a Abs. 1 S. 1 SGB II, § 32 Abs. 1 S. 1 SGB II, § 42a Abs. 1 S. 1 SGB II, § 43 Abs. 2 S. 1 SGB II). Dies betrifft beispielsweise Leistungskürzungen durch Sanktionen (§ 31a SGB II, § 32 SGB II), die nur dann nicht verfassungswidrig sind, wenn trotz der Leistungskürzung noch das gesamte Existenzminimum einschließlich eines zumindest geringfügigen Maßes an sozialer Teilhabe gedeckt ist (Aubel in: Emmenegger/Wiedmann, Leitlinien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erörtert von den wissenschaftlichen Mitarbeitern, Band 2, 1. Auflage 2011, S. 297 f.). Da es dem Gesetzgeber freisteht, den Leistungsanspruch über das Existenznotwendige hinaus zu erweitern, verstoßen Abstufungen in der Leistungshöhe, die verhaltenssteuernde Wirkung entfalten sollen, nicht automatisch gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 07.07.2010 - 1 BvR 2556/09 - Rn. 9).

219

Leistungsausschlüsse dem Grunde nach, die trotz bestehender Hilfebedürftigkeit eintreten und durch kein anderes existenzsicherndes Leistungssystem (z.B. durch Leistungen nach dem SGB XII oder nach dem AsylbLG) aufgefangen werden, sind per se verfassungswidrig, da sie evident die Gewähr dafür entziehen, ein Leben zu ermöglichen, das physisch, sozial und kulturell als menschenwürdig anzusehen ist. Nicht bedarfsbezogene Ausschlusstatbestände unter Missachtung der Grenzfunktion des Gesetzeswortlauts im Wege einer "teleologischen Gesetzeskorrektur" noch auszuweiten (so Hessisches LSG, Beschluss vom 11.12.2014 - L 7 AS 528/14 B ER - Rn. 57), verstößt daher nicht nur gegen das Gebot der Gesetzesbindung (Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 97 Abs. 1 GG), sondern - falls kein anderes Existenzsicherungssystem greift - auch gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums.

220

Die in den Nichtannahmebeschlüssen des BVerfG vom 03.09.2014 (1 BvR 1768/11) und vom 08.10.2014 (1 BvR 886/11) geäußerte Auffassung, der Leistungsausschluss von Auszubildenden in § 7 Abs. 5 S. 1 SGB II a.F. verletze das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht, da existenzielle Bedarfe, soweit sie durch die Ausbildung entstünden vorrangig durch Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) beziehungsweise nach dem SGB III gedeckt würden (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 08.10.2014 - 1 BvR 886/11 - Rn. 13), obwohl diese Leistungssysteme bedarfsunabhängige Ausschlussgründe vorsehen, stellt demgegenüber einen nicht ohne weiteres nachvollziehbaren Bruch mit der im Urteil vom 09.02.2010 entwickelten Dogmatik dar. Denn es ist unklar, weshalb die zur Voraussetzung der Gewährung existenzsichernder Leistungen gemachte Verhaltenserwartung des Abbruchs der Ausbildung oder des Studiums mit dem Axiom der Unverfügbarkeit des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar sein könnte.

221

Das Grundrecht ist - unbeschadet der Beschlüsse des BVerfG vom 03.09.2014 (1 BvR 1768/11) und vom 08.10.2014 (1 BvR 886/11) - dem Grunde nach unverfügbar und insoweit - wie es der überkommenen Dogmatik der Menschenwürdegarantie entspricht - "abwägungsfest" (Baer, NZS 2014, S. 3).

222

5.3 Dass das BVerfG dem Gesetzgeber einen weiten Spielraum bei der Gestaltung des einfachrechtlichen Anspruchs belässt, gründet darauf, dass die normative Einschätzung dessen, was für ein menschenwürdiges Leben unter konkreten gesellschaftlichen Bedingungen erforderlich ist, nur im Wege eines politischen Prozesses erfolgen kann, dessen Durchführung unter den verfassungsrechtlichen Bedingungen einer parlamentarischen Demokratie den gewählten Legislativorganen obliegt. Der materielle Gehalt des Grundrechts muss im Gesetzgebungsprozess konkretisiert werden (vgl. jedoch zur Kritik an der sozialpolitischen "Leere" des Urteils des BVerfG vom 09.02.2010: Schnath, NZS 2010, S. 298; zur Kritik an der eingeschränkten Überprüfbarkeit: Neskovic/Erdem, SGb 2012, S. 137 f.).

223

Der Einwand, das BVerfG entziehe die gesellschaftlich streitbare Frage nach der Reichweite der staatlichen Verpflichtung zur Absicherung des Existenzminimums durch Verankerung des Grundrechts in Vorschriften, die der Ewigkeitsgarantie (Art. 79 Abs. 3 GG) unterliegen, für die Ewigkeit dem politischen Diskurs und schwäche hiermit das demokratische Prinzip (Groth, NZS 2011, S. 571; kritisch auch Rixen, NZS 2011, S. 333), vermag im Ergebnis nicht zu überzeugen. Formal schwächt jedes Grundrecht und jede verfassungsrechtliche Bindung der Legislative die Demokratie, wenn man diese auf den Gesetzgebungsakt reduziert und die Voraussetzungen für den demokratischen Prozess (z.B. Meinungsfreiheit, soziale Teilhabe) ausblendet (vgl. auch Luik, jurisPR-SozR 4/2010 Anm. 1). Die Konstituierung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch das BVerfG als "Gewährleistungsrecht" zwingt die Legislativorgane jedoch dazu, den demokratischen Prozess, der sich nicht im Gesetzgebungsakt erschöpft, praktisch zu realisieren, auch wenn grundsätzlich nur dessen Ergebnis einer (verfassungs-)gerichtlichen Kontrolle unterliegt.

224

Die scheinbar entgegengesetzte Kritik, das BVerfG überlasse das Grundrecht weitestgehend der Disposition des nur bedingt gebundenen Gesetzgebers (Neskovic/Erdem, SGb 2012, S. 138), verdeutlicht die Kompromisshaftigkeit der vom BVerfG entwickelten Dogmatik. Bei der Konstruktion des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums werden Menschenwürdegarantie und Sozialstaatsprinzip mit dem Demokratieprinzip harmonisiert. Eine Lösung, die diese Verfassungsgrundsätze besser miteinander in Einklang bringt, ist der vorlegenden Kammer nicht ersichtlich.

225

5.4 Die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums stellt an ein Staatswesen, welches den Schutz und die Achtung der Menschenwürde zum obersten Staatsziel erklärt und der Verfassung voranstellt (Art. 1 Abs. 1 GG) und sich als "sozial" bezeichnet (Art. 20 Abs. 1 GG), keine überzogenen Anforderungen, insbesondere nicht im Hinblick auf die Finanzierung (vgl. zu diesbezüglichen Vorbehalten gegenüber sozialen Menschenrechten: Wimalasena, KJ 2008, S. 4 f.). Letzteres wird dadurch gesichert, dass der Gesetzgeber in Ausübung seines Gestaltungsspielraums bei der inhaltlichen Bestimmung des Grundrechts den gesamtgesellschaftlichen Entwicklungsstand berücksichtigen kann und muss. Das Grundrecht ist zwar dem Grunde nach unverfügbar und abwägungsfest, der Höhe nach aber nicht vom gesellschaftlichen Wohlstand und dessen ökonomischen Grundlagen entkoppelt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 74).

226

6. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums garantiert nicht nur die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, die im Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) in Regelbedarfen (gegebenenfalls ergänzt durch Mehrbedarfe) zusammengefasst sind (§§ 20, 21 SGB II), sondern auch die Bedarfe für Unterkunft und Heizung (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 135; BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 - Rn. 64; Bieresborn, jurisPR-SozR 12/2007 Anm. 2; Krauß, Sozialrecht aktuell 2011, S. 144 ff.; dies. in: Hauck/Noftz, § 22 SGB II Rn. 6, Stand Oktober 2012; Berlit in: LPK-SGB II, §22a Rn. 6, 5. Auflage 2013; ders., info also 2011, S. 195; Piepenstock in: jurisPK-SGB II, § 22 Rn. 31, 3. Auflage 2012; Mutschler, NZS 2011, S. 481; Kofner, WuM 2011, S. 72; Knickrehm, SozSich 2010, S. 191; dies., NZM 2013, S. 602 ff.; dies., jM 2014, S. 339; Putz, SozSich 2011, S. 233, Klerks, info also 2011, S. 196; Gautzsch, NZM 2011, S. 498 f.; Rosenow, wohnungslos 2012, S. 56; Stölting in: Eicher, SGB II, § 1 Rn. 16, 3. Auflage 2013; Groth, SGb, 2013, S. 250; Axer, SGb 2013, S. 671; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 90; vgl. bereits Lang in Eicher/Spellbrink, SGB II, § 22 Rn. 5, 1. Auflage 2005).

227

Die Versorgung mit einer Unterkunft und Schutz gegen Kälte in dieser Unterkunft gehören zu den durch Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Grundbedürfnissen des Menschen jedenfalls unter den gegenwärtigen klimatischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in Deutschland. Die Möglichkeit der Nutzung irgendeiner Form von bewohnbarer Unterkunft gehört bereits zum physischen Existenzminimum (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 04.09.2013 - L 36 AS 1414/12 NK - Rn. 47). Darüber hinaus gehören Aufwendungen für Unterkunft und Heizung auch zum sozialen Teilhabebedarf, also zum soziokulturellen Existenzminimum, dessen Realisierung in einem Leistungsanspruch nach der Rechtsprechung des BVerfG einem weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers unterliegt (vgl. Groth, SGb, 2013, S. 250: „Für Bezieher von Grundsicherungsleistungen bedeuten Wohnung und Wohnumfeld Rückzugs- und Identifikationsräume, deren Preisgabe einen vielfach ohnehin empfundenen sozialen Abstieg nach außen sichtbar machen würde.").

228

Es besteht kein derartiger Unterschied zwischen den Bedarfen zur Sicherung des (sonstigen) Lebensunterhalts und den Bedarfen zur Sicherung von Unterkunft und Heizung, der es rechtfertigen würde, dass für die Bestimmung des Unterkunftsbedarfs andere verfassungsrechtliche Maßstäbe herangezogen werden könnten als für den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts. Dies schließt allerdings nicht aus, die Gewährung des Unterkunftsbedarfs auf andere Weise als den Regelbedarf zu gestalten. Die vom Gesetzgeber im Grundsatz gewählte Möglichkeit, den Unterkunftsbedarf als Geldleistung im Rahmen des Gesamtanspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld auszugestalten, ist nur eine von mehreren denkbaren Varianten (vgl. Schmidt, NVwZ 1995, S. 1045; Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 17, 5. Auflage 2013).

229

Die (verfassungsrechtliche) Notwendigkeit der näheren Bestimmung durch den Gesetzgeber ergibt sich im Übrigen daraus, dass die Unterkunftskosten nach geltendem Recht mit den Regelbedarfen in einem wechselseitigen Zusammenhang stehen. Bei Leistungsberechtigten ohne anrechnungsfreies Einkommen oder Schonvermögen wirkt sich die unvollständige Berücksichtigung der Unterkunftskosten nach geltendem Recht praktisch wie eine Minderung der Leistungen für den Regelbedarf aus, da die übersteigenden Unterkunftskosten aus der Regelleistung bestritten werden müssen (vgl. Kofner, WuM 2011, S. 76; Spindler, info also 2011, S. 247). Eine dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums genügende Gestaltung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II (bzw. Sozialgeld) setzt daher eine verfassungsgemäße Bestimmung aller einzelnen Berechnungselemente (Regelbedarf, Mehrbedarfe, Unterkunft- und Heizungsbedarfe) voraus.

II.

230

Dies zu Grunde gelegt verstößt § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG.

231

Der unbestimmte Rechtsbegriff der "Angemessenheit", der alleiniger Anknüpfungspunkt im Normtext für die Beschränkung der Übernahme der Kosten der Unterkunft und Heizung im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ist, genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung des Anspruchs auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht (so bereits SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 68 ff.; SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 52 ff.; SG Mainz, Urteil vom 18.10.2013 - S 17 AS 1069/12 - Rn. 43; SG Leipzig, Urteil vom 15.02.2013 - S 20 AS 2707/12 - Rn. 41 ff.; Stölting, SGb 2013, S. 545).

232

Der Gesetzgeber hat zwar einen gesetzlichen Anspruch auf Gewährung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums dem Grunde nach geschaffen (1), diesen jedoch der Höhe nach nicht hinreichend bestimmt (2), weswegen nicht festgestellt werden kann, ob eine evidente Unterschreitung des für eine menschenwürdige Existenz Notwendigen vorliegt (3). Für eine Prüfung der Grundlagen und der Methode der Leistungsbemessung (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 142 ff. und Rn. 159 ff.) fehlt es gleichfalls an einem hinreichend bestimmten gesetzlichen Anspruch als Bezugspunkt. Der Gesetzgeber hat - bezogen auf Unterkunfts- und Heizungsbedarfe - das Ziel, ein menschenwürdiges Dasein zu sichern, nicht in einer Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG gerecht werdenden Weise erfasst und umschrieben und weder ein zur Bemessung des Existenzminimums im Grundsatz taugliches Berechnungsverfahren gewählt noch die hierfür erforderlichen Tatsachen ermittelt (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 143) (4). Eine verfassungskonforme Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist nicht möglich (5). Die gegen die Annahme der Verfassungswidrigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II vorgetragenen Argumente sind nicht überzeugend (6).

233

Ausgehend von der Rechtsprechung des BVerfG ist die Verfassungsmäßigkeit von Regelungen zur Sicherung des Existenzminimums in vier Schritten zu prüfen:

234

Erstens muss der Anspruch in einem formellen Bundesgesetz auf Grund eines verfassungsgemäß durchgeführten Gesetzgebungsverfahrens konstituiert werden (formell-gesetzlicher Anspruch).

235

Zweitens muss der Anspruch im Gesetzestext selbst so hinreichend bestimmt sein, dass die Verwaltung eine Entscheidung über die Höhe des Anspruchs treffen kann, die die im Gesetzestext zum Ausdruck kommenden Wertentscheidungen des Gesetzgebers nachvollziehbar berücksichtigt (hinreichende Bestimmtheit; konkreter Anspruch).

236

Drittens darf die Höhe des Anspruchs nicht evident unzureichend zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz sein (Evidenzkontrolle).

237

Viertens müssen die Leistungen auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren im Ergebnis zu rechtfertigen sein, was mindestens eine inhaltliche Bestimmung des Existenzminimums und eine Auswahl der Methoden zur Ermittlung der Bedarfe und zur Festsetzung der Höhe des Leistungsanspruchs durch den Gesetzgeber voraussetzt ("tragfähige Begründbarkeit").

238

1. Mit den §§ 19 Abs. 1, Abs. 3, 22 Abs. 1 S. 1 SGB II hat der Gesetzgeber einen Anspruch auf Gewährung eines unterkunftsbezogenen Existenzminimums als Teil des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld im Wege eines formellen Bundesgesetzes realisiert. In dieser Hinsicht ist der Gesetzgeber seiner Gestaltungsverpflichtung nachgekommen.

239

1.1 Der einfachrechtliche Anspruch auf existenzsichernde Leistungen muss durch ein formelles Bundesgesetz gestaltet werden (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 - u.a. - Rn. 136).

240

Ein wesentliches Merkmal des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ist der hiermit verbundene Gestaltungsauftrag an den Gesetzgeber. Dieser hat einerseits zur Konsequenz, dass oberhalb evidenter Verstöße ein weiter Gestaltungsspielraum mit zurückgenommener (verfassungs-)gerichtlicher Kontrolle besteht, andererseits, dass der Gesetzgeber diesem Gestaltungsauftrag auch nachkommen muss und somit eine Gestaltungsverpflichtung besteht. Die Gestaltungsverpflichtung des parlamentarischen Gesetzgebers ergibt sich aus dem Demokratieprinzip, welches bestimmt, dass die für die Grundrechtsverwirklichung wesentlichen Regelungen durch das Parlament selbst zu treffen sind (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 136), also nicht an Exekutive oder Judikative delegiert werden dürfen. Hieraus folgt, dass der einfachrechtliche Leistungsanspruch zur Gewährung des Existenzminimums durch ein formelles Parlamentsgesetz geregelt werden muss. In Folge der umfassenden Wahrnehmung der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG (öffentliche Fürsorge) durch den Bundesgesetzgeber, ist der Anspruch vollständig durch ein formelles Bundesgesetz zu regeln (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 181).

241

1.2 Der Gesetzgeber hat den Anspruch auf Gewährleistung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums ausgestaltet, in dem er mit §§ 19 Abs. 1, Abs. 3, 22 Abs. 1 S. 1 SGB II (bzw. für das Recht der Sozialhilfe mit §§ 27a Abs. 1 S. 1, 35 Abs. 1 S. 1 SGB XII) einen einfachgesetzlichen Anspruch auf Leistungen für die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung geschaffen hat. Diese Leistungen bilden einen integralen Bestandteil des Arbeitslosengeldes II bzw. des Sozialgelds (vgl. Berlit, info also 2011, S. 166), die im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende der Sicherung des Lebensunterhalts dienen.

242

§ 19 Abs. 1 SGB II lautet:

243

"Erwerbsfähige Leistungsberechtigte erhalten Arbeitslosengeld II. Nichterwerbsfähige Leistungsberechtigte, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben, erhalten Sozialgeld, soweit sie keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches haben. Die Leistungen umfassen den Regelbedarf, Mehrbedarfe und den Bedarf für Unterkunft und Heizung."

244

§ 19 Abs. 3 S. 1 SGB II lautet:

245

"Die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts werden in Höhe der Bedarfe nach den Absätzen 1 und 2 erbracht, soweit diese nicht durch das zu berücksichtigende Einkommen und Vermögen gedeckt sind."

246

§ 22 Abs. 1 S. 1 SGB II lautet:

247

"Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind."

248

1.3 Mit der Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II wird der Umfang des Bedarfes für Unterkunft und Heizung bestimmt, der bei der Bemessung des individuellen Anspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld zum Regelbedarf nach § 20 SGB II und gegebenenfalls zu Mehrbedarfen nach § 21 SGB II hinzutritt. Ausgangspunkt für die Bedarfsbemessung sind die tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung.

249

Der Unterkunftsbedarf wird im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausschließlich als Bestandteil einer Geldleistung (§ 11 S. 1 SGB I, § 4 Abs. 1 Nr. 2 SGB II) erbracht (Piepenstock in: jurisPK-SGB II, § 22 Rn. 35, 3. Auflage 2012, Stand: 01.12.2014). Dies gilt auch für besondere Konstellationen (Umzugskosten gemäß § 22 Abs. 6 SGB II, Schuldenübernahme gemäß § 22 Abs. 8 SGB II). Auch bei Direktauszahlung der Leistung an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte (§ 22 Abs. 7 SGB II) verbleibt es bei einer Geldleistung.

250

1.4 Ergänzt wird der Anspruch auf Unterkunftsleistungen durch § 22 Abs. 2 SGB II (unabweisbare Aufwendungen für Instandhaltung und Reparatur bei selbst bewohntem Wohneigentum), § 22 Abs. 6 SGB II (Wohnungsbeschaffungskosten und Umzugskosten einschließlich Mietkaution) und § 22 Abs. 8 SGB II (Übernahme von Schulden zur Vermeidung von Wohnungslosigkeit und von vergleichbaren Notlagen). Für die Kosten der Warmwasserbereitung wird ein Mehrbedarf nach § 21 Abs. 7 SGB II anerkannt, soweit keine Bedarfe für zentral bereitgestelltes Warmwasser nach § 22 SGB II berücksichtigt werden.

251

1.5 Eingeschränkt werden die Leistungen für Unterkunft und Heizung unabhängig von der Angemessenheitsgrenze des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II durch § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II (Kostendeckelung bei nicht erforderlichem Umzug; vgl. zur verfassungskonformen Auslegung dieser Regelung: SG Mainz, Urteil vom 18.10.2013 - S 17 AS 1069/12 - Rn. 55 ff.), § 22 Abs. 5 SGB II (Leistungsausschluss bei Umzug vor Vollendung des 25. Lebensjahrs, vgl. Berlit, info also 2011, S. 59 ff.; Hammel, ZFSH/SGB 2013, S. 73 ff.) und gegebenenfalls durch Sanktionen bei Pflichtverletzungen nach § 31a SGB II.

252

2. Mit der Begrenzung der bei der Bedarfsberechnung zu berücksichtigenden Unterkunftskosten auf die „angemessenen“ Aufwendungen in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verstößt der Gesetzgeber gegen das verfassungsrechtliche Gebot, die für die Verwirklichung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums wesentlichen Regelungen hinreichend bestimmt selbst zu treffen (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 136).

253

Aus der Grundrechtsrelevanz der existenzsichernden Leistungen erwachsen qualitative Anforderungen hinsichtlich der Intensionstiefe (vgl. Müller/Christensen, Juristische Methodik, 10. Auflage 2009, S. 196) der textlich verfassten gesetzlichen Bestimmungen. Diese müssen so viele Merkmale aufweisen, dass die argumentative Rückbindung der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG) und der Fachgerichte (Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 97 Abs. 1 GG) an die im Gesetzgebungsverfahren erzeugten Gesetztestexte ermöglicht wird. Der Gesetzestext muss so hinreichend bestimmt sein, dass eine Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung auch und gerade vom Adressaten der Entscheidung noch als Konkretisierung eines bestimmten Gesetzgebungsakts nachvollzogen werden kann. Die aus dem Demokratieprinzip resultierende Anforderung an den Gesetzgeber, die wesentlichen Entscheidungen zur Grundrechtsverwirklichung selbst zu treffen, liefe andernfalls ins Leere.

254

Die das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums konstituierenden Entscheidungen des BVerfG (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a.; BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11; BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a.) enthalten selbst keine näheren Ausführungen über den Grad der Bestimmtheit, den gesetzliche Regelungen zur Sicherung des Existenzminimums haben müssen. Dies ist wohl dem Umstand geschuldet, dass die dort zu überprüfenden Fragen ausschließlich die Verfassungsmäßigkeit der Regelleistungen bzw. des Regelbedarfes betrafen, bei denen die Leistungshöhe im Gesetz bzw. in den hierzu erlassenen, durch gesetzliche Regelungen weitgehend determinierten Anpassungsverordnungen numerisch exakt bestimmt war bzw. ist. Die durch das BVerfG geprüften Vorschriften wiesen - jedenfalls auf der Rechtsfolgenseite - kein Bestimmtheitsproblem auf.

255

2.1 Das Bestimmtheitsgebot ist sowohl Ausdruck des Demokratie- als auch des Rechtsstaatsprinzips. Das BVerfG formuliert die rechtsstaatlichen Bestimmbarkeitsanforderungen beispielhaft folgendermaßen (BVerfG, Urteil vom 22.11.2000 - 1 BvR 2307/94, 1 BvR 1120/95, 1 BvR 1408/95, 1 BvR 21 BvR 2460/95, 1 BvR 21 BvR 2471/95 - Rn. 325):

256

"Das rechtsstaatliche Gebot der Gesetzesbestimmtheit zwingt den Gesetzgeber nicht, Regelungstatbestände stets mit genau erfassbaren Maßstäben zu umschreiben. Der Gesetzgeber ist aber gehalten, seine Regelungen so bestimmt zu fassen, wie dies nach der Eigenart des zu ordnenden Lebenssachverhalts mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist (...). Bei der Frage, welche Bestimmtheitsanforderungen im Einzelnen erfüllt sein müssen, ist auch die Intensität der Einwirkungen auf die Regelungsadressaten zu berücksichtigen (...). Die Rechtsunterworfenen müssen in zumutbarer Weise erkennen können, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für die in der Rechtsnorm ausgesprochene Rechtsfolge vorliegen (...). Dabei reicht es aus, wenn sich dies im Wege der Auslegung der einschlägigen Bestimmung mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregeln feststellen lässt (...)."

257

An anderer Stelle führt das BVerfG aus, dass die grundsätzliche Zulässigkeit unbestimmter Gesetzesbegriffe den Gesetzgeber nicht davon entbinde, die Vorschrift so zu fassen, dass sie den rechtsstaatlichen Grundsätzen der Normklarheit und Justitiabilität entspreche (BVerfG, Beschluss vom 12.01.1967 - 1 BvR 169/63 - Rn. 17).

258

2.1.1 Das verfassungsrechtliche Prinzip, dass die für die Grundrechtsverwirklichung wesentlichen Bestimmungen durch den parlamentarischen Gesetzgeber getroffen werden müssen ("Wesentlichkeitstheorie"), wird im Zusammenhang mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums auf zweierlei Weise aufgerufen. Einerseits bewirkt bereits die dogmatische Qualifikation des Rechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums als Grundrecht, dass das Wesentlichkeitsprinzip berücksichtigt werden muss. Andererseits bedingt die Besonderheit der Qualifikation als "Gewährleistungsrecht", dass das Grundrecht erst durch Erfüllung des gesetzgeberischen Gestaltungsauftrags zur vollen Entfaltung kommen kann. Mit diesem zweiten, materiellen Aspekt sind auch die vom BVerfG entwickelten Qualitätsmaßstäbe hinsichtlich der "tragfähigen Begründbarkeit" (siehe unten unter 4) verbunden.

259

Sowohl die Grundrechtsqualität als auch die Konstituierung des Anspruchs auf Existenzsicherung als Gewährleistungsrecht prägen mithin die "Eigenart des zu ordnenden Lebenssachverhalts mit Rücksicht auf den Normzweck" und bestimmen die "Intensität der Einwirkungen auf die Regelungsadressaten" (BVerfG, Urteil vom 22.11.2000 - 1 BvR 2307/94 u.a. - Rn. 325) in dem Sinne, dass der Gesetzgeber die Regelungen zur Sicherung des Existenzminimums möglichst exakt ausgestalten muss.

260

2.1.2 Hieraus folgt, dass eine Verwaltungs- oder Fachgerichtsentscheidung, mit der über die Gewährung existenzsichernder Leistungen entschieden wird, in qualifizierter Weise auf eine gesetzgeberische Entscheidung zurückgeführt werden können muss. Die hierfür wesentlichen Bestimmungen müssen im für die Sachentscheidung auf Verwaltungsebene einschlägigen Gesetzestext (Normtext bzw. amtlicher Wortlaut) enthalten sein, da nur dieser durch das formalisierte Gesetzgebungsverfahren in Geltung gesetzte Text dem parlamentarischen Willensbildungsprozess eindeutig zuzurechnen ist. Nicht einschlägige Normtexte (z.B. Parallelvorschriften) oder im Sachzusammenhang mit dem Gesetzgebungsakt stehende Nicht-Normtexte (z.B. Gesetzgebungsmaterialien) können legitimerweise Konkretisierungselemente für die Auslegung einfachen Gesetzesrechts sein, vermögen aber nicht die gemessen am Wesentlichkeitsvorbehalt festgestellte Unterbestimmtheit einer gesetzlichen Regelung zu kompensieren. Denn weder nicht einschlägige Normtexte noch Gesetzesmaterialien sind - bezogen auf die konkrete Regelungsmaterie - Ergebnisse des parlamentarisch-demokratischen Entscheidungsprozesses. In Bezug auf den Regelungsgegenstand unterliegen sie auch nicht den durch den parlamentarischen Prozess garantierten Sicherungen im Hinblick auf die Öffentlichkeit der Debatte (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 77).

261

Für Grundrechtsträger muss darüber hinaus erkennbar sein, welche staatlichen Akteure für die Ausgestaltung ihrer Rechte verantwortlich sind. Dies betrifft den Grundrechtsträger nicht nur in seiner Eigenschaft als Leistungsberechtigten, sondern auch als Teilnehmer am demokratischen Prozess durch Wahlen oder andere Beteiligungsformen. Mit den Worten des BVerfG (Urteil vom 07.10.2014 - 2 BvR 1641/11 - Rn. 81):

262

"Demokratie und Volkssouveränität erschöpfen sich im repräsentativ-parlamentarischen System des Grundgesetzes nicht in Zurechnungsfiktionen und stellen auch nicht nur formale Mindestanforderungen an den Legitimationszusammenhang zwischen dem Volk und den handelnden Staatsorganen. (...) Der wahlberechtigte Bürger muss wissen können, wen er wofür - nicht zuletzt durch Vergabe oder Entzug seiner Stimme - verantwortlich machen kann. Daran fehlt es, wenn die Aufgaben durch Organe oder Amtswalter unter Bedingungen wahrgenommen werden, die eine solche Verantwortungszuordnung nicht ermöglichen (...)."

263

Dieser Verantwortungszusammenhang kann praktisch nur realisiert und sichtbar gemacht werden, indem die aus Gründen der Grundrechtsverwirklichung vom parlamentarischen Gesetzgeber selbst zu treffenden Regelungen so gestaltet sind, dass sie zur maßgeblichen Beeinflussung der konkreten Entscheidungsprozesse der Verwaltung und der Fachgerichte geeignet sind.

264

2.1.3 Die Aussage des BVerfG, die Rechtsunterworfenen müssten in zumutbarer Weise erkennen können, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für die in der Rechtsnorm ausgesprochene Rechtsfolge vorliegen, und hierfür reiche es aus, wenn sich dies im Wege der Auslegung der einschlägigen Bestimmung mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregeln feststellen lasse (BVerfG, Urteil vom 22.11.2000 - 1 BvR 2307/94 u.a. - Rn. 325), darf nicht so verstanden werden, dass ein verfassungswidriger Bestimmtheitsmangel des Gesetzes durch Auslegung der Gerichte mit anerkannten Mitteln der juristischen Methodenlehre ausgeglichen werden könnte (in diese Richtung aber Luik, jurisPRSozR 22/2013 Anm. 1).

265

Es geht hier nur darum festzustellen, ob eine Rechtsvorschrift nach verfassungsrechtlichen Maßstäben hinreichend bestimmt ist. Hierzu muss beurteilt werden, ob die sich aus der Eigenart des Lebenssachverhalts und des Normzwecks ergebenden Anforderungen an die Intensionstiefe (im Sinne von Merkmalsdichte) des Normtextes mit der konkret gewählten Regelungstechnik erfüllt werden. Diese Frage ist mit Hilfe der zur Verfügung stehenden Auslegungsmethoden zu beantworten. Dies kann insbesondere mit den Methoden der semantischen und der systematischen Auslegung geschehen, da diese die einschlägigen Normtexte selbst in den Blick nehmen.

266

Es geht an dieser Stelle hingegen nicht darum nachzuweisen, dass ein unbestimmter Rechtsbegriff mit Hilfe anerkannter Mittel der juristischen Methodenlehre für eine gerichtliche Sachentscheidung fruchtbar gemacht werden kann; dies ist ausnahmslos der Fall. Gerichte können unbestimmte Rechtsbegriffe argumentativ u.a. mit Zweckerwägungen, historischen und genetischen Aspekten, Erwägungen zur „materiellen Gerechtigkeit“ und Praktikabilitätserfordernissen anreichern, um den Fall zur Entscheidungsreife zu bringen. Die Rechtsprechung ist zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes verpflichtet (Art. 19 Abs. 4 GG), d.h. sie muss auch dann, wenn unbestimmte Rechtsbegriffe im Gesetz Verwendung finden, zu einer bestimmten Sachentscheidung kommen. In einem funktionierenden Rechtsstaat muss es auf jede Rechtsfrage eine Antwort geben (Forgó/Somek, Nachpositivistisches Rechtsdenken, in: Buckel/Christensen/Fischer-Lescano (Hrsg.): Neue Theorien des Rechts, 2. Auflage 2009, S. 257). Dieser Befund kommt in der Feststellung zum Ausdruck, dass der unbestimmte Rechtsbegriff der "Angemessenheit" der uneingeschränkten oder vollständigen richterlichen Kontrolle unterliege (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 - Rn. 21 ff.; Knickrehm, jM 2014, S. 340).

267

Hierfür stellt die juristische Methodenlehre Werkzeuge zu Verfügung, deren Aufgabe es ist, jeden Fall anhand rationaler Kriterien lösbar zu machen. Die normtextbezogenen Methoden der "grammatischen" und "systematischen" Auslegung verlieren durch die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe jedoch an Bedeutung, wodurch die Begrenzungen richterlichen und behördlichen Entscheidens durch Gesetzesbindung geschwächt werden. Durch Heranziehung vom Normtext unabhängiger, gleichwohl "anerkannter" Konkretisierungselemente wie historischer, genetischer und (insbesondere) teleologischer Auslegung lassen sich unbestimmte Rechtsbegriffe besonders leicht einer auf den Fall bezogenen Konkretisierung zuführen, da ein Verstoß gegen das Gesetzesbindungsgebot kaum je nachgewiesen werden kann.

268

Hiermit wird aber noch nichts über die Abgrenzung der Rechtserzeugungsbefugnisse zwischen Gesetzgebung und Rechtsprechung gesagt. Bei der Frage, ob der Gesetzgeber hinreichend bestimmte Regelungen getroffen hat, handelt es sich mithin nicht um ein methodologisches Problem, sondern um ein Problem der Legitimation. Die demokratische Willensbildung kann im Rechtsstaat nur in dem Umfang Wirkung entfalten, in dem sie durch Gesetze Verwaltung und Rechtsprechung zu binden vermag (Art. 20 Abs. 3 GG). Je weniger bedeutsame Merkmale eine Regelung aufweist, also je unbestimmter sie ist, desto geringer ist die Bindungswirkung des Gesetzes. Bei Regelungsmaterien, die aus verfassungsrechtlichen Gründen im Wesentlichen der Gestaltung durch den parlamentarischen Gesetzgeber unterliegen, erwächst hieraus ein Bestimmtheitsgebot. Das Bestimmtheitsgebot verlangt eine Regelungstechnik, die dazu geeignet ist, Gesetzesbindung zu erzeugen. Hierzu muss die gesetzliche Vorschrift so viele bestimmende Merkmale aufweisen, dass der durch Verwaltung und Rechtsprechung zu vollziehende Konkretisierungsprozess wirksam im Sinne der demokratischen Willensbildung gesteuert werden kann.

269

2.1.4 Wann die Voraussetzung der hinreichenden Bestimmtheit (bzw. Bestimmbarkeit) erfüllt ist, lässt sich nicht abstrakt festlegen, da Gesetzestext, Interpretationskultur und rechtsstaatliches Verfahren - abgesehen von Fällen numerischer Exaktheit - niemals eine vollständige Determination der Fallentscheidung ermöglichen (Müller/Christensen, Juristische Methodik, 10. Auflage 2009, S. 195). Gesetzesbegriffe sind in diesem Sinne also immer unbestimmt. Hieraus folgt, dass die Anforderungen an die Bestimmtheit eines Gesetzes nicht losgelöst von dessen Funktion betrachtet werden können und Maßstab für die Einhaltung des Bestimmtheitsgebots nur ein der Regelungsmaterie angemessener Grad von Bestimmbarkeit sein kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 08.08.1978 - 2 BvL 8/77 - Rn. 101).

270

Dass dieser Grad der Bestimmbarkeit bei der gesetzlichen Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums besonders hoch sein muss, ergibt sich zum einen aus der Grundrechte verwirklichenden Funktion des Gesetzes (Stölting, SGb 2013, S. 545), zum anderen und wesentlich aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber die politische Transformation der "gesellschaftlichen Anschauungen über das für ein menschenwürdiges Dasein Erforderliche" (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 138) überhaupt erst vollziehen muss, um seiner Gestaltungsverpflichtung nachzukommen. Regelungstechniken, die wegen ihrer Unbestimmtheit nicht dazu geeignet sind, Verwaltung und Rechtsprechung wirkungsvoll zu steuern, erhalten zwar den legitimatorischen Schein der Gesetzesbindung aufrecht (vgl. Maus, Verrechtlichung, Entrechtlichung und der Funktionswandel von Institutionen, in: dies.: Rechtstheorie und politische Theorie im Industriekapitalismus, München 1986, S. 278), überlassen die Interpretation dessen, was die genannten "gesellschaftlichen Anschauungen" sein mögen, jedoch einer demokratisch allenfalls höchst mittelbar legitimierten Funktionselite.

271

2.1.5 Zur Prüfung, ob eine gesetzliche Regelung den genannten Anforderungen genügt, ist daher eine möglichst präzise Analyse erforderlich, in welchem Ausmaß der Gesetzestext unter Einschluss der Gesetzessystematik die in Ausführung des Gesetzes ergehenden behördlichen und gerichtlichen Entscheidungen zu begrenzen vermag und sich durch diese Begrenzung dazu eignet, die wesentlichen Wertentscheidungen des Gesetzgebers in der einzelfallbezogenen Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung wiedererkennbar zu machen.

272

2.2 Die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II weist unabhängig von der Problematik der Angemessenheitsgrenze einen relativ geringen Bestimmtheitsgrad auf, da beispielsweise nicht ausdrücklich normiert ist, was unter Aufwendungen für Unterkunft und Heizung im Einzelnen zu verstehen ist (2.2.1), auf welche Weise diese Aufwendungen in Mehrpersonenhaushalten einzelnen Personen als Bedarf zuzuordnen sind (2.2.2) und wie die Aufwendungen unterschiedlichen Bewilligungszeiträumen bzw. -abschnitten zuzuordnen sind (2.2.3). Diese Unsicherheiten lassen sich aber unter Berücksichtigung der Gesetzessystematik kohärent lösen.

273

2.2.1 Die für diese Vorschrift zentralen Begriffe "Aufwendungen" und "Unterkunft" zeichnen sich durch einen hohen Abstraktionsgrad aus, was ein weites Verständnis beider Begriffe - auch vor dem Hintergrund des Auslegungsgrundsatzes der möglichst weitgehenden Verwirklichung der sozialen Rechte (§ 2 Abs. 2 SGB I; vgl. hierzu SG Mainz, Urteil vom 04.06.2014 - S 3 KR 298/12 - Rn. 75) - erzwingt (vgl. zum BSHG: Schmidt, NVwZ 1995, S. 1041). Die verwendeten Begriffe verweisen auf Grund ihrer Allgemeinheit auf einen weiten, aber hinreichend bestimmbaren Anwendungsbereich.

274

a) Nach der Rechtsprechung des BSG ist eine Unterkunft im Sinne des § 22 SGB II jede Einrichtung oder Anlage, die geeignet ist, vor den Unbilden des Wetters bzw. der Witterung zu schützen und eine gewisse Privatsphäre (einschließlich der Möglichkeit, private Gegenstände zu verwahren) gewährleistet (BSG, Urteil vom 16.12.2008 - B 4 AS 1/08 R - Rn. 14; BSG, Urteil vom 17.06.2010 - B 14 AS 79/09 R - Rn. 10).

275

Dieser Auffassung ist unter dem Vorbehalt zuzustimmen, dass hiermit keine Mindestanforderungen für die Qualifikation eines Objekts als Unterkunft gestellt werden, sondern die mit der Nutzung eines Objekts verbundene Zweckbestimmung beschrieben wird. Denn auf Grund der Weite des Begriffs der Unterkunft (im Unterschied zur "Wohnung") lässt sich mit § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II nicht vereinbaren, Aufwendungen für die Nutzung eines Obdachs nicht zu berücksichtigen, wenn dieses beispielsweise keinen ausreichenden Schutz vor der Witterung oder keinen Schutz der Privatsphäre bietet (a.A. wohl LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 07.03.2013 - L 3 AS 69/13 B ER - Rn. 18). Auch dies wäre eine unzulässige Verwendung eines um Vorstellungen vom "guten" Leben angereicherten Menschenwürdeverständnisses zur Leistungsbegrenzung (s.o. unter B. I. 5.2).

276

Voraussetzung für die Kategorisierung eines Objekts als Unterkunft ist weiter die zweckentsprechende Nutzung des Objekts durch die leistungsberechtigte Person (vgl. BSG, Urteil vom 23.11.2006 - B 11b AS 3/05 R - Rn. 15). Dies folgt daraus, dass es in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II um "Bedarfe für Unterkunft" geht. Die Beziehung des (kostenverursachenden) Objekts zum Leistungsberechtigten wird einerseits durch dessen Nutzung, andererseits durch die mit der Nutzung verbundenen Verpflichtungen (Aufwendungen) geprägt. Eine nicht durch den Leistungsberechtigten genutzte Wohnung ist deshalb nicht dessen Unterkunft, auch wenn er hierfür Aufwendungen zu erbringen hat.

277

Dies schließt nicht von vornherein aus, dass mehrere Wohnungen durch einen Leistungsberechtigten über einen gewissen Zeitraum parallel genutzt werden und gleichzeitig eine dem Leistungsberechtigten zuzuordnende Unterkunft im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II sein können (a.A. Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 25, 5. Auflage 2013; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16.06.2006 - L 10 B 488/06 AS ER - Rn. 5; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 18.01.2013 - L 6 AS 2124/11 B - Rn. 15). Ob die Aufwendungen für mehrere Unterkünfte als Bedarf eines Leistungsberechtigten zu berücksichtigen sind, ist eine Frage, die nach geltendem Recht nur über die Auslegung des Angemessenheitsbegriffs im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II zu lösen ist (vgl. Hessisches LSG, Beschluss vom 08.10.2007 - L 7 AS 249/07 ER - Rn. 31).

278

b) Unter Aufwendungen für Unterkunft versteht die vorlegende Kammer diejenigen Ausgaben, die als Gegenleistung für die Überlassung der konkret genutzten Unterkunft geschuldet werden, zuzüglich derjenigen Ausgaben, die mit der Nutzung der Unterkunft notwendig zusammenhängen.

279

Mit dem ersten Bestandteil der Definition werden die Ausgaben erfasst, die Voraussetzung für eine rechtmäßige Nutzung des Wohnraums sind, mit dem zweiten Bestandteil die Ausgaben, die aus der Nutzung folgen sowie diejenigen Ausgaben, die der Erhaltung der Nutzbarkeit der Unterkunft dienen. Auf diese Weise wird dem hohen Abstraktionsgrad der Regelung Rechnung getragen. Mit der Präposition "für" können im vorliegenden Kontext die Gegenleistungen für die Überlassung der Unterkunft (z.B. Miete einschließlich Nebenkosten, Kaufpreis), die für die Erhaltung der Unterkunft zu tätigenden Ausgaben (z.B. Renovierungskosten), die mit der Nutzung rechtlich verbundenen Verpflichtungen (z.B. Grundsteuer, Anschlussgebühren) und die für die Nutzbarkeit als Unterkunft erforderlichen Kosten (z.B. Wasseranschlusskosten, Müllgebühren) angesprochen werden.

280

Aus dieser Definition folgt, dass jegliche Gegenleistungen aus Austauschverhältnissen, die die dauerhafte oder vorübergehende Überlassung von Wohnraum zum Gegenstand haben, Aufwendungen für die Unterkunft im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II sein können. Dies betrifft sowohl Mietverhältnisse und ähnliche Dauernutzungsverhältnisse als auch im Bedarfszeitraum geschuldete Kaufpreisraten für den Eigentumserwerb einschließlich atypischer Vertragsgestaltungen, wie die Zahlung einer Leibrente als Gegenleistung für eine Eigentumsübertragung (vgl. SG Mainz, Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 119/13 - Rn. 24 ff.; a.A. BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 42/13 R - Rn. 17 ff.).

281

Der (grundsätzliche) Ausschluss von Kaufpreisraten (BSG, Urteil vom 07.07.2011 - B 14 AS 79/10 R - Rn. 18 ff.; vgl. zuletzt auch BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 42/13 R - Rn. 17 ff.) überzeugt methodisch nicht. Das BSG differenziert offenbar nicht zwischen echten Kaufpreisraten, die als Gegenleistung für die Eigentumsübertragung geschuldet werden (vgl. BSG, Urteil vom 07.07.2011 - B 14 AS 79/10 R - Rn. 18 ff.), und Tilgungsleistungen zur Rückzahlung eines zum Zwecke des Immobilienerwerbs aufgenommenen Darlehens (vgl. BSG, Urteil vom 18.06.2008 - B 14/11b AS 67/0AS 67/06 R - Rn. 27). Echte im Bedarfszeitraum geschuldete Kaufpreisraten lassen sich semantisch nicht aus dem Normbereich des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ausschließen, da diese synallagmatische Gegenleistungen für die Überlassung von Wohnraum darstellen. Ein Ausschluss derartiger Aufwendungen aus der Bedarfsberechnung ließe sich nur unter entsprechender Auslegung des Angemessenheitsbegriffs in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II mit dem Gesetzeswortlaut in Einklang bringen. Der grundsätzliche Ausschluss von Tilgungsleistungen wird durch das BSG allerdings weder mit einer Auslegung des Begriffs der Aufwendungen (so wohl noch BVerwG, Urteil vom 24.04.1973 - V C 61.73 - Rn. 15), noch mit der Auslegung des Begriffs der Angemessenheit (allenfalls angedeutet durch das BSG im Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 2/05 R - Rn. 24) begründet. Stattdessen wird dem § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal untergeschoben, indem von "anzuerkennenden" Unterkunftskosten die Rede ist (BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 42/13 R - Rn. 17). Dies bietet dem BSG unter Umgehung der Gesetzesbindung ein rhetorisches Einfallstor für die in der Herausnahme von Tilgungsleistungen aus dem Unterkunftsbedarf zum Ausdruck kommenden sozialpolitischen Erwägungen (vgl. zum Ganzen SG Mainz, Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 119/13 - Rn. 27 ff.).

282

Ob auch Tilgungsraten oder Schuldzinsen für zum Zwecke des Eigentumserwerbs aufgenommene Darlehen als Aufwendungen für Unterkunft anzusehen sind, kann vorliegend offen bleiben. Dies erscheint im Unterschied zur Situation bei echten Kaufpreisraten jedenfalls nicht zwingend. Dass keine Schulden aus der Vergangenheit übernommen werden, lässt sich anhand konkreter gesetzlicher Regelungen begründen, im SGB XII aus dem Kenntnisgrundsatz (§ 18 Abs. 1 SGB XII), im SGB II aus dem Umstand, dass keine Leistungen für Zeiten vor der Antragstellung erbracht werden (§ 37 Abs. 2 S. 1 SGB II). Auf Grund dieser Regelung sind Schulden, die zur Deckung von Bedarfen vor Kenntnis bzw. vor Antragstellung aufgenommen wurden, nicht nachträglich durch Grundsicherungsleistungen auszugleichen. Wenn die Gegenleistung (Zahlung des Kaufpreises) für die Überlassung des Wohnraums in der Vergangenheit bereits vollständig erbracht wurde, stellt sie daher keinen gegenwärtigen Unterkunftsbedarf mehr dar. Die Begleichung von Tilgungsraten und Schuldzinsen von in der Vergangenheit zum Zwecke des Eigentumserwerbs aufgenommenen Krediten dient der Vermeidung der Zwangsvollstreckung u.a. in das erworbene Eigentum und kann deshalb gegebenenfalls zur Schuldenübernahme nach § 22 Abs. 8 SGB II führen. Sie ist jedoch keine unmittelbare Gegenleistung für die Überlassung des Wohnraums. Dass gerade Schuldzinsen vom BSG als Kosten der Unterkunft anerkannt werden, obwohl diese - anders als Tilgungsraten - kein Substitut für den Kaufpreis, sondern das Entgelt für die Kreditgewährung darstellen, beruht wohl auf einer schematischen Übertragung des Regelungsgehalts des § 7 Abs. 2 der Verordnung zu § 82 SGB XII, der die Berechnung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung betrifft (BSG, Urteil vom 15.04.2008 - B 14/7b AS 34/06 R - Rn. 38; vgl. aber auch BSG, Urteil vom 24.02.2011 - B 14 AS 61/10 R - Rn. 16). Die dort abzugsfähigen Ausgaben werden als Aufwendungen für die Unterkunft im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II angesehen.

283

Bereits unter dem Aspekt der Gegenleistung für die Nutzungsüberlassung gehören sämtliche mietvertraglich geschuldeten Nebenkosten zu den Aufwendungen für Unterkunft (vgl. BSG, Urteil vom 25.06.2008 - B 11b AS 35/06 R - Rn. 20), unabhängig davon, ob die hierbei zu deckenden Bedarfe nach der gesetzgeberischen Konzeption auch Bestandteile des Regelbedarfs sein sollen (BSG, Urteil vom 07.05.2009 - B 14 AS 14/08 R - Rn. 22; BSG, Urteil vom 24.11.2011 - B 14 AS 151/10 R - Rn. 15 ff.; a.A. noch BSG, Urteil vom 27.02.2008 - B 14/7b 64/06 R - Rn. 32).

284

Auch im Falle der Bewohnung eines Eigenheims nach § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II gehören die Nebenkosten, wie z.B. Beiträge zur Wohngebäudeversicherung, Grundsteuern, Wasser- und Abwassergebühren und ähnliche Kosten zu den grundsätzlich berücksichtigungsfähigen Aufwendungen für die Unterkunft (BSG, Urteil vom 24.02.2011 - B 14 AS 61/10 R - Rn. 14).

285

c) Aufwendungen für Heizung sind alle Kosten, die für die Heizung der Unterkunft und für die Warmwasserbereitung (Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn. 32, 5. Auflage 2013) außer in Fällen des § 21 Abs. 7 SGB II anfallen, unabhängig von der Art und Weise der Beheizung.

286

d) Unter tatsächlichen Aufwendungen im Sinne des § 22 Abs. 1 SGB II sind nicht nur solche Ausgaben zu verstehen, die bereits getätigt wurden. Es genügt vielmehr, dass sich der Leistungsberechtigte einem unterkunftsbezogenen Anspruch ausgesetzt sieht (vgl. BSG, Urteil vom 03.03.2009 - B 4 AS 37/08 R - Rn. 24). Dies ergibt sich systematisch zwingend daraus, dass Unterkunfts- und Heizungsbedarfe als Teil des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld einheitlich und für einen bestimmten Bewilligungszeitraum bewilligt werden und monatlich im Voraus erbracht werden (§ 41 Abs. 1 S. 4 SGB II), des Weiteren daraus, dass die zweckkonforme Verwendung der unterkunftsbezogenen Leistungen im Falle des § 22 Abs. 7 SGB II durch Auszahlung an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte sichergestellt werden kann. Letzteres setzt voraus, dass der Anspruch auf unterkunftsbezogene Leistungen von der Erfüllung der Verpflichtungen des Leistungsberechtigten gegenüber Dritten grundsätzlich unabhängig ist. Somit orientiert sich die Leistungsgewährung für Unterkunftsbedarfe zwar an tatsächlich zu erwartenden Aufwendungen, erhält jedoch den Charakter einer abstrakten Geldleistung (vgl. Groth, jurisPR-SozR 2/2013 Anm. 2).

287

e) Unter Berücksichtigung der Gesetzessystematik lassen sich die in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II angesprochenen Bemessungsfaktoren für die Berechnung des unterkunftsbezogenen Teils des Leistungsanspruchs aus § 19 Abs. 1 SGB II somit hinreichend genau bestimmen.

288

2.2.2 Dass die §§ 19, 22 SGB II keine ausdrückliche Regelung über die Zuordnung von Unterkunftsbedarfen zu einzelnen Haushaltsmitgliedern enthalten, verstößt ebenfalls nicht gegen das Bestimmtheitsgebot.

289

Aus der Gesetzessystematik ergibt sich zwingend, dass die Aufwendungen bei Mehrpersonenhaushalten den Personen als Bedarf zuzuordnen sind, die die Aufwendungen tatsächlich haben, d.h. die tatsächlich einer entsprechenden Forderung ausgesetzt sind. Für eine Aufteilung nach Kopfteilen besteht hingegen keine Rechtsgrundlage (für das "Kopfteilprinzip" aber grundsätzlich das BSG, Urteil vom 23.11.2006 - B 11b AS 1/06 R - Rn. 28 f.; Urteil vom 31.10.2007 - B 14/11b AS 7/07AS 7/07 R - Rn. 19).

290

a) Die Festsetzung des Unterkunftsbedarfs anhand der tatsächlichen Aufwendungen ist im Zusammenhang mit § 19 Abs. 1 S. 3 SGB II als Bestandteil der Bedarfsberechnung anzusehen. Die Leistungen nach dem SGB II sind als Individualansprüche ausgestaltet (vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - Rn. 12). Der Betrag der tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft, soweit er angemessen ist, wird gemäß § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II als Unterkunftsbedarf anerkannt, d. h. er fließt als Berechnungsposten in die Bestimmung des individuellen Gesamtanspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld nach § 19 Abs. 1, 19 Abs. 3 S. 1 SGB II ein (vgl. Bayerisches LSG, Urteil vom 14.05.2014 - L 11 AS 621/13 - Rn. 27). Der für die Leistungsberechnung nach § 19 SGB II maßgebliche Unterkunftsbedarf wird somit nicht anhand der Nutzungsintensität einer Unterkunft durch eine leistungsberechtigte Person bemessen, sondern anhand der für die Nutzung aufzuwendenden Kosten. Der Ausgangspunkt des BSG, die Höhe des Unterkunftsbedarfs anhand der Nutzungsintensität der Unterkunft durch die einzelne Person festlegen zu wollen (vgl. BSG, Urteil vom 23.11.2006 - B 11b AS 1/06 R - Rn. 28) und hierbei aus Gründen der Praktikabilität von einer gleichmäßigen Nutzung, also von "Kopfteilen" auszugehen, geht daher fehl.

291

Dass § 19 Abs. 1 S. 3 SGB II die Möglichkeit einschließt, dass auch Empfänger von Sozialgeld Leistungen für Bedarfe für Unterkunft und Heizung erhalten können, besagt noch nichts über deren Verteilung. Entsprechendes gilt für die zunächst in § 22 Abs. 7 SGB II a.F. und nunmehr in § 27 Abs. 3 SGB II enthaltene Härtefallregelung für Auszubildende, die von den Leistungen nach dem SGB I gemäß § 7 Abs. 5 SGB II ausgeschlossen sind, und bei denen die Übernahme von Unterkunftskosten auch dann möglich ist, wenn sie im Haushalt der Eltern oder eines Elternteils leben und ihnen hierdurch (nur) typischerweise keine eigenen Kosten entstehen.

292

b) Bei Personen, die selbst keine Unterkunftskosten schulden, somit keine Aufwendungen im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II haben, fehlt es an einer Bemessungsgrundlage für den Unterkunftsbedarf, der bei der Bedarfsberechnung nach § 19 Abs. 1, Abs. 3 S. 1 SGB II berücksichtigt werden könnte. Für eine Berücksichtigung nach Kopfteilen bedürfte es einer Rechtsgrundlage, nach der fiktive oder pauschale Unterkunftsbedarfe zu Grunde gelegt werden dürften. Das BVerwG, auf dessen Rechtsprechung sich das BSG zur Begründung des Kopfteilprinzips stützt, ist ausdrücklich davon ausgegangen, dass es sich bei der Anwendung des Kopfteilprinzip um eine pauschalierende Regelung handelt (BVerwG, Urteil vom 21.01.1988 - 5 C 68/85 - Rn. 10). Im Unterschied zum Sozialhilferecht (§ 35 Abs. 3 SGB XII) und außerhalb des Anwendungsbereichs des § 22a Abs. 2 SGB II ist eine Pauschalierung von Unterkunftskosten im SGB II jedoch nicht vorgesehen.

293

Praktikabilitätserwägungen (vgl. BSG, Urteil vom 23.11.2006 - B 11b AS 1/06 R - Rn. 28) vermögen eine solche Rechtsgrundlage nicht zu ersetzen. Dies verbietet sich bereits auf Grund der Rechtsfolgen, die die Berücksichtigung von Unterkunftsbedarfen nach sich ziehen. Unter Anwendung der Kopfteilmethode kann trotz der Vertretungsvermutung des § 38 Abs. 1 SGB II nicht sichergestellt werden, dass die zur Deckung der Unterkunftsbedarfe erbrachten Leistungen tatsächlich dem im Außenverhältnis zur Leistung der Unterkunftsaufwendungen Verpflichteten zur Verfügung stehen. Die zur Entgegennahme von Leistungen berechtigende Vertretungsvermutung kann widerlegt, ihr kann auch ausdrücklich widersprochen werden. Sie gilt im Übrigen nur zu Gunsten erwerbsfähiger Leistungsberechtigter, obwohl auch nicht erwerbsfähige Leistungsberechtigte (Sozialgeldempfänger) Unterkunftskostenschuldner sein können. Sie gilt nicht für reine Haushaltsgemeinschaften, deren Unterkunftskosten nach der Rechtsprechung des BSG ebenfalls nach dem Kopfteilprinzip berücksichtigt werden sollen (vgl. BSG, Urteil vom 31.10.2007 - B 14/11b AS 7/07AS 7/07 R - Rn. 19). Bei der Auszahlung der Leistungen an verschiedene Haushaltsmitglieder läge eine zweckentsprechende Mittelverwendung nicht in der Hand des Verpflichteten.

294

c) Die Höhe des Bedarfs für Unterkunft und Heizung ist darüber hinaus nicht nur für die Berechnung der Gesamthöhe des Leistungsanspruchs auf Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld, sondern auch im Hinblick auf mögliche Rechtsfolgen, die an die Qualifizierung eines Bedarfsanteils als Unterkunfts- und/oder Heizungsbedarfs anknüpfen, von Bedeutung. So sieht § 22 Abs. 7 SGB II Möglichkeiten einer freiwilligen oder durch die Behörde veranlassten unmittelbaren Auszahlung bewilligter Leistungen an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte vor, soweit Arbeitslosengeld II für den Bedarf für Unterkunft und Heizung geleistet wird. Die Schuldenübernahme nach § 22 Abs. 8 SGB II setzt voraus, dass Arbeitslosengeld II für den Bedarf für Unterkunft und Heizung erbracht wird. Nach § 40 Abs. 4 S. 1 SGB II sind abweichend von § 50 SGB X 56 Prozent der bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes II und des Sozialgeldes berücksichtigten Bedarfe für Unterkunft (ohne Heizung) nicht zu erstatten.

295

d) Gegen das Kopfteilprinzip spricht im Übrigen der Umstand, dass der Gesetzgeber in § 6a Abs. 4 S. 2 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) eine besondere, von § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II abweichende Regelung über die Verteilung von Unterkunftsbedarfen getroffen hat. Diese die Berechnung der Unterkunftsbedarfe modifizierende Regelung generiert aber keine an die tatsächlichen Aufwendungen anknüpfenden Leistungsansprüche, sondern betrifft die Voraussetzungen für den Kinderzuschlag, der Unterkunftsbedarfe nicht gesondert erfasst. Nach § 6a Abs. 4 S. 2 BKGG sind die Bedarfe für Unterkunft und Heizung in dem Verhältnis aufzuteilen, das sich aus den im jeweils letzten Bericht der Bundesregierung über die Höhe des Existenzminimums von Erwachsenen und Kindern festgestellten entsprechenden Bedarfen für Alleinstehende, Ehepaare, Lebenspartnerschaften und Kinder ergibt. Diese Regelung bildet die unterkunftsbezogenen Mehrkosten, die durch die Berücksichtigung von Kindern erforderlich werden, ab. Sie ist vor dem Hintergrund des Zweckes der Einführung des Kinderzuschlags zu verstehen, der darauf abzielt, Personen nicht unter das Regime des SGB II fallen zulassen, die nur auf Grund dessen, dass sie Kinder versorgen, den gesamten Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln nicht decken können (Schnell, SGb 2009, S. 649). Die differenzierte Regelung der fiktiven Aufteilung der Unterkunfts- und Heizungsbedarfe in § 6a Abs. 4 S. 2 BKGG verfolgt erkennbar den Zweck, den Anteil der Unterkunfts- und Heizkosten zu bestimmen, den die Leistungsberechtigten nach § 6a BKGG typischerweise zusätzlich wegen ihrer Kinder zur Deckung des Wohnbedarfs aufwenden. Anspruchsberechtigte für den Kinderzuschlag sind nach § 6a Abs. 1 BKGG stets die Eltern, so dass - anders als unter Anwendung des Kopfteilprinzips im SGB II - regelmäßig Identität zwischen Sozialleistungsberechtigten und Unterkunftskostenschuldnern besteht. Im Sinne der Kohärenz gesetzgeberischen Handelns hätte es nahegelegen, eine Bedarfszuordnungsfiktion wie in § 6a Abs. 4 S. 2 BKGG auch in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ausdrücklich zu regeln, wenn es hierfür ein Bedürfnis gäbe (für die Übertragung der Mehrbedarfsmethode des § 6a BKGG auf § 22 Abs. 1 SGB II hingegenSchürmann, SGb 2009, S. 203; ders., SGb 2010, S. 166 ff.).

296

e) Unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Kontextes ist letztlich aber von entscheidender Bedeutung, dass das Kopfteilprinzip vom Bedarfsdeckungsgrundsatz abweicht (vgl. Wersig, info also 2013, S. 52) und je nach Konstellation eine Sicherstellung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums im Konfliktfall verhindern kann, selbst wenn die der Haushaltsgemeinschaft gewährten Leistungen insgesamt zur Bedarfsdeckung ausreichen würden. Die durch die Anwendung des Kopfteilprinzips entstehenden praktischen Probleme („Mithaftung“ der übrigen Bedarfsgemeinschaftsmitglieder bei Sanktionen, Unterkunftsbedarf bei „temporärer Bedarfsgemeinschaft“, Zuordnung von Erstattungsansprüchen bei der Rückabwicklung von Leistungen, Sicherstellung der Zahlungen an Vermieter) widerlegen die These, dass das Kopfteilprinzip verwaltungspraktikabel sei. Das BSG begegnet diesen Phänomenen mit inzwischen zahlreichen Ausnahmen (BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 50/10 R - Rn. 19 - Ortsabwesenheit eines Bedarfsgemeinschaftsmitglieds; BSG, Urteil vom 23.05.2013 - B 4 AS 67/12 R - Rn. 21 f. - Sanktion; BSG, Urteil vom 18.11.2014 - B 4 AS 3/14 R - Rn. 27 - Mietschuldenübernahme nach § 22 Abs. 5 SGB II a.F.), hält aber (noch) am Kopfteilprinzip fest, obwohl es erkennt, dass eine gesetzliche Grundlage hierfür fehlt (BSG, Urteil vom 23.05.2013 - B 4 AS 67/12 R - Rn. 19). Neben der Tatsache, dass dies methodisch nicht stimmig ist, vermag die Ausnahmerechtsprechung die Defizite der Kopfteilmethode nur eingeschränkt zu kompensieren, weil im Regelfall zum Zeitpunkt der Bewilligungsentscheidung noch nicht feststeht, ob und gegebenenfalls welche der genannten Schwierigkeiten im Einzelfall auftreten werden.

297

f) Die bezüglich der Zuordnung von Unterkunftsbedarfen innerhalb von Mehrpersonenhaushalten aufgetretenen Unsicherheiten sind mithin nicht auf eine zu unbestimmte gesetzliche Regelung, sondern auf eine an die Systematik des SGB II nicht angepasste Übernahme der Rechtsprechung des BVerwG durch die Sozialgerichtsbarkeit zurückzuführen.

298

2.2.3 Die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II genügt auch insoweit den oben skizzierten Bestimmbarkeitsanforderungen, als die Aufwendungen für Unterkunft bestimmten Bedarfszeiträumen zugeordnet werden können.

299

Dass die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung einem bestimmten Bedarfszeitraum zugeordnet werden müssen, folgt aus dem Umstand, dass die unterkunftsbezogenen Leistungen einen Teil des grundsätzlich als Geldleistung konzipierten Arbeitslosengeldes II bzw. des Sozialgelds bilden (§ 19 Abs. 1 S. 3 SGB II). Der Geldleistungsanteil für Unterkunft und Heizung ist zwar eine am tatsächlichen Bedarf orientierte, aber von dessen tatsächlicher Deckung unabhängige Leistung. Die Abgrenzung der Bedarfszeiträume nach Monaten folgt aus dem Zusammenhang mit dem monatsweise zu berücksichtigenden Regelbedarf und wird durch flankierende Regelungen wie § 22 Abs. 2 S. 1 SGB II und § 22 Abs. 3 SGB II bestätigt. Unterkunfts- und Heizungsbedarfe werden als Teil des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld einheitlich für einen bestimmten Bewilligungszeitraum bewilligt und monatlich im Voraus erbracht (§ 41 Abs. 1 S. 4 SGB II).

300

Die Beschränkung auf die tatsächlichen Aufwendungen und die Abstraktion von der tatsächlichen Deckung bewirken, dass ein spezifischer Unterkunftsbedarf nur einmal bei der Bedarfsberechnung zu berücksichtigen ist. Wenn beispielsweise die für einen Monat geschuldete Miete für diesen Monat tatsächlich nicht gezahlt wird, kann die - weiterhin geschuldete und fällige - Miete nicht im Folgemonat erneut in den Bedarf eingestellt werden. Dies gilt entsprechend für gestundete Kaufpreisraten. Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit, die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung ausschließlich im Monat der erstmaligen Fälligkeit zu berücksichtigen. Dementsprechend können vor Antragstellung bereits gegenüber Dritten geschuldete und fällig gewordene Aufwendungen für Unterkunft und Heizung auch dann nicht bei der aktuellen Bedarfsberechnung berücksichtigt werden, wenn sie immer noch geschuldet werden.

301

Aufwendungen für Unterkunft und Heizung können sowohl monatlich als auch als einmalige Bedarfe anfallen (vgl. BSG, Beschluss vom 16.05.2007 - B 7b AS 40/06 R - Rn. 9 ff. zur Heizölbevorratung). Als bedarfserhöhend zu berücksichtigen sind sie stets vollständig und ausschließlich im ersten Fälligkeitsmonat.

302

2.2.4 Die Regelung § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ist somit hinreichend bestimmbar, soweit und solange Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen bei der Bedarfsberechnung nach den §§ 19 Abs. 1, Abs. 3, 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zu berücksichtigen sind. Bei Berücksichtigung der tatsächlichen Aufwendungen bei der Leistungsbewilligung ist das unterkunftsbezogene Existenzminimum jedenfalls dann gesichert, wenn die leistungsberechtigte Person tatsächlich eine menschenwürdige Unterkunft bewohnt.

303

2.3 Die Begrenzung der durch den Grundsicherungsträger bei der Berechnung des Leistungsanspruchs zu berücksichtigenden Bedarfe für Unterkunft und Heizung auf "angemessene" Aufwendungen in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verstößt jedoch wegen mangelnder Bestimmtheit gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums.

304

2.3.1 Im Unterschied zu den Regelbedarfen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 20 SGB II werden die Unterkunftskosten nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II nicht als Pauschalleistung, sondern grundsätzlich in tatsächlicher Höhe übernommen. Das Grundrecht auf Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums ist somit nur auf Grund der in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II vorgesehenen Begrenzung auf die angemessenen Aufwendungen betroffen ("Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind"). Erst durch den Angemessenheitsvorbehalt im zweiten Halbsatz wird der im ersten Halbsatz formulierte Leistungsanspruch begrenzt.

305

a) Der Begriff der Angemessenheit hat im vorliegenden Kontext eine leistungsbeschränkende Funktion (vgl. BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - Rn. 19: "Ihm wohnt der Gedanke der Begrenzung inne"). Die Begrenzungsfunktion ergibt sich aus dem semantischen Kontext ("…erbracht, soweit…"). § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verpflichtet die zuständigen Behörden somit dazu, Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in näher zu bestimmenden Fällen in geringerer als tatsächlicher Höhe der Bedarfsberechnung zu Grunde zu legen (SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 40).

306

b) Die Frage, bis zu welchem Betrag die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung im Einzelfall als angemessen anzusehen sind, unterliegt keinem Beurteilungsspielraum der Verwaltung. Die Gerichte sind zur uneingeschränkten Kontrolle dieser Frage gemäß Art. 19 Abs. 4 GG befugt und verpflichtet (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - Rn. 21 ff.; so schon Putz, info also 2004, S. 198).

307

c) Bei nicht angemessenen Unterkunftskosten ist in jedem Fall der Teil der Unterkunftskosten zu zahlen, der im Rahmen der Angemessenheit liegt. Die Unangemessenheit von Unterkunftskosten hat nicht zur Folge, dass überhaupt keine Aufwendungen für Unterkunft in den Bedarf einzustellen wären (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - Rn. 25). Dies ergibt sich aus der Verwendung des Wortes "soweit" in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II, das im vorliegenden Kontext nicht mit der Bedeutung "für den Fall, dass", sondern mit der Bedeutung "in dem Umfang" zu verstehen ist. Dies erschließt sich auch aus dem Zusammenhang mit den Regelungen des § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II und des § 22 Abs. 1 S. 4 SGB II, bei denen erkennbar davon ausgegangen wird, dass Unterkunftsbedarfe auch zu berücksichtigen sind, wenn sie die tatsächlichen Aufwendungen nicht decken. Ein "Alles-oder-Nichts-Prinzip" ist mit Gesetzeswortlaut und Systematik nicht vereinbar.

308

d) Weitere Bestimmungen zur Angemessenheit der Aufwendungen sind im einschlägigen Gesetzestext und im unmittelbaren Textzusammenhang nicht enthalten. Aus der Regelung zur vorläufigen Übernahme unangemessener Kosten in § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II wird lediglich deutlich, dass es bei der Bestimmung der Angemessenheit auf die "Besonderheit(en) des Einzelfalls" ankommen soll, wodurch die besonderen Umstände in der Person des Leistungsberechtigten zu berücksichtigen sind ("Prinzip der Einzelfallgerechtigkeit", vgl. BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 12; Piepenstock in: jurisPK-SGB II, § 22 Rn. 32, 3. Aufl. 2012, Stand: 01.12.2014; vgl. auch BT-Drucks. 17/3404, S. 98). § 22 Abs. 1 S. 4 SGB II ermöglicht dem Leistungsträger die Übernahme unangemessener Kosten, wenn die Absenkung durch bei einem Wohnungswechsel zu erbringende Leistungen unwirtschaftlich wäre. Hierdurch wird der Angemessenheitsbegriff jedoch nicht näher bestimmt.

309

e) Das SGB II enthält keine allgemeinen Regelungen, die zur näheren Bestimmung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II geeignet wären. In § 1 Abs. 1 SGB II ist lediglich festgehalten, dass die Grundsicherung für Arbeitsuchende es Leistungsberechtigten ermöglichen soll, ein Leben zu führen, das der Würde des Menschen entspricht.

310

f) Für den Fall, dass der Inhalt von Rechten oder Pflichten nach Art oder Umfang nicht im Einzelnen bestimmt ist, sieht § 33 S. 1 SGB I vor, dass bei deren Ausgestaltung die persönlichen Verhältnisse des Berechtigten oder Verpflichteten, sein Bedarf und seine Leistungsfähigkeit sowie die örtlichen Verhältnisse zu berücksichtigen sind, soweit Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen. Aus dieser grundsätzlich einschlägigen Regelung lässt sich für die Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II allenfalls der Hinweis auf die Bedeutung der örtlichen Verhältnisse gewinnen.

311

g) Auch die mit Gesetz vom 24.03.2011 mit Wirkung zum 01.04.2011 neu eingeführten §§ 22a bis 22c SGB II tragen zur näheren Bestimmung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nichts bei. Diese Regelungen sind für die Bestimmung der angemessenen Aufwendungen nach § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nicht einschlägig.

312

Das Land Rheinland-Pfalz, in dem der Landkreis Alzey-Worms liegt, hat im Übrigen bislang kein Gesetz nach § 22a SGB II erlassen. Der Anwendungsbereich der §§ 22a bis 22c SGB II ist daher in Rheinland-Pfalz generell nicht eröffnet.

313

h) Von der ursprünglich in § 27 Nr. 1 SGB II in der bis zum 31.03.2011 gültigen Fassung enthaltenen Ermächtigung zum Erlass einer Rechtsverordnung, mit der hätte bestimmt werden können, welche Aufwendungen für Unterkunft und Heizung angemessen sind und unter welchen Voraussetzungen die Kosten für Unterkunft und Heizung pauschaliert werden können, hat das (zuletzt) zuständige Bundesministerium für Arbeit und Soziales keinen Gebrauch gemacht. Die Möglichkeit, den summenmäßigen Umfang der in der gesetzlichen Regelung nicht konkretisierten Höhe der Leistungen durch verordnungsrechtliche Nachregulierung operabel zu machen (Rixen in: Eicher/Spellbrink, SGB II, § 27 Rn. 1, 1. Auflage 2005), wurde nicht genutzt.

314

2.3.2 Die Begrenzung der bei der Berechnung der Höhe des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld nach § 19 Abs. 1 S. 3 SGB II zu berücksichtigenden Unterkunftsbedarfe auf die angemessenen Aufwendungen nach § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verstößt gegen Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG, indem die konkrete Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums im für dessen Verwirklichung zentralen Bereich des unterkunftsbezogenen Existenzminimums durch Verwendung eines "unbestimmten Rechtsbegriffs" im Wesentlichen der Verwaltung und der Rechtsprechung überlassen wird.

315

a) Die im Normtext vorgesehene Begrenzung der nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zu erbringenden bzw. anzuerkennenden Aufwendungen für die Unterkunft auf das "Angemessene" ist nicht hinreichend konkret, um eine gesetzgeberische Entscheidung über die Ausgestaltung des unterkunftsbezogenen menschenwürdigen Existenzminimums erkennen zu lassen.

316

b) Als sicherer Bedeutungskern der Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II lässt sich lediglich feststellen, dass bei der Bedarfsberechnung nach § 19 Abs. 1, Abs. 3 SGB II jedenfalls nicht mehr als die tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung zu berücksichtigen sind. Der Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II vermag isoliert betrachtet keine weiteren Bindungen der Behörden und Gerichte für die Sachentscheidung hervorzurufen.

317

Der Begriff „angemessen“ drückt lediglich eine positiv bewertete Relation aus. Er gewinnt seine Bedeutung erst dadurch, dass verschiedene Größen auf „richtige“ (angemessene) Weise zueinander in Beziehung gesetzt werden, ohne dass der Begriff selbst einen Maßstab für die „Richtigkeit“ vorgibt oder auch nur andeutet. In § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II und im systematischen Zusammenhang fehlen sowohl Bezugsgrößen als auch Maßstäbe für das „richtige“ Verhältnis zwischen diesen Größen. Der Begriff der „Angemessenheit“ bleibt somit bedeutungsoffen.

318

Der Begriff der „Angemessenheit“ könnte im Kontext von § 22 Abs. 1 SGB II beispielsweise ein Preis-Leistungsverhältnis zwischen Ausstattung und Miethöhe, ein Verhältnis der Unterkunftsaufwendungen zu den sonstigen Lebensverhältnissen des Leistungsberechtigten oder ein Verhältnis der Aufwendungen zu den Unterkunftskosten einer irgendwie näher zu bestimmenden Bevölkerungsgruppe bezeichnen. Auch wenn feststünde, welche dieser Möglichkeiten im vorliegenden Kontext zuträfe, wäre die Frage, unter welchen Voraussetzungen das bestimmte Verhältnis ein „angemessenes“ ist, noch nicht einmal in den Grundzügen beantwortet.

319

c) Die nach § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II erforderliche Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls macht die Regelung zwar flexibler, aber nicht gehaltvoller. Die in § 1 Abs. 1 SGB II geregelte Zielsetzung der Sicherung eines menschenwürdigen Lebens ist im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Fragestellung tautologisch. § 33 S. 1 SGB I ermöglicht eine Konkretisierung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II dahingehend, dass örtliche Verhältnisse zu berücksichtigen sind, ohne diese näher einzugrenzen.

320

d) An der enormen Konkretisierungsarbeit, die das BSG zur Operationalisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II bisher geleistet hat (s.o. unter A. IV. 1) lässt sich ablesen, in welchem Ausmaß der Gesetzgeber seine aus dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums resultierende Gestaltungsaufgabe bislang vernachlässigt hat. So ist im Gesetz bereits nicht geregelt, ob sich die Angemessenheit (unbeschadet der allgemeinen Regelung des § 33 S. 1 SGB I) nach den örtlichen Wohnverhältnissen richtet und wie diese räumlich abzugrenzen sind. Es fehlt eine Festlegung, welches Bevölkerungs- oder Einkommenssegment als Bezugsgröße für einen angemessenen Wohnstandard verwendet werden soll. Es gibt keine Regelung darüber, ob sich die Angemessenheitsgrenze auf ein Individuum, eine Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 SGB II oder auf eine Haushaltsgemeinschaft beziehen soll. Auch für die Anwendung der „Produkttheorie“ gibt es keine Rechtsgrundlage, daher auch keine Regelungen dazu, welche Wohnflächengrenzen gegebenenfalls zu Grunde zu legen wären. Es gibt weder eine Regelung über die Verpflichtung oder gar über die Befugnis des Leistungsträgers zur Datenerhebung, noch über deren Art und Umfang.

321

Der Gesetzgeber hat mit der Beschränkung auf die "angemessenen" Aufwendungen somit die nahezu geringstmögliche Regelungsdichte für die Frage der Höhe des Unterkunfts- und Heizungsbedarfs realisiert. Noch unbestimmter hätte die gesetzgeberische Aussage des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II nur sein können, wenn in der Regelung eine Beschränkung auf die tatsächlichen Aufwendungen gefehlt hätte. Man könnte auch von einer "Gesetzesattrappe" sprechen (vgl. Maus, Verrechtlichung, Entrechtlichung und der Funktionswandel von Institutionen, in: dies.: Rechtstheorie und politische Theorie im Industriekapitalismus, München 1986, S. 278).

322

e) Dass die Vorgaben des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nicht dazu geeignet sind, Verwaltungs- und Gerichtsentscheidungen zu prägen, ist ein in Rechtsprechung und Literatur im Grunde unumstrittener Befund.

323

Das Phänomen wird beispielsweise damit umschrieben, dass gesetzgeberische und administrative Zielvorgaben für die Beurteilung der angemessenen Unterkunftskosten fehlten (Butzer/Keller, NZS 2009, S. 66; Jaritz, Grundsicherung für Arbeitsuchende: Kosten der Unterkunft - Sanktionen - Mitwirkung, in: Baus/Krings (Hrsg.), Aktuelle Herausforderungen im Sozial- und Arbeitsrecht, St. Augustin/Berlin 2012, S. 63), dass mit dem unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit die bedeutsame Bestimmung des menschenwürdigen Existenzminimums im Bereich der Unterkunft auf Sozialverwaltungen und Sozialgerichte verlagert werde (Groth, SGb 2013, S. 250) und dass der Verwaltung im ersten Schritt und den Gerichten im zweiten Schritt letztlich die Aufgabe zukomme, das soziokulturelle Existenzminimum in Bezug auf die mit Abstand größte Teilposition, die in diesen Wert einfließe, zu bestimmen (Rosenow, wohnungslos 2012, S. 60). Es handele sich bei § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zwar um ein Parlamentsgesetz, das jedoch weder einen konkreten Anspruch enthalte, noch Vorgaben mache, wie dieser von den Behörden und gegebenenfalls von den Gerichten zu ermitteln sei (Stölting, SGb 2013, S. 545). Der Begriff des Angemessenen in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II sei unbestimmt und allein durch die Rechtsprechung konkretisiert worden (Mutschler, NZS 2011, S. 481). In § 22 Abs. 1 SGB II seien keine weitergehenden gesetzgeberischen Setzungen vorgenommen, die Ausfüllung des Begriffs der "Angemessenheit" obliege dem Rechtsanwender (Krauß, In Stichpunkten: Ein Überblick über das schlüssige Konzept in der Rechtsprechung des BSG, in: Deutscher Landkreistag (Hrsg.), Angemessenheit bei den Kosten der Unterkunft im SGB II, Berlin 2013, S. 7). Spellbrink stellt insbesondere bezogen auf den Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 SGB II fest, dass der Gesetzgeber selbst nicht regeln bzw. die Detailarbeit der Justiz überlassen wolle (Spellbrink, info also 2009, S. 102) und der Gesetzgeber dem Richter immer dann Macht einräume, wenn er unbestimmte Rechtsbegriffe verwende, unter denen im SGB II die "Angemessenheit" besonders hervorsteche (Spellbrink, info also 2009, S. 104). Nach Auffassung des LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 16.05.2011 - L 19 AS 2202/10 - Rn. 29) habe es der Gesetzgeber sowohl bei der Einführung des SGB II als auch später (trotz mehrfacher Forderungen seitens der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit) unterlassen, die angemessene Wohnfläche für Bezieher von SGB II-Leistungen konkret festzulegen und die Ausfüllung des Begriffs "angemessene Kosten der Unterkunft" stattdessen der Rechtsprechung überlassen.

324

Auch das BSG konstatiert, dass die Verwaltung bei der Erstellung des (vom BSG entwickelten) „schlüssigen Konzepts“ mangels normativer Vorgaben durch den Gesetz- oder Verordnungsgeber nicht auf eine bestimmte Vorgehensweise festgelegt sei (BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 20) und hat in Folge der fehlenden Bestimmtheit der gesetzlichen Vorgaben bezogen auf die angemessene Wohnfläche mehrfach an die politische Ebene appelliert, Abhilfe zu schaffen (vgl. BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 18; BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 70/08 R - Rn. 14). In der Literatur finden sich ebenfalls seit Einführung des SGB II zahlreiche Stimmen, die wegen der Unbestimmtheit der Regelung eine Nachbesserung im Gesetzes- oder Verordnungswege fordern (Rips, WuM 2004, S. 439 ff.; ders., WuM 2005, 632 ff.; Goch, WuM 2006, 599 ff.; Kofner, WuM 2007, 310 ff.; Groth, SGb 2009, S. 644 ff.; Jaritz, Grundsicherung für Arbeitsuchende: Kosten der Unterkunft - Sanktionen - Mitwirkung, in: Baus/Krings (Hrsg.), Aktuelle Herausforderungen im Sozial- und Arbeitsrecht, St. Augustin/Berlin 2012, S. 69).

325

Diejenigen Stimmen in Rechtsprechung und Literatur, die § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II für verfassungsgemäß halten, behaupten überwiegend nicht, dass der Gesetzgeber selbst das unterkunftsbezogene Existenzminimum hinreichend bestimmt geregelt habe, sondern vertreten die Auffassung, dass dies (legitimerweise) durch die gefestigte Rechtsprechung des BSG erfolgt sei (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 19/13 - Rn. 41; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 3518/11 ZVW - Rn. 39; SG Karlsruhe Urteil vom 06.02.2014 - S 13 AS 235/13 - Rn. 53 f.; Luik, jurisPR-SozR 22/2013 Anm. 1; Link in: jurisPK-SGB XII, § 35 Rn. 65.3, 1. Auflage 2011, Stand 31.01.2014).

326

f) Aus den Gesetzgebungsmaterialien lassen sich keine Informationen gewinnen, die dem Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 SGB II schärfere Konturen verleihen könnten.

327

In der Gesetzesbegründung der Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen zum Vierten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (BT-Drucks. 15/1516, S. 57 vom 05.09.2003), d.h. zur Ursprungsfassung des § 22 Abs. 1 SGB II, heißt es:

328

"Die Kosten für Unterkunft und Heizung werden wie in der Sozialhilfe in tatsächlicher, angemessener Höhe berücksichtigt, wobei sie den am Maßstab der Sozialhilfepraxis ausgerichteten – angemessenen – Umfang nur dann und solange übersteigen dürfen, wie es dem alleinstehenden Hilfebedürftigen oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, die Aufwendungen für die Unterkunft zu senken. Die hierbei zu beachtenden Voraussetzungen entsprechen den sozialhilferechtlichen Regelungen."

329

Bezugspunkt für die Übernahme des Angemessenheitsbegriffs in § 22 Abs. 1 SGB II war somit das vormalige Sozialhilferecht des BSHG. Für die Bestimmung der Leistungen für Unterkunft nach dem BSHG war bis zum 31.12.2004 § 3 Abs. 1 S. 1, S. 2 Regelsatzverordnung (RegelsatzVO) in der Fassung des Gesetzes vom 14.11.2003 Anspruchsgrundlage. Dieser lautete:

330

"Laufende Leistungen für die Unterkunft werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen gewährt. Soweit die Aufwendungen für die Unterkunft den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, sind sie als Bedarf der Personen, deren Einkommen und Vermögen nach § 11 Abs. 1 des Gesetzes zu berücksichtigen sind, so lange anzuerkennen, als es diesen Personen nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken."

331

Das Sozialhilferecht des BSHG operierte im Bereich der Unterkunftssicherung somit ebenfalls mit dem unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit (§ 3 Abs. 1 S. 2 RegelsatzVO), ohne dass dieser nähere Ausformungen in materiellen Gesetzen erhalten hätte. Der Verweis auf die „sozialhilferechtlichen Regelungen“ in der Gesetzesbegründung ist somit tautologisch.

332

Weitere Hinweise finden sich in den maßgeblichen Gesetzgebungsmaterialien zur Einführung des SGB II nicht (vgl. zum Ganzen: SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 55 ff.). Den Gesetzesmaterialien zur Parallelregelung in § 29 Abs. 1 S. 3 SGB XII lassen sich gleichfalls keine weiteren Hinweise zur Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs entnehmen (vgl. BT-Drucks. 15/1514, S. 59, 60 vom 05.09.2003).

333

In der Gesetzesbegründung der Fraktionen CDU/CSU und SPD zum Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende (BT-Drucks. 16/1410, S. 23 vom 09.05.2006), mit dem die Begrenzung der Unterkunftskosten nach Umzug in § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II eingeführt wurde, wird ausgeführt:

334

"Mit der Regelung werden die Kosten der Unterkunft und Heizung in den Fällen auf die bisherigen angemessenen Unterkunftskosten begrenzt, in denen Hilfebedürftige unter Ausschöpfung der durch den kommunalen Träger festgelegten Angemessenheitsgrenzen für Wohnraum in eine Wohnung mit höheren, gerade noch angemessenen Kosten ziehen. Diese Begrenzung gilt insbesondere nicht, wenn der Wohnungswechsel zur Eingliederung in Arbeit oder aus gesundheitlichen oder sozialen Gründen erforderlich ist."

335

Dieser Begründung lässt sich nur entnehmen, dass die Autoren des Gesetzentwurfes davon ausgegangen sind, dass die kommunalen Träger für die Festlegung von Angemessenheitsgrenzen zuständig seien. Dies mag ein Reflex auf die bis zum Zeitpunkt der Erstellung des Gesetzentwurfes bereits ergangene Rechtsprechung oder schlicht eine Bezugnahme auf die Regelung der Trägerschaft in § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II sein, besagt aber nichts über die materielle Bedeutung des Angemessenheitsbegriffs.

336

Im Zuge der weiteren Änderungsgesetzgebung zum § 22 SGB II sind in den Gesetzesmaterialien spezifische Ausführungen zum Angemessenheitsbegriff nur insoweit enthalten, als Erläuterungen zu den Satzungsregelungen in §§ 22a bis 22c SGB II gegeben werden (vgl. insbesondere BT-Drucks. 17/3404, S. 44, 98-101 vom 26.10.2010). In diesem Zusammenhang lässt sich den Gesetzgebungsmaterialien aber die Feststellung entnehmen, dass die Schwierigkeiten mit der Bestimmung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft und Heizung zu einer Vielzahl von Widerspruchs- und Gerichtsverfahren geführt haben, weshalb die Neuregelung in §§ 22a bis 22c SGB II den Ländern und Kommunen die Möglichkeit eröffnen soll, den Bedarf für Unterkunft und Heizung transparent und rechtssicher auszugestalten (BT-Drucks. 17/3404, S. 99). Das Problem der mangelnden Transparenz und Rechtssicherheit im Hinblick auf die im Rahmen des SGB II zu berücksichtigenden Unterkunftsbedarfe ist auf der politischen Ebene also durchaus erkannt worden. Zur näheren Bestimmung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II trägt dieser Befund aber nichts bei.

337

g) Die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist somit zu unbestimmt, um behördliche oder gerichtliche Entscheidungen zu ermöglichen, in denen gesetzgeberische Wertentscheidungen wiederzuerkennen wären. Sie genügt nicht den spezifischen Anforderungen an die Bestimmbarkeit, die auf Grund der Betroffenheit des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums zu stellen sind (s.o. unter B. II. 2.1).

338

Mit § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II hat der Gesetzgeber die wesentlichen Entscheidungen über die Höhe der zur Sicherung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums zu gewährenden Leistungen nicht selbst getroffen, sondern der Ausgestaltung durch die Verwaltung und die Gerichte überlassen. Hierdurch hat eine politische Transformation der „gesellschaftlichen Anschauungen über das für ein menschenwürdiges Dasein Erforderliche“ (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 138) im Wege eines demokratisch-parlamentarischen Prozesses effektiv nicht stattgefunden. Durch die Verschiebung der Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums in die Sphäre der Verwaltungs- und Gerichtspraxis ist die Gestaltung dieses elementaren Bestandteils der Existenzsicherung dem öffentlichen demokratisch-parlamentarischen Diskurs weitgehend entzogen worden (so bereits SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 74).

339

Die Unbestimmtheit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II hat praktisch zur Folge, dass die wesentlichen Entscheidungen über die Höhe der unterkunftsbezogenen Leistungen durch das BSG, die Verwaltung und die Instanzgerichte getroffen werden. Hiermit verbunden ist zunächst das Problem, dass die genannten Institutionen über keine hinreichende demokratische Legitimation verfügen. Die wesentlichen Rahmenbedingungen für die Verwaltung zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen haben im Laufe der Jahre ca. ein Dutzend Bundesrichter geschaffen. Die Umsetzung der Rahmenbedingungen auf kommunaler Ebene erfolgt ohne spezifische Verfahrensvoraussetzungen, so dass eine Mitwirkung demokratischer Selbstverwaltungsgremien nicht sichergestellt und praktisch wohl eher die Ausnahme ist. Die Kontrolle und Ersetzung der Verwaltungsentscheidung erfolgt durch die Fachgerichte ebenfalls nur in mittelbarer demokratischer Legitimation.

340

Diese Ausgangslage hat auf Grund der zwar weitreichenden, aber - abgesehen vom hilfsweisen Rückgriff auf § 12 Abs. 1 WoGG - nicht zielgenauen Vorgaben des BSG weiter zur Folge, dass den behördlichen und instanzgerichtlichen Entscheidungsträgern praktisch erhebliche Spielräume im Hinblick auf die Bewertung der örtlichen Verhältnisse belassen werden. Die kommunalen Träger (und teilweise auch die Tatsachengerichte) bedienen sich darüber hinaus in zunehmendem Umfang sachverständiger Hilfe. Gelegentlich (wie auch im vorliegenden Fall) wird die gesamte Erstellung eines „schlüssigen Konzepts“ durch externe Dienstleister vorgenommen, wodurch die Normsetzung in gewissem Umfang privatisiert wird.

341

Durch diese vertikale Verschränkung der für die Leistungshöhe maßgeblichen Wertentscheidungen ist die politische und rechtliche Verantwortung für die Leistungsberechtigten praktisch nicht mehr nachvollziehbar. Es bleibt diffus, auf welcher politischen Ebene auf die Bestimmung der Höhe der unterkunftsbezogenen Leistungen Einfluss genommen werden könnte.

342

2.3.3 Abweichungen von dem erarbeiteten verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab zur Bestimmtheit der gesetzlichen Regelung existenzsichernder Leistungen lassen sich weder mit den Besonderheiten der Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II (a) noch mit spezifischen Eigenschaften unterkunftsbezogener Bedarfe (b) rechtfertigen.

343

a) Die Orientierung am "Prinzip der Einzelfallgerechtigkeit" (vgl. BSG, Urteil vom 20.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 12) rechtfertigt keine Abweichung vom verfassungsrechtlichen Maßstab. Hiermit wird lediglich zum Ausdruck gebracht, dass der Gesetzgeber in der Tradition des Bedarfsdeckungsprinzips auf eine Pauschalierung im engeren Sinne verzichtet und die grundsätzliche Berücksichtigung der tatsächlich anfallenden Kosten der Unterkunft und Heizung angeordnet hat. Da die Angemessenheitsgrenze des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II die Funktion einnimmt, die Leistungen auf das zur Wahrung der Menschenwürde Existenznotwendige zu beschränken, gibt dies jedoch keinen Anlass, von den Anforderungen des BVerfG an die Ausgestaltung existenzsichernder Leistungen abzuweichen. Die Deckelung der Leistungen für die Unterkunft und Heizung durch eine (regional differenzierte) Angemessenheitsgrenze wirkt genauso begrenzend und das Existenzminimum konkretisierend wie eine Pauschale. Hat eine leistungsberechtigte Person höhere Kosten der Unterkunft zu tragen, als anerkannt werden, hat dies denselben Effekt, als wenn diese Person mit den Leistungen für den Regelbedarf nicht auskommt und Mehrausgaben hat. Ein Unterschied besteht - zum Nachteil der Leistungsberechtigten - lediglich darin, dass eine leistungsberechtigte Person nicht (bzw. nur unter Vernachlässigung unterkunftsbezogener Verpflichtungen) durch Einsparungen beim Unterkunftsbedarf Mehrausgaben in anderen Bedarfsbereichen kompensieren kann (so schon SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 81).

344

Auch das BSG bezeichnet die Heranziehung von Höchstwerten nach dem WoGG zu Recht als "Pauschalierung", obwohl hiermit nicht gemeint ist, dass auch höhere als tatsächliche Unterkunftskosten gewährt werden können (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 23).

345

b) Die Leistungsbegrenzung allein mit Hilfe des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit kann auch nicht mit dem Sachgesichtspunkt der spezifischen Eigenschaften von Unterkunftsbedarfen gerechtfertigt werden.

346

Der Wohnungsmarkt hat zwar grundlegend andere Eigenschaften als der Markt für andere Konsumgüter (v. Malottki, info also 2012, S. 99; Gautzsch, NZM 2011, S. 498). So spiegeln die tatsächlichen monatlichen Mietzahlungen (Bestandsmieten) nicht das aktuelle Marktpreisniveau am Wohnungsmarkt wieder, das Angebot an Wohnungen ist kurzfristig unelastisch, Wohnen ist ein nicht substituierbares Grundbedürfnis, Wohnungen sind hinsichtlich ihrer Merkmale heterogene Güter und auf dem Wohnungsmarkt spielen persönliche Eigenschaften der Nachfrager anders als bei vielen anderen Konsumgütern eine Rolle (v. Malottki, info also 2012, S. 99 f.). Daneben dürfte die regionale Spreizung der kalten Unterkunftskosten deutlicher ausfallen als bei den Preisen der meisten anderen Konsumgüter.

347

Diese Besonderheiten im Sachbereich des unterkunftsbezogenen Existenzminimums erfordern unter Umständen andere Vorgehensweisen bei der Ermittlung der tatsächlichen Verhältnisse und bei der Festsetzung von Art und Höhe der zu gewährenden Leistungen, rechtfertigen jedoch keine Abstriche hinsichtlich der demokratischen Legitimation der Regelung des Leistungsanspruchs. Denn es besteht kein Grund zur Annahme, dass der Gesetzgeber die Besonderheiten von Unterkunftsbedarfen nicht im Gesetz selbst oder auf Grund eines Gesetzes im Rahmen hinreichend bestimmter Vorgaben berücksichtigen könnte.

348

Dem Bundesgesetzgeber stehen sämtliche Möglichkeiten zur Verfügung, sich die Rahmenbedingungen für eine verfassungsrechtlich zulässige, sozial- und wohnungspolitisch gewünschte Lösung zu schaffen. Der Bundesgesetzgeber kann beispielsweise als Haushaltsgesetzgeber die zur Erhebung der notwendigen empirischen Grundlagen erforderlichen Mittel zuordnen und als Steuergesetzgeber - soweit erforderlich - weitere Mittel generieren. Er kann als verfassungsändernder Gesetzgeber sogar die staatsorganisationsrechtlichen Voraussetzungen dafür schaffen, seine Aufgaben (teilweise) zu delegieren, soweit dies nicht ohnehin schon möglich ist (vgl. Art. 91e GG). Regionale Eigenheiten von Wohnungsmärkten können selbstverständlich auch von Institutionen und Personen, die nicht in der Region ansässig oder verwurzelt sind, bei der Bedarfsermittlung und -bewertung berücksichtigt werden, was sich nicht zuletzt daran zeigt, dass die führenden Unternehmen und Institute aus Darmstadt, Hamburg und Köln, die "schlüssige Konzepte" für kommunale Träger erstellen, bundesweit tätig sind.

349

Neben anderen hat auch das BSG an den Gesetz- und Verordnungsgeber wiederholt appelliert, bundesweite Regelungen für als angemessen anzuerkennende Wohnungsgrößen sowie zur Bestimmung von Vergleichsräumen zu schaffen (BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 18 f.).

350

2.3.4 Die Unterbestimmtheit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II wird nicht durch andere den Unterkunftsbedarf deckende Ansprüche kompensiert.

351

a) Die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II ist nicht dazu geeignet, die Deckung des Unterkunftsbedarfs in verfassungskonformer Weise sicherzustellen. Dies liegt zunächst darin begründet, dass § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II selbst an den Angemessenheitsbegriff des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II anknüpft und somit am gleichen Bestimmtheitsmangel leidet (s.o. unter A. V. 4.2.1 a). Darüber hinaus operiert diese Bestandsschutzregelung mit dem weiteren unbestimmten Rechtsbegriff der "Unzumutbarkeit" und sieht eine Regelfrist von sechs Monaten für die Übernahme "unangemessener" Aufwendungen vor. Auf diese Weise wird eine im Falle der Leistungskürzung nach § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II eintretende Bedarfsunterdeckung nicht in jedem Fall ausgeglichen. Die Gewährleistung des Grundrechts auf ein menschenwürdiges Existenzminimums wird mit § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II nicht effektiv gesichert.

352

b) Auch die Möglichkeit der Schuldenübernahme nach § 22 Abs. 8 SGB II kompensiert die verfassungsrechtlich defizitäre Ausgestaltung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nicht. § 22 Abs. 8 S. 1 SGB II sieht vor, dass - sofern Arbeitslosengeld II für den Bedarf für Unterkunft und Heizung erbracht wird - Schulden übernommen werden können, wenn dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Nach § 22 Abs. 8 S. 2 SGB II sollen Schulden übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Nach § 22 Abs. 8 S. 4 SGB II sollen Geldleistungen als Darlehen erbracht werden.

353

Die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist nicht schon dadurch verfassungsgemäß, dass mit § 22 Abs. 8 SGB II ein letztes Interventionssystem geschaffen wurde, das zur Deckung des notwendigen Unterkunftsbedarfs notfallmäßig einspringen kann. Denn der Gesetzgeber hat die Art der Deckung des unterkunftsbezogenen Bedarfs in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II grundsätzlich als anhand der tatsächlichen Aufwendungen zu bildende Berechnungsgröße im Gesamtbedarf geregelt.

354

Die Möglichkeit der Schuldenübernahme nach § 22 Abs. 8 SGB II erscheint zwar für eine Kompensation nach § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II unvollständig gedeckter Unterkunftsbedarfe nicht völlig ungeeignet, da das Existenzminimum grundsätzlich auch durch darlehensweise Leistungen gesichert werden kann (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 07.04.2010 - 1 BvR 688/10 - Rn. 2).

355

Durch die Verwendung des Begriffs der Angemessenheit in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist jedoch nicht hinreichend bestimmt, unter welchen Umständen an die Stelle einer Ausgestaltung der Leistung zur Gewährung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums als gebundener Anspruch auf einen Zuschuss (außer in Fällen des § 24 Abs. 5 SGB II) ein Anspruch tritt, der vom (gegebenenfalls intendierten) Ermessen der Behörde abhängig ist, weitere zum Teil begrifflich unbestimmte Voraussetzungen (Rechtfertigung; drohende Wohnungslosigkeit) hat und in der Regel eine darlehensweise Leistung (bei Tilgung mit Aufrechnung gegen laufende Leistungen) vorsieht (§ 22 Abs. 8 S. 4 SGB II). Auch diese Fragen sind zur Grundrechtsverwirklichung im Hinblick auf das unterkunftsbezogene Existenzminimum so wesentlich, dass sie die durch den Gesetzgeber selbst zu regeln sind.

356

c) Andere zur Sicherung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums geeignete Sozialleistungen sind für Leistungsberechtigte nach dem SGB II ausgeschlossen. Gemäß § 5 Abs. 2 S. 1 SGB II und § 21 S. 1 SGB XII schließt der Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II Leistungen nach dem 3. Kapitel des SGB XII aus. Empfänger von Arbeitslosengeld II und Sozialgeld nach dem SGB II sind vom Wohngeldbezug ausgeschlossen (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 WoGG).

357

2.3.5 Die mit Gesetz vom 24.03.2011 mit Wirkung vom 01.01.2011 neu eingeführten §§ 22a bis 22c SGB II vermögen an der Untauglichkeit der Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zur Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums nichts zu ändern.

358

a) Gemäß § 22a Abs. 1 SGB II wird den Landesgesetzgebern ermöglicht, Kommunen per Landesgesetz zu ermächtigen oder zu verpflichten, zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen im Rahmen näher bestimmter Kriterien Satzungen zu erlassen, die gemäß § 35c SGB XII unter bestimmten Voraussetzungen auch für Leistungsberechtigte nach dem SGB XII gelten sollen. Die Kreise und kreisfreien Städte können, wenn das Landesrecht dies vorsieht, nach § 22a Abs. 2 S. 1 SGB II Bedarfe für Unterkunft und Heizung in ihrem Gebiet durch eine monatliche Pauschale berücksichtigen, wenn auf dem örtlichen Wohnungsmarkt ausreichend freier Wohnraum verfügbar ist und dies dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit entspricht. Nach § 22a Abs. 2 S. 2 SGB II sind Regelungen für den Fall vorzusehen, dass die Pauschalierung im Einzelfall zu unzumutbaren Ergebnissen führt. Nach § 22a Abs. 3 S. 1 SGB II soll die Bestimmung der angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung die Verhältnisse des einfachen Standards auf dem örtlichen Wohnungsmarkt abbilden. Gemäß § 22a Abs. 3 S. 2 SGB II soll die Bestimmung Auswirkungen auf den örtlichen Wohnungsmarkt berücksichtigen hinsichtlich der Vermeidung von Mietpreis erhöhenden Wirkungen, Verfügbarkeit von Wohnraum des einfachen Standards und aller verschiedenen Anbietergruppen und hinsichtlich der Schaffung und Erhaltung sozial ausgeglichener Bewohnerstrukturen. Gemäß § 22b Abs. 1 S. 1 SGB II ist in der Satzung zu bestimmen, welche Wohnfläche entsprechend der Struktur des örtlichen Wohnungsmarktes als angemessen anerkannt wird und in welcher Höhe Aufwendungen für die Unterkunft als angemessen anerkannt werden. Nach § 22b Abs. 1 S. 4 SGB II können die Kreise und kreisfreien Städte ihr Gebiet in mehrere Vergleichsräume unterteilen, für die sie jeweils eigene Angemessenheitswerde bestimmen, um die Verhältnisse des einfachen Standards auf dem örtlichen Wohnungsmarkt realitätsgerecht abzubilden.

359

Bislang bestehen Landesgesetze nach § 22a SGB II nur in Berlin (§ 8 AG-SGB II Berlin), Hessen (§ 4a Offensiv-Gesetz Hessen) und Schleswig-Holstein (§ 2a AG-SGB II/BKGG Schleswig-Holstein).

360

b) Systematisch stehen die §§ 22a bis 22c SGB II neben dem § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II und begründen ein vom § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II unabhängiges Normprogramm zur Bestimmung der Höhe unterkunftsbezogener Leistungen. Unmittelbar werden hiermit nur Rahmenbedingungen für die landesrechtliche Gestaltung von Satzungsermächtigungen aufgestellt. Es wird keine Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II für dessen Anwendungsbereich vorgenommen. Wenn in § 22a Abs. 3 S. 1 SGB II die "Bestimmung der angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung" die "Verhältnisse des einfachen Standards auf dem örtlichen Wohnungsmarkt abbilden" soll, folgt hieraus nicht, dass auch der Angemessenheitsbegriff in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II im Ausgangspunkt auf diese Weise zu konkretisieren ist.

361

Die in §§ 22a bis 22c SGB II getroffenen Wertentscheidungen sind deshalb bereits auf Grund ihrer systematischen Stellung nicht dazu geeignet, die Defizite des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II im Hinblick auf die Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums abzumildern (so bereits SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 58). Durch die Gesetzesänderung wurde keine Änderung im Normprogramm des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II herbeigeführt (vgl. BSG, Urteil vom 11.12.2012 - B 4 AS 44/12 R - Rn. 15; Berlit, info also 2011, S. 165).

362

c) Darüber hinaus genügen auch die in den §§ 22a bis 22c SGB II getroffenen Regelungen den Anforderungen an die verfassungsgemäße Ausgestaltung des Anspruchs auf Gewährleistung des Existenzminimums nicht. Unabhängig davon, ob und unter welchen Voraussetzungen der Bundesgesetzgeber die nähere Ausgestaltung der Bestimmung des Existenzminimums den Ländern und/oder Kommunen überlassen darf (kritisch Berlit, info also 2010, S. 203; Putz, SozSich 2011, S. 233), fehlt es an einer Auswahl der Methoden zur Ermittlung der Bedarfe und zur folgerichtigen Begründbarkeit der Höhe des Leistungsanspruchs durch den Gesetzgeber.

363

Das BVerfG hat seine Rechtsprechung zum Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums bislang ausschließlich anhand von Teilleistungsansprüchen etabliert, die durch den Gesetzgeber numerisch exakt bestimmt waren (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a.; BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11; BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a.). Dass dies nicht die einzige Möglichkeit ist, einen verfassungsgemäßen Leistungsanspruch zu schaffen, zeigt sich darin, dass dem Gesetzgeber auch im Hinblick auf die Leistungsart (Geld-, Sach- oder Dienstleistung) ein Gestaltungsspielraum eingeräumt wird (BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 - Rn. 67). Es ist deshalb von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, wenn die Gewährleistung unterkunftsbezogener existenzsichernder Leistungen auf andere Weise als durch einen unmittelbar im Gesetz der Höhe nach bezifferten Anspruch (bzw. bis zu einer bezifferten Höchstgrenze) ausgestaltet wird. Beispielsweise erfolgt auch die Fortschreibung der Regelbedarfe nach § 20 Abs. 5 S. 1 SGB II i.V.m. § 28a, 40 SGB XII im Wege einer Rechtsverordnung und nicht unmittelbar durch ein formelles Gesetz (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 142). Entscheidet sich der Gesetzgeber für eine Ausgestaltung des Anspruchs auf Leistungen zur Gewährleistung des Existenzminimums durch untergesetzliche Normen, muss er aber durch Schaffung eines geeigneten gesetzlichen Regelungssystems dafür sorgen, dass die untergesetzlichen Konkretisierungen des Leistungsanspruchs wesentlich auf Wertentscheidungen des Gesetzgebers zurückführbar sind.

364

Die §§ 22a bis 22c SGB II enthalten zwar einige Anhaltspunkte für die Art und Weise, wie Angemessenheitsgrenzen durch kommunale Satzungsgeber zu bilden sind, und geben mit der Bezugnahme auf "Verhältnisse des einfachen Standards" (§ 22b Abs. 1 S. 4 SGB II; vgl. auch § 22a Abs. 3 S. 1, S. 2 Nr. 3 SGB II) eine grobe Richtung für die normative Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen vor. Auch scheint in § 22b Abs. 1 S. 1 SGB II eine Festlegung auf die "Produkttheorie" enthalten zu sein. Es fehlen aber Vorgaben über "standardbildende Faktoren" (Klerks, info also 2011, S. 197). So bleibt u.a. unklar, welche Wohnflächen als angemessen angesehen werden sollen und wessen Wohnverhältnisse Bezugsgröße für einen angemessenen Wohnstandard sein sollen.

365

Somit würde auch eine auf die Satzungsermächtigung nach § 22a Abs. 1 SGB II oder § 22a Abs. 2 SGB II gestützte Bestimmung von Angemessenheitsgrenzen nicht wesentlich auf Wertentscheidungen des Gesetzgebers zurückgeführt werden können.

366

Dass die §§ 22a bis 22c SGB II auch in deren Anwendungsbereich nicht viel zur Bestimmung des Angemessenheitsbegriffs beizutragen vermögen, zeigt sich darin, dass die Rechtsprechung zur Auslegung dieser Vorschriften umfassend auf die Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II durch das BSG zurückgreift (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 04.09.2013 - L 36 AS 1987/13 NK - Rn. 49; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 04.09.2013 - L 36 AS 1414/12 NK - Rn. 45; BSG, Urteil vom 17.10.2013 - B 14 AS 70/12 R - Rn. 29 ff.; BSG, Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 53/13 R - Rn. 26; hiervon abweichend aber SG Berlin, Urteil vom 28.04.2014 - S 82 AS 28836/12 - Rn. 28).

367

3. Die Frage, ob die über § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II gewährten Leistungen evident nicht zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums ausreichen, lässt sich in Folge der Unbestimmtheit der Regelung nicht beantworten.

368

3.1 Die Höhe des Anspruchs auf der Existenzsicherung dienende Leistungen darf nicht evident unzureichend zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz sein (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 - Rn. 81). Unter Würdigung des Demokratieprinzips (Art. 20 Abs. 1 GG) und der Abhängigkeit der Bestimmung der Grundvoraussetzungen eines menschenwürdigen Lebens von gesellschaftlichen Vorstellungen verzichtet das BVerfG auf genauere Umschreibungen insbesondere des Aspekts der sozialen Teilhabe und belässt dem Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum. Die Evidenzkontrolle ist hierbei nicht auf das physische Existenzminimum beschränkt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 - Rn. 81; a.A. Neskovic/Erdem, SGb 2012, S. 137). Mithin kann ein Leistungsanspruch auch dann evident unzureichend sein, wenn er nicht dazu ausreicht, elementare Bedürfnisse der sozialen Teilhabe zu befriedigen.

369

3.2 Offen bleiben kann vorliegend, ob ein evidenter Verstoß gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums bereits deshalb vorliegt, weil bei Kürzung des bei der Leistungsbemessung berücksichtigten Unterkunftsbedarfs unter die tatsächlichen Aufwendungen stets ein ungedeckter Bedarfsrest verbleibt (vgl. Schmidt, NVwZ 1995, S. 1046).

370

Diese Frage ließe sich verneinen, wenn verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden wäre, dass die Leistungsbemessung eine Schuldenbildung zur Folge hätte. Das unterkunftsbezogene Existenzminimum wäre dann erst ab dem Zeitpunkt berührt, wenn der tatsächliche Verlust der Wohnung und damit des Obdachs eintritt. Die verfassungsrechtlich gebotene Interventionsschwelle würde erst zum letztmöglichen Zeitpunkt überschritten, an dem der Verlust der Wohnung noch verhindert werden kann. Für diesen Fall böte § 22 Abs. 8 SGB II eine unterkunftssichernde Interventionsmöglichkeit und im Fall einer Ermessensreduzierung auch eine Interventionspflicht.

371

Eine andere Möglichkeit wäre es, die verfassungsrechtliche Gewährleistungsverpflichtung als erfüllt anzusehen, wenn sich die insgesamt bewilligte Leistung abstrakt dazu eignet, den unabhängig vom Einzelfall definierten Bedarf zu decken. Das hieße, das Existenzminimum unabhängig von den unterkunftsbezogenen Verpflichtungen, denen ein Leistungsberechtigter rechtlich und tatsächlich ausgesetzt ist, als gewahrt anzusehen, wenn der insgesamt gewährte Geldbetrag dazu ausreichen würde, die Kosten für irgendeine dem Existenzminimum genügende Unterkunft und den sonstigen Lebensunterhalt aufzubringen.

372

Auch wenn der Gesetzgeber die existenzsichernden Leistungen nach den Maßstäben des Verfassungsrechts nur in einer Höhe gewährleisten müsste, die abstrakt dazu geeignet ist, den Unterkunftsbedarf zu decken, änderte dies nichts daran, dass die Bestimmung, in welcher Höhe dieser Bedarf anzusetzen wäre, wesentlich dem Gesetzgeber obliegt (s.o. unter B. II. 2.3.4 b).

373

3.3 Unter der Voraussetzung, dass eine nicht bedarfsdeckende Berücksichtigung von Unterkunftskosten nicht per se verfassungswidrig ist, lässt sich eine evidente Verletzung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nicht feststellen. Dies beruht allerdings darauf, dass die Regelung bereits wegen ihrer ungenügenden Bestimmbarkeit verfassungswidrig ist. Die Verwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit zur Regelung der Leistungshöhe nimmt der Prüfung, ob die durch das Gesetz gewährten Leistungen evident unzureichend sind, jeglichen Bezugspunkt und macht die vom BVerfG geforderte Evidenzkontrolle (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 81) unmöglich.

374

4. § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II verstößt auch deshalb gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums, weil der Gesetzgeber die zur Festsetzung der existenzsichernden Leistungen erforderliche Auswahl der Methoden zur Ermittlung der Bedarfe und zur folgerichtigen Begründbarkeit der Höhe des Leistungsanspruchs nicht vorgenommen hat. Eine Prüfung der tragfähigen Begründbarkeit der gesetzgeberischen Konzeption (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 139) scheitert daher bereits daran, dass weder Prüfungsmaßstab (inhaltliche Bestimmung des Existenzminimums) noch Ergebnis (Leistungsanspruch) durch Gesetz hinreichend bestimmt worden sind.

375

4.1 Die aus dem Demokratieprinzip folgende Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers führt dazu, dass oberhalb der Evidenzkontrolle nur die folgerichtige Umsetzung der auf empirische Erkenntnisse gestützten normativen Entscheidungen des Gesetzgebers im gesetzlich geregelten Leistungsanspruch zu prüfen ist. Da nur der Gesetzgeber diese Gestaltungsaufgabe umsetzen kann, ist er hierzu aber auch verpflichtet - anders könnte das Grundrecht nicht realisiert werden.

376

Hieraus folgt, dass der Gesetzgeber sowohl für die grundlegenden Wertentscheidungen hinsichtlich der für die Existenzsicherung erforderlichen Bedarfe zuständig ist, als auch für die Realisierung eines konkreten auf existenzsichernde Leistungen gerichteten Anspruchs. Der Gesetzgeber hat somit - jenseits der Evidenzkontrolle - sowohl den Maßstab für die Verfassungsmäßigkeit der Leistungen zu bestimmen als auch den Leistungsanspruch entweder in konkreter Höhe festzusetzen oder aber ein Regelungssystem zu etablieren, das eine Festsetzung der Leistungshöhe auf Grund gesetzgeberischer Wertentscheidungen ermöglicht. Die Ausgestaltung der Leistung hinsichtlich der Art und Höhe ist daher an den durch den Gesetzgeber selbst getroffenen Wertentscheidungen zu messen. Der Zusammenhang zwischen beiden Aspekten unterliegt der Prüfung der Folgerichtigkeit oder "tragfähigen Begründbarkeit".

377

Offen bleiben kann vorliegend, in welcher Form der Gesetzgeber die für die Ausgestaltung des Anspruchs auf existenzsichernde Leistungen grundlegenden Wertentscheidungen zu treffen hat, ob diese Wertentscheidungen selbst Bestandteil eines formellen Gesetzes sein müssen, oder ob sie sich zumindest aus der Gesetzesbegründung oder sonstigen Gesetzesmaterialien ergeben müssen.

378

a) Das BVerfG stellt im Urteil vom 09.02.2010 fest, dass sich der Grundrechtsschutz (auch) deshalb auf das Verfahren zur Ermittlung des Existenzminimums erstrecke, weil eine Ergebniskontrolle am Maßstab dieses Grundrechts nur begrenzt möglich sei (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn.142). Das BVerfG prüfe deshalb, ob der Gesetzgeber das Ziel, ein menschenwürdiges Dasein zu sichern, in einer Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG gerecht werdenden Weise erfasst und umschrieben habe, ob er im Rahmen seines Gestaltungsspielraums ein zur Bemessung des Existenzminimums im Grundsatz taugliches Berechnungsverfahren gewählt habe, ob er die erforderlichen Tatsachen im Wesentlichen vollständig und zutreffend ermittelt und sich in allen Berechnungsschritten mit einem nachvollziehbaren Zahlenwerk innerhalb dieses gewählten Verfahrens und dessen Strukturprinzipien im Rahmen des Vertretbaren bewegt habe (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn.143). Zur Ermöglichung dieser verfassungsgerichtlichen Kontrolle bestehe für den Gesetzgeber die Obliegenheit, die zur Bestimmung des Existenzminimums im Gesetzgebungsverfahren eingesetzten Methoden und Berechnungsschritte nachvollziehbar offenzulegen. Komme der Gesetzgeber dieser Obliegenheit nicht hinreichend nach, stehe die Ermittlung des Existenzminimums bereits wegen dieser Mängel nicht mehr mit Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG in Einklang (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn.143).

379

b) Im Urteil vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10 u.a. - Rn. 79) führt das BVerfG diesbezüglich aus, dass sich die Art und die Höhe der Leistungen "mit einer Methode erklären lassen (müssen), nach der die erforderlichen Tatsachen im Wesentlichen vollständig und zutreffend ermittelt werden und nach der sich alle Berechnungsschritte mit einem nachvollziehbaren Zahlenwerk innerhalb dieses Verfahrens und dessen Strukturprinzipien im Rahmen des Vertretbaren bewegen". Im Beschluss vom 23.07.2014 stellt das BVerfG klar, dass die Entscheidung anhand des vom BVerfG entwickelten Folgerichtigkeitsmaßstabs "tragfähig begründbar" sein müsse (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 80). Die Verfassung schreibe nicht vor, was, wie und wann genau im Gesetzgebungsverfahren zu begründen und zu berechnen sei (BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 77).

380

Daraus muss gefolgert werden, dass nach Auffassung des BVerfG bestimmte Qualitätsmerkmale der Gesetzesbegründung keine formelle Voraussetzung für die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes zur Realisierung eines Anspruchs auf existenzsichernde Leistungen sind.

381

c) Auf Grund des Beschlusses des BVerfG vom 23.07.2014 (1 BvL 10/12 u.a.) liegt es nahe die „tragfähige Begründbarkeit“ als rein objektiven Maßstab zu verstehen, so dass Wertentscheidungen über die Auswahl der Methoden zur Bestimmung des Existenzminimums weder anhand des Gesetzes noch anhand der Gesetzgebungsmaterialien belegbar sein müssten. Hierfür könnte sprechen, dass für die praktische Grundrechtsverwirklichung nur Art und Höhe der Leistung wesentlich sind, nicht aber die der Anspruchsausgestaltung zu Grunde liegenden Wertentscheidungen. Andererseits birgt die Reduzierung des Prüfungsmaßstabs auf die "tragfähige Begründbarkeit" die Gefahr, dass einer durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes festgelegten Leistungshöhe eine derartige Methode nach Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens beliebig untergeschoben werden könnte, beispielsweise durch das Gericht selbst oder durch interessierte Teilnehmer am öffentlichen Diskurs (Beispiele für Stellungnahmen zur „richtigen“ Höhe der Regelleistungen z.B. bei Spindler, info also 2010, S. 53). Hierdurch würde die "Folgerichtigkeitsprüfung" tendenziell auf das Niveau der Evidenzkontrolle reduziert, da jedes in die Diskussion eingebrachte Berechnungsmodell, das in sich schlüssig den gesetzlich geregelten Anspruch zu unterbieten im Stande wäre, zu dessen Rechtfertigung taugen würde. Bei einer derartigen Sichtweise wäre nicht sichergestellt, dass die grundlegenden Wertentscheidungen hinsichtlich der inhaltlichen Bestimmung des Existenzminimums tatsächlich durch den parlamentarisch-demokratischen Gesetzgeber getroffen werden. Für eine Prüfung, ob sich aus den parlamentarischen Wertentscheidungen das gefundene Ergebnis in Form des gesetzlichen Anspruchs folgerichtig ableiten lässt, fehlte die erste Komponente.

382

Das BVerfG hat sich bei der "Folgerichtigkeitsprüfung" trotz der Reduzierung des Prüfungsmaßstabs auf die "tragfähige Begründbarkeit" fast ausschließlich an den zur Verfügung stehenden Gesetzgebungsmaterialien bzw. im Falle des Beschlusses vom 23.07.2014 am gesetzlich fixierten Verfahren zur Bestimmung der Regelbedarfe im RBEG orientiert (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a.- Rn.160 ff.; BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 21 BvL 2/11 - Rn. 91 f.; BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 91 ff.). Insbesondere im Urteil vom 09.02.2010 hat das BVerfG keine ergänzenden Expertisen zu der Frage eingeholt, ob die seinerzeit zur Überprüfung stehende Leistungshöhe nicht unabhängig von der Gesetzesbegründung „tragfähig begründbar“ gewesen sein könnte.

383

Es bleibt nach der bisherigen Rechtsprechung des BVerfG mithin unklar, in welchem Zusammenhang die der verfassungsrechtlichen Prüfung zu Grunde zu legenden Wertentscheidungen mit dem Gesetzgebungsprozess stehen müssen.

384

d) Mit guten Gründen ließe sich vertreten, dass die grundlegenden Wertentscheidungen im Sinne einer inhaltlichen Bestimmung des Existenzminimums ebenso wie der hieraus abzuleitende Leistungsanspruch im Wege eines formellen Gesetzes getroffen werden müssen. Hierfür spricht, dass dem Gesetzgeber als solchem keine andere Handlungsform als das formelle Gesetz zur Verfügung steht. In Folge der pluralistischen Zusammensetzung der Gesetzgebungskörperschaften (die auf Bundesebene darüber hinaus aus zwei verschiedenen Gremien, Bundestag und Bundesrat, bestehen) gibt es keinen authentischen Interpreten der Entscheidungen des Gesetzgebers, der verbindlich gesetzgeberische Konzeptionen und Intentionen im Rahmen einer verfassungsrechtlichen Prüfung darstellen oder "nachbessern" könnte. Daher ist auch nicht klar, wer zur Erfüllung von „Obliegenheiten“ des Gesetzgebers (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn.143) berufen sein könnte. Verbindliche Wertentscheidungen des "Gesetzgebers" können nur in Gesetzesform ergehen. Aus dem Grundgesetz lassen sich weder Begründungs- noch sonstige Dokumentationspflichten über den Gesetzgebungsprozess als formelle Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für ein Bundesgesetz herleiten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.07.2014 - 1 BvL 10/12 u.a. - Rn. 77; Groth, NZS 2011, S. 571 m.w.N.). Die Gestaltungsverpflichtung des Gesetzgebers kann sich in formeller Hinsicht daher nicht auf dessen Begründung erstrecken. Die grundlegenden Wertentscheidungen zur Ausgestaltung des Anspruchs auf ein menschenwürdiges Existenzminimums müssten demnach in Gesetzesform getroffen werden, um als Entscheidungen des Gesetzgebers identifizierbar zu sein.

385

Der formlose Prüfungsmaßstab der "tragfähigen Begründbarkeit" bezöge sich demnach nur auf den folgerichtigen Zusammenhang zwischen der gesetzlich zu regelnden inhaltlichen Bestimmung des Existenzminimums einerseits und dem gesetzlich zu regelnden Leistungsanspruch andererseits. Sofern der Gesetzgeber also seinem Auftrag zur Ausgestaltung des Grundrechts nachgekommen wäre, könnte der hieraus abgeleitete Leistungsanspruch anhand eines objektiven Maßstabs auf seine tragfähige Begründbarkeit überprüft werden.

386

4.2 Wie dieses Problem zu lösen ist, kann vorliegend offen bleiben, da es der Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II sowohl an einer inhaltlichen Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums als auch an einem überprüfbaren Ergebnis im Sinne eines hinreichend bestimmten gesetzlichen Anspruchs fehlt. Eine Prüfung der Grundlagen und der Methode der Leistungsbemessung (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 142 ff. und Rn. 159 ff.) kann deshalb nicht stattfinden.

387

Darüber hinaus fehlt es an Anhaltspunkten dafür, dass im Gesetzgebungsverfahren der Versuch unternommen wurde, Unterkunftsbedarfe allgemein zu erfassen und für ein Konzept zur Bestimmung der Höhe unterkunftsbezogener Leistungen auszuwerten. Die Gesetzesbegründung zur ursprünglichen Fassung enthält lediglich den Verweis auf die sozialhilferechtliche Praxis, an die angeknüpft werden soll (BT-Drucks. 15/1516, S. 57). Auch im Zuge späterer Gesetzesänderungen erfolgte keine Auseinandersetzung mit Bewertungsgrundsätzen, die eine rationale und nachvollziehbare Berechnung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums ermöglichen würden (s.o. unter B. II. 2.3.2.c). Soweit im Zuge der Einführung der Satzungsregelung in §§ 22a bis 22c SGB II Überlegungen über geeignete Methoden zur Bestimmung von Angemessenheitsgrenzen angestellt wurden (BT-Drucks. 17/3404, S. 44, 98-101), stehen diese systematisch neben dem Normprogramm des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II und enthalten - wie die gesetzliche Regelung selbst (s.o. unter B II. 2.3.5) - im Übrigen auch keine hinreichenden normativen Maßstäbe zur Bestimmung der Höhe unterkunftsbezogener existenzsichernder Leistungen.

388

Die vom BVerfG aufgestellten Anforderungen an den Gesetzgeber können nicht dadurch erfüllt werden, dass sie mit Hilfe eines "unbestimmten Rechtsbegriffs" zur näheren Bestimmung der Verwaltungs- und Rechtsprechungspraxis überantwortet werden (so bereits SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 71). Die Auffassung, das BSG würde gerade mit der Rechtsprechung zum "schlüssigen Konzept" den prozeduralen Anforderungen des Urteils des BVerfG vom 09.02.2010 genügen (Knickrehm, SozSich 2010, S. 193; Luik, jurisPR-SozR 22/2013 Anm. 1; Link in: jurisPK SGB XII, § 35 Rn. 65.3, 1. Auflage 2011, Stand 31.01.2014; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 19/13 - Rn. 41; Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 3518/11 ZVW - Rn. 39; SG Karlsruhe Urteil vom 06.02.2014 - S 13 AS 235/13 - Rn. 53 f.), übersieht, dass es sich um Anforderungen an das Gesetzgebungsverfahren und dessen Ergebnisse handelt. Diesbezügliche Defizite kann die fachgerichtliche Rechtsprechung nicht ausgleichen, denn sie ist zu den im Gesetzgebungsverfahren vorzunehmenden sozialpolitischen Wertungen nicht berufen (vgl. Aubel in: Emmenegger/Wiedmann, Leitlinien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erörtert von den wissenschaftlichen Mitarbeitern, Band 2, 1. Auflage 2011, S. 287).

389

5. Der Bestimmtheitsmangel des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II kann nicht durch eine "verfassungskonforme Auslegung" behoben werden.

390

Das Gebot verfassungskonformer Auslegung verlangt, von mehreren möglichen Normdeutungen, die teils zu einem verfassungswidrigen, teils zu einem verfassungsmäßigen Ergebnis führen, diejenige vorzuziehen, die mit dem Grundgesetz im Einklang steht (BVerfG, Urteil vom 19.09.2007 - 2 BvF 3/02 - Rn. 92). Die verfassungskonforme Auslegung ist demzufolge eine Vorzugsregel, nach der bestimmte nach methodisch korrekter Konkretisierungsarbeit gefundene Ergebnisse gegenüber anderen zu bevorzugen sind. Die Fachgerichte sind verfassungsrechtlich gehalten, Gesetzesrecht verfassungskonform auszulegen und gegebenenfalls „interpretatorisch (zu) reparieren“ (Baer, NZS 2014, S. 4).

391

Da der Befund der Verfassungswidrigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II in erster Linie auf der mangelnden Bestimmtheit des Normtextes (s.o. unter B. II. 2.3) und in zweiter Linie auf fehlenden gesetzgeberischen Wertentscheidungen bezüglich der inhaltlichen Bestimmung des Existenzminimums (s.o. unter B. II. 4.2) beruht, müsste das Ziel einer "verfassungskonformen Auslegung" zunächst darin bestehen, entweder den (als verfassungswidrig erkannten) Bestimmtheitsmangel oder das Bestimmtheitserfordernis zu beseitigen. Eine „verfassungskonforme Auslegung“ müsste dazu in der Lage sein, die notwendigen gesetzgeberischen Wertentscheidungen zur Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums aufzuzeigen oder aber gesetzgeberische Wertentscheidungen dieser Art entbehrlich zu machen.

392

Für eine Beseitigung des Bestimmtheitsmangels durch Auslegung genügt es demnach nicht darzulegen, dass der unbestimmte Rechtsbegriff der Angemessenheit einer einzelfallbezogenen Konkretisierung zugeführt werden kann. Es bedürfte vielmehr der Begründung, weshalb der Begriff der Angemessenheit in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II entgegen der hier vertretenen Auffassung (s.o. unter B. II. 2.3.2. b) dazu geeignet sein sollte, Gesetzesbindung zu erzeugen und hiermit eine wirksame Steuerung der durch Verwaltung und Rechtsprechung zu vollziehenden Konkretisierungsprozesse anhand gesetzgeberischer Wertentscheidungen zu ermöglichen (s.o. unter B. II. 2.1.3).

393

Für eine Beseitigung des Bestimmtheitserfordernisses (s.o. unter B. II. 2.1.4) bedürfte es einer Auslegung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II, die geeignet ist, die aus dem Grundrechtsbezug der Regelungsmaterie resultierende Gestaltungsverpflichtung des Gesetzgebers zu beseitigen. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums dürfte in Folge einer derartigen Auslegung durch § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nicht betroffen sein.

394

5.1 Die Rechtsprechung des BSG (siehe oben unter A. IV. 1.) bietet vor dem Hintergrund der genannten Anforderungen keine verfassungskonforme Lösung. Sie kann weder den Bestimmtheitsmangel heilen, noch das Bestimmtheitserfordernis beseitigen. Sie vermag auch nicht die fehlenden gesetzgeberischen Wertentscheidung bezüglich der inhaltlichen Bestimmung des Existenzminimums zu ersetzen.

395

5.1.1 Mit der Ausrichtung des Angemessenheitsbegriffs auf einfache, grundlegende Wohnstandards (so bereits BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R) und der hieraus folgenden Entwicklung von Wertmaßstäben und Methoden zur weiteren Konkretisierung von Angemessenheitsgrenzen übernimmt das BSG die dem Gesetzgeber auferlegten und vorbehaltenen Gestaltungsaufgaben umstandslos selbst, indem es den vom BVerfG erarbeiteten Maßstab zur Gestaltung der das Existenzminimum gewährenden Leistungen verfeinert und im Übrigen an die Verwaltung und die Instanzgerichte delegiert (vgl. BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - Rn. 21: „(Die) Mietobergrenze ist unter Berücksichtigung eines existenzsichernden Leistungssystems festzulegen.“).

396

Das BSG übernimmt damit eine Aufgabe, die nach der vom BVerfG entwickelten Dogmatik dem parlamentarischen Gesetzgeber obliegt (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a. - Rn. 136). Vor diesem Hintergrund ist es unerheblich, ob das BSG mit seiner Rechtsprechung zum "schlüssigen Konzept" den materiellen Anforderungen des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums im Hinblick auf Realitätsgerechtigkeit, Nachvollziehbarkeit, Transparenz und Sachgerechtigkeit genügt (vgl. schon SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 72).

397

Das BVerfG hat in seinen Entscheidungen Maßstäbe entwickelt, anhand derer die Gerichte die Verfassungsmäßigkeit einer gesetzlichen Regelung zu prüfen haben. Diese Maßstäbe haben die Funktion, Mindestanforderungen an gesetzgeberisches Handeln zu formulieren, nicht gesetzgeberisches Handeln zu ersetzen. Wenn nun diese Mindestanforderungen an die Gesetzgebung von der Rechtsprechung in die Konkretisierung eines unbestimmten Rechtsbegriffs übersetzt werden, führt dies unweigerlich zu einer Ausrichtung an Minimalstandards der Existenzsicherung, obwohl sich aus dem Gesetzeswortlaut hierfür nichts ergibt.

398

Letztendlich unterstellt das BSG mit der Orientierung an einfachen und im unteren Marktsegment liegenden Standards (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - Rn. 24), der Gesetzgeber wolle im Bereich der Unterkunftsbedarfe Leistungen nur in der Höhe gewähren, zu der er von Verfassungs wegen mindestens verpflichtet ist. Das "Angemessene" sei in diesem Sinne nur das zur Wahrung des Existenzminimums zwingend Erforderliche. Dies ist aber nur eine von vielen denkbaren Lesarten des Angemessenheitsbegriffs in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II, zumal der Gesetzgeber dem Erhalt einer konkret innegehabten Wohnung im Bereich des SGB II erkennbar einen hohen Stellenwert einräumt (vgl. § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II, § 12 Abs. 1 Nr. 4 SGB II).

399

Das BSG verwendet den Angemessenheitsbegriff somit als normtextlichen Ausgangspunkt und Rechtfertigungsgrund für die eigene Ausgestaltung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums (so schon SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 52). Auf diese Weise können aber weder der Bestimmtheitsmangel (s.o. unter B. II. 2.3) geheilt noch die fehlenden gesetzgeberischen Wertentscheidungen (s.o. unter B. II. 4) ersetzt werden. Das BSG kann auf diese Weise auch das Bestimmtheitserfordernis nicht beseitigen, weil es sich mit der Ausrichtung an einfachen, grundlegenden Wohnstandards gerade am Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums orientiert (vgl. SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 79). Eine verfassungskonforme Auslegung ist so nicht möglich.

400

5.1.2 Die vom BSG entwickelten Konkretisierungsmaßstäbe sind auch im Einzelnen teilweise verfassungsrechtlich bedenklich und im Übrigen nicht alternativlos.

401

a) Bereits im Ansatz ist die vom BSG herangezogene Produkttheorie, die die beiden Faktoren (angemessene) Wohnfläche und (angemessener) Quadratmetermietpreis zu den Bestimmungsgrößen für die Angemessenheitsgrenze zusammenfügt, eine Wertentscheidung, die mit guten Gründen auch anders getroffen werden könnte.

402

Das BSG nähert sich der Fragestellung, welchen Unterkunftsbedarf Menschen mit geringem Einkommen in Deutschland haben, nur indirekt, indem es die zwei normativen Ausgangspunkte „angemessene Wohnfläche“ und „angemessener Wohnstandard“ kombiniert und nicht versucht, unmittelbare Erkenntnisse über die tatsächlichen Ausgaben einkommensschwacher Haushalte zu gewinnen. Dieser Ansatz ist eher mit dem früher zur Festsetzung des Regelsatzes nach dem BSHG herangezogenen Warenkorbmodell als mit der empirisch-statistischen Methode der Regelbedarfsbemessung verwandt (vgl. Rosenow, wohnungslos 2012, S. 57). Im Hinblick auf die Wohnfläche bleibt es bei einer normativen Setzung (v. Malottki, info also 2012, S. 101), während hinsichtlich des angemessenen Wohnstandards letztendlich doch versucht wird, diesen auf ein empirisch-statistisches Maß herunter zu brechen, indem regionale Quadratmetermietpreise ermittelt werden sollen. Die Multiplikation zweier (mutmaßlich) unterdurchschnittlicher Werte im Rahmen der Produkttheorie führt dazu, dass die so ermittelten Angemessenheitsgrenzen stärker negativ von durchschnittlichen oder üblichen Unterkunftskosten abweichen, als es bei Betrachtung der für die Bestimmung des "einfachen Segments" des Wohnstandards gewählten Perzentile den Anschein hat (vgl. v. Malottki, info also 2014, S. 100 f.; ders., info also 2012, S. 107).

403

Demgegenüber könnte eine stärkere Anlehnung an empirisch-statistische Verfahren Unterkunftsbedarfe realitätsgerechter erfassen. Beispielsweise könnte als Grundlage für die Bestimmung von Unterkunftskostenbegrenzungen an die statistisch nachweisbaren tatsächlichen Ausgaben der Bevölkerung für Unterkunftsbedarfe aus Einkommens- und Verbrauchsstichproben oder Mikrozensus-Erhebungen angeknüpft werden (vgl. SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 73 f.; Stölting, SGb 2013, S. 546; vgl. im Sinne einer Weiterentwicklung der Produkttheorie hin zu einer "Absolutmiettheorie“: v. Malottki, info also 2012, S. 107).

404

b) Fragwürdig ist auch die vollständige Ausblendung der Lebensverhältnisse und des Wohnstandards von Wohneigentümern bei der Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen. Laut Mikrozensus 2010 werden 53,1 % der Wohnungen in Rheinland-Pfalz von deren Eigentümern bewohnt (Statistisches Landesamt Rheinland-Pfalz, Wohnungen und Mieten 2010 - Ergebnisse des Mikrozensus 2010, Bad Ems 2012). Der größere Teil des tatsächlich bestehenden Wohnraums wird somit von vornherein nicht in die Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen mit einbezogen (vgl. auch v. Malottki, info also 2014, S. 100). Der als Angemessenheitsgrenze durch Bestimmung einer Perzentile der Mietenstichprobe herangezogene Quadratmetermietpreis verliert hierdurch an Aussagekraft. Wird diese Grenze beispielsweise bei der 33. Perzentile des erhobenen Datenbestands gegriffen, bedeutet dies keineswegs, dass der so bestimmte Quadratmetermietpreis in etwa den Wohnstandard des unteren Einkommensdrittels der Bevölkerung repräsentiert.

405

c) Auch die Differenzierung der Angemessenheitsgrenze nach der Anzahl der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft (BSG, Urteil vom 18.06.2008 - B 14/11b AS 61/0AS 61/06 - Rn. 21) ist angreifbar und hat sowohl gegenüber der Alternative der Anknüpfung an das Individuum als auch gegenüber einer Bemessung nach der Anzahl der Haushaltsmitglieder spezifische Nachteile. Gegenüber der Bezugnahme auf das Individuum führt die Vorgehensweise in Kombination mit der Hinzuziehung der Wohnflächengrenzen nach den landesrechtlichen Wohnförderungsbestimmungen zu einer sehr deutlichen und vor dem Hintergrund des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) problematischen Benachteiligung von Mehrpersonenbedarfsgemeinschaften. So liegt die Angemessenheitsgrenze beispielsweise in dem von A & K für den vorliegend Beklagten erstellten Konzept für eine Zweipersonenbedarfsgemeinschaft nur um 13,30 Euro über der Angemessenheitsgrenze für eine "Einpersonenbedarfsgemeinschaft". Auf den Individualanspruch übertragen werden unter Zugrundelegung der Kopfteilmethode für einen Partner in einer Zweipersonenbedarfsgemeinschaft Kosten für die Kaltmiete nur in Höhe von bis zu 149,40 Euro berücksichtigt, bei einem Einpersonenhaushalt in Höhe von bis zu 285,50 Euro. Auch wenn diese Ungleichbehandlung mit unterschiedlichen Bedarfsdeckungserfordernissen eventuell gerechtfertigt werden könnte, wird dies durch die Bezugnahme auf Bedarfsgemeinschaften an Stelle von Haushaltsgemeinschaften wieder konterkariert (kritisch auch Koepke, SGb 2009, S. 617 ff.). Denn das Konstrukt der Bedarfsgemeinschaft verknüpft begrenzte Voraussetzungen (§ 7 Abs. 3 SGB II) mit begrenzten Rechtsfolgen (vgl. Rosenow, SGb 2008, S. 284). So haben die Gründe, weshalb eine Person, die mit anderen in einem Haushalt lebt, nicht mit diesen zu einer Bedarfsgemeinschaft zusammengefasst wird, in aller Regel nichts mit der Art und dem Umfang der Nutzung der Unterkunft zu tun.

406

Die zusätzliche Anforderung des BSG, dass auch bei der Bestimmung der "angemessenen" Quadratmetermietpreise nach Haushaltsgrößen differenzierte Wohnflächenintervalle berücksichtigt werden (BSG, Urteil vom 20.08.2009 - B 14 AS 41/08 R - Rn. 20), führt darüber hinaus dazu, dass die normative Bestimmung der "angemessenen Wohnfläche" zweifach berücksichtigt wird. Der hiermit einhergehende Benachteiligungseffekt zu Lasten von Personen, die in größeren Bedarfsgemeinschaften wohnen, wird hierdurch verstärkt, weil größere Wohnungen einen tendenziell niedrigeren Quadratmetermietpreis aufweisen.

407

d) Die an die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung anknüpfende Bestimmung der angemessenen Wohnfläche anhand der Wohnraumgrößen für Wohnberechtigte im sozialen Mietwohnungsbau (unkritisch noch in den Urteilen des BSG vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 19 - und vom 18.06.2008 - B 14/7b AS 44/06 R - Rn. 12) genügt bereits nach Auffassung des BSG nicht den selbst gestellten Anforderungen (grundlegend: BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 15 ff.). Sie wird nach mehreren fruchtlosen Appellen, eine Verordnung nach § 27 SGB II a.F. zu erlassen, wohl nur aus Mangel an Alternativen weiter verfolgt (vgl. BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 18; BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 70/08 R - Rn. 14; vgl. auch Groth, SGb 2009, S. 645).

408

Neben der grundsätzlichen Untauglichkeit der Wohnraumförderungsbestimmungen, Aussagen über tatsächliche Verhältnisse am Wohnungsmarkt zu ermöglichen (vgl. v. Malottki, info also 2012, S. 101), ist die Heranziehung der landesrechtlich unterschiedlichen Beträge gleichheitswidrig. Da die angemessene Wohnfläche bei Anwendung der Produkttheorie stets einen Faktor der Angemessenheitsgrenze bildet, wirken sich nach dem jeweiligen Landesrecht unterschiedliche Förderungsgrößen proportional auf die Angemessenheitsgrenzen aus. Dies hat beispielsweise zur Folge, dass nach der Rechtsprechung des BSG für Einpersonenhaushalte in Baden-Württemberg (angemessene Wohnfläche: 45 m²; BSG, Urteil vom 13.04.2011 - B 14 AS 106/10 R - Rn 18; BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R - Rn. 21) eine um 10 % niedrigere Angemessenheitsgrenze gilt als für Einpersonenhaushalte in Rheinland-Pfalz und den meisten anderen Bundesländern (angemessene Wohnfläche: 50 m²; BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - Rn. 16 - Schleswig-Holstein; BSG, Urteil vom 16.05.2012 - B 4 AS 109/11 R - Rn. 17 - Nordrhein-Westfalen; BSG, Urteil vom 14.02.2013 - B 14 AS 61/12 R - Rn. 21 - Sachsen-Anhalt; BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 77/12 R - Rn. 20 - Bayern) - völlig unabhängig von den jeweiligen örtlichen Wohnungsmarktverhältnissen.

409

Das BSG erkennt dies zwar und sieht auch die Gefahr einer eigentlich kompetenzwidrigen mittelbaren Beeinflussung der bundesrechtlichen Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II durch die Bundesländer (BSG, Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn. 16), hat die Suche nach einer Problemlösung aber allem Anschein nach aufgegeben.

410

Daneben ist es zweifelhaft, ob die Wohnflächenstaffelung des Wohnungsbauförderungsrechts auch innerhalb eines Landes sich zur Normierung divergierender Unterkunftsbedarfe verschiedener Haushaltsgrößenklassen eignet. Das Wohnbauförderungsrecht modelliert die klassische Entwicklung eines familiären Haushalts und hat hierbei den Zweipersonenhaushalt eines Ehepaares im Blick (Gautzsch, NZM 2011, S. 504). Dies erklärt möglicherweise den in den meisten Bundesländern relativ geringen Sprung der als förderungswürdig erachteten Wohnfläche von einem Einpersonenhaushalt zu einem Zweipersonenhaushalt um nur 10 m² (vgl. Boerner in: Löns/Herold-Tews, § 22 Rn. 25, 3. Auflage 2011), während bei Hinzutreten einer dritten Person eine Erhöhung um weitere 15 m² die Regel ist. Dies lässt beispielsweise die häufige Konstellation des Zweipersonenhaushaltes bei Alleinerziehenden mit einem Kind außer Betracht (Gautzsch, NZM 2011, S. 504).

411

e) Neben den notwendigen Wertentscheidungen bei der Bestimmung der Parameter für die Festlegung der Wohnflächengrenzen und des Vergleichsraums sowie für die Erhebung der Datengrundlage fehlt es an einer konkreten Ausformulierung und Begründung eines statistischen Maßes, mit dem innerhalb des Auswertungsdatensatzes das einfache Segment abgegrenzt werden könnte (vgl. v. Malottki, info also 2012, S. 104). Unter Anwendung der Produkttheorie des BSG stellt die Festlegung dieses Maßes aber praktisch die wesentliche Entscheidung über die Angemessenheitsgrenze dar, weil hierbei festgelegt wird, wie hoch der für die Haushaltsgröße maßgebliche Quadratmetermietpreis ist, der anschließend mit der als angemessen angesehenen Wohnfläche multipliziert wird. Die Entscheidung, welche Perzentile herangezogen wird, beruht dabei häufig nur auf Zahlenästhetik und stellt eine reine Dezision des Entscheidungsträgers dar, unabhängig davon, ob diese Entscheidung auf Verwaltungsebene oder durch das Gericht erfolgt. Das BSG beanstandet für einen Münchener Fall die Heranziehung der 20. Perzentile der Grundgesamtheit des gesamten Marktes nicht (BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 77/12 R - Rn. 37), gibt aber keinen Grund dafür an, weshalb - bei Festlegung auf ein "unteres Marktsegment" - nicht auch die 18., 26., 32. oder 41. Perzentile herangezogen werden dürfte.

412

Spätestens im abschließenden „Griff nach der Perzentile“ zeigt sich, dass die Vorstellung trügt, man könne die abstrakt angemessenen Unterkunftskosten (bzw. den Quadratmetermietpreis für Wohnungen einfachen Standards) mit Hilfe eines schlüssigen Konzepts „ermitteln“ (so aber BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R - Rn. 17).

413

f) Die Angemessenheitsgrenze "per se" oder "Angemessenheitsobergrenze" in Form der Heranziehung der Höchstwerte nach § 12 Abs. 1 WoGG zuzüglich 10 % als höchstens angemessene Bruttokaltmiete für den Fall fehlender Ermittlungsmöglichkeiten durch das Gericht wurde offenbar ohne jegliche Plausibilitätsprüfung geschaffen. Jedenfalls lässt sich eine solche den Urteilsbegründungen des BSG nicht entnehmen (BSG, Urteil vom 18.06.2008 - B 14/7b AS 44/06 R - Rn. 15; BSG, Urteil vom 02.07.2009 - B 14 AS 33/08 R - Rn. 20; BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - Rn. 27; BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R – Rn. 23; BSG, Urteil vom 18.02.2010 - B 14 AS 73/08 R - Rn. 29; BSG, Urteil vom 26.05.2011 - B 14 AS 132/10 R - Rn. 29; BSG, Urteil vom 22.03.2012 - B 4 AS 16/11 R - Rn. 20 ff.; BSG, Urteil vom 11.12.2012 - B 4 AS 44/12 R - Rn. 19; BSG, Urteil vom 16.04.2013 - B 14 AS 28/12 R - Rn. 27; BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 4/13 R - Rn. 15; BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R - Rn. 25 ff.).

414

Das BSG hat in seiner Judikatur vielmehr Gründe dafür angeführt, weshalb der Rückgriff auf die Höchstwerte nach § 8 Abs. 1 WoGG a.F. bzw. § 12 Abs. 1 WoGG gerade nicht zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenze geeignet ist. Der mit der Gewährung von Wohngeld verfolgte Zweck sei ein anderer, als derjenige der Leistungen nach dem SGB II (BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 18; BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - Rn. 21). Die pauschalierten Höchstbeträge des § 8 WoGG könnten keine valide Basis bilden und allenfalls als ein gewisser Richtwert Berücksichtigung finden, wenn alle Erkenntnismöglichkeiten erschöpft seien (BSG, Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - Rn. 24). Die Tabellenwerte in § 8 WoGG stellten grundsätzlich keinen geeigneten Maßstab für die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft dar, weil sie zum einen die örtlichen Gegebenheiten nicht angemessen widerspiegelten und zum anderen nicht darauf abstellten, ob der Wohnraum bedarfsangemessen sei (BSG, Urteil vom 02.07.2009 - B 14 AS 33/08 R - Rn. 20). Die in § 12 Abs.1 WoGG festgeschriebenen Werte würden ebenso wenig wie die in § 8 Abs. 1 WoGG a.F. den Anspruch erheben, die realen Verhältnisse auf dem Markt zutreffend abzubilden (BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R - Rn. 27).

415

Das BSG begründet die Heranziehung der modifizierten Höchstwerte nach § 8 Abs.1 WoGG a.F. bzw. § 12 Abs. 1 WoGG schlicht damit, dass die Übernahme der tatsächlichen Kosten nicht unbegrenzt erfolgen könne. Es gebe eine "Angemessenheitsgrenze" nach "oben". Durch sie solle verhindert werden, dass extrem hohe und damit nicht nur nach Auffassung des Grundsicherungsträgers, sondern per se unangemessene Mieten durch den Steuerzahler zu finanzieren seien (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - Rn. 27). Worauf die Annahme gestützt wird, dass diese Angemessenheitsobergrenze sich aus § 8 Abs. 1 WoGG a.F. bzw. § 12 Abs. 1 WoGG ergeben könnte, wird jedoch nicht erklärt. Die Hinzufügung eines „Sicherheitszuschlags“ von 10 % „im Interesse des Schutzes des elementaren Bedürfnisses des Hilfebedürftigen auf Sicherung des Wohnraumes“ (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - Rn. 27; BSG, Urteil vom 22.03.2012 - B 4 AS 16/11 R - Rn. 22; BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R - Rn. 28) ist offensichtlich aus der Luft gegriffen.

416

Es bleibt somit unklar, was das BSG zu der Annahme verleitet, die herangezogenen Werte hätten für tatsächliche Wohnungsmarktlagen irgendeine Aussagekraft. Diese Werte liegen tatsächlich oftmals unter den von kommunalen Trägern anhand von schlüssigen oder unschlüssigen Konzepten erarbeiteten Angemessenheitsgrenzen (vgl. BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 4/13 R - Rn. 15; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26.03.2014 - L 2 AS 3878/11 - Revision anhängig: B 4 AS 44/14 R; vgl. zur Kritik auch Rosenow, wohnungslos 2012, S. 60; Schnitzler, SGb 2010, S. 512; Groth, SGb 2013, S. 251).

417

g) Gegen die Rechtsprechung des BSG spricht weiter, dass sie - letztlich wegen der unbestimmten gesetzlichen Grundlage - nicht dazu in der Lage ist, Rechtssicherheit zu schaffen (vgl. SG Dresden, Urteil vom 25.01.2013 - S 20 AS 4915/11 - Rn. 32; SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 65 ff.).

418

In der Literatur wird hierzu u.a. ausgeführt, dass nicht überraschen könne, dass sich die jeweilige Bestimmung der angemessenen Höhe der Kosten der Unterkunft in der Praxis als konfliktträchtig erweise (Butzer/Keller, NZS 2009, S. 66), dass die im Bereich der Unterkunftskosten anhängigen Streitverfahren schwerpunktmäßig die Angemessenheit der Kosten für Unterkunft und Heizung beträfen (Jaritz, Grundsicherung für Arbeitsuchende: Kosten der Unterkunft - Sanktionen - Mitwirkung, in: Baus/Krings (Hrsg.), Aktuelle Herausforderungen im Sozial- und Arbeitsrecht, St. Augustin/Berlin 2012, S. 63) und dass Leistungen für Unterkunft und Heizung zu den streitanfälligeren Leistungen, die Verwaltung und Sozialgerichte in erheblichem Umfang beschäftigen, gehörten (Berlit, info also 2011, S. 170; vgl. auch Groth, SGb 2009, S. 646; Winter, SGb 2012, S. 366).

419

Dies liegt zum einen darin begründet, dass auch höchstrichterliche Rechtsprechung keine Bindungswirkung über den Einzelfall hinaus entfaltet und aus diesem Grund eine gesetzliche Regelung nicht funktionell gleichwertig ersetzen kann (vgl. Berlit, info also 2010, S. 195; Groth, SGb 2009, S. 646), zum anderen darin, dass ein unauflöslicher Widerspruch zwischen dem Anliegen besteht, einerseits abstrakt-generell geregelte Mietobergrenzen unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten schaffen zu wollen und hierfür andererseits als gesetzliche Grundlage lediglich einen "unbeschränkt überprüfbaren" unbestimmten Rechtsbegriff zu haben. Das Dilemma wird in der folgenden Passage aus dem Urteil des BSG vom 22.09.2009 (B 4 AS 18/09 R - Rn. 26 f.) besonders deutlich:

420

"Es ist im Wesentlichen Sache der Grundsicherungsträger, für ihren Zuständigkeitsbereich ein schlüssiges Konzept zu entwickeln, auf dessen Grundlage die erforderlichen Daten zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenze zu erheben und auszuwerten. Die anhand eines solchen Konzeptes erzielbaren Erkenntnisse sind vom Grundsicherungsträger daher grundsätzlich schon für eine sachgerechte Entscheidung im Verwaltungsverfahren notwendig und in einem Rechtsstreit vom Grundsicherungsträger vorzulegen. Entscheidet der Grundsicherungsträger ohne eine hinreichende Datengrundlage, ist er im Rahmen seiner prozessualen Mitwirkungspflicht nach § 103 Satz 1, 2. Halbsatz SGG gehalten, dem Gericht eine möglichst zuverlässige Entscheidungsgrundlage zu verschaffen und ggf eine unterbliebene Datenerhebung und -aufbereitung nachzuholen. Es kann von dem gemäß § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB II für die Leistungen nach § 22 SGB II zuständigen kommunalen Träger erwartet werden, dass er die bei ihm vorhandenen Daten sowie die persönlichen und/oder sachlichen Voraussetzungen für die Erhebung und Auswertung der erforderlichen Daten zur Verfügung stellt. Diese Ermittlungspflicht geht nicht ohne Weiteres auf das Sozialgericht über, wenn sich das Konzept des Grundsicherungsträgers als nicht tragfähig (schlüssig) erweist oder bei einem an sich schlüssigen Konzept die erforderlichen Daten nicht oder nicht ordnungsgemäß erhoben worden sind. (…) Steht nach Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten zur Überzeugung des Gerichts fest, dass keine solchen Erkenntnismöglichkeiten mehr vorhanden sind - etwa durch Zeitablauf - sind vom Grundsicherungsträger die tatsächlichen Aufwendungen des Hilfebedürftigen für Unterkunft zu übernehmen. Sie sind allerdings auch in diesem Fall nicht völlig unbegrenzt zu übernehmen, sondern nur bis zur Höhe der durch einen Zuschlag maßvoll erhöhten Tabellenwerte in § 8 WoGG."

421

Das BSG stellt den Leistungsträgern hiermit die Aufgabe, Angemessenheitsgrenzen in Form von abstrakt-generellen Regelungen zu treffen, ohne ausdrücklich einen Beurteilungs- oder Gestaltungsspielraum einzuräumen. Dies soll allerdings nur "im Wesentlichen" Aufgabe des Leistungsträgers sein. Das Konzept soll auch nur "grundsätzlich" bereits zum Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung vorliegen (so ausdrücklich auch BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 2/10 R - Rn. 21). Es hat aber keine erkennbaren Konsequenzen, wenn es zu diesem Zeitpunkt nicht vorliegt. Aus der weichen Formulierung, "es kann vom (…) kommunalen Träger erwartet werden, dass er die bei ihm vorhandenen Daten sowie die persönlichen und/oder sachlichen Voraussetzungen für die Erhebung und Auswertung der erforderlichen Daten zur Verfügung stellt", geht deutlich hervor, dass sich für eine echte Verpflichtung keine Rechtsgrundlage finden lässt. So geht auch die Ermittlungspflicht nur nicht "ohne Weiteres" auf die Sozialgerichte über.

422

Die Unschärfe in der Aufgabenverteilung zwischen Leistungsträger (eigenständig "ermitteln") und Gericht (unbeschränkte Kontrolle) hat systematisch-konstruktive Gründe. An der Gestattung eines Beurteilungsspielraums ist das BSG gehindert, da methodischer Ausgangspunkt für die gesamte Judikatur zur Angemessenheit der Unterkunftskosten der uneingeschränkt überprüfbare, unbestimmte Rechtsbegriff ist (vgl. Groth, SGb 2013, S. 250). Dies hat zur Konsequenz, dass im Endeffekt die Gerichte auf Grundlage systematischer Vorentscheidungen der Verwaltung über die konkrete Höhe der Angemessenheitsgrenze nach eigenen Wertungen entscheiden sollen (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - Rn. 24; vgl. zum Ganzen: SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 Rn. 65 ff.).

423

Die so erfolgte Bestimmung der Angemessenheitsgrenzen und somit der Höhe der unterkunftsbezogenen Leistungen des SGB II stellt sich bei realistischer Betrachtung als kooperativer Prozess zwischen Verwaltung und Rechtsprechung dar, der im Wesentlichen erst im Streitfall zwischen Leistungsberechtigtem und Behörde vollzogen wird. In diesem Prozess sind die politischen Verantwortlichkeiten kaum auseinanderzuhalten und die Funktionen der Staatsgewalten nicht mehr voneinander unterscheidbar. Die Rechtsprechung kann auf diese Weise ihrer verfassungsrechtlichen Kontrollfunktion gegenüber der Legislative nicht nachkommen. Rechtssicherheit kann auf diese Weise nicht erreicht werden.

424

5.2 Die von der 20. Kammer des SG Dresden (Urteil vom 25.01.2013 - S 20 AS 4915/11 - Rn. 26 ff.; s. o. unter A. IV. 3.3) vertretene Auslegung ist ebenfalls nicht dazu geeignet, die Verfassungskonformität des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II sicherzustellen. Mit der Begrenzung der Leistungen für Unterkunft auf die um 10 % erhöhten Höchstwerte nach § 12 Abs. 1 WoGG legt das Gericht die Höhe des Existenzsicherungsanspruchs nach eigenen Wertmaßstäben fest. Dies ist bereits auf Grund der Gestaltungsverpflichtung des Gesetzgebers verfassungswidrig. Im Übrigen begründet das SG Dresden ebenso wenig wie das BSG, weshalb die um 10 % erhöhten Höchstwerte nach § 12 Abs. 1 WoGG für die Bemessung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums geeignet sein sollten (s.o. unter B. II 5.1.2. f).

425

5.3 Die von der 17. Kammer des SG Mainz (Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09; Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12; Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 751/12; Urteil vom 10.05.2013 - S 17 AS 119/13; Urteil vom 18.10.2013 - S 17 AS 1069/12; Urteil vom 22.10.2012 - S 17 SO 145/11; s. o. unter A. IV. 3.1) und von der 20. Kammer des SG Leipzig (Urteil vom 15.02.2013 - S 20 AS 2707/12; Urteil vom 16.12.2013 - S 20 AS 879/11; s. o. unter A. IV. 3.2) erarbeiteten Vorschläge zur verfassungskonformen Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II laufen entweder auf eine verfassungswidrige Wahrnehmung des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums durch Verwaltung und Gerichte oder auf eine gleichfalls verfassungswidrige faktische Normverwerfung durch die Gerichte hinaus.

426

5.3.1 Die 17. Kammer des SG Mainz stellt zwar die möglichen Voraussetzungen für eine verfassungskonforme Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II zutreffend dar (SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 61) und formuliert abstrakt die Anforderungen, die eine verfassungskonforme Auslegung des Angemessenheitsbegriffs im Rahmen des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II erfüllen müsste (SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn. 62). Zutreffend weist das SG Mainz darauf hin, dass das Primat der verfassungskonformen Auslegung im Rahmen der Gesetzesbindung entstehungsgeschichtliche und teleologische Auslegungselemente verdrängen muss. Im Rahmen der Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II kann das abstrakt formulierte Ziel der verfassungskonformen Auslegung jedoch nicht erreicht werden.

427

a) Der in den zitierten Entscheidungen eingeschlagene Weg besteht darin, nicht den Bestimmtheitsmangel des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II zu beseitigen (was - wie unter B. II. 2 gezeigt - nicht möglich ist), sondern ihn durch Herausnahme der verfassungsrechtlichen Brisanz irrelevant zu machen. Dies gelingt in der Theorie dadurch, dass § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II als Regelung interpretiert wird, die das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht betrifft (vgl. SG Mainz, Urteil vom 19.04.2013 - S 17 AS 518/12 - Rn 62; in diesem Punkt vergleichbar: SG Dresden, Urteil vom 10.09.2013 - S 49 AS 8234/10 - Rn. 54). Der Angemessenheitsbegriff soll nach dieser Auffassung so konkretisiert werden, dass er eine andere Funktion einnimmt, als die der Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums (SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 87).

428

Dieser Ansatz ist theoretisch nachvollziehbar, weil auf diese Weise die Bestimmbarkeits- und Folgerichtigkeitskriterien, die für die Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums erfüllt werden müssen (s.o. unter B. II. 2.1 und unter B. II. 4), außer Betracht bleiben könnten. Losgelöst von diesen der Grundrechtsverwirklichung geschuldeten Anforderungen wäre die Verwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit in § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II nicht zu beanstanden.

429

b) Allerdings lässt sich der Anspruch, eine Auslegung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II zu ermöglichen, die nicht die Ausgestaltung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums betrifft, nicht einlösen. Denn die Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II führt nur zu einem im Hinblick auf das Existenzsicherungsgrundrecht verfassungskonformen Ergebnis, solange der Fall der evidenten Überschreitung der ortsüblichen Unterkunftsaufwendungen nicht eintritt. Sobald das Gericht aber im Einzelfall eine solche Überschreitung feststellen müsste, würde es die Höhe des unterkunftsbezogenen Existenzminimums doch selbst bestimmen und hiermit - ebenso wie das BSG - eine Gestaltungsaufgabe übernehmen, die dem Gesetzgeber vorbehalten ist. Dies gilt auch dann, wenn die Angemessenheitsgrenze so hoch definiert wird, dass nach "allgemeinen Anschauungen" oder anderen scheinbar objektiven Kriterien keine Bedenken bestehen, die Kostenübernahme als unverhältnismäßig anzusehen. Denn durch die Kürzung des in die Leistungsberechnung einzubeziehenden Unterkunftsbedarfs wird das Existenzminimum in jedem Fall ausgestaltet, selbst wenn der Betroffene eine "Luxuswohnung" bewohnt. Dies folgt zum einen daraus, dass auch in diesem Fall der "angemessene" Anteil des Unterkunftsbedarfs zu berücksichtigen wäre (s.o. unter B. II. 2.3.1 b), welcher in irgendeiner Form durch Verwaltung oder Gericht beziffert werden müsste.

430

Zum anderen könnte der Unterkunftsbedarf oder wahlweise der Bedarf zur Sicherung des sonstigen Lebensunterhalts bei einer Kürzung nicht vollständig gedeckt werden. In Folge der geringen Elastizität des Konsumguts "Unterkunft" (s.o. unter B. II. 2.3.3 b) besteht in jedem Fall der Kürzung die Gefahr einer akuten Unterdeckung des Unterkunftsbedarfs. Die Leistungsberechtigten sind zwar nicht unmittelbar dazu gezwungen, ihren Verpflichtungen für den Erhalt der Unterkunft vollständig nachzukommen, wenn sie diese nicht als Leistungen vom SGB II-Träger erhalten, so dass die gewährten Leistungen für den Regelbedarf in vollem Umfang verkonsumiert werden dürfen, gegebenenfalls unter Inkaufnahme des schuldenbedingten Wohnungsverlusts. Der Verlust einer bestimmten, bisher bewohnten Unterkunft als solcher verstößt auch nicht gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Ein Verstoß läge erst dann vor, wenn nicht kurzfristig eine die menschenwürdige Existenz sichernde Unterkunft verfügbar wäre.

431

Die Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen ein solcher Zustand eintreten kann, ist aber von wesentlicher Bedeutung für die Grundrechtsverwirklichung und unterliegt deshalb wiederum der Gestaltungsverpflichtung des parlamentarischen Gesetzgebers (s.o. B II. 2.1.2 und 2.1.5). Die hierfür maßgeblichen Wertentscheidungen können durch die Gerichtsbarkeit nicht ersetzt werden (s.o. unter B II. 4.2).

432

Die Auslegung des Angemessenheitsbegriffs durch die 17. Kammer des SG Mainz führt demzufolge nicht zu einem verfassungskonformen Ergebnis.

433

c) Die Verfassungswidrigkeit könnte theoretisch nur vermieden werden, wenn die Angemessenheitsgrenze so hoch angesetzt würde, dass sie praktisch niemals zum Zuge käme. Die Interpretation einer Rechtsvorschrift in einer Weise, dass sie keine Auswirkungen hat, kommt im Ergebnis aber der Nichtanwendung dieser Norm gleich. Der Rechtsprechung steht es auf Grund der Bindung an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 97 Abs. 1 GG) jedoch nicht zu, eine gesetzgeberische Regelungsentscheidung im Wege der Auslegung vollständig zu neutralisieren.

434

d) Der Vorschlag, die Leistungspflicht nur in Einzelfällen zu begrenzen, in denen Leistungsberechtigte hinsichtlich ihrer Unterkunft deutlich erkennbar über den ortsüblichen Verhältnissen leben (SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012 - S 17 AS 1452/09 - Rn. 87) läuft somit entweder auf eine verfassungswidrige Wahrnehmung des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums oder auf eine gleichfalls verfassungswidrige faktische Normverwerfung durch die Gerichte hinaus.

435

5.3.2 Der Vorschlag einer verfassungskonformen Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II durch das SG Leipzig (Urteil vom 15.02.2013 - S 20 AS 2707/12 - Rn. 41 ff.) scheitert aus denselben Gründen. Die Frage, wann ein die Leistungskürzung rechtfertigender Ausnahmefall im Sinne eines offensichtlichen Missverhältnisses zu den sonstigen Lebensumständen des Leistungsberechtigten vorliegen würde, hätte wesentliche Bedeutung für die Grundrechtsverwirklichung und bedürfte deshalb einer Regelung durch den parlamentarischen Gesetzgeber.

436

5.4 Andere Vorschläge für eine verfassungskonforme Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II wurden in Rechtsprechung und Literatur bislang nicht gemacht und sind für die vorlegende Kammer auch nicht ersichtlich.

437

6. Die in Rechtsprechung und Literatur unternommen Versuche, die Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des BSG zu verteidigen, gelingen nicht.

438

6.1 Die Auffassung von Link (in: jurisPK-SGB XII, § 35 Rn. 65.3, 1. Auflage 2011, Stand 31.01.2014 - s.o. unter A. IV. 5.5) und dem 1. Senat des LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 21.06.2013 - L 1 AS 19/13 - Rn. 41 - s.o. unter A. IV. 4.1), die Rechtsprechung des BSG zur Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs "angemessen" biete mit dem hierfür entwickelten schlüssigen Konzept gerade ein vom BVerfG gefordertes transparentes und schlüssiges Verfahren, vernachlässigt, dass das BVerfG Transparenz- und Schlüssigkeitsanforderungen ausdrücklich an das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren gestellt hat (so bereits SG Mainz, Urteil vom 18.10.2013 - S 17 AS 1069/12 - Rn. 46). Dass das BVerfG betont habe, dass dem Gesetzgeber bei der Bestimmung des Umfangs der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums ein Gestaltungsspielraum zukomme, lässt die Schlussfolgerung nicht zu, dass der Gesetzgeber den Gestaltungsspielraum praktisch an die Verwaltung und die Gerichtsbarkeit weiterreichen dürfte. Auch eine "gefestigte Rechtsprechung" kann die Ausübung gesetzgeberischen Gestaltungsermessens nicht ersetzen. Die Kritik am Urteil des SG Mainz vom 08.06.2012 (S 17 AS 1452/09), das hiermit die Rechtsprechung zum schlüssigen Konzept lediglich substituiert werde, trifft im Ergebnis zwar zu, würdigt aber nicht den Umstand, dass diese Substitution von einem anderen Ausgangspunkt erfolgte und nur einer Art Evidenzkontrolle diente.

439

6.2 Soweit die 49. Kammer des SG Dresden (Urteil vom 10.09.2013 - S 49 AS 8234/10 - Rn. 57 - s.o. unter A. IV. 4.2) ausführt, dass die Bestimmung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft nicht einem Parlamentsgesetz vorbehalten sei, da einem solchen nur die Bestimmung des Existenzminimums unterliege und § 22 SGB II über dieses Minimum deutlich hinausgehe, ist dies nicht nachvollziehbar. Die Frage, wie hoch die Angemessenheitsgrenze liegt, bestimmt maßgeblich, wie hoch der zur Sicherung des Existenzminimums gedachte Leistungsanspruch ausfällt. Der Begriff "Existenzminimum" markiert nur in dem Sinne eine Untergrenze dahingehend, dass der Gesetzgeber ein Minimum an existenzsichernden Leistungen zur Verfügung stellen muss. Ob der Gesetzgeber sich zur Sicherung des Existenzminimums einer Regelungstechnik unter Verwendung von "Obergrenzen" bedient, ist für die Qualifikation als zur Sicherung des Existenzminimums bestimmte Leistung völlig unerheblich.

440

Die These, dass weder der Bundes- noch die Landesgesetzgeber die existenznotwendigen Kosten der Unterkunft in einer für das gesamte Bundes- oder Landesgebiet hinreichend zuverlässigen und transparenten Weise sachgerecht ermitteln könnten, wie es das BVerfG für die Ermittlung des Existenzminimums verlange, ist nicht zielführend und darüber hinaus nicht geeignet, plausibel zu machen, weshalb die kommunalen Träger und Sozialgerichte diese Voraussetzungen besser erfüllen könnten.

441

Auch die Behauptung, es sei nicht zu befürchten, dass der nach der Rechtsprechung des BSG für die Beurteilung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft zu Grunde zu legende Wohnstandard die aus der Gewährleistung des Existenzminimums herzuleitenden Mindeststandards unterschreiten könnte, ist sehr gewagt. Selbst die wenigen instanzgerichtlichen Entscheidungen zur Bestimmung von Angemessenheitsgrenzen, die das BSG bestätigt hat, sind im Hinblick auf ihre Eignung, das Existenzminimum durch ein rationales Verfahren zu gewährleisten, methodisch angreifbar (vgl. v. Malottki, info also 2014, S. 99 ff. zu BSG, Urteil vom 10.09.2013 - B 4 AS 77/12 R). Dass deswegen auf eine formal-gesetzliche Grundlage verzichtet werden könne, steht jedenfalls in deutlichem Gegensatz zur Rechtsprechung des BVerfG, nach der gerade der Gesetzgeber die Höhe der existenzsichernden Leistungen auszugestalten habe.

442

6.3 Die vom 2. Senat des LSG Baden-Württemberg (Beschluss vom 28.10.2013 - L 2 SO 1510/13 NZB - Rn. 12 ff. - s.o. unter A. IV. 4.3; Urteile vom 26.03.2014 - L 2 AS 104/14 - Rn. 43 - s.o. A. IV. 4.5) und vom 2. Senat des LSG Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 11.03.2014 - L 2 AS 276/14 B ER - Rn. 49 ff. - s.o. unter A. IV. 4.4) gegen die Rechtsauffassung der 17. Kammer des SG Mainz herangezogenen Gründe stellen keine Sachargumente dar. Die Senate begnügen sich damit, auf eine entgegenstehende höhere Rechtsprechung zu verweisen und (im Falle des 2. Senats des LSG Baden-Württemberg) über Implikationen der Rechtsprechung des BVerfG zu spekulieren, ohne sich in der Sache mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II auseinanderzusetzen.

443

6.4 Luiks Argumentation (jurisPR-SozR 22/2013 Anm. 1; ähnlich ders. in: Eicher, SGB II, § 22 Rn. 6, 3. Auflage 2013 – s.o. unter A. IV. 5.4) stützt sich im Wesentlichen auf die Annahme, dass das BVerfG die Verfassungsmäßigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II bereits bestätigt habe. Dies trifft nicht zu (s. o. unter A. VI.), würde im Übrigen eine Auseinandersetzung in der Sache aber auch nicht entbehrlich machen, da das BVerfG der Bindungswirkung seiner Entscheidungen selbst nicht unterliegt (BVerfG, Beschluss vom 19.11.1991 - 1 BvR 1425/90 - Rn. 16 m.w.N.). Dass das BSG selbst eine Konzeption zur Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums entwickelt hat, die, stammte sie vom Gesetzgeber, den prozeduralen Anforderungen des BVerfG im Hinblick auf die Gestaltung existenzsichernder Leistungen genügen könnte, beseitigt das verfassungsrechtliche Problem nicht. Das BSG verfügt nicht über eine hinreichende demokratische Legitimation, um zur wesentlichen Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums befugt zu sein. Dass das legitimatorische Problem nicht mit herkömmlichen juristischen Auslegungsmethoden bewältigt werden kann, wurde bereits ausgeführt (s. o. unter B. II. 2.1.4).

444

6.5 Berlits Einwand, dass die Rechtsprechung des BSG an eine auch dem SGB II-Gesetzgeber bekannte Rechtsprechung des BVerwG zum Angemessenheitsbegriff im BSHG anknüpfe und in ihrem sachlichen Regelungsgehalt erneut in den Vorgaben für die Satzungsregelung aufgegriffen worden sei (Berlit in: LPK-SGB II, § 22 Rn, 60 f., 5. Auflage 2013 - s.o. unter A. IV. 5.6), verfängt ebenfalls nicht. Die anhand der Gesetzgebungsmaterialien nachvollziehbare Bezugnahme auf die Sozialhilfepraxis verweist nicht nur auf ein gesetzgeberisches Regelungsmodell, sondern auch auf eine Verwaltungs- und Rechtsprechungspraxis, die vor dem Hintergrund der erst nach dem Außerkrafttreten des BSHG etablierten Rechtsprechung des BVerfG zum Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums auf Grund der selben Legitimationsdefizite keinen Bestand haben würde. Sie basiert ebenfalls auf dem unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit (vgl. § 3 Abs. 1 S. 2 RegelsatzVO i.d.F. des Gesetzes vom 14.11.2003).

445

So bestimmte sich nach der ständigen Rechtsprechung des bis zum 31.12.2004 für Sozialhilfe zuständigen BVerwG (vgl. BVerwG, Urteil vom 28.04.2005 - 5 C 15/04) die Angemessenheit der Aufwendungen für die Unterkunft nach dem Bedarf des Hilfebedürftigen, welcher sich nach den Besonderheiten des Einzelfalles richten sollte, insbesondere nach Umständen in der Person des Hilfebedürftigen, in der Art seines Bedarfs und nach den örtlichen Verhältnissen. Bei der Beurteilung der Angemessenheit der Mietaufwendungen für eine Unterkunft waren die örtlichen Verhältnisse maßgeblich. Hierbei wurde auf die im unteren Bereich der für vergleichbare Wohnungen am Wohnort des Hilfebedürftigen marktüblichen Wohnungsmieten abgestellt und auf dieser tatsächlichen Grundlage die sozialhilferechtlich maßgebliche Mietpreisspanne ermittelt. Erschienen dem Sozialhilfeträger die Unterkunftskosten im Einzelfall als zu hoch, durfte er die Angemessenheitsprüfung nicht darauf beschränken, ausgehend vom Bedarf des Hilfebedürftigen mit Blick auf die örtlichen Verhältnisse zu bestimmen, welcher Kostenaufwand für die Unterkunft sozialhilferechtlich an sich (abstrakt) angemessen gewesen wäre. Der Sozialhilfeträger hatte die Angemessenheitsprüfung in einem solchen Fall auch auf die Frage zu erstrecken, ob dem Hilfeempfänger im Bedarfszeitraum eine andere bedarfsgerechte, kostengünstigere Wohnung konkret verfügbar und zugänglich war. Bestand eine derartige Unterkunftsalternative nicht, waren die Aufwendungen in voller Höhe weiter zu übernehmen (BVerwG, Urteil vom 28.04.2005 - 5 C 15/04 - Rn. 10 f. m.w.N.). Dass bei der Beurteilung der Angemessenheit der Aufwendungen für die Unterkunft nicht auf die jeweiligen örtlichen durchschnittlichen Mietpreise, sondern auf die im unteren Bereich der für vergleichbare Wohnungen am Wohnort des Hilfeempfängers marktüblichen Wohnungsmieten abzustellen war, ergab sich aus der Aufgabe der Hilfe zum Lebensunterhalt, nur den "notwendigen" Bedarf abzudecken (BVerwG, Urteil vom 17.11.1994 - 5 C 11/93 - Rn. 11; BVerwG, Beschluss vom 02.08.1994 - 5 PKH 32/94 - Rn. 2). Hierbei verwies das BVerwG auf § 12 Abs. 1 S. 1 BSHG, welcher in der zuletzt maßgeblichen Fassung vom 23.07.1996 lautete:

446

"Der notwendige Lebensunterhalt umfaßt besonders Ernährung, Unterkunft, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Heizung und persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens."

447

In diesen Ausführungen zeigt sich, dass auch unter der Ägide des BSHG das unterkunftsbezogene Existenzminimum nicht wesentlich durch den Gesetzgeber ausgestaltet, sondern anhand relativ allgemeiner Vorgaben des seinerzeit zuständigen Bundesgerichts weitgehend der Verwaltungspraxis überlassen wurde. Das erst mit der Ausdifferenzierung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch das BVerfG im Urteil vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09 u.a.) offenkundig gewordene Bestimmtheitsproblem bestand auch bezüglich der gesetzlichen Regelung des BSHG und der hierzu ergangenen Rechtsprechung. Allerdings erscheint es denkbar, die Frage der Verfassungsmäßigkeit der unterkunftsbezogenen Leistungen des BSHG anders zu beurteilen, weil das damalige Leistungssystem im Vergleich zum SGB II weitaus mehr Möglichkeiten bot, individuelle Notlagen zu beheben, beispielsweise auch durch Sachleistungen und persönliche Hilfe (vgl. Schmidt, NVwZ 1995, S. 1045).

448

Der Verweis auf eine Rechtsprechungspraxis genügt den oben (B. II. 2.1) skizzierten Bestimmtheitsanforderungen aber ohnehin nicht, da global auf eine unbestimmte Vielzahl von Entscheidungstexten Bezug genommen wird. Entscheidungstexte der Gerichtsbarkeit sind schon in Folge ihrer von Normtexten erheblich abweichenden Textstruktur sowie auf Grund ihrer Funktion nicht dazu geeignet, eine gesetzliche Regelung gleichwertig zu ersetzen (s.o. unter B. II. 5.1.2 g). Deshalb würde auch ein ausdrücklicher Verweis im Gesetzestext auf eine bisherige Sozialhilfepraxis dem Bestimmtheitserfordernis des Gewährleistungsrechts nicht genügen. Tatsächlich ist die Bezugnahme auf das Sozialhilferecht aber nicht im Gesetzestext, sondern lediglich in der Gesetzesbegründung erhalten und schon aus diesem Grund nicht dazu geeignet, das Bestimmtheitsproblem abzumildern.

449

Mit der Übernahme wesentlicher Bestandteile der Rechtsprechung des BSG in die §§ 22a bis 22c SGB II hat der Gesetzgeber zwar möglicherweise zu erkennen gegeben, dass diese Rechtsprechung in den Grundzügen akzeptiert wird. Allerdings wurden diese Bestandteile gerade nicht in den für die Bestimmung der Angemessenheitsgrenze nach § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II relevanten Normtext implementiert. Das Bestimmtheitsproblem wurde auf diese Weise somit nicht behoben. Hiervon abgesehen genügen auch die §§ 22a bis 22c SGB II nicht den unter B. II. 2.1 dargestellten Bestimmtheitsanforderungen (s.o unter B. II. 2.3.5).

450

Allenfalls ließe sich aus der gesetzgeberischen Entscheidung zur Einführung der §§ 22a bis 22c SGB II der Schluss ziehen, dass eine Orientierung der Angemessenheitsgrenze an den materiellen Mindestanforderungen für die Gewährung des Existenzminimums, wie sie die BSG-Rechtsprechung vorgibt, der gesetzgeberischen Intention - jedenfalls zum Zeitpunkt der Schaffung der Satzungsregelung - durchaus entsprochen hat. Dies vermag am Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot jedoch nichts zu ändern.

III.

451

Die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II ist nach Überzeugung der Kammer auf Grund des Verstoßes gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verfassungswidrig (s.o. unter B. II. 2.3.2, B. II. 4). Auf die Gültigkeit des § 22 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB II kommt es im vorliegenden Verfahren an (s.o. unter A. V). Das Gericht hat das Verfahren daher nach Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG auszusetzen und eine Entscheidung des BVerfG über die Gültigkeit der Vorschrift einzuholen.

C.

452

Dieser Beschluss ist für die Beteiligten unanfechtbar.

(1) Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind. Für die Anerkennung der Bedarfe für Unterkunft gilt eine Karenzzeit von einem Jahr ab Beginn des Monats, für den erstmals Leistungen nach diesem Buch bezogen werden. Innerhalb dieser Karenzzeit werden die Bedarfe für Unterkunft in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt; Satz 6 bleibt unberührt. Wird der Leistungsbezug in der Karenzzeit für mindestens einen Monat unterbrochen, verlängert sich die Karenzzeit um volle Monate ohne Leistungsbezug. Eine neue Karenzzeit beginnt, wenn zuvor mindestens drei Jahre keine Leistungen nach diesem oder dem Zwölften Buch bezogen worden sind. Erhöhen sich nach einem nicht erforderlichen Umzug die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, wird nur der bisherige Bedarf anerkannt. Soweit die Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, sind sie nach Ablauf der Karenzzeit als Bedarf so lange anzuerkennen, wie es der oder dem alleinstehenden Leistungsberechtigten oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. Nach Ablauf der Karenzzeit ist Satz 7 mit der Maßgabe anzuwenden, dass der Zeitraum der Karenzzeit nicht auf die in Satz 7 genannte Frist anzurechnen ist. Verstirbt ein Mitglied der Bedarfs- oder Haushaltsgemeinschaft und waren die Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung davor angemessen, ist die Senkung der Aufwendungen für die weiterhin bewohnte Unterkunft für die Dauer von mindestens zwölf Monaten nach dem Sterbemonat nicht zumutbar. Eine Absenkung der nach Satz 1 unangemessenen Aufwendungen muss nicht gefordert werden, wenn diese unter Berücksichtigung der bei einem Wohnungswechsel zu erbringenden Leistungen unwirtschaftlich wäre.

(1a) (weggefallen)

(2) Als Bedarf für die Unterkunft werden auch unabweisbare Aufwendungen für Instandhaltung und Reparatur bei selbst bewohntem Wohneigentum im Sinne des § 12 Absatz 1 Satz 2 Nummer 5 anerkannt, soweit diese unter Berücksichtigung der im laufenden sowie den darauffolgenden elf Kalendermonaten anfallenden Aufwendungen insgesamt angemessen sind. Übersteigen unabweisbare Aufwendungen für Instandhaltung und Reparatur den Bedarf für die Unterkunft nach Satz 1, kann der kommunale Träger zur Deckung dieses Teils der Aufwendungen ein Darlehen erbringen, das dinglich gesichert werden soll. Für die Bedarfe nach Satz 1 gilt Absatz 1 Satz 2 bis 4 nicht.

(3) Rückzahlungen und Guthaben, die dem Bedarf für Unterkunft und Heizung zuzuordnen sind, mindern die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach dem Monat der Rückzahlung oder der Gutschrift; Rückzahlungen, die sich auf die Kosten für Haushaltsenergie oder nicht anerkannte Aufwendungen für Unterkunft und Heizung beziehen, bleiben außer Betracht.

(4) Vor Abschluss eines Vertrages über eine neue Unterkunft soll die leistungsberechtigte Person die Zusicherung des für die neue Unterkunft örtlich zuständigen kommunalen Trägers zur Berücksichtigung der Aufwendungen für die neue Unterkunft einholen. Innerhalb der Karenzzeit nach Absatz 1 Satz 2 bis 5 werden nach einem Umzug höhere als angemessene Aufwendungen nur dann als Bedarf anerkannt, wenn der nach Satz 1 zuständige Träger die Anerkennung vorab zugesichert hat. Der kommunale Träger ist zur Zusicherung verpflichtet, wenn die Aufwendungen für die neue Unterkunft angemessen sind.

(5) Sofern Personen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, umziehen, werden Bedarfe für Unterkunft und Heizung für die Zeit nach einem Umzug bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres nur anerkannt, wenn der kommunale Träger dies vor Abschluss des Vertrages über die Unterkunft zugesichert hat. Der kommunale Träger ist zur Zusicherung verpflichtet, wenn

1.
die oder der Betroffene aus schwerwiegenden sozialen Gründen nicht auf die Wohnung der Eltern oder eines Elternteils verwiesen werden kann,
2.
der Bezug der Unterkunft zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt erforderlich ist oder
3.
ein sonstiger, ähnlich schwerwiegender Grund vorliegt.
Unter den Voraussetzungen des Satzes 2 kann vom Erfordernis der Zusicherung abgesehen werden, wenn es der oder dem Betroffenen aus wichtigem Grund nicht zumutbar war, die Zusicherung einzuholen. Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden bei Personen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, nicht anerkannt, wenn diese vor der Beantragung von Leistungen in eine Unterkunft in der Absicht umziehen, die Voraussetzungen für die Gewährung der Leistungen herbeizuführen.

(6) Wohnungsbeschaffungskosten und Umzugskosten können bei vorheriger Zusicherung durch den bis zum Umzug örtlich zuständigen kommunalen Träger als Bedarf anerkannt werden; Aufwendungen für eine Mietkaution und für den Erwerb von Genossenschaftsanteilen können bei vorheriger Zusicherung durch den am Ort der neuen Unterkunft zuständigen kommunalen Träger als Bedarf anerkannt werden. Die Zusicherung soll erteilt werden, wenn der Umzug durch den kommunalen Träger veranlasst oder aus anderen Gründen notwendig ist und wenn ohne die Zusicherung eine Unterkunft in einem angemessenen Zeitraum nicht gefunden werden kann. Aufwendungen für eine Mietkaution und für Genossenschaftsanteile sollen als Darlehen erbracht werden.

(7) Soweit Bürgergeld für den Bedarf für Unterkunft und Heizung geleistet wird, ist es auf Antrag der leistungsberechtigten Person an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte zu zahlen. Es soll an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte gezahlt werden, wenn die zweckentsprechende Verwendung durch die leistungsberechtigte Person nicht sichergestellt ist. Das ist insbesondere der Fall, wenn

1.
Mietrückstände bestehen, die zu einer außerordentlichen Kündigung des Mietverhältnisses berechtigen,
2.
Energiekostenrückstände bestehen, die zu einer Unterbrechung der Energieversorgung berechtigen,
3.
konkrete Anhaltspunkte für ein krankheits- oder suchtbedingtes Unvermögen der leistungsberechtigten Person bestehen, die Mittel zweckentsprechend zu verwenden, oder
4.
konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die im Schuldnerverzeichnis eingetragene leistungsberechtigte Person die Mittel nicht zweckentsprechend verwendet.
Der kommunale Träger hat die leistungsberechtigte Person über eine Zahlung der Leistungen für die Unterkunft und Heizung an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte schriftlich zu unterrichten.

(8) Sofern Bürgergeld für den Bedarf für Unterkunft und Heizung erbracht wird, können auch Schulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Vermögen nach § 12 Absatz 2 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 ist vorrangig einzusetzen. Geldleistungen sollen als Darlehen erbracht werden.

(9) Geht bei einem Gericht eine Klage auf Räumung von Wohnraum im Falle der Kündigung des Mietverhältnisses nach § 543 Absatz 1, 2 Satz 1 Nummer 3 in Verbindung mit § 569 Absatz 3 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ein, teilt das Gericht dem örtlich zuständigen Träger nach diesem Buch oder der von diesem beauftragten Stelle zur Wahrnehmung der in Absatz 8 bestimmten Aufgaben unverzüglich Folgendes mit:

1.
den Tag des Eingangs der Klage,
2.
die Namen und die Anschriften der Parteien,
3.
die Höhe der monatlich zu entrichtenden Miete,
4.
die Höhe des geltend gemachten Mietrückstandes und der geltend gemachten Entschädigung und
5.
den Termin zur mündlichen Verhandlung, sofern dieser bereits bestimmt ist.
Außerdem kann der Tag der Rechtshängigkeit mitgeteilt werden. Die Übermittlung unterbleibt, wenn die Nichtzahlung der Miete nach dem Inhalt der Klageschrift offensichtlich nicht auf Zahlungsunfähigkeit der Mieterin oder des Mieters beruht.

(10) Zur Beurteilung der Angemessenheit der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach Absatz 1 Satz 1 ist die Bildung einer Gesamtangemessenheitsgrenze zulässig. Dabei kann für die Aufwendungen für Heizung der Wert berücksichtigt werden, der bei einer gesonderten Beurteilung der Angemessenheit der Aufwendungen für Unterkunft und der Aufwendungen für Heizung ohne Prüfung der Angemessenheit im Einzelfall höchstens anzuerkennen wäre. Absatz 1 Satz 2 bis 4 gilt entsprechend.

(11) Die für die Erstellung von Mietspiegeln nach § 558c Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs nach Landesrecht zuständigen Behörden sind befugt, die in Artikel 238 § 2 Absatz 2 Nummer 1 Buchstabe a, d und e des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche genannten Daten zu verarbeiten, soweit dies für die Erstellung von Übersichten über die Angemessenheit von Aufwendungen für eine Unterkunft nach Absatz 1 Satz 1 erforderlich ist. Erstellen die nach Landesrecht zuständigen Behörden solche Übersichten nicht, so sind sie befugt, die Daten nach Satz 1 auf Ersuchen an die kommunalen Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende für ihren örtlichen Zuständigkeitsbereich zu übermitteln, soweit dies für die Erstellung von Übersichten über die Angemessenheit von Aufwendungen für die Unterkunft erforderlich ist. Werden den kommunalen Trägern der Grundsicherung für Arbeitsuchende die Übersichten nicht zur Verfügung gestellt, so sind sie befugt, die Daten nach Satz 1 für ihren örtlichen Zuständigkeitsbereich bei den nach Landesrecht für die Erstellung von Mietspiegeln zuständigen Behörden zu erheben und in sonstiger Weise zu verarbeiten, soweit dies für die Erstellung von Übersichten über und die Bestimmung der Angemessenheit von Aufwendungen für die Unterkunft nach Absatz 1 Satz 1 erforderlich ist.

(12) Die Daten nach Absatz 11 Satz 1 und 3 sind zu löschen, wenn sie für die dort genannten Zwecke nicht mehr erforderlich sind.

(1) Ein wichtiger Grund im Sinne des § 543 Abs. 1 liegt für den Mieter auch vor, wenn der gemietete Wohnraum so beschaffen ist, dass seine Benutzung mit einer erheblichen Gefährdung der Gesundheit verbunden ist. Dies gilt auch, wenn der Mieter die Gefahr bringende Beschaffenheit bei Vertragsschluss gekannt oder darauf verzichtet hat, die ihm wegen dieser Beschaffenheit zustehenden Rechte geltend zu machen.

(2) Ein wichtiger Grund im Sinne des § 543 Abs. 1 liegt ferner vor, wenn eine Vertragspartei den Hausfrieden nachhaltig stört, so dass dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere eines Verschuldens der Vertragsparteien, und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur sonstigen Beendigung des Mietverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2a) Ein wichtiger Grund im Sinne des § 543 Absatz 1 liegt ferner vor, wenn der Mieter mit einer Sicherheitsleistung nach § 551 in Höhe eines Betrages im Verzug ist, der der zweifachen Monatsmiete entspricht. Die als Pauschale oder als Vorauszahlung ausgewiesenen Betriebskosten sind bei der Berechnung der Monatsmiete nach Satz 1 nicht zu berücksichtigen. Einer Abhilfefrist oder einer Abmahnung nach § 543 Absatz 3 Satz 1 bedarf es nicht. Absatz 3 Nummer 2 Satz 1 sowie § 543 Absatz 2 Satz 2 sind entsprechend anzuwenden.

(3) Ergänzend zu § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 gilt:

1.
Im Falle des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Buchstabe a ist der rückständige Teil der Miete nur dann als nicht unerheblich anzusehen, wenn er die Miete für einen Monat übersteigt. Dies gilt nicht, wenn der Wohnraum nur zum vorübergehenden Gebrauch vermietet ist.
2.
Die Kündigung wird auch dann unwirksam, wenn der Vermieter spätestens bis zum Ablauf von zwei Monaten nach Eintritt der Rechtshängigkeit des Räumungsanspruchs hinsichtlich der fälligen Miete und der fälligen Entschädigung nach § 546a Abs. 1 befriedigt wird oder sich eine öffentliche Stelle zur Befriedigung verpflichtet. Dies gilt nicht, wenn der Kündigung vor nicht länger als zwei Jahren bereits eine nach Satz 1 unwirksam gewordene Kündigung vorausgegangen ist.
3.
Ist der Mieter rechtskräftig zur Zahlung einer erhöhten Miete nach den §§ 558 bis 560 verurteilt worden, so kann der Vermieter das Mietverhältnis wegen Zahlungsverzugs des Mieters nicht vor Ablauf von zwei Monaten nach rechtskräftiger Verurteilung kündigen, wenn nicht die Voraussetzungen der außerordentlichen fristlosen Kündigung schon wegen der bisher geschuldeten Miete erfüllt sind.

(4) Der zur Kündigung führende wichtige Grund ist in dem Kündigungsschreiben anzugeben.

(5) Eine Vereinbarung, die zum Nachteil des Mieters von den Absätzen 1 bis 3 dieser Vorschrift oder von § 543 abweicht, ist unwirksam. Ferner ist eine Vereinbarung unwirksam, nach der der Vermieter berechtigt sein soll, aus anderen als den im Gesetz zugelassenen Gründen außerordentlich fristlos zu kündigen.

(1) Gibt der Mieter die Mietsache nach Beendigung des Mietverhältnisses nicht zurück, so kann der Vermieter für die Dauer der Vorenthaltung als Entschädigung die vereinbarte Miete oder die Miete verlangen, die für vergleichbare Sachen ortsüblich ist.

(2) Die Geltendmachung eines weiteren Schadens ist nicht ausgeschlossen.

(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.

(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.

*

(1) Leistet der Schuldner auf eine Mahnung des Gläubigers nicht, die nach dem Eintritt der Fälligkeit erfolgt, so kommt er durch die Mahnung in Verzug. Der Mahnung stehen die Erhebung der Klage auf die Leistung sowie die Zustellung eines Mahnbescheids im Mahnverfahren gleich.

(2) Der Mahnung bedarf es nicht, wenn

1.
für die Leistung eine Zeit nach dem Kalender bestimmt ist,
2.
der Leistung ein Ereignis vorauszugehen hat und eine angemessene Zeit für die Leistung in der Weise bestimmt ist, dass sie sich von dem Ereignis an nach dem Kalender berechnen lässt,
3.
der Schuldner die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert,
4.
aus besonderen Gründen unter Abwägung der beiderseitigen Interessen der sofortige Eintritt des Verzugs gerechtfertigt ist.

(3) Der Schuldner einer Entgeltforderung kommt spätestens in Verzug, wenn er nicht innerhalb von 30 Tagen nach Fälligkeit und Zugang einer Rechnung oder gleichwertigen Zahlungsaufstellung leistet; dies gilt gegenüber einem Schuldner, der Verbraucher ist, nur, wenn auf diese Folgen in der Rechnung oder Zahlungsaufstellung besonders hingewiesen worden ist. Wenn der Zeitpunkt des Zugangs der Rechnung oder Zahlungsaufstellung unsicher ist, kommt der Schuldner, der nicht Verbraucher ist, spätestens 30 Tage nach Fälligkeit und Empfang der Gegenleistung in Verzug.

(4) Der Schuldner kommt nicht in Verzug, solange die Leistung infolge eines Umstands unterbleibt, den er nicht zu vertreten hat.

(5) Für eine von den Absätzen 1 bis 3 abweichende Vereinbarung über den Eintritt des Verzugs gilt § 271a Absatz 1 bis 5 entsprechend.

(1) Der Vermieter kann nur kündigen, wenn er ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses hat. Die Kündigung zum Zwecke der Mieterhöhung ist ausgeschlossen.

(2) Ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses liegt insbesondere vor, wenn

1.
der Mieter seine vertraglichen Pflichten schuldhaft nicht unerheblich verletzt hat,
2.
der Vermieter die Räume als Wohnung für sich, seine Familienangehörigen oder Angehörige seines Haushalts benötigt oder
3.
der Vermieter durch die Fortsetzung des Mietverhältnisses an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung des Grundstücks gehindert und dadurch erhebliche Nachteile erleiden würde; die Möglichkeit, durch eine anderweitige Vermietung als Wohnraum eine höhere Miete zu erzielen, bleibt außer Betracht; der Vermieter kann sich auch nicht darauf berufen, dass er die Mieträume im Zusammenhang mit einer beabsichtigten oder nach Überlassung an den Mieter erfolgten Begründung von Wohnungseigentum veräußern will.

(3) Die Gründe für ein berechtigtes Interesse des Vermieters sind in dem Kündigungsschreiben anzugeben. Andere Gründe werden nur berücksichtigt, soweit sie nachträglich entstanden sind.

(4) Eine zum Nachteil des Mieters abweichende Vereinbarung ist unwirksam.

(1) Ein wichtiger Grund im Sinne des § 543 Abs. 1 liegt für den Mieter auch vor, wenn der gemietete Wohnraum so beschaffen ist, dass seine Benutzung mit einer erheblichen Gefährdung der Gesundheit verbunden ist. Dies gilt auch, wenn der Mieter die Gefahr bringende Beschaffenheit bei Vertragsschluss gekannt oder darauf verzichtet hat, die ihm wegen dieser Beschaffenheit zustehenden Rechte geltend zu machen.

(2) Ein wichtiger Grund im Sinne des § 543 Abs. 1 liegt ferner vor, wenn eine Vertragspartei den Hausfrieden nachhaltig stört, so dass dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere eines Verschuldens der Vertragsparteien, und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur sonstigen Beendigung des Mietverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2a) Ein wichtiger Grund im Sinne des § 543 Absatz 1 liegt ferner vor, wenn der Mieter mit einer Sicherheitsleistung nach § 551 in Höhe eines Betrages im Verzug ist, der der zweifachen Monatsmiete entspricht. Die als Pauschale oder als Vorauszahlung ausgewiesenen Betriebskosten sind bei der Berechnung der Monatsmiete nach Satz 1 nicht zu berücksichtigen. Einer Abhilfefrist oder einer Abmahnung nach § 543 Absatz 3 Satz 1 bedarf es nicht. Absatz 3 Nummer 2 Satz 1 sowie § 543 Absatz 2 Satz 2 sind entsprechend anzuwenden.

(3) Ergänzend zu § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 gilt:

1.
Im Falle des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Buchstabe a ist der rückständige Teil der Miete nur dann als nicht unerheblich anzusehen, wenn er die Miete für einen Monat übersteigt. Dies gilt nicht, wenn der Wohnraum nur zum vorübergehenden Gebrauch vermietet ist.
2.
Die Kündigung wird auch dann unwirksam, wenn der Vermieter spätestens bis zum Ablauf von zwei Monaten nach Eintritt der Rechtshängigkeit des Räumungsanspruchs hinsichtlich der fälligen Miete und der fälligen Entschädigung nach § 546a Abs. 1 befriedigt wird oder sich eine öffentliche Stelle zur Befriedigung verpflichtet. Dies gilt nicht, wenn der Kündigung vor nicht länger als zwei Jahren bereits eine nach Satz 1 unwirksam gewordene Kündigung vorausgegangen ist.
3.
Ist der Mieter rechtskräftig zur Zahlung einer erhöhten Miete nach den §§ 558 bis 560 verurteilt worden, so kann der Vermieter das Mietverhältnis wegen Zahlungsverzugs des Mieters nicht vor Ablauf von zwei Monaten nach rechtskräftiger Verurteilung kündigen, wenn nicht die Voraussetzungen der außerordentlichen fristlosen Kündigung schon wegen der bisher geschuldeten Miete erfüllt sind.

(4) Der zur Kündigung führende wichtige Grund ist in dem Kündigungsschreiben anzugeben.

(5) Eine Vereinbarung, die zum Nachteil des Mieters von den Absätzen 1 bis 3 dieser Vorschrift oder von § 543 abweicht, ist unwirksam. Ferner ist eine Vereinbarung unwirksam, nach der der Vermieter berechtigt sein soll, aus anderen als den im Gesetz zugelassenen Gründen außerordentlich fristlos zu kündigen.

(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.

(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(1) Jede Vertragspartei kann das Mietverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich fristlos kündigen. Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere eines Verschuldens der Vertragsparteien, und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur sonstigen Beendigung des Mietverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Ein wichtiger Grund liegt insbesondere vor, wenn

1.
dem Mieter der vertragsgemäße Gebrauch der Mietsache ganz oder zum Teil nicht rechtzeitig gewährt oder wieder entzogen wird,
2.
der Mieter die Rechte des Vermieters dadurch in erheblichem Maße verletzt, dass er die Mietsache durch Vernachlässigung der ihm obliegenden Sorgfalt erheblich gefährdet oder sie unbefugt einem Dritten überlässt oder
3.
der Mieter
a)
für zwei aufeinander folgende Termine mit der Entrichtung der Miete oder eines nicht unerheblichen Teils der Miete in Verzug ist oder
b)
in einem Zeitraum, der sich über mehr als zwei Termine erstreckt, mit der Entrichtung der Miete in Höhe eines Betrages in Verzug ist, der die Miete für zwei Monate erreicht.
Im Falle des Satzes 1 Nr. 3 ist die Kündigung ausgeschlossen, wenn der Vermieter vorher befriedigt wird. Sie wird unwirksam, wenn sich der Mieter von seiner Schuld durch Aufrechnung befreien konnte und unverzüglich nach der Kündigung die Aufrechnung erklärt.

(3) Besteht der wichtige Grund in der Verletzung einer Pflicht aus dem Mietvertrag, so ist die Kündigung erst nach erfolglosem Ablauf einer zur Abhilfe bestimmten angemessenen Frist oder nach erfolgloser Abmahnung zulässig. Dies gilt nicht, wenn

1.
eine Frist oder Abmahnung offensichtlich keinen Erfolg verspricht,
2.
die sofortige Kündigung aus besonderen Gründen unter Abwägung der beiderseitigen Interessen gerechtfertigt ist oder
3.
der Mieter mit der Entrichtung der Miete im Sinne des Absatzes 2 Nr. 3 in Verzug ist.

(4) Auf das dem Mieter nach Absatz 2 Nr. 1 zustehende Kündigungsrecht sind die §§ 536b und 536d entsprechend anzuwenden. Ist streitig, ob der Vermieter den Gebrauch der Mietsache rechtzeitig gewährt oder die Abhilfe vor Ablauf der hierzu bestimmten Frist bewirkt hat, so trifft ihn die Beweislast.

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil der 23. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 11. Juni 2014 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Beklagte ist seit Dezember 2010 Mieter einer 140 qm großen Wohnung des Klägers in H.   . Die spätestens bis zum dritten Werktag eines jeden Monats im Voraus zu entrichtende Miete beläuft sich auf monatlich 1.100 € netto zuzüglich der Miete für die dazugehörige Garage in Höhe von 50 € sowie einer Betriebskostenvorauszahlung von 180 €.

2

Ab Oktober 2011 bezog der Beklagte Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem SGB II. Die seit Januar 2013 vom zuständigen Jobcenter für seine Unterkunft erhaltenen Zahlungen leitete er nicht an den Kläger weiter. Dieser kündigte daraufhin das Mietverhältnis unter dem 17. April 2013 wegen der bis dahin aufgelaufenen Mietrückstände fristlos. Mit seiner am 8. Juni 2013 zugestellten Klage hat er den Beklagten auf Zahlung der rückständigen Miete bis einschließlich Mai 2013 in Höhe von 6.650 € nebst Zinsen sowie auf Räumung der Wohnung in Anspruch genommen. Seine Mietzahlungspflicht hat der Beklagte anerkannt, so dass er durch rechtskräftiges Teilanerkenntnisurteil des Amtsgerichts insoweit antragsgemäß verurteilt worden ist.

3

Nach Zustellung der Klage beantragte der Beklagte bei dem für ihn bis dahin zuständigen Jobcenter die Übernahme der Mietschulden, was mit Rücksicht auf die Größe der Wohnung durch Bescheid vom 26. Juni 2013 abgelehnt wurde. Nachdem sein hiergegen erhobener Widerspruch erfolglos geblieben war, begehrte der Beklagte unter dem 23. Juli 2013 bei dem zuständigen Sozialgericht einstweiligen Rechtsschutz. Dieses verpflichtete das Jobcenter durch einstweilige Anordnung vom 8. August 2013, zur Abwendung der Räumungsklage die vom Kläger eingeklagte rückständige Miete sowie darüber hinaus die fällige Miete beziehungsweise Nutzungsentschädigung zu zahlen; zugleich wurde dem Jobcenter aufgegeben, noch am selben Tage gegenüber dem Kläger eine entsprechende Verpflichtungserklärung abzugeben. Das Jobcenter gab die geforderte Verpflichtungserklärung in der Folge ab, zahlte jedoch an den Kläger lediglich die eingeklagte Miete von Januar bis Mai 2013.

4

Seit Juni 2013 stehen dem Beklagten Sozialleistungen nach dem SGB XII zu, für deren Bewilligung nicht mehr das Jobcenter, sondern die Stadt H.    zuständig ist. Diese bewilligte ihm wegen Bedenken gegen die Angemessenheit der Unterkunftskosten durch Bescheid vom 26. August 2013 lediglich den Regelsatz. Hiergegen erhob der Beklagte am 5. September 2013 Widerspruch. Auf Antrag des Beklagten wurde die Stadt H.    durch Beschluss des zuständigen Sozialgerichts vom 30. April 2014 im Wege einstweiliger Anordnung verpflichtet, die Kosten der Unterkunft des Beklagten für die Zeit von November 2013 bis Juni 2014 zu tragen.

5

Im vorliegenden Rechtsstreit hat das Amtsgericht der Räumungsklage mit Schlussurteil vom 2. Oktober 2013 stattgegeben. Hierbei ist es zwar davon ausgegangen, dass die Kündigung des Klägers vom 17. April 2013 durch die Verpflichtung des Jobcenters, die rückständigen Mieten auszugleichen, gemäß § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 BGB unwirksam geworden ist. Zugleich hat es jedoch eine auf die rückständige Miete für die Monate Juni bis August 2013 gestützte weitere fristlose Kündigung des Klägers vom 30. August 2013 für wirksam erachtet. Die hiergegen gerichtete Berufung des Beklagen hat keinen Erfolg gehabt, nachdem der Kläger das Mietverhältnis wegen der von Oktober 2013 bis März 2014 ausgebliebenen Miete unter dem 12. März 2014 und wegen der von Juli 2013 bis April 2014 ausgebliebenen Miete unter dem 17. April 2014 erneut fristlos gekündigt hatte. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte sein Klageabweisungsbegehren hinsichtlich der Räumungsklage weiter.

Entscheidungsgründe

6

Die Revision hat keinen Erfolg.

I.

7

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

8

Zwar sei die Kündigung vom 30. August 2013 wegen Verstoßes gegen § 242 BGB unwirksam. Denn das Jobcenter habe sich zum Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs gegenüber dem Kläger verpflichtet, die rückständige Miete jedenfalls bis August 2013 auszugleichen; die Vermögensinteressen des Klägers seien deshalb nicht ernsthaft gefährdet gewesen, auch wenn eine Zahlung für die Monate Juni bis August 2013 zum Kündigungszeitpunkt noch nicht erfolgt sei. Allerdings sei das Mietverhältnis durch die anschließende Kündigung vom 12. März 2014 wirksam beendet worden, auf die sich der Kläger ungeachtet der verweigerten Einwilligung des Beklagten im Wege einer sachdienlichen Klageänderung hilfsweise gestützt habe und die er im Wege einer wirksam erhobenen Anschlussberufung auch noch zum Gegenstand seines Räumungsbegehrens habe machen können. Denn der Beklagte sei auch mit der Miete für die Monate Oktober 2013 bis März 2014 in Verzug geraten, so dass hierauf gestützt der Kläger gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB erneut habe kündigen können.

9

Der Annahme eines dafür erforderlichen Zahlungsverzugs stehe nicht entgegen, dass der Beklagte rechtzeitig die entsprechenden Anträge beim zuständigen Sozialamt gestellt und ein sozialgerichtliches Verfahren angestrengt habe, nachdem das Sozialamt sich geweigert habe, die Kosten für die Unterkunft zu tragen. Denn für seine finanzielle Leistungsfähigkeit habe ein Schuldner - wie der Beklagte - verschuldensunabhängig einzustehen. Eine Fallgestaltung, bei der nach einer in der Instanzrechtsprechung teilweise vertretenen Auffassung das Ausbleiben der Mietzahlung ausnahmsweise entschuldigt sein könne, weil der Mieter auf die Mietzahlung durch das Sozialamt habe vertrauen können und von deren Ausbleiben überrascht worden sei oder weil er sonst unabwendbar durch unvorhergesehene Umstände an einer rechtzeitigen Zahlung gehindert gewesen sei, sei hier nicht gegeben. Soweit in der Instanzrechtsprechung auch für die hier gegebene Konstellation bisweilen die Auffassung anklinge, der im Leistungsbezug der ARGE [heute gemäß § 6d SGB II: Jobcenter] stehende Mieter habe mit der rechtzeitigen Leistungsbeantragung alles ihm Obliegende und Zumutbare getan, um die ARGE zur pünktlichen Zahlung der geschuldeten Miete an den Vermieter zu veranlassen und mit Blick auf das Sozialstaatsprinzip dadurch seinem Beschaffungsrisiko genügt, könne dem schon deshalb nicht gefolgt werden, weil auch das Sozialstaatsprinzip nicht so weit gehe, dass es die Verantwortung für den hilfebedürftigen Mieter dem Vermieter anstelle der staatlichen Gemeinschaft aufbürde.

10

Die am 12. März 2014 ausgesprochene Kündigung sei auch nicht durch den Beschluss des Sozialgerichts vom 30. April 2014 unwirksam geworden. Abgesehen davon, dass dieser Beschluss nicht alle der Kündigung zugrunde liegenden Zahlungsrückstände erfasst habe, habe § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 BGB der Gewährung einer erneuten Schonfrist entgegengestanden, da bereits die Kündigung vom 17. April 2013 nach § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 BGB unwirksam geworden sei.

II.

11

Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung stand, so dass die Revision zurückzuweisen ist.

12

Das Berufungsgericht hat den Räumungsanspruch des Klägers (§ 546 Abs. 1 BGB) rechtsfehlerfrei für begründet erachtet, weil das Mietverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 12. März 2014 wirksam beendet worden ist. Zu diesem Zeitpunkt war der Beklagte mit der Entrichtung der Miete (§ 535 Abs. 2 BGB) für die Monate Oktober 2013 bis März 2014 in Verzug, so dass ein für die ausgesprochene fristlose Kündigung erforderlicher wichtiger Grund im Sinne von § 543 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Buchst. a, § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 BGB vorgelegen hat.

13

1. Das Berufungsgericht durfte - anders als die Revision meint - über das auf die Kündigung des Klägers vom 12. März 2014 gestützte Räumungsbegehren in der Sache entscheiden. Denn der Kläger hat diesen Klagegrund zulässigerweise im Wege der Anschlussberufung (§ 524 ZPO) in das Berufungsverfahren eingeführt.

14

a) Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass eine hilfsweise Klageänderung vorgelegen hat, als der Kläger im Berufungsrechtszug sein Räumungsbegehren nunmehr auch auf die Kündigung vom 12. März 2014 gestützt hat. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wird der Streitgegenstand durch den Klageantrag, in dem sich die vom Kläger in Anspruch genommene Rechtsfolge konkretisiert, und durch den Lebenssachverhalt (Klagegrund) bestimmt, aus dem der Kläger die begehrte Rechtsfolge herleitet (BGH, Urteile vom 9. Juni 2011 - I ZR 41/10, GRUR 2012, 180 Rn. 19; vom 7. Dezember 2007 - V ZR 210/06, NJW 2008, 1953 Rn. 15; jeweils mwN). Dementsprechend hat der Kläger, der erstinstanzlich mit dem auf die Kündigung vom 30. August 2013 gestützten Räumungsbegehren durchgedrungen war, dadurch, dass er dieses Begehren zusätzlich mit der Kündigung vom 12. März 2014 unterlegt hat, einen neuen Streitgegenstand in den Prozess eingeführt, nämlich ein Räumungsbegehren, das hilfsweise auf diese erneute Kündigung und den darin geltend gemachten Kündigungsgrund gestützt war (vgl. Senatsbeschluss vom 20. November 2012 - VIII ZR 157/12, GE 2013, 117 Rn. 8). Die auf diese Weise herbeigeführte nachträgliche (Eventual-)Klage-häufung (§ 260 ZPO) ist deshalb wie eine Klageänderung im Sinne der §§ 263, 533 ZPO mit den dafür geltenden Regeln zu behandeln (vgl. BGH, Urteile vom 27. September 2006 - VIII ZR 19/04, NJW 2007, 2414 Rn. 8; vom 10. Januar 1985 - III ZR 93/83, NJW 1985, 1841 unter 4; jeweils mwN; BGH, Beschluss vom 20. November 2012 - VIII ZR 157/12, aaO).

15

b) Den neuen Klagegrund konnte und musste der Kläger zweitinstanzlich im Wege eines Anschlussrechtsmittels in den Rechtsstreit einführen. Denn der Berufungsbeklagte, der seine in erster Instanz erfolgreiche Klage erweitern oder auf einen neuen Klagegrund stellen will, muss sich dazu gemäß § 524 ZPO der Berufung der Gegenseite anschließen. Das gilt entgegen der Auffassung der Revision auch dann, wenn - wie hier - die Einführung des neuen Klagegrundes eine Änderung des Sachantrags nicht erforderlich macht. Auch in einem solchen Fall will nämlich der Berufungsbeklagte, der im Berufungsrechtszug seine Klage auf einen anderen Klagegrund stützt, damit mehr erreichen als die bloße Bestätigung der erstinstanzlichen Entscheidung über den mit der Klage verfolgten Anspruch (BGH, Urteile vom 9. Juni 2011 - I ZR 41/10, aaO Rn. 22; vom 7. Dezember 2007 - V ZR 210/06, aaO).

16

c) Rechtsfehlerfrei ist das Berufungsgericht weiter davon ausgegangen, dass die Anschlussberufung auch sonst den Anforderungen des § 524 ZPO genügt. Insoweit erhebt auch die Revision keine Beanstandungen. Insbesondere ist es unschädlich, dass der Kläger, als er sich in seiner Berufungserwiderung auf die spätere Kündigung gestützt hat, dieses Vorgehen nicht als Anschlussberufung bezeichnet hat. Für die Einlegung eines Anschlussrechtsmittels ist keine dahingehende ausdrückliche Erklärung erforderlich. Es genügt vielmehr jede Erklärung, die sich ihrem Sinn nach als Begehren auf Abänderung des Urteils erster Instanz darstellt. Dementsprechend kann der Anschluss an das Rechtsmittel der Gegenseite auch konkludent in der Weise erfolgen, dass der Kläger - wie im Streitfall - sein im Übrigen unverändertes Klagebegehren auf einen weiteren Klagegrund stützt (BGH, Urteil vom 9. Juni 2011 - I ZR 41/10, aaO Rn. 26).

17

2. Entgegen der Auffassung der Revision hat das Berufungsgericht zu Recht angenommen, dass der Beklagte bei Ausspruch der Kündigung vom 12. März 2014 mit der Zahlung der Miete für die Monate Oktober 2013 bis März 2014 in Verzug war. Dass der Beklagte, um die Miete entrichten zu können, auf Sozialleistungen einer öffentlichen Stelle angewiesen war und diese Leistungen rechtzeitig beantragt hatte, ändert an dem - neben den hier gegebenen Voraussetzungen des § 286 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB für einen Verzugseintritt erforderlichen - Vertretenmüssen (§ 286 Abs. 4 BGB) ebenso wenig etwas wie der Umstand, dass der zuständige Träger der Sozialhilfe nach Kündigungsausspruch zur Übernahme der Mietschulden verpflichtet worden ist.

18

a) Zur Verantwortlichkeit des Schuldners und damit auch zu der von § 286 Abs. 4 BGB geforderten Zurechnung einer Nichtleistung trotz Fälligkeit sieht § 276 Abs. 1 Satz 1 BGB vor, dass der Schuldner Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten hat, wenn eine strengere oder mildere Haftung weder bestimmt noch aus dem sonstigen Inhalt des Schuldverhältnisses, insbesondere aus der Übernahme einer Garantie oder eines Beschaffungsrisikos, zu entnehmen ist. Eine solche strengere Haftung besteht aber nach allgemeiner Auffassung bei Geldschulden. Danach befreit eine Leistungsunfähigkeit aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten, um die es hier geht, den Schuldner auch dann nicht von den Folgen des Ausbleibens der (rechtzeitigen) Leistung, wenn sie auf unverschuldeter Ursache beruht. Vielmehr hat jedermann nach dem Prinzip der unbeschränkten Vermögenshaftung, das § 276 Abs. 1 Satz 1 BGB genauso zugrunde liegt wie der Vorgängerregelung des § 279 BGB aF und das im Übrigen auch aus dem geltenden Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrecht abzuleiten ist, ohne Rücksicht auf ein Verschulden für seine finanzielle Leistungsfähigkeit einzustehen (BGH, Urteile vom 28. Februar 1989 - IX ZR 130/88, BGHZ 107, 92, 102 mwN; vom 11. Dezember 2001 - VI ZR 350/00, WM 2002, 347 unter II 3 b; vom 15. März 2002 - V ZR 396/00, BGHZ 150, 187, 194; ebenso auch BT-Drucks. 14/6040, S. 132).

19

b) Dieses Verständnis des Vertretenmüssens im Falle mangelnder finanzieller Leistungsfähigkeit gilt auch für Mietzahlungspflichten und die bei Ausbleiben der Miete bestehenden Kündigungsmöglichkeiten des Vermieters aus wichtigem Grund nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB (Senatsurteil vom 16. Februar 2005 - VIII ZR 6/04, NZM 2005, 334 unter II 2 d cc; Staudinger/Emmerich, BGB, Neubearb. 2014, § 543 Rn. 56a; Schmidt-Futterer/Blank, Mietrecht, 11. Aufl., § 543 BGB Rn. 96 f.; Wiek, WuM 2010, 204, 205; jeweils mwN). Soweit in der Instanzrechtsprechung teilweise die Auffassung vertreten oder jedenfalls erwogen wird, ein Mieter, der Sozialleistungen einer öffentlichen Stelle beziehe, genüge seinen Pflichten zur Beschaffung der zur Entrichtung der Miete benötigten Geldmittel bereits dann, wenn er alles ihm Obliegende und Zumutbare getan habe, um die öffentliche Stelle zur pünktlichen Zahlung der für seine Unterkunft geschuldeten Miete zu veranlassen (LG Bonn, Beschluss vom 10. November 2011 - 6 T 198/11, juris Rn. 5; Urteil vom 6. November 2014 - 6 S 154/14, juris Rn. 15; LG Wiesbaden, WuM 2012, 623, 624; ähnlich LG Berlin, NZM 2013, 121, 122; WuM 2014, 607 f.), trifft dies nicht zu.

20

aa) Zwar braucht sich - wie der Senat klargestellt hat - ein hilfebedürftiger Wohnungsmieter die Säumnis einer öffentlichen Stelle, die die Kosten seiner Unterkunft zu übernehmen hat, nicht gemäß § 278 BGB als eigenes Verschulden zurechnen zu lassen. Denn eine Behörde, die im Rahmen der Daseinsvorsorge staatliche Transferleistungen an einen Bürger erbringt, ist hierbei nicht Erfüllungsgehilfe des Mieters zur Erfüllung seiner Zahlungsverpflichtungen gegenüber seinem Vermieter (Senatsurteil vom 21. Oktober 2009 - VIII ZR 64/09, NJW 2009, 3781 Rn. 30). Das ändert entgegen der Auffassung der Revision aber nichts daran, dass der Mieter verschuldensunabhängig für seine finanzielle Leistungsfähigkeit einzustehen hat.

21

Dementsprechend sind auch die nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB allein auf den Umstand des Zahlungsverzugs abstellenden Kündigungsgründe vom Gesetzgeber so konzipiert worden, dass sie - anders als § 543 Abs. 1, § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB (dazu Senatsurteile vom 16. Februar 2005 - VIII ZR 6/04, aaO; vom 21. Oktober 2009 - VIII ZR 64/09, aaO Rn. 26) - eine Berücksichtigung von persönlichen Umständen und Zumutbarkeitserwägungen grundsätzlich nicht zulassen (Senatsurteil vom 15. April 1987 - VIII ZR 126/86, WM 1987, 932 unter II 1 c). Vielmehr ist danach bei Vorliegen der Tatbestände des § 543 Abs. 2 BGB allein aus diesem Grund eine außerordentliche fristlose Kündigung möglich, ohne dass die in § 543 Abs. 1 BGB genannten Abwägungsvoraussetzungen noch zusätzlich erfüllt sein müssen. Denn nach der Gesetzessystematik und den ihr zugrunde liegenden gesetzgeberischen Wertungen handelt es sich bei den in § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 BGB aufgeführten, die (objektive) Verletzung bestimmter mietrechtlicher (Kardinal-)Pflichten von erheblichem Gewicht betreffenden Kündigungsgründen um gesetzlich typisierte Fälle der Unzumutbarkeit einer weiteren Fortsetzung des Mietverhältnisses. Soweit deren tatbestandliche Voraussetzungen erfüllt sind, ist danach grundsätzlich auch ein wichtiger Grund im Sinne von § 543 Abs. 1 BGB zur fristlosen Kündigung gegeben (vgl. Senatsurteile vom 14. Juli 2010 - VIII ZR 267/09, NJW 2010, 3020 Rn. 15; vom 29. April 2009 - VIII ZR 142/08, NJW 2009, 2297 Rn. 16 mwN; vom 26. März 1969 - VIII ZR 76/67, WM 1969, 625 unter IV 3 c).

22

bb) Gegenläufige Wertungskriterien, die eine abweichende rechtliche Beurteilung der aufgrund mangelnder finanzieller Leistungsfähigkeit des Mieters und seines Angewiesenseins auf öffentliche Sozialleistungen ausgebliebenen Mietzahlungen und einer hierauf gestützten Kündigung tragen könnten, zeigt die Revision nicht auf. Insbesondere steht der von ihr hervorgehobene Umstand, dass der Beklagte bei dem für ihn zuständigen Sozialhilfeträger rechtzeitig die Übernahme seiner Wohnungskosten beantragt und dieser die Übernahme - wie revisionsrechtlich zu unterstellen ist - zunächst zu Unrecht verweigert hatte, einer Wirksamkeit der Kündigung des Klägers vom 12. März 2014 nicht entgegen.

23

Der Gesetzgeber, der es seit langem als eine in der Sozialstaatsverpflichtung des Art. 20 Abs. 1 GG angelegte Aufgabe begreift, den vertragstreuen Mieter vor willkürlichen beziehungsweise vor nicht von berechtigten Interessen des Vermieters getragenen Kündigungen und damit dem Verlust seiner Wohnung zu schützen (vgl. nur BT-Drucks. 7/2011, S. 7), hat die in Rede stehende Problemlage gesehen, sie jedoch nicht dadurch zu bereinigen versucht, dass er - abweichend von den sonst geltenden rechtlichen Maßstäben - die Anforderungen an die Leistungspflichten des Mieters und ein Vertretenmüssen von Mietzahlungsrückständen zu Lasten des Vermieters herabgesetzt und dadurch die Kündigungsvoraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB verändert hat. Er hat dem Interesse des durch einen erheblichen Mietrückstand vertragsuntreu gewordenen Mieters an einem Erhalt der gemieteten Wohnung vielmehr dadurch Rechnung getragen, dass er ihm - allerdings vorrangig zum Zwecke der im allgemeinen Interesse liegenden Vermeidung von Obdachlosigkeit - durch § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 BGB genauso wie zuvor schon durch § 554 Abs. 2 Nr. 2 BGB aF die Möglichkeit zur einmaligen Nachholung rückständiger Mietzahlungen innerhalb von zwei Jahren eingeräumt hat, um bei deren Einhaltung eine auf den eingetretenen Mietzahlungsverzug gestützte Kündigung unwirksam werden zu lassen (BT-Drucks. 14/4553, S. 64).

24

Zugleich hat der Gesetzgeber es bei Verfolgung dieses Ziels genügen lassen, dass eine Befriedigung des Vermieters nicht sofort, wie in § 535 Abs. 2, § 556b Abs. 1 BGB vorgesehen, durch Entrichtung der bis dahin fälligen Miete oder Entschädigung, sondern durch Vorlage der entsprechenden Verpflichtungserklärung einer öffentlichen Stelle erfolgt (vgl. bereits BT-Drucks. IV/806, S. 10). Aufgrund der Erkenntnis, dass sich die ursprünglich vorgesehene Nachholungsfrist von einem Monat für die Sozialhilfebehörden häufig als zu kurz erwiesen hat, hat er, um diesen Behörden ein auf die Vermeidung von Obdachlosigkeit finanziell schwacher Mieter gerichtetes Tätigwerden zu erleichtern, bei Schaffung des § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 BGB schließlich die Schonfrist für die Nachholung der Zahlung der rückständigen Miete und der fälligen Nutzungsentschädigung oder der Vorlage einer entsprechenden Verpflichtungserklärung um einen Monat auf zwei Monate verlängert (BT-Drucks. 14/4553, aaO; vgl. dazu auch Senatsurteil vom 14. Juli 2010 - VIII ZR 267/09, NJW 2010, 3020 Rn. 21).

25

Durch diese Sonderregelung (vgl. Senatsurteil vom 14. Juli 2010 - VIII ZR 267/09, aaO) hat der Gesetzgeber - allerdings abschließend - im allgemeinen Interesse zugleich auch dem Anliegen eines leistungsunfähigen Mieters, eine auf einen erheblichen Mietzahlungsverzug gestützte fristlose Kündigung des Vermieters nachträglich ungeschehen zu machen und ihm so die gemietete Wohnung zu erhalten, Rechnung getragen (im Ergebnis ebenso Schmidt-Futterer/Blank, aaO Rn. 97). Die dem Mieter auf diese Weise kraft Gesetzes einmalig eingeräumte Nachfrist zur Beschaffung der zur Mietzahlung erforderlichen Mittel, zumindest aber zur Herbeiführung der erforderlichen Verpflichtungserklärung, kann entgegen der Auffassung der Revision deshalb nicht dahin erweitert werden, dass über den eindeutigen Gesetzeswortlaut hinaus bereits die Beantragung der zur Erbringung der Mietzahlungen erforderlichen öffentlichen Mittel genügen soll. Denn die damit verbundene Ungewissheit, den Gebrauch der Mietsache weiterhin gewähren zu müssen, ohne als Gegenleistung zumindest die Sicherheit einer Begleichung der bis dahin fälligen Mietrückstände zu haben, hat der Gesetzgeber dem Vermieter über den zweimonatigen Schonfristzeitraum hinaus gerade nicht mehr aufbürden wollen.

26

c) Da nach den unangegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts bereits die unter dem 17. April 2013 wegen der bis dahin seit Januar 2013 aufgelaufenen Mietrückstände ausgesprochene fristlose Kündigung durch die im August 2013 abgegebene Verpflichtungserklärung des Jobcenters gemäß § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 BGB unwirksam geworden war, kommt auch eine erneute Anwendung dieser Bestimmung hinsichtlich der auf den weiteren Mietzahlungsverzug im Zeitraum von Oktober 2013 bis März 2014 gestützten Kündigung vom 12. März 2014 von vornherein nicht mehr in Betracht (§ 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 BGB). Das Mietverhältnis der Parteien ist durch diese Kündigung vielmehr wirksam beendet worden.

Dr. Milger                            Dr. Hessel                        Dr. Achilles

                    Dr. Bünger                            Kosziol

*

(1) Leistet der Schuldner auf eine Mahnung des Gläubigers nicht, die nach dem Eintritt der Fälligkeit erfolgt, so kommt er durch die Mahnung in Verzug. Der Mahnung stehen die Erhebung der Klage auf die Leistung sowie die Zustellung eines Mahnbescheids im Mahnverfahren gleich.

(2) Der Mahnung bedarf es nicht, wenn

1.
für die Leistung eine Zeit nach dem Kalender bestimmt ist,
2.
der Leistung ein Ereignis vorauszugehen hat und eine angemessene Zeit für die Leistung in der Weise bestimmt ist, dass sie sich von dem Ereignis an nach dem Kalender berechnen lässt,
3.
der Schuldner die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert,
4.
aus besonderen Gründen unter Abwägung der beiderseitigen Interessen der sofortige Eintritt des Verzugs gerechtfertigt ist.

(3) Der Schuldner einer Entgeltforderung kommt spätestens in Verzug, wenn er nicht innerhalb von 30 Tagen nach Fälligkeit und Zugang einer Rechnung oder gleichwertigen Zahlungsaufstellung leistet; dies gilt gegenüber einem Schuldner, der Verbraucher ist, nur, wenn auf diese Folgen in der Rechnung oder Zahlungsaufstellung besonders hingewiesen worden ist. Wenn der Zeitpunkt des Zugangs der Rechnung oder Zahlungsaufstellung unsicher ist, kommt der Schuldner, der nicht Verbraucher ist, spätestens 30 Tage nach Fälligkeit und Empfang der Gegenleistung in Verzug.

(4) Der Schuldner kommt nicht in Verzug, solange die Leistung infolge eines Umstands unterbleibt, den er nicht zu vertreten hat.

(5) Für eine von den Absätzen 1 bis 3 abweichende Vereinbarung über den Eintritt des Verzugs gilt § 271a Absatz 1 bis 5 entsprechend.

(1) Der Schuldner hat Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten, wenn eine strengere oder mildere Haftung weder bestimmt noch aus dem sonstigen Inhalt des Schuldverhältnisses, insbesondere aus der Übernahme einer Garantie oder eines Beschaffungsrisikos, zu entnehmen ist. Die Vorschriften der §§ 827 und 828 finden entsprechende Anwendung.

(2) Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt.

(3) Die Haftung wegen Vorsatzes kann dem Schuldner nicht im Voraus erlassen werden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
V ZR 396/00 Verkündet am:
15. März 2002
K a n i k ,
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja

a) Haftet der Käufer wegen ungerechtfertigter Bereicherung, kann der Verkäufer, der
zugunsten des Darlehensgebers des Käufers das Grundstück vor Eigentumsübertragung
mit einer Grundschuld belastet hat, die Aufhebung oder Übertragung
der Grundschuld verlangen, wenn der Gläubiger zu deren Ablösung bereit
ist; ein Anspruch auf Wertersatz besteht (jedenfalls) dann nicht (Abgrenzung
zu BGHZ 112, 376).

b) Reicht die Bereicherung des Käufers (Darlehensvaluta, Zinsersparnis gegenüber
anderen Kreditformen, Grundstücksnutzungen, Ersatz für Verwendungen u.a.) zur
Ablösung der Grundschuld nicht hin, steht der Anspruch des Verkäufers auf deren
Aufhebung oder Übertragung unter dem Vorbehalt der Zahlung des Restes Zug
um Zug.
BGH, Urt. v. 15. März 2002 - V ZR 396/00 - Brandenburgisches OLG
LG Cottbus
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
vom 15. März 2002 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Wenzel und die Richter
Tropf, Schneider, Dr. Klein und Dr. Lemke

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Streithelferin der Beklagten (Nebenintervenientin ) werden das Urteil des 5. Zivilsenats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 26. Oktober 2000 und dessen Versäumnisurteil vom 6. April 2000 aufgehoben.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Cottbus vom 19. November 1998 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Rechtsmittelinstanzen einschließlich der Kosten der Nebenintervenientin hat die Klägerin mit Ausnahme der durch die Säumnis im Termin vom 6. April 2000 bedingten Kosten, die den Beklagten auferlegt werden, zu tragen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Die Klägerin, ein Treuhandunternehmen, ist seit 18. Januar 1993 im Grundbuch als Eigentümerin des in E. gelegenen, ehemals volkseigenen Grundstücks Flurstück 574/7 eingetragen. Mit notariellem Kaufvertrag vom 27. August 1992 verkaufte sie "das Grundstück Flurstück 574/7" zum Preis von 875.000 DM an die Beklagten. Die verkaufte Fläche wurde in einem der Vertragsurkunde beigefügten Lageplan schraffiert gekennzeichnet. Die Kennzeichnung sollte im Falle von Abweichungen maßgebend sein. Bei Vertragsabschluß traten für die Klägerin vollmachtlose Vertreter sowie als gesetzliche Vertreter die BvS (damals Treuhandanstalt) auf. Diese handelte zugleich für sich selbst.
Mit notariellem Vertrag vom 17. Dezember 1992 änderten die – von ihrem Liquidator vertretene - Klägerin und die Beklagten die vertraglichen Fälligkeits - und Kaufpreiszahlungsregelungen ohne Beteiligung der Treuhandanstalt ab und bestimmten, daß es ansonsten bei dem Inhalt der Ursprungsurkunde verbleibe, der von der Klägerin genehmigt werde. Sie vereinbarten insbesondere :
"1. Der Besitz am Kaufgegenstand soll übergehen mit Eingang des vereinbarten Grundstückskaufpreises auf dem Notaranderkonto des amtierenden Notars. 2. Der Kaufpreis ist zur Zahlung fällig am 31. Dezember 1992. Er ist bei Fälligkeit auf ein noch einzurichtendes Anderkonto des amtierenden Notars zur Auszahlung zu bringen. ... Der amtierende Notar wird angewiesen, das Anderkonto als Festgeldkonto mit monatlicher Kündigungsfrist zu führen. Er soll den hinterlegten Kaufpreis incl. zwischenzeitlich angefallener Zinsen an den Verkäufer auf das
in der Ursprungsurkunde angegebene Bankkonto des Verkäufers zur Auszahlung bringen, wenn eine lastenfreie Eigentumsumschreibung auf die Käufer mit Ausnahme solcher Belastungen, an deren Entstehung sie mitgewirkt haben, erfolgt ist. ... 4. Zur Finanzierung des Kaufpreises bevollmächtigt der Verkäufer die Käufer unter Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB, den Kaufgegenstand schon vor Eigentumsumschreibung mit Grundpfandrechten bis zur Höhe von DM 1.500.000,00 zuzüglich Zinsen und Kosten zu belasten. Diese Belastungsvollmacht ist im Innenverhältnis dahingehend beschränkt, daû von ihr in den Kaufpreis übersteigende Höhe nur Gebrauch gemacht werden darf, wenn dem beurkundenden Notar eine Erklärung des Kreditinstitutes vorgelegt wird, daû die den Kaufpreis übersteigenden Beträge nur objektbezogen für den in der Ursprungsurkunde erworbenen Grundbesitz valutiert werden." Von der Belastungsvollmacht machten die Beklagten am 17. Dezember 1992 Gebrauch und bestellten der Kreissparkasse B. L. eine erstrangige Grundschuld über 1,5 Mio. DM, die am 23. Januar 1993 in das Grundbuch eingetragen wurde. Die Sparkasse hinterlegte unter Auflagen den zu zahlenden Kaufpreis beim Notar, woraufhin die Beklagten das Grundstück in Besitz nahmen.
Am 22. Juli 1995 erteilte die BvS für den Vertrag vom 27. August 1992 die Grundstücksverkehrsgenehmigung unter Bezeichnung des Flurstücks 574/7 als Vertragsgegenstand. Im Herbst 1995 stellte sich heraus, daû das Flurstück 574/7 nicht deckungsgleich mit der im Lageplan ausgewiesenen Fläche ist. Diese umfaût vielmehr auch das an die öffentliche Straûe angrenzende Zufahrtsgrundstück Flurstück 571/5. Mit Schreiben vom 4. Oktober 1995 traten die Beklagten deswegen von den notariellen Verträgen zurück. In der
Folgezeit bemühte sich die Klägerin vergeblich um den Erwerb des Grundstücks Flurstück 571/5. Ihr gelang es lediglich, einen befristeten Pachtvertrag über dieses Grundstück abzuschlieûen und eine Teilfläche des Flurstücks 577/2, das ebenfalls das Flurstück 574/7 mit der Straûe verbindet, anzukaufen. Am 29. Februar 1996 verständigten sich die Parteien darauf, den Kaufpreis auf 650.000 DM herabzusetzen, den Beklagten die Pächterstellung zu überlassen und ihnen den erworbenen Teil des Flurstücks 577/2 zu übereignen. Diese Vereinbarungen wurden am 30. Mai 1996 notariell beurkundet, wobei für die Klägerin und die BvS ein vollmachtloser Vertreter auftrat, dessen Erklärungen die BvS nicht genehmigte.
Die Klägerin hat die Beklagten auf Zustimmung in die Auszahlung des beim Notar hinterlegten Betrages in Anspruch genommen. Den Anspruch hat sie in erster Linie auf den Kaufvertrag gestützt, in zweiter Linie hat sie Ersatz für die Belastung ihres Grundstücks verlangt. Hilfsweise hat sie beantragt, die Wirksamkeit des am 27. August 1992 abgeschlossenen Kaufvertrages festzustellen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat dem Hauptantrag der Klägerin durch Versäumnisurteil stattgegeben. Die Nebenintervenientin , die Rechtsnachfolgerin der Kreissparkasse B. L., ist dem Rechtsstreit auf seiten der Beklagten beigetreten. Auf ihren Einspruch hat das Oberlandesgericht das Versäumnisurteil aufrechterhalten. Hiergegen richtet sich die von der Nebenintervenientin eingelegte Revision, die die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils anstrebt. Die Klägerin beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:


I.


Das Berufungsgericht ist der Auffassung, die Nebenintervenientin sei wirksam auf Seiten der Beklagten beigetreten und habe ordnungsgemäû Einspruch gegen das ergangene Versäumnisurteil eingelegt. Das Versäumnisurteil sei jedoch aufrechtzuerhalten, da der Klägerin aus ungerechtfertigter Bereicherung ein Anspruch auf Freigabe des hinterlegten Kaufpreises zustehe. Der Kaufvertrag vom 27. August 1992 sei mangels Genehmigung durch den Liquidator der Klägerin unwirksam. Auch der Änderungsvertrag vom 17. Dezember 1992 entfalte keine Rechtswirkungen, denn die Treuhandanstalt sei bei Abschluû dieses Vertrages nicht beteiligt gewesen. Ein vertraglicher Anspruch auf Zustimmung zur Auszahlung des hinterlegten Geldbetrages bestehe daher nicht. Die Klägerin sei aber gemäû §§ 812, 818 Abs. 2 BGB berechtigt, Wertersatz in Höhe der hinterlegten Darlehensvaluta für die Wertminderung ihres Grundstücks zu verlangen, die durch die Belastung mit einer Sicherungsgrundschuld eingetreten sei. Das Grundpfandrecht sei wirksam entstanden, obwohl die Klägerin keine rechtsgültige Belastungsvollmacht erteilt habe und die Beklagten bei der Grundschuldbestellung daher als Nichtberechtigte verfügt hätten. Denn die Klägerin habe die Bestellung dieses Grundpfandrechts durch ihre Klage auf Herausgabe des hinterlegten Betrages nachträglich gemäû § 185 Abs. 2 BGB genehmigt.

II.

1. Die von der Nebenintervenientin eingelegte Revision ist zulässig, soweit sie zugunsten der Beklagten zu 1 und zu 3 erfolgte.

a) Der Senat hat die Wirksamkeit des Beitritts (§§ 66, 70 ZPO) nicht zu prüfen. Denn das Berufungsgericht hat die von der Klägerin und dem Beklagten zu 2 gegen die Zulässigkeit der Nebenintervention erhobenen Rügen als unbegründet erachtet und durch das im Endurteil enthaltene Zwischenurteil (§ 71 Abs. 1 ZPO) den Beitritt zugelassen (vgl. Senat, Urt. v. 10. Juli 1963, V ZR 132/61, NJW 1963, 2027; BGH, Beschl. v. 20. März 1985, IVa ZB 1/85, VersR 1985, 551). Dieses Zwischenurteil ist gemäû § 71 Abs. 2 ZPO, § 567 Abs. 4 ZPO a.F. unanfechtbar. Der im Berufungsrechtszug erklärte Beitritt wirkt für die Revisionsinstanz fort.

b) Die Befugnis der Nebenintervenientin, gegen das Berufungsurteil Revision einzulegen, ist allerdings auf die Beklagten zu 1 und zu 3 beschränkt; denn sie hat nicht die Stellung einer streitgenössischen Nebenintervenientin im Sinne des § 69 ZPO erlangt. Die Rechtskraft der im Streit der Parteien ergehenden Entscheidung erstreckt sich nämlich nicht auf das Rechtsverhältnis der Nebenintervenientin zur Klägerin (vgl. BGHZ 92, 275, 277). Damit ist es der Nebenintervenientin verwehrt, gegen den ausdrücklichen oder sich aus dem Gesamtverhalten ergebenden Widerspruch der unterstützten Partei Rechtsmittel einzulegen (BGHZ 49, 183, 188; Senat, Beschl. v. 1. Juli 1993, V ZR 235/92, NJW 1993, 2944, 2945). Der Beklagte zu 2 hat bereits dem Einspruch gegen das Versäumnisurteil des Berufungsgerichts und damit der Fortführung des Verfahrens widersprochen. Dies bindet die Nebenintervenientin nach § 67 ZPO.

2. Gleichwohl erwächst das Berufungsurteil auch hinsichtlich des Beklagten zu 2 nicht in Rechtskraft. Denn mit ihrer Klage auf Einwilligung in die Auszahlung des hinterlegten Kaufpreises macht die Klägerin eine von den Beklagten nur gemeinschaftlich erfüllbare Verpflichtung geltend, so daû diese als materiell-rechtlich notwendige Streitgenossen im Sinne von § 62 Abs. 1, 2. Alt. ZPO in Anspruch genommen werden (vgl. Senat, Urt. v. 15. Oktober 1999, V ZR 141/98, NJW 2000, 291, 292 für den Fall von BGB-Gesellschaftern; MünchKomm-ZPO/Schilken 2. Aufl., § 62 Rdn. 33; Musielak/Weth, ZPO, 2. Aufl., § 62 Rdn. 11). Dies hat zur Folge, daû eine wirksam zugunsten der übrigen Beklagten eingelegte Revision auch den Eintritt der Rechtskraft des Berufungsurteils gegen den Beklagten zu 2 hindert (Senat, BGHZ 131, 376, 382) und dieser zwar nicht als Rechtsmittelkläger, wohl aber gemäû § 62 ZPO als Partei am Revisionsverfahren beteiligt ist (Senat BGHZ 92, 351, 352 ff; Urt. v. 18. Mai 2001, V ZR 353/99, WM 2001, 1905).

III.

Die Revision hat auch in der Sache Erfolg.
1. Die Klägerin kann die Einwilligung zur Auszahlung des hinterlegten Geldbetrages nicht als Erfüllung des Kaufvertrags (§ 433 Abs. 2 BGB) verlangen.

a) Der von den Parteien unter Einbeziehung der Treuhandanstalt geschlossene Kaufvertrag vom 27. August 1992 bietet hierfür keine Grundlage. Der Vertrag wurde von der Klägerin, für die im Beurkundungstermin vollmacht-
lose Vertreter aufgetreten waren, nicht genehmigt (§ 177 Abs. 1 BGB). Der Liquidator der Klägerin hat die Genehmigungserklärung ausdrücklich nur unter erheblichen Abweichungen erteilt und damit nach den fehlerfreien Feststellungen des Berufungsgerichts dem ursprünglichen Kaufvertrag mit dem dort vereinbarten Inhalt endgültig seine Zustimmung verweigert (vgl. auch Senat, Urt. v. 1. Oktober 1999, V ZR 168/98, NJW 1999, 3704). Ohne Zustimmung der Klägerin sollte dem Vertrag nach dem Willen der Beteiligten keine Wirksamkeit zukommen (zu dreiseitigen Investitionsverträgen der Treuhandunternehmen vgl. Weimar, BB 1993, 378).

b) Auch der unter Ausschluû der Treuhandanstalt unmittelbar zwischen den Parteien abgeschlossene Vertrag vom 17. Dezember 1992 scheidet als Anspruchsgrundlage aus. Denn die Beklagten sind von diesem Geschäft am 4. Oktober 1995 wirksam zurückgetreten. Die Klägerin, die bei Abschluû des Kaufvertrags die Garantie zur Übertragung des Eigentums an den verkauften Flächen übernommen hatte (Senat BGHZ 129, 103, 105), war weder bei Vertragsschluû noch in der Folgezeit in der Lage, neben der Verschaffung des Eigentums an dem Flurstück 574/7 auch die geschuldete Übereignung des Flurstücks 571/5 zu bewirken. Die sich damit aus §§ 440 Abs. 1, 325 Abs. 1 BGB a.F. ergebende Rücktrittsbefugnis der Beklagten (vgl. Senat BGHZ 62, 119, 120; Urt. v. 10. März 1972, V ZR 87/70, WM 1972, 656 ff; Urt. v. 24. Juni 1988, V ZR 49/87, NJW 1988, 2878; BGH, Urt. v. 7. Mai 1997, VIII ZR 253/96, NJW 1997, 3164, 3165) erstreckte sich auf den gesamten Vertrag, obwohl die Klägerin ihrer Verschaffungspflicht nur hinsichtlich einer 78 m² groûen Teilfläche (Rest 3.036 m²) nicht nachgekommen war. Denn der Erwerb der Flächen bildete nach dem Willen der Vertragsparteien ein unteilbares, nur einheitlich rückabwickelbares Rechtsgeschäft (vgl. Senat, Urt. v. 30. April 1976, V ZR
143/74, NJW 1976, 1931, 1932; BGH, Urt. v. 27. Juni 1990, VIII ZR 72/89, WM 1990, 2000, 2003). Der Senat kann diese, vom Berufungsgericht unterlassene, Auslegung der vertraglichen Erklärung selbst vornehmen, da weitere Feststellungen nicht in Betracht kommen (Senat, Urt. v. 1. Oktober 1999, V ZR 168/98, NJW 1999, 3704, 3705): Der Wille der Parteien, die Kaufsache bei Vertragsabschluû als unteilbar zu bewerten, ergibt sich aus Zustand und Lage des verkauften Gesamtgrundstücks sowie aus dem Umstand, daû die Vertragsschlieûenden beiderseits davon ausgingen, Gegenstand des Geschäfts sei ein einheitliches Grundstück.
Ein Rücktrittsrecht vom gesamten Vertrag war dem Beklagten auch nicht wegen der Bemühungen der Klägerin zur Ersatzbeschaffung verwehrt. Denn ohne die Übereignung des Flurstücks 571/5 fehlt dem Grundstück im übrigen eine rechtlich gesicherte Anbindung an das öffentliche Straûennetz, die für dessen Nutzung von wesentlicher Bedeutung war (vgl. auch Senat, Urt. v. 20. Dezember 1996, V ZR 277/95, NJW 1997, 938, 939 für den Fall eines Grabengrundstücks ); der von der Klägerin abgeschlossene Pachtvertrag konnte dies nicht in gleicher Weise gewährleisten. Die Beklagten waren auch nicht verpflichtet, der Klägerin Gelegenheit zur Übereignung einer anderen Zufahrtsfläche zu geben, zumal der Abschluû eines solchen Ersatzgeschäfts ungewiû war, wie sich auch bei den später gescheiterten Vergleichsverhandlungen zeigte.

c) Schlieûlich kommt auch die auf die Vergleichsbemühungen der Parteien zurückzuführende notarielle Vereinbarung vom 30. Mai 1996 als Anspruchsgrundlage nicht in Frage. Dieser Vertrag sollte, wie das ursprüngliche Geschäft vom 27. August 1992, dreiseitig, nämlich unter Einbeziehung der
Treuhandanstalt (s. oben zu a), abgeschlossen werden. Die Treuhandanstalt hat die Genehmigung der Erklärungen, die für sie ohne Vertretungsmacht abgegeben worden waren, versagt.
2. Die Klägerin kann die Freigabe des hinterlegten Betrags auch nicht als Wertersatz für die Grundstücksbelastung im Zuge der Rückabwicklung des Kaufvertrags vom 17. Dezember 1992 verlangen. Die Beklagten, die den Rücktritt nicht zu vertreten haben, haften nach dem Grundgedanken des § 327 Satz 2 BGB a.F. (BGHZ 53, 144, 148 ff; Senat, Urt. v. 31. Oktober 1986, V ZR 166/85, WM 1987, 47, 48) für die Rückgewähr der empfangenen Leistungen lediglich nach den Vorschriften über die ungerechtfertigte Bereicherung. Sie haben - Zug um Zug gegen die Erfüllung der Rückgabepflichten der Klägerin aus §§ 327 Satz 1, 346 ff BGB a.F. (§ 348 BGB a.F.; zur Anwendung der Vorschrift bei unterschiedlichen Haftungsmaûstäben vgl. MünchKommBGB /Janûen, 4. Aufl., § 348 Rdn. 1) - neben dem Besitz des Grundstücks und dem sonst durch die Leistung der Klägerin Erlangten auch die der Nebenintervenientin verschaffte Grundschuld herauszugeben. Denn deren Bestellung war in Erfüllung des mit den Beklagten geschlossenen Kaufvertrags (§ 362 Abs. 2 BGB) durch die Klägerin erfolgt. Die Herausgabe hat nach § 812 BGB in Natur durch Aufhebung des Rechts oder durch dessen Übertragung auf die Klägerin zu erfolgen. Ein Wertersatzanspruch nach § 818 Abs. 2 BGB, der Grundlage des Freigabeverlangens sein könnte, scheidet aus.

a) Die Klägerin hat die Grundschuld zur Absicherung des von den Beklagten aufgenommenen Kredits wirksam bestellt. Zwar steht nicht fest, ob die am 22. Juli 1995 erteilte Genehmigung nach der Grundstücksverkehrsordnung sich auch auf den Änderungsvertrag vom 17. Dezember 1992 und das im Ge-
nehmigungsbescheid nicht genannte Flurstück 571/5 erstreckt hat (zur eingeschränkten Genehmigungsbedürftigkeit bei Änderungsverträgen vgl. Haegele/ Schöner/Stöber, Grundbuchrecht, 12. Aufl., Rdn. 4230; Frenz, DtZ 1994, 56, Fn. 11). In diesen Fällen wäre der Vertrag aber bis zur Erteilung einer uneingeschränkten Grundstücksverkehrsgenehmigung lediglich schwebend und nicht endgültig unwirksam gewesen. Dieser Schwebezustand bliebe jedoch ohne Einfluû auf die Gültigkeit der am 17. Dezember 1972 erteilten Belastungsvollmacht (vgl. Haegele/Schöner/Stöber aaO Rdn. 4228; Wenzel, WE 1994, 1269, 1276; Limmer, ZNotP 1998, 353, 356). Denn die Parteien haben vereinbart, daû der Kaufpreis schon vor Erteilung der behördlichen Genehmigung zu hinterlegen ist (vgl. hierzu Senat, Urt. v. 20. November 1998, V ZR 17/98, NJW 1999, 1329 ff; Beschl. v. 27. Juli 1999, V ZR 340/98, NJW 1999, 3040) und haben damit den Beklagten die Befugnis eingeräumt, das Grundstück unverzüglich mit einem Grundpfandrecht zu belasten.

b) Anders als in der vom Berufungsgericht herangezogenen Senatsentscheidung (BGHZ 112, 376; ebenso BGHZ 140, 275, 277) ist Bereicherungsgegenstand nicht das vom Käufer unbelastet erlangte Grundeigentum. Eigentümerin ist vielmehr die Klägerin geblieben. Von den Beklagten erlangt ist die Kreditsicherung, die durch die vor Eigentumsübergang bestellte Grundschuld bewirkt wurde (Senat BGHZ 145, 44, 50 f; Erman/Westermann, BGB, 10. Aufl., § 818 Rdn. 6; Schuler NJW 1962, 2332). Dieses Bereicherungsobjekt ist im Unterschied zu den Fällen der Belastung eines nach § 812 ff BGB herauszugebenden Grundstücks noch unverändert vorhanden. Aus diesem Grunde kann offenbleiben, ob an der für jene Sachverhalte entwickelten Rechtsprechung festzuhalten ist, wonach Herausgabe des belasteten Bereicherungsgegenstandes in Natur und daneben Wertersatz in Höhe des Nominalbetrages des
Grundpfandrechts Zug um Zug gegen Befreiung von der gesicherten Verbindlichkeit geschuldet wird. Allerdings fehlen den Beklagten nach Lage der Dinge die liquiden Mittel, das gesicherte Darlehen (vorzeitig) zu tilgen und damit ihrer Verpflichtung zur Löschung der Grundschuld nachzukommen. Dieser Umstand löst jedoch keinen Wertersatzanspruch nach § 818 Abs. 2 BGB unter Befreiung von der primär geschuldeten Beseitigungspflicht aus, sondern ist nach § 818 Abs. 3 BGB zu beurteilen. Denn die Regelung des § 818 Abs. 2 BGB soll die Unmöglichkeit der Herausgabe des Erlangten durch einen Wertersatzanspruch in Geld ausgleichen. Stehen aber der Rückgewähr des Bereicherungsgegenstandes nur finanzielle Gründe entgegen, dann kann diese Illiquidität nicht durch einen Wertersatzanspruch kompensiert werden, dessen Erfüllung wiederum entsprechende Geldmittel voraussetzt. Es verbleibt damit bei dem allgemeinen - nur in den Fällen des § 818 Abs. 3 BGB durchbrochenen - Grundsatz , daû jeder für seine finanzielle Leistungsfähigkeit einzustehen hat (BGHZ 107, 92, 102).

c) Andere Hinderungsgründe stehen der Löschung der Grundschuld nicht entgegen. Die Nebenintervenientin betreibt zwar die Zwangsversteigerung in das Grundstück, zu dessen Zuschlag ist es aber noch nicht gekommen. Eine Herausgabe an die Klägerin ist mithin noch möglich (vgl. Kohler, Die gestörte Rückabwicklung gescheiterter Austauschverträge, 1989, S. 651). Die Ablösung des Grundpfandrechts scheitert auch nicht daran, daû der Grundpfandgläubiger zur vorzeitigen Freigabe der Sicherheit nicht oder nur gegen Stellung eines anderen Sicherungsmittels bereit ist. Die Nebenintervenientin hat das notleidend gewordene Darlehen vorzeitig zur Rückzahlung fällig gestellt. Es braucht daher nicht geklärt zu werden, ob vorübergehende Leistungshindernisse, die
mit der Tilgung der gesicherten Forderung wegfallen, der in § 818 Abs. 2 BGB geregelten (endgültigen) Unmöglichkeit der Herausgabe des Bereicherungsobjekts gleichzustellen sind (im Grundsatz verneinend: Canaris, NJW 1991, 2513, 2514; Kohler, NJW 1991, 1999, 2000; Gursky, JR 1992, 95, 96; Reuter, JZ 1991, 872 ff; Reuter/Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung, § 16 III, S. 565 f; Löwenstein, Bereicherungsrecht, 2. Aufl. S. 141; wohl auch Flume, Gedächtnisschrift für Knobbe-Keuk, 1997, S. 133; a.A. v. Caemmerer, Festschrift für Lewald, 1953, S. 443, 452; Wollschläger, AcP 194, 408).

d) In Fällen der vorliegenden Art verbietet sich das Festhalten des Gläubigers am Anspruch auf Herausgabe des Erlangten in Natur, also auf Aufhebung oder Übertragung des dinglichen Rechts, auch nicht unter dem Gesichtspunkt , daû seine Durchsetzung am Entreicherungseinwand des (redlichen und unverklagten) Schuldners scheiterte (§ 818 Abs. 3 BGB). Das durch die rechtsgrundlos hingegebene Sicherheit erlangte Darlehenskapital stellt im Verhältnis des Käufers zu dem die Sicherheit erbringenden Verkäufer einen ungerechtfertigten Vermögensvorteil dar. Seine Verwendung zu dem Zwecke, den Darlehensrückzahlungsanspruch zu tilgen und dadurch den Rückübertragungs- oder Löschungsanspruch aus dem Sicherungsvertrag mit dem Kreditgeber auszulösen , bleibt im Rahmen der dem Käufer zugewachsenen Bereicherung. Hat das Darlehenskapital zu Zwecken des Käufers anderweit Verwendung gefunden, so stellt sich, wie auch sonst bei Anwendung des § 818 Abs. 3 BGB, die Frage, ob sich die Bereicherung in dem eingetauschten Vermögenswert fortgesetzt hat (BGH, Urt. v. 9. Mai 1984, IVb ZR 7/83, NJW 1984, 2095; Urt. v. 27. Oktober 1999, XII ZR 239/97, NJW 2000, 740 f). Sie ist in den Regelfällen, in denen das Darlehenskapital zur Tilgung des Kaufpreises oder zu Investitionen auf das
Kaufgrundstück Verwendung gefunden hat, zu bejahen. Dies wird auch im Streitverhältnis der Parteien deutlich:
Der bei dem Urkundsnotar zur Kaufpreistilgung hinterlegte Geldbetrag, der sich nach dem Vorbringen der Klägerin durch Verzinsung auf 1.050.000 DM erhöht hat, steht zur Tilgung der gesicherten Forderung der Nebenintervenientin zur Verfügung. Aus dem Rückabwicklungsverhältnis können die Beklagten von der Klägerin die Freigabeerklärung gegenüber dem Notar verlangen (§ 346 BGB a.F.). Soweit die Beklagten, wozu allerdings nähere Feststellungen fehlen, einen direkt an sie ausgezahlten Teil der Valuta entsprechend den im Vertrag vom 17. Dezember 1992 getroffenen Vereinbarungen für bauliche Investitionen auf dem überlassenen Grundstück verwendet haben, ist ihre Bereicherung in Höhe dieser, im inneren Zusammenhang mit der dinglichen Absicherung erfolgten, Verwendung gemindert (vgl. auch Senat BGHZ 137, 314, 317; Urt. v. 26. November 1999, V ZR 302/98, WM 2000, 1064, 1067). Reicht die den Beklagten nach Abzug des Investitionsaufwandes verbleibende Bereicherung, zu der auch aus dem Grundstück gezogene Nutzungen und Folgevorteile des Bodenkredits (etwa Zinsabschläge gegenüber anderen Kreditformen) zählen, zur Tilgung der Ansprüche der Nebenintervenientin nicht aus, so sind sie berechtigt, die Ablösung des Grundpfandrechts von der Erstattung der Verwendungen (§§ 327 Satz 1, 347 Satz 2 BGB a.F., §§ 994 ff BGB) abhängig zu machen. Sollten sie trotz einer bei ihnen noch vorhandenen Bereicherung und unbeschadet der gegen die Klägerin realisierbaren Verwendungsersatzforderungen zur vollständigen Tilgung des Darlehens mangels liquider Mittel auûerstande sein, sind sie verpflichtet, einen Ersatzkredit zu beschaffen und die hierbei anfallenden zusätzlichen Kosten (höhere Zinsen, Bearbeitungsgebühren u.ä.) bis zu ihrer Bereicherung selbst zu tragen. Denn in-
soweit tasten sie nicht ihr eigenes Vermögen an (vgl. auch Reuter, JZ 1991, 873, 874; a.A. wohl Kohler, aaO, S. 654). Sofern die Kosten für eine solche Umschuldung die Bereicherung der Beklagten übersteigen sollten, kann die Klägerin die Ablösung des Grundpfandrechts nur gegen Erstattung des Mehrbetrags verlangen (vgl. Kohler NJW 1991, 2001; ferner Reuter, Festschrift für Gernhuber, 1993, S. 2381; Löwenstein aaO S. 142; a.A. Flume aaO S. 133). In vollem Umfang selbst aufzubringen haben die Beklagten jedoch die Aufwendungen , die zum Ausgleich des der Nebenintervenientin entstandenen Verzögerungs - oder Nichterfüllungsschadens erforderlich sind. Diese Verbindlichkeiten sind nämlich allein der Risikosphäre der Beklagten zuzurechnen und deshalb nicht nach § 818 Abs. 3 BGB abzugsfähig (vgl. Senat BGHZ 116, 251, 256 m.w.N.; Urt. v. 6. Dezember 1993, V ZR 310/89, NJW-RR 1992, 589, 590).
3. Der von der Klägerin hilfsweise verfolgte Antrag auf Feststellung der Wirksamkeit des am 27. August 1992 geschlossenen Kaufvertrags ist unbegründet. Bei sachgerechter Auslegung ihres Antrags verlangt die Klägerin die Feststellung, daû sich der Kaufvertrag, in der Fassung vom 17. Dezember 1992, nicht infolge Rücktritts oder der hilfsweise erklärten Anfechtung in ein
Rückabwicklungsverhältnis umgewandelt hat. Da die Beklagten jedoch wirksam vom Kaufvertrag zurückgetreten sind, können aus dem Vertrag keine Erfüllungspflichten mehr hergeleitet werden.
Wenzel Tropf Schneider Klein Lemke

(1) Jede Vertragspartei kann das Mietverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich fristlos kündigen. Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere eines Verschuldens der Vertragsparteien, und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur sonstigen Beendigung des Mietverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Ein wichtiger Grund liegt insbesondere vor, wenn

1.
dem Mieter der vertragsgemäße Gebrauch der Mietsache ganz oder zum Teil nicht rechtzeitig gewährt oder wieder entzogen wird,
2.
der Mieter die Rechte des Vermieters dadurch in erheblichem Maße verletzt, dass er die Mietsache durch Vernachlässigung der ihm obliegenden Sorgfalt erheblich gefährdet oder sie unbefugt einem Dritten überlässt oder
3.
der Mieter
a)
für zwei aufeinander folgende Termine mit der Entrichtung der Miete oder eines nicht unerheblichen Teils der Miete in Verzug ist oder
b)
in einem Zeitraum, der sich über mehr als zwei Termine erstreckt, mit der Entrichtung der Miete in Höhe eines Betrages in Verzug ist, der die Miete für zwei Monate erreicht.
Im Falle des Satzes 1 Nr. 3 ist die Kündigung ausgeschlossen, wenn der Vermieter vorher befriedigt wird. Sie wird unwirksam, wenn sich der Mieter von seiner Schuld durch Aufrechnung befreien konnte und unverzüglich nach der Kündigung die Aufrechnung erklärt.

(3) Besteht der wichtige Grund in der Verletzung einer Pflicht aus dem Mietvertrag, so ist die Kündigung erst nach erfolglosem Ablauf einer zur Abhilfe bestimmten angemessenen Frist oder nach erfolgloser Abmahnung zulässig. Dies gilt nicht, wenn

1.
eine Frist oder Abmahnung offensichtlich keinen Erfolg verspricht,
2.
die sofortige Kündigung aus besonderen Gründen unter Abwägung der beiderseitigen Interessen gerechtfertigt ist oder
3.
der Mieter mit der Entrichtung der Miete im Sinne des Absatzes 2 Nr. 3 in Verzug ist.

(4) Auf das dem Mieter nach Absatz 2 Nr. 1 zustehende Kündigungsrecht sind die §§ 536b und 536d entsprechend anzuwenden. Ist streitig, ob der Vermieter den Gebrauch der Mietsache rechtzeitig gewährt oder die Abhilfe vor Ablauf der hierzu bestimmten Frist bewirkt hat, so trifft ihn die Beweislast.

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Amtsgerichts Siegburg vom 24.07.2014 (106 C 7/14) wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

Die Revision wird zugelassen hinsichtlich folgender Fragen:

1.

Ist in der Regel das Berufen auf eine zunächst wirksame ordentliche Kündigung eines Mietverhältnisses über Wohnraum wegen Zahlungsverzugs im Räumungsprozess nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) rechtsmissbräuchlich, wenn der Mieter alle aktuellen Zahlungsrückstände spätestens binnen zwei Monaten nach Rechtshängigkeit der Räumungsklage ausgeglichen hat oder sich eine öffentliche Stelle zur Befriedigung verpflichtet hat und keine sonstigen erheblichen Gründe gegen eine Fortsetzung des Mietverhältnisses zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung sprechen, die einen erneuten Zahlungsrückstand in der Zukunft objektiv befürchten lassen oder im Hinblick auf anderweitige Pflichtverletzungen hypothetisch zumindest eine Abmahnung rechtfertigen würden.

2.

Für den Fall der Verneinung der Frage zu Ziffer 1: Unter welchen (weiteren) Voraussetzungen ist das Berufen auf eine zunächst wirksame ordentliche Kündigung eines Mietverhältnisses über Wohnraum wegen Zahlungsverzugs im Räumungsprozess nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) in der Regel rechtsmissbräuchlich, wenn der Mieter alle aktuellen Zahlungsrückstände ausgeglichen hat oder sich eine öffentliche Stelle zur Befriedigung verpflichtet hat?

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 8.820,00 € (= 12 x 735,00 €) festgesetzt.


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(1) Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts besteht für jeden Kalendertag. Der Monat wird mit 30 Tagen berechnet. Stehen die Leistungen nicht für einen vollen Monat zu, wird die Leistung anteilig erbracht.

(2) Berechnungen werden auf zwei Dezimalstellen durchgeführt, wenn nichts Abweichendes bestimmt ist. Bei einer auf Dezimalstellen durchgeführten Berechnung wird die letzte Dezimalstelle um eins erhöht, wenn sich in der folgenden Dezimalstelle eine der Ziffern 5 bis 9 ergeben würde.

(3) Über den Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ist in der Regel für ein Jahr zu entscheiden (Bewilligungszeitraum). Der Bewilligungszeitraum soll insbesondere in den Fällen regelmäßig auf sechs Monate verkürzt werden, in denen

1.
über den Leistungsanspruch vorläufig entschieden wird (§ 41a) oder
2.
die Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung unangemessen sind.
Die Festlegung des Bewilligungszeitraums erfolgt einheitlich für die Entscheidung über die Leistungsansprüche aller Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft. Wird mit dem Bescheid über Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nicht auch über die Leistungen zur Deckung der Bedarfe nach § 28 Absatz 2, 4, 6 und 7 entschieden, ist die oder der Leistungsberechtigte in dem Bescheid über Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts darauf hinzuweisen, dass die Entscheidung über Leistungen zur Deckung der Bedarfe nach § 28 Absatz 2, 4, 6 und 7 gesondert erfolgt.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.

Entscheidungen des Landessozialgerichts, seines Vorsitzenden oder des Berichterstatters können vorbehaltlich des § 160a Abs. 1 dieses Gesetzes und des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden.