vorgehend
Verwaltungsgericht München, M 12 K 14.30500, 15.01.2015

Gericht

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

Tenor

I.

Der Antrag wird abgelehnt.

II.

Der Kläger hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 15. Januar 2015 ist unbegründet, weil die geltend gemachten Voraussetzungen des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG nicht vorliegen.

Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung im Sinn von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG. Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass die im Zulassungsantrag dargelegte konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war, ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und ihr eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 36).

Der Kläger wirft als grundsätzlich klärungsbedürftig die Frage auf, ob das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Ungarn im Hinblick auf die seit 1. Juni 2013 bestehenden Regelungen zur Asylhaft systemische Mängel aufweisen. Zwar habe der Europäische Gerichtshof in seiner Entscheidung vom 10. Dezember 2013 systemische Mängel im Hinblick auf Ungarn verneint. Es gebe aber zwischenzeitlich neue Erkenntnismittel, die systembedingte Mängel belegen würden, nämlich Schreiben des UNHCR vom 9. Mai 2014 und vom 30. September 2014 sowie von Pro Asyl vom 31. Oktober 2014 jeweils an das Verwaltungsgericht Düsseldorf und Berichte von AIDA und des Ungarischen Helsinki Committees vom April bzw. Mai 2014. Auch das Verwaltungsgericht Berlin sowie eine andere Kammer des Verwaltungsgerichts München würden die Auffassung vertreten, die exzessive Anwendung der sog. Asylhaft in Ungarn, die regelmäßig alle Dublin-Rückkehrer betreffe, verstoße gegen Art. 6 GR-Charta und Art. 5 EMRK.

Dieser Vortrag rechtfertigt nicht die Zulassung der Berufung. Mit dem Hinweis auf abweichende Entscheidungen einzelner erstinstanzlicher Verwaltungsgerichte wird bereits kein grundsätzlicher Klärungsbedarf aufgezeigt (OVG NW, B. v. 8. 9. 2014 -13 A 1347/14.A - AuAS 2014, 237 Rn. 21). Abgesehen davon gehen sowohl das Verwaltungsgericht Berlin (B. v. 15.1.2015 - 23 L 899.14 A - Asylmagazin 2015, 80 = juris) wie das Verwaltungsgericht München (B. v. 20.2.2015 - M 24 S 15.50091 - juris) nicht von einem systemischen Verstoß gegen Art. 4 EU-Grundrechtecharta aus, wie in Art. 3 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO), bestimmt ist. Bei beiden erstinstanzlichen Gerichten gilt, dass sie offenbar einen anderen als den in Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 der Dublin III-VO festgelegten Prüfungsmaßstab („Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU-Grundrechtecharta“) zugrunde gelegt haben (vgl. auch OVG SH, B. v. 13.4.2015 - 2 LA 39/15 - juris). Diesen Maßstab hat der Gerichtshof der Europäischen Union bereits für die Dublin II-VO verbindlich festgelegt, indem er ausgeführt hat, dass nicht jede Verletzung eines Grundrechts durch den zuständigen Mitgliedstaat genügt, um die Annahme systemischen Versagens zu tragen (EuGH, U. v. 21.12.2011 - N.S. u. a., C-411/10 u. a. - NVwZ 2012, 417 Rn. 82; vgl. auch BVerwG, B. v. 6.6.2014 - 10 B 35.14 - NVwZ 2014, 1677). Im Übrigen verneint auch der Großteil der nationalen Verwaltungsgerichte systemische Mängel bzw. Schwachstellen des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in Ungarn.

Soweit der Kläger auf die neueren Auskünfte von UNHCR und Pro Asyl verweist ergibt sich hieraus nichts anderes. Das Verwaltungsgericht Düsseldorf, auf dessen Veranlassung diese eingeholt wurden, ist nach Auswertung der Stellungnahmen zu dem Ergebnis gelangt, dass sich nicht feststellen ließe, dass ein Kläger Gefahr liefe, nach seiner Rücküberstellung nach Ungarn einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i. S. v. Art. 4 EU-GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK zu unterfallen (VG Düsseldorf, U. v. 20.3.2015 - 13 K 501/14.A - juris Rn. 50). Die Tatsache, dass das ungarische Asylrecht Inhaftierungsgründe für Asylbewerber enthalte und Ungarn auf dieser Grundlage Dublin-Rückkehr inhaftiere, sei für sich genommen noch kein begründeter Anhaltspunkt für das Vorliegen systemischer Mängel des Asylsystems (VG Düsseldorf a. a. O. Rn. 81). Auch der Kläger zeigt nicht weiter auf, welche Verstöße gegen Art. 4 EU-GR-Charta sich aus den neueren Erkenntnismitteln ergeben sollen.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ist ebenfalls zu der Einschätzung gelangt, dass zum maßgeblichen Zeitpunkt seiner Entscheidung ein Asylsuchender nicht mehr einer tatsächlichen und persönlichen Gefahr unterliege, bei einer Überstellung nach Ungarn im Rahmen der Dublin-VO einer Behandlung ausgesetzt zu werden, die Art. 3 EMRK verletzen würde (U. v. 6.6.2013 - Mohammed ./. Österreich, Nr. 2283/12 - InfAuslR 2014, 197, und U. v. 3.7.2014 - Mohammadi ./. Österreich, Nr. 71932/12 - NLMR - Newsletter Menschenrechte - 2014, 282). In dem Urteil vom 3. Juli 2014 hält der EGMR an seiner Bewertung im Urteil vom 6. Juni 2013 fest. Seither seien keine neuen Umstände bekannt geworden, die nunmehr zu dem Schluss führen könnten, dass das ungarische Asyl- und Asylhaftsystem systemische Mängel aufweise und für den Antragsteller die reale Gefahr einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung bestehe (Rn. 74 f.). Zwar zeigten Länderberichte, dass es noch eine Praxis der Inhaftierung von Asylbewerbern gebe und auch Dublin-Rückkehrer davon betroffen wären. Auch seien die Haftgründe vage formuliert und es gebe kein Rechtsmittel gegen Asylhaft. Aus den Berichten würde sich allerdings auch ergeben, dass es keine systematische Inhaftierung von Asylsuchenden mehr gebe und jetzt im Gesetz Alternativen zur Haft vorgesehen seien. Die Höchstdauer des Gewahrsams sei auf sechs Monate beschränkt. Hinsichtlich der Haftbedingungen sei anzumerken, dass es zwar immer noch Berichte über Mängel gebe, in einer Gesamtschau aber von Verbesserungen auszugehen sei (Rn. 68). Erneut weist der Gerichtshof darauf hin, dass sich auch der UNHCR bisher nicht generell gegen Rücküberstellungen nach Ungarn ausgesprochen habe (Rn. 69). Zudem verweist er in seiner Entscheidung im Übrigen ausdrücklich auf die Stellungnahmen von AIDA und dem Ungarischen Helsinki Committee (Rn. 33 ff.).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylVfG.

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Verwaltungsgericht München Beschluss, 20. Feb. 2015 - M 24 S 15.50091

bei uns veröffentlicht am 20.02.2015

Tenor I. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung vom 16. Januar 2015 wird angeordnet. II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gründe I.

Schleswig Holsteinisches Oberverwaltungsgericht Beschluss, 13. Apr. 2015 - 2 LA 39/15

bei uns veröffentlicht am 13.04.2015

Tenor Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 5. Kammer, Einzelrichter - vom 18. Februar 2015 wird abgelehnt. Der Kläger trägt die Kosten des Antragsverfahrens. G

Verwaltungsgericht Düsseldorf Urteil, 20. März 2015 - 13 K 501/14.A

bei uns veröffentlicht am 20.03.2015

Tenor Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sich

Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Beschluss, 08. Sept. 2014 - 13 A 1347/14.A

bei uns veröffentlicht am 08.09.2014

Tenor Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 23. Mai 2014 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
93 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 12. Juni 2015 - 13a ZB 15.50097.

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 07. März 2016 - 20 ZB 16.50009

bei uns veröffentlicht am 07.03.2016

Tenor I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird verworfen II. Die Klägerin hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben III. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskosten

Verwaltungsgericht Ansbach Beschluss, 21. Juni 2016 - AN 3 S 16.50196

bei uns veröffentlicht am 21.06.2016

Tenor 1. Die Anträge werden abgelehnt. 2. Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben. 3. Der Gegenstandswert beträgt 3.000,00 EUR. Gründe I. Die Antrag

Verwaltungsgericht München Urteil, 16. Aug. 2016 - M 12 K 16.50464

bei uns veröffentlicht am 16.08.2016

Tenor I. Die Klage wird abgewiesen. II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegu

Verwaltungsgericht Ansbach Beschluss, 08. Juni 2016 - AN 3 S 16.50175

bei uns veröffentlicht am 08.06.2016

Tenor 1. Die Anträge werden abgelehnt. 2. Die Antragsteller haben die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben. 3. Der Gegenstandswert beträgt 3.500,00 EUR. Gründe I. D

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Tenor

Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 23. Mai 2014 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.


G r ü n d e :

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Tenor

I.

Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung vom 16. Januar 2015 wird angeordnet.

II.

Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.

Streitgegenständlich ist ein Bescheid der Antragsgegnerin mit dem der Asylerstantrag des Antragstellers wegen vorrangiger Zuständigkeit Ungarns nach der Verordnung 604/2013/EU (Dublin-III-VO) als unzulässig abgelehnt und die Abschiebung nach Ungarn angeordnet worden ist.

Der Antragsteller ist nach seinen Angaben nigerianischer Staatsangehöriger. Nach seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland stellte er am 5. September 2014 einen Asylantrag.

Zur Niederschrift über das persönliche Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates zur Durchführung des Asylverfahrens am 5. September 2014 hat der Antragsteller in Anwesenheit eines Sprachmittler für die englische Sprache, mit dem sich der Antragsteller nach eigenen Angaben verständigen konnte, angegeben, dass sein Reiseweg von Nigeria im Februar 2008 über die Türkei (1 Monat), Griechenland (6 Jahre), Mazedonien, Serbien, Ungarn, Österreich nach Deutschland führte. In Griechenland (2008) und in Ungarn (Frühjahr 2014) seien ihm Fingerabdrücke abgenommen worden; er habe in Griechenland im Jahr 2008 einen Asylantrag gestellt. Er sei nicht verheiratet und habe keine Kinder. Der Antragsteller gab an, in Griechenland sei er bedroht worden, weshalb er sich entschieden habe, das Land zu verlassen (Bl. 1ff. der Behördenakte -BA).

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) erhielt am 19. September 2014 zum Antragsteller Treffer in der Eurodac Datenbank für Ungarn und Griechenland. Das BAMF richtete am 17. Oktober 2014 ein Wiederaufnahmeersuchen zur Durchführung des Asylverfahrens für den Antragsteller unter Angabe der Eurodac-Nummer an Ungarn (Bl. 41ff. BA). Mit Schreiben vom 28. Oktober 2014, beim BAMF eingegangen am 29. Oktober 2014, akzeptierte das ungarische „Office of Immigration and Nationality“ die Rücküberführung des Antragsteller nach Ungarn und teilte unter anderem mit, der Antragsteller habe in Ungarn am 23. Juli 2014 um Asyl nachgesucht, sei aber nicht dort geblieben, weswegen das Asylverfahren eingestellt worden sei (Bl. 49 ff. BA).

Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 16. Januar 2015 (Bl. 58 f. BA), an den Bevollmächtigten des Antragstellers zur Post gegeben am 20. Januar 2015, lehnte das BAMF den Asylantrag als unzulässig ab (Nr. 1) und ordnete die Abschiebung nach Ungarn an (Nr. 2).

Mit Schriftsatz vom 28. Januar 2015, eingegangen beim Verwaltungsgericht München am 28. Januar 2015, erhob der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten Klage gegen den Bescheid des BAMF vom 16. Januar 2015 (Az. M 24 K 15.50090) mit dem Antrag, den Bescheid vom 16. Januar 2015 aufzuheben.

Zugleich beantragte der Bevollmächtigte des Antragstellers,

die aufschiebende Wirkung der Klage hinsichtlich der Abschiebungsanordnung nach Ungarn anzuordnen.

In der Klage- und Antragsbegründung führt der Bevollmächtigte des Antragstellers aus, der Antragsteller habe in Ungarn keinen Asylantrag gestellt. Dieser habe unter Androhung schwerer Misshandlungen durch die Polizei Fingerabdrücke abgegeben.

Der Antragsteller habe bei Rückkehr nach Ungarn Angst um sein Leben. In rechtlicher Hinsicht wurde ausgeführt, das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Ungarn wiesen systemische Mängel auf.

Mit Schreiben vom 23. Januar 2015 legte die Antragsgegnerin die Verwaltungsakte vor.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die parallelen Gerichtsakten M 24 K 15.50090 und M 24 S 15.50091 sowie auf die vom BAMF vorgelegte Verwaltungsakte Bezug genommen.

II.

Der zulässige Antrag hat in der Sache Erfolg.

1. Das Verwaltungsgericht München ist als Gericht der Hauptsache insbesondere örtlich zuständig gemäß § 52 Nr. 2 Satz 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), weil der Antragsteller im maßgeblichen Zeitpunkt der Klageerhebung seinen Aufenthalt im Gerichtsbezirk zu nehmen hatte (§ 83 VwGO i. V. m. § 17 Abs. 1 Gerichtsverfassungsgesetz - GVG - i. V. m. §§ 56 Abs. 1 Satz 2, 14 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG).

Im vorliegenden Eilverfahren ist die Berichterstatterin kraft Gesetzes Einzelrichterin (§ 76 Abs. 4 AsylVfG).

2. Der Antrag ist gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 75 Satz 1 AsylVfG) zulässig, insbesondere fristgerecht innerhalb 1 Woche ab Bekanntgabe (§ 34a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG, § 4 Abs. 2 Satz 2 VwZG), gestellt worden.

3. Der Antrag ist begründet, weil die Erfolgsaussichten offen sind und die deshalb gebotene eigene gerichtliche Abwägung von Vollzugs- und Suspensivinteresse unter Berücksichtigung neuester Erkenntnismittel zugunsten des Antragstellers ausfällt.

Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage im Fall eines gesetzlichen Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 75 AsylVfG) ganz oder teilweise anordnen. Hierbei hat das Gericht selbst abzuwägen, ob die Interessen, die für einen gesetzlich angeordneten sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts streiten oder die, die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung sprechen, höher zu bewerten sind. Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache als wesentliches, aber nicht als alleiniges Indiz zu berücksichtigen (beispielsweise BVerwG B. v. 25.3.1993 - 1 ER 301/92 - NJW 1993, 3213, juris Rn. 3). Wird der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nur möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung voraussichtlich erfolgreich sein, weil er zulässig und begründet ist, so wird im Regelfall nur die Anordnung der aufschiebenden Wirkung in Betracht kommen. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtmäßig, besteht ein öffentliches Interesse an seiner sofortigen Vollziehung und der Antrag bleibt voraussichtlich erfolglos. Sind die Erfolgsaussichten bei summarischer Prüfung als offen zu beurteilen, findet eine eigene gerichtliche Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt.

Gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylVfG kommt es für den vorliegenden Beschluss im Eilverfahren, der ohne mündliche Verhandlung ergeht, maßgeblich auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung an.

4. Die in der Hauptsache erhobene Anfechtungsklage wird voraussichtlich erfolgreich sein. Sie ist zulässig, insbesondere innerhalb der 2-Wochen-Frist des § 74 Abs. 1 Halbs. 1 AsylVfG erhoben worden.

5. Nach summarischer Prüfung ist die Anfechtungsklage voraussichtlich auch begründet im Hinblick auf systemische Mängel des ungarischen Asylsystems.

5.1. Rechtsgrundlage der streitgegenständlichen Ablehnung des Asylantrags als unzulässig ist § 27a AsylVfG; Rechtsgrundlage der streitgegenständlichen Abschiebungsanordnung ist § 34a Abs. 1 AsylVfG.

Der Asylantrag wäre dabei gemäß § 27a AsylVfG unzulässig, wenn Ungarn aufgrund des bereits dort vom Antragsteller gestellten Asylantrags gemäß den Zuständigkeitskriterien Dublin-III-VO für die Behandlung des Asylantrags zuständig wäre oder wenn dies auf einen anderen Mitgliedstaat zutrifft, der nach den Zuständigkeitsregelungen der Dublin-III-VO vorrangig zuständig ist (OVG NRW U. v. 7.3.2014 - 1 A 21/12.A - juris Rn. 31 m. w. N.).

Einschlägig ist dabei im vorliegenden Fall die Dublin-III-VO und nicht die frühere Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (Dublin-II-VO), weil das Wiederaufnahmegesuch der Bundesrepublik Deutschland an Ungarn nach dem 1. Januar 2014 gestellt wurde. Gemäß Art. 49 Abs. 2 Satz 1 Alternative 2 Dublin-III-VO ist die Dublin-III-VO ungeachtet des Zeitpunkts der Stellung des Antrags auf internationalen Schutz ab dem 1. Januar 2014 auf alle Gesuche um Aufnahme oder Wiederaufnahme von Antragstellern anwendbar.

5.2. Nach den Zuständigkeitsregelungen der Dublin-III-VO wäre an sich Ungarn der für die Prüfung des Asylantrags zuständige Mitgliedstaat.

Dabei kann sich die Zuständigkeit eines Mitgliedstaates nicht nur aus den materiellen Zuständigkeitskriterien (Art. 3 und 7 - 16) der Dublin-III-VO ergeben, sondern auch aus dem Selbsteintritt eines Mitgliedstaates gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO; ein solcher Selbsteintritt bewirkt abweichend von den materiellen Zuständigkeitskriterien konstitutiv eine eigene Zuständigkeit des jeweils erklärenden Mitgliedstaates (vgl. Art. 17 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin-III-VO). Für eine Selbsteintrittserklärung ist vorliegend nichts ersichtlich.

Vorliegend haben die ungarischen Behörden (Office of Immigration and Nationality) die Wiederaufnahme des Antragsteller nach der Dublin-III-VO erklärt. Ungarn wäre damit wiederaufnahmepflichtig geworden (Art. 18 Abs. 1, 23, 25 Dublin-III-VO), wobei sich auch aus Art. 13 und Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 1 Dublin-III-VO vorliegend nichts anderes ergäbe. Insbesondere kommt eine vorrangige Zuständigkeit Griechenlands aufgrund Art. 13 Dublin-III-VO gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO aufgrund der dort bestehenden systemischen Mängel des Asylsystems nicht in Betracht (vgl. EuGH (Große Kammer) U. v. 14.11.2014 - C-4/11 - NVwZ 2014, 129; EGMR Entsch. v. 6.9.2011 - 51599/08 - NVwZ 2012, 1233; EGMR (Große Kammer) U. v. 21.1.2011 - 30696/09 - NVwZ 2011, 413). Dabei ist zu sehen, dass nach der aktuellen Pressemitteilung des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) vom 30. Januar 2015 (im Internet abrufbar unter: http://www.unhcr.de/presse/nachrichten.html) das Asylsystem in Griechenland trotz einer zwischenzeitlichen Reform nach wie vor mangelhaft ist. Unverändert kommt deshalb eine vorrangige Zuständigkeit Griechenlands vor Ungarn im Rahmen des Dublin-Systems nicht in Betracht.

5.3. Auch ist kein Verfahrensfehler im Hinblick auf das Wiederaufnahmegesuch des BAMF ersichtlich (vgl. Art. 20 - 23, 25 und 29 Dublin-III-VO).

5.4. In Fällen wie dem vorliegenden, in denen der somit an sich zuständige Mitgliedstaat der Wiederaufnahme (vorliegend Ungarn) in verfahrensfehlerfreier Weise zugestimmt hat, kann der Asylbewerber der Heranziehung der von der Dublin-III-VO vorgesehenen Zuständigkeitskriterien damit entgegentreten, dass er systematische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im Aufnahmemitgliedstaat geltend macht, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i. S. v. Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) ausgesetzt zu werden (Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO; vgl. EuGH (Große Kammer) U. v. 14.11.2013 - C-4/11 - Rn. 36 f., NVwZ 2014, 129). Wird dies bejaht, hat der Mitgliedstaat in erster Linie die Prüfung der Zuständigkeitskriterien der Dublin-III-VO fortzusetzen, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat nach einem dieser Kriterien bestimmt werden kann (vgl. EuGH v. 14.11.2013, a. a. O., Rn. 36). Hingegen führt die Unmöglichkeit der Überstellung in den im Ausgangspunkt zuständigen Mitgliedstaat als solche nicht dazu, dass der den zuständigen Mitgliedstaat bestimmende Mitgliedstaat zum Selbsteintritt (Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO) verpflichtet wäre (vgl. EuGH v. 14.11.2013, a. a. O., Rn. 37). Dieser bereits für die Dublin-II-VO entwickelte Zusammenhang ist in Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO nunmehr ausdrücklich festgehalten. Bei der Prüfung der Frage systemischer Schwachstellen handelt es sich somit um die Subsumtion der unmittelbar anwendbaren Dublin-III-VO selbst, nicht um eine Frage einer teleologischen Reduktion oder gar einer inzidenten Verwerfung der Dublin-III-VO.

5.5. Im maßgeblichen Zeitpunkt der vorliegenden Eilentscheidung ist davon auszugehen, dass das ungarische Asylsystem systemische Schwachstellen aufweist.

5.5.1. Maßgeblich ist gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylVfG die Lage im Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung. Deshalb kommt es weder auf den vom April 2012 stammenden Bericht des UNHCR „Ungarn als Asylland - Bericht zur Situation für Asylsuchende und Flüchtlinge in Ungarn“ in seiner deutschsprachigen Fassung vom 15. Juni 2012 (zitiert nach www.bordermonitoring.eu/tag/ungarn-2 unter „Neue Berichte“ 17. Punkt, nachfolgend: UNHCR-Bericht April 2012) noch auf die vom UNHCR im Oktober 2012 ausgesprochene Empfehlung, nach den Dublin-II-Bestimmungen keine Asylbewerber nach Ungarn zu überstellen, wenn diese vor ihrer Ankunft in Ungarn durch Serbien gekommen waren (zitiert nach www.bordermonitoring.eu/tag/ungarn-2 unter „Neue Berichte“ 11. Punkt, nachfolgend: UNHCR-Bericht Oktober 2012) entscheidend an. Denn abgesehen davon, dass der UNHCR die Empfehlung vom Oktober 2012 bereits ab Dezember 2012 so nicht mehr aufrecht erhalten hat (vgl. UNHCR „Note on Dublin transfers to Hungary of people who have transited through Serbia - update“, December 2012, S. 1: „UNHCR acknowledges the subsequent progress in asylum practice in Hungary, and accordingly amends its previous position“, zitiert nach http://www.refworld.org/country,,,,HUN,,50d1d13e2,0.html, nachfolgend UNHCR-Bericht vom Dezember 2012), hat es auch nach den vom UNHCR im Dezember 2012 positiv gesehenen Verbesserungen weitere ungarische Reformen gegeben, die ab Juli 2013 in Kraft getreten sind und zum 1. Januar 2014 weiter fortgeschrieben wurden. Diese, ab Juli 2013 eingeführten und im Januar 2014 fortgeschriebenen, Regelungen stehen für das Gericht im Vordergrund.

5.5.2. Vor diesem Hintergrund ist aufgrund der aktuellen Erkenntnislage beim ungarischen Asylsystem derzeit von systemischen Mängeln i. S. v. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO auszugehen.

5.5.2.1. Zwar hat gerade für Ungarn die Große Kammer des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) bereits in einem Zeitpunkt nach dem Inkrafttreten der ungarischen Asylrechtsänderungen zum 1. Juli 2013 systemische Mängel verneint (EuGH (Große Kammer) U. v. 10.12.2013 - C-394/12 - Rn. 60 und 61, NVwZ 2014, 208).

5.5.2.2. Allerdings sind zwischenzeitlich neue Erkenntnismittel verfasst und veröffentlicht worden, die dem EuGH bei seiner Entscheidung vom 10. Dezember 2013 noch nicht bekannt sein konnten, weil sie damals noch nicht existierten. Eine tragfähige Grundlage für die Annahme eines möglicherweise als systemisch zu bewertenden Mangels durch eine ungerechtfertigte Freiheitsentziehung kann dabei gegeben sein, wenn kompetente Stellen wie etwa der UNHCR und das EASO (Europäisches Unterstützungsbüro für Asylfragen, errichtet durch die Verordnung (EU) Nr. 439/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates, ABl. L 132 v. 29.5.2010, S. 11) einen solchen Mangel feststellen (vgl. VG Hamburg B. v. 10.2.2014 - 19 AE 5415/13 - juris Rn. 24 - 32 und ihm folgend VG München B. v. 22.4.2014 - M 24 S 13.31311 - juris). An entsprechenden Stellungnahmen fehlte es zwar noch zur Zeit der soeben genannten Judikate; zwischenzeitlich sind aber weitere aktuelle Erkenntnismittel veröffentlicht worden, nämlich:

- Schreiben des UNHCR vom 9. Mai 2014 an das VG Düsseldorf im Verfahren 13 L 172/14.A (abrufbar in der öffentlich zugänglichen Datenbank MILO des BAMF);

- Bericht des HHC (Hungarian Helsinki Committee) zur Asylhaft und zu den Dublin-Verfahren in Ungarn (Stand: Mai 2014; ebenfalls abrufbar in MILO);

- Ungarn-Länder-Bericht des AIDA (Asylum Information Database), der ebenfalls vom HHC geschrieben und vom European Council on Refugees and Exiles (EDRE) veröffentlicht worden ist (Stand: 30.4.2014; abrufbar unter:

http://www.asylumineurope.org/reports/country/hungary).

- Schreiben des UNHCR vom 30. September 2014 an das VG Düsseldorf im Verfahren 13 K 501/14.A (einsehbar in der Asyldokumentation des VG München);

- Schreiben von PRO ASYL vom 31. Oktober 2014 an das VG Düsseldorf im Verfahren 13 K 501/14.A (abrufbar in MILO);

- Schreiben des Auswärtigen Amtes vom 19. November 2014 an das VG Düsseldorf im Verfahren 13 K 501/14.A (abrufbar in MILO);

- Schreiben des Auswärtigen Amtes vom 19. November 2014 an das VG München im Verfahren M 10 K 14.50126 (einsehbar in der Asyldokumentation des VG München);

- Report des Beauftragten des Europarats für Menschenrechte vom 16. Dezember 2014 (dort Rn. 148-166; abrufbar unter:

https://wcd.coe.int/ViewDoc.jsp?Ref=CommDH(2014)21&Language=lanEnglish ).

Diesen Veröffentlichungen lassen sich insbesondere zur Inhaftierungspraxis Ungarns im Zusammenhang mit Asylfällen diverse Kritikpunkte entnehmen, angesichts derer systemische Mängel im Hinblick auf das von Art. 6 GR-Charta gewährleistete Recht auf Freiheit anzunehmen sind, wenn auch derzeit nicht von einem Verstoß gegen Art. 4 GRCh, Art. 3 EMRK auszugehen ist. Das Gericht schließt sich insoweit folgenden Ausführungen im Beschluss des VG Berlin vom 15. Januar 2015, Az. 23 L 899.14 A (juris Rn. 7-11), an:

7. Hiernach lässt sich nicht feststellen, dass dem Antragsteller bei einer Überstellung nach Ungarn die Gefahr einer erniedrigenden und unmenschlichen Behandlung im Sinne des Art. 4 EU-GR-Charta und Art. 3 EMRK droht. Beide Vorschriften verbieten eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung. Die Misshandlung setzt ein Mindestmaß an Schwere voraus, welches von den Umständen des Einzelfalls abhängt, wie der Dauer der Behandlung und ihren physischen und psychischen Wirkungen sowie der Person des Betroffenen. Erniedrigend ist eine Behandlung, wenn sie eine Person demütigt, es an Achtung für ihre Menschenwürde fehlen lässt oder sie herabsetzt oder in ihr Gefühle der Angst, Beklemmung oder Unterlegenheit weckt, geeignet, den moralischen oder körperlichen Widerstand zu brechen (EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 - 30696/09, M.S.S./Belgien und Griechenland, Rn. 220 mw.N.). Die Inhaftierung einer Person begründet als solche keine Verletzung des Art. 3 EMRK (EGMR, Urteil vom 15. Juli 2002 - 47095/99, Kalaschnikow/Russland, Rn. 95; zur Prüfung allein der Haftbedingungen am Maßstab des Art. 3 EMRK siehe etwa EGMR, Urteil vom 30. April 2013 - 49872, Timoschenko/Ukraine; vgl. auch BGH, Urteil vom 4. Juli 2013 - III ZR 342/12 -, Rn. 32, juris). Art. 3 EMRK verpflichtet die Staaten allerdings, sich zu vergewissern, dass die Bedingungen der Haft mit der Achtung der Menschenwürde vereinbar sind und dass Art und Methode des Vollzugs der Maßnahme den Gefangenen nicht Leid oder Härten unterwirft, die das mit einer Haft unvermeidbar verbundene Maß an Leiden übersteigt, und dass seine Gesundheit und sein Wohlbefinden unter Berücksichtigung der praktischen Bedürfnisse der Haft angemessen sichergestellt sind (EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 - 30696/09 -, M.S.S./Belgien und Griechenland, NVwZ 2011, 413, Rn. 221). Der EGMR nimmt in seiner Rechtsprechung regelmäßig eine Würdigung der Haftbedingungen in ihrer Gesamtheit vor. Zu den hierbei zu berücksichtigenden Umständen zählen die räumliche Unterbringung, eine mögliche Überbelegung, die Möglichkeit, den Raum zeitweise verlassen zu können, Kontaktmöglichkeiten zu Angehörigen, eine hinreichende Ernährung, die hygienischen Verhältnisse, das Vorhanden sanitärer Einrichtungen und eine angemessene Versorgung bei Erkrankungen (vgl. Sinner, in: Karpenstein/Mayer, EMRK, 2012, Art. 3, Rn. 12; Meyer-Ladewig, EMRK, 3. Aufl. 2011, Art. 5, Rn. 10 ff.). Ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK kann auch bei Sicherheitsvorkehrungen vorliegen, die über das erforderliche Maß hinausgehen und geeignet sind, den Betroffenen öffentlich in erniedrigender Weise vorzuführen (EGMR, Urteil vom 31. Mai 2011 - 5829/04, Chodorkowskij/Russland). Ausnahmsweise kann auch der Freiheitsentzug als solcher eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen, wenn der Häftling über einen längeren Zeitraum über seine Zukunft, vor allem über die Dauer seiner Inhaftierung, im Ungewissen gelassen wird oder wenn einem Häftling jede Aussicht auf eine Entlassung genommen wird (EGMR, Urteil vom 13. Januar 2011 - 6587/04, Rn. 107 m. w. N., Urteil vom 8. Juli 2004 - 48787/99, Ilascu/Moldau und Russland, Rn. 434 ff.).

8. Gemessen hieran erlauben die nunmehr erstmals vorliegenden Erkenntnisse zur tatsächlichen Anwendungspraxis der gesetzlichen Neuregelung der Asylhaft in Ungarn, welche als solche von der Kammer bisher nicht als ausreichender Beleg für ein systemisches Versagen angesehen wurden (vgl. zuletzt Beschluss vom 17. September 2014 - VG 23 L 467.14 A -; vgl. VG Berlin, Beschluss vom 7. Juli 2014 - VG 9 L 151.14 A -; Beschluss vom 30. Juli 2014 - VG 34 L 95.14 A -; s. a. EGMR, Urteil vom 3. Juli 2014 - 71932/12, Mohammadi/Österreich; VG Würzburg, Beschluss vom 11. Dezember 2014 - W 1 S 14.50043 -, juris, welches die jüngsten Erkenntnisse zur Inhaftierungspraxis allerdings noch unberücksichtigt lässt), nicht die Feststellung unmenschlicher und erniedrigender Haftbedingungen. Das zum 1. Juli 2013 in Kraft getretene ungarische Asylgesetz (Gesetz LXXX aus dem Jahr 2007, in deutscher Übersetzung zitiert in der Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Düsseldorf vom 19. November 2014 [im Folgenden: Auswärtiges Amt], S. 2) regelt die sogenannte Asylhaft. Die in Art. 31/A Abs. 1 des Gesetzes geregelten Haftgründe (Identitätsfeststellung, Entziehung oder Behinderung des Asylverfahrens, Fluchtgefahr, Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung, unterlassene Mitwirkung bei Vorladung) stimmen mit den in Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie 2013/33/EU vom 26. Juni 2013 (Neufassung der EU-Aufnahmerichtlinie) geregelten Haftgründen überwiegend überein. Die ungarische Gesetzesregelung stellt daher als solche keine Verletzung des Unionsrechts dar und belegt keine systemischen Mängel im Sinne des Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin III-VO. Die tatsächliche Anwendungspraxis war bisher allerdings nicht ausreichend dokumentiert. Nach den jüngsten Erkenntnissen wird der Antragsteller bei einer Überstellung wie regelmäßig nahezu alle Dublin-Rückkehrer aller Voraussicht nach inhaftiert werden (Auskünfte an das VG Düsseldorf des UNHCR vom 30. September 2014 [im Folgenden: UNHCR], S. 2, und von Pro Asyl vom 31. Oktober 2014 [im Folgenden: Pro Asyl], S. 2). Die Kammer kann auch nicht feststellen, dass der Antragsteller als syrischer Staatsangehöriger von einer Inhaftierung ausgenommen wäre, weil er aus einem sogenannten anerkennungsträchtigen Herkunftsstaat kommt. Denn die dahingehende Mitteilung der Liaisonbeamtin des Bundesamtes in Ungarn vom September 2013 (zitiert bei VG Düsseldorf, Beschluss vom 2. September 2014 - 6 L 1235/14.-A -, Rn. 70, juris) deckt sich nicht mit der aktuellen Erfahrung des UNHCR, in den Hafteinrichtungen auch Staatsangehörige anerkennungsträchtiger Staaten, darunter auch Syrer, angetroffen zu haben (UNHCR, S. 6). Überdies dürfte die der mitgeteilten Praxis wohl zugrundeliegende Annahme, dass Antragsteller, die eine begründete Aussicht auf eine Zuerkennung internationalen Schutzes haben, ein gesteigertes Interesse haben, am Asylverfahren mitzuwirken, auf Dublin-Rückkehrer gerade nicht zutreffen. Als Dublin-Rückkehrer, dessen Asylverfahren nach seiner Ausreise aus Ungarn ohne Sachentscheidung eingestellt wurde (Blatt 33 Verwaltungsvorgang), wird der Antragsteller in Ungarn nicht als Folge-, sondern Erstantragsteller behandelt (Auswärtiges Amt, S. 6; vgl. auch die Entscheidung des österreichischen Bundesverwaltungsgerichts vom 9. Juli 2014 - W 185 2006247-1) und damit in der sogenannten Asylhaft untergebracht werden (UNHCR, a. a. O., Seite 2). Zwar existieren in einzelnen Haftanstalten hygienisch problematische Bedingungen; es fehlt an einer ausreichenden Ausstattung mit Waschräumen und Duschen oder wird der Nährwert der Mahlzeiten nicht überwacht (Pro Asyl, S. 4 f.; UNHCR, S. 3). Die Mindestanforderungen werden allerdings bei summarischer Prüfung grundsätzlich gewahrt (kritisch allerdings VG Düsseldorf, Beschluss vom 28. Mai 2014 - 13 L 172.14 A -, juris). So können sich die Inhaftierten tagsüber frei bewegen und erhalten regelmäßig etwas zu essen, gibt es keine Überbelegungen und ist jedenfalls eine ärztliche Grundversorgung sichergestellt (Auswärtiges Amt, S. 3 f.; Pro Asyl, S. 5; UNHCR, S. 3). Regelhafte Funktionsstörungen von erheblichem Gewicht lassen sich damit nicht feststellen. Die Feststellung, dass die Inhaftierten in Handschellen und an einer Leine zu Auswärtsterminen bei der Behörde, dem Gericht oder einem Arzt geführt werden (Pro Asyl, S. 5; UNHCR, S. 3), stellt für sich genommen keine erniedrigende Behandlung dar, da dies in Ungarn auch für Strafgefangene üblich ist und nicht erkennbar ist, dass diese Vorgehensweise als Instrument eingesetzt wird, um den Betroffenen zur Schau zu stellen. Schließlich werden die Asylantragsteller auch nicht unbefristet und ohne Aussicht auf Entlassung inhaftiert. Die maximale Haftdauer beträgt sechs Monate (Auswärtiges Amt, S. 2; Pro Asyl, S. 2).

9. Dem Antragsteller droht jedoch die systemtische Verletzung seines Rechts auf Freiheit aus Art. 6 EU-GR-Charta. Auch wenn Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin III-VO hierauf nicht ausdrücklich Bezug nimmt, ist ein erweiterndes Verständnis dahingehend, dass auch sonstige Unionsgrundrechte Beachtung finden müssen, unumgänglich. Denn die Vorschrift kodifiziert die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, wonach es sich bei der Entscheidung des Mitgliedstaats nach der Dublin-VO, ob er einen Asylantrag prüft, um die Durchführung von Unionsrecht handelt, so dass nach Art. 51 Abs. 1 EU-GR-Charta die Unionsgrundrechte gelten (EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 u. a. -, Rn. 64 ff., juris). Weder lässt sich der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs eine Einschränkung dahingehend entnehmen, dass das Prinzip des gegenseitigen Vertrauens, wonach die Mitgliedstaaten die Grundrechte grundsätzlich achten, nur für eine Verletzung des Art. 4 EU-GR-Charta widerlegt werden könne (vgl. EuGH, a. a. O., Rn. 86), noch ließe sich eine derartige Ausnahme überzeugend begründen. Vielmehr haben die Mitgliedstaaten nach gefestigter Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht nur ihr nationales Recht unionsrechtskonform auszulegen, sondern auch darauf zu achten, dass sie sich nicht auf eine Auslegung einer Vorschrift des abgeleiteten Rechts stützen, die mit den durch die Unionsrechtsordnung geschützten Grundrechten oder den anderen allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts kollidiert (vgl. EuGH, a. a. O., Rn. 77, m. w. N., juris). In erweiternder Auslegung des Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin III-VO ist der Mitgliedstaat aufgrund der unmittelbaren Bindung an die - primärrechtliche - EU-GR-Charta daher auch verpflichtet, weitere Grundrechtsverletzungen zu prüfen. Ihre inhaltliche Schranke findet diese Prüfung allerdings zum einen in der tatbestandlichen Beschränkung auf „systemische“ Mängel des „Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen“ und zum anderen in den hohen Anforderungen an die Widerlegung der grundsätzlichen Vermutung der Wahrung der EU-GR-Charta durch die Mitgliedstaaten. Eine Grundrechtsverletzung in diesem Sinne droht aber dem Antragsteller.

10. Nach Art. 6 EU-GR-Charta, für dessen Auslegung der Maßstab des Art. 5 EMRK heranzuziehen ist (vgl. Bernsdorff, in: Meyer, EU-GR-Charta, 4. Aufl. 2014, Art. 6 Rn. 13), hat jeder Mensch das Recht auf Freiheit. Die Freiheit darf nur bei rechtmäßiger Festnahme oder Freiheitsentziehung zur Erzwingung der Erfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung oder zur Verhinderung der unerlaubten Einreise sowie bei Personen, gegen die ein Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren im Gange ist, und nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden (Art. 5 Abs. 1 S. 2 Buchst. b und f EMRK). Jeder festgenommenen Person muss innerhalb möglichst kurzer Frist in einer ihr verständlichen Sprache mitgeteilt werden, welches die Gründe für ihre Festnahme sind und welche Beschuldigungen gegen sie erhoben werden (Abs. 2). Jede Person, die festgenommen oder der die Freiheit entzogen ist, hat das Recht zu beantragen, dass ein Gericht innerhalb kurzer Frist über die Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung entscheidet und ihre Entlassung anordnet, wenn die Freiheitsentziehung nicht rechtmäßig ist (Abs. 4). Die Haft muss in verhältnismäßiger Weise ihrem Zweck entsprechen. Sie muss den Umständen nach notwendig sein (EGMR, Urteil vom 30. April 2013 - 49872/11, Timoschenko/Ukraine, Rn. 265). Dies gilt sowohl für die Haftbedingungen (Elberling, in: Karpenstein/Mayer, EMRK, 2012, Art. 5, Rn. 25) als auch die Bemessung des Zeitintervalls für die Überprüfung der Haftanordnung (Elberling, a. a. O., Rn. 100). Hierbei ist zu berücksichtigen, ob die inhaftierte Person eine Straftat begangen hat oder aber - etwa wie ein Asylantragsteller - in Angst um ihr Leben ihr Heimatland verlassen hat (EGMR, Urteil vom 25. Juni 1996 - 19776/92 - Amuur/Frankreich, Rn. 43; Urteil vom 29. Januar 2008 - 13229/03 - Saadi/Vereinigtes Königreich, Rn. 74).

11. Gemessen an diesem Maßstab ist die Vermutung, dass Ungarn im Asylverfahren das Recht auf Freiheit nach Art. 6 EU-GR-Charta achtet, auf der Grundlage der aktuellen Erkenntnisse zur tatsächlichen Inhaftierung von Asylantragstellern bei summarischer Prüfung als widerlegt anzusehen. Es besteht die ernstliche Befürchtung der systematisch willkürlichen und unverhältnismäßigen Inhaftierung von alleinstehenden und volljährigen Dublin-Rückkehrern, zu denen auch der Antragsteller zählt. Zwar verbietet Art. 5 Abs. 1 EMRK nicht grundsätzlich, auch Asylantragsteller zu inhaftieren (vgl. EGMR, Urteil vom 29. Januar 2008 - 13229/03 - Saadi/Vereinigtes Königreich, Rn. 64). Es bestehen allerdings tatsächliche Anhaltspunkte für eine willkürliche und unverhältnismäßige Anwendungspraxis in Ungarn. Der nur begrenzte Zweck der Asylhaft findet bei deren Ausgestaltung keine hinreichende Berücksichtigung. So lässt sich die ausnahmslose Inhaftierung aller Dublin-Rückkehrer schon als solche durch die in Art. 31/A Abs. 1 des ungarischen Asylgesetzes geregelten Haftgründe kaum rechtfertigen. Auch gibt es Hinweise auf gesetzlich überhaupt nicht vorgesehene Begründungen der Haft (vgl. Pro Asyl, S. 8). Hinzukommt, dass den Inhaftierten unter Verstoß gegen Art. 5 Abs. 2 EMRK eine (verständliche) individuelle Begründung der Haftanordnung vorenthalten wird (UNHCR, S. 2; Pro Asyl, S. 8). Dies wie auch die geschilderte tatsächliche Entscheidungspraxis wecken den Verdacht einer willkürlichen und damit gesetzeswidrigen Handhabung der gesetzlich geregelten Haftgründe durch die Behörden. Die durchschnittliche Dauer der Inhaftierung über mehrere Monate (Pro Asyl, S. 1; UNHCR, S. 2) erscheint zumindest bei bestimmten Haftgründen (Identitätsfeststellung) sowie Staatsangehörigen aus anerkennungsträchtigen Herkunftsstaaten wie dem Antragsteller unverhältnismäßig. Jedenfalls erweisen sich der zeitliche Abstand der richterlichen Überprüfung der Haft wie auch die Ausgestaltung dieses Verfahrens als nicht effektiv und damit unverhältnismäßig. Gegen die Anordnung der Haft oder von Sicherungsmaßnahmen gegen einen Asylantragsteller existiert kein individuelles Rechtmittel (UNHCR, S. 7; Pro Asyl, S. 9 f.; Auswärtiges Amt, S. 7 f.). Auch die automatische gerichtliche Haftprüfung genügt den Anforderungen nicht. Eine solche Prüfung findet wegen der pauschalen Verlängerung der Haft um den maximal zulässigen Zeitraum erst nach zwei Monaten statt und beschränkt sich auf eine durchschnittlich dreiminütige Anhörung des Betroffenen (UNHCR, a. a. O.; Pro Asyl, a. a. O.). Nach alledem erscheint eine Überstellung des Antragstellers nach Ungarn nicht zumutbar.

5.5.2.3. Das Gericht geht - ebenso wie das VG Berlin - nicht von einem systemischen Verstoß gegen den in Art. 3 Abs. 2 Dublin-III-VO explizit genannten Art. 4 GRCh ausgeht (s. o.), so führt gleichwohl der anzunehmende derzeitige Verstoß gegen Art. 6 GRCh (s.o.) schon aufgrund der unmittelbaren Geltung eben dieser unionsrechtlichen Grundrechtsbestimmung selbst dazu, dass die streitgegenständliche Entscheidung des BAMF keinen Bestand haben kann.

Die unmittelbare Verbindlichkeit von Art. 6 GRCh auch für die die Dublin-III-VO durchführende Antragsgegnerin ergibt sich bereits aus Art. 51 Abs. 1 GRCh. Das führt dazu, dass gemäß Art. 51 Abs. 1 GRCh nicht nur der in Art. 3 Abs. 2 Dublin-III-VO explizit genannte Art. 4 GRCh, sondern auch Art. 6 GRCh unmittelbare Geltung beansprucht, und zwar unmittelbar, ohne dass es insoweit einer entsprechenden Klausel im Sekundärrecht der EU bedürfte.

5.5.2.4. Vor dem Hintergrund der rechtlichen Relevanz des Art. 6 i. V. m. Art. 51 Abs. 1 GRCh ist trotz der Verneinung einer systemischen Beeinträchtigung des in Art. 3 Abs. 2 Dublin-III-VO explizit genannten Art. 4 GRCh von einem für den Ausschluss einer Rückführung des Antragsteller nach Ungarn hinreichend intensiven Grundrechtseingriff (in Art. 6 GRCh) auszugehen. Denn angesichts insbesondere des hohen Gewichts, das Stellungnahmen des UNHCR beizumessen ist (EuGH U. v. 30.5.2013 - C-528/11 - Rn. 44, NVwZ-RR 2013, 660), führen die genannten neuesten Erkenntnismittel (Schreiben des UNHCR vom 9.5.2014 und vom 30.9.2014; Report des Menschenrechtsbeauftragten des Europarats vom 16.12.2014) dazu, vom Vorliegen systemischer Schwächen im ungarischen Asylsystem im Hinblick auf Art. 6, 51 Abs. 1 GRCh auszugehen (s. o.).

Dabei ist in keiner Weise ersichtlich, dass sich in der Zeit seit der Veröffentlichung der genannten Erkenntnismittel bis zur vorliegenden Entscheidung Veränderungen im ungarischen Asylsystem ergeben hätten. Die genannten fachkundigen Institutionen haben ihre kritischen Aussagen nicht relativiert, insbesondere hat der UNHCR keinen allgemeinen Bericht veröffentlicht, aus dem hervorginge, dass er seine kritische Haltung gegenüber dem ungarischen Asylsystem, die er in seiner Stellungnahme an das VG Düsseldorf zum Ausdruck gebracht hat, nicht mehr aufrecht erhalten würde. Der streitgegenständliche Bescheid (dort S. 2) zitiert zwar unter anderem das Urteil des EGMR vom 3. Juli 2014 (Az. 71932/12). Es wird aber nicht näher darauf eingegangen, dass dieses Urteil vom 3. Juli 2014 auf die genannten aktuellen Äußerungen des UNHCR nicht eingegangen ist; vielmehr datiert das letzte im Urteil vom 3. Juli 2014 dokumentierte UNHCR-Dokument auf das Jahr 2012 (vgl. EGMR U. v. 3.7.2014 - 71932/12 - Rn. 28-32, 69; ebenso das im U. v. 3.7.2014 (dort Rn. 28) in Bezug genommene Urteil des EGMR 6.6.2013 - 2283/12 - Rn. 37-42). Auch hat die Antragsgegnerin im gerichtlichen Verfahren nicht ansatzweise vorgetragen, dass sich im Hinblick auf die Äußerungen des UNHCR gegenüber dem VG Düsseldorf vom Mai und vom September 2014 insoweit Verbesserungen ergeben hätten. Das Gericht sieht deshalb im Hinblick auf die seit nunmehr mehr als einem halben Jahr unveränderte neuere Erkenntnismittellage gegenüber dem ungarischen Asylsystem und die dort vorgebrachten Kritikpunkte (s.o.) für die in der Hauptsache erhobene Anfechtungsklage überwiegende Erfolgsaussichten, und zwar auch ohne das Erfordernis ergänzender Anfragen bei den genannten Stellen dahin, ob von deren kritischer Haltung abgerückt wird.

5.6. Dieses Ergebnis erscheint auch in Anbetracht des primärrechtlichen Gebots der effektiven Umsetzung der Dublin-III-VO (vgl. Art. 4 Abs. 3 des Vertrags über die Europäische Union - EUV) sachgerecht, weil im Fall des Antragsteller - eines Asylrückkehrers - angesichts der genannten neuesten Erkenntnismittel die Gefahr einer Verletzung unionsrechtlicher Grundrechte (Art. 6 GRCh), die ebenfalls Teil des unionsrechtlichen Primärrechts sind (vgl. Art. 6 Abs. 1 EUV), hinreichend wahrscheinlich ist.

Dabei ist zwar zu sehen, dass den Regelungen der Dublin-III-Verordnung zunächst der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zugrunde liegt, der mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erschüttert sein muss, um zum Erfolg eines Rechtsbehelfs gegen eine Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylVfG führen zu können. Dieser Grundsatz kann nicht mittels jedweder Verletzung eines Grundrechts durch den zuständigen Mitgliedstaat außer Kraft gesetzt werden (vgl. EuGH (Große Kammer) U. v. 21.12.2011 - C-411/10 u. a. - Rn. 82, NVwZ 2012, 417); denn andernfalls würden die betreffenden Verpflichtungen zur Beachtung der Bestimmungen der Dublin-III-VO in ihrem Kern ausgehöhlt werden (vgl. EuGH, U. v. 21.12.2011, a. a. O., Rn. 85).

Das ändert aber nichts daran, dass Stellungnahmen des UNHCR - angesichts der Rolle, die diesem durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden ist - bei der Beurteilung der Funktionsfähigkeit des Asylsystems in dem nach der Dublin-III-VO zuständigen Mitgliedstaat besondere Relevanz zukommt (EuGH U. v. 30.5.2013 - C-528/11 - Rn. 44, NVwZ-RR 2013, 660). Hinzu kommt, dass die im Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung veröffentlichten aktuellen Stellungnahmen der Non-Government-Organisationen keine andere Einschätzung nahelegen als diejenige, die der UNHCR in seinem Schreiben vom 9. Mai 2014 dem Verwaltungsgericht Düsseldorf mitgeteilt hat (s.o.).

Dies rechtfertigt es, auch in Anbetracht des primärrechtlichen Effektivitätsgrundsatzes und des Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten, im Hinblick auf Art. 4 GRCh, den der sekundärrechtliche Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO selbst in Bezug nimmt, von systemischen Schwächen im ungarischen Asylsystem i. S. v. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO auszugehen, so dass Ungarn - obwohl an sich nach der Dublin-III-VO zur Durchführung des Asylverfahrens des Antragsteller berufen - gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO gleichwohl nicht zuständig ist.

5.7. Angesichts der somit wegen Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO nicht gegebenen Zuständigkeit Ungarns, ist nach dieser Vorschrift weiter zu prüfen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann, wobei eine entsprechende verwaltungsgerichtliche Prüfung aber nicht gleichsam „ins Blaue hinein“ vorzunehmen ist, sondern nur insoweit, also sich aus den Akten oder dem sonstigen Vorbringen der Beteiligten hinreichende Anhaltspunkte hierfür ergeben (OVG NRW U. v. 7.3.2014 - 1 A 21/12.A - juris Rn. 31).

Vorliegend ist eine Zuständigkeit anderer Mitgliedstaaten nach der Dublin-III-VO aber nicht ersichtlich. Für eine Zuständigkeit anderer Staaten als der Bundesrepublik Deutschland nach Art. 13 Dublin-III-VO ist nichts ersichtlich. Wie bereits gezeigt, kommt eine vorrangige Zuständigkeit Griechenlands aufgrund Art. 13 Abs. 1 Dublin-III-VO gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO aufgrund der dort bestehenden systemischen Mängel des Asylsystems nicht in Betracht (s. o.). Auch hat die Reise des Antragsteller von Ungarn nach Deutschland keine Zuständigkeit nach Art. 13 Abs. 2 Dublin-III-VO begründet. Der Antragsteller hat seinen Reiseweg von Ungarn nach Deutschland zwar nicht im Detail geschildert; unabhängig von der Frage, durch welche Mitgliedstaaten die Reise des Antragsteller von Ungarn nach Deutschland geführt hat, und abgesehen vom Fehlen aktenkundiger Beweismittel oder Indizien gemäß den in Art. 12 Abs. 2 Unterabs. 2 i. V. m. Art. 22 Abs. 3 Dublin-III-VO genannten Verzeichnissen wäre aber jedenfalls das Erfordernis eines mindestens 5-monatigen Aufenthalts in einem anderen Mitgliedstaat (Art. 13 Abs. 2 Unterabs. 1 Dublin-III-VO) nach dem aktenkundigen Ablauf der Ereignisse nicht gegeben. Ein Fall visafreier Einreise (Art. 14 Dublin-III-VO) ist beim Antragsteller, der syrischer Staatsangehöriger ist, nicht gegeben. Art. 15 Dublin-III-VO ist nicht einschlägig, weil der Antragsteller nicht im Transitbereich eines Flughafens einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat. Danach ist gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 1 Dublin-III-VO angesichts der - wie gezeigt - gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO anzunehmenden Unzuständigkeit Griechenlands und Ungarns (s. o.) die Bundesrepublik Deutschland für die Prüfung des Asylantrags des Antragsteller zuständig.

5.8. Das führt im Ergebnis dazu, dass weder die Voraussetzungen für eine Unzulässigkeit des Asylantrags des Antragsteller nach § 27a AsylVfG noch für eine Abschiebungsandrohung nach § 34a AsylVfG vorgelegen haben, die insoweit zulässige Anfechtungsklage deshalb voraussichtlich in vollem Umfang Erfolg hat (§ 113 Abs. 1 VwGO) und deshalb auch dem vorliegenden Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vollumfänglich stattzugeben ist.

6. Nachdem der Antrag vollumfänglich Erfolg hat, sind die Kosten der Antragsgegnerin aufzuerlegen (§ 154 Abs. 1 VwGO). Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylVfG).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).

Tenor

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 5. Kammer, Einzelrichter - vom 18. Februar 2015 wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Antragsverfahrens.

Gründe

1

Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg, weil der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG) nicht vorliegt.

2

Die Darlegung der Grundsatzbedeutung nach § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG setzt voraus, dass eine bestimmte, obergerichtlich oder höchstrichterlich noch nicht hinreichend geklärte und für die Berufungsentscheidung erhebliche Frage rechtlicher oder tatsächlicher Art herausgearbeitet und formuliert wird; außerdem muss angegeben werden, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll. Darzulegen sind die konkrete Frage, ihre Klärungsbedürftigkeit, ihre Klärungsfähigkeit und ihre allgemeine Bedeutung (vgl. § 78 Abs. 4 Satz 3 AsylVfG).

3

Nach diesen Maßstäben fehlt es bereits an der Formulierung einer klärungsbedürftigen Frage. Aber selbst wenn man annähme, der Kläger wollte unter Verweis auf einen Beschluss des VG Stuttgart vom 10. Februar 2015 - A 11 K 387/14 - und einen Beschluss des VG Berlin vom 15. Januar 2015 - 23 L 899/14 - sinngemäß die Frage geklärt wissen, ob das Asyl- und Aufnahmeverfahren in Ungarn mit systemischen Mängeln behaftet ist, entspricht die Begründung seines Zulassungsantrages nicht den Darlegungserfordernissen des § 78 Abs. 4 Satz 3 AsylVfG. Mit dem Hinweis auf abweichende Entscheidungen einzelner erstinstanzlicher Verwaltungsgerichte wird kein grundsätzlicher Klärungsbedarf aufgezeigt (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 8. September 2014 - 13 A 1347/14.A - juris Rn. 21). Abgesehen davon erlaubt auch nach Auffassung des VG Berlin (Beschluss vom 15. Januar 2015 a.a.O., juris Rn. 8) die Auskunftslage nicht die Feststellung systemischer Mängel aufgrund unmenschlicher und erniedrigender Haftbedingungen in Ungarn; das VG Stuttgart (Beschluss vom 19. Februar 2015 a.a.O. juris Rn. 9) sieht es als offen an, ob die Asylhaftpraxis in Ungarn gegen Art. 6 EuGrCh verstößt. Bei beiden erstinstanzlichen Gerichten gilt, dass sie offenbar einen anderen als den in Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 der Dublin-III-Verordnung festgelegten Prüfungsmaßstab („Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU-Grundrechtecharta") zugrundegelegt haben. Diesen Maßstab hat der Gerichtshof der Europäischen Union bereits für die vorangehende Dublin-II-Verordnung verbindlich festgelegt, indem er ausgeführt hat, dass nicht jede Verletzung eines Grundrechts durch den zuständigen Mitgliedstaat genügt, um die Annahme systemischen Versagens zu tragen (EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - C - 411/10 u. a. - juris Rn. 82).

4

Die weitere sinngemäß aufgeworfene Frage, ob die Bundesrepublik Deutschland in seinem Einzelfall aufgrund außergewöhnlicher humanitärer Gründe in seinem Fall ihr Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO ausüben müsste, ist schon nicht von fallübergreifender Bedeutung. Zudem ist diese Frage nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union geklärt. Dieser hat zum Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO in seinem Urteil vom 10. Dezember 2013 (- C-394/12 - Abdullahi -, NVwZ 2014, 208, juris; Rn. 57) zur Vorgängervorschrift in der Dublin-II- Verordnung ausgeführt, dass Art. 3 Abs. 2 (sogenannte Souveränitätsklausel) und Art. 15 Abs. 1 (humanitäre Klausel) der Dublin-II-Verordnung die Prärogativen der Mitgliedstaaten wahren sollen, das Recht auf Asylgewährung unabhängig von dem Mitgliedstaat auszuüben, der nach den in der Verordnung festgelegten Kriterien für die Prüfung eines Antrags zuständig ist. Diese Ausführungen stellen in seiner Entscheidung ein Begründungselement dar für die Verneinung eines subjektiven Rechts eines Asylantragstellers auf Einhaltung der Zuständigkeitsvorschriften der Dublin-II-Verordnung. Die Kläger hat nach dieser Rechtsprechung keinen Anspruch auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts durch die Bundesrepublik Deutschland (vgl. hierzu auch Senatsbeschluss vom 7. April 2015 - 2 LA 33/15 - mwN).

5

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 RVG; Gründe für eine Abweichung (§ 30 Abs. 2 RVG) sind nicht vorgetragen oder sonst erkennbar.

6

Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylVfG).

7

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).


Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 Prozent des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.


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(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.