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Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage in entsprechender Anwendung des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO zulässig. Der angefochtene Bescheid der Beklagten hat sich durch Zeitablauf erledigt. Das für die Zulässigkeit erforderliche Feststellungsinteresse liegt darin begründet, dass der Kläger am Gründonnerstag des Jahres 2011 eine Versammlung durchführen will, die mit der für das Jahr 2010 angemeldeten vergleichbar ist, und er wiederum den Erlass von Auflagen durch die Beklagte befürchten muss, die die Durchführung der Veranstaltung in der vorgesehen Form verhindern.
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Die Klage ist auch begründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 31.03.2010 war rechtswidrig und verletzte den Kläger in seinen Rechten.
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Auf die vom Kläger für den Gründonnerstag des Jahres 2010 angemeldete Veranstaltung finden die Vorschriften des Versammlungsgesetzes über öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzüge Anwendung. Nach § 15 Abs. 1 VersG kann die zuständige Behörde die Versammlung oder den Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei der Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist. Die Beklagte ging beim Erlass ihrer Verfügung zu Unrecht von einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch die angemeldete Versammlung des Klägers aus.
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Die Kammer legt ihrer Entscheidung zugrunde, dass der Kläger beabsichtigte, die Veranstaltung so durchzuführen, wie er dies in der Anmeldung der Veranstaltung und der Beklagten auf deren Anfrage durch E-Mail vom 30.03.2010 mitgeteilt hatte. Die Kammer legt ihrer Entscheidung ferner zugrunde, dass die Verwendung von Kunstblut bei der angekündigten Darstellung der „Anmutung einer Kreuzigungsszene“ nicht vorgesehen war. Die Beklagte, die in der Begründung ihrer Verfügung von der Verwendung von Kunstblut ausgegangen war, konnte nicht den Nachweis darüber führen, dass sie zu Recht von der Befürchtung der Verwendung von Kunstblut ausging. Die Pressemitteilung, auf die sie sich bezog, konnte sie nicht vorlegen. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat unwiderlegbar dargelegt, dass die Verwendung von Kunstblut nicht vorgesehen war. Es kann daher die Frage offen bleiben, ob die Verwendung von Kunstblut bei der Darstellung der „Anmutung einer Kreuzigungsszene“ für die Feststellung des Vorliegens einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung eine Rolle gespielt hätte.
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Für die Prüfung der Frage, ob die Veranstaltung des Klägers einen Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung dargestellt hätte, ist zunächst durch Auslegung festzustellen, welchen Aussagegehalt die Veranstaltung gehabt hätte. Ziel der Auslegung ist die Ermittlung des objektiven Sinns einer Äußerung, die in Schriftform oder auf andere Weise erfolgen kann. Maßgeblich ist daher weder die subjektive Ansicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis der von der Äußerung Betroffenen, sondern der Sinn, den die Äußerung nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums hat. Bei der Ermittlung des Sinns einer Äußerung sind auch der Kontext, in der sie steht, und die Begleitumstände, unter denen sie fällt oder dargestellt wird, zu berücksichtigen, soweit diese erkennbar sind. Die isolierte Betrachtung des umstrittenen Teils einer Äußerung wird den Anforderungen an eine objektive Sinnermittlung regelmäßig nicht gerecht.
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Der Aussagegehalt der Veranstaltung des Klägers setzt sich aus zwei Elementen zusammen: Der Information des interessierten Publikums durch die Verteilung der sogenannten „Veggie-Starter-Kits“ und der vom Kläger so bezeichneten Darstellung der „Anmutung einer Kreuzigungsszene“. Die Verteilung der „Veggie-Starter-Kits“ durch den Kläger wurde durch die angefochtene Auflage der Beklagten nicht erfasst. Es ist unstreitig, dass diese keinen Inhalt hatten, der eine Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung hätte befürchten lassen können. Der Inhalt der „Veggie-Starter-Kits“, der vom Prozessbevollmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung stichwortartig umrissen wurde, kann aber bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Auflage nicht ausgeblendet werden, da der damit verfolgte Zweck auf die Auslegung der vom Kläger so bezeichneten Darstellung der „Anmutung einer Kreuzigungsszene“ zu berücksichtigen ist.
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Für die Darstellung der „Anmutung einer Kreuzigungsszene“ werden von den drei „Aktivisten“ des Klägers keine (Holz-)Kreuze verwendet, sondern Stangen, die auf den Schultern getragen und von den nach rechts und links ausgestreckten Armen gehalten werden. Durch diese Darstellung wird ein Bezug zur Kreuzigung Christi hergestellt, was nach den Angaben des Prozessbevollmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung auch so beabsichtigt ist. Durch die Nähe des gewählten Veranstaltungsorts zum Ulmer Münster und die Wahl des Gründonnerstags wird dieser Bezug noch verstärkt, was vom Kläger nach seinen Ausführungen ebenfalls beabsichtigt wurde.
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Dadurch, dass die Darsteller Tiermasken eines Hasen, eines Lamms und eines Kalbs tragen, stellt der Kläger einen Bezug zu seinem Vereinszweck, dem „Schutz der Rechte aller Tiere“, her. Dieser Bezug, der sich aus der isolierten Betrachtung der Darstellung durch die „Aktivisten“ des Klägers nicht ohne weiteres ergibt, folgt aus dem Gesamtzusammenhang der Veranstaltung des Klägers, bei der auch die sogenannten „Veggie-Starter-Kits“ verteilt werden. Dieser Gesamtkontext wäre auch für Personen, die an der geplanten Veranstaltung des Klägers vorbeigekommen wären, erkennbar gewesen. Der Kläger stellt durch seine Darstellung das von ihm angeprangerte Leiden der Tiere in Beziehung zur Leidensgeschichte Christi. Bei isolierter Betrachtung der symbolhaften Darstellung der Kreuzigungsszene durch Personen, die Tiermasken tragen, könnte zwar auch der Eindruck entstehen, dass dadurch christliche Glaubensvorstellungen angegriffen und die Passion Christi durch die Gleichsetzung mit Tieren relativiert oder lächerlich gemacht werden soll. Bei der gebotenen Betrachtung des Gesamtzusammenhangs der Veranstaltung des Klägers kann diese Deutung aber nicht aufrechterhalten werden. Der Antragsteller benutzt die Anknüpfung an christliche Glaubensvorstellungen in diesem Kontext allein dazu, um Aufmerksamkeit für seinen Vereinszweck, den Tierschutz, zu erregen und das von ihm gesehene Leiden der Tiere durch Anknüpfung an die Leiden Christi deutlich zu machen. Ein Angriff auf zentrale Inhalte des christlichen Glaubens erfolgt damit nicht.
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Soweit der Prozessbevollmächtigte des Klägers in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, die Darstellung der von ihm so bezeichneten „Anmutung einer Kreuzigungsszene“ solle auch eine Kritik an der Haltung der Kirche zur Massentierhaltung zum Ausdruck bringen, drängt sich dieser Sinngehalt der Aussage nicht ohne weiteres auf. Ob die Darstellung auch objektiv in diesem Sinn zu verstehen ist, kann aber offen bleiben, da die vom Kläger nach den Angaben seines Prozessbevollmächtigten beabsichtigte Kritik durch seine Meinungsfreiheit gedeckt wäre.
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Bei dem soeben dargestellten Aussagegehalt der Veranstaltung des Klägers gibt es keine Rechtfertigung für die Regelung im Satz 1 der angefochtenen Auflage.
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Ein Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit i.S. des § 15 Abs. 1 VersG liegt nicht vor. Unter öffentlicher Sicherheit versteht man die Unversehrtheit von Leben, Gesundheit, Ehre, Freiheit, Eigentum und Vermögen sowie der Rechtsordnung und der grundlegenden Einrichtungen des Staates, der gesamten verfassungsmäßigen Ordnung (vgl. Ott, Wächtler, Heinold, Gesetz über Versammlungen und Aufzüge, 7. Aufl. 2010, Rdnr. 24). Ein Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit läge insbesondere dann vor, wenn die Versammlung Strafgesetze verletzte oder eine Ordnungswidrigkeit darstellte.
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Schon deshalb, weil die Beklagte ihre Ermessensentscheidung über den Erlass von Auflagen nach § 15 Abs. 1 VersG bereits in der angefochtenen Verfügung auf eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit gestützt hat, bestehen keine Bedenken daran, dass sich die Beklagte nunmehr auch auf eine Verletzung des § 166 StGB durch die Veranstaltung des Klägers beruft. Ein Verstoß gegen diese Vorschrift liegt aber nicht vor.
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Nach § 166 Abs. 1 StGB wird mit Freiheitsstrafe bestraft, wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften, wozu nach § 11 Abs. 3 StGB auch Abbildungen und andere Darstellungen gehören, den Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören. Ein Beschimpfen liegt vor bei einer bösartigen verhöhnenden Darstellung von Einrichtungen und Gebräuchen. Ein bloßes Verspotten oder lächerlich machen reicht nicht aus, wenn ihm der aggressive Charakter fehlt (vgl. Tröndle/Fischer, Strafgesetzbuch und Nebengesetze, 50. Aufl. 2001, § 166 StGB Rdnr. 7). Der Kläger stellte durch die von ihm geplante Darstellung durch die drei „Aktivisten“ einen Bezug zum Kreuz, zu einem spezifischen Glaubenssymbol des Christentums her. Darin ist aber keine Verhöhnung und damit kein Beschimpfen der mit dem Kreuz symbolisierten Glaubensvorstellungen des Christentums zu sehen. Dies folgt jedenfalls schon aus dem oben dargestellten Gesamtzusammenhang, in dem die Veranstaltung des Klägers zu sehen ist.
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Darin unterscheidet sich der vorliegende Fall von dem, über den das OLG Nürnberg durch seinen Beschluss vom 23.06.1998 - Ws 1603/97 - im Rahmen eines Klageerzwingungsverfahrens entschieden und ausgeführt hat, dass die Darstellung eines an ein Kreuz genagelten Schweins auf einem T-Shirt im Internet ein Beschimpfen i.S. des § 166 StGB darstellen könne. Der Unterschied liegt darin, dass die Abbildung eines an das Kreuz genagelten Schweines aufgrund des dortigen Gesamtzusammenhangs nur als beschimpfender Angriff auf ein religiöses Bekenntnis gewertet werden konnte. Zudem beabsichtigt der Kläger auch nicht die Darstellung eines Schweines am Kreuz.
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Nach § 166 Abs. 2 StGB wird bestraft, wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften, wozu nach § 11 Abs. 3 StGB auch Abbildungen oder sonstige Darstellungen gehören, eine im Inland bestehende Kirche oder andere Religionsgesellschaften oder Weltanschauungsvereinigungen, ihre Einrichtungen oder Gebräuche in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören. Auch dieser Straftatbestand ist nicht erfüllt. Geht man mit dem Prozessbevollmächtigten des Klägers davon aus, dass die Veranstaltung auch dazu hätte dienen sollen, Kritik an der Haltung der Kirche zur Massentierhaltung zu äußern, erfüllte dies den Tatbestand des § 166 Abs. 2 StGB nicht. § 166 Abs. 2 StGB stellt nicht jegliche Kritik an der Kirche unter Strafe. Die Kirche würde damit zwar kritisiert, nicht aber verächtlich gemacht. Eine Meinungsäußerung wäre zudem nur dann geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören, wenn sie ihrem Inhalt nach erkennbar auf rechtsgutgefährdende Handlungen angelegt wäre, d.h. den Übergang zu Aggression oder Rechtsbruch markierte (vgl. Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 08.03.2010 - 10 B 09.1102 - Juris, Rdnr. 41). Auch daran fehlt es.
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Die Beklagte geht in der angefochtenen Verfügung zu Unrecht davon aus, dass die Veranstaltung des Klägers gegen § 118 OWiG (Belästigung der Allgemeinheit) verstoßen hätte. Danach handelt ordnungswidrig, wer eine grob ungehörige Handlung vornimmt, die geeignet ist, die Allgemeinheit zu belästigen oder zu gefährden und die öffentliche Ordnung zu beeinträchtigen. Der objektive Tatbestand dieser Vorschrift setzt sich aus vier Tatbestandsmerkmalen zusammen. Er erfordert (1.) eine grob ungehörige Handlung, die (2.) zumindest geeignet sein muss, die Allgemeinheit zu belästigen oder zu gefährden sowie (3.) die öffentliche Ordnung zu beeinträchtigen. Als weiterer, ungeschriebener Umstand erfordert der Tatbestand (4.) einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Handlung und der Belästigung oder Gefährdung der Allgemeinheit sowie der Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung (vgl. Senge in Karlsruher Kommentar zum OwiG, 3. Aufl. 2006, § 118 Rdnr. 4). Bereits eine Verletzung der öffentlichen Ordnung liegt hier nicht vor, sodass die Frage offen bleiben kann, ob die übrigen Tatbestandsmerkmale erfüllt sind.
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Unter dem Begriff der öffentlichen Ordnung ist die Gesamtheit der sozialen Normen über das Verhalten des einzelnen in der Öffentlichkeit zu verstehen, deren Beachtung nach mehrheitlicher Anschauung eine unerlässliche Voraussetzung eines geordneten staatsbürgerlichen und menschlichen Zusammenlebens ist, wobei die grundrechtlichen Wertmaßstäbe als die sozialen Normen prägend zu berücksichtigen sind (vgl. Senge, a.a.O. Rdnr. 18). Vorliegend sind die Grundrechte des Klägers aus Art. 5 und 8 GG betroffen und zu berücksichtigen.
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Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wird das Recht der freien Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 GG, soweit es den Inhalt der Meinung betrifft, allein durch die Strafgesetze beschränkt. Eine weitere Einschränkung der Meinungsfreiheit durch einen Rückgriff auf die öffentliche Ordnung ist nicht zulässig. Die öffentliche Ordnung kann, insbesondere wenn die Meinung im Rahmen einer Versammlung nach Art. 8 GG geäußert wird, nur dann eine weitere Beschränkung erlauben, wenn dies die Umstände, unter denen die Meinung zum Ausdruck gebracht wird, erfordern. Solche Umstände liegen hier nicht vor.
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Zum Verhältnis der Strafgesetzte und der öffentlichen Ordnung zu den Grundrechten aus Art. 5 und 8 GG führte das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 23.06.2004 (- 1 BvQ 19/04 - BVerfGE 111, 147 ff., juris) das Folgende aus:
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„[Rdnr. 19] Staatliche Beschränkungen des Inhalts und der Form einer Meinungsäußerung betreffen den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG. Ihre Rechtfertigung finden sie, auch wenn die Äußerung in einer oder durch eine Versammlung erfolgt, in den Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG (vgl. BVerfGE 90, 241 <246>; BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 5. September 2003 - 1 BvQ 32/03 -, NVwZ 2004, S. 90 <91>). Demgegenüber schützt Art. 8 Abs. 1 GG die Freiheit, mit anderen Personen zum Zwecke einer gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung örtlich zusammenzukommen (vgl. BVerfGE 104, 92 <104>). Der Schutzbereich dieser Grundrechtsnorm ist betroffen, wenn eine Versammlung verboten oder aufgelöst oder die Art und Weise ihrer Durchführung durch staatliche Maßnahmen beschränkt wird. Die in den Absätzen 2 von Art. 5 und Art. 8 GG enthaltenen Schranken sind auf die jeweiligen Schutzbereiche der betroffenen Grundrechtsnorm bezogen. Der Inhalt einer Meinungsäußerung, der im Rahmen des Art. 5 GG nicht unterbunden werden darf, kann daher auch nicht zur Rechtfertigung von Maßnahmen herangezogen werden, die das Grundrecht des Art. 8 GG beschränken (vgl. BVerfGE 90, 241 <246>).
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[Rdnr. 20] … Soweit Rechtsnormen auslegungsbedürftig sind, darf die Auslegung nicht zur Außerachtlassung des Schutzgehalts von Art. 5 Abs. 1 GG führen.
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[Rdnr. 21] … Der Gesetzgeber hat in den allgemeinen Gesetzen, insbesondere den Strafgesetzen (so etwa in den §§ 86, 86 a, 130 StGB), Beschränkungen des Inhalts von Meinungsäußerungen an nähere tatbestandliche Voraussetzungen gebunden; eine Berufung auf das Tatbestandsmerkmal der öffentlichen Ordnung ist insofern nicht vorgesehen. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass Meinungsäußerungen in der pluralistischen Demokratie des Grundgesetzes grundsätzlich frei sind, es sei denn, der Gesetzgeber hat im Interesse des Rechtsgüterschutzes Schranken im Einklang mit Art. 5 Abs. 2 GG festgelegt. Für den Begriff der öffentlichen Ordnung ist demgegenüber kennzeichnend, dass er auf ungeschriebene Regeln verweist, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden und mit dem Wertgehalt des Grundgesetzes zu vereinbarenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens innerhalb eines bestimmten Gebiets angesehen wird (vgl. BVerfGE 69, 315 <352>). Das Grundrecht der Meinungsfreiheit ist ein Recht auch zum Schutz von Minderheiten; seine Ausübung darf nicht allgemein und ohne eine tatbestandliche Eingrenzung, die mit dem Schutzzweck des Grundrechts übereinstimmt, unter den Vorbehalt gestellt werden, dass die geäußerten Meinungsinhalte herrschenden sozialen oder ethischen Auffassungen nicht widersprechen.
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[Rdnr. 22] Dementsprechend hat der Gesetzgeber in seiner Rechtsordnung, insbesondere in den Strafgesetzen, Meinungsäußerungen nur dann beschränkt, wenn sie zugleich sonstige Rechtsgüter - etwa die Menschenwürde oder das allgemeine Persönlichkeitsrecht - verletzen. Unter diesen Voraussetzungen dient die Strafrechtsordnung auch der Bekämpfung solcher Rechtsgutverletzungen, die durch antisemitische oder rassistische Äußerungen erfolgen. Werden die entsprechenden Strafgesetze durch Meinungsäußerungen missachtet, so liegt darin zugleich eine Verletzung der öffentlichen Sicherheit; eine so begründete Gefahr kann durch die Ordnungsbehörden abgewehrt werden, und zwar auch mit Auswirkungen auf Versammlungen. Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit schützt die Durchführung von Versammlungen, ermöglicht jedoch nicht Rechtsgutverletzungen, die außerhalb von Versammlungen unterbunden werden dürfen. Die in § 15 Abs. 1 VersG enthaltene, auf den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG bezogene Ermächtigung darf andererseits aber nicht zu einer Ausweitung der in der Rechtsordnung enthaltenen Schranken des Inhalts von Meinungsäußerungen führen.
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[Rdnr. 23]d) Verfassungsrechtlich unbedenklich ist es, dass § 15 VersG gemäß § 20 VersG Beschränkungen der Versammlungsfreiheit, darunter auch zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Ordnung, erlaubt, vorausgesetzt, dass diese nicht aus dem Inhalt der Äußerungen, sondern aus der Art und Weise der Durchführung der Versammlung folgen… In solchen Fällen ist unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu klären, durch welche Maßnahmen die Gefahr abgewehrt werden kann. Dafür kommen in erster Linie Auflagen in Betracht. Reichen sie zur Gefahrenabwehr nicht aus, kann die Versammlung verboten werden (vgl. BVerfGE 69, 315 <353>).“
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Eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch das in einer Meinungskundgabe liegende Verhalten des Klägers, das gerade nicht gegen die Strafgesetze verstößt (s.o. 3 a) aa) käme somit im Fall des Klägers somit nur in Betracht, wenn die äußeren Umstände seiner Meinungsäußerung den Rahmen verlassen würden, den das Bundesverfassungsgerichts in seiner Rechtsprechung aufgezeigt hat. Dies ist jedoch nicht der Fall. Die Darstellung der vom Kläger so bezeichneten „Anmutung einer Kreuzigungsszene“, mit der er durch die hierin liegende Anknüpfung an die Passion Christi seine Meinung über das Ausmaß des Leidens der Tiere auch durch eine bildhafte Darstellung zum Ausdruck bringen und kundtun will, enthält keine Begleitumstände, durch die zentrale christlichen Glaubensvorstellungen verächtlich gemacht oder in den Schmutz gezogen werden. Dass die vom Kläger vertretene Meinung und die Art und Weise ihrer Präsentation in der Öffentlichkeit möglicherweise von einer Vielzahl von Personen nicht gebilligt oder gar verurteilt wird, führt nicht zu der Bejahung der Gefährdung der öffentlichen Ordnung und ist damit nicht entscheidend.
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Der Begriff der öffentlichen Ordnung im Sinne des § 118 OWiG kann nicht anders ausgelegt werden als der Begriff der öffentlichen Ordnung im Sinne des § 15 Abs. 1 VersG. Aus den unter 3b) genannten Gründen kann die angefochtene Auflage daher auch nicht mit einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung im Sinne des § 15 Abs. 1 VersG gerechtfertigt werden.
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Die angefochtene Auflage war auch rechtswidrig, soweit dem Kläger in ihrem Satz 2 „jegliche grob anstößige Darstellungen“ untersagt wurden. Dabei kann offen bleiben, ob diese Auflage ausreichend bestimmt war. Die Beklagte knüpft mit dieser Formulierung ersichtlich an den Tatbestand des § 118 OWiG, dort an das Tatbestandsmerkmal „grob ungehörige Handlung“, an. Sie erfasst damit aber auch Handlungen, die keine Ordnungswidrigkeit darstellen und somit keine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit darstellen können. Denn die Beklagte verkennt, dass zur Erfüllung des Tatbestandes des § 118 OWiG weitere Tatbestandsvoraussetzungen verwirklicht sein müssen (siehe oben 3 b)), damit eine Ordnungswidrigkeit angenommen werden kann.
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Die Beklagte kann den Satz 2 der angefochtenen Auflage auch nicht auf § 15 Abs. 1 VersG stützen, soweit danach Auflagen zum Schutz der öffentlichen Ordnung möglich sind. Denn nicht jede „grob ungehörige Handlung“ stellt, wie aus den vorangegangenen Ausführungen zu § 118 OWiG deutlich wird, einen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung dar. Dabei geht die Kammer davon aus, dass der Begriff der öffentlichen Ordnung in beiden Vorschriften gleich auszulegen ist.
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Zudem würde ein zulässiges Verbot weiterer Handlungen auch voraussetzen, dass tragfähige Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Veranstalter einer Versammlung Handlungen zu begehen droht, die verboten werden können. Denn nur dann wäre eine Auflage erforderlich und damit auch verhältnismäßig. Auch dann, wenn in einer Verfügung „nur“ ein bereits gesetzlich geregeltes Verbot ausgesprochen wird, braucht dies der Adressat nicht ohne Anlass hinzunehmen. Er würde dadurch in seinen Rechten verletzt, dass er zu Unrecht als jemand hingestellt wird, von dem man die Begehung einer verbotenen Handlung erwartet.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Kammer macht von der Möglichkeit des § 167 Abs. 2 VwGO, das Urteil wegen der Kosten für vorläufig vollsteckbar zu erklären keinen Gebrauch.
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