Verwaltungsgericht Würzburg Urteil, 16. Feb. 2016 - W 4 K 15.50319

bei uns veröffentlicht am16.02.2016

Gericht

Verwaltungsgericht Würzburg

Tenor

I.

Die Klage wird abgewiesen.

II.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Tatbestand

Der Kläger, ein irakischer Staatsangehöriger, reiste nach eigenen Angaben am 10. April 2015 in das Bundesgebiet ein und stellte hier am 3. Juni 2015 einen Asylantrag.

Da nach den Erkenntnissen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) Anhaltspunkte für die Zuständigkeit eines anderen Staates gemäß der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (Dublin III-VO) vorlagen, stellte die Beklagte mit Schreiben vom 30. Juli 2015 ein Übernahmeersuchen an Ungarn. Die ungarischen Behörden antworteten auf die Anfrage nicht.

Mit Bescheid vom 8. September 2015 lehnte das Bundesamt u. a. den Asylantrag als unzulässig ab (Ziffer 1) und ordnete die Abschiebung des Klägers nach Ungarn an (Ziffer 2). Auf den Inhalt des Bescheids im Übrigen wird Bezug genommen.

Gegen den vorgenannten Bescheid ließ der Kläger mit Schriftsatz vom 18. September 2015, bei Gericht eingegangen am selben Tag, Klage erheben und beantragte,

den Bescheid der Beklagten vom 08.09.2015, Geschäftszeichen 600... - 438 aufzuheben.

Zur Begründung ließ der Kläger im Wesentlichen vorbringen, in Ungarn bestünden systemische Mängel sowohl im Asylsystem als auch bei den Aufnahmebedingungen. Abgesehen davon, bestehe bei dem Kläger die Gefahr, dass er sich bei einer Rückkehr nach Ungarn „etwas antue“.

Die Beklagte beantragte,

die Klage abzuweisen.

Mit Beschluss vom 28. September 2015 hat die Kammer die aufschiebenden Wirkung der Klage angeordnet (W 4 S 15.50320). Hinsichtlich der Begründung wird auf den Beschluss vom 28. September 2015 verwiesen.

Die Beteiligten erklärten ihr Einverständnis, dass das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheidet.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.

Gründe

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage, über die mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte, ist unbegründet.

1. Die Klage ist als Anfechtungsklage statthaft und auch im Übrigen zulässig.

Gegen die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig gemäß § 27a AsylG (Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids) als eigenständiger Verwaltungsakt ist eine isolierte Anfechtungsklage statthaft und auch unter dem Gesichtspunkt des Rechtsschutzbedürfnisses zulässig. Denn im Falle der Aufhebung der Ablehnung des Asylantrags als unzulässig ist die Beklagte bereits nach § 31 Abs. 2 AsylG von Gesetzes wegen zur Fortführung des Asylverfahrens verpflichtet (BayVGH, B.v. 6.3.2015 - 13a ZB 15.50000 - juris Rn. 7; B.v. 5.3.2015 - 11 ZB 14.50046 - juris Rn. 11; B.v. 23.1.2015 - 13a ZB 14.50071 - juris; U.v. 28.2.2014 - 13a B 13.30295 - juris Rn. 22; jeweils m. w. N. zur obergerichtlichen Rspr.). Nach Sinn und Zweck des § 27a AsylG und des dahinter stehenden Gebotes, im Interesse der Verfahrensbeschleunigung schnellstmöglich Klarheit über den zuständigen Mitgliedstaat für die Prüfung eines im Geltungsbereich der Dublin-Verordnungen gestellten Asylantrags zu gewinnen (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 - C-411/10 - juris Rn. 84, 98), ist die Zuständigkeitsprüfung durch das Bundesamt der Prüfung des Asylantrags vorgelagert und von dem Verfahren zur (inhaltlichen) Prüfung des Asylantrags zu unterscheiden (BayVGH, B.v. 23.1.2015 - 13a ZB 14.50071 - juris Rn. 6). Eine Verpflichtung des Verwaltungsgerichts, die Sache insoweit spruchreif zu machen, besteht nicht (BayVGH, B.v. 23.1.2015 a. a. O.). Statthaft ist daher die Anfechtungsklage mit dem Ziel, die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig aufzuheben, damit die Beklagte in eigener Zuständigkeit über den Asylantrag (inhaltlich) entscheiden muss. Einer auf ein weitergehendes Ziel gerichteten Verpflichtungsklage fehlte deshalb das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis.

Die Klagebefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO) gegen den Bescheid, welcher eine Überstellungsentscheidung im Sinne des Art. 26 Abs. 1 Dublin III-VO ist, ergibt sich zum einen daraus, dass der Kläger Adressat desselben ist und zum anderen daraus, dass Art. 27 Abs. 1 Dublin III-VO vorschreibt, dass ein Antragsteller ein Recht auf ein wirksames Rechtsmittel gegen eine Überstellungsentscheidung hat.

2. Die Klage ist jedoch in der Sache unbegründet, da der Bescheid der Beklagten vom 8. September 2015 rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Bei Ungarn handelt es sich um einen sicheren Drittstaat i. S. d. Art. 16a Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 GG, § 26a Abs. 2 AsylG. Ungarn ist nach Art. 13 Abs. 1 und Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig. Der Asylantrag ist unzulässig (§ 27a AsylG).

Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die zutreffenden Gründe des streitgegenständlichen Bescheides verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Das Vorbringen in der Klagebegründung führt zu keiner anderen Beurteilung.

a) Die ausnahmsweise Zuständigkeit der Beklagten, insbesondere durch die Begründung eines Selbsteintritts (vgl. Art. 3 Abs. 2 und Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO), ist nicht ersichtlich. Wesentliche Gründe für die Annahme, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Ungarn für den Kläger systemische Mängel bzw. Schwachstellen aufweisen, sind nicht gegeben.

Gemäß der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts darf ein Asylbewerber nur dann nicht an den nach der Dublin III-VO zuständigen Mitgliedsstaat überstellt werden, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedsstaat aufgrund systemischer Mängel, d. h. regelhaft, so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber auch im konkret zu entscheidenden Einzelfall dort mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Nur mit dem Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen kann ein Asylbewerber einer Überstellung im Dublin-Verfahren entgegentreten. Das Bundesverwaltungsgericht nimmt dabei Bezug auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sowie des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und hat im Einklang damit die Annahme systemischer Mängel an hohe Hürden geknüpft. Im Hinblick auf die Annahme systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen kommt es nicht darauf an, ob es unterhalb der Schwelle systemischer Mängel im Einzelfall zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung kommen kann (BVerwG, B.v. 6.6.2014 - 10 B 35/14 - Buchholz 402.25, § 27a AsylVfG Nr. 2; B.v. 15.4.2014 - 10 B 16/14 - Buchholz 402.25, § 27a AsylVfG Nr. 1; B.v. 19.3.2014 - 10 B 6/14 - NVwZ 2014, 1039 mit Anmerkung Berlit, jurisPR-BVerwG 12/2014, Anm. 3).

Die Kammer ist nicht davon überzeugt, dass in Ungarn systemische Mängel (Schwachstellen) des Asylverfahrens sowie der Aufnahmebedingungen herrschen. Dies hat die zur Entscheidung berufene Kammer wie auch andere Kammern des Verwaltungsgerichts Würzburg wiederholt so entschieden (vgl. VG Würzburg, B.v. 11.12.2015 - W 4 S 15.50418; B.v. 8.1.2016 - W 4 S 16.50002; B.v. 28.10.2015 - W 4 S 15.50363; B.v. 6.7.2015 - W 6 S 15.50413; B.v. 15.12.2015 - W 4 S 15.50411).

Das Vorbringen des Klägers rechtfertigt keine andere Beurteilung.

Die Kammer verkennt nicht das Bestehen der in den vorliegenden Berichten dargestellten Missstände, insbesondere bei der Inhaftierungspraxis und den Unterbringungsbedingungen in Ungarn. Diese begründen jedoch für sich keine systemischen Mängel im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts.

Denn weiterhin ist festzuhalten, dass der UNHCR bislang keine systemischen Mängel des Asylverfahrens oder Aufnahmebedingungen in Ungarn explizit festgestellt und keine generelle Empfehlung ausgesprochen hat, im Rahmen des Dublin-Verfahrens Asylbewerber nicht nach Ungarn zu überstellen. Das Fehlen einer generellen Empfehlung des UNHCR, von einer Überstellung nach Ungarn abzusehen, kommt besondere Bedeutung zu, weil die vom Amt des UNHCR herausgegebenen Dokumente im Rahmen der Beurteilung der Funktionsfähigkeit des Asylsystems in dem Drittstaat, der nach den Kriterien der Dublin III-VO als zuständiger Staat bestimmt wird, angesichts der Rolle, die dem Amt des UNHCR durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden ist, die bei der Auslegung des unionsrechtlichen Asylverfahrens zu beachten ist, besonders relevant sind (vgl. EuGH, U.v. 30.5.2013 - C 528/11 - ABl EU 2013 Nr. C 225, 12 - NVwZ-RR 2013, 660).

Anzumerken ist, dass der UNHCR zwar in seiner Stellungnahme vom 3. Juli 2015 mit Blick auf die Inhaftierungsmöglichkeiten in Ungarn seine tiefe Besorgnis geäußert hat, jedoch sind seitdem mittlerweile über sieben Monate vergangen, ohne dass sich der UNHCR zu einer generellen Empfehlung, etwa wie in Griechenland oder teilweise in Bulgarien durchgerungen hat, obwohl er die Situation in Ungarn kritisch beobachtet (vgl. VG Stade, B.v. 4.11.2015 - 1 B 1749/15 - juris; VG Ansbach, B.v. 29.10.2015 - AN 3 S 15.50473 - juris; siehe auch BayVGH, B.v. 12.6.2015 - 13a ZB 15.50097 - juris; B.v. 27.4.2015 - 14 ZB 13.30076 - juris).

Auch die Europäische Kommission hat in einer Stellungnahme vom 30. Oktober 2015 an das VG Köln ausdrücklich darauf verwiesen, dass der UNHCR derzeit noch keine Empfehlung abgegeben hat, Überstellungen nach Ungarn wegen der Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung auszusetzen (im Gegensatz wie etwa im Verhältnis zu Griechenland und Bulgarien). Die Europäische Kommission hat zwar weiter auf eine Entscheidung des österreichischen Verwaltungsgerichtshofs vom 8. September 2015 (RA 2015/18/0113) hingewiesen. Allerdings hat der österreichische Verwaltungsgerichtshof nur deshalb ausgesprochen, dass eine Überstellung nach Ungarn im Dublin-Verfahren vorläufig nicht erfolgen dürfe, weil die Vorinstanz sich im dortigen Verfahren nicht hinreichend auf der Grundlage zeitnaher, die aktuellen Entwicklungen berücksichtigenden Berichte mit der aktuellen Lage in Ungarn auseinandergesetzt, sondern nur auf ältere Erkenntnisse Bezug genommen hatte (vgl. https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Vwgh/JWR_2015180113_20150908L12/JWR_2015180113_20150908L12.html). Die Europäische Kommission hat weiter darauf hingewiesen, dass sie die im Juli und September vorgenommenen Änderungen der nationalen Rechtslage im Bereich des Asylrechts, des Strafrechts und des Rechts der Grenzsicherung, des Polizeirechts und des Rechts zur nationalen Verteidigung mit dem Recht der Union prüft und zu diesem Zweck mit den ungarischen Behörden in direkten Kontakt tritt. Des Weiteren hat die Europäische Kommission mittlerweile auch gegen Ungarn sowie gegenüber weiteren Staaten wegen mangelhafter Umsetzung von EU-Asylrecht acht schon früher eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren verschärft (vgl. EU-Aktuell vom 10.12.2015). Dieses Vorgehen spricht nicht für die Annahme systemischer Mängel, sondern infolge der Kontrolle und des Kontakts seitens der EU-Kommission mit den ungarischen Behörden für eine frühzeitige Prüfung zur Bekämpfung etwaiger Missstände, um dem Aufkommen von systemischen Schwachstellen von vornherein zu begegnen.

Auch und gerade unter Einbeziehung der neuesten Berichte zur tatsächlichen Situation in Ungarn, vor allem im Hinblick auf die mögliche Inhaftierung von Dublin-Rückkehrern ist festzustellen, dass die dort genannten Missstände nach Überzeugung der Kammer jedenfalls nicht die Qualität systemischer Mängel erreichen. Insbesondere enthält die jüngste Auskunft der Auswärtigen Amtes vom 27. Januar 2016 an das VG Regensburg hinsichtlich der Inhaftierungsbedingungen und -möglichkeiten keine neuen Erkenntnisse. Das Gericht folgt daher nicht der vom Klägerbevollmächtigten teilweise zitierten Rechtsprechung, die das Vorliegen systemischer Mängel in Ungarn nunmehr für gegeben bzw. für überprüfungsbedürftig hält (vgl. so etwa VG Arnsberg, B.v. 4.11.2015 - 6 L 1171/15.A - juris; VG Oldenburg, U.v. 2.11.2015 - 12 A 2572/15 - juris; VG Freiburg, U.v. 13.10.2015 - A 5 K 1862/13 - juris; VG Minden, B.v. 2.10.2015 - 10 L 923/15.A - juris; VG Düsseldorf, GB v. 21.9.2015 - 8 K 5062/15.A - juris; VG Bayreuth, B.v. 18.9.2015 - B 3 S 15.50219 - juris; VG München, U.v. 11.9.2015 - M 23 K 15.50045 - juris; U.v. 26.8.2015 - M 24 K 15.50507 - juris; VG Lüneburg, B.v. 9.9.2015 - 4 B 153/15; VG Magdeburg, B.v. 8.9.2015 - 9 B 713/15 - juris; VG Köln, Ue.v. 8.9.2015 - 18 K 4584/15.A und 18 K 4368/15.A - jeweils juris; VG Potsdam, B.v. 4.9.2015 - 4 L 810/15.A - Asylmagazin 2015, 344; VG Saarland, B.v. 12.8.2015 - 3 L 816/15 - juris). Die Kammer schließt sich vielmehr der gegenteiligen Rechtsauffassung an (vgl. etwa VG Stade, B.v. 4.11.2015 - 1 B 1749/15 - juris; B.v. 15.10.2015 - 1 B 1605/15 - juris; VG Ansbach, B.v. 29.10.2015 - AN 3 S 15.50473 - juris; Be.v. 20.10.2015 - AN 3 S 15.50398 und AN 3 S 15.50425 - jeweils juris; VG Gelsenkirchen, B.v. 22.9.2015 - 9a L 1873/15.A - juris; VG Dresden, B.v. 9.9.2015 - 2 L 719/15.A - juris; VG München, B.v. 28.8.2015 - M 3 S 15.50616 - juris).

Nach der genannten Rechtsprechung, auf die Bezug genommen wird, und unter Berücksichtigung sonstiger Erkenntnisquellen ist - nach Überzeugung des Gerichts aufgrund nochmaliger Prüfung - festzustellen, dass die Inhaftierungsvorschriften in Ungarn und die Anwendung dieser Vorschriften für sich noch keine hinreichenden Anhaltspunkte für das Vorliegen von systemischen Mängeln belegen. Die ungarischen Inhaftierungsvorschriften entsprechen im Prinzip den Vorgaben des europäischen Rechts. Konkret ist nicht ersichtlich, dass die ungarische Asylhaftpraxis die Grenzen des europäischen Rechts systematisch überschreitet, selbst wenn Dublin-Rückkehrer regelmäßig, jedoch nicht ausnahmslos, inhaftiert werden, weil und soweit die ungarischen Behörden einen legalen Haftgrund (wie insbesondere Fluchtgefahr) annehmen. Die Inhaftierung ist nicht Folge der Stellung des Asylantrags, sondern ist Folge der Umstände, die das individuelle Verhalten des Asylantragstellers vor und bei der Antragstellung kennzeichnen. Weiterhin ergibt sich aus den vorliegenden Erkenntnissen, dass im Einzelfall auch von einer Asylhaft abgesehen werden kann und auch abgesehen wird, mithin die tatsächlichen Umstände des Einzelfalls bei einer Haftanordnung berücksichtigt werden. Auch die Dauer der Asylhaft ist nach dem ungarischen System an das Fortbestehen eines Haftgrundes gekoppelt. Des Weiteren ist ein Rechtsschutzsystem in Ungarn gesetzlich installiert. Aus der geringen Erfolgsquote der Rechtsbehelfe in Ungarn kann nicht ohne weiteres gefolgert werden, dass das ungarische Verfahren insoweit die europäischen Asylstandards generell nicht erfüllt. Ebenso wenig kann das Gericht den aktuellen Auskünften entnehmen, dass die Haftbedingungen in Ungarn systemisch eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der Dublin-Rückkehrer bewirken, vielmehr werden insbesondere die elementaren Bedürfnisse befriedigt. Sofern in den Berichten auf einzelne Fälle Bezug genommen wird, ist nicht erkennbar, dass diese Fälle unterschiedslos verallgemeinerungsfähig sind. Des Weiteren ist anzumerken, dass sich die ungarische Regierung auftretenden Problemen in der Vergangenheit nicht verschlossen hat, sondern durchaus konstruktiv an Verbesserungen gearbeitet hat und arbeitet.

Die immer wieder ins Feld geführten, auch neueren Inhaftierungsmöglichkeiten in Ungarn führen zur Überzeugung des Gerichts angesichts der tatsächlich in Ungarn bislang praktizierten Inhaftierungen nicht zur Annahme systemischer Mängeln. Denn nach einer Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 28. September 2015 an das VG Magdeburg ist ausdrücklich ausgeführt, dass Asylhaft immer nur nach einer Prüfung im Einzelfall angeordnet wird. Die Wahrscheinlichkeit, in Asylhaft genommen zu werden, ist für Dublin-Rückkehrer gegenüber Neuankömmlingen erhöht. Insofern mag die vorangegangene Ausreise als gewichtiges Indiz dafür gelten, dass sich die Rückkehrer bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens nicht freiwillig in Ungarn zur Verfügung halten werden. Im Zeitraum vom 1. Januar bis 30. Juni 2015 wurden in Ungarn 492 Personen in Asylhaft genommen. Dies entspricht 0,7% aller Asylantragsteller. Die Inhaftierungsquote für Dublin-Rückkehrer dürfte laut der Auskunft des Auswärtigen Amtes etwa drei- bis viermal so hoch sein wie bei den andern Asylantragstellern. Derzeit ist Asylhaft nur für allein reisende Männer angeordnet. Es befinden sich derzeit nur ca. 50 Personen in Asylhaft (Kapazitäten für 300 Personen). Die Kapazitäten der Haftanstalten sind nicht ausgeschöpft. Asylhaft wird nach einer Einzelfallprüfung nur angeordnet, wenn keine mildere Maßnahme möglich ist. Asylhaft wird für 72 Stunden angeordnet und kann per Gerichtsbeschluss auf sechs Wochen verlängert werden. Sie darf maximal sechs Monate dauern. Ein Grund für die Asylhaft ist unter anderem ein hohes Fluchtrisiko. Ein Widerspruch gegen die Anordnung ist möglich.

Die jüngste Auskunft der Auswärtigen Amtes an das VG Regensburg vom 27. Januar 2016 enthält hinsichtlich der Inhaftierungspraxis der ungarischen Behörden keine abweichenden Erkenntnisse.

Zur neuen Rechtsentwicklung in Ungarn wird noch ergänzend angemerkt: Soweit systemische Mängel mit Blick auf die Einstufung Serbiens (das sich seinerseits zur Einhaltung der Genfer Flüchtlingskonvention verpflichtet hat) als sicheres Drittland herangezogen wird, ist darauf hinzuweisen, dass allein eine solche Einstufung nicht zu systemischen Mängel führt, weil eine mögliche Überstellung nach Serbien nicht gleichzeitig bedeutet, dass dessen Asyl- und Aufnahmesystem heute nicht mehr den europäischen Mindeststandards genügt. Vielmehr liegen mit Bezug auf die Behandlung von Rückkehrern in Dublin-Verfahren keinerlei auf Tatsachen gestützte Erkenntnisse vor, die Anlass dazu gäben, systemische Mängel für Asylverfahren und in Aufnahmebedingungen anzunehmen. Die verschärften Gesetze dienen primär auch in Ungarn genauso wie in anderen Staaten - wie etwa auch in der Bundesrepublik Deutschland - dazu, dem ungehinderten Zustrom von Flüchtlingen Herr zu werden. Die ungarische Regierung ist bemüht, den Vorschriften der Dublin-Verordnung Rechnung zu tragen und für eine geregelte Einreise und Registrierung der Flüchtlinge zu sorgen (vgl. VG Stade, B.v. 4.11.2015 - 1 B 1749/15 - juris; VG Ansbach, B.v. 29.10.2015 - AN 3 S 15.50473 - juris).

Hinzu kommt, dass laut einem Rechtsgutachten über das ungarische Asylrecht durch das Institut für Ostrecht, München, vom 2. Oktober 2015 an das VG Düsseldorf im Gesetz über die Aufnahme Serbiens als sicheren Drittstaat insoweit eine gesetzliche Vermutung aufgenommen ist, die der Asylbewerber jedoch widerlegen kann, indem er nachweist, dass in seinem konkreten Fall der Drittstaat nicht sicher war, weil er dort keinen dem ungarischen Asyl adäquaten Schutz erhalten konnte. Das Gesetz dient dazu, Asylmissbrauch dadurch zu verhindern, dass es die Möglichkeit für die Behörden schafft, nicht nur zu überprüfen, was das Herkunftsland des Asylantragstellers ist, sondern auch, durch welches Transitland er gereist war. Die Liste der sicheren Drittstaaten stellt dafür in Bezug auf die Länder, die den allgemeinen Voraussetzungen entsprechen, nur eine Vermutung auf, aufgrund derer sich die Beweislast umgekehrt. Der Antragsteller muss glaubhaft machen, dass das Transitland für ihn nicht sicher ist, weil dort z. B. die Möglichkeit einen Asylantrag einzureichen oder Flüchtlingsstatus zu erwerben, nicht gewährleistet ist. Die Vermutung kann - auf den konkreten Fall des Klägers bezogen - sowohl durch den Kläger als auch durch das Gericht überprüft und widerlegt werden.

Zusammenfassend ist auch unter Berücksichtigung der vorliegenden neuen Erkenntnisse festzuhalten, dass - solange keine systemischen Mängel in Ungarn nach Überzeugung des Gerichts belegt sind - weiterhin davon auszugehen ist, dass auch für Ungarn die Vermutung besteht, dass Asylsuchende - abgesehen von Ausnahmen in Einzelfällen - in Einklang mit den Vorgaben der Grundrechtecharta, der Genfer Flüchtlingskonvention und der europäischen Menschenrechtskonvention behandelt werden. Selbst wenn dem Kläger bei einer Rückkehr nach Ungarn gemäß den dortigen Vorschriften eine Inhaftierung zeitweilig drohen sollte, reicht dies nicht zur Überzeugungsgewissheit des Gerichts aus, die auf dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens gründende Vermutung zu widerlegen, dass die jeweiligen Mitgliedsstaaten (hier Ungarn) die geltenden rechtlichen Vorgaben einhalten.

b) Weiter sind in der Person des Klägers keine Gründe ersichtlich, die den streitgegenständlichen Bescheid rechtswidrig machen.

Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass Dublin-Rückkehrer aus Deutschland nach der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 28. September 2015 an das VG Magdeburg über den Flughafen überstellt werden. In Budapest erfolgt eine Überprüfung des Sachverhalts inklusive einer ersten Rückkehrerbefragung. Die Dublin-Rückkehrer werden darüber immer informiert, dass sie nach Überstellung automatisch als Asylbewerber in Ungarn behandelt werden. Bei einer Asylantragstellung läuft das normale Asylverfahren. Für die Zeit der Durchführung des Asylverfahrens werden Antragsteller in Ungarn in einer Aufnahmeeinrichtung untergebracht. Dort gibt es separate Schlafräume, Sportmöglichkeiten, drei Mahlzeiten am Tag sowie eine ärztliche Grundversorgung (vgl. auch die Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 27. Januar 2015 an das VG Regensburg, S. 5). Anders ist die Sachlage bei einer Folgeantragstellung. Ein Folgeantragsteller hat in der Regel nur die gleiche Möglichkeit der Unterstützung wie mittellose ungarische Staatsangehörige. Sie werden nicht in einer Aufnahmeeinrichtung untergebracht, sondern haben nur die Möglichkeit der Unterbringung in einem Obdachlosenasyl.

c) Die Bundesrepublik Deutschland ist auch nicht sonst aufgrund außergewöhnlicher humanitärer Gründe - zur Vermeidung eines willkürlichen, gleichheitswidrigen Vorgehens - im vorliegenden Fall veranlasst, gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO ihr Selbsteintrittsrecht auszuüben. Eine Verletzung subjektiver Rechte des Klägers ist nicht gegeben; er hat keinen Anspruch auf einen entsprechenden Selbsteintritt.

In der Sache ist in der praktischen Handhabung der Überstellung kein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz infolge eines willkürlichen Vorgehens festzustellen (vgl. so aber VG Bayreuth, B.v. 18.9.2015 - B 3 S 15.50219 - juris). Denn die Bundesrepublik Deutschland hatte zunächst - ausnahmsweise - nur die Rücküberstellung von Flüchtlingen aus Syrien nach Ungarn ausgesetzt, aber mittlerweile laut der vorliegenden (allgemein bekannten) Pressemitteilungen im Oktober 2015 erklärt, auch wieder Dublin-Rückführungen nach Ungarn zu prüfen.

d) Weiterhin setzt die Anordnung der Abschiebung gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG voraus, dass die Abschiebung in den zuständigen Mitgliedsstaat durchgeführt werden kann. Dies ist der Fall, wenn der Abschiebung keine tatsächlichen oder rechtlichen Hindernisse entgegenstehen (vgl. BVerfG, B.v 17.9.2014 - 2 BvR 939/14 - NVwZ 2014, 1511) und eine Abschiebung nicht unmöglich ist.

Der Abschiebung stehen keine rechtlichen Hindernisse entgegen. Insbesondere ist die Überstellungsfrist nicht abgelaufen. Da das Gericht im einstweiligen Rechtsschutzverfahren die aufschiebende Wirkung der vorliegenden Klage angeordnet hat, ist der Ablauf der Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Art. 27 Abs. 3 Buchst. c) Dublin III-VO entsprechend § 209 BGB gehemmt (vgl. z. B. VGH BW, U.v. 27.8.2014 - A 11 S 1285/14 - juris Rn. 36, 58; VG Würzburg, U.v. 31.3.2015 - W 1 K 14.30151 - juris; VG Frankfurt, U.v. 5.2.2015 - 5 K 567/14.F.A - juris; Bruns in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Auflage 2016, AsylG § 27 a Rn. 65).

Auch dem vorgelegten Kurzarztbrief vom 17. September 2015 kann ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis gemäß § 34a Abs. 1 AsylG nicht entnommen werden. Aus der ärztlichen Stellungnahme ergibt sich weder eine Reiseunfähigkeit noch eine Suizidgefahr des Klägers. Eine Reiseunfähigkeit hat die Klägerbevollmächtigte schon nicht geltend gemacht. Zudem enthält die ärztliche Stellungnahme keinerlei Anhaltspunkte für eine Transportunfähigkeit des Klägers. Auch besteht ausweislich der von der Antragstellerin vorgelegten Bescheinigung des psychiatrischen Klinikums Schloss Werneck keine psychische Erkrankung, insbesondere keine Suizidgefahr des Klägers im Falle seiner Abschiebung. Vielmehr wird ausdrücklich festgestellt, dass zum Entlassungszeitpunkt eine Fremd- oder Eigengefährdung, insbesondere eine Suizidalität, nicht bestand. Der Kläger sei in psychisch stabiler Verfassung entlassen worden. Er habe außerdem seinen Suizidversuch als „Fehler“ und „Kurzschlussreaktion“ auf die angedrohte Abschiebung bezeichnet. Die von der Klägerbevollmächtigten behauptete Gefahr, dass sich der Kläger bei einer Abschiebung nach Ungarn „etwas antue“, besteht daher ausweislich der ärztlichen Bescheinigung nicht.

Schließlich bestehen über die Aufnahmebereitschaft Ungarns keine grundsätzlichen Zweifel, nachdem es erklärt hat, es werde alle Verpflichtungen und Regelungen einhalten, selbst wenn in der Vergangenheit vereinzelt auch gegenläufige Erklärungen zur Rücknahme von Flüchtlingen verlautbart wurden. Aus der geringen Zahl der tatsächlich erfolgten Überstellungen im Dublin-Verfahren kann nicht hergeleitet werden, dass Ungarn zur Übernahme nicht bereit ist. Zudem fehlen nachweisbaren Anhaltspunkte, dass Überstellungen nach Ungarn gegenwärtig und auf absehbare Zeit innerhalb der offenen Überstellungsfrist tatsächlich nicht durchgeführt werden können bzw. werden (so aber VG Freiburg, U.v. 13.10.2015 - A 5 K 1862/13 - juris). Vielmehr erfolgen offensichtlich tatsächlich Überstellungen nach Ungarn, wie aus anderen Verfahren bekannt ist (vgl. nur VG Magdeburg, B.v. 8.9.2015 - 9 B 713/15 - juris).

Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG abzuweisen.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zugelassen wird. Die Zulassung der Berufung ist innerhalb von 1 Monat nach Zustellung des Urteils schriftlich beim Bayerischen Verwaltungsgericht Würzburg, Hausanschrift: Burkarderstraße 26, 97082 Würzburg, oder Postfachanschrift: Postfach 11 02 65, 97029 Würzburg, zu beantragen. Hierfür besteht Vertretungszwang.

Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Bevollmächtigte sind Rechtsanwälte, Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, oder die in § 67 Absatz 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen zugelassen. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen.

Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. In dem Antrag sind die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, darzulegen. Die Berufung kann nur zugelassen werden, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder das Urteil von einer Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder ein in § 138 der Verwaltungsgerichtsordnung bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt.

Beschluss:

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe:

Wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, hat die Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, so dass auch der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abzulehnen war (§ 166 VwGO i. V. m. § 114 Satz 1 ZPO).

Rechtsmittelbelehrung:

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 113


(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

Zivilprozessordnung - ZPO | § 114 Voraussetzungen


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(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung. Die mündliche Verhandlung soll so früh wie möglich stattfinden.

(2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

(3) Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen, soweit nichts anderes bestimmt ist.

(1) Die Entscheidung des Bundesamtes ergeht schriftlich. Sie ist schriftlich zu begründen. Entscheidungen, die der Anfechtung unterliegen, sind den Beteiligten unverzüglich zuzustellen. Wurde kein Bevollmächtigter für das Verfahren bestellt, ist eine Übersetzung der Entscheidungsformel und der Rechtsbehelfsbelehrung in einer Sprache beizufügen, deren Kenntnis vernünftigerweise vorausgesetzt werden kann. Das Bundesamt informiert mit der Entscheidung über die Rechte und Pflichten, die sich aus ihr ergeben.

(2) In Entscheidungen über zulässige Asylanträge und nach § 30 Absatz 5 ist ausdrücklich festzustellen, ob dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiäre Schutz zuerkannt wird und ob er als Asylberechtigter anerkannt wird. In den Fällen des § 13 Absatz 2 Satz 2 ist nur über den beschränkten Antrag zu entscheiden.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 und in Entscheidungen über unzulässige Asylanträge ist festzustellen, ob die Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 oder 7 des Aufenthaltsgesetzes vorliegen. Davon kann abgesehen werden, wenn der Ausländer als Asylberechtigter anerkannt wird oder ihm internationaler Schutz im Sinne des § 1 Absatz 1 Nummer 2 zuerkannt wird. Von der Feststellung nach Satz 1 kann auch abgesehen werden, wenn das Bundesamt in einem früheren Verfahren über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 und 7 des Aufenthaltsgesetzes entschieden hat und die Voraussetzungen des § 51 Absatz 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes nicht vorliegen.

(4) Wird der Asylantrag nur nach § 26a als unzulässig abgelehnt, bleibt § 26 Absatz 5 in den Fällen des § 26 Absatz 1 bis 4 unberührt.

(5) Wird ein Ausländer nach § 26 Absatz 1 bis 3 als Asylberechtigter anerkannt oder wird ihm nach § 26 Absatz 5 internationaler Schutz im Sinne des § 1 Absatz 1 Nummer 2 zuerkannt, soll von der Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 und 7 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen werden.

(6) Wird der Asylantrag nach § 29 Absatz 1 Nummer 1 als unzulässig abgelehnt, wird dem Ausländer in der Entscheidung mitgeteilt, welcher andere Staat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.

(7) In der Entscheidung des Bundesamtes ist die AZR-Nummer nach § 3 Absatz 1 Nummer 2 des Gesetzes über das Ausländerzentralregister zu nennen.

Tenor

I.

Der Antrag wird abgelehnt.

II.

Die Beklagte hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 24. November 2014, soweit es Nr. 1 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 22. Januar 2014 betrifft, hat keinen Erfolg. In Nr. 1 dieses Bescheids war die Unzulässigkeit des Asylantrags des Klägers wegen der Unzuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland ausgesprochen und in Nr. 2 die Abschiebung nach Ungarn angeordnet worden.

Die Beklagte wirft zunächst als gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG grundsätzlich klärungsbedürftig die Frage auf, ob „der Asylantragsteller gerichtlich die Aufhebung einer Ablehnung gemäß § 27a AsylVfG bereits deshalb begehren kann, weil die Überstellungsfrist in den als zuständig bestimmten Staat im nach § 77 Abs. 1 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt abgelaufen ist und infolge dessen i. S. d. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO eine Verletzung in eigenen Rechten vorliegt“.

Insoweit ist das Rechtsmittel bereits nicht statthaft und unzulässig, weil die Beklagte durch die Aufhebung von Nr. 1 ihres Bescheids nicht beschwert ist. Eine Beschwer läge nur vor, wenn die Entscheidung des Verwaltungsgerichts für sie nach ihrem Inhalt nachteilig wäre, also dem Kläger etwas zu ihren Lasten zusprechen, zu ihren Lasten rechtsgestaltend wirken oder einen Streit um ein Rechtsverhältnis zu ihren Ungunsten entscheiden würde (Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, vor § 124 Rn. 29; Meyer-Ladewig/Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand März 2014, vor § 124 Rn. 39). Dies ist jedoch nicht der Fall, weil die Bundesrepublik Deutschland durch Zeitablauf nunmehr für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Maßgeblich ist hier die Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (Dublin II-VO). Nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 und Art. 20 Abs. 2 Satz 1 dieser Verordnung geht die Zuständigkeit auf den Mitgliedstaat über, in der der Asylantrag eingereicht wurde, wenn die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt wird. Unstreitig ist hier die Überstellungsfrist abgelaufen. Dieser Übergang der Zuständigkeit nach Ablauf der 6-Monatsfrist stellt keinen fingierten Selbsteintritt, sondern eine besondere Zuständigkeitsnorm dar, die letztlich lediglich vom Ablauf der Frist abhängig ist (Filzwieser/Sprung, Dublin II-Verordnung, 3. Aufl. 2010, Art. 19 K34). Die Regelung stützt sich auf die Überlegung, dass der Mitgliedstaat, der die Überstellung in den eigentlich zuständigen Mitgliedstaat nicht zeitgemäß durchführt, die Folgen tragen muss (dies., Dublin III-Verordnung, 2014, Art. 29 K9, zu der Nachfolgeregelung des Art. 29 Abs. 2 der Verordnung [EU] Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist). Auch die Beklagte geht von ihrer Zuständigkeit aus, wie sich aus deren Überlegungen zu einer Umdeutung des Bescheids ergibt. Der Ausspruch, der Asylantrag des Klägers sei mangels Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland unzulässig, entspricht daher weder der Rechtslage noch der nunmehrigen Auffassung der Beklagten. Seine Aufhebung verletzt diese nicht in ihren Rechten.

Auf die weitere Frage, ob das Urteil insoweit von der Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 28. Februar 2014 (13a B 13.30295 - BayVBl 2014, 628) und des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. Juni 2014 (10 B 35.14 - NVwZ 2014, 1677) abweicht, kommt es damit nicht an.

Der Rechtssache kommt auch keine grundsätzliche Bedeutung im Sinn von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG zu. Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass die im Zulassungsantrag dargelegte konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war, ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und ihr eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, a. a. O., § 124 Rn. 36).

Die Beklagte hält insoweit für grundsätzlich klärungsbedürftig, ob „bei einem als unzulässig i. S. d. § 27a AsylVfG abgelehnten Asylantrag die prozessuale Dispositionsbefugnis der Klägerseite Einschränkungen unterliegt und ob deshalb eine isolierte Anfechtungsklage als zulässige Klageart ausscheidet, weil vielmehr auch dann zwingend eine Verpflichtungsklage zu erheben ist, sowie ob die Tatsachengerichte gehalten sind, das Vorliegen eines insgesamt verfahrensrelevanten Asylantrags festzustellen und ferner, ob dann auch das Asylbegehren in der Sache spruchreif zu machen ist.“ Im in besonderer Weise von der Verwirklichung der Grundsätze einer Verfahrenskonzentration und -beschleunigung geprägten Asylverfahren sei nur eine auf Statuszuerkennung gerichtete Klage, nicht aber ein nur auf bloße Anfechtung oder auf Rückverweisung zur nochmaligen behördlichen Befassung gerichtetes Begehren zulässig.

Die aufgeworfene Frage ist jedoch durch die neuere obergerichtliche Rechtsprechung bereits hinreichend geklärt. Der Verwaltungsgerichtshof hat im Urteil vom 28. Februar 2014 (13a B 13.30295 - BayVBl 2014, 628) als statthafte Klageart gegen die Feststellung, dass der Asylantrag unzulässig ist, die Anfechtungsklage angesehen. Zwar weist die Beklagte zu Recht darauf hin, dass eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs zu revisiblem Bundesrecht der Rechtssache nicht die grundsätzliche Bedeutung nimmt (BVerfG, B. v. 11.2.2008 - 2 BvR 2575/07 - InfAuslR 2008, 240) und eine Klärung durch das Bundesverwaltungsgericht noch nicht erfolgt ist. Ein weitergehender Klärungsbedarf besteht aber im Gegensatz zu der Fallkonstellation, die der von der Beklagten zitierten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zugrunde lag, vorliegend nicht, weil die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs mit der allgemeinen obergerichtlichen Rechtsprechung im Einklang steht (siehe OVG Hamburg, B. v. 2.2.2015 - 1 Bf 208/14.AZ - juris; NdsOVG, B. v. 6.11.2014 - 13 LA 66/14 - AuAS 2014, 273; OVG Saarl, B. v. 12.9.2014 - 2 A 191/14 - juris; VGH BW, U. v. 16.4.2014 - A 11 S 1721/13 - InfAuslR 2014, 293; OVG NRW, U. v. 7.3.2014 - 1 A 21/12.A - AuAS 2014, 118 = DVBl 2014, 790; OVG LSA, U. v. 2.10.2013 - 3 L 643/12 - juris). Danach ist gegen Entscheidungen des Bundesamts, die Durchführung eines Asylverfahrens nach Maßgabe von § 27a AsylVfG abzulehnen, eine Anfechtungsklage statthaft. Die Zuständigkeitsprüfung nach der Dublin II- bzw. Dublin III-VO ist der Prüfung des Asylantrags vorgelagert und von dem Verfahren zur inhaltlichen Prüfung des Asylverfahrens zu unterscheiden.

Zudem hat das Bundesverwaltungsgericht (U. v. 5.9.2013 - 10 C 1.13 - BVerwGE 147, 329 = NVwZ 2014, 158; U. v. 7.3.1995 - 9 C 264.94 - NVwZ 1996, 80) im vergleichbaren Fall einer Einstellungsverfügung durch das Bundesamt nach §§ 32, 33 AsylVfG die vom Kläger beantragte (bloße) Aufhebung des Einstellungsbescheids für ausreichend erachtet mit der Folge, dass die Sachentscheidung zunächst dem Bundesamt vorbehalten bleibt. Das Bundesverwaltungsgericht weist darauf hin, dass das Verwaltungsgericht zwar die Sache grundsätzlich spruchreif zu machen habe, dies aber nicht ausnahmslos gelte. Es könne nicht generell Aufgabe des Verwaltungsgerichts sein, anstelle des mit besonderer Sachkunde versehenen Bundesamts, das mit der Sache noch gar nicht befasst gewesen sei und demgemäß auch eine Entscheidung über das Asylbegehren noch gar nicht habe treffen können, über den Asylanspruch zu befinden. § 113 Abs. 3 VwGO lasse sich jedenfalls der Rechtsgedanke entnehmen, dass die Verwaltungsgerichte auch bei der Kontrolle eines rechtlich gebundenen Verwaltungsakts nicht in jedem Falle selbst die Spruchreife herbeiführen müssten, sondern bei erheblichen Aufklärungsdefiziten zunächst der Behörde Gelegenheit geben könnten, eine den Streitstoff erschöpfende Sachentscheidung zu treffen. Die besondere - auf Beschleunigung und Konzentration auf eine Behörde gerichtete - Ausgestaltung des Asylverfahrens durch das Asylverfahrensgesetz stehe im Falle versäumter Sachentscheidung durch das Bundesamt der Annahme entgegen, dass nur eine auf die Asylanerkennung gerichtete Verpflichtungsklage, auf die hin das Verwaltungsgericht die Sache spruchreif zu machen hätte, in Betracht käme. Darüber hinaus ginge dem Asylantragsteller eine Tatsacheninstanz verloren, die mit umfassenderen Verfahrensgarantien wie persönliche Anhörung (§ 24 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG) und Amtsermittlungsgrundsatz (§ 24 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) ausgestattet sei. Die Regelungen des Asylverfahrensgesetzes ließen darauf schließen, dass die sachliche Prüfung vorrangig von der Fachbehörde nachzuholen sei und nicht generell eine Pflicht zum „Durchentscheiden“ angenommen werden könne. Diese Ausführungen können auf vorliegende Konstellation übertragen werden. Das Urteil des zweiten Senats des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 19. Juni 2012 (A 2 S 1355/11 - AuAS 2012, 213), auf das sich die Beklagte beruft, dürfte - worauf der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg selbst im Urteil vom 16. April 2014 (A 11 S 1721/13 a. a. O.) hinweist - durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs zwischenzeitlich überholt sein.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylVfG.

Tenor

I.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.II.

Die Beklagte hat die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.

Die Beklagte wendet sich gegen die Aufhebung des Bescheids vom 15. Januar 2014, mit dem sie den Asylantrag der Kläger für unzulässig erklärt und die Abschiebung nach Polen angeordnet hat.

Die Kläger sind russische Staatsangehörige tschetschenischer Volkszugehörigkeit und haben nach eigenen Angaben am 28. April 2013 in Polen Asyl beantragt. Am 13. Juni 2013 reisten sie in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten am 17. Oktober 2013 Asylanträge. Am 2. Dezember 2013 richtete die Beklagte ein Übernahmeersuchen an die Republik Polen. Die polnischen Behörden stimmten der Übernahme der Kläger am 6. Dezember 2013 nach Art. 16 Abs. 1 Buchst. e Dublin II-VO zu. Mit Bescheid vom 15. Januar 2014 erklärte die Beklagte den Asylantrag für unzulässig (Nr. 1) und ordnete die Abschiebung nach Polen an (Nr. 2). Das Verwaltungsgericht Regensburg lehnte den Antrag der Kläger auf vorläufigen Rechtsschutz mit Beschluss vom 28. Januar 2014 (RO 9 S 14.30084) ab und hob den Bescheid mit Gerichtsbescheid vom 24. Oktober 2014 auf. Mit Ablauf der Überstellungsfrist am 28. Juli 2014 sei die Zuständigkeit auf die Beklagte übergegangen (Art. 20 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO). Eine Abschiebung nach Polen sei nicht mehr möglich. Eine Umdeutung in eine ablehnende Entscheidung nach § 71a AsylVfG komme nicht in Betracht.

Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung, dem die Kläger entgegentreten. Die Beklagte macht Gründe nach § 78 Abs. 3 Nr. 1 und 2 AsylVfG geltend.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

II.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe nach § 78 Abs. 3 Nr. 1 und 2 AsylVfG nicht vorliegen.

1. Der Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts weicht nicht von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Februar 1998 (BVerwG 9 C 28.97 - BVerwGE 106, 171) ab.

Eine Divergenz nach § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG setzt voraus, dass ein Rechts- oder Tatsachensatz des Verwaltungsgerichts von einem tragenden Rechts- oder Tatsachensatz des übergeordneten Gerichts abweicht und das Urteil darauf beruht. Der fragliche Rechts- oder Tatsachensatz des Verwaltungsgerichts muss sich auf dieselbe Rechtsnorm beziehen wie die Entscheidung, von der die Abweichung behauptet wird; die bloße Vergleichbarkeit der Regelungsinhalte genügt nicht (Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 42; BVerwG, B. v. 28.1.2004 - 6 PB 15/03 - NVwZ 2004, 889).

Eine solche Abweichung liegt hier nicht vor. Die Beklagte macht mit ihrem Antrag selbst geltend, dass das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Februar 1998 zur Folgeantragsregelung nach § 71 AsylVfG und nicht zu einer Entscheidung über die Zuständigkeit nach § 27a AsylVfG i. V. m. der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl EG L 50 S. 1, Dublin II-VO), ergangen ist. Dabei handelt es sich um unterschiedliche Regelungen, denn § 27a AsylVfG betrifft die Behandlung eines Asylantrags im Falle der Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats im System des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, während § 71 AsylVfG die Behandlung eines Folgeantrags, für den die Bundesrepublik Deutschland zuständig ist, regelt. Auf § 71a AsylVfG, dessen Regelungsgehalt dem des § 71 AsylVfG sehr ähnlich ist, hat das Verwaltungsgericht seine Entscheidung nicht gestützt, sondern hat ausgeführt, dass eine Umdeutung der Nr. I des Bescheids vom 15. Januar 2014 in eine Ablehnung nach § 71a AsylVfG nicht in Betracht komme.

2. Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG. Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass eine im Zulassungsantrag darzulegende konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war, ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und ihr eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ, a. a. O. Rn. 36).

Die Beklagte hält für grundsätzlich klärungsbedürftig, ob bei einem als unzulässig i. S. d. § 27a AsylVfG abgelehnten Asylantrag eine isolierte Anfechtungsklage die zulässige Klageart darstellt oder vielmehr eine Verpflichtungsklage zu erheben ist, jedenfalls wenn es sich bei dem Asylantrag um einen Zweitantrag i. S. d. § 71a AsylVfG handelt, und ob die Tatsachengerichte verpflichtet sind, das Asylbegehren auch in der Sache spruchreif zu machen.

Diese Fragen rechtfertigen mangels Klärungsbedürftigkeit nicht die Zulassung der Berufung. Sie sind durch die neuere obergerichtliche Rechtsprechung bereits hinreichend geklärt. Zahlreiche Oberverwaltungsgerichte einschließlich des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs in seinem Urteil vom 28. Februar 2014 (13a B 13.30295 - BayVBl 2014, 628) sind der Ansicht, dass statthafte Klageart gegen eine Feststellung nach § 27a AsylVfG die Anfechtungsklage ist (siehe NdsOVG, B. v. 6.11.2014 - 13 LA 66/14 - AuAS 2014, 273; OVG Saarl, B. v. 12.9.2014 - 2 A 191/14 - juris; VGH BW, U. v. 16.4.2014 - A 11 S 1721/13 - InfAuslR 2014, 293; OVG NW, U. v. 7.3.2014 - 1 A 21/12.A - DVBl 2014, 790; OVG LSA, U. v. 2.10.2013 - 3 L 643/12 - juris). Es besteht daher kein weitergehender Klärungsbedarf, der die Durchführung eines Berufungsverfahrens erforderlich machen würde (vgl. ausführlich BayVGH, B. v. 23.1.2015 - 13a ZB 14.50071 - juris; OVG Hamburg, B. v. 2.2.2015 - 1 Bf 208/14.AZ - juris).

Soweit die Beklagte meint, es sei grundsätzlich klärungsbedürftig, „ob die Aufrechterhaltung einer mit Unzulässigkeit gemäß § 27a AsylVfG begründeten Ablehnung der inhaltlichen Asylantragsprüfung auf anderer Rechtsgrundlage bzw. die Umdeutung einer so begründeten Entscheidung nach der asylverfahrensrechtlichen Konzeption ausscheidet, insbesondere dann, wenn es sich um den Fall eines Zweitantrags i. S. d. § 71a AsylVfG handelt und ob sich das Tatsachengericht darauf beschränken darf, in der Konstellation des ohne Statuszuerkennung, d. h. erfolglos abgeschlossenen Verfahrens in einem anderen Mitgliedstaat der Dublin-Verordnung, für die Aufhebung eines behördlich zum Nachteil des Antragstellers mit Verweis auf § 27a AsylVfG ergangenen Bescheides hinsichtlich des im Bundesgebiet weiteren Asylbegehrens nur zu prüfen und festzustellen, dass die Voraussetzungen für die Ablehnung nach § 27a AsylVfG nicht (mehr) erfüllt sind, oder ob es noch der weitergehenden Feststellung bedarf, dass überhaupt ein verfahrensrelevanter Asylantrag vorliegt, weil die Verfahrenszuständigkeit Deutschlands besteht und zudem Wiederaufgreifensgründe nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG dargetan sind“, führt auch dies nicht zur Zulassung der Berufung.

Die Klage wurde von Anfang an als Anfechtungsklage erhoben und eine Verpflichtung auf Anerkennung als Asylberechtigte, Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder subsidiären Schutzes wurde nicht begehrt. Deshalb hat sich dem Verwaltungsgericht im Rahmen des § 88 VwGO nicht die Frage gestellt, ob es weitergehender Feststellungen hinsichtlich möglicher Wiederaufgreifensgründe nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG bedarf (s. BayVGH, B. v. 23.1.2015 a. a. O. Rn. 9).

Selbst wenn man einen solchen Verpflichtungsantrag als konkludent gestellt ansehen würde (vgl. BayVGH, U. v. 28.2.2014 a. a. O. Rn. 22), ist eine grundsätzliche Bedeutung nicht hinreichend dargetan. Die Frage, ob eine Aufrechterhaltung der Ablehnung der inhaltlichen Asylantragsprüfung auf anderer Rechtsgrundlage oder eine Umdeutung nach der asylverfahrensrechtlichen Konzeption ausscheidet, ob also eine Umdeutung eines auf § 27a AsylVfG gestützten Bescheids in einen Bescheid nach § 71a AsylVfG überhaupt möglich ist, war für das Verwaltungsgericht nicht entscheidungserheblich. Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass eine Umdeutung schon deshalb nicht in Betracht kommt, weil die materiellen Voraussetzungen des § 47 Abs. 1 VwVfG nicht vorliegen. Danach kann ein fehlerhafter Verwaltungsakt in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind. Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass ein Bescheid nach § 71a AsylVfG nicht nach der geschehenen Verfahrensweise hätte erlassen werden können, weil dafür eine Anhörung zu den maßgeblichen Tatsachen und Umständen hätte erfolgen müssen und Feststellungen zu Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG erforderlich gewesen wären. Zudem sei eine Umdeutung der Nr. II des Bescheids in eine Abschiebungsandrohung in den Herkunftsstaat auch nicht auf das gleiche Ziel gerichtet wie eine Abschiebungsanordnung in den zuständigen Mitgliedstaat nach § 27a AsylVfG. Eine Auseinandersetzung damit, ob in der asylverfahrensrechtlichen Konzeption überhaupt eine Umdeutung möglich ist, war für das Verwaltungsgericht deshalb nicht veranlasst.

Im Übrigen führt die Beklagte auch nur aus, dass die Voraussetzungen für eine ablehnende Entscheidung nach § 71a AsylVfG vorliegen würden, da sie insbesondere für eine solche Entscheidung zuständig sei, inhaltlich keine andere Entscheidung als die vorliegende hätte getroffen werden können und die Kläger durch eine Umdeutung auch nicht in ihren Rechten verletzt seien. Die von der Beklagten damit gestellte Frage, ob im vorliegenden Fall die Voraussetzungen des § 47 Abs. 1 VwVfG erfüllt sind, beurteilt sich nach den Umständen des konkreten Einzelfalles und ist einer verallgemeinerungsfähigen, rechtsgrundsätzlichen Klärung nicht zugänglich. Es wird damit die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung in Frage gestellt, aber kein grundsätzlicher Klärungsbedarf aufgezeigt.

Es bedarf deshalb auch keiner Entscheidung darüber, ob der Gerichtsbescheid aus anderen Gründen richtig ist. Die Beklagte geht ausweislich ihrer Begründung des Zulassungsantrags selbst davon aus, dass die Bundesrepublik Deutschland für die Prüfung des Asylantrags der Kläger nach § 71a AsylVfG zuständig ist. Mit dem streitgegenständlichen Bescheid hatte sie demgegenüber festgestellt, dass der Asylantrag unzulässig ist, weil die Bundesrepublik Deutschland nach der Dublin II-VO nicht zuständig ist. Die Zuständigkeit könnte daher auch im Rahmen eines konkludenten Selbsteintritts nach Art. 3 Abs. 2 Satz 2 Dublin II-VO auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen sein, indem die Beklagte die Voraussetzungen für eine Umdeutung des auf § 27a AsylVfG gestützten Bescheids in einen ablehnenden Bescheid nach § 71a AsylVfG offensichtlich geprüft und bejaht hat.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylVfG.

4. Dieser Beschluss, mit dem der Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts rechts- kräftig wird (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylVfG), ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).

Tenor

I.

Der Antrag wird abgelehnt.

II.

Die Beklagte hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 24. Oktober 2014, soweit es Nr. 1 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 12. März 2014 betrifft, ist unbegründet, weil die geltend gemachten Voraussetzungen des § 78 Abs. 3 Nr. 1 und 2 AsylVfG nicht vorliegen. In Nr. 1 des Bescheids vom 12. März 2014 war die Unzulässigkeit des Asylantrags des Klägers ausgesprochen und in Nr. 2 die Abschiebung nach Ungarn angeordnet worden.

Das Urteil weicht nicht von der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Februar 1998 (9 C 28.97 - BVerwGE 106, 171 = NVwZ 1998, 861) ab. Eine Divergenz i. S.v. § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG liegt vor, wenn das Verwaltungsgericht mit einem sein Urteil tragenden Obersatz von einem Obersatz des höheren Gerichts abgewichen ist (BVerwG, B.v. 19.8.1997 - 7 B 261.97 - NJW 1997, 3328). Die Beklagte rügt insoweit, das Verwaltungsgericht lege den Rechtssatz zugrunde, gegen die gemäß § 27a AsylVfG erfolgte Antragsablehnung sei (nur) die Anfechtungsklage statthaft. Dies stehe im Widerspruch zu der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, weil im Gegensatz zu dessen Anforderungen keine das asylrechtliche Folgeverfahren abschließende Entscheidung getroffen werde.

Die Beklagte weist selbst zunächst selbst darauf hin, dass die genannte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zur Folgeantragsregelung nach § 71 AsylVfG ergangen ist. Vorliegend ist Klagegegenstand aber eine Entscheidung über die Unzulässigkeit eines Asylantrags nach § 27a AsylVfG. Das Bundesamt hat nur darüber entschieden und im Übrigen darauf verwiesen, dass eine materielle Prüfung nicht erfolgt ist. In dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ist zudem ausgeführt, dass der Aspekt, ob das Asylverfahren wieder aufgenommen werden müsse, lediglich den geltend gemachten Anspruch auf Asylanerkennung betreffe. Dass die Anforderungen für die Durchbrechung der Bestandskraft des Erstbescheids erfüllt seien, sei Voraussetzung für den Anspruch auf Asyl, nicht aber gebe es einen selbstständig neben diesem stehenden und eigenständig einklagbaren Wiederaufgreifensanspruch. Damit könne weder lediglich auf „Wiederaufgreifen“ geklagt noch vom Gericht „isoliert“ über die Frage, ob wiederaufzugreifen sei, entschieden werden. Eine derartige Fallkonstellation ist vorliegend aber nicht gegeben. Zum einen steht hier als Vorfrage zum Anerkennungsanspruch des Klägers die Zuständigkeit zur Durchführung eines Asylverfahrens nach den Anforderungen der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (Dublin II-VO), im Streit. Zum anderen klagt der Kläger weder „isoliert“ auf Wiederaufgreifen noch macht er (materiell) einen Anspruch auf Asylanerkennung geltend. Er geht vielmehr allein gegen die Feststellung vor, dass sein Asylantrag unzulässig sei und beantragt nur die Aufhebung dieses feststellenden Verwaltungsakts. Dem ist das Verwaltungsgericht gefolgt und davon ausgegangen, dass ein (isolierter) Anfechtungsantrag statthaft ist. Mit dieser Annahme wird kein Obersatz aufgestellt, welcher der von der Beklagten zitierten Rechtsprechung widersprechen würde, weil ein Anspruch auf Asylanerkennung und damit ein materielles Verpflichtungsbegehren, wie es der vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fallkonstellation zugrunde lag, hier nicht im Raum stand.

Der Streitsache kommt auch nicht die ihr von der Beklagten hilfsweise zugemessene grundsätzliche Bedeutung im Sinn von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG zu. Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass die im Zulassungsantrag dargelegte konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war, ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und ihr eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 36).

Die Beklagte hält für grundsätzlich klärungsbedürftig, ob „bei einem als unzulässig i. S. d. § 27a AsylVfG abgelehnten Asylantrag die prozessuale Dispositionsbefugnis der Klägerseite Einschränkungen unterliegt und ob deshalb eine isolierte Anfechtungsklage als zulässige Klageart ausscheidet, weil vielmehr auch dann zwingend eine Verpflichtungsklage zu erheben ist, sowie ob die Tatsachengerichte gehalten sind, das Vorliegen eines insgesamt verfahrensrelevanten Asylantrags festzustellen und ferner, ob dann auch das Asylbegehren in der Sache spruchreif zu machen ist.“ Im in besonderer Weise von der Verwirklichung der Grundsätze einer Verfahrenskonzentration und -beschleunigung geprägten Asylverfahren sei nur eine auf Statuszuerkennung gerichtete Klage, nicht aber ein nur auf bloße Anfechtung oder auf Rückverweisung zur nochmaligen behördlichen Befassung gerichtetes Begehren zulässig.

Diese Fragen rechtfertigen mangels Klärungsbedürftigkeit nicht die Zulassung der Berufung. Denn sie sind durch die neuere obergerichtliche Rechtsprechung bereits hinreichend geklärt. Der Verwaltungsgerichtshof hat im Urteil vom 28. Februar 2014 (13a B 13.30295 - BayVBl 2014, 628) als statthafte Klageart gegen die Feststellung, dass der Asylantrag unzulässig ist, die Anfechtungsklage angesehen. Zwar weist die Beklagte zu Recht darauf hin, dass eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs zu revisiblem Bundesrecht der Rechtssache nicht die grundsätzliche Bedeutung nimmt (BVerfG, B.v. 11.2.2008 - 2 BvR 2575/07 - InfAuslR 2008, 240) und eine Klärung durch das Bundesverwaltungsgericht noch nicht erfolgt ist. Ein weitergehender Klärungsbedarf besteht aber im Gegensatz zu der Fallkonstellation, die der von der Beklagten zitierten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zugrunde lag, vorliegend dennoch nicht, weil die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs mit der allgemeinen obergerichtlichen Rechtsprechung im Einklang steht (siehe NdsOVG, B.v. 6.11.2014 - 13 LA 66/14 - AuAS 2014, 273; OVG Saarl, B.v. 12.9.2014 - 2 A 191/14 - juris; VGH BW, U.v. 16.4.2014 - A 11 S 1721/13 - InfAuslR 2014, 293; OVG NRW, U.v. 7.3.2014 - 1 A 21/12.A - AuAS 2014, 118 = DVBl 2014, 790; OVG LSA, U.v. 2.10.2013 - 3 L 643/12 - juris). Danach ist gegen Entscheidungen des Bundesamts, die Durchführung eines Asylverfahrens nach Maßgabe von § 27a AsylVfG abzulehnen, eine Anfechtungsklage statthaft. Die Zuständigkeitsprüfung nach der Dublin II- bzw. Dublin III-VO ist der Prüfung des Asylantrags vorgelagert und von dem Verfahren zur inhaltlichen Prüfung des Asylverfahrens zu unterscheiden. Zudem hat das Bundesverwaltungsgericht (U.v. 5.9.2013 - 10 C 1.13 - BVerwGE 147, 329 = NVwZ 2014, 158; U.v. 7.3.1995 - 9 C 264.94 - NVwZ 1996, 80) im vergleichbaren Fall einer Einstellungsverfügung durch das Bundesamt nach §§ 32, 33 AsylVfG die vom Kläger beantragte (bloße) Aufhebung des Einstellungsbescheids für ausreichend erachtet mit der Folge, dass die Sachentscheidung zunächst dem Bundesamt vorbehalten bleibt. Das Bundesverwaltungsgericht weist darauf hin, dass das Verwaltungsgericht zwar die Sache grundsätzlich spruchreif zu machen habe, dies aber nicht ausnahmslos gelte. Es könne nicht generell Aufgabe des Verwaltungsgerichts sein, anstelle des mit besonderer Sachkunde versehenen Bundesamts, das mit der Sache noch gar nicht befasst gewesen sei und demgemäß auch eine Entscheidung über das Asylbegehren noch gar nicht habe treffen können, über den Asylanspruch zu befinden. § 113 Abs. 3 VwGO lasse sich jedenfalls der Rechtsgedanke entnehmen, dass die Verwaltungsgerichte auch bei der Kontrolle eines rechtlich gebundenen Verwaltungsakts nicht in jedem Falle selbst die Spruchreife herbeiführen müssten, sondern bei erheblichen Aufklärungsdefiziten zunächst der Behörde Gelegenheit geben könnten, eine den Streitstoff erschöpfende Sachentscheidung zu treffen. Die besondere - auf Beschleunigung und Konzentration auf eine Behörde gerichtete - Ausgestaltung des Asylverfahrens durch das Asylverfahrensgesetz stehe im Falle versäumter Sachentscheidung durch das Bundesamt der Annahme entgegen, dass nur eine auf die Asylanerkennung gerichtete Verpflichtungsklage, auf die hin das Verwaltungsgericht die Sache spruchreif zu machen hätte, in Betracht käme. Darüber hinaus ginge dem Asylantragsteller eine Tatsacheninstanz verloren, die mit umfassenderen Verfahrensgarantien wie persönliche Anhörung (§ 24 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG) und Amtsermittlungsgrundsatz (§ 24 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) ausgestattet sei. Die Regelungen des Asylverfahrensgesetzes ließen darauf schließen, dass die sachliche Prüfung vorrangig von der Fachbehörde nachzuholen sei und nicht generell eine Pflicht zum „Durchentscheiden“ angenommen werden könne. Diese Ausführungen können auf vorliegende Konstellation übertragen werden.

Das Urteil des zweiten Senats des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 19. Juni 2012 (A 2 S 1355/11 - AuAS 2012, 213), auf das sich die Beklagte beruft, unterscheidet sich dadurch, dass sich der Kläger hier in zulässiger Weise auf einen Anfechtungsantrag beschränkt, wohingegen der dortige Kläger einen Verpflichtungsantrag gestellt hatte. In diesem Zusammenhang erwähnt der Verwaltungsgerichtshof die Pflicht des Gerichts, die Streitsache spruchreif zu machen. Zudem dürfte sie durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs zwischenzeitlich überholt sein, worauf auch der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg im Urteil vom 16. April 2014 (a. a. O.) hinweist. Aus der zudem von der Beklagten genannten Zulassungsentscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (B.v. 2.9.2014 - A 11 S 1611/14 - n.v.) lässt sich nicht entnehmen, ob die grundsätzliche Bedeutung wegen der hier einschlägigen Frage angenommen wurde oder zur Klärung, ob in Bulgarien systemische Mängel vorhanden sind.

Auch die weiter aufgeworfenen Rechtsfragen, „ob die Aufrechterhaltung einer mit Unzulässigkeit gemäß § 27a AsylVfG begründeten Ablehnung der inhaltlichen Asylantragsprüfung auf anderer Rechtsgrundlage bzw. die Umdeutung einer so begründeten Entscheidung nach der asylverfahrensrechtlichen Konzeption ausscheidet, insbesondere auch dann, wenn es sich um den Fall eines Zweitantrags i. S. d. § 71a AsylVfG handelt, und ob sich das Tatsachengericht darauf beschränken darf, in diesen Konstellationen, zumal wenn ein ohne Statuszuerkennung, d. h. erfolglos abgeschlossenes Verfahrens in einem anderen Mitgliedstaat der Dublin-Verordnung hinzukommt, für die Aufhebung eines behördlich zum Nachteil des Antragstellers mit Verweis auf § 27a AsylVfG ergangenen Bescheides hinsichtlich des im Bundesgebiet gestellten Asylbegehrens nur zu prüfen und festzustellen, dass die Voraussetzungen für die Ablehnung nach § 27a AsylVfG nicht (mehr) erfüllt ist, oder ob es bei zugleich gegebenen Zweitanträgen noch der weitergehenden Feststellung bedarf, dass überhaupt ein verfahrensrechtlicher Asylantrag vorliegt, nicht nur weil die Verfahrenszuständigkeit Deutschlands besteht, sondern zudem Wiederaufgreifensgründe nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG dargetan sind“, begründen nicht die Zulassung der Berufung.

Da sich der Kläger zulässigerweise auf eine Anfechtungsklage beschränkt hat, mangelt es bereits an einem entsprechenden Verpflichtungsbegehren. Zudem bedarf die Frage einer Umdeutung keiner Klärung in einem Berufungsverfahren, da sie durch eine Subsumtion unter die Voraussetzungen des § 47 VwVfG beantwortet werden kann. Danach kann ein fehlerhafter Verwaltungsakt in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind. Eine Umdeutung ist nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwVfG nicht zulässig, wenn der Verwaltungsakt, in den der fehlerhafte Verwaltungsakt umzudeuten wäre, der erkennbaren Absicht der erlassenden Behörde widerspräche oder seine Rechtsfolgen für den Betroffenen ungünstiger wären als die des fehlerhaften Verwaltungsakts. Hier sind die beiden möglichen Verwaltungsakte, die Feststellung der Unzulässigkeit des Asylantrags einerseits und die inhaltliche Ablehnung eines Zweitantrags nach § 71a AsylVfG, schon nicht auf das gleiche Ziel gerichtet. Ersteres dient allein der Feststellung, dass nicht die Bundesrepublik, sondern ein anderer Staat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Das Asylbegehren steht hierbei nicht inmitten. Die zweite Variante hingegen hat die materielle Durchführung eines weiteren Asylverfahrens zum Ziel. Auch würde die Umdeutung der im Bescheid explizit genannten Absicht, den Asylantrag in der Bundesrepublik nicht materiell zu prüfen, widersprechen. Dadurch unterscheidet sich vorliegende Konstellation auch von derjenigen, die der von der Beklagten genannten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 24.11.1998 - 9 C 53.97 - BVerwGE 108, 30 = NVwZ 1999, 302) zugrunde liegt. Dort hat das Bundesamt den Asylantrag materiell geprüft und eine Asylanerkennung zurückgenommen. In einem solchen Fall, der schon den Anerkennungsanspruch des Klägers zum Gegenstand hat, hat das Gericht der Entscheidung zufolge zu prüfen, ob sich der Aufhebungsbescheid als Widerruf der Asylanerkennung aufrechterhalten lässt. Eine solche Fallgestaltung liegt hier aber nicht vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylVfG.

Tenor

I.

Die Berufung wird zurückgewiesen.

II.

Der Kläger hat die Kosten des Berufungserfahrens zu tragen.

III.

Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger, der nach eigenen Angaben am 1. Januar 1989 im Dorf Baba, Bezirk Jaghuri, Provinz Ghazni, geboren wurde, ist afghanischer Staatsangehöriger und hazarischer Volkszugehöriger. Er reiste am 25. April 2011 ins Bundesgebiet ein. Am 12. Mai 2011 stellte er Asylantrag. Bei der Vorprüfung stellte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF - Bundesamt) anhand von Eurodac-Daten (Nr. IT1BZ017F6) fest, dass der Kläger am 7. November 2008 bereits in Bozen (Italien) einen Asylantrag gestellt hatte.

Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 14. Juni 2011 gab der Kläger Folgendes an: Er sei Ende 2007 aus Afghanistan ausgereist und dann über Iran, Türkei und Griechenland nach Italien gelangt. Dort sei er Ende 2008 angekommen. Anfang 2011 sei er nach Griechenland abgeschoben worden. Im April 2011 sei er dann von Athen aus nach München geflogen. Während seines Aufenthalts in Griechenland habe er keinen Asylantrag gestellt. In Italien habe er zwar Asylantrag gestellt, es sei aber nicht zu einer Anhörung gekommen. Die italienischen Behörden hätten festgestellt, dass er bereits in Griechenland seine Fingerabdrücke abgegeben habe, weswegen er dann von Italien aus nach Griechenland abgeschoben worden sei. Er sei aus Angst vor Bedrohung aus Afghanistan geflüchtet. Ein Soldat der afghanischen Streitkräfte habe seine Schwester vergewaltigt. Diese habe später aufgrund der dadurch erlittenen Schande Selbstmord begangen. Danach sei er selbst in den Verdacht geraten, seine Schwester wegen der Familienehre umgebracht zu haben. Er sei dann von dem betreffenden Soldaten geschlagen und verletzt worden. Aus Angst vor weiteren Misshandlungen sei er zunächst nach Kandahar ausgewichen. Dort habe er erfahren, dass ein Bruder von ihm den Vergewaltiger getötet habe. Da dieser ein Soldat gewesen sei, habe er Angst davor bekommen, staatlich verfolgt zu werden. Außerdem habe er auch Angst vor dessen Angehörigen gehabt.

Das Bundesamt erließ am 26. Juli 2011 folgenden Bescheid:

1. Der Asylantrag ist unzulässig.

2. Die Abschiebung nach Italien wird angeordnet.

Zur Begründung ist ausgeführt, dass Italien gemäß Art. 20 Abs. 1 Buchst. c Dublin-II-Verordnung zuständig sei. Es sei am 29. April 2011 ein Übernahmeersuchen nach der Dublin-II-VO an Italien gerichtet worden; dieses sei von den italienischen Behörden aber nicht fristgerecht beantwortet worden. Infolge dessen sei Italien am 14. Mai 2011 durch Zustimmungsfiktion zuständig geworden. Deshalb sei der Asylantrag nach § 27a AsylVfG unzulässig. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, welche die Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-Verordnung auszuüben, seien nicht ersichtlich. Dieser Bescheid wurde der Bevollmächtigten des Klägers mit Schreiben vom 12. August 2011 übersandt.

Das Landratsamt F.-G. als Ausländerbehörde terminierte die zwangsweise Überstellung des Klägers nach Rom (Italien) auf den 8. September 2011.

Auf Antrag des Klägers erließ das Verwaltungsgericht Regensburg (RN 9 E 11.30436) am 7. September 2011 nach § 123 VwGO folgenden Beschluss:

Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, Maßnahmen zum Vollzug der Verbringung des Klägers nach Italien vorläufig auszusetzen und die zuständige Ausländerbehörde entsprechend zu unterrichten.

Durch Gerichtsbescheid vom 26. Februar 2013 wies das Verwaltungsgericht Regensburg die auf die Aufhebung des Bundesamtsbescheids und die Durchführung des Asylverfahrens in der Bundesrepublik Deutschland gerichtete Klage ab (RN 9 K 11.30445). In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt, dass das hier als reine Anfechtungsklage auszulegende Rechtsschutzbegehren zwar zulässig, aber unbegründet sei. Nach Art. 10 VO (EG) Nr. 343/2003 (Dublin-II-VO) sei zwar eigentlich Griechenland für die Prüfung des Asylantrags zuständig, aber eine Überstellung dorthin scheide angesichts der nach wie vor unzumutbaren Aufnahmebedingungen für Asylbewerber aus. Somit sei nach Art. 13 Dublin-II-VO Italien als erster Mitgliedstaat zuständig, in dem der (bisher nicht geprüfte) Asylantrag gestellt worden sei. Nach Art. 20 Dublin-II-VO sei Italien zur Wiederaufnahme verpflichtet. Es bestehe auch kein Anspruch darauf, dass die Bundesrepublik von ihrem Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO Gebrauch mache. Nach der heutigen Auskunftslage sei nicht zu befürchten, dass dem Kläger im Fall seiner Rücküberstellung nach Italien eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder die Verelendung drohen würde. Außerdem sei es unwahrscheinlich, dass die italienischen Behörden erneut eine Weiterverschiebung des Klägers nach Griechenland betreiben würden. Zuständig für den Kläger sei die Quästur in Bozen gewesen. Gerade in Norditalien seien aber die Aufnahmekapazitäten für Asylbewerber nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amts nicht ausgeschöpft.

Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung des Klägers durch Beschluss vom 30. September 2013, dem Kläger zugestellt am 8. Oktober 2013, gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen (13a ZB 13.30079).

In der am 8. November 2013 eingereichten Berufungsbegründung macht der Kläger folgendes geltend: Italien sei für die Durchführung des Asylverfahrens nicht zuständig. Der Auffangtatbestand des Art. 13 Dublin-II-VO sei hier nicht einschlägig, da Griechenland als zuständiger Mitgliedstaat feststehe, wenngleich eine Rückführung dorthin unzumutbar und derzeit undurchführbar sei. Außerdem sei das Übernahmeersuchen des Bundesamts vom 29. April 2011 nicht ordnungsgemäß ergangen. Nach Art. 18 und Art. 20 Dublin-II-VO sowie nach Art. 21 und Art. 23 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (Dublin-III-VO) hätten neben den dort genannten Beweismitteln auch die Erklärungen des Klägers dem Ersuchen beigefügt werden müssen. Das vom Bundesamt verwendete kurze Standardformular sei für den vorliegenden Fall unzulänglich gewesen. Außerdem habe das Bundesamt die in Art. 21 Abs. 1 und Art. 23 Abs. 2 Dublin-III-VO normierten kurzen Fristen für ein Aufnahmeersuchen überschritten. Das hier bewusst fehlerhaft gestellte Ersuchen sei eine Täuschungshandlung und folglich unwirksam. Aus Art. 27 Abs. 1 Dublin-III-VO und Art. 47 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ergebe sich ein subjektives Recht auf sachgerechte Zuständigkeitsprüfung. Im Übrigen müsse die Beklagte im vorliegenden Fall aufgrund der systemischen Mängel im italienischen Asylsystem von ihrem Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO Gebrauch machen. Es bestünden erhebliche Zweifel daran, dass in Italien ein effektiver Zugang zum Asylverfahren gewährleistet sei. Darüber hinaus seien in Italien die materiellen Grundbedürfnisse und Versorgungsleistungen von Asylsuchenden nicht sichergestellt. Das Asylsystem Italiens sei völlig überlastet. Nach den Erkenntnissen von UNHCR liege die Kapazitätsgrenze für die Unterbringung von Asylsuchenden im Durchschnitt bei ca. 5.000 Personen. Es sei davon auszugehen, dass die Unterkunft, Ernährung und medizinische Versorgung von Asylsuchenden in Italien nur sichergestellt sei, wenn ein formaler Antrag gestellt worden sei, solange der Zeitraum von sechs Monaten Verfahrensdauer nicht überschritten werde und die aktuellen Zahlen der Asylbewerber die Kapazitäten der Einrichtungen nicht überstiegen. Derzeit sei allerdings davon auszugehen, dass die Mehrzahl der Verfahren nicht innerhalb von sechs Monaten abgeschlossen werden könne. Außerdem gebe es Berichte darüber, dass von den im Dublin-System rückgeführten Personen nur etwa 12% im staatlichen Aufnahmesystem unterkämen, die Übrigen aber obdachlos seien. Die vielfach vorzufindenden Lebensbedingungen der Asylsuchenden und Flüchtlinge in besetzten Häusern, Slums und auf der Straße seien unwürdig. Die Wartezeit, um überhaupt einen Platz in einem kommunalen Unterbringungszentrum zu erhalten, betrage etwa drei bis sechs Monate. Während dieser Zeit seien die Betroffenen faktisch obdachlos. Aufgrund dieser Umstände wäre bei einer Abschiebung eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung i. S. v. Art. 4 der Charta zu befürchten.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 26. Juli 2011 unter Abänderung des Gerichtsbescheids des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 26. Februar 2013 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Gemäß der aktuellen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (U. v. 14.11.2013 - Rs. C-4/11) verleihe die Dublin-II-VO dem Asylbewerber keinen Anspruch darauf, dass er von einem Mitgliedstaat die Prüfung seines Antrags verlangen kann, wenn dieser Staat ihn aufgrund der Gefahr einer Verletzung seiner Grundrechte nicht an den ursprünglich als zuständig bestimmten Mitgliedstaat überstellen könne. Die Situation der Unmöglichkeit der Überstellung eines Asylbewerbers führe nicht zur Verpflichtung des Selbsteintritts auf der Grundlage von Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO. Falls der eigentlich zuständige Mitgliedstaat wegen systemischer Mängel ausscheide, stehe zunächst lediglich fest, dass die Beklagte dorthin nicht überstellen dürfe. Daher sei die Prüfung auf der Basis der Dublin-Kriterien in der vorgesehenen Reihenfolge fortzusetzen, d. h. auch Art. 13 Dublin-II-VO als Auffangtatbestand heranzuziehen. Das italienische Asylverfahren weise entgegen der Auffassung des Klägers keine systemischen Mängel auf. Im Übrigen sei nochmals klarzustellen, dass bei dem Kläger ein Kategorie 1-Treffer für Italien vorliege (Asylantrag am 7.11.2008) und die italienischen Behörden hinsichtlich des Klägers somit vom Bundesamt nicht getäuscht worden seien. Das Bundesamt sei nicht verpflichtet, den italienischen Behörden mitzuteilen, was in deren eigenen Akten stehe, wie z. B. hier die bereits erfolgte frühere Überstellung des Klägers nach Griechenland.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten sowie auf die zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisquellen verwiesen.

Gründe

Die Berufung hat keinen Erfolg (§ 125 Abs. 1, § 128 Abs. 1 VwGO). Das Verwaltungsgericht hat die Klage nach der im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgeblichen Rechtslage (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) zu Recht abgewiesen.

Die Klage ist zulässig.

Die ausdrücklich erhobene Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt.1 VwGO) gegen den Bescheid des Bundesamts vom 26. Juli 2011 ist statthaft.

Die Feststellung des Bundesamts, dass der Asylantrag unzulässig ist, und die Anordnung der Abschiebung sind Verwaltungsakte i. S. v. § 35 Satz 1 VwVfG (zum Begriff der regelnden Feststellung vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 14. Aufl. 2013, § 35 Rn. 51). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist bei Asylrechtsklagen in aller Regel davon auszugehen, dass der jeweilige Kläger das für ihn typischerweise weitestgehende Rechtsschutzziel mit den für ihn jeweils günstigsten Rechtsschutzformen anstrebt. Dies bedeutet, dass eine sog. isolierte Anfechtungsklage regelmäßig so auszulegen ist (§ 88 VwGO), dass ein solcher Antrag nur zusammen mit den Hilfsanträgen auf Verpflichtung zur Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a GG und/oder als Flüchtling nach § 60 Abs. 1 AufenthG (a. F.) sowie auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2, 3, 5 und 7 AufenthG (a. F.) und auf Zuerkennung von subsidiärem Schutz als gestellt anzusehen ist. Eine andere Auslegung ist bei einem Bescheid, welcher eine negative Feststellung enthält, möglich, wenn der Kläger bewusst nur einen isolierten Anfechtungsantrag gestellt hat und dies auch in Ansehung der materiellrechtlichen Anspruchsvoraussetzungen ein sinnvolles Klageziel ist (BVerwG, U. v. 21.11.2006 - 1 C 10.06 - BVerwGE 127, 161). Im vorliegenden Fall wäre die Aufhebung der angefochtenen Verwaltungsakte sinnvoll, weil das Bundesamt im Fall der Aufhebung der Feststellung der Unzulässigkeit bereits nach § 31 Abs. 2 AsylVfG von Gesetzes wegen zur Fortführung des Asylverfahrens verpflichtet wäre (OVG LSA, U. v. 2.10.2013 - 3 L 645/12 UA S. 5). Außerdem ginge dem Kläger ansonsten eine Tatsacheninstanz verloren, die mit umfassenden Verfahrensgarantien ausgestattet ist (BVerwG, U. v. 7.3.1995 - 9 C 264.94 - Buchholz 402.25 § 33 AsylVfG Nr. 12 = NVwZ 1996, 80). Eine Verpflichtungsklage im Sinn eines Bescheidungsurteils nach § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO kommt hier somit nicht in Betracht.

Die Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO ist gegeben.

Der Kläger kann geltend machen, durch die vom Bundesamt getroffene Feststellung möglicherweise in seinen Rechten verletzt zu sein. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sind die Normen der Dublin-II-VO eigentlich organisatorische Vorschriften, welche die Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten regeln und u. a. den Zweck haben, eine klare und praktikable Formel für die Bestimmung des für die Prüfung des Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats zu schaffen; gleichwohl kann ein Asylbewerber im Rahmen des nach Art. 19 Abs. 2 Satz 3 Dublin-II-VO garantierten Rechtsschutzes geltend machen, dass in dem zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen bestehen, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr liefe, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der EU-Grundrechte-Charta ausgesetzt zu sein (EuGH, U. v. 10.12.2013 - Abdullahi, C-394/12 - NVwZ 2014, 208 Rn. 56 ff.).

Die Klage ist aber unbegründet.

Der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamts ist rechtmäßig. Das Bundesamt hat zu Recht festgestellt, dass der Asylantrag des Klägers unzulässig ist (§ 113 Abs. 1 VwGO).

Gemäß § 27a AsylVfG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Eine solche Zuständigkeit ergibt sich aus der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 (Dublin-II-VO), auf die sich das Bundesamt im Bescheid gestützt hat. Auch wenn mittlerweile die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin-III-VO) gemäß Art. 49 Abs. 1 dieser Verordnung am 19. Juli 2013 in Kraft getreten ist, ist für sog. „Altanträge“ wie den vorliegenden nach wie vor die Dublin-II-VO anzuwenden (BVerwG, U. v. 13.2.2014 - 10 C 6.13 - juris Rn. 13). Für einen Antrag auf internationalen Schutz i. S. v. Art. 2 Buchst. d Dublin-II-VO, der vor dem ersten Tag des sechsten Monats nach Inkrafttreten der Dublin-III-VO, also vor dem 1. Januar 2014 gestellt worden ist, erfolgt die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates gemäß der Übergangsvorschrift des Art. 49 Abs. 2 Satz 2 Dublin-III-VO nach den Kriterien der Dublin-II-Verordnung.

Das Verfahren nach der Dublin-II-Verordnung dient zuerst allein dazu, den zur Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat zu bestimmen. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind übereingekommen, dass auf kurze Sicht eine klare und praktikable Form für die Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats geschaffen werden sollte. Ziel der Dublin-II-Verordnung ist die Festlegung von Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist (Erwägungsgründe Nr. 1, 2, 3, 4 und 16). Im Verfahren nach der Dublin-II-Verordnung steht deshalb allein die Zuständigkeitsfrage im Raum. Nach Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin-II-VO wird der Antrag von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft.

Die Reihenfolge der Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats richtet sich nach Kapitel III der Verordnung (vgl. Art. 5 Abs. 1 Dublin-II-VO). Nach Art. 5 Abs. 2 Dublin-II-VO wird bei der Bestimmung des nach diesen Kriterien zuständigen Mitgliedstaats von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat gestellt hat.

Gemessen hieran ist der beim Bundesamt gestellte Asylantrag gemäß § 27a AsylVfG unzulässig, weil der Mitgliedstaat Italien nach Art. 13 Dublin-II-VO für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Dies hat zur Folge, dass Italien nach Art. 16 Abs. 1 Buchstabe c Dublin-II-VO verpflichtet ist, den Kläger nach Maßgabe des Art. 20 Dublin-II-VO wieder aufzunehmen. Gemäß Art. 20 Abs. 1 Buchst. c Dublin-II-VO wird davon ausgegangen, dass der ersuchte Mitgliedstaat die Wiederaufnahme des Asylbewerbers akzeptiert, wenn - wie im vorliegenden Fall - innerhalb einer Frist von zwei Wochen keine Antwort erteilt worden ist. Entsprechend der Konzeption der Dublin-II-Verordnung hat das Bundesamt zu Recht den Asylantrag nicht inhaltlich geprüft, sondern die Unzulässigkeit festgestellt und die Abschiebung nach Italien angeordnet.

Für die Beklagte ergibt sich aus Kapitel III der Dublin-II-Verordnung keine Zuständigkeit. Die am 12. Mai 2011 erteilte Aufenthaltsgestattung nach § 55 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG begründet die Zuständigkeit nach Art. 9 Abs. 1 Dublin-II-VO nicht (Asylbewerber mit gültigem Aufenthaltstitel), weil diese Vorschrift nach Art. 2 Buchst. j Dublin-II-VO nicht für Aufenthaltstitel gilt, die während der zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates entsprechend dieser Verordnung erforderlichen Frist erteilt wurden. Auch Art. 10 Abs. 1 Satz 1 Dublin-II-VO ist nicht einschlägig. Zwar hatte der Kläger die Luftgrenze der Bundesrepublik Deutschland illegal überschritten, er kam hierbei aber nicht aus einem Drittstaat, sondern aus einem Mitgliedstaat (Griechenland).

Aus der Feststellung, dass der Kläger ursprünglich (2008) aus einem Drittstaat (Türkei) kommend die Grenze Griechenlands illegal überschritten hatte, ergibt sich gemäß Art. 10 Abs. 1 Satz 1 Dublin-II-VO die Erstzuständigkeit der Hellenischen Republik. Eine Abschiebung dorthin käme allerdings nicht in Betracht, weil die Durchführung eines ordnungsgemäßen Asylverfahrens nicht gewährleistet wäre und Obdachlosigkeit drohen würde. Infolge dessen wäre eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i. S. v. Art. 3 EMRK gegeben (EGMR, E. v. 21.1.2011 - Nr. 30696/09 - NVwZ 2011, 413).

Da sich aus den übrigen Kriterien des Kapitels III der Dublin-II-Verordnung nicht bestimmen lässt, welchem Mitgliedstaat die Prüfung des Asylantrags obliegt, ist nach der Generalklausel des Art. 13 Dublin-II-VO der erste Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig. Dies ist hier die Italienische Republik (Italien). Ausweislich der Bundesamtsakte (Bl. 50) hat der Kläger dort im November 2008 den Asylantrag gestellt. Trotz der Erkenntnis, dass nach Art. 10 Abs. 1 Satz 1 Dublin-II-VO eigentlich von der vorrangigen Zuständigkeit Griechenlands auszugehen wäre, scheidet der Ersteintritt als Anknüpfungskriterium hier aus, weil eine Abschiebung dorthin unzumutbar wäre, da das Asylwesen in Griechenland derzeit an sog. systemischen Mängeln leidet (vgl. EGMR, E. v. 21.1.2011 a. a. O.). Art. 13 Dublin-II-VO greift auch dann, wenn sich aus den Kriterien des Kapitels III zwar eine anderweitige Zuständigkeit ergibt, eine Überstellung des Antragstellers dorthin aber nicht möglich ist (EuGH, U. v. 21.12.2011 - C-411/10 und C-493/10 - NVwZ 2012, 417). Die Unmöglichkeit der Überstellung eines Asylbewerbers an den ursprünglich als zuständig bestimmten Mitgliedstaat hat als solche nicht zur Folge, dass der den zuständigen Mitgliedstaat bestimmende Mitgliedstaat verpflichtet ist, den Asylantrag auf der Grundlage von Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO selbst zu prüfen (EuGH, U. v. 14.11.2013 - C- 4/11 - NVwZ 2014, 129 Rn. 37).

Das vom Bundesamt an die italienische Dublin-Einheit (Unità Dublino) gerichtete Wiederaufnahmegesuch entspricht den Anforderungen des Art. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 vom 2. September 2003 (Durchführungsbestimmungen zur Dublin-II-VO). Im vorliegenden Fall liegt entgegen der Auffassung des Klägers kein Übernahmegesuch i. S. v. Art. 17 Dublin-II-VO, sondern ein Wiederaufnahmegesuch i. S. v. Art. 20 Dublin-II-VO vor, da die Zuständigkeit nicht erst noch geklärt werden musste, sondern schon feststand (Filzwieser/Sprung, Dublin II-Verordnung, 3. Aufl. 2010, Art. 16 K4 und K5). Da der Kläger bereits in Italien einen Asylantrag gestellt hatte, geht es hier nicht um eine Aufnahme nach Art. 16 Abs. 1 Buchst. a Dublin-II-VO, sondern um eine Wiederaufnahme nach Art. 16 Abs. 1 Buchst. c und d Dublin-II-VO (OVG LSA, U. v. 2.10.2013 - 3 L 645/12 UA S. 9). Das Bundesamt hat entsprechend Art. 2 der Durchführungsbestimmungen das vorgeschriebene Formblatt verwendet. Dieses umfasst auch das Ergebnis des Vergleichs der Fingerabdrücke (Hinweis auf die Eurodac-Nummer mit italienischer Kennung). Außerdem hat das Bundesamt unter der Rubrik „Frühere Asylverfahren“ darauf hingewiesen, dass am 7.11.2008 in „Bolzano/Italy“ schon einmal Asyl beantragt worden sei (s. Bl. 5 der Bundesamtsakte). Die Rüge des Klägers, das Bundesamt habe die italienische Dublin-Behörde absichtlich getäuscht, geht fehl. Die Frage, welche Rechtsfolgen eintreten könnten, falls der ersuchende Mitgliedstaat dem ersuchten Mitgliedstaat wichtige Informationen vorenthält (vgl. hierzu Filzwieser/Sprung, a. a. O. Art. 19 K11), hat sich hier nicht gestellt.

Im Übrigen ist die Zuständigkeit zur Durchführung des Asylverfahrens nicht nach Art. 20 Abs. 2 Satz 1 Dublin-II-VO auf die Beklagte übergegangen, weil die Überstellung nach Italien nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten erfolgt ist. Diese Frist beginnt gemäß Art. 20 Abs. 1 Buchst. d Alt. 2 Dublin-II-VO erst nach der (rechtskräftigen) Entscheidung über den Rechtsbehelf zu laufen, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat (vgl. Art. 19 Abs. 2 Satz 4 Dublin-II-VO, § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG n. F.). Im vorliegenden Fall ist ausschlaggebend, dass das Verwaltungsgericht Regensburg den Vollzug der Abschiebung im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes durch Beschluss vom 7. September 2011 vorläufig ausgesetzt hat. Gemäß der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs kann die Sechs-Monats-Frist erst zu laufen beginnen, wenn sichergestellt ist, dass die Überstellung in Zukunft erfolgen wird, und wenn lediglich deren Modalitäten zu regeln bleiben. Dass die Überstellung erfolgen wird, kann nicht als sichergestellt angesehen werden, wenn ein Gericht des ersuchenden Mitgliedstaats, bei dem ein Rechtsbehelf anhängig ist, über die Frage in der Sache nicht entschieden hat, sondern sich darauf beschränkt, zu einem Antrag auf Aussetzung des Vollzugs der angefochtenen Entscheidung Stellung zu nehmen. Daraus ergibt sich, dass zur Wahrung der praktischen Wirksamkeit von Art. 20 Abs. 1 Buchst. d Dublin-II-VO diese Frist nicht bereits ab der vorläufigen gerichtlichen Entscheidung läuft, sondern erst ab der gerichtlichen Entscheidung, mit der über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens entschieden wird (EuGH, U. v. 21.9.2009 - C-19/08 - NVwZ 2009, 639). Die Regelung über das Entfallen der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 75 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG kommt hier folglich nicht zum Tragen (so auch OVG LSA, U. v. 2.10.2013 a. a. O.; OVG NRW, U. v. 7.3.2014 - 1 A 21/12.A - juris).

Schließlich ergibt sich die Zuständigkeit der Beklagten für die Prüfung des Asylantrags des Klägers auch nicht aus Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO (sog. Selbsteintrittsrecht).

Wenn ein Mitgliedstaat der Aufnahme des betreffenden Asylbewerbers - wie im vorliegenden Fall - zugestimmt (bzw. nicht geantwortet hat), so kann der Asylbewerber der Bestimmung dieses Mitgliedstaats nur damit entgegentreten, dass er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat geltend macht, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i. S. v. Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union - GR-Charta - ausgesetzt zu werden (EuGH, U. v. 10.12.2013 - C-394.12 - NVwZ 2014, 208).

Ebenso wie das deutsche Konzept der „normativen Vergewisserung“ hinsichtlich der Sicherheit von Drittstaaten (BVerfG, U. v. 14.5.1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 - BVerfGE 94, 49) stützt sich das gemeinsame europäische Asylsystem nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (grundlegend: U. v. 21.12.2011 - C-411/10 und C-493/10 - NVwZ 2012, 417 Rn. 75 ff.) auf die uneingeschränkte und umfassende Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention und die Versicherung, dass niemand dorthin zurückgeschickt wird, wo er Verfolgung ausgesetzt ist. Das gemeinsame europäische Asylsystem wurde dem Gerichtshof zufolge in einem Kontext entworfen, der die Annahme zulässt, dass alle daran beteiligten Staaten die Grundrechte beachten und dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen dürfen. Unter diesen Bedingungen muss die Vermutung gelten, das die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sowie mit dem am 28. Juli 1951 in Genf unterzeichneten Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention) und der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) steht. Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass dieses System in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stößt, so dass eine ernstzunehmende Gefahr besteht, dass Asylbewerber bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt werden, die mit ihren Grundrechten unvereinbar ist. Wenn aber jeder Verstoß des zuständigen Mitgliedstaats gegen einzelne Bestimmungen zur Folge hätte, dass der Mitgliedstaat, in dem ein Asylantrag eingereicht wurde, daran gehindert wäre, den Antragsteller an den erstgenannten Staat zu überstellen, würde damit den in Kapitel III der Dublin-II-Verordnung genannten Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats ein zusätzliches Ausschlusskriterium hinzugefügt, nach dem geringfügige Verstöße gegen die Vorschriften dieser Richtlinien in einem bestimmten Mitgliedstaat dazu führen könnten, dass er von den in dieser Verordnung vorgesehenen Verpflichtungen entbunden wäre. Dies würde die betreffenden Verpflichtungen in ihrem Kern aushöhlen und die Verwirklichung des Ziels gefährden, rasch den Mitgliedstaat zu bestimmen, der für die Entscheidung über einen in der Union gestellten Asylantrag zuständig ist. Falls dagegen ernsthaft zu befürchten wäre, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber implizieren, so wäre die Überstellung mit dieser Bestimmung unvereinbar. Damit die Union und ihre Mitgliedstaaten ihren Verpflichtungen in Bezug auf die Grundrechte der Asylbewerber nachkommen können, obliegt es den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte, einen Asylbewerber nicht an den „zuständigen Mitgliedstaat“ im Sinne der Dublin-II-Verordnung zu überstellen, wenn ihm nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu werden.

Für das verwaltungsgerichtliche Verfahren hat das Kriterium der systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union Bedeutung für die Gefahrenprognose im Rahmen des Art. 4 EU-GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK (s. neuerdings BVerwG, B. v. 19.3.2014 - 10 B 6.14 Rn. 9 - darauf abstellend, dass sich solche Mängel wegen ihrer systemimmanenten Regelhaftigkeit verlässlich prognostizieren lassen).

Gemäß diesen Grundsätzen besteht für die Beklagte keine Verpflichtung zum Selbsteintritt nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO. Im Hinblick auf den Charakter dieser Vorschrift als Ermessensnorm (vgl. EuGH, U. v. 21.12.2011 a. a. O. Rn. 65) kann der Kläger allenfalls ein Recht auf ermessensfehlerfreie Entscheidung nach § 40 VwVfG haben (Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, Stand Januar 2014, § 27a Rn. 52). Das Ermessen verdichtet sich nur dann zu einer Verpflichtung zum Selbsteintritt, wenn der eigentlich zuständige Mitgliedstaat wegen systemischer Mängel außer Betracht bleiben muss und keine anderweitige Zuständigkeit eines Mitgliedstaats besteht (ders., a. a. O. Rn. 68). Gemäß der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist der den zuständigen Mitgliedstaat bestimmende Mitgliedstaat verpflichtet, den Asylantrag auf der Grundlage des Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO selbst zu prüfen, wenn ansonsten Grundrechte - hier: Verbot der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung nach Art. 4 und Recht auf Asyl nach Art. 18 GR-Charta - des Asylbewerbers verletzt wären (EuGH, U. v. 14.11.2013 - Puid, C-4/11- NVwZ 2014, 129).

Der Senat ist auf der Grundlage des ihm vorliegenden Erkenntnismaterials zur Situation von Asylbewerbern sowie von Dublin-II-Rückkehrern in Italien zu der Überzeugung gelangt, dass bei dem Kläger eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Fall der Überstellung/Abschiebung nicht ernsthaft zu befürchten ist.

Gemäß der Rechtsprechung des Europäischen Gerichts für Menschenrechte (EGMR) ist in Italien nicht von systemischen Mängeln auszugehen. Dieser hat bei seinen aktuellen Entscheidungen unter Heranziehung der UNHCR-Empfehlungen zu wichtigen Aspekten des Flüchtlingsschutzes in Italien (Juli 2012), des Berichts des Kommissars für Menschenrechte des Europarates (September 2012) sowie der Berichte von Nichtregierungsorganisationen und unter Würdigung des gesamten Asylsystems in Italien (Verfahrensmodalitäten, Organisation der Unterbringung, Anzahl der Einrichtungen und Unterkunftsplätze, medizinische Versorgung, Bereitstellung von Mahlzeiten, Kleidung etc.) folgende Erkenntnisse zugrunde gelegt: Es gebe in Italien ein System von Aufnahmeeinrichtungen: Neun staatliche CARA-Zentren für die Erstaufnahme während fünf Wochen, ca. 150 SPRAR-Einrichtungen von Gemeinden, Provinzen und wohltätigen Organisationen für die Zeit des Asylverfahrens während sechs Monaten; außerdem die in Großstädten angesiedelten Metropolitan- Aufnahmezentren und eine große Anzahl von Notunterkünften auf regionallokaler Basis. Landesweit könnten je nach Bedarf bis zu 50.000 Plätze bereitgestellt werden, tatsächlich sei die gegenwärtige Anzahl aber erheblich niedriger. Schwierigkeiten bereiteten speziell die prompte Erkennung von Personen mit besonderem Schutzbedürfnis und die Wahrung der Familieneinheit im Rahmen der Verteilung. In einigen Einrichtungen, namentlich in Kalabrien und in der Lombardei, gebe es ganz gravierende Probleme. In den letzten Jahren seien mit Unterstützung des Europäischen Flüchtlingsfonds Aufnahmeeinrichtungen für Dublin-Rückkehrer geschaffen worden. Diese würden im Allgemeinen wieder in den früheren Stand ihres Asylverfahrens eingesetzt werden. Hierfür würde die Grenzpolizei das jeweils zuständige Amt für Einwanderung ausfindig machen und den Rückkehrer auffordern, sich dorthin zu begeben. Wenngleich die allgemeine Lage und die Lebensbedingungen der Asylbewerber in Italien einige Unzulänglichkeiten aufzeigten, seien aber keine systemischen Mängel bei der Bereitstellung von Hilfe und Einrichtungen für Asylbewerber zutage getreten. Vor diesem Hintergrund sei nicht anzunehmen, dass ein nach Italien zurückkehrender Asylbewerber, sei es in materieller, physischer oder psychischer Hinsicht, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit der konkreten Gefahr einer menschenunwürdigen Notlage ausgesetzt wäre - „ … has not shown that … future prospects if returned to Italy whether taken from a material, physical or psychological perspective, disclose a sufficiently real and imminent risk of hardship severe enough to fall within the scope of Article 3“ - (EGMR, E. v. 2.4.2013 - Nr. 27725/10 - ZAR 2013, 336 Rn. 43 ff., 78; B. v. 18.6.2013 - Nr. 53852/11 - ZAR 2013, 338; E. v. 10.9.2013 - Nr. 2314/10 - www.hudoc.echr.coe.int Rn. 139; s. auch BVerwG, U. v. 1.6.2011 - 10 C 25.10 - BVerwGE 140, 22 Rn. 22, wonach der Begriff „real risk“ dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entspricht).

Dieser Einschätzung entspricht die Auskunftslage gemäß den Erkenntnissen des Auswärtigen Amts. Nach der Auskunft vom 11. Juli 2012 an das Verwaltungsgericht Freiburg könnten „derzeit“ alle Asylbewerber in öffentlichen Zentren untergebracht werden. Es gebe lokale/regionale Überbelegungen (z. B. Rom/Latium). Landesweit seien aber genügend Plätze vorhanden. Insbesondere in Norditalien seien die Kapazitäten nicht ausgeschöpft. Zusätzlich zu den staatlichen und öffentlichen Einrichtungen gebe es kommunale und karitative Einrichtungen. Sofern sich Dublin-Rückkehrer noch im Asylverfahren befänden, werde ihnen eine Unterkunft in einer Aufnahmeeinrichtung zugeteilt (ebenso: Auskunft vom 11.9.2013 an das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen). Auch die UNHCR-Empfehlungen zu wichtigen Aspekten des Flüchtlingsschutzes in Italien vom Juli 2013 (S. 10 ff.) stellen die Erkenntnis, dass das Asylsystem keine systemischen Mängel aufweist, nicht in Frage. Die italienische Regierung habe ab 2011 erhebliche Anstrengungen zur Verbesserung der teilweise unzulänglichen Aufnahmeverhältnisse unternommen. Die als Asylbewerber registrierten Dublin-Rückkehrer hätten im Allgemeinen Zugang zu den Transitaufnahmezentren. Da deren Kapazitäten aber sehr begrenzt seien, könne es vorkommen, dass diese Personen u.U. einige Tage am Flughafen ausharren müssten, bis ein Platz in einem solchen Zentrum frei wird. Nach den Erkenntnissen der Schweizerischen Flüchtlingshilfe erhalten Personen, deren Asylverfahren in Italien noch nicht abgeschlossen war, am Flughafen ein Bahnticket zur Weiterreise in die zuständige Region (Italien: Aufnahmebedingungen - aktuelle Situation von Asylsuchenden und Schutzberechtigten, insbesondere Dublin-Rückkehrenden, Oktober 2013, S. 13).

Demgegenüber berichten die Schweizerische Flüchtlingshilfe (a. a. O.) und borderlineeurope e.V. (Judith Gleitze, Gutachten vom Dezember 2012 für das Verwaltungsgericht Braunschweig) von vielfältigen Unzulänglichkeiten bei der Unterbringung von Asylsuchenden in Italien. Aus den geschilderten zahlreichen Einzelfällen lässt sich nach Auffassung des Senats aber nicht der Schluss ziehen, dass hier systemische Schwächen vorliegen, welche mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine konkrete Gefährdung von Dublin-Rückkehrern zur Folge hätten. Aus den Berichten von UNHCR (a. a. O. S. 14 f.), der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (a. a. O. S. 69) und borderlineeurope (a. a. O. S. 50 f.) geht zudem auch übereinstimmend hervor, dass die größten Probleme nicht während des Asylverfahrens auftreten, sondern bei denjenigen Personen, deren Asylverfahren mit oder ohne Zuerkennung eines Schutzstatus geschlossen worden sind. Für diese Personen endet der Anspruch auf Gewährleistung der Grundbedürfnisse im Allgemeinen mit dem Abschluss des Asylverfahrens. Nur unter bestimmten Umständen dürfen Personen, denen die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden ist, danach noch bis zu sechs Monaten in einer SPRAR-Einrichtung bleiben (EGMR, E. v. 2.4.2013, a. a. O. Rn. 43). Da es in Italien kein staatliches Sozialhilfesystem gibt (Auswärtiges Amt vom 11.7.2012, a. a. O. Nr. I 1 b), seien diese Personen - ebenso wie italienische Staatsangehörige - im Fall der Mittellosigkeit auf sich allein gestellt, wodurch in italienischen Großstädten vielfach Armutsviertel mit arbeits- und mittellosen Flüchtlingen entstanden seien. Berichte über diese allgemeine soziale Problematik sind somit kein hinreichendes Indiz für systemische Mängel im Asylverfahren.

Die genaue Zahl der Unterkunftsplätze lässt sich aus verschiedenen Gründen nur schwer bestimmen. UNHCR (24.4.2012, S. 3) ist für das Jahr 2012 davon ausgegangen, dass in zentralen Einrichtungen wie CARA und SPRAR insgesamt 8.000 Plätze vorhanden seien. Im Jahr 2011 sei zwischen den regionalen Regierungen und den örtlich zuständigen Behörden eine Vereinbarung getroffen worden, dergemäß Kriterien für die landesweite Verteilung von bis zu 50.000 Personen festgelegt wurden. Bis Anfang 2012 seien im Rahmen dieses Verteilungsplans tatsächlich 20.000 Personen untergebracht worden. Die Verantwortung hierfür obliege dem Leiter des Zivilschutzes. Bezüglich der Kapazität allein der SPRAR-Einrichtungen sei mittlerweile aber eine Aufstockung auf 8.000 Plätze vorgesehen (UNHCR, Juli 2013, S. 12). Die Schweizerische Flüchtlingshilfe hat für das Jahr 2013 die Zahl der CARA-Plätze und die Zahl der SPRAR-Plätze mit jeweils ca. 5.000 beziffert und darüber hinaus auf ein Dekret des italienischen Innenministeriums vom September 2013 hingewiesen, demgemäß die SPRAR-Kapazität von 2014 bis 2016 auf 16.000 Plätze erhöht werden soll (a. a. O. S. 18, 22). Unter Berücksichtigung der Fluktuation (Wechsel in der Belegung) dürfte die tatsächliche Kapazität höher als die Zahl der Unterkunftsplätze sein. Im Hinblick auf die Zahl der in Italien im Jahr 2013 registrierten Asylanträge (28.000 - s. eurostatpressemitteilung Nr. 46/2014) und die für das Jahr 2012 verfügbare Zahl der Dublin-Überstellungen nach Italien (3.551 - s. Schweizerische Flüchtlingshilfe, a. a. O. S. 8) besteht zwischen dem Bedarf und der Kapazität an Unterkunftsplätzen jedenfalls keine solche Diskrepanz, dass die Möglichkeit der Unterbringung von Dublin-Rückkehren als unrealistisch zu erachten wäre.

Die Annahme von borderlineeurope (a. a. O. S. 23 ff., S. 59), dass die Unterbringungsquote für Dublin-Rückkehrer von 2010 bis 2012 maximal nur 12% pro Jahr betragen habe, begegnet erheblichen Bedenken. Das Auswärtige Amt hat darauf hingewiesen, dass diesbezüglich belastbares statistisches Zahlenmaterial nicht vorhanden sei. Die (von borderlineeurope zitierte) Aussage einer Mitarbeiterin der am Flughafen Roma Fiumicino tätigen Arciconfraternita sei eine auf Erfahrungswerten basierende subjektive Feststellung (11.9.2013, S. 3). Der angegebene Prozentsatz bezieht sich auf die besondere Situation in Rom, welche nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amts wegen der lokalen und regionalen Überbelegung in Rom und Latium (11.7.2012, S. 6) allerdings nicht repräsentativ erscheint. Hinzu kommt, dass die von borderlineeurope beschriebene Gruppe etwa zur Hälfte aus Personen besteht, die sich nicht im Asyl- bzw. Klageverfahren befinden, also keinen Anspruch auf Versorgung haben. Im Übrigen wäre noch zu berücksichtigen, dass nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amts viele Dublin-Rückkehrer keinen Asyl- oder Schutzantrag stellen, da sie häufig nicht in Italien bleiben wollen. Somit stünden ihnen die Aufnahmeeinrichtungen nicht mehr offen (11.7.2012, S. 5). Diese Personen können folglich ebenfalls nicht zum Kreis der nicht untergebrachten Anspruchsberechtigten gezählt werden.

Außerdem sprechen die besonderen Umstände des vorliegenden Falls gegen die Annahme, dass der Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit der konkreten Gefahr der Obdachlosigkeit und des Hungerns ausgesetzt wäre. Da ursprünglich die Quästur Bozen für seinen Asylantrag zuständig war, ist anzunehmen, dass er im Fall der Rückkehr nach Italien dorthin weitergeleitet werden würde. Gemäß den bisherigen, vom Kläger nicht in Frage gestellten Erkenntnissen des Auswärtigen Amts sind in Norditalien die Unterbringungskapazitäten noch nicht ausgeschöpft, so dass dort ohnehin nicht mit einer Mangelsituation zu rechnen wäre.

Auch der Hinweis des Klägers auf die Stellungnahme von UNHCR an das Verwaltungsgericht Braunschweig (24.4.2012) führt nicht zu einer anderen Einschätzung. Die darin geäußerten Bedenken, dass die Versorgung besonders schutzbedürftiger Personen häufig unzureichend sei (Buchstabe vii) und dass nicht ausgeschlossen werden könne, dass Asylsuchende, die im Rahmen des Dublin-Systems nach Italien überstellt werden und dort zuvor keinen formalen Asylantrag gestellt hatten, keinen sofortigen Zugang zur Aufnahmebedingungen erhielten (ix), treffen auf die Umstände des vorliegenden Falls nicht zu.

Für die Befürchtung des Klägers, er würde im Fall der Abschiebung nach Italien ohne Durchführung eines Asylverfahrens sogleich nach Griechenland weitergeschoben werden, gibt es keinen konkreten Anhaltspunkt (vgl. UNHCR v. 24.4.2012, a. a. O. zu 4.). Der Vortrag des Klägers, er sei etwa im Jahr 2010 von der Polizei in Bozen bei einer Vorsprache zwecks Erteilung eines Monatsausweises festgenommen und anschließend in einem versperrten Schiffsraum nach Griechenland verbracht worden, vermag die Annahme einer Wiederholungsgefahr nicht zu begründen.

Die hier vertretene Einschätzung, dass das italienische Asylwesen nicht an systemischen Mängeln leidet, wird von anderen Oberverwaltungsgerichten geteilt (OVG NRW, U. v. 7.3.2014 - 1 A 21/12.A - juris; OVG Rh-Pf, U. v. 21.2.2014 - 10 A 10656/13. OVG - juris; NdsOVG, B. v. 30.1.2014 - 4 LA 167/13 - juris; OVG LSA, U. v. 2.10.2013 - 3 L 645/12 - juris; OVG Berlin-Bbg, B. v. 17.6.2013 - OVG 7 S 33.13 - juris).

Die Befugnis zur Anordnung der Abschiebung ergibt sich aus § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylVfG.

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO sind nicht gegeben.

Tenor

I.

Der Antrag wird abgelehnt.

II.

Die Beklagte hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 24. Oktober 2014, soweit es Nr. 1 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 12. März 2014 betrifft, ist unbegründet, weil die geltend gemachten Voraussetzungen des § 78 Abs. 3 Nr. 1 und 2 AsylVfG nicht vorliegen. In Nr. 1 des Bescheids vom 12. März 2014 war die Unzulässigkeit des Asylantrags des Klägers ausgesprochen und in Nr. 2 die Abschiebung nach Ungarn angeordnet worden.

Das Urteil weicht nicht von der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Februar 1998 (9 C 28.97 - BVerwGE 106, 171 = NVwZ 1998, 861) ab. Eine Divergenz i. S.v. § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG liegt vor, wenn das Verwaltungsgericht mit einem sein Urteil tragenden Obersatz von einem Obersatz des höheren Gerichts abgewichen ist (BVerwG, B.v. 19.8.1997 - 7 B 261.97 - NJW 1997, 3328). Die Beklagte rügt insoweit, das Verwaltungsgericht lege den Rechtssatz zugrunde, gegen die gemäß § 27a AsylVfG erfolgte Antragsablehnung sei (nur) die Anfechtungsklage statthaft. Dies stehe im Widerspruch zu der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, weil im Gegensatz zu dessen Anforderungen keine das asylrechtliche Folgeverfahren abschließende Entscheidung getroffen werde.

Die Beklagte weist selbst zunächst selbst darauf hin, dass die genannte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zur Folgeantragsregelung nach § 71 AsylVfG ergangen ist. Vorliegend ist Klagegegenstand aber eine Entscheidung über die Unzulässigkeit eines Asylantrags nach § 27a AsylVfG. Das Bundesamt hat nur darüber entschieden und im Übrigen darauf verwiesen, dass eine materielle Prüfung nicht erfolgt ist. In dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ist zudem ausgeführt, dass der Aspekt, ob das Asylverfahren wieder aufgenommen werden müsse, lediglich den geltend gemachten Anspruch auf Asylanerkennung betreffe. Dass die Anforderungen für die Durchbrechung der Bestandskraft des Erstbescheids erfüllt seien, sei Voraussetzung für den Anspruch auf Asyl, nicht aber gebe es einen selbstständig neben diesem stehenden und eigenständig einklagbaren Wiederaufgreifensanspruch. Damit könne weder lediglich auf „Wiederaufgreifen“ geklagt noch vom Gericht „isoliert“ über die Frage, ob wiederaufzugreifen sei, entschieden werden. Eine derartige Fallkonstellation ist vorliegend aber nicht gegeben. Zum einen steht hier als Vorfrage zum Anerkennungsanspruch des Klägers die Zuständigkeit zur Durchführung eines Asylverfahrens nach den Anforderungen der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (Dublin II-VO), im Streit. Zum anderen klagt der Kläger weder „isoliert“ auf Wiederaufgreifen noch macht er (materiell) einen Anspruch auf Asylanerkennung geltend. Er geht vielmehr allein gegen die Feststellung vor, dass sein Asylantrag unzulässig sei und beantragt nur die Aufhebung dieses feststellenden Verwaltungsakts. Dem ist das Verwaltungsgericht gefolgt und davon ausgegangen, dass ein (isolierter) Anfechtungsantrag statthaft ist. Mit dieser Annahme wird kein Obersatz aufgestellt, welcher der von der Beklagten zitierten Rechtsprechung widersprechen würde, weil ein Anspruch auf Asylanerkennung und damit ein materielles Verpflichtungsbegehren, wie es der vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fallkonstellation zugrunde lag, hier nicht im Raum stand.

Der Streitsache kommt auch nicht die ihr von der Beklagten hilfsweise zugemessene grundsätzliche Bedeutung im Sinn von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG zu. Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass die im Zulassungsantrag dargelegte konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war, ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und ihr eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 36).

Die Beklagte hält für grundsätzlich klärungsbedürftig, ob „bei einem als unzulässig i. S. d. § 27a AsylVfG abgelehnten Asylantrag die prozessuale Dispositionsbefugnis der Klägerseite Einschränkungen unterliegt und ob deshalb eine isolierte Anfechtungsklage als zulässige Klageart ausscheidet, weil vielmehr auch dann zwingend eine Verpflichtungsklage zu erheben ist, sowie ob die Tatsachengerichte gehalten sind, das Vorliegen eines insgesamt verfahrensrelevanten Asylantrags festzustellen und ferner, ob dann auch das Asylbegehren in der Sache spruchreif zu machen ist.“ Im in besonderer Weise von der Verwirklichung der Grundsätze einer Verfahrenskonzentration und -beschleunigung geprägten Asylverfahren sei nur eine auf Statuszuerkennung gerichtete Klage, nicht aber ein nur auf bloße Anfechtung oder auf Rückverweisung zur nochmaligen behördlichen Befassung gerichtetes Begehren zulässig.

Diese Fragen rechtfertigen mangels Klärungsbedürftigkeit nicht die Zulassung der Berufung. Denn sie sind durch die neuere obergerichtliche Rechtsprechung bereits hinreichend geklärt. Der Verwaltungsgerichtshof hat im Urteil vom 28. Februar 2014 (13a B 13.30295 - BayVBl 2014, 628) als statthafte Klageart gegen die Feststellung, dass der Asylantrag unzulässig ist, die Anfechtungsklage angesehen. Zwar weist die Beklagte zu Recht darauf hin, dass eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs zu revisiblem Bundesrecht der Rechtssache nicht die grundsätzliche Bedeutung nimmt (BVerfG, B.v. 11.2.2008 - 2 BvR 2575/07 - InfAuslR 2008, 240) und eine Klärung durch das Bundesverwaltungsgericht noch nicht erfolgt ist. Ein weitergehender Klärungsbedarf besteht aber im Gegensatz zu der Fallkonstellation, die der von der Beklagten zitierten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zugrunde lag, vorliegend dennoch nicht, weil die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs mit der allgemeinen obergerichtlichen Rechtsprechung im Einklang steht (siehe NdsOVG, B.v. 6.11.2014 - 13 LA 66/14 - AuAS 2014, 273; OVG Saarl, B.v. 12.9.2014 - 2 A 191/14 - juris; VGH BW, U.v. 16.4.2014 - A 11 S 1721/13 - InfAuslR 2014, 293; OVG NRW, U.v. 7.3.2014 - 1 A 21/12.A - AuAS 2014, 118 = DVBl 2014, 790; OVG LSA, U.v. 2.10.2013 - 3 L 643/12 - juris). Danach ist gegen Entscheidungen des Bundesamts, die Durchführung eines Asylverfahrens nach Maßgabe von § 27a AsylVfG abzulehnen, eine Anfechtungsklage statthaft. Die Zuständigkeitsprüfung nach der Dublin II- bzw. Dublin III-VO ist der Prüfung des Asylantrags vorgelagert und von dem Verfahren zur inhaltlichen Prüfung des Asylverfahrens zu unterscheiden. Zudem hat das Bundesverwaltungsgericht (U.v. 5.9.2013 - 10 C 1.13 - BVerwGE 147, 329 = NVwZ 2014, 158; U.v. 7.3.1995 - 9 C 264.94 - NVwZ 1996, 80) im vergleichbaren Fall einer Einstellungsverfügung durch das Bundesamt nach §§ 32, 33 AsylVfG die vom Kläger beantragte (bloße) Aufhebung des Einstellungsbescheids für ausreichend erachtet mit der Folge, dass die Sachentscheidung zunächst dem Bundesamt vorbehalten bleibt. Das Bundesverwaltungsgericht weist darauf hin, dass das Verwaltungsgericht zwar die Sache grundsätzlich spruchreif zu machen habe, dies aber nicht ausnahmslos gelte. Es könne nicht generell Aufgabe des Verwaltungsgerichts sein, anstelle des mit besonderer Sachkunde versehenen Bundesamts, das mit der Sache noch gar nicht befasst gewesen sei und demgemäß auch eine Entscheidung über das Asylbegehren noch gar nicht habe treffen können, über den Asylanspruch zu befinden. § 113 Abs. 3 VwGO lasse sich jedenfalls der Rechtsgedanke entnehmen, dass die Verwaltungsgerichte auch bei der Kontrolle eines rechtlich gebundenen Verwaltungsakts nicht in jedem Falle selbst die Spruchreife herbeiführen müssten, sondern bei erheblichen Aufklärungsdefiziten zunächst der Behörde Gelegenheit geben könnten, eine den Streitstoff erschöpfende Sachentscheidung zu treffen. Die besondere - auf Beschleunigung und Konzentration auf eine Behörde gerichtete - Ausgestaltung des Asylverfahrens durch das Asylverfahrensgesetz stehe im Falle versäumter Sachentscheidung durch das Bundesamt der Annahme entgegen, dass nur eine auf die Asylanerkennung gerichtete Verpflichtungsklage, auf die hin das Verwaltungsgericht die Sache spruchreif zu machen hätte, in Betracht käme. Darüber hinaus ginge dem Asylantragsteller eine Tatsacheninstanz verloren, die mit umfassenderen Verfahrensgarantien wie persönliche Anhörung (§ 24 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG) und Amtsermittlungsgrundsatz (§ 24 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) ausgestattet sei. Die Regelungen des Asylverfahrensgesetzes ließen darauf schließen, dass die sachliche Prüfung vorrangig von der Fachbehörde nachzuholen sei und nicht generell eine Pflicht zum „Durchentscheiden“ angenommen werden könne. Diese Ausführungen können auf vorliegende Konstellation übertragen werden.

Das Urteil des zweiten Senats des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 19. Juni 2012 (A 2 S 1355/11 - AuAS 2012, 213), auf das sich die Beklagte beruft, unterscheidet sich dadurch, dass sich der Kläger hier in zulässiger Weise auf einen Anfechtungsantrag beschränkt, wohingegen der dortige Kläger einen Verpflichtungsantrag gestellt hatte. In diesem Zusammenhang erwähnt der Verwaltungsgerichtshof die Pflicht des Gerichts, die Streitsache spruchreif zu machen. Zudem dürfte sie durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs zwischenzeitlich überholt sein, worauf auch der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg im Urteil vom 16. April 2014 (a. a. O.) hinweist. Aus der zudem von der Beklagten genannten Zulassungsentscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (B.v. 2.9.2014 - A 11 S 1611/14 - n.v.) lässt sich nicht entnehmen, ob die grundsätzliche Bedeutung wegen der hier einschlägigen Frage angenommen wurde oder zur Klärung, ob in Bulgarien systemische Mängel vorhanden sind.

Auch die weiter aufgeworfenen Rechtsfragen, „ob die Aufrechterhaltung einer mit Unzulässigkeit gemäß § 27a AsylVfG begründeten Ablehnung der inhaltlichen Asylantragsprüfung auf anderer Rechtsgrundlage bzw. die Umdeutung einer so begründeten Entscheidung nach der asylverfahrensrechtlichen Konzeption ausscheidet, insbesondere auch dann, wenn es sich um den Fall eines Zweitantrags i. S. d. § 71a AsylVfG handelt, und ob sich das Tatsachengericht darauf beschränken darf, in diesen Konstellationen, zumal wenn ein ohne Statuszuerkennung, d. h. erfolglos abgeschlossenes Verfahrens in einem anderen Mitgliedstaat der Dublin-Verordnung hinzukommt, für die Aufhebung eines behördlich zum Nachteil des Antragstellers mit Verweis auf § 27a AsylVfG ergangenen Bescheides hinsichtlich des im Bundesgebiet gestellten Asylbegehrens nur zu prüfen und festzustellen, dass die Voraussetzungen für die Ablehnung nach § 27a AsylVfG nicht (mehr) erfüllt ist, oder ob es bei zugleich gegebenen Zweitanträgen noch der weitergehenden Feststellung bedarf, dass überhaupt ein verfahrensrechtlicher Asylantrag vorliegt, nicht nur weil die Verfahrenszuständigkeit Deutschlands besteht, sondern zudem Wiederaufgreifensgründe nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG dargetan sind“, begründen nicht die Zulassung der Berufung.

Da sich der Kläger zulässigerweise auf eine Anfechtungsklage beschränkt hat, mangelt es bereits an einem entsprechenden Verpflichtungsbegehren. Zudem bedarf die Frage einer Umdeutung keiner Klärung in einem Berufungsverfahren, da sie durch eine Subsumtion unter die Voraussetzungen des § 47 VwVfG beantwortet werden kann. Danach kann ein fehlerhafter Verwaltungsakt in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind. Eine Umdeutung ist nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwVfG nicht zulässig, wenn der Verwaltungsakt, in den der fehlerhafte Verwaltungsakt umzudeuten wäre, der erkennbaren Absicht der erlassenden Behörde widerspräche oder seine Rechtsfolgen für den Betroffenen ungünstiger wären als die des fehlerhaften Verwaltungsakts. Hier sind die beiden möglichen Verwaltungsakte, die Feststellung der Unzulässigkeit des Asylantrags einerseits und die inhaltliche Ablehnung eines Zweitantrags nach § 71a AsylVfG, schon nicht auf das gleiche Ziel gerichtet. Ersteres dient allein der Feststellung, dass nicht die Bundesrepublik, sondern ein anderer Staat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Das Asylbegehren steht hierbei nicht inmitten. Die zweite Variante hingegen hat die materielle Durchführung eines weiteren Asylverfahrens zum Ziel. Auch würde die Umdeutung der im Bescheid explizit genannten Absicht, den Asylantrag in der Bundesrepublik nicht materiell zu prüfen, widersprechen. Dadurch unterscheidet sich vorliegende Konstellation auch von derjenigen, die der von der Beklagten genannten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 24.11.1998 - 9 C 53.97 - BVerwGE 108, 30 = NVwZ 1999, 302) zugrunde liegt. Dort hat das Bundesamt den Asylantrag materiell geprüft und eine Asylanerkennung zurückgenommen. In einem solchen Fall, der schon den Anerkennungsanspruch des Klägers zum Gegenstand hat, hat das Gericht der Entscheidung zufolge zu prüfen, ob sich der Aufhebungsbescheid als Widerruf der Asylanerkennung aufrechterhalten lässt. Eine solche Fallgestaltung liegt hier aber nicht vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylVfG.

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts (Anfechtungsklage) sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts (Verpflichtungsklage) begehrt werden.

(2) Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.

(2) Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Die Staaten außerhalb der Europäischen Gemeinschaften, auf die die Voraussetzungen des Satzes 1 zutreffen, werden durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, bestimmt. In den Fällen des Satzes 1 können aufenthaltsbeendende Maßnahmen unabhängig von einem hiergegen eingelegten Rechtsbehelf vollzogen werden.

(3) Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können Staaten bestimmt werden, bei denen auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, daß dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet. Es wird vermutet, daß ein Ausländer aus einem solchen Staat nicht verfolgt wird, solange er nicht Tatsachen vorträgt, die die Annahme begründen, daß er entgegen dieser Vermutung politisch verfolgt wird.

(4) Die Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen wird in den Fällen des Absatzes 3 und in anderen Fällen, die offensichtlich unbegründet sind oder als offensichtlich unbegründet gelten, durch das Gericht nur ausgesetzt, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme bestehen; der Prüfungsumfang kann eingeschränkt werden und verspätetes Vorbringen unberücksichtigt bleiben. Das Nähere ist durch Gesetz zu bestimmen.

(5) Die Absätze 1 bis 4 stehen völkerrechtlichen Verträgen von Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften untereinander und mit dritten Staaten nicht entgegen, die unter Beachtung der Verpflichtungen aus dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, deren Anwendung in den Vertragsstaaten sichergestellt sein muß, Zuständigkeitsregelungen für die Prüfung von Asylbegehren einschließlich der gegenseitigen Anerkennung von Asylentscheidungen treffen.

(1) Ein Ausländer, der aus einem Drittstaat im Sinne des Artikels 16a Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes (sicherer Drittstaat) eingereist ist, kann sich nicht auf Artikel 16a Abs. 1 des Grundgesetzes berufen. Er wird nicht als Asylberechtigter anerkannt. Satz 1 gilt nicht, wenn

1.
der Ausländer im Zeitpunkt seiner Einreise in den sicheren Drittstaat im Besitz eines Aufenthaltstitels für die Bundesrepublik Deutschland war,
2.
die Bundesrepublik Deutschland auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages mit dem sicheren Drittstaat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist oder
3.
der Ausländer auf Grund einer Anordnung nach § 18 Abs. 4 Nr. 2 nicht zurückgewiesen oder zurückgeschoben worden ist.

(2) Sichere Drittstaaten sind außer den Mitgliedstaaten der Europäischen Union die in Anlage I bezeichneten Staaten.

(3) Die Bundesregierung bestimmt durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates, dass ein in Anlage I bezeichneter Staat nicht mehr als sicherer Drittstaat gilt, wenn Veränderungen in den rechtlichen oder politischen Verhältnissen dieses Staates die Annahme begründen, dass die in Artikel 16a Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes bezeichneten Voraussetzungen entfallen sind. Die Verordnung tritt spätestens sechs Monate nach ihrem Inkrafttreten außer Kraft.

(1) In Streitigkeiten nach diesem Gesetz stellt das Gericht auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ab; ergeht die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Entscheidung gefällt wird. § 74 Absatz 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(2) Das Gericht kann außer in den Fällen des § 38 Absatz 1 und des § 73b Absatz 7 bei Klagen gegen Entscheidungen nach diesem Gesetz im schriftlichen Verfahren durch Urteil entscheiden, wenn der Ausländer anwaltlich vertreten ist. Auf Antrag eines Beteiligten muss mündlich verhandelt werden. Hierauf sind die Beteiligten von dem Gericht hinzuweisen.

(3) Das Gericht sieht von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe ab, soweit es den Feststellungen und der Begründung des angefochtenen Verwaltungsaktes folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt oder soweit die Beteiligten übereinstimmend darauf verzichten.

(4) Wird während des Verfahrens der streitgegenständliche Verwaltungsakt, mit dem ein Asylantrag als unzulässig abgelehnt wurde, durch eine Ablehnung als unbegründet oder offensichtlich unbegründet ersetzt, so wird der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens. Das Bundesamt übersendet dem Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist, eine Abschrift des neuen Verwaltungsakts. Nimmt der Kläger die Klage daraufhin unverzüglich zurück, trägt das Bundesamt die Kosten des Verfahrens. Unterliegt der Kläger ganz oder teilweise, entscheidet das Gericht nach billigem Ermessen.

Gründe

I.

1

Der Kläger, ein marokkanischer Staatsangehöriger, reiste nach eigenen Angaben im Jahr 2009 über den Seeweg nach Italien ein. Er lebte etwa einen Monat in einer Aufnahmeeinrichtung in Sizilien, wurde dort erkennungsdienstlich behandelt und reiste im Herbst 2009 nach Deutschland weiter, ohne in Italien Asyl beantragt zu haben. Im Oktober 2009 stellte er in Deutschland einen Asylantrag, den das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - im Hinblick auf die Zuständigkeit Italiens nach der Dublin-II-Verordnung als unzulässig ablehnte. Der Kläger wurde daraufhin im Dezember 2009 auf dem Luftweg über den Flughafen Rom-Fiumicino nach Italien überstellt. Im Januar 2011 wurde er erneut in Deutschland angetroffen und stellte wieder einen Asylantrag. Das Bundesamt lehnte mit Bescheid vom 27. April 2011 die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens ab und ordnete die Abschiebung des Klägers nach Italien an. Das Verwaltungsgericht hat seiner dagegen gerichteten Klage stattgegeben, das Oberverwaltungsgericht hat sie auf die Berufung der Beklagten abgewiesen. Es hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Beschwerde.

II.

2

Die Beschwerde, mit der der Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) geltend macht, hat keinen Erfolg.

3

Die Beschwerde wirft als grundsätzlich bedeutsam die Frage auf,

"inwieweit bei der Prognoseentscheidung über beachtliche Wahrscheinlichkeit unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung bei Rückführung in den eigentlich zuständigen Mitgliedstaat individuelle Erfahrungen des Betroffenen im dortigen Mitgliedstaat in erheblichem Maße zu berücksichtigen sind."

4

Damit in Zusammenhang stehe die Frage,

"ob es der Feststellung systemischer Mängel bedarf, wenn einem Betroffenen schon einmal oder ggf. auch mehrmals erniedrigende und unmenschliche Behandlung widerfahren ist, insbesondere nach einer schon einmal erfolgten Überstellung."

5

Die aufgeworfenen Fragen rechtfertigen mangels Klärungsbedürftigkeit nicht die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Denn sie lassen sich, soweit sie nicht bereits in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Bundesverwaltungsgerichts geklärt sind, auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantworten. Der beschließende Senat hat dazu in seinem Beschluss vom 19. März 2014 - BVerwG 10 B 6.14 - (juris Rn. 5 ff.) ausgeführt:

"Gemäß Art. 3 Abs. 1 Satz 2 der im vorliegenden Verfahren (noch) maßgeblichen Verordnung Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl EU Nr. L 50 S. 1) - Dublin-II-Verordnung - wird ein Asylantrag von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird. Wie sich aus ihren Erwägungsgründen 3 und 4 ergibt, besteht einer der Hauptzwecke der Dublin-II-Verordnung in der Schaffung einer klaren und praktikablen Formel für die Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft und eine zügige Bearbeitung der Asylanträge zu gewährleisten. Das Gemeinsame Europäische Asylsystem gründet sich auf das Prinzip gegenseitigen Vertrauens, dass alle daran beteiligten Staaten die Grundrechte sowie die Rechte beachten, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 sowie in der EMRK finden (EuGH - Große Kammer, Urteil vom 21. Dezember 2011 - Rs. C-411/10 und Rs. C-493/10, N.S. u.a. - Slg. 2011, I-13905 Rn. 78 f. = NVwZ 2012, 417). Daraus hat der Gerichtshof die Vermutung abgeleitet, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechte-Charta (GR-Charta) sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK steht (EuGH a.a.O. Rn. 80).

Dabei hat der Gerichtshof nicht verkannt, dass dieses System in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stoßen kann, so dass die ernstzunehmende Gefahr besteht, dass Asylbewerber bei einer Überstellung an den nach Unionsrecht zuständigen Mitgliedstaat auf unmenschliche oder erniedrigende Weise behandelt werden. Deshalb geht er davon aus, dass die Vermutung, die Rechte der Asylbewerber aus der Grundrechte-Charta, der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention würden in jedem Mitgliedstaat beachtet, widerlegt werden kann (EuGH a.a.O. Rn. 104). Eine Widerlegung der Vermutung hat er aber wegen der gewichtigen Zwecke des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems an hohe Hürden geknüpft: Nicht jede drohende Grundrechtsverletzung oder geringste Verstöße gegen die Richtlinien 2003/9, 2004/83 oder 2005/85 genügen, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln (EuGH a.a.O. Rn. 81 ff.). Ist hingegen ernsthaft zu befürchten, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 GR-Charta zur Folge haben, ist eine Überstellung mit dieser Bestimmung unvereinbar (EuGH a.a.O. Rn. 86 und 94).

Der Gerichtshof hat seine Überlegungen dahingehend zusammengefasst, dass es den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte obliegt, einen Asylbewerber nicht an den 'zuständigen Mitgliedstaat' im Sinne der Dublin-II-Verordnung zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GR-Charta ausgesetzt zu werden (EuGH a.a.O. Rn. 106 und LS 2; ebenso Urteil der Großen Kammer vom 14. November 2013 - Rs. C-4/11, Puid - NVwZ 2014, 129 Rn. 30). Schließlich hat er für den Fall, dass der zuständige Mitgliedstaat der Aufnahme zustimmt, entschieden, dass der Asylbewerber mit dem in Art. 19 Abs. 2 der Dublin-II-Verordnung vorgesehenen Rechtsbehelf gegen die Überstellung der Heranziehung des in Art. 10 Abs. 1 der Verordnung niedergelegten Zuständigkeitskriteriums nur mit dem o.g. Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber entgegentreten kann (EuGH - Große Kammer, Urteil vom 10. Dezember 2013 - Rs. C-394/12, Abdullahi - NVwZ 2014, 208 Rn. 60). Diese Rechtsprechung des Gerichtshofs liegt auch Art. 3 Abs. 2 der Neufassung der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 vom 26. Juni 2013 (ABl EU L Nr. 180 S. 31) - Dublin-III-Verordnung - zugrunde.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat derartige systemische Mängel für das Asylverfahren wie für die Aufnahmebedingungen der Asylbewerber in Griechenland in Fällen der Überstellung von Asylbewerbern im Rahmen des Dublin-Systems der Sache nach bejaht (EGMR - Große Kammer, Urteil vom 21. Januar 2011 - Nr. 30696/09, M.S.S./Belgien und Griechenland - NVwZ 2011, 413) und in Folgeentscheidungen insoweit ausdrücklich auf das Kriterium des systemischen Versagens ('systemic failure') abgestellt (EGMR, Entscheidungen vom 2. April 2013 - Nr. 27725/10, Mohammed Hussein u.a./Niederlande und Italien - ZAR 2013, 336 Rn. 78; vom 4. Juni 2013 - Nr. 6198/12, Daytbegova u.a./Österreich - Rn. 66; vom 18. Juni 2013 - Nr. 53852/11, Halimi/Österreich und Italien - ZAR 2013, 338 Rn. 68; vom 27. August 2013 - Nr. 40524/10, Mohammed Hassan/Niederlande und Italien - Rn. 176 und vom 10. September 2013 - Nr. 2314/10, Hussein Diirshi/Niederlande und Italien - Rn. 138).

Für das in Deutschland - im Unterschied zu anderen Rechtssystemen - durch den Untersuchungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) geprägte verwaltungsgerichtliche Verfahren hat das Kriterium der systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union Bedeutung für die Gefahrenprognose im Rahmen des Art. 4 GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK. Der Tatrichter muss sich zur Widerlegung der auf dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens unter den Mitgliedstaaten gründenden Vermutung, die Behandlung der Asylbewerber stehe in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechte-Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK, die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) verschaffen, dass der Asylbewerber wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit (vgl. Urteil vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 5.09 - BVerwGE 136, 377 Rn. 22 m.w.N. = Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u. Asylrecht Nr. 39) einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird. Die Fokussierung der Prognose auf systemische Mängel ist dabei, wie sich aus den Erwägungen des Gerichtshofs zur Erkennbarkeit der Mängel für andere Mitgliedstaaten ergibt (EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - Rs. C-411/10 und Rs. C-493/10 - a.a.O. Rn. 88 bis 94), Ausdruck der Vorhersehbarkeit solcher Defizite, weil sie im Rechtssystem des zuständigen Mitgliedstaates angelegt sind oder dessen Vollzugspraxis strukturell prägen. Solche Mängel treffen den Einzelnen in dem zuständigen Mitgliedstaat nicht unvorhersehbar oder schicksalhaft, sondern lassen sich aus Sicht der deutschen Behörden und Gerichte wegen ihrer systemimmanenten Regelhaftigkeit verlässlich prognostizieren. Die Widerlegung der o.g. Vermutung aufgrund systemischer Mängel setzt deshalb voraus, dass das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen im zuständigen Mitgliedstaat aufgrund größerer Funktionsstörungen regelhaft so defizitär sind, dass anzunehmen ist, dass dort auch dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Dann scheidet eine Überstellung an den nach der Dublin-II-Verordnung zuständigen Mitgliedstaat aus."

6

Aus der zitierten Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ergibt sich, dass ein Asylbewerber der Überstellung in den nach der Dublin-II-Verordnung für ihn zuständigen Mitgliedstaat mit Blick auf unzureichende Aufnahmebedingungen für Asylbewerber nur mit dem Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen entgegentreten kann und es nicht darauf ankommt, ob es unterhalb der Schwelle systemischer Mängel in Einzelfällen zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK kommen kann und ob ein Antragsteller dem in der Vergangenheit schon einmal ausgesetzt war. Das Berufungsgericht hat mit Recht darauf hingewiesen, dass derartige individuelle Erfahrungen vielmehr in die Gesamtwürdigung einzubeziehen sind, ob systemische Mängel im Zielland der Abschiebung des Antragstellers (hier: Italien) vorliegen (UA S. 26). In diesem begrenzten Umfang sind individuelle Erfahrungen des Betroffenen zu berücksichtigen. Dabei ist allerdings zu beachten, dass persönliche Erlebnisse Betroffener, die - wie hier - einige Jahre zurückliegen, durch neuere Entwicklungen im betreffenden Staat überholt sein können. Individuelle Erfahrungen einer gegen Art. 4 GR-Charta verstoßenden Behandlung führen hingegen nicht zu einer Beweislastumkehr für die Frage des Vorliegens systemischer Mängel (so auch das Berufungsgericht UA S. 26 f.). Weiteren Klärungsbedarf zeigt die Beschwerde nicht auf. Einer Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union bedarf es zur Beantwortung der von der Beschwerde aufgeworfenen Fragen nicht.

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 2. Oktober 2013 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1

Die Beschwerde, mit der die Klägerin die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) geltend macht, hat keinen Erfolg.

2

1. Die Beschwerde wirft als grundsätzlich bedeutsam die Frage auf,

„welchen Inhalt der Begriff ,systemischer Mangel' hat."

3

Es kann offenbleiben, ob angesichts der von dem Berufungsgericht im Anschluss an die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs gefundenen Ausfüllung dieses Begriffs mit dieser Fragestellung eine klärungsfähige Rechtsfrage in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügenden Weise dargelegt wird, zumal der Begriff des „systemischen Mangels" des Asylsystems lediglich als zusammenfassendes Kürzel für eine Situation steht, in der ein Schutzsuchender ausnahmsweise nicht auf einen anderen Mitgliedstaat verwiesen und dorthin überstellt werden kann. Jedenfalls rechtfertigt diese Frage mangels Klärungsbedürftigkeit nicht die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Denn sie ist in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und in dessen Folge auch des Bundesverwaltungsgerichts geklärt. Der beschließende Senat hat dazu in seinem Beschluss vom 19. März 2014 - BVerwG 10 B 6.14 - (juris Rn. 5 ff.) ausgeführt:

„Gemäß Art. 3 Abs. 1 Satz 2 der im vorliegenden Verfahren (noch) maßgeblichen Verordnung Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl EU Nr. L 50 S. 1) - Dublin-II-Verordnung - wird ein Asylantrag von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird. Wie sich aus ihren Erwägungsgründen 3 und 4 ergibt, besteht einer der Hauptzwecke der Dublin-II-Verordnung in der Schaffung einer klaren und praktikablen Formel für die Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft und eine zügige Bearbeitung der Asylanträge zu gewährleisten. Das Gemeinsame Europäische Asylsystem gründet sich auf das Prinzip gegenseitigen Vertrauens, dass alle daran beteiligten Staaten die Grundrechte sowie die Rechte beachten, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 sowie in der EMRK finden (EuGH - Große Kammer, Urteil vom 21. Dezember 2011 - Rs. C-411/10 und Rs. C-493/10, N.S. u.a. - Slg. 2011, I-13905 Rn. 78 f. = NVwZ 2012, 417). Daraus hat der Gerichtshof die Vermutung abgeleitet, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechte-Charta (GR-Charta) sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK steht (EuGH a.a.O. Rn. 80).

Dabei hat der Gerichtshof nicht verkannt, dass dieses System in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stoßen kann, so dass die ernstzunehmende Gefahr besteht, dass Asylbewerber bei einer Überstellung an den nach Unionsrecht zuständigen Mitgliedstaat auf unmenschliche oder erniedrigende Weise behandelt werden. Deshalb geht er davon aus, dass die Vermutung, die Rechte der Asylbewerber aus der Grundrechte-Charta, der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention würden in jedem Mitgliedstaat beachtet, widerlegt werden kann (EuGH a.a.O. Rn. 104). Eine Widerlegung der Vermutung hat er aber wegen der gewichtigen Zwecke des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems an hohe Hürden geknüpft: Nicht jede drohende Grundrechtsverletzung oder geringste Verstöße gegen die Richtlinien 2003/9, 2004/83 oder 2005/85 genügen, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln (EuGH a.a.O. Rn. 81 ff.). Ist hingegen ernsthaft zu befürchten, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 GR-Charta zur Folge haben, ist eine Überstellung mit dieser Bestimmung unvereinbar (EuGH a.a.O. Rn. 86 und 94).

Der Gerichtshof hat seine Überlegungen dahingehend zusammengefasst, dass es den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte obliegt, einen Asylbewerber nicht an den 'zuständigen Mitgliedstaat' im Sinne der Dublin-II-Verordnung zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GR-Charta ausgesetzt zu werden (EuGH a.a.O. Rn. 106 und LS 2; ebenso Urteil der Großen Kammer vom 14. November 2013 - Rs. C-4/11, Puid - NVwZ 2014, 129 Rn. 30). Schließlich hat er für den Fall, dass der zuständige Mitgliedstaat der Aufnahme zustimmt, entschieden, dass der Asylbewerber mit dem in Art. 19 Abs. 2 der Dublin-II-Verordnung vorgesehenen Rechtsbehelf gegen die Überstellung der Heranziehung des in Art. 10 Abs. 1 der Verordnung niedergelegten Zuständigkeitskriteriums nur mit dem o.g. Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber entgegentreten kann (EuGH - Große Kammer, Urteil vom 10. Dezember 2013 - Rs. C-394/12, Abdullahi -NVwZ 2014, 208 Rn. 60). Diese Rechtsprechung des Gerichtshofs liegt auch Art. 3 Abs. 2 der Neufassung der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 vom 26. Juni 2013 (ABl EU L Nr. 180 S. 31) - Dublin-III-Verordnung - zugrunde.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat derartige systemische Mängel für das Asylverfahren wie für die Aufnahmebedingungen der Asylbewerber in Griechenland in Fällen der Überstellung von Asylbewerbern im Rahmen des Dublin-Systems der Sache nach bejaht (EGMR - Große Kammer, Urteil vom 21. Januar 2011 - Nr. 30696/09, M.S.S./Belgien und Griechenland -NVwZ 2011, 413) und in Folgeentscheidungen insoweit ausdrücklich auf das Kriterium des systemischen Versagens (,systemic failure') abgestellt (EGMR, Entscheidungen vom 2. April 2013 - Nr. 27725/10, Mohammed Hussein u.a./Niederlande und Italien - ZAR 2013, 336 Rn. 78; vom 4. Juni 2013 - Nr. 6198/12, Daytbegova u.a./Österreich - Rn. 66; vom 18. Juni 2013 - Nr. 53852/11, Halimi/Österreich und Italien - ZAR 2013, 338 Rn. 68; vom 27. August 2013 - Nr. 40524/10, Mohammed Hassan/Niederlande und Italien - Rn. 176 und vom 10. September 2013 - Nr. 2314/10, Hussein Diirshi/ Niederlande und Italien - Rn. 138).

Für das in Deutschland - im Unterschied zu anderen Rechtssystemen - durch den Untersuchungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) geprägte verwaltungsgerichtliche Verfahren hat das Kriterium der systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union Bedeutung für die Gefahrenprognose im Rahmen des Art. 4 GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK. Der Tatrichter muss sich zur Widerlegung der auf dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens unter den Mitgliedstaaten gründenden Vermutung, die Behandlung der Asylbewerber stehe in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechte-Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK, die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) verschaffen, dass der Asylbewerber wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit (vgl. Urteil vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 5.09 - BVerwGE 136, 377 Rn. 22 m.w.N. = Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u. Asylrecht Nr. 39) einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird. Die Fokussierung der Prognose auf systemische Mängel ist dabei, wie sich aus den Erwägungen des Gerichtshofs zur Erkennbarkeit der Mängel für andere Mitgliedstaaten ergibt (EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - Rs. C-411/10 und Rs. C-493/10 - a.a.O. Rn. 88 bis 94), Ausdruck der Vorhersehbarkeit solcher Defizite, weil sie im Rechtssystem des zuständigen Mitgliedstaates angelegt sind oder dessen Vollzugspraxis strukturell prägen. Solche Mängel treffen den Einzelnen in dem zuständigen Mitgliedstaat nicht unvorhersehbar oder schicksalhaft, sondern lassen sich aus Sicht der deutschen Behörden und Gerichte wegen ihrer systemimmanenten Regelhaftigkeit verlässlich prognostizieren. Die Widerlegung der o.g. Vermutung aufgrund systemischer Mängel setzt deshalb voraus, dass das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen im zuständigen Mitgliedstaat aufgrund größerer Funktionsstörungen regelhaft so defizitär sind, dass anzunehmen ist, dass dort auch dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Dann scheidet eine Überstellung an den nach der Dublin-II-Verordnung zuständigen Mitgliedstaat aus."

4

Diesen Maßstab hat das Berufungsgericht der angefochtenen Entscheidung der Sache nach erkennbar zugrunde gelegt. Inwieweit auf abstrakt-genereller Ebene des rechtlichen Maßstabes insoweit zusätzlicher oder weitergehender Klärungsbedarf besteht, legt die Beschwerde nicht - auch nicht mit den Bezugnahmen auf einen der Beschwerdeschrift im Vorabdruck beigefügten wissenschaftlichen Aufsatz (Lübbe, „Systemische Mängel" in Dublin-Verfahren, ZAR 3/2014, 105-111) - dar.

5

2. Die Beschwerde wirft - aufbauend auf der ersten Frage - weitere Fragen als grundsätzlich bedeutsam auf, nämlich

„ob Asylverfahren und/oder Bedingungen für die Aufnahme von Asylbewerbern in Italien systemische Mängel im Sinne der zu 1. zu klärenden Frage aufweisen und

ob in Italien Asylbewerber und Dublinrückkehrer Gefahr laufen, schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen i.S.v. Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRCh infolge der dortigen Verhältnisse ausgesetzt zu sein."

und macht zur Begründung durch Verweis auf zahlreiche, teils erst nach der Verkündung der Berufungsentscheidung erstellte bzw. veröffentlichte Quellen geltend, dass das Asylsystem und die Aufnahmepraxis in Italien systemisch mangelhaft seien und gegen elementare Unionsgrundrechte verstießen.

6

Mit ihrem umfangreichen Vorbringen zur Aufnahmepraxis für Asylbewerber in Italien zeigt die Beschwerde keine klärungsbedürftigen Fragen des revisiblen Rechts auf. Denn ihr Vorbringen zielt der Sache nach nicht auf eine Rechtsfrage, sondern auf die dem Tatrichter vorbehaltene prognostische Würdigung, ob der Klägerin infolge der angeordneten Abschiebung nach Italien dort aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Die Beschwerde greift damit der Sache nach die vom Berufungsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen zu den Prognosegrundlagen sowie die darauf aufbauende Prognose als Teil der Beweiswürdigung an und stellt dem ihre eigene Einschätzung der Sachlage entgegen, ohne insoweit eine konkrete Rechtsfrage aufzuzeigen. Damit kann sie die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht erreichen (stRspr, vgl. Beschlüsse vom 4. April 2012 - BVerwG 10 B 5.12 - juris und vom 18. April 2012 - BVerwG 10 B 8.12 - juris).

7

3. Schließlich folgert die Beschwerde eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache daraus, dass in dem Verfahren nach zuzulassender Revision das Verfahren auszusetzen und eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union gemäß Art. 267 AEUV einzuholen sei. Auch damit kann sie nicht durchdringen.

8

3.1 Die Beschwerde hält eine Vorlage zum einen für erforderlich, weil

„der Inhalt des Begriffs des ,systemischen Mangels' sowie die Rechtsfrage, ob die Asylverfahren und/oder Aufnahmebedingungen in Italien systemische Mängel aufweisen und aufgrund dessen die Gefahr schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen besteht, [...] bislang seitens des EuGH nicht abschließend geklärt" sei.

9

Diese Frage wiederholt die Grundsatzfrage zu 1., für die im rechtlichen Ansatz insoweit kein weiterer rechtlicher Klärungsbedarf besteht (s.o. 1.). Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache ist zwar auch dann zu bejahen, wenn dargelegt wird, dass in einem zukünftigen Revisionsverfahren zur Auslegung einer entscheidungsrelevanten gemeinschaftsrechtlichen Regelung voraussichtlich gemäß Art. 267 AEUV eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs einzuholen sein wird (siehe etwa Beschluss vom 17. Juli 2008 - BVerwG 9 B 15.08 - Buchholz 451.91 Europ. UmweltR Nr. 35 = NVwZ 2008, 1115, jeweils Rn. 10). Die Beschwerde legt indes auch keine Zweifelsfrage des Unionsrechts dar, die unter Berücksichtigung der durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union bewirkten Klärung weiteren unionsrechtlichen Auslegungsbedarf bewirkte und damit eine Vorlage rechtfertigen oder gebieten könnte. Es trifft zu, dass der Gerichtshof der Europäischen Union die Verhältnisse in Italien bislang nicht abschließend gewürdigt hat; das weist aber nicht auf eine klärungsfähige Frage zur Auslegung des Unionsrechts im Sinne des Art. 267 AEUV. Denn auch der Gerichtshof der Europäischen Union ist nach Art. 267 AEUV nicht befugt oder berufen, fallübergreifende Tatsachenfragen zu klären. Dies ist vielmehr auf der Grundlage des durch den Gerichtshof der Europäischen Union geklärten Unionsrechts Aufgabe der nationalen Gerichte.

10

3.2. Zum anderen erachtet die Beschwerde die Frage als grundsätzlich bedeutsam, weil durch den Gerichtshof der Europäischen Union klärungsbedürftig,

„ob auch Wiederaufnahmeverfahren nach Art. 20 Dublin-II-Verordnung der Fristbestimmung des Art. 17 Dublin-II-Verordnung unterliegen."

11

Dazu führt sie aus, dass Art. 23 Abs. 2 der Dublin-III-Verordnung Fristen für die Stellung eines Wiederaufnahmegesuchs enthalte, nach deren Ablauf gemäß Absatz 3 der Vorschrift ein Zuständigkeitswechsel eintrete. Mit Blick auf das Ziel, den zuständigen Mitgliedstaat möglichst frühzeitig zu bestimmen, müsse eine derartige Fristvorgabe auch für die Wiederaufnahmeverfahren nach der Dublin-II-Verordnung gelten.

12

Mit diesem Vorbringen verfehlt die Beschwerde bereits die Darlegungsanforderungen für eine Grundsatzfrage gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Denn sie setzt sich schon nicht - wie erforderlich - mit den Ausführungen des Berufungsgerichts und der von ihm angeführten Rechtsprechung zu der systematischen Trennung der Regelungen zur Aufnahme und Wiederaufnahme von Asylbewerbern in der Dublin-II-Verordnung (UA S. 9 f.) auseinander. Des Weiteren legt die Beschwerde nicht dar, warum diese Frage auf der Grundlage ihrer Rechtsauffassung nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH - Große Kammer, Urteil vom 10. Dezember 2013 - Rs. C-394/12, Abdullahi - NVwZ 2014, 208 Rn. 60) für die erstrebte Revisionsentscheidung erheblich wäre und daher eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union erforderlich machen könnte. Denn der Gerichtshof hat für den Fall, dass der zuständige Mitgliedstaat der Aufnahme zustimmt, entschieden, dass der Asylbewerber mit dem in Art. 19 Abs. 2 der Dublin-II-Verordnung vorgesehenen Rechtsbehelf gegen die Überstellung der Heranziehung des in Art. 10 Abs. 1 der Verordnung niedergelegten Zuständigkeitskriteriums nur mit dem Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber entgegentreten kann. Die Beschwerde verhält sich nicht zu der Frage, ob diese Grundsätze - was nahe liegt - dann auch bei dem in Art. 20 Abs. 1 Buchst. e genannten Rechtsbehelf gegen die Wiederaufnahmeentscheidung gelten.

13

Im Übrigen rechtfertigt die aufgeworfene Frage mangels Klärungsbedürftigkeit in einem Revisionsverfahren oder unionsrechtlicher Auslegungszweifel im Sinne des Art. 267 AEUV nicht die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, denn sie lässt sich ohne Weiteres und frei von unionsrechtlichem Klärungsbedarf aus der Systematik der Dublin-II-Verordnung in dem vom Berufungsgericht angenommenen Sinne beantworten. Dass die in Art. 17 Abs. 1 bestimmte Frist für die Unterbreitung des Aufnahmeersuchens an den für zuständig erachteten Mitgliedstaat nicht auf die in sich geschlossene Regelung zu den Modalitäten der Wiederaufnahme in Art. 20 Dublin-II-Verordnung übertragen werden kann, ergibt sich bereits aus der Überschrift des Kapitel V sowie Art. 16 Abs. 1 Dublin-II-Verordnung, die zwischen der Aufnahme (Art. 16 Abs. 1 Buchst. a: „... nach Maßgabe der Artikel 17 bis 19 ...") und der Wiederaufnahme (Art. 16 Abs. 1 Buchst. c bis e: „... nach Maßgabe des Art. 20...") von Asylbewerbern unterscheiden. Art. 20 Abs. 1 Dublin-II-VO enthält in Buchst. b und c eine Frist- und Fiktionsregelung nur für den um Wiederaufnahme ersuchten Mitgliedstaat. Einen Zuständigkeitsübergang auf den ersuchenden Mitgliedstaat sieht Art. 20 Abs. 2 Satz 1 Dublin-II-VO nur für den Fall vor, dass die Überstellung nicht innerhalb bestimmter Fristen durchgeführt wird. Diese Regelungen lassen keine Lücke erkennen, die durch eine analoge Heranziehung der Fristbestimmung des Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin-II-Verordnung zu schließen wäre.

14

4. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

15

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG; Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.

Gründe

I.

1

Der Kläger, ein malischer Staatsangehöriger, reiste im Mai 2009 über den Seeweg nach Italien ein und stellte dort einen Asylantrag. Im Juli 2009 stellte er in der Schweiz einen weiteren Asylantrag und entzog sich der Überstellung nach Italien. Auf seinen am 1. Oktober 2010 in Österreich gestellten Asylantrag überstellten ihn die österreichischen Behörden im Juli 2011 nach Italien. Im November 2011 wurde der Kläger in Deutschland aufgegriffen und stellte erneut einen Asylantrag. Dem Übernahmeersuchen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) stimmten die italienischen Behörden im Februar 2012 zu. Daraufhin entschied das Bundesamt mit Bescheid vom 7. Mai 2012, dass der Asylantrag unzulässig sei und ordnete die Abschiebung des Klägers nach Italien an. Das Verwaltungsgericht hat seiner dagegen gerichteten Klage stattgegeben, das Oberverwaltungsgericht hat sie auf die Berufung der Beklagten abgewiesen. Es hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Beschwerde.

II.

2

Die Beschwerde, mit der der Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sowie einen Gehörsverstoß des Berufungsgerichts (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 108 Abs. 2 VwGO) rügt, hat keinen Erfolg.

3

1. Die Beschwerde wirft als grundsätzlich bedeutsam die Frage auf,

"welchen rechtlichen Anforderungen der Begriff der 'systemischen Mängel' unterliegt, insbesondere welcher Wahrscheinlichkeits- und Beweismaßstab für die Annahme erforderlich ist, dass für einen Asylbewerber eine tatsächliche Gefahr besteht, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ausgesetzt zu werden."

4

Diese Frage rechtfertigt mangels Klärungsbedürftigkeit nicht die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Denn sie lässt sich, soweit sie nicht bereits in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union geklärt ist, auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung und des nationalen Prozessrechts ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantworten.

5

Gemäß Art. 3 Abs. 1 Satz 2 der im vorliegenden Verfahren (noch) maßgeblichen Verordnung Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl EU Nr. L 50 S. 1) - Dublin-II-Verordnung - wird ein Asylantrag von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird. Wie sich aus ihren Erwägungsgründen 3 und 4 ergibt, besteht einer der Hauptzwecke der Dublin-II-Verordnung in der Schaffung einer klaren und praktikablen Formel für die Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft und eine zügige Bearbeitung der Asylanträge zu gewährleisten. Das Gemeinsame Europäische Asylsystem gründet sich auf das Prinzip gegenseitigen Vertrauens, dass alle daran beteiligten Staaten die Grundrechte sowie die Rechte beachten, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 sowie in der EMRK finden (EuGH - Große Kammer, Urteil vom 21. Dezember 2011 - Rs. C-411/10 und Rs. C-493/10, N.S. u.a. - Slg. 2011, I-13905 Rn. 78 f. = NVwZ 2012, 417). Daraus hat der Gerichtshof die Vermutung abgeleitet, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechte-Charta (GR-Charta) sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK steht (EuGH a.a.O. Rn. 80).

6

Dabei hat der Gerichtshof nicht verkannt, dass dieses System in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stoßen kann, so dass die ernstzunehmende Gefahr besteht, dass Asylbewerber bei einer Überstellung an den nach Unionsrecht zuständigen Mitgliedstaat auf unmenschliche oder erniedrigende Weise behandelt werden. Deshalb geht er davon aus, dass die Vermutung, die Rechte der Asylbewerber aus der Grundrechte-Charta, der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention würden in jedem Mitgliedstaat beachtet, widerlegt werden kann (EuGH a.a.O. Rn. 104). Eine Widerlegung der Vermutung hat er aber wegen der gewichtigen Zwecke des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems an hohe Hürden geknüpft: Nicht jede drohende Grundrechtsverletzung oder geringste Verstöße gegen die Richtlinien 2003/9, 2004/83 oder 2005/85 genügen, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln (EuGH a.a.O. Rn. 81 ff.). Ist hingegen ernsthaft zu befürchten, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 GR-Charta zur Folge haben, ist eine Überstellung mit dieser Bestimmung unvereinbar (EuGH a.a.O. Rn. 86 und 94).

7

Der Gerichtshof hat seine Überlegungen dahingehend zusammengefasst, dass es den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte obliegt, einen Asylbewerber nicht an den "zuständigen Mitgliedstaat" im Sinne der Dublin-II-Verordnung zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GR-Charta ausgesetzt zu werden (EuGH a.a.O. Rn. 106 und LS 2; ebenso Urteil der Großen Kammer vom 14. November 2013 - Rs. C-4/11, Puid - NVwZ 2014, 129 Rn. 30). Schließlich hat er für den Fall, dass der zuständige Mitgliedstaat der Aufnahme zustimmt, entschieden, dass der Asylbewerber mit dem in Art. 19 Abs. 2 der Dublin-II-Verordnung vorgesehenen Rechtsbehelf gegen die Überstellung der Heranziehung des in Art. 10 Abs. 1 der Verordnung niedergelegten Zuständigkeitskriteriums nur mit dem o.g. Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber entgegentreten kann (EuGH - Große Kammer, Urteil vom 10. Dezember 2013 - Rs. C-394/12, Abdullahi - NVwZ 2014, 208 Rn. 60). Diese Rechtsprechung des Gerichtshofs liegt auch Art. 3 Abs. 2 der Neufassung der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 vom 26. Juni 2013 (ABl EU L Nr. 180 S. 31) - Dublin-III-Verordnung - zugrunde.

8

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat derartige systemische Mängel für das Asylverfahren wie für die Aufnahmebedingungen der Asylbewerber in Griechenland in Fällen der Überstellung von Asylbewerbern im Rahmen des Dublin-Systems der Sache nach bejaht (EGMR - Große Kammer, Urteil vom 21. Januar 2011 - Nr. 30696/09, M.S.S./Belgien und Griechenland - NVwZ 2011, 413) und in Folgeentscheidungen insoweit ausdrücklich auf das Kriterium des systemischen Versagens ("systemic failure") abgestellt (EGMR, Entscheidungen vom 2. April 2013 - Nr. 27725/10, Mohammed Hussein u.a./Niederlande und Italien - ZAR 2013, 336 Rn. 78; vom 4. Juni 2013 - Nr. 6198/12, Daytbegova u.a./Österreich - Rn. 66; vom 18. Juni 2013 - Nr. 53852/11, Halimi/Österreich und Italien - ZAR 2013, 338 Rn. 68; vom 27. August 2013 - Nr. 40524/10, Mohammed Hassan/Niederlande und Italien - Rn. 176 und vom 10. September 2013 - Nr. 2314/10, Hussein Diirshi/Niederlande und Italien - Rn. 138).

9

Für das in Deutschland - im Unterschied zu anderen Rechtssystemen - durch den Untersuchungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) geprägte verwaltungsgerichtliche Verfahren hat das Kriterium der systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union Bedeutung für die Gefahrenprognose im Rahmen des Art. 4 GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK. Der Tatrichter muss sich zur Widerlegung der auf dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens unter den Mitgliedstaaten gründenden Vermutung, die Behandlung der Asylbewerber stehe in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechte-Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK, die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) verschaffen, dass der Asylbewerber wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit (vgl. Urteil vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 5.09 - BVerwGE 136, 377 Rn. 22 m.w.N. = Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u. Asylrecht Nr. 39) einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird. Die Fokussierung der Prognose auf systemische Mängel ist dabei, wie sich aus den Erwägungen des Gerichtshofs zur Erkennbarkeit der Mängel für andere Mitgliedstaaten ergibt (EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - Rs. C-411/10 und Rs. C-493/10 - a.a.O. Rn. 88 bis 94), Ausdruck der Vorhersehbarkeit solcher Defizite, weil sie im Rechtssystem des zuständigen Mitgliedstaates angelegt sind oder dessen Vollzugspraxis strukturell prägen. Solche Mängel treffen den Einzelnen in dem zuständigen Mitgliedstaat nicht unvorhersehbar oder schicksalhaft, sondern lassen sich aus Sicht der deutschen Behörden und Gerichte wegen ihrer systemimmanenten Regelhaftigkeit verlässlich prognostizieren. Die Widerlegung der o.g. Vermutung aufgrund systemischer Mängel setzt deshalb voraus, dass das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen im zuständigen Mitgliedstaat aufgrund größerer Funktionsstörungen regelhaft so defizitär sind, dass anzunehmen ist, dass dort auch dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Dann scheidet eine Überstellung an den nach der Dublin-II-Verordnung zuständigen Mitgliedstaat aus. Diesen Maßstab hat das Berufungsgericht der angefochtenen Entscheidung erkennbar zugrunde gelegt.

10

2. Mit der Gehörsrüge macht die Beschwerde geltend, das Berufungsgericht habe zusammen mit seiner Ankündigung vom 8. Oktober 2013, dass erwogen werde, ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss gemäß § 130a VwGO zu entscheiden, darauf hingewiesen, dass der 3. Senat des Gerichts in vergleichbaren Fällen ebenso entschieden habe. Trotz entsprechender Aufforderung habe das Berufungsgericht die damals noch nicht abgesetzten Entscheidungen des anderen Senats nicht zugänglich gemacht und auch die Frist zur Stellungnahme nicht verlängert. Die Gehörsrüge greift nicht durch.

11

Aus Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO ergibt sich, dass eine gerichtliche Entscheidung nur auf solche Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden darf, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten. Die Verwertung tatsächlicher Feststellungen aus anderen Verfahren für den zur Entscheidung anstehenden Rechtsstreit unterliegt - nicht anders als andere tatsächliche Feststellungen - dem Gebot des rechtlichen Gehörs (Urteil vom 8. Februar 1983 - BVerwG 9 C 847.82 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 132 = InfAuslR 1983, 184). Dagegen verstößt ein Gericht, wenn es anstelle einer eigenen Beweiserhebung auf Entscheidungen mit umfangreichen tatsächlichen Feststellungen verweist, ohne die Entscheidungen den Beteiligten so zugänglich zu machen, dass sie sich dazu hätten äußern können. Zieht ein Gericht aber andere Entscheidungen nur als bestätigenden Beleg dafür heran, dass andere Gerichte die Lage (einer bestimmten Gruppe) in einem Land tatrichterlich in ähnlicher Weise gewürdigt und deshalb rechtlich die gleichen Schlussfolgerungen gezogen haben, unterliegen solche Bezugnahmen nicht den besonderen Anforderungen des § 108 Abs. 2 VwGO (Urteil vom 22. März 1983 - BVerwG 9 C 860.82 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 133; Beschluss vom 12. Juli 1985 - BVerwG 9 CB 104.84 - Buchholz 310 § 103 VwGO Nr. 8 = NJW 1986, 3154).

12

An diesem Maßstab gemessen erweist sich die Gehörsrüge als unbegründet. Das Berufungsgericht hat in der angefochtenen Entscheidung die Lage der Asylbewerber in Italien unter Auswertung verschiedener Quellen selbstständig tatrichterlich gewürdigt. Es hat die in dem Schreiben vom 8. Oktober 2013 genannten Entscheidungen des 3. Senats des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt ausweislich der Entscheidungsgründe nicht verwertet. Daher ist nicht ersichtlich, wie die angefochtene Entscheidung durch die - sicherlich prozessual ungeschickte - Vorgehensweise des Berufungsgerichts das rechtliche Gehör des Klägers hätte verletzen können. Denn die Auskunftsquellen als Grundlagen der tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts waren dem Kläger mit dem gerichtlichen Schreiben vom 8. Oktober 2013 bekannt gegeben worden, so dass er sich dazu äußern konnte.

13

Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

Tenor

I.

Der Antrag wird abgelehnt.

II.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

III.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Die Antragsteller begehren mit ihrem Änderungsantrag nach § 80 Abs. 7 VwGO die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage im Hauptsacheverfahren W 4 K 15.50394 gegen die Abschiebungsandrohung des Bundesamts im Bescheid vom 19. November 2015.

Der statthafte und zulässige Antrag hat keinen Erfolg.

Gemäß § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache jederzeit, d. h. ohne Bindung an Fristen, von Amts wegen oder - wie hier - gemäß § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO auf Antrag auf eines Beteiligten einen Beschluss über die Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ändern oder aufheben. Das Verfahren trägt dem Umstand Rechnung, dass Veränderungen während des Hauptsacheverfahrens eintreten, auf die trotz Rechtskraft des Beschlusses zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes reagiert werden muss. Es dient nicht in der Art eines Rechtsmittelverfahrens der Überprüfung, ob die vorangegangene Entscheidung formell und materiell richtig ist. Maßgeblich ist somit eine entscheidungserhebliche Änderung der Sach- und Rechtslage. Prüfungsmaßstab für die Entscheidung ist allein, ob nach der jetzigen Sach- und Rechtslage die Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage geboten ist. Soweit ein Beteiligter den Antrag stellt, kann der Antrag nur damit begründet werden, dass sich entscheidungserhebliche Umstände, auf denen die ursprüngliche Entscheidung beruhte, geändert haben oder im ursprünglichen Verfahren nicht geltend gemacht werden konnten (§ 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO). Prozessrechtliche Voraussetzungen für die Ausübung der dem Gericht der Hauptsache eröffneten Abänderungsbefugnis ist somit eine Änderung der maßgeblichen Umstände, auf die die frühere Entscheidung gestützt war. Liegt eine solche Änderung nicht vor, ist dem Gericht eine Entscheidung in der Sache verwehrt, weil sie auf eine unzulässige Rechtsmittelentscheidung hinausliefe (BVerwG v. 25.8.2008 - 2 VR 1.08/, juris).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sind vorliegend keine Veränderungen der für die Entscheidung maßgebenden Sach- oder Rechtslage ersichtlich, die eine andere Entscheidung rechtfertigen würden. Es steht immer noch fest, dass die Abschiebung der Antragsteller i. S. d. § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG durchgeführt werden kann.

Das Vorbringen des Antragstellervertreters unter Bezugnahme auf neue Erkenntnismittel und neue Rechtsprechung rechtfertigen keine andere Beurteilung.

Das Gericht verkennt nicht das Bestehen der in den vorliegenden und auch von Antragstellerseite zitierten Berichten dargestellten Missstände, insbesondere zur Inhaftierungspraxis in Ungarn. Diese begründen jedoch für sich keine systemischen Mängel.

Denn es ist weiterhin festzuhalten, dass der UNHCR bislang keine systemischen Mängel des Asylverfahrens oder Aufnahmebedingungen in Ungarn explizit festgestellt und keine generelle Empfehlung ausgesprochen hat, im Rahmen des Dublin-Verfahrens Asylbewerber nicht nach Ungarn zu überstellen. Dem Fehlen einer generellen Empfehlung des UNHCR, von einer Überstellung nach Ungarn abzusehen, kommt auch besondere Bedeutung zu, weil die vom UNHCR herausgegebenen Dokumente im Rahmen der Beurteilung der Funktionsfähigkeit des Asylsystems in dem Drittstaat, der nach den Kriterien der Dublin-III-VO als zuständiger Staat bestimmt wird, angesichts der Rolle, die dem UNHCR durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden ist, die bei der Auslegung des unionsrechtlichen Asylverfahrens zu beachten ist, besonders relevant sind (vgl. EUGH, U.v. 30.5.2013 - C 528/11 - ABl EU 2013 Nr. C 225, 12 - NVwZ-RR 2013, 660).

Anzumerken ist auch, dass der UNHCR zwar in seiner Stellungnahme vom 3. Juli 2015 mit Blick auf die Inhaftierungsmöglichkeiten in Ungarn seine tiefe Besorgnis geäußert hat, jedoch sind seitdem mittlerweile über fünf Monate vergangen, ohne dass sich der UNHCR zu einer generellen Empfehlung, etwa wie in Griechenland oder teilweise in Bulgarien durchgerungen hat, obwohl er die Situation in Ungarn kritisch beobachtet (vgl. VG Stade, B.v. 4.11.2105 - 1 BV 1749/15 - juris; VG Ansbach, B.v. 29.10.2015 - AN 3 S 15.50473 - juris; siehe auch BayVGH, B.v. 12.6.2015 - 13 A ZB 15.50097 - juris; B.v. 27.4.2015 - 14 ZB 13.30076 - juris). Auch die Europäische Kommission hat in einer Stellungnahme vom 30. Oktober 2015 an das VG Köln ausdrücklich darauf verwiesen, dass der UNHCR derzeit noch keine Empfehlung gegeben habe, Überstellungen nach Ungarn wegen der Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung auszusetzen (im Gegensatz etwa im Verhältnis zu Griechenland und Bulgarien). Die Europäische Kommission hat zwar weiter auf eine Entscheidung des österreichischen Verwaltungsgerichtshofs vom 8. September 2015 (RA 2015/18/0113) hingewiesen. Allerdings hat das österreichische Gericht deshalb ausgesprochen, dass eine Überstellung nach Ungarn im Dublin-Verfahren vorläufig nicht erfolgen dürfe, weil die Vorinstanz sich im dortigen Verfahren nicht hinreichend auf der Grundlage zeitnaher, die aktuellen Entwicklungen berücksichtigenden Berichte mit der aktuellen Lage in Ungarn auseinandergesetzt hat (vgl. https://www.r...b...gv.at/D...html). Die Europäische Kommission hat weiter darauf hingewiesen, dass sie die im Juli und September vorgenommenen Änderungen der nationalen Rechtslage im Bereich des Asylrechts, des Strafrechts und des Rechts der Grenzsicherung des Polizeirechts und des Rechts zur nationalen Verteidigung mit dem Recht der Union prüft und zu diesem Zweck mit den ungarischen Behörden in direkten Kontakt tritt. Des Weiteren hat die europäische Kommission mittlerweile auch gegen Ungarn - sowie gegenüber weiteren Staaten - wegen mangelhafter Umsetzung von EU-Asylrecht acht Vertragsverletzungsverfahren verschärft (vgl. EU-Aktuell vom 10.12.2015). Dieses Vorgehen spricht nicht für die Annahme systemischer Mängel, sondern infolge der Kontrolle und des Kontakts seitens der EU-Kommission mit den ungarischen Behörden für eine frühzeitige Bekämpfung etwaiger Missstände und der Vorbeugung vor dem Aufkommen von systemischen Schwachstellen.

Auch unter Einbeziehung der neuesten Berichte zur tatsächlichen Situation in Ungarn, insbesondere im Hinblick auf die mögliche Inhaftierung von Dublin-Rückkehrern ist festzustellen, dass die dort genannten Missstände nach Überzeugung des Gerichts jedenfalls nicht die Qualität systemischer Mängel erreichen. Das Gericht folgt nicht der vom Antragstellerbevollmächtigten teilweise zitierten Rechtsprechung, die das Vorliegen systemischer Mängel in Ungarn nunmehr für gegeben bzw. für überprüfungsbedürftig hält (vgl. so etwa VG Arnsberg, B.v. 4.11.2015 - 6 L 1171/15.A - juris; VG Oldenburg, U.v. 2.11.2015 - 12 A 2572/15 - juris; VG Freiburg, U.v. 13.10.2015 - A 5 K 1862/13 - juris; VG Minden, B.v. 2.10.2015 - 10 L 923/15.A - juris; VG Düsseldorf, GB v. 21.9.2015 - 8 K 5062/15.A juris; VG Bayreuth, B.v. 18.9.2015 - B 3 S 15.50219 - juris; VG München, U.v. 11.9.2015 - M 23 K 15.50045 - juris; U.v. 26.8.2015 - M 24 K 15.50507 - juris; VG Magdeburg, B.v. 8.9.2015 - 9 B 713/15 - juris; VG Köln, U.v. 8.8.2015 - 18 K 4584/15.A - juris; U.v. 8.9.2015 - 18 K 4368/15.A - juris; VG Lüneburg, B.v. 9.9.2015 - 4 B 153/15 - juris; VG Potsdam, B.v. 4.9.2015 - 4 L 810/15.A - Asylmagazin 10/2015, 344; VG Saarland, B.v. 12.8.2015 - 3 L 816/15 - juris). Der Einzelrichter schließt sich vielmehr der gegenteiligen Rechtsauffassung an (vgl. etwa VG Stade, B.v. 4.11.2015 - 1 B 1749/15 - juris; B.v. 15.10.2015 - 1 B 1605/15 - juris; VG Ansbach, B.v. 29.10.2015 - AN 3 S 15.50473 - juris, B.v. 20.10.2015 - AN 3 S 15.50398 - juris; B.v. 20.10.2015 - AN 3 S 15.50425 - juris; VG Gelsenkirchen, B.v. 22.9.2015 - 9 A L 1873/15.A - juris; VG Dresden, B.v. 9.9.2015 - 2 L 719/15.A - juris; VG München, B.v. 28.8.2015 - M 3 S 15.50616 - juris).

Nach zuletzt genannter Rechtsprechung, auf die Bezug genommen wird, und auch unter Berücksichtigung der auch von Antragstellerseite angesprochenen sowie sonstiger Erkenntnisquellen ist - nach Überzeugung des Gerichts aufgrund nochmaliger Prüfung - festzustellen, dass die Inhaftierungsvorschriften in Ungarn und die Anwendung dieser Vorschriften für sich noch keine hinreichenden Anhaltspunkte für das Vorliegen von systemischen Mängel belegen. Die ungarischen Inhaftierungsvorschriften entsprechen im Prinzip den Vorgaben des Europäischen Rechts. Konkret ist nicht ersichtlich, dass die ungarische Asylhaftpraxis die Grenzen des europäischen Rechts systematisch überschreitet, selbst wenn Dublin-Rückkehrer regelmäßig, jedoch nicht ausnahmslos, inhaftiert werden, weil und soweit die ungarischen Behörden einen legalen Haftgrund (wie insbesondere Fluchtgefahr) annehmen. Die Inhaftierung ist nicht Folge der Stellung des Asylantrags, sondern ist Folge der Umstände, die das individuelle Verhalten des Antragstellers vor und bei der Antragstellung kennzeichnen. Weiterhin ergibt sich aus den vorliegenden Erkenntnissen, dass im Einzelfall auch von einer Asylhaft abgesehen werden kann und auch abgesehen wird, mithin die tatsächlichen Umstände des Einzelfalls bei einer Haftanordnung berücksichtigt werden. Auch die Dauer der Asylhaft ist nach dem ungarischen System an das Fortbestehen eines Haftgrundes gekoppelt. Des Weiteren ist ein Rechtsschutzsystem in Ungarn gesetzlich installiert. Aus der geringen Erfolgsquote der Rechtsbehelfe in Ungarn kann nicht ohne Weiteres gefolgert werden, dass das ungarische Verfahren insoweit die europäischen Asylstandards generell nicht erfüllt. Ebenso wenig kann das Gericht den aktuellen Auskünften entnehmen, dass die Haftbedingungen in Ungarn systemisch eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der Dublin-Rückkehrer bewirken, vielmehr werden insbesondere die elementaren Bedürfnisse befriedigt. Sofern in den Berichten auf einzelne Fälle Bezug genommen wird, ist nicht erkennbar, dass diese Fälle unterschiedslos verallgemeinerungsfähig sind. Des Weiteren ist anzumerken, dass sich die ungarische Regierung auftretenden Problemen in der Vergangenheit nicht verschlossen hat, sondern durchaus konstruktiv an Verbesserungen gearbeitet hat und arbeitet.

Zur neuen Rechtsentwicklung in Ungarn wird noch ergänzend angemerkt: Soweit systemische Mängel mit Blick auf die Einstufung Serbiens als sicheres Drittland herangezogen werden, ist darauf hinzuweisen, dass allein eine solche Einstufung nicht zu systemischen Mängel führt, weil eine mögliche Überstellung nach Serbien nicht gleichzeitig bedeutet, dass dessen Asyl- und Aufnahmesystem heute nicht mehr den europäischen Mindeststandards genügt. Vielmehr liegen für die Behandlung von Rückkehrern in Dublin-Verfahren keinerlei auf Tatsachen gestützte Erkenntnisse vor, die Anlass dazu gäben, systemische Mängel für Asylverfahren und in Aufnahmebedingungen anzunehmen. Die verschärften Gesetze dienen primär auch in Ungarn genauso wie in anderen Staaten - etwa wie auch in der Bundesrepublik Deutschland - dazu, dem ungehinderten Zustrom von Flüchtlingen Herr zu werden. Die ungarische Regierung ist bemüht, den Vorschriften der Dublin-Verordnung Rechnung zu tragen und für eine geregelte Einreise und Registrierung der Flüchtlinge zu sorgen (vgl. VG Stade, B.v. 4.11.2015 - 1 B 1749/15 - juris; VG Ansbach, B.v. 29.10.2015 - AN 3 S 15.50473 - juris).

Hinzu kommt, dass laut einem Rechtsgutachten über das ungarische Asylrecht durch das Institut für Ostrecht, München, vom 2. Oktober 2015 an das VG Düsseldorf im Gesetz über die Aufnahme Serbiens als sicheren Drittstaat insoweit eine gesetzliche Vermutung aufgenommen ist, die der Asylbewerber jedoch widerlegen kann, indem er nachweist, dass in seinem konkreten Fall der Drittstaat nicht sicher war, weil er dort keinen dem ungarischen asyladäquaten Schutz erhalten konnte. Das Gesetz dient dazu, Asylmissbrauch dadurch zu verhindern, dass es die Möglichkeit für Behörden schafft, dass die Behörden nicht nur überprüfen, was das Herkunftsland des Antragstellers ist, sondern auch durch welches Transitland er gereist war. Die Liste der sicheren Drittstaaten stellt dafür in Bezug auf die Länder, die den allgemeinen Voraussetzungen entsprechen, nur eine Vermutung auf, aufgrund derer sich die Beweislast umkehrt. Der Antragsteller muss glaubhaft machen, dass das Transitland für ihn nicht sicher ist, weil dort z. B. die Möglichkeit einen Asylantrag einzureichen oder Flüchtlingsstatus zu erwerben, nicht gewährleistet ist. Die Vermutung kann - auf den konkreten Fall der Antragsteller bezogen - sowohl durch die Antragsteller als auch durch das Gericht überprüft und widerlegt werden.

Die immer wieder ins Feld geführten, auch neueren Inhaftierungsmöglichkeiten in Ungarn führen zur Überzeugung des Gerichts angesichts der tatsächlich in Ungarn bislang praktizierten Inhaftierungen nicht zur Annahme systemischer Mängeln. Denn nach einer Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 28. September 2015 an das VG Magdeburg ist ausdrücklich ausgeführt, dass Asylhaft immer nur nach einer Einzelfallprüfung im Einzelfall angeordnet wird. Die Wahrscheinlichkeit, in Asylhaft genommen zu werden, ist für Dublin-Rückkehrer gegenüber Neuankömmlingen erhöht. Insofern mag die vorangegangene Ausreise als gewichtiges Indiz dafür gelten, dass sich die Rückkehrer bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens nicht freiwillig in Ungarn zur Verfügung halten werden. Im Zeitraum vom 1. Januar bis 30. Juni 2015 wurden 492 Personen in Asylhaft genommen. Dies entspricht 0,7% aller Asylantragsteller. Die Inhaftierungsquote für Dublin-Rückkehrer dürfte laut der Auskunft des Auswärtigen Amtes etwa drei- bis viermal so hoch sein wie bei den andern Asylantragstellern. Derzeit ist Asylhaft nur für allein reisende Männer angeordnet. Es befinden sich derzeit nur ca. 50 Personen in Asylhaft (Kapazitäten für 300 Personen). Die Kapazitäten der Haftanstalten sind nicht ausgeschöpft. Asylhaft wird nach einer Einzelfallprüfung nur angeordnet, wenn keine mildere Maßnahme möglich ist. Asylhaft wird für 72 Stunden angeordnet und kann per Gerichtsbeschluss auf sechs Wochen verlängert werden. Sie darf maximal sechs Monate dauern. Ein Grund für die Asylhaft ist unter anderem ein hohes Fluchtrisiko, ein Widerspruch gegen die Anordnung ist möglich.

Zusammenfassend ist auch unter Berücksichtigung der vorliegenden neuen Erkenntnisse festzuhalten dass - solange keine systemischen Mängel in Ungarn nach Überzeugung des Gerichts belegt sind - weiterhin davon auszugehen ist, dass auch für Ungarn die Vermutung besteht, dass Asylsuchende - abgesehen von Ausnahmen in Einzelfällen - in Einklang mit den Vorgaben der Grundrechtecharta, der Genfer Flüchtlingskonvention und der europäischen Menschenrechtskonvention behandelt werden. Selbst wenn den Antragstellern bei einer Rückkehr nach Ungarn gemäß den dortigen Vorschriften eine Inhaftierung zeitweilig drohen sollte, reicht dies nicht zur Überzeugungsgewissheit des Gerichts aus, die auf dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens gründende Vermutung zu widerlegen, dass die jeweiligen Mitgliedsstaaten (hier Ungarn) die geltenden rechtlichen Vorgaben einhalten.

Nach alledem ist der Antrag nach § 80 Abs. 7 VwGO mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83 b AsylG abzulehnen.

Wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, hat die Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, so dass auch der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abzulehnen war (§ 166 VwGO i. V. m. § 114 Satz 1 ZPO).

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.

2. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

3. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung wird abgelehnt.

4. Der Gegenstandswert beträgt 2.500,00 EUR.

Gründe

I.

Der nach eigenen Angaben 1974 geborene Antragsteller ist irakischer Staatsangehöriger und kurdischer Yezide. Er reiste seinen Angaben zufolge am 10. Mai 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte am 22. Juli 2015 seine Anerkennung als Flüchtling.

Den Erkenntnissen des Bundesamtes zufolge (EURODAC-Treffer) lagen Anhaltspunkte vor für die Zuständigkeit eines anderen Staates gemäß der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin-III-Verordnung). Mit E-Mail vom 23. Juli 2015 erhielt der Antragsgegner Mitteilung, dass für den Antragssteller ein EUROCAC-Treffer für Ungarn unter der Nummer ... vorliegt.

Am 21. September 2015 wurde ein Übernahmeersuchen nach der Dublin-III-Verordnung an Ungarn gerichtet. Die ungarischen Behörden haben hierauf keine Antwort erteilt.

Im Rahmen des Gesprächs zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 7. September 2015 gab der Antragsteller an, ein Bruder befände sich in Deutschland. Er gab an, zunächst nach Bulgarien eingereist zu sein. In Ungarn seien ihm Fingerabdrücke abgenommen worden. Ehefrau und sieben Kinder sowie die Großfamilie lebten noch im Irak.

Mit Bescheid vom 9. Oktober 2015, der dem Kläger am 13. Oktober 2015 mit Postzustellungsurkunde zugestellt wurde, lehnte die Antragsgegnerin den Asylantrag des Antragstellers als unzulässig ab (Ziffer I), und ordnete in Ziffer II die Abschiebung nach Ungarn an.

Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, in Ungarn lägen keine systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen vor. Zur Begründung wird insgesamt auf den Bescheid Bezug genommen.

Mit einem am 19. Oktober 2015 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten ließ der Antragsteller gegen den genannten Bescheid Klage erheben (AN 3 K 15.50474) und beantragte gleichzeitig,

die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.

Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen, das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Ungarn wiesen systemische Mängel auf, insbesondere wegen der Anwendung von Asylhaft. Es könne nicht hingenommen werden, dass vom IS bedrohte Yeziden im Dublin-Verfahren nach Ungarn zurückkehren müssten, obwohl es sich um Bürgerkriegsflüchtlinge handle. Im Vergleich zu den syrischen Staatsangehörigen, für die das Dublin-Verfahren keine Anwendung mehr finde, liege eine Ungleichbehandlung vor. Die Trennung des Antragstellers von seinen in Deutschland lebenden Verwandten stelle einen Verstoß gegen die Menschenwürde dar.

Auch sei das Übernahmeverlangen Deutschlands an Ungarn zu spät gestellt worden. Maßgeblich für den Fristlauf sei der Zeitpunkt des Asylbegehrens.

Außerdem sei der Antragssteller nicht wie in Art. 4 und 5 der Dublin III-VO vorgeschrieben belehrt worden. Das in der Anlage X zur Dublin III-VO abgedruckte Informationsschreiben sei dem Antragsteller nicht in seiner Muttersprache ausgehändigt worden, weshalb die Informationsrechte des Antragstellers verletzt seien.

Es wurde verwiesen auf folgende Entscheidungen:

Verwaltungsgericht Hannover 21.9.2015 - 2 B 4549/15

Verwaltungsgericht Minden 1.9.2015 - 10 L 285/15.A

VG Bayreuth 12.10.2015 B 3 S 15.50241

sowie auf eine Kurzstellungnahme des UNHCR zu Ungarn vom 17.9.2015.

Der Kläger habe sich in Ungarn zunächst geweigert, Fingerabdrücke nehmen zu lassen. Daraufhin sei er für zwei Tage inhaftiert worden, dann aber aus der Haft entlassen und ohne weitere Hinweise zur Durchführung seines Asylverfahrens sich selbst überlassen gewesen. Er habe sich nach Deutschland durchgeschlagen.

Die Antragsgegnerin hat bislang keinen Antrag gestellt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der beigezogenen Behörden- und Gerichtsakten Bezug genommen.

II.

Der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes vom9. Oktober 2015 anzuordnen, ist zulässig, aber unbegründet.

Die Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid des Bundesamtes hat gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 75 Abs. 1 AsylG keine aufschiebende Wirkung. Jedoch kann das Gericht gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen, wenn das Interesse auf Aussetzung des Vollzugs das öffentliche Interesse an der Vollziehung des Bescheides überwiegt. Hierbei sind im Wesentlichen auch die Erfolgsaussichten der Klage in der Hauptsache zu berücksichtigen. Die Klage des Antragstellers wird mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen Erfolg haben. Die angefochtene Abschiebungsanordnung erweist sich unter Berücksichtigung der maßgebenden tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der Entscheidung (§ 77 Abs.1 AsylG) aller Voraussicht nach als rechtmäßig.

Rechtsgrundlage für die Anordnung der Abschiebung ist § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG. Danach ordnet das Bundesamt die Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald fest steht, dass sie durchgeführt werden kann.

Die Antragsgegnerin ist zutreffend davon ausgegangen, dass Ungarn nach Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO für die Bearbeitung des Antrages auf internationalen Schutz und für die Wiederaufnahme des Antragstellers zuständig ist. Denn Ungarn hat auf das am 21. September 2015 vom Bundesamt gestellte Ersuchen um Wiederaufnahme des Antragstellers, für den ein Eurodac-Treffer hinsichtlich Ungarn festgestellt worden war, nicht geantwortet.

Damit ist Ungarn gemäß Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-Verordnung verpflichtet, den Antragsteller wieder aufzunehmen. Diese Frist ist vorliegend noch nicht abgelaufen und die Überstellung kann erfolgen.

Die Frist von zwei Monaten, die Art. 23 Abs. 2 Dublin III-VO der Bundesrepublik Deutschland für die Stellung eines Wiederaufnahmegesuchs einräumt, begann mit der Eurodac-Treffermeldung nach Art. 9 Absatz 5 der Dublin III-VO zu laufen. Diese erfolgte hier per E-Mail am 23. Juli 2015 (Blatt 42 der Behördenakte) und lief demzufolge am 23. September 2015 ab, §§ 31 VwVfG, 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB. Das Wiederaufnahmegesuch erfolgte mit Schreiben vom 21. September und damit vor Ablauf der maßgeblichen Frist.

Der Bescheid des Bundesamtes begegnet in formeller Hinsicht keinen rechtlichen Bedenken. Der Antragsteller kann nicht mit Erfolg geltend machen, er sei nicht nach den Vorgaben der Art. 4 und 5 Dublin III-VO über deren Anwendung belehrt worden. Es liegt insoweit kein Verfahrensfehler vor.

Dem Antragsteller wurden ausweislich der Behördenakte am 22. Juli 2015 zwei Merkblätter für das Dublin-Verfahren ausgehändigt (Blatt 19 der Behördenakte). Dies haben sowohl der Antragsteller selbst als auch der kurdische Dolmetscher durch ihre Unterschrift bestätigt. Eine Rüge dahingehend, dass der Antragsteller deren Inhalt nicht hätte verstehen können, findet sich in der Behördenakte nicht. Außerdem fand am 7. September 2015 das persönliche Gespräch nach Art. 5 Dublin III-VO in Anwesenheit eines kurdischen Dolmetschers statt.

Auch wenn das vom Bundesamt verwendete (und dem Antragsteller in der Sprache „Arabisch“ ausgehändigte) Merkblatt nicht den Anforderungen der in Anlage X der Durchführungsverordnung (EU) vom 30. Januar 2014 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 abgedruckten Version entsprechen sollte, lässt sich daraus allein keine Rechtsverletzung des Klägers ableiten. Denn zum einen erscheint das von der Behörde verwendete Merkblatt inhaltlich ausreichend, um den Asylantragsteller das Dublin-Verfahren und die daraus für ihn entstehenden Folgen ausreichend näher zu bringen. Als Ergänzung der Information diente das vorliegend durchgeführte persönliche Gespräch (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO).

Zum anderen hat das Informationsrecht aus Art. 4 Dublin III-VO den Sinn, den Antragsteller über seine Rechte zu informieren, damit er diese wahren kann. Dass der Antragsteller über diese Informationen verfügt, zeigen der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung und die gleichzeitig erhobene Klage.

Auch hätte ein möglicher Verfahrensfehler keine Auswirkung auf die Entscheidung des BAMF gehabt. Denn bei der Entscheidung nach § 27 a AsylG handelt es sich um eine gebundene Entscheidung.

Der Antragsteller kann nicht mit Erfolg geltend machen, er habe in Ungarn keinen Antrag auf Zuerkennung internationalen Schutzes gestellt. Bei den Vorschriften der Dublin III-VO handelt es sich überwiegend um Normen, die die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens regeln und dem Antragsteller gerade kein subjektives Recht darauf einräumen, dass sein Asylverfahren in einem bestimmten Mitgliedstaat durchgeführt wird (vgl. Beck’scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Kluth/Heusch, Stand 1. Mai 2015, Rn. 29 und 30 zu § 27 a AsylVfG). Entscheidend ist, dass Ungarn aufgrund der der o.g. Regelungen der Dublin III-VO für die Durchführung des Verfahrens des Antragstellers zuständig geworden ist.

Besondere Umstände, die die Zuständigkeit der Antragsgegnerin nach Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 Dublin III-VO begründen oder zur Ausübung ihres Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO führen würden, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

Die Auslegung der Dublin III-Verordnung, die „einen der Bausteine des von der Europäischen Union errichteten Gemeinsamen Europäischen Asylsystems bildet“, und die sich daraus ergebenden Rechte der Asylbewerber sind durch neuere Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs geklärt (EuGH, Urteil vom 21.12. 2011 - C-411/10 und C-493/10 - Slg. 2011, I-13905; EuGH, Urteil vom 14.11.2013 - Pui, C-4/11; EuGH, Urteil vom 10.12.2013, C-394/12).

Das in dieser Verordnung und in weiteren Rechtsakten geregelte Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) stützt sich - ähnlich wie das deutsche Konzept der „normativen Vergewisserung“ hinsichtlich der Sicherheit von Drittstaaten (BVerfG, Urteil vom 14.5.1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 - BVerfGE 94, 49) - auf die Annahme, dass alle daran beteiligten Staaten, ob Mitgliedstaaten oder Drittstaaten, die Grundrechte beachten, einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 sowie in der EMRK finden, und der Versicherung, dass niemand dorthin zurückgeschickt wird, wo er Verfolgung ausgesetzt ist, ferner dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen dürfen (EuGH, Urteil vom 21.12.2011 - C-411/10, C-493/10, NVwZ 2012, 417; vgl. Hailbronner/Thym, NVwZ 2012, 406).

Davon kann nur dann abgesehen werden, wenn dieser zuständige Mitgliedsstaat sogenannte „systemische Mängel“ des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber aufweist, so dass die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gefahr für Asylbewerber bestünde, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Grundrechtscharta bzw. Art. 3 EMRK ausgesetzt zu werden. Dies wiederum hat zur Folge, dass der Asylbewerber der Überstellung in den zuständigen Mitgliedsstaat nur mit dem Einwand sogenannter systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber entgegentreten kann (so grundsätzlich EUGH, große Kammer, U. v. 10.12.2013, RS: 10-394/12, juris). Diese Rechtsprechung mündete nunmehr in Art. 3 Abs. 2 der Dublin III-VO, der bestimmt, dass im Falle systemischer Schwachstellen in einem Mitgliedsstaat für den Fall, dass keine anderen zuständigen Staaten gefunden werden können, der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedsstaat der zuständige Mitgliedsstaat wird. An diesen nunmehr in Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO normierten Ausnahmefall sind daher strenge Anforderungen zu stellen (vgl. OVG NRW, Urteil vom 7.3.2014 - 1 A 21/12.A - DVBl 2014, 790 ff.). Eine systemisch begründete, ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 EU-GRCh bzw. Art. 3 EMRK muss im Sinne einer Selbstbetroffenheit speziell auch gerade für den jeweiligen Rechtsschutzsuchenden in seiner konkreten Situation bestehen. Sie liegt maßgeblich dann vor, wenn mit Blick auf das Gewicht und das Ausmaß einer drohenden Beeinträchtigung dieses Grundrechts mit einem beachtlichen Grad von Wahrscheinlichkeit die reale, nämlich durch eine hinreichend gesicherte Tatsachengrundlage belegte Gefahr besteht, dass dem Betroffenen in dem Mitgliedstaat, in den er überstellt werden soll, entweder schon der Zugang zu einem Asylverfahren, welches nicht mit grundlegenden Mängeln behaftet ist, verwehrt oder massiv erschwert wird, das Asylverfahren an grundlegenden Mängeln leidet, oder dass er während der Dauer des Asylverfahrens wegen einer grundlegend defizitären Ausstattung mit den notwendigen Mitteln elementare Grundbedürfnisse des Menschen (wie z. B. Unterkunft, Nahrungsaufnahme und Hygienebedürfnisse) nicht in einer noch zumutbaren Weise befriedigen kann (vgl. OVG NRW a. a. O.).

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss sich der Tatrichter zur Widerlegung der auf dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens unter den Mitgliedstaaten gründenden Vermutung, die Behandlung der Asylbewerber stehe in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechte-Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK, die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) verschaffen, dass der Asylbewerber wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d. h. überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird. Die Widerlegung dieser Vermutung aufgrund systemischer Mängel setzt deshalb voraus, dass das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen im zuständigen Mitgliedstaat aufgrund größerer Funktionsstörungen regelhaft so defizitär sind, dass anzunehmen ist, dass dort auch dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (BVerwG, B. v. 6.6.2014 - 10 B 35/14, juris).

Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage in dem zuständigen Mitgliedstaat sind die regelmäßigen Berichte von internationalen Nichtregierungsorganisationen, Berichte der Kommission zur Bewertung des Dublin-Systems und Berichte des UNHCR zur Lage von Flüchtlingen und Migranten vor Ort. Den Berichten des UNHCR zur Lage von Flüchtlingen und Migranten vor Ort kommt bei der Beurteilung der Funktionsfähigkeit des Asylsystems in dem nach der Dublin III-Verordnung zuständigen Mitgliedstaat besondere Relevanz zu.

Nach diesen Grundsätzen ist auf Grundlage des dem Gericht vorliegenden, aktuellen Erkenntnismaterials zur Situation von Asylbewerbern in Ungarn (vgl. Bericht des Hungarian Helsinki Committee zu Asylhaft und zu den Dublin-Verfahren in Ungarn, Stand Mai 2014; Stellungnahme des UNHCR vom 9.5.2014 an das VG Düsseldorf im Verfahren 13 L 172/14.A jeweils abrufbar unter https://m...b...de; Ungarn Länderbericht des AIDA (Asylum Information Database), Stand 30.4.2014, abrufbar unter http://www.a...org; Bericht von bordermonitoring.eu, Stand Oktober 2013, abrufbar unter http://b...eu) jedenfalls für die Person des Antragstellers derzeit nicht ernsthaft zu befürchten, dass in Ungarn das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für den Asylbewerber systemische Mängel aufweisen, die einen Verstoß gegen die Genfer Flüchtlingskonvention oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 EU-GRCh bzw. Art. 3 EMRK begründen könnten.

Zum 1. Juli 2013 wurde das Asylsystem Ungarns zwar dahingehend verändert, als erneut weitgehende Inhaftierungsgründe für Asylbewerber geschaffen wurden. Diese Rechtsänderungen wurden hinsichtlich der Unbestimmtheit der Haftgründe sowie hinsichtlich der unzureichenden Rechtsbehelfe gegen die Inhaftierung verschiedentlich kritisiert (vgl. Bericht des Hungarian Helsinki Commiittees a. a. O.; Ungarn Länderbericht des AIDA a. a. O.; UNHCR vom 9.5.2014 a. a. O.). Die genannten Berichte beruhen allerdings im Wesentlichen auf einer Auswertung der geänderten Rechtslage selbst, während Erkenntnisse zur konkreten Handhabung nicht verlässlich vorliegen. Es zu konstatieren, dass der UNHCR - abgesehen von seiner Stellungnahme vom 9. Mai 2014 an das Verwaltungsgericht Düsseldorf - bislang keine generellen Feststellungen zum Asylverfahren und den Aufnahmebedingungen in Ungarn getroffen und auch keine generelle Empfehlung ausgesprochen hat, im Rahmen des Dublin-Verfahrens Asylbewerber nicht nach Ungarn zu überstellen (vgl. VG Würzburg, Beschluss vom 25.8.2014 - W 6 S 14.50100 - juris). Unter Berücksichtigung der besonderen Relevanz des durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragenen Amtes des UNHCR für die Auslegung des unionsrechtlichen Asylverfahrens (vgl. EuGH, Urteil vom 30.5.2013 - C 528/11 - NVwZ-RR 2013, 660), kommt dem Fehlen einer solchen generellen Empfehlung des UNHCR besondere Bedeutung zu. Der Auffassung, die z. B. das Verwaltungsgericht des Saarlandes im Beschluss vom 7. August 2015 (3 L 672/15, juris Rn. 20) vertritt, wonach Äußerungen der Pressesprecherin des UNHCR zu entnehmen sei, dass der UNHCR über die fremdenfeindliche Gesinnung der ungarischen Regierung besorgt sei und dass diese Äußerungen wegen der Rolle, die dem Amt des UNHCR durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden sei, bei der Auslegung des unionsrechtlichen Asylverfahrens besonders zu beachten seien, schließt sich das Gericht nicht an. Abzustellen ist vielmehr auf Empfehlungen des UNHCR zur Beachtung der Aufnahme- und Verfahrensregelungen der Dublin-Verordnungen bei der Umsetzung in nationales Recht. An einer solchen Empfehlung fehlt es bislang, wie auch das VG des Saarlandes (a. a. O.) selbst feststellt.

Auch wenn die Inhaftierungsregelungen in Ungarn in der Rechtsprechung bisweilen zur Annahme systemischer Mängel geführt haben (vgl. VG München, U. v. 23.9.2014 - M 24 K 13.31329 -; VG Sigmaringen, B. v. 22.4.2014 - A 5 K 972/14 - juris; VG München, B. v. 26.6.2014 - M 24 S 14.50325; VG Düsseldorf, B. v. 27.8.2014 - 14 L 1786/14.A - VG Düsseldorf, B. v. 16.6.2014 - 13 L 141/14.A - jeweils juris; VG Münster, B. v. 7.7.2015 - 2 L 858/15.A; VG München, B. v. 5.3.2015 - M 15 S 15.50160 - juris; VG Berlin, B. v. 15.1.2015 - 23 L 899.14 A - juris; ), ist nach Überzeugung des Gerichts für den hier vorliegenden Einzelfall nicht die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung bei einer Rücküberstellung nach Ungarn zu befürchten. Denn ausweislich einer Erklärung des Direktors des ungarischen Asyldirektorates gegenüber dem Liaisonmitarbeiter des Bundesamtes in Budapest im September 2013 werden Asylantragsteller aus sogenannten anerkennungsträchtigen Herkunftsländern, wozu auch der Nordirak zählen dürfte, regelmäßig weder in Asylhaft noch in Abschiebehaft genommen (vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 2.9.2014 - 6 L 1235/14.A - juris). Entgegenstehende Erkenntnisse liegen derzeit nicht vor. Auch der UNHCR kann derzeit keine verlässlichen Angaben über den Umgang mit Asylantragstellern im Dublin-Verfahren in Ungarn machen.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), dessen Rechtsprechung grundsätzlich über den jeweils entschiedenen Einzelfall hinaus eine Orientierungs- und Leitfunktion zukommt (vgl. BVerwG, Urteil vom 28.2.2013 - 2 C 3.12 - juris), hat mit Urteil vom 3. Juli 2014 im Ergebnis festgestellt, dass systemische Mängel hinsichtlich der Inhaftierungspraxis Ungarns nicht vorliegen und ein tatsächliches Risiko einer schwerwiegenden Beeinträchtigung im Sinne des Art. 3 EMRK bei einer Rückkehr nach Ungarn nicht bestehe (vgl. EGMR, Urteil vom 3.7.2014 - 71932/12). Auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat in zwei Entscheidungen ausgeführt, allein die Tatsache, dass das ungarische Asylrecht Inhaftierungsgründe für Asylbewerber enthalte und Ungarn auf dieser Grundlage Dublin-Rückkehrer inhaftiere, sei für sich genommen noch kein begründeter Anhaltspunkt für das Vorliegen systemischer Mängel des Asylsystems (so auch VG Dresden, B. v. 9.9. 2015 - 2 L 719/15.A). Er stützt sich weiterhin maßgeblich darauf, dass der UNHCR sich bisher nicht generell gegen Rücküberstellungen nach Ungarn ausgesprochen habe (BayVGH, B. v. 12.6.2015 - 13a ZB 15.50097 - juris; BayVGH, B. v. 27.4.2015 - 14 ZB 13.30076 - juris).

Hinsichtlich der Anwendung der seit 1. August 2015 in Ungarn geltenden Rechtslage, wonach Serbien nun sicherer Drittstaat sei, die Asylverfahren verkürzt und Anträge abgelehnt würden, wenn sich ein Asylbewerber unentschuldigt länger als 48 Stunden aus der ihm zugewiesenen Unterkunft entferne, ergibt sich nichts anderes. Es liegen dem Gericht für die Behandlung von Rückkehrern im Dublin-Verfahren keinerlei auf Tatsachen gestützte Erkenntnisse vor, die Anlass dazu gäben, Mängel in o.g. Qualität im Asylverfahren oder in den Aufnahmebedingungen anzunehmen.

Es liegen derzeit keine Erkenntnisse darüber vor, dass Dublin-Rückkehrer von Ungarn nach Serbien abgeschoben würden. Der Antragsteller selbst trägt auch nicht vor, über Serbien nach Ungarn eingereist zu sein. Sofern teilweise darauf abgestellt wird, es könne angesichts der neuen Gesetzeslage nicht ausgeschlossen werden, dass auch Dublin-Rückkehrer nach Serbien abgeschoben werden und darauf die Annahme systemischer Mängel in Ungarn für diese Personengruppe gestützt werden (VG Düsseldorf, B. v. 20.8.2015 - 15 L 2556/15.A-, juris), folgt das Gericht dieser Auffassung nicht, da sich hierfür aus den Erkenntnisquellen keine Anhaltspunkte ergeben. Aus der geänderten Gesetzeslage in Ungarn lässt sich vielmehr der Versuch erkennen, dem ungehinderten Zustrom von Flüchtlingen Herr zu werden. Die ungarische Regierung scheint bemüht, die Vorschriften der Dublin-Verordnung einzuhalten und für eine geregelte Einreise und Registrierung der Flüchtlinge zu sorgen, die gerade nicht in Ungarn Asyl beantragen wollen, sondern mit dem Ziel Deutschland oder Schweden in den Schengen-Raum einreisen. Daran ändert auch die als „fremdenfeindlich“ kritisierte Einstellung der ungarischen Regierung nichts. Neuerdings werden auch in Deutschland Einrichtungen wie „Transitzonen“ mit Einschränkungen der persönlichen Freiheit der Asylbewerber zur ordnungsgemäßen Abwicklung der Verfahren und sogar die Errichtung von Zäunen zur Gewährleistung der kontrollierten Einreise diskutiert.

Hinsichtlich der vielfach kritisierten Asylhaft ist anzumerken, dass die meisten Asylbewerber, die wie der Antragsteller über die sogenannte Balkanroute in die EU einreisen, Ungarn erklärtermaßen als Transitland betrachten und dort keinen Asylantrag stellen wollen.

Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, dass sie im Falle einer Rückführung nach Ungarn im Rahmen des Dublin-Verfahrens dort in Asylhaft genommen werden, da die ungarischen Behörden ihre wiederholte Ausreise befürchten müssen und eine Inhaftierung zur Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Asylverfahrens notwendig erscheint. Die im ungarischen Asylgesetz genannten Haftgründe sind insoweit auch nachvollziehbar.

Den dem Gericht vorliegenden Erkenntnisquellen lässt sich nicht entnehmen, dass die Haftbedingungen an sich menschenunwürdig im oben dargelegten Sinn wären und es dort systematisch zu Menschenrechtsverletzungen kommen würde. Darauf, ob es unterhalb der Schwelle systemischer Mängel in Einzelfällen zu einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 EU-GRCh bzw. des Art. 3 EMRK kommen kann und ob ein Antragsteller dem in der Vergangenheit schon einmal ausgesetzt war, kommt es im Zusammenhang mit Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 Dublin III-VO nicht an (BVerwG, B. v. 6.6.2014 a. a. O.).

Auch die derzeit in vielen Ländern der EU anzutreffenden Kapazitätsengpässe bei der Unterbringung und Betreuung der Flüchtlinge stellen für sich keinen systemischen Mangel im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 Dublin III-VO dar. Denn hierbei handelt es sich um rein tatsächliche Probleme, die der unerwartete Zustrom so vieler Menschen mit sich bringt.

Da der Antragsteller auch keiner besonders schutzbedürftigen Personengruppe im Sinne des Art. 21 der Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (Aufnahme-Richtlinie) angehört, kann er einer Überstellung nach Ungarn nicht damit entgegentreten, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für ihn in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-Grundrechtscharta mit sich bringen würde (vgl. VG Köln, B. v. 28.4.2015 - 17 L 1024/15.A - juris; VG Ansbach, B. v. 16.4.2015 - AN 4 K 14.30119).

Er beruft sich auch nicht darauf, dass in Deutschland Familienangehörige i. S. des Art. 2 Buchstabe g Dublin III-VO leben, was die Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland zur Durchführung des Asylverfahrens nach Art. 9 Dublin III-VO begründen könnte, da es sich beim (volljährigen) Bruder nicht um einen Familienangehörigen nach der Definiton der Dublin III-VO handelt.

Die Anordnung der Abschiebung nach § 34a AsylVfG erscheint somit rechtmäßig. Im Übrigen wird zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen gemäß § 77 Abs. 2 AsylVfG auf die zutreffende Begründung des streitgegenständlichen Bescheids des Bundesamtes vom 9. Oktober 2015 Bezug genommen.

Aus den oben genannten Gründen war auch der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung abzulehnen, da der Antrag keine hinreichende Erfolgsaussicht hat, § 166 VwGO i. V. m. §§ 114 ff. ZPO.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83 b AsylG.

Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.

Tenor

I.

Der Antrag wird abgelehnt.

II.

Der Kläger hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 15. Januar 2015 ist unbegründet, weil die geltend gemachten Voraussetzungen des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG nicht vorliegen.

Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung im Sinn von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG. Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass die im Zulassungsantrag dargelegte konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war, ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und ihr eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 36).

Der Kläger wirft als grundsätzlich klärungsbedürftig die Frage auf, ob das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Ungarn im Hinblick auf die seit 1. Juni 2013 bestehenden Regelungen zur Asylhaft systemische Mängel aufweisen. Zwar habe der Europäische Gerichtshof in seiner Entscheidung vom 10. Dezember 2013 systemische Mängel im Hinblick auf Ungarn verneint. Es gebe aber zwischenzeitlich neue Erkenntnismittel, die systembedingte Mängel belegen würden, nämlich Schreiben des UNHCR vom 9. Mai 2014 und vom 30. September 2014 sowie von Pro Asyl vom 31. Oktober 2014 jeweils an das Verwaltungsgericht Düsseldorf und Berichte von AIDA und des Ungarischen Helsinki Committees vom April bzw. Mai 2014. Auch das Verwaltungsgericht Berlin sowie eine andere Kammer des Verwaltungsgerichts München würden die Auffassung vertreten, die exzessive Anwendung der sog. Asylhaft in Ungarn, die regelmäßig alle Dublin-Rückkehrer betreffe, verstoße gegen Art. 6 GR-Charta und Art. 5 EMRK.

Dieser Vortrag rechtfertigt nicht die Zulassung der Berufung. Mit dem Hinweis auf abweichende Entscheidungen einzelner erstinstanzlicher Verwaltungsgerichte wird bereits kein grundsätzlicher Klärungsbedarf aufgezeigt (OVG NW, B. v. 8. 9. 2014 -13 A 1347/14.A - AuAS 2014, 237 Rn. 21). Abgesehen davon gehen sowohl das Verwaltungsgericht Berlin (B. v. 15.1.2015 - 23 L 899.14 A - Asylmagazin 2015, 80 = juris) wie das Verwaltungsgericht München (B. v. 20.2.2015 - M 24 S 15.50091 - juris) nicht von einem systemischen Verstoß gegen Art. 4 EU-Grundrechtecharta aus, wie in Art. 3 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO), bestimmt ist. Bei beiden erstinstanzlichen Gerichten gilt, dass sie offenbar einen anderen als den in Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 der Dublin III-VO festgelegten Prüfungsmaßstab („Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU-Grundrechtecharta“) zugrunde gelegt haben (vgl. auch OVG SH, B. v. 13.4.2015 - 2 LA 39/15 - juris). Diesen Maßstab hat der Gerichtshof der Europäischen Union bereits für die Dublin II-VO verbindlich festgelegt, indem er ausgeführt hat, dass nicht jede Verletzung eines Grundrechts durch den zuständigen Mitgliedstaat genügt, um die Annahme systemischen Versagens zu tragen (EuGH, U. v. 21.12.2011 - N.S. u. a., C-411/10 u. a. - NVwZ 2012, 417 Rn. 82; vgl. auch BVerwG, B. v. 6.6.2014 - 10 B 35.14 - NVwZ 2014, 1677). Im Übrigen verneint auch der Großteil der nationalen Verwaltungsgerichte systemische Mängel bzw. Schwachstellen des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in Ungarn.

Soweit der Kläger auf die neueren Auskünfte von UNHCR und Pro Asyl verweist ergibt sich hieraus nichts anderes. Das Verwaltungsgericht Düsseldorf, auf dessen Veranlassung diese eingeholt wurden, ist nach Auswertung der Stellungnahmen zu dem Ergebnis gelangt, dass sich nicht feststellen ließe, dass ein Kläger Gefahr liefe, nach seiner Rücküberstellung nach Ungarn einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i. S. v. Art. 4 EU-GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK zu unterfallen (VG Düsseldorf, U. v. 20.3.2015 - 13 K 501/14.A - juris Rn. 50). Die Tatsache, dass das ungarische Asylrecht Inhaftierungsgründe für Asylbewerber enthalte und Ungarn auf dieser Grundlage Dublin-Rückkehr inhaftiere, sei für sich genommen noch kein begründeter Anhaltspunkt für das Vorliegen systemischer Mängel des Asylsystems (VG Düsseldorf a. a. O. Rn. 81). Auch der Kläger zeigt nicht weiter auf, welche Verstöße gegen Art. 4 EU-GR-Charta sich aus den neueren Erkenntnismitteln ergeben sollen.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ist ebenfalls zu der Einschätzung gelangt, dass zum maßgeblichen Zeitpunkt seiner Entscheidung ein Asylsuchender nicht mehr einer tatsächlichen und persönlichen Gefahr unterliege, bei einer Überstellung nach Ungarn im Rahmen der Dublin-VO einer Behandlung ausgesetzt zu werden, die Art. 3 EMRK verletzen würde (U. v. 6.6.2013 - Mohammed ./. Österreich, Nr. 2283/12 - InfAuslR 2014, 197, und U. v. 3.7.2014 - Mohammadi ./. Österreich, Nr. 71932/12 - NLMR - Newsletter Menschenrechte - 2014, 282). In dem Urteil vom 3. Juli 2014 hält der EGMR an seiner Bewertung im Urteil vom 6. Juni 2013 fest. Seither seien keine neuen Umstände bekannt geworden, die nunmehr zu dem Schluss führen könnten, dass das ungarische Asyl- und Asylhaftsystem systemische Mängel aufweise und für den Antragsteller die reale Gefahr einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung bestehe (Rn. 74 f.). Zwar zeigten Länderberichte, dass es noch eine Praxis der Inhaftierung von Asylbewerbern gebe und auch Dublin-Rückkehrer davon betroffen wären. Auch seien die Haftgründe vage formuliert und es gebe kein Rechtsmittel gegen Asylhaft. Aus den Berichten würde sich allerdings auch ergeben, dass es keine systematische Inhaftierung von Asylsuchenden mehr gebe und jetzt im Gesetz Alternativen zur Haft vorgesehen seien. Die Höchstdauer des Gewahrsams sei auf sechs Monate beschränkt. Hinsichtlich der Haftbedingungen sei anzumerken, dass es zwar immer noch Berichte über Mängel gebe, in einer Gesamtschau aber von Verbesserungen auszugehen sei (Rn. 68). Erneut weist der Gerichtshof darauf hin, dass sich auch der UNHCR bisher nicht generell gegen Rücküberstellungen nach Ungarn ausgesprochen habe (Rn. 69). Zudem verweist er in seiner Entscheidung im Übrigen ausdrücklich auf die Stellungnahmen von AIDA und dem Ungarischen Helsinki Committee (Rn. 33 ff.).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylVfG.

Tenor

I.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG) ist nicht in der gebotenen Weise (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG) dargelegt bzw. liegt nicht vor.

Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung setzt voraus, dass die im Zulassungsantrag dargelegte Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung der Vorinstanz von Bedeutung war, auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich wäre, bisher höchstrichterlich oder - bei tatsächlichen Fragen oder nicht revisiblen Rechtsfragen - durch die Rechtsprechung des Berufungsgerichts nicht geklärt, aber klärungsbedürftig und über den zu entscheidenden Fall hinaus bedeutsam ist (st. Rspr., z. B. BayVGH, B.v. 25.2.2013 - 14 ZB 13.30023 - juris Rn. 2 m. w. N.; vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 36 ff. m. w. N.).

Um den auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützten Zulassungsantrag zu begründen, muss der Rechtsmittelführer (1.) eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formulieren, (2.) ausführen, weshalb die Rechts- oder Tatsachenfrage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich ist, (3.) erläutern, weshalb die formulierte Frage klärungsbedürftig ist und (4.) darlegen, weshalb der Frage eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt; Darlegungen zu offensichtlichen Punkten sind dabei entbehrlich (Happ in Eyermann, VwGO, § 124a Rn. 72 m. w. N.).

Gemessen hieran hat der Kläger keine Fragen von grundsätzlicher Bedeutung formuliert. Die von ihm aufgeworfenen Fragen bedürfen keiner Klärung in einem Berufungsverfahren.

I.

Der Kläger hält es zunächst für grundsätzlich klärungsbedürftig, ob

1. Asylsuchende in Deutschland, die aus „Ungarn nach Deutschland reisen, im Rahmen der Dublin II-Verordnung zur Durchführung des Asylverfahrens wieder nach Ungarn rücküberstellt werden“ dürfen,

2. davon ausgegangen werden kann, „dass die ungarische Regierung die rücküberstellten Asylsuchenden entsprechend den europäischen Standards und unter Einhaltung der EMRK behandelt“,

3. davon ausgegangen werden kann, „dass die Asylsuchenden ihr Verfahren in Ungarn nach europäischem Maßstab durchführen können“.

Es kann offen bleiben, ob der Kläger mit derart weitgefassten Fragestellungen konkrete Rechts- oder Tatsachenfragen i. S. d. § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG dargelegt hat, die einer grundsätzlichen Klärung in einem Berufungsverfahren zugänglich sind. Die Fragen Nrn. 1 bis 3, die sich im Übrigen thematisch überschneiden, beinhalten rechtlich und/oder tatsächlich derart viele unterschiedliche Fallgestaltungen, dass die Fragen - so wie sie gestellt sind - weder klärungs- noch auslegungsfähig sein dürften. Jedenfalls aber rechtfertigen die aufgeworfenen Fragen mangels Klärungsbedürftigkeit bzw. mangels Darlegung der Klärungsbedürftigkeit nicht die Zulassung der Berufung nach § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG.

Der Kläger könnte in einem Berufungsverfahren dem streitgegenständlichen Bescheid vom 16. Februar 2011, mit dem die Beklagte festgestellt hat, dass der Asylantrag des Klägers unzulässig ist (Nr. 1 des Bescheids), und seine Abschiebung nach Ungarn angeordnet hat (Nr. 2 des Bescheids), damit entgegentreten, dass er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Ungarn geltend macht, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH, U.v. 10.12.2013 - C-394/12 - NVwZ 2014, 208 Rn. 62; BVerwG, B.v. 19.3.2014 - 10 B 6.14 - NVwZ 2014, 1039 Rn. 6 m. w. N.). Dabei wäre nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Berufungsentscheidung abzustellen (vgl. Schenk in Hailbronner, Ausländerrecht, Stand Nov. 2014, § 77 AsylVfG Rn. 6). Bei der Bewertung der in Ungarn anzutreffenden Umstände der Durchführung des Asylverfahrens und der Aufnahme von Flüchtlingen wären im Berufungsverfahren diejenigen Umstände heranzuziehen, die im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung (auch) auf die Situation des Klägers zutreffen. Abzustellen wäre demnach auf die Situation von Flüchtlingen in einer vergleichbaren rechtlichen und tatsächlichen Lage, wohingegen die Situation von Flüchtlingen in anderen rechtlichen oder tatsächlichen Umständen keine unmittelbare Rolle spielen würde. Sie könnte allenfalls ergänzend herangezogen werden, sofern sich diese Umstände auch auf die Situation des Klägers auswirken könnten (vgl. BVerwG, B.v. 6.6.2014 - 10 B 35.14 - InfAuslR 2014, 352 Rn. 5; OVG NW, U.v. 7.3.2014 - 1 A 21/12.A - DVBl 2014, 790 Rn. 130).

Ausweislich der von der Beklagten im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorgelegten und vom Verwaltungsgericht in Bezug genommenen Mitteilung des Liasonmitarbeiters beim Ungarischen Amt für Staatsbürgerschaft und Einwanderung (BAH) vom 4. Februar 2013 wurde der Asylantrag des Klägers in Ungarn am 29. Juli 2011 abgelehnt. Die von ihm fristgerecht gegen die Verwaltungsentscheidung eingelegte Klage sei von einem ungarischen Gericht am 8. Dezember 2011 abgewiesen worden. Ein am 5. Januar 2012 in Ungarn gestellter weiterer Asylantrag des Klägers sei nach dessen Anhörung am 1. Februar 2012 abgelehnt worden. Eine auch hiergegen erhobene Klage sei mit Entscheidung vom 13. März 2012 abgewiesen worden. Nachdem der Kläger am 26. Januar 2012 aus der Abschiebehaft entlassen worden sei, sei er zunächst in einer Aufnahmeeinrichtung verblieben und anschließend am 27. Februar 2012 in eine Privatunterkunft verzogen.

Der Kläger hat dem Inhalt dieser Mitteilung lediglich insoweit widersprochen, als er im Zulassungsantrag rügt, es sei nicht nachvollziehbar, weshalb das Gericht in seinem Urteil plötzlich zu der Feststellung gelange, dass die „ungarischen Behörden über das Datum der Entlassung des Klägers die Wahrheit sagen und nicht der Kläger“. Die weiteren Angaben des Liasonmitarbeiters hat er weder im verwaltungsgerichtlichen Verfahren noch im Zulassungsverfahren in Abrede gestellt. Damit hat der Senat davon auszugehen, dass über die vom Kläger in Ungarn gestellten Asylanträge während seines dortigen Aufenthalts, d. h. zwischen dem 12. Mai 2011 (Datum der Luftabschiebung des Klägers) und seiner Rückkehr in die Bundesrepublik Deutschland, (endgültig) entschieden worden ist.

Aus diesem Grund befindet sich der Kläger derzeit nicht mehr in einem Asylverfahren. Demgemäß dürfte die Frage Nr. 2, die sich auf die Behandlung rücküberstellter „Asylsuchender“ bezieht, im erstrebten Berufungsverfahren schon aus diesem Grund nicht entscheidungserheblich sein. Da auch Frage Nr. 3 ihrem Wortlaut nach auf Asylsuchende abstellt und der Kläger nicht darlegt, dass er in Ungarn über die bereits abgeschlossenen Asylverfahren hinaus ein weiteres Asylverfahren durchführen könnte, ist auch sie nicht entscheidungserheblich. Somit wäre in einem Berufungsverfahren nicht in erster Linie die Situation von Asylsuchenden zu beleuchten, vor allem nicht - wie es der Kläger in der aufgeworfenen Frage Nr. 1 für grundsätzlich klärungsbedürftig hält - von solchen Asylsuchenden, die zur „Durchführung des Asylverfahrens wieder nach Ungarn rücküberstellt werden“. Im Berufungsverfahren des Klägers wäre vielmehr die Situation von Dublin-Rückkehrern zu betrachten, die sich aktuell in Ungarn nicht mehr in einem Asylverfahren befinden, weil über (mindestens) einen Asylantrag bereits entschieden worden ist, und die, auch wenn der ursprüngliche Antrag abgelehnt worden ist, ein weiteres Asylverfahren regelmäßig nicht mehr (unter den gleichen Voraussetzungen wie bei einem Erstantrag) neu einleiten könnten.

Selbst dann, wenn man zugunsten des Klägers im Gesamtzusammenhang seiner Antragsbegründung die aufgeworfenen Fragen Nrn. 1 bis 3 dahingehend auslegt, dass sie sich auf die gebotene Behandlung von Rückkehrern beziehen, die sich in einer vergleichbaren Situation wie er selbst befinden, hat der Kläger die Klärungsbedürftigkeit dieser Fragen nicht dargelegt. Aufgrund systemischer Mängel die Vermutung zu widerlegen, dass der als zuständig bestimmte Mitgliedstaat die Unionsgrundrechte beachtet (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 - C-411.10 u. a. - NVwZ 2012, 417 Rn. 80), setzt voraus, dass die Aufnahmebedingungen im zuständigen Mitgliedstaat aufgrund größerer Funktionsstörungen regelhaft so defizitär sind, dass anzunehmen ist, dass dort auch dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Nur dann scheidet eine Überstellung an den nach der Dublin II-Verordnung zuständigen Mitgliedstaat aus (vgl. BVerwG, B.v. 6.6.2014 - 10 B 35.14 - InfAuslR 2014, 352 Rn. 5). Dies berücksichtigend müsste der Kläger in allen Fragen Anhaltspunkte dafür aufzeigen, dass Flüchtlingen, die sich in einer vergleichbaren rechtlichen und tatsächlichen Lage wie er selbst befinden, bei ihrer Rücküberstellung nach Ungarn systemische Mängel des Asylverfahrens drohen. Dem kommt der Kläger jedoch nicht nach. Zwar zitiert er umfangreich aus dem Bericht des UNHCR vom April 2012 und trägt vor, die von ihm im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geschilderten Zustände und Misshandlungen deckten sich vollständig unter anderem mit den Berichten von internationalen Organisationen. Da die wiedergegebenen Verhältnisse im Wesentlichen Rückkehrer betreffen, die zur Durchführung eines Asylverfahrens nach Ungarn rücküberstellt wurden, hätte der Kläger zunächst darlegen müssen, warum die vom UNHCR geschilderten Umstände auch für Rückkehrer gelten, die, wie er selbst (mindestens) ein Asylverfahren in Ungarn durchgeführt haben. Durch die auszugsweise Wiedergabe des Berichts des UNHCR vom April 2012 wird zudem deutlich, dass sich der Kläger auf Umstände bezieht, die sich vor Juli 2012 ereignet haben. Nach entscheidungserheblicher Einschätzung des Verwaltungsgerichts im angefochtenen Urteil, die auf die Mitteilung des Liasonmitarbeiters vom 4. Februar 2013 gestützt ist, ist es jedoch in Ungarn ab Mitte Juli 2012 zu einer veränderten Verfahrenspraxis gekommen, so dass dort nicht (mehr) von systemischen Mängeln des Asylverfahrens auszugehen sei. Mit dieser Einschätzung des Verwaltungsgerichts setzt sich der Kläger weder substantiiert auseinander noch zeigt er auf, warum die Aussagen des UNHCR nicht veraltet, sondern über Juli 2012 hinaus Gültigkeit haben. Auch legt der Kläger in diesem Zusammenhang nicht dar, warum seine persönlichen Erlebnisse, die bereits einige Jahre zurückliegen und die er im Wesentlichen während des laufenden Asylverfahrens in Ungarn hatte, nicht durch neuere Entwicklungen im betreffenden Staat überholt sein können (vgl. BVerwG, B.v. 6.6.2014 - 10 B 35.14 - NVwZ 2014, 1677 Rn. 6).

Die Zuständigkeit Ungarns zur Aufnahme des Klägers, die sich wegen seiner Einreise mit einem von der ungarischen Botschaft in Teheran ausgestellten ungarischen Visum aus Art. 9 Abs. 4 der im vorliegenden Verfahren noch maßgeblichen Verordnung (EG) Nr. 343/2003 - Dublin II-Verordnung - (im Folgenden: Dublin II-VO) ergibt, bleibt durch die tatsächlichen Veränderungen unberührt. Denn Ziel der Dublin II-Verordnung ist, dass der Staat, der zur Prüfung des Asylantrags zuständig ist, auch für die Vornahme aufenthaltsbeendender Maßnahmen zuständig sein soll (Filzwieser/Sprung, Dublin II-Verordnung, 3. Aufl. 2010, Art. 16 K25). Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass Ungarn das insoweit Erforderliche getan hat.

II.

Ungeachtet dessen, dass der Kläger bereits die Entscheidungserheblichkeit der Frage Nr. 4 nicht in der nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG gebotenen Weise dargelegt hat, ist es vorliegend nicht grundsätzlich klärungsbedürftig, ob „das Versäumnis der Frist zum Ersuchen des anderen Mitgliedsstaates, vorliegend Ungarn, gemäß Art. 17 Abs. 1 Satz 1 und 2 EG-AsylZustVO, durch den ersuchenden Mitgliedstaat, vorliegend Deutschland, dem Asylsuchenden ein individuelles Recht auf Zuständigkeit des ersuchenden Staates, als Sanktion für das Fristversäumnis“ verleiht.

Es ist in der Rechtsprechung geklärt, dass die Fristbestimmungen des § 17 Abs. 1 und 2 der - vom Kläger als EG-AsylZustVO bezeichneten - Dublin II-Verordnung für Übernahmeersuchen allein einer zeitnahen Feststellung des zuständigen Mitgliedstaats und einer zeitnahen Überstellung in diesen Staat dienen (vgl. auch HessVGH, B.v. 25.8.2014 - 2 A 976/14.A - Rn. 15 m. w. N.). Denn wie zuvor dargelegt, ist insoweit sowohl der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, U.v. 10.12.2013 - C-394/12 - NVwZ 2014, 208 Rn. 62) als auch der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, B.v. 19.3.2014 - 10 B 6.14 - NVwZ 2014, 1039 Rn. 6 m. w. N.; B.v. 15.4.2014 - 10 B 16.14 - Buchholz 402.25 § 27a AsylVfG Nr. 1 Rn. 12) zu entnehmen, dass ein Asylbewerber der Überstellung in den nach der Dublin II-Verordnung für ihn zuständigen Mitgliedstaat - jedenfalls nach dessen Zustimmung - nur mit dem Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber entgegen treten kann. Damit ist zugleich geklärt, dass wichtige Verfahrensregelungen und -fristen des „Dublin“-Systems kein subjektives Recht des Asylantragstellers begründen (Berlit, Anmerkung zu BVerwG, B.v. 19.3.2014 - 10 B 6.14 - jurisPR-BVerwG 12/2014 Anm. D).

Kosten: § 154 Abs. 2 VwGO

Tenor

Die aufschiebende Wirkung der Klage 6 K 2612/15.A gegen die in Ziffer 2. des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 29. Juli 2015 verfügte Abschiebungsanordnung nach Ungarn wird angeordnet.Die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, trägt die Antragsgegnerin.


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Tenor

Soweit der Kläger die Klage zurückgenommen hat, wird das Verfahren eingestellt.

Nr. 2 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 30.07.2013 wird aufgehoben.

Die Kosten des - gerichtskostenfreien - Verfahrens tragen der Kläger und die Beklagte je zur Hälfte.

Tatbestand

 
Der Kläger hat in Ungarn Flüchtlingsschutz erhalten und wendet sich gegen seine Abschiebung dorthin.
Der Kläger sprach am 10.01.2010 bei der Bundespolizei in Frankfurt/Main unter dem Namen X, geboren am X in Kandahar, vor und gab an, am selben Tag per Flugzeug aus Pakistan eingeschleust worden zu sein. Dafür habe er 12.000 US-Dollar gezahlt. Er fürchte um sein Leben.
Eine EURODAC-Anfrage ergab, dass er bereits am 16.10.2008 in Norwegen und am 29.06.2009 auf dem Flughafen Athen Asyl beantragt hatte. Er wurde in Abschiebungshaft genommen.
Am 27.01.2010 beantragte der Kläger Asyl. Mit Bescheid vom 12.02.2010 stellte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge fest, dass der Asylantrag unzulässig sei, und ordnete die Abschiebung des Klägers nach Griechenland an. Am 10.03.2010 wurde der Kläger nach Athen überstellt.
Am 15.3.2010 ging eine Klage des Klägers beim Verwaltungsgericht Frankfurt ein. Zur Begründung war darin ausgeführt, der Kläger wolle nicht nach Griechenland fliegen, da er große Probleme mit Leuten haben, die von ihm Geld wegen "schwarze fahren“ wollten. Wenn sein Asylantrag abgelehnt werde, wolle er nach Afghanistan zurückfliegen. Mit Gerichtsbescheid vom 03.05.2010 wies das Verwaltungsgericht Frankfurt/Main die Klage ab, weil der Klageschrift nicht eindeutig zu entnehmen gewesen sei, dass sie vom Kläger selbst stamme.
Am 21.06.2013 wurde der Kläger in der Landesaufnahmestelle für Migration und Flüchtlinge in Karlsruhe überprüft. Er war im Besitz eines von Ungarn am 22.08.2012 ausgestellten Internationalen Flüchtlingsausweises. Darin ist als Geburtsort Kabulshar und als Geburtsdatum der 01.01.1980 eingetragen; vermerkt ist auch, dass der Kläger ein afghanisches Personaldokument aus dem Jahr 2007 vorgelegt habe.
Am 20.06.2013 nahm das Bundesamt einen Asylfolgeantrag des Klägers auf. Dieser gab an, Pashtune und ledig zu sein und Dari und Englisch zu sprechen; eingereist sei er am 12.06.2013. Später gab er außerdem an, er sei über Österreich nach Deutschland gekommen.
Das Bundesamt stellte an Ungarn ein Aufnahmeersuchen und führte darin aus, der Kläger habe am 30.04.2010 schon einmal in Ungarn Asyl beantragt.
Die zuständige ungarische Stelle antwortete am 10.07.2013, eine Übernahme könne nicht erfolgen, weil der Kläger am 27.08.2010 in Ungarn Asyl beantragt und am 04.05.2012 eine Flüchtlingsanerkennung erhalten habe. Deshalb sei ihm am 29.08.2012 ein Reiseausweis nach der Genfer Flüchtlingskonvention ausgestellt worden. Das Bundesamt vermerkte, dass deshalb eine Überstellung im Dublin-Verfahren nicht möglich sei. Der Kläger könne aber jederzeit nach dem Rücküberführungsabkommen zwischen Ungarn und der Bundesrepublik Deutschland nach Ungarn überstellt werden.
10 
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 30.8.2013 stellte das Bundesamt fest, dass dem Kläger aufgrund seiner Einreise aus einem sicheren Drittstaat kein Asylrecht zustehe, und ordnete seine Abschiebung nach Ungarn an. Der Bescheid wurde dem Kläger am 05.09.2013 zugestellt.
11 
Der Kläger hat am 19.09.2013 Klage erhoben und zugleich vorläufigen Rechtsschutz beantragt.
12 
Mit Beschluss vom 11.10.2013 hat das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet (A 5 K 1863/13).
13 
Der Kläger trägt vor: Aufgrund der Umstände habe er in Ungarn kein menschenwürdiges Leben führen können. Er sei Hardware-Spezialist. Als er ein Jahr alt gewesen sei, habe seine Familie Afghanistan verlassen und sei in den Iran gezogen. Im Jahr 2003 sei er nach dem Sturz der Taliban zurückgekehrt. Er habe sich politisch betätigt und sei dabei in Lebensgefahr geraten. Deshalb sei er 2008 nach Griechenland geflohen. Dort habe er ohne staatliche Unterstützung gelebt, sei obdachlos und einen Monat in Haft gewesen. Er sei nach Norwegen gegangen, jedoch nach Griechenland zurückgeschoben worden. Dort sei er wieder einen Monat in Haft gewesen und dabei schwer erkrankt. Danach habe er wieder nach Norwegen reisen wollen. Auf dem Weg dorthin habe er in Deutschland aus Angst vor einem erneuten Zurückschicken nach Griechenland einen falschen Namen angegeben. Erneut sei er nach Griechenland abgeschoben worden. Dort hätten ihn Freunde und Bekannte unterstützt. Als dies nicht mehr möglich gewesen sei, habe er sich zum dritten Mal nach Norwegen aufgemacht. Er sei auf dem Landweg nach Ungarn gereist und dort sechs Monate lang inhaftiert gewesen. Sein Gesundheitszustand habe sich verschlechtert. Er habe unter Depressionen gelitten. Von Ungarn sei er erneut nach Griechenland abgeschoben worden. Dort sei er wiederum sechs Monate lang in Haft gewesen. Bei einem erneuten Versuch, nach Norwegen zu reisen, sei er in den Niederlanden verhaftet und für sechs Monate in Haft gewesen. Dort habe er einen Asylantrag gestellt. Ende 2011 sei er aber nochmals nach Ungarn zurückgeschoben worden. Dort sei er als politischer Flüchtling anerkannt worden. Er habe etwa fünf Monate in der Sammel-Unterkunft Dirsen (phon.), anschließend in der Sammel-Unterkunft Bicske gelebt. Man habe ihm gesagt, dass er nur sechs Monate bleiben könne und anschließend sich selbst eine Wohnung suchen müsse. Eine Verlängerung der Bleibezeit käme bei Schwierigkeiten mit der Wohnungssuche allenfalls für weitere sechs Monate in Betracht. Er habe aber weder Arbeit noch eine Wohnung gefunden. Wohnungskosten hätte er nur zur Hälfte von staatlichen Stellen erstattet bekommen können. Er habe erfahren, dass die große Mehrheit der ungarischen Bevölkerung Flüchtlingen gegenüber sehr negativ eingestellt sei. Die drohende Obdachlosigkeit habe ihn seelisch erheblich belastet. Nach dem Ablauf der Bleibezeit im Lager habe er weder Geld noch Medikamente erhalten, nicht einmal ein Busticket für Fahrten in die Stadt. Er sei auch nicht mehr krankenversichert gewesen. Er habe sich um Arbeit bemüht, beim Arbeitsamt aber keine Stelle vermittelt erhalten. In der Sammel-Unterkunft Bicske seien verschiedene Krankheiten ausgebrochen. Er habe unter Schlaflosigkeit und Fieber gelitten. Er habe sich nur eine Mahlzeit täglich leisten können. Ein Freund habe ihm auf eigene Kosten Medikamente besorgt, danach sei es ihm besser gegangen. Mitte 2013 habe er Ungarn mit einer Gruppe anderer afghanischer Flüchtlinge mit ähnlichen Erfahrungen verlassen. Asylsuchende, die nach Ungarn im Dublin-Verfahren abgeschoben würden, würden fast ausnahmslos inhaftiert. Das gelte selbst für psychisch schwer belastete Schutzsuchende, sogar wenn deren Erkrankung durch Gutachten bestätigt sei. Ungarn habe in der Vergangenheit zudem regelmäßig Asylbewerber nach Serbien abgeschoben; von dort aus seien Kettenabschiebungen nach Griechenland erfolgt. Seine Erfahrungen in Ungarn als anerkannter Flüchtling deckten sich mit der Erkenntnismittellage. Ihm drohe in Ungarn nicht nur erneut die Obdachlosigkeit, sondern deshalb auch Strafverfolgung. Zum 01.07.2013 habe Ungarn zudem die Vorschriften über die Inhaftierung von Asylsuchenden zu deren Nachteil geändert. Es sei zu befürchten, dass Asylsuchende künftig quasi automatisch inhaftiert würden. Inhaftierungen würden nur im 60-Tage-Rhythmus kontrolliert. Insbesondere obdachlose Flüchtlinge seien bedroht, aus rassistischen Motiven körperlich angegriffen zu werden. Ungarn sei auch kein sicherer Drittstaat. Dort bestünden systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber. Ihm könne nicht zugemutet werden, weiter in Ungarn zu leben, weil er inzwischen seit sieben Jahren in Europa auf der Flucht sei und wiederholt längerdauernde Haft, u. a. in Griechenland und Ungarn, habe hinnehmen müssen. In einem ärztlichen Attest vom 23.9.2013 werde ihm bescheinigt, dass er an Depressionen, Albträumen und Schlaflosigkeit leide und erhöhte Leberwerte habe.
14 
Hinsichtlich Nr. 1 des angefochtenen Bescheids hat der Kläger die Klage am 18.09.2015 zurückgenommen.
15 
Der Kläger beantragt,
16 
Nr. 2 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 30.08.2013 aufzuheben.
17 
Die Beklagte beantragt,
18 
die Klage abzuweisen.
19 
Sie trägt vor: Anerkannte Flüchtlinge seien ungarischen Staatsbürgern im Wesentlichen gleichgestellt. Für eine Übergangszeit von zwölf Monaten erhielten sie sogar kostenlos Zugang zu allen notwendigen Gesundheitsleistungen, soweit sie nicht einer Sozialversicherung angehörten. Nach der Anerkennung als Flüchtling oder Schutzberechtigter hätten sie einen gesetzlichen Anspruch auf eine sechs bis 12 Monate dauernde Unterbringung in einer Integrationseinrichtung. In Ausnahmefällen (älter als 60 Jahre, Erkrankung) könne die Unterbringung auf Dauer bestehen bleiben. Nach Ablauf der Unterbringung könnten verschiedene Unterstützungsleistungen beantragt werden, die in der Ausführungsverordnung zum ungarischen Asylgesetz geregelt seien. Es gebe beispielsweise eine finanzielle Starthilfe, Mietbeihilfen für sechs Monate, in einem Zeitraum von vier Jahren dreimal um jeweils sechs Monate verlängerbar, Renovierungszuschüsse und diverse andere Leistungen wie z.B. Arbeitslosenbeihilfe, Starthilfe und Sprachunterricht. Die Leistungen erfolgten nach dem Prinzip des Förderns und Forderns, sie seien zum Teil daran gekoppelt, dass der Berechtigte beispielsweise an Sprachkursen teilnehme und dem Arbeitsmarkt tatsächlich zur Verfügung stehe und sich auch arbeitssuchend gemeldet habe. Erforderlich sei eigene Initiative, auch bei der Suche nach Wohnraum. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe in Bezug auf Italien geklärt, dass eine Überstellung auch in einen Staat erfolgen könne, in dem die wirtschaftliche Stellung der Person schlechter sei als im überstellenden Staat. Es bestehe auch keine allgemeine Verpflichtung, Flüchtlingen finanzielle Hilfe zu bieten, um es ihnen zu ermöglichen, einen gewissen Lebensstandard aufrechtzuerhalten. In Ungarn bestünden keine systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen. Weder der UNHCR noch das ungarische Helsinki-Komitee würden allgemein empfehlen, Asylbewerber im Rahmen des Dublin-Verfahrens nicht nach Ungarn zu überstellen. Bei Inhaftierungen hielten sich die ungarischen Stellen an das ultima-ratio-Gebot. Fälle, in denen Familien verhaftet worden seien, seien nicht bekannt. Obdachlose würden nicht verhaftet, sondern in eine Notunterkunft eingewiesen.
20 
In Ungarn hielten sich gegenwärtig (Stand Mitte Oktober 2014) etwa 2500 Personen auf, denen der Flüchtlings- oder subsidiärer Schutz zuerkannt worden sei. Der starke Zustrom an Asylsuchenden habe im Sommer 2013 zu erheblicher Überbelegung der Aufnahmeeinrichtungen sowie zur Verschlechterung der hygienischen Bedingungen und der Sicherheitslage geführt. Anerkannte Flüchtlinge hätten wegen der verzögerten Ausstellung von Dokumenten erst nach mehreren Monaten Zugang zur Unterstützung und zu Integrationsleistungen. Wegen fehlender Dolmetscher und fehlender Informationen seien die Gesundheitsleistungen unzureichend. Psychologische und psychotherapeutische Gesundheitsleistungen für traumatisierte Asylsuchende würden ausschließlich von einer Nichtregierungsorganisation erbracht. Seit dem 01.01.14 sei die auf maximal ein Jahr befristete Unterbringung von Schutzberechtigten in der Zentralen Vorintegrationseinrichtung Bicske aufgegeben worden. Stattdessen erfolge mit Unterstützung örtlicher Behörden und kirchlicher Organisationen eine dezentrale Unterbringung der Schutzberechtigten in Gemeinden nach in der Regel zwei Monaten.
21 
Die Beklagte wurde unter dem 02.09.2015 - erfolglos - gebeten, eine Reihe von Fragen zur Überstellungspraxis nach Ungarn zu beantworten, und mitzuteilen, wie sich nach Auskunft des Verbindungsbeamten des Bundesamts bei der ungarischen Asylbehörde die Verhältnisse für anerkannte Flüchtlinge bzw. Schutzberechtigte entwickelt habe, auch unter Berücksichtigung der zur Zeit sehr starken Belastung der ungarischen Stellen insoweit.
22 
Der Kammer liegen die Ausdrucke der vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge für den Kläger elektronisch geführten Akten (zwei Hefte) vor.

Entscheidungsgründe

 
23 
Soweit der Kläger die Klage - hinsichtlich der Feststellung, dass ihm auf Grund seiner Einreise aus einem sicheren Drittstaat kein Asylrecht zustehe - zurückgenommen hat, ist das Verfahren einzustellen und allein noch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden.
24 
Über die Klage im Übrigen kann die Kammer entscheiden, obwohl die Beklagte in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten war; denn auf diese Möglichkeit ist die Beklagte in der Ladung hingewiesen worden (§ 102 Abs. 2 VwGO).
25 
Im Übrigen hat die Klage Erfolg. Sie ist als Anfechtungsklage statthaft und auch sonst zulässig. Sie ist auch begründet. Denn die auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG gestützte Anordnung der Abschiebung des Klägers nach Ungarn ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG), weil dem Kläger aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in Ungarn auch für anerkannte Flüchtlinge mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, in seinem Grundrecht aus Art. 4 GRCh bzw. in seinem Menschenrecht aus Art. 3 EMRK verletzt zu werden.
26 
Zu den rechtlichen Grundlagen insoweit und zu den aktuellen tatsächlichen Verhältnissen in Ungarn hat die Kammer im Urteil vom gleichen Tag im Verfahren A 5 K 2328/13 ausgeführt:
27 
„Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Dublin-II-Verordnung (Urt. v. 21.12.2011 - C-411/10 u.a., N.S. u.a. - NVwZ 2012, 417, vom 14.11.2013 - C-4/11, Puid - NVwZ 2014, 129, v. 10.12.2013 - C-394/12, Abdullahi - NVwZ 2014, 208) und dem folgend des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 16.04.2014 - A 11 S 1721/13 - InfAuslR 2014, 293, v. 10.11.2014 - A 11 S 1778/14 - InfAuslR 2015, 77, v. 18.03.2015 - A 11 S 2042/14 - juris sowie Urt. v. 18.03.2015 - A 11 S 2042/14 - juris) hat ein Asylbewerber - sofern spezialgesetzlich keine besonderen Ausnahmen geregelt sind (vgl. etwa Art. 7 Dublin II-VO) - grundsätzlich kein subjektives Recht auf Prüfung seines Antrags in einem bestimmten Mitglied- oder Vertragsstaat, so dass Fehler bei der Auslegung und bei der Anwendung der Zuständigkeitsregelungen der Verordnung grundsätzlich unerheblich sind. Grundsätzlich kann ein Antragsteller mit Aussicht auf Erfolg nur einwenden, dass in dem in der Abschiebungsanordnung bezeichneten Staat systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gegeben sind, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh ausgesetzt zu werden (EuGH, Urt. v. 10.12.2013 - C-394/12, Abdullahi - a.a.O.)
28 
Dabei kann jeder Mitgliedstaat grundsätzlich davon ausgehen, dass alle an dem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem beteiligten Staaten die Grundrechte einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 sowie in der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten finden, beachten und dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen dürfen. Auf dieser Grundlage besteht eine - allerdings - widerlegbare Vermutung dafür, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat den Anforderungen der Grundrechtecharta, der Genfer Flüchtlingskonvention und der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten genügt. Diese Vermutung ist widerlegt, wenn in der Rechtsanwendungspraxis in einem bestimmten Mitgliedstaat erhebliche Funktionsstörungen zutage treten und diese zur absehbaren Folge haben, dass eine ernstzunehmende Gefahr besteht, dass Asylbewerber bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt werden, die mit ihren Menschenrechten unvereinbar ist.
29 
Insoweit stellt nicht jeder vereinzelte Verstoß gegen eine Bestimmung der Dublin II-VO (bzw. nunmehr der Dublin III-VO) und auch nicht einmal jede Verletzung eines Grundrechts, wie von Art. 4 GRCh, durch den zuständigen Mitgliedstaat das Zuständigkeitssystem grundsätzlich infrage. Denn dann stünde nicht weniger als der Daseinsgrund der Union und die Verwirklichung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, konkret des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, auf dem Spiel (EuGH, Urt. v. 21.12.2011 - C-411/10 u.a., N.S. u.a. - NVwZ 2012, 417). Das Dublin-Zuständigkeitssystem ist deshalb nur dann (teilweise) zu suspendieren, wenn einem Mitgliedstaat aufgrund der ihm vorliegenden Informationen nicht unbekannt sein kann, dass systemische Mängel oder Schwachstellen (vgl. jetzt auch Art. 3 Abs. 2 UA. 2 VO (EU) Nr. 604/2013 = Dublin III-VO) des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller dort Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh ausgesetzt zu sein (EuGH, Urt. v. 21.12.2011, a.a.O. und v. 14.11.2013 - C-4/11, Puid - NVwZ 2014, 129).
30 
Systemische Schwachstellen sind solche, die entweder bereits im Asyl- und Aufnahmeregime selbst angelegt sind und von denen alle Asylbewerber oder bestimmte Gruppen von Asylbewerbern deshalb nicht zufällig und im Einzelfall, sondern vorhersehbar und regelhaft betroffen sind, oder aber tatsächliche Umstände, die dazu führen, dass ein theoretisch sachgerecht konzipiertes und nicht zu beanstandendes Asyl- und Aufnahmesystem - aus welchen Gründen auch immer - faktisch ganz oder in weiten Teilen seine ihm zugedachte Funktion nicht mehr erfüllen kann und weitgehend unwirksam wird (vgl. auch BVerwG, Beschl. v. 19.03.2014 - 10 B 6.14 - NVwZ 2014, 1093, und v. 06.06.2014 - 10 B 35.14 - NVwZ 2014, 1677). Dabei ist der Begriff der systemischen Schwachstelle nicht in einer engen Weise derart zu verstehen, dass er geeignet sein muss, sich auf eine unüberschaubare Vielzahl von An-tragstellern auszuwirken. Vielmehr kann ein systemischer Mangel auch dann vorliegen, wenn er von vornherein lediglich eine geringe Zahl von Asylbewerbern betreffen kann, sofern er sich nur vorhersehbar und regelhaft realisieren wird und nicht gewissermaßen dem Zufall oder einer Verkettung unglücklicher Umstände bzw. Fehlleistungen von in das Verfahren involvierten Akteuren geschuldet ist (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 10.11.2014 - A 11 S 1778/14 - InfAuslR 2015, 77).
31 
Wesentliche Kriterien für die zu entscheidende Frage, ob eine unmenschliche oder erniedrigende (bzw. "entwürdigende") Behandlung vorliegt, finden sich in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK (vgl. Urt. v. 21.01.2011 - Nr. 30696/09, M.S.S./Belgien - NVwZ 2011, 413, v. 04.11.2014 - Nr. 29217/12, Tarakhel/Schweiz - juris, und E. v. 05.02.2015 - Nr. 51428/10, A.M.E./Niederlande - juris), der mit Art. 4 GRCh übereinstimmt (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 10.11.2014 - A 11 S 1778/14 - InfAuslR 2015, 77, m.w.N.). Die Annahme einer drohenden Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 GRCh muss durch wesentliche Gründe (so nunmehr Art. 3 Abs. 2 UA. 2 Dublin III-VO; vgl. auch EuGH, Urt. v. 21.12.2011 - C-411/10 u.a., N.S. u.a. - NVwZ 2012, 417: "ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe") gestützt werden. Das bedeutet, dass die festgestellten Tatsachen hinreichend verlässlich und aussagekräftig sein müssen; nur unter dieser Voraussetzung ist es nach der maßgeblichen Sicht des Europäischen Gerichtshofs gerechtfertigt, von einer Widerlegung des „gegenseitigen Vertrauens“ der Mitgliedstaaten untereinander auszugehen. In diesem Zusammenhang müssen die festgestellten Tatsachen und Missstände verallgemeinerungsfähig sein, um die Schlussfolgerung zu rechtfertigen, dass es nicht nur vereinzelt, sondern immer wieder und regelhaft zu Grundrechtsverletzungen nach Art. 4 GRCh kommt. Das bei einer wertenden und qualifizierten Betrachtungsweise zugrunde zu legende Beweismaß ist das der beachtlichen Wahrscheinlichkeit im herkömmlichen Verständnis der höchstrichterlichen Rechtsprechung, das sich nicht von dem in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte entwickelten Beweismaß des „real risk“ unterscheidet (BVerwG, Urt. v. 20.02.2013 - 10 C 23.12 - NVwZ 2013, 936; Beschl. v. 19.03.2014 - 10 B 6.14 - juris).
32 
Anhand dieser Grundsätze sind hinreichende Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Griechenland angenommen worden (EGMR - Große Kammer, Urt. v. 21.01.2011 - Nr. 30696/09, M.S.S./Belgien und Griechenland - NVwZ 2011, 413 und weitere, vgl. dazu, auch zum Folgenden, BVerwG, Beschl. v. v. 19.03.2014 a.a.O. und v. 06.06.2014 - 10 B 35/14 - juris).
33 
Für das in Deutschland - im Unterschied zu anderen Rechtssystemen - durch den Untersuchungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) geprägte verwaltungsgerichtliche Verfahren hat das Kriterium der systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union Bedeutung für die Gefahrenprognose im Rahmen des Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK. Der Tatrichter muss sich zur Widerlegung der auf dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens unter den Mitgliedstaaten gründenden Vermutung, die Behandlung der Asylbewerber stehe in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechte-Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK, die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) verschaffen, dass der Asylbewerber wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit (vgl. Urteil vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 5.09 - BVerwGE 136, 377 Rn. 22 m.w.N. einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird. Die Fokussierung der Prognose auf systemische Mängel ist dabei, wie sich aus den Erwägungen des Gerichtshofs zur Erkennbarkeit der Mängel für andere Mitgliedstaaten ergibt (EuGH, Urt. v. 21.12.2011 - Rs. C-411/10 und Rs. C-493/10 - a.a.O. Rn. 88 bis 94), Ausdruck der Vorhersehbarkeit solcher Defizite, weil sie im Rechtssystem des zuständigen Mitgliedstaates angelegt sind oder dessen Vollzugspraxis strukturell prägen. Solche Mängel treffen den Einzelnen in dem zuständigen Mitgliedstaat nicht unvorhersehbar oder schicksalhaft, sondern lassen sich aus Sicht der deutschen Behörden und Gerichte wegen ihrer systemimmanenten Regelhaftigkeit verlässlich prognostizieren. Die Widerlegung der o.g. Vermutung aufgrund systemischer Mängel setzt deshalb voraus, dass das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen im zuständigen Mitgliedstaat aufgrund größerer Funktionsstörungen regelhaft so defizitär sind, dass anzunehmen ist, dass dort auch dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Dann scheidet eine Überstellung an den nach der Dublin II-Verordnung zuständigen Mitgliedstaat aus.
34 
Das Bundesverwaltungsgericht hat daraus gefolgert (Beschl. v. 06.06.2014 - 10 B 35.14 - a.a.O.): Aus der dargelegten Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ergebe sich, dass ein Asylbewerber der Überstellung in den nach der Dublin-II-Verordnung für ihn zuständigen Mitgliedstaat mit Blick auf unzureichende Aufnahmebedingungen für Asylbewerber nur mit dem Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen entgegentreten könne und es nicht darauf ankomme, ob es unterhalb der Schwelle systemischer Mängel in Einzelfällen zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK kommen könne und ob ein Antragsteller dem in der Vergangenheit schon einmal ausgesetzt gewesen sei. Derartige individuelle Erfahrungen seien vielmehr (allein) in die Gesamtwürdigung einzubeziehen, ob systemische Mängel im Zielland der Abschiebung des Antragstellers (dort: Italien) vorliegen. In diesem begrenzten Umfang seien individuelle Erfahrungen des Betroffenen zu berücksichtigen. Dabei sei allerdings zu beachten, dass persönliche Erlebnisse Betroffener, die - wie in dem der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zu Grunde liegenden Fall - einige Jahre zurücklägen, durch neuere Entwicklungen im betreffenden Staat überholt sein könnten. Individuelle Erfahrungen einer gegen Art. 4 GRCh verstoßenden Behandlung führten hingegen nicht zu einer Beweislastumkehr für die Frage des Vorliegens systemischer Mängel.
35 
Nach der jüngeren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (zu Italien) ist dabei stets auch zu fragen, ob die gesetzliche Vermutung des Fehlens systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen zumindest für einzelne Gruppen besonders verletzlicher Antragsteller erschüttert bzw. widerlegt ist. Eine Überstellung sogenannter vulnerabler Personen kommt nur in Betracht, wenn der Aufnahme-Mitgliedschaft eine entsprechende individuelle Garantieerklärung abgibt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 22.07.2015 - 2 BvR 746/15 - m.w.N.)
36 
Die Kammer hat allerdings in mehreren Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (vgl. etwa VG Freiburg, Beschl. v. 30.07.2014 - A 5 K 418/14 - juris) zu Grunde gelegt, dass eine Beweislastumkehr ausnahmsweise dann angezeigt ist, wenn erwiesen ist, dass in einem Mitgliedstaat systemimmanente Schwachstellen bestanden haben, welche die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung des jeweiligen Klägers als beachtlich wahrscheinlich haben erscheinen lassen (das dürfte in Ungarn in den Jahren 2011 und 2012 der Fall gewesen sein). In einem solchen Fall sollte ein durchgreifender Wandel der Verhältnisse erst dann zu Grunde gelegt werden können, wenn er nachgewiesen ist. Mit anderen Worten: Eine Verbesserung der Verhältnisse hinsichtlich der Asylverfahren und der Aufnahmebedingungen, etwa durch Änderungen der einschlägigen mitgliedstaatlichen Vorschriften oder durch Bereitstellung weiterer personeller und sächlicher Mittel, sollte erst dann zu Lasten des jeweiligen Schutzsuchenden angenommen werden, wenn die angestrebten Verbesserungen in der Anwendung der verbesserten Vorschriften auch nachweislich eingetreten sind; dass in den Monaten nach der Verbesserung der rechtlichen Grundlagen noch keine aktuellen Beschwerden oder keine aktuelle Kritik des UNHCR oder anderer Menschenrechtsorganisationen bekannt geworden ist, sollte für die Annahme einer nachhaltigen Verbesserung der Verhältnisse nicht ohne Weiteres ausreichen. Dem entspräche es im Übrigen auch, dass die Mitgliedstaaten bei Griechenland tatsächlich wohl so verfahren und mit einer Wiederaufnahme von Überstellungen nach Griechenland erst wieder begonnen werden dürfte, wenn dort entsprechende Verfahren und Aufnahmebedingungen gewährleistet sind.
37 
Weiter erscheint der Kammer fraglich, ob bei der Feststellung systemischer Mängel im Asylverfahren und bei den Aufnahmebedingungen eine vom jeweiligen Asylbewerber selbst erfahrene menschenrechtswidrige Behandlung, etwa eine längere, unbegründete Haft, eine längere unfreiwillige Obdachlosigkeit oder ein langjähriges Fernhalten vom Asylverfahren, erst dann von Bedeutung sein soll, wenn sich hieraus eine anhaltende, im Aufnahmestaat nicht zu behandelnde Gesundheitsstörung (insbesondere posttraumatische Belastungsstörung) ergeben hat.
38 
Denn auch wenn solche Erfahrungen Einzelner für sich noch keine systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen begründen können, es sei denn, sie sind zahlreich und repräsentativ für eine (vulnerable) Gruppe, der der jeweilige Antragsteller angehört, könnte eine selbst erlittene menschenrechtswidrige Behandlung doch bei der Frage, ob die Beklagte in das Asylverfahren als zuständiger Staat eintritt, jedenfalls aber bei der Prüfung, ob eine Abschiebungsanordnung nach § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG erlassen wird, zu berücksichtigen sein (§ 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK, Art. 4 GRCh). Davon scheint etwa das Schweizerische Bundesgericht auszugehen, das auch Umstände berücksichtigt, welche die Schutzsuchenden bei ihrem Aufenthalt im Erstaufnahmestaat individuell erlitten haben (z.B. sexuelle Übergriffe, Suizidversuch, Therapiebedürftigkeit). (vgl. Urt. v. 09.10.2013 - E 2093/2012 - und v. 30.10.2013 - E 3837/2012 -; zuletzt auch Urt. v. 23.07.2015 - D 2408/2015).
39 
Unabhängig davon steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass jedenfalls gegenwärtig in Ungarn systembedingte Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen bestehen, welche jeden Schutzsuchenden, der dorthin zurücküberstellt wird, der beachtlichen Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung aussetzt. Dabei geht die Kammer von Folgendem aus:
40 
Die Zahl der nach Ungarn einreisenden Schutzsuchenden ist zuletzt sehr stark angestiegen. Im Jahr 2012 wurden noch 2.155 Asylbewerber, im Jahr 2013 18.900 und im Jahr 2014 42.777 Schutzsuchende registriert. Im Jahr 2015 war zunächst von 150.000 nach Ungarn einreisenden Schutzsuchenden bis zum 01.09.2015 die Rede (bei einer Gesamtbevölkerung Ungarns von etwa 10 Millionen Einwohnern); zuletzt wurden Zahlen von weit mehr als 300.000 Schutzsuchenden genannt, von denen die meisten, nur zum wohl geringeren Teil registriert, nach Österreich weiterreisten. Ob die Errichtung eines Zauns an der Grenze zu Serbien und nun auch zu Kroatien und überhaupt die restriktiv wirkende Flüchtlingspolitik Ungarns jetzt zu einer Minderung der Zahl der nach Ungarn einreisenden Schutzsuchenden führen, ist unklar.
41 
Im März 2015 verfügte Ungarn über 2500 Plätze zur Aufnahme von Flüchtlingen (vgl., auch zum Folgenden: EASO, Beschreibungen des ungarischen Asylsystems, Stand März 2015); das Auswärtige Amt hatte in seiner Auskunft an die Kammer vom 12.03.2015 im Verfahren A 5 K 2328/13 noch von 1.500 Plätzen in offenen Aufnahmeeinrichtungen und von weiteren 400 Plätzen in Asylhafteinrichtungen und der geplanten Eröffnung einer weiteren Aufnahmeeinrichtung in Kiskunhalas gesprochen. Zur Anhörung von Schutzsuchenden und zur Entscheidung über ihre Schutzanträge standen 56 Sachbearbeiter in ganz Ungarn bereit. Neue Mitarbeiter waren eingestellt, aber noch nicht geschult. Schutzsuchende werden an der Grenze registriert und einem der vier Empfangszentren zugewiesen; sie können auch auf eigene Kosten im ganzen Land Unterkunft suchen, erhalten dafür aber keine Unterstützung. Wenn sie an einer ihnen bezeichneten Stelle zur Stellung des Asylantrags oder zur später angeordneten Anhörung nicht erscheinen, wird das Schutzgesuch entweder, auf der Grundlage von hinreichenden Angaben bei der Registrierung abgelehnt, oder das Verfahren wird wegen angenommener Rücknahme des Schutzgesuchs eingestellt. Für einen Schutzsuchenden, der später sein Schutzgesuch erneuert, wird ein nichtbeendetes Verfahren fortgesetzt, ein durch Ablehnung des Schutzgesuchs beendetes Verfahren kann innerhalb der Rechtsmittelfrist von acht Tagen im Rechtsbehelfsverfahren fortgesetzt werden. Nach Ablauf der Rechtsmittelfrist hat der Schutzsuchende das Recht, einen Folgeantrag zu stellen. Nach den Angaben des ungarischen Büros für Einwanderung und Staatsangehörigkeit (OIN) werden auch Dublin-Rückkehrer stets als Schutzsuchende behandelt. Gibt der Schutzsuchende aber im Folgeverfahren die gleichen Gründe an wie im ersten Verfahren, kann der Folgeantrag als unzulässig behandelt werden.
42 
Zur Rücküberstellung nach Ungarn hat das Auswärtige gegenüber der Kammer (Auskunft v. 12.03.2015 im Verfahren A 5 K 2328/13) erläutert: Die per Flug Überstellten würden zur Zentrale des ungarischen Amts für Staatsbürgerschaft und Einwanderung gebracht und informiert, dass sie als Asylbewerber behandelt würden. Wenn ein erstes Asylverfahren in Ungarn ohne Entscheidung in der Sache oder durch Rücknahme beendet worden sei, werde es fortgesetzt, sonst werde ein Zweitantrag angenommen. Bei einem Zweitantrag würden (nur) nachträglich entstandene Umstände berücksichtigt. Die Klagefrist betrage drei Tage nach Bekanntgabe/Zustellung der Entscheidung. Bis zur unanfechtbaren Entscheidung im Asylverfahren hätten Asylbewerber Anspruch auf Sozialleistungen, es sei denn, der Asylantrag sei als offensichtlich unbegründet oder unzulässig abgelehnt worden. Ausgeschlossen von den im Asylgesetz geregelten Sozialleistungen seien auch Zweitantragsteller, deren Erstverfahren eingestellt oder abgelehnt worden sei oder bei denen das refoulement-Verbot einer Abschiebung nicht entgegen stehe. Ausreisepflichtige müssten die Unterkunft verlassen, der Aufenthalt sei auf einen bestimmten Regierungsbezirk (Komitat) beschränkt. Sie könnten in öffentlichen Notunterkunftsplätzen des jeweiligen Regierungsbezirks unterkommen und eine kostenlose medizinische Notfallversorgung in Anspruch nehmen. Bei Zuerkennung eines Schutzstatus könnten sie Integrationsleistungen beanspruchen. Seit Januar 2014 würden diese auf örtlicher Ebene (dezentral) durchgeführt. Dabei wirke ein örtlich zuständiger Dienst für Familienförderung mit (auch für Personen ohne Schutzstatus). Es würden individuelle Integrationsvereinbarungen geschlossen. Bei der Förderung der sozialen Integration leiste der Dienst neben finanziellen Hilfen u.a. auch Hilfe bei der Arbeitssuche. In der Flüchtlingshilfe engagierten sich u.a. die Flüchtlingsmission der Reformierten Kirche, die Ungarische Gesellschaft für Migranten und das Helsinki-Komitee. In den Jahren von 2012 bis 2014 habe es 335, 850 bzw. 827 Rücküberstellungen im Dublin-Verfahren gegeben.
43 
Der UNHCR hat in seiner Auskunft an die Kammer vom 30.09.2014 im Verfahren A 5 K 2328/13 weitgehend entsprechende Angaben gemacht. Die am 01.07.2013 in Kraft gesetzten neuen Bestimmungen zur Inhaftierung von Schutzsuchenden bis zu sechs Monaten hat er kritisch beurteilt. Nach seiner Ansicht würden praktisch alle Dublin-Rückkehrer in Haft genommen, ausgenommen Familien oder besonders vulnerable Asylsuchende. Beim damaligen Stand hat der UNHCR für den August 2014 dank Unterstützung der Europäischen Union eine Verbesserung der Aufnahmebedingungen für Flüchtlinge gesehen. Anerkannte Flüchtlinge müssten mehrere Monate warten, bis sie Integrationshilfen beanspruchen könnten. Hinsichtlich der medizinischen, psychologischen und psychotherapeutischen Versorgung von Flüchtlingen gebe es aus allen Aufnahmeeinrichtungen Beschwerden. Drogen- und andere Abhängige hätten keinen Zugang zu medizinischen Diensten. Ein psychisches Problem seien auch fehlende tägliche Beschäftigung und Abwechslung. Wer keine permanente Adresskarte habe, habe Probleme beim Zugang zu medizinischen Diensten. Zum 01.01.2014 seien Regelungen zur Integration von Personen mit Schutzstatus eingeführt worden. Es gebe systemische Probleme, die einer Integration von Flüchtlingen entgegen stünden. Das System der gesetzlichen Hilfen sei unter anderem bei weitem nicht genügend finanziert. Obdachlose, die auf öffentlichen Plätzen nächtigten, würden kriminalisiert. Im Juni 2013 seien unter Hinweis auf diese Bedingungen etwa 70 und im August 2013 nochmals etwa 20 afghanische Staatsangehörige nach Deutschland weitergereist. Pro Asyl und bordermonitoring hätten berichtet, dass Inhaber eines Schutzstatus nach der Rückkehr nach Ungarn sich in einer besonders verletzlichen Lage befunden hätten. Deren finanzielle Unterstützung sei zu gering gewesen, um eine Wohnung zu finden. Auch in Obdachlosenunterkünften habe es nicht genügend Plätze für Flüchtlinge gegeben. Eine im Jahr 2012 erfolgte Befragung habe ergeben, dass fast die Hälfte der Personen mit Schutzstatus keine Arbeit gehabt hätten, was u.a. auf den Mangel an Ausbildung und Berufserfahrung und den Mangel an ungarischen Sprachkenntnissen zurückgeführt werden könne. Die Inhaftierungspraxis und deren gerichtliche Kontrolle sei mangelhaft. Die Ernährung der Flüchtlinge in Haft sei nach deren Angaben unzureichend, seitens des Personals in den Haftanstalten gebe es Rassismus und Missbrauch. Neu eingestelltes Personal in den Aufnahmeeinrichtungen habe keine Berufserfahrung und auch keine entsprechende Ausbildung durchlaufen. Es gebe keine Vorkehrungen, verletzliche Personen zu erkennen. Die Hygiene-Einrichtungen in den Aufnahmeeinrichtungen seien unzureichend. Über private Organisationen, die Flüchtlinge unterstützen und dabei vom ungarischen Staat unterstützt würden, lägen keine Auskünfte vor.
44 
Am 23.09.2015 hat die Europäische Kommission gegen Ungarn zwei Vertragsverletzungsverfahren wegen ausstehender Berichte zur Einhaltung von Asylverfahrensbestimmungen und zur Einhaltung der Standards für Aufnahmebedingungen anerkannter Flüchtlinge eingeleitet. Auch gegen zahlreiche andere Mitgliedstaaten, darunter die Bundesrepublik Deutschland, wurden Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Zugleich hat die Kommission umfangreiche unmittelbare, operative, budgetäre und rechtliche Maßnahmen im Rahmen der Europäischen Migrationsagenda angekündigt, wozu auch eine Ausweitung der finanziellen und personellen Unterstützung der am stärksten von der Flüchtlingsmigration betroffenen Mitgliedstaaten gehören.
45 
Wegen der im Lauf des ersten Halbjahres 2015 stark angestiegenen Zahl an Schutzsuchenden hat Ungarn im Juli 2015 entlang der 174 km langen Grenze zu Serbien einen festen bzw. aus übereinander liegenden Rollen von sogenanntem Nato-Draht gefertigten durchgehenden Zaun errichtet, um die Schutzsuchenden zu veranlassen, die serbisch-ungarische Grenzen nur an den Grenzübergängen zu überschreiten und um diese nahe der Grenze registrieren zu können. Geplant war (und noch nicht verwirklicht ist), Schutzsuchende nicht weiter ins Land einreisen zu lassen, und grenznahe Unterkünfte und Einrichtungen zur Aufnahme zu errichten. Um auch das Militär einsetzen zu können, wurde an die Ausrufung eines "Migrationsnotstands‘“ gedacht.
46 
Die ungarische Bevölkerung ist nach vielen Pressemeldungen gegenüber den Schutzsuchenden überwiegend ablehnend eingestellt. Die Regierung greift diese Stimmung nicht nur auf, sondern befördert sie. Laut Pester Lloyd vom 12.06.2015 hat der ungarische Ministerpräsident etwa geäußert: „Wir müssen alles versuchen, um Ungarn das Zusammenleben mit Menschen verschiedener Kulturen zu ersparen“. Im Juli 2015 beharrte er darauf, dass Ungarn ein ungarisches Land bleiben solle. Bei einer vom UNHCR deutlich kritisierten landesweiten Regierungskampagne wurde plakatiert: "Wenn du nach Ungarn kommst, darfst du den Ungarn nicht die Arbeit wegnehmen!“ (Spiegel-online v. 02.09.2015). Auch empfindet die ungarische Regierung die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen als Einmischung und behindert deren Arbeit (Spiegel-online v. 12.09.2014).
47 
In einem Interview (FAZ vom 03.09.2015, S. 10) hat der ungarische Ministerpräsident geäußert, Europa müsse verstehen, dass man nicht aufnehmen könne, wenn man überrannt werde. Deshalb sei der Zaun, den Umgarn baue, wichtig. Er folge aus dem Schengener Abkommen. Das ungarische Volk sei konsultiert worden. Von acht Millionen Wählern hätten eine Million geantwortet. 85 % von ihnen meinten, die Union sei bei der Bewältigung der Einwanderung gescheitert. Europa könne nicht gegen den Willen der Bürger sein. Nur wenn die Grenzen beschützt würden, könnten Fragen gestellt werden nach der Anzahl der Menschen, die Europa aufnehmen wolle oder ob es Quoten geben solle. Die Menschen, die kämen, seien meistens keine Christen, sondern Muslime. Wenn das aus den Augen verloren würde, könne der europäische Gedanke auf dem eigenen Kontinent in die Minderheit geraten. Die erwähnte Umfrage hatte die Mitteleuropa-Vertretung des UNHCR zum Anlass genommen, ihre „zutiefste“ Besorgnis zum Ausdruck zu bringen, dass die ungarische Regierung Flüchtlinge als Gefahr für das Land darstelle (Salzburger Nachrichten v. 08.05.2015 - online), und eine Gegenkampagne gestartet, in deren Rahmen ab dem 01.07.2015 500 Plakate im ganzen Land aufgehängt werden sollten. Eine Sprecherin des UNHCR habe dazu gesagt, die Lage in Ungarn sei eine besondere, weil nicht, wie in kleinen Ländern, kleine Gruppen Fremdenhass schürten, sondern die Regierung; ein positives Zeichen sei, dass die Reaktionen in der ungarischen Öffentlichkeit gespalten seien (euronews v. 17.06.2015). Die ungarische Regierung sieht, wie auch die Errichtung von Grenzzäunen zu Serbien und Kroatien zeigt, die ein- und durchreisenden Flüchtlinge ausdrücklich als Gefahr an (Handelsblatt v. 02.10.2015: Orban: „Das Land ist von einer Flüchtlingsarmee bedroht“). Gemeldet wurde auch, ein Sprecher der Partei Fidesz habe gesagt, das größte Aufnahmelager Debrecen (das Platz für 930 Menschen bietet, aber nur mit derzeit 260 Menschen belegt sei), solle mit Rücksicht auf die Bewohner der Umgebung geschlossen werden; der UNHCR habe das Vorgehen Ungarns gegenüber den Flüchtlingen u.a. deshalb als sehr besorgniserregend bezeichnet (DLF v. 02.10.2015).
48 
Es gibt nur wenige Hilfsorganisationen, welche sich um Schutzsuchende bzw. anerkannte Schutzsuchende kümmern. Über bürgerschaftliche Hilfe wird berichtet. Wie wirksam diese bei der großen Zahl der Schutzsuchenden sein kann, lässt sich nicht einschätzen.
49 
Insbesondere hinsichtlich der jüngsten Änderungen der ungarischen Asylgesetze und sonstiger neuerer Entwicklungen hat die Beklagte in keinem der am 13.10.2015 verhandelten Verfahren substantiiert dargelegt, wie sich die Aufnahmebedingungen und das Asylverfahren rechtlich und tatsächlich in den letzten Monaten entwickelt haben.
50 
Die Kammer konnte auch nicht unmittelbar von dem Verbindungsbeamten des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge bei der ungarischen Asylbehörde Erkenntnisse erhalten. Dieser hat auf eine - außerhalb dieses Verfahrens erfolgte - Anfrage per E-Mail nach den letzten Änderungen im ungarischen Asylrecht mitgeteilt, er könne nicht (mehr) unmittelbar Auskunft erteilen, Auskünfte erteilten die Dublin-Referate des Bundesamts. Der Informationsaustausch der Dublin-Referate des Bundesamts mit den Vertretern des Bundesamts vor den Verwaltungsgerichten scheint allerdings zur Zeit nicht gewährleistet zu sein; denn diese haben sich nicht in der Lage gesehen, aktuelle Erkenntnisse mitzuteilen.
51 
Die Kammer stützt sich daher, was die Entwicklung in den letzten Monaten betrifft, in tatsächlicher Hinsicht in erster Linie auf den Bericht des European Asylum Support Office (EASO) im Anschluss an eine Bereisung vom 16. bis 20.03.2015 sowie auf zahlreiche Internet-Veröffentlichungen des Asylum Information Database of the European Council on Refugees and Exiles etc. sowie insbesondere auf die in der Rechtsprechung des österreichischen Bundesverwaltungsgerichts umfassend wiedergegebenen und laufend aktualisierten Berichte des österreichischen Verbindungsbeamten bei der ungarischen Asylbehörde (vgl. zuletzt öster. BVwG, Urt. v. 24.09.2015 - W 1442114716-1/3 E -, Internet-Seite des österreichischen Bundeskanzleramts, dort Rechtsinformationssystem -RIS-; dort finden sich im Einzelnen insbesondere Ausführungen zum Asylverfahren allgemein (2.), zur Haft (3.), zur Lage von Dublin-Rückkehrern (4.), zu vulnerablen Gruppen (5.), zur Versorgung, insbesondere Unterbringung (7.) und zur Lage von Schutzberechtigten (8.), auf die die Kammer Bezug nimmt).
52 
Danach hat Ungarn im Juli 2015 mit Wirkung ab dem 01.08.2015 das Asylrechtsgesetz in erheblichem Umfang geändert und eine entsprechende Durchführungsverordnung erlassen. Als sicherer Drittstaat wurden u.a. auch die Beitrittskandidaten zur Europäischen Union benannt, also auch Serbien. Zahlreiche Beschleunigungs- und Darlegungspflichten wurden eingeführt bzw. verschärft. 160 ungarische Rechtsanwälte haben daraufhin die neuen Regelungen, darunter auch Behandlung Minderjähriger ab 14 Jahren als Grenzverletzer mit einer Strafdrohung von bis zu drei Jahren, keine zwingende Übersetzung von Anklage und Urteil, als Verstoß gegen Völkerrecht gewertet (spiegel-online v. 03.10.2015: „Ungarn urteilt Flüchtlinge im Schnellverfahren ab“). Für die Inhaftierung von Asylsuchenden gibt es seit dem 01.07.2015 geänderte Bestimmungen. Asylhaft wird insbesondere verhängt, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass der Antragsteller das Asylverfahren verzögern oder sich diesem entziehen wird. Dann bleibt die Haft für die Dauer des gesamten Asylverfahrens aufrecht erhalten. Im Jahr 2014 wurden insgesamt 4.806 Personen in Asylhaft genommen, am häufigsten Asylsuchende aus dem Kosovo und aus Afghanistan (1.038). Im Jahr 2015 gingen die Zahlen möglicherweise zurück. Ab September 2014 wurden wieder Familien mit Kindern in Asylhaft genommen. Mitte März 2015 soll diese Praxis aufgrund eines Berichts des ungarischen Ombudsmanns für Menschenrechte wieder eingestellt worden sein; aktuelle Informationen dazu gibt es nicht.
53 
Für das Vorliegen systembedingter Mängel mit der Folge, dass aktuell jeder Asylbewerber in Ungarn Gefahr liefe, dort menschenrechtswidrig behandelt zu werden, spricht bereits der Umstand, dass seit September 2015 die Bundesrepublik Deutschland wie auch Österreich davon ausgehen, dass Ungarn nicht in der Lage ist, die große Zahl an einreisenden Flüchtlingen nach den unionsrechtlichen Regeln durch ein Asylverfahren zu führen und - bei Erreichen eines Schutzstatus - auch auf Dauer hinreichende Aufnahmebedingungen zur Verfügung zu stellen.
54 
Dem entspricht es, dass eine zunehmende Zahl von Verwaltungsgerichten in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes wie auch in Urteilen aus unterschiedlichen Erwägungen zur Auffassung gelangt, dass Ungarn zur Zeit nicht als zuständiger Staat betrachtet werden darf (u.a. VG Hannover, Beschl. v. 29.07.2015 - 10 B 2196/15 -; VG Düsseldorf, Beschl. v. 21.08.2015 - 8 L 2811/15.A -; VG München, Beschl. v. 21.05.2015 - M 16 S 15.50329 -; VG Köln, Urt. v. 15.07.2015 - 3 K 2005/15.A - und v. 08.09.2015 - 18 K 4584/15.A -; VG Bremen, Urt. v. 30.06.2015 - 3 K 296/15 -; VG Saarland, Beschl. v. 12.08.2015 - 3 L 776/15; VG Münster, Beschl. v. 07.07.2015 - 2 L 858/15.A -, alle juris).
55 
In der Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte ist die Frage nicht geklärt. Wenigen ablehnenden Entscheidungen (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 06.08.2013 - 12 S 675/13 - InfAuslR 2014, 29 OVG Sachs.-Anh., Beschl. v. 31.05.2013 - 4 L 169/12 -, Bayer.VGH, Beschl. v. 12.06.2015 - 13a ZB 15.50097 - juris; alle juris) steht gegenüber, dass etwa das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht die Berufung gegen eine klagabweisende Entscheidung zugelassen hat (Beschl. v. 15.05.2015 - 8 LA 85/15 - a.a.O.).
56 
Zwar hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Jahr 2014 (E. v. 03.07.2014 - Nr. 71932/12 - gestützt auf Stellungnahmen des UNHCR, des Ungarischen Helsinki-Kommitees und des Berichts einer UN-Arbeitsgruppe, die sich mit den Haftbedingungen in Ungarn befasst hat, entschieden, dass im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vom 03.07.2014 mit Blick auf die signifikanten Änderungen der ungarischen Asylgesetze weder die Inhaftierungspraxis noch die Haftbedingungen den dortigen Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit („real risk“) einer menschenrechtswidrigen Behandlung in Ungarn als Asylsuchender aussetzen würde; gleiches gelte für die Gefahr einer Überstellung des Klägers nach Serbien. Auch der Europäische Gerichtshof hatte noch im Jahr 2013 (Urt. v. 10.12.2013 a.a.O.) systemische Mängel im ungarischen Asylsystem verneint.
57 
Demgegenüber haben sich die Verhältnisse aber - auch für sog. Dublin-Rückkehrer - in Folge der sehr stark gestiegenen Zahl der Flüchtlinge und der hierauf erlassenen Gesetzesverschärfungen in Ungarn aber in tatsächlicher wie rechtlicher Hinsicht wesentlich verschlechtert (vgl., insbesondere zur Inhaftierungspraxis, zu den Haftbedingungen und zur gerichtlichen Kontrolle, VG Köln, Urt. v. 30.07.2015 a.a.O.; VG Saarland, Beschl. v. 12.08.2015 a.a.O.; vgl. auch schon VG Berlin, Beschl. v. 23.01.2015 – 23 L 717.14 A – juris; auch VG München, Urt. v. 29.08.2014 - M 24 K 13.31294 -; VG Düsseldorf, Beschl. v. 27.08.2014 - 14 L 1786/14.A - juris). Zudem sieht Ungarn seit dem 01.09.2015 Serbien wieder als sicheren Drittstaat an, wobei noch nicht klar ist, ob und unter welchen Voraussetzungen es tatsächlich zu Überstellungen nach Serbien kommen wird, insbesondere auch von Personen, welche nach den Dublin-Regeln nach Ungarn zurücküberstellt werden und die dort möglicherweise als Folgeantragsteller behandelt würden (vgl. öster. BVwG, Urt. v. 24.09.2015 a.a.O.).
58 
Ob die neuen Vorschriften zur Beschleunigung der Asylverfahren in jeder Hinsicht dem Unionsrecht genügen, ist zumindest sehr zweifelhaft. Das gilt insbesondere für die Frage, ob und in welchen Fällen Dublin-Rückkehrer bei Fortsetzung des Asylverfahrens bzw. in einem Zweitverfahren in ihrem Vorbringen beschränkt sind, ferner auch für die Frage, ob es zulässig ist, dass ein Asylverfahren eingestellt wird, wenn der Antragsteller für die Dauer von 48 Stunden nicht in der Aufnahmeeinrichtung angetroffen werden kann, der er zugewiesen ist (so VG Köln a.a.O.).
59 
Schließlich kann es nicht zu Lasten der Betroffenen ausschlagen, dass es aktuell keine verlässlichen Berichte über die tatsächliche Lage von Asylbewerbern und Inhabern von internationalem Schutz in Ungarn gibt und dass Ungarn selbst gegenüber der Europäischen Kommission nicht berichtet, inwieweit es - unter der augenscheinlichen Überlastung - die Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen entsprechend den unionsrechtlichen Vorgaben bewältigen kann.
60 
Vielmehr muss bei der Beurteilung einer Gefahrenlage für nach Ungarn rücküberstellte Asylbewerber vor allem das oben geschilderte innenpolitische Klima berücksichtigt werden. Indem die Regierung in der öffentlichen Debatte einseitig die Abwehr von Flüchtlingen betont und Ängste in der Bevölkerung schürt, trägt sie erheblich dazu bei, dass bei es der Anwendung der gesetzlichen Regelungen, auch soweit diese dem europäischen Flüchtlingsrecht zweifellos entsprechen, zu Menschenrechtsverletzungen kommen kann.
61 
Insbesondere lässt die ungarische Politik keine hinreichende Bereitschaft erkennen, von Ungarn als schutzbedürftig anerkannten Personen bei der Integration in die Gesellschaft beizustehen. Die dafür geschaffenen Regeln und die dafür bereit gestellten Mittel sind nach der Auskunft des UNHCR offensichtlich unzureichend. So erscheint als nicht gesichert, dass Menschen, die in Ungarn internationalen Schutz erhalten haben, insbesondere auch Dublin-Rückkehrer, in den Genuss der ohnehin deutlich unterfinanzierten gesetzlichen Integrationsangebote kommen können. Für die zuletzt genannte Gruppe dürfte dies schon an den verstrichenen Antragsfristen scheitern. Auch die Bereitstellung von Wohnraum für diesen Personenkreis ist völlig ungewiss. Eine Verweisung in die staatlichen bzw. kommunalen Obdachlosenunterkünfte scheitert an den Kapazitäten und für Familien auch daran, dass dort keine Kinder aufgenommen werden; in zahlreichen Verfahren ist der Kammer von den Klägern überzeugend vorgetragen worden, dass es ihnen nicht gelungen ist, Wohnung und Arbeit zu finden.
62 
Aus diesen Gründen ordnet das österreichische Bundesverwaltungsgericht seit September 2015 in Dublin-Ungarn-Fällen die aufschiebende Wirkung der Klagen regelmäßig an. Von ihm gibt es auch schon stattgebende Hauptsachentscheidungen. Diese sind allerdings - wohl mangels einer Pflicht, Spruchreife selbst herbeizuführen - damit begründet, dass die Veränderung der Sachlage weiterer Aufklärung durch die österreichische Asylbehörde bedarf (vgl. Urt. v. 24.09.2015 a.a.O.).
63 
Der Feststellung von systembedingten Mängeln des ungarischen Asylsystems im oben dargelegten Sinn lässt sich nicht - wie dies die Beklagte tut - entgegen halten, dass weitaus die meisten Schutzsuchenden gar nicht in Ungarn bleiben, sondern, entgegen dem ungarischen Flüchtlingsrecht auf allen möglichen Wegen nach Österreich und von dort insbesondere in die Bundesrepublik Deutschland, aber etwa auch weiter nach Schweden, reisen wollen. Denn der Andrang von Flüchtlingen auch an den ungarischen Grenzen dauert weiter an. Außerdem wäre Ungarn jedenfalls dann, wenn, wie im Fall des Klägers, die anderen Dublin-Staaten auf einer Rücküberstellung dorthin bestehen würden, wiederum mit der Zahl der Antragsteller überfordert.
64 
Soweit in zahlreichen Entscheidungen anderer Verwaltungsgerichte darauf abgehoben wird, dass der UNHCR, anders als bei Griechenland und - eingeschränkt - Bulgarien, aktuell keine generelle Empfehlung ausgesprochen hat, Asylsuchende nicht nach Ungarn zu überstellen, vermag dem die Kammer nicht zu folgen. Der UNHCR selbst hält einer solchen Interpretation entgegen, dass das Fehlen einer solchen generellen Empfehlung keineswegs bedeute, er sei der Auffassung, dass keine solchen einer Überstellung entgegenstehenden Umstände vorlägen oder im Einzelfall vorliegen könnten. Aus seiner Sicht ist es Sache der Behörden und Gerichte, im Einzelfall zu prüfen, ob drohende Verletzungen von Art. 3 EMRK eine Überstellung in einen Mitgliedstaat der Europäischen Union ausschlössen. Der UNHCR weist insoweit auch darauf hin, dass der Supreme Court des Vereinigten Königreichs diese Auffassung ausdrücklich bestätigt habe (vgl. UNHCR an VG Bremen v. 30.09.2014). Auch hat der UNHCR angesichts der jüngsten Entwicklung wiederholt vor einer „weiteren Verschlechterung der Lage“ gewarnt und betont, es sei wichtig, dass die Umsetzung der neuen asyl- und haftrechtlichen Vorschriften gut durchdacht werde, andernfalls „das zu Chaos“ führen würde (heute.de v. 05.10.2015). Im Übrigen bedürfte es gegenwärtig entsprechender Warnungen des UNHCR nicht, weil Überstellungen nach Ungarn wohl seit einigen Monaten gar nicht mehr stattfinden. Das ergibt sich aus Folgendem:
65 
Aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage aus dem Deutschen Bundestag vom 18.08.2015 (BT-Drucksache 18/5785, S. 18 ff., noch mit dem Vermerk "Vorabfassung - wird durch die lektorierte Version ersetzt") ergibt sich, dass das Bundesamt im ersten Quartal 2015 2952 und im zweiten Quartal 2015 3565 Übernahmeersuchen an Ungarn gerichtet hatte. Etwa 80 % der Ersuchen (2.304 bzw. 2.665 akzeptierte Ungarn. Im ersten Quartal 2015 gab es 30 Selbsteintritte oder faktische Überstellungshindernisse in Bezug auf Ungarn, im zweiten Quartal 2015 171. Tatsächlich überstellt wurden nach Ungarn (nach der Dublin-Verordnung) im ersten Quartal 2015 aber nur 42 Personen und im zweiten Quartal 2015 nur 61 Personen, also nur etwa 2 Prozent bezogen auf die Zahl der akzeptierten Übernahmeersuchen. Die Gründe dafür sind nicht bekannt und auch auf Nachfrage vom Bundesamt nicht zu erfahren. Sie dürften einerseits in einer begrenzten Aufnahmebereitschaft Ungarns (Kontingentierung der Aufnahme), andererseits aber auch in der beschränkten Kapazität der zuständigen deutschen Behörden liegen. Ein ähnliches Bild bietet die schweizerische Asylstatistik. Die Schweiz hatte im ersten Halbjahr 2015 407 Ersuchen an Ungarn gestellt, die Ungarn in 333 Fällen akzeptierte; tatsächlich überstellt wurden im gleichen Zeitraum nur 54 Personen, also etwa 16 % der akzeptierten Übernahmeersuchen.
66 
Seit mehreren Monaten finden auf Bitten Ungarns wohl überhaupt keine Rücküberstellungen von Deutschland aus mehr statt (vgl. die Nachweise bei VG Hannover, Beschl. v. 29.07.2015 - 10 B 2196/15 - juris). Nachfragen der Kammer dazu hat das Bundesamt nicht beantwortet.
67 
Auch deshalb ist die angefochtene Abschiebungsanordnung rechtswidrig. Denn § 34a Abs. 1 AsylVfG erfordert, dass die Abschiebung tatsächlich durchgeführt werden kann. Dafür reicht eine Übernahmeerklärung Ungarns aber nicht aus, wenn anschließend seitens des ungarischen Staats keine oder nur eine ganz geringe Bereitschaft und so gut wie keine Kapazität besteht, Erst- und Folgeantragsteller sowie überstellte Schutzsuchende und Inhaber internationalen Schutzes tatsächlich aufzunehmen. Zumindest erscheint es als völlig fernliegend, dass bei einer evtl. Wiederaufnahme von Überstellungen nach Ungarn in einigen Monaten oder einem Jahr ausgerechnet diejenigen Schutzsuchenden zurücküberstellt würden, welche sich nun schon seit mehreren Jahren im Bundesgebiet aufhalten. Dies gilt umso mehr für Schutzsuchende, die in Ungarn oder nach Zurückschiebung nach Serbien bzw. Griechenland Menschenrechtsverletzungen in erheblichem Umfang, insbesondere eine langdauernde Asylhaft, erfahren haben, wenn dies zu erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen geführt hat. Daraus kann sich - wie oben dargelegt - sogar ein Abschiebungsverbot in rechtlicher Hinsicht ergeben (§ 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK).“
68 
Inzwischen sind weitere entsprechende Entscheidungen in Hauptsacheverfahren bekannt geworden (VG München, Urt. v. 26.08.2015 - M 24 K 15.50507 - juris; VG Augsburg, Urt. v. 18.08.2015 - Au 6 K 15.50155 -, beide juris; VG Karlsruhe, Urt. v. 24.09.2015 - A 2 K 168/14 -), die allerdings nicht Schutzsuchende betreffen, welche bereits einen Schutzstatus in Ungarn erlangt hatten.
69 
Aus den oben genannten Gründen ist die Abschiebungsanordnung gegenüber dem Kläger rechtswidrig.
70 
Es erscheint zwar als zweifelhaft, dass er im Zuge einer Überstellung nach Ungarn dort in Haft genommen würde, wenn er seinen von Ungarn ausgestellten Flüchtlingsausweis vorzeigen kann.
71 
Es ist aber, angesichts der oben getroffenen Feststellungen und der der Beklagten anzulastenden Unmöglichkeit, aktuelle Informationen aus Ungarn diesbezüglich zu erhalten, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Ungarn zum jetzigen Zeitpunkt dort in die Obdachlosigkeit fallen, keinen Notschlafplatz finden, keine ausreichende Unterstützung erhalten und auch keine Hilfen bei der Suche nach Wohnung und Arbeit erhalten würde. Dies ist ihm umso weniger zuzumuten, als er - nach seinen Angaben, an deren Richtigkeit die Kammer keinen Grund hat zu zweifeln - bei früheren Aufenthalten in Ungarn nicht nur Solches erfahren hat, sondern dort auch über sechs Monate als Asylsuchender inhaftiert und überdies rechtswidrig nach Griechenland überstellt worden war, wo nach mittlerweile wohl allgemeiner Auffassung damals systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen bestanden.
72 
Rechtswidrig ist die Abschiebungsanordnung auch deshalb, weil die Abschiebung auf unabsehbare Frist nicht ausgeführt werden kann, weil - wie oben ausgeführt - ausgeschlossen erscheint, dass Ungarn gegenwärtig und auf absehbare Zeit Schutzsuchende wieder übernimmt; das gilt auch für Menschen, die wie der Kläger in Ungarn internationalen Schutz gefunden haben.
73 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 2, § 154 Abs. 1 VwGO und § 83b AsylVfG. Der Gegenstandswert folgt aus § 30 RVG.

Gründe

 
23 
Soweit der Kläger die Klage - hinsichtlich der Feststellung, dass ihm auf Grund seiner Einreise aus einem sicheren Drittstaat kein Asylrecht zustehe - zurückgenommen hat, ist das Verfahren einzustellen und allein noch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden.
24 
Über die Klage im Übrigen kann die Kammer entscheiden, obwohl die Beklagte in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten war; denn auf diese Möglichkeit ist die Beklagte in der Ladung hingewiesen worden (§ 102 Abs. 2 VwGO).
25 
Im Übrigen hat die Klage Erfolg. Sie ist als Anfechtungsklage statthaft und auch sonst zulässig. Sie ist auch begründet. Denn die auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG gestützte Anordnung der Abschiebung des Klägers nach Ungarn ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG), weil dem Kläger aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in Ungarn auch für anerkannte Flüchtlinge mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, in seinem Grundrecht aus Art. 4 GRCh bzw. in seinem Menschenrecht aus Art. 3 EMRK verletzt zu werden.
26 
Zu den rechtlichen Grundlagen insoweit und zu den aktuellen tatsächlichen Verhältnissen in Ungarn hat die Kammer im Urteil vom gleichen Tag im Verfahren A 5 K 2328/13 ausgeführt:
27 
„Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Dublin-II-Verordnung (Urt. v. 21.12.2011 - C-411/10 u.a., N.S. u.a. - NVwZ 2012, 417, vom 14.11.2013 - C-4/11, Puid - NVwZ 2014, 129, v. 10.12.2013 - C-394/12, Abdullahi - NVwZ 2014, 208) und dem folgend des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 16.04.2014 - A 11 S 1721/13 - InfAuslR 2014, 293, v. 10.11.2014 - A 11 S 1778/14 - InfAuslR 2015, 77, v. 18.03.2015 - A 11 S 2042/14 - juris sowie Urt. v. 18.03.2015 - A 11 S 2042/14 - juris) hat ein Asylbewerber - sofern spezialgesetzlich keine besonderen Ausnahmen geregelt sind (vgl. etwa Art. 7 Dublin II-VO) - grundsätzlich kein subjektives Recht auf Prüfung seines Antrags in einem bestimmten Mitglied- oder Vertragsstaat, so dass Fehler bei der Auslegung und bei der Anwendung der Zuständigkeitsregelungen der Verordnung grundsätzlich unerheblich sind. Grundsätzlich kann ein Antragsteller mit Aussicht auf Erfolg nur einwenden, dass in dem in der Abschiebungsanordnung bezeichneten Staat systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gegeben sind, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh ausgesetzt zu werden (EuGH, Urt. v. 10.12.2013 - C-394/12, Abdullahi - a.a.O.)
28 
Dabei kann jeder Mitgliedstaat grundsätzlich davon ausgehen, dass alle an dem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem beteiligten Staaten die Grundrechte einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 sowie in der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten finden, beachten und dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen dürfen. Auf dieser Grundlage besteht eine - allerdings - widerlegbare Vermutung dafür, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat den Anforderungen der Grundrechtecharta, der Genfer Flüchtlingskonvention und der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten genügt. Diese Vermutung ist widerlegt, wenn in der Rechtsanwendungspraxis in einem bestimmten Mitgliedstaat erhebliche Funktionsstörungen zutage treten und diese zur absehbaren Folge haben, dass eine ernstzunehmende Gefahr besteht, dass Asylbewerber bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt werden, die mit ihren Menschenrechten unvereinbar ist.
29 
Insoweit stellt nicht jeder vereinzelte Verstoß gegen eine Bestimmung der Dublin II-VO (bzw. nunmehr der Dublin III-VO) und auch nicht einmal jede Verletzung eines Grundrechts, wie von Art. 4 GRCh, durch den zuständigen Mitgliedstaat das Zuständigkeitssystem grundsätzlich infrage. Denn dann stünde nicht weniger als der Daseinsgrund der Union und die Verwirklichung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, konkret des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, auf dem Spiel (EuGH, Urt. v. 21.12.2011 - C-411/10 u.a., N.S. u.a. - NVwZ 2012, 417). Das Dublin-Zuständigkeitssystem ist deshalb nur dann (teilweise) zu suspendieren, wenn einem Mitgliedstaat aufgrund der ihm vorliegenden Informationen nicht unbekannt sein kann, dass systemische Mängel oder Schwachstellen (vgl. jetzt auch Art. 3 Abs. 2 UA. 2 VO (EU) Nr. 604/2013 = Dublin III-VO) des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller dort Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh ausgesetzt zu sein (EuGH, Urt. v. 21.12.2011, a.a.O. und v. 14.11.2013 - C-4/11, Puid - NVwZ 2014, 129).
30 
Systemische Schwachstellen sind solche, die entweder bereits im Asyl- und Aufnahmeregime selbst angelegt sind und von denen alle Asylbewerber oder bestimmte Gruppen von Asylbewerbern deshalb nicht zufällig und im Einzelfall, sondern vorhersehbar und regelhaft betroffen sind, oder aber tatsächliche Umstände, die dazu führen, dass ein theoretisch sachgerecht konzipiertes und nicht zu beanstandendes Asyl- und Aufnahmesystem - aus welchen Gründen auch immer - faktisch ganz oder in weiten Teilen seine ihm zugedachte Funktion nicht mehr erfüllen kann und weitgehend unwirksam wird (vgl. auch BVerwG, Beschl. v. 19.03.2014 - 10 B 6.14 - NVwZ 2014, 1093, und v. 06.06.2014 - 10 B 35.14 - NVwZ 2014, 1677). Dabei ist der Begriff der systemischen Schwachstelle nicht in einer engen Weise derart zu verstehen, dass er geeignet sein muss, sich auf eine unüberschaubare Vielzahl von An-tragstellern auszuwirken. Vielmehr kann ein systemischer Mangel auch dann vorliegen, wenn er von vornherein lediglich eine geringe Zahl von Asylbewerbern betreffen kann, sofern er sich nur vorhersehbar und regelhaft realisieren wird und nicht gewissermaßen dem Zufall oder einer Verkettung unglücklicher Umstände bzw. Fehlleistungen von in das Verfahren involvierten Akteuren geschuldet ist (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 10.11.2014 - A 11 S 1778/14 - InfAuslR 2015, 77).
31 
Wesentliche Kriterien für die zu entscheidende Frage, ob eine unmenschliche oder erniedrigende (bzw. "entwürdigende") Behandlung vorliegt, finden sich in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK (vgl. Urt. v. 21.01.2011 - Nr. 30696/09, M.S.S./Belgien - NVwZ 2011, 413, v. 04.11.2014 - Nr. 29217/12, Tarakhel/Schweiz - juris, und E. v. 05.02.2015 - Nr. 51428/10, A.M.E./Niederlande - juris), der mit Art. 4 GRCh übereinstimmt (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 10.11.2014 - A 11 S 1778/14 - InfAuslR 2015, 77, m.w.N.). Die Annahme einer drohenden Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 GRCh muss durch wesentliche Gründe (so nunmehr Art. 3 Abs. 2 UA. 2 Dublin III-VO; vgl. auch EuGH, Urt. v. 21.12.2011 - C-411/10 u.a., N.S. u.a. - NVwZ 2012, 417: "ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe") gestützt werden. Das bedeutet, dass die festgestellten Tatsachen hinreichend verlässlich und aussagekräftig sein müssen; nur unter dieser Voraussetzung ist es nach der maßgeblichen Sicht des Europäischen Gerichtshofs gerechtfertigt, von einer Widerlegung des „gegenseitigen Vertrauens“ der Mitgliedstaaten untereinander auszugehen. In diesem Zusammenhang müssen die festgestellten Tatsachen und Missstände verallgemeinerungsfähig sein, um die Schlussfolgerung zu rechtfertigen, dass es nicht nur vereinzelt, sondern immer wieder und regelhaft zu Grundrechtsverletzungen nach Art. 4 GRCh kommt. Das bei einer wertenden und qualifizierten Betrachtungsweise zugrunde zu legende Beweismaß ist das der beachtlichen Wahrscheinlichkeit im herkömmlichen Verständnis der höchstrichterlichen Rechtsprechung, das sich nicht von dem in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte entwickelten Beweismaß des „real risk“ unterscheidet (BVerwG, Urt. v. 20.02.2013 - 10 C 23.12 - NVwZ 2013, 936; Beschl. v. 19.03.2014 - 10 B 6.14 - juris).
32 
Anhand dieser Grundsätze sind hinreichende Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Griechenland angenommen worden (EGMR - Große Kammer, Urt. v. 21.01.2011 - Nr. 30696/09, M.S.S./Belgien und Griechenland - NVwZ 2011, 413 und weitere, vgl. dazu, auch zum Folgenden, BVerwG, Beschl. v. v. 19.03.2014 a.a.O. und v. 06.06.2014 - 10 B 35/14 - juris).
33 
Für das in Deutschland - im Unterschied zu anderen Rechtssystemen - durch den Untersuchungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) geprägte verwaltungsgerichtliche Verfahren hat das Kriterium der systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union Bedeutung für die Gefahrenprognose im Rahmen des Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK. Der Tatrichter muss sich zur Widerlegung der auf dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens unter den Mitgliedstaaten gründenden Vermutung, die Behandlung der Asylbewerber stehe in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechte-Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK, die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) verschaffen, dass der Asylbewerber wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit (vgl. Urteil vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 5.09 - BVerwGE 136, 377 Rn. 22 m.w.N. einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird. Die Fokussierung der Prognose auf systemische Mängel ist dabei, wie sich aus den Erwägungen des Gerichtshofs zur Erkennbarkeit der Mängel für andere Mitgliedstaaten ergibt (EuGH, Urt. v. 21.12.2011 - Rs. C-411/10 und Rs. C-493/10 - a.a.O. Rn. 88 bis 94), Ausdruck der Vorhersehbarkeit solcher Defizite, weil sie im Rechtssystem des zuständigen Mitgliedstaates angelegt sind oder dessen Vollzugspraxis strukturell prägen. Solche Mängel treffen den Einzelnen in dem zuständigen Mitgliedstaat nicht unvorhersehbar oder schicksalhaft, sondern lassen sich aus Sicht der deutschen Behörden und Gerichte wegen ihrer systemimmanenten Regelhaftigkeit verlässlich prognostizieren. Die Widerlegung der o.g. Vermutung aufgrund systemischer Mängel setzt deshalb voraus, dass das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen im zuständigen Mitgliedstaat aufgrund größerer Funktionsstörungen regelhaft so defizitär sind, dass anzunehmen ist, dass dort auch dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Dann scheidet eine Überstellung an den nach der Dublin II-Verordnung zuständigen Mitgliedstaat aus.
34 
Das Bundesverwaltungsgericht hat daraus gefolgert (Beschl. v. 06.06.2014 - 10 B 35.14 - a.a.O.): Aus der dargelegten Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ergebe sich, dass ein Asylbewerber der Überstellung in den nach der Dublin-II-Verordnung für ihn zuständigen Mitgliedstaat mit Blick auf unzureichende Aufnahmebedingungen für Asylbewerber nur mit dem Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen entgegentreten könne und es nicht darauf ankomme, ob es unterhalb der Schwelle systemischer Mängel in Einzelfällen zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK kommen könne und ob ein Antragsteller dem in der Vergangenheit schon einmal ausgesetzt gewesen sei. Derartige individuelle Erfahrungen seien vielmehr (allein) in die Gesamtwürdigung einzubeziehen, ob systemische Mängel im Zielland der Abschiebung des Antragstellers (dort: Italien) vorliegen. In diesem begrenzten Umfang seien individuelle Erfahrungen des Betroffenen zu berücksichtigen. Dabei sei allerdings zu beachten, dass persönliche Erlebnisse Betroffener, die - wie in dem der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zu Grunde liegenden Fall - einige Jahre zurücklägen, durch neuere Entwicklungen im betreffenden Staat überholt sein könnten. Individuelle Erfahrungen einer gegen Art. 4 GRCh verstoßenden Behandlung führten hingegen nicht zu einer Beweislastumkehr für die Frage des Vorliegens systemischer Mängel.
35 
Nach der jüngeren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (zu Italien) ist dabei stets auch zu fragen, ob die gesetzliche Vermutung des Fehlens systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen zumindest für einzelne Gruppen besonders verletzlicher Antragsteller erschüttert bzw. widerlegt ist. Eine Überstellung sogenannter vulnerabler Personen kommt nur in Betracht, wenn der Aufnahme-Mitgliedschaft eine entsprechende individuelle Garantieerklärung abgibt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 22.07.2015 - 2 BvR 746/15 - m.w.N.)
36 
Die Kammer hat allerdings in mehreren Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (vgl. etwa VG Freiburg, Beschl. v. 30.07.2014 - A 5 K 418/14 - juris) zu Grunde gelegt, dass eine Beweislastumkehr ausnahmsweise dann angezeigt ist, wenn erwiesen ist, dass in einem Mitgliedstaat systemimmanente Schwachstellen bestanden haben, welche die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung des jeweiligen Klägers als beachtlich wahrscheinlich haben erscheinen lassen (das dürfte in Ungarn in den Jahren 2011 und 2012 der Fall gewesen sein). In einem solchen Fall sollte ein durchgreifender Wandel der Verhältnisse erst dann zu Grunde gelegt werden können, wenn er nachgewiesen ist. Mit anderen Worten: Eine Verbesserung der Verhältnisse hinsichtlich der Asylverfahren und der Aufnahmebedingungen, etwa durch Änderungen der einschlägigen mitgliedstaatlichen Vorschriften oder durch Bereitstellung weiterer personeller und sächlicher Mittel, sollte erst dann zu Lasten des jeweiligen Schutzsuchenden angenommen werden, wenn die angestrebten Verbesserungen in der Anwendung der verbesserten Vorschriften auch nachweislich eingetreten sind; dass in den Monaten nach der Verbesserung der rechtlichen Grundlagen noch keine aktuellen Beschwerden oder keine aktuelle Kritik des UNHCR oder anderer Menschenrechtsorganisationen bekannt geworden ist, sollte für die Annahme einer nachhaltigen Verbesserung der Verhältnisse nicht ohne Weiteres ausreichen. Dem entspräche es im Übrigen auch, dass die Mitgliedstaaten bei Griechenland tatsächlich wohl so verfahren und mit einer Wiederaufnahme von Überstellungen nach Griechenland erst wieder begonnen werden dürfte, wenn dort entsprechende Verfahren und Aufnahmebedingungen gewährleistet sind.
37 
Weiter erscheint der Kammer fraglich, ob bei der Feststellung systemischer Mängel im Asylverfahren und bei den Aufnahmebedingungen eine vom jeweiligen Asylbewerber selbst erfahrene menschenrechtswidrige Behandlung, etwa eine längere, unbegründete Haft, eine längere unfreiwillige Obdachlosigkeit oder ein langjähriges Fernhalten vom Asylverfahren, erst dann von Bedeutung sein soll, wenn sich hieraus eine anhaltende, im Aufnahmestaat nicht zu behandelnde Gesundheitsstörung (insbesondere posttraumatische Belastungsstörung) ergeben hat.
38 
Denn auch wenn solche Erfahrungen Einzelner für sich noch keine systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen begründen können, es sei denn, sie sind zahlreich und repräsentativ für eine (vulnerable) Gruppe, der der jeweilige Antragsteller angehört, könnte eine selbst erlittene menschenrechtswidrige Behandlung doch bei der Frage, ob die Beklagte in das Asylverfahren als zuständiger Staat eintritt, jedenfalls aber bei der Prüfung, ob eine Abschiebungsanordnung nach § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG erlassen wird, zu berücksichtigen sein (§ 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK, Art. 4 GRCh). Davon scheint etwa das Schweizerische Bundesgericht auszugehen, das auch Umstände berücksichtigt, welche die Schutzsuchenden bei ihrem Aufenthalt im Erstaufnahmestaat individuell erlitten haben (z.B. sexuelle Übergriffe, Suizidversuch, Therapiebedürftigkeit). (vgl. Urt. v. 09.10.2013 - E 2093/2012 - und v. 30.10.2013 - E 3837/2012 -; zuletzt auch Urt. v. 23.07.2015 - D 2408/2015).
39 
Unabhängig davon steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass jedenfalls gegenwärtig in Ungarn systembedingte Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen bestehen, welche jeden Schutzsuchenden, der dorthin zurücküberstellt wird, der beachtlichen Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung aussetzt. Dabei geht die Kammer von Folgendem aus:
40 
Die Zahl der nach Ungarn einreisenden Schutzsuchenden ist zuletzt sehr stark angestiegen. Im Jahr 2012 wurden noch 2.155 Asylbewerber, im Jahr 2013 18.900 und im Jahr 2014 42.777 Schutzsuchende registriert. Im Jahr 2015 war zunächst von 150.000 nach Ungarn einreisenden Schutzsuchenden bis zum 01.09.2015 die Rede (bei einer Gesamtbevölkerung Ungarns von etwa 10 Millionen Einwohnern); zuletzt wurden Zahlen von weit mehr als 300.000 Schutzsuchenden genannt, von denen die meisten, nur zum wohl geringeren Teil registriert, nach Österreich weiterreisten. Ob die Errichtung eines Zauns an der Grenze zu Serbien und nun auch zu Kroatien und überhaupt die restriktiv wirkende Flüchtlingspolitik Ungarns jetzt zu einer Minderung der Zahl der nach Ungarn einreisenden Schutzsuchenden führen, ist unklar.
41 
Im März 2015 verfügte Ungarn über 2500 Plätze zur Aufnahme von Flüchtlingen (vgl., auch zum Folgenden: EASO, Beschreibungen des ungarischen Asylsystems, Stand März 2015); das Auswärtige Amt hatte in seiner Auskunft an die Kammer vom 12.03.2015 im Verfahren A 5 K 2328/13 noch von 1.500 Plätzen in offenen Aufnahmeeinrichtungen und von weiteren 400 Plätzen in Asylhafteinrichtungen und der geplanten Eröffnung einer weiteren Aufnahmeeinrichtung in Kiskunhalas gesprochen. Zur Anhörung von Schutzsuchenden und zur Entscheidung über ihre Schutzanträge standen 56 Sachbearbeiter in ganz Ungarn bereit. Neue Mitarbeiter waren eingestellt, aber noch nicht geschult. Schutzsuchende werden an der Grenze registriert und einem der vier Empfangszentren zugewiesen; sie können auch auf eigene Kosten im ganzen Land Unterkunft suchen, erhalten dafür aber keine Unterstützung. Wenn sie an einer ihnen bezeichneten Stelle zur Stellung des Asylantrags oder zur später angeordneten Anhörung nicht erscheinen, wird das Schutzgesuch entweder, auf der Grundlage von hinreichenden Angaben bei der Registrierung abgelehnt, oder das Verfahren wird wegen angenommener Rücknahme des Schutzgesuchs eingestellt. Für einen Schutzsuchenden, der später sein Schutzgesuch erneuert, wird ein nichtbeendetes Verfahren fortgesetzt, ein durch Ablehnung des Schutzgesuchs beendetes Verfahren kann innerhalb der Rechtsmittelfrist von acht Tagen im Rechtsbehelfsverfahren fortgesetzt werden. Nach Ablauf der Rechtsmittelfrist hat der Schutzsuchende das Recht, einen Folgeantrag zu stellen. Nach den Angaben des ungarischen Büros für Einwanderung und Staatsangehörigkeit (OIN) werden auch Dublin-Rückkehrer stets als Schutzsuchende behandelt. Gibt der Schutzsuchende aber im Folgeverfahren die gleichen Gründe an wie im ersten Verfahren, kann der Folgeantrag als unzulässig behandelt werden.
42 
Zur Rücküberstellung nach Ungarn hat das Auswärtige gegenüber der Kammer (Auskunft v. 12.03.2015 im Verfahren A 5 K 2328/13) erläutert: Die per Flug Überstellten würden zur Zentrale des ungarischen Amts für Staatsbürgerschaft und Einwanderung gebracht und informiert, dass sie als Asylbewerber behandelt würden. Wenn ein erstes Asylverfahren in Ungarn ohne Entscheidung in der Sache oder durch Rücknahme beendet worden sei, werde es fortgesetzt, sonst werde ein Zweitantrag angenommen. Bei einem Zweitantrag würden (nur) nachträglich entstandene Umstände berücksichtigt. Die Klagefrist betrage drei Tage nach Bekanntgabe/Zustellung der Entscheidung. Bis zur unanfechtbaren Entscheidung im Asylverfahren hätten Asylbewerber Anspruch auf Sozialleistungen, es sei denn, der Asylantrag sei als offensichtlich unbegründet oder unzulässig abgelehnt worden. Ausgeschlossen von den im Asylgesetz geregelten Sozialleistungen seien auch Zweitantragsteller, deren Erstverfahren eingestellt oder abgelehnt worden sei oder bei denen das refoulement-Verbot einer Abschiebung nicht entgegen stehe. Ausreisepflichtige müssten die Unterkunft verlassen, der Aufenthalt sei auf einen bestimmten Regierungsbezirk (Komitat) beschränkt. Sie könnten in öffentlichen Notunterkunftsplätzen des jeweiligen Regierungsbezirks unterkommen und eine kostenlose medizinische Notfallversorgung in Anspruch nehmen. Bei Zuerkennung eines Schutzstatus könnten sie Integrationsleistungen beanspruchen. Seit Januar 2014 würden diese auf örtlicher Ebene (dezentral) durchgeführt. Dabei wirke ein örtlich zuständiger Dienst für Familienförderung mit (auch für Personen ohne Schutzstatus). Es würden individuelle Integrationsvereinbarungen geschlossen. Bei der Förderung der sozialen Integration leiste der Dienst neben finanziellen Hilfen u.a. auch Hilfe bei der Arbeitssuche. In der Flüchtlingshilfe engagierten sich u.a. die Flüchtlingsmission der Reformierten Kirche, die Ungarische Gesellschaft für Migranten und das Helsinki-Komitee. In den Jahren von 2012 bis 2014 habe es 335, 850 bzw. 827 Rücküberstellungen im Dublin-Verfahren gegeben.
43 
Der UNHCR hat in seiner Auskunft an die Kammer vom 30.09.2014 im Verfahren A 5 K 2328/13 weitgehend entsprechende Angaben gemacht. Die am 01.07.2013 in Kraft gesetzten neuen Bestimmungen zur Inhaftierung von Schutzsuchenden bis zu sechs Monaten hat er kritisch beurteilt. Nach seiner Ansicht würden praktisch alle Dublin-Rückkehrer in Haft genommen, ausgenommen Familien oder besonders vulnerable Asylsuchende. Beim damaligen Stand hat der UNHCR für den August 2014 dank Unterstützung der Europäischen Union eine Verbesserung der Aufnahmebedingungen für Flüchtlinge gesehen. Anerkannte Flüchtlinge müssten mehrere Monate warten, bis sie Integrationshilfen beanspruchen könnten. Hinsichtlich der medizinischen, psychologischen und psychotherapeutischen Versorgung von Flüchtlingen gebe es aus allen Aufnahmeeinrichtungen Beschwerden. Drogen- und andere Abhängige hätten keinen Zugang zu medizinischen Diensten. Ein psychisches Problem seien auch fehlende tägliche Beschäftigung und Abwechslung. Wer keine permanente Adresskarte habe, habe Probleme beim Zugang zu medizinischen Diensten. Zum 01.01.2014 seien Regelungen zur Integration von Personen mit Schutzstatus eingeführt worden. Es gebe systemische Probleme, die einer Integration von Flüchtlingen entgegen stünden. Das System der gesetzlichen Hilfen sei unter anderem bei weitem nicht genügend finanziert. Obdachlose, die auf öffentlichen Plätzen nächtigten, würden kriminalisiert. Im Juni 2013 seien unter Hinweis auf diese Bedingungen etwa 70 und im August 2013 nochmals etwa 20 afghanische Staatsangehörige nach Deutschland weitergereist. Pro Asyl und bordermonitoring hätten berichtet, dass Inhaber eines Schutzstatus nach der Rückkehr nach Ungarn sich in einer besonders verletzlichen Lage befunden hätten. Deren finanzielle Unterstützung sei zu gering gewesen, um eine Wohnung zu finden. Auch in Obdachlosenunterkünften habe es nicht genügend Plätze für Flüchtlinge gegeben. Eine im Jahr 2012 erfolgte Befragung habe ergeben, dass fast die Hälfte der Personen mit Schutzstatus keine Arbeit gehabt hätten, was u.a. auf den Mangel an Ausbildung und Berufserfahrung und den Mangel an ungarischen Sprachkenntnissen zurückgeführt werden könne. Die Inhaftierungspraxis und deren gerichtliche Kontrolle sei mangelhaft. Die Ernährung der Flüchtlinge in Haft sei nach deren Angaben unzureichend, seitens des Personals in den Haftanstalten gebe es Rassismus und Missbrauch. Neu eingestelltes Personal in den Aufnahmeeinrichtungen habe keine Berufserfahrung und auch keine entsprechende Ausbildung durchlaufen. Es gebe keine Vorkehrungen, verletzliche Personen zu erkennen. Die Hygiene-Einrichtungen in den Aufnahmeeinrichtungen seien unzureichend. Über private Organisationen, die Flüchtlinge unterstützen und dabei vom ungarischen Staat unterstützt würden, lägen keine Auskünfte vor.
44 
Am 23.09.2015 hat die Europäische Kommission gegen Ungarn zwei Vertragsverletzungsverfahren wegen ausstehender Berichte zur Einhaltung von Asylverfahrensbestimmungen und zur Einhaltung der Standards für Aufnahmebedingungen anerkannter Flüchtlinge eingeleitet. Auch gegen zahlreiche andere Mitgliedstaaten, darunter die Bundesrepublik Deutschland, wurden Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Zugleich hat die Kommission umfangreiche unmittelbare, operative, budgetäre und rechtliche Maßnahmen im Rahmen der Europäischen Migrationsagenda angekündigt, wozu auch eine Ausweitung der finanziellen und personellen Unterstützung der am stärksten von der Flüchtlingsmigration betroffenen Mitgliedstaaten gehören.
45 
Wegen der im Lauf des ersten Halbjahres 2015 stark angestiegenen Zahl an Schutzsuchenden hat Ungarn im Juli 2015 entlang der 174 km langen Grenze zu Serbien einen festen bzw. aus übereinander liegenden Rollen von sogenanntem Nato-Draht gefertigten durchgehenden Zaun errichtet, um die Schutzsuchenden zu veranlassen, die serbisch-ungarische Grenzen nur an den Grenzübergängen zu überschreiten und um diese nahe der Grenze registrieren zu können. Geplant war (und noch nicht verwirklicht ist), Schutzsuchende nicht weiter ins Land einreisen zu lassen, und grenznahe Unterkünfte und Einrichtungen zur Aufnahme zu errichten. Um auch das Militär einsetzen zu können, wurde an die Ausrufung eines "Migrationsnotstands‘“ gedacht.
46 
Die ungarische Bevölkerung ist nach vielen Pressemeldungen gegenüber den Schutzsuchenden überwiegend ablehnend eingestellt. Die Regierung greift diese Stimmung nicht nur auf, sondern befördert sie. Laut Pester Lloyd vom 12.06.2015 hat der ungarische Ministerpräsident etwa geäußert: „Wir müssen alles versuchen, um Ungarn das Zusammenleben mit Menschen verschiedener Kulturen zu ersparen“. Im Juli 2015 beharrte er darauf, dass Ungarn ein ungarisches Land bleiben solle. Bei einer vom UNHCR deutlich kritisierten landesweiten Regierungskampagne wurde plakatiert: "Wenn du nach Ungarn kommst, darfst du den Ungarn nicht die Arbeit wegnehmen!“ (Spiegel-online v. 02.09.2015). Auch empfindet die ungarische Regierung die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen als Einmischung und behindert deren Arbeit (Spiegel-online v. 12.09.2014).
47 
In einem Interview (FAZ vom 03.09.2015, S. 10) hat der ungarische Ministerpräsident geäußert, Europa müsse verstehen, dass man nicht aufnehmen könne, wenn man überrannt werde. Deshalb sei der Zaun, den Umgarn baue, wichtig. Er folge aus dem Schengener Abkommen. Das ungarische Volk sei konsultiert worden. Von acht Millionen Wählern hätten eine Million geantwortet. 85 % von ihnen meinten, die Union sei bei der Bewältigung der Einwanderung gescheitert. Europa könne nicht gegen den Willen der Bürger sein. Nur wenn die Grenzen beschützt würden, könnten Fragen gestellt werden nach der Anzahl der Menschen, die Europa aufnehmen wolle oder ob es Quoten geben solle. Die Menschen, die kämen, seien meistens keine Christen, sondern Muslime. Wenn das aus den Augen verloren würde, könne der europäische Gedanke auf dem eigenen Kontinent in die Minderheit geraten. Die erwähnte Umfrage hatte die Mitteleuropa-Vertretung des UNHCR zum Anlass genommen, ihre „zutiefste“ Besorgnis zum Ausdruck zu bringen, dass die ungarische Regierung Flüchtlinge als Gefahr für das Land darstelle (Salzburger Nachrichten v. 08.05.2015 - online), und eine Gegenkampagne gestartet, in deren Rahmen ab dem 01.07.2015 500 Plakate im ganzen Land aufgehängt werden sollten. Eine Sprecherin des UNHCR habe dazu gesagt, die Lage in Ungarn sei eine besondere, weil nicht, wie in kleinen Ländern, kleine Gruppen Fremdenhass schürten, sondern die Regierung; ein positives Zeichen sei, dass die Reaktionen in der ungarischen Öffentlichkeit gespalten seien (euronews v. 17.06.2015). Die ungarische Regierung sieht, wie auch die Errichtung von Grenzzäunen zu Serbien und Kroatien zeigt, die ein- und durchreisenden Flüchtlinge ausdrücklich als Gefahr an (Handelsblatt v. 02.10.2015: Orban: „Das Land ist von einer Flüchtlingsarmee bedroht“). Gemeldet wurde auch, ein Sprecher der Partei Fidesz habe gesagt, das größte Aufnahmelager Debrecen (das Platz für 930 Menschen bietet, aber nur mit derzeit 260 Menschen belegt sei), solle mit Rücksicht auf die Bewohner der Umgebung geschlossen werden; der UNHCR habe das Vorgehen Ungarns gegenüber den Flüchtlingen u.a. deshalb als sehr besorgniserregend bezeichnet (DLF v. 02.10.2015).
48 
Es gibt nur wenige Hilfsorganisationen, welche sich um Schutzsuchende bzw. anerkannte Schutzsuchende kümmern. Über bürgerschaftliche Hilfe wird berichtet. Wie wirksam diese bei der großen Zahl der Schutzsuchenden sein kann, lässt sich nicht einschätzen.
49 
Insbesondere hinsichtlich der jüngsten Änderungen der ungarischen Asylgesetze und sonstiger neuerer Entwicklungen hat die Beklagte in keinem der am 13.10.2015 verhandelten Verfahren substantiiert dargelegt, wie sich die Aufnahmebedingungen und das Asylverfahren rechtlich und tatsächlich in den letzten Monaten entwickelt haben.
50 
Die Kammer konnte auch nicht unmittelbar von dem Verbindungsbeamten des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge bei der ungarischen Asylbehörde Erkenntnisse erhalten. Dieser hat auf eine - außerhalb dieses Verfahrens erfolgte - Anfrage per E-Mail nach den letzten Änderungen im ungarischen Asylrecht mitgeteilt, er könne nicht (mehr) unmittelbar Auskunft erteilen, Auskünfte erteilten die Dublin-Referate des Bundesamts. Der Informationsaustausch der Dublin-Referate des Bundesamts mit den Vertretern des Bundesamts vor den Verwaltungsgerichten scheint allerdings zur Zeit nicht gewährleistet zu sein; denn diese haben sich nicht in der Lage gesehen, aktuelle Erkenntnisse mitzuteilen.
51 
Die Kammer stützt sich daher, was die Entwicklung in den letzten Monaten betrifft, in tatsächlicher Hinsicht in erster Linie auf den Bericht des European Asylum Support Office (EASO) im Anschluss an eine Bereisung vom 16. bis 20.03.2015 sowie auf zahlreiche Internet-Veröffentlichungen des Asylum Information Database of the European Council on Refugees and Exiles etc. sowie insbesondere auf die in der Rechtsprechung des österreichischen Bundesverwaltungsgerichts umfassend wiedergegebenen und laufend aktualisierten Berichte des österreichischen Verbindungsbeamten bei der ungarischen Asylbehörde (vgl. zuletzt öster. BVwG, Urt. v. 24.09.2015 - W 1442114716-1/3 E -, Internet-Seite des österreichischen Bundeskanzleramts, dort Rechtsinformationssystem -RIS-; dort finden sich im Einzelnen insbesondere Ausführungen zum Asylverfahren allgemein (2.), zur Haft (3.), zur Lage von Dublin-Rückkehrern (4.), zu vulnerablen Gruppen (5.), zur Versorgung, insbesondere Unterbringung (7.) und zur Lage von Schutzberechtigten (8.), auf die die Kammer Bezug nimmt).
52 
Danach hat Ungarn im Juli 2015 mit Wirkung ab dem 01.08.2015 das Asylrechtsgesetz in erheblichem Umfang geändert und eine entsprechende Durchführungsverordnung erlassen. Als sicherer Drittstaat wurden u.a. auch die Beitrittskandidaten zur Europäischen Union benannt, also auch Serbien. Zahlreiche Beschleunigungs- und Darlegungspflichten wurden eingeführt bzw. verschärft. 160 ungarische Rechtsanwälte haben daraufhin die neuen Regelungen, darunter auch Behandlung Minderjähriger ab 14 Jahren als Grenzverletzer mit einer Strafdrohung von bis zu drei Jahren, keine zwingende Übersetzung von Anklage und Urteil, als Verstoß gegen Völkerrecht gewertet (spiegel-online v. 03.10.2015: „Ungarn urteilt Flüchtlinge im Schnellverfahren ab“). Für die Inhaftierung von Asylsuchenden gibt es seit dem 01.07.2015 geänderte Bestimmungen. Asylhaft wird insbesondere verhängt, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass der Antragsteller das Asylverfahren verzögern oder sich diesem entziehen wird. Dann bleibt die Haft für die Dauer des gesamten Asylverfahrens aufrecht erhalten. Im Jahr 2014 wurden insgesamt 4.806 Personen in Asylhaft genommen, am häufigsten Asylsuchende aus dem Kosovo und aus Afghanistan (1.038). Im Jahr 2015 gingen die Zahlen möglicherweise zurück. Ab September 2014 wurden wieder Familien mit Kindern in Asylhaft genommen. Mitte März 2015 soll diese Praxis aufgrund eines Berichts des ungarischen Ombudsmanns für Menschenrechte wieder eingestellt worden sein; aktuelle Informationen dazu gibt es nicht.
53 
Für das Vorliegen systembedingter Mängel mit der Folge, dass aktuell jeder Asylbewerber in Ungarn Gefahr liefe, dort menschenrechtswidrig behandelt zu werden, spricht bereits der Umstand, dass seit September 2015 die Bundesrepublik Deutschland wie auch Österreich davon ausgehen, dass Ungarn nicht in der Lage ist, die große Zahl an einreisenden Flüchtlingen nach den unionsrechtlichen Regeln durch ein Asylverfahren zu führen und - bei Erreichen eines Schutzstatus - auch auf Dauer hinreichende Aufnahmebedingungen zur Verfügung zu stellen.
54 
Dem entspricht es, dass eine zunehmende Zahl von Verwaltungsgerichten in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes wie auch in Urteilen aus unterschiedlichen Erwägungen zur Auffassung gelangt, dass Ungarn zur Zeit nicht als zuständiger Staat betrachtet werden darf (u.a. VG Hannover, Beschl. v. 29.07.2015 - 10 B 2196/15 -; VG Düsseldorf, Beschl. v. 21.08.2015 - 8 L 2811/15.A -; VG München, Beschl. v. 21.05.2015 - M 16 S 15.50329 -; VG Köln, Urt. v. 15.07.2015 - 3 K 2005/15.A - und v. 08.09.2015 - 18 K 4584/15.A -; VG Bremen, Urt. v. 30.06.2015 - 3 K 296/15 -; VG Saarland, Beschl. v. 12.08.2015 - 3 L 776/15; VG Münster, Beschl. v. 07.07.2015 - 2 L 858/15.A -, alle juris).
55 
In der Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte ist die Frage nicht geklärt. Wenigen ablehnenden Entscheidungen (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 06.08.2013 - 12 S 675/13 - InfAuslR 2014, 29 OVG Sachs.-Anh., Beschl. v. 31.05.2013 - 4 L 169/12 -, Bayer.VGH, Beschl. v. 12.06.2015 - 13a ZB 15.50097 - juris; alle juris) steht gegenüber, dass etwa das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht die Berufung gegen eine klagabweisende Entscheidung zugelassen hat (Beschl. v. 15.05.2015 - 8 LA 85/15 - a.a.O.).
56 
Zwar hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Jahr 2014 (E. v. 03.07.2014 - Nr. 71932/12 - gestützt auf Stellungnahmen des UNHCR, des Ungarischen Helsinki-Kommitees und des Berichts einer UN-Arbeitsgruppe, die sich mit den Haftbedingungen in Ungarn befasst hat, entschieden, dass im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vom 03.07.2014 mit Blick auf die signifikanten Änderungen der ungarischen Asylgesetze weder die Inhaftierungspraxis noch die Haftbedingungen den dortigen Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit („real risk“) einer menschenrechtswidrigen Behandlung in Ungarn als Asylsuchender aussetzen würde; gleiches gelte für die Gefahr einer Überstellung des Klägers nach Serbien. Auch der Europäische Gerichtshof hatte noch im Jahr 2013 (Urt. v. 10.12.2013 a.a.O.) systemische Mängel im ungarischen Asylsystem verneint.
57 
Demgegenüber haben sich die Verhältnisse aber - auch für sog. Dublin-Rückkehrer - in Folge der sehr stark gestiegenen Zahl der Flüchtlinge und der hierauf erlassenen Gesetzesverschärfungen in Ungarn aber in tatsächlicher wie rechtlicher Hinsicht wesentlich verschlechtert (vgl., insbesondere zur Inhaftierungspraxis, zu den Haftbedingungen und zur gerichtlichen Kontrolle, VG Köln, Urt. v. 30.07.2015 a.a.O.; VG Saarland, Beschl. v. 12.08.2015 a.a.O.; vgl. auch schon VG Berlin, Beschl. v. 23.01.2015 – 23 L 717.14 A – juris; auch VG München, Urt. v. 29.08.2014 - M 24 K 13.31294 -; VG Düsseldorf, Beschl. v. 27.08.2014 - 14 L 1786/14.A - juris). Zudem sieht Ungarn seit dem 01.09.2015 Serbien wieder als sicheren Drittstaat an, wobei noch nicht klar ist, ob und unter welchen Voraussetzungen es tatsächlich zu Überstellungen nach Serbien kommen wird, insbesondere auch von Personen, welche nach den Dublin-Regeln nach Ungarn zurücküberstellt werden und die dort möglicherweise als Folgeantragsteller behandelt würden (vgl. öster. BVwG, Urt. v. 24.09.2015 a.a.O.).
58 
Ob die neuen Vorschriften zur Beschleunigung der Asylverfahren in jeder Hinsicht dem Unionsrecht genügen, ist zumindest sehr zweifelhaft. Das gilt insbesondere für die Frage, ob und in welchen Fällen Dublin-Rückkehrer bei Fortsetzung des Asylverfahrens bzw. in einem Zweitverfahren in ihrem Vorbringen beschränkt sind, ferner auch für die Frage, ob es zulässig ist, dass ein Asylverfahren eingestellt wird, wenn der Antragsteller für die Dauer von 48 Stunden nicht in der Aufnahmeeinrichtung angetroffen werden kann, der er zugewiesen ist (so VG Köln a.a.O.).
59 
Schließlich kann es nicht zu Lasten der Betroffenen ausschlagen, dass es aktuell keine verlässlichen Berichte über die tatsächliche Lage von Asylbewerbern und Inhabern von internationalem Schutz in Ungarn gibt und dass Ungarn selbst gegenüber der Europäischen Kommission nicht berichtet, inwieweit es - unter der augenscheinlichen Überlastung - die Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen entsprechend den unionsrechtlichen Vorgaben bewältigen kann.
60 
Vielmehr muss bei der Beurteilung einer Gefahrenlage für nach Ungarn rücküberstellte Asylbewerber vor allem das oben geschilderte innenpolitische Klima berücksichtigt werden. Indem die Regierung in der öffentlichen Debatte einseitig die Abwehr von Flüchtlingen betont und Ängste in der Bevölkerung schürt, trägt sie erheblich dazu bei, dass bei es der Anwendung der gesetzlichen Regelungen, auch soweit diese dem europäischen Flüchtlingsrecht zweifellos entsprechen, zu Menschenrechtsverletzungen kommen kann.
61 
Insbesondere lässt die ungarische Politik keine hinreichende Bereitschaft erkennen, von Ungarn als schutzbedürftig anerkannten Personen bei der Integration in die Gesellschaft beizustehen. Die dafür geschaffenen Regeln und die dafür bereit gestellten Mittel sind nach der Auskunft des UNHCR offensichtlich unzureichend. So erscheint als nicht gesichert, dass Menschen, die in Ungarn internationalen Schutz erhalten haben, insbesondere auch Dublin-Rückkehrer, in den Genuss der ohnehin deutlich unterfinanzierten gesetzlichen Integrationsangebote kommen können. Für die zuletzt genannte Gruppe dürfte dies schon an den verstrichenen Antragsfristen scheitern. Auch die Bereitstellung von Wohnraum für diesen Personenkreis ist völlig ungewiss. Eine Verweisung in die staatlichen bzw. kommunalen Obdachlosenunterkünfte scheitert an den Kapazitäten und für Familien auch daran, dass dort keine Kinder aufgenommen werden; in zahlreichen Verfahren ist der Kammer von den Klägern überzeugend vorgetragen worden, dass es ihnen nicht gelungen ist, Wohnung und Arbeit zu finden.
62 
Aus diesen Gründen ordnet das österreichische Bundesverwaltungsgericht seit September 2015 in Dublin-Ungarn-Fällen die aufschiebende Wirkung der Klagen regelmäßig an. Von ihm gibt es auch schon stattgebende Hauptsachentscheidungen. Diese sind allerdings - wohl mangels einer Pflicht, Spruchreife selbst herbeizuführen - damit begründet, dass die Veränderung der Sachlage weiterer Aufklärung durch die österreichische Asylbehörde bedarf (vgl. Urt. v. 24.09.2015 a.a.O.).
63 
Der Feststellung von systembedingten Mängeln des ungarischen Asylsystems im oben dargelegten Sinn lässt sich nicht - wie dies die Beklagte tut - entgegen halten, dass weitaus die meisten Schutzsuchenden gar nicht in Ungarn bleiben, sondern, entgegen dem ungarischen Flüchtlingsrecht auf allen möglichen Wegen nach Österreich und von dort insbesondere in die Bundesrepublik Deutschland, aber etwa auch weiter nach Schweden, reisen wollen. Denn der Andrang von Flüchtlingen auch an den ungarischen Grenzen dauert weiter an. Außerdem wäre Ungarn jedenfalls dann, wenn, wie im Fall des Klägers, die anderen Dublin-Staaten auf einer Rücküberstellung dorthin bestehen würden, wiederum mit der Zahl der Antragsteller überfordert.
64 
Soweit in zahlreichen Entscheidungen anderer Verwaltungsgerichte darauf abgehoben wird, dass der UNHCR, anders als bei Griechenland und - eingeschränkt - Bulgarien, aktuell keine generelle Empfehlung ausgesprochen hat, Asylsuchende nicht nach Ungarn zu überstellen, vermag dem die Kammer nicht zu folgen. Der UNHCR selbst hält einer solchen Interpretation entgegen, dass das Fehlen einer solchen generellen Empfehlung keineswegs bedeute, er sei der Auffassung, dass keine solchen einer Überstellung entgegenstehenden Umstände vorlägen oder im Einzelfall vorliegen könnten. Aus seiner Sicht ist es Sache der Behörden und Gerichte, im Einzelfall zu prüfen, ob drohende Verletzungen von Art. 3 EMRK eine Überstellung in einen Mitgliedstaat der Europäischen Union ausschlössen. Der UNHCR weist insoweit auch darauf hin, dass der Supreme Court des Vereinigten Königreichs diese Auffassung ausdrücklich bestätigt habe (vgl. UNHCR an VG Bremen v. 30.09.2014). Auch hat der UNHCR angesichts der jüngsten Entwicklung wiederholt vor einer „weiteren Verschlechterung der Lage“ gewarnt und betont, es sei wichtig, dass die Umsetzung der neuen asyl- und haftrechtlichen Vorschriften gut durchdacht werde, andernfalls „das zu Chaos“ führen würde (heute.de v. 05.10.2015). Im Übrigen bedürfte es gegenwärtig entsprechender Warnungen des UNHCR nicht, weil Überstellungen nach Ungarn wohl seit einigen Monaten gar nicht mehr stattfinden. Das ergibt sich aus Folgendem:
65 
Aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage aus dem Deutschen Bundestag vom 18.08.2015 (BT-Drucksache 18/5785, S. 18 ff., noch mit dem Vermerk "Vorabfassung - wird durch die lektorierte Version ersetzt") ergibt sich, dass das Bundesamt im ersten Quartal 2015 2952 und im zweiten Quartal 2015 3565 Übernahmeersuchen an Ungarn gerichtet hatte. Etwa 80 % der Ersuchen (2.304 bzw. 2.665 akzeptierte Ungarn. Im ersten Quartal 2015 gab es 30 Selbsteintritte oder faktische Überstellungshindernisse in Bezug auf Ungarn, im zweiten Quartal 2015 171. Tatsächlich überstellt wurden nach Ungarn (nach der Dublin-Verordnung) im ersten Quartal 2015 aber nur 42 Personen und im zweiten Quartal 2015 nur 61 Personen, also nur etwa 2 Prozent bezogen auf die Zahl der akzeptierten Übernahmeersuchen. Die Gründe dafür sind nicht bekannt und auch auf Nachfrage vom Bundesamt nicht zu erfahren. Sie dürften einerseits in einer begrenzten Aufnahmebereitschaft Ungarns (Kontingentierung der Aufnahme), andererseits aber auch in der beschränkten Kapazität der zuständigen deutschen Behörden liegen. Ein ähnliches Bild bietet die schweizerische Asylstatistik. Die Schweiz hatte im ersten Halbjahr 2015 407 Ersuchen an Ungarn gestellt, die Ungarn in 333 Fällen akzeptierte; tatsächlich überstellt wurden im gleichen Zeitraum nur 54 Personen, also etwa 16 % der akzeptierten Übernahmeersuchen.
66 
Seit mehreren Monaten finden auf Bitten Ungarns wohl überhaupt keine Rücküberstellungen von Deutschland aus mehr statt (vgl. die Nachweise bei VG Hannover, Beschl. v. 29.07.2015 - 10 B 2196/15 - juris). Nachfragen der Kammer dazu hat das Bundesamt nicht beantwortet.
67 
Auch deshalb ist die angefochtene Abschiebungsanordnung rechtswidrig. Denn § 34a Abs. 1 AsylVfG erfordert, dass die Abschiebung tatsächlich durchgeführt werden kann. Dafür reicht eine Übernahmeerklärung Ungarns aber nicht aus, wenn anschließend seitens des ungarischen Staats keine oder nur eine ganz geringe Bereitschaft und so gut wie keine Kapazität besteht, Erst- und Folgeantragsteller sowie überstellte Schutzsuchende und Inhaber internationalen Schutzes tatsächlich aufzunehmen. Zumindest erscheint es als völlig fernliegend, dass bei einer evtl. Wiederaufnahme von Überstellungen nach Ungarn in einigen Monaten oder einem Jahr ausgerechnet diejenigen Schutzsuchenden zurücküberstellt würden, welche sich nun schon seit mehreren Jahren im Bundesgebiet aufhalten. Dies gilt umso mehr für Schutzsuchende, die in Ungarn oder nach Zurückschiebung nach Serbien bzw. Griechenland Menschenrechtsverletzungen in erheblichem Umfang, insbesondere eine langdauernde Asylhaft, erfahren haben, wenn dies zu erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen geführt hat. Daraus kann sich - wie oben dargelegt - sogar ein Abschiebungsverbot in rechtlicher Hinsicht ergeben (§ 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK).“
68 
Inzwischen sind weitere entsprechende Entscheidungen in Hauptsacheverfahren bekannt geworden (VG München, Urt. v. 26.08.2015 - M 24 K 15.50507 - juris; VG Augsburg, Urt. v. 18.08.2015 - Au 6 K 15.50155 -, beide juris; VG Karlsruhe, Urt. v. 24.09.2015 - A 2 K 168/14 -), die allerdings nicht Schutzsuchende betreffen, welche bereits einen Schutzstatus in Ungarn erlangt hatten.
69 
Aus den oben genannten Gründen ist die Abschiebungsanordnung gegenüber dem Kläger rechtswidrig.
70 
Es erscheint zwar als zweifelhaft, dass er im Zuge einer Überstellung nach Ungarn dort in Haft genommen würde, wenn er seinen von Ungarn ausgestellten Flüchtlingsausweis vorzeigen kann.
71 
Es ist aber, angesichts der oben getroffenen Feststellungen und der der Beklagten anzulastenden Unmöglichkeit, aktuelle Informationen aus Ungarn diesbezüglich zu erhalten, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Ungarn zum jetzigen Zeitpunkt dort in die Obdachlosigkeit fallen, keinen Notschlafplatz finden, keine ausreichende Unterstützung erhalten und auch keine Hilfen bei der Suche nach Wohnung und Arbeit erhalten würde. Dies ist ihm umso weniger zuzumuten, als er - nach seinen Angaben, an deren Richtigkeit die Kammer keinen Grund hat zu zweifeln - bei früheren Aufenthalten in Ungarn nicht nur Solches erfahren hat, sondern dort auch über sechs Monate als Asylsuchender inhaftiert und überdies rechtswidrig nach Griechenland überstellt worden war, wo nach mittlerweile wohl allgemeiner Auffassung damals systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen bestanden.
72 
Rechtswidrig ist die Abschiebungsanordnung auch deshalb, weil die Abschiebung auf unabsehbare Frist nicht ausgeführt werden kann, weil - wie oben ausgeführt - ausgeschlossen erscheint, dass Ungarn gegenwärtig und auf absehbare Zeit Schutzsuchende wieder übernimmt; das gilt auch für Menschen, die wie der Kläger in Ungarn internationalen Schutz gefunden haben.
73 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 2, § 154 Abs. 1 VwGO und § 83b AsylVfG. Der Gegenstandswert folgt aus § 30 RVG.

Tenor

  • 1. Dem Antragsteller wird für das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungspflicht bewilligt und Rechtsanwältin Dr. U.        , C.         , beigeordnet.

  • 2. Die aufschiebende Wirkung der Klage im Verfahren 10 K 2299/15.A gegen die im Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 22. August 2015 enthaltene Abschiebungsanordnung wird angeordnet.

  • 3. Die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, trägt die Antragsgegnerin.


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Tenor

Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 2. Juli 2015 wird aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.


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Tenor

1. Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 10.09.2015 gegen den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 01.09.2015 wird angeordnet.

2. Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens trägt die Beklagte.

Gründe

I.

Der Antragsteller, geb. ...1991, ist irakischer Staatsangehöriger mit yezidischer Glaubenszugehörigkeit. Er reiste eigenen Angaben zufolge am ...2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am ...2015 einen Asylantrag. Er wehrt sich gegen seine Rückführung nach Ungarn.

Die Anfrage der Antragsgegnerin aufgrund eines Eurodac-Treffers vom ...2015 an die ungarischen Behörden, dass sie für die Durchführung des Asylverfahrens des Antragstellers zuständig seien und ob der Rückübernahme des Antragstellers zugestimmt werde, blieb unbeantwortet.

Daraufhin lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 01.09.2015 den Asylantrag des Antragstellers als unzulässig ab und ordnete seine Abschiebung nach Ungarn an. Gründe für ein Selbsteintrittsrecht der Bundesrepublik Deutschland bestünden nicht, weil die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Ungarn keine systemischen Mängel aufwiesen.

Dieser Bescheid wurde ausweislich der Postzustellungsurkunde am 05.09.2015 zugestellt.

Gegen diesen Bescheid erhob der Antragsteller mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 10.09.2015, der am selben Tag bei Gericht einging, Klage gegen die Antragsgegnerin und beantragte gleichzeitig,

die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.

Bei dem Kläger bestehe seines Erachtens eine posttraumatische Belastungsstörung mit somatoformer Ausprägung verbunden mit massiven Schlafstörungen (ärztliches Gutachten werde nachgereicht). Aufgrund seines psychischen Zustandes sei er nicht reisefähig.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird entsprechend § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Behördenakte Bezug genommen.

II.

Der zulässige Antrag hat Erfolg.

Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1, 1. Halbsatz VwGO kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung einer Anfechtungsklage anordnen, wenn die Klage keine aufschiebende Wirkung hat. Bei seiner Entscheidung hat das Gericht insbesondere eine summarische Beurteilung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache und bei offenen Erfolgsaussichten das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs mit dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheides abzuwägen. Bei dieser Abwägung ist zu beachten, dass die dem Ausländer drohenden und im Falle einer Aufenthaltsbeendigung möglicherweise auch tatsächlich eintretenden Folgen unter Umständen nur schwer oder überhaupt nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Vor diesem Hintergrund geht bei offenen Erfolgsaussichten die Interessenabwägung regelmäßig zugunsten der Antragstellerseite aus (VG Kassel, B.v. 7. 8.2015 - 3 L 1303/15.KS.A - juris Rn. 13).

Die Erfolgsaussichten der angegriffenen Abschiebungsanordnung erweisen sich im vorliegenden Eilverfahren als offen.

Die nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG maßgebliche Sach- und Rechtslage bei der im Eilverfahren nur möglichen und gebotenen summarischen Prüfung lässt angesichts der aktuellen Entwicklungen und jüngsten Entscheidungen der Bundesrepublik Deutschland (z. B. zeitweilige Öffnung der Grenzen für Flüchtlinge in Ungarn bzw. faktische Aussetzung des Dublin-Verfahrens für Syrer) keine eindeutigen Schlussfolgerungen zu. Derzeit lässt sich nicht einschätzen, inwieweit diese Entscheidungen Rückschlüsse auf die bestehenden Prüfungsmaßstäbe im Dublin-Verfahren zulassen und ob noch eindeutige Entscheidungsmaßstäbe auch im Sinne des Gleichbehandlungsgrundsatzes aller Asylbewerber hinsichtlich einer beabsichtigten Rückführung nach Ungarn bestehen.

Aus diesem Grund hat das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Abschiebungsanordnung gegenüber dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers zurückzutreten.

Die Beteiligten werden vorsorglich darauf aufmerksam gemacht, dass die Überstellungsfrist von sechs Monaten gemäß Art. 29 Abs. 1 2. Alternative i. V. m. Art. 27 Abs. 3 Dublin-III-VO (Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist) erst nach Entscheidung über die Klage zu laufen beginnt, da ihr aufgrund der vorliegenden Entscheidung gemäß Art. 27 Abs. 3 Dublin-III-VO aufschiebende Wirkung zukommt.

Hinweis:

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Gründe

Bayerisches Verwaltungsgericht München

M 23 K 15.50045

Im Namen des Volkes

Urteil

vom 11. September 2015

23. Kammer

Sachgebiets-Nr. 710

Hauptpunkte:

Dublin-III-Verfahren; Vorrangiges Asylverfahren in Ungarn; Änderung der ungarischen Asylgesetze zum 1. August 2015; Systemische Mängel (bejaht)

Rechtsquellen:

In der Verwaltungsstreitsache

..., geb. ...1989 alias ..., geb. ... 1989 Gasthof ...

- Kläger -

bevollmächtigt: ...

gegen

...

vertreten durch:

Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Außenstelle ...,

- Beklagte -

beteiligt:

Regierung von ..., Vertreter des öffentlichen Interesses B-str. ..., M.

wegen Asylrecht

erlässt das Bayerische Verwaltungsgericht München, 23. Kammer, durch die Richterin am Verwaltungsgericht ... als Einzelrichterin ohne mündliche Verhandlung

am 11. September 2015

folgendes Urteil:

I.

Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom ... Januar 2015 wird aufgehoben.

II.

Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

Der nach seinen eigenen Angaben am ... 1989 in Aleppo geborene Kläger ist syrischer Staatsangehöriger. Er reiste vermutlich am ... Oktober 2014 in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am ... Dezember 2014 bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) einen Asylantrag.

Bei dem persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zur Durchführung des Asylverfahrens am ... Dezember 2014 gab der Kläger gegenüber dem Bundesamt an, dass ihm in Ungarn Ende September 2014 Fingerabdrücke abgenommen worden seien. Im Rahmen des beschleunigten schriftlichen Verfahrens verzichtete der Kläger auf die Prüfung seines Anspruchs auf Asyl.

Aufgrund eines Eurodac-Treffers der Kategorie I bezüglich des Klägers für Ungarn sandte das Bundesamt am ... Dezember 2014 ein Wiederaufnahmeersuchen an die ungarischen Behörden. Diese teilten am ... Dezember 2014 mit, dass das mit Antrag vom ... Oktober 2014 eingeleitete Asylverfahren wegen des Verschwindens des Klägers beendet worden sei. Weiter erklärten die ungarischen Behörden die Bereitschaft zur Wiederaufnahme des Klägers.

Mit Bescheid vom ... Januar 2015 - zugestellt am ... Januar 2015 - stellte das Bundesamt fest, dass der Asylantrag unzulässig sei (Nr. 1 des Bescheids) und ordnete die Abschiebung nach Ungarn an (Nr. 2 des Bescheids). Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Asylantrag gem. § 27a AsylVfG unzulässig sei, da Ungarn aufgrund des dort bereits gestellten Asylantrags gem. Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin-III-VO für die Behandlung des Asylantrags zuständig sei. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht gem. Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO auszuüben, seien nicht ersichtlich. Das Bundesamt gehe davon aus, dass in Ungarn keine systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen vorlägen. Deutschland sei verpflichtet, die Überstellung nach Ungarn als zuständigem Mitgliedstaat innerhalb der in Art. 29 Abs. 1 Satz 1 Dublin-III-VO festgesetzten Fristen durchzuführen. Die Anordnung der Abschiebung nach Ungarn beruhe auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG.

Mit Schreiben vom 23. Januar 2015 erhoben die Bevollmächtigten des Klägers Klage zum Verwaltungsgericht München und beantragten:

Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom ...01.2015, Az. ..., wird aufgehoben.

Weiterhin beantragten sie, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen (Az.: M 23 S 15.50047).

Zur Begründung trugen sie unter Verweis auf umfangreiche Rechtsprechung und Stellungnahmen insbesondere vor, dass in Ungarn systemische Mängel vorlägen und dem Kläger in Ungarn die Inhaftierung drohe.

Die Akten des Bundesamts wurden mit Schreiben vom 27. Januar 2015 vorab übersandt. Eine Antragsstellung erfolgte nicht.

Mit Beschluss vom 3. Februar 2015 ordnete das Gericht im Verfahren M 23 S 15.50047 die aufschiebende Wirkung der Klage an.

Mit Schreiben vom 9. Februar 2015 beantragten die Bevollmächtigten Prozesskostenhilfe für den Kläger.

Durch Beschluss der Kammer vom 1. Juni 2015 wurde der Rechtsstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen (§ 76 Abs. 1 AsylVfG).

Mit Schreiben vom 10. Juni 2015 verzichteten die Bevollmächtigten des Klägers auf mündliche Verhandlung und machten ergänzende Ausführungen zur Lage in Ungarn.

Mit Schreiben vom 22. Juni 2015 verzichtete das Bundesamt auf mündliche Verhandlung.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, die Gerichtsakte im Verfahren M 23 S 15.50047 sowie die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Über die Klage konnte mit Zustimmung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden (§ 101 Abs. 2 VwGO).

Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid des Bundesamts vom ... Januar 2015 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Er war daher aufzuheben, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Maßgeblich für die Entscheidung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG).

Die isolierte Anfechtungsklage ist gegen den Bescheid des Bundesamts, mit dem der Asylantrag nach § 27a AsylVfG als unzulässig abgelehnt und die Abschiebung angeordnet wird, die statthafte Klageart (vgl. BayVGH, U.v. 29.1.2015 - 13a B 14.50039 - juris m. w. N.).

Das Bundesamt hat den Asylantrag des Klägers zu Unrecht gemäß § 27a AsylVfG als unzulässig abgelehnt.

Gemäß § 27a AsylVfG ist ein Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland unzulässig, wenn ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. In diesem Fall kann das Bundesamt gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG die Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat anordnen, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.

Vorliegend hat der Kläger zunächst in Ungarn Asyl beantragt; Ungarn hat auch mit Schreiben vom ... Dezember 2014 der Wiederaufnahme des Antragstellers gemäß § 18 Abs. 1 Ziff. b Dublin-III-VO zugestimmt. Damit wäre grundsätzlich Ungarn für die Durchführung des Asylverfahrens des Klägers zuständig.

Allerdings bestimmt Art. 3 Abs. 2 Unterabsätze 2 und 3 Dublin III-VO in Umsetzung des Urteils des EuGH vom 21. Dezember 2011 (EuGH, U.v. 21. Dezember 2011 - C-411/10, C-493/10 - juris), dass dann, wenn es sich als unmöglich erweist, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, weil es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen und entwürdigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen, und der Betroffene folglich im zuständigen Mitgliedstaat den vorgenannten Gefahren ausgesetzt ist, der Mitgliedstaat zur Prüfung verpflichtet ist, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann oder, soweit dies nicht möglich ist, er selbst die Zuständigkeit zu übernehmen hat.

Nach der zur Rechtslage unter der Dublin-II-VO ergangenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (U.v. 21.12.2011 - C-411/10 und C-493/10 - juris Rn. 80) gilt eine widerlegbare Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedsstaat mit den Erfordernissen der EUGRCh sowie der Genfer Flüchtlingskonvention - GF - und der Europäischen Menschenrechtskonvention - EMRK - in Einklang steht. Die Vermutung ist dann widerlegt, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen im zuständigen Mitgliedsstaat aufgrund größerer Funktionsmängel regelhaft so defizitär sind, dass dort auch dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, B. v. 19.03.2014 - 10 B 6.14 - juris Rn. 9). An diese Feststellung sind hohe Anforderungen zu stellen (OVG Lüneburg, B. v. 18.03.2014 - 13 LA 75/13 - juris Rn. 14). Einzelne Missstände stellen noch keine systemischen Schwachstellen dar. Diese liegen vielmehr erst dann vor, wenn dem Betroffenen in dem Mitgliedsstaat, in den er überstellt werden soll, der Zugang zu einem Asylverfahren verwehrt oder massiv erschwert wird, das Asylverfahren an grundlegenden Mängeln leidet oder wenn der Mitgliedsstaat während der Dauer des Asylverfahrens wegen einer grundlegend defizitären Ausstattung mit den notwendigen Mitteln elementare Grundbedürfnisse des Menschen (wie z. B. Unterkunft, Nahrungsaufnahme und Hygienebedürfnisse) nicht in einer noch zumutbaren Weise befriedigen kann (vgl. OVG NW, U. v. 07.03.2014 - 1 A 21/12.A - juris Rn. 126). Es besteht allerdings keine allgemeine Verpflichtung, jedermann mit einer Wohnung zu versorgen, Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu gewähren oder ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen (OVG NW, a. a. O., Rn. 118f. m. w. N.).

Die Rechtsprechung beurteilte die Frage des Vorliegens systemischer Mängel im oben beschriebenen Sinn im ungarischen Asylsystem bis zur letzten Änderung der ungarischen Asylgesetze unterschiedlich (vgl. OVG Lüneburg, B.v. 15.5.2015 - 8 LA 85/15; zuletzt ablehnend VG München, U.v. 1.7.2015 - M 12 K 15. 50491, VG Augsburg, U.v. 20.7.2015 - Au 5 K 15.50316, VG Düsseldorf, U.v. 26.6.2015 - 13 K 787/14.A; zuletzt bejahend VG Köln, U.v. 15.7.2015 - 3 K 2005/15.A; VG Münster, B.v. 7.7.15 - 2 L 858/15.A; VG Bremen, B.v. 1.4.15 - 3 V 145/15 - jeweils juris m. w. N.).

Insbesondere aufgrund der zum 1. August 2015 in Kraft getretenen - und damit bei der gerichtlichen Entscheidung zu berücksichtigenden - Änderung des ungarischen Asylrechts gibt es nach Überzeugung des erkennenden Gerichts wesentliche Gründe für die Annahme, dass in Ungarn systemische Schwachstellen des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung i. S. v. Art. 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen, vorliegen und folgt insoweit der soweit erkennbar überwiegenden Meinung in der Rechtsprechung (vgl. VG Augsburg, U.v. 18.8.2015 - Au 6 K 15.50155 - bisher unveröffentlicht; VG Düsseldorf, B.v. 20.8.2015 - 15 L 2556715.A; VG Saarland, B.v. 12.8.2015 - 3 L 816/15; VG Kassel, B.v. 7.8.2015 - 3 L 1303/15.KS.A - jeweils juris). Obergerichtliche Rechtsprechung zu der seit 1. August 2015 geänderten ungarischen Rechtslage existiert hierzu soweit ersichtlich nicht.

Nach den vorliegenden aktuellen Erkenntnissen sind mit dieser Gesetzesänderung sowohl die Verfahren zur Bestimmung der Zuständigkeit nach der Dublin-III-VO und zur Prüfung eines Asylgesuchs in Zuständigkeit des ungarischen States sowohl vor den ungarischen Behörden wie vor den ungarischen Gerichten etwa durch die Verkürzung von Fristen und die an Fristversäumnisse angeknüpften Sanktionen sowie neu gefasste Beweislastregeln in einer Weise verändert worden, die die Einhaltung der Mindestanforderungen nicht mehr gewährleisten (vgl. VG Düsseldorf, B.v. 20.8.2015 - 15 L 2556/15.A - juris Rn. 27).

Das Verwaltungsgericht Augsburg (U.v. 18.8.2015 - Au 6 K 15.50155 - bisher unveröffentlicht), dem das erkennende Gericht vollumfänglich folgt, führt hierzu aus:

„Sowohl das Hungarian Helsinki Committee als auch der UNHCR erklären sich nach der Änderung der ungarischen Gesetzeslage zum 1. August 2015 und der tatsächlichen Aufnahmebedingungen zu tiefst besorgt („deeply concerned“) über die Entwicklung und Verschärfung des Asylrechts in Ungarn, und fordern Ungarn auf, ihr Asylrecht unter Beachtung der Flüchtlingsrechte, des EU-Rechts und des internationalen Rechts zu handhaben. Das Hungarian Helsinki Committee führt zu der zum 1. August 2015 in Kraft getretenen Änderung des ungarischen Asylrechts in seiner Stellungnahme vom 7. August 2015 (abrufbar unter: HYPERLINK http://he...pdf) aus, dass Ungarn eine Liste von sicheren Drittstaaten beschlossen habe, zu denen unter anderem auch Serbien zähle. Diese Einschätzung stehe in Widerspruch zu der aktuell gültigen Position des UNHCR, des Helsinki Committees selbst und Amnesty International. Kein anderes Land in der EU betrachte Serbien für Asylsuchende als sicheres Drittland. Aufgrund dieser Festlegung sei es der ungarischen Immigrationsbehörde (Office of Immigration and Nationality (OIN) möglich, alle Asylsuchenden, die über Serbien nach Ungarn einreisen, das seien ca. 99% der Asylbewerber, ohne Prüfung und Anhörung ihrer Fluchtsituation abzulehnen. Eine Ausnahme bestehe nur, wenn der Asylbewerber beweisen könne, dass es ihm in Serbien nicht möglich gewesen sei, Asyl zu beantragen. Ein Nachweis sei dem Asylbewerber in der Praxis jedoch aus tatsächlichen Gründen nicht möglich, zudem hätten Asylsuchende regelmäßig keinen Zugang zu professioneller Rechtsberatung, die jedoch für die Nachweisführung notwendig sei. Zudem existiere in Serbien in der Realität kein funktionierendes Asylsystem. Weiterhin werde auch Griechenland als sicheres Drittland angesehen, ein Land, in das die EU-Mitgliedstaaten seit 2011 wegen der dort herrschenden Verhältnisse keine Dublin-Überstellungen mehr durchführen. Mit dieser Haltung verstoße Ungarn in der Praxis gegen das Gebot des „non-refoulement“, das in der Flüchtlingskonvention von 1951, in Art. 3 der EMRK und in Art. 18 und 19 der EU-GRcharta verankert sei (HHC, Stellungnahme vom 7.8.2015, a. a. O. S. 2). Gegen eine ablehnende Entscheidung als unzulässig, die z. B. bereits bei einer Einreise über einen sicheren Drittstaat (wie Serbien) erfolge, könne eine gerichtliche Überprüfung nur innerhalb einer Frist von drei Tagen erfolgen, eine Frist, die sowohl gegen EU-Recht, als auch gegen die gefestigte Rechtsprechung des EGMR verstoße, die beide eine Mindestfrist von einer Woche vorsähen (HHC, Stellungnahme vom 7.8.2015, a. a. O. S. 4 m. w. N.). Auch die Möglichkeiten einer Inhaftierung insbesondere in den sog. Dublin-Fällen sei im Verhältnis zur vorherigen Rechtslage wieder verschärft worden. Zudem sollen Flüchtlinge bis zum Ende ihres Asylverfahrens inhaftiert werden dürfen. Die neue Gesetzeslage entspricht somit in weiten Teilen der Rechtlage, die im Jahr 2012 den UNHCR zu seiner Empfehlung veranlasste, nach den Dublin-II-Bestimmungen keine Asylbewerber nach Ungarn zu überstellen.

Auch das UNHCR, dessen Wertungen im Rahmen der Prüfung des Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 Dublin-III-VO maßgebliches Gewicht zukommt (vgl. EuGH, U.v. 30.5.2013 - C-528/11, juris Rn. 44), hatte bereits in seiner Stellungnahme vom 3. Juli 2015 im Vorfeld der zwischenzeitlich beschlossenen Gesetzesänderungen Bedenken angemeldet und sich insoweit als „tief besorgt“ (deeply concerned) bezeichnet (abrufbar unter: http://www.u...org/...html). Das Asylsystem Ungarns sei bereits vor der Novelle immer restriktiver geworden und es werde befürchtet, dass die neuen Vorschläge es Flüchtlingen unmöglich machen wird, in diesem Land Sicherheit zu suchen. Rund 80% der Asylsuchenden kämen aus den Konfliktzonen Syrien, Afghanistan, Irak und bedürften internationalen Schutz. Hier ist anzufügen, dass nach österreichischen Angaben von den im Jahr 2013 in Ungarn gestellten 44.000 Asylanfragen nur 550 positiv verbeschieden worden sind (http://www.s...de/p...).“

Ergänzend hierzu führt das Gericht aus, dass das Hungarian Helsinki Committee in seiner Stellungnahme des Weitern bemängelt, dass in den meisten Fällen ein beschleunigtes Verfahren zulässig werde, in dem innerhalb von 15 Tagen eine Entscheidung erfolgen solle. Es bestehe ein hohes Risiko, dass dieses Verfahren aufgrund der benannten Voraussetzungen zum Regelfall würde. Die 15-Tage-Frist sei ein Verstoß gegen EU-Recht, da sie keinen effektiven Zugang zu Asylverfahren mehr gewähre (HHC, Stellungnahme vom 7.8.2015, .a.aO., S. 3f). Auch der gerichtliche Schutz für diese - bis zu 99% aller Asylverfahren betreffenden - beschleunigten Verfahren sei, insbesondere auch durch die nicht mehr zwingend vorgesehene persönliche Anhörung, unzureichend und Verstoße gegen EU-Recht (HHC, Stellungnahme vom 7.8.2015, a. a. O., S. 4).

Darüber hinaus bestehen in Ungarn massive Kapazitätsprobleme aufgrund der enormen Zunahme von Flüchtlingszahlen. Während in Ungarn im Jahre 2012 lediglich 2.157 Asylanträge gestellt wurden, stieg die Anzahl der Asylbewerber im Jahre 2013 auf 18.900 an und verdoppelte sich im Jahre 2014 auf 42.777. Vom 1. Januar 2015 bis zum 1. März 2015 registrierten die ungarischen Behörden bereits eine Anzahl von 28.535 Personen (Vgl. Hungarian Helsinki Committee, Bericht vom 4. März 2015, abrufbar unter http://h...hu/wp-c...pdf.). Bis zu 72.000 Flüchtlinge sollen bereits in diesem Jahr nach Angaben der ungarischen Regierung in das Land gelangt sein. Demgegenüber stehen in ganz Ungarn weniger als 2.500 Aufnahmeplätze in staatlichen Unterbringungseinrichtungen zu Verfügung. Hinzu kommt die ablehnende Haltung der ungarischen Regierung gegenüber dem Dublin-System (vgl. hierzu VG Münster, B.v. 7.7.2015 - 2 L 858/15.A - juris), so dass auch mit einer entsprechend zügigen Erweiterung der Aufnahmekapazitäten mit zumutbarer Ausstattung nicht zu rechnen ist. Auch kann das Gericht keine Anhaltspunkte dafür erkennen, dass die ungarische behördliche und gerichtliche Praxis die verschärften gesetzlichen Vorgaben nicht befolgen wird.

Das Gericht macht sich ergänzend die Einschätzungen des Verwaltungsgerichts Düsseldorf (B.v. 20.8.2015 - 15 L 2556/15.A - juris), des Verwaltungsgerichts Saarland (B.v. 12.8.2015 - 3 L 816/15 - juris) sowie des Verwaltungsgerichts Kassel (B.v. 7.8.2015 - 3 L 1303/15.KS.A -juris) zu Eigen. Demnach bestehen (zumindest) bei der Zusammenschau der in jüngerer Zeit entstandenen Kapazitätsprobleme einerseits und der gegenüber der bisherigen Rechtslage zulasten der Asylbewerber im Asylverfahrensablauf sowie bei den Inhaftierungsmöglichkeiten vorgenommenen Verschlechterungen derzeit systemische Schwachstellen des ungarischen Asylverfahrens sowie der Aufnahmebedingungen, die mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i. S. v. Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) bergen.

Angesichts der somit wegen Art. 3 Abs. 2 Satz Unterabsatz 2 Dublin-III-VO anzunehmenden Unzuständigkeit Ungarns sind sowohl die in Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheids ausgesprochene Ablehnung des Asylantrags als unzulässig als auch die Abschiebungsandrohung nach Ungarn in Nr. 2 des Bescheids rechtswidrig und aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylVfG gerichtskostenfrei.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung stützt sich auf § 167 Abs. 1 und 2 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen dieses Urteil können die Beteiligten die Zulassung der Berufung innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München

Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder

Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München

schriftlich beantragen. Dem Antrag sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.

Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. In dem Antrag sind die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, darzulegen. Die Berufung kann nur zugelassen werden, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder das Urteil von einer Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder ein in § 138 der Verwaltungsgerichtsordnung bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt.

Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.

Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.

Beschluss:

Dem Kläger wird für das Verfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin ... beigeordnet.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (§ 114 ZPO) und Beiordnung der bevollmächtigten Rechtsanwältin des Klägers (§ 121 Abs. 2 ZPO) hat Erfolg.

Gemäß § 166 VwGO i. V. m. § 114 ZPO ist einer Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

Diese Voraussetzungen sind im Fall der Kläger erfüllt.

Aus der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse und den beigefügten Belegen (§ 166 VwGO i. V. m. § 117 Abs. 2 S. 1 ZPO) ergibt sich, dass der Kläger die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann.

Die beabsichtigte Rechtsverfolgung hatte im maßgeblichen Zeitpunkt auch hinreichende Aussicht auf Erfolg im Sinne des § 176 VwGO i. V. m. § 114 ZPO. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Prüfung der Erfolgsaussicht ist der Zeitpunkt der Entscheidungsreife der Prozesskostenhilfe-Sache. Im Zeitpunkt der Stellung des Antrages auf Prozesskostenhilfe am 9. Februar 2015 waren die Erfolgsaussichten des Klageantrags zumindest offen. Insoweit wird auf die Ausführungen im Beschluss vom 3. Februar 2015 im Verfahren M 23 S 15.50047 verwiesen.

Dem Kläger war daher die beantragte Prozesskostenhilfe zu bewilligen und die bevollmächtigte Rechtsanwältin beizuordnen.

Die Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag ist gerichtsgebührenfrei. Auslagen werden nicht erstattet.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).

Tenor

I.

Der Bescheid der Beklagten vom ... Mai 2015 wird aufgehoben.

II.

Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Rechtsstreit betrifft einen gegenüber dem Kläger (Kl.) verfügten Bescheid der Beklagten (Bekl.), mit dem aufgrund des sogenannten Dublin-Verfahrens ein Asylantrag des Kl. als unzulässig abgelehnt und die Abschiebung des Kl. nach Ungarn angeordnet wurde.

Der Kl. ist nach eigenen Angaben ein im Jahr 1998 geborener afghanischer Staatsangehöriger (Bl. 35; 51 der vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - BAMF - vorgelegten Verwaltungsakte, d. A.), wobei im Verwaltungsverfahren 1996 als Geburtsjahr zugrunde gelegt wurde (Bl. 3; 55 d. A.).

Der Kl. meldete sich am 8. Dezember 2014 als Asylsuchender (Bl. 35 d. A.) und stellte am 20. Januar 2015 einen Asylantrag (Bl. 3 d. A.), woraufhin noch am gleichen Tag ein persönliches Gespräch des BAMF mit dem Kl. zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates zur Durchführung des Asylverfahrens stattfand (Bl. 20 d. A.). Dabei teilte der Kl. unter anderem mit, er könne keine Personalpapiere oder andere Dokumente über seiner Person vorlegen (Nr. 3 der Anhörungsniederschrift - AnhN), sei nicht verheiratet (Nr. 4 der AnhN), habe keine Kinder (Nr. 5 der AnhN) und habe ein Aufenthaltsdokument oder Visum für die Bundesrepublik Deutschland oder einen anderen Staat weder gehabt noch derzeit inne (Nr. 6 der AnhN). Er habe sein Herkunftsland vor dreieinhalb Jahren verlassen und sei über den Iran, die Türkei, Griechenland, Mazedonien (wo er sich 3 Monate in Haft befunden habe), Ungarn und Österreich nach Deutschland gekommen; er habe seither das Gebiet der Dublin-Mitgliedstaaten verlassen, habe aber keine Dokumente, die die Einreise, den Aufenthalt oder das Verlassen der Dublin-Mitgliedstaaten nachweisen (Nr. 7 der AnhN). Er habe in keinem anderen Staat Asyl beantragt oder zuerkannt bekommen (Nr. 8 der AnhN). In Ungarn seien ihm Fingerabdrücke abgenommen worden (Nr. 9 der AnhN). Er sei nicht auf die Unterstützung von - sich in einem Dublin-Mitgliedstaat aufhaltenden - Kindern, Geschwistern oder Eltern angewiesen (Nr. 10 der AnhN). Kinder, Geschwister oder Eltern, die auf seine Unterstützung angewiesen seien, hielten sich nicht in einem Dublin-Mitgliedstaat auf (Nr. 11 der AnhN). Er sei nicht von Personen, mit denen er verwandt sei, aufgrund eines Krieges oder einer bürgerkriegsähnlichen Situation oder durch die anschließende Flucht getrennt worden (Nr. 12 der AnhN). Im Hinblick auf seine Sicherheit und eine faire Durchführung seines Asylantrages solle dieser in keinem anderen Staat geprüft werden (Nr. 13 der AnhN).

Eine vom BAMF am 2. Februar 2015 durchgeführte Eurodac-Recherche ergab hinsichtlich des Kl. einen Treffer für Ungarn (Bl. 39 d. A.). Daraufhin ersuchte das BAMF am 2. April 2015 Ungarn im Rahmen einer DubliNet-Anfrage um Aufnahme des Kl. (Bl. 43-50 d. A.).

Ungarn gab dem Ersuchen des BAMF mit Schreiben vom 8. Mai 2015 im Hinblick auf Art. 18 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EU) 604/2013 statt und akzeptierte die Verantwortlichkeit für die Wiederaufnahme des Kl. (Bl. 54 d. A.); dabei wurde unter anderem mitgeteilt, der Kl. habe in Ungarn am 9. November 2014 einen Asylantrag gestellt

Daraufhin erließ das BAMF den streitgegenständlichen Bescheid (sgB) vom ... Mai 2015 (Bl. 55 d. A.), mit dem der Asylantrag des Kl. als unzulässig abgelehnt (Nr. 1) und die Abschiebung des Kl. nach Ungarn angeordnet (Nr. 2) wurde. Der sgB wurde mit gesondertem Zustellanschreiben vom 20. Mai 2015 bekannt gegeben (Bl. 63 d. A.) und dem Kl. am 21. Mai 2015 gegen Postzustellungsurkunde zugestellt (Bl. 68-69 d. A.).

Mit Klage- und Antragsschrift vom 27. Mai 2015, bei Gericht per Telefax eingegangen am gleichen Tag, beantragte der Bevollmächtigte des Kl. (nachfolgend: Bev.),

den sgB aufzuheben

und die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen. In der Begründung wurde unter anderem vorgetragen, das ungarische Asylsystem leide unter systemischen Mängeln.

Die Bekl. legte mit Schreiben vom 28. Mai 2015, bei Gericht eingegangen am 1. Juni 2015, die Verwaltungsakte vor.

Mit Schriftsatz des Klägerbevollmächtigten vom 9. Juni 2015 verzichtete die Klagepartei auf mündliche Verhandlung.

Mit Schreiben vom 25. Juni 2015 beantragte die Bekl.,

die Klage abzuweisen und den Eilantrag abzulehnen. Gleichzeitig verzichtete die Bekl. auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

Am 1. Juli 2015 ging die Berichterstattung unter anderem für die parallelen Verfahren M 24 K 15.50507 und M 24 S 15.50508 aufgrund einer Änderung der kammerinternen Geschäftsverteilung (Beschluss der 24. Kammer des Verwaltungsgerichts (VG) München vom 16.6.2015) auf den Unterzeichnenden über.

Mit Beschluss vom 17. Juli 2015 hat der Einzelrichter im parallelen Eilverfahren M 24 S 15.50508 die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet.

Mit Kammerbeschluss vom 17. Juli 2015 wurde auch im vorliegenden Klageverfahren der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen.

Der Einzelrichter hat mit Schreiben vom 17. Juli 2015 unter anderem die im Beschluss vom 17. Juli 2015 im parallelen Eilverfahren M 24 S 15.50508 genannten Erkenntnismittel zum Gegenstand auch des vorliegenden Klageverfahrens gemacht.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten der parallelen Verfahren M 24 K 15.50507 und M 24 S 15.50508 sowie auf die vom BAMF vorgelegte Verwaltungsakte Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.

1. Das Gericht konnte gemäß § 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ohne mündliche Verhandlung im schriftlichen Verfahren entscheiden, weil alle Beteiligten klar, eindeutig und vorbehaltlos (vgl. BVerwG, B. v. 24.4.2013 - 8 B 91/12 - juris Rn. 3) auf mündliche Verhandlung verzichtet haben. Die Klagepartei hat mit Schriftsatz vom 9. Juni 2015 und die Beklagtenpartei mit Schreiben vom 25. Juni 2015 auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet. Die Regierung von Oberbayern ist vorliegend zwar gemäß § 63 Nr. 4 VwGO als Vertreter des öffentlichen Interesses (VöI) Verfahrensbeteiligter aufgrund der generellen Beteiligungserklärungen vom 11. Mai 2015 und vom 18. Mai 2015 (vgl. zur Zulässigkeit sog. Generalbeteiligungserklärungen BVerwG, U. v. 27.6.1995 - 9 C 7 /95 - BVerwGE 99, 38, juris Rn. 11). In diesen Erklärungen hat der VöI allerdings darum gebeten, ihm ausschließlich die jeweilige Letzt- und Endentscheidung zu übersenden und damit unter anderem auch auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Das Verwaltungsgericht (VG) München ist entscheidungsbefugt, insbesondere örtlich zuständig nach § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO, weil der Kl. im maßgeblichen Zeitpunkt der Klageerhebung (vgl. § 83 VwGO i. V. m. § 17 Abs. 1 Satz 1 Gerichtsverfassungsgesetz - GVG) seinen Aufenthalt im Gerichtsbezirk zu nehmen hatte.

Der Einzelrichter ist gemäß § 76 Abs. 1 AsylVfG zur Entscheidung berufen, nachdem die innerhalb des VG München zuständige Kammer den Rechtsstreit mit Beschluss vom 17. Juli 2015 auf den Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen hat.

Maßgeblich ist dabei gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylVfG für das gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung ergehende Urteil die Sach- und Rechtslage in dem Zeitpunkt, in dem die Entscheidung gefällt wird.

2. Die Anfechtungsklage gegen den streitgegenständlichen Bescheid ist zulässig, insbesondere innerhalb der 2-Wochen-Frist des § 74 Abs. 1 Halbsatz 1 AsylVfG erhoben worden; § 74 Abs. 1 Halbsatz 2 AsylVfG findet ausweislich des dortigen expliziten Klammerzusatzes ausschließlich in Fällen des § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG Anwendung (vgl. VG Lüneburg, B. v. 15.9.2014 - 5 B 47/14 - juris Rn. 4 m. w. N.).

3. Die Klage ist auch begründet - der streitgegenständliche Bescheid erweist sich im maßgeblichen Zeitpunkt als rechtswidrig und verletzt der Kl. in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).

Rechtsgrundlage der streitgegenständlichen Ablehnung des Asylantrags als unzulässig ist § 27a AsylVfG; Rechtsgrundlage der streitgegenständlichen Abschiebungsanordnung ist § 34a Abs. 1 AsylVfG.

Ein Asylantrag ist gemäß § 27a AsylVfG unzulässig, wenn ein anderer Staat gemäß den Zuständigkeitskriterien der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (Dublin-III-VO) für die Behandlung des Asylantrags zuständig ist. Insbesondere bei Fällen des § 27a AsylVfG sieht § 34a Abs. 1 AsylVfG eine Befugnis des BAMF zur Abschiebungsanordnung in den jeweils zuständigen Staat vor, sobald feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann.

Einschlägig ist dabei im vorliegenden Fall die Dublin-III-VO und nicht die frühere Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (Dublin-II-VO), weil das Gesuch des BAMF nach dem 1. Januar 2014 gestellt wurde. Gemäß Art. 49 Abs. 2 Satz 1 Alternative 2 Dublin-III-VO ist die Dublin-III-VO ungeachtet des Zeitpunkts der Stellung des Antrags auf internationalen Schutz ab dem 1. Januar 2014 auf alle Gesuche um Aufnahme oder Wiederaufnahme von Antragstellern anwendbar.

4. Nachdem Ungarn das Übernahmegesuch des BAMF ausdrücklich akzeptiert hat, und damit wiederaufnahmepflichtig geworden ist (Art. 18 Abs. 1, 23, 25 Dublin-III-VO), kann der Kl. einer Heranziehung dieses Zuständigkeitskriteriums nur damit entgegentreten, dass er systemische Mängel i. S. v. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO geltend macht (vgl. EuGH, U. v. 10.12.2013 - C-394/12 - Rn. 60, NVwZ 2014, 208; VG München, U. v. 9.5.2014 - M 21 K 14.30300 - juris Rn. 41 m. w. N.; BVerwG, B. v. 6.6.2014 - 10 B 35/14 - NVwZ 2014, 208 Rn. 6).

Auf die Frage, ob sich im Ausgangspunkt eine Zuständigkeit Ungarns in der Sache aus Art. 13 Abs. 1 Dublin-III-VO ergibt, weil eine vorrangige Zuständigkeit Griechenlands aufgrund Art. 13 Dublin-III-VO gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO aufgrund der dort bestehenden systemischen Mängel des Asylsystems nicht in Betracht kommt (vgl. EuGH (Große Kammer), U. v. 14.11.2014 - C-4/11 - NVwZ 2014, 129; EGMR, Entsch. v. 6.9.2011 - 51599/08 - NVwZ 2012, 1233; EGMR (Große Kammer), U. v. 21.1.2011 - 30696/09 - NVwZ 2011, 413), kommt es deshalb vorliegend nicht an; ebenso nicht darauf, dass die Zuständigkeit Ungarns auch nicht erloschen wäre gemäß Art. 13 Abs. 1 Satz 2 Dublin-III-VO, weil der Kl. in Ungarn spätestens am 9. November 2014 einen Asylantrag gestellt hat und zu diesem (gemäß Art. 7 Abs. 2 Dublin-III-VO maßgeblichen) Zeitpunkt die in Art. 13 Abs. 1 Satz 2 Dublin-III-VO vorgesehene Frist von 12 Monaten nicht abgelaufen war. Es ist dabei nicht ersichtlich, dass ein anderer Staat einen Selbsteintritt i. S. v. Art. 17 Dublin-III-VO erklärt hätte oder dass die Zuständigkeit Ungarns gemäß Art. 19 Abs. 2 oder 3 Dublin-III-VO erloschen wäre. Schließlich ist die Zuständigkeit Ungarns im Ausgangspunkt auch nicht schon aus verfahrensbezogenen Gründen auf die Bundesrepublik Deutschland (oder einen anderen Mitgliedstaat) übergegangen - die 6-monatige Überstellungsfrist des Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin-III-VO ist im Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung noch nicht abgelaufen, so dass die Zuständigkeit bislang im Ausgangspunkt bei Ungarn verblieben und nicht gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin-III-VO auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen wäre. Auch im Übrigen sind keine Verfahrensfehler im Hinblick auf das Aufnahmegesuch des BAMF ersichtlich (vgl. Art. 20-29 Dublin-III-VO).

5. Die somit an sich anzunehmende Zuständigkeit Ungarns scheitert allerdings gleichwohl an Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO, weil das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Ungarn an systemischen Mängeln leiden und ernsthafte, durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme bestehen, dass der Kl. tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i. S. v. Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) ausgesetzt zu werden.

Dabei können sich betroffene Asylantragsteller auch persönlich auf den Ausschlussgrund des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO berufen, weil dieser seinerseits auf die grundrechtliche Wertung des Art. 4 GRCh als eines subjektiven Schutzrechts auch gegen die (die unionsrechtliche Dublin-III-VO vollziehende) Bundesrepublik Deutschland zurückgeht (Art. 51 Abs. 1 Satz 1 GRCh; vgl. EuGH (Große Kammer), U. v. 14.11.2013 - C-4/11 - juris Rn. 36 f. - NVwZ 2014, 129). In dieser Verfahrensweise liegt eine Subsumtion der unmittelbar anwendbaren Dublin-III-VO selbst, nicht dagegen eine teleologische Reduktion oder gar eine inzidente Verwerfung der Dublin-III-VO.

Dabei hat das Gericht in erster Linie auf die jeweils (bezogen auf den nach Art. 77 Abs. 1 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt) aktuelle Situation abzustellen, weswegen frühere Gerichtsentscheidungen, die spätere (aktuelle) Erkenntnismittel noch nicht berücksichtigen konnten, bei der gerichtlichen Entscheidungsfindung nicht entscheidend herangezogen werden.

5.1. Das Gericht geht davon aus, dass das ungarische Asylsystem im maßgeblichen Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung sowohl im Hinblick auf die Ausgestaltung des Asylverfahrens als auch im Hinblick auf die Unterbringungsbedingungen von Asylbewerbern derzeit an systemischen Schwachstellen i. S. v. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO leidet.

Das Gericht legt seiner Einschätzung zum einen die verfügbaren Informationen über die stetig ansteigende Zahl von Asylbewerbern in Ungarn zugrunde. Ungarn hatte im Jahr 2014 einen relativen Anstieg der Asylbewerberzahlen von 126% zu verzeichnen (vgl. EASO-Jahresbericht 2014 über die Asylsituation in der EU, Annual Report on the Situation of Asylum in the European Union 2014 - S. 17 und 16; abrufbar im Internet unter:

https://easo.europa.eu/latest-news/annual-report-2014/).

Das Gericht geht davon aus, dass das ungarische Asylsystem bei der Aufnahme von Asylbewerbern unter erheblichen Kapazitätsproblemen leidet, die auch von der ungarischen Regierung selbst betont worden sind (vgl. beck-aktuell, „Ungarn verschärft Asylrecht“, becklink 2000486, wo unter anderem der ungarische Innenminister mit der Aussage zitiert wird, die ungarischen Flüchtlingsunterkünfte seien zu 130% belegt“).

Gleichzeitig liegen dem Gericht veröffentlichte Meldungen darüber vor, dass das ungarische Parlament am 6. Juli 2015 eine Verschärfung des ungarischen Asylrechts beschlossen hat (vgl. beck-aktuell, „Ungarn verschärft Asylrecht“ vom 7.7.2015, becklink 2000486). Danach soll unter anderem das Asylverfahren annulliert werden, wenn Asylsuchende die ihnen zugewiesenen Aufenthaltsorte länger als 48 Stunden verlassen; gleichzeitig sollen Flüchtlinge bis zum Ende ihres Asylverfahrens inhaftiert werden dürfen.

5.2. Das Gericht macht vor diesem Hintergrund die folgenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts Münster einschließlich des dortigen Rückgriffs auf im Internet verfügbare Erkenntnismittel zum Gegenstand der vorliegenden Entscheidung (VG Münster, B. v. 7.7.2015 - 2 L 858/15.A - im Internet abrufbar unter

http://www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/vg_muenster/j2015/2_L_858_15_A_Beschluss_20150707.html,

dort Rn. 9-27):

„[9] Allerdings kann nach Einschätzung des Gerichts unter Berücksichtigung des vorliegenden neueren Erkenntnismaterials sowie der geänderten Positionierung des ungarischen Staates zur Aufnahmebereitschaft von Asylbewerbern im Rahmen des Dublin-Übereinkommens aktuell nicht mehr mit der erforderlichen Gewissheit davon ausgegangen werden, dass in Ungarn systemische Mängel bzw. Schwachstellen des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber nicht anzunehmen sind. Vielmehr gibt die jüngste Entwicklung in Ungarn Anlass zu der Annahme, dass gravierende Anhaltspunkte für das Bestehen systemischer Mängel vorhanden sind, aufgrund derer der Antragsteller im Falle der Rückführung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Gefahr liefe, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK ausgesetzt zu sein.

Ausgangspunkt für diese Bewertung ist das in Ungarn sich in jüngster Zeit massiv zuspitzende Kapazitätsproblem bei der Aufnahme von Asylbewerbern bedingt durch die stetig ansteigende Zahl von Asylbewerbern. Während in Ungarn im Jahre 2012 lediglich 2.157 Asylanträge gestellt wurden, stieg die Anzahl der Asylbewerber im Jahre 2013 auf 18.900 an und verdoppelte sich im Jahre 2014 auf 42.777. Vom 1. Januar 2015 bis zum 1. März 2015 registrierten die ungarischen Behörden bereits eine Anzahl von 28.535 Personen.

Vgl. Hungarian Helsinki Committee (HHC), Bericht vom 4. März 2015 (abrufbar unter http://helsinki.hu/wp-content/uploads/Asylum-2015-Hungary-press-info-4March2015.pdf.

Bis zu 72.000 Flüchtlinge sollen bereits in diesem Jahr nach Angaben der ungarischen Regierung in das Land gelangt sein.

Vgl. spiegelonline: Überlastetes Asylsystem, Ungarn verschärft Gesetz zur Aufnahme von Flüchtlingen, Bericht vom 6. Juli 2015, abrufbar unter: http://www.spiegel.de/politik/ausland/ungarn-verschaerft-gesetzzur-aufnahme-von-flüchtlingen.

Ungarn gehört damit in der EU zum drittgrößten Zuwanderungsland für Asylbewerber.

Vgl. Hungarian Helsinki Committee (HHC), Bericht vom 4. März 2015,a. a. O..

Hinzu kommt noch, dass Ungarn nach der Dublin-VO verpflichtet ist, alle weitergereisten Personen, die erstmals in Ungarn einen Asylantrag gestellt haben, wiederaufzunehmen. Dieser großen Anzahl von Asylbewerbern steht demgegenüber nur eine geringe Zahl von Aufnahmeplätzen gegenüber. Wie dem jüngsten Bericht des European Asylum Support Office (EOS) vom 18. Mai 2015 zu entnehmen ist, der eine ausführliche aktuelle Berichterstattung über das ungarische Asylsystem enthält,

http://easo.europa.eu/wp-content/uploads/Description-of-the-Hungarian-asylum-system-18-May-final.pdf;

gibt es in ganz Ungarn weniger als 2.500 Aufnahmeplätze in staatlichen Unterbringungseinrichtungen. Die Plätze verteilen sich auf vier offene Aufnahmeeinrichtungen (Bicske 439, Debrecen 823, Vamaosszabadi 255, Nagyfa 300 sowie in Balassagyarmat 111) und drei geschlossene Lager (Debrecen 192, Bekescsabe 159, Nyirbator 105).

Bereits diese Zahlen verdeutlichen das bestehende massive Unterbringungsproblem in Ungarn. Es kann angesichts dieser Größenordnung bei einer Zuwanderung von mehr als 60.000 Flüchtlingen innerhalb eines halben Jahres ersichtlich nicht davon ausgegangen werden, dass die erheblich zu geringe Zahl an staatlichen Unterbringungsplätzen für Asylbewerber auch nur ansatzweise durch von Kirchen und sonstigen nichtstaatlichen caritativen Einrichtungen aufgefangen werden könnte.

Hinzu kommt, dass sich der ungarische Staat selbst weder willens noch in der Lage sieht, die Unterbringung und Versorgung der stetig ansteigenden Zahl von Asylbewerbern zu gewährleisten. Dass bereits seit einigen Monaten von den ungarischen Behörden die Situation der Flüchtlingsunterbringung als dramatisch eingestuft wird, zeigt der Umstand des bereits Ende Mai 2015 erklärten Aufnahmestopps von Asylbewerbern im Rahmen des Dublin-Transfers wegen ausgeschöpfter Aufnahmekapazitäten bis zum 5. August 2015.

S. E-Mail der Dublinet Hungary vom 29. Mai 2015 an die Europäischen Mitgliedsstaaten betr. INFO Transfer Stop.

Als erschwerend ist die ablehnende Haltung der ungarischen Regierung gegenüber dem Dublin-Übereinkommen anzusehen, die das gesamte Dublin-Konzept als ein Systemfehler bezeichnet. Seitens der ungarischen Regierung wird unmissverständlich deutlich gemacht, dass man eine nennenswerte Zuwanderung sog. Wirtschaftsflüchtlinge nicht wünsche und Ungarn keine multikulturelle Gesellschaft werden wolle.

Vgl. Hungarian Helsinki Committee (HHC), Bericht vom 4. März 2015, a. a. O.; Die Welt, Bericht vom 24. Juni 2015, Flüchtlingskrise: Warum Ungarn Angst vor zu vielen Asylbewerbern hat, abrufbar unter: http://www.welt.de/143027058; Süddeutsche Zeitung, Bericht vom 24. Juni 2015, Die ungarische Regierung will Flüchtlinge ab sofort aussperren.

Die mangelnde Bereitschaft der ungarischen Regierung zur Aufnahme von Dublin-Rückkehrern gipfelte schließlich in der am 23. Juni 2015 erfolgten Ankündigung des Regierungschef Orban, das EU Abkommen zur Aufnahme von Flüchtlingen auszusetzen. Begründet wurde diese Entscheidung mit dem Hinweis, dass die Kapazitäten ausgeschöpft seien („Das Boot ist voll“) und die ungarische Interessen sowie die ungarische Bevölkerung geschützt werden müssten.

Vgl. Die Welt, Bericht vom 24. Juni 2015, Flüchtlingskrise: Warum Ungarn Angst vor zu vielen Asylbewerbern hat; aa0; Süddeutsche Zeitung, Bericht vom 24. Juni 2015, a. a. O.

Wenn auch diese Ankündigung bereits einen Tag später zurückgenommen wurde, so macht sie doch auf der einen Seite die dramatische Unterbringungssituation für die Flüchtlinge in Ungarn deutlich wie auch auf der anderen Seite die fehlende Bereitschaft staatlicher Stellen, die Aufnahme von Flüchtlingen zu unterstützen und deren menschwürdige Unterbringung zu garantieren. Vielmehr ist zu konstatieren, dass die ungarische Regierung die Politik der Ausgrenzung weiter forciert. Ungeachtet internationaler Kritik hat Ungarn die Regeln für die Einwanderung verschärft. Am Montag, den 6. Juli 2015 verabschiedete das ungarische Parlament eine Verschärfung der gesetzlichen Rahmenbedingungen. Der Zeitrahmen für Asylverfahren wird gekürzt werden. Mit der neuen Rechtslage wird ermöglicht, Asylanträge von Flüchtlingen abzulehnen, die über sichere Transitländer nach Ungarn gereist sind - selbst wenn sie aus Bürgerkriegsländern wie Syrien, Afghanistan oder dem Irak stammen. Vorgesehen ist überdies, dass Asylbewerber zukünftig selbst für Kost und Unterbringung während der Antragsbearbeitung zahlen sollen.

Vgl. spiegelonline. Überlastetes Asylsystem, aa0; Die Welt, Bericht vom 6. Juli 2015 Zuwanderung: Ungarn zieht Grenzzaun gegen Flüchtlinge hoch, abrufbar unter: http://www.welt.de/143651657.“

5.3. Das Gericht geht vor diesem Hintergrund mit dem VG Münster beim ungarischen Asylsystem derzeit von einer Kombination sowohl äußerst restriktiver Asylverfahrensregelungen als auch von einer dramatischen Unterbringungssituation aus. Bei der Zusammenschau der in jüngerer Zeit entstandenen Kapazitätsprobleme einerseits und der gegenüber der bisherigen Rechtslage zulasten der Asylbewerber im Asylverfahrensablauf sowie bei den Inhaftierungsmöglichkeiten vorgenommenen Verschlechterungen bestehen nach Ansicht des Gerichts derzeit systemische Schwachstellen des ungarischen Asylverfahrens sowie der Aufnahmebedingungen, die die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i. S. v. Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) bergen.

Dabei ist zu sehen, dass der UNHCR, dessen Wertungen im Kontext der Prüfung des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO maßgebliches Gewicht zukommt (EuGH, U. v. 30.5.2013 - C-528/11 - Rn. 44, NVwZ-RR 2013, 660), bereits im Vorfeld der zwischenzeitlich beschlossenen Gesetzesänderungen Bedenken angemeldet und sich insoweit als „tief besorgt“ (deeply concerned) bezeichnet hatte (vgl. den im Internet veröffentlichten englischsprachigen Kommentar vom 3.7.2015: UNHCR urges Hungary not to amend asylum system in haste; abrufbar unter:

http://www.unhcr.org/559641846.html ).

Unter anderem hatte der UNHCR ausgeführt, dass das Asylsystem Ungarns bereits vor der Novelle immer restriktiver geworden war; es werde befürchtet, dass die neuen Vorschläge es Flüchtlingen unmöglich machen wird, in diesem Land Sicherheit zu suchen.

Letzteres ist aus Sicht des Gerichts infolge der zwischenzeitlichen Entwicklung derzeit anzunehmen. Nachdem der UNHCR selbst bemerkt, dass das ungarische Asylsystem vor der aktuellen Novelle zunehmend restriktiver geworden war, sieht das Gericht auch die jüngsten Verschärfungen der Haftbedingungen und insbesondere die neue Regelung zur Annullierung des Asylantrags bei über 48-stündiger Abwesenheit vom zugewiesenen Aufenthaltsort vor dem Hintergrund der vom UNHCR bereits zur früheren Rechtslage und Flüchtlingssituation geäußerten deutlichen Kritik - vgl. insoweit:

- Schreiben des UNHCR vom 9. Mai 2014 an das VG Düsseldorf im Verfahren 13 L 172/14.A (nachfolgend: UNHCR v. 9.5.2014; abrufbar in der öffentlich zugänglichen Datenbank MILO des BAMF);

- Schreiben des UNHCR vom 30. September 2014 an das VG Düsseldorf im Verfahren 13 K 501/14.A (nachfolgend: UNHCR v. 30.9.2014; abrufbar in der öffentlich zugänglichen Datenbank MILO des BAMF).

Daraus ergab sich bereits zur früheren Situation vor dem 6. Juli 2015 unter anderem, dass es Verwaltungsentscheidungen, mit denen die Asylhaft gegenüber Erstantragstellern angeordnet wird, regelmäßig an einer einzelfallbezogenen Begründung fehlte; der UNHCR ging davon aus, dass haftanordnende Entscheidungen weder den konkreten Haftgrund, noch Angaben dazu enthalten, warum die Inhaftierung aus Sicht der zuständigen Behörde im konkreten Einzelfall erforderlich und angemessen ist und keine anderen milderen Mittel in Betracht kommen, um eine Verfügbarkeit des Antragstellers im Asylverfahren sicherzustellen (vgl. UNHCR v. 9.5.2014, zu Frage 3, S. 2; UNHCR v. 30.9.2014, zu Frage 4, S. 2). Vielmehr sei vollkommen intransparent und daher nicht vorhersehbar, welche Asylbewerber in Ungarn verhaftet würden und welche nicht und warum (vgl. UNHCR v. 9.5.2014, zu Frage 3, S. 2; UNHCR v. 30.9.2014, zu Frage 4, S. 2). Dabei wurden die bestehenden Rechtsschutzmöglichkeiten gegen die Asylhaft als ineffektiv und im Ergebnis wirkungslos bewertet; selbstständige Rechtsbehelfe stünden gegen die behördliche Anordnung der Asylhaft nicht zur Verfügung (vgl. UNHCR v. 9.5.2014, zu Frage 7, S. 6-7; UNHCR v. 30.9.2014, zu Frage 11, S. 6-7). Die Überprüfung der Haftanordnungen erfolge vielmehr im Rahmen einer automatischen gerichtlichen Haftüberprüfung in einem 60-Tage-Rhythmus, wobei für den einzelnen Überprüfungstermin regelmäßig nur wenige Minuten zur Verfügung stünden (UNHCR v. 9.5.2014, zu Frage 7, S. 7; UNHCR v. 30.9.2014, zu Frage 11, S. 6-7). Hinzu komme, dass nach einer Untersuchung, die das höchste Gericht Ungarns (Kuria) in den Jahren 2011 und 2012 durchgeführt habe, die automatische Haftüberprüfung (durch dieselben Gerichte, die auch nach neuem Recht für die Überprüfung zuständig sind), lediglich in drei von 5.000 bzw. 8.000 Fällen tatsächlich zu einer Aufhebung der Haftanordnung geführt habe (vgl. UNHCR v. 9.5.2014, zu Frage 7, S. 7; UNHCR v. 30.9.2014, zu Frage 11, S. 6-7). Hinzu komme, dass dem UNHCR hinsichtlich der vom ungarischen Asylrecht seinerzeit neben der automatischen Haftprüfung dem Asylbewerber eingeräumten Möglichkeit einer "objection", also einer Art Einspruch gegen die Anordnung der Asylhaft, seit der Wiedereinführung der Asylhaft zum 1. Juli 2013 kein einziger Fall bekannt geworden war, in dem ein solcher Einspruch tatsächlich erhoben worden sei; nach Einschätzung des UNHCR seien Asylbewerber in der Praxis überhaupt nicht über diesen Rechtsbehelf informiert bzw. seitens der zuständigen Behörden von einer Einlegung abgehalten worden mit dem Hinweis darauf, dass dieser Rechtsbehelf ungeeignet sei, die Rechtmäßigkeit der Haftentscheidung anzugreifen, (vgl. UNHCR v. 9.5.2014, zu Frage 7, S. 6-7; UNHCR v. 30.9.2014, zu Frage 11, S. 6-7).

Es kann dahinstehen, inwieweit bereits diese frühere Kritik des UNHCR für sich allein betrachtet hinreichte, um von systemischen Mängeln des ungarischen Asylverfahrens derart auszugehen, dass darin eine hinreichende Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung i. S. v. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO lag oder nicht. Denn jedenfalls in der Zusammenschau der jüngsten Verschärfung der Inhaftierungsmöglichkeiten und der gleichzeitigen Einführung einer Annullierungsregelung bei mehr als 48-stündiger Abwesenheit vom zugewiesenen Aufenthaltsort ist von einer derartigen Gefahr auszugehen, weil gleichzeitig - von der ungarischen Regierung selbst eingeräumt - in Ungarn erhebliche Kapazitätsengpässe bestehen. Wenn nämlich die Haft während des gesamten Asylverfahrens aufrechterhalten werden kann, gleichzeitig aber keine ausreichenden Kapazitäten für die Durchführung der enorm gestiegenen Verfahrenszahlen zur Verfügung stehen, ist angesichts der bereits in der Vergangenheit zu konstatierenden geringen Rechtsbehelfsmöglichkeiten gegen Asylhaft von einer in einer Vielzahl von Fällen systemisch-unverhältnismäßigen Inhaftierungspraxis auszugehen. Weil gleichzeitig angesichts der erheblichen Kapazitätsdefizite nicht von einer hinreichend effizienten Durchführung des Asylverfahrens ausgegangen werden kann, müssen auch tatsächlich verfolgte Asylantragsteller damit rechnen, ohne überwiegende Gründe mit einer zeitlich nicht hinreichend begrenzten Haftsituation konfrontiert zu werden, obwohl sie mit dem Asylantrag nur von ihrem Menschenrecht auf Asyl Gebrauch machen. Hierin liegt nicht nur im Hinblick auf die Asylhaft eine systemische Schwachstelle des ungarischen Asylverfahrens. Infolge der Kapazitätsengpässe ist auch nicht ersichtlich, dass diese Verfahrensweise den Zweck des Asylverfahrens, nämlich die Klärung der Frage, ob tatsächlich Asylgründe vorliegen oder nicht, maßgeblich befördern würde. Das ungarische Asylsystem in seiner aktuellen Ausgestaltung ist deshalb von erheblichen Verfahrensrestriktionen gekennzeichnet, gewährleistet aber gleichzeitig nicht die Erreichung des Zwecks des Asylverfahrens. Das gilt angesichts der Neuregelung auch in Fällen, in denen keine Asylhaft angeordnet wird, im Hinblick auf die Annullierungsregelung bei mehr als 48-stündiger Abwesenheit. Denn es ist nicht zu verkennen, dass eine formale Annullierungsregelung gerade bei solchen Personen, die tatsächlich Verfolgung erlitten haben, einen besonderen Druck erzeugt, von ihrer Bewegungsfreiheit keinen Gebrauch zu machen, wobei andererseits angesichts der beschriebenen erheblichen Kapazitätsengpässe auch insoweit nicht davon auszugehen ist, dass diese Einschränkung zeitlich überschaubar wäre oder ihrerseits den Zweck des Asylverfahrens befördern könnte. Auch insoweit ist von einer systemischen Schwachstelle des ungarischen Asylverfahrens auszugehen.

Hinzu kommt, dass die im Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung veröffentlichten aktuellen Stellungnahmen der Non-Government-Organisationen zur aktuellen Lage der Asylbewerber in Ungarn nach der am 6. Juli 2015 beschlossenen Gesetzesnovelle keine andere Einschätzung nahelegen (vgl. die Stellungnahme von proasyl „Kein Schutz für niemanden: Ungarn verabschiedet sich vom Flüchtlingsrecht“ (abrufbar unter:

http://www.proasyl.de/de/news/detail/news/kein_schutz_fuer_niemanden_ungarn_verabschiedet_sich_vom_fluechtlingsrecht/?cHash=768f0edf92619027d9b26d3c44fd17f2&no_cache=1&sword_list%5B0%5D=ungarn&sword_list%5B1%5D=kein&sword_list%5B2%5D=schutz&sword_list%5B3%5D=f%C3%BCr&sword_list%5B4%5D=niemanden ).

Zusammenfassend kommen derzeit angesichts der beschriebenen systemischen Schwachstellen des ungarischen Asylverfahrens i. S. v. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO Überstellungen von Asylbewerbern nach Ungarn nicht in Betracht.

6. Angesichts der somit wegen Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO anzunehmenden Unzuständigkeit Ungarns ist die in Nr. 1 des sgB ausgesprochene Ablehnung des Asylantrages als unzulässig und damit auch die Abschiebungsanordnung nach Ungarn in Nr. 2 des sgB rechtswidrig.

Dabei ist Nr. 1 des sgB (Ablehnung des Asylantrages als unzulässig) im Zusammenhang mit der explizit auf Ungarn bezogenen Nr. 2 des sgB (Abschiebungsanordnung) zu sehen, wobei zusätzlich auch die Begründung des Bescheides von der Unzulässigkeit nach § 27a AsylVfG deshalb ausgeht, weil Ungarn (wie gezeigt unrichtiger Weise - s. o.) für zuständig gehalten wird. Die Ablehnung des bei der Bundesrepublik Deutschland gestellten Asylantrages als unzulässig gerade wegen der Zuständigkeit Ungarns macht die eigentliche Regelung der Nr. 1 des sgB im konkreten Einzelfall aus (vgl. § 35 Satz 1 Verwaltungsverfahrensgesetz - VwVfG). Wegen des so zum Ausdruck gebrachten (wie gezeigt unrichtigen - s. o.) Bezugs zur Zuständigkeit Ungarns handelt es sich bei Nr. 1 des sgB auch nicht nur um einen bloß deklaratorischen Hinweis auf eine nach § 27a AsylVfG bestehende gesetzliche Rechtslage; vielmehr beinhaltet Nr. 1 des sgB eine echte (feststellende) Regelung und stellt mithin einen Verwaltungsakt i. S. v. § 35 VwVfG dar, der der (isolierten) Anfechtung zugänglich ist (vgl. BayVGH, U. v. 28.2.2014 - 13a B 13.30295 - juris Rn. 22; BayVGH, B. v. 11.3.2015 - 13a ZB 14.50043 - juris Rn. 6). Da somit Nr. 1 des sgB im Ergebnis ebenso wie auch die Abschiebungsanordnung eine auf die Zuständigkeit Ungarns bezogene Regelung darstellt, Ungarn aber - wie gezeigt - tatsächlich wegen Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO unzuständig ist (s.o.), ist auch Nr. 1 des Bescheides schon aus diesem Grund aufzuheben.

Dabei kommt es für den Erfolg der vorliegenden Anfechtungsklage hinsichtlich Nr. 1 des sgB auch nicht darauf an, ob eine Zuständigkeit anderer Dublin-Staaten - etwa gemäß Art. 13 Abs. 2 Dublin-III-VO - (noch) besteht oder nicht. Die gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO von der Bundesrepublik Deutschland in erster Linie geforderte Fortsetzung der Prüfung der Zuständigkeitskriterien der Dublin-III-VO ist nämlich nicht Gegenstand des vorliegend angefochtenen Bescheides, deshalb auch nicht Streitgegenstand der vorliegenden Anfechtungsklage und infolge dessen auch nicht vom Gericht, sondern außerhalb des vorliegenden Klageverfahrens vom BAMF durchzuführen. Denn ausweislich der Verwaltungsakte hat das BAMF die Zuständigkeit anderer Dublin-Staaten als Ungarn weder im Bescheid noch im Verwaltungsverfahren thematisiert und insbesondere keine entsprechenden (weiteren) Anfragen bei anderen Dublin-Staaten nach den hierfür vorgesehenen unionsrechtlich vorgesehenen Verfahren durchgeführt.

Auch der Anwendungsvorrang der Dublin-III-VO führt nicht dazu, dass das Gericht die in Nr. 1 des sgB (wegen im Ergebnis unrichtig angenommener Zuständigkeit Ungarns) verfügte Ablehnung des Asylantrags als unzulässig nur dann aufheben dürfte, wenn gerichtlicherseits feststeht, dass außer der Bundesrepublik Deutschland kein anderer Dublin-Mitgliedstaat zuständig ist.

Es kann dabei dahinstehen, inwieweit unter der Geltung der früheren Dublin-II-Verordnung eine derartige Prüfung angezeigt war oder ob nicht vielmehr schon nach der Dublin-II-VO das BAMF (als die Bundesrepublik Deutschland vertretende Behörde) zunächst die Möglichkeit haben musste, einen anderen Mitglied- bzw. Vertragsstaat, der nachrangig zuständig ist, zu ersuchen. Schon zur Dublin-II-VO hat es - anders als zur (unbestrittenen) Statthaftigkeit der Anfechtungsklage (vgl. BayVGH, B. v. 11.3.2015 - 13a ZB 14.50043 - juris Rn. 6 m. w. N.) - für die Frage, inwieweit das Gericht (im Rahmen dieser Anfechtungsklage) anstelle des BAMF die Zuständigkeit weiterer (nachrangiger) Dublin-Staaten vorzunehmen hat, keine abschließende Klärung gegeben (vgl. zur Dublin-II-VO einerseits VGH BW, U. v. 16.4.2014 - A 11 S 1721/13 - InfAuslR 2014, 293, juris Rn. 18; andererseits OVG NRW, U. v. 7.3.2014 - 1 A 21/12.A - DVBl 2014, 790, juris Rn. 31).

Jedenfalls seit der expliziten Einführung der Pflicht zur Fortsetzung der Prüfung in Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO, zu der es in der früheren Dublin-II-VO keine explizite Vorgängerregelung gab, kommen für eine solche fortgesetzte Prüfung ausschließlich die dort vorgesehenen Verfahrensabläufe in Betracht. Dabei spricht für die genannte Beschränkung der gerichtlichen Prüfung auf die im streitgegenständlichen Bescheid des BAMF vorgegebene Auswahl anderer Dublin-Staaten vor allem Art. 35 Dublin-III-VO. Denn Art. 35 Dublin-III-VO geht hinsichtlich der Durchführung der Dublin-III-VO von explizit gegenüber der Kommission zu benennenden „Behörden“ - also Stellen der Exekutive, nicht aber der Judikative - mit entsprechenden Veröffentlichungsverfahren aus. Für die Bundesrepublik Deutschland ist dies aber hinsichtlich der Übermittlung von Aus- und Wiederaufnahmeersuchen gerade das BAMF (vgl. auch § 2 Abs. 1 der Verordnung zur Neufassung der Asylzuständigkeitsbestimmungsverordnung - AsylZBV). Nur das BAMF als Verwaltungsstelle kann die nach der Dublin-III-VO vorgesehenen Fristläufe nach den dort (insbesondere in Art. 21 Abs. 3 und Art. 23 Abs. 3 Dublin-III-VO) vorgesehenen Verfahrensweisen erfüllen und nur gegenüber dem BAMF können andere Dublin-Mitgliedstaaten die für sie geltenden Fristen wahren. Dafür spricht nicht zuletzt auch Art. 15 Abs. 1 der Verordnung (EG) 1560/2003 (EU-Asylantragszuständigkeits-DVO), wonach sämtliche Gesuche und Antworten zwischen Mitgliedstaaten über das dort näher geregelte „DubliNet“ übermittelt werden, wohingegen für das Gericht keine Nutzung des DubliNet vorgesehen ist. Soweit aber andere Dublin-Staaten nicht innerhalb der unionsrechtlich vorgesehenen (zwischenbehördlichen) Verfahren eingebunden sind und soweit deshalb auch die Regelungswirkung einer Feststellung nach § 27a AsylVfG sich darauf nicht erstreckt (s. o.), kommt vor diesem Hintergrund eine diesbezügliche gerichtliche Prüfung (mit entsprechenden Bindungswirkungen gegenüber der am Rechtsstreit beteiligten Bundesrepublik Deutschland - vgl. § 121 VwGO) nicht in Betracht.

7. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylVfG).

8. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 Abs. 2 und Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).

Gründe

1

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO hat Erfolg. Dem steht die im Beschluss vom 09.06.2015 (9 B 374/15) wegen Verfristung entschiedene Unzulässigkeit des Antrages nach § 80 Abs. 5 VwGO nicht entgegen. Sinn und Zweck einer einstweiligen Regelung im Eilrechtschutzverfahren ist es, Zwischenentscheidungen zu treffen, die es vermeiden, dass während der Dauer des Rechtsstreites in der Hauptsache vollendete Tatschen geschaffen werden. Der dafür notwendige Anordnungsgrund und der Anordnungsanspruch sind gegeben. Die Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) ergibt sich aus der für den 09.09.2015 geplanten Abschiebung des Antragstellers. Ebenso ist ein Anordnungsanspruch gegeben. Denn im anhängigen gerichtlichen Verfahren hat sich eine Änderung der Sach- und Rechtslage ergeben. Nach der neuerlichen Richtlinie des Bundesamtes vom August 2015 werden Dublin-Verfahren syrischer Staatsangehöriger zum gegenwärtigen Zeitpunkt weitestgehend faktisch nicht weiter betrieben. Danach wird auch bei „vollziehbaren Abschiebungsandrohungen“ und „angestoßenen Überstellungen“ das „Dublin-Verfahren abgebrochen“ und das „Selbsteintrittsrecht sofort ausgeübt“ und die „Überstellung storniert“. Warum dies im vorliegenden Fall nicht geschieht, entzieht sich der Kenntnis des Gerichts. In einer E-Mail der Antragsgegnerin an die Prozessbevollmächtigte des Antragstellers heißt es dazu, „dass das Verfahren des von Ihnen vertretenen jungen Syrers so weit vorangeschritten ist, dass die Überstellung durchgeführt wird.“ Dies stellt keine ordnungsgemäße Ermessensausübung bzw. Gleichbehandlung dar, worauf der Antragsteller einen Anspruch hat. Auch wenn es sich bei der „Richtlinie“ bzw. „Leitlinie“ um keine gesetzliche Regelung in Sinne eines formellen Gesetzes handelt, hat sich die Beklagte damit im Sinne einer Verwaltungsvorschrift eine (selbst)bindende Regelung gegeben, die gerade eine gleichmäßige Anwendung und damit eine Vereinfachung der Verfahren garantieren soll.

2

Vom rechtlichen Regelungsgehalt der „Leitlinie“ im Sinne eines einklagbaren Anspruchs abgesehen, hat der Antragsteller einen Anordnungsanspruch aufgrund veränderter Umstände. Zum Zeitpunkt der jetzigen gerichtlichen Entscheidung haben sich die politischen Ereignisse in Ungarn im Zusammenhang mit dem Dublin-Abkommen überschlagen. Wie die Kammer bereits in ständiger Rechtsprechung ausführt, verhält sich Ungarn nicht unionskonform und es ist anzunehmen, dass Ungarn wegen der Inhaftierung von Asylbewerbern und den Mängeln in den Unterbringungen systemische Mängel im Asylsystem aufweist. Zudem hat Ungarn unlängst Verschärfungen des nationalen Asylrechts beschlossen.

3

Unter diesen tatsächlichen Umständen kann es das Gericht nicht verantworten, den Antragsteller im Zeitpunkt dieser, innerhalb weniger Stunden unter den Gegebenheiten einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage zu treffenden, gerichtlichen Eilentscheidung nach Ungarn abzuschieben.

4

Dementsprechend ist dem Antrag des Antragstellers auf vorläufigen Rechtsschutz nachzukommen und zur weiteren Begründung darf auf den Vortrag des Antragstellers verwiesen werden (§ 117 Abs. 5 VwGO analog).

5

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83 b Abs. 1 AsylVfG.


Tenor

Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 31.7.2015 wird aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.


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Tenor

Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 17.7.2015 wird aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.


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Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.

2. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

3. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung wird abgelehnt.

4. Der Gegenstandswert beträgt 2.500,00 EUR.

Gründe

I.

Der nach eigenen Angaben 1974 geborene Antragsteller ist irakischer Staatsangehöriger und kurdischer Yezide. Er reiste seinen Angaben zufolge am 10. Mai 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte am 22. Juli 2015 seine Anerkennung als Flüchtling.

Den Erkenntnissen des Bundesamtes zufolge (EURODAC-Treffer) lagen Anhaltspunkte vor für die Zuständigkeit eines anderen Staates gemäß der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin-III-Verordnung). Mit E-Mail vom 23. Juli 2015 erhielt der Antragsgegner Mitteilung, dass für den Antragssteller ein EUROCAC-Treffer für Ungarn unter der Nummer ... vorliegt.

Am 21. September 2015 wurde ein Übernahmeersuchen nach der Dublin-III-Verordnung an Ungarn gerichtet. Die ungarischen Behörden haben hierauf keine Antwort erteilt.

Im Rahmen des Gesprächs zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 7. September 2015 gab der Antragsteller an, ein Bruder befände sich in Deutschland. Er gab an, zunächst nach Bulgarien eingereist zu sein. In Ungarn seien ihm Fingerabdrücke abgenommen worden. Ehefrau und sieben Kinder sowie die Großfamilie lebten noch im Irak.

Mit Bescheid vom 9. Oktober 2015, der dem Kläger am 13. Oktober 2015 mit Postzustellungsurkunde zugestellt wurde, lehnte die Antragsgegnerin den Asylantrag des Antragstellers als unzulässig ab (Ziffer I), und ordnete in Ziffer II die Abschiebung nach Ungarn an.

Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, in Ungarn lägen keine systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen vor. Zur Begründung wird insgesamt auf den Bescheid Bezug genommen.

Mit einem am 19. Oktober 2015 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten ließ der Antragsteller gegen den genannten Bescheid Klage erheben (AN 3 K 15.50474) und beantragte gleichzeitig,

die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.

Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen, das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Ungarn wiesen systemische Mängel auf, insbesondere wegen der Anwendung von Asylhaft. Es könne nicht hingenommen werden, dass vom IS bedrohte Yeziden im Dublin-Verfahren nach Ungarn zurückkehren müssten, obwohl es sich um Bürgerkriegsflüchtlinge handle. Im Vergleich zu den syrischen Staatsangehörigen, für die das Dublin-Verfahren keine Anwendung mehr finde, liege eine Ungleichbehandlung vor. Die Trennung des Antragstellers von seinen in Deutschland lebenden Verwandten stelle einen Verstoß gegen die Menschenwürde dar.

Auch sei das Übernahmeverlangen Deutschlands an Ungarn zu spät gestellt worden. Maßgeblich für den Fristlauf sei der Zeitpunkt des Asylbegehrens.

Außerdem sei der Antragssteller nicht wie in Art. 4 und 5 der Dublin III-VO vorgeschrieben belehrt worden. Das in der Anlage X zur Dublin III-VO abgedruckte Informationsschreiben sei dem Antragsteller nicht in seiner Muttersprache ausgehändigt worden, weshalb die Informationsrechte des Antragstellers verletzt seien.

Es wurde verwiesen auf folgende Entscheidungen:

Verwaltungsgericht Hannover 21.9.2015 - 2 B 4549/15

Verwaltungsgericht Minden 1.9.2015 - 10 L 285/15.A

VG Bayreuth 12.10.2015 B 3 S 15.50241

sowie auf eine Kurzstellungnahme des UNHCR zu Ungarn vom 17.9.2015.

Der Kläger habe sich in Ungarn zunächst geweigert, Fingerabdrücke nehmen zu lassen. Daraufhin sei er für zwei Tage inhaftiert worden, dann aber aus der Haft entlassen und ohne weitere Hinweise zur Durchführung seines Asylverfahrens sich selbst überlassen gewesen. Er habe sich nach Deutschland durchgeschlagen.

Die Antragsgegnerin hat bislang keinen Antrag gestellt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der beigezogenen Behörden- und Gerichtsakten Bezug genommen.

II.

Der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes vom9. Oktober 2015 anzuordnen, ist zulässig, aber unbegründet.

Die Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid des Bundesamtes hat gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 75 Abs. 1 AsylG keine aufschiebende Wirkung. Jedoch kann das Gericht gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen, wenn das Interesse auf Aussetzung des Vollzugs das öffentliche Interesse an der Vollziehung des Bescheides überwiegt. Hierbei sind im Wesentlichen auch die Erfolgsaussichten der Klage in der Hauptsache zu berücksichtigen. Die Klage des Antragstellers wird mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen Erfolg haben. Die angefochtene Abschiebungsanordnung erweist sich unter Berücksichtigung der maßgebenden tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der Entscheidung (§ 77 Abs.1 AsylG) aller Voraussicht nach als rechtmäßig.

Rechtsgrundlage für die Anordnung der Abschiebung ist § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG. Danach ordnet das Bundesamt die Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald fest steht, dass sie durchgeführt werden kann.

Die Antragsgegnerin ist zutreffend davon ausgegangen, dass Ungarn nach Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO für die Bearbeitung des Antrages auf internationalen Schutz und für die Wiederaufnahme des Antragstellers zuständig ist. Denn Ungarn hat auf das am 21. September 2015 vom Bundesamt gestellte Ersuchen um Wiederaufnahme des Antragstellers, für den ein Eurodac-Treffer hinsichtlich Ungarn festgestellt worden war, nicht geantwortet.

Damit ist Ungarn gemäß Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-Verordnung verpflichtet, den Antragsteller wieder aufzunehmen. Diese Frist ist vorliegend noch nicht abgelaufen und die Überstellung kann erfolgen.

Die Frist von zwei Monaten, die Art. 23 Abs. 2 Dublin III-VO der Bundesrepublik Deutschland für die Stellung eines Wiederaufnahmegesuchs einräumt, begann mit der Eurodac-Treffermeldung nach Art. 9 Absatz 5 der Dublin III-VO zu laufen. Diese erfolgte hier per E-Mail am 23. Juli 2015 (Blatt 42 der Behördenakte) und lief demzufolge am 23. September 2015 ab, §§ 31 VwVfG, 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB. Das Wiederaufnahmegesuch erfolgte mit Schreiben vom 21. September und damit vor Ablauf der maßgeblichen Frist.

Der Bescheid des Bundesamtes begegnet in formeller Hinsicht keinen rechtlichen Bedenken. Der Antragsteller kann nicht mit Erfolg geltend machen, er sei nicht nach den Vorgaben der Art. 4 und 5 Dublin III-VO über deren Anwendung belehrt worden. Es liegt insoweit kein Verfahrensfehler vor.

Dem Antragsteller wurden ausweislich der Behördenakte am 22. Juli 2015 zwei Merkblätter für das Dublin-Verfahren ausgehändigt (Blatt 19 der Behördenakte). Dies haben sowohl der Antragsteller selbst als auch der kurdische Dolmetscher durch ihre Unterschrift bestätigt. Eine Rüge dahingehend, dass der Antragsteller deren Inhalt nicht hätte verstehen können, findet sich in der Behördenakte nicht. Außerdem fand am 7. September 2015 das persönliche Gespräch nach Art. 5 Dublin III-VO in Anwesenheit eines kurdischen Dolmetschers statt.

Auch wenn das vom Bundesamt verwendete (und dem Antragsteller in der Sprache „Arabisch“ ausgehändigte) Merkblatt nicht den Anforderungen der in Anlage X der Durchführungsverordnung (EU) vom 30. Januar 2014 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 abgedruckten Version entsprechen sollte, lässt sich daraus allein keine Rechtsverletzung des Klägers ableiten. Denn zum einen erscheint das von der Behörde verwendete Merkblatt inhaltlich ausreichend, um den Asylantragsteller das Dublin-Verfahren und die daraus für ihn entstehenden Folgen ausreichend näher zu bringen. Als Ergänzung der Information diente das vorliegend durchgeführte persönliche Gespräch (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO).

Zum anderen hat das Informationsrecht aus Art. 4 Dublin III-VO den Sinn, den Antragsteller über seine Rechte zu informieren, damit er diese wahren kann. Dass der Antragsteller über diese Informationen verfügt, zeigen der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung und die gleichzeitig erhobene Klage.

Auch hätte ein möglicher Verfahrensfehler keine Auswirkung auf die Entscheidung des BAMF gehabt. Denn bei der Entscheidung nach § 27 a AsylG handelt es sich um eine gebundene Entscheidung.

Der Antragsteller kann nicht mit Erfolg geltend machen, er habe in Ungarn keinen Antrag auf Zuerkennung internationalen Schutzes gestellt. Bei den Vorschriften der Dublin III-VO handelt es sich überwiegend um Normen, die die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens regeln und dem Antragsteller gerade kein subjektives Recht darauf einräumen, dass sein Asylverfahren in einem bestimmten Mitgliedstaat durchgeführt wird (vgl. Beck’scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Kluth/Heusch, Stand 1. Mai 2015, Rn. 29 und 30 zu § 27 a AsylVfG). Entscheidend ist, dass Ungarn aufgrund der der o.g. Regelungen der Dublin III-VO für die Durchführung des Verfahrens des Antragstellers zuständig geworden ist.

Besondere Umstände, die die Zuständigkeit der Antragsgegnerin nach Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 Dublin III-VO begründen oder zur Ausübung ihres Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO führen würden, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

Die Auslegung der Dublin III-Verordnung, die „einen der Bausteine des von der Europäischen Union errichteten Gemeinsamen Europäischen Asylsystems bildet“, und die sich daraus ergebenden Rechte der Asylbewerber sind durch neuere Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs geklärt (EuGH, Urteil vom 21.12. 2011 - C-411/10 und C-493/10 - Slg. 2011, I-13905; EuGH, Urteil vom 14.11.2013 - Pui, C-4/11; EuGH, Urteil vom 10.12.2013, C-394/12).

Das in dieser Verordnung und in weiteren Rechtsakten geregelte Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) stützt sich - ähnlich wie das deutsche Konzept der „normativen Vergewisserung“ hinsichtlich der Sicherheit von Drittstaaten (BVerfG, Urteil vom 14.5.1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 - BVerfGE 94, 49) - auf die Annahme, dass alle daran beteiligten Staaten, ob Mitgliedstaaten oder Drittstaaten, die Grundrechte beachten, einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 sowie in der EMRK finden, und der Versicherung, dass niemand dorthin zurückgeschickt wird, wo er Verfolgung ausgesetzt ist, ferner dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen dürfen (EuGH, Urteil vom 21.12.2011 - C-411/10, C-493/10, NVwZ 2012, 417; vgl. Hailbronner/Thym, NVwZ 2012, 406).

Davon kann nur dann abgesehen werden, wenn dieser zuständige Mitgliedsstaat sogenannte „systemische Mängel“ des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber aufweist, so dass die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gefahr für Asylbewerber bestünde, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Grundrechtscharta bzw. Art. 3 EMRK ausgesetzt zu werden. Dies wiederum hat zur Folge, dass der Asylbewerber der Überstellung in den zuständigen Mitgliedsstaat nur mit dem Einwand sogenannter systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber entgegentreten kann (so grundsätzlich EUGH, große Kammer, U. v. 10.12.2013, RS: 10-394/12, juris). Diese Rechtsprechung mündete nunmehr in Art. 3 Abs. 2 der Dublin III-VO, der bestimmt, dass im Falle systemischer Schwachstellen in einem Mitgliedsstaat für den Fall, dass keine anderen zuständigen Staaten gefunden werden können, der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedsstaat der zuständige Mitgliedsstaat wird. An diesen nunmehr in Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO normierten Ausnahmefall sind daher strenge Anforderungen zu stellen (vgl. OVG NRW, Urteil vom 7.3.2014 - 1 A 21/12.A - DVBl 2014, 790 ff.). Eine systemisch begründete, ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 EU-GRCh bzw. Art. 3 EMRK muss im Sinne einer Selbstbetroffenheit speziell auch gerade für den jeweiligen Rechtsschutzsuchenden in seiner konkreten Situation bestehen. Sie liegt maßgeblich dann vor, wenn mit Blick auf das Gewicht und das Ausmaß einer drohenden Beeinträchtigung dieses Grundrechts mit einem beachtlichen Grad von Wahrscheinlichkeit die reale, nämlich durch eine hinreichend gesicherte Tatsachengrundlage belegte Gefahr besteht, dass dem Betroffenen in dem Mitgliedstaat, in den er überstellt werden soll, entweder schon der Zugang zu einem Asylverfahren, welches nicht mit grundlegenden Mängeln behaftet ist, verwehrt oder massiv erschwert wird, das Asylverfahren an grundlegenden Mängeln leidet, oder dass er während der Dauer des Asylverfahrens wegen einer grundlegend defizitären Ausstattung mit den notwendigen Mitteln elementare Grundbedürfnisse des Menschen (wie z. B. Unterkunft, Nahrungsaufnahme und Hygienebedürfnisse) nicht in einer noch zumutbaren Weise befriedigen kann (vgl. OVG NRW a. a. O.).

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss sich der Tatrichter zur Widerlegung der auf dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens unter den Mitgliedstaaten gründenden Vermutung, die Behandlung der Asylbewerber stehe in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechte-Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK, die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) verschaffen, dass der Asylbewerber wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d. h. überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird. Die Widerlegung dieser Vermutung aufgrund systemischer Mängel setzt deshalb voraus, dass das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen im zuständigen Mitgliedstaat aufgrund größerer Funktionsstörungen regelhaft so defizitär sind, dass anzunehmen ist, dass dort auch dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (BVerwG, B. v. 6.6.2014 - 10 B 35/14, juris).

Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage in dem zuständigen Mitgliedstaat sind die regelmäßigen Berichte von internationalen Nichtregierungsorganisationen, Berichte der Kommission zur Bewertung des Dublin-Systems und Berichte des UNHCR zur Lage von Flüchtlingen und Migranten vor Ort. Den Berichten des UNHCR zur Lage von Flüchtlingen und Migranten vor Ort kommt bei der Beurteilung der Funktionsfähigkeit des Asylsystems in dem nach der Dublin III-Verordnung zuständigen Mitgliedstaat besondere Relevanz zu.

Nach diesen Grundsätzen ist auf Grundlage des dem Gericht vorliegenden, aktuellen Erkenntnismaterials zur Situation von Asylbewerbern in Ungarn (vgl. Bericht des Hungarian Helsinki Committee zu Asylhaft und zu den Dublin-Verfahren in Ungarn, Stand Mai 2014; Stellungnahme des UNHCR vom 9.5.2014 an das VG Düsseldorf im Verfahren 13 L 172/14.A jeweils abrufbar unter https://m...b...de; Ungarn Länderbericht des AIDA (Asylum Information Database), Stand 30.4.2014, abrufbar unter http://www.a...org; Bericht von bordermonitoring.eu, Stand Oktober 2013, abrufbar unter http://b...eu) jedenfalls für die Person des Antragstellers derzeit nicht ernsthaft zu befürchten, dass in Ungarn das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für den Asylbewerber systemische Mängel aufweisen, die einen Verstoß gegen die Genfer Flüchtlingskonvention oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 EU-GRCh bzw. Art. 3 EMRK begründen könnten.

Zum 1. Juli 2013 wurde das Asylsystem Ungarns zwar dahingehend verändert, als erneut weitgehende Inhaftierungsgründe für Asylbewerber geschaffen wurden. Diese Rechtsänderungen wurden hinsichtlich der Unbestimmtheit der Haftgründe sowie hinsichtlich der unzureichenden Rechtsbehelfe gegen die Inhaftierung verschiedentlich kritisiert (vgl. Bericht des Hungarian Helsinki Commiittees a. a. O.; Ungarn Länderbericht des AIDA a. a. O.; UNHCR vom 9.5.2014 a. a. O.). Die genannten Berichte beruhen allerdings im Wesentlichen auf einer Auswertung der geänderten Rechtslage selbst, während Erkenntnisse zur konkreten Handhabung nicht verlässlich vorliegen. Es zu konstatieren, dass der UNHCR - abgesehen von seiner Stellungnahme vom 9. Mai 2014 an das Verwaltungsgericht Düsseldorf - bislang keine generellen Feststellungen zum Asylverfahren und den Aufnahmebedingungen in Ungarn getroffen und auch keine generelle Empfehlung ausgesprochen hat, im Rahmen des Dublin-Verfahrens Asylbewerber nicht nach Ungarn zu überstellen (vgl. VG Würzburg, Beschluss vom 25.8.2014 - W 6 S 14.50100 - juris). Unter Berücksichtigung der besonderen Relevanz des durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragenen Amtes des UNHCR für die Auslegung des unionsrechtlichen Asylverfahrens (vgl. EuGH, Urteil vom 30.5.2013 - C 528/11 - NVwZ-RR 2013, 660), kommt dem Fehlen einer solchen generellen Empfehlung des UNHCR besondere Bedeutung zu. Der Auffassung, die z. B. das Verwaltungsgericht des Saarlandes im Beschluss vom 7. August 2015 (3 L 672/15, juris Rn. 20) vertritt, wonach Äußerungen der Pressesprecherin des UNHCR zu entnehmen sei, dass der UNHCR über die fremdenfeindliche Gesinnung der ungarischen Regierung besorgt sei und dass diese Äußerungen wegen der Rolle, die dem Amt des UNHCR durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden sei, bei der Auslegung des unionsrechtlichen Asylverfahrens besonders zu beachten seien, schließt sich das Gericht nicht an. Abzustellen ist vielmehr auf Empfehlungen des UNHCR zur Beachtung der Aufnahme- und Verfahrensregelungen der Dublin-Verordnungen bei der Umsetzung in nationales Recht. An einer solchen Empfehlung fehlt es bislang, wie auch das VG des Saarlandes (a. a. O.) selbst feststellt.

Auch wenn die Inhaftierungsregelungen in Ungarn in der Rechtsprechung bisweilen zur Annahme systemischer Mängel geführt haben (vgl. VG München, U. v. 23.9.2014 - M 24 K 13.31329 -; VG Sigmaringen, B. v. 22.4.2014 - A 5 K 972/14 - juris; VG München, B. v. 26.6.2014 - M 24 S 14.50325; VG Düsseldorf, B. v. 27.8.2014 - 14 L 1786/14.A - VG Düsseldorf, B. v. 16.6.2014 - 13 L 141/14.A - jeweils juris; VG Münster, B. v. 7.7.2015 - 2 L 858/15.A; VG München, B. v. 5.3.2015 - M 15 S 15.50160 - juris; VG Berlin, B. v. 15.1.2015 - 23 L 899.14 A - juris; ), ist nach Überzeugung des Gerichts für den hier vorliegenden Einzelfall nicht die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung bei einer Rücküberstellung nach Ungarn zu befürchten. Denn ausweislich einer Erklärung des Direktors des ungarischen Asyldirektorates gegenüber dem Liaisonmitarbeiter des Bundesamtes in Budapest im September 2013 werden Asylantragsteller aus sogenannten anerkennungsträchtigen Herkunftsländern, wozu auch der Nordirak zählen dürfte, regelmäßig weder in Asylhaft noch in Abschiebehaft genommen (vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 2.9.2014 - 6 L 1235/14.A - juris). Entgegenstehende Erkenntnisse liegen derzeit nicht vor. Auch der UNHCR kann derzeit keine verlässlichen Angaben über den Umgang mit Asylantragstellern im Dublin-Verfahren in Ungarn machen.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), dessen Rechtsprechung grundsätzlich über den jeweils entschiedenen Einzelfall hinaus eine Orientierungs- und Leitfunktion zukommt (vgl. BVerwG, Urteil vom 28.2.2013 - 2 C 3.12 - juris), hat mit Urteil vom 3. Juli 2014 im Ergebnis festgestellt, dass systemische Mängel hinsichtlich der Inhaftierungspraxis Ungarns nicht vorliegen und ein tatsächliches Risiko einer schwerwiegenden Beeinträchtigung im Sinne des Art. 3 EMRK bei einer Rückkehr nach Ungarn nicht bestehe (vgl. EGMR, Urteil vom 3.7.2014 - 71932/12). Auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat in zwei Entscheidungen ausgeführt, allein die Tatsache, dass das ungarische Asylrecht Inhaftierungsgründe für Asylbewerber enthalte und Ungarn auf dieser Grundlage Dublin-Rückkehrer inhaftiere, sei für sich genommen noch kein begründeter Anhaltspunkt für das Vorliegen systemischer Mängel des Asylsystems (so auch VG Dresden, B. v. 9.9. 2015 - 2 L 719/15.A). Er stützt sich weiterhin maßgeblich darauf, dass der UNHCR sich bisher nicht generell gegen Rücküberstellungen nach Ungarn ausgesprochen habe (BayVGH, B. v. 12.6.2015 - 13a ZB 15.50097 - juris; BayVGH, B. v. 27.4.2015 - 14 ZB 13.30076 - juris).

Hinsichtlich der Anwendung der seit 1. August 2015 in Ungarn geltenden Rechtslage, wonach Serbien nun sicherer Drittstaat sei, die Asylverfahren verkürzt und Anträge abgelehnt würden, wenn sich ein Asylbewerber unentschuldigt länger als 48 Stunden aus der ihm zugewiesenen Unterkunft entferne, ergibt sich nichts anderes. Es liegen dem Gericht für die Behandlung von Rückkehrern im Dublin-Verfahren keinerlei auf Tatsachen gestützte Erkenntnisse vor, die Anlass dazu gäben, Mängel in o.g. Qualität im Asylverfahren oder in den Aufnahmebedingungen anzunehmen.

Es liegen derzeit keine Erkenntnisse darüber vor, dass Dublin-Rückkehrer von Ungarn nach Serbien abgeschoben würden. Der Antragsteller selbst trägt auch nicht vor, über Serbien nach Ungarn eingereist zu sein. Sofern teilweise darauf abgestellt wird, es könne angesichts der neuen Gesetzeslage nicht ausgeschlossen werden, dass auch Dublin-Rückkehrer nach Serbien abgeschoben werden und darauf die Annahme systemischer Mängel in Ungarn für diese Personengruppe gestützt werden (VG Düsseldorf, B. v. 20.8.2015 - 15 L 2556/15.A-, juris), folgt das Gericht dieser Auffassung nicht, da sich hierfür aus den Erkenntnisquellen keine Anhaltspunkte ergeben. Aus der geänderten Gesetzeslage in Ungarn lässt sich vielmehr der Versuch erkennen, dem ungehinderten Zustrom von Flüchtlingen Herr zu werden. Die ungarische Regierung scheint bemüht, die Vorschriften der Dublin-Verordnung einzuhalten und für eine geregelte Einreise und Registrierung der Flüchtlinge zu sorgen, die gerade nicht in Ungarn Asyl beantragen wollen, sondern mit dem Ziel Deutschland oder Schweden in den Schengen-Raum einreisen. Daran ändert auch die als „fremdenfeindlich“ kritisierte Einstellung der ungarischen Regierung nichts. Neuerdings werden auch in Deutschland Einrichtungen wie „Transitzonen“ mit Einschränkungen der persönlichen Freiheit der Asylbewerber zur ordnungsgemäßen Abwicklung der Verfahren und sogar die Errichtung von Zäunen zur Gewährleistung der kontrollierten Einreise diskutiert.

Hinsichtlich der vielfach kritisierten Asylhaft ist anzumerken, dass die meisten Asylbewerber, die wie der Antragsteller über die sogenannte Balkanroute in die EU einreisen, Ungarn erklärtermaßen als Transitland betrachten und dort keinen Asylantrag stellen wollen.

Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, dass sie im Falle einer Rückführung nach Ungarn im Rahmen des Dublin-Verfahrens dort in Asylhaft genommen werden, da die ungarischen Behörden ihre wiederholte Ausreise befürchten müssen und eine Inhaftierung zur Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Asylverfahrens notwendig erscheint. Die im ungarischen Asylgesetz genannten Haftgründe sind insoweit auch nachvollziehbar.

Den dem Gericht vorliegenden Erkenntnisquellen lässt sich nicht entnehmen, dass die Haftbedingungen an sich menschenunwürdig im oben dargelegten Sinn wären und es dort systematisch zu Menschenrechtsverletzungen kommen würde. Darauf, ob es unterhalb der Schwelle systemischer Mängel in Einzelfällen zu einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 EU-GRCh bzw. des Art. 3 EMRK kommen kann und ob ein Antragsteller dem in der Vergangenheit schon einmal ausgesetzt war, kommt es im Zusammenhang mit Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 Dublin III-VO nicht an (BVerwG, B. v. 6.6.2014 a. a. O.).

Auch die derzeit in vielen Ländern der EU anzutreffenden Kapazitätsengpässe bei der Unterbringung und Betreuung der Flüchtlinge stellen für sich keinen systemischen Mangel im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 Dublin III-VO dar. Denn hierbei handelt es sich um rein tatsächliche Probleme, die der unerwartete Zustrom so vieler Menschen mit sich bringt.

Da der Antragsteller auch keiner besonders schutzbedürftigen Personengruppe im Sinne des Art. 21 der Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (Aufnahme-Richtlinie) angehört, kann er einer Überstellung nach Ungarn nicht damit entgegentreten, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für ihn in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-Grundrechtscharta mit sich bringen würde (vgl. VG Köln, B. v. 28.4.2015 - 17 L 1024/15.A - juris; VG Ansbach, B. v. 16.4.2015 - AN 4 K 14.30119).

Er beruft sich auch nicht darauf, dass in Deutschland Familienangehörige i. S. des Art. 2 Buchstabe g Dublin III-VO leben, was die Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland zur Durchführung des Asylverfahrens nach Art. 9 Dublin III-VO begründen könnte, da es sich beim (volljährigen) Bruder nicht um einen Familienangehörigen nach der Definiton der Dublin III-VO handelt.

Die Anordnung der Abschiebung nach § 34a AsylVfG erscheint somit rechtmäßig. Im Übrigen wird zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen gemäß § 77 Abs. 2 AsylVfG auf die zutreffende Begründung des streitgegenständlichen Bescheids des Bundesamtes vom 9. Oktober 2015 Bezug genommen.

Aus den oben genannten Gründen war auch der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung abzulehnen, da der Antrag keine hinreichende Erfolgsaussicht hat, § 166 VwGO i. V. m. §§ 114 ff. ZPO.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83 b AsylG.

Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.

2. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

3. Der Gegenstandswert beträgt 2.500,00 EUR.

Gründe

I.

Der nach eigenen Angaben 1989 geborene Antragsteller ist irakischer Staatsangehöriger und kurdischer Yezide. Er reiste seinen Angaben zufolge am 12. April 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte am 28. Mai 2015 seine Anerkennung als Flüchtling.

Den Erkenntnissen des Bundesamtes zufolge (EURODAC-Treffer) lagen Anhaltspunkte vor für die Zuständigkeit eines anderen Staates gemäß der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin-III-Verordnung).

Am 27. Juli 2015 wurde ein Übernahmeersuchen nach der Dublin-III-Verordnung an Ungarn gerichtet. Die ungarischen Behörden haben hierauf keine Antwort erteilt.

Im Rahmen des Gesprächs zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gab der Antragsteller an, er wolle nicht in einen anderen Mitgliedstaat überstellt werden. Er sei in Ungarn schlecht behandelt worden. Außerdem befänden sich ein Bruder und ein Onkel in Deutschland.

Mit Bescheid vom 7. September 2015, mit Schreiben vom 8. September 2015 zur Post gegeben, lehnte die Antragsgegnerin den Asylantrag des Antragstellers als unzulässig ab (Ziffer I), ordnete in Ziffer II die Abschiebung nach Ungarn an und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG auf 0 Monate (Ziffer III).

Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, in Ungarn lägen keine systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen vor. Zur Begründung wird insgesamt auf den Bescheid Bezug genommen.

Mit einem am 15. September 2015 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten ließ der Antragsteller gegen den genannten Bescheid Klage erheben (AN 3 K 15.50399) und beantragte gleichzeitig,

die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.

Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen, das Asylsystem in Ungarn sei wegen der hohen Flüchtlingszahlen überlastet und es drohe Rückkehrern im Dublin-Verfahren Asylhaft.

Es wurde hierzu verwiesen auf folgende Berichte und Entscheidungen:

Helsinki-Committee Mai 2014

Antworten von M. S. (Vorstand von bordermonitoring) vom 30. Oktober 2014 an VGe Düsseldorf und München

ELENA Weekly Update zu The commissioner for Human Rights in Hungary

Aida 4. November 2014

UNHCR Auskunft an VG Düsseldorf vom 30. September 2014

UNHCR Stellungnahme an VG Minden vom 9. Mai 2014

VG Sigmaringen, B. v. 1.12.2014 - A 2 K 422/14

VG Düsseldorf, B. v. 28.5.2014 - 13 L 172/14 A.

Die Antragsgegnerin beantragte mit Schriftsatz vom 24. September 2015,

den Antrag abzulehnen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der beigezogenen Behörden- und Gerichtsakten Bezug genommen.

II.

Der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes vom7. September 2015 anzuordnen, ist zulässig, aber unbegründet.

Die Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid des Bundesamtes hat gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 75 Abs. 1 AsylVfG keine aufschiebende Wirkung. Jedoch kann das Gericht gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen, wenn das Interesse auf Aussetzung des Vollzugs das öffentliche Interesse an der Vollziehung des Bescheides überwiegt. Hierbei sind im Wesentlichen auch die Erfolgsaussichten der Klage in der Hauptsache zu berücksichtigen. Die Klage des Antragstellers wird mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen Erfolg haben. Die angefochtene Abschiebungsanordnung erweist sich unter Berücksichtigung der maßgebenden tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der Entscheidung (§ 77 Abs.1 AsylVfG) aller Voraussicht nach als rechtmäßig.

Rechtsgrundlage für die Anordnung der Abschiebung ist § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG. Danach ordnet das Bundesamt die Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald fest steht, dass sie durchgeführt werden kann.

Die Antragsgegnerin ist zutreffend davon ausgegangen, dass Ungarn nach Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO für die Bearbeitung des Antrages auf internationalen Schutz und für die Wiederaufnahme des Antragstellers zuständig ist. Denn Ungarn hat auf das am 27. Juli 2015 vom Bundesamt gestellte Ersuchen um Wiederaufnahme des Antragstellers, für den ein Eurodac-Treffer hinsichtlich Ungarn festgestellt worden war, nicht geantwortet.

Damit ist Ungarn gemäß Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-Verordnung verpflichtet, den Antragsteller wieder aufzunehmen. Diese Frist ist vorliegend noch nicht abgelaufen und die Überstellung kann erfolgen.

Der Antragsteller kann nicht mit Erfolg geltend machen, er habe nicht wissentlich in Ungarn einen Antrag auf Zuerkennung internationalen Schutzes gestellt. Denn bei den Vorschriften der Dublin III-VO handelt es sich überwiegend um Normen, die die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens regeln und dem Antragsteller gerade kein subjektives Recht darauf einräumen, dass sein Asylverfahren in einem bestimmten Mitgliedstaat durchgeführt wird (vgl. Beck’scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Kluth/Heusch, Stand 1. Mai 2015, Rn. 29 und 30 zu § 27 a AsylVfG). Entscheidend ist, dass Ungarn aufgrund der der o.g. Regelungen der Dublin III-VO für die Durchführung des Verfahrens des Antragstellers zuständig geworden ist.

Besondere Umstände, die die Zuständigkeit der Antragsgegnerin nach Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO begründen oder zur Ausübung ihres Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO führen würden, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

Die Auslegung der Dublin III-Verordnung, die „einen der Bausteine des von der Europäischen Union errichteten Gemeinsamen Europäischen Asylsystems bildet“, und die sich daraus ergebenden Rechte der Asylbewerber sind durch neuere Entscheidungen desEuropäischen Gerichtshofs geklärt (EuGH, Urteil vom 21.12. 2011 - C-411/10 undC-493/10 - Slg. 2011, I-13905; EuGH, Urteil vom 14.11.2013 - Pui, C-4/11; EuGH, Urteil vom 10.12.2013, C-394/12).

Das in dieser Verordnung und in weiteren Rechtsakten geregelte Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) stützt sich - ähnlich wie das deutsche Konzept der „normativen Vergewisserung“ hinsichtlich der Sicherheit von Drittstaaten (BVerfG, Urteil vom 14.5.1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 - BVerfGE 94, 49) - auf die Annahme, dass alle daran beteiligten Staaten, ob Mitgliedstaaten oder Drittstaaten, die Grundrechte beachten, einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 sowie in der EMRK finden, und der Versicherung, dass niemand dorthin zurückgeschickt wird, wo er Verfolgung ausgesetzt ist, ferner dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen dürfen (EuGH, Urteil vom 21.12.2011 - C-411/10, C-493/10, NVwZ 2012, 417; vgl. Hailbronner/Thym, NVwZ 2012, 406).

Davon kann nur dann abgesehen werden, wenn dieser zuständige Mitgliedsstaat sogenannte „systemische Mängel“ des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber aufweist, so dass die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gefahr für Asylbewerber bestünde, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Grundrechtscharta bzw. Art. 3 EMRK ausgesetzt zu werden. Dies wiederum hat zur Folge, dass der Asylbewerber der Überstellung in den zuständigen Mitgliedsstaat nur mit dem Einwand sogenannter systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber entgegentreten kann (so grundsätzlich EUGH, große Kammer, U. v. 10.12.2013, RS: 10-394/12, juris). Diese Rechtsprechung mündete nunmehr in Art. 3 Abs. 2 der Dublin III-VO, der bestimmt, dass im Falle systemischer Schwachstellen in einem Mitgliedsstaat für den Fall, dass keine anderen zuständigen Staaten gefunden werden können, der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedsstaat der zuständige Mitgliedsstaat wird. An diesen nunmehr in Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO normierten Ausnahmefall sind daher strenge Anforderungen zu stellen (vgl. OVG NRW, Urteil vom 7.3.2014 - 1 A 21/12.A - DVBl 2014, 790 ff.). Eine systemisch begründete, ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 EU-GRCh bzw. Art. 3 EMRK muss im Sinne einer Selbstbetroffenheit speziell auch gerade für den jeweiligen Rechtsschutzsuchenden in seiner konkreten Situation bestehen. Sie liegt maßgeblich dann vor, wenn mit Blick auf das Gewicht und das Ausmaß einer drohenden Beeinträchtigung dieses Grundrechts mit einem beachtlichen Grad von Wahrscheinlichkeit die reale, nämlich durch eine hinreichend gesicherte Tatsachengrundlage belegte Gefahr besteht, dass dem Betroffenen in dem Mitgliedstaat, in den er überstellt werden soll, entweder schon der Zugang zu einem Asylverfahren, welches nicht mit grundlegenden Mängeln behaftet ist, verwehrt oder massiv erschwert wird, das Asylverfahren an grundlegenden Mängeln leidet, oder dass er während der Dauer des Asylverfahrens wegen einer grundlegend defizitären Ausstattung mit den notwendigen Mitteln elementare Grundbedürfnisse des Menschen (wie z. B. Unterkunft, Nahrungsaufnahme und Hygienebedürfnisse) nicht in einer noch zumutbaren Weise befriedigen kann (vgl. OVG NRW a. a. O.).

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss sich der Tatrichter zur Widerlegung der auf dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens unter den Mitgliedstaaten gründenden Vermutung, die Behandlung der Asylbewerber stehe in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechte-Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK, die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) verschaffen, dass der Asylbewerber wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d. h. überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird. Die Widerlegung dieser Vermutung aufgrund systemischer Mängel setzt deshalb voraus, dass das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen im zuständigen Mitgliedstaat aufgrund größerer Funktionsstörungen regelhaft so defizitär sind, dass anzunehmen ist, dass dort auch dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (BVerwG, B. v. 6.6.2014 - 10 B 35/14, juris).

Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage in dem zuständigen Mitgliedstaat sind die regelmäßigen Berichte von internationalen Nichtregierungsorganisationen, Berichte der Kommission zur Bewertung des Dublin-Systems und Berichte des UNHCR zur Lage von Flüchtlingen und Migranten vor Ort. Den Berichten des UNHCR zur Lage von Flüchtlingen und Migranten vor Ort kommt bei der Beurteilung der Funktionsfähigkeit des Asylsystems in dem nach der Dublin III-Verordnung zuständigen Mitgliedstaat besondere Relevanz zu.

Nach diesen Grundsätzen ist auf Grundlage des dem Gericht vorliegenden, aktuellen Erkenntnismaterials zur Situation von Asylbewerbern in Ungarn (vgl. Bericht des Hungarian Helsinki Committee zu Asylhaft und zu den Dublin-Verfahren in Ungarn, Stand Mai 2014; Stellungnahme des UNHCR vom 9.5.2014 an das VG Düsseldorf im Verfahren 13 L 172/14.A jeweils abrufbar unter https://m...de; Ungarn Länderbericht des AIDA (Asylum Information Database), Stand 30.4.2014, abrufbar unter http://www.a...org; Bericht von bordermonitoring.eu, Stand Oktober 2013, abrufbar unter http://b...eu) jedenfalls für die Person des Antragstellers derzeit nicht ernsthaft zu befürchten, dass in Ungarn das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für den Asylbewerber systemische Mängel aufweisen, die einen Verstoß gegen die Genfer Flüchtlingskonvention oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 EU-GRCh bzw. Art. 3 EMRK begründen könnten.

Zum 1. Juli 2013 wurde das Asylsystem Ungarns zwar dahingehend verändert, als erneut weitgehende Inhaftierungsgründe für Asylbewerber geschaffen wurden. Diese Rechtsänderungen wurden hinsichtlich der Unbestimmtheit der Haftgründe sowie hinsichtlich der unzureichenden Rechtsbehelfe gegen die Inhaftierung verschiedentlich kritisiert (vgl. Bericht des Hungarian Helsinki Committees a. a. O.; Ungarn Länderbericht des AIDA a. a. O.; UNHCR vom 9.5.2014 a. a. O.). Die genannten Berichte beruhen allerdings im Wesentlichen auf einer Auswertung der geänderten Rechtslage selbst, während Erkenntnisse zur konkreten Handhabung nicht verlässlich vorliegen. Es zu konstatieren, dass der UNHCR - abgesehen von seiner Stellungnahme vom 9. Mai 2014 an das Verwaltungsgericht Düsseldorf - bislang keine generellen Feststellungen zum Asylverfahren und den Aufnahmebedingungen in Ungarn getroffen und auch keine generelle Empfehlung ausgesprochen hat, im Rahmen des Dublin-Verfahrens Asylbewerber nicht nach Ungarn zu überstellen (vgl. VG Würzburg, Beschluss vom 25.8.2014 - W 6 S 14.50100 - juris). Unter Berücksichtigung der besonderen Relevanz des durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragenen Amtes des UNHCR für die Auslegung des unionsrechtlichen Asylverfahrens (vgl. EuGH, Urteil vom 30.5.2013 - C 528/11 - NVwZ-RR 2013, 660), kommt dem Fehlen einer solchen generellen Empfehlung des UNHCR besondere Bedeutung zu. Der Auffassung, die z. B. das Verwaltungsgericht des Saarlandes im Beschluss vom 7. August 2015 (3 L 672/15, juris Rn. 20) vertritt, wonach Äußerungen der Pressesprecherin des UNHCR zu entnehmen sei, dass der UNHCR über die fremdenfeindliche Gesinnung der ungarischen Regierung besorgt sei und dass diese Äußerungen wegen der Rolle, die dem Amt des UNHCR durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden sei, bei der Auslegung des unionsrechtlichen Asylverfahrens besonders zu beachten seien, schließt sich das Gericht nicht an. Abzustellen ist vielmehr auf Empfehlungen des UNHCR zur Beachtung der Aufnahme- und Verfahrensregelungen der Dublin-Verordnungen bei der Umsetzung in nationales Recht. An einer solchen Empfehlung fehlt es bislang, wie auch das VG des Saarlandes (a. a. O.) selbst feststellt.

Auch wenn die Inhaftierungsregelungen in Ungarn in der Rechtsprechung bisweilen zur Annahme systemischer Mängel geführt haben (vgl. VG München, U. v. 23.9.2014 - M 24 K 13.31329 -; VG Sigmaringen, B. v. 22.4.2014 - A 5 K 972/14 - juris; VG München, B. v. 26.6.2014 - M 24 S 14.50325; VG Düsseldorf, B. v. 27.8.2014 - 14 L 1786/14.A - VG Düssel-dorf, B. v. 16.6.2014 - 13 L 141/14.A - jeweils juris; VG Münster, B. v. 7.7.2015 - 2 L 858/15.A; VG München, B. v. 5.3.2015 - M 15 S 15.50160 - juris; VG Berlin, B. v.15.1.2015 - 23 L 899.14 A - juris; ), ist nach Überzeugung des Gerichts für den hier vorliegenden Einzelfall nicht die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung bei einer Rücküberstellung nach Ungarn zu befürchten. Denn ausweislich einer Erklärung des Direktors des ungarischen Asyldirektorates gegenüber dem Liaisonmitarbeiter des Bundesamtes in Budapest im September 2013 werden Asylantragsteller aus sogenannten anerkennungsträchtigen Herkunftsländern, wozu auch der Nordirak zählen dürfte, regelmäßig weder in Asylhaft noch in Abschiebehaft genommen (vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 2.9.2014 - 6 L 1235/14.A - juris). Entgegenstehende Erkenntnisse liegen derzeit nicht vor. Auch der UNHCR kann derzeit keine verlässlichen Angaben über den Umgang mit Asylantragstellern im Dublin-Verfahren in Ungarn machen.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), dessen Rechtsprechung grundsätzlich über den jeweils entschiedenen Einzelfall hinaus eine Orientierungs- und Leitfunktion zukommt (vgl. BVerwG, Urteil vom 28.2.2013 - 2 C 3.12 - juris), hat mit Urteil vom 3. Juli 2014 im Ergebnis festgestellt, dass systemische Mängel hinsichtlich der Inhaftierungspraxis Ungarns nicht vorliegen und ein tatsächliches Risiko einer schwerwiegenden Beeinträchtigung im Sinne des Art. 3 EMRK bei einer Rückkehr nach Ungarn nicht bestehe (vgl. EGMR, Urteil vom 3.7.2014 - 71932/12). Auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat in zwei Entscheidungen ausgeführt, allein die Tatsache, dass das ungarische Asylrecht Inhaftierungsgründe für Asylbewerber enthalte und Ungarn auf dieser Grundlage Dublin-Rückkehrer inhaftiere, sei für sich genommen noch kein begründeter Anhaltspunkt für das Vorliegen systemischer Mängel des Asylsystems (so auch VG Dresden, B. v. 9.9. 2015 - 2 L 719/15.A). Er stützt sich weiterhin maßgeblich darauf, dass der UNHCR sich bisher nicht generell gegen Rücküberstellungen nach Ungarn ausgesprochen habe (BayVGH, B. v. 12.6.2015 - 13a ZB 15.50097 - juris; BayVGH, B. v. 27.4.2015 - 14 ZB 13.30076 - juris).

Hinsichtlich der Anwendung der seit 1. August 2015 in Ungarn geltenden Rechtslage, wonach Serbien nun sicherer Drittstaat sei, die Asylverfahren verkürzt und Anträge abgelehnt würden, wenn sich ein Asylbewerber unentschuldigt länger als 48 Stunden aus der ihm zugewiesenen Unterkunft entferne, ergibt sich nichts anderes. Es liegen dem Gericht für die Behandlung von Rückkehrern im Dublin-Verfahren keinerlei auf Tatsachen gestützte Erkenntnisse vor, die Anlass dazu gäben, Mängel in o.g. Qualität im Asylverfahren oder in den Aufnahmebedingungen anzunehmen.

Es liegen derzeit keine Erkenntnisse darüber vor, dass Dublin-Rückkehrer von Ungarn nach Serbien abgeschoben würden. Der Antragsteller selbst trägt auch nicht vor, über Serbien nach Ungarn eingereist zu sein. Sofern teilweise darauf abgestellt wird, es könne angesichts der neuen Gesetzeslage nicht ausgeschlossen werden, dass auch Dublin-Rückkehrer nach Serbien abgeschoben werden und darauf die Annahme systemischer Mängel in Ungarn für diese Personengruppe gestützt werden (VG Düsseldorf, B. v. 20.8.2015 - 15 L 2556/15.A-, juris), folgt das Gericht dieser Auffassung nicht, da sich hierfür aus den Erkenntnisquellen keine Anhaltspunkte ergeben. Aus der geänderten Gesetzeslage in Ungarn lässt sich vielmehr der Versuch erkennen, dem ungehinderten Zustrom von Flüchtlingen Herr zu werden. Die ungarische Regierung scheint bemüht, die Vorschriften der Dublin-Verordnung einzuhalten und für eine geregelte Einreise und Registrierung der Flüchtlinge zu sorgen, die gerade nicht in Ungarn Asyl beantragen wollen, sondern mit dem Ziel Deutschland oder Schweden in den Schengen-Raum einreisen. Daran ändert auch die als „fremdenfeindlich“ kritisierte Einstellung der ungarischen Regierung nichts. Neuerdings werden auch in Deutschland Einrichtungen wie „Transitzonen“ mit Einschränkungen der persönlichen Freiheit der Asylbewerber zur ordnungsgemäßen Abwicklung der Verfahren und sogar die Errichtung von Zäunen zur Gewährleistung der kontrollierten Einreise diskutiert.

Hinsichtlich der vielfach kritisierten Asylhaft ist anzumerken, dass die meisten Asylbewerber, die wie der Antragsteller über die sogenannte Balkanroute in die EU einreisen, Ungarn erklärtermaßen als Transitland betrachten und dort keinen Asylantrag stellen wollen.

Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, dass sie im Falle einer Rückführung nach Ungarn im Rahmen des Dublin-Verfahrens dort in Asylhaft genommen werden, da die ungarischen Behörden ihre wiederholte Ausreise befürchten müssen und eine Inhaftierung zur Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Asylverfahrens notwendig erscheint. Die im ungarischen Asylgesetz genannten Haftgründe sind insoweit auch nachvollziehbar.

Den dem Gericht vorliegenden Erkenntnisquellen lässt sich nicht entnehmen, dass die Haftbedingungen an sich menschenunwürdig im oben dargelegten Sinn wären und es dort systematisch zu Menschenrechtsverletzungen kommen würde. Darauf, ob es unterhalb der Schwelle systemischer Mängel in Einzelfällen zu einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 EU-GRCh bzw. des Art. 3 EMRK kommen kann und ob ein Antragsteller dem in der Vergangenheit schon einmal ausgesetzt war, kommt es im Zusammenhang mit Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 Dublin III-VO nicht an (BVerwG, B. v. 6.6.2014 a. a. O.).

Auch die derzeit in vielen Ländern der EU anzutreffenden Kapazitätsengpässe bei der Unterbringung und Betreuung der Flüchtlinge stellen für sich keinen systemischen Mangel im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 Dublin III-VO dar. Denn hierbei handelt es sich um rein tatsächliche Probleme, die der unerwartete Zustrom so vieler Menschen mit sich bringt.

Auch der aktuellen Presseberichterstattung zur Verschärfung der Gesetzeslage für Asylbewerber in Ungarn und der Mitteilung der ungarischen Regierung, das Land stoße für die Aufnahme von Flüchtlingen an seine Kapazitätsgrenzen, lässt sich nicht entnehmen, dass das Asylverfahren an sich mit Mängeln behaftet wäre, die eine Gefahr in dem beschriebenen Ausmaß mit sich bringen würde. Von der Ankündigung, keine Rückkehrer im Dublin-Verfahren aufzunehmen, ist die ungarische Regierung nach Intervention der EU-Kommission wieder abgerückt.

Da der Antragsteller auch keiner besonders schutzbedürftigen Personengruppe im Sinne des Art. 21 der Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (Aufnahme-Richtlinie) angehört, kann er sich einer Überstellung nach Ungarn somit nicht damit entgegentreten, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für ihn in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-Grundrechtscharta mit sich bringen würde (vgl. VG Köln, B. v. 28.4.2015 - 17 L 1024/15.A - juris; VG Ansbach, B. v. 16.4.2015 - AN 4 K 14.30119).

Die Anordnung der Abschiebung nach § 34a AsylVfG erscheint somit rechtmäßig. Im Übrigen wird zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen gemäß § 77 Abs. 2 AsylVfG auf die zutreffende Begründung des streitgegenständlichen Bescheids des Bundesamtes vom 7. September 2015 Bezug genommen.

Aus der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ergibt sich keine abweichende Beurteilung. Die „Befristung“ auf 0 Monate beschwert den Antragsteller unabhängig von der Frage ihrer Rechtmäßigkeit jedenfalls nicht. Eine solche wird von ihm auch nicht geltend gemacht.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylVfG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.

2. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

3. Der Gegenstandswert beträgt 2.500,00 Euro.

Gründe

I.

Der nach eigenen Angaben 1990 geborene Antragsteller ist irakischer Staatsangehöriger und kurdischer Yezide. Er reiste seinen Angaben zufolge am 17. April 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte am 3. Juni 2015 seine Anerkennung als Flüchtling.

Den Erkenntnissen des Bundesamtes zufolge (Eurodac-Treffer) lagen Anhaltspunkte vor für die Zuständigkeit eines anderen Staates gemäß der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin-III-Verordnung).

Am 31. Juli 2015 wurde ein Übernahmeersuchen nach der Dublin-III-Verordnung an Ungarn gerichtet. Die ungarischen Behörden haben hierauf keine Antwort erteilt.

Im Rahmen des Gesprächs zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gab der Antragsteller an, zwei Brüder und eine Schwester befänden sich in Deutschland. Er wolle auch Frau und Kind nach Deutschland holen. Er gab an, durch die Türkei und Ungarn gereist zu sein.

Mit Bescheid vom 15. September 2015, mit Schreiben vom 16. September 2015 zur Post gegeben, lehnte die Antragsgegnerin den Asylantrag des Antragstellers als unzulässig ab (Ziffer I), und ordnete in Ziffer II die Abschiebung nach Ungarn an.

Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, in Ungarn lägen keine systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen vor. Zur Begründung wird insgesamt auf den Bescheid Bezug genommen.

Mit einem am 24. September 2015 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten ließ der Antragsteller gegen den genannten Bescheid Klage erheben (AN 3 K 15.50399) und beantragte gleichzeitig,

die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.

Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen, das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Ungarn wiesen systemische Mängel auf, insbesondere wegen der Anwendung von Asylhaft.

Es wurde hierzu verwiesen auf folgende Entscheidungen:

Verwaltungsgericht Berlin, B. v. 15.1.2015 - 23 L 899.14

Verwaltungsgericht Köln, U. v. 11.9.2015 - 18 K 3279/15.A.

Die Antragsgegnerin beantragte mit Schriftsatz vom 5. Oktober 2015,

den Antrag abzulehnen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der beigezogenen Behörden- und Gerichtsakten Bezug genommen.

II.

Der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes vom15. September 2015 anzuordnen, ist zulässig, aber unbegründet.

Die Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid des Bundesamtes hat gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 75 Abs. 1 AsylVfG keine aufschiebende Wirkung. Jedoch kann das Gericht gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen, wenn das Interesse auf Aussetzung des Vollzugs das öffentliche Interesse an der Vollziehung des Bescheides überwiegt. Hierbei sind im Wesentlichen auch die Erfolgsaussichten der Klage in der Hauptsache zu berücksichtigen. Die Klage des Antragstellers wird mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen Erfolg haben. Die angefochtene Abschiebungsanordnung erweist sich unter Berücksichtigung der maßgebenden tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der Entscheidung (§ 77 Abs.1 AsylVfG) aller Voraussicht nach als rechtmäßig.

Rechtsgrundlage für die Anordnung der Abschiebung ist § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG. Danach ordnet das Bundesamt die Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zu-ständigen Staat an, sobald fest steht, dass sie durchgeführt werden kann.

Die Antragsgegnerin ist zutreffend davon ausgegangen, dass Ungarn nach Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO für die Bearbeitung des Antrages auf internationalen Schutz und für die Wiederaufnahme des Antragstellers zuständig ist. Denn Ungarn hat auf das am 31. Juli 2015 vom Bundesamt gestellte Ersuchen um Wiederaufnahme des Antragstellers, für den ein Eurodac-Treffer hinsichtlich Ungarn festgestellt worden war, nicht geantwortet.

Damit ist Ungarn gemäß Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-Verordnung verpflichtet, den Antragsteller wieder aufzunehmen. Diese Frist ist vorliegend noch nicht abgelaufen und die Überstellung kann erfolgen.

Der Antragsteller kann nicht mit Erfolg geltend machen, er habe nicht wissentlich in Ungarn einen Antrag auf Zuerkennung internationalen Schutzes gestellt. Denn bei den Vorschriften der Dublin III-VO handelt es sich überwiegend um Normen, die die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens regeln und dem Antragsteller gerade kein subjektives Recht darauf einräumen, dass sein Asylverfahren in einem bestimmten Mitgliedstaat durchgeführt wird (vgl. Beck’scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Kluth/Heusch, Stand 1. Mai 2015, Rn. 29 und 30 zu § 27 a AsylVfG). Entscheidend ist, dass Ungarn aufgrund der der o. g. Regelungen der Dublin III-VO für die Durchführung des Verfahrens des Antragstellers zuständig geworden ist.

Besondere Umstände, die die Zuständigkeit der Antragsgegnerin nach Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 Dublin III-VO begründen oder zur Ausübung ihres Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO führen würden, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

Die Auslegung der Dublin III-Verordnung, die „einen der Bausteine des von der Europäischen Union errichteten Gemeinsamen Europäischen Asylsystems bildet“, und die sich daraus ergebenden Rechte der Asylbewerber sind durch neuere Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs geklärt (EuGH, Urteil vom 21.12. 2011 - C-411/10 und C-493/10 - Slg. 2011, I-13905; EuGH, Urteil vom 14.11.2013 - Pui, C-4/11; EuGH, Urteil vom 10.12.2013, C-394/12).

Das in dieser Verordnung und in weiteren Rechtsakten geregelte Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) stützt sich - ähnlich wie das deutsche Konzept der „normativen Vergewisserung“ hinsichtlich der Sicherheit von Drittstaaten (BVerfG, Urteil vom 14.5.1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 - BVerfGE 94, 49) - auf die Annahme, dass alle daran beteiligten Staaten, ob Mitgliedstaaten oder Drittstaaten, die Grundrechte beachten, einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 sowie in der EMRK finden, und der Versicherung, dass niemand dorthin zurückgeschickt wird, wo er Verfolgung ausgesetzt ist, ferner dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen dürfen (EuGH, Urteil vom 21.12.2011 - C-411/10, C-493/10, NVwZ 2012, 417; vgl. Hailbronner/Thym, NVwZ 2012, 406).

Davon kann nur dann abgesehen werden, wenn dieser zuständige Mitgliedsstaat sogenannte „systemische Mängel“ des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber aufweist, so dass die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gefahr für Asylbewerber bestünde, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Grundrechtscharta bzw. Art. 3 EMRK ausgesetzt zu werden. Dies wiederum hat zur Folge, dass der Asylbewerber der Überstellung in den zuständigen Mitgliedsstaat nur mit dem Einwand sogenannter systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber entgegentreten kann (so grundsätzlich EUGH, große Kammer, U. v. 10.12.2013, RS: 10-394/12, juris). Diese Rechtsprechung mündete nunmehr in Art. 3 Abs. 2 der Dublin III-VO, der bestimmt, dass im Falle systemischer Schwachstellen in einem Mitgliedsstaat für den Fall, dass keine anderen zuständigen Staaten gefunden werden können, der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedsstaat der zuständige Mitgliedsstaat wird. An diesen nunmehr in Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO normierten Ausnahmefall sind daher strenge Anforderungen zu stellen (vgl. OVG NRW, Urteil vom 7.3.2014 - 1 A 21/12.A - DVBl 2014, 790 ff.). Eine systemisch begründete, ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK muss im Sinne einer Selbstbetroffenheit speziell auch gerade für den jeweiligen Rechtsschutzsuchenden in seiner konkreten Situation bestehen. Sie liegt maßgeblich dann vor, wenn mit Blick auf das Gewicht und das Ausmaß einer drohenden Beeinträchtigung dieses Grundrechts mit einem beachtlichen Grad von Wahrscheinlichkeit die reale, nämlich durch eine hinreichend gesicherte Tatsachengrundlage belegte Gefahr besteht, dass dem Betroffenen in dem Mitgliedstaat, in den er überstellt werden soll, entweder schon der Zugang zu einem Asylverfahren, welches nicht mit grundlegenden Mängeln behaftet ist, verwehrt oder massiv erschwert wird, das Asylverfahren an grundlegenden Mängeln leidet, oder dass er während der Dauer des Asylverfahrens wegen einer grundlegend defizitären Ausstattung mit den notwendigen Mitteln elementare Grundbedürfnisse des Menschen (wie z. B. Unterkunft, Nahrungsaufnahme und Hygienebedürfnisse) nicht in einer noch zumutbaren Weise befriedigen kann (vgl. OVG NRW a. a. O.).

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss sich der Tatrichter zur Widerlegung der auf dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens unter den Mitgliedstaaten gründenden Vermutung, die Behandlung der Asylbewerber stehe in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechte-Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK, die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) verschaffen, dass der Asylbewerber wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d. h. überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird. Die Widerlegung dieser Vermutung aufgrund systemischer Mängel setzt deshalb voraus, dass das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen im zuständigen Mitgliedstaat aufgrund größerer Funktionsstörungen regelhaft so defizitär sind, dass anzunehmen ist, dass dort auch dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (BVerwG, B. v. 6.6.2014 - 10 B 35/14, juris).

Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage in dem zuständigen Mitgliedstaat sind die regelmäßigen Berichte von internationalen Nichtregierungsorganisationen, Berichte der Kommission zur Bewertung des Dublin-Systems und Berichte des UNHCR zur Lage von Flüchtlingen und Migranten vor Ort. Den Berichten des UNHCR zur Lage von Flüchtlingen und Migranten vor Ort kommt bei der Beurteilung der Funktionsfähigkeit des Asylsystems in dem nach der Dublin III-Verordnung zuständigen Mitgliedstaat besondere Relevanz zu.

Nach diesen Grundsätzen ist auf Grundlage des dem Gericht vorliegenden, aktuellen Erkenntnismaterials zur Situation von Asylbewerbern in Ungarn (vgl. Bericht des Hungarian Helsinki Committee zu Asylhaft und zu den Dublin-Verfahren in Ungarn, Stand Mai 2014; Stellungnahme des UNHCR vom 9.5.2014 an das VG Düsseldorf im Verfahren 13 L 172/14.A jeweils abrufbar unter https://m.b...de; Ungarn Länderbericht des AIDA (Asylum Information Database), Stand 30.4.2014, abrufbar unter http://www.a...org; Bericht von b...eu, Stand Oktober 2013, abrufbar unter http://bordermonitoring.eu) jedenfalls für die Person des Antragstellers derzeit nicht ernsthaft zu befürchten, dass in Ungarn das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für den Asylbewerber systemische Mängel aufweisen, die einen Verstoß gegen die Genfer Flüchtlingskonvention oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 EU-GRCh bzw. Art. 3 EMRK begründen könnten.

Zum 1. Juli 2013 wurde das Asylsystem Ungarns zwar dahingehend verändert, als erneut weit-gehende Inhaftierungsgründe für Asylbewerber geschaffen wurden. Diese Rechtsänderungen wurden hinsichtlich der Unbestimmtheit der Haftgründe sowie hinsichtlich der unzureichenden Rechtsbehelfe gegen die Inhaftierung verschiedentlich kritisiert (vgl. Bericht des Hungarian Helsinki Commiittees a. a. O.; Ungarn Länderbericht des AIDA a. a. O.; UNHCR vom 9.5.2014 a. a. O.). Die genannten Berichte beruhen allerdings im Wesentlichen auf einer Auswertung der geänderten Rechtslage selbst, während Erkenntnisse zur konkreten Handhabung nicht verlässlich vorliegen. Es zu konstatieren, dass der UNHCR - abgesehen von seiner Stellungnahme vom 9. Mai 2014 an das Verwaltungsgericht Düsseldorf - bislang keine generellen Feststellungen zum Asylverfahren und den Aufnahmebedingungen in Ungarn getroffen und auch keine generelle Empfehlung ausgesprochen hat, im Rahmen des Dublin-Verfahrens Asylbewerber nicht nach Ungarn zu überstellen (vgl. VG Würzburg, Beschluss vom 25.8.2014 - W 6 S 14.50100 - juris). Unter Berücksichtigung der besonderen Relevanz des durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragenen Amtes des UNHCR für die Auslegung des unionsrechtlichen Asylverfahrens (vgl. EuGH, Urteil vom 30.5.2013 - C 528/11 - NVwZ-RR 2013, 660), kommt dem Fehlen einer solchen generellen Empfehlung des UNHCR besondere Bedeutung zu. Der Auffassung, die z. B. das Verwaltungsgericht des Saarlandes im Beschluss vom 7. August 2015 (3 L 672/15, juris Rn. 20) vertritt, wonach Äußerungen der Pressesprecherin des UNHCR zu entnehmen sei, dass der UNHCR über die fremdenfeindliche Gesinnung der ungarischen Regierung besorgt sei und dass diese Äußerungen wegen der Rolle, die dem Amt des UNHCR durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden sei, bei der Auslegung des unionsrechtlichen Asylverfahrens besonders zu beachten seien, schließt sich das Gericht nicht an. Abzustellen ist vielmehr auf Empfehlungen des UNHCR zur Beachtung der Aufnahme- und Verfahrensregelungen der Dublin-Verordnungen bei der Umsetzung in nationales Recht. An einer solchen Empfehlung fehlt es bislang, wie auch das VG des Saarlandes (a. a. O.) selbst feststellt.

Auch wenn die Inhaftierungsregelungen in Ungarn in der Rechtsprechung bisweilen zur Annahme systemischer Mängel geführt haben (vgl. VG München, U. v. 23.9.2014 - M 24 K 13.31329 -; VG Sigmaringen, B. v. 22.4.2014 - A 5 K 972/14 - juris; VG München, B. v. 26.6.2014 - M 24 S 14.50325; VG Düsseldorf, B. v. 27.8.2014 - 14 L 1786/14.A - VG Düsseldorf, B. v. 16.6.2014 - 13 L 141/14.A - jeweils juris; VG Münster, B. v. 7.7.2015 - 2 L 858/15.A; VG München, B. v. 5.3.2015 - M 15 S 15.50160 - juris; VG Berlin, B. v. 15.1.2015 - 23 L 899.14 A - juris;), ist nach Überzeugung des Gerichts für den hier vorliegenden Einzelfall nicht die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung bei einer Rücküberstellung nach Ungarn zu befürchten. Denn ausweislich einer Erklärung des Direktors des ungarischen Asyldirektorates gegenüber dem Liaisonmitarbeiter des Bundesamtes in Budapest im September 2013 werden Asylantragsteller aus sogenannten anerkennungsträchtigen Herkunftsländern, wozu auch der Nordirak zählen dürfte, regelmäßig weder in Asylhaft noch in Abschiebehaft genommen (vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 2.9.2014 - 6 L 1235/14.A - juris). Entgegenstehende Erkenntnisse liegen derzeit nicht vor. Auch der UNHCR kann derzeit keine verlässlichen Angaben über den Umgang mit Asylantragstellern im Dublin-Verfahren in Ungarn machen.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), dessen Rechtsprechung grundsätzlich über den jeweils entschiedenen Einzelfall hinaus eine Orientierungs- und Leitfunktion zukommt (vgl. BVerwG, Urteil vom 28.2.2013 - 2 C 3.12 - juris), hat mit Urteil vom 3. Juli 2014 im Ergebnis festgestellt, dass systemische Mängel hinsichtlich der Inhaftierungspraxis Ungarns nicht vorliegen und ein tatsächliches Risiko einer schwerwiegenden Beeinträchtigung im Sinne des Art. 3 EMRK bei einer Rückkehr nach Ungarn nicht bestehe (vgl. EGMR, Urteil vom 3.7.2014 - 71932/12). Auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat in zwei Entscheidungen ausgeführt, allein die Tatsache, dass das ungarische Asylrecht Inhaftierungsgründe für Asylbewerber enthalte und Ungarn auf dieser Grundlage Dublin-Rückkehrer inhaftiere, sei für sich genommen noch kein begründeter Anhaltspunkt für das Vorliegen systemischer Mängel des Asylsystems (so auch VG Dresden, B. v. 9.9. 2015 - 2 L 719/15.A). Er stützt sich weiterhin maßgeblich darauf, dass der UNHCR sich bisher nicht generell gegen Rücküberstellungen nach Ungarn ausgesprochen habe (BayVGH, B. v. 12.6.2015 - 13a ZB 15.50097 - juris; BayVGH, B. v. 27.4.2015 - 14 ZB 13.30076 - juris).

Hinsichtlich der Anwendung der seit 1. August 2015 in Ungarn geltenden Rechtslage, wonach Serbien nun sicherer Drittstaat sei, die Asylverfahren verkürzt und Anträge abgelehnt würden, wenn sich ein Asylbewerber unentschuldigt länger als 48 Stunden aus der ihm zugewiesenen Unterkunft entferne, ergibt sich nichts anderes. Es liegen dem Gericht für die Behandlung von Rückkehrern im Dublin-Verfahren keinerlei auf Tatsachen gestützte Erkenntnisse vor, die Anlass dazu gäben, Mängel in o. g. Qualität im Asylverfahren oder in den Aufnahmebedingungen anzunehmen.

Es liegen derzeit keine Erkenntnisse darüber vor, dass Dublin-Rückkehrer von Ungarn nach Serbien abgeschoben würden. Der Antragsteller selbst trägt auch nicht vor, über Serbien nach Ungarn eingereist zu sein. Sofern teilweise darauf abgestellt wird, es könne angesichts der neuen Gesetzeslage nicht ausgeschlossen werden, dass auch Dublin-Rückkehrer nach Serbien abgeschoben werden und darauf die Annahme systemischer Mängel in Ungarn für diese Personengruppe gestützt werden (VG Düsseldorf, B. v. 20.8.2015 - 15 L 2556/15.A-, juris), folgt das Gericht dieser Auffassung nicht, da sich hierfür aus den Erkenntnisquellen keine Anhaltspunkte ergeben. Aus der geänderten Gesetzeslage in Ungarn lässt sich vielmehr der Versuch erkennen, dem ungehinderten Zustrom von Flüchtlingen Herr zu werden. Die ungarische Regierung scheint bemüht, die Vorschriften der Dublin-Verordnung einzuhalten und für eine geregelte Einreise und Registrierung der Flüchtlinge zu sorgen, die gerade nicht in Ungarn Asyl beantragen wollen, sondern mit dem Ziel Deutschland oder Schweden in den Schengen-Raum einreisen. Daran ändert auch die als „fremdenfeindlich“ kritisierte Einstellung der ungarischen Regierung nichts. Neuerdings werden auch in Deutschland Einrichtungen wie „Transitzonen“ mit Einschränkungen der persönlichen Freiheit der Asylbewerber zur ordnungsgemäßen Abwicklung der Verfahren und sogar die Errichtung von Zäunen zur Gewährleistung der kontrollierten Einreise diskutiert.

Hinsichtlich der vielfach kritisierten Asylhaft ist anzumerken, dass die meisten Asylbewerber, die wie der Antragsteller über die sogenannte Balkanroute in die EU einreisen, Ungarn erklärtermaßen als Transitland betrachten und dort keinen Asylantrag stellen wollen.

Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, dass sie im Falle einer Rückführung nach Ungarn im Rahmen des Dublin-Verfahrens dort in Asylhaft genommen werden, da die ungarischen Behörden ihre wiederholte Ausreise befürchten müssen und eine Inhaftierung zur Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Asylverfahrens notwendig erscheint. Die im ungarischen Asylgesetz genannten Haftgründe sind insoweit auch nachvollziehbar.

Den dem Gericht vorliegenden Erkenntnisquellen lässt sich nicht entnehmen, dass die Haftbedingungen an sich menschenunwürdig im oben dargelegten Sinn wären und es dort systematisch zu Menschenrechtsverletzungen kommen würde. Darauf, ob es unterhalb der Schwelle systemischer Mängel in Einzelfällen zu einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 EU-GRCh bzw. des Art. 3 EMRK kommen kann und ob ein Antragsteller dem in der Vergangenheit schon einmal ausgesetzt war, kommt es im Zusammenhang mit Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 Dublin III-VO nicht an (BVerwG, B. v. 6.6.2014 a. a. O.).

Auch die derzeit in vielen Ländern der EU anzutreffenden Kapazitätsengpässe bei der Unterbringung und Betreuung der Flüchtlinge stellen für sich keinen systemischen Mangel im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 Dublin III-VO dar. Denn hierbei handelt es sich um rein tatsächliche Probleme, die der unerwartete Zustrom so vieler Menschen mit sich bringt.

Auch der aktuellen Presseberichterstattung zur Verschärfung der Gesetzeslage für Asylbewerber in Ungarn und der Mitteilung der ungarischen Regierung, das Land stoße für die Aufnahme von Flüchtlingen an seine Kapazitätsgrenzen, lässt sich nicht entnehmen, dass das Asylverfahren an sich mit Mängeln behaftet wäre, die eine Gefahr in dem beschriebenen Ausmaß mit sich bringen würde. Von der Ankündigung, keine Rückkehrer im Dublin-Verfahren aufzunehmen, ist die ungarische Regierung nach Intervention der EU-Kommission wieder abgerückt.

Da der Antragsteller auch keiner besonders schutzbedürftigen Personengruppe im Sinne des Art. 21 der Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (Aufnahme-Richtlinie) angehört, kann er sich einer Überstellung nach Ungarn somit nicht damit entgegentreten, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für ihn in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-Grundrechtscharta mit sich bringen würde (vgl. VG Köln, B. v. 28.4.2015 - 17 L 1024/15.A - juris; VG Ansbach, B. v. 16.4.2015 - AN 4 K 14.30119).

Die Anordnung der Abschiebung nach § 34a AsylVfG erscheint somit rechtmäßig. Im Übrigen wird zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen gemäß § 77 Abs. 2 AsylVfG auf die zutreffende Begründung des streitgegenständlichen Bescheids des Bundesamtes vom 15. September 2015 Bezug genommen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylVfG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.


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Tenor

I.

Der Antrag wird abgelehnt.

II.

Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.

Der am ... geborene Antragsteller ist malischer Staatsangehöriger und reiste nach eigenen Angaben am 8. Februar 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo er am 19. März 2015 Asylantrag stellte.

Im Rahmen des Verfahrens zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates zur Durchführung des Asylverfahrens im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) gab der Antragsteller am 19. März 2015 an, dass er sein Heimatland im Juni 2012 verlassen habe und über Algerien (6 Monate), Türkei (2 Jahre), Griechenland (1 Monat), Mazedonien (15 Tage) sowie Serbien(1 Tag) und Ungarn (5 Tage) mit dem Pkw über Österreich nach Deutschland gelangt sei. In Griechenland im Dezember 2014 und in Ungarn im Februar 2015 seien von ihm Fingerabdrücke abgenommen worden.

Mit Blick auf die obigen Angaben und Treffern der Kategorie 1 und 2 bezüglich Ungarns im Eurodac-Fingerabdrucksystem wandte sich das Bundesamt am 5. Juni 2015 mit dem Ersuchen um Übernahme an die zuständigen ungarischen Behörden; diese erklärten mit Schreiben vom 10. Juni 2015 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des dort am 26. Januar 2015 gestellten Asylantrags.

Mit Bescheid vom 18. Juni 2015, dem Antragsteller zugestellt am 25. Juni 2015, lehnte das Bundesamt den in Deutschland gestellten Asylantrag als unzulässig ab (Nr. 1) und ordnete die Abschiebung nach Ungarn an (Nr. 2). Auf die Begründung des Bescheides wird Bezug genommen.

Mit Schriftsatz vom ... Juli 2015, eingegangen am 2. Juli 2015, ließ der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten Klage gegen den Bescheid vom 18. Juni 2015 (M 3 K 15.50615) zum Bayerischen Verwaltungsgericht München erheben und weiter beantragen,

die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.

Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgebracht, trotz der Annahme des Wiederaufnahmegesuchs stehe nicht fest, dass die Abschiebung des Antragstellers nach Ungarn durchgeführt werden könne. Zudem sei nach den vorliegenden Erkenntnismitteln und aufgrund der erheblich gestiegenen Flüchtlingszahlen von systemischen Mängeln des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber i. S. v. Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 Dublin-III-Verordnung in Ungarn auszugehen.

Das Bundesamt legte mit Schreiben vom 7. Juli 2015 die Behördenakte vor und äußerte sich im Übrigen nicht.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte sowie auf die vorgelegte Behördenakte verwiesen.

II.

Der zulässige Eilantrag bleibt ohne Erfolg, weil er unbegründet ist.

Entfaltet ein Rechtsbehelf wie hier von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 75 Abs. 1 AsylVfG), kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht trifft hierbei eine eigene Ermessensentscheidung, bei der es abzuwägen hat zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheides und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Dabei sind insbesondere die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Eilverfahren nur erforderliche und gebotene summarische Prüfung, dass die Klage voraussichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid bei kursorischer Prüfung als rechtswidrig, wird das Gericht die aufschiebende Wirkung anordnen, da kein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung eines voraussichtlich rechtswidrigen Bescheides besteht. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen, bleibt es bei einer allgemeinen Interessenabwägung.

Gemessen an diesen Grundsätzen überwiegt vorliegend das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheides, da nach vorläufiger Prüfung derzeit davon auszugehen ist, dass der angefochtene Bescheid sich im Hauptsacheverfahren als rechtmäßig erweisen wird und die streitgegenständliche Abschiebungsanordnung den Antragsteller nicht in seinen Rechten verletzt. Die Voraussetzungen für den Erlass einer Abschiebungsanordnung nach § 34a i. V. m. § 27a AsylVfG sind nach der im Eilverfahren vorzunehmenden summarischen Überprüfung gegeben. Danach ist Ungarn aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig.

1. Das Bundesamt hat den Asylantrag des Antragstellers rechtmäßig nach § 27a AsylVfG als unzulässig abgelehnt.

Nach § 27a AsylVfG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ordnet das Bundesamt, wenn ein Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26a AsylVfG) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a AsylVfG) abgeschoben werden soll, die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.

Die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens richtet sich dabei vorliegend nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (Dublin-III-VO), weil das an Ungarn gerichtete Gesuch des BAMF nach dem 1. Januar 2014 gestellt wurde (vgl. Art. 49 Absatz 2 Dublin-III-VO).

Nach den hiernach maßgeblichen Bestimmungen der Dublin-III-VO ist Ungarn und nicht Griechenland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig. Zwar hat sich der Antragsteller nach seinen Angaben einen Monat in Griechenland aufgehalten, doch verbietet sich eine Überstellung des Klägers dorthin aufgrund der dort weiterhin vorliegenden systemischen Schwachstellen des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen (vgl. EUGH U. v. 21.12.2011 - C-411/10 sowie Entscheiderbrief 1/2015, wonach der Bundesinnenminister Überstellungen nach Griechenland mit Erlass vom 12.01.2015 für ein weiteres Jahr ausgesetzt hat), so dass die Antragsgegnerin nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-III-VO zu prüfen hatte, ob ein anderer Mitgliedsstaat als zuständig bestimmt werden kann. Diese Prüfung führt zur Zuständigkeit Ungarns, weil der Antragsteller in diesen Mitgliedsstaat nach seinem Aufenthalt in Griechenland über Mazedonien und Serbien kommend eingereist ist (vgl. Art. 13 Abs. 1 Dublin-III-VO). Dass er dort tatsächlich einen Asylantrag gestellt hat - was von ihm bestritten wird -, ist nicht erforderlich. Bereits die illegale Einreise nach Ungarn von einem Drittstaat kommend wirkt nach Art. 13 Abs. 1 Dublin-III-VO zuständigkeitsbegründend. Unabhängig hiervon spricht alles für eine Asylantragstellung des Antragstellers in Ungarn. So hat sich ein Eurodac-Treffer der Kategorie 1 für Ungarn ergeben. Die Ziffer “1“ nach dem Länderkürzel steht für Personen, die in Ungarn einen Asylantrag gestellt haben, vgl. Art. 2 Abs. 3 Satz 5 der VO (EG) Nr. 407/2002. Zudem haben die ungarischen Behörden der Überstellung des Antragstellers unter Bezugnahme auf Art. 18 Abs. 1 Buchstabe b Dublin-III-VO sowie den vom Antragsteller am 26. Januar 2015 gestellten Asylantrag zugestimmt.

Mit dieser Übernahmeerklärung steht grundsätzlich auch fest, dass die Abschiebung nach Ungarn durchgeführt werden kann.

Eine Überstellung an Ungarn als den grundsätzlich zuständigen Mitgliedstaat (vgl. Art. 18 Abs. 1 Buchst. a Dublin-III-VO) hat auch nicht gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 Dublin-III-VO zu unterbleiben. Es sind keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Antragsteller im Falle einer Abschiebung nach Ungarn infolge systemischer Schwachstellen des dortigen Asylverfahrens oder der dortigen Aufnahmebedingungen einer hinreichend wahrscheinlichen Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-GRCharta) ausgesetzt wäre:

Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG v. 14.5.1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH U. v. 21.12.2011 - C-411/10 und C-493/10) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der EU den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte i. S. v. Art. 6 Abs. 1 EUV entspricht. Zwar ist diese Vermutung nicht unwiderleglich. Vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für die Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i. S. v. Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Grundrechtscharta) ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH v. 21.12.2011, a. a. O.). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist daher nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG v. 19.3.2014 - 10 B 6.14).

Ausgehend von diesen Maßstäben und im Einklang mit der aktuellen obergerichtlichen Rechtsprechung ist aus derzeitiger Sicht - jedenfalls soweit es sich nicht um besonders schutzbedürftige Personen wie Familien mit kleinen Kindern handelt - nicht davon auszugehen, dass Asylantragsteller in Ungarn aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber tatsächlich Gefahr laufen, dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein.

Insbesondere hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 12. Juni 2015 - 13a ZB 15.50097, dem Ansatz, wonach die Anwendung der sog. Asylhaft auf die meisten „Dublin-Rückkehrer“ wegen Verstoßes gegen Art. 6 EU-Grundrechte-Charta zu einem Überstellungsverbot nach Ungarn führe (so z. B. VG Berlin v. 15.01.2015 - 23 L 899.14 A, Rn. 8 bei juris, ebenso VG München v. 20.02.2015 - M 24 S 15.50091, Rn. 45 ff. bei juris; VG München v. 16.04.2015 - M 24 K 15.50098; ähnlich VG Köln v. 28.04.2015, - 17 L 1024/15.A, Rn. 21 ff. bei juris) eine Absage erteilt. Denn der Gerichtshof der Europäischen Union (s.o.; exemplarisch EuGH v. 10.12.2013, Rs. C-394/12, Rn. 52 ff. bei juris) hat den Maßstab zur Überprüfung der Überstellungsentscheidung - der nunmehr in Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 der Dublin-III-VO positiv festgeschrieben wurde - ausschließlich dem Verbot der unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung in Art. 4 EU-Grundrechte-Charta entnommen, das Recht auf Freiheit und Sicherheit gemäß Art. 6 EU-Grundrechte-Charta ist demnach nicht unmittelbarer Prüfmaßstab im Rahmen einer Entscheidung gem. §§ 27a, 34a AsylVfG im „Dublin-Verfahren“ (s. auch VG Hamburg v. 18.02.2015 - 2 AE 354/15). In BayVGH v. 12.06.2015 - 13a ZB 15.50097 heißt es insofern unter Rn. 4 der Beschlussausfertigung:

„(…) Abgesehen davon gehen sowohl das Verwaltungsgericht Berlin (B. v. 15.1.2015 - 23 L 899.14 A - Asylmagazin 2015, 80 = juris) wie das Verwaltungsgericht München (B. v. 20.2.2015 - M 24 S 15.50091 - juris) nicht von einem systemischen Verstoß gegen Art. 4 EU-Grundrechtscharta aus, wie in Art. 3 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO), bestimmt ist. Bei beiden erstinstanzlichen Gerichten gilt, dass sie offenbar einen anderen als den in Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 der Dublin III-VO festgelegten Prüfungsmaßstab („Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU-Grundrechtecharta“) zugrunde gelegt haben (vgl. auch OVG SH, B. v. 13.4.2015 - 2 LA 39/15 - juris). Diesen Maßstab hat der Gerichtshof der Europäischen Union bereits für die Dublin II-VO verbindlich festgelegt, indem er ausgeführt hat, dass nicht jede Verletzung eines Grundrechts durch den zuständigen Mitgliedstaat genügt, um die Annahme systemischen Versagens zu tragen (EuGH, U. v. 21.12.2011 - N.S. u. a., C-411/10 u. a. - NVwZ 2012, 417 Rn. 82; vgl. auch BVerwG, B. v. 6.6.2014 - 10 B 35.14 - NVwZ 2014, 1677) Im Übrigen verneint auch der Großteil der nationalen Verwaltungsgerichte systemische Mängel bzw. Schwachstellen des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in Ungarn.“

In gleicher Zielrichtung argumentiert das Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein (vgl. Beschl. v. 13.04.2015 - 2 LA 39/15, Rn. 3 bei juris):

„(…) Abgesehen davon erlaubt auch nach Auffassung des VG Berlin (Beschluss vom 15. Januar 2015 a. a. O., juris Rn. 8) die Auskunftslage nicht die Feststellung systemischer Mängel aufgrund unmenschlicher und erniedrigender Haftbedingungen in Ungarn; das VG Stuttgart (Beschluss vom 19. Februar 2015 a. a. O. juris Rn. 9) sieht es als offen an, ob die Asylhaftpraxis in Ungarn gegen Art. 6 EuGrCh verstößt. Bei beiden erstinstanzlichen Gerichten gilt, dass sie offenbar einen anderen als den in Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 der Dublin-III-Verordnung festgelegten Prüfungsmaßstab („Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU-Grundrechtecharta“) zugrunde gelegt haben. Diesen Maßstab hat der Gerichtshof der Europäischen Union bereits für die vorangehende Dublin-II-Verordnung verbindlich festgelegt, indem er ausgeführt hat, dass nicht jede Verletzung eines Grundrechts durch den zuständigen Mitgliedstaat genügt, um die Annahme systemischen Versagens zu tragen (EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - C - 411/10 u. a.).“

Auch der EGMR (U. v. 3.7.2014 - 71932/12) geht - sowie andere deutsche Verwaltungsgerichte (z. B. VG Würzburg, B. v. 06.07.2015 - W 6 S 15.50224; VG Augsburg B. v. 17.06.2015 - Au 5 S 15.50317; VG Düsseldorf B. v. 05.06.2015 - 13 L 1253/15.A, VG Regensburg, U. v. 5. 12. 2014 - RN 6RN 6 K 14.50089; VG Bayreuth, B. v. 13.1.2015 - B 3 S 14.50129; VG Augsburg, B. v. 26. 1. 2015 - Au 7 S 15.50015; VG Regensburg, B. v. 4. 2. 2015 - RO 1 S 15.50021; VG München, B. v. 17. 5. 2015 - M 9 S 15.50457; VG München, B. v. 9.4.2015 - M 18 S 15.50119; VG München, B. v. 25.2.2015 - M 7 S7 15.50165; VG München, B. v. 13.4.2015 - M 2 S 15.50210) - davon aus, dass keine systematische Inhaftierung von Asylsuchenden mehr stattfindet, Alternativen zur Inhaftierung gesetzlich vorgesehen sind und insgesamt gesehen Verbesserungen festgestellt werden können.

Nach alledem vermag das Gericht keine systemischen Mängel des Asylverfahrens in Ungarn zu erkennen, die eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers rechtfertigen könnten.

2. Die Antragsgegnerin ist auch nicht verpflichtet, trotz der Zuständigkeit Ungarns den Asylantrag des Antragstellers selbst inhaltlich zu prüfen.

Individuelle außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO rechtfertigen würden, sind vom Antragsteller weder geltend gemacht noch ersichtlich.

3. Der Abschiebung des Antragstellers stehen auch keine inlandsbezogenen Abschiebungshindernisse entgegen, zu deren Prüfung das Bundesamt in Fällen der Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylVfG verpflichtet ist (vgl. BayVGH, B. v. 12.3.2014 - 10 CE 14.427).

Der Antrag war demnach mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Das Verfahren ist nach § 83b AsylVfG gerichtskostenfrei.

Dieser Beschluss ist nach § 80 AsylVfG unanfechtbar.

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.

2. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

3. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung wird abgelehnt.

4. Der Gegenstandswert beträgt 2.500,00 EUR.

Gründe

I.

Der nach eigenen Angaben 1974 geborene Antragsteller ist irakischer Staatsangehöriger und kurdischer Yezide. Er reiste seinen Angaben zufolge am 10. Mai 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte am 22. Juli 2015 seine Anerkennung als Flüchtling.

Den Erkenntnissen des Bundesamtes zufolge (EURODAC-Treffer) lagen Anhaltspunkte vor für die Zuständigkeit eines anderen Staates gemäß der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin-III-Verordnung). Mit E-Mail vom 23. Juli 2015 erhielt der Antragsgegner Mitteilung, dass für den Antragssteller ein EUROCAC-Treffer für Ungarn unter der Nummer ... vorliegt.

Am 21. September 2015 wurde ein Übernahmeersuchen nach der Dublin-III-Verordnung an Ungarn gerichtet. Die ungarischen Behörden haben hierauf keine Antwort erteilt.

Im Rahmen des Gesprächs zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 7. September 2015 gab der Antragsteller an, ein Bruder befände sich in Deutschland. Er gab an, zunächst nach Bulgarien eingereist zu sein. In Ungarn seien ihm Fingerabdrücke abgenommen worden. Ehefrau und sieben Kinder sowie die Großfamilie lebten noch im Irak.

Mit Bescheid vom 9. Oktober 2015, der dem Kläger am 13. Oktober 2015 mit Postzustellungsurkunde zugestellt wurde, lehnte die Antragsgegnerin den Asylantrag des Antragstellers als unzulässig ab (Ziffer I), und ordnete in Ziffer II die Abschiebung nach Ungarn an.

Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, in Ungarn lägen keine systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen vor. Zur Begründung wird insgesamt auf den Bescheid Bezug genommen.

Mit einem am 19. Oktober 2015 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten ließ der Antragsteller gegen den genannten Bescheid Klage erheben (AN 3 K 15.50474) und beantragte gleichzeitig,

die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.

Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen, das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Ungarn wiesen systemische Mängel auf, insbesondere wegen der Anwendung von Asylhaft. Es könne nicht hingenommen werden, dass vom IS bedrohte Yeziden im Dublin-Verfahren nach Ungarn zurückkehren müssten, obwohl es sich um Bürgerkriegsflüchtlinge handle. Im Vergleich zu den syrischen Staatsangehörigen, für die das Dublin-Verfahren keine Anwendung mehr finde, liege eine Ungleichbehandlung vor. Die Trennung des Antragstellers von seinen in Deutschland lebenden Verwandten stelle einen Verstoß gegen die Menschenwürde dar.

Auch sei das Übernahmeverlangen Deutschlands an Ungarn zu spät gestellt worden. Maßgeblich für den Fristlauf sei der Zeitpunkt des Asylbegehrens.

Außerdem sei der Antragssteller nicht wie in Art. 4 und 5 der Dublin III-VO vorgeschrieben belehrt worden. Das in der Anlage X zur Dublin III-VO abgedruckte Informationsschreiben sei dem Antragsteller nicht in seiner Muttersprache ausgehändigt worden, weshalb die Informationsrechte des Antragstellers verletzt seien.

Es wurde verwiesen auf folgende Entscheidungen:

Verwaltungsgericht Hannover 21.9.2015 - 2 B 4549/15

Verwaltungsgericht Minden 1.9.2015 - 10 L 285/15.A

VG Bayreuth 12.10.2015 B 3 S 15.50241

sowie auf eine Kurzstellungnahme des UNHCR zu Ungarn vom 17.9.2015.

Der Kläger habe sich in Ungarn zunächst geweigert, Fingerabdrücke nehmen zu lassen. Daraufhin sei er für zwei Tage inhaftiert worden, dann aber aus der Haft entlassen und ohne weitere Hinweise zur Durchführung seines Asylverfahrens sich selbst überlassen gewesen. Er habe sich nach Deutschland durchgeschlagen.

Die Antragsgegnerin hat bislang keinen Antrag gestellt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der beigezogenen Behörden- und Gerichtsakten Bezug genommen.

II.

Der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes vom9. Oktober 2015 anzuordnen, ist zulässig, aber unbegründet.

Die Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid des Bundesamtes hat gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 75 Abs. 1 AsylG keine aufschiebende Wirkung. Jedoch kann das Gericht gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen, wenn das Interesse auf Aussetzung des Vollzugs das öffentliche Interesse an der Vollziehung des Bescheides überwiegt. Hierbei sind im Wesentlichen auch die Erfolgsaussichten der Klage in der Hauptsache zu berücksichtigen. Die Klage des Antragstellers wird mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen Erfolg haben. Die angefochtene Abschiebungsanordnung erweist sich unter Berücksichtigung der maßgebenden tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der Entscheidung (§ 77 Abs.1 AsylG) aller Voraussicht nach als rechtmäßig.

Rechtsgrundlage für die Anordnung der Abschiebung ist § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG. Danach ordnet das Bundesamt die Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald fest steht, dass sie durchgeführt werden kann.

Die Antragsgegnerin ist zutreffend davon ausgegangen, dass Ungarn nach Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO für die Bearbeitung des Antrages auf internationalen Schutz und für die Wiederaufnahme des Antragstellers zuständig ist. Denn Ungarn hat auf das am 21. September 2015 vom Bundesamt gestellte Ersuchen um Wiederaufnahme des Antragstellers, für den ein Eurodac-Treffer hinsichtlich Ungarn festgestellt worden war, nicht geantwortet.

Damit ist Ungarn gemäß Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-Verordnung verpflichtet, den Antragsteller wieder aufzunehmen. Diese Frist ist vorliegend noch nicht abgelaufen und die Überstellung kann erfolgen.

Die Frist von zwei Monaten, die Art. 23 Abs. 2 Dublin III-VO der Bundesrepublik Deutschland für die Stellung eines Wiederaufnahmegesuchs einräumt, begann mit der Eurodac-Treffermeldung nach Art. 9 Absatz 5 der Dublin III-VO zu laufen. Diese erfolgte hier per E-Mail am 23. Juli 2015 (Blatt 42 der Behördenakte) und lief demzufolge am 23. September 2015 ab, §§ 31 VwVfG, 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB. Das Wiederaufnahmegesuch erfolgte mit Schreiben vom 21. September und damit vor Ablauf der maßgeblichen Frist.

Der Bescheid des Bundesamtes begegnet in formeller Hinsicht keinen rechtlichen Bedenken. Der Antragsteller kann nicht mit Erfolg geltend machen, er sei nicht nach den Vorgaben der Art. 4 und 5 Dublin III-VO über deren Anwendung belehrt worden. Es liegt insoweit kein Verfahrensfehler vor.

Dem Antragsteller wurden ausweislich der Behördenakte am 22. Juli 2015 zwei Merkblätter für das Dublin-Verfahren ausgehändigt (Blatt 19 der Behördenakte). Dies haben sowohl der Antragsteller selbst als auch der kurdische Dolmetscher durch ihre Unterschrift bestätigt. Eine Rüge dahingehend, dass der Antragsteller deren Inhalt nicht hätte verstehen können, findet sich in der Behördenakte nicht. Außerdem fand am 7. September 2015 das persönliche Gespräch nach Art. 5 Dublin III-VO in Anwesenheit eines kurdischen Dolmetschers statt.

Auch wenn das vom Bundesamt verwendete (und dem Antragsteller in der Sprache „Arabisch“ ausgehändigte) Merkblatt nicht den Anforderungen der in Anlage X der Durchführungsverordnung (EU) vom 30. Januar 2014 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 abgedruckten Version entsprechen sollte, lässt sich daraus allein keine Rechtsverletzung des Klägers ableiten. Denn zum einen erscheint das von der Behörde verwendete Merkblatt inhaltlich ausreichend, um den Asylantragsteller das Dublin-Verfahren und die daraus für ihn entstehenden Folgen ausreichend näher zu bringen. Als Ergänzung der Information diente das vorliegend durchgeführte persönliche Gespräch (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO).

Zum anderen hat das Informationsrecht aus Art. 4 Dublin III-VO den Sinn, den Antragsteller über seine Rechte zu informieren, damit er diese wahren kann. Dass der Antragsteller über diese Informationen verfügt, zeigen der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung und die gleichzeitig erhobene Klage.

Auch hätte ein möglicher Verfahrensfehler keine Auswirkung auf die Entscheidung des BAMF gehabt. Denn bei der Entscheidung nach § 27 a AsylG handelt es sich um eine gebundene Entscheidung.

Der Antragsteller kann nicht mit Erfolg geltend machen, er habe in Ungarn keinen Antrag auf Zuerkennung internationalen Schutzes gestellt. Bei den Vorschriften der Dublin III-VO handelt es sich überwiegend um Normen, die die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens regeln und dem Antragsteller gerade kein subjektives Recht darauf einräumen, dass sein Asylverfahren in einem bestimmten Mitgliedstaat durchgeführt wird (vgl. Beck’scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Kluth/Heusch, Stand 1. Mai 2015, Rn. 29 und 30 zu § 27 a AsylVfG). Entscheidend ist, dass Ungarn aufgrund der der o.g. Regelungen der Dublin III-VO für die Durchführung des Verfahrens des Antragstellers zuständig geworden ist.

Besondere Umstände, die die Zuständigkeit der Antragsgegnerin nach Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 Dublin III-VO begründen oder zur Ausübung ihres Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO führen würden, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

Die Auslegung der Dublin III-Verordnung, die „einen der Bausteine des von der Europäischen Union errichteten Gemeinsamen Europäischen Asylsystems bildet“, und die sich daraus ergebenden Rechte der Asylbewerber sind durch neuere Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs geklärt (EuGH, Urteil vom 21.12. 2011 - C-411/10 und C-493/10 - Slg. 2011, I-13905; EuGH, Urteil vom 14.11.2013 - Pui, C-4/11; EuGH, Urteil vom 10.12.2013, C-394/12).

Das in dieser Verordnung und in weiteren Rechtsakten geregelte Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) stützt sich - ähnlich wie das deutsche Konzept der „normativen Vergewisserung“ hinsichtlich der Sicherheit von Drittstaaten (BVerfG, Urteil vom 14.5.1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 - BVerfGE 94, 49) - auf die Annahme, dass alle daran beteiligten Staaten, ob Mitgliedstaaten oder Drittstaaten, die Grundrechte beachten, einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 sowie in der EMRK finden, und der Versicherung, dass niemand dorthin zurückgeschickt wird, wo er Verfolgung ausgesetzt ist, ferner dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen dürfen (EuGH, Urteil vom 21.12.2011 - C-411/10, C-493/10, NVwZ 2012, 417; vgl. Hailbronner/Thym, NVwZ 2012, 406).

Davon kann nur dann abgesehen werden, wenn dieser zuständige Mitgliedsstaat sogenannte „systemische Mängel“ des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber aufweist, so dass die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gefahr für Asylbewerber bestünde, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Grundrechtscharta bzw. Art. 3 EMRK ausgesetzt zu werden. Dies wiederum hat zur Folge, dass der Asylbewerber der Überstellung in den zuständigen Mitgliedsstaat nur mit dem Einwand sogenannter systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber entgegentreten kann (so grundsätzlich EUGH, große Kammer, U. v. 10.12.2013, RS: 10-394/12, juris). Diese Rechtsprechung mündete nunmehr in Art. 3 Abs. 2 der Dublin III-VO, der bestimmt, dass im Falle systemischer Schwachstellen in einem Mitgliedsstaat für den Fall, dass keine anderen zuständigen Staaten gefunden werden können, der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedsstaat der zuständige Mitgliedsstaat wird. An diesen nunmehr in Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO normierten Ausnahmefall sind daher strenge Anforderungen zu stellen (vgl. OVG NRW, Urteil vom 7.3.2014 - 1 A 21/12.A - DVBl 2014, 790 ff.). Eine systemisch begründete, ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 EU-GRCh bzw. Art. 3 EMRK muss im Sinne einer Selbstbetroffenheit speziell auch gerade für den jeweiligen Rechtsschutzsuchenden in seiner konkreten Situation bestehen. Sie liegt maßgeblich dann vor, wenn mit Blick auf das Gewicht und das Ausmaß einer drohenden Beeinträchtigung dieses Grundrechts mit einem beachtlichen Grad von Wahrscheinlichkeit die reale, nämlich durch eine hinreichend gesicherte Tatsachengrundlage belegte Gefahr besteht, dass dem Betroffenen in dem Mitgliedstaat, in den er überstellt werden soll, entweder schon der Zugang zu einem Asylverfahren, welches nicht mit grundlegenden Mängeln behaftet ist, verwehrt oder massiv erschwert wird, das Asylverfahren an grundlegenden Mängeln leidet, oder dass er während der Dauer des Asylverfahrens wegen einer grundlegend defizitären Ausstattung mit den notwendigen Mitteln elementare Grundbedürfnisse des Menschen (wie z. B. Unterkunft, Nahrungsaufnahme und Hygienebedürfnisse) nicht in einer noch zumutbaren Weise befriedigen kann (vgl. OVG NRW a. a. O.).

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss sich der Tatrichter zur Widerlegung der auf dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens unter den Mitgliedstaaten gründenden Vermutung, die Behandlung der Asylbewerber stehe in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechte-Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK, die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) verschaffen, dass der Asylbewerber wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d. h. überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird. Die Widerlegung dieser Vermutung aufgrund systemischer Mängel setzt deshalb voraus, dass das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen im zuständigen Mitgliedstaat aufgrund größerer Funktionsstörungen regelhaft so defizitär sind, dass anzunehmen ist, dass dort auch dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (BVerwG, B. v. 6.6.2014 - 10 B 35/14, juris).

Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage in dem zuständigen Mitgliedstaat sind die regelmäßigen Berichte von internationalen Nichtregierungsorganisationen, Berichte der Kommission zur Bewertung des Dublin-Systems und Berichte des UNHCR zur Lage von Flüchtlingen und Migranten vor Ort. Den Berichten des UNHCR zur Lage von Flüchtlingen und Migranten vor Ort kommt bei der Beurteilung der Funktionsfähigkeit des Asylsystems in dem nach der Dublin III-Verordnung zuständigen Mitgliedstaat besondere Relevanz zu.

Nach diesen Grundsätzen ist auf Grundlage des dem Gericht vorliegenden, aktuellen Erkenntnismaterials zur Situation von Asylbewerbern in Ungarn (vgl. Bericht des Hungarian Helsinki Committee zu Asylhaft und zu den Dublin-Verfahren in Ungarn, Stand Mai 2014; Stellungnahme des UNHCR vom 9.5.2014 an das VG Düsseldorf im Verfahren 13 L 172/14.A jeweils abrufbar unter https://m...b...de; Ungarn Länderbericht des AIDA (Asylum Information Database), Stand 30.4.2014, abrufbar unter http://www.a...org; Bericht von bordermonitoring.eu, Stand Oktober 2013, abrufbar unter http://b...eu) jedenfalls für die Person des Antragstellers derzeit nicht ernsthaft zu befürchten, dass in Ungarn das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für den Asylbewerber systemische Mängel aufweisen, die einen Verstoß gegen die Genfer Flüchtlingskonvention oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 EU-GRCh bzw. Art. 3 EMRK begründen könnten.

Zum 1. Juli 2013 wurde das Asylsystem Ungarns zwar dahingehend verändert, als erneut weitgehende Inhaftierungsgründe für Asylbewerber geschaffen wurden. Diese Rechtsänderungen wurden hinsichtlich der Unbestimmtheit der Haftgründe sowie hinsichtlich der unzureichenden Rechtsbehelfe gegen die Inhaftierung verschiedentlich kritisiert (vgl. Bericht des Hungarian Helsinki Commiittees a. a. O.; Ungarn Länderbericht des AIDA a. a. O.; UNHCR vom 9.5.2014 a. a. O.). Die genannten Berichte beruhen allerdings im Wesentlichen auf einer Auswertung der geänderten Rechtslage selbst, während Erkenntnisse zur konkreten Handhabung nicht verlässlich vorliegen. Es zu konstatieren, dass der UNHCR - abgesehen von seiner Stellungnahme vom 9. Mai 2014 an das Verwaltungsgericht Düsseldorf - bislang keine generellen Feststellungen zum Asylverfahren und den Aufnahmebedingungen in Ungarn getroffen und auch keine generelle Empfehlung ausgesprochen hat, im Rahmen des Dublin-Verfahrens Asylbewerber nicht nach Ungarn zu überstellen (vgl. VG Würzburg, Beschluss vom 25.8.2014 - W 6 S 14.50100 - juris). Unter Berücksichtigung der besonderen Relevanz des durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragenen Amtes des UNHCR für die Auslegung des unionsrechtlichen Asylverfahrens (vgl. EuGH, Urteil vom 30.5.2013 - C 528/11 - NVwZ-RR 2013, 660), kommt dem Fehlen einer solchen generellen Empfehlung des UNHCR besondere Bedeutung zu. Der Auffassung, die z. B. das Verwaltungsgericht des Saarlandes im Beschluss vom 7. August 2015 (3 L 672/15, juris Rn. 20) vertritt, wonach Äußerungen der Pressesprecherin des UNHCR zu entnehmen sei, dass der UNHCR über die fremdenfeindliche Gesinnung der ungarischen Regierung besorgt sei und dass diese Äußerungen wegen der Rolle, die dem Amt des UNHCR durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden sei, bei der Auslegung des unionsrechtlichen Asylverfahrens besonders zu beachten seien, schließt sich das Gericht nicht an. Abzustellen ist vielmehr auf Empfehlungen des UNHCR zur Beachtung der Aufnahme- und Verfahrensregelungen der Dublin-Verordnungen bei der Umsetzung in nationales Recht. An einer solchen Empfehlung fehlt es bislang, wie auch das VG des Saarlandes (a. a. O.) selbst feststellt.

Auch wenn die Inhaftierungsregelungen in Ungarn in der Rechtsprechung bisweilen zur Annahme systemischer Mängel geführt haben (vgl. VG München, U. v. 23.9.2014 - M 24 K 13.31329 -; VG Sigmaringen, B. v. 22.4.2014 - A 5 K 972/14 - juris; VG München, B. v. 26.6.2014 - M 24 S 14.50325; VG Düsseldorf, B. v. 27.8.2014 - 14 L 1786/14.A - VG Düsseldorf, B. v. 16.6.2014 - 13 L 141/14.A - jeweils juris; VG Münster, B. v. 7.7.2015 - 2 L 858/15.A; VG München, B. v. 5.3.2015 - M 15 S 15.50160 - juris; VG Berlin, B. v. 15.1.2015 - 23 L 899.14 A - juris; ), ist nach Überzeugung des Gerichts für den hier vorliegenden Einzelfall nicht die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung bei einer Rücküberstellung nach Ungarn zu befürchten. Denn ausweislich einer Erklärung des Direktors des ungarischen Asyldirektorates gegenüber dem Liaisonmitarbeiter des Bundesamtes in Budapest im September 2013 werden Asylantragsteller aus sogenannten anerkennungsträchtigen Herkunftsländern, wozu auch der Nordirak zählen dürfte, regelmäßig weder in Asylhaft noch in Abschiebehaft genommen (vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 2.9.2014 - 6 L 1235/14.A - juris). Entgegenstehende Erkenntnisse liegen derzeit nicht vor. Auch der UNHCR kann derzeit keine verlässlichen Angaben über den Umgang mit Asylantragstellern im Dublin-Verfahren in Ungarn machen.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), dessen Rechtsprechung grundsätzlich über den jeweils entschiedenen Einzelfall hinaus eine Orientierungs- und Leitfunktion zukommt (vgl. BVerwG, Urteil vom 28.2.2013 - 2 C 3.12 - juris), hat mit Urteil vom 3. Juli 2014 im Ergebnis festgestellt, dass systemische Mängel hinsichtlich der Inhaftierungspraxis Ungarns nicht vorliegen und ein tatsächliches Risiko einer schwerwiegenden Beeinträchtigung im Sinne des Art. 3 EMRK bei einer Rückkehr nach Ungarn nicht bestehe (vgl. EGMR, Urteil vom 3.7.2014 - 71932/12). Auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat in zwei Entscheidungen ausgeführt, allein die Tatsache, dass das ungarische Asylrecht Inhaftierungsgründe für Asylbewerber enthalte und Ungarn auf dieser Grundlage Dublin-Rückkehrer inhaftiere, sei für sich genommen noch kein begründeter Anhaltspunkt für das Vorliegen systemischer Mängel des Asylsystems (so auch VG Dresden, B. v. 9.9. 2015 - 2 L 719/15.A). Er stützt sich weiterhin maßgeblich darauf, dass der UNHCR sich bisher nicht generell gegen Rücküberstellungen nach Ungarn ausgesprochen habe (BayVGH, B. v. 12.6.2015 - 13a ZB 15.50097 - juris; BayVGH, B. v. 27.4.2015 - 14 ZB 13.30076 - juris).

Hinsichtlich der Anwendung der seit 1. August 2015 in Ungarn geltenden Rechtslage, wonach Serbien nun sicherer Drittstaat sei, die Asylverfahren verkürzt und Anträge abgelehnt würden, wenn sich ein Asylbewerber unentschuldigt länger als 48 Stunden aus der ihm zugewiesenen Unterkunft entferne, ergibt sich nichts anderes. Es liegen dem Gericht für die Behandlung von Rückkehrern im Dublin-Verfahren keinerlei auf Tatsachen gestützte Erkenntnisse vor, die Anlass dazu gäben, Mängel in o.g. Qualität im Asylverfahren oder in den Aufnahmebedingungen anzunehmen.

Es liegen derzeit keine Erkenntnisse darüber vor, dass Dublin-Rückkehrer von Ungarn nach Serbien abgeschoben würden. Der Antragsteller selbst trägt auch nicht vor, über Serbien nach Ungarn eingereist zu sein. Sofern teilweise darauf abgestellt wird, es könne angesichts der neuen Gesetzeslage nicht ausgeschlossen werden, dass auch Dublin-Rückkehrer nach Serbien abgeschoben werden und darauf die Annahme systemischer Mängel in Ungarn für diese Personengruppe gestützt werden (VG Düsseldorf, B. v. 20.8.2015 - 15 L 2556/15.A-, juris), folgt das Gericht dieser Auffassung nicht, da sich hierfür aus den Erkenntnisquellen keine Anhaltspunkte ergeben. Aus der geänderten Gesetzeslage in Ungarn lässt sich vielmehr der Versuch erkennen, dem ungehinderten Zustrom von Flüchtlingen Herr zu werden. Die ungarische Regierung scheint bemüht, die Vorschriften der Dublin-Verordnung einzuhalten und für eine geregelte Einreise und Registrierung der Flüchtlinge zu sorgen, die gerade nicht in Ungarn Asyl beantragen wollen, sondern mit dem Ziel Deutschland oder Schweden in den Schengen-Raum einreisen. Daran ändert auch die als „fremdenfeindlich“ kritisierte Einstellung der ungarischen Regierung nichts. Neuerdings werden auch in Deutschland Einrichtungen wie „Transitzonen“ mit Einschränkungen der persönlichen Freiheit der Asylbewerber zur ordnungsgemäßen Abwicklung der Verfahren und sogar die Errichtung von Zäunen zur Gewährleistung der kontrollierten Einreise diskutiert.

Hinsichtlich der vielfach kritisierten Asylhaft ist anzumerken, dass die meisten Asylbewerber, die wie der Antragsteller über die sogenannte Balkanroute in die EU einreisen, Ungarn erklärtermaßen als Transitland betrachten und dort keinen Asylantrag stellen wollen.

Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, dass sie im Falle einer Rückführung nach Ungarn im Rahmen des Dublin-Verfahrens dort in Asylhaft genommen werden, da die ungarischen Behörden ihre wiederholte Ausreise befürchten müssen und eine Inhaftierung zur Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Asylverfahrens notwendig erscheint. Die im ungarischen Asylgesetz genannten Haftgründe sind insoweit auch nachvollziehbar.

Den dem Gericht vorliegenden Erkenntnisquellen lässt sich nicht entnehmen, dass die Haftbedingungen an sich menschenunwürdig im oben dargelegten Sinn wären und es dort systematisch zu Menschenrechtsverletzungen kommen würde. Darauf, ob es unterhalb der Schwelle systemischer Mängel in Einzelfällen zu einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 EU-GRCh bzw. des Art. 3 EMRK kommen kann und ob ein Antragsteller dem in der Vergangenheit schon einmal ausgesetzt war, kommt es im Zusammenhang mit Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 Dublin III-VO nicht an (BVerwG, B. v. 6.6.2014 a. a. O.).

Auch die derzeit in vielen Ländern der EU anzutreffenden Kapazitätsengpässe bei der Unterbringung und Betreuung der Flüchtlinge stellen für sich keinen systemischen Mangel im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 Dublin III-VO dar. Denn hierbei handelt es sich um rein tatsächliche Probleme, die der unerwartete Zustrom so vieler Menschen mit sich bringt.

Da der Antragsteller auch keiner besonders schutzbedürftigen Personengruppe im Sinne des Art. 21 der Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (Aufnahme-Richtlinie) angehört, kann er einer Überstellung nach Ungarn nicht damit entgegentreten, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für ihn in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-Grundrechtscharta mit sich bringen würde (vgl. VG Köln, B. v. 28.4.2015 - 17 L 1024/15.A - juris; VG Ansbach, B. v. 16.4.2015 - AN 4 K 14.30119).

Er beruft sich auch nicht darauf, dass in Deutschland Familienangehörige i. S. des Art. 2 Buchstabe g Dublin III-VO leben, was die Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland zur Durchführung des Asylverfahrens nach Art. 9 Dublin III-VO begründen könnte, da es sich beim (volljährigen) Bruder nicht um einen Familienangehörigen nach der Definiton der Dublin III-VO handelt.

Die Anordnung der Abschiebung nach § 34a AsylVfG erscheint somit rechtmäßig. Im Übrigen wird zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen gemäß § 77 Abs. 2 AsylVfG auf die zutreffende Begründung des streitgegenständlichen Bescheids des Bundesamtes vom 9. Oktober 2015 Bezug genommen.

Aus den oben genannten Gründen war auch der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung abzulehnen, da der Antrag keine hinreichende Erfolgsaussicht hat, § 166 VwGO i. V. m. §§ 114 ff. ZPO.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83 b AsylG.

Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.

Tenor

1. Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 10.09.2015 gegen den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 01.09.2015 wird angeordnet.

2. Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens trägt die Beklagte.

Gründe

I.

Der Antragsteller, geb. ...1991, ist irakischer Staatsangehöriger mit yezidischer Glaubenszugehörigkeit. Er reiste eigenen Angaben zufolge am ...2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am ...2015 einen Asylantrag. Er wehrt sich gegen seine Rückführung nach Ungarn.

Die Anfrage der Antragsgegnerin aufgrund eines Eurodac-Treffers vom ...2015 an die ungarischen Behörden, dass sie für die Durchführung des Asylverfahrens des Antragstellers zuständig seien und ob der Rückübernahme des Antragstellers zugestimmt werde, blieb unbeantwortet.

Daraufhin lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 01.09.2015 den Asylantrag des Antragstellers als unzulässig ab und ordnete seine Abschiebung nach Ungarn an. Gründe für ein Selbsteintrittsrecht der Bundesrepublik Deutschland bestünden nicht, weil die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Ungarn keine systemischen Mängel aufwiesen.

Dieser Bescheid wurde ausweislich der Postzustellungsurkunde am 05.09.2015 zugestellt.

Gegen diesen Bescheid erhob der Antragsteller mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 10.09.2015, der am selben Tag bei Gericht einging, Klage gegen die Antragsgegnerin und beantragte gleichzeitig,

die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.

Bei dem Kläger bestehe seines Erachtens eine posttraumatische Belastungsstörung mit somatoformer Ausprägung verbunden mit massiven Schlafstörungen (ärztliches Gutachten werde nachgereicht). Aufgrund seines psychischen Zustandes sei er nicht reisefähig.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird entsprechend § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Behördenakte Bezug genommen.

II.

Der zulässige Antrag hat Erfolg.

Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1, 1. Halbsatz VwGO kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung einer Anfechtungsklage anordnen, wenn die Klage keine aufschiebende Wirkung hat. Bei seiner Entscheidung hat das Gericht insbesondere eine summarische Beurteilung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache und bei offenen Erfolgsaussichten das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs mit dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheides abzuwägen. Bei dieser Abwägung ist zu beachten, dass die dem Ausländer drohenden und im Falle einer Aufenthaltsbeendigung möglicherweise auch tatsächlich eintretenden Folgen unter Umständen nur schwer oder überhaupt nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Vor diesem Hintergrund geht bei offenen Erfolgsaussichten die Interessenabwägung regelmäßig zugunsten der Antragstellerseite aus (VG Kassel, B.v. 7. 8.2015 - 3 L 1303/15.KS.A - juris Rn. 13).

Die Erfolgsaussichten der angegriffenen Abschiebungsanordnung erweisen sich im vorliegenden Eilverfahren als offen.

Die nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG maßgebliche Sach- und Rechtslage bei der im Eilverfahren nur möglichen und gebotenen summarischen Prüfung lässt angesichts der aktuellen Entwicklungen und jüngsten Entscheidungen der Bundesrepublik Deutschland (z. B. zeitweilige Öffnung der Grenzen für Flüchtlinge in Ungarn bzw. faktische Aussetzung des Dublin-Verfahrens für Syrer) keine eindeutigen Schlussfolgerungen zu. Derzeit lässt sich nicht einschätzen, inwieweit diese Entscheidungen Rückschlüsse auf die bestehenden Prüfungsmaßstäbe im Dublin-Verfahren zulassen und ob noch eindeutige Entscheidungsmaßstäbe auch im Sinne des Gleichbehandlungsgrundsatzes aller Asylbewerber hinsichtlich einer beabsichtigten Rückführung nach Ungarn bestehen.

Aus diesem Grund hat das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Abschiebungsanordnung gegenüber dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers zurückzutreten.

Die Beteiligten werden vorsorglich darauf aufmerksam gemacht, dass die Überstellungsfrist von sechs Monaten gemäß Art. 29 Abs. 1 2. Alternative i. V. m. Art. 27 Abs. 3 Dublin-III-VO (Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist) erst nach Entscheidung über die Klage zu laufen beginnt, da ihr aufgrund der vorliegenden Entscheidung gemäß Art. 27 Abs. 3 Dublin-III-VO aufschiebende Wirkung zukommt.

Hinweis:

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

(1) Soll der Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26a) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Absatz 1 Nummer 1) abgeschoben werden, ordnet das Bundesamt die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Dies gilt auch, wenn der Ausländer den Asylantrag in einem anderen auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat gestellt oder vor der Entscheidung des Bundesamtes zurückgenommen hat. Einer vorherigen Androhung und Fristsetzung bedarf es nicht. Kann eine Abschiebungsanordnung nach Satz 1 oder 2 nicht ergehen, droht das Bundesamt die Abschiebung in den jeweiligen Staat an.

(2) Anträge nach § 80 Absatz 5 der Verwaltungsgerichtsordnung gegen die Abschiebungsanordnung sind innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen. Die Abschiebung ist bei rechtzeitiger Antragstellung vor der gerichtlichen Entscheidung nicht zulässig. Anträge auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots durch das Bundesamt nach § 11 Absatz 2 des Aufenthaltsgesetzes sind innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen. Die Vollziehbarkeit der Abschiebungsanordnung bleibt hiervon unberührt.

Tenor

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt B. wird abgelehnt, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

I.

1

Die Beschwerdeführerin wurde als Kind somalischer Staatsangehöriger am 27. Dezember 2013 in der Bundesrepublik Deutschland geboren. Ihre Eltern reisten im Jahr 2013 in die Bundesrepublik ein und stellten einen Asylantrag; zuvor hatten sie bereits in Italien einen Asylantrag gestellt. Sie wendet sich gegen einen am selben Tage zugestellten Beschluss des Verwaltungsgerichts Kassel vom 27. März 2014, mit dem ihr Eilrechtsschutz gegen die auf § 34a Abs. 1 Satz 1, § 27a AsylVfG gestützte Anordnung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) vom 13. März 2014 versagt wurde, sie auf Grundlage der neugefassten Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-Verordnung) gemeinsam mit ihren Eltern nach Italien abzuschieben.

2

1. Das Verwaltungsgericht lehnte den Eilantrag der Beschwerdeführerin mit der Begründung ab, dass eine Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland zum Selbsteintritt gemäß Art. 17 Abs. 1 der Dublin III-Verordnung nicht bestehe. Weder sei ein Ausnahmefall nach dem Konzept der normativen Vergewisserung im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 94, 49 ff.) gegeben, noch lägen systemische Mängel des italienischen Asyl- und Aufnahmesystems im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (vgl. EuGH , Urteil vom 21. Dezember 2011, N.S. ./. Secretary of State, verb. Rs. C-411/10, C-493/10, NVwZ 2012, S. 417) vor, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellten, dass der Asylbewerber oder Flüchtling tatsächlich Gefahr laufe, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ausgesetzt zu werden. Systemische Mängel, die eine Aussetzung der Abschiebung in Anwendung von Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) gebieten könnten, seien auch nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Falle von Italien aufgrund der Auskunftslage derzeit nicht erkennbar (vgl. EGMR, Beschluss vom 2. April 2013, Mohammed Hussein u.a. v. Niederlande und Italien, Nr. 27725/10, ZAR 2013, S. 336).

3

2. Die Beschwerdeführerin rügt mit ihrer am 28. April 2014, einem Montag, erhobenen Verfassungsbeschwerde die Verletzung ihrer Rechte aus Art. 16a Abs. 1 in Verbindung mit Art. 23 GG, Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 23 GG, Art. 3 Abs. 1 GG wegen willkürlicher Verkennung der Vorgaben aus Art. 3 EMRK sowie aus Art. 6 Abs. 1 GG.

4

a) Die Beschwerdeführerin befürchtet unter Bezugnahme insbesondere auf einen Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe zu den Aufnahmebedingungen in Italien vom Oktober 2013, bei einer Rückkehr nach Italien wie die große Mehrheit der Schutzbedürftigen obdachlos zu werden und keinen Zugang zu Gesundheitsvorsorge und Nahrungsmitteln zu erhalten. Schutzbedürftige Dublin-Rückkehrer seien einem sehr hohen Risiko der Verelendung ausgesetzt; ihre Situation sei wesentlich prekärer als die eines Asylsuchenden, der sich noch im Verfahren befinde. Etwas anderes gelte allenfalls für besonders schutzbedürftige Personen. Allerdings gälten Familien mit beiden Elternteilen in Italien nicht als verletzlich. Auch wenn es zu einer staatlichen Unterbringung kommen sollte, bestehe die Gefahr, dass sie nicht gemeinsam mit ihren Eltern als Familie untergebracht würden, sondern dass es zu einer Unterbringung von Mutter und Kind in der einen, des Vaters aber in einer anderen Einrichtung komme. Eine Trennung der Familie, um die Wahrscheinlichkeit der Unterbringung zu erhöhen, könne ihr jedoch nach Art. 8 EMRK nicht zugemutet werden. Gerade im Hinblick auf sie als neugeborenes Kind erscheine die Vorenthaltung von Gesundheitsversorgung und Nahrung dramatisch.

5

b) Das Grundrecht der Beschwerdeführerin aus Art. 16a Abs. 1 in Verbindung mit Art. 23 GG sei verletzt, weil das Verwaltungsgericht zu Unrecht davon ausgehe, die Berufung auf das Asyl-Grundrecht werde in Dublin-Fällen durch Art. 16a Abs. 2 GG ausgeschlossen. Die Dublin-Fälle richteten sich vielmehr allein nach der - spezielleren - Vorschrift des Art. 16a Abs. 5 GG und den Vorgaben des - zwischenzeitlich vergemeinschafteten - europäischen Asylsystems. Während Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG den materiell-rechtlichen Gewährleistungsinhalt des Grundrechts auf Asyl grundsätzlich einschränke und den Prüfungsmaßstab nach dem Konzept der normativen Vergewisserung festlege, liege der Kompetenzübertragung nach Art. 16a Abs. 5 in Verbindung mit Art. 23 GG die Idee zugrunde, dass die Bundesrepublik den Gewährleistungsinhalt von Art. 16a Abs. 1 GG einer europäischen Zuständigkeitsregelung unterwerfe und zugleich an ihr normsetzend mitwirke. Die Pflichten, die die Bundesrepublik sich mit Art. 16a Abs. 1 GG auferlegt habe, könne sie danach nur soweit delegieren, wie die Verheißung eines im Gebiet der Dublin-Verordnung geltenden Flüchtlingsschutzes im anderen Mitgliedstaat auch wirklich eingelöst werde. Sei dies nicht der Fall, treffe die Bundesrepu-blik kraft des wechselseitigen und auf Solidarität sowie Mindeststandards beruhenden Lastenausgleichssystems die Rolle eines "Ausfallbürgen". Europäische Asylstandards würden in Italien jedoch nicht gewahrt; nach allem, was über die dortige Situation von Asylbewerbern bekannt sei, würden dort entscheidende Bestimmungen aus der Verfahrens-, Aufnahme- und Qualifikationsrichtlinie ebenso verletzt wie Gewährleistungen der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK.

6

Aus der Pflicht der Bundesrepublik zu gewährleisten, dass die Beschwerdeführerin bei Überstellung an einen Dublin-Zielstaat keine Rechtsverletzungen an anderen Rechtsgütern erleide, folge, dass die Bundesrepublik sich derartige Rechtsverletzungen zurechnen lasse müsse. Ihr drohe in Italien Obdachlosigkeit und eine defiziente Gesundheits- und Lebensmittelversorgung, die in die reale Gefahr der Verelendung führe; hierin liege eine Verletzung sowohl der Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG als auch eine Gefahr für ihr Leben und ihre körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG). Das Verwaltungsgericht habe im Übrigen auch gegen das Willkürverbot aus Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen, indem es die einfachgesetzlich geltenden Normen der EMRK verfehlt interpretiert habe. In ihrem Falle sei Art. 3 EMRK zu berücksichtigen gewesen, der mit dem Verbot "unmenschlicher" oder "erniedrigender" Behandlung nach allgemeiner Auffassung gerade die Situation der Verelendung umschreibe, die durch den Zielstaat der Überstellung zu unterbleiben habe. Die drohende Trennung der Familie ver-letze Art. 6 GG.

II.

7

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Ihr kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu, und die Annahme ist nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt. Die Verfassungsbeschwerde hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>); sie ist unzulässig (dazu 1. und 2.). Hiervon unabhängig besteht allerdings Anlass zu dem Hinweis, dass die mit der Rückführung befassten deutschen Behörden in dem vorliegenden Einzelfall angesichts des geringen Alters der Beschwerdeführerin geeignete Vorkehrungen zu ihrem Schutz zu treffen haben (dazu 3.).

8

1. Soweit die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 16a Abs. 1 in Verbindung mit Art. 23 GG und Art. 3 Abs. 1 GG wegen willkürlicher Verkennung der Vorgaben aus Art. 3 EMRK rügt, zeigt sie schon die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung nicht auf (vgl. zu diesem Erfordernis nur BVerfGE 108, 370 <386 f.>). Die Beschwerdeführerin setzt sich mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 94, 49 <95 ff.>), des Gerichtshofs der Europäischen Union (vgl. EuGH , Urteil vom 21. Dezember 2011, N.S. ./. Secretary of State, verb. Rs. C-411/10, C-493/10, NVwZ 2012, S. 417) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (vgl. EGMR , Urteil vom 21. Januar 2011, M.S.S. v. Belgien und Griechenland, Nr. 30696/09, NVwZ 2011, S. 413; Beschluss vom 2. April 2013, Mohammed Hussein u.a. v. Niederlande und Italien, Nr. 27725/10, ZAR 2013, S. 336) nicht auseinander, die der angegriffenen Entscheidung zugrunde liegt.

9

2. Soweit die Beschwerdeführerin eine Verletzung in ihren Rechten aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 23 GG sowie aus Art. 6 Abs. 1 GG aufgrund einer drohenden Obdachlosigkeit und einer Trennung von ihren Eltern bei einer Abschiebung geltend macht, legt sie nicht hinreichend substantiiert dar, dass sie in Italien mit Obdachlosigkeit und Trennung der Familie zu rechnen hat und ihr als Folge der Abschiebung mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Gesundheitsgefahren drohen. Es bedarf daher keiner Klärung, ob dahingehende systemische Mängel des italienischen Aufnahmesystems bestehen und ob solche strukturelle Defizite in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union einen im Konzept der normativen Vergewisserung nicht aufgefangenen Sonderfall darstellen können (vgl. dazu nur Moll/Pohl, ZAR 2012, S. 102 <104 ff.>; zu den Darlegungslasten für die Begründung eines solchen Sonderfalles vgl. BVerfGE 94, 49 <100>). Hierbei wäre ohnehin zu berücksichtigen, dass etwaige mit der Überforderung des Asylsystems eines Mitgliedstaats der Europäischen Union verbundene transnationale Probleme vornehmlich auf der Ebene der Europäischen Union zu bewältigen sind (vgl. BVerfGE 128, 224 <226>).

10

3. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann es allerdings - unbeschadet der Prüfung, ob einer Zurückweisung oder Rückverbringung eines Ausländers in einen sicheren Drittstaat ausnahmsweise Hinderungsgründe entgegenstehen - in Einzelfällen geboten sein, dass die deutschen Behörden vor einer solchen mit den im Zielstaat zuständigen Behörden Kontakt aufnehmen, den Sachverhalt klären und gegebenenfalls zum Schutz des Ausländers Vorkehrungen treffen (vgl. BVerfGE 94, 49 <100>). Insbesondere besteht eine Verpflichtung der mit dem Vollzug einer Abschiebung betrauten Stelle, von Amts wegen aus dem Gesundheitszustand eines Ausländers folgende tatsächliche Abschiebungshindernisse in jedem Stadium der Durchführung der Abschiebung zu beachten; diese Stelle hat gegebenenfalls durch ein (vorübergehendes) Absehen von der Abschiebung (Duldung) oder durch entsprechende tatsächliche Gestaltung derselben die notwendigen Vorkehrungen zu treffen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 26. Februar 1998 - 2 BvR 185/98 -, InfAuslR 1998, S. 241 <242>).

11

a) Nach der - von Verfassungs wegen nicht zu beanstandenden - jüngeren Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte ist es im Rahmen des Verfahrens auf Erlass einer Abschiebungsanordnung gemäß § 34a Abs. 1 AsylVfG mit Blick auf den Wortlaut dieser Vorschrift Aufgabe allein des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge zu prüfen, ob "feststeht", dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Das Bundesamt hat damit sowohl zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse als auch der Abschiebung entgegenstehende inlandsbezogene Vollzugshindernisse zu prüfen, so dass daneben für eine eigene Entscheidungskompetenz der Ausländerbehörde zur Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG kein Raum verbleibt (vgl. OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 29. November 2004 - 2 M 299/04, juris; Hamburgisches OVG, Beschluss vom 3. Dezember 2010 - 4 Bs 223/10 -, juris; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 31. Mai 2011 - A 11 S 1523/11 -, InfAuslR 2011, S. 310, dort <311> auch m.w.N. zur a.A.; OVG NRW, Beschluss vom 30. August 2011 - 18 B 1060/11 -, juris; Niedersächsisches OVG, Urteil vom 4. Juli 2012 - 2 LB 163/10 -, InfAuslR 2012, S. 383; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 1. Februar 2012 - OVG 2 S 6.12 -, juris; BayVGH, Beschluss vom 12. März 2014 - 10 CE 14.427 -, juris; OVG des Saarlandes, Beschluss vom 25. April 2014 - 2 B 215/14 -, juris; zuletzt VG Karlsruhe, Beschluss vom 19. Mai 2014 - A 9 K 3615/13 -, juris).

12

Dies gilt nicht nur hinsichtlich bereits bei Erlass der Abschiebungsanordnung vorliegender, sondern auch bei nachträglich auftretenden Abschiebungshindernissen und Duldungsgründen. Gegebenenfalls hat das Bundesamt die Abschiebungsanordnung aufzuheben oder die Ausländerbehörde anzuweisen, von deren Vollziehung abzusehen (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 30. August 2011 - 18 B 1060/11 -, juris, Rn. 4; BayVGH, Beschluss vom 12. März 2014 - 10 CE 14.427 -, juris, Rn. 4; OVG des Saarlandes, Beschluss vom 25. April 2014 - 2 B 215/14 -, juris, Rn. 7; VG Karlsruhe, Beschluss vom 19. Mai 2014 - A 9 K 3615/13 -, juris, Rn. 4).

13

b) Ein Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ist nach der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte unter anderem dann gegeben, wenn die konkrete Gefahr besteht, dass sich der Gesundheitszustand des Ausländers durch die Abschiebung wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtert, und wenn diese Gefahr nicht durch bestimmte Vorkehrungen ausgeschlossen oder gemindert werden kann. Diese Voraussetzungen können nicht nur erfüllt sein, wenn und solange der Ausländer ohne Gefährdung seiner Gesundheit nicht transportfähig ist (Reiseunfähigkeit im engeren Sinn), sondern auch, wenn die Abschiebung als solche - außerhalb des Transportvorgangs - eine erhebliche konkrete Gesundheitsgefahr für den Ausländer bewirkt (Reiseunfähigkeit im weiteren Sinn). Das dabei in den Blick zu nehmende Geschehen beginnt regelmäßig bereits mit der Mitteilung einer beabsichtigten Abschiebung gegenüber dem Ausländer. Besondere Bedeutung kommt sodann denjenigen Verfahrensabschnitten zu, in denen der Ausländer dem tatsächlichen Zugriff und damit auch der Obhut staatlicher deutscher Stellen unterliegt. Hierzu gehören das Aufsuchen und Abholen in der Wohnung, das Verbringen zum Abschiebeort sowie eine etwaige Abschiebungshaft ebenso wie der Zeitraum nach Ankunft am Zielort bis zur Übergabe des Ausländers an die Behörden des Zielstaats. In dem genannten Zeitraum haben die zuständigen deutschen Behörden von Amts wegen in jedem Stadium der Abschiebung etwaige Gesundheitsgefahren zu beachten. Diese Gefahren müssen sie entweder durch ein (vorübergehendes) Absehen von der Abschiebung mittels einer Duldung oder aber durch eine entsprechende tatsächliche Gestaltung des Vollstreckungsverfahrens mittels der notwendigen Vorkehrungen abwehren (vgl. zum Ganzen VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 6. Februar 2008 - 11 S 2439/07 -, InfAuslR 2008, S. 213 <214> unter Verweis auf BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 26. Februar 1998 - 2 BvR 185/98 -, InfAuslR 1998, S. 241).

14

Die der zuständigen Behörde obliegende Pflicht, gegebenenfalls durch eine entsprechende Gestaltung der Abschiebung die notwendigen Vorkehrungen zu treffen, damit eine Abschiebung verantwortet werden kann, kann es in Einzelfällen gebieten, dass erforderliche Hilfen rechtzeitig nach der Ankunft im Zielstaat zur Verfügung stehen, wobei der Ausländer regelmäßig auf den dort allgemein üblichen Standard zu verweisen ist (vgl. dazu OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 20. Juni 2011 - 2 M 38/11 -, InfAuslR 2011, S. 390 <392>).

15

c) So liegt es auch im vorliegenden Fall. Bei Rückführungen in sichere Drittstaaten können hiervon betroffene Ausländer - anders als bei der Rückführung in ihr Heimatland - regelmäßig weder auf verwandtschaftliche Hilfe noch auf ein soziales Netzwerk bei der Suche nach einer Unterkunft für die Zeit unmittelbar nach ihrer Rückkehr zurückgreifen. Bestehen - wie gegenwärtig im Falle Italiens - aufgrund von Berichten international anerkannter Flüchtlingsschutzorganisationen oder des Auswärtigen Amtes belastbare Anhaltspunkte für das Bestehen von Kapazitätsengpässen bei der Unterbringung rückgeführter Ausländer im sicheren Drittstaat, hat die auf deutscher Seite für die Abschiebung zuständige Behörde dem angemessen Rechnung zu tragen.

16

Bei Vorliegen einer solchen Auskunftslage hat das zuständige Bundesamt angesichts der hier berührten hochrangigen Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Art. 6 Abs. 1 GG und der bei der Durchführung von Überstellungen nach dem Dublin-System vorrangig zu berücksichtigenden Gesichtspunkte der uneingeschränkten Achtung des Grundsatzes der Einheit der Familie und der Gewährleistung des Kindeswohls (vgl. nunmehr Erwägungsgrund 16 der neugefassten Dublin III-Verordnung) jedenfalls bei der Abschiebung von Familien mit neugeborenen (vgl. Art. 16 Abs. 1 der Dublin III-Verordnung) und Kleinstkindern bis zum Alter von drei Jahren in Abstimmung mit den Behörden des Zielstaats sicherzustellen, dass die Familie bei der Übergabe an diese eine gesicherte Unterkunft erhält, um erhebliche konkrete Gesundheitsgefahren in dem genannten Sinne für diese in besonderem Maße auf ihre Eltern angewiesenen Kinder auszuschließen.

17

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

18

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Der Zeitraum, während dessen die Verjährung gehemmt ist, wird in die Verjährungsfrist nicht eingerechnet.

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 5. Mai 2014 - A 4 K 1410/14 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Der am xx.xx.1992 geborene Kläger ist pakistanischer Staatsangehöriger Er reiste seinen Angaben zufolge am 04.10.2013 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 07.10.2013 einen Asylantrag. Bei der Befragung zur Vorbereitung der Anhörung gemäß § 25 AsyIVfG durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gab der Kläger am 22.10.2013 an, im September 2013 mit dem Schiff kommend in Italien eingereist zu sein, wo er auch erkennungsdienstlich behandelt worden sei.
Auf ein Übernahmeersuchen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 30.12.2013 an die zuständige italienische Behörde reagierte Italien nicht. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wies Italien mit Schreiben vom 03.03.2014 darauf hin, dass das Übernahmeersuchen gem. Art. 25 Abs. 2 Dublin-III-VO als angenommen gelte.
Hierauf stellte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 12.03.2014 fest, dass der Asylantrag unzulässig ist, und ordnete die Abschiebung des Klägers nach Italien an. Die Zustellung des Bescheids an den Kläger erfolgte am 17.03.2014.
Am 19.03.2014 erhob der Kläger Klage zum Verwaltungsgericht Stuttgart, die nicht näher begründet wurde und mit der er die Aufhebung des Bescheids vom 12.03.2014 und die Verpflichtung der Beklagten zur Durchführung eines Asylverfahrens begehrte.
Die Beklagte trat der Klage entgegen.
Ein beim Verwaltungsgericht am 19.03.2014 gestellter Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes blieb ohne Erfolg (Beschluss vom 07.04.2014 - A 4 K 1411/14 - zugestellt am 09.04.2014).
Durch Urteil vom 05.05.2014 wies das Verwaltungsgericht die Klage ab und führte aus: Nach § 27a AsyIVfG sei ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig sei. Für die Durchführung des Asylverfahrens des Klägers sei Italien zuständig. Die Zuständigkeit bestimme sich hier nach der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.02.2003 (VO Dublin II), da noch unter der Geltung der VO Dublin II um Aufnahme nachgesucht worden sei (vgl. Art. 29 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) Nr. 343/2003 i.V.m. Art. 49 Abs. 1 und 2 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 vom 26.06.2013 - VO Dublin III). Damit sei Italien gemäß Art. 16 Abs. 1 VO Dublin II gehalten, den Kläger nach Maßgabe des Art. 20 VO Dublin II wiederaufzunehmen. Im Rahmen des Art. 20 bestehe dabei zum einen die Möglichkeit, dass der ersuchte Mitgliedstaat der Wiederaufnahme ausdrücklich zustimme (vgl. Art. 20 Abs. 1 lit. d); zum anderen könne davon ausgegangen werden, dass der ersuchte Mitgliedstaat die Wiederaufnahme des Asylbewerbers akzeptiere, wenn er innerhalb der Frist von einem Monat bzw. der Frist von zwei Wochen, wenn das Wiederaufnahmegesuch Hinweise enthalte, aus denen der ersuchte Mitgliedstaat entnehmen könne, dass er zuständig sei, keine Antwort erteile (vgl. Art. 20 Abs. 1 lit. c). Im vorliegenden Fall habe die Beklagte am 30.12.2013 ein Übernahmeersuchen an die italienischen Behörden gerichtet. Dieses Übernahmeersuchen sei bis heute unbeantwortet geblieben. Damit stehe gemäß Art. 20 Abs. 1 lit. c) fest, dass Italien der Wiederaufnahme des Klägers (stillschweigend) zugestimmt habe. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union könne der Asylbewerber in einem Fall, in dem ein Mitgliedstaat der Aufnahme eines Asylbewerbers zugestimmt habe bzw. eine solche Zustimmung als erteilt gelte, einer Überstellung nur damit entgegentreten, dass er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat geltend mache, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellten, dass er tatsächlich Gefahr laufe, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh ausgesetzt zu werden. Es obliege dem Asylbewerber, der sich auf systemische Mängel im jeweiligen Aufnahmestaat berufe, diese unter Angabe von Quellen darzulegen Der Kläger habe das Vorliegen solcher systemischer Mängel für Italien nicht geltend gemacht, solche seien im Übrigen für das Gericht auch nicht erkennbar Die Abschiebungsanordnung sei ebenfalls rechtmäßig. Gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ordne das Bundesamt die Abschiebung in den zuständigen Staat (§ 27a AsylVfG) an, sobald feststehe, dass die Abschiebung durchgeführt werden könne, d. h. rechtlich und tatsächlich möglich sei. Diese Voraussetzungen seien gegeben. Anhaltspunkte für das Vorliegen eines inländischen Vollstreckungshindernisses, das vom Bundesamt bei Erlass einer Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 AsylVfG zu prüfen sei, seien weder vorgetragen noch ersichtlich.
Das Urteil wurde dem Kläger am 09.05.2014 zugestellt.
Am 10.06.2014 (Dienstag nach Pfingsten) hat der Kläger die Zulassung der Berufung beantragt.
10 
Durch Beschluss vom 02.07.2014 hat der Senat hinsichtlich der im Bescheid vom 12.03.2014 enthaltenen Abschiebungsanordnung (Ziffer 2) die Berufung zugelassen und im Übrigen den Antrag abgelehnt. Der Beschluss wurde dem Kläger am 10.07.2014 zugestellt.
11 
Am 11.08.2014 (einem Montag) hat der Kläger die Berufung unter Stellung eines Antrags begründet.
12 
Er trägt vor: § 34a Abs. 1 AsylVfG sei nicht mit Unionsrecht vereinbar, weil es eine Abschiebung anordne, die typischerweise mit Mitteln des unmittelbaren Zwangs durchgesetzt werde und dadurch eine Eingriffsschärfe aufweise, die unverhältnismäßig sei und bei realistischer Betrachtung das abgestufte Regelungswerk der Modalitäten der Aufenthaltsbeendigung ausschließe, welches das Unionsrecht vorgebe. Es sei auch keine unionsrechtskonforme Auslegung oder Handhabung möglich, da der Inhalt des Begriffes der Abschiebungsanordnung einen zwingenden Imperativ enthalte, von dem nicht ersichtlich sei, wie von ihm abgerückt werden könne. Die Abschiebungsanordnung sei ein dem Aufenthaltsrecht durchaus bekanntes Regelungsinstrument, es finde sich ebenfalls in der Regelung des § 58a AufenthG. Danach könne die Oberste Landesbehörde gegen einen Ausländer unter anderem zur Abwehr einer besonderen Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ohne vorherige Ausweisung eine Abschiebungsandrohung erlassen. Hier sei eine hohe Eingriffsschwelle gegeben. Es bedeute für einen Flüchtling eine diskriminierende Behandlung, wenn er durch die identische Rechtsfolge des angeordneten Verwaltungshandelns im Grunde genommen mit Gefährdern der öffentlichen Sicherheit oder mit Terroristen auf eine Stufe gestellt werde. In materiell-rechtlicher Hinsicht stelle eine Abschiebungsanordnung eine neue Form der Aufenthaltsbeendigung dar, da sie ohne vorherige Ausweisung ergehen könne und zur Beendigung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts führe. Sie lasse anders als die Ausweisung keine Abwägung zwischen den Belangen der Betroffenen zu, sondern verabsolutiere einseitig das öffentliche Interesse. Sie schließe auch für dauernd die Wiederkehroption aus (§ 11 Abs. 1 Satz 7 AufenthG). Insofern stelle die Abschiebungsanordnung ein bislang dem deutschen Recht nicht bekanntes schärfstes Schwert zur Beendigung eines rechtmäßigen Aufenthalts dar. Bei realistischer und praktischer Betrachtung sei es für einen betroffenen Asylbewerber selbst dann, wenn die Behörde die Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 AsylVfG nicht ausführe, wohl eher nicht möglich, sich auf eigene Initiative in den zuständigen Mitgliedstaat zu begeben. Die „Selbstüberstellung" sei aus der Sicht eines einfachen Flüchtlings kaum durchführbar, da Akte der Zusammenarbeit und der Kontaktaufnahme zwischen den Behörden der beiden zuständigen Mitgliedstaaten notwendig seien und es schwer vorstellbar sei, wie und auf welche Art und Weise ein Flüchtling sich anschicken solle, selbst die Reise anzutreten, denn es müsse geregelt sein, wohin genau er sich begeben müsse und wie die Reise vonstattengehen solle. Deshalb würden auch so wenige Überstellungsentscheidungen später tatsächlich vollzogen. Die Ausführungen der Beklagten zu der Rechtsterminologie würden ebenfalls nicht weiterhelfen. Es sei zunächst darauf hinzuweisen, dass die Regelung im Unionsrecht, wonach die Überstellung „gemäß den innerstaatlichen Rechtsvorschriften des ersuchenden Mitgliedstaates" erfolge, keine Freigabe enthalte, Maßnahmen zu ergreifen, die über eine „Überstellung" hinausgingen, der Begriff der Überstellung markiere einen Rahmen. Dieser werde zum Beispiel in der englischen Sprache mit „Transfer" beschrieben. Für den Begriff der „Abschiebung" gebe es sowohl in der englischen als auch in der französischen Sprache einen eigenständigen Begriff, nämlich den der sogenannten „Deportation". Somit handele es sich um zwei unterschiedliche Arten des Verwaltungshandelns. „Überstellung" schließe nicht als allgemeiner Begriff eine „Abschiebung" mit ein. Aus der Sicht des Klägers bedeute die „Überstellung" eine neue Form der Aufenthaltsbeendigung, nämlich eine Aufenthaltsbeendigung „sui generis", welche die Notwendigkeit einer eigenständigen Ergänzung des Asylverfahrensgesetzes oder des Aufenthaltsgesetzes erforderlich gemacht hätte. Gegebenenfalls müssten auch die Detailregelungen VO Dublin III direkt angewandt werden. Auch verlange Art. 19 Abs. 2 bzw. Art. 20 Abs. 1 lit. e) VO Dublin II, dass im Bescheid bereits die Frist für die Überstellung und ggf. der Zeitpunkt und der Ort anzugeben seien, zu dem oder an dem sich der Betroffene zu melden habe; diesen Anforderungen genüge der Bescheid der Beklagten nicht.
13 
Der Kläger beantragt,
14 
das Urteil des Verwaltungsgericht Stuttgart vom 05.05.2014 - A 4 K 1410/14 - zu ändern und Ziff. 2 des Bescheides der Beklagten vom 12.03.2014 aufzuheben.
15 
Die Beklagte beantragt,
16 
die Berufung zurückzuweisen.
17 
Sie führt aus: § 34a Abs. 1 AsylVfG stehe nicht im Widerspruch zu unionsrechtlichen Vorgaben, zumindest sei er einer Auslegung zugänglich, die die Wirksamkeit der Vorschrift unberührt lasse. Soweit geltend gemacht werde, § 34a Abs. 1 AsylVfG verstoße gegen die in Art. 7 Abs. 1 DVO Dublin genannten drei unterschiedlichen Modalitäten der Überstellung, sei zunächst fraglich, ob der europäische Verordnungsgeber den Mitgliedstaaten überhaupt die Vorgabe habe machen wollen, grundsätzlich alle drei Überstellungsmodalitäten nebeneinander vorzusehen, oder ob er dem nationalen Gesetzgeber insoweit einen Gestaltungsspielraum eingeräumt habe. Hinsichtlich der deutschen Gesetzeslage sei insbesondere die Frage von Bedeutung, ob dem Asylbewerber die Möglichkeit eingeräumt werden müsse, sich auf eigene Initiative innerhalb einer vorgegebenen Frist in den zuständigen Mitgliedstaat zu begeben. Letzteres sei vom Wortlaut her nicht zwingend. Für einen Gestaltungsspielraum des nationalen Gesetzgebers spreche vielmehr die Formulierung, "die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat kann auf eine der folgenden Weisen erfolgen". Von einem Gestaltungsspielraum gehe auch Art. 29 Abs. 1 Satz 1 VO Dublin III aus, wonach die Überstellung "gemäß den innerstaatlichen Rechtsvorschriften des ersuchenden Mitgliedsstaats" erfolge. Der Verweis auf die innerstaatlichen Rechtsvorschriften wäre überflüssig, wenn der europäische Verordnungsgeber die Modalitäten der Überstellung abschließend hätte regeln wollen. Es sei deshalb davon auszugehen, dass den Mitgliedstaaten grundsätzlich die Möglichkeit eröffnet sei, eine Durchsetzung der Überstellung ausschließlich im Wege des Verwaltungszwangs vorzusehen. Ein Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 DVO Dublin liege damit auch dann nicht vor, wenn § 34a AsylVfG keine freiwillige Ausreise zulassen sollte. Es sei auch fraglich, ob der betroffene Asylbewerber durch eine nach § 34a Abs. 1 AsylVfG ergangene Abschiebungsanordnung rechtlich gehindert sei, sich auf eigene Initiative in den zuständigen Mitgliedstaat zu begeben. Dies sei nicht der Fall. Denn wegen § 34a Abs. 2 AsylVfG könne die Abschiebungsanordnung innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe nicht vollstreckt werden. Zwar erkläre § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylVfG die Abschiebung nur bei rechtzeitiger Antragstellung nach § 80 Abs. 5 VwGO für unzulässig. Das Recht, gemäß § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG innerhalb einer Woche Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zu stellen, liefe jedoch leer, wenn eine Abschiebung innerhalb dieser Wochenfrist zulässig wäre. Der Zeitraum einer Woche verbleibe dem Asylbewerber also in jedem Fall, um sich freiwillig in den zuständigen Mitgliedstaat zu begeben, es sei denn, er befinde sich in Haft. Haft jedoch komme nach Art. 28 Abs. 1 u. 2 VO Dublin III nur in begründeten Einzelfällen in Betracht. Der mögliche Ausreisezeitraum sei von Gesetzes wegen mit einer Woche klar umrissen, was den Anforderungen des Art. 7 Abs. 1 Buchstabe a DVO Dublin genüge. Damit stehe § 34a AsylVfG auch dann nicht im Widerspruch zu Art. 7 Abs. 1 DVO Dublin, falls diese Vorschrift die Möglichkeit einer Ausreise "auf Initiative" zwingend vorschreiben sollte. Soweit weitergehend vertreten werde, § 34a Abs. 1 AsylVfG verstoße bereits deshalb gegen Art. 7 Abs. 1 DVO Dublin bzw. Art. 29 Abs. 1 Satz 2 VO Dublin III, weil diese nur eine "Überstellung" zuließen, nicht jedoch eine "Abschiebung", werde verkannt, dass europäische Rechtstexte, die regelmäßig in englischer oder französischer Sprache verfasst und für die Übersetzung in weitere Sprachen gedacht seien, nicht an der Rechtsterminologie eines einzelnen Mitgliedstaates gemessen werden könnten. Die Formulierung "Überstellungen (..) in Form einer kontrollierten Ausreise oder in Begleitung" (engl. "transfers (...) carried out by supervised departure or under escort") sei deshalb im "untechnischen" Sinne zu verstehen. Sowohl die "kontrollierte Ausreise" als auch die "begleitete Ausreise" ließen sich unter den deutschen Rechtsbegriff der "Abschiebung" subsumieren, so dass bei zutreffender Auslegung ein Widerspruch zu den unionsrechtlichen Vorgaben nicht bestehe.
18 
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.
19 
Dem Senat liegen die Akten der Beklagten und die Akten des Verwaltungsgerichts vor.

Entscheidungsgründe

 
20 
Die Berufung ist zulässig, insbesondere wurde sie unter Stellung eines Antrags frist- und formgerecht begründet.
21 
Die Berufung bleibt jedoch ohne Erfolg.
22 
I. Rechtsgrundlage der Abschiebungsanordnung vom 12.03.2014 ist § 34a Abs. 1 AsylVfG.
23 
1. Diese Bestimmung ist nach Maßgabe der folgenden Ausführungen mit den unionsrechtlichen Vorgaben der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 vom 18.02.2003 (ABl. Nr. L 50, 1 - VO Dublin II) wie auch der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 vom 26.06.2013 (ABl. Nr. L 180, 31 - VO Dublin III) vereinbar. Der Senat kann daher offen lassen, ob hier im Hinblick auf Art. 49 Abs. 2 VO Dublin III auf das eigentliche Überstellungsverfahren, das erst nach dem 31.12.2013 eingeleitet wurde, schon die Neufassung anzuwenden ist, auch wenn das Aufnahme- bzw. Wiederaufnahmeersuchen bereits vor dem 01.01.2014 gestellt worden war.
24 
a) Es widerspricht insbesondere nicht dem Union, wenn nach dem nationalen Recht zwingend der Erlass einer Abschiebungsanordnung vorgesehen ist, die nach ihren Tatbestandsvoraussetzungen verlangt, dass feststehen muss, dass die Abschiebung in den jeweiligen Zielstaat durchgeführt werden kann. Denn der Wortlaut ist zumindest in einer Weise offen, dass hieraus nicht abgleitet werden kann, dass eine Abschiebung ausnahmslos stattfinden muss, selbst wenn Union dem entgegensteht.
25 
Nach Art. 20 Abs. 1 lit. e) VO Dublin II teilt u. a. im Fall des Art. 16 Abs. 1 lit. e) der ersuchende Mitgliedstaat dem Asylbewerber die Entscheidung des zuständigen Mitgliedstaats über seine Wiederaufnahme mit. Diese Entscheidung ist zu begründen. Die Frist für die Durchführung der Überstellung ist anzugeben und „gegebenenfalls“ der Ort und der Zeitpunkt zu nennen, an dem bzw. zu dem sich der Asylbewerber zu melden hat, wenn er sich auf eigene Initiative in den zuständigen Mitgliedstaat begibt. Gegen die Entscheidung kann ein Rechtsbehelf eingelegt werden. Ein gegen diese Entscheidung eingelegter Rechtsbehelf hat keine aufschiebende Wirkung für die Durchführung der Überstellung, es sei denn, die Gerichte oder zuständigen Stellen entscheiden im Einzelfall nach Maßgabe ihres innerstaatlichen Rechts anders, wenn es nach ihrem innerstaatlichen Recht zulässig ist. Erforderlichenfalls stellt der ersuchende Mitgliedstaat ein Laissez-passer nach dem Muster aus, das gemäß dem Verfahren nach Artikel 27 Absatz 2 VO Dublin II festgelegt wird. Der zuständige Mitgliedstaat teilt dem ersuchenden Mitgliedstaat gegebenenfalls mit, dass der Asylbewerber eingetroffen ist bzw. dass er sich nicht innerhalb der vorgegebenen Fristen gemeldet hat. Nach Art. 20 Abs. 1 lit. d) VO Dublin II erfolgt die Überstellung gemäß den nationalen Rechtsvorschriften.
26 
Diese Regelungen entsprechen den für die Aufnahme geltenden Vorgaben in Art. 19 Abs. 2 Sätze 1 bis 4 und Abs. 3 UA 1 und 2 VO Dublin II.
27 
Die VO Dublin III unterscheidet hinsichtlich des Überstellungsverfahrens nicht mehr zwischen der Aufnahme und der Wiederaufnahme und trifft insoweit einheitliche Regelungen. Art. 26 Abs. 2 VO Dublin III bestimmt, dass die Entscheidung nach Absatz 1 eine Rechtsmittelbelehrung enthält, die, falls „erforderlich“, auch auf das Recht, die aufschiebende Wirkung zu beantragen, hinzuweisen hat; außerdem hat sie Informationen zu enthalten über die Frist für die Durchführung der Überstellung mit erforderlichenfalls Angaben über den Ort und den Zeitpunkt, an dem oder zu dem sich die betreffende Person zu melden hat, wenn diese Person sich auf eigene Initiative in den zuständigen Mitgliedstaat begibt. Art. 29 Abs. 1 VO Dublin III regelt, dass die Überstellung gemäß den innerstaatlichen Rechtsvorschriften des ersuchenden Mitgliedstaats erfolgt.
28 
Art. 7 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1560/2003 der Kommission vom 02.09.2003 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (ABl. 2003, Nr. L 222 S. 3 - im Folgenden DVO Dublin), der nicht durch die DVO (EU) Nr. 118/2014 vom 30.01.2014 (ABl. Nr. L 39, 1) geändert wurde, sieht vor, dass die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat auf eine der folgenden Weisen erfolgen kann: a) auf Initiative des Asylbewerbers innerhalb einer vorgegebenen Frist, b) in Form der kontrollierten Ausreise, wobei der Asylbewerber bis zum Besteigen des Beförderungsmittels von einem Bediensteten des ersuchenden Staates begleitet wird und dem zuständigen Staat Ort, Datum und Uhrzeit seiner Ankunft bis zu einer vereinbarten Frist vor der Ankunft mitgeteilt wurden oder c) in Begleitung, wobei der Asylbewerber von einem Bediensteten des ersuchenden Staates oder einem Vertreter einer von dem ersuchenden Staat zu diesem Zweck beauftragten Einrichtung eskortiert und den Behörden des zuständigen Staats überstellt wird. Nach Art. 7 Abs. 2 der genannten Durchführungsverordnung erhält der Asylbewerber in den Fällen des Absatzes 1 lit. a) und b) einen Passierschein und im Fall lit. c) ein Laissez-passer.
29 
Das insoweit unmittelbar anzuwendende Unionsrecht geht - in Kenntnis des Risikos, dass der Asylbewerber diese ihm eingeräumte Möglichkeit missbrauchen kann - nach den dargestellten Bestimmungen somit unzweifelhaft von der Möglichkeit einer freiwilligen oder kontrollierten Ausreise in den zuständigen Mitgliedstaat aus. Davon zu trennen ist aber die Frage, ob diese Möglichkeit nur dann zu gewähren ist, wenn auch das nationale Recht die freiwillige oder kontrollierte Ausreise bei Dublin-Überstellungen ausdrücklich vorsieht, oder ob es eine bindende unionsrechtliche Vorgabe darstellt, dass jeder Mitgliedstaat - quasi als milderes Mittel - auch eine freiwillige oder kontrollierte Ausreise vorsehen muss und in welchem (rechtlichen) Rahmen dies zu geschehen hat.
30 
b) Unter Berufung auf die in Art. 19 Abs. 2 Satz 2 bzw. Art. 20 Abs. 1 lit. e) Satz 3 VO Dublin II enthaltene Klausel „gegebenenfalls“, die auch so schon im Kommissionsentwurf enthalten war (vgl. Art. 21 KOM/2001/0447endg.), sowie den Verweis auf die nationalen Rechtsvorschriften, wird die Auffassung vertreten, eine freiwillige oder kontrollierte Ausreise sei nur dann zu ermöglichen, wenn das innerstaatliche Recht eine Ausreise auf eigene Initiative ausdrücklich vorsehe, was im deutschen Recht nicht der Fall sei. Dies werde auch dadurch belegt, dass Art. 7 DVO Dublin die dort genannten Alternativen der Aufenthaltsbeendigung nicht in ein Rangverhältnis stelle und die begleitete Überstellung nicht von dem Erfordernis der vorher eingeräumten Möglichkeit der freiwilligen Ausreise oder kontrollierten Ausreise abhängig gemacht werde (HessVGH, Beschluss vom 31.08.2006 - 9 UE 1464/06.A - juris). Wenn nach dem Wortlaut des Art. 7 Abs. 1 DVO Dublin die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat auf eine der folgenden Weisen erfolgen könne, so bedeute dies nur, dass die Wahl des Vorgehens im Einzelfall allein nach den innerstaatlichen Vorschriften erfolge (so etwa VG Stuttgart, Beschluss vom 29.03.2005 - A 18 K 10372/05 - juris Rn. 3). Gem. Art. 7 Abs. 1 DVO Dublin bestehe eine durch innerstaatliches Recht auszufüllende Gestaltungsmöglichkeit eines jeden Mitgliedstaats (VG Bremen, Urteil vom 25.10.2006 - 1 K 222/05.A - juris Rn. 20). Die Verwendung des Wortes „gegebenenfalls“ zeige, dass es grundsätzlich in der Entscheidungsfreiheit des die Überstellung durchführenden Mitgliedstaats liege, ob tatsächlich eine freiwillige Überstellung erfolgen solle, mithin jedenfalls kein Rechtsanspruch des Asylbewerbers auf eine solche Vorgehensweise bestehen könne. Der Erlass einer Abschiebungsanordnung wird mit diesen Überlegungen als unionsrechtskonform angesehen (vgl. auch BremOVG, Beschluss vom 03.11.2009 - 2 A 460/06 - juris Rn. 9; BayVGH, Urteil vom 25.02.2008 - 21 B 06.30145 - juris - Rn. 20; a.A. aber etwa GK-AsylVfG, § 34a Rn. 53 und § 27a Rn. 252 ff. ; Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl., § 27a AsylVfG Rn. 2).
31 
c) Dem folgt der Senat nicht. Der Verweis auf die innerstaatlichen Rechtsvorschriften besagt nur, dass die Verordnung insoweit keine abschließende, ins Einzelne gehende Regelung treffen wollte, was das gesamte Verfahren der Aufenthaltsbeendigung bzw. Überstellung betrifft, nicht aber, dass es im Belieben eines jeden Mitgliedstaats stehen soll, nationale Regelungen zu treffen, die eine Überstellung ausschließlich im Wege der Abschiebung, d.h. einer förmlichen Vollstreckung mit den Mitteln des Verwaltungszwangs zulassen. Sowohl der VO Dublin II wie auch der VO Dublin III liegt vielmehr zugrunde, dass die Mitgliedstaaten im Einzelfall eine konkrete Ermessensentscheidung dahingehend zu treffen haben, in welcher Weise die Aufenthaltsbeendigung erfolgen soll, denn die unionsrechtlich vorgesehenen Varianten der Aufenthaltsbeendigung werden zumindest auch mit Blick auf die Betroffenen und deren hiervon berührte Interessen eröffnet, weshalb auch in diesem Sinne von ihnen Gebrauch zu machen ist. Dieses Ermessen ist nationalrechtlich für die Bundesrepublik allerdings in zulässiger Weise durch § 58 Abs. 1 und 3 AufenthG gebunden.
32 
Dem steht die von der VO Dublin II verwendete „Gegebenenfalls-Klausel“, die sich in der VO Dublin III in sinngemäßer, aber inhaltsgleicher Weise in Art. 26 Abs. 2 wiederfindet, nicht entgegen. Diesen Begriff als eine derart weitgehende „Öffnungsklausel“ für das nationale Recht einzustufen, stellt eine nicht gerechtfertigte Überinterpretation dar; nichts anderes gilt für den Verweis auf die nationalen Rechtsvorschriften. Die Klausel bezieht sich nur auf eine Notwendigkeit, dem oder der Betroffenen Ort und Zeit zu nennen, wo bzw. wann er sich im zuständigen Mitgliedstaat zu melden hat, wenn die Überstellung auf freiwilliger Basis ermöglicht wird. Durch die Nennung dieser Daten wird sichergestellt, dass der Asylbewerber seinen „Treffpunkt“ kennt - falls er (oder ihn betreuende Organisationen oder sein Rechtsanwalt) nicht ohnehin im Rahmen einer Ausreise aus eigener Initiative unmittelbar mit den für ihn zuständigen Stellen im Aufnahme- bzw. Wiederaufnahmemitgliedstaat im Vorfeld Kontakt aufgenommen hat und ihm daher bekannt ist, wann und wo er sich einzufinden hat. Im Übrigen kann die Bekanntgabe von Ort und Zeit auch dazu dienen, dem zuständigen Mitgliedstaat die Mitteilung an den ersuchenden Staat über das Eintreffen des Asylbewerbers zu erleichtern (vgl. Art. 19 Abs. 3 UA 3 bzw. Art. 20 Abs. 1 lit. e) Satz 3 VO Dublin II bzw. Art. 29 Abs. 1 UA 4 VO Dublin III). Soweit die VO Dublin II in Art. 19 Abs. 3 UA 1 bzw. in Art. 20 Abs. 1 lit d) Satz 2 bzw. die VO Dublin III in Art. 29 Abs. 1 UA 1 auf die „Maßgeblichkeit des innerstaatlichen Rechts“ abstellen, zwingt dies nicht dazu, von einer unbegrenzten Wahlfreiheit der Mitgliedstaaten auszugehen. Mit einer solchen Sicht der Dinge würde nicht angemessen berücksichtigt, dass Zwangsmittel nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen möglichst zurückhaltend einzusetzen sind (vgl. Filzwieser/Sprung, Dublin II, 3. Aufl., Art. 19 K6, S. 151). Der Umstand, dass jedes staatliche Handeln dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen muss und eine zwangsweise Durchsetzung einer Ausreisepflicht – ungeachtet der hierdurch möglicherweise nach § 11 Abs. 1 Sätze 1 und 2 AufenthG verbundenen Rechtsfolgen – stets mit erheblichen Beeinträchtigungen von Freiheitsrechten verbunden ist (vgl. auch den 15. Erwägungsgrund der VO Dublin II sowie den 19. und 32. Erwägungsgrund der VO Dublin III), spricht auch dafür, dass es unionsrechtlich nicht zulässig ist, völlig ungeachtet der persönlichen Verhältnisse des Betroffenen die Überstellung allein im Wege der Abschiebung vorzusehen und durchzuführen. Da bei einer Abschiebung immer auch Grundrechte (Art. 2 Abs. 1 GG und ggf. Art. 2 Abs. 2 GG bzw. Art. 6 GRCh) betroffen sind, steht für den Senat außer Zweifel, dass die Art der Überstellung und deren Durchführung an ihnen zu messen sind und in letzter Konsequenz eigene einklagbare Rechte des Asylbewerbers betreffen. Für die neue Rechtslage wird dies durch den 24. Erwägungsgrund der VO Dublin III, namentlich dessen Satz 2, unterstrichen, wonach die Mitgliedstaaten sich durch entsprechende Informationen des Antragstellers für Überstellungen auf freiwilliger Basis einsetzen und sicherstellen sollten, dass Überstellungen in Form der kontrollierten Ausreise oder Begleitung in humaner Weise und in voller Übereinstimmung mit den Grundrechten und unter Achtung der Menschenwürde sowie dem Wohl des Kindes etc. vorgenommen werden. Dieser „Sicherstellungsauftrag“ verbietet eine Interpretation der Verordnung dahingehend, dass es in das Belieben der Mitgliedstaaten gestellt sein könnte, ob sie die Möglichkeit einer Überstellung in freiwilliger oder kontrollierter Form vorsehen wollen (ebenso Filzwieser/Sprung, Dublin II VO, 3. Aufl., Art. 19 K6, S. 151 u. zu Art. 7 DVO K4, S. 224).
33 
c) Aus den unionsrechtlichen Vorgaben der VO Dublin II wie auch der VO Dublin III lässt sich allerdings nicht entnehmen, den Betroffenen müsste zunächst generell die Möglichkeit einer freiwilligen Ausreise in der Weise eingeräumt werden, dass ihnen – dem deutschen allgemeinen Aufenthaltsrecht vergleichbar (vgl. § 59 AufenthG) – die Abschiebung unter Setzung einer Frist zu freiwilligen Ausreise angedroht werden muss (vgl. auch § 34a Abs. 1 Satz 3 AsylVfG). Deshalb kann die Entscheidung über den konkreten Vollzug der Überstellungentscheidung den hierfür zuständigen Ausländerbehörden der Länder überlassen werden und bedarf keiner Regelung im Bescheid des Bundesamts, der aus den dargestellten Gründen des Unionsrechts nur nicht in der Weise verstanden werden darf, dass eine Überstellung lediglich in der Form der Abschiebung, d.h. der begleiteten Überstellung erfolgen darf (wohl auch BVerwG, Beschluss vom 18.12.2008 - 10 B 40/08 - juris Rn. 3, wonach es an einer Darlegung fehle, warum sich im Fall des Klägers, der seinen Asylantrag erst nach Aufgriff durch die Polizei im Anschluss an einen - nach seinen Angaben - zweiwöchigen Aufenthalt im Bundesgebiet gestellt habe, der Erlass und die Vollstreckung einer Abschiebungsanordnung infolge einer Ermessensreduzierung nicht aufgedrängt haben solle; VG München, Beschluss vom 24.01.2014 - M 4 S 14.30061 - juris Rn. 20, wonach die Entscheidung über die Art und Weise der Überstellung Aufgabe der Ausländerbehörde sei und es ist nicht ersichtlich sei, dass der Antragsteller von Anfang an zur freiwilligen Ausreise bereit gewesen wäre; ebenso VG Berlin, Beschluss vom 27.11.2013 - 33 L 500.13 A - juris Rn. 27, vgl. auch VG Freiburg, Beschluss vom 30.10.2006 - A 3 K 710/06 - juris Rn. 4, wonach keine verlässlichen Anhaltspunkte dafür gegeben seien, dass sich die Antragstellerin überhaupt auf eigene Initiative in den zuständigen Mitgliedstaat begeben wolle). Allerdings könnte der Wortlaut der Bestimmungen der Art. 19 Abs. 2 und Art. 20 Abs. 1 lit. e) VO Dublin II bzw. des Art. 26 Abs. 2 VO Dublin III auch so gedeutet werden, dass all das, was die Überstellung betrifft, also die Entscheidung über die Aufnahme bzw. Wiederaufnahme einschließlich der Modalitäten der Überstellung, in einer einzigen Entscheidung geregelt werden soll, gegen die dann Rechtsschutz möglich ist; zwingend ist ein solches Verständnis jedoch nicht. Es ist nämlich zu bedenken, dass der gesamte Komplex des Verwaltungsvollzugs und dessen Ausgestaltung regelmäßig Sache des einzelnen Mitgliedstaats ist, so dass auch ein Ineinandergreifen verschiedener Behördenzuständigkeiten durch das Unionsrecht akzeptiert wird mit der Folge, dass in Konsequenz des föderalen Aufbaus der Bundesrepublik Deutschland der Vollzug im Einzelnen von den zuständigen Ausländerbehörden der Länder durchzuführen und zu organisieren ist. Insoweit kommt dann der in beiden Verordnungen enthaltene Vorbehalt zugunsten der nationalen Rechtsvorschriften zum Tragen, wenn wie hier, keine eindeutigen unionsrechtlichen Vorgaben gemacht werden. Wesentlich ist allein, dass die Entscheidung über die konkrete Form der geplanten Überstellung und alle Einzelheiten und Modalitäten so rechtzeitig getroffen und gleichermaßen rechtzeitig den Betroffenen bekanntgeben werden, dass sie noch effektiven Rechtsschutz erlangen können, sofern sie mit der Entscheidung nicht einverstanden sind, die von der nach nationalem Recht für den Vollzug zuständigen Behörde getroffenen wurde.
34 
Der Senat leitet dieses Ergebnis auch aus der Tatsache ab, dass etwa die Informationsrechte nach Art. 4 VO Dublin III i.V.m. den Anhängen X bis XIII der DVO Dublin zu umfangreichen bis ins Detail gehenden Vorgaben führen, worüber der Asylbewerber zu belehren und zu informieren ist. Ihm werden die Fristen für die Überstellung und die möglichen Rechtsmittel erklärt. Es findet sich aber kein Hinweis auf die Arten der Überstellung, insbesondere auch nicht zur freiwilligen Ausreise. Das spricht dagegen, dass nach den beiden Verordnungen generell die freiwillige Ausreise einzuräumen ist - auch wenn die VO Dublin II diese umfangreichen Informationsblätter noch nicht kannte. Des Weiteren spricht die in Art. 7 Abs. 1 der DVO zum Ausdruck kommende Wahlfreiheit dafür, es allein der Entscheidung im Einzelfall zu überlassen, wie die Überstellung erfolgt.
35 
Will der Betroffene freiwillig ausreisen, so müssen ihm folglich die Einzelheiten (bis wann er ausgereist sein muss, wo und wann er sich im zuständigen Mitgliedstaat einzufinden hat) durch die Ausländerbehörde im Außenverhältnis (und nicht durch das Bundesamt) mitgeteilt werden. Eine Konsequenz des seit 06.09.2013 nunmehr ausdrücklich in § 34a Abs. 2 AsylVfG eröffneten Rechtsschutzes nach § 80 Absatz 5 VwGO (der im Übrigen auch schon für Überstellungen nach der VO Dublin II gilt, falls diese hier noch anzuwenden sein sollte) ist, dass, wie der Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat, Abschiebungen nunmehr erst konkret geplant werden, wenn die Wochenfrist für den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abgelaufen ist, weshalb auch aus diesem Grund eine ins Detail gehende Regelung durch das Bundesamt in der von ihm zu erlassenden Verfügung nach § 34a Abs. 1 Satz 2 AsylVfG wenig praktikabel wäre und v.a. auch nicht immer ausreichend zeitnah die konkreten individuellen Verhältnisse der Betroffenen in den Blick nehmen könnte. Die Frist des § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG genügt für die Betroffenen ebenfalls, um sich mit der Ausländerbehörde in Verbindung zu setzen und die Möglichkeiten einer freiwilligen Ausreise zu klären. Kommt die zuständige Ausländerbehörde zu der Auffassung, dass eine Abschiebung (zunächst) nicht erforderlich ist und unverhältnismäßig wäre und insbesondere die Abschiebungsvoraussetzungen nach § 58 Abs. 1 und 3 AufenthG nicht vorliegen, sind die dargestellten weiteren Einzelheiten von ihr zu veranlassen. Eine Konsequenz der unterschiedlichen Behördenzuständigkeit ist allerdings, dass unterschiedlicher bzw. zusätzlicher Rechtsschutz erforderlich werden kann. Das ist etwa dann denkbar, wenn der Asylbewerber sich primär gegenüber der Beklagten z.B. mit dem Argument, Deutschland sei für sein Asylverfahren zuständig (geworden), gegen die Aufnahme oder Wiederaufnahme wendet, er allerdings jedenfalls auch seine freiwillige Ausreise durchsetzen möchte, die ihm bisher als Möglichkeit von der Ausländerbehörde verweigert wird (gegen den Träger der zuständigen Ausländerbehörde). Solches ist jedoch nicht unzumutbar, zumal dadurch auch eine zeitnahe Beurteilung der konkreten Verhältnisse möglich ist.
36 
2. a) Bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats steht die Rechtmäßigkeit der verfügten Abschiebungsanordnung auch nicht deshalb infrage, weil etwa die Überstellung nach Italien nicht mehr durchgeführt werden könnte. Geht man davon aus, dass das Übernahmeersuchen am 30.12.2013 an Italien übermittelt wurde, so war die hier maßgebliche Beantwortungsfrist nach Art. 20 Abs. 1 lit. c) Alt. 2 VO Dublin II von zwei Wochen am 13.01.2014 abgelaufen. Die Überstellungsfrist von sechs Monaten nach Art. 20 Abs. 2 Satz 1 VO Dublin II wäre dann möglicherweise am Montag, den 14.07.2014, abgelaufen mit der Folge, dass die Bundesrepublik wieder zuständig geworden wäre. Unklar ist in diesem Zusammenhang, welche Konsequenzen aus der Tatsache zu ziehen sind, das im vorliegenden Fall ein Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes – allerdings mit für den Kläger negativem Ausgang – durchgeführt worden war, während dessen Anhängigkeit gem. § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylVfG eine Vollziehung der Überstellungsentscheidung durch die Bundesrepublik Deutschland nicht zulässig war, und dass auch vom Zeitpunkt der Zustellung der Entscheidung der Beklagten an den Kläger bis zur Antragstellung mit Rücksicht auf Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG bzw. Art. 47 Abs. 1 GRCh ein vorübergehendes Abschiebungsverbot bestanden hatte. Nach den in Art. 19 Abs. 3 UA 1 bzw. Art. 20 Abs. 1 lit. d) VO Dublin II oder Art. 29 Abs. 1 UA 1 VO Dublin III enthaltenen Wertungen kann kaum angenommen werden, dass die Überstellungsfrist in dieser Zeit uneingeschränkt läuft und in letzter Konsequenz ablaufen kann. In diesem Zusammenhang ist nämlich zu betonen, dass der unionsrechtliche Begriff der „aufschiebenden Wirkung“ nicht in dem spezifischen rechtstechnischen Sinn des deutschen Verwaltungsverfahrens- und -prozessrechts verstanden werden kann und darf, da das Unionsrecht keine genauere Ausgestaltung des Rechtsschutzverfahrens bzw. Rechtschutzsystems vornimmt, sondern den nationalen Regelungsbestand voraussetzt (vgl. zu alledem auch GK-AsylVfG, § 27a Stand November 2013 Rn. 227 ff.). Nach Auffassung des Senats hält sowohl die VO Dublin II wie auch die VO Dublin III für diese Fallkonstellation keine angemessene Regelung vor (a.A. aber wohl VG Göttingen, Beschluss vom 30.06.2014 - 2 B 86/14 - juris, das zu Unrecht nicht einmal eine Ablaufhemmung annimmt, sondern den Fristlauf ausschließlich mit Ergehen eines positiven Beschlusses beginnen lassen will, was aber einer sehr formalistischen Betrachtungsweise geschuldet ist, die die von den entsprechenden Bestimmungen der Verordnungen berücksichtigten Belange der Mitgliedstaaten, die der Europäische Gerichtshof in der Sache Petrosian, Urteil vom 29.1.2009 - C- 19/08 - InfAuslR 2009, 139, herausgearbeitet hat, und die notwendigen Rechtsfolgen einer effektiven Rechtsschutzgewährung nicht angemessen in den Blick nimmt). Der EuGH hat im genannten Urteil u.a. Folgendes ausgeführt:
37 
„…32. Nach Art. 20 Abs. 1 Buchst. d der Verordnung Nr. 343/2003 erfolgt die Überstellung eines Asylbewerbers in den Mitgliedstaat, der ihn wieder aufnehmen muss, sobald dies materiell möglich ist und spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Antrags auf Wiederaufnahme durch einen anderen Mitgliedstaat oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. Nach Art. 20 Abs. 2 geht die Zuständigkeit auf den Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag eingereicht wurde, wenn die Überstellung nicht innerhalb einer Frist von sechs Monaten durchgeführt wird.
38 
33. Der Wortlaut dieser Bestimmungen an sich erlaubt nicht die Feststellung, ob die Frist zur Durchführung der Überstellung bereits ab einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung läuft, mit der die Durchführung des Überstellungsverfahrens ausgesetzt wird, oder erst ab einer gerichtlichen Entscheidung, mit der über die Rechtmäßigkeit des genannten Verfahrens entschieden wird.
39 
34. Nach ständiger Rechtsprechung sind jedoch bei der Auslegung einer Gemeinschaftsvorschrift nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (vgl. u. a. Urteile vom 18. Mai 2000, KVS International, C-301/98, Slg. 2000, I-3583, Randnr. 21, und vom 23. November 2006, ZVK, C-300/05, Slg. 2006, I-11169, Randnr. 15).
40 
35. Gemäß Art. 20 Abs. 1 Buchst. d der Verordnung Nr. 343/2003 in Verbindung mit Abs. 1 Buchst. c können je nach den Umständen drei Ereignisse den Lauf der Frist von sechs Monaten auslösen, über die der ersuchende Mitgliedstaat verfügt, um die Überstellung des Asylbewerbers durchzuführen. Es kann sich erstens um die Entscheidung des ersuchten Mitgliedstaats handeln, die Wiederaufnahme des Asylbewerbers zu akzeptieren, zweitens um den fruchtlosen Ablauf der Frist von einem Monat, die dem ersuchten Mitgliedstaat für eine Stellungnahme zum Antrag des ersuchenden Mitgliedstaats auf Wiederaufnahme des Asylbewerbers gesetzt worden ist, und drittens um die Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser im ersuchenden Mitgliedstaat aufschiebende Wirkung hat.
41 
36. Diese drei Ereignisse müssen in Abhängigkeit davon analysiert werden, ob es in den Rechtsvorschriften des ersuchenden Mitgliedstaats einen Rechtsbehelf mit aufschiebender Wirkung gibt oder nicht, wobei das Ziel zu berücksichtigen ist, dessentwegen die Verordnung Nr. 343/2003 eine Frist für die Durchführung der Überstellung vorsieht.
42 
37. Hierbei sind zwei Konstellationen zu unterscheiden.
43 
38. Wie aus dem Wortlaut von Art. 20 Abs. 1 Buchst. d der Verordnung Nr. 343/2003 hervorgeht, läuft in der ersten Konstellation, wenn kein Rechtsbehelf mit aufschiebender Wirkung vorgesehen ist, die Frist zur Durchführung der Überstellung ab der ausdrücklichen oder vermuteten Entscheidung, durch die der ersuchte Mitgliedstaat die Wiederaufnahme des Betreffenden akzeptiert, unabhängig von den Unwägbarkeiten, denen der Rechtsbehelf unterliegt, den der Asylbewerber gegebenenfalls gegen die seine Überstellung anordnende Entscheidung vor den Gerichten des ersuchenden Mitgliedstaats erhoben hat.
44 
39. Dann bleiben lediglich die Modalitäten für die Durchführung der Überstellung zu regeln und insbesondere deren Datum festzusetzen.
45 
40. In diesem Zusammenhang erlegt Art. 20 Abs. 1 Buchst. d der Verordnung Nr. 343/2003 dem ersuchenden Mitgliedstaat eine Frist von sechs Monaten für die Durchführung der Überstellung auf. Somit verfolgt diese Frist in Anbetracht der praktischen Komplexität und der organisatorischen Schwierigkeiten, die mit der Durchführung der Überstellung einhergehen, das Ziel, es den beiden betroffenen Mitgliedstaaten zu ermöglichen, sich im Hinblick auf die Durchführung abzustimmen, und es insbesondere dem ersuchenden Mitgliedstaat zu erlauben, die Modalitäten für die Durchführung der Überstellung zu regeln, die nach den nationalen Rechtsvorschriften dieses letztgenannten Staates erfolgt.
46 
41. Außerdem ergibt sich aus der Darlegung der Gründe zu dem von der Kommission am 26. Juli 2001 vorgelegten Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Festlegung von Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist, den ein Staatsangehöriger eines dritten Landes in einem Mitgliedstaat gestellt hat (KOM[2001] 447 endg., S. 5, 19 und 20), dass die Kommission gerade deshalb, um den für die Mitgliedstaaten bei der Durchführung der Überstellung bestehenden praktischen Schwierigkeiten Rechnung zu tragen, vorgeschlagen hat, die Frist für die Durchführung der Überstellung zu verlängern. Diese Frist, die im am 15. Juni 1990 in Dublin unterzeichneten Übereinkommen über die Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften gestellten Asylantrags (ABl. 1997, C 254, S. 1), das durch die Verordnung Nr. 343/2003 ersetzt wurde, mit einem Monat festgesetzt wurde, wurde sodann entsprechend dem genannten Verordnungsvorschlag in Art. 20 Abs. 1 Buchst. d dieser Verordnung auf sechs Monate erhöht.
47 
42. Für die zweite Konstellation – wenn der ersuchende Mitgliedstaat einen Rechtsbehelf mit aufschiebender Wirkung kennt und das Gericht dieses Mitgliedstaats seiner Entscheidung eine derartige Wirkung beilegt – sieht Art. 20 Abs. 1 Buchst. d der Verordnung Nr. 343/2003 vor, dass die Frist für die Durchführung der Überstellung ab der „Entscheidung über den Rechtsbehelf“ läuft.
48 
43. In dieser zweiten Konstellation ist zwar der Beginn der Frist zur Durchführung der Überstellung ein anderer als der, der für die erste angeführte Konstellation festgelegt wird, doch bleibt es dabei, dass sich jeder der beiden betroffenen Mitgliedstaaten bei der Organisation der Überstellung mit den gleichen praktischen Schwierigkeiten konfrontiert sieht und folglich über die gleiche Frist von sechs Monaten verfügen sollte, um diese Überstellung zu bewerkstelligen. Denn der Wortlaut von Art. 20 Abs. 1 Buchst. d der Verordnung Nr. 343/2003 enthält keinen Hinweis darauf, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber beabsichtigt hätte, diese beiden Konstellationen unterschiedlich zu behandeln.
49 
44. Daraus folgt, dass angesichts des Ziels, das damit verfolgt wird, dass den Mitgliedstaaten eine Frist gesetzt wird, der Beginn dieser Frist in der zweiten Konstellation so zu bestimmen ist, dass die Mitgliedstaaten wie in der ersten Konstellation über eine Frist von sechs Monaten verfügen, die sie in vollem Umfang zur Regelung der technischen Probleme für die Bewerkstelligung der Überstellung nutzen sollen.
50 
45. Die Frist für die Durchführung der Überstellung kann daher erst zu laufen beginnen, wenn grundsätzlich vereinbart und sichergestellt ist, dass die Überstellung in Zukunft erfolgen wird, und wenn lediglich deren Modalitäten zu regeln bleiben. Dass diese Überstellung erfolgen wird, kann nicht als sichergestellt angesehen werden, wenn ein Gericht des ersuchenden Mitgliedstaats, bei dem ein Rechtsbehelf anhängig ist, über die Frage in der Sache nicht entschieden hat, sondern sich darauf beschränkt hat, zu einem Antrag auf Aussetzung des Vollzugs der angefochtenen Entscheidung Stellung zu nehmen.
51 
46. Daraus ergibt sich, dass zur Wahrung der praktischen Wirksamkeit von Art. 20 Abs. 1 Buchst. d der Verordnung Nr. 343/2003, mit dem die Frist zur Durchführung der Überstellung festgelegt wird, diese Frist in der zweiten angeführten Konstellation nicht bereits ab der vorläufigen gerichtlichen Entscheidung läuft, mit der die Durchführung des Überstellungsverfahrens ausgesetzt wird, sondern erst ab der gerichtlichen Entscheidung, mit der über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens entschieden wird und die dieser Durchführung nicht mehr entgegenstehen kann.
52 
47. Dieses Ergebnis wird durch zwei weitere Reihen von Erwägungen bestätigt, die sich einerseits aus der Wahrung des von einem Mitgliedstaat gewährleisteten gerichtlichen Schutzes und zum anderen aus der Beachtung des Grundsatzes der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten herleiten.
53 
48. Erstens ist davon auszugehen, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber nicht die Absicht hatte, dem Erfordernis der zügigen Bearbeitung der Asylanträge den gerichtlichen Schutz zu opfern, den die Mitgliedstaaten gewährleisten, deren Gerichte die Durchführung einer Überstellungsentscheidung aussetzen können, wodurch sie dem Asylbewerber ermöglichen, die ihn betreffenden Entscheidungen wirksam anzugreifen.
54 
49. Die Mitgliedstaaten, die Rechtsbehelfe schaffen wollten, die zu Entscheidungen mit aufschiebender Wirkung im Rahmen des Überstellungsverfahrens führen können, dürfen nämlich nicht im Namen der Einhaltung des Erfordernisses einer zügigen Sachbehandlung in eine weniger günstige Lage versetzt werden als diejenigen Mitgliedstaaten, die dies nicht für notwendig erachtet haben.
55 
50. So befände sich der Mitgliedstaat, der im Rahmen des Überstellungsverfahrens beschlossen hat, gegebenenfalls mit aufschiebender Wirkung versehene Rechtsbehelfe zu schaffen, und der daher hinnehmen müsste, dass die Frist, über die er für die Ausweisung des Asylbewerbers verfügt, um die Zeit verkürzt wird, die die innerstaatlichen Gerichte benötigen, um über den Rechtsstreit in der Sache zu entscheiden, in einer misslichen Lage, da er, wenn es ihm nicht gelänge, die Überstellung des Asylbewerbers innerhalb des sehr kurzen Zeitraums zu organisieren, der zwischen der Entscheidung des Tatrichters und dem Ablauf der Frist für die Durchführung der Überstellung liegt, Gefahr liefe, nach Art. 20 Abs. 2 der Verordnung Nr. 343/2003 – wonach, sobald die Frist für die Durchführung der Überstellung einmal abgelaufen ist, die Annahme der Zuständigkeit durch den ersuchten Mitgliedstaat hinfällig wird – letztlich als für die Bearbeitung des Asylantrags zuständig bestimmt zu werden.
56 
51. Die Auslegung der Bestimmungen von Art. 20 Abs. 1 Buchst. d der Verordnung Nr. 343/2003, der den Beginn der Frist festlegt, die dem ersuchenden Mitgliedstaat für die Vornahme der Überstellung des Asylbewerbers gesetzt wird, kann folglich nicht zu dem Ergebnis führen, dass sich der ersuchende Mitgliedstaat im Namen der Einhaltung des Gemeinschaftsrechts über die aufschiebende Wirkung der vorläufigen gerichtlichen Entscheidung hinwegsetzen müsste, die im Rahmen eines Rechtsbehelfs ergangen ist, der eine derartige Wirkung haben kann, die dieser Staat in seinem innerstaatlichen Recht doch vorsehen wollte.
57 
52. Was zweitens die Beachtung des Grundsatzes der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten angeht, ist darauf hinzuweisen, dass bei einer Auslegung von Art. 20 Abs. 1 Buchst. d der Verordnung Nr. 343/2003 dahin, dass die Frist für die Durchführung der Überstellung bereits ab der vorläufigen Entscheidung mit aufschiebender Wirkung läuft, das nationale Gericht, das die Einhaltung dieser Frist mit der Beachtung einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung mit aufschiebender Wirkung vereinbaren wollte, veranlasst wäre, über die Rechtmäßigkeit des Überstellungsverfahrens vor Ablauf der genannten Frist durch eine Entscheidung zu befinden, die gegebenenfalls wegen Zeitmangels der Richter nicht in zufriedenstellender Weise dem komplexen Charakter des Rechtsstreits Rechnung tragen konnte. Wie einige Regierungen und die Kommission in ihren dem Gerichtshof vorliegenden Stellungnahmen betonen, liefe eine derartige Auslegung dem genannten Grundsatz zuwider, wie er in der Gemeinschaftsrechtsprechung niedergelegt worden ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 11. September 2003, Safalero, C-13/01, Slg. 2003, I-8679, Randnr. 49, und vom 13. März 2007, Unibet, C-432/05, Slg. 2007, I-2271, Randnr. 39)…“
58 
Die vorliegend vom Senat zu beurteilende Fallkonstellation wurde vom Europäischen Gerichtshof nicht genauer angesprochen, geschweige denn beschieden. Die VO Dublin II, aber auch die VO Dublin III, die insoweit keine Änderungen gebracht hat, befassen sich mit dieser Fallgestaltung nicht. Orientiert man sich (zu) eng am Wortlaut der Bestimmungen, so wäre der Fristlauf nicht gehemmt, noch viel weniger wäre die Frist erst mit der Bekanntgabe der negativen gerichtlichen Entscheidung in Lauf gesetzt worden. Außerdem kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass es der Bundesrepublik Deutschland aufgrund Verfassungsrechts wie auch einfachen Gesetzesrechts bis zur unanfechtbaren Entscheidung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes unmöglich ist, die Überstellung durchzuführen, mit der Folge, dass bei einem langwierigeren Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes die Frist ohne weiteres ablaufen kann, ohne dass eine Überstellung möglich gewesen wäre. Andererseits akzeptiert, wie der Europäische Gerichtshof im genannten Urteil ausdrücklich herausgearbeitet hat, das Unionsrecht ausdrücklich, dass für den ersuchenden Mitgliedstaat bestehende rechtliche Hindernisse berücksichtigt werden müssen, um nicht zu untragbaren Ergebnissen zu kommen. Dieses zugrunde gelegt muss davon ausgegangen werden, dass eine zu schließende Regelungslücke vorliegt. Diese ist in einer Weise zu schließen, die einen möglichst beide Seiten schonenden Interessenausgleich zwischen dem ersuchenden und dem ersuchten Mitgliedstaat bewirkt. Diesem Anliegen entspricht es aus der Sicht des Senates am besten, wenn hier während des vorübergehenden Vollstreckungshindernisses (in der Zeit zwischen der Zustellung des Bescheids bis zur Zustellung der negativen Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, hier vom 17.03.2014 bis zum 09.04.2014) eine Ablaufhemmung angenommen wird mit der Folge, dass die Frist sich entsprechend verlängert (vgl. § 209 BGB entspr.). Allerderdings ist dieser Sicht der Dinge immanent, dass der ersuchende Mitgliedstaat nach der Zustimmung durch den ersuchten Mitgliedstaat die Überstellungsentscheidung unverzüglich erlassen muss, um nach einer negativen Gerichtsentscheidung noch ausreichend Zeit für die Durchführung der Überstellung zur Verfügung zu haben. Diese Konsequenz entspricht aber durchaus den berechtigen und wohl verstandenen Interessen des ersuchten Mitgliedstaats (und mittelbar auch denen des betroffenen Flüchtlings). Übertragen auf den vorliegenden Fall wäre die Überstellungsfrist hiernach zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung abgelaufen mit der Folge, dass die Zuständigkeit gem. Art. 19 Abs. 4 Satz 1 und Art. 20 Abs. 2 Satz 1 VO Dublin II bzw. Art. 29, Abs. 2 Satz 1 VO Dublin III auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen ist.
59 
b) Nach der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 16.04.2014 - A 11 S 1721/13 - juris) kann allerdings der Kläger den Zuständigkeitsübergang nicht mit Erfolg einwenden, solange die Überstellung an den bisher zuständigen Mitgliedstaat noch zeitnah möglich ist. Abgesehen davon ist ihm der Einwand hier auch deshalb abgeschnitten, weil die Ziffer 1 des angegriffenen Bescheids unanfechtbar geworden ist; er müsste insoweit erst ein Verfahren auf Wiederaufgreifen einleiten. Etwas anderes müsste nur dann gelten, wenn Italien eine zeitnahe Durchführung der Überstellung nunmehr ablehnen würde. Von einer zeitnahen Möglichkeit der Überstellung ist jedoch nach den Ausführungen des Vertreters der Beklagten in der mündlichen Verhandlung auszugehen. Denn die Beklagte hatte Italien im vorliegenden Fall mitgeteilt, dass die Überstellungsfrist mit Rücksicht auf ein durchgeführtes Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes erst am 09.10.2014 ablaufe, was darauf beruht, dass die Beklagte der Auffassung ist, die Überstellungsfrist werde erst durch die Zustellung der negativen gerichtlichen Entscheidung in Lauf gesetzt. Nach den plausiblen weiteren Ausführungen des Beklagtenvertreters werden diese nationalen Vorgaben und Mitteilungen jedoch regelmäßig von den ersuchten Mitgliedstaaten akzeptiert, weshalb der Senat davon ausgeht, dass eine Überstellung noch zeitnah möglich ist.
60 
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2 VwGO und 83b AsylVfG. Die Revision ist wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (vgl. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

Gründe

 
20 
Die Berufung ist zulässig, insbesondere wurde sie unter Stellung eines Antrags frist- und formgerecht begründet.
21 
Die Berufung bleibt jedoch ohne Erfolg.
22 
I. Rechtsgrundlage der Abschiebungsanordnung vom 12.03.2014 ist § 34a Abs. 1 AsylVfG.
23 
1. Diese Bestimmung ist nach Maßgabe der folgenden Ausführungen mit den unionsrechtlichen Vorgaben der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 vom 18.02.2003 (ABl. Nr. L 50, 1 - VO Dublin II) wie auch der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 vom 26.06.2013 (ABl. Nr. L 180, 31 - VO Dublin III) vereinbar. Der Senat kann daher offen lassen, ob hier im Hinblick auf Art. 49 Abs. 2 VO Dublin III auf das eigentliche Überstellungsverfahren, das erst nach dem 31.12.2013 eingeleitet wurde, schon die Neufassung anzuwenden ist, auch wenn das Aufnahme- bzw. Wiederaufnahmeersuchen bereits vor dem 01.01.2014 gestellt worden war.
24 
a) Es widerspricht insbesondere nicht dem Union, wenn nach dem nationalen Recht zwingend der Erlass einer Abschiebungsanordnung vorgesehen ist, die nach ihren Tatbestandsvoraussetzungen verlangt, dass feststehen muss, dass die Abschiebung in den jeweiligen Zielstaat durchgeführt werden kann. Denn der Wortlaut ist zumindest in einer Weise offen, dass hieraus nicht abgleitet werden kann, dass eine Abschiebung ausnahmslos stattfinden muss, selbst wenn Union dem entgegensteht.
25 
Nach Art. 20 Abs. 1 lit. e) VO Dublin II teilt u. a. im Fall des Art. 16 Abs. 1 lit. e) der ersuchende Mitgliedstaat dem Asylbewerber die Entscheidung des zuständigen Mitgliedstaats über seine Wiederaufnahme mit. Diese Entscheidung ist zu begründen. Die Frist für die Durchführung der Überstellung ist anzugeben und „gegebenenfalls“ der Ort und der Zeitpunkt zu nennen, an dem bzw. zu dem sich der Asylbewerber zu melden hat, wenn er sich auf eigene Initiative in den zuständigen Mitgliedstaat begibt. Gegen die Entscheidung kann ein Rechtsbehelf eingelegt werden. Ein gegen diese Entscheidung eingelegter Rechtsbehelf hat keine aufschiebende Wirkung für die Durchführung der Überstellung, es sei denn, die Gerichte oder zuständigen Stellen entscheiden im Einzelfall nach Maßgabe ihres innerstaatlichen Rechts anders, wenn es nach ihrem innerstaatlichen Recht zulässig ist. Erforderlichenfalls stellt der ersuchende Mitgliedstaat ein Laissez-passer nach dem Muster aus, das gemäß dem Verfahren nach Artikel 27 Absatz 2 VO Dublin II festgelegt wird. Der zuständige Mitgliedstaat teilt dem ersuchenden Mitgliedstaat gegebenenfalls mit, dass der Asylbewerber eingetroffen ist bzw. dass er sich nicht innerhalb der vorgegebenen Fristen gemeldet hat. Nach Art. 20 Abs. 1 lit. d) VO Dublin II erfolgt die Überstellung gemäß den nationalen Rechtsvorschriften.
26 
Diese Regelungen entsprechen den für die Aufnahme geltenden Vorgaben in Art. 19 Abs. 2 Sätze 1 bis 4 und Abs. 3 UA 1 und 2 VO Dublin II.
27 
Die VO Dublin III unterscheidet hinsichtlich des Überstellungsverfahrens nicht mehr zwischen der Aufnahme und der Wiederaufnahme und trifft insoweit einheitliche Regelungen. Art. 26 Abs. 2 VO Dublin III bestimmt, dass die Entscheidung nach Absatz 1 eine Rechtsmittelbelehrung enthält, die, falls „erforderlich“, auch auf das Recht, die aufschiebende Wirkung zu beantragen, hinzuweisen hat; außerdem hat sie Informationen zu enthalten über die Frist für die Durchführung der Überstellung mit erforderlichenfalls Angaben über den Ort und den Zeitpunkt, an dem oder zu dem sich die betreffende Person zu melden hat, wenn diese Person sich auf eigene Initiative in den zuständigen Mitgliedstaat begibt. Art. 29 Abs. 1 VO Dublin III regelt, dass die Überstellung gemäß den innerstaatlichen Rechtsvorschriften des ersuchenden Mitgliedstaats erfolgt.
28 
Art. 7 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1560/2003 der Kommission vom 02.09.2003 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (ABl. 2003, Nr. L 222 S. 3 - im Folgenden DVO Dublin), der nicht durch die DVO (EU) Nr. 118/2014 vom 30.01.2014 (ABl. Nr. L 39, 1) geändert wurde, sieht vor, dass die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat auf eine der folgenden Weisen erfolgen kann: a) auf Initiative des Asylbewerbers innerhalb einer vorgegebenen Frist, b) in Form der kontrollierten Ausreise, wobei der Asylbewerber bis zum Besteigen des Beförderungsmittels von einem Bediensteten des ersuchenden Staates begleitet wird und dem zuständigen Staat Ort, Datum und Uhrzeit seiner Ankunft bis zu einer vereinbarten Frist vor der Ankunft mitgeteilt wurden oder c) in Begleitung, wobei der Asylbewerber von einem Bediensteten des ersuchenden Staates oder einem Vertreter einer von dem ersuchenden Staat zu diesem Zweck beauftragten Einrichtung eskortiert und den Behörden des zuständigen Staats überstellt wird. Nach Art. 7 Abs. 2 der genannten Durchführungsverordnung erhält der Asylbewerber in den Fällen des Absatzes 1 lit. a) und b) einen Passierschein und im Fall lit. c) ein Laissez-passer.
29 
Das insoweit unmittelbar anzuwendende Unionsrecht geht - in Kenntnis des Risikos, dass der Asylbewerber diese ihm eingeräumte Möglichkeit missbrauchen kann - nach den dargestellten Bestimmungen somit unzweifelhaft von der Möglichkeit einer freiwilligen oder kontrollierten Ausreise in den zuständigen Mitgliedstaat aus. Davon zu trennen ist aber die Frage, ob diese Möglichkeit nur dann zu gewähren ist, wenn auch das nationale Recht die freiwillige oder kontrollierte Ausreise bei Dublin-Überstellungen ausdrücklich vorsieht, oder ob es eine bindende unionsrechtliche Vorgabe darstellt, dass jeder Mitgliedstaat - quasi als milderes Mittel - auch eine freiwillige oder kontrollierte Ausreise vorsehen muss und in welchem (rechtlichen) Rahmen dies zu geschehen hat.
30 
b) Unter Berufung auf die in Art. 19 Abs. 2 Satz 2 bzw. Art. 20 Abs. 1 lit. e) Satz 3 VO Dublin II enthaltene Klausel „gegebenenfalls“, die auch so schon im Kommissionsentwurf enthalten war (vgl. Art. 21 KOM/2001/0447endg.), sowie den Verweis auf die nationalen Rechtsvorschriften, wird die Auffassung vertreten, eine freiwillige oder kontrollierte Ausreise sei nur dann zu ermöglichen, wenn das innerstaatliche Recht eine Ausreise auf eigene Initiative ausdrücklich vorsehe, was im deutschen Recht nicht der Fall sei. Dies werde auch dadurch belegt, dass Art. 7 DVO Dublin die dort genannten Alternativen der Aufenthaltsbeendigung nicht in ein Rangverhältnis stelle und die begleitete Überstellung nicht von dem Erfordernis der vorher eingeräumten Möglichkeit der freiwilligen Ausreise oder kontrollierten Ausreise abhängig gemacht werde (HessVGH, Beschluss vom 31.08.2006 - 9 UE 1464/06.A - juris). Wenn nach dem Wortlaut des Art. 7 Abs. 1 DVO Dublin die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat auf eine der folgenden Weisen erfolgen könne, so bedeute dies nur, dass die Wahl des Vorgehens im Einzelfall allein nach den innerstaatlichen Vorschriften erfolge (so etwa VG Stuttgart, Beschluss vom 29.03.2005 - A 18 K 10372/05 - juris Rn. 3). Gem. Art. 7 Abs. 1 DVO Dublin bestehe eine durch innerstaatliches Recht auszufüllende Gestaltungsmöglichkeit eines jeden Mitgliedstaats (VG Bremen, Urteil vom 25.10.2006 - 1 K 222/05.A - juris Rn. 20). Die Verwendung des Wortes „gegebenenfalls“ zeige, dass es grundsätzlich in der Entscheidungsfreiheit des die Überstellung durchführenden Mitgliedstaats liege, ob tatsächlich eine freiwillige Überstellung erfolgen solle, mithin jedenfalls kein Rechtsanspruch des Asylbewerbers auf eine solche Vorgehensweise bestehen könne. Der Erlass einer Abschiebungsanordnung wird mit diesen Überlegungen als unionsrechtskonform angesehen (vgl. auch BremOVG, Beschluss vom 03.11.2009 - 2 A 460/06 - juris Rn. 9; BayVGH, Urteil vom 25.02.2008 - 21 B 06.30145 - juris - Rn. 20; a.A. aber etwa GK-AsylVfG, § 34a Rn. 53 und § 27a Rn. 252 ff. ; Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl., § 27a AsylVfG Rn. 2).
31 
c) Dem folgt der Senat nicht. Der Verweis auf die innerstaatlichen Rechtsvorschriften besagt nur, dass die Verordnung insoweit keine abschließende, ins Einzelne gehende Regelung treffen wollte, was das gesamte Verfahren der Aufenthaltsbeendigung bzw. Überstellung betrifft, nicht aber, dass es im Belieben eines jeden Mitgliedstaats stehen soll, nationale Regelungen zu treffen, die eine Überstellung ausschließlich im Wege der Abschiebung, d.h. einer förmlichen Vollstreckung mit den Mitteln des Verwaltungszwangs zulassen. Sowohl der VO Dublin II wie auch der VO Dublin III liegt vielmehr zugrunde, dass die Mitgliedstaaten im Einzelfall eine konkrete Ermessensentscheidung dahingehend zu treffen haben, in welcher Weise die Aufenthaltsbeendigung erfolgen soll, denn die unionsrechtlich vorgesehenen Varianten der Aufenthaltsbeendigung werden zumindest auch mit Blick auf die Betroffenen und deren hiervon berührte Interessen eröffnet, weshalb auch in diesem Sinne von ihnen Gebrauch zu machen ist. Dieses Ermessen ist nationalrechtlich für die Bundesrepublik allerdings in zulässiger Weise durch § 58 Abs. 1 und 3 AufenthG gebunden.
32 
Dem steht die von der VO Dublin II verwendete „Gegebenenfalls-Klausel“, die sich in der VO Dublin III in sinngemäßer, aber inhaltsgleicher Weise in Art. 26 Abs. 2 wiederfindet, nicht entgegen. Diesen Begriff als eine derart weitgehende „Öffnungsklausel“ für das nationale Recht einzustufen, stellt eine nicht gerechtfertigte Überinterpretation dar; nichts anderes gilt für den Verweis auf die nationalen Rechtsvorschriften. Die Klausel bezieht sich nur auf eine Notwendigkeit, dem oder der Betroffenen Ort und Zeit zu nennen, wo bzw. wann er sich im zuständigen Mitgliedstaat zu melden hat, wenn die Überstellung auf freiwilliger Basis ermöglicht wird. Durch die Nennung dieser Daten wird sichergestellt, dass der Asylbewerber seinen „Treffpunkt“ kennt - falls er (oder ihn betreuende Organisationen oder sein Rechtsanwalt) nicht ohnehin im Rahmen einer Ausreise aus eigener Initiative unmittelbar mit den für ihn zuständigen Stellen im Aufnahme- bzw. Wiederaufnahmemitgliedstaat im Vorfeld Kontakt aufgenommen hat und ihm daher bekannt ist, wann und wo er sich einzufinden hat. Im Übrigen kann die Bekanntgabe von Ort und Zeit auch dazu dienen, dem zuständigen Mitgliedstaat die Mitteilung an den ersuchenden Staat über das Eintreffen des Asylbewerbers zu erleichtern (vgl. Art. 19 Abs. 3 UA 3 bzw. Art. 20 Abs. 1 lit. e) Satz 3 VO Dublin II bzw. Art. 29 Abs. 1 UA 4 VO Dublin III). Soweit die VO Dublin II in Art. 19 Abs. 3 UA 1 bzw. in Art. 20 Abs. 1 lit d) Satz 2 bzw. die VO Dublin III in Art. 29 Abs. 1 UA 1 auf die „Maßgeblichkeit des innerstaatlichen Rechts“ abstellen, zwingt dies nicht dazu, von einer unbegrenzten Wahlfreiheit der Mitgliedstaaten auszugehen. Mit einer solchen Sicht der Dinge würde nicht angemessen berücksichtigt, dass Zwangsmittel nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen möglichst zurückhaltend einzusetzen sind (vgl. Filzwieser/Sprung, Dublin II, 3. Aufl., Art. 19 K6, S. 151). Der Umstand, dass jedes staatliche Handeln dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen muss und eine zwangsweise Durchsetzung einer Ausreisepflicht – ungeachtet der hierdurch möglicherweise nach § 11 Abs. 1 Sätze 1 und 2 AufenthG verbundenen Rechtsfolgen – stets mit erheblichen Beeinträchtigungen von Freiheitsrechten verbunden ist (vgl. auch den 15. Erwägungsgrund der VO Dublin II sowie den 19. und 32. Erwägungsgrund der VO Dublin III), spricht auch dafür, dass es unionsrechtlich nicht zulässig ist, völlig ungeachtet der persönlichen Verhältnisse des Betroffenen die Überstellung allein im Wege der Abschiebung vorzusehen und durchzuführen. Da bei einer Abschiebung immer auch Grundrechte (Art. 2 Abs. 1 GG und ggf. Art. 2 Abs. 2 GG bzw. Art. 6 GRCh) betroffen sind, steht für den Senat außer Zweifel, dass die Art der Überstellung und deren Durchführung an ihnen zu messen sind und in letzter Konsequenz eigene einklagbare Rechte des Asylbewerbers betreffen. Für die neue Rechtslage wird dies durch den 24. Erwägungsgrund der VO Dublin III, namentlich dessen Satz 2, unterstrichen, wonach die Mitgliedstaaten sich durch entsprechende Informationen des Antragstellers für Überstellungen auf freiwilliger Basis einsetzen und sicherstellen sollten, dass Überstellungen in Form der kontrollierten Ausreise oder Begleitung in humaner Weise und in voller Übereinstimmung mit den Grundrechten und unter Achtung der Menschenwürde sowie dem Wohl des Kindes etc. vorgenommen werden. Dieser „Sicherstellungsauftrag“ verbietet eine Interpretation der Verordnung dahingehend, dass es in das Belieben der Mitgliedstaaten gestellt sein könnte, ob sie die Möglichkeit einer Überstellung in freiwilliger oder kontrollierter Form vorsehen wollen (ebenso Filzwieser/Sprung, Dublin II VO, 3. Aufl., Art. 19 K6, S. 151 u. zu Art. 7 DVO K4, S. 224).
33 
c) Aus den unionsrechtlichen Vorgaben der VO Dublin II wie auch der VO Dublin III lässt sich allerdings nicht entnehmen, den Betroffenen müsste zunächst generell die Möglichkeit einer freiwilligen Ausreise in der Weise eingeräumt werden, dass ihnen – dem deutschen allgemeinen Aufenthaltsrecht vergleichbar (vgl. § 59 AufenthG) – die Abschiebung unter Setzung einer Frist zu freiwilligen Ausreise angedroht werden muss (vgl. auch § 34a Abs. 1 Satz 3 AsylVfG). Deshalb kann die Entscheidung über den konkreten Vollzug der Überstellungentscheidung den hierfür zuständigen Ausländerbehörden der Länder überlassen werden und bedarf keiner Regelung im Bescheid des Bundesamts, der aus den dargestellten Gründen des Unionsrechts nur nicht in der Weise verstanden werden darf, dass eine Überstellung lediglich in der Form der Abschiebung, d.h. der begleiteten Überstellung erfolgen darf (wohl auch BVerwG, Beschluss vom 18.12.2008 - 10 B 40/08 - juris Rn. 3, wonach es an einer Darlegung fehle, warum sich im Fall des Klägers, der seinen Asylantrag erst nach Aufgriff durch die Polizei im Anschluss an einen - nach seinen Angaben - zweiwöchigen Aufenthalt im Bundesgebiet gestellt habe, der Erlass und die Vollstreckung einer Abschiebungsanordnung infolge einer Ermessensreduzierung nicht aufgedrängt haben solle; VG München, Beschluss vom 24.01.2014 - M 4 S 14.30061 - juris Rn. 20, wonach die Entscheidung über die Art und Weise der Überstellung Aufgabe der Ausländerbehörde sei und es ist nicht ersichtlich sei, dass der Antragsteller von Anfang an zur freiwilligen Ausreise bereit gewesen wäre; ebenso VG Berlin, Beschluss vom 27.11.2013 - 33 L 500.13 A - juris Rn. 27, vgl. auch VG Freiburg, Beschluss vom 30.10.2006 - A 3 K 710/06 - juris Rn. 4, wonach keine verlässlichen Anhaltspunkte dafür gegeben seien, dass sich die Antragstellerin überhaupt auf eigene Initiative in den zuständigen Mitgliedstaat begeben wolle). Allerdings könnte der Wortlaut der Bestimmungen der Art. 19 Abs. 2 und Art. 20 Abs. 1 lit. e) VO Dublin II bzw. des Art. 26 Abs. 2 VO Dublin III auch so gedeutet werden, dass all das, was die Überstellung betrifft, also die Entscheidung über die Aufnahme bzw. Wiederaufnahme einschließlich der Modalitäten der Überstellung, in einer einzigen Entscheidung geregelt werden soll, gegen die dann Rechtsschutz möglich ist; zwingend ist ein solches Verständnis jedoch nicht. Es ist nämlich zu bedenken, dass der gesamte Komplex des Verwaltungsvollzugs und dessen Ausgestaltung regelmäßig Sache des einzelnen Mitgliedstaats ist, so dass auch ein Ineinandergreifen verschiedener Behördenzuständigkeiten durch das Unionsrecht akzeptiert wird mit der Folge, dass in Konsequenz des föderalen Aufbaus der Bundesrepublik Deutschland der Vollzug im Einzelnen von den zuständigen Ausländerbehörden der Länder durchzuführen und zu organisieren ist. Insoweit kommt dann der in beiden Verordnungen enthaltene Vorbehalt zugunsten der nationalen Rechtsvorschriften zum Tragen, wenn wie hier, keine eindeutigen unionsrechtlichen Vorgaben gemacht werden. Wesentlich ist allein, dass die Entscheidung über die konkrete Form der geplanten Überstellung und alle Einzelheiten und Modalitäten so rechtzeitig getroffen und gleichermaßen rechtzeitig den Betroffenen bekanntgeben werden, dass sie noch effektiven Rechtsschutz erlangen können, sofern sie mit der Entscheidung nicht einverstanden sind, die von der nach nationalem Recht für den Vollzug zuständigen Behörde getroffenen wurde.
34 
Der Senat leitet dieses Ergebnis auch aus der Tatsache ab, dass etwa die Informationsrechte nach Art. 4 VO Dublin III i.V.m. den Anhängen X bis XIII der DVO Dublin zu umfangreichen bis ins Detail gehenden Vorgaben führen, worüber der Asylbewerber zu belehren und zu informieren ist. Ihm werden die Fristen für die Überstellung und die möglichen Rechtsmittel erklärt. Es findet sich aber kein Hinweis auf die Arten der Überstellung, insbesondere auch nicht zur freiwilligen Ausreise. Das spricht dagegen, dass nach den beiden Verordnungen generell die freiwillige Ausreise einzuräumen ist - auch wenn die VO Dublin II diese umfangreichen Informationsblätter noch nicht kannte. Des Weiteren spricht die in Art. 7 Abs. 1 der DVO zum Ausdruck kommende Wahlfreiheit dafür, es allein der Entscheidung im Einzelfall zu überlassen, wie die Überstellung erfolgt.
35 
Will der Betroffene freiwillig ausreisen, so müssen ihm folglich die Einzelheiten (bis wann er ausgereist sein muss, wo und wann er sich im zuständigen Mitgliedstaat einzufinden hat) durch die Ausländerbehörde im Außenverhältnis (und nicht durch das Bundesamt) mitgeteilt werden. Eine Konsequenz des seit 06.09.2013 nunmehr ausdrücklich in § 34a Abs. 2 AsylVfG eröffneten Rechtsschutzes nach § 80 Absatz 5 VwGO (der im Übrigen auch schon für Überstellungen nach der VO Dublin II gilt, falls diese hier noch anzuwenden sein sollte) ist, dass, wie der Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat, Abschiebungen nunmehr erst konkret geplant werden, wenn die Wochenfrist für den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abgelaufen ist, weshalb auch aus diesem Grund eine ins Detail gehende Regelung durch das Bundesamt in der von ihm zu erlassenden Verfügung nach § 34a Abs. 1 Satz 2 AsylVfG wenig praktikabel wäre und v.a. auch nicht immer ausreichend zeitnah die konkreten individuellen Verhältnisse der Betroffenen in den Blick nehmen könnte. Die Frist des § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG genügt für die Betroffenen ebenfalls, um sich mit der Ausländerbehörde in Verbindung zu setzen und die Möglichkeiten einer freiwilligen Ausreise zu klären. Kommt die zuständige Ausländerbehörde zu der Auffassung, dass eine Abschiebung (zunächst) nicht erforderlich ist und unverhältnismäßig wäre und insbesondere die Abschiebungsvoraussetzungen nach § 58 Abs. 1 und 3 AufenthG nicht vorliegen, sind die dargestellten weiteren Einzelheiten von ihr zu veranlassen. Eine Konsequenz der unterschiedlichen Behördenzuständigkeit ist allerdings, dass unterschiedlicher bzw. zusätzlicher Rechtsschutz erforderlich werden kann. Das ist etwa dann denkbar, wenn der Asylbewerber sich primär gegenüber der Beklagten z.B. mit dem Argument, Deutschland sei für sein Asylverfahren zuständig (geworden), gegen die Aufnahme oder Wiederaufnahme wendet, er allerdings jedenfalls auch seine freiwillige Ausreise durchsetzen möchte, die ihm bisher als Möglichkeit von der Ausländerbehörde verweigert wird (gegen den Träger der zuständigen Ausländerbehörde). Solches ist jedoch nicht unzumutbar, zumal dadurch auch eine zeitnahe Beurteilung der konkreten Verhältnisse möglich ist.
36 
2. a) Bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats steht die Rechtmäßigkeit der verfügten Abschiebungsanordnung auch nicht deshalb infrage, weil etwa die Überstellung nach Italien nicht mehr durchgeführt werden könnte. Geht man davon aus, dass das Übernahmeersuchen am 30.12.2013 an Italien übermittelt wurde, so war die hier maßgebliche Beantwortungsfrist nach Art. 20 Abs. 1 lit. c) Alt. 2 VO Dublin II von zwei Wochen am 13.01.2014 abgelaufen. Die Überstellungsfrist von sechs Monaten nach Art. 20 Abs. 2 Satz 1 VO Dublin II wäre dann möglicherweise am Montag, den 14.07.2014, abgelaufen mit der Folge, dass die Bundesrepublik wieder zuständig geworden wäre. Unklar ist in diesem Zusammenhang, welche Konsequenzen aus der Tatsache zu ziehen sind, das im vorliegenden Fall ein Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes – allerdings mit für den Kläger negativem Ausgang – durchgeführt worden war, während dessen Anhängigkeit gem. § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylVfG eine Vollziehung der Überstellungsentscheidung durch die Bundesrepublik Deutschland nicht zulässig war, und dass auch vom Zeitpunkt der Zustellung der Entscheidung der Beklagten an den Kläger bis zur Antragstellung mit Rücksicht auf Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG bzw. Art. 47 Abs. 1 GRCh ein vorübergehendes Abschiebungsverbot bestanden hatte. Nach den in Art. 19 Abs. 3 UA 1 bzw. Art. 20 Abs. 1 lit. d) VO Dublin II oder Art. 29 Abs. 1 UA 1 VO Dublin III enthaltenen Wertungen kann kaum angenommen werden, dass die Überstellungsfrist in dieser Zeit uneingeschränkt läuft und in letzter Konsequenz ablaufen kann. In diesem Zusammenhang ist nämlich zu betonen, dass der unionsrechtliche Begriff der „aufschiebenden Wirkung“ nicht in dem spezifischen rechtstechnischen Sinn des deutschen Verwaltungsverfahrens- und -prozessrechts verstanden werden kann und darf, da das Unionsrecht keine genauere Ausgestaltung des Rechtsschutzverfahrens bzw. Rechtschutzsystems vornimmt, sondern den nationalen Regelungsbestand voraussetzt (vgl. zu alledem auch GK-AsylVfG, § 27a Stand November 2013 Rn. 227 ff.). Nach Auffassung des Senats hält sowohl die VO Dublin II wie auch die VO Dublin III für diese Fallkonstellation keine angemessene Regelung vor (a.A. aber wohl VG Göttingen, Beschluss vom 30.06.2014 - 2 B 86/14 - juris, das zu Unrecht nicht einmal eine Ablaufhemmung annimmt, sondern den Fristlauf ausschließlich mit Ergehen eines positiven Beschlusses beginnen lassen will, was aber einer sehr formalistischen Betrachtungsweise geschuldet ist, die die von den entsprechenden Bestimmungen der Verordnungen berücksichtigten Belange der Mitgliedstaaten, die der Europäische Gerichtshof in der Sache Petrosian, Urteil vom 29.1.2009 - C- 19/08 - InfAuslR 2009, 139, herausgearbeitet hat, und die notwendigen Rechtsfolgen einer effektiven Rechtsschutzgewährung nicht angemessen in den Blick nimmt). Der EuGH hat im genannten Urteil u.a. Folgendes ausgeführt:
37 
„…32. Nach Art. 20 Abs. 1 Buchst. d der Verordnung Nr. 343/2003 erfolgt die Überstellung eines Asylbewerbers in den Mitgliedstaat, der ihn wieder aufnehmen muss, sobald dies materiell möglich ist und spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Antrags auf Wiederaufnahme durch einen anderen Mitgliedstaat oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. Nach Art. 20 Abs. 2 geht die Zuständigkeit auf den Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag eingereicht wurde, wenn die Überstellung nicht innerhalb einer Frist von sechs Monaten durchgeführt wird.
38 
33. Der Wortlaut dieser Bestimmungen an sich erlaubt nicht die Feststellung, ob die Frist zur Durchführung der Überstellung bereits ab einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung läuft, mit der die Durchführung des Überstellungsverfahrens ausgesetzt wird, oder erst ab einer gerichtlichen Entscheidung, mit der über die Rechtmäßigkeit des genannten Verfahrens entschieden wird.
39 
34. Nach ständiger Rechtsprechung sind jedoch bei der Auslegung einer Gemeinschaftsvorschrift nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (vgl. u. a. Urteile vom 18. Mai 2000, KVS International, C-301/98, Slg. 2000, I-3583, Randnr. 21, und vom 23. November 2006, ZVK, C-300/05, Slg. 2006, I-11169, Randnr. 15).
40 
35. Gemäß Art. 20 Abs. 1 Buchst. d der Verordnung Nr. 343/2003 in Verbindung mit Abs. 1 Buchst. c können je nach den Umständen drei Ereignisse den Lauf der Frist von sechs Monaten auslösen, über die der ersuchende Mitgliedstaat verfügt, um die Überstellung des Asylbewerbers durchzuführen. Es kann sich erstens um die Entscheidung des ersuchten Mitgliedstaats handeln, die Wiederaufnahme des Asylbewerbers zu akzeptieren, zweitens um den fruchtlosen Ablauf der Frist von einem Monat, die dem ersuchten Mitgliedstaat für eine Stellungnahme zum Antrag des ersuchenden Mitgliedstaats auf Wiederaufnahme des Asylbewerbers gesetzt worden ist, und drittens um die Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser im ersuchenden Mitgliedstaat aufschiebende Wirkung hat.
41 
36. Diese drei Ereignisse müssen in Abhängigkeit davon analysiert werden, ob es in den Rechtsvorschriften des ersuchenden Mitgliedstaats einen Rechtsbehelf mit aufschiebender Wirkung gibt oder nicht, wobei das Ziel zu berücksichtigen ist, dessentwegen die Verordnung Nr. 343/2003 eine Frist für die Durchführung der Überstellung vorsieht.
42 
37. Hierbei sind zwei Konstellationen zu unterscheiden.
43 
38. Wie aus dem Wortlaut von Art. 20 Abs. 1 Buchst. d der Verordnung Nr. 343/2003 hervorgeht, läuft in der ersten Konstellation, wenn kein Rechtsbehelf mit aufschiebender Wirkung vorgesehen ist, die Frist zur Durchführung der Überstellung ab der ausdrücklichen oder vermuteten Entscheidung, durch die der ersuchte Mitgliedstaat die Wiederaufnahme des Betreffenden akzeptiert, unabhängig von den Unwägbarkeiten, denen der Rechtsbehelf unterliegt, den der Asylbewerber gegebenenfalls gegen die seine Überstellung anordnende Entscheidung vor den Gerichten des ersuchenden Mitgliedstaats erhoben hat.
44 
39. Dann bleiben lediglich die Modalitäten für die Durchführung der Überstellung zu regeln und insbesondere deren Datum festzusetzen.
45 
40. In diesem Zusammenhang erlegt Art. 20 Abs. 1 Buchst. d der Verordnung Nr. 343/2003 dem ersuchenden Mitgliedstaat eine Frist von sechs Monaten für die Durchführung der Überstellung auf. Somit verfolgt diese Frist in Anbetracht der praktischen Komplexität und der organisatorischen Schwierigkeiten, die mit der Durchführung der Überstellung einhergehen, das Ziel, es den beiden betroffenen Mitgliedstaaten zu ermöglichen, sich im Hinblick auf die Durchführung abzustimmen, und es insbesondere dem ersuchenden Mitgliedstaat zu erlauben, die Modalitäten für die Durchführung der Überstellung zu regeln, die nach den nationalen Rechtsvorschriften dieses letztgenannten Staates erfolgt.
46 
41. Außerdem ergibt sich aus der Darlegung der Gründe zu dem von der Kommission am 26. Juli 2001 vorgelegten Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Festlegung von Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist, den ein Staatsangehöriger eines dritten Landes in einem Mitgliedstaat gestellt hat (KOM[2001] 447 endg., S. 5, 19 und 20), dass die Kommission gerade deshalb, um den für die Mitgliedstaaten bei der Durchführung der Überstellung bestehenden praktischen Schwierigkeiten Rechnung zu tragen, vorgeschlagen hat, die Frist für die Durchführung der Überstellung zu verlängern. Diese Frist, die im am 15. Juni 1990 in Dublin unterzeichneten Übereinkommen über die Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften gestellten Asylantrags (ABl. 1997, C 254, S. 1), das durch die Verordnung Nr. 343/2003 ersetzt wurde, mit einem Monat festgesetzt wurde, wurde sodann entsprechend dem genannten Verordnungsvorschlag in Art. 20 Abs. 1 Buchst. d dieser Verordnung auf sechs Monate erhöht.
47 
42. Für die zweite Konstellation – wenn der ersuchende Mitgliedstaat einen Rechtsbehelf mit aufschiebender Wirkung kennt und das Gericht dieses Mitgliedstaats seiner Entscheidung eine derartige Wirkung beilegt – sieht Art. 20 Abs. 1 Buchst. d der Verordnung Nr. 343/2003 vor, dass die Frist für die Durchführung der Überstellung ab der „Entscheidung über den Rechtsbehelf“ läuft.
48 
43. In dieser zweiten Konstellation ist zwar der Beginn der Frist zur Durchführung der Überstellung ein anderer als der, der für die erste angeführte Konstellation festgelegt wird, doch bleibt es dabei, dass sich jeder der beiden betroffenen Mitgliedstaaten bei der Organisation der Überstellung mit den gleichen praktischen Schwierigkeiten konfrontiert sieht und folglich über die gleiche Frist von sechs Monaten verfügen sollte, um diese Überstellung zu bewerkstelligen. Denn der Wortlaut von Art. 20 Abs. 1 Buchst. d der Verordnung Nr. 343/2003 enthält keinen Hinweis darauf, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber beabsichtigt hätte, diese beiden Konstellationen unterschiedlich zu behandeln.
49 
44. Daraus folgt, dass angesichts des Ziels, das damit verfolgt wird, dass den Mitgliedstaaten eine Frist gesetzt wird, der Beginn dieser Frist in der zweiten Konstellation so zu bestimmen ist, dass die Mitgliedstaaten wie in der ersten Konstellation über eine Frist von sechs Monaten verfügen, die sie in vollem Umfang zur Regelung der technischen Probleme für die Bewerkstelligung der Überstellung nutzen sollen.
50 
45. Die Frist für die Durchführung der Überstellung kann daher erst zu laufen beginnen, wenn grundsätzlich vereinbart und sichergestellt ist, dass die Überstellung in Zukunft erfolgen wird, und wenn lediglich deren Modalitäten zu regeln bleiben. Dass diese Überstellung erfolgen wird, kann nicht als sichergestellt angesehen werden, wenn ein Gericht des ersuchenden Mitgliedstaats, bei dem ein Rechtsbehelf anhängig ist, über die Frage in der Sache nicht entschieden hat, sondern sich darauf beschränkt hat, zu einem Antrag auf Aussetzung des Vollzugs der angefochtenen Entscheidung Stellung zu nehmen.
51 
46. Daraus ergibt sich, dass zur Wahrung der praktischen Wirksamkeit von Art. 20 Abs. 1 Buchst. d der Verordnung Nr. 343/2003, mit dem die Frist zur Durchführung der Überstellung festgelegt wird, diese Frist in der zweiten angeführten Konstellation nicht bereits ab der vorläufigen gerichtlichen Entscheidung läuft, mit der die Durchführung des Überstellungsverfahrens ausgesetzt wird, sondern erst ab der gerichtlichen Entscheidung, mit der über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens entschieden wird und die dieser Durchführung nicht mehr entgegenstehen kann.
52 
47. Dieses Ergebnis wird durch zwei weitere Reihen von Erwägungen bestätigt, die sich einerseits aus der Wahrung des von einem Mitgliedstaat gewährleisteten gerichtlichen Schutzes und zum anderen aus der Beachtung des Grundsatzes der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten herleiten.
53 
48. Erstens ist davon auszugehen, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber nicht die Absicht hatte, dem Erfordernis der zügigen Bearbeitung der Asylanträge den gerichtlichen Schutz zu opfern, den die Mitgliedstaaten gewährleisten, deren Gerichte die Durchführung einer Überstellungsentscheidung aussetzen können, wodurch sie dem Asylbewerber ermöglichen, die ihn betreffenden Entscheidungen wirksam anzugreifen.
54 
49. Die Mitgliedstaaten, die Rechtsbehelfe schaffen wollten, die zu Entscheidungen mit aufschiebender Wirkung im Rahmen des Überstellungsverfahrens führen können, dürfen nämlich nicht im Namen der Einhaltung des Erfordernisses einer zügigen Sachbehandlung in eine weniger günstige Lage versetzt werden als diejenigen Mitgliedstaaten, die dies nicht für notwendig erachtet haben.
55 
50. So befände sich der Mitgliedstaat, der im Rahmen des Überstellungsverfahrens beschlossen hat, gegebenenfalls mit aufschiebender Wirkung versehene Rechtsbehelfe zu schaffen, und der daher hinnehmen müsste, dass die Frist, über die er für die Ausweisung des Asylbewerbers verfügt, um die Zeit verkürzt wird, die die innerstaatlichen Gerichte benötigen, um über den Rechtsstreit in der Sache zu entscheiden, in einer misslichen Lage, da er, wenn es ihm nicht gelänge, die Überstellung des Asylbewerbers innerhalb des sehr kurzen Zeitraums zu organisieren, der zwischen der Entscheidung des Tatrichters und dem Ablauf der Frist für die Durchführung der Überstellung liegt, Gefahr liefe, nach Art. 20 Abs. 2 der Verordnung Nr. 343/2003 – wonach, sobald die Frist für die Durchführung der Überstellung einmal abgelaufen ist, die Annahme der Zuständigkeit durch den ersuchten Mitgliedstaat hinfällig wird – letztlich als für die Bearbeitung des Asylantrags zuständig bestimmt zu werden.
56 
51. Die Auslegung der Bestimmungen von Art. 20 Abs. 1 Buchst. d der Verordnung Nr. 343/2003, der den Beginn der Frist festlegt, die dem ersuchenden Mitgliedstaat für die Vornahme der Überstellung des Asylbewerbers gesetzt wird, kann folglich nicht zu dem Ergebnis führen, dass sich der ersuchende Mitgliedstaat im Namen der Einhaltung des Gemeinschaftsrechts über die aufschiebende Wirkung der vorläufigen gerichtlichen Entscheidung hinwegsetzen müsste, die im Rahmen eines Rechtsbehelfs ergangen ist, der eine derartige Wirkung haben kann, die dieser Staat in seinem innerstaatlichen Recht doch vorsehen wollte.
57 
52. Was zweitens die Beachtung des Grundsatzes der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten angeht, ist darauf hinzuweisen, dass bei einer Auslegung von Art. 20 Abs. 1 Buchst. d der Verordnung Nr. 343/2003 dahin, dass die Frist für die Durchführung der Überstellung bereits ab der vorläufigen Entscheidung mit aufschiebender Wirkung läuft, das nationale Gericht, das die Einhaltung dieser Frist mit der Beachtung einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung mit aufschiebender Wirkung vereinbaren wollte, veranlasst wäre, über die Rechtmäßigkeit des Überstellungsverfahrens vor Ablauf der genannten Frist durch eine Entscheidung zu befinden, die gegebenenfalls wegen Zeitmangels der Richter nicht in zufriedenstellender Weise dem komplexen Charakter des Rechtsstreits Rechnung tragen konnte. Wie einige Regierungen und die Kommission in ihren dem Gerichtshof vorliegenden Stellungnahmen betonen, liefe eine derartige Auslegung dem genannten Grundsatz zuwider, wie er in der Gemeinschaftsrechtsprechung niedergelegt worden ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 11. September 2003, Safalero, C-13/01, Slg. 2003, I-8679, Randnr. 49, und vom 13. März 2007, Unibet, C-432/05, Slg. 2007, I-2271, Randnr. 39)…“
58 
Die vorliegend vom Senat zu beurteilende Fallkonstellation wurde vom Europäischen Gerichtshof nicht genauer angesprochen, geschweige denn beschieden. Die VO Dublin II, aber auch die VO Dublin III, die insoweit keine Änderungen gebracht hat, befassen sich mit dieser Fallgestaltung nicht. Orientiert man sich (zu) eng am Wortlaut der Bestimmungen, so wäre der Fristlauf nicht gehemmt, noch viel weniger wäre die Frist erst mit der Bekanntgabe der negativen gerichtlichen Entscheidung in Lauf gesetzt worden. Außerdem kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass es der Bundesrepublik Deutschland aufgrund Verfassungsrechts wie auch einfachen Gesetzesrechts bis zur unanfechtbaren Entscheidung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes unmöglich ist, die Überstellung durchzuführen, mit der Folge, dass bei einem langwierigeren Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes die Frist ohne weiteres ablaufen kann, ohne dass eine Überstellung möglich gewesen wäre. Andererseits akzeptiert, wie der Europäische Gerichtshof im genannten Urteil ausdrücklich herausgearbeitet hat, das Unionsrecht ausdrücklich, dass für den ersuchenden Mitgliedstaat bestehende rechtliche Hindernisse berücksichtigt werden müssen, um nicht zu untragbaren Ergebnissen zu kommen. Dieses zugrunde gelegt muss davon ausgegangen werden, dass eine zu schließende Regelungslücke vorliegt. Diese ist in einer Weise zu schließen, die einen möglichst beide Seiten schonenden Interessenausgleich zwischen dem ersuchenden und dem ersuchten Mitgliedstaat bewirkt. Diesem Anliegen entspricht es aus der Sicht des Senates am besten, wenn hier während des vorübergehenden Vollstreckungshindernisses (in der Zeit zwischen der Zustellung des Bescheids bis zur Zustellung der negativen Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, hier vom 17.03.2014 bis zum 09.04.2014) eine Ablaufhemmung angenommen wird mit der Folge, dass die Frist sich entsprechend verlängert (vgl. § 209 BGB entspr.). Allerderdings ist dieser Sicht der Dinge immanent, dass der ersuchende Mitgliedstaat nach der Zustimmung durch den ersuchten Mitgliedstaat die Überstellungsentscheidung unverzüglich erlassen muss, um nach einer negativen Gerichtsentscheidung noch ausreichend Zeit für die Durchführung der Überstellung zur Verfügung zu haben. Diese Konsequenz entspricht aber durchaus den berechtigen und wohl verstandenen Interessen des ersuchten Mitgliedstaats (und mittelbar auch denen des betroffenen Flüchtlings). Übertragen auf den vorliegenden Fall wäre die Überstellungsfrist hiernach zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung abgelaufen mit der Folge, dass die Zuständigkeit gem. Art. 19 Abs. 4 Satz 1 und Art. 20 Abs. 2 Satz 1 VO Dublin II bzw. Art. 29, Abs. 2 Satz 1 VO Dublin III auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen ist.
59 
b) Nach der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 16.04.2014 - A 11 S 1721/13 - juris) kann allerdings der Kläger den Zuständigkeitsübergang nicht mit Erfolg einwenden, solange die Überstellung an den bisher zuständigen Mitgliedstaat noch zeitnah möglich ist. Abgesehen davon ist ihm der Einwand hier auch deshalb abgeschnitten, weil die Ziffer 1 des angegriffenen Bescheids unanfechtbar geworden ist; er müsste insoweit erst ein Verfahren auf Wiederaufgreifen einleiten. Etwas anderes müsste nur dann gelten, wenn Italien eine zeitnahe Durchführung der Überstellung nunmehr ablehnen würde. Von einer zeitnahen Möglichkeit der Überstellung ist jedoch nach den Ausführungen des Vertreters der Beklagten in der mündlichen Verhandlung auszugehen. Denn die Beklagte hatte Italien im vorliegenden Fall mitgeteilt, dass die Überstellungsfrist mit Rücksicht auf ein durchgeführtes Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes erst am 09.10.2014 ablaufe, was darauf beruht, dass die Beklagte der Auffassung ist, die Überstellungsfrist werde erst durch die Zustellung der negativen gerichtlichen Entscheidung in Lauf gesetzt. Nach den plausiblen weiteren Ausführungen des Beklagtenvertreters werden diese nationalen Vorgaben und Mitteilungen jedoch regelmäßig von den ersuchten Mitgliedstaaten akzeptiert, weshalb der Senat davon ausgeht, dass eine Überstellung noch zeitnah möglich ist.
60 
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2 VwGO und 83b AsylVfG. Die Revision ist wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (vgl. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

Tenor

I.

Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 3. Februar 2014 wird in Ziffer 1 aufgehoben.

II.

Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

III.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leisten.

Tatbestand

Die Kläger wenden sich gegen die Ablehnung ihres Asylantrags als unzulässig.

1. Die Kläger (Eheleute und zwei gemeinsame Kinder) sind nach eigenen Angaben mazedonische Staatsangehörige aus Tetovo und Volkszugehörige der Roma. Sie verließen zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt im Jahr 2011 ihr Herkunftsland und reisten zunächst nach Belgien, wo sie erfolglos ein Asylverfahren betrieben. Nach eigenen Angaben reisten sie dann von Belgien aus am 3. Juli 2013 auf dem Landweg nach Deutschland ein. Hier beantragten sie am 5. Juli 2013 Asyl.

2. Am 5. Dezember 2013 ersuchte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) das Königreich Belgien, die Kläger wieder aufzunehmen (Bl. 91 ff. der Bundesamtsakte). Mit Schreiben vom 16. Dezember 2013 (Bl. 106, 117, 118 der Bundesamtsakte) erklärten die belgischen Behörden die Rückübernahme der Kläger nach Art. 16 Abs. 1e Dublin II-Verordnung.

3. Mit Bescheid vom 3. Februar 2014 wurde festgestellt, dass die Asylanträge unzulässig sind (Ziffer 1 des Bescheides). Die Abschiebung nach Belgien wurde angeordnet (Ziffer 2). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass Belgien nach Art. 16 Abs. 1e Dublin II-Verordnung für die Behandlung der Asylanträge zuständig sei.

4. Gegen diesen Bescheid, der ihnen am 5. Februar 2014 zugestellt wurde (Bl. 130/131 der Bundesamtsakte), ließen die Kläger mit am 12. Februar 2014 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz Klage erheben.

Die Kläger beantragen zuletzt,

den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 3. Februar 2014 aufzuheben.

5. Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

6. Der Antrag der Kläger vom 12. Februar 2014 auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage ist mit Beschluss des Gerichts vom 11. Dezember 2014 (Az.: W 1 S 14.30152) abgelehnt worden.

7. Mit Beschluss vom 4. Februar 2015 hat die Kammer den Rechtsstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.

8. Mit Schreiben der Beklagten vom 23. Februar 2015 wurde die Ziffer 2 des Bescheides vom 3. Februar 2014 aufgehoben, weil die Beklagte nach Art. 19 Abs. 4 Dublin II-VO bzw. Art. 20 Abs. 2 Dublin II-VO nach Ablauf der Überstellungsfrist für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig geworden sei. In der nicht aufgehobenen Ziffer 1 sei der Bescheid weiterhin rechtmäßig, weil der Asylantrag unzulässig sei. Wegen des in Belgien durchgeführten Asylverfahrens handele es sich bei dem im Bundesgebiet gestellten Asylantrag um einen Zweitantrag i. S. d. § 71a AsylVfG. Die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens lägen jedoch nicht vor. Für eine Anfechtung der Ziffer 1 des Bescheides, wonach der Asylantrag unzulässig sei, fehle es den Klägern bereits an einem Rechtsschutzbedürfnis, weil deren Aufhebung ihnen keinen rechtlichen Vorteil brächte. Jedenfalls lägen auch die Voraussetzungen für eine Umdeutung des Bescheides vor. Außerdem fehle es an einer subjektiven Rechtsverletzung der Kläger.

Auszugsweise vorgelegt wurde ein Vorgang der Beklagten, aus dem hervorgeht, dass die belgischen Behörden die Wiederaufnahme der Kläger nicht mehr akzeptierten, weil sie erst nach Ablauf der Überstellungsfrist über die Einlegung eines Rechtsbehelfs unterrichtet worden seien.

9. Die Beteiligten haben in Bezug auf die Ziffer 2 des Bescheides vom 3. Februar 2014 übereinstimmend die Hauptsache für (teilweise) erledigt erklärt und im Übrigen auf mündliche Verhandlung verzichtet.

Mit Beschluss vom 30. März 2015 wurde das auf die Aufhebung der Abschiebungsanordnung (Ziffer 2 des Bescheides vom 3. Februar 2015) gerichtete Klagebegehren abgetrennt und unter dem Aktenzeichen W 1 K 15.30251 eingestellt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- sowie der vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

Gründe

Die Klage, über die das Gericht mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann (§ 101 Abs. 2 VwGO), ist zulässig und begründet.

Gegenstand der Klage ist - nach Abtrennung und Einstellung des Verfahrens hinsichtlich der Abschiebungsanordnung in Ziffer 2 - nur noch die in Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheides vom 3. Februar 2015 (sinngemäß) ausgesprochene Ablehnung des Asylantrags als unzulässig.

1. Die Klage ist als Anfechtungsklage statthaft und auch im Übrigen zulässig.

Gegen die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig bzw. die Feststellung der Unzulässigkeit gemäß § 27a AsylVfG (Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheides) als eigenständigen Verwaltungsakt ist eine isolierte Anfechtungsklage statthaft und auch unter dem Gesichtspunkt des Rechtsschutzbedürfnisses zulässig. Denn im Falle der Aufhebung der Ablehnung des Asylantrags als unzulässig wäre die Beklagte bereits nach § 31 Abs. 2 AsylVfG von Gesetzes wegen zur Fortführung des Asylverfahrens verpflichtet ist (BayVGH, B. v. 6.3.2015 - 13a ZB 15.50000 - juris Rn. 7; B. v. 5.3.2015 - 11 ZB 14.50046 - juris Rn. 11; B. v. 23.1.2015 - 13a ZB 14.50071 - juris; U. v. 28.2.2014 - 13a B 13.30295 - juris Rn. 22; VGH BW, B. v. 19.1.2015 - A 11 S 2508/14 - UA S. 5/6; jeweils m. w. N. zur obergerichtlichen Rspr.). Denn nach Sinn und Zweck des § 27a AsylVfG und des dahinter stehenden Gebotes, im Interesse der Verfahrensbeschleunigung schnellstmöglich Klarheit über den zuständigen Mitgliedstaat für die Prüfung eines im Geltungsbereich der Dublin-Verordnungen gestellten Asylantrags zu gewinnen (vgl. EuGH, U. v. 21.12.2011 - N.S., C-411/10 - juris Rn. 84, 98), ist die Zuständigkeitsprüfung durch das Bundesamt der Prüfung des Asylantrags vorgelagert und von dem Verfahren zur (inhaltlichen) Prüfung des Asylantrags zu unterscheiden (BayVGH, B. v. 23.1.2015 - 13a ZB 14.50071 - juris Rn. 6). Eine Verpflichtung des Verwaltungsgerichts, die Sache insoweit spruchreif zu machen, besteht nicht (BayVGH, B. v. 23.1.2015 a. a. O.). Statthaft ist daher die Anfechtungsklage mit dem Ziel, die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig sowie die Abschiebungsanordnung aufzuheben, damit die Beklagte in eigener Zuständigkeit über den Asylantrag (inhaltlich) entscheiden muss. Einer auf ein weitergehendes Ziel gerichteten Verpflichtungsklage fehlte deshalb das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis.

2. Die Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheides ist objektiv rechtswidrig (2.1) und verletzt die Kläger auch in ihren Rechten (2.2). Sie ist deshalb gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufzuheben.

2.1 Die auf § 27a AsylVfG gestützte Ablehnung des Asylantrags als unzulässig bzw. Feststellung der Unzulässigkeit desselben ist im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) objektiv rechtswidrig.

Nach § 27a AsylVfG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft (nunmehr: der Europäischen Union) oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Der von der Beklagten um Wiederaufnahme der Kläger ersuchte Staat, das Königreich Belgien, ist jedoch infolge Fristablaufs nicht mehr für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig und hat sich auch nicht mit einer Fristverlängerung bzw. Wiederaufnahme der Kläger ungeachtet des Fristablaufs einverstanden erklärt. Die internationale Zuständigkeit ist damit auf die Beklagte übergegangen. Der Ablauf der Überstellungsfrist bewirkte gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO (Verordnung [EG] Nr. 343/2003 v. 18.2.2003, ABl Nr. L 50, S. 1) einen Zuständigkeitsübergang kraft Gesetzes (st. Rspr., z. B. BayVGH, B. v. 6.3.2015 - 13a ZB 15.50000 - juris Rn. 3; VGH BW, B. v. 19.1.2015 - A 11 S 2508/14 - UA S. 5; U. v. 27.8.2014 - A 11 S 1285/14 - juris Rn. 36; U. v. 16.4.2014 - A 11 S 1721/13 - juris Rn. 33; B. v. 6.8.2013 - 12 S 675/13 - juris Rn. 12), so dass eine individuelle Entscheidung der Beklagten, die Zuständigkeit zu übernehmen, nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO weder notwendig noch zuständigkeitsbegründend (konstitutiv) ist. Es kommt somit auch nicht auf die Frage an, ob in der Annahme einer Umdeutung ihrer Entscheidung in eine solche über einen Zweitantrag nach § 71a AsylVfG durch die Beklagte ein konkludenter Selbsteintritt zu sehen wäre (vgl. z. B. BayVGH, B. v. 5.3.2015 - 11 ZB 14.50046 - juris Rn. 16).

Da bereits in Belgien ein Asylverfahren der Kläger ablehnend verbeschieden wurde, handelt es sich bei dem im Bundesgebiet gestellten Asylantrag um einen Zweitantrag, so dass die Vorschriften über die Wiederaufnahme (Art. 20 Dublin II-VO) Anwendung finden. Die Maßgeblichkeit der Dublin II-VO insoweit ergibt sich aus Art. 49 Unterabs. 2 Satz 2 Dublin III-VO (Verordnung [EU] Nr. 604/2013 v. 26.6.2013, ABl Nr. L 180, S. 31). Da das Wiederaufnahmeersuchen an Belgien vor dem 1. Januar 2014 gestellt wurde, erfolgt die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates gemäß Art. 49 Unterabs. 2 Satz 2 Dublin III-VO nach den Zuständigkeitskriterien der Dublin II-VO. Die Dublin III-VO ist dem gegenüber - jedenfalls für das zu beachtende Verfahren - anzuwenden auf (Wieder-)Aufnahmegesuche, die ab dem 1. Januar 2014 gestellt werden (BVerwG, U. v. 17.6.2014 - 10 C 7.13 - juris Rn. 27). Da die mit dem Wiederaufnahmegesuch zusammenhängenden Rechtsfragen, insbesondere die gegebenenfalls zu beachtenden Fristen, systematisch den Bestimmungen über die Zuständigkeitsverteilung zwischen den Mitgliedstaaten zuzuordnen sind (Zuständigkeitsregelungen im weiteren Sinne), sind damit im vorliegenden Fall die Vorschriften des Art. 20 Dublin II-VO anzuwenden.

Die in Art. 20 Abs. 1 d) Dublin II-VO vorgesehene Überstellungsfrist von sechs Monaten ab der Zustimmung Belgiens zur Wiederaufnahme der Kläger ist im vorliegenden Falle abgelaufen. Zwar bewirkte die Stellung des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung am 12. Februar 2014 eine Ablaufhemmung der Überstellungsfrist entsprechend § 209 BGB bis zur Zustellung des (für die Kläger negativen) Beschlusses des Gerichts. Diese Ablaufhemmung während der Anhängigkeit eines auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gerichteten Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO ist zwar in der maßgeblichen Bestimmung des Art. 20 Abs. 1 d) Dublin II-VO nicht ausdrücklich geregelt, weil dort nur die Fallvarianten angesprochen sind, dass ein Rechtsbehelf gegen die Überstellungsentscheidung von vornherein entweder aufschiebende Wirkung entfaltet oder nicht (EuGH, U. v. 29.1.2009 - Petrosian, C-19/08 - juris Rn. 37 ff.; VGH BW, U. v. 27.8.2014 - A 11 S 1285/14 - juris Rn. 36). Auf die gesetzlich angeordnete sofortige Vollziehbarkeit nach § 75 Satz 1 AsylVfG i. V. m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO mit der Möglichkeit der Aussetzung der Vollziehung durch die Behörde (§ 80 Abs. 4 VwGO) bzw. der Anordnung der aufschiebenden Wirkung durch das Verwaltungsgericht (§ 80 Abs. 5 VwGO) auf Antrag des Betroffenen trifft jedoch weder die eine noch die andere Fallgestaltung zu. Die o.g. Fristenhemmung für die Dauer des Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes entspricht jedoch der mittlerweile ganz herrschenden Ansicht in der deutschen verwaltungsrichterlichen Rechtsprechung (vgl. z. B. VGH BW, U. v. 27.8.2014 - A 11 S 1285/14 - juris Rn. 36, 58; VG Frankfurt, U. v. 5.2.2015 - 5 K 567/14.F.A - juris). Demnach wäre hier im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) die sechsmonatige Überstellungsfrist noch nicht abgelaufen.

Dennoch ist im vorliegenden Falle, wovon auch die Beteiligten ausgehen, ein Übergang der Zuständigkeit auf die Beklagte anzunehmen. Ausweislich des dem Gericht vorgelegten Emailverkehrs des Bundesamtes mit der zuständigen belgischen Behörde erfolgte nämlich die Unterrichtung Belgiens über die Einlegung eines Rechtsbehelfs gegen die Überstellungsentscheidung erst am 8./9. Januar 2015 und damit außerhalb der Sechsmonatsfrist des Art. 20 Abs. 1 d) Dublin II-VO, gerechnet ab der Zustimmung zum Wiederaufnahmegesuch (Schreiben vom 16. Dezember 2013). Dieser Verstoß der Beklagten gegen ihre Pflichten gegenüber dem ersuchten Mitgliedstaat aus Art. 9 Abs. 1 der Durchführungsverordnung Nr. 1560/2003 (EG) vom 2. September 2003 zur Dublin II-VO (ABl. L 222 S. 3) hat zur Folge, dass der Zuständigkeitsübergang nach Art. 20 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO eingetreten ist. Denn als um die Wiederaufnahme der Kläger ersuchender Mitgliedstaat hatte die Beklagte den ersuchten Mitgliedstaat nach Art. 9 Abs. 1 Durchführungs-VO unverzüglich über die Verzögerung der Überstellung zu unterrichten. Aus dem systematischen Zusammenhang der zuletzt genannten Vorschrift mit den Absätzen 2 und 3 des Art. 9 der Durchführungs-VO sowie dem erkennbaren Regelungszweck, im Interesse der Verfahrensbeschleunigung die Zusammenarbeit von ersuchendem und ersuchtem Mitgliedstaat bei der Überstellung zu erleichtern, ist zu folgern, dass diese Benachrichtigung ohne schuldhaftes Zögern, jedenfalls aber innerhalb der (regulären, d. h. sechsmonatigen) Überstellungsfrist ab Zustimmung zum Wiederaufnahmegesuch zu erfolgen hat. Denn dies wird für den vergleichbaren Fall der Verzögerung der Überstellung wegen Inhaftierung oder Flucht des Asylbewerbers in Art. 9 Abs. 2 Durchführungs-VO ausdrücklich geregelt. In Art. 9 Abs. 3 Durchführungs-VO ist für die beiden zuletzt genannten Fälle zudem die Verpflichtung des ersuchenden Mitgliedstaates verankert, die notwendigen Absprachen mit dem ersuchten Mitgliedstaat vor Ablauf der (regulären, d. h. sechsmonatigen) Überstellungsfrist (ab Zustimmung zum Wiederaufnahmegesuch) zu treffen. Daraus folgt, dass dann, wenn die Unterrichtung nach Art. 9 Abs. 1 Durchführungs-VO nicht „innerhalb von sechs Monaten ab der Beantwortung des Wiederaufnahmeersuchens“ erfolgt die Zuständigkeit auf den ersuchenden Staat übergeht, weil diese Vorschrift die Verfahrensregelungen des Art. 20 Dublin II-VO durch ergänzende Regelungen i. S. d. Art. 20 Abs. 4 Dublin II-VO konkretisiert. Die ergänzenden Bestimmungen sind somit Teil des Regelungszusammenhangs des Art. 20 Dublin II-VO geworden.

Der streitgegenständliche Verwaltungsakt ist auch nicht im Wege eines Austausches der Rechtsgrundlage oder der Umdeutung in einen anderen Verwaltungsakt nach § 47 VwVfG aufrecht zu erhalten. Zwar beinhaltet die vom Gericht nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO vorzunehmende Prüfung, ob der angefochtene Verwaltungsakt rechtswidrig ist und die Kläger in ihren Rechten verletzt, auch die Befugnis, denselben, wenn er nach Lage der Dinge nicht auf die von der Behörde gewählte Rechtsgrundlage gestützt werden durfte, auf der Grundlage einer anderen Rechtsgrundlage aufrecht zu erhalten. Dies schließt auch die Umdeutung in einen anderen Verwaltungsakt unter den einschränkenden Voraussetzungen des § 47 VwVfG ein (st. Rspr., z. B. BVerwG, U. v. 19.8.1988 - 8 C 29.87 - BVerwGE 80, 96, juris Rn. 12; BayVGH, U. v. 9.2.2014 - 20 B 13.300332 - juris Rn. 20). Ein Austausch der Rechtsgrundlage kommt jedoch nur dann in Betracht, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen der anderen Rechtsgrundlage vorliegen, der Verwaltungsakt nicht in seinem Wesen verändert würde und der Betroffene in seiner Rechtsverteidigung nicht unzumutbar beeinträchtigt würde. Sind für die Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen weitere Ermittlungen erforderlich, so scheidet ein Austauschen durch das Gericht deshalb regelmäßig aus (BayVGH a. a. O.). Dies ist hier der Fall, weil die Beantwortung der für die Entscheidung nach § 71a Abs. 1 AsylVfG zunächst maßgeblichen Frage, ob Wiederaufgreifensgründe i. S. d. § 51 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 VwVfG zumindest schlüssig behauptet werden, der Ermittlung der im ersten Asylverfahren (hier: in Belgien) geltend gemachten Gründe bedürfte. Auch eine Umdeutung der streitgegenständlichen Entscheidung in eine solche nach § 71a AsylVfG kommt gemäß § 47 Abs. 1 VwVfG nicht in Betracht. Denn zum einen fehlt es - ungeachtet der unterschiedlichen verfahrensrechtlichen Anforderungen des § 27a AsylVfG und des § 71a AsylVfG - bereits an der Voraussetzung, dass der Verwaltungsakt, in den der streitgegenständliche Verwaltungsakt umgedeutet werden soll, auf dasselbe Ziel gerichtet ist (BayVGH, B. v. 2.2.2015 - 13a ZB 14.50068 - juris Rn. 9; B. v. 23.1.2015 - 13a ZB 14.50071 - juris Rn. 9; VGH BW, B. v. 19.1.2015 - A 11 S 2508/14 - UA S. 6/7). Denn die vorliegende Entscheidung nach § 27a AsylVfG stellt allein - als der Sachprüfung vorgelagerte Zwischenentscheidung - die Unzuständigkeit der Beklagten für die inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens fest, während die Entscheidung nach § 71a AsylVfG letztendlich auf die materielle Durchführung eines weiteren Asylverfahrens gerichtet ist. Die beiden Entscheidungen betreffen daher verschiedene Stadien eines gestuften Verwaltungsverfahrens. Des Weiteren scheitert die Umdeutung auch daran, dass sie - entgegen § 47 Abs. 2 VwVfG - der erkennbaren Absicht des Bundesamtes als erlassender Behörde widerspräche, weil dieses unter der Annahme seiner Unzuständigkeit gerade keine Entscheidung über den Zweitantrag treffen wollte (vgl. BayVGH, B. v. 5.3.2015 - 11 ZB 14.50046 - juris Rn. 16; B. v. 2.2.2015 - 13a ZB 14.50069 - juris Rn. 9; B. v. 23.1.2015 - 13a ZB 14.50071 - juris Rn. 9), und dass die Entscheidung über einen Zweitantrag - nach Ablauf der Überstellungsfrist - in ihren Rechtsfolgen für die Kläger ungünstiger wäre, weil dann in der Regel eine Abschiebungsandrohung in ihren Herkunftsstaat erginge und nicht eine Abschiebungsanordnung in den (primär) zuständigen Mitgliedstaat (VG Würzburg, U. v. 13.1.2015 - W 3 K 14.30092 - juris Rn. 20 ff.; U. v. 27.11.2014 - W 3 K 13.30553 - juris Rn. 27 f.; VG Augsburg, GB. v. 12.11.2014 - Au 7 K 14.50047 - juris Rn. 41; VG Regensburg, U. v. 21.10.2014 - RO 9 K 14.30217 - UA S. 8). Nach dem oben (siehe 1.) Dargelegten besteht auch keine Pflicht des Gerichts, die Voraussetzungen der Umdeutung durch Herbeiführen der Spruchreife herzustellen (so auch VG Augsburg a. a. O.; VG Regensburg a. a. O.).

2.2 Der angefochtene Verwaltungsakt verletzt die Kläger auch in ihren subjektiv-öffentlichen Rechten i. S. d. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO, weil ihnen wegen des Zuständigkeitsübergangs ein Rechtsanspruch darauf zusteht, dass die Beklagte über ihren Asylantrag entscheidet.

Zwar ist den Zuständigkeitsvorschriften der Dublin-Verordnungen (im engeren und weiteren Sinne) grundsätzlich kein individualschützender Gehalt zu entnehmen. Denn die einschlägigen Regelungen dienen der Zuständigkeitsverteilung zwischen den Mitgliedstaaten und begründen daher staatengerichtete Rechte und Pflichten (VGH BW, B. v. 6.8.2013 - 12 S 675/13 - juris Rn. 13; VG Würzburg, B. v. 30.10.2014 - W 3 E 14.50144 - juris Rn. 13). Aus Art. 18 GR-Charta folgt lediglich das Recht eines Asylbewerbers auf Prüfung seines Asylantrags durch einen Mitgliedstaat des Dublin-Systems, weil aufgrund der gegenseitigen Vermutung, auf die sich das Gemeinsame Europäische Asylsystem stützt, grundsätzlich davon auszugehen ist, dass ein Asylantrag in jedem Mitgliedstaat im Einklang mit der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Grundrechtecharta der Europäischen Union behandelt wird (VGH BW, B. v. 6.8.2013 - 12 S 675/13 - juris Rn. 13). Art. 18 GR-Charta beinhaltet kein eigenständiges Asylgrundrecht (vgl. Rossi in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV Art. 18 GR-Charta Rn. 2 f.; Streinz in Streinz, EUV/AEUV, Art. 18 GR-Charta Rn. 5; differenzierend Jarass, GR-Charta Art. 18 Rn. 2), sondern nimmt auf die für die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten verbindliche Genfer Flüchtlingskonvention und auf die entsprechenden Bestimmungen in den Gründungsverträgen (EUV und AEUV) Bezug. Auf europarechtlicher Ebene ist jedoch kein Recht auf Durchführung eines Asylverfahrens in dem vom Asylbewerber bestimmten Mitgliedstaat garantiert (vgl. auch VG Würzburg, B. v. 2.1.2015 - W 1 S 14.50120 - juris Rn. 25, U. v. 26.9.2014 - W 7 K 13.30538 - UA S. 6). Dennoch besteht in einer Situation, in der infolge des Ablaufs der Überstellungsfrist die Zuständigkeit auf den ersuchenden Mitgliedstaat zurückfällt, ein schutzwürdiges Interesse des Asylbewerbers daran, dass die inhaltliche Prüfung seines Asylantrags nicht durch weitere Zuständigkeitsprüfungen verzögert wird (VGH BW a. a. O.; VG Augsburg, GB. v. 12.11.2014 - Au 7 K 14.50047 - juris Rn. 45; VG Sigmaringen, U. v. 22.10.2014 - 8 K 4481/14.A - UA S. 5 ff.; VG Regensburg, U. v. 21.10.2014 - RO 9 K 14.30217 - UA S. 6; VG Düsseldorf, U. v. 23.9.2014 - 8 K 4481/14.A - juris Rn. 30; tendenziell a. A. VG Würzburg, B. v. 30.10.2014 - W 3 E 14.50144 - juris Rn. 14). Insofern beinhaltet das Grundrecht aus Art. 18 GR-Charta i. V. m. Art. 41 und 47 GR-Charta eine zeitliche Komponente. Diese verlangt, dass die Prüfung des Asylantrags und die darauf ergehende Entscheidung zeitnah erfolgen. Somit würden die Grundrechte der Kläger verletzt, wenn in der vorliegenden Situation trotz des Zuständigkeitsübergangs noch über einen unter Umständen längeren Zeitraum hinweg Ungewissheit darüber bestünde, welcher Mitgliedstaat den Asylantrag inhaltlich zu prüfen hat (VG Würzburg, U. v. 26.9.2014 a. a. O.).

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylVfG gerichtskostenfrei.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

(1) Ein Ausländer, der bereits in einem sonstigen Drittstaat vor politischer Verfolgung sicher war, wird nicht als Asylberechtigter anerkannt.

(2) Ist der Ausländer im Besitz eines von einem sicheren Drittstaat (§ 26a) oder einem sonstigen Drittstaat ausgestellten Reiseausweises nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, so wird vermutet, dass er bereits in diesem Staat vor politischer Verfolgung sicher war.

(3) Hat sich ein Ausländer in einem sonstigen Drittstaat, in dem ihm keine politische Verfolgung droht, vor der Einreise in das Bundesgebiet länger als drei Monate aufgehalten, so wird vermutet, dass er dort vor politischer Verfolgung sicher war. Das gilt nicht, wenn der Ausländer glaubhaft macht, dass eine Abschiebung in einen anderen Staat, in dem ihm politische Verfolgung droht, nicht mit hinreichender Sicherheit auszuschließen war.

(1) Soll der Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26a) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Absatz 1 Nummer 1) abgeschoben werden, ordnet das Bundesamt die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Dies gilt auch, wenn der Ausländer den Asylantrag in einem anderen auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat gestellt oder vor der Entscheidung des Bundesamtes zurückgenommen hat. Einer vorherigen Androhung und Fristsetzung bedarf es nicht. Kann eine Abschiebungsanordnung nach Satz 1 oder 2 nicht ergehen, droht das Bundesamt die Abschiebung in den jeweiligen Staat an.

(2) Anträge nach § 80 Absatz 5 der Verwaltungsgerichtsordnung gegen die Abschiebungsanordnung sind innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen. Die Abschiebung ist bei rechtzeitiger Antragstellung vor der gerichtlichen Entscheidung nicht zulässig. Anträge auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots durch das Bundesamt nach § 11 Absatz 2 des Aufenthaltsgesetzes sind innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen. Die Vollziehbarkeit der Abschiebungsanordnung bleibt hiervon unberührt.

Tenor

Soweit der Kläger die Klage zurückgenommen hat, wird das Verfahren eingestellt.

Nr. 2 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 30.07.2013 wird aufgehoben.

Die Kosten des - gerichtskostenfreien - Verfahrens tragen der Kläger und die Beklagte je zur Hälfte.

Tatbestand

 
Der Kläger hat in Ungarn Flüchtlingsschutz erhalten und wendet sich gegen seine Abschiebung dorthin.
Der Kläger sprach am 10.01.2010 bei der Bundespolizei in Frankfurt/Main unter dem Namen X, geboren am X in Kandahar, vor und gab an, am selben Tag per Flugzeug aus Pakistan eingeschleust worden zu sein. Dafür habe er 12.000 US-Dollar gezahlt. Er fürchte um sein Leben.
Eine EURODAC-Anfrage ergab, dass er bereits am 16.10.2008 in Norwegen und am 29.06.2009 auf dem Flughafen Athen Asyl beantragt hatte. Er wurde in Abschiebungshaft genommen.
Am 27.01.2010 beantragte der Kläger Asyl. Mit Bescheid vom 12.02.2010 stellte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge fest, dass der Asylantrag unzulässig sei, und ordnete die Abschiebung des Klägers nach Griechenland an. Am 10.03.2010 wurde der Kläger nach Athen überstellt.
Am 15.3.2010 ging eine Klage des Klägers beim Verwaltungsgericht Frankfurt ein. Zur Begründung war darin ausgeführt, der Kläger wolle nicht nach Griechenland fliegen, da er große Probleme mit Leuten haben, die von ihm Geld wegen "schwarze fahren“ wollten. Wenn sein Asylantrag abgelehnt werde, wolle er nach Afghanistan zurückfliegen. Mit Gerichtsbescheid vom 03.05.2010 wies das Verwaltungsgericht Frankfurt/Main die Klage ab, weil der Klageschrift nicht eindeutig zu entnehmen gewesen sei, dass sie vom Kläger selbst stamme.
Am 21.06.2013 wurde der Kläger in der Landesaufnahmestelle für Migration und Flüchtlinge in Karlsruhe überprüft. Er war im Besitz eines von Ungarn am 22.08.2012 ausgestellten Internationalen Flüchtlingsausweises. Darin ist als Geburtsort Kabulshar und als Geburtsdatum der 01.01.1980 eingetragen; vermerkt ist auch, dass der Kläger ein afghanisches Personaldokument aus dem Jahr 2007 vorgelegt habe.
Am 20.06.2013 nahm das Bundesamt einen Asylfolgeantrag des Klägers auf. Dieser gab an, Pashtune und ledig zu sein und Dari und Englisch zu sprechen; eingereist sei er am 12.06.2013. Später gab er außerdem an, er sei über Österreich nach Deutschland gekommen.
Das Bundesamt stellte an Ungarn ein Aufnahmeersuchen und führte darin aus, der Kläger habe am 30.04.2010 schon einmal in Ungarn Asyl beantragt.
Die zuständige ungarische Stelle antwortete am 10.07.2013, eine Übernahme könne nicht erfolgen, weil der Kläger am 27.08.2010 in Ungarn Asyl beantragt und am 04.05.2012 eine Flüchtlingsanerkennung erhalten habe. Deshalb sei ihm am 29.08.2012 ein Reiseausweis nach der Genfer Flüchtlingskonvention ausgestellt worden. Das Bundesamt vermerkte, dass deshalb eine Überstellung im Dublin-Verfahren nicht möglich sei. Der Kläger könne aber jederzeit nach dem Rücküberführungsabkommen zwischen Ungarn und der Bundesrepublik Deutschland nach Ungarn überstellt werden.
10 
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 30.8.2013 stellte das Bundesamt fest, dass dem Kläger aufgrund seiner Einreise aus einem sicheren Drittstaat kein Asylrecht zustehe, und ordnete seine Abschiebung nach Ungarn an. Der Bescheid wurde dem Kläger am 05.09.2013 zugestellt.
11 
Der Kläger hat am 19.09.2013 Klage erhoben und zugleich vorläufigen Rechtsschutz beantragt.
12 
Mit Beschluss vom 11.10.2013 hat das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet (A 5 K 1863/13).
13 
Der Kläger trägt vor: Aufgrund der Umstände habe er in Ungarn kein menschenwürdiges Leben führen können. Er sei Hardware-Spezialist. Als er ein Jahr alt gewesen sei, habe seine Familie Afghanistan verlassen und sei in den Iran gezogen. Im Jahr 2003 sei er nach dem Sturz der Taliban zurückgekehrt. Er habe sich politisch betätigt und sei dabei in Lebensgefahr geraten. Deshalb sei er 2008 nach Griechenland geflohen. Dort habe er ohne staatliche Unterstützung gelebt, sei obdachlos und einen Monat in Haft gewesen. Er sei nach Norwegen gegangen, jedoch nach Griechenland zurückgeschoben worden. Dort sei er wieder einen Monat in Haft gewesen und dabei schwer erkrankt. Danach habe er wieder nach Norwegen reisen wollen. Auf dem Weg dorthin habe er in Deutschland aus Angst vor einem erneuten Zurückschicken nach Griechenland einen falschen Namen angegeben. Erneut sei er nach Griechenland abgeschoben worden. Dort hätten ihn Freunde und Bekannte unterstützt. Als dies nicht mehr möglich gewesen sei, habe er sich zum dritten Mal nach Norwegen aufgemacht. Er sei auf dem Landweg nach Ungarn gereist und dort sechs Monate lang inhaftiert gewesen. Sein Gesundheitszustand habe sich verschlechtert. Er habe unter Depressionen gelitten. Von Ungarn sei er erneut nach Griechenland abgeschoben worden. Dort sei er wiederum sechs Monate lang in Haft gewesen. Bei einem erneuten Versuch, nach Norwegen zu reisen, sei er in den Niederlanden verhaftet und für sechs Monate in Haft gewesen. Dort habe er einen Asylantrag gestellt. Ende 2011 sei er aber nochmals nach Ungarn zurückgeschoben worden. Dort sei er als politischer Flüchtling anerkannt worden. Er habe etwa fünf Monate in der Sammel-Unterkunft Dirsen (phon.), anschließend in der Sammel-Unterkunft Bicske gelebt. Man habe ihm gesagt, dass er nur sechs Monate bleiben könne und anschließend sich selbst eine Wohnung suchen müsse. Eine Verlängerung der Bleibezeit käme bei Schwierigkeiten mit der Wohnungssuche allenfalls für weitere sechs Monate in Betracht. Er habe aber weder Arbeit noch eine Wohnung gefunden. Wohnungskosten hätte er nur zur Hälfte von staatlichen Stellen erstattet bekommen können. Er habe erfahren, dass die große Mehrheit der ungarischen Bevölkerung Flüchtlingen gegenüber sehr negativ eingestellt sei. Die drohende Obdachlosigkeit habe ihn seelisch erheblich belastet. Nach dem Ablauf der Bleibezeit im Lager habe er weder Geld noch Medikamente erhalten, nicht einmal ein Busticket für Fahrten in die Stadt. Er sei auch nicht mehr krankenversichert gewesen. Er habe sich um Arbeit bemüht, beim Arbeitsamt aber keine Stelle vermittelt erhalten. In der Sammel-Unterkunft Bicske seien verschiedene Krankheiten ausgebrochen. Er habe unter Schlaflosigkeit und Fieber gelitten. Er habe sich nur eine Mahlzeit täglich leisten können. Ein Freund habe ihm auf eigene Kosten Medikamente besorgt, danach sei es ihm besser gegangen. Mitte 2013 habe er Ungarn mit einer Gruppe anderer afghanischer Flüchtlinge mit ähnlichen Erfahrungen verlassen. Asylsuchende, die nach Ungarn im Dublin-Verfahren abgeschoben würden, würden fast ausnahmslos inhaftiert. Das gelte selbst für psychisch schwer belastete Schutzsuchende, sogar wenn deren Erkrankung durch Gutachten bestätigt sei. Ungarn habe in der Vergangenheit zudem regelmäßig Asylbewerber nach Serbien abgeschoben; von dort aus seien Kettenabschiebungen nach Griechenland erfolgt. Seine Erfahrungen in Ungarn als anerkannter Flüchtling deckten sich mit der Erkenntnismittellage. Ihm drohe in Ungarn nicht nur erneut die Obdachlosigkeit, sondern deshalb auch Strafverfolgung. Zum 01.07.2013 habe Ungarn zudem die Vorschriften über die Inhaftierung von Asylsuchenden zu deren Nachteil geändert. Es sei zu befürchten, dass Asylsuchende künftig quasi automatisch inhaftiert würden. Inhaftierungen würden nur im 60-Tage-Rhythmus kontrolliert. Insbesondere obdachlose Flüchtlinge seien bedroht, aus rassistischen Motiven körperlich angegriffen zu werden. Ungarn sei auch kein sicherer Drittstaat. Dort bestünden systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber. Ihm könne nicht zugemutet werden, weiter in Ungarn zu leben, weil er inzwischen seit sieben Jahren in Europa auf der Flucht sei und wiederholt längerdauernde Haft, u. a. in Griechenland und Ungarn, habe hinnehmen müssen. In einem ärztlichen Attest vom 23.9.2013 werde ihm bescheinigt, dass er an Depressionen, Albträumen und Schlaflosigkeit leide und erhöhte Leberwerte habe.
14 
Hinsichtlich Nr. 1 des angefochtenen Bescheids hat der Kläger die Klage am 18.09.2015 zurückgenommen.
15 
Der Kläger beantragt,
16 
Nr. 2 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 30.08.2013 aufzuheben.
17 
Die Beklagte beantragt,
18 
die Klage abzuweisen.
19 
Sie trägt vor: Anerkannte Flüchtlinge seien ungarischen Staatsbürgern im Wesentlichen gleichgestellt. Für eine Übergangszeit von zwölf Monaten erhielten sie sogar kostenlos Zugang zu allen notwendigen Gesundheitsleistungen, soweit sie nicht einer Sozialversicherung angehörten. Nach der Anerkennung als Flüchtling oder Schutzberechtigter hätten sie einen gesetzlichen Anspruch auf eine sechs bis 12 Monate dauernde Unterbringung in einer Integrationseinrichtung. In Ausnahmefällen (älter als 60 Jahre, Erkrankung) könne die Unterbringung auf Dauer bestehen bleiben. Nach Ablauf der Unterbringung könnten verschiedene Unterstützungsleistungen beantragt werden, die in der Ausführungsverordnung zum ungarischen Asylgesetz geregelt seien. Es gebe beispielsweise eine finanzielle Starthilfe, Mietbeihilfen für sechs Monate, in einem Zeitraum von vier Jahren dreimal um jeweils sechs Monate verlängerbar, Renovierungszuschüsse und diverse andere Leistungen wie z.B. Arbeitslosenbeihilfe, Starthilfe und Sprachunterricht. Die Leistungen erfolgten nach dem Prinzip des Förderns und Forderns, sie seien zum Teil daran gekoppelt, dass der Berechtigte beispielsweise an Sprachkursen teilnehme und dem Arbeitsmarkt tatsächlich zur Verfügung stehe und sich auch arbeitssuchend gemeldet habe. Erforderlich sei eigene Initiative, auch bei der Suche nach Wohnraum. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe in Bezug auf Italien geklärt, dass eine Überstellung auch in einen Staat erfolgen könne, in dem die wirtschaftliche Stellung der Person schlechter sei als im überstellenden Staat. Es bestehe auch keine allgemeine Verpflichtung, Flüchtlingen finanzielle Hilfe zu bieten, um es ihnen zu ermöglichen, einen gewissen Lebensstandard aufrechtzuerhalten. In Ungarn bestünden keine systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen. Weder der UNHCR noch das ungarische Helsinki-Komitee würden allgemein empfehlen, Asylbewerber im Rahmen des Dublin-Verfahrens nicht nach Ungarn zu überstellen. Bei Inhaftierungen hielten sich die ungarischen Stellen an das ultima-ratio-Gebot. Fälle, in denen Familien verhaftet worden seien, seien nicht bekannt. Obdachlose würden nicht verhaftet, sondern in eine Notunterkunft eingewiesen.
20 
In Ungarn hielten sich gegenwärtig (Stand Mitte Oktober 2014) etwa 2500 Personen auf, denen der Flüchtlings- oder subsidiärer Schutz zuerkannt worden sei. Der starke Zustrom an Asylsuchenden habe im Sommer 2013 zu erheblicher Überbelegung der Aufnahmeeinrichtungen sowie zur Verschlechterung der hygienischen Bedingungen und der Sicherheitslage geführt. Anerkannte Flüchtlinge hätten wegen der verzögerten Ausstellung von Dokumenten erst nach mehreren Monaten Zugang zur Unterstützung und zu Integrationsleistungen. Wegen fehlender Dolmetscher und fehlender Informationen seien die Gesundheitsleistungen unzureichend. Psychologische und psychotherapeutische Gesundheitsleistungen für traumatisierte Asylsuchende würden ausschließlich von einer Nichtregierungsorganisation erbracht. Seit dem 01.01.14 sei die auf maximal ein Jahr befristete Unterbringung von Schutzberechtigten in der Zentralen Vorintegrationseinrichtung Bicske aufgegeben worden. Stattdessen erfolge mit Unterstützung örtlicher Behörden und kirchlicher Organisationen eine dezentrale Unterbringung der Schutzberechtigten in Gemeinden nach in der Regel zwei Monaten.
21 
Die Beklagte wurde unter dem 02.09.2015 - erfolglos - gebeten, eine Reihe von Fragen zur Überstellungspraxis nach Ungarn zu beantworten, und mitzuteilen, wie sich nach Auskunft des Verbindungsbeamten des Bundesamts bei der ungarischen Asylbehörde die Verhältnisse für anerkannte Flüchtlinge bzw. Schutzberechtigte entwickelt habe, auch unter Berücksichtigung der zur Zeit sehr starken Belastung der ungarischen Stellen insoweit.
22 
Der Kammer liegen die Ausdrucke der vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge für den Kläger elektronisch geführten Akten (zwei Hefte) vor.

Entscheidungsgründe

 
23 
Soweit der Kläger die Klage - hinsichtlich der Feststellung, dass ihm auf Grund seiner Einreise aus einem sicheren Drittstaat kein Asylrecht zustehe - zurückgenommen hat, ist das Verfahren einzustellen und allein noch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden.
24 
Über die Klage im Übrigen kann die Kammer entscheiden, obwohl die Beklagte in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten war; denn auf diese Möglichkeit ist die Beklagte in der Ladung hingewiesen worden (§ 102 Abs. 2 VwGO).
25 
Im Übrigen hat die Klage Erfolg. Sie ist als Anfechtungsklage statthaft und auch sonst zulässig. Sie ist auch begründet. Denn die auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG gestützte Anordnung der Abschiebung des Klägers nach Ungarn ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG), weil dem Kläger aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in Ungarn auch für anerkannte Flüchtlinge mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, in seinem Grundrecht aus Art. 4 GRCh bzw. in seinem Menschenrecht aus Art. 3 EMRK verletzt zu werden.
26 
Zu den rechtlichen Grundlagen insoweit und zu den aktuellen tatsächlichen Verhältnissen in Ungarn hat die Kammer im Urteil vom gleichen Tag im Verfahren A 5 K 2328/13 ausgeführt:
27 
„Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Dublin-II-Verordnung (Urt. v. 21.12.2011 - C-411/10 u.a., N.S. u.a. - NVwZ 2012, 417, vom 14.11.2013 - C-4/11, Puid - NVwZ 2014, 129, v. 10.12.2013 - C-394/12, Abdullahi - NVwZ 2014, 208) und dem folgend des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 16.04.2014 - A 11 S 1721/13 - InfAuslR 2014, 293, v. 10.11.2014 - A 11 S 1778/14 - InfAuslR 2015, 77, v. 18.03.2015 - A 11 S 2042/14 - juris sowie Urt. v. 18.03.2015 - A 11 S 2042/14 - juris) hat ein Asylbewerber - sofern spezialgesetzlich keine besonderen Ausnahmen geregelt sind (vgl. etwa Art. 7 Dublin II-VO) - grundsätzlich kein subjektives Recht auf Prüfung seines Antrags in einem bestimmten Mitglied- oder Vertragsstaat, so dass Fehler bei der Auslegung und bei der Anwendung der Zuständigkeitsregelungen der Verordnung grundsätzlich unerheblich sind. Grundsätzlich kann ein Antragsteller mit Aussicht auf Erfolg nur einwenden, dass in dem in der Abschiebungsanordnung bezeichneten Staat systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gegeben sind, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh ausgesetzt zu werden (EuGH, Urt. v. 10.12.2013 - C-394/12, Abdullahi - a.a.O.)
28 
Dabei kann jeder Mitgliedstaat grundsätzlich davon ausgehen, dass alle an dem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem beteiligten Staaten die Grundrechte einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 sowie in der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten finden, beachten und dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen dürfen. Auf dieser Grundlage besteht eine - allerdings - widerlegbare Vermutung dafür, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat den Anforderungen der Grundrechtecharta, der Genfer Flüchtlingskonvention und der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten genügt. Diese Vermutung ist widerlegt, wenn in der Rechtsanwendungspraxis in einem bestimmten Mitgliedstaat erhebliche Funktionsstörungen zutage treten und diese zur absehbaren Folge haben, dass eine ernstzunehmende Gefahr besteht, dass Asylbewerber bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt werden, die mit ihren Menschenrechten unvereinbar ist.
29 
Insoweit stellt nicht jeder vereinzelte Verstoß gegen eine Bestimmung der Dublin II-VO (bzw. nunmehr der Dublin III-VO) und auch nicht einmal jede Verletzung eines Grundrechts, wie von Art. 4 GRCh, durch den zuständigen Mitgliedstaat das Zuständigkeitssystem grundsätzlich infrage. Denn dann stünde nicht weniger als der Daseinsgrund der Union und die Verwirklichung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, konkret des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, auf dem Spiel (EuGH, Urt. v. 21.12.2011 - C-411/10 u.a., N.S. u.a. - NVwZ 2012, 417). Das Dublin-Zuständigkeitssystem ist deshalb nur dann (teilweise) zu suspendieren, wenn einem Mitgliedstaat aufgrund der ihm vorliegenden Informationen nicht unbekannt sein kann, dass systemische Mängel oder Schwachstellen (vgl. jetzt auch Art. 3 Abs. 2 UA. 2 VO (EU) Nr. 604/2013 = Dublin III-VO) des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller dort Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh ausgesetzt zu sein (EuGH, Urt. v. 21.12.2011, a.a.O. und v. 14.11.2013 - C-4/11, Puid - NVwZ 2014, 129).
30 
Systemische Schwachstellen sind solche, die entweder bereits im Asyl- und Aufnahmeregime selbst angelegt sind und von denen alle Asylbewerber oder bestimmte Gruppen von Asylbewerbern deshalb nicht zufällig und im Einzelfall, sondern vorhersehbar und regelhaft betroffen sind, oder aber tatsächliche Umstände, die dazu führen, dass ein theoretisch sachgerecht konzipiertes und nicht zu beanstandendes Asyl- und Aufnahmesystem - aus welchen Gründen auch immer - faktisch ganz oder in weiten Teilen seine ihm zugedachte Funktion nicht mehr erfüllen kann und weitgehend unwirksam wird (vgl. auch BVerwG, Beschl. v. 19.03.2014 - 10 B 6.14 - NVwZ 2014, 1093, und v. 06.06.2014 - 10 B 35.14 - NVwZ 2014, 1677). Dabei ist der Begriff der systemischen Schwachstelle nicht in einer engen Weise derart zu verstehen, dass er geeignet sein muss, sich auf eine unüberschaubare Vielzahl von An-tragstellern auszuwirken. Vielmehr kann ein systemischer Mangel auch dann vorliegen, wenn er von vornherein lediglich eine geringe Zahl von Asylbewerbern betreffen kann, sofern er sich nur vorhersehbar und regelhaft realisieren wird und nicht gewissermaßen dem Zufall oder einer Verkettung unglücklicher Umstände bzw. Fehlleistungen von in das Verfahren involvierten Akteuren geschuldet ist (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 10.11.2014 - A 11 S 1778/14 - InfAuslR 2015, 77).
31 
Wesentliche Kriterien für die zu entscheidende Frage, ob eine unmenschliche oder erniedrigende (bzw. "entwürdigende") Behandlung vorliegt, finden sich in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK (vgl. Urt. v. 21.01.2011 - Nr. 30696/09, M.S.S./Belgien - NVwZ 2011, 413, v. 04.11.2014 - Nr. 29217/12, Tarakhel/Schweiz - juris, und E. v. 05.02.2015 - Nr. 51428/10, A.M.E./Niederlande - juris), der mit Art. 4 GRCh übereinstimmt (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 10.11.2014 - A 11 S 1778/14 - InfAuslR 2015, 77, m.w.N.). Die Annahme einer drohenden Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 GRCh muss durch wesentliche Gründe (so nunmehr Art. 3 Abs. 2 UA. 2 Dublin III-VO; vgl. auch EuGH, Urt. v. 21.12.2011 - C-411/10 u.a., N.S. u.a. - NVwZ 2012, 417: "ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe") gestützt werden. Das bedeutet, dass die festgestellten Tatsachen hinreichend verlässlich und aussagekräftig sein müssen; nur unter dieser Voraussetzung ist es nach der maßgeblichen Sicht des Europäischen Gerichtshofs gerechtfertigt, von einer Widerlegung des „gegenseitigen Vertrauens“ der Mitgliedstaaten untereinander auszugehen. In diesem Zusammenhang müssen die festgestellten Tatsachen und Missstände verallgemeinerungsfähig sein, um die Schlussfolgerung zu rechtfertigen, dass es nicht nur vereinzelt, sondern immer wieder und regelhaft zu Grundrechtsverletzungen nach Art. 4 GRCh kommt. Das bei einer wertenden und qualifizierten Betrachtungsweise zugrunde zu legende Beweismaß ist das der beachtlichen Wahrscheinlichkeit im herkömmlichen Verständnis der höchstrichterlichen Rechtsprechung, das sich nicht von dem in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte entwickelten Beweismaß des „real risk“ unterscheidet (BVerwG, Urt. v. 20.02.2013 - 10 C 23.12 - NVwZ 2013, 936; Beschl. v. 19.03.2014 - 10 B 6.14 - juris).
32 
Anhand dieser Grundsätze sind hinreichende Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Griechenland angenommen worden (EGMR - Große Kammer, Urt. v. 21.01.2011 - Nr. 30696/09, M.S.S./Belgien und Griechenland - NVwZ 2011, 413 und weitere, vgl. dazu, auch zum Folgenden, BVerwG, Beschl. v. v. 19.03.2014 a.a.O. und v. 06.06.2014 - 10 B 35/14 - juris).
33 
Für das in Deutschland - im Unterschied zu anderen Rechtssystemen - durch den Untersuchungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) geprägte verwaltungsgerichtliche Verfahren hat das Kriterium der systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union Bedeutung für die Gefahrenprognose im Rahmen des Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK. Der Tatrichter muss sich zur Widerlegung der auf dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens unter den Mitgliedstaaten gründenden Vermutung, die Behandlung der Asylbewerber stehe in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechte-Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK, die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) verschaffen, dass der Asylbewerber wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit (vgl. Urteil vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 5.09 - BVerwGE 136, 377 Rn. 22 m.w.N. einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird. Die Fokussierung der Prognose auf systemische Mängel ist dabei, wie sich aus den Erwägungen des Gerichtshofs zur Erkennbarkeit der Mängel für andere Mitgliedstaaten ergibt (EuGH, Urt. v. 21.12.2011 - Rs. C-411/10 und Rs. C-493/10 - a.a.O. Rn. 88 bis 94), Ausdruck der Vorhersehbarkeit solcher Defizite, weil sie im Rechtssystem des zuständigen Mitgliedstaates angelegt sind oder dessen Vollzugspraxis strukturell prägen. Solche Mängel treffen den Einzelnen in dem zuständigen Mitgliedstaat nicht unvorhersehbar oder schicksalhaft, sondern lassen sich aus Sicht der deutschen Behörden und Gerichte wegen ihrer systemimmanenten Regelhaftigkeit verlässlich prognostizieren. Die Widerlegung der o.g. Vermutung aufgrund systemischer Mängel setzt deshalb voraus, dass das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen im zuständigen Mitgliedstaat aufgrund größerer Funktionsstörungen regelhaft so defizitär sind, dass anzunehmen ist, dass dort auch dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Dann scheidet eine Überstellung an den nach der Dublin II-Verordnung zuständigen Mitgliedstaat aus.
34 
Das Bundesverwaltungsgericht hat daraus gefolgert (Beschl. v. 06.06.2014 - 10 B 35.14 - a.a.O.): Aus der dargelegten Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ergebe sich, dass ein Asylbewerber der Überstellung in den nach der Dublin-II-Verordnung für ihn zuständigen Mitgliedstaat mit Blick auf unzureichende Aufnahmebedingungen für Asylbewerber nur mit dem Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen entgegentreten könne und es nicht darauf ankomme, ob es unterhalb der Schwelle systemischer Mängel in Einzelfällen zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK kommen könne und ob ein Antragsteller dem in der Vergangenheit schon einmal ausgesetzt gewesen sei. Derartige individuelle Erfahrungen seien vielmehr (allein) in die Gesamtwürdigung einzubeziehen, ob systemische Mängel im Zielland der Abschiebung des Antragstellers (dort: Italien) vorliegen. In diesem begrenzten Umfang seien individuelle Erfahrungen des Betroffenen zu berücksichtigen. Dabei sei allerdings zu beachten, dass persönliche Erlebnisse Betroffener, die - wie in dem der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zu Grunde liegenden Fall - einige Jahre zurücklägen, durch neuere Entwicklungen im betreffenden Staat überholt sein könnten. Individuelle Erfahrungen einer gegen Art. 4 GRCh verstoßenden Behandlung führten hingegen nicht zu einer Beweislastumkehr für die Frage des Vorliegens systemischer Mängel.
35 
Nach der jüngeren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (zu Italien) ist dabei stets auch zu fragen, ob die gesetzliche Vermutung des Fehlens systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen zumindest für einzelne Gruppen besonders verletzlicher Antragsteller erschüttert bzw. widerlegt ist. Eine Überstellung sogenannter vulnerabler Personen kommt nur in Betracht, wenn der Aufnahme-Mitgliedschaft eine entsprechende individuelle Garantieerklärung abgibt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 22.07.2015 - 2 BvR 746/15 - m.w.N.)
36 
Die Kammer hat allerdings in mehreren Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (vgl. etwa VG Freiburg, Beschl. v. 30.07.2014 - A 5 K 418/14 - juris) zu Grunde gelegt, dass eine Beweislastumkehr ausnahmsweise dann angezeigt ist, wenn erwiesen ist, dass in einem Mitgliedstaat systemimmanente Schwachstellen bestanden haben, welche die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung des jeweiligen Klägers als beachtlich wahrscheinlich haben erscheinen lassen (das dürfte in Ungarn in den Jahren 2011 und 2012 der Fall gewesen sein). In einem solchen Fall sollte ein durchgreifender Wandel der Verhältnisse erst dann zu Grunde gelegt werden können, wenn er nachgewiesen ist. Mit anderen Worten: Eine Verbesserung der Verhältnisse hinsichtlich der Asylverfahren und der Aufnahmebedingungen, etwa durch Änderungen der einschlägigen mitgliedstaatlichen Vorschriften oder durch Bereitstellung weiterer personeller und sächlicher Mittel, sollte erst dann zu Lasten des jeweiligen Schutzsuchenden angenommen werden, wenn die angestrebten Verbesserungen in der Anwendung der verbesserten Vorschriften auch nachweislich eingetreten sind; dass in den Monaten nach der Verbesserung der rechtlichen Grundlagen noch keine aktuellen Beschwerden oder keine aktuelle Kritik des UNHCR oder anderer Menschenrechtsorganisationen bekannt geworden ist, sollte für die Annahme einer nachhaltigen Verbesserung der Verhältnisse nicht ohne Weiteres ausreichen. Dem entspräche es im Übrigen auch, dass die Mitgliedstaaten bei Griechenland tatsächlich wohl so verfahren und mit einer Wiederaufnahme von Überstellungen nach Griechenland erst wieder begonnen werden dürfte, wenn dort entsprechende Verfahren und Aufnahmebedingungen gewährleistet sind.
37 
Weiter erscheint der Kammer fraglich, ob bei der Feststellung systemischer Mängel im Asylverfahren und bei den Aufnahmebedingungen eine vom jeweiligen Asylbewerber selbst erfahrene menschenrechtswidrige Behandlung, etwa eine längere, unbegründete Haft, eine längere unfreiwillige Obdachlosigkeit oder ein langjähriges Fernhalten vom Asylverfahren, erst dann von Bedeutung sein soll, wenn sich hieraus eine anhaltende, im Aufnahmestaat nicht zu behandelnde Gesundheitsstörung (insbesondere posttraumatische Belastungsstörung) ergeben hat.
38 
Denn auch wenn solche Erfahrungen Einzelner für sich noch keine systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen begründen können, es sei denn, sie sind zahlreich und repräsentativ für eine (vulnerable) Gruppe, der der jeweilige Antragsteller angehört, könnte eine selbst erlittene menschenrechtswidrige Behandlung doch bei der Frage, ob die Beklagte in das Asylverfahren als zuständiger Staat eintritt, jedenfalls aber bei der Prüfung, ob eine Abschiebungsanordnung nach § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG erlassen wird, zu berücksichtigen sein (§ 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK, Art. 4 GRCh). Davon scheint etwa das Schweizerische Bundesgericht auszugehen, das auch Umstände berücksichtigt, welche die Schutzsuchenden bei ihrem Aufenthalt im Erstaufnahmestaat individuell erlitten haben (z.B. sexuelle Übergriffe, Suizidversuch, Therapiebedürftigkeit). (vgl. Urt. v. 09.10.2013 - E 2093/2012 - und v. 30.10.2013 - E 3837/2012 -; zuletzt auch Urt. v. 23.07.2015 - D 2408/2015).
39 
Unabhängig davon steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass jedenfalls gegenwärtig in Ungarn systembedingte Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen bestehen, welche jeden Schutzsuchenden, der dorthin zurücküberstellt wird, der beachtlichen Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung aussetzt. Dabei geht die Kammer von Folgendem aus:
40 
Die Zahl der nach Ungarn einreisenden Schutzsuchenden ist zuletzt sehr stark angestiegen. Im Jahr 2012 wurden noch 2.155 Asylbewerber, im Jahr 2013 18.900 und im Jahr 2014 42.777 Schutzsuchende registriert. Im Jahr 2015 war zunächst von 150.000 nach Ungarn einreisenden Schutzsuchenden bis zum 01.09.2015 die Rede (bei einer Gesamtbevölkerung Ungarns von etwa 10 Millionen Einwohnern); zuletzt wurden Zahlen von weit mehr als 300.000 Schutzsuchenden genannt, von denen die meisten, nur zum wohl geringeren Teil registriert, nach Österreich weiterreisten. Ob die Errichtung eines Zauns an der Grenze zu Serbien und nun auch zu Kroatien und überhaupt die restriktiv wirkende Flüchtlingspolitik Ungarns jetzt zu einer Minderung der Zahl der nach Ungarn einreisenden Schutzsuchenden führen, ist unklar.
41 
Im März 2015 verfügte Ungarn über 2500 Plätze zur Aufnahme von Flüchtlingen (vgl., auch zum Folgenden: EASO, Beschreibungen des ungarischen Asylsystems, Stand März 2015); das Auswärtige Amt hatte in seiner Auskunft an die Kammer vom 12.03.2015 im Verfahren A 5 K 2328/13 noch von 1.500 Plätzen in offenen Aufnahmeeinrichtungen und von weiteren 400 Plätzen in Asylhafteinrichtungen und der geplanten Eröffnung einer weiteren Aufnahmeeinrichtung in Kiskunhalas gesprochen. Zur Anhörung von Schutzsuchenden und zur Entscheidung über ihre Schutzanträge standen 56 Sachbearbeiter in ganz Ungarn bereit. Neue Mitarbeiter waren eingestellt, aber noch nicht geschult. Schutzsuchende werden an der Grenze registriert und einem der vier Empfangszentren zugewiesen; sie können auch auf eigene Kosten im ganzen Land Unterkunft suchen, erhalten dafür aber keine Unterstützung. Wenn sie an einer ihnen bezeichneten Stelle zur Stellung des Asylantrags oder zur später angeordneten Anhörung nicht erscheinen, wird das Schutzgesuch entweder, auf der Grundlage von hinreichenden Angaben bei der Registrierung abgelehnt, oder das Verfahren wird wegen angenommener Rücknahme des Schutzgesuchs eingestellt. Für einen Schutzsuchenden, der später sein Schutzgesuch erneuert, wird ein nichtbeendetes Verfahren fortgesetzt, ein durch Ablehnung des Schutzgesuchs beendetes Verfahren kann innerhalb der Rechtsmittelfrist von acht Tagen im Rechtsbehelfsverfahren fortgesetzt werden. Nach Ablauf der Rechtsmittelfrist hat der Schutzsuchende das Recht, einen Folgeantrag zu stellen. Nach den Angaben des ungarischen Büros für Einwanderung und Staatsangehörigkeit (OIN) werden auch Dublin-Rückkehrer stets als Schutzsuchende behandelt. Gibt der Schutzsuchende aber im Folgeverfahren die gleichen Gründe an wie im ersten Verfahren, kann der Folgeantrag als unzulässig behandelt werden.
42 
Zur Rücküberstellung nach Ungarn hat das Auswärtige gegenüber der Kammer (Auskunft v. 12.03.2015 im Verfahren A 5 K 2328/13) erläutert: Die per Flug Überstellten würden zur Zentrale des ungarischen Amts für Staatsbürgerschaft und Einwanderung gebracht und informiert, dass sie als Asylbewerber behandelt würden. Wenn ein erstes Asylverfahren in Ungarn ohne Entscheidung in der Sache oder durch Rücknahme beendet worden sei, werde es fortgesetzt, sonst werde ein Zweitantrag angenommen. Bei einem Zweitantrag würden (nur) nachträglich entstandene Umstände berücksichtigt. Die Klagefrist betrage drei Tage nach Bekanntgabe/Zustellung der Entscheidung. Bis zur unanfechtbaren Entscheidung im Asylverfahren hätten Asylbewerber Anspruch auf Sozialleistungen, es sei denn, der Asylantrag sei als offensichtlich unbegründet oder unzulässig abgelehnt worden. Ausgeschlossen von den im Asylgesetz geregelten Sozialleistungen seien auch Zweitantragsteller, deren Erstverfahren eingestellt oder abgelehnt worden sei oder bei denen das refoulement-Verbot einer Abschiebung nicht entgegen stehe. Ausreisepflichtige müssten die Unterkunft verlassen, der Aufenthalt sei auf einen bestimmten Regierungsbezirk (Komitat) beschränkt. Sie könnten in öffentlichen Notunterkunftsplätzen des jeweiligen Regierungsbezirks unterkommen und eine kostenlose medizinische Notfallversorgung in Anspruch nehmen. Bei Zuerkennung eines Schutzstatus könnten sie Integrationsleistungen beanspruchen. Seit Januar 2014 würden diese auf örtlicher Ebene (dezentral) durchgeführt. Dabei wirke ein örtlich zuständiger Dienst für Familienförderung mit (auch für Personen ohne Schutzstatus). Es würden individuelle Integrationsvereinbarungen geschlossen. Bei der Förderung der sozialen Integration leiste der Dienst neben finanziellen Hilfen u.a. auch Hilfe bei der Arbeitssuche. In der Flüchtlingshilfe engagierten sich u.a. die Flüchtlingsmission der Reformierten Kirche, die Ungarische Gesellschaft für Migranten und das Helsinki-Komitee. In den Jahren von 2012 bis 2014 habe es 335, 850 bzw. 827 Rücküberstellungen im Dublin-Verfahren gegeben.
43 
Der UNHCR hat in seiner Auskunft an die Kammer vom 30.09.2014 im Verfahren A 5 K 2328/13 weitgehend entsprechende Angaben gemacht. Die am 01.07.2013 in Kraft gesetzten neuen Bestimmungen zur Inhaftierung von Schutzsuchenden bis zu sechs Monaten hat er kritisch beurteilt. Nach seiner Ansicht würden praktisch alle Dublin-Rückkehrer in Haft genommen, ausgenommen Familien oder besonders vulnerable Asylsuchende. Beim damaligen Stand hat der UNHCR für den August 2014 dank Unterstützung der Europäischen Union eine Verbesserung der Aufnahmebedingungen für Flüchtlinge gesehen. Anerkannte Flüchtlinge müssten mehrere Monate warten, bis sie Integrationshilfen beanspruchen könnten. Hinsichtlich der medizinischen, psychologischen und psychotherapeutischen Versorgung von Flüchtlingen gebe es aus allen Aufnahmeeinrichtungen Beschwerden. Drogen- und andere Abhängige hätten keinen Zugang zu medizinischen Diensten. Ein psychisches Problem seien auch fehlende tägliche Beschäftigung und Abwechslung. Wer keine permanente Adresskarte habe, habe Probleme beim Zugang zu medizinischen Diensten. Zum 01.01.2014 seien Regelungen zur Integration von Personen mit Schutzstatus eingeführt worden. Es gebe systemische Probleme, die einer Integration von Flüchtlingen entgegen stünden. Das System der gesetzlichen Hilfen sei unter anderem bei weitem nicht genügend finanziert. Obdachlose, die auf öffentlichen Plätzen nächtigten, würden kriminalisiert. Im Juni 2013 seien unter Hinweis auf diese Bedingungen etwa 70 und im August 2013 nochmals etwa 20 afghanische Staatsangehörige nach Deutschland weitergereist. Pro Asyl und bordermonitoring hätten berichtet, dass Inhaber eines Schutzstatus nach der Rückkehr nach Ungarn sich in einer besonders verletzlichen Lage befunden hätten. Deren finanzielle Unterstützung sei zu gering gewesen, um eine Wohnung zu finden. Auch in Obdachlosenunterkünften habe es nicht genügend Plätze für Flüchtlinge gegeben. Eine im Jahr 2012 erfolgte Befragung habe ergeben, dass fast die Hälfte der Personen mit Schutzstatus keine Arbeit gehabt hätten, was u.a. auf den Mangel an Ausbildung und Berufserfahrung und den Mangel an ungarischen Sprachkenntnissen zurückgeführt werden könne. Die Inhaftierungspraxis und deren gerichtliche Kontrolle sei mangelhaft. Die Ernährung der Flüchtlinge in Haft sei nach deren Angaben unzureichend, seitens des Personals in den Haftanstalten gebe es Rassismus und Missbrauch. Neu eingestelltes Personal in den Aufnahmeeinrichtungen habe keine Berufserfahrung und auch keine entsprechende Ausbildung durchlaufen. Es gebe keine Vorkehrungen, verletzliche Personen zu erkennen. Die Hygiene-Einrichtungen in den Aufnahmeeinrichtungen seien unzureichend. Über private Organisationen, die Flüchtlinge unterstützen und dabei vom ungarischen Staat unterstützt würden, lägen keine Auskünfte vor.
44 
Am 23.09.2015 hat die Europäische Kommission gegen Ungarn zwei Vertragsverletzungsverfahren wegen ausstehender Berichte zur Einhaltung von Asylverfahrensbestimmungen und zur Einhaltung der Standards für Aufnahmebedingungen anerkannter Flüchtlinge eingeleitet. Auch gegen zahlreiche andere Mitgliedstaaten, darunter die Bundesrepublik Deutschland, wurden Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Zugleich hat die Kommission umfangreiche unmittelbare, operative, budgetäre und rechtliche Maßnahmen im Rahmen der Europäischen Migrationsagenda angekündigt, wozu auch eine Ausweitung der finanziellen und personellen Unterstützung der am stärksten von der Flüchtlingsmigration betroffenen Mitgliedstaaten gehören.
45 
Wegen der im Lauf des ersten Halbjahres 2015 stark angestiegenen Zahl an Schutzsuchenden hat Ungarn im Juli 2015 entlang der 174 km langen Grenze zu Serbien einen festen bzw. aus übereinander liegenden Rollen von sogenanntem Nato-Draht gefertigten durchgehenden Zaun errichtet, um die Schutzsuchenden zu veranlassen, die serbisch-ungarische Grenzen nur an den Grenzübergängen zu überschreiten und um diese nahe der Grenze registrieren zu können. Geplant war (und noch nicht verwirklicht ist), Schutzsuchende nicht weiter ins Land einreisen zu lassen, und grenznahe Unterkünfte und Einrichtungen zur Aufnahme zu errichten. Um auch das Militär einsetzen zu können, wurde an die Ausrufung eines "Migrationsnotstands‘“ gedacht.
46 
Die ungarische Bevölkerung ist nach vielen Pressemeldungen gegenüber den Schutzsuchenden überwiegend ablehnend eingestellt. Die Regierung greift diese Stimmung nicht nur auf, sondern befördert sie. Laut Pester Lloyd vom 12.06.2015 hat der ungarische Ministerpräsident etwa geäußert: „Wir müssen alles versuchen, um Ungarn das Zusammenleben mit Menschen verschiedener Kulturen zu ersparen“. Im Juli 2015 beharrte er darauf, dass Ungarn ein ungarisches Land bleiben solle. Bei einer vom UNHCR deutlich kritisierten landesweiten Regierungskampagne wurde plakatiert: "Wenn du nach Ungarn kommst, darfst du den Ungarn nicht die Arbeit wegnehmen!“ (Spiegel-online v. 02.09.2015). Auch empfindet die ungarische Regierung die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen als Einmischung und behindert deren Arbeit (Spiegel-online v. 12.09.2014).
47 
In einem Interview (FAZ vom 03.09.2015, S. 10) hat der ungarische Ministerpräsident geäußert, Europa müsse verstehen, dass man nicht aufnehmen könne, wenn man überrannt werde. Deshalb sei der Zaun, den Umgarn baue, wichtig. Er folge aus dem Schengener Abkommen. Das ungarische Volk sei konsultiert worden. Von acht Millionen Wählern hätten eine Million geantwortet. 85 % von ihnen meinten, die Union sei bei der Bewältigung der Einwanderung gescheitert. Europa könne nicht gegen den Willen der Bürger sein. Nur wenn die Grenzen beschützt würden, könnten Fragen gestellt werden nach der Anzahl der Menschen, die Europa aufnehmen wolle oder ob es Quoten geben solle. Die Menschen, die kämen, seien meistens keine Christen, sondern Muslime. Wenn das aus den Augen verloren würde, könne der europäische Gedanke auf dem eigenen Kontinent in die Minderheit geraten. Die erwähnte Umfrage hatte die Mitteleuropa-Vertretung des UNHCR zum Anlass genommen, ihre „zutiefste“ Besorgnis zum Ausdruck zu bringen, dass die ungarische Regierung Flüchtlinge als Gefahr für das Land darstelle (Salzburger Nachrichten v. 08.05.2015 - online), und eine Gegenkampagne gestartet, in deren Rahmen ab dem 01.07.2015 500 Plakate im ganzen Land aufgehängt werden sollten. Eine Sprecherin des UNHCR habe dazu gesagt, die Lage in Ungarn sei eine besondere, weil nicht, wie in kleinen Ländern, kleine Gruppen Fremdenhass schürten, sondern die Regierung; ein positives Zeichen sei, dass die Reaktionen in der ungarischen Öffentlichkeit gespalten seien (euronews v. 17.06.2015). Die ungarische Regierung sieht, wie auch die Errichtung von Grenzzäunen zu Serbien und Kroatien zeigt, die ein- und durchreisenden Flüchtlinge ausdrücklich als Gefahr an (Handelsblatt v. 02.10.2015: Orban: „Das Land ist von einer Flüchtlingsarmee bedroht“). Gemeldet wurde auch, ein Sprecher der Partei Fidesz habe gesagt, das größte Aufnahmelager Debrecen (das Platz für 930 Menschen bietet, aber nur mit derzeit 260 Menschen belegt sei), solle mit Rücksicht auf die Bewohner der Umgebung geschlossen werden; der UNHCR habe das Vorgehen Ungarns gegenüber den Flüchtlingen u.a. deshalb als sehr besorgniserregend bezeichnet (DLF v. 02.10.2015).
48 
Es gibt nur wenige Hilfsorganisationen, welche sich um Schutzsuchende bzw. anerkannte Schutzsuchende kümmern. Über bürgerschaftliche Hilfe wird berichtet. Wie wirksam diese bei der großen Zahl der Schutzsuchenden sein kann, lässt sich nicht einschätzen.
49 
Insbesondere hinsichtlich der jüngsten Änderungen der ungarischen Asylgesetze und sonstiger neuerer Entwicklungen hat die Beklagte in keinem der am 13.10.2015 verhandelten Verfahren substantiiert dargelegt, wie sich die Aufnahmebedingungen und das Asylverfahren rechtlich und tatsächlich in den letzten Monaten entwickelt haben.
50 
Die Kammer konnte auch nicht unmittelbar von dem Verbindungsbeamten des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge bei der ungarischen Asylbehörde Erkenntnisse erhalten. Dieser hat auf eine - außerhalb dieses Verfahrens erfolgte - Anfrage per E-Mail nach den letzten Änderungen im ungarischen Asylrecht mitgeteilt, er könne nicht (mehr) unmittelbar Auskunft erteilen, Auskünfte erteilten die Dublin-Referate des Bundesamts. Der Informationsaustausch der Dublin-Referate des Bundesamts mit den Vertretern des Bundesamts vor den Verwaltungsgerichten scheint allerdings zur Zeit nicht gewährleistet zu sein; denn diese haben sich nicht in der Lage gesehen, aktuelle Erkenntnisse mitzuteilen.
51 
Die Kammer stützt sich daher, was die Entwicklung in den letzten Monaten betrifft, in tatsächlicher Hinsicht in erster Linie auf den Bericht des European Asylum Support Office (EASO) im Anschluss an eine Bereisung vom 16. bis 20.03.2015 sowie auf zahlreiche Internet-Veröffentlichungen des Asylum Information Database of the European Council on Refugees and Exiles etc. sowie insbesondere auf die in der Rechtsprechung des österreichischen Bundesverwaltungsgerichts umfassend wiedergegebenen und laufend aktualisierten Berichte des österreichischen Verbindungsbeamten bei der ungarischen Asylbehörde (vgl. zuletzt öster. BVwG, Urt. v. 24.09.2015 - W 1442114716-1/3 E -, Internet-Seite des österreichischen Bundeskanzleramts, dort Rechtsinformationssystem -RIS-; dort finden sich im Einzelnen insbesondere Ausführungen zum Asylverfahren allgemein (2.), zur Haft (3.), zur Lage von Dublin-Rückkehrern (4.), zu vulnerablen Gruppen (5.), zur Versorgung, insbesondere Unterbringung (7.) und zur Lage von Schutzberechtigten (8.), auf die die Kammer Bezug nimmt).
52 
Danach hat Ungarn im Juli 2015 mit Wirkung ab dem 01.08.2015 das Asylrechtsgesetz in erheblichem Umfang geändert und eine entsprechende Durchführungsverordnung erlassen. Als sicherer Drittstaat wurden u.a. auch die Beitrittskandidaten zur Europäischen Union benannt, also auch Serbien. Zahlreiche Beschleunigungs- und Darlegungspflichten wurden eingeführt bzw. verschärft. 160 ungarische Rechtsanwälte haben daraufhin die neuen Regelungen, darunter auch Behandlung Minderjähriger ab 14 Jahren als Grenzverletzer mit einer Strafdrohung von bis zu drei Jahren, keine zwingende Übersetzung von Anklage und Urteil, als Verstoß gegen Völkerrecht gewertet (spiegel-online v. 03.10.2015: „Ungarn urteilt Flüchtlinge im Schnellverfahren ab“). Für die Inhaftierung von Asylsuchenden gibt es seit dem 01.07.2015 geänderte Bestimmungen. Asylhaft wird insbesondere verhängt, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass der Antragsteller das Asylverfahren verzögern oder sich diesem entziehen wird. Dann bleibt die Haft für die Dauer des gesamten Asylverfahrens aufrecht erhalten. Im Jahr 2014 wurden insgesamt 4.806 Personen in Asylhaft genommen, am häufigsten Asylsuchende aus dem Kosovo und aus Afghanistan (1.038). Im Jahr 2015 gingen die Zahlen möglicherweise zurück. Ab September 2014 wurden wieder Familien mit Kindern in Asylhaft genommen. Mitte März 2015 soll diese Praxis aufgrund eines Berichts des ungarischen Ombudsmanns für Menschenrechte wieder eingestellt worden sein; aktuelle Informationen dazu gibt es nicht.
53 
Für das Vorliegen systembedingter Mängel mit der Folge, dass aktuell jeder Asylbewerber in Ungarn Gefahr liefe, dort menschenrechtswidrig behandelt zu werden, spricht bereits der Umstand, dass seit September 2015 die Bundesrepublik Deutschland wie auch Österreich davon ausgehen, dass Ungarn nicht in der Lage ist, die große Zahl an einreisenden Flüchtlingen nach den unionsrechtlichen Regeln durch ein Asylverfahren zu führen und - bei Erreichen eines Schutzstatus - auch auf Dauer hinreichende Aufnahmebedingungen zur Verfügung zu stellen.
54 
Dem entspricht es, dass eine zunehmende Zahl von Verwaltungsgerichten in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes wie auch in Urteilen aus unterschiedlichen Erwägungen zur Auffassung gelangt, dass Ungarn zur Zeit nicht als zuständiger Staat betrachtet werden darf (u.a. VG Hannover, Beschl. v. 29.07.2015 - 10 B 2196/15 -; VG Düsseldorf, Beschl. v. 21.08.2015 - 8 L 2811/15.A -; VG München, Beschl. v. 21.05.2015 - M 16 S 15.50329 -; VG Köln, Urt. v. 15.07.2015 - 3 K 2005/15.A - und v. 08.09.2015 - 18 K 4584/15.A -; VG Bremen, Urt. v. 30.06.2015 - 3 K 296/15 -; VG Saarland, Beschl. v. 12.08.2015 - 3 L 776/15; VG Münster, Beschl. v. 07.07.2015 - 2 L 858/15.A -, alle juris).
55 
In der Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte ist die Frage nicht geklärt. Wenigen ablehnenden Entscheidungen (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 06.08.2013 - 12 S 675/13 - InfAuslR 2014, 29 OVG Sachs.-Anh., Beschl. v. 31.05.2013 - 4 L 169/12 -, Bayer.VGH, Beschl. v. 12.06.2015 - 13a ZB 15.50097 - juris; alle juris) steht gegenüber, dass etwa das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht die Berufung gegen eine klagabweisende Entscheidung zugelassen hat (Beschl. v. 15.05.2015 - 8 LA 85/15 - a.a.O.).
56 
Zwar hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Jahr 2014 (E. v. 03.07.2014 - Nr. 71932/12 - gestützt auf Stellungnahmen des UNHCR, des Ungarischen Helsinki-Kommitees und des Berichts einer UN-Arbeitsgruppe, die sich mit den Haftbedingungen in Ungarn befasst hat, entschieden, dass im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vom 03.07.2014 mit Blick auf die signifikanten Änderungen der ungarischen Asylgesetze weder die Inhaftierungspraxis noch die Haftbedingungen den dortigen Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit („real risk“) einer menschenrechtswidrigen Behandlung in Ungarn als Asylsuchender aussetzen würde; gleiches gelte für die Gefahr einer Überstellung des Klägers nach Serbien. Auch der Europäische Gerichtshof hatte noch im Jahr 2013 (Urt. v. 10.12.2013 a.a.O.) systemische Mängel im ungarischen Asylsystem verneint.
57 
Demgegenüber haben sich die Verhältnisse aber - auch für sog. Dublin-Rückkehrer - in Folge der sehr stark gestiegenen Zahl der Flüchtlinge und der hierauf erlassenen Gesetzesverschärfungen in Ungarn aber in tatsächlicher wie rechtlicher Hinsicht wesentlich verschlechtert (vgl., insbesondere zur Inhaftierungspraxis, zu den Haftbedingungen und zur gerichtlichen Kontrolle, VG Köln, Urt. v. 30.07.2015 a.a.O.; VG Saarland, Beschl. v. 12.08.2015 a.a.O.; vgl. auch schon VG Berlin, Beschl. v. 23.01.2015 – 23 L 717.14 A – juris; auch VG München, Urt. v. 29.08.2014 - M 24 K 13.31294 -; VG Düsseldorf, Beschl. v. 27.08.2014 - 14 L 1786/14.A - juris). Zudem sieht Ungarn seit dem 01.09.2015 Serbien wieder als sicheren Drittstaat an, wobei noch nicht klar ist, ob und unter welchen Voraussetzungen es tatsächlich zu Überstellungen nach Serbien kommen wird, insbesondere auch von Personen, welche nach den Dublin-Regeln nach Ungarn zurücküberstellt werden und die dort möglicherweise als Folgeantragsteller behandelt würden (vgl. öster. BVwG, Urt. v. 24.09.2015 a.a.O.).
58 
Ob die neuen Vorschriften zur Beschleunigung der Asylverfahren in jeder Hinsicht dem Unionsrecht genügen, ist zumindest sehr zweifelhaft. Das gilt insbesondere für die Frage, ob und in welchen Fällen Dublin-Rückkehrer bei Fortsetzung des Asylverfahrens bzw. in einem Zweitverfahren in ihrem Vorbringen beschränkt sind, ferner auch für die Frage, ob es zulässig ist, dass ein Asylverfahren eingestellt wird, wenn der Antragsteller für die Dauer von 48 Stunden nicht in der Aufnahmeeinrichtung angetroffen werden kann, der er zugewiesen ist (so VG Köln a.a.O.).
59 
Schließlich kann es nicht zu Lasten der Betroffenen ausschlagen, dass es aktuell keine verlässlichen Berichte über die tatsächliche Lage von Asylbewerbern und Inhabern von internationalem Schutz in Ungarn gibt und dass Ungarn selbst gegenüber der Europäischen Kommission nicht berichtet, inwieweit es - unter der augenscheinlichen Überlastung - die Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen entsprechend den unionsrechtlichen Vorgaben bewältigen kann.
60 
Vielmehr muss bei der Beurteilung einer Gefahrenlage für nach Ungarn rücküberstellte Asylbewerber vor allem das oben geschilderte innenpolitische Klima berücksichtigt werden. Indem die Regierung in der öffentlichen Debatte einseitig die Abwehr von Flüchtlingen betont und Ängste in der Bevölkerung schürt, trägt sie erheblich dazu bei, dass bei es der Anwendung der gesetzlichen Regelungen, auch soweit diese dem europäischen Flüchtlingsrecht zweifellos entsprechen, zu Menschenrechtsverletzungen kommen kann.
61 
Insbesondere lässt die ungarische Politik keine hinreichende Bereitschaft erkennen, von Ungarn als schutzbedürftig anerkannten Personen bei der Integration in die Gesellschaft beizustehen. Die dafür geschaffenen Regeln und die dafür bereit gestellten Mittel sind nach der Auskunft des UNHCR offensichtlich unzureichend. So erscheint als nicht gesichert, dass Menschen, die in Ungarn internationalen Schutz erhalten haben, insbesondere auch Dublin-Rückkehrer, in den Genuss der ohnehin deutlich unterfinanzierten gesetzlichen Integrationsangebote kommen können. Für die zuletzt genannte Gruppe dürfte dies schon an den verstrichenen Antragsfristen scheitern. Auch die Bereitstellung von Wohnraum für diesen Personenkreis ist völlig ungewiss. Eine Verweisung in die staatlichen bzw. kommunalen Obdachlosenunterkünfte scheitert an den Kapazitäten und für Familien auch daran, dass dort keine Kinder aufgenommen werden; in zahlreichen Verfahren ist der Kammer von den Klägern überzeugend vorgetragen worden, dass es ihnen nicht gelungen ist, Wohnung und Arbeit zu finden.
62 
Aus diesen Gründen ordnet das österreichische Bundesverwaltungsgericht seit September 2015 in Dublin-Ungarn-Fällen die aufschiebende Wirkung der Klagen regelmäßig an. Von ihm gibt es auch schon stattgebende Hauptsachentscheidungen. Diese sind allerdings - wohl mangels einer Pflicht, Spruchreife selbst herbeizuführen - damit begründet, dass die Veränderung der Sachlage weiterer Aufklärung durch die österreichische Asylbehörde bedarf (vgl. Urt. v. 24.09.2015 a.a.O.).
63 
Der Feststellung von systembedingten Mängeln des ungarischen Asylsystems im oben dargelegten Sinn lässt sich nicht - wie dies die Beklagte tut - entgegen halten, dass weitaus die meisten Schutzsuchenden gar nicht in Ungarn bleiben, sondern, entgegen dem ungarischen Flüchtlingsrecht auf allen möglichen Wegen nach Österreich und von dort insbesondere in die Bundesrepublik Deutschland, aber etwa auch weiter nach Schweden, reisen wollen. Denn der Andrang von Flüchtlingen auch an den ungarischen Grenzen dauert weiter an. Außerdem wäre Ungarn jedenfalls dann, wenn, wie im Fall des Klägers, die anderen Dublin-Staaten auf einer Rücküberstellung dorthin bestehen würden, wiederum mit der Zahl der Antragsteller überfordert.
64 
Soweit in zahlreichen Entscheidungen anderer Verwaltungsgerichte darauf abgehoben wird, dass der UNHCR, anders als bei Griechenland und - eingeschränkt - Bulgarien, aktuell keine generelle Empfehlung ausgesprochen hat, Asylsuchende nicht nach Ungarn zu überstellen, vermag dem die Kammer nicht zu folgen. Der UNHCR selbst hält einer solchen Interpretation entgegen, dass das Fehlen einer solchen generellen Empfehlung keineswegs bedeute, er sei der Auffassung, dass keine solchen einer Überstellung entgegenstehenden Umstände vorlägen oder im Einzelfall vorliegen könnten. Aus seiner Sicht ist es Sache der Behörden und Gerichte, im Einzelfall zu prüfen, ob drohende Verletzungen von Art. 3 EMRK eine Überstellung in einen Mitgliedstaat der Europäischen Union ausschlössen. Der UNHCR weist insoweit auch darauf hin, dass der Supreme Court des Vereinigten Königreichs diese Auffassung ausdrücklich bestätigt habe (vgl. UNHCR an VG Bremen v. 30.09.2014). Auch hat der UNHCR angesichts der jüngsten Entwicklung wiederholt vor einer „weiteren Verschlechterung der Lage“ gewarnt und betont, es sei wichtig, dass die Umsetzung der neuen asyl- und haftrechtlichen Vorschriften gut durchdacht werde, andernfalls „das zu Chaos“ führen würde (heute.de v. 05.10.2015). Im Übrigen bedürfte es gegenwärtig entsprechender Warnungen des UNHCR nicht, weil Überstellungen nach Ungarn wohl seit einigen Monaten gar nicht mehr stattfinden. Das ergibt sich aus Folgendem:
65 
Aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage aus dem Deutschen Bundestag vom 18.08.2015 (BT-Drucksache 18/5785, S. 18 ff., noch mit dem Vermerk "Vorabfassung - wird durch die lektorierte Version ersetzt") ergibt sich, dass das Bundesamt im ersten Quartal 2015 2952 und im zweiten Quartal 2015 3565 Übernahmeersuchen an Ungarn gerichtet hatte. Etwa 80 % der Ersuchen (2.304 bzw. 2.665 akzeptierte Ungarn. Im ersten Quartal 2015 gab es 30 Selbsteintritte oder faktische Überstellungshindernisse in Bezug auf Ungarn, im zweiten Quartal 2015 171. Tatsächlich überstellt wurden nach Ungarn (nach der Dublin-Verordnung) im ersten Quartal 2015 aber nur 42 Personen und im zweiten Quartal 2015 nur 61 Personen, also nur etwa 2 Prozent bezogen auf die Zahl der akzeptierten Übernahmeersuchen. Die Gründe dafür sind nicht bekannt und auch auf Nachfrage vom Bundesamt nicht zu erfahren. Sie dürften einerseits in einer begrenzten Aufnahmebereitschaft Ungarns (Kontingentierung der Aufnahme), andererseits aber auch in der beschränkten Kapazität der zuständigen deutschen Behörden liegen. Ein ähnliches Bild bietet die schweizerische Asylstatistik. Die Schweiz hatte im ersten Halbjahr 2015 407 Ersuchen an Ungarn gestellt, die Ungarn in 333 Fällen akzeptierte; tatsächlich überstellt wurden im gleichen Zeitraum nur 54 Personen, also etwa 16 % der akzeptierten Übernahmeersuchen.
66 
Seit mehreren Monaten finden auf Bitten Ungarns wohl überhaupt keine Rücküberstellungen von Deutschland aus mehr statt (vgl. die Nachweise bei VG Hannover, Beschl. v. 29.07.2015 - 10 B 2196/15 - juris). Nachfragen der Kammer dazu hat das Bundesamt nicht beantwortet.
67 
Auch deshalb ist die angefochtene Abschiebungsanordnung rechtswidrig. Denn § 34a Abs. 1 AsylVfG erfordert, dass die Abschiebung tatsächlich durchgeführt werden kann. Dafür reicht eine Übernahmeerklärung Ungarns aber nicht aus, wenn anschließend seitens des ungarischen Staats keine oder nur eine ganz geringe Bereitschaft und so gut wie keine Kapazität besteht, Erst- und Folgeantragsteller sowie überstellte Schutzsuchende und Inhaber internationalen Schutzes tatsächlich aufzunehmen. Zumindest erscheint es als völlig fernliegend, dass bei einer evtl. Wiederaufnahme von Überstellungen nach Ungarn in einigen Monaten oder einem Jahr ausgerechnet diejenigen Schutzsuchenden zurücküberstellt würden, welche sich nun schon seit mehreren Jahren im Bundesgebiet aufhalten. Dies gilt umso mehr für Schutzsuchende, die in Ungarn oder nach Zurückschiebung nach Serbien bzw. Griechenland Menschenrechtsverletzungen in erheblichem Umfang, insbesondere eine langdauernde Asylhaft, erfahren haben, wenn dies zu erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen geführt hat. Daraus kann sich - wie oben dargelegt - sogar ein Abschiebungsverbot in rechtlicher Hinsicht ergeben (§ 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK).“
68 
Inzwischen sind weitere entsprechende Entscheidungen in Hauptsacheverfahren bekannt geworden (VG München, Urt. v. 26.08.2015 - M 24 K 15.50507 - juris; VG Augsburg, Urt. v. 18.08.2015 - Au 6 K 15.50155 -, beide juris; VG Karlsruhe, Urt. v. 24.09.2015 - A 2 K 168/14 -), die allerdings nicht Schutzsuchende betreffen, welche bereits einen Schutzstatus in Ungarn erlangt hatten.
69 
Aus den oben genannten Gründen ist die Abschiebungsanordnung gegenüber dem Kläger rechtswidrig.
70 
Es erscheint zwar als zweifelhaft, dass er im Zuge einer Überstellung nach Ungarn dort in Haft genommen würde, wenn er seinen von Ungarn ausgestellten Flüchtlingsausweis vorzeigen kann.
71 
Es ist aber, angesichts der oben getroffenen Feststellungen und der der Beklagten anzulastenden Unmöglichkeit, aktuelle Informationen aus Ungarn diesbezüglich zu erhalten, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Ungarn zum jetzigen Zeitpunkt dort in die Obdachlosigkeit fallen, keinen Notschlafplatz finden, keine ausreichende Unterstützung erhalten und auch keine Hilfen bei der Suche nach Wohnung und Arbeit erhalten würde. Dies ist ihm umso weniger zuzumuten, als er - nach seinen Angaben, an deren Richtigkeit die Kammer keinen Grund hat zu zweifeln - bei früheren Aufenthalten in Ungarn nicht nur Solches erfahren hat, sondern dort auch über sechs Monate als Asylsuchender inhaftiert und überdies rechtswidrig nach Griechenland überstellt worden war, wo nach mittlerweile wohl allgemeiner Auffassung damals systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen bestanden.
72 
Rechtswidrig ist die Abschiebungsanordnung auch deshalb, weil die Abschiebung auf unabsehbare Frist nicht ausgeführt werden kann, weil - wie oben ausgeführt - ausgeschlossen erscheint, dass Ungarn gegenwärtig und auf absehbare Zeit Schutzsuchende wieder übernimmt; das gilt auch für Menschen, die wie der Kläger in Ungarn internationalen Schutz gefunden haben.
73 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 2, § 154 Abs. 1 VwGO und § 83b AsylVfG. Der Gegenstandswert folgt aus § 30 RVG.

Gründe

 
23 
Soweit der Kläger die Klage - hinsichtlich der Feststellung, dass ihm auf Grund seiner Einreise aus einem sicheren Drittstaat kein Asylrecht zustehe - zurückgenommen hat, ist das Verfahren einzustellen und allein noch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden.
24 
Über die Klage im Übrigen kann die Kammer entscheiden, obwohl die Beklagte in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten war; denn auf diese Möglichkeit ist die Beklagte in der Ladung hingewiesen worden (§ 102 Abs. 2 VwGO).
25 
Im Übrigen hat die Klage Erfolg. Sie ist als Anfechtungsklage statthaft und auch sonst zulässig. Sie ist auch begründet. Denn die auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG gestützte Anordnung der Abschiebung des Klägers nach Ungarn ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG), weil dem Kläger aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in Ungarn auch für anerkannte Flüchtlinge mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, in seinem Grundrecht aus Art. 4 GRCh bzw. in seinem Menschenrecht aus Art. 3 EMRK verletzt zu werden.
26 
Zu den rechtlichen Grundlagen insoweit und zu den aktuellen tatsächlichen Verhältnissen in Ungarn hat die Kammer im Urteil vom gleichen Tag im Verfahren A 5 K 2328/13 ausgeführt:
27 
„Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Dublin-II-Verordnung (Urt. v. 21.12.2011 - C-411/10 u.a., N.S. u.a. - NVwZ 2012, 417, vom 14.11.2013 - C-4/11, Puid - NVwZ 2014, 129, v. 10.12.2013 - C-394/12, Abdullahi - NVwZ 2014, 208) und dem folgend des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 16.04.2014 - A 11 S 1721/13 - InfAuslR 2014, 293, v. 10.11.2014 - A 11 S 1778/14 - InfAuslR 2015, 77, v. 18.03.2015 - A 11 S 2042/14 - juris sowie Urt. v. 18.03.2015 - A 11 S 2042/14 - juris) hat ein Asylbewerber - sofern spezialgesetzlich keine besonderen Ausnahmen geregelt sind (vgl. etwa Art. 7 Dublin II-VO) - grundsätzlich kein subjektives Recht auf Prüfung seines Antrags in einem bestimmten Mitglied- oder Vertragsstaat, so dass Fehler bei der Auslegung und bei der Anwendung der Zuständigkeitsregelungen der Verordnung grundsätzlich unerheblich sind. Grundsätzlich kann ein Antragsteller mit Aussicht auf Erfolg nur einwenden, dass in dem in der Abschiebungsanordnung bezeichneten Staat systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gegeben sind, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh ausgesetzt zu werden (EuGH, Urt. v. 10.12.2013 - C-394/12, Abdullahi - a.a.O.)
28 
Dabei kann jeder Mitgliedstaat grundsätzlich davon ausgehen, dass alle an dem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem beteiligten Staaten die Grundrechte einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 sowie in der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten finden, beachten und dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen dürfen. Auf dieser Grundlage besteht eine - allerdings - widerlegbare Vermutung dafür, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat den Anforderungen der Grundrechtecharta, der Genfer Flüchtlingskonvention und der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten genügt. Diese Vermutung ist widerlegt, wenn in der Rechtsanwendungspraxis in einem bestimmten Mitgliedstaat erhebliche Funktionsstörungen zutage treten und diese zur absehbaren Folge haben, dass eine ernstzunehmende Gefahr besteht, dass Asylbewerber bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt werden, die mit ihren Menschenrechten unvereinbar ist.
29 
Insoweit stellt nicht jeder vereinzelte Verstoß gegen eine Bestimmung der Dublin II-VO (bzw. nunmehr der Dublin III-VO) und auch nicht einmal jede Verletzung eines Grundrechts, wie von Art. 4 GRCh, durch den zuständigen Mitgliedstaat das Zuständigkeitssystem grundsätzlich infrage. Denn dann stünde nicht weniger als der Daseinsgrund der Union und die Verwirklichung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, konkret des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, auf dem Spiel (EuGH, Urt. v. 21.12.2011 - C-411/10 u.a., N.S. u.a. - NVwZ 2012, 417). Das Dublin-Zuständigkeitssystem ist deshalb nur dann (teilweise) zu suspendieren, wenn einem Mitgliedstaat aufgrund der ihm vorliegenden Informationen nicht unbekannt sein kann, dass systemische Mängel oder Schwachstellen (vgl. jetzt auch Art. 3 Abs. 2 UA. 2 VO (EU) Nr. 604/2013 = Dublin III-VO) des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller dort Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh ausgesetzt zu sein (EuGH, Urt. v. 21.12.2011, a.a.O. und v. 14.11.2013 - C-4/11, Puid - NVwZ 2014, 129).
30 
Systemische Schwachstellen sind solche, die entweder bereits im Asyl- und Aufnahmeregime selbst angelegt sind und von denen alle Asylbewerber oder bestimmte Gruppen von Asylbewerbern deshalb nicht zufällig und im Einzelfall, sondern vorhersehbar und regelhaft betroffen sind, oder aber tatsächliche Umstände, die dazu führen, dass ein theoretisch sachgerecht konzipiertes und nicht zu beanstandendes Asyl- und Aufnahmesystem - aus welchen Gründen auch immer - faktisch ganz oder in weiten Teilen seine ihm zugedachte Funktion nicht mehr erfüllen kann und weitgehend unwirksam wird (vgl. auch BVerwG, Beschl. v. 19.03.2014 - 10 B 6.14 - NVwZ 2014, 1093, und v. 06.06.2014 - 10 B 35.14 - NVwZ 2014, 1677). Dabei ist der Begriff der systemischen Schwachstelle nicht in einer engen Weise derart zu verstehen, dass er geeignet sein muss, sich auf eine unüberschaubare Vielzahl von An-tragstellern auszuwirken. Vielmehr kann ein systemischer Mangel auch dann vorliegen, wenn er von vornherein lediglich eine geringe Zahl von Asylbewerbern betreffen kann, sofern er sich nur vorhersehbar und regelhaft realisieren wird und nicht gewissermaßen dem Zufall oder einer Verkettung unglücklicher Umstände bzw. Fehlleistungen von in das Verfahren involvierten Akteuren geschuldet ist (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 10.11.2014 - A 11 S 1778/14 - InfAuslR 2015, 77).
31 
Wesentliche Kriterien für die zu entscheidende Frage, ob eine unmenschliche oder erniedrigende (bzw. "entwürdigende") Behandlung vorliegt, finden sich in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK (vgl. Urt. v. 21.01.2011 - Nr. 30696/09, M.S.S./Belgien - NVwZ 2011, 413, v. 04.11.2014 - Nr. 29217/12, Tarakhel/Schweiz - juris, und E. v. 05.02.2015 - Nr. 51428/10, A.M.E./Niederlande - juris), der mit Art. 4 GRCh übereinstimmt (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 10.11.2014 - A 11 S 1778/14 - InfAuslR 2015, 77, m.w.N.). Die Annahme einer drohenden Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 GRCh muss durch wesentliche Gründe (so nunmehr Art. 3 Abs. 2 UA. 2 Dublin III-VO; vgl. auch EuGH, Urt. v. 21.12.2011 - C-411/10 u.a., N.S. u.a. - NVwZ 2012, 417: "ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe") gestützt werden. Das bedeutet, dass die festgestellten Tatsachen hinreichend verlässlich und aussagekräftig sein müssen; nur unter dieser Voraussetzung ist es nach der maßgeblichen Sicht des Europäischen Gerichtshofs gerechtfertigt, von einer Widerlegung des „gegenseitigen Vertrauens“ der Mitgliedstaaten untereinander auszugehen. In diesem Zusammenhang müssen die festgestellten Tatsachen und Missstände verallgemeinerungsfähig sein, um die Schlussfolgerung zu rechtfertigen, dass es nicht nur vereinzelt, sondern immer wieder und regelhaft zu Grundrechtsverletzungen nach Art. 4 GRCh kommt. Das bei einer wertenden und qualifizierten Betrachtungsweise zugrunde zu legende Beweismaß ist das der beachtlichen Wahrscheinlichkeit im herkömmlichen Verständnis der höchstrichterlichen Rechtsprechung, das sich nicht von dem in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte entwickelten Beweismaß des „real risk“ unterscheidet (BVerwG, Urt. v. 20.02.2013 - 10 C 23.12 - NVwZ 2013, 936; Beschl. v. 19.03.2014 - 10 B 6.14 - juris).
32 
Anhand dieser Grundsätze sind hinreichende Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Griechenland angenommen worden (EGMR - Große Kammer, Urt. v. 21.01.2011 - Nr. 30696/09, M.S.S./Belgien und Griechenland - NVwZ 2011, 413 und weitere, vgl. dazu, auch zum Folgenden, BVerwG, Beschl. v. v. 19.03.2014 a.a.O. und v. 06.06.2014 - 10 B 35/14 - juris).
33 
Für das in Deutschland - im Unterschied zu anderen Rechtssystemen - durch den Untersuchungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) geprägte verwaltungsgerichtliche Verfahren hat das Kriterium der systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union Bedeutung für die Gefahrenprognose im Rahmen des Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK. Der Tatrichter muss sich zur Widerlegung der auf dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens unter den Mitgliedstaaten gründenden Vermutung, die Behandlung der Asylbewerber stehe in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechte-Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK, die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) verschaffen, dass der Asylbewerber wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit (vgl. Urteil vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 5.09 - BVerwGE 136, 377 Rn. 22 m.w.N. einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird. Die Fokussierung der Prognose auf systemische Mängel ist dabei, wie sich aus den Erwägungen des Gerichtshofs zur Erkennbarkeit der Mängel für andere Mitgliedstaaten ergibt (EuGH, Urt. v. 21.12.2011 - Rs. C-411/10 und Rs. C-493/10 - a.a.O. Rn. 88 bis 94), Ausdruck der Vorhersehbarkeit solcher Defizite, weil sie im Rechtssystem des zuständigen Mitgliedstaates angelegt sind oder dessen Vollzugspraxis strukturell prägen. Solche Mängel treffen den Einzelnen in dem zuständigen Mitgliedstaat nicht unvorhersehbar oder schicksalhaft, sondern lassen sich aus Sicht der deutschen Behörden und Gerichte wegen ihrer systemimmanenten Regelhaftigkeit verlässlich prognostizieren. Die Widerlegung der o.g. Vermutung aufgrund systemischer Mängel setzt deshalb voraus, dass das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen im zuständigen Mitgliedstaat aufgrund größerer Funktionsstörungen regelhaft so defizitär sind, dass anzunehmen ist, dass dort auch dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Dann scheidet eine Überstellung an den nach der Dublin II-Verordnung zuständigen Mitgliedstaat aus.
34 
Das Bundesverwaltungsgericht hat daraus gefolgert (Beschl. v. 06.06.2014 - 10 B 35.14 - a.a.O.): Aus der dargelegten Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ergebe sich, dass ein Asylbewerber der Überstellung in den nach der Dublin-II-Verordnung für ihn zuständigen Mitgliedstaat mit Blick auf unzureichende Aufnahmebedingungen für Asylbewerber nur mit dem Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen entgegentreten könne und es nicht darauf ankomme, ob es unterhalb der Schwelle systemischer Mängel in Einzelfällen zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK kommen könne und ob ein Antragsteller dem in der Vergangenheit schon einmal ausgesetzt gewesen sei. Derartige individuelle Erfahrungen seien vielmehr (allein) in die Gesamtwürdigung einzubeziehen, ob systemische Mängel im Zielland der Abschiebung des Antragstellers (dort: Italien) vorliegen. In diesem begrenzten Umfang seien individuelle Erfahrungen des Betroffenen zu berücksichtigen. Dabei sei allerdings zu beachten, dass persönliche Erlebnisse Betroffener, die - wie in dem der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zu Grunde liegenden Fall - einige Jahre zurücklägen, durch neuere Entwicklungen im betreffenden Staat überholt sein könnten. Individuelle Erfahrungen einer gegen Art. 4 GRCh verstoßenden Behandlung führten hingegen nicht zu einer Beweislastumkehr für die Frage des Vorliegens systemischer Mängel.
35 
Nach der jüngeren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (zu Italien) ist dabei stets auch zu fragen, ob die gesetzliche Vermutung des Fehlens systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen zumindest für einzelne Gruppen besonders verletzlicher Antragsteller erschüttert bzw. widerlegt ist. Eine Überstellung sogenannter vulnerabler Personen kommt nur in Betracht, wenn der Aufnahme-Mitgliedschaft eine entsprechende individuelle Garantieerklärung abgibt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 22.07.2015 - 2 BvR 746/15 - m.w.N.)
36 
Die Kammer hat allerdings in mehreren Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (vgl. etwa VG Freiburg, Beschl. v. 30.07.2014 - A 5 K 418/14 - juris) zu Grunde gelegt, dass eine Beweislastumkehr ausnahmsweise dann angezeigt ist, wenn erwiesen ist, dass in einem Mitgliedstaat systemimmanente Schwachstellen bestanden haben, welche die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung des jeweiligen Klägers als beachtlich wahrscheinlich haben erscheinen lassen (das dürfte in Ungarn in den Jahren 2011 und 2012 der Fall gewesen sein). In einem solchen Fall sollte ein durchgreifender Wandel der Verhältnisse erst dann zu Grunde gelegt werden können, wenn er nachgewiesen ist. Mit anderen Worten: Eine Verbesserung der Verhältnisse hinsichtlich der Asylverfahren und der Aufnahmebedingungen, etwa durch Änderungen der einschlägigen mitgliedstaatlichen Vorschriften oder durch Bereitstellung weiterer personeller und sächlicher Mittel, sollte erst dann zu Lasten des jeweiligen Schutzsuchenden angenommen werden, wenn die angestrebten Verbesserungen in der Anwendung der verbesserten Vorschriften auch nachweislich eingetreten sind; dass in den Monaten nach der Verbesserung der rechtlichen Grundlagen noch keine aktuellen Beschwerden oder keine aktuelle Kritik des UNHCR oder anderer Menschenrechtsorganisationen bekannt geworden ist, sollte für die Annahme einer nachhaltigen Verbesserung der Verhältnisse nicht ohne Weiteres ausreichen. Dem entspräche es im Übrigen auch, dass die Mitgliedstaaten bei Griechenland tatsächlich wohl so verfahren und mit einer Wiederaufnahme von Überstellungen nach Griechenland erst wieder begonnen werden dürfte, wenn dort entsprechende Verfahren und Aufnahmebedingungen gewährleistet sind.
37 
Weiter erscheint der Kammer fraglich, ob bei der Feststellung systemischer Mängel im Asylverfahren und bei den Aufnahmebedingungen eine vom jeweiligen Asylbewerber selbst erfahrene menschenrechtswidrige Behandlung, etwa eine längere, unbegründete Haft, eine längere unfreiwillige Obdachlosigkeit oder ein langjähriges Fernhalten vom Asylverfahren, erst dann von Bedeutung sein soll, wenn sich hieraus eine anhaltende, im Aufnahmestaat nicht zu behandelnde Gesundheitsstörung (insbesondere posttraumatische Belastungsstörung) ergeben hat.
38 
Denn auch wenn solche Erfahrungen Einzelner für sich noch keine systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen begründen können, es sei denn, sie sind zahlreich und repräsentativ für eine (vulnerable) Gruppe, der der jeweilige Antragsteller angehört, könnte eine selbst erlittene menschenrechtswidrige Behandlung doch bei der Frage, ob die Beklagte in das Asylverfahren als zuständiger Staat eintritt, jedenfalls aber bei der Prüfung, ob eine Abschiebungsanordnung nach § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG erlassen wird, zu berücksichtigen sein (§ 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK, Art. 4 GRCh). Davon scheint etwa das Schweizerische Bundesgericht auszugehen, das auch Umstände berücksichtigt, welche die Schutzsuchenden bei ihrem Aufenthalt im Erstaufnahmestaat individuell erlitten haben (z.B. sexuelle Übergriffe, Suizidversuch, Therapiebedürftigkeit). (vgl. Urt. v. 09.10.2013 - E 2093/2012 - und v. 30.10.2013 - E 3837/2012 -; zuletzt auch Urt. v. 23.07.2015 - D 2408/2015).
39 
Unabhängig davon steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass jedenfalls gegenwärtig in Ungarn systembedingte Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen bestehen, welche jeden Schutzsuchenden, der dorthin zurücküberstellt wird, der beachtlichen Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung aussetzt. Dabei geht die Kammer von Folgendem aus:
40 
Die Zahl der nach Ungarn einreisenden Schutzsuchenden ist zuletzt sehr stark angestiegen. Im Jahr 2012 wurden noch 2.155 Asylbewerber, im Jahr 2013 18.900 und im Jahr 2014 42.777 Schutzsuchende registriert. Im Jahr 2015 war zunächst von 150.000 nach Ungarn einreisenden Schutzsuchenden bis zum 01.09.2015 die Rede (bei einer Gesamtbevölkerung Ungarns von etwa 10 Millionen Einwohnern); zuletzt wurden Zahlen von weit mehr als 300.000 Schutzsuchenden genannt, von denen die meisten, nur zum wohl geringeren Teil registriert, nach Österreich weiterreisten. Ob die Errichtung eines Zauns an der Grenze zu Serbien und nun auch zu Kroatien und überhaupt die restriktiv wirkende Flüchtlingspolitik Ungarns jetzt zu einer Minderung der Zahl der nach Ungarn einreisenden Schutzsuchenden führen, ist unklar.
41 
Im März 2015 verfügte Ungarn über 2500 Plätze zur Aufnahme von Flüchtlingen (vgl., auch zum Folgenden: EASO, Beschreibungen des ungarischen Asylsystems, Stand März 2015); das Auswärtige Amt hatte in seiner Auskunft an die Kammer vom 12.03.2015 im Verfahren A 5 K 2328/13 noch von 1.500 Plätzen in offenen Aufnahmeeinrichtungen und von weiteren 400 Plätzen in Asylhafteinrichtungen und der geplanten Eröffnung einer weiteren Aufnahmeeinrichtung in Kiskunhalas gesprochen. Zur Anhörung von Schutzsuchenden und zur Entscheidung über ihre Schutzanträge standen 56 Sachbearbeiter in ganz Ungarn bereit. Neue Mitarbeiter waren eingestellt, aber noch nicht geschult. Schutzsuchende werden an der Grenze registriert und einem der vier Empfangszentren zugewiesen; sie können auch auf eigene Kosten im ganzen Land Unterkunft suchen, erhalten dafür aber keine Unterstützung. Wenn sie an einer ihnen bezeichneten Stelle zur Stellung des Asylantrags oder zur später angeordneten Anhörung nicht erscheinen, wird das Schutzgesuch entweder, auf der Grundlage von hinreichenden Angaben bei der Registrierung abgelehnt, oder das Verfahren wird wegen angenommener Rücknahme des Schutzgesuchs eingestellt. Für einen Schutzsuchenden, der später sein Schutzgesuch erneuert, wird ein nichtbeendetes Verfahren fortgesetzt, ein durch Ablehnung des Schutzgesuchs beendetes Verfahren kann innerhalb der Rechtsmittelfrist von acht Tagen im Rechtsbehelfsverfahren fortgesetzt werden. Nach Ablauf der Rechtsmittelfrist hat der Schutzsuchende das Recht, einen Folgeantrag zu stellen. Nach den Angaben des ungarischen Büros für Einwanderung und Staatsangehörigkeit (OIN) werden auch Dublin-Rückkehrer stets als Schutzsuchende behandelt. Gibt der Schutzsuchende aber im Folgeverfahren die gleichen Gründe an wie im ersten Verfahren, kann der Folgeantrag als unzulässig behandelt werden.
42 
Zur Rücküberstellung nach Ungarn hat das Auswärtige gegenüber der Kammer (Auskunft v. 12.03.2015 im Verfahren A 5 K 2328/13) erläutert: Die per Flug Überstellten würden zur Zentrale des ungarischen Amts für Staatsbürgerschaft und Einwanderung gebracht und informiert, dass sie als Asylbewerber behandelt würden. Wenn ein erstes Asylverfahren in Ungarn ohne Entscheidung in der Sache oder durch Rücknahme beendet worden sei, werde es fortgesetzt, sonst werde ein Zweitantrag angenommen. Bei einem Zweitantrag würden (nur) nachträglich entstandene Umstände berücksichtigt. Die Klagefrist betrage drei Tage nach Bekanntgabe/Zustellung der Entscheidung. Bis zur unanfechtbaren Entscheidung im Asylverfahren hätten Asylbewerber Anspruch auf Sozialleistungen, es sei denn, der Asylantrag sei als offensichtlich unbegründet oder unzulässig abgelehnt worden. Ausgeschlossen von den im Asylgesetz geregelten Sozialleistungen seien auch Zweitantragsteller, deren Erstverfahren eingestellt oder abgelehnt worden sei oder bei denen das refoulement-Verbot einer Abschiebung nicht entgegen stehe. Ausreisepflichtige müssten die Unterkunft verlassen, der Aufenthalt sei auf einen bestimmten Regierungsbezirk (Komitat) beschränkt. Sie könnten in öffentlichen Notunterkunftsplätzen des jeweiligen Regierungsbezirks unterkommen und eine kostenlose medizinische Notfallversorgung in Anspruch nehmen. Bei Zuerkennung eines Schutzstatus könnten sie Integrationsleistungen beanspruchen. Seit Januar 2014 würden diese auf örtlicher Ebene (dezentral) durchgeführt. Dabei wirke ein örtlich zuständiger Dienst für Familienförderung mit (auch für Personen ohne Schutzstatus). Es würden individuelle Integrationsvereinbarungen geschlossen. Bei der Förderung der sozialen Integration leiste der Dienst neben finanziellen Hilfen u.a. auch Hilfe bei der Arbeitssuche. In der Flüchtlingshilfe engagierten sich u.a. die Flüchtlingsmission der Reformierten Kirche, die Ungarische Gesellschaft für Migranten und das Helsinki-Komitee. In den Jahren von 2012 bis 2014 habe es 335, 850 bzw. 827 Rücküberstellungen im Dublin-Verfahren gegeben.
43 
Der UNHCR hat in seiner Auskunft an die Kammer vom 30.09.2014 im Verfahren A 5 K 2328/13 weitgehend entsprechende Angaben gemacht. Die am 01.07.2013 in Kraft gesetzten neuen Bestimmungen zur Inhaftierung von Schutzsuchenden bis zu sechs Monaten hat er kritisch beurteilt. Nach seiner Ansicht würden praktisch alle Dublin-Rückkehrer in Haft genommen, ausgenommen Familien oder besonders vulnerable Asylsuchende. Beim damaligen Stand hat der UNHCR für den August 2014 dank Unterstützung der Europäischen Union eine Verbesserung der Aufnahmebedingungen für Flüchtlinge gesehen. Anerkannte Flüchtlinge müssten mehrere Monate warten, bis sie Integrationshilfen beanspruchen könnten. Hinsichtlich der medizinischen, psychologischen und psychotherapeutischen Versorgung von Flüchtlingen gebe es aus allen Aufnahmeeinrichtungen Beschwerden. Drogen- und andere Abhängige hätten keinen Zugang zu medizinischen Diensten. Ein psychisches Problem seien auch fehlende tägliche Beschäftigung und Abwechslung. Wer keine permanente Adresskarte habe, habe Probleme beim Zugang zu medizinischen Diensten. Zum 01.01.2014 seien Regelungen zur Integration von Personen mit Schutzstatus eingeführt worden. Es gebe systemische Probleme, die einer Integration von Flüchtlingen entgegen stünden. Das System der gesetzlichen Hilfen sei unter anderem bei weitem nicht genügend finanziert. Obdachlose, die auf öffentlichen Plätzen nächtigten, würden kriminalisiert. Im Juni 2013 seien unter Hinweis auf diese Bedingungen etwa 70 und im August 2013 nochmals etwa 20 afghanische Staatsangehörige nach Deutschland weitergereist. Pro Asyl und bordermonitoring hätten berichtet, dass Inhaber eines Schutzstatus nach der Rückkehr nach Ungarn sich in einer besonders verletzlichen Lage befunden hätten. Deren finanzielle Unterstützung sei zu gering gewesen, um eine Wohnung zu finden. Auch in Obdachlosenunterkünften habe es nicht genügend Plätze für Flüchtlinge gegeben. Eine im Jahr 2012 erfolgte Befragung habe ergeben, dass fast die Hälfte der Personen mit Schutzstatus keine Arbeit gehabt hätten, was u.a. auf den Mangel an Ausbildung und Berufserfahrung und den Mangel an ungarischen Sprachkenntnissen zurückgeführt werden könne. Die Inhaftierungspraxis und deren gerichtliche Kontrolle sei mangelhaft. Die Ernährung der Flüchtlinge in Haft sei nach deren Angaben unzureichend, seitens des Personals in den Haftanstalten gebe es Rassismus und Missbrauch. Neu eingestelltes Personal in den Aufnahmeeinrichtungen habe keine Berufserfahrung und auch keine entsprechende Ausbildung durchlaufen. Es gebe keine Vorkehrungen, verletzliche Personen zu erkennen. Die Hygiene-Einrichtungen in den Aufnahmeeinrichtungen seien unzureichend. Über private Organisationen, die Flüchtlinge unterstützen und dabei vom ungarischen Staat unterstützt würden, lägen keine Auskünfte vor.
44 
Am 23.09.2015 hat die Europäische Kommission gegen Ungarn zwei Vertragsverletzungsverfahren wegen ausstehender Berichte zur Einhaltung von Asylverfahrensbestimmungen und zur Einhaltung der Standards für Aufnahmebedingungen anerkannter Flüchtlinge eingeleitet. Auch gegen zahlreiche andere Mitgliedstaaten, darunter die Bundesrepublik Deutschland, wurden Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Zugleich hat die Kommission umfangreiche unmittelbare, operative, budgetäre und rechtliche Maßnahmen im Rahmen der Europäischen Migrationsagenda angekündigt, wozu auch eine Ausweitung der finanziellen und personellen Unterstützung der am stärksten von der Flüchtlingsmigration betroffenen Mitgliedstaaten gehören.
45 
Wegen der im Lauf des ersten Halbjahres 2015 stark angestiegenen Zahl an Schutzsuchenden hat Ungarn im Juli 2015 entlang der 174 km langen Grenze zu Serbien einen festen bzw. aus übereinander liegenden Rollen von sogenanntem Nato-Draht gefertigten durchgehenden Zaun errichtet, um die Schutzsuchenden zu veranlassen, die serbisch-ungarische Grenzen nur an den Grenzübergängen zu überschreiten und um diese nahe der Grenze registrieren zu können. Geplant war (und noch nicht verwirklicht ist), Schutzsuchende nicht weiter ins Land einreisen zu lassen, und grenznahe Unterkünfte und Einrichtungen zur Aufnahme zu errichten. Um auch das Militär einsetzen zu können, wurde an die Ausrufung eines "Migrationsnotstands‘“ gedacht.
46 
Die ungarische Bevölkerung ist nach vielen Pressemeldungen gegenüber den Schutzsuchenden überwiegend ablehnend eingestellt. Die Regierung greift diese Stimmung nicht nur auf, sondern befördert sie. Laut Pester Lloyd vom 12.06.2015 hat der ungarische Ministerpräsident etwa geäußert: „Wir müssen alles versuchen, um Ungarn das Zusammenleben mit Menschen verschiedener Kulturen zu ersparen“. Im Juli 2015 beharrte er darauf, dass Ungarn ein ungarisches Land bleiben solle. Bei einer vom UNHCR deutlich kritisierten landesweiten Regierungskampagne wurde plakatiert: "Wenn du nach Ungarn kommst, darfst du den Ungarn nicht die Arbeit wegnehmen!“ (Spiegel-online v. 02.09.2015). Auch empfindet die ungarische Regierung die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen als Einmischung und behindert deren Arbeit (Spiegel-online v. 12.09.2014).
47 
In einem Interview (FAZ vom 03.09.2015, S. 10) hat der ungarische Ministerpräsident geäußert, Europa müsse verstehen, dass man nicht aufnehmen könne, wenn man überrannt werde. Deshalb sei der Zaun, den Umgarn baue, wichtig. Er folge aus dem Schengener Abkommen. Das ungarische Volk sei konsultiert worden. Von acht Millionen Wählern hätten eine Million geantwortet. 85 % von ihnen meinten, die Union sei bei der Bewältigung der Einwanderung gescheitert. Europa könne nicht gegen den Willen der Bürger sein. Nur wenn die Grenzen beschützt würden, könnten Fragen gestellt werden nach der Anzahl der Menschen, die Europa aufnehmen wolle oder ob es Quoten geben solle. Die Menschen, die kämen, seien meistens keine Christen, sondern Muslime. Wenn das aus den Augen verloren würde, könne der europäische Gedanke auf dem eigenen Kontinent in die Minderheit geraten. Die erwähnte Umfrage hatte die Mitteleuropa-Vertretung des UNHCR zum Anlass genommen, ihre „zutiefste“ Besorgnis zum Ausdruck zu bringen, dass die ungarische Regierung Flüchtlinge als Gefahr für das Land darstelle (Salzburger Nachrichten v. 08.05.2015 - online), und eine Gegenkampagne gestartet, in deren Rahmen ab dem 01.07.2015 500 Plakate im ganzen Land aufgehängt werden sollten. Eine Sprecherin des UNHCR habe dazu gesagt, die Lage in Ungarn sei eine besondere, weil nicht, wie in kleinen Ländern, kleine Gruppen Fremdenhass schürten, sondern die Regierung; ein positives Zeichen sei, dass die Reaktionen in der ungarischen Öffentlichkeit gespalten seien (euronews v. 17.06.2015). Die ungarische Regierung sieht, wie auch die Errichtung von Grenzzäunen zu Serbien und Kroatien zeigt, die ein- und durchreisenden Flüchtlinge ausdrücklich als Gefahr an (Handelsblatt v. 02.10.2015: Orban: „Das Land ist von einer Flüchtlingsarmee bedroht“). Gemeldet wurde auch, ein Sprecher der Partei Fidesz habe gesagt, das größte Aufnahmelager Debrecen (das Platz für 930 Menschen bietet, aber nur mit derzeit 260 Menschen belegt sei), solle mit Rücksicht auf die Bewohner der Umgebung geschlossen werden; der UNHCR habe das Vorgehen Ungarns gegenüber den Flüchtlingen u.a. deshalb als sehr besorgniserregend bezeichnet (DLF v. 02.10.2015).
48 
Es gibt nur wenige Hilfsorganisationen, welche sich um Schutzsuchende bzw. anerkannte Schutzsuchende kümmern. Über bürgerschaftliche Hilfe wird berichtet. Wie wirksam diese bei der großen Zahl der Schutzsuchenden sein kann, lässt sich nicht einschätzen.
49 
Insbesondere hinsichtlich der jüngsten Änderungen der ungarischen Asylgesetze und sonstiger neuerer Entwicklungen hat die Beklagte in keinem der am 13.10.2015 verhandelten Verfahren substantiiert dargelegt, wie sich die Aufnahmebedingungen und das Asylverfahren rechtlich und tatsächlich in den letzten Monaten entwickelt haben.
50 
Die Kammer konnte auch nicht unmittelbar von dem Verbindungsbeamten des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge bei der ungarischen Asylbehörde Erkenntnisse erhalten. Dieser hat auf eine - außerhalb dieses Verfahrens erfolgte - Anfrage per E-Mail nach den letzten Änderungen im ungarischen Asylrecht mitgeteilt, er könne nicht (mehr) unmittelbar Auskunft erteilen, Auskünfte erteilten die Dublin-Referate des Bundesamts. Der Informationsaustausch der Dublin-Referate des Bundesamts mit den Vertretern des Bundesamts vor den Verwaltungsgerichten scheint allerdings zur Zeit nicht gewährleistet zu sein; denn diese haben sich nicht in der Lage gesehen, aktuelle Erkenntnisse mitzuteilen.
51 
Die Kammer stützt sich daher, was die Entwicklung in den letzten Monaten betrifft, in tatsächlicher Hinsicht in erster Linie auf den Bericht des European Asylum Support Office (EASO) im Anschluss an eine Bereisung vom 16. bis 20.03.2015 sowie auf zahlreiche Internet-Veröffentlichungen des Asylum Information Database of the European Council on Refugees and Exiles etc. sowie insbesondere auf die in der Rechtsprechung des österreichischen Bundesverwaltungsgerichts umfassend wiedergegebenen und laufend aktualisierten Berichte des österreichischen Verbindungsbeamten bei der ungarischen Asylbehörde (vgl. zuletzt öster. BVwG, Urt. v. 24.09.2015 - W 1442114716-1/3 E -, Internet-Seite des österreichischen Bundeskanzleramts, dort Rechtsinformationssystem -RIS-; dort finden sich im Einzelnen insbesondere Ausführungen zum Asylverfahren allgemein (2.), zur Haft (3.), zur Lage von Dublin-Rückkehrern (4.), zu vulnerablen Gruppen (5.), zur Versorgung, insbesondere Unterbringung (7.) und zur Lage von Schutzberechtigten (8.), auf die die Kammer Bezug nimmt).
52 
Danach hat Ungarn im Juli 2015 mit Wirkung ab dem 01.08.2015 das Asylrechtsgesetz in erheblichem Umfang geändert und eine entsprechende Durchführungsverordnung erlassen. Als sicherer Drittstaat wurden u.a. auch die Beitrittskandidaten zur Europäischen Union benannt, also auch Serbien. Zahlreiche Beschleunigungs- und Darlegungspflichten wurden eingeführt bzw. verschärft. 160 ungarische Rechtsanwälte haben daraufhin die neuen Regelungen, darunter auch Behandlung Minderjähriger ab 14 Jahren als Grenzverletzer mit einer Strafdrohung von bis zu drei Jahren, keine zwingende Übersetzung von Anklage und Urteil, als Verstoß gegen Völkerrecht gewertet (spiegel-online v. 03.10.2015: „Ungarn urteilt Flüchtlinge im Schnellverfahren ab“). Für die Inhaftierung von Asylsuchenden gibt es seit dem 01.07.2015 geänderte Bestimmungen. Asylhaft wird insbesondere verhängt, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass der Antragsteller das Asylverfahren verzögern oder sich diesem entziehen wird. Dann bleibt die Haft für die Dauer des gesamten Asylverfahrens aufrecht erhalten. Im Jahr 2014 wurden insgesamt 4.806 Personen in Asylhaft genommen, am häufigsten Asylsuchende aus dem Kosovo und aus Afghanistan (1.038). Im Jahr 2015 gingen die Zahlen möglicherweise zurück. Ab September 2014 wurden wieder Familien mit Kindern in Asylhaft genommen. Mitte März 2015 soll diese Praxis aufgrund eines Berichts des ungarischen Ombudsmanns für Menschenrechte wieder eingestellt worden sein; aktuelle Informationen dazu gibt es nicht.
53 
Für das Vorliegen systembedingter Mängel mit der Folge, dass aktuell jeder Asylbewerber in Ungarn Gefahr liefe, dort menschenrechtswidrig behandelt zu werden, spricht bereits der Umstand, dass seit September 2015 die Bundesrepublik Deutschland wie auch Österreich davon ausgehen, dass Ungarn nicht in der Lage ist, die große Zahl an einreisenden Flüchtlingen nach den unionsrechtlichen Regeln durch ein Asylverfahren zu führen und - bei Erreichen eines Schutzstatus - auch auf Dauer hinreichende Aufnahmebedingungen zur Verfügung zu stellen.
54 
Dem entspricht es, dass eine zunehmende Zahl von Verwaltungsgerichten in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes wie auch in Urteilen aus unterschiedlichen Erwägungen zur Auffassung gelangt, dass Ungarn zur Zeit nicht als zuständiger Staat betrachtet werden darf (u.a. VG Hannover, Beschl. v. 29.07.2015 - 10 B 2196/15 -; VG Düsseldorf, Beschl. v. 21.08.2015 - 8 L 2811/15.A -; VG München, Beschl. v. 21.05.2015 - M 16 S 15.50329 -; VG Köln, Urt. v. 15.07.2015 - 3 K 2005/15.A - und v. 08.09.2015 - 18 K 4584/15.A -; VG Bremen, Urt. v. 30.06.2015 - 3 K 296/15 -; VG Saarland, Beschl. v. 12.08.2015 - 3 L 776/15; VG Münster, Beschl. v. 07.07.2015 - 2 L 858/15.A -, alle juris).
55 
In der Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte ist die Frage nicht geklärt. Wenigen ablehnenden Entscheidungen (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 06.08.2013 - 12 S 675/13 - InfAuslR 2014, 29 OVG Sachs.-Anh., Beschl. v. 31.05.2013 - 4 L 169/12 -, Bayer.VGH, Beschl. v. 12.06.2015 - 13a ZB 15.50097 - juris; alle juris) steht gegenüber, dass etwa das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht die Berufung gegen eine klagabweisende Entscheidung zugelassen hat (Beschl. v. 15.05.2015 - 8 LA 85/15 - a.a.O.).
56 
Zwar hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Jahr 2014 (E. v. 03.07.2014 - Nr. 71932/12 - gestützt auf Stellungnahmen des UNHCR, des Ungarischen Helsinki-Kommitees und des Berichts einer UN-Arbeitsgruppe, die sich mit den Haftbedingungen in Ungarn befasst hat, entschieden, dass im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vom 03.07.2014 mit Blick auf die signifikanten Änderungen der ungarischen Asylgesetze weder die Inhaftierungspraxis noch die Haftbedingungen den dortigen Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit („real risk“) einer menschenrechtswidrigen Behandlung in Ungarn als Asylsuchender aussetzen würde; gleiches gelte für die Gefahr einer Überstellung des Klägers nach Serbien. Auch der Europäische Gerichtshof hatte noch im Jahr 2013 (Urt. v. 10.12.2013 a.a.O.) systemische Mängel im ungarischen Asylsystem verneint.
57 
Demgegenüber haben sich die Verhältnisse aber - auch für sog. Dublin-Rückkehrer - in Folge der sehr stark gestiegenen Zahl der Flüchtlinge und der hierauf erlassenen Gesetzesverschärfungen in Ungarn aber in tatsächlicher wie rechtlicher Hinsicht wesentlich verschlechtert (vgl., insbesondere zur Inhaftierungspraxis, zu den Haftbedingungen und zur gerichtlichen Kontrolle, VG Köln, Urt. v. 30.07.2015 a.a.O.; VG Saarland, Beschl. v. 12.08.2015 a.a.O.; vgl. auch schon VG Berlin, Beschl. v. 23.01.2015 – 23 L 717.14 A – juris; auch VG München, Urt. v. 29.08.2014 - M 24 K 13.31294 -; VG Düsseldorf, Beschl. v. 27.08.2014 - 14 L 1786/14.A - juris). Zudem sieht Ungarn seit dem 01.09.2015 Serbien wieder als sicheren Drittstaat an, wobei noch nicht klar ist, ob und unter welchen Voraussetzungen es tatsächlich zu Überstellungen nach Serbien kommen wird, insbesondere auch von Personen, welche nach den Dublin-Regeln nach Ungarn zurücküberstellt werden und die dort möglicherweise als Folgeantragsteller behandelt würden (vgl. öster. BVwG, Urt. v. 24.09.2015 a.a.O.).
58 
Ob die neuen Vorschriften zur Beschleunigung der Asylverfahren in jeder Hinsicht dem Unionsrecht genügen, ist zumindest sehr zweifelhaft. Das gilt insbesondere für die Frage, ob und in welchen Fällen Dublin-Rückkehrer bei Fortsetzung des Asylverfahrens bzw. in einem Zweitverfahren in ihrem Vorbringen beschränkt sind, ferner auch für die Frage, ob es zulässig ist, dass ein Asylverfahren eingestellt wird, wenn der Antragsteller für die Dauer von 48 Stunden nicht in der Aufnahmeeinrichtung angetroffen werden kann, der er zugewiesen ist (so VG Köln a.a.O.).
59 
Schließlich kann es nicht zu Lasten der Betroffenen ausschlagen, dass es aktuell keine verlässlichen Berichte über die tatsächliche Lage von Asylbewerbern und Inhabern von internationalem Schutz in Ungarn gibt und dass Ungarn selbst gegenüber der Europäischen Kommission nicht berichtet, inwieweit es - unter der augenscheinlichen Überlastung - die Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen entsprechend den unionsrechtlichen Vorgaben bewältigen kann.
60 
Vielmehr muss bei der Beurteilung einer Gefahrenlage für nach Ungarn rücküberstellte Asylbewerber vor allem das oben geschilderte innenpolitische Klima berücksichtigt werden. Indem die Regierung in der öffentlichen Debatte einseitig die Abwehr von Flüchtlingen betont und Ängste in der Bevölkerung schürt, trägt sie erheblich dazu bei, dass bei es der Anwendung der gesetzlichen Regelungen, auch soweit diese dem europäischen Flüchtlingsrecht zweifellos entsprechen, zu Menschenrechtsverletzungen kommen kann.
61 
Insbesondere lässt die ungarische Politik keine hinreichende Bereitschaft erkennen, von Ungarn als schutzbedürftig anerkannten Personen bei der Integration in die Gesellschaft beizustehen. Die dafür geschaffenen Regeln und die dafür bereit gestellten Mittel sind nach der Auskunft des UNHCR offensichtlich unzureichend. So erscheint als nicht gesichert, dass Menschen, die in Ungarn internationalen Schutz erhalten haben, insbesondere auch Dublin-Rückkehrer, in den Genuss der ohnehin deutlich unterfinanzierten gesetzlichen Integrationsangebote kommen können. Für die zuletzt genannte Gruppe dürfte dies schon an den verstrichenen Antragsfristen scheitern. Auch die Bereitstellung von Wohnraum für diesen Personenkreis ist völlig ungewiss. Eine Verweisung in die staatlichen bzw. kommunalen Obdachlosenunterkünfte scheitert an den Kapazitäten und für Familien auch daran, dass dort keine Kinder aufgenommen werden; in zahlreichen Verfahren ist der Kammer von den Klägern überzeugend vorgetragen worden, dass es ihnen nicht gelungen ist, Wohnung und Arbeit zu finden.
62 
Aus diesen Gründen ordnet das österreichische Bundesverwaltungsgericht seit September 2015 in Dublin-Ungarn-Fällen die aufschiebende Wirkung der Klagen regelmäßig an. Von ihm gibt es auch schon stattgebende Hauptsachentscheidungen. Diese sind allerdings - wohl mangels einer Pflicht, Spruchreife selbst herbeizuführen - damit begründet, dass die Veränderung der Sachlage weiterer Aufklärung durch die österreichische Asylbehörde bedarf (vgl. Urt. v. 24.09.2015 a.a.O.).
63 
Der Feststellung von systembedingten Mängeln des ungarischen Asylsystems im oben dargelegten Sinn lässt sich nicht - wie dies die Beklagte tut - entgegen halten, dass weitaus die meisten Schutzsuchenden gar nicht in Ungarn bleiben, sondern, entgegen dem ungarischen Flüchtlingsrecht auf allen möglichen Wegen nach Österreich und von dort insbesondere in die Bundesrepublik Deutschland, aber etwa auch weiter nach Schweden, reisen wollen. Denn der Andrang von Flüchtlingen auch an den ungarischen Grenzen dauert weiter an. Außerdem wäre Ungarn jedenfalls dann, wenn, wie im Fall des Klägers, die anderen Dublin-Staaten auf einer Rücküberstellung dorthin bestehen würden, wiederum mit der Zahl der Antragsteller überfordert.
64 
Soweit in zahlreichen Entscheidungen anderer Verwaltungsgerichte darauf abgehoben wird, dass der UNHCR, anders als bei Griechenland und - eingeschränkt - Bulgarien, aktuell keine generelle Empfehlung ausgesprochen hat, Asylsuchende nicht nach Ungarn zu überstellen, vermag dem die Kammer nicht zu folgen. Der UNHCR selbst hält einer solchen Interpretation entgegen, dass das Fehlen einer solchen generellen Empfehlung keineswegs bedeute, er sei der Auffassung, dass keine solchen einer Überstellung entgegenstehenden Umstände vorlägen oder im Einzelfall vorliegen könnten. Aus seiner Sicht ist es Sache der Behörden und Gerichte, im Einzelfall zu prüfen, ob drohende Verletzungen von Art. 3 EMRK eine Überstellung in einen Mitgliedstaat der Europäischen Union ausschlössen. Der UNHCR weist insoweit auch darauf hin, dass der Supreme Court des Vereinigten Königreichs diese Auffassung ausdrücklich bestätigt habe (vgl. UNHCR an VG Bremen v. 30.09.2014). Auch hat der UNHCR angesichts der jüngsten Entwicklung wiederholt vor einer „weiteren Verschlechterung der Lage“ gewarnt und betont, es sei wichtig, dass die Umsetzung der neuen asyl- und haftrechtlichen Vorschriften gut durchdacht werde, andernfalls „das zu Chaos“ führen würde (heute.de v. 05.10.2015). Im Übrigen bedürfte es gegenwärtig entsprechender Warnungen des UNHCR nicht, weil Überstellungen nach Ungarn wohl seit einigen Monaten gar nicht mehr stattfinden. Das ergibt sich aus Folgendem:
65 
Aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage aus dem Deutschen Bundestag vom 18.08.2015 (BT-Drucksache 18/5785, S. 18 ff., noch mit dem Vermerk "Vorabfassung - wird durch die lektorierte Version ersetzt") ergibt sich, dass das Bundesamt im ersten Quartal 2015 2952 und im zweiten Quartal 2015 3565 Übernahmeersuchen an Ungarn gerichtet hatte. Etwa 80 % der Ersuchen (2.304 bzw. 2.665 akzeptierte Ungarn. Im ersten Quartal 2015 gab es 30 Selbsteintritte oder faktische Überstellungshindernisse in Bezug auf Ungarn, im zweiten Quartal 2015 171. Tatsächlich überstellt wurden nach Ungarn (nach der Dublin-Verordnung) im ersten Quartal 2015 aber nur 42 Personen und im zweiten Quartal 2015 nur 61 Personen, also nur etwa 2 Prozent bezogen auf die Zahl der akzeptierten Übernahmeersuchen. Die Gründe dafür sind nicht bekannt und auch auf Nachfrage vom Bundesamt nicht zu erfahren. Sie dürften einerseits in einer begrenzten Aufnahmebereitschaft Ungarns (Kontingentierung der Aufnahme), andererseits aber auch in der beschränkten Kapazität der zuständigen deutschen Behörden liegen. Ein ähnliches Bild bietet die schweizerische Asylstatistik. Die Schweiz hatte im ersten Halbjahr 2015 407 Ersuchen an Ungarn gestellt, die Ungarn in 333 Fällen akzeptierte; tatsächlich überstellt wurden im gleichen Zeitraum nur 54 Personen, also etwa 16 % der akzeptierten Übernahmeersuchen.
66 
Seit mehreren Monaten finden auf Bitten Ungarns wohl überhaupt keine Rücküberstellungen von Deutschland aus mehr statt (vgl. die Nachweise bei VG Hannover, Beschl. v. 29.07.2015 - 10 B 2196/15 - juris). Nachfragen der Kammer dazu hat das Bundesamt nicht beantwortet.
67 
Auch deshalb ist die angefochtene Abschiebungsanordnung rechtswidrig. Denn § 34a Abs. 1 AsylVfG erfordert, dass die Abschiebung tatsächlich durchgeführt werden kann. Dafür reicht eine Übernahmeerklärung Ungarns aber nicht aus, wenn anschließend seitens des ungarischen Staats keine oder nur eine ganz geringe Bereitschaft und so gut wie keine Kapazität besteht, Erst- und Folgeantragsteller sowie überstellte Schutzsuchende und Inhaber internationalen Schutzes tatsächlich aufzunehmen. Zumindest erscheint es als völlig fernliegend, dass bei einer evtl. Wiederaufnahme von Überstellungen nach Ungarn in einigen Monaten oder einem Jahr ausgerechnet diejenigen Schutzsuchenden zurücküberstellt würden, welche sich nun schon seit mehreren Jahren im Bundesgebiet aufhalten. Dies gilt umso mehr für Schutzsuchende, die in Ungarn oder nach Zurückschiebung nach Serbien bzw. Griechenland Menschenrechtsverletzungen in erheblichem Umfang, insbesondere eine langdauernde Asylhaft, erfahren haben, wenn dies zu erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen geführt hat. Daraus kann sich - wie oben dargelegt - sogar ein Abschiebungsverbot in rechtlicher Hinsicht ergeben (§ 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK).“
68 
Inzwischen sind weitere entsprechende Entscheidungen in Hauptsacheverfahren bekannt geworden (VG München, Urt. v. 26.08.2015 - M 24 K 15.50507 - juris; VG Augsburg, Urt. v. 18.08.2015 - Au 6 K 15.50155 -, beide juris; VG Karlsruhe, Urt. v. 24.09.2015 - A 2 K 168/14 -), die allerdings nicht Schutzsuchende betreffen, welche bereits einen Schutzstatus in Ungarn erlangt hatten.
69 
Aus den oben genannten Gründen ist die Abschiebungsanordnung gegenüber dem Kläger rechtswidrig.
70 
Es erscheint zwar als zweifelhaft, dass er im Zuge einer Überstellung nach Ungarn dort in Haft genommen würde, wenn er seinen von Ungarn ausgestellten Flüchtlingsausweis vorzeigen kann.
71 
Es ist aber, angesichts der oben getroffenen Feststellungen und der der Beklagten anzulastenden Unmöglichkeit, aktuelle Informationen aus Ungarn diesbezüglich zu erhalten, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Ungarn zum jetzigen Zeitpunkt dort in die Obdachlosigkeit fallen, keinen Notschlafplatz finden, keine ausreichende Unterstützung erhalten und auch keine Hilfen bei der Suche nach Wohnung und Arbeit erhalten würde. Dies ist ihm umso weniger zuzumuten, als er - nach seinen Angaben, an deren Richtigkeit die Kammer keinen Grund hat zu zweifeln - bei früheren Aufenthalten in Ungarn nicht nur Solches erfahren hat, sondern dort auch über sechs Monate als Asylsuchender inhaftiert und überdies rechtswidrig nach Griechenland überstellt worden war, wo nach mittlerweile wohl allgemeiner Auffassung damals systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen bestanden.
72 
Rechtswidrig ist die Abschiebungsanordnung auch deshalb, weil die Abschiebung auf unabsehbare Frist nicht ausgeführt werden kann, weil - wie oben ausgeführt - ausgeschlossen erscheint, dass Ungarn gegenwärtig und auf absehbare Zeit Schutzsuchende wieder übernimmt; das gilt auch für Menschen, die wie der Kläger in Ungarn internationalen Schutz gefunden haben.
73 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 2, § 154 Abs. 1 VwGO und § 83b AsylVfG. Der Gegenstandswert folgt aus § 30 RVG.

Gründe

1

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO hat Erfolg. Dem steht die im Beschluss vom 09.06.2015 (9 B 374/15) wegen Verfristung entschiedene Unzulässigkeit des Antrages nach § 80 Abs. 5 VwGO nicht entgegen. Sinn und Zweck einer einstweiligen Regelung im Eilrechtschutzverfahren ist es, Zwischenentscheidungen zu treffen, die es vermeiden, dass während der Dauer des Rechtsstreites in der Hauptsache vollendete Tatschen geschaffen werden. Der dafür notwendige Anordnungsgrund und der Anordnungsanspruch sind gegeben. Die Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) ergibt sich aus der für den 09.09.2015 geplanten Abschiebung des Antragstellers. Ebenso ist ein Anordnungsanspruch gegeben. Denn im anhängigen gerichtlichen Verfahren hat sich eine Änderung der Sach- und Rechtslage ergeben. Nach der neuerlichen Richtlinie des Bundesamtes vom August 2015 werden Dublin-Verfahren syrischer Staatsangehöriger zum gegenwärtigen Zeitpunkt weitestgehend faktisch nicht weiter betrieben. Danach wird auch bei „vollziehbaren Abschiebungsandrohungen“ und „angestoßenen Überstellungen“ das „Dublin-Verfahren abgebrochen“ und das „Selbsteintrittsrecht sofort ausgeübt“ und die „Überstellung storniert“. Warum dies im vorliegenden Fall nicht geschieht, entzieht sich der Kenntnis des Gerichts. In einer E-Mail der Antragsgegnerin an die Prozessbevollmächtigte des Antragstellers heißt es dazu, „dass das Verfahren des von Ihnen vertretenen jungen Syrers so weit vorangeschritten ist, dass die Überstellung durchgeführt wird.“ Dies stellt keine ordnungsgemäße Ermessensausübung bzw. Gleichbehandlung dar, worauf der Antragsteller einen Anspruch hat. Auch wenn es sich bei der „Richtlinie“ bzw. „Leitlinie“ um keine gesetzliche Regelung in Sinne eines formellen Gesetzes handelt, hat sich die Beklagte damit im Sinne einer Verwaltungsvorschrift eine (selbst)bindende Regelung gegeben, die gerade eine gleichmäßige Anwendung und damit eine Vereinfachung der Verfahren garantieren soll.

2

Vom rechtlichen Regelungsgehalt der „Leitlinie“ im Sinne eines einklagbaren Anspruchs abgesehen, hat der Antragsteller einen Anordnungsanspruch aufgrund veränderter Umstände. Zum Zeitpunkt der jetzigen gerichtlichen Entscheidung haben sich die politischen Ereignisse in Ungarn im Zusammenhang mit dem Dublin-Abkommen überschlagen. Wie die Kammer bereits in ständiger Rechtsprechung ausführt, verhält sich Ungarn nicht unionskonform und es ist anzunehmen, dass Ungarn wegen der Inhaftierung von Asylbewerbern und den Mängeln in den Unterbringungen systemische Mängel im Asylsystem aufweist. Zudem hat Ungarn unlängst Verschärfungen des nationalen Asylrechts beschlossen.

3

Unter diesen tatsächlichen Umständen kann es das Gericht nicht verantworten, den Antragsteller im Zeitpunkt dieser, innerhalb weniger Stunden unter den Gegebenheiten einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage zu treffenden, gerichtlichen Eilentscheidung nach Ungarn abzuschieben.

4

Dementsprechend ist dem Antrag des Antragstellers auf vorläufigen Rechtsschutz nachzukommen und zur weiteren Begründung darf auf den Vortrag des Antragstellers verwiesen werden (§ 117 Abs. 5 VwGO analog).

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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83 b Abs. 1 AsylVfG.


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Streitigkeiten nach diesem Gesetz nicht erhoben.

(1) Die Beteiligten können vor dem Verwaltungsgericht den Rechtsstreit selbst führen.

(2) Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen. Darüber hinaus sind als Bevollmächtigte vor dem Verwaltungsgericht vertretungsbefugt nur

1.
Beschäftigte des Beteiligten oder eines mit ihm verbundenen Unternehmens (§ 15 des Aktiengesetzes); Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen,
2.
volljährige Familienangehörige (§ 15 der Abgabenordnung, § 11 des Lebenspartnerschaftsgesetzes), Personen mit Befähigung zum Richteramt und Streitgenossen, wenn die Vertretung nicht im Zusammenhang mit einer entgeltlichen Tätigkeit steht,
3.
Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer, Personen und Vereinigungen im Sinne der §§ 3a und 3c des Steuerberatungsgesetzes im Rahmen ihrer Befugnisse nach § 3a des Steuerberatungsgesetzes, zu beschränkter geschäftsmäßiger Hilfeleistung in Steuersachen nach den §§ 3d und 3e des Steuerberatungsgesetzes berechtigte Personen im Rahmen dieser Befugnisse sowie Gesellschaften im Sinne des § 3 Satz 1 Nummer 2 und 3 des Steuerberatungsgesetzes, die durch Personen im Sinne des § 3 Satz 2 des Steuerberatungsgesetzes handeln, in Abgabenangelegenheiten,
3a.
Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer, Personen und Vereinigungen im Sinne der §§ 3a und 3c des Steuerberatungsgesetzes im Rahmen ihrer Befugnisse nach § 3a des Steuerberatungsgesetzes, zu beschränkter geschäftsmäßiger Hilfeleistung in Steuersachen nach den §§ 3d und 3e des Steuerberatungsgesetzes berechtigte Personen im Rahmen dieser Befugnisse sowie Gesellschaften im Sinne des § 3 Satz 1 Nummer 2 und 3 des Steuerberatungsgesetzes, die durch Personen im Sinne des § 3 Satz 2 des Steuerberatungsgesetzes handeln, in Angelegenheiten finanzieller Hilfeleistungen im Rahmen staatlicher Hilfsprogramme zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie, wenn und soweit diese Hilfsprogramme eine Einbeziehung der Genannten als prüfende Dritte vorsehen,
4.
berufsständische Vereinigungen der Landwirtschaft für ihre Mitglieder,
5.
Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
6.
Vereinigungen, deren satzungsgemäße Aufgaben die gemeinschaftliche Interessenvertretung, die Beratung und Vertretung der Leistungsempfänger nach dem sozialen Entschädigungsrecht oder der behinderten Menschen wesentlich umfassen und die unter Berücksichtigung von Art und Umfang ihrer Tätigkeit sowie ihres Mitgliederkreises die Gewähr für eine sachkundige Prozessvertretung bieten, für ihre Mitglieder in Angelegenheiten der Kriegsopferfürsorge und des Schwerbehindertenrechts sowie der damit im Zusammenhang stehenden Angelegenheiten,
7.
juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in den Nummern 5 und 6 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
Bevollmächtigte, die keine natürlichen Personen sind, handeln durch ihre Organe und mit der Prozessvertretung beauftragten Vertreter.

(3) Das Gericht weist Bevollmächtigte, die nicht nach Maßgabe des Absatzes 2 vertretungsbefugt sind, durch unanfechtbaren Beschluss zurück. Prozesshandlungen eines nicht vertretungsbefugten Bevollmächtigten und Zustellungen oder Mitteilungen an diesen Bevollmächtigten sind bis zu seiner Zurückweisung wirksam. Das Gericht kann den in Absatz 2 Satz 2 Nr. 1 und 2 bezeichneten Bevollmächtigten durch unanfechtbaren Beschluss die weitere Vertretung untersagen, wenn sie nicht in der Lage sind, das Sach- und Streitverhältnis sachgerecht darzustellen.

(4) Vor dem Bundesverwaltungsgericht und dem Oberverwaltungsgericht müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht oder einem Oberverwaltungsgericht eingeleitet wird. Als Bevollmächtigte sind nur die in Absatz 2 Satz 1 bezeichneten Personen zugelassen. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen. Vor dem Bundesverwaltungsgericht sind auch die in Absatz 2 Satz 2 Nr. 5 bezeichneten Organisationen einschließlich der von ihnen gebildeten juristischen Personen gemäß Absatz 2 Satz 2 Nr. 7 als Bevollmächtigte zugelassen, jedoch nur in Angelegenheiten, die Rechtsverhältnisse im Sinne des § 52 Nr. 4 betreffen, in Personalvertretungsangelegenheiten und in Angelegenheiten, die in einem Zusammenhang mit einem gegenwärtigen oder früheren Arbeitsverhältnis von Arbeitnehmern im Sinne des § 5 des Arbeitsgerichtsgesetzes stehen, einschließlich Prüfungsangelegenheiten. Die in Satz 5 genannten Bevollmächtigten müssen durch Personen mit der Befähigung zum Richteramt handeln. Vor dem Oberverwaltungsgericht sind auch die in Absatz 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 bezeichneten Personen und Organisationen als Bevollmächtigte zugelassen. Ein Beteiligter, der nach Maßgabe der Sätze 3, 5 und 7 zur Vertretung berechtigt ist, kann sich selbst vertreten.

(5) Richter dürfen nicht als Bevollmächtigte vor dem Gericht auftreten, dem sie angehören. Ehrenamtliche Richter dürfen, außer in den Fällen des Absatzes 2 Satz 2 Nr. 1, nicht vor einem Spruchkörper auftreten, dem sie angehören. Absatz 3 Satz 1 und 2 gilt entsprechend.

(6) Die Vollmacht ist schriftlich zu den Gerichtsakten einzureichen. Sie kann nachgereicht werden; hierfür kann das Gericht eine Frist bestimmen. Der Mangel der Vollmacht kann in jeder Lage des Verfahrens geltend gemacht werden. Das Gericht hat den Mangel der Vollmacht von Amts wegen zu berücksichtigen, wenn nicht als Bevollmächtigter ein Rechtsanwalt auftritt. Ist ein Bevollmächtigter bestellt, sind die Zustellungen oder Mitteilungen des Gerichts an ihn zu richten.

(7) In der Verhandlung können die Beteiligten mit Beiständen erscheinen. Beistand kann sein, wer in Verfahren, in denen die Beteiligten den Rechtsstreit selbst führen können, als Bevollmächtigter zur Vertretung in der Verhandlung befugt ist. Das Gericht kann andere Personen als Beistand zulassen, wenn dies sachdienlich ist und hierfür nach den Umständen des Einzelfalls ein Bedürfnis besteht. Absatz 3 Satz 1 und 3 und Absatz 5 gelten entsprechend. Das von dem Beistand Vorgetragene gilt als von dem Beteiligten vorgebracht, soweit es nicht von diesem sofort widerrufen oder berichtigt wird.

Ein Urteil ist stets als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen, wenn

1.
das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war,
2.
bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war,
3.
einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war,
4.
ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war, außer wenn er der Prozeßführung ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat,
5.
das Urteil auf eine mündliche Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind, oder
6.
die Entscheidung nicht mit Gründen versehen ist.

(1) Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Prozesskostenhilfe sowie § 569 Abs. 3 Nr. 2 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend. Einem Beteiligten, dem Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, kann auch ein Steuerberater, Steuerbevollmächtigter, Wirtschaftsprüfer oder vereidigter Buchprüfer beigeordnet werden. Die Vergütung richtet sich nach den für den beigeordneten Rechtsanwalt geltenden Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes.

(2) Die Prüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nach den §§ 114 bis 116 der Zivilprozessordnung einschließlich der in § 118 Absatz 2 der Zivilprozessordnung bezeichneten Maßnahmen, der Beurkundung von Vergleichen nach § 118 Absatz 1 Satz 3 der Zivilprozessordnung und der Entscheidungen nach § 118 Absatz 2 Satz 4 der Zivilprozessordnung obliegt dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des jeweiligen Rechtszugs, wenn der Vorsitzende ihm das Verfahren insoweit überträgt. Liegen die Voraussetzungen für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe hiernach nicht vor, erlässt der Urkundsbeamte die den Antrag ablehnende Entscheidung; anderenfalls vermerkt der Urkundsbeamte in den Prozessakten, dass dem Antragsteller nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen Prozesskostenhilfe gewährt werden kann und in welcher Höhe gegebenenfalls Monatsraten oder Beträge aus dem Vermögen zu zahlen sind.

(3) Dem Urkundsbeamten obliegen im Verfahren über die Prozesskostenhilfe ferner die Bestimmung des Zeitpunkts für die Einstellung und eine Wiederaufnahme der Zahlungen nach § 120 Absatz 3 der Zivilprozessordnung sowie die Änderung und die Aufhebung der Bewilligung der Prozesskostenhilfe nach den §§ 120a und 124 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 der Zivilprozessordnung.

(4) Der Vorsitzende kann Aufgaben nach den Absätzen 2 und 3 zu jedem Zeitpunkt an sich ziehen. § 5 Absatz 1 Nummer 1, die §§ 6, 7, 8 Absatz 1 bis 4 und § 9 des Rechtspflegergesetzes gelten entsprechend mit der Maßgabe, dass an die Stelle des Rechtspflegers der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle tritt.

(5) § 87a Absatz 3 gilt entsprechend.

(6) Gegen Entscheidungen des Urkundsbeamten nach den Absätzen 2 und 3 kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe die Entscheidung des Gerichts beantragt werden.

(7) Durch Landesgesetz kann bestimmt werden, dass die Absätze 2 bis 6 für die Gerichte des jeweiligen Landes nicht anzuwenden sind.

(1) Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Für die grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe innerhalb der Europäischen Union gelten ergänzend die §§ 1076 bis 1078.

(2) Mutwillig ist die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung, wenn eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung absehen würde, obwohl eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht.

Entscheidungen in Rechtsstreitigkeiten nach diesem Gesetz können vorbehaltlich des § 133 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung nicht mit der Beschwerde angefochten werden.