Verwaltungsgericht Schwerin Urteil, 06. Okt. 2017 - 15 A 3802/16 As SN

bei uns veröffentlicht am06.10.2017

Tenor

Soweit das Verfahren erledigt ist, wird es eingestellt.

Im Übrigen werden die Entscheidungsätze Nr. 6 und Nr. 7 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 7. Dezember 2016 aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, insoweit über das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 des Aufenthaltsgesetzes unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Die Klage wird im Übrigen als offensichtlich unbegründet abgewiesen.

Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens haben die Kläger als Gesamtschuldner zu 4/5 und die Beklagte zu 1/5 zu tragen.

Tatbestand

1

Nach übereinstimmender Erklärung der Erledigung der Hauptsache bezüglich der Klägerin zu 3) begehren nur die Kläger zu 1) und 2) noch die Verpflichtung der Beklagten auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und Anerkennung als Asylberechtigte, hilfsweise subsidiären Schutz und äußerst hilfsweise nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG).

2

Die am 22. März 1973 geborene Klägerin zu 1) ist Mutter des am 25. September 2010 geborenen Klägers zu 2) und der am 23. Mai 2015 in A-Stadt geborenen Klägerin zu 3) Die Kläger zu 1) und 2) sind nach eigenen Angaben ghanaischer Staatsbürger. Die Klägerin zu 3) ist deutsche Staatsangehörige.

3

Die Kläger zu 1) und 2) reisten am 15. Februar 2015 in das Bundesgebiet ein und stellten am 10. Februar 2015 einen Asylantrag. Nach Geburt der Klägerin zu 3) leitete das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) gemäß § 14 a AsylG ein Asylverfahren ein.

4

In der Anhörung vom 2. Juni 2016 führte die Klägerin zu 1) zur Begründung ihres Antrags aus, sie sei wegen der wirtschaftlichen Lage aus Ghana ausgereist. Sie habe als (gelernte) Friseurin dort gearbeitet. Dafür benötige man viel Strom. Die Stromlieferungen in Ghana seien aber katastrophal. Somit sei die Lage in Ghana für sie sehr schlecht gewesen. Ohne Arbeit könne man dort nicht leben.

5

Das Bundesamt lehnte mit Bescheid vom 7. Dezember 2016 den Antrag aller drei Kläger auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Asyl und auf subsidiären Schutz als offensichtlich unbegründet ab. Weiter stellte es fest, dass auch keine Abschiebungsverbote vorliegen. Es forderte die Kläger auf, die Bundesrepublik Deutschland binnen einer Woche zu verlassen. Bei Nichteinhaltung der Frist drohte das Bundesamt ihnen die Abschiebung nach Ghana an. Weiter ordnete es im Entscheidungssatz Nr. 6 ein Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 7 AufenthG an und beschränkte es auf 10 Monate ab dem Tag der Ausreise. Unter 7. befristete es das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung. Es forderte die Kläger auf, die Bundesrepublik Deutschland binnen einer Woche zu verlassen. Bei Nichteinhaltung der Frist drohte das Bundesamt ihnen ihre Abschiebung nach Ghana an. Zur Begründung der letzten beiden Entscheidungen führte das Bundesamt aus, dass es bei einem Drittstaatsangehörigen solche Verbote anordnen könne, wenn dessen Asylantrag nach § 29 a AsylG als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden sei, nationale Abschiebungsverbote nicht vorlägen und der Ausländer keinen Aufenthaltstitel besitze. Anhaltspunkte hinsichtlich schutzwürdiger Belange der Kläger seinen weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Die Klägerin zu 1) habe bezüglich der Klägerin zu 3) weder eine Vaterschaftsanerkennung vorgelegt noch Nachweise über notwendige Untersuchungen. Eine Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate sei mangels vorgetragener oder sonst ersichtlicher Besonderheiten angemessen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt des Bescheides verwiesen.

6

Gegen den am 9. Dezember 2016 zugestellten Bescheid haben die Kläger am 16. Dezember 2016 Klage erhoben, zu deren Begründung die Klägerin zu 1) zunächst auf ihr Vorbringen im Verwaltungsverfahren Bezug nimmt. Sie tragen weiter vor, dass die Klägerin zu 3) deutsche Staatsangehörige sei und haben dazu die Kopie eines deutschen Reisepasses vorgelegt.

7

Das Bundesamt hat durch Bescheid vom 6. Januar 2017 den angegriffenen Bescheid bezüglich der Klägerin zu 3) aufgehoben, weil diese deutsche Staatsangehörige sei. Insoweit haben die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt.

8

Die Kläger zu 1) und 2) beantragen,

9

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 7. Dezember 2016 zu verpflichten,

10

ihnen – den Klägern – die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen und sie als Asylberechtigte anzuerkennen,

11

hilfsweise: ihnen subsidiären Schutz zuzuerkennen,

12

äußerst hilfsweise: in ihrem Fall nationale Abschiebungsverbote festzustellen.

13

Ferner beantragen sie,

14

im Falle der Kläger zu 1) und 2) die Entscheidungen zu den Ziffern 6 und 7 des angegriffenen Bescheides aufzuheben.

15

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

16

die Klage abzuweisen.

17

Zur Begründung verweist sie auf den Inhalt des angegriffenen Bescheides.

18

Durch Beschluss vom 6. Februar 2017 - 15 B 3803/16 As SN - hat die erkennende Kammer den Antrag der Kläger auf vorläufigen Rechtsschutz abgelehnt.

19

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte des vorliegenden Verfahrens und des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes verwiesen.

Entscheidungsgründe

20

I. Das Gericht kann die Sache verhandeln und entscheiden, obgleich die ordnungsgemäß geladene Beklagte in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten gewesen ist. In der Ladung zum Termin ist hierauf hingewiesen worden (vgl. § 102 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung [VwGO]).

21

II. Soweit die Beteiligten bezüglich der Klägerin zu 3) die Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren analog § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen und nur noch über die Kostentragungspflicht zu entscheiden.

22

III. Im Übrigen ist die Klage zulässig, insbesondere rechtzeitig erhoben worden. Sie Klage ist aber nur hinsichtlich der Entscheidungssätze Nr. 6 und Nr. 7 begründet. Der angegriffene Bescheid ist im Übrigen rechtmäßig und verletzt die Kläger zu 1) und 2) nicht in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Sie haben keinen Anspruch auf die von ihnen begehrten flüchtlingsrechtlichen Rechtsstellungen und Abschiebungsverbote.

23

Das Bundesamt hat den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 des Asylgesetzes (AsylG) und auf Anerkennung als Asylberechtigter im Sinne von Art. 16 a Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) zu Recht als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Die weiteren Feststellungen, dass kein Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach § 4 AsylG gegeben ist sowie keine nationalen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) vorliegen, erweisen sich ebenfalls als rechtmäßig.

24

1. Offensichtlich unbegründet ist ein Asylantrag, wenn der Antragsteller aus einem sicheren Herkunftsstaat stammt, es sei denn, die von ihm angegebenen Tatsachen oder Beweismittel begründen die Annahme, dass ihm abweichend von der allgemeinen Lage im Herkunftsstaat politische Verfolgung droht (vgl. § 29 a Abs. 1 AsylG). Der Kläger stammt aus Ghana, einem sicheren Herkunftsstaat i.S.v. § 29 a Abs. 2 i.V.m. Anlage II AsylG. Er hat die durch § 29 a Abs. 1 AsylG normierte Nichtverfolgungsvermutung nicht durch den schlüssigen Vortrag von Verfolgungstatsachen erschüttern können.

25

a) Zur Begründung der Klage hat die Klägerin zu 1) auf die im Tatbestand genannten Angaben in der Anhörung beim Bundesamt verwiesen. Sie hat dort aber lediglich wirtschaftliche Gründe genannt.

26

b) Darin ist - den Sachverhalt als wahr unterstellt - keine asylerhebliche Verfolgung zu sehen, die die gesetzliche Annahme in Frage stellen könnte, in Ghana finde keine politische Verfolgung statt. Insbesondere liegt keine staatliche oder staatlich veranlasste oder geduldete Verfolgung vor. Flüchtlingsrechtlich erhebliche Merkmale sind ebenfalls nicht betroffen.

27

2. Ein Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach § 4 AsylG scheidet ebenfalls aus. Die Voraussetzungen dieser Bestimmung liegen nicht vor. Subsidiär schutzberechtigt ist nach dieser Vorschrift, wer stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, ihm drohe in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden. Als ernsthafter Schaden gilt dabei die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3). Eine Bestrafung oder Behandlung ist als unmenschlich oder erniedrigend anzusehen, wenn die mit ihr verbundenen Leiden über das in rechtmäßigen Bestrafungsmethoden enthaltene, unausweichliche Leidens- oder Erniedrigungselement hinausgehen, oder wenn eine Strafschärfung wegen der politischen Überzeugung des Betroffenen erfolgt. Der erniedrigende Charakter der Maßnahme zeigt sich darin, dass sie im Opfer ein Gefühl der Furcht, Schmerzen und Erniedrigung hervorruft, das geeignet ist, dieses zu erniedrigen und zu entwürdigen.

28

Vgl. OVG Magdeburg, Urt. v. 26. Juli 2012 - 2 L 68/10 -, juris, Rn. 155; Marx, AsylVfG, 9. Aufl. 2017, § 4 Rn. 33.

29

a) Ein ernsthafter Schaden droht, wenn das konkrete und ernsthafte Risiko einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung besteht. Die bloße Möglichkeit eines ernsthaften Schadens reicht nicht aus (vgl. Marx, AsylVfG, § 4 Rn 39). Anhaltspunkte für eine hier allein in Betracht kommende unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im vorliegenden Fall bei einer eventuellen Bestrafung liegen nicht vor. Sie sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Die Kläger wären demnach keiner unmenschlichen Behandlung im Sinne dieser Bestimmung bzw. von Art. 3 EMRK (i. V. m. § 60 Abs. 5 AufenthG)

30

- zum Verhältnis von § 4 Ziffer 2 AsylG zu § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK siehe BVerwG, Urt. v. 31. Januar 2013 - 10 C 15/12 -, juris, Rn. 36. -

31

im Falle eines Aufenthaltes in Ghana ausgesetzt.

32

b) Nach der Rechtsprechung des Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR)

33

- vgl. Urteil vom 28. Juni 2011 – 8319/07, 11449/07 –, (Sufi u. Elmi/Vereinigtes Königreich) NVwZ 2012, 681, 685 juris (LS); vgl. jetzt auch klarstellend: EGMR, Urteil vom 13.12.2016 - 41738/10 - (Paposhvili/Belgium), zit. nach asyl.net.

34

können humanitäre Verhältnisse die Schwelle von Art. 3 EMRK („unmenschliche oder erniedrigende Behandlung“) nur in ganz außergewöhnlichen Fällen erreichen, wenn die gegen die Abschiebung sprechenden Gründe zwingend sind. Dies ist bejaht worden im Falle eines Ausländers, der schwerstkrank und offenbar dem Tode nahe war oder der Tod unmittelbar bevorstand, bei dem Pflege und medizinische Versorgung im Heimatland nicht gesichert waren und der dort keine Familie hatte, die bereit oder in der Lage gewesen wäre, ihm auch nur ein Minimum an Nahrung, Unterkunft oder sozialer Hilfe zukommen zu lassen. Es reicht für einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK nicht alleine aus, dass im Fall der Abschiebung in das Herkunftsgebiet die Lage des Betroffenen einschließlich seiner Lebenserwartung erheblich beeinträchtigt wird.

35

Vgl. EGMR, Urt. v. 27. Mai 2008 - 26 565/05 -N./Vereinigtes Königreich, zit. nach www.asyl.net.

36

c) Im vorliegenden Fall haben die Kläger zu 1) und 2) indessen für sich keine Umstände vorgetragen, die in diesem Sinne zwingende Gründe gegen ihre Abschiebung nach Ghana darstellen könnten. Dagegen spricht auch, dass in Ghana immerhin die Grundversorgung mit Nahrungsmitteln trotz weit verbreiteter Armut gewährleistet ist.

37

Näher Auswärtiges Amt, Bericht im Hinblick auf die Einstufung der Republik Ghana als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29 a AsylVfG vom 15. Februar 2017, S. 21.

38

Die ghanaische Regierung verfolgt durchaus Armutsbekämpfungsstrategien, Initiativen zur Förderung von gefährdeten Personengruppen existieren,

39

- vgl. i.E. IOM, Länderinformationsblatt Ghana, Oktober 2014, S. 27 -

40

ein staatliches Rentensystem wird aufgebaut und das Land verfügt über eine Art Basiskrankenversicherung, die viele Menschen nutzen.

41

Vgl. IOM. aaO, S. 12, 18; zur sozioökonomischen Situation in Ghana siehe auch: Maria Tekülve, Mitteleinkommensland Ghana: Realitäten hinter der Statistik, GIGA Focus Afrika, 2/2014, S. 5; zur Wirtschaftsstruktur siehe auch Kohrs/Loetzer, Ghana, in: Gieler (Hrsg.), Staatenlexikon Afrika 2016, S. 179 (185 ff).

42

Die Kläger werden sich im Falle ihrer Rückkehr daher keiner lebensbedrohlichen Extremsituation gegenübersehen, die dem der oben dargestellten Entscheidung des EGMR vom 27. Mai 2008 zugrundeliegenden Fall hinsichtlich ihrer Gefährlichkeit entspräche.

43

d) Hinsichtlich einer individuell-konkrete Gefahr für die Kläger im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist weder etwas vorgetragen noch sonst ersichtlich.

44

IV. Das Gericht nimmt im Übrigen gemäß § 77 Abs. 2 AsylG Bezug auf die zutreffende Begründung im angegriffenen Bescheid des Bundesamtes (Seite 2 ff.).

45

V. Allerdings sind die Anordnungen in Nr. 6 und 7 im angegriffenen Bescheid im vorliegenden Fall rechtswidrig. Insoweit ist angesichts der in das Ermessen der Beklagten gestellten Entscheidungen zu § 11 AufenthG das Klagebegehren der Kläger gemäß § 88 VwGO mit Rücksicht auf § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO dahin zu ergänzen, dass sie beantragen,

46

die Entscheidungsätze Nr. 6 und Nr. 7 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 7. Dezember 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, insoweit über das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 des Aufenthaltsgesetzes unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

47

1. Gemäß § 11 Abs. 7 AufenthG kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gegen einen Ausländer, dessen Asylantrag nach § 29 a Abs. 1 AsylG als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, für den das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 AufenthG nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder gegen einen Ausländer, dessen Antrag nach § 71 oder § 71 a AsylG wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat, ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Die Tatbestandsvoraussetzungen der ersten Alternative des § 11 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen hier vor, so dass der Beklagten insoweit ein Ermessen eröffnet ist, ob sie gegen den Kläger ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnet und gegebenenfalls von welcher Dauer (vgl. § 11 Abs. 7 Satz 3 i.V.m. Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 AufenthG).

48

Vgl. VG Regensburg, Beschl. vom 13. Mai 2016 - RN 5 S 16.30756 -, juris Rn. 18; Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Auflage 2016, Kommentar, AufenthG § 11 Rn. 82; BeckOK Ausländerrecht, Stand: 01. Februar 2016, Kommentar, AufenthG § 11 Rn. 52; offen gelassen hinsichtlich der Dauer: VG Münster, Urt. vom 26. April 2016 - 4 K 2693/15.A -, juris Rn. 72.

49

2. Die gerichtliche Überprüfung von Ermessensentscheidungen der Verwaltung beschränkt sich nach § 114 Satz 1 VwGO grundsätzlich auf Ermessensfehler.

50

Näher Kopp/Schenke, VwGO, 22. Auflage 2016, § 114 Rn. 4 mwN.

51

Nach dieser Bestimmung prüft das Gericht hinsichtlich des der Behörde eingeräumten Ermessens auch (nur), ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Die Behörde muss das ihr zukommende Ermessen aber auch tatsächlich betätigen und entsprechende Überlegungen nicht schon von vornherein unterlassen (Ermessensausfall), so dass eine Entscheidung auch dann ermessensfehlerhaft ist, wenn die Behörde eine in Wahrheit nicht bestehende Beschränkung ihres Ermessenspielraums annimmt, sich gebunden erachtet oder sich gar nicht bewusst ist, dass sie eine Ermessensentscheidung zu treffen hat oder keine (eigenen) Ermessenserwägungen anstellt.

52

Vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, Kommentar, 16. Auflage 2015, § 40 Rn. 86.

53

Wird festgestellt, dass die Ermessensentscheidung den Anforderungen des § 114 Satz 1 VwGO nicht genügt, ist der Bescheid aufzuheben bzw. die Behörde gemäß § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO zu einer Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu verpflichten. Eine Ausnahme von der Verpflichtung zur neuerlichen Bescheidung kommt nur in Betracht, wenn angesichts der besonderen Umstände des zu entscheidenden konkreten Falles ausnahmsweise nur eine einzige Ermessensentscheidung ermessensfehlerfrei sein kann und der Ermessensspielraum insofern „auf Null" reduziert ist (siehe Kopp/Schenke, VwGO, § 114 Rn. 5, 6).

54

3 a) Im vorliegenden Fall hat das Bundesamt zunächst erkannt, dass es nach § 11 Abs. 7 AufenthG ein Einreise- und Aufenthaltsverbot aussprechen kann und dass dieses dann im Wege der Ermessensausübung zu befristen ist. Das kommt in dem angegriffenen Bescheid hinreichend deutlich zum Ausdruck, da der Bescheid Ausführungen dazu enthält, dass der Beklagten keine Umstände bekannt sind, die eine abweichende Entscheidung rechtfertigen könnten. Eine weitergehende Begründung ist grundsätzlich nicht erforderlich, da bei Vorliegen der oben genannten Voraussetzungen des § 11 Abs. 7 AufenthG die missbräuchliche Inanspruchnahme des Asylverfahrens naheliegt (vgl. BT-Drucks. 18/4097, S. 38). Insofern ist das gesetzlich eingeräumte Ermessen dahingehend intendiert, dass regelmäßig ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anzuordnen ist.

55

b) Insbesondere hat die Klägerin zu 1) hier im Klageverfahren indessen Umstände vorgetragen und belegt, die einem Einreise- und Aufenthaltsverbot entgegenstehen könnten. Sie hat nachgewiesen, dass ihre am 23. Mai 2015 geborene Tochter, die Klägerin zu 3), deutsche Staatsangehörige ist. Dies ist gemäß § 77 Abs. 1 AsylG noch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung zu berücksichtigen. Die vom Bundesamt getroffenen Regelentscheidungen hinsichtlich des „ob“ der Anordnung nach § 11 Abs. 7 Satz 1 AufenthG und der Dauer der Befristungen nach § 11 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 7 Satz 4 AufenthG begegnen daher durchgreifenden Bedenken. Fraglich ist insbesondere, ob wegen der - auch vom Bundesamt nunmehr angenommenen - deutschen Staatsangehörigkeit der Klägerin zu 3) und ihres Alters ein Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 7 AufenthG derzeit überhaupt angebracht ist und im Übrigen erheblich kürzere Fristen als angemessen zu betrachten sind oder diese gegenwärtig gar entfallen müssten.

56

VI. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 161 Abs. 2 VwGO. Zum einen hätte die Klägerin zu 3) höchstwahrscheinlich obsiegt, weil der Erlass eines Asylbescheides in ihrem Fall unzulässig gewesen ist. Zum anderen kommen den Begehren der Kläger zu 1) und 2) bezüglich des Asyl- und Flüchtlingsstatus sowie des subsidiären Schutzes und der Abschiebungsverbote ein erheblich höheres Gewicht zu als den Entscheidungen zu den Einreise- und Abschiebungsverboten nach § 11 AufenthG. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei (§ 83b AsylG).

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Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 60 Verbot der Abschiebung


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Aufenthaltsgesetz - AufenthG

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 4 Subsidiärer Schutz


(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt: 1. die Verhängung oder Vollstreckung der To

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 11 Einreise- und Aufenthaltsverbot


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Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 3 Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft


(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich1.aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen

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Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 77 Entscheidung des Gerichts


(1) In Streitigkeiten nach diesem Gesetz stellt das Gericht auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ab; ergeht die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Entscheidung gefä

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Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens übersch

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Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 88


Das Gericht darf über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden.

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(1) Der Kläger kann bis zur Rechtskraft des Urteils seine Klage zurücknehmen. Die Zurücknahme nach Stellung der Anträge in der mündlichen Verhandlung setzt die Einwilligung des Beklagten und, wenn ein Vertreter des öffentlichen Interesses an der münd

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(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

(1) Sobald der Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt ist, sind die Beteiligten mit einer Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen, bei dem Bundesverwaltungsgericht von mindestens vier Wochen, zu laden. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende die Frist abkürzen.

(2) Bei der Ladung ist darauf hinzuweisen, daß beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann.

(3) Die Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit können Sitzungen auch außerhalb des Gerichtssitzes abhalten, wenn dies zur sachdienlichen Erledigung notwendig ist.

(4) § 227 Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozeßordnung ist nicht anzuwenden.

(1) Der Kläger kann bis zur Rechtskraft des Urteils seine Klage zurücknehmen. Die Zurücknahme nach Stellung der Anträge in der mündlichen Verhandlung setzt die Einwilligung des Beklagten und, wenn ein Vertreter des öffentlichen Interesses an der mündlichen Verhandlung teilgenommen hat, auch seine Einwilligung voraus. Die Einwilligung gilt als erteilt, wenn der Klagerücknahme nicht innerhalb von zwei Wochen seit Zustellung des die Rücknahme enthaltenden Schriftsatzes widersprochen wird; das Gericht hat auf diese Folge hinzuweisen.

(2) Die Klage gilt als zurückgenommen, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als zwei Monate nicht betreibt. Absatz 1 Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Der Kläger ist in der Aufforderung auf die sich aus Satz 1 und § 155 Abs. 2 ergebenden Rechtsfolgen hinzuweisen. Das Gericht stellt durch Beschluß fest, daß die Klage als zurückgenommen gilt.

(3) Ist die Klage zurückgenommen oder gilt sie als zurückgenommen, so stellt das Gericht das Verfahren durch Beschluß ein und spricht die sich nach diesem Gesetz ergebenden Rechtsfolgen der Zurücknahme aus. Der Beschluß ist unanfechtbar.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:

1.
die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
2.
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
3.
eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

(2) Ein Ausländer ist von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Absatz 1 ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine schwere Straftat begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
Diese Ausschlussgründe gelten auch für Ausländer, die andere zu den genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

(3) Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:

1.
die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
2.
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
3.
eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

(2) Ein Ausländer ist von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Absatz 1 ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine schwere Straftat begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
Diese Ausschlussgründe gelten auch für Ausländer, die andere zu den genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

(3) Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.

Tatbestand

1

Der am (…) 1978 geborene Kläger ist russischer Staatsangehöriger und nach eigenen Angaben tschetschenischer Volkszugehörigkeit. Am 04.11.2002 beantragte er seine Anerkennung als Asylberechtigter. Im Rahmen seiner persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt gab er u. a. an, er habe zuletzt in Vedeno in dem Dorf O. im Gebiet von Vedenski gelebt. Einen Beruf habe er nicht erlernt. Er habe bis 1999 als Angestellter der Maschadow-Regierung gearbeitet und Ölanlagen bewacht. Im Mai 2002 habe er gemeinsam mit einem Freund zwei Personen erschossen und einen russischen Offizier festgenommen, um seinen bei einer „Säuberungsaktion“ festgenommenen Bruder durch einen Austausch freizubekommen. Danach hätten sich alle drei auf der Flucht befunden, zunächst aber keine Möglichkeit gehabt, das Land zu verlassen. Mit Hilfe eines Schleppers seien sie Ende Oktober 2002 mit einem LKW nach Deutschland gebracht worden.

2

Mit Bescheid vom 25.04.2003 lehnte die Beklagte den Asylantrag ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen der §§ 51 Abs. 1, 53 AuslG nicht vorliegen. Zur Begründung führte sie u. a. aus, der Kläger habe das von ihm vorgetragene Verfolgungsschicksal nicht glaubhaft gemacht. Seine Schilderungen der vermeintlich die Flucht auslösenden Vorfälle seien insgesamt zu unpräzise, ausweichend, allgemein gehalten und teilweise lebensfremd.

3

Am 12.05.2003 hat der Kläger Klage erhoben und ergänzend vorgetragen, die Entführung des russischen Offiziers habe um die Mittagszeit auf dem Markt der Stadt Vedeno stattgefunden. Die russischen Militärangehörigen seien im Zentrum der Stadt mit einem russischen Geländewagen (UASIK) unterwegs gewesen und hätten auf dem Markt einkaufen wollen. Kurz nachdem die Russen aus ihrem Wagen ausgestiegen seien, sei es zu einer Schießerei gekommen, in deren Verlauf zwei russische Soldaten ums Leben gekommen seien. Der etwa 45-jährige russische Offizier habe sofort einsehen müssen, dass jeglicher Widerstand unsinnig sei und für ihn den Tod bedeuten würde. Er habe sich sofort festnehmen lassen und sei schnell ins Auto gebracht worden, das einem seiner (des Klägers) Freunde gehört habe. Dieser sei auch gleichzeitig der Fahrer des Wagens gewesen. Der festgenommene Offizier sei in ein Waldstück in den Bergen unweit von Vedeno gebracht worden, wo er ca. zwei Monate bis zu seinem Umtausch in einer unterirdischen Befestigung festgehalten worden sei. Am Umtausch des russischen Offiziers gegen seinen Bruder hätten auf der tschetschenischen Seite ca. 10 Leute teilgenommen. Die Operation habe unweit der georgischen Grenze stattgefunden. Die Vertreter der russischen Seite seien auf Panzern angefahren und hätten seinen Bruder mitgebracht.

4

Nach dem erzwungenen Umtausch hätten sich weder er selbst noch sein Bruder vor der Verfolgung durch russische Organe sicher sein können. Die russischen Behörden verfügten insgesamt über ein gutes Informationssystem, bei dem sie sich auch auf tschetschenische Informanten stützen könnten. Es liege nahe, dass nach solchen Personen, die sich der Begehung von Kapitalverbrechen verdächtig gemacht hätten, überall in der Russischen Föderation gefahndet werde. Es sei ihm auch nicht zuzumuten, sich in der Russischen Föderation einem rechtsstaatlichen Prozess zu stellen, wie dies ihm in der Anhörung vor dem Bundesamt nahe gelegt worden sei. Es sei allgemein bekannt, dass die russischen Ermittlungs- und Justizbehörden gegen bestimmte Kreise und Gruppen rigoros vorgingen.

5

Sowohl auf Grund der Gesamtsituation der Tschetschenen in der Russischen Föderation als auch wegen der geschilderten Ereignisse bestehe auch keine inländische Fluchtalternative.

6

Der Kläger hat (sinngemäß) beantragt,

7

den Bescheid der Beklagten vom 25.04.2003 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen sowie festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG, hilfsweise Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 2 - 7 AufenthG vorliegen.

8

Die Beklagte hat beantragt,

9

die Klage abzuweisen.

10

Mit Urteil vom 15.06.2005 hat das Verwaltungsgericht Magdeburg die Beklagte verpflichtet, das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG hinsichtlich einer Abschiebung in die Russische Föderation festzustellen, und den angefochtenen Bescheid aufgehoben, soweit er dem Verpflichtungsanspruch entgegensteht. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es u. a. ausgeführt:

11

Der Kläger sei zum gegenwärtigen Zeitpunkt im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer politischen Verfolgung ausgesetzt. Nach Überzeugung des Gerichts sei der Kläger tschetschenischer Volkszugehöriger und habe in Tschetschenien gelebt. Ihm drohe sowohl in Tschetschenien als auch im gesamten übrigen Gebiet der Russischen Föderation derzeit politische Verfolgung. Eine staatlicherseits betriebene oder geduldete gruppengerichtete Verfolgung von Tschetschenen in Tschetschenien sei zwar nicht feststellbar, da die Zahl der feststellbaren Verfolgungsfälle in ihrer Dichte nicht ausreiche, um die hohen Anforderungen der Rechtsprechung an eine staatliche Gruppenverfolgung anzunehmen. Es fehlten auch hinreichend sichere Anhaltspunkte für ein staatliches Verfolgungsprogramm.

12

Unabhängig davon, ob der Kläger vorverfolgt aus seiner Heimat ausgereist sei, drohe ihm aber deshalb mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung, weil die durch das Föderationsgesetz theoretisch auch für tschetschenische Volkszugehörige gegebene Freizügigkeit in der Praxis außerhalb Tschetscheniens stark eingeschränkt werde. Dem Kläger stehe innerhalb der Russischen Föderation auch keine inländische Fluchtalternative zur Verfügung.

13

Die vom Senat zugelassene Berufung hat der Beteiligte wie folgt begründet: Bei der Ermittlung der Verfolgungsdichte dürften nicht einfach alle Übergriffe, egal von welcher Seite und mit welcher zu vermutenden Zielrichtung undifferenziert einbezogen werden. Bei Aktionen tschetschenischer Widerstandskämpfer, Guerillas oder schlichten Räuberbanden sei nicht ersichtlich, dass diese auf asyl- oder flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter und Eigenschaften ihrer Opfer, insbesondere die ethnische Zugehörigkeit zur tschetschenischen Bevölkerungsmehrheit abzielten. § 60 Abs. 1 AufenthG diene nur dem Schutz vor politischer Verfolgung und habe nicht die Aufgabe, vor den Unglücksfolgen allgemeiner Kriegszustände und -wirren oder schlicht vor allgemein verbreiteter Gewaltkriminalität oder Terror zu bewahren. Zudem komme eine hier allenfalls mögliche örtlich begrenzte Gruppenverfolgung nur bei denjenigen Tschetschenen in Betracht, die in Tschetschenien leben. Wer hingegen – wie der Kläger – vor 2004 die russische Föderation verlassen habe und nunmehr aus dem Ausland zurückkehre, gehöre nicht zur verfolgungsgefährdeten Gruppe. Anderes gelte nur für denjenigen, der sein Heimatland vorverfolgt verlassen habe. Dafür bestünden aber im Fall des Klägers mangels Glaubhaftmachung keine Anhaltspunkte.

14

Der Beteiligte hat beantragt,

15

das Urteil des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 15. Juni 2005 – 3 A 216/03 MD – zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

16

Der Kläger hat beantragt,

17

die Berufung zurückzuweisen.

18

Mit Urteil vom 28.11.2008 hat der Senat die Berufung des Beteiligten zurückgewiesen und dies im Wesentlichen wie folgt begründet:

19

Dem Kläger stehe der geltend gemachte Anspruch auf Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG zu. Er habe die Russische Föderation vorverfolgt verlassen. Zum Zeitpunkt seiner Ausreise sei er von politischer Verfolgung im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG i. V. m. Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG unmittelbar bedroht gewesen. Die unmittelbare Bedrohung durch russische Sicherheitskräfte habe sich aus der tschetschenischen Volkszugehörigkeit des Klägers in Verbindung mit der Freipressung seines Bruders aus russischer Haft mit Hilfe tschetschenischer Widerstandskämpfer ergeben, was sich aus der Sicht der russischen Sicherheitskräfte als Engagement für die tschetschenisch-separatistische Sache dargestellt habe. Der Kläger habe im Rahmen der mündlichen Verhandlung glaubhaft machen können, dass er im Rahmen des Zweiten Tschetschenienkrieges an der Seite der Tschetschenen und gegen die russische Besatzungsmacht gekämpft habe, indem er an der Entführung eines russischen Offiziers und der Freipressung seines Bruders aus russischer Haft maßgeblich beteiligt gewesen sei. Bei einer Gefangennahme eines russischen Offiziers und der Tötung von russischen Soldaten könne davon ausgegangen werden, dass die russische Armee spätestens nach der Austauschaktion Kenntnis darüber erlangte, dass der Kläger hinter dieser Gefangennahme gestanden habe und dies die Einleitung einer landesweiten Fahndung gegen beide Brüder zur Folge gehabt hätte. Die dem Kläger im Zeitpunkt der Ausreise drohende (Straf-)Verfolgung sei auch asylerheblich, insbesondere liege darin nicht nur die Ahndung kriminellen Unrechts. Eine Strafverfolgung des Klägers wegen der von ihm geschilderten Ereignisse hätte – jedenfalls auch – politischen Charakter gehabt. Auf Grund der anzunehmenden landesweiten Fahndung gegen den Kläger sei auch das Vorliegen einer inländischen Fluchtalternative bzw. die Möglichkeit internen Schutzes nach Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG im Zeitpunkt der Ausreise des Klägers im Oktober 2002 zu verneinen. Auch außerhalb Tschetscheniens hätte der Kläger aus asylerheblichen Gründen keinen fairen Strafprozess erwarten können, er wäre vielmehr auf Grund der ihm vorgeworfenen Unterstützung tschetschenischer Widerstandskämpfer in Verbindung mit seiner tschetschenischen Volkszugehörigkeit auch dort einer politischen Verfolgung ausgesetzt gewesen. Es lägen keine stichhaltigen Gründe vor, die angesichts der Vorverfolgung des Klägers eine Verfolgung im Fall seiner Rückkehr nach Tschetschenien ausschlössen. Die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG sei auch nicht gemäß § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG i. V. m. § 3 Abs. 2 AsylVfG ausgeschlossen.

20

Mit Urteil vom 16.02.2010 (BVerwG 10 C 7.09) hat das Bundesverwaltungsgericht das Urteil des Senats aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Es hat beanstandet, das Berufungsgericht habe nicht festgestellt, ob die Voraussetzungen der in Art. 8 Abs. 2 des Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs geregelten Tatbestände erfüllt seien, die für die Einordnung von Handlungen als Kriegsverbrechen im Sinne des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylVfG maßgebend seien. Zudem habe das Berufungsgericht den Ausschlussgrund der schweren nichtpolitischen Straftat im Sinne von § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG auf zu schmaler Tatsachengrundlage verneint.

21

Der Beteiligte hat ergänzend zur Berufungsbegründung vorgetragen: Aus seiner Sicht spreche Überwiegendes gegen die Glaubhaftigkeit der Schilderungen des Klägers. Insbesondere liege nach der vom Senat eingeholten Auskunft des Auswärtigen Amts vom 21.04.2011 weiterhin kein feststellbares Fahndungsersuchen vor. Jedenfalls liege ein Ausschlussgrund nach § 3 Abs. 2 AsylVfG vor, weil der Kläger eine schwere nichtpolitische Straftat begangen habe. Auch könne dem Kläger wegen seiner Zugehörigkeit zur tschetschenischen Volksgruppe keine Flüchtlingseigenschaft zuerkannt werden, auch weil für ihn eine inländische Ausweichmöglichkeit bestehe.

22

Der Beteiligte beantragt (weiterhin),

23

das Urteil des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 15. Juni 2005 – 3 A 216/03 MD – zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

24

Der Kläger beantragt,

25

die Berufung zurückzuweisen.

26

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

27

I. Die zulässige Berufung ist teilweise begründet.

28

Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte mit dem angefochtenen Urteil zu Unrecht verpflichtet festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 25.02.2008 (BGBl I S. 162) – AufenthG – erfüllt sind und insoweit zu Unrecht den angefochtenen Bescheid aufgehoben. Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch auf Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG nicht zu (1.). Er hat aber einen Anspruch auf die Feststellung, dass für ihn das Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG besteht (2.).

29

1. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des Begehrens auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist § 3 Abs. 1 und 2 des Asylverfahrensgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 02.09.2008 (BGBl I S. 1798) – AsylVfG – sowie § 60 Abs. 1 und Abs. 8 Satz 2 AufenthG. Nach § 3 Abs. 1 AsylVfG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, wenn er in dem Staat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, den Bedrohungen nach § 60 Abs. 1 AufenthG ausgesetzt ist. Gemäß § 3 Abs. 2 AsylVfG ist ein Ausländer jedoch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er (1.) ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen, (2.) vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder (3.) den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat. Dies gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

30

1.1. Nach § 60 Abs. 1 AufenthG darf ein Ausländer in Anwendung des Abkommens vom 28.07.1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Gemäß § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG kann eine Verfolgung im Sinne des Satzes 1 ausgehen von a) dem Staat, b) Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen oder c) nichtstaatlichen Akteuren, sofern die unter den Buchstaben a und b genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht, es sei denn, es besteht eine innerstaatliche Fluchtalternative. Eine Verfolgung liegt vor, wenn dem Einzelnen in Anknüpfung an eines der genannten Merkmale gezielt Rechtsverletzungen zugefügt werden, die ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen (siehe grundsätzlich: BVerfG, Urt. v. 10.07.1989 – 2 BvR 502, 1000 und 961/86 –, BVerfGE 80, 315, 5. 339). Gemäß § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG sind (nunmehr) für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach Satz 1 vorliegt, Artikel 4 Abs. 4 sowie die Artikel 7 bis 10 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes ergänzend anzuwenden.

31

Nach Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83/EG gelten als Verfolgung im Sinne des Artikels 1A der Genfer Flüchtlingskonvention Handlungen, die

32

a) auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten keine Abweichung zulässig ist, oder

33

b) in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter Buchstabe a) beschriebenen Weise betroffen ist.

34

Die asylerheblichen Merkmale werden als Verfolgungsgründe in Art. 10 der Richtlinie definiert.

35

Hat der Ausländer sein Heimatland individuell vorverfolgt verlassen oder war er vor seiner Ausreise unmittelbar von solcher Verfolgung bedroht, kommt ihm für die Verfolgungsprognose die Beweiserleichterung des gemäß § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG (ergänzend) anzuwendenden Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG zugute. Danach stellt der Umstand, dass der Schutz suchende Ausländer bereits verfolgt wurde oder er einen sonstigen ernsthaften Schaden (vgl. Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG) erlitten hat bzw. er von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, einen ernsthaften Hinweis darauf dar, dass seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, es sei denn, es sprechen stichhaltige Gründe dagegen, dass der Ausländer erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird (vgl. hierzu BVerwG, Urt. v. 05.05.2009 – 10 C 21.08 –, NVwZ 2009, 1308 [1309], RdNr. 19). Eine Vorverfolgung kann nicht mehr wegen einer zum Zeitpunkt der Ausreise bestehenden Fluchtalternative in einem anderen Teil des Herkunftsstaates verneint werden; dies bedeutet, dass im Rahmen der Flüchtlingsanerkennung die Beweiserleichterung auch dann gilt, wenn im Zeitpunkt der Ausreise keine landesweit ausweglose Lage bestand (BVerwG, Urt. v. 24.11.2009 – 10 C 24.08 –, BVerwGE 135, 252 [259], RdNr. 18).

36

a) Der Kläger hat die Russische Föderation vorverfolgt verlassen. Er war zum Zeitpunkt seiner Ausreise von politischer Verfolgung im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG i. V. m. Art. 4 Abs. 4 QRL unmittelbar bedroht. Die unmittelbare Bedrohung durch politische Verfolgung seitens der russischen Sicherheitskräfte ergab sich aus der tschetschenischen Volkszugehörigkeit des Klägers in Verbindung mit der Freipressung seines Bruders aus russischer Haft mit Hilfe eines Freundes und tschetschenischer Widerstandskämpfer, was sich aus der Sicht der russischen Sicherheitskräfte als Engagement für die tschetschenisch-separatistische Sache darstellte.

37

aa) In seinem Urteil vom 28.11.2008 hat der Senat die vom Kläger gegebene Schilderung der Ereignisse, die eine Vorverfolgung begründen, als glaubhaft bewertet und dazu ausgeführt:

38

„Der Senat ist zunächst davon überzeugt, dass der Kläger tschetschenischer Volkszugehöriger ist. Seine Anhörung in der mündlichen Verhandlung erfolgte in tschetschenischer Sprache.

39

Der Kläger hat ferner im Rahmen der mündlichen Verhandlung glaubhaft machen können, dass er im Rahmen des Zweiten Tschetschenienkrieges an der Seite der Tschetschenen und gegen die russische Besatzungsmacht gekämpft hat, indem er an der Entführung eines russischen Offiziers und der Freipressung seines Bruders aus russischer Haft maßgeblich beteiligt war. Seine Aussagen vor dem Bundesamt waren zwar noch sehr allgemein gehalten. Einzelheiten zu der Festnahme seines Bruders im Zuge der „Säuberungsaktion“, zu der Gefangennahme des russischen Offiziers sowie insbesondere zu der Austauschaktion im Mai 2002 schilderte er dort nicht. In der mündlichen Verhandlung hat er jedoch detailreich und ohne Widersprüche zu seinem bisherigen Vortrag und den Ausführungen in der Klagebegründung nähere Angaben zu den behaupteten Ereignissen gemacht. Er hat geschildert, warum sein Bruder festgenommen worden war, wie die Gefangennahme des russischen Offiziers vorbereitet wurde, wie diese ablief und wie es möglich war, dass sie zu zweit drei bewaffnete Militärangehörige überwältigen konnten. Er hat ferner überzeugend dargestellt, wo der Offizier gefangen gehalten wurde, wie genau der Austausch ausgehandelt wurde und wie dieser ablief. Auf die Sitzungsniederschrift wird insoweit verwiesen.

40

Soweit vermeintliche Widersprüche aufgetreten sind, konnte der Kläger sie auf Vorhalt entkräften. Dies gilt beispielsweise für die Dauer der Gefangennahme des russischen Offiziers. Während er in der Klagebegründung ausgeführt hat, zwischen der Festnahme des russischen Offiziers im Mai 2002 und dem Austausch habe ein Zeitraum von etwa 2 Monaten gelegen, hat er bei der Befragung in der mündlichen Verhandlung zunächst angegeben, der Austausch habe (bereits) im Juni 2002 stattgefunden. Auf entsprechenden Vorhalt hat er bekundet, er habe mit der Zeitangabe in der Klagebegründung einen Zeitraum von etwa 1½ Monaten gemeint. Da er bei seinen früheren Befragungen keine genauen Datumsangaben gemacht hatte, hat der Senat letztlich keinen die Glaubhaftigkeit der Aussage in Frage stellenden Widerspruch feststellen können. Auch hinsichtlich der Angabe des Orts, an dem der Austausch stattfand, ist es dem Kläger gelungen, eine vermeintliche Ungereimtheit zu klären. In der mündlichen Verhandlung hat er auf Nachfrage zunächst angegeben, der Gefangenenaustausch habe in dem Gebiet von Shatoy stattgefunden. Auf den Vorhalt, nach seinen Angaben in der Klagebegründung, diese Operation habe unweit der georgischen Grenze stattgefunden, hat er dem Gericht nachvollziehbar erläutert, dass Teile des Gebiets von Shatoy zu Grenzregion zu Georgien zählten. Die Stadt Shatoy liegt (nur) etwa 40 bis 50 km von der georgischen Grenze entfernt. Die Region Shatoiskij grenzt an Georgien an.

41

Für die Glaubhaftigkeit des Vortrags des Klägers spricht ferner, dass sein Bruder im Rahmen seines Asylverfahrens ein Verfolgungsschicksal geschildert hat, das mit den vom Kläger gemachten Angaben übereinstimmt. Der Umstand, dass der Bruder des Klägers – nach kurzer Überlegung – von zwei ausgetauschten Offizieren gesprochen hatte, während der Kläger auch auf Nachfrage erklärt hat, dass nur ein Offizier ausgetauscht worden sei, steht dem nicht entgegen. Der Kläger konnte dies nachvollziehbar damit erklären, dass seinem Bruder vor der Übergabe ein Sack über den Kopf gestülpt worden sei, so dass er bei dem Austausch möglicherweise nur schwer erfassen konnte, wie viele der anwesenden Offiziere Gegenstand des Austauschs waren.

42

Die Angaben des Klägers stehen auch nicht in Widerspruch zu der vom Senat eingeholten Auskunft des Auswärtigen Amts vom 10.09.2008. Danach kann ein im Jahr 2002 erfolgter Gefangenenaustausch von inhaftierten Tschetschenen gegen festgenommene russische Offiziere nicht ausgeschlossen werden. Während der Kriegshandlungen sei es, wenn auch selten, zu derartigen Austauschaktionen gekommen. Zwar wird darin einschränkend weiter ausgeführt, dass, sofern in der Vergangenheit ein Gefangenenaustausch bekannt geworden sei, es sich um Gruppen von Gefangenen gehandelt habe, die nach einer langen Prüfung durch die russische Armeeführung ausgetauscht worden seien. Da der Offizier etwa 1 bis 2 Monate festgehalten wurde, erscheint eine ausführliche Prüfung jedenfalls nicht ausgeschlossen. Im Übrigen kann, da nach den Angaben des Auswärtigen Amts eine offizielle Anfrage bei der russischen Armee nicht möglich ist und das Auswärtige Amt nur auf der Grundlage der ihm bekannt gewordenen Fällen Auskunft geben kann, nicht ausgeschlossen werden, dass während des Kriegsgeschehens in Einzelfällen auch einzelne Gefangene durch Militäreinheiten vor Ort ausgetauscht wurden.“

43

Der Senat hält die vom Kläger vor dem Bundesamt, im erstinstanzlichen Verfahren und in der ersten mündlichen Verhandlung des Senats vom 28.11.2008 gegebene Darstellung dieser Ereignisse auch nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung vom 26.07.2012 weiterhin für glaubhaft. Zwar hat der Kläger bei seiner informatorischen Befragung am 26.07.2012 Einzelheiten der Tötung oder Verwundung der beiden russischen Soldaten teilweise anders geschildert als bisher. So hat er nunmehr zunächst erklärt, dass er und sein Freund die Waffen zunächst offen am Gürtel getragen hätten, während er bei seiner ersten Befragung noch angegeben hatte, auf dem Markt (offener Basar) habe man mit versteckten Waffen herumlaufen können, und die von ihm verwendete AKM 45 habe man leicht unter der Jacke verstecken können. Nachdem er auf diesen Widerspruch hingewiesen worden ist, erklärte der Kläger, dass er sich an Details nicht mehr erinnern könne und er nicht mehr wisse, ob sie die Waffen offen oder versteckt getragen hätten. Auf die Frage, ob die russischen Soldaten sich zur Wehr gesetzt hätten, hat er ausgeführt, die Soldaten hätten zwar schießen wollen, er aber sei schneller gewesen. In der mündlichen Verhandlung am 28.11.2008 hatte er noch vorgetragen, als Erster habe der Widerstandkämpfer und danach er selbst geschossen, die Soldaten seien getroffen worden, hätten aber trotzdem noch zurückgeschossen. Diese Widersprüche lassen sich indes damit erklären, dass der Kläger ersichtlich den Versuch hat unternehmen wollen, den möglichen, im Revisionsverfahren zur Sprache gekommenen Vorwurf zu entkräften, die beiden russischen Soldaten „meuchlerisch“ getötet zu haben und deshalb Kriegsverbrecher im Sinne von § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylVfG zu sein.

44

bb) Der Senat geht weiter davon aus, dass dem Kläger auf Grund der Tötung oder zumindest schweren Verletzung der russischen Soldaten und der Entführung des russischen Offiziers politische Verfolgung unmittelbar drohte. Bereits im Urteil vom 28.11.2008 hat der Senat ausgeführt:

45

„Nach der bereits erwähnten Auskunft des Auswärtigen Amts vom 10.09.2008 kann bei einer Gefangennahme eines russischen Offiziers und der Tötung von russischen Soldaten davon ausgegangen werden, dass die russische Armee spätestens nach der Austauschaktion Kenntnis darüber erlangte, dass der Kläger hinter dieser Gefangennahme stand, um seinen inhaftierten Bruder frei zu bekommen. Der Auskunft lässt sich weiter entnehmen, dass dies die Einleitung einer landesweiten Fahndung gegen beide Brüder zur Folge gehabt hätte.

46

Die dem Kläger im Zeitpunkt der Ausreise drohende (Straf-)Verfolgung wegen der Tötung von zwei russischen Soldaten, der Entführung eines russischen Offiziers und der Freipressung seines Bruders während des Zweiten Tschetschenienkrieges ist auch asylerheblich, insbesondere liegt darin nicht nur die Ahndung kriminellen Unrechts.

47

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Beschl. v. 27.04.2004 – 2 BvR 1318/03 –, NvWZ-RR 2004, 613) ist eine Verfolgung dann eine politische, wenn sie dem Einzelnen in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale gezielt Rechtsverletzungen zufügt, die ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen. Dies gilt allerdings nicht, wenn die staatliche Maßnahme allein dem – grundsätzlich legitimen – staatlichen Rechtsgüterschutz, etwa im Bereich der Terrorismusbekämpfung, dient oder sie nicht über das hinausgeht, was auch bei der Ahndung sonstiger krimineller Taten ohne politischen Bezug regelmäßig angewandt wird. Das Asylgrundrecht gewährt keinen Schutz vor drohenden (auch massiven) Verfolgungsmaßnahmen, die keinen politischen Charakter haben. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass insbesondere die Anwendung von Folter als schärfste Form der Ausgrenzung aus der staatlichen Friedensordnung ein Indiz für die asylerhebliche Zielrichtung der staatlichen Maßnahme darstellen kann. Die staatliche Verfolgung kriminellen Unrechts, also von Straftaten, die sich gegen die Rechtsgüter anderer Bürger richten, ist keine „politische" Verfolgung, und zwar auch dann nicht, wenn die Straftaten aus einer politischen Überzeugung heraus begangen worden sind. Politische Verfolgung liegt auch dann nicht vor, wenn objektive Umstände darauf schließen lassen, dass die Verfolgung einer sich gegen ein politisches Rechtsgut richtenden Tat nicht der mit dem Delikt betätigten politischen Überzeugung als solcher gilt, sondern einer in ihm zum Ausdruck gelangenden zusätzlichen kriminellen Komponente, deren Strafwürdigkeit der Staatenpraxis geläufig ist. Auch hier kann aber politische Verfolgung zu bejahen sein, wenn der Betroffene eine Behandlung erleidet, die härter ist als die sonst zur Verfolgung ähnlicher – nicht politischer – Straftaten von vergleichbarer Gefährlichkeit im Verfolgerstaat übliche (BVerfG, Beschl. v. 20.12.1989 – 2 BvR 958/86 – BVerfGE 81, 42 [151]). Maßnahmen der Terrorismusbekämpfung können dann als asylerhebliche Vorverfolgung zu bewerten sein, wenn zusätzliche Umstände darauf schließen lassen, dass der Betroffene jedenfalls auch wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt wird. Nicht Asyl begründend sind staatliche Maßnahmen also nur dann, wenn sie nach Art und Intensität Abwehrcharakter haben und den Bereich der Bekämpfung des Terrorismus und der damit zusammenhängenden Straftaten nicht verlassen. Wird darüber hinaus der politische Gegner – in Anknüpfung an ein asylerhebliches Merkmal – verfolgt, kommt den dabei eingesetzten staatlichen Maßnahmen Asyl begründende Wirkung zu. Extralegale Handlungen und gravierende Menschenrechtsverletzungen werfen auch im Rahmen einer unnachsichtigen Bekämpfung des Terrors durch den Staat stets die Frage auf, ob damit nicht zumindest auch asylerhebliche Ziele verfolgt werden. Ein Umschlagen in eine asylerhebliche Verfolgung liegt dementsprechend dann nahe, wenn die staatlichen Maßnahmen das der reinen Terrorismusbekämpfung angemessene Maß überschreiten, insbesondere wenn sie mit erheblichen körperlichen Misshandlungen einhergehen; aber auch bei einer übermäßig langen Freiheitsentziehung kann dies anzunehmen sein. In solchen Fällen spricht eine Vermutung dafür, dass sie den Einzelnen zumindest auch wegen seiner asylerheblichen Merkmale treffen und deshalb politische Verfolgung darstellen. Hierbei sind auch die jeweilige Rechtslage und deren Beachtung in der Rechtswirklichkeit in den Blick zu nehmen. Welche Abwehrmaßnahmen im Einzelnen bei objektiver, wertender Betrachtung noch als „legitim" und dem Rechtsgüterschutz dienend anzuerkennen sind mit der Folge, dass sie nach ihrem äußeren Erscheinungsbild aus dem Bereich politischer Verfolgung herausfallen, entzieht sich einer abstrakten Festlegung. Diese Frage kann letztlich nur anhand der konkreten Umstände des Einzelfalles, vor allem unter Berücksichtigung der jeweiligen Sicherheitslage und der allgemeinen Verhältnisse in dem betreffenden Staat beurteilt werden (vgl. zum Ganzen: BVerwG, Urt. v. vom 25.07.2000 – 9 C 28.99 –, BVerwGE 111, 334 [338]).

48

Aus der QRL, insbesondere deren Art. 9 Abs. 2 Buchstabe c) und Art. 10 Abs. 1 Buchstabe e), ergeben sich keine höheren Anforderungen an den Schutz vor einer Strafverfolgung im Heimatland. Auch Art. 9 Abs. 2 Buchstabe c) QRL bestimmt, dass eine unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung eine Verfolgung im Sinne des Art. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention sein kann.

49

In Anwendung dieser Grundsätze hätte eine Strafverfolgung des Klägers wegen der von ihm geschilderten Ereignisse – jedenfalls auch – politischen Charakter gehabt.

50

Dass Folter und Erzwingung von Geständnissen bereits lange Zeit vor der Ausreise des Klägers aus der Russischen Föderation zu den üblichen Praktiken der russischen Sicherheitskräfte gehörten, ist durch zahlreiche Quellen belegt. Nach verschiedenen Auskünften wurde von zahlreichen menschenrechtswidrigen Übergriffen berichtet. In sog. Filtrationslagern, die dazu dienen sollten, tschetschenische Terroristen aufzuspüren, kam es im großen Stil abgeschirmt von der Öffentlichkeit zu systematischen Folterungen (vgl. zum Ganzen: BayVGH, Urt. v. 24.10.2007 – 11 B 03.30710 –, Juris, m. w. Nachw.). Auch noch nach dem jüngsten Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 22.11.2008 (S. 11) berichten Menschenrechtsorganisationen glaubwürdig über zahlreiche Strafprozesse gegen angebliche Terroristen aus dem Nordkaukasus, vor allem Tschetschenen, die auf Grund von – auch – unter Folter erlangten Geständnissen zu hohen Haftstrafen verurteilt worden seien. Beim Kläger ist für eine – zumindest auch – politische Zielgerichtetheit von Verfolgungsmaßnahmen der russischen Sicherheitskräfte von entscheidender Bedeutung, dass er auf Grund der Zusammenarbeit mit tschetschenischen Widerstandskämpfern während des Zweiten Tschetschenienkrieges im Verdacht stand, deren politische Ansichten zu teilen und mit Waffengewalt zu unterstützen bereit ist; zumal seinem – freigepressten – Bruder nach den glaubhaften Darstellungen sowohl des Klägers als auch seines Bruders in dessen Asylverfahren von russischer Seite vorgeworfen wurde, an Militäraktionen beteiligt gewesen zu sein. Ferner ist zu berücksichtigen, dass es im Zeitpunkt der Ausreise des Klägers in großer Zahl zu menschenrechtswidrigen Übergriffen auf vermeintliche oder tatsächliche Terroristen gekommen ist, die von Seiten der russischen Verantwortlichen weder gesühnt noch sonst irgendwie geahndet wurden; vielmehr gehörte es offensichtlich zu der Einschüchterungspolitik der russischen Sicherheitskräfte, dem russischen Militär bzw. den vor Ort tätigen Sicherheitskräften freie Hand zu lassen und Übergriffe gerade und besonders auch gegenüber unter Terrorismusverdacht festgenommenen Personen letztendlich durch die völlige Straflosigkeit der jeweiligen Täter zu befördern, wenn nicht gar als gezieltes Mittel zur Einschüchterung zu benutzen (vgl. HessVGH, Urt. v. 24.04.2008 – 3 UE 410/06.A –, Juris).

51

An dieser Bewertung hält der Senat fest. Es liegen keine neuen Erkenntnismittel vor, die die seinerzeit vorgenommene Einschätzung in Frage stellen.

52

b) Es liegen auch keine stichhaltigen Gründe vor, die angesichts der Vorverfolgung des Klägers eine Verfolgung im Fall seiner Rückkehr nach Tschetschenien ausschließen. Hierzu hat der Senat im Urteil vom 28.11.2008 festgestellt:

53

„Die Lage in Tschetschenien hat sich zwar mittlerweile entscheidend verändert. Sie ist dadurch geprägt, dass die von dem ehemaligen Präsidenten der Russischen Föderation Putin verfolgte und betriebene Politik der „Tschetschenisierung" des Tschetschenienkonflikts aufgegangen zu sein scheint. Mit der Wahl des tschetschenischen Parlaments am 27.11.2005 ist für Moskau der 2003 begonnene „politische Prozess" zur Beilegung des Tschetschenienkonflikts abgeschlossen. Der ehemalige Präsident Putin erklärte bereits im Januar 2006 zum wiederholten Male die „antiterroristische Operation", d. h. den Krieg, für beendet. Wenngleich seit der Regierung und Präsidentschaft Ramsan Kadyrows in Tschetschenien Zeichen der Normalisierung festzustellen sind, finden auch heute noch kleinere Kämpfe zwischen Rebellen und regionalen sowie föderalen Sicherheitskräften statt. Die aktiven Rebellen weichen immer mehr in die Nachbarrepubliken, insbesondere Inguschetien und Dagestan, aus, wobei die Lage im Nordkaukasus außerordentlich instabil bleibt (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 13.01.2008). Trotz der Tötung der Separatistenführer Aslan Maschadow im März 2005 und Abdelchalim Sadullajew im Juni 2006 sowie des „Topterroristen" Schamil Bassajew im Juli 2006 gibt es laut Schätzungen der lokalen tschetschenischen Sicherheitskräfte weiterhin einige Hunderte Rebellen in den Bergregionen Tschetscheniens, die vor allem Anschläge auf Sicherheitskräfte verüben. Der russische Armeegeneral Krivonos nannte am 11.05.2007 eine Zahl von noch 300 aktiven Kämpfern. Eine dauerhafte Befriedung der Lage in Tschetschenien ist somit noch nicht eingetreten. Die Aktivitäten der tschetschenischen und föderalen Sicherheitskräfte gegen die Rebellen, insbesondere in den tschetschenischen Grenzgebieten zu den nordkaukasischen Nachbarrepubliken, wurden auch 2007 fortgesetzt. Seit 1999 forderte der Konflikt erhebliche Opfer: 10.000 bis 20.000 getötete Zivilisten (Angaben der russischen Menschenrechtsorganisation „Memorial"), 5000 bis 7000 getötete und 18.000 verletzte Angehörige der Sicherheitskräfte (Zahlen des Verteidigungsministeriums, die teilweise widersprüchlich sind) (vgl. AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, 13.01.2008).

54

Die von Ramsan Kadyrow im Schatten der autoritären Herrschaft Putins in Tschetschenien aufgerichtete Präsidialdiktatur bricht vollständig mit jenen Prinzipien, nach denen die Tschetschenen als Volk bis zu Präsident Maschadow vor allem auf dem Lande gelebt haben und nach denen ihre Gesellschaft organisiert war. Es war dies eine vormoderne, patriarchalisch und zugleich demokratisch aufgebaute Ordnung von Sippen (tejp) und Sippenverbänden (tuchkum). In ihr spielten Statusfreiheiten und demokratische Mechanismen eine wichtige Rolle, weil die Tschetschenen – im Unterschied zu den Nachbarvölkern – niemals einen Grundadel mit feudaler Herrschaft und Leibeigenschaft hervorgebracht hatten. Die russisch-sowjetische Fremdherrschaft hat zwar tief in die traditionelle Ordnung der Tschetschenen eingegriffen, aber kraft ihrer starken kollektivistischen Elemente und Institutionen in Partei und Staat (Sowjets) der patriarchalischen tejp-Ordnung elastische Anpassungs- und dadurch wirksame Überlebensmöglichkeiten geboten (vgl. Prof. Dr. Luchterhandt an HessVGH vom 08.08.2007, a. a. O.). Die von dem gerade erst 30 Jahre alten Präsidenten Kadyrow mit Moskauer Hilfe und Garantie errichtete, mit wachsender Einseitigkeit ausgestaltete und rücksichtslos durchgesetzte diktatorische politische Ordnung in der Republik setzt sich über alle vom tschetschenischen Gewohnheitsrecht (adat) geheiligten Grundsätze hinweg: Anerkennung für den Vorrang und die Würde des Alters, demokratische Konsensstrukturen, Achtung der tejp-Ordnung. Zwar ist auch die Herrschaft Ramsan Kadyrows im Ansatz die eines Clans, da sie im Kern auf dem Tejp benoj beruht, der im Raum von Gudermes-Dorf Centoroj wurzelt, aber sie ist in sich wesentlich anders strukturiert. Insbesondere werden wichtige Repräsentanten und Akteure des Kadyrow-Clans sowie weiterer mit ihm verbündeter Gruppen von Motiven gesteuert, die den Bruch mit einer weiteren festen Institution des tschetschenischen adat bedeuten, nämlich der Blutrache. Die von Kadyrow befehligten Verbände sind im Kern aus Bündnissen von Personen hervorgegangen, die – da sie wegen krimineller Handlungen der Blutrache verfallen waren – sich zusammenfanden, um gemeinsam als sogenannte Krovniki stärker als die Rächer der geschädigten tejps zu sein, ja, mehr als das, jene mit den überlegenen russischen Sicherheitskräften im Rücken zu unterdrücken und zu erniedrigen, zu verfolgen und ggfs. auch zu vernichten. Der durch eine solche „Politik" der Machthaber bewirkte Zuzug zum tschetschenischen Untergrund von Seiten verbitterter, verzweifelter Menschen ist eine ihrer Folgen. Ein anderer Aspekt ist die Unberechenbarkeit des von kriminellen, zu allem fähigen Gewalttätern beherrschten Kadyrow-Regimes. Angefangen von Ramsan Kadyrow selbst, von dem bekannt ist, dass er – wie etwa Saddam Hussein – sich an den Qualen seiner Opfer in der „privaten" Gefängnisanlage seines Heimatdorfes und Machtzentrums Centoroj weidet und sich bisweilen selbst an Folterungen beteiligt, sind all zu viele Vertreter dieses Regimes von kriminellen Leidenschaften, von Allmachtsgefühlen und Mordlust, von Habgier und Hass gesteuert. Dem Kadyrow-Regime ist daher im Alltag ein starker Zug zu „privat" gesteuerten, daher unberechenbaren Gewaltaktionen und Ausbrüchen, kurz zur Irrationalität eigen. Nicht zuletzt dies erzeugt in weiten Teilen der Gesellschaft, vor allem bei Angehörigen der älteren und mittleren Generation, ein ausgeprägtes Gefühl der Unsicherheit und Schutzlosigkeit. Davon betroffen sind keineswegs nur die Rückkehrer aus den Nachbarregionen, sondern im Prinzip alle Einwohner der Republik. Gleichwohl stellen sich für die Rückkehrer einige spezifische Sicherheitsfragen (vgl. zum Ganzen: Prof. Dr. Luchterhandt an HessVGH vom 08.08.2007, a. a. O.).

55

Vor diesem Hintergrund einer sowohl in autoritären als auch willkürlichen Machtstrukturen gefangenen Gesellschaft wird die Sicherheitslage insbesondere zurückkehrender Tschetschenen von sachkundigen bzw. sachverständigen Stellen nicht einheitlich bewertet:

56

Das Auswärtige Amt kommt in seiner Stellungnahme an den HessVGH vom 06.08.2007 in deutlicher Abweichung zu der noch in seinem Lagebericht vom 17.03.2007 geäußerten Einschätzung zu dem Ergebnis, dass sich die allgemeine Sicherheitslage in der tschetschenischen Republik im Wesentlichen normalisiert und die Zahl illegaler Verhaftungen und Entführungen von Personen stark abgenommen habe. So genannte „Säuberungen" seien schon seit mehreren Monaten nicht mehr durchgeführt worden. Tschetschenische Volkszugehörige, die nach Abschluss der Kampfhandlungen in die tschetschenische Republik zurückgekehrt seien, lebten in der Regel ein normales Leben, wobei sich „normales Leben" nicht am deutschen Standard, sondern an dem Standard Tschetscheniens von noch vor einem Jahr orientiere. Anfeindungen von Seiten der tschetschenischen und föderalen Sicherheitskräfte, aber auch von Nachbarn aus möglichen Neidmotiven, seien im Einzelfall nicht auszuschließen. Über Drangsalierungen durch tschetschenische Rebellen lägen keine Erkenntnisse vor. Die Rückkehr in ein normales Leben sei allerdings nur für Personen möglich, die nicht aktiv an Kampfhandlungen teilgenommen hätten. Russische oder tschetschenische Sicherheitskräfte stellten derzeit keine Gefahrenquelle für die männlichen Jugendlichen dar, da sie unter Berücksichtigung des Alters, in dem sie die tschetschenische Republik verlassen hätten, nicht in dem Verdacht stünden, zu Kämpfern zu werden. Traditionell hätten sie zudem bei Verlust des Vaters eine wichtige Rolle innerhalb des Familienverbands zu übernehmen. Von möglichem Interesse sei allerdings diese Altersgruppe für die tschetschenischen Kämpfer, die durch agitatorische Arbeit unter Jugendlichen versuchten, ihnen ihre ideologischen Wertvorstellungen zu vermitteln und sie auf ihre Seite zu ziehen. Tschetschenen würden seit 2001 auf freiwilliger Basis in die russische Armee aufgenommen, aber bislang nur in geringer Zahl und in Spezialfunktionen in Tschetschenien eingesetzt. Soweit es gleichwohl zu Übergriffen komme, könnten diese in Erpressung von Geld, Drohungen, im Einzelfall aber auch in Entführung oder Folter bestehen. Eine geschlechtsspezifische Unterscheidung der Übergriffsmethoden und Intensität lasse sich nicht feststellen. Im Übrigen gebe es in der tschetschenischen Republik kaum allein stehende Frauen, da sie auch als Witwen in der Familie der Verwandten lebten. Personen, die Opfer von Übergriffen von russischen oder tschetschenischen Sicherheitskräften geworden seien, könnten sich an die zuständigen Rechtsschutzorgane und Gerichte wenden, jedoch seien die Erfolgsaussichten immer noch gering.

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Amnesty international (vgl. Auskunft an den HessVGH vom 27.04.2007) ist der Auffassung, von einer Normalisierung der Situation in Tschetschenien könne nach wie vor keine Rede sein, es komme im geringen Umfang weiterhin zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen russischen und tschetschenischen Sicherheitskräften auf der einen und bewaffneten Oppositionsgruppen auf der anderen Seite. Diese Zusammenstöße fänden vorwiegend nur noch in den südlichen Regionen der Republik statt, aber durchaus auch ab und an in anderen Teilen Tschetscheniens und sogar in der Hauptstadt Grosny. Regelmäßige Luftangriffe und Artilleriebeschuss durch die föderalen russischen Kräfte, von denen frühere Phasen des zweiten Tschetschenienkonflikts geprägt waren, fänden in dem damaligen Ausmaß nicht mehr statt. Die Übergriffe auf die Zivilbevölkerung, die mit schweren Menschenrechtsverletzungen einhergingen, dauerten jedoch fort. Für Tschetschenen, die während des zweiten Tschetschenienkrieges ihre Heimatregion verlassen haben und jetzt nach Tschetschenien zurückkehren, könne sich die Sicherheitslage vielfach noch schlechter darstellen als für diejenigen, die in den letzten Jahren in Tschetschenien verblieben seien. Die Sicherheitslage insbesondere junger männlicher Tschetschenen sei sehr schlecht, da diese generell verdächtigt würden, mit den Widerstandskämpfern unter einer Decke zu stecken. Rückkehrer seien danach mehr bedroht, unrechtmäßig festgenommen, gefoltert und misshandelt zu werden oder „zu verschwinden".

58

Die Heinrich-Böll-Stiftung ist ebenfalls der Ansicht, dass Rückkehrern eine erhöhte Gefahr drohe. Sie würden oft Opfer von Erpressungen. Von offiziellen tschetschenischen Stellen würden sie beschuldigt, bei den Rebellen gewesen zu sein, wobei ihnen angeboten werde, diese Beschuldigungen gegen auch wiederholte oder regelmäßige Geldzahlungen fallen zu lassen (vgl. Auskunft der Heinrich-Böll-Stiftung an HessVGH vom 20.04.2007).

59

Gleich lautend kommt Frau Svetlana Gannuschkina, Vorsitzende der Menschenrechtsorganisation „Memorial", in ihrer Auskunft an den HessVGH vom 17.05.2007 zu dem Ergebnis, dass Rückkehrer nach Tschetschenien besonders gefährdet seien, da man sie verdächtige, bei den Aufständischen gewesen zu sein. Außerdem würden sie Opfer von Erpressungsversuchen, da man davon ausgehe, dass sie über Geld verfügten. Jeder, der nach Tschetschenien reise, begebe sich in Lebensgefahr, wobei rückkehrgefährdet insbesondere junge Männer seien, die man verdächtige, sich bewaffneten Banden angeschlossen zu haben. Wer auch nur zur Passbeantragung nach Tschetschenien zurückkehre, könne sich den Terrorismusvorwurf einhandeln. Wer altersbedingt noch keinen Pass habe oder wer seinen sowjetischen Pass verloren habe, könne auf keinen Fall nach Tschetschenien reisen. Bei jedem Versuch, einen der Checkpoints zu passieren, werde er unweigerlich festgenommen. In der tschetschenischen Republik gebe es nicht einmal ein Mindestmaß an Sicherheit, Menschen würden auch weiterhin unter fabrizierten Vorwürfen angeklagt und verurteilt, Folter sei ein übliches Mittel, um Geständnisse und Beschuldigungen zu erzwingen.

60

Dies einschränkend wird im Bericht von „Memorial" von Oktober 2007 (Zur Lage der Bewohner Tschetscheniens in der Russischen Föderation, August 2006 - Oktober 2007) allerdings beschrieben, dass sich in dem Berichtszeitraum von August 2006 bis Oktober 2007 für die Menschen der Republik bedeutsame Veränderungen ergeben hätten. So hätten die Entführungen und Morde bis Ende 2006 schrittweise abgenommen, seit Januar 2007 sogar stark. Dabei vermute man, dass Ramsan Kadyrow den Chefs der ihm unterstehenden Strukturen klar gesagt habe, dass Entführungen nicht mehr geduldet würden. Besorgnis erregend bleibe jedoch, dass Strafprozesse mit fabrizierten Anschuldigungen geführt würden, wobei zentraler Bestandteil der Beweislage Geständnisse seien, wie sie aus der Stalinzeit als „Königin der Beweise" bekannt seien. Allerdings bleibt „Memorial" bei seiner Einschätzung, dass besonders gefährdet Rückkehrer aus dem Ausland seien, da man bei ihnen viel Geld vermute.

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Nach der Auskunft des UNHCR an den Hess. VGH vom 08.10.07 hat sich die Sicherheitslage in Tschetschenien graduell verbessert, unrechtmäßige Handlungen und Gewaltakte stellten jedoch weiterhin eine Bedrohung für die ortsansässige Bevölkerung dar. Von lokalen und internationalen Menschenrechtsorganisationen würden insbesondere die Straffreiheit bei Menschenrechtsverletzungen und das Versagen der Behörden bei der Untersuchung und strafrechtlichen Verfolgung von Menschenrechtsverletzungen beklagt, außerdem die Anwendung von Folter und unrechtmäßiger Inhaftierung sowie die Nichtbeachtung des Prinzips der Rechtmäßigkeit durch die Exekutivorgane sowie die fehlende Unabhängigkeit der Rechtsprechungsorgane. Entführungen und das „Verschwindenlassen" von Personen seien weiterhin zu verzeichnen, auch wenn solche Ereignisse im Vergleich zu den früheren Jahren stark abgenommen hätten. Nach den von „Memorial“ gesammelten Daten seien im Jahr 2006 195 Personen in Tschetschenien entführt worden, 98 von ihnen seien nach Zahlung eines Lösegeldes freigelassen, 15 Personen getötet worden. 15 Fälle würden derzeit noch untersucht, während der Verbleib von 69 Personen weiterhin ungeklärt sei. Für die ersten 7 Monate des Jahres 2007 sei über die Entführung von 24 Personen berichtet worden, 15 Personen seien freigelassen oder freigekauft worden und eine Person sei tot aufgefunden worden. 6 Fälle würden derzeit noch untersucht, während der Verbleib von 2 Personen weiterhin ungeklärt sei. Die Zahlen, die von den Behörden für die genannten Zeiträume angegeben worden seien, seien wesentlich geringer. Für Rückkehrer lägen dem UNHCR keine umfassenden Untersuchungen vor, es lägen allerdings Berichte vor, wonach der föderale Sicherheitsgeheimdienst (FSB) Rückkehrer aus dem Ausland unter Beobachtung stelle und diese zu Befragungen einbestelle. Es sei bekannt, dass Rückkehrer aus Georgien zu den FSB-Büros gebracht und dort befragt würden. Es lägen jedoch keine Berichte darüber vor, dass Rückkehrer neben der Befragung zusätzlichen Problemen ausgesetzt seien. Vielmehr scheine es so, dass die Probleme, denen Rückkehrer möglicherweise ausgesetzt seien, eher davon abhingen, ob sie eine „saubere" Akte hätten als von der Tatsache, dass sie für einige Jahre in einem GUS-Staat gelebt hätten. Junge männliche Rückkehrer, die dem Rekrutierungsalter nahe seien, könnten allerdings von den Behörden als potenzielle Gefahr für die Regierung angesehen werden, wenn sie Rebellenkämpfer unter ihren Familienangehörigen (im weiten Sinne) hätten bzw. gehabt hätten. Allein stehende Frauen ohne männlichen Schutz oder Schutz durch ihre Familie seien potenziell stärker gefährdet, geschlechtsspezifischer Gewalt durch die Gemeinschaft oder im häuslichen Bereich ausgesetzt zu sein. Dies gelte besonders für nichttschetschenische Frauen, da Tschetscheninnen möglicherweise bis zu einem gewissen Grad von ihrer „Großfamilie" Schutz erhielten, auch wenn sie keine direkten männlichen Familienangehörigen (mehr) haben. Als besonders rückkehrgefährdet seien (frühere) Mitglieder illegaler, bewaffneter Formationen und deren Angehörige einzuschätzen sowie Personen, die offizielle (auch sehr niedrige) Positionen im Regime Maschadow inne gehabt hätten, Personen, die offensichtlich von den Positionen der gegenwärtigen Regierung abweichende politische Ansichten hätten sowie Personen, die möglicherweise für ihre vor der Flucht erfolgte, nichtmilitärische Unterstützung der Rebellentruppen strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden könnten.

62

Prof. Dr. Luchterhandt kommt in seiner Stellungnahme an den HessVGH vom 08.08.2007 zu dem Ergebnis, dass die heutige Lage im Vergleich zu den Verhältnissen, die bis etwa 2005 auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, also zunächst nach 1999 unter der direkten Herrschaft der föderalen Sicherheits- bzw. Streitkräfte, dann ab etwa 2004 unter dem immer mächtiger hervortretenden Ramsan Kadyrow in Tschetschenien geherrscht haben, wenige Monate nach der Erhebung Ramsan Kadyrows zum Präsidenten der Republik (02.03.2007) – bei allen Vorbehalten – eine deutlich andere, d. h. bessere sei. Nach übereinstimmender Einschätzung aller Beobachter Tschetscheniens unter Einschluss auch der Menschenrechtsorganisationen seien die Fälle von Mord, Folterungen, Misshandlungen, Menschenraub und Freiheitsberaubung signifikant zurückgegangen. Halte dieser Zustand an, werde man bald von einer auch qualitativ neuen Lage der inneren Verhältnisse Tschetscheniens sprechen können.

63

Auch jüngere Presseberichte deuten darauf hin, dass sich die Lage für Tschetschenen in Tschetschenien erkennbar verbessert hat.

64

In einem Artikel von „Spiegel Online“ vom 01.03.2008 („Geld gewinnt die Schlacht um Grosny“) heißt es, acht Jahre nach dem russischen Einmarsch komme der Wiederaufbau voran. In Grosny, der von zwei Kriegen zerstörten Hauptstadt Tschetscheniens, kündeten nur noch Überreste zerschossener Gebäude von den Schrecken der Vergangenheit. Grosny wachse. Die staatliche tschetschenische Universität zähle heute wieder 16.000 Studenten. Ihre Dozenten bereiteten sie auf rund 70 verschiedene Berufe vor. Acht Jahre nach Kriegsbeginn scheine Russland heute im einst so aufsässigen Tschetschenien einen späten Sieg davon getragen zu haben. Nur noch versprengte Guerilla-Trupps widersetzten sich Moskaus Statthalter in der Kaukasusrepublik, Präsident Ramsan Kadyrow. Ihre Zahl werde auf wenige Hundert geschätzt. Kadyrow, auf Russlands Seite gewechselter ehemaliger Rebell, habe sie erfolgreich dezimiert. Viele der ehemaligen Kämpfer dienten heute in seiner Privatarmee. Wen der 31-Jährige nicht auf seine Seite ziehen könne, den machten seine Schwadronen nieder. Die verbliebenen Widerständler hätten sich inzwischen in verfeindete Islamisten und Nationalisten gespalten. Die verbesserte Sicherheitslage lasse die Menschen in Grosny aufatmen. Der Wiederaufbau gelinge in Rekordzeit. Es sei ein merkwürdiger Aufbruch in Tschetschenien, gespeist von Erschöpfung. Den Wiederaufbau trieben enorme Zuwendungen aus Moskau. Die neue „Stabilität“ fuße auf der Kriegmüdigkeit der Menschen – und auf Angst. Wenige wagten heute noch, in aller Öffentlichkeit Präsident Ramsan Kadyrow zu kritisieren. Der Frieden im Kaukasus habe seinen Preis. Moskaus Establishment umarme Kadyrow, weil dessen eiserne Faust endlich für ein Mindestmaß an Ruhe sorge. Dafür sei Russland auch bereit, weitgehende Zugeständnisse zu machen. Sicherheitskräfte der russischen Zentralmacht rückten kaum mehr aus ihren Kasernen in Grosny aus. Stück für Stück sicherten sich Kadyrows ergebene Einheiten immer größeren Einfluss.

65

In einem Artikel in „tagesschau.de“ vom 28.02.2008 („Wir sind alle kriegsmüde“) heißt es, Tschetschenien scheine heute, auch wenn der zweite Tschetschenienkrieg den Widerstand der Separatisten nicht gebrochen habe, befriedet. Doch der Preis dafür sei hoch gewesen. Die meisten Menschen wollten einfach Frieden, keiner mehr „in die Berge“. Der Prospekt Pobjeda (zu deutsch: “Sieg“) sei wieder eine breite Einkaufsstraße mit Läden, Cafés und der größten Moschee Europas, die noch in Bau sei. Überall werde in Grosny gebaut. Tschetschenische Milizen bewachten den Wiederaufbau, unübersehbar stünden sie schwer bewaffnet auf Straßen und Plätzen. Auf fast allen Baustellen des Landes arbeiteten Bauarbeiter aus der Türkei, aus Dagestan oder aus anderen Republiken; die Tschetschenen seien noch unausgebildet. Ruinen oder Einschusslöcher seien nur noch selten zu sehen, mehr am Stadtrand, wo auch noch Warnschilder auf Minenfelder hinwiesen. Doch der Alltag sei friedlich, meine die Journalistin Sura, die weiter geäußert habe, sie lebten schon viel besser, die Kindergärten, die Schulen, die Universität arbeiten, wenn auch das Niveau der Ausbildung noch nicht sehr hoch sei. Freie Meinungsäußerung und freie Wahlen seien allerdings tabu. Präsident Kadyrow sei allgegenwärtig, jede zentrale Hauswand trage sein Porträt oder das seines Vaters. Auch in den Köpfen sei Kadyrow angekommen.

66

Die Organisation „Ärzte ohne Grenzen e. V.“ stellt in ihrem Bericht aus dem Jahr 2007 fest, dass Zehntausende Vertriebene, die in die Nachbarrepubliken Inguschetien und Dagestan geflohen waren, nach Tschetschenien zurückgekehrt seien. Große Anstrengungen würden unternommen, um den Wiederaufbau der vor weniger als einem Jahrzehnt von schweren Bombardements zerstörten Hauptstadt Grosny voranzubringen. Dennoch müsse die Kaukasusregion weiterhin als ein Pulverfass bezeichnet werden. Außerhalb Tschetscheniens seien die Kämpfe wieder aufgeflackert, und die gesamte Region sei nach wie vor von hoher Militärpräsenz geprägt. Entführungen, Morde, das Verschwinden von Personen und Bombenanschläge seien vor allem in Inguschetien, Nordossetien und Dagestan auf der Tagesordnung. Auch im Inneren Tschetscheniens sei die Lage für die Zivilbevölkerung noch immer angespannt. Ebenso leicht könne man in einen sporadischen Schusswechsel geraten wie in einen Autounfall mit schweren Militärfahrzeugen verwickelt werden.

67

Die Organisation „Cap Anamur“ (Boris Dieckow) berichtet unter Datum vom 18.02.2008, wer jetzt nach Grosny fahre, werde auf den ersten Blick Schwierigkeiten haben, Indizien dafür zu finden, dass hier ein Krieg stattgefunden habe. Vor allem in den letzten zwei Jahren habe in Grosny und in ganz Tschetschenien ein massiver Wiederaufbau stattgefunden. Die hinlänglich bekannten Bilder des zerstörten Zentrums von Grosny seien Geschichte. Das „System Kadyrow" funktioniere. 60.000 russische Soldaten seien in den Kasernen, aber im Alltagsbild nicht mehr sichtbar. Kadyrow sichere den Menschen in Tschetschenien eine Stabilität, die sie seit 15 Jahren nicht hatten. Wer die Extreme einer Diktatur nicht erfahre, richte sich ein.

68

Die Gesellschaft für bedrohte Völker betont in ihrer Stellungnahme an den HessVGH vom 18.06.2007, bei den jüngst veröffentlichten Statistiken, nach denen sich in den Städten die Lage verbessert habe und die Zahl der Gewaltverbrechen zurückgegangen sein solle, sei zu berücksichtigen, dass sich viele Menschen aus Angst vor Repressalien davor fürchteten, eine Anzeige über Gewaltverbrechen durch die tschetschenischen Sicherheitskräfte zu erstatten.

69

Auch Prof. Dr. Luchterhandt weist in seiner Auskunft an den HessVGH vom 08.08.2007 darauf hin, dass vor allem zwei Faktoren, welche die Einschätzung der Sicherheitslage wesentlich erschwerten, zu benennen seien, nämlich erstens die tief sitzende Furcht und Angst einer durch die beiden Tschetschenienkriege traumatisierten Bevölkerung und zweitens die Diskrepanz zwischen öffentlich – durchaus von verschiedenen Seiten, staatlichen Institutionen und gesellschaftlichen Organisationen – verbreiteten Zahlen über schwere und schwerste Menschenrechtsverletzungen und deren Opfer.

70

Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (Klaus Amman) führt in ihrem Bericht vom Januar 2007 (S. 6) aus, während insbesondere in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny wieder gebaut werde, verschwänden nach wie vor Menschen. Es werde immer noch gemordet und gefoltert. Als Täter verdächtigten Menschenrechtsaktivist(inn)en immer häufiger Kadyrowzy. Deutlich verschlechtert habe sich die Sicherheitslage in den schwer zugänglichen Bergregionen. Dorthin habe sich in den letzten Monaten und Jahren die Auseinandersetzung zwischen Sicherheitskräften und Widerstandskämpfern verlagert. Die lokale Bevölkerung werde verdächtigt, Widerstandskämpfer zu unterstützen, und leide deshalb besonders unter den Übergriffen durch die Sicherheitskräfte. Um die Menschenrechte stehe es in Tschetschenien ähnlich wie um die Bausubstanz seiner Häuser: Vordergründig verbessere sich die Lage, die Menschenrechtsorganisationen meldeten einen deutlichen Rückgang der Gewaltverbrechen in Tschetschenien:

71

Laut Memorial sei die Zahl der Morde und Verschleppungen zwischen Herbst 2005 und Herbst 2006 um ein Drittel auf 192 Morde und 316 Fälle von Verschwundenen zurückgegangen. Im Jahr zuvor seien es noch 310 Morde und 418 Verschleppungen gewesen. Allerdings sei anzumerken, dass das Memorial-Monitoring nur ein Drittel des tschetschenischen Territoriums umfasse und dass Daten insbesondere über die Bergregionen, in denen die Gewalt zugenommen habe, in der jüngsten Statistik fehlten. Außerdem gäben Menschenrechtsaktivist(inn)en zu bedenken, dass unter Kadyrows Regime viele Menschenrechtsverletzungen aus Angst vor Repressalien erst gar nicht mehr angezeigt würden. Gewisse Verbesserungen seien auch bezüglich der humanitären und soziökonomischen Lage in Tschetschenien unübersehbar. So nehme die Zahl der Geschäfte und Cafés in den Städten stetig zu. Straßen und Gebäude würden renoviert. Ministerpräsident Kadyrow übergebe Familien vor laufenden Kameras die Schlüssel zur frisch erstellten Wohnung. Allerdings seien diese Fortschritte nicht nur auf die massiven Gelder zurückzuführen, die Moskau jährlich überweise und von denen nach wie vor große Summen veruntreut würden. Der Wiederaufbau werde gemäß Angaben von MenschenrechtsaktivistInnen dadurch finanziert, dass Kadyrow von allen Bediensteten eine „freiwillige“ Spende abpresse. Diese Gelder flössen in den so genannten „Kadyrow-Fonds“, aus dem wiederum der Aufbau von Schulen, Sportstätten und anderen öffentlichen Einrichtungen finanziert werde.

72

Sowohl amnesty international (Auskunft an den HessVGH vom 27.04.07) als auch die Gesellschaft für bedrohte Völker (Auskunft an des HessVGH vom 18.06.07) gehen in Übereinstimmung mit Memorial davon aus, dass die Sicherheitslage insbesondere junger männlicher Tschetschenen sehr schlecht ist, da diese generell verdächtigt würden, mit den Widerstandskämpfern unter einer Decke zu stecken. Rückkehrer seien danach mehr bedroht, unrechtmäßig festgenommen, gefoltert und misshandelt zu werden oder „zu verschwinden".

73

Laut Auskunft des UNHCR an den HessVGH vom 08.10.2007 gibt es keine Hinweise darauf, dass zurückkehrende Personen bei ihrer Rückkehr allein auf Grund der Tatsache verfolgt werden, dass sie im Ausland gelebt haben, oder deshalb, weil sie einer ethnischen Minderheit angehörten. Maßgeblich für eine Verfolgungsgefahr im Falle einer Rückkehr sei insbesondere die tatsächliche oder unterstellte – frühere – Mitwirkung bzw. Einbindung bei den Rebellengruppen oder im Regime Maschadow. In diesem Zusammenhang verweist UNHCR auch auf die bereits oben benannten besonders gefährdeten Rückkehrergruppen.

74

Nach der Auskunft von Prof. Dr. Luchterhandt an den HessVGH vom 08.08.2007 ist die Gefahr, Opfer von russischen Sicherheitseinheiten, sei es von Soldaten oder russischen Milizverbänden mit Sonderaufgaben des föderalen Innenministeriums zu werden, für die Bevölkerung zwar weiterhin vorhanden, aber aus den genannten Gründen – Tschetschenisierung des Tschetschenenkonflikts und quantitativ begrenzte Einsätze – nur noch als gering einzustufen. Anders verhalte es sich jedoch mit den föderalen Verbänden tschetschenischer Sicherheitskräfte, also mit den Kadyrovcy, Jamadaevcy, Kakivci, wobei die beiden zuletzt genannten nicht der Kommandogewalt von Ramsan Kadyrow unterstünden. Hier sei die Gefahr, Opfer schwerer Angriffe auf Freiheit, Leben und Leib zu werden, noch immer als relativ hoch einzuschätzen, obgleich sie im Vergleich zu früheren Jahren deutlich geringer geworden sei. Dabei lägen keine Angaben über Fälle vor, welche Rückschlüsse auf eine höhere Gefährdung oder gar Sonderbehandlung von Rückkehrern zuließen. So habe im Oktober 2006 der Leiter des tschetschenischen Memorialbüros unter Berufung auf Anna Politkovskaja festgestellt, dass 85 % der Entführungen in Tschetschenien auf das Konto der Ramsan Kadyrow unterstehenden Verbände gingen. Dieser Prozentsatz könne auf die Verantwortlichkeit für menschenrechtswidrige Repressionsmaßnahmen der Sicherheitskräfte im Allgemeinen ausgedehnt werden. Abstrakt betrachtet sei es nicht nur wahrscheinlich, sondern selbstverständlich, dass bekannte oder gar prominente Funktionäre oder Parteigänger Präsident Maschadows und der „tschetschenischen Republik Ickerija" im Falle ihrer Rückkehr aus der Diaspora nach Russland und speziell nach Tschetschenien nicht – nur – routinemäßig behandelt, sondern angefangen bei den Einreiseformalitäten von dem in solchen Fällen zuständigkeitshalber eingeschalteten FSB, also dem Inlandsgeheimdienst, einer sorgfältigen Überprüfung und Kontrolle unterzogen würden. Gewöhnliche Tschetschenen, die auf dem Höhepunkt der „antiterroristischen Operation" (2000) Tschetschenien verlassen hätten, um irgendwo ungefährdet in Ruhe leben zu können, dürften wahrscheinlich bei ihrer Rückkehr keiner größeren Gefährdung ausgesetzt sein als andere Tschetschenen auch. Dabei bleibe festzuhalten, dass die einen wie die anderen Sicherheitskräfte menschenverachtend, wahl- und rücksichtslos bei den „antiterroristischen" Aktionen (auch) gegen die Zivilbevölkerung vorgingen und „Kollateralschäden" bedenkenlos in Kauf nähmen. Bombardements und Beschießungen von Gebäudegruppen, von Siedlungen sowie ganzer Dörfer sowie großräumige „Säuberungen" bis in die jüngste Zeit sprächen, wenngleich sie deutlich seltener geworden seien, eine beredte Sprache. Allerdings sei die Gefährdung durch föderale – russische und tschetschenische – Sicherheitskräfte beeinträchtigt zu werden, 2007 gegenüber 2006 und 2005 noch einmal messbar geringer geworden. Darauf, dass sich dieser Trend bald umkehren könnte, deute gegenwärtig nichts hin.

75

Betroffene Personen haben zwar theoretisch die Möglichkeit, sich im Fall von Übergriffen erfolgreich durch Inanspruchnahme staatlicher Stellen zur Wehr zu setzen, indem sie sich an die zuständigen Rechtsschutzorgane und Gerichte wenden (Auskunft des Auswärtigen Amts an den HessVGH vom 06.08.2007). Viele lokale und internationale Menschenrechtsorganisationen äußern jedoch weiterhin erhebliche Bedenken hinsichtlich der Menschenrechtssituation in der tschetschenischen Republik; deren Berichte heben besonders die Sorge über die Straffreiheit bei Menschenrechtsverletzungen und das Versagen der Behörden bei der Untersuchung und strafrechtlichen Verfolgung von Menschenrechtsverletzungen, über die Anwendung von Folter und unrechtmäßiger Inhaftierung sowie über die Nichtbeachtung des Prinzips der Rechtmäßigkeit durch die Exekutivorgane und die fehlende Unabhängigkeit der Rechtsprechungsorgane und die übermäßige Macht der Exekutive hervor (Auskunft des UNHCR an den HessVGH vom 08.10.2007). Gegenüber dem schon von vornherein geschwächten Rechtsschutz des Bürgers gegenüber Sicherheitsorganen in Russland erfährt die Lage in Tschetschenien dabei in mehrfacher Hinsicht noch eine weitere Schwächung, und zwar zunächst dadurch, dass in der Republik de facto ein Sonder- bzw. Notstandsregime gilt bzw. angewendet wird, das von den Grund- und Menschenrechten der föderalen Verfassung nicht einmal mehr ein Schatten übrig lässt (Gutachten von Prof. Dr. Luchterhandt an den HessVGH vom 08.08.2007). Die staatliche Praxis wird dadurch bestimmt, dass Präsident Kadyrow nicht nur die republikanische Exekutive, sondern über seine kadyrovcy auch die beiden Kammern des Parlaments und die in der Republik judizierenden Gerichte beherrscht. In aller Regel werden Ermittlungsverfahren nach einiger Zeit mit der stereotypen Formel eingestellt, man habe die Täter nicht feststellen können, und das selbst dann, wenn die Beweislage noch so klar und erdrückend ist. Immer breiter ist infolgedessen in den letzten Jahren der Strom der Beschwerden zum EGMR geworden, wobei die Beschwerdeführer unisono die völlige Unwirksamkeit des Rechtsschutzverfahrens in Tschetschenien und höheren Orts in Moskau feststellen und beklagen. Die ausbleibende Bestrafung der Übeltäter ist deshalb auch zum geflügelten Wort, zur kürzesten Formel für die Beschreibung der in Tschetschenien auf dem Gebiet von Justiz und Rechtsschutz herrschenden Verhältnisse geworden (Gutachten von Prof. Dr. Luchterhandt an den HessVGH vom 08.08.2007.

76

Unter Würdigung dieser Erkenntnismittel ist der Senat in seinem Urteil vom 31.07.2008 (2 L 23/06 –, Juris) zu dem Ergebnis gelangt, dass bei der anzustellenden Gefährdungsprognose im Rahmen der Rückausschlussklausel des Art. 4 Abs. 4 a. E. QRL entscheidend ist, ob der Rückkehrer zu einer der besonders gefährdeten Personengruppen gehört, wobei hierzu insbesondere Personen zählen, die selbst oder in ihrem familiären Umfeld von Seiten der tschetschenischen Sicherheitskräfte mit ehemaligen oder derzeitigen Mitgliedern der Rebellenorganisation in Zusammenhang gebracht werden. Bestehen hierfür Anhaltspunkte, bleibt es bei dem „ernsthaften Hinweis" des Art. 4 Abs. 4 QRL und der darin enthaltenen Vermutungsregel, da dieser Personenkreis mit verfolgungsrelevanten Maßnahmen, die bis hin zu Folterungen und Verschwindenlassen führen können, bei Rückkehr zu rechnen hat und daher keine stichhaltigen Gründe dagegen sprechen, dass er nicht erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht ist (HessVGH, Urt. v. 21.02.2008, a. a. O.). Auch der BayVGH (vgl. Urt. v. 24.10.2007, a. a. O.) geht davon aus, dass von asylerheblichen Verfolgungsmaßnahmen solche Personen betroffen sind, die einer bestimmten Risikogruppe angehören, so insbesondere Personen, die selbst der Kooperation mit den Separatisten verdächtig sind.

77

Hiernach ist zu befürchten, dass der Kläger im Fall seiner Rückkehr nach Tschetschenien flüchtlingsrelevanten Gefährdungen ausgesetzt sein wird. Er gehört als jemand, der mit Hilfe tschetschenischer Rebellen die Entführung eines russischen Offiziers und die Freilassung seines Bruders erzwungen hat, dieser Risikogruppe an.

78

Dem Kläger steht auch im übrigen Gebiet der russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens keine inländische Fluchtalternative zur Verfügung. Gemäß Art. 8 Abs. 1 QRL können die Mitgliedsstaaten bei der Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz feststellen, dass ein Antragsteller keinen internationalen Schutz benötigt, sofern in einem Teil des Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung bzw. keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht, und von dem Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil aufhält. Es spricht indes eine mehr als nur entfernte Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Kläger auf Grund seiner Beteiligung an der „Befreiungsaktion“ seines Bruders und der deshalb bestehenden landesweiten Fahndung auch in anderen Gebieten seines Heimatstaates als Tschetschenien Maßnahmen der Staatsgewalt ausgesetzt sein wird, die als Verfolgung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG und Art. 9 f. QRL zu werten sind. Generell auf die Russische Föderation bezogen wird von dem Menschenrechtsbeauftragten Lukin moniert, dass es bei Verhaftungen, Polizeigewahrsam und Untersuchungshaft immer wieder zu Folter und grausamer oder erniedrigender Behandlung durch Polizei und Ermittlungsbehörden kommt. Besonders kritisch sieht der Menschenrechtsbeauftragte die Situation vor Beginn von Strafverfahren im Rahmen der so genannten „operativen Ermittlungstätigkeit" (Auswärtiges Amt, Berichte über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation vom 13.01.2008 [S. 23] und vom 22.11.2008 [S. 21]). Bei Hinzutreten eines unterstellten oder vermuteten Terrorismusverdachts besteht die Gefahr erneuter Folter und menschenrechtswidriger Übergriffe (vgl. HessVGH, Urt. v. 24.04.2008, a. a. O.).

79

An dieser Würdigung ist festzuhalten. Es liegen auch insoweit keine neuen Erkenntnisse vor, die diese Würdigung in Frage stellen.

80

Im Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 07.03.2011 heißt es vielmehr zur Lage in Tschetschenien (Abschnitt 3.1, S. 21 ff.) u. a.:

81

„In Tschetschenien hat Oberhaupt Ramsan Kadyrow ein repressives, stark auf seine Person zugeschnittenes Regime etabliert…Nach zwei Jahren mit deutlichen Fortschritten sowohl bei der Sicherheits- als auch bei der Menschenrechtslage hat sich die Situation in beiden Bereichen in den Jahren 2008 bis 2010 insgesamt wieder verschlechtert. Berichtet wird von verstärktem Zulauf zu den in der Republik aktiven Rebellengruppen und erhöhter Anschlagstätigkeit (im gesamten Nordkaukasus soll es nach nicht verifizierbaren Angaben des FSB 600 bis 700 aktive Rebellen geben)…Nach glaubhaften Angaben von Menschenrechts-NROs haben die Behörden in einigen Fällen mit dem Abbrennen der Wohnhäuser der Familien von Personen, die sich den Rebellen angeschlossen haben, reagiert. Wieder angestiegen sind auch die Entführungszahlen: Memorial hat für 2009 in Tschetschenien 93 Entführungsfälle gegenüber 42 im Vorjahr registriert. Die Entführungen werden größtenteils den (v.a. republikinternen) Sicherheitskräften zugeschrieben. Weiterhin werden zahlreiche Fälle von Folter gemeldet. Unter Anwendung von Folter erlangte Geständnisse werden nach belastbaren Erkenntnissen von Memorial – auch außerhalb Tschetscheniens – regelmäßig in Gerichtsverfahren als Grundlage von Verurteilungen genutzt.

82

Vertreter russischer und internationaler NROs (Memorial, Human Rights Watch, amnesty international, Danish Refugee Council) zeichnen ein insgesamt düsteres Lagebild für Tschetschenien. Gewalt und Menschenrechtsverletzungen bleiben dort an der Tagesordnung, es herrscht ein Klima der Angst und Einschüchterung. Hierein fügen sich auch die Angriffe u. a. mit Farbpistolen auf tschetschenische Mädchen und Frauen im Herbst 2010, welche nach Meinung der Machthaber in der Öffentlichkeit nicht züchtig gekleidet erschienen. Kadyrow selbst hatte die Übergriffe öffentlich begrüßt.

83

Am 22. Juni 2006 beschloss die Duma eine neue Amnestieverordnung. Sie erfasst Vergehen, die zwischen dem 13. Dezember 1999 und dem 23. September 2006 im Nordkaukasus begangen wurden. Die Amnestie gilt sowohl für Rebellen („Mitglieder illegaler bewaffneter Formationen“, sofern sie bis zum 15. Januar 2007 die Waffen niederlegten) als auch für Soldaten, erfasst aber keine schweren Verbrechen (u. a. nicht Mord, Vergewaltigung, Entführung, Geiselnahme, schwere Misshandlung, schwerer Raub; für Soldaten: Verkauf von Waffen an Rebellen). Nach Mitteilung des Nationalen Antiterror-Komitees haben sich bis zum Stichtag insgesamt 546 Rebellen gestellt. Etwa 200 Rebellen waren angeblich an Sabotage und Terroraktionen beteiligt, nahezu alle sollen einer illegalen bewaffneten Gruppe angehört haben.

84

Im Bericht des Menschenrechtszentrums „Memorial“ von 2011 (S. 7) heißt es, es sei darauf hinzuweisen, dass in Tschetschenien alle gefährdet seien, die nach einer langen Abwesenheit nach Tschetschenien zurückkehrten. Es werden zwei Referenzfälle angeführt, in denen die Rückkehrer verdächtigt bzw. beschuldigt wurden, die Aufständischen zu unterstützen. In einem der Fälle sei auch gefoltert worden.

85

c) Es ist schließlich weiterhin davon auszugehen, dass dem Kläger keine Möglichkeit internen Schutzes in anderen Regionen der Russischen Föderation offen steht.

86

Zwar hat das Auswärtige Amt in seiner Auskunft an den Senat vom 21.04.2011 mitgeteilt, dass laut Auskunft von Interpol Moskau nach dem Kläger in der Russischen Föderation nicht gefahndet werde. Es lägen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass Personen, welche nicht zur Fahndung ausgeschrieben seien, im Fall ihrer Rückkehr nach Tschetschenien oder in andere Teile der Russischen Föderation staatliche Maßnahmen drohen würden. Allerdings hat das Auswärtige Amt im Lagebericht vom 07.03.2001 zur Behandlung von Rückkehrern ausgeführt (S. 35 ff.), solange der Tschetschenien-Konflikt nicht endgültig gelöst sei, sei davon auszugehen, dass abgeschobene Tschetschenen besondere Aufmerksamkeit durch russische Behörden erführen. Dies gelte insbesondere für solche Personen, die sich gegen die gegenwärtigen Machthaber engagiert hätten bzw. denen die russischen Behörden ein solches Engagement unterstellten. Sollte den russischen Behörden bekannt werden, dass der Kläger die von ihm im Asylverfahren geschilderten Straftaten begangen hat, droht ihm auch landesweite Verfolgung. Amnesty international hält in seiner Stellungnahme an den Senat vom 27.02.2012 eine Verhaftung für möglich und führt ergänzend aus, dass in diesem Fall die Gefahr der Folterung oder Misshandlung zur Erlangung eines Geständnisses sowie ein unfaires Verfahren mit einer unverhältnismäßig hohen Haftstrafe drohten.

87

1.2. Die Anwendung des § 60 Abs. 1 AufenthG und eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft scheidet jedoch gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2, Satz 2 AsylVfG i. V. m. § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG aus. Nach § 3 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG ist ein Ausländer u. a. dann nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er (1.) ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen, (2.) vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden. Gemäß § 3 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG gilt Satz 1 auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

88

1.2.1. Der Ausschlussgrund des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylVfG liegt in der Person des Klägers vor.

89

Die Frage, ob Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylVfG vorliegen, bestimmt sich gegenwärtig in erster Linie nach den im Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17.07.1998 (BGBl 2000 II S. 1394, [IStGH-Statut]) ausgeformten Tatbeständen dieser Delikte. In Art. 8 Abs. 2 IStGH-Statut werden Kriegsverbrechen differenzierend zwischen Taten in internationalen (Buchst. a und b) und innerstaatlichen (Buchst. c bis f) bewaffneten Konflikten definiert. Für den innerstaatlichen bewaffneten Konflikt knüpft Buchst. c an schwere Verstöße gegen den gemeinsamen Art. 3 der vier Genfer Konventionen über den Schutz der Opfer bewaffneter Konflikte vom 12.08.1949 an. Er stellt u. a. Angriffe auf Leib und Leben sowie die Geiselnahme von Personen unter Strafe, die nicht unmittelbar an den Feindseligkeiten teilnehmen, einschließlich der Angehörigen der Streitkräfte, welche die Waffen gestreckt haben, und der Personen, die durch Krankheit, Verwundung, Gefangennahme oder eine andere Ursache außer Gefecht befindlich sind. Die Vorschrift wertet danach auch Handlungen als Kriegsverbrechen, die gegen Soldaten gerichtet sind. Buchst. e erfasst andere schwere Verstöße gegen die innerhalb des feststehenden Rahmens des Völkerrechts anwendbaren Gesetze und Gebräuche im innerstaatlichen bewaffneten Konflikt. So erstreckt sich Buchst. e Nr. IX - XI auf den Schutz gegnerischer Kombattanten im Falle meuchlerischer Tötung oder Verwundung, der Erklärung, dass kein Pardon gegeben wird sowie der körperlichen Verstümmelung von Personen, die sich in der Gewalt einer anderen Konfliktpartei befinden (vgl. zum Ganzen das Revisionsurteil des BVerwG vom 16.02.2010 – 10 C 7.09 –, BVerwGE 136, 89 [97], RdNr. 26 ff.).

90

a) Bei dem Zweiten Tschetschenienkrieg, in dessen Verlauf der Kläger die von ihm geschilderten Taten beging, handelte es sich um einen innerstaatlichen Konflikt.

91

aa) Art. 8 Abs. 2 Buchst. d und f IStGH-Statut grenzen innerstaatliche bewaffnete Konflikte ab gegenüber Fällen innerer Unruhen und Spannungen wie Tumulten, vereinzelt auftretenden Gewalttaten oder anderen ähnlichen Handlungen. Buchst. f setzt zudem voraus, dass zwischen staatlichen Behörden und organisierten bewaffneten Gruppen oder zwischen solchen Gruppen ein lang anhaltender bewaffneter Konflikt besteht. Diese Regelungen markieren die untere völkerrechtliche Relevanzschwelle für einen innerstaatlichen bewaffneten Konflikt. Verlangt wird ein gewisses Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit des Konflikts, um den Eingriff in die Souveränität des betroffenen Staates zu rechtfertigen (BVerwG, Urt. v. 24.11.2009, a.a.O., S. 265, RdNr. 33).

92

bb) Nach diesem Maßstab ist der Zweite Tschetschenienkrieg als innerstaatlicher Konflikt einzuordnen. Diese Bewertung ergibt sich vor folgenden Hintergründen, die im Internet-Lexikon wikipedia wie folgt dargestellt sind:

93

1921/1922 wurde Tschetschenien Teil der Sowjetunion. Am 01.11.1991 erklärte der tschetschenische Präsident Dschochar Dudajew einseitig die Unabhängigkeit seines Landes und lehnte auch einen Föderationsvertrag mit Russland ab. Es begann eine „Tschetschenisierung“ sämtlicher Lebensbereiche, die die massenhafte Flucht der russischsprachigen Bevölkerungsteile nach sich zog. Die russische Regierung in Moskau unterstützte in der Folge zunächst die politischen Gegner Dudajews und verstärkte ihre Truppen an den Grenzen zu Tschetschenien. Bis zum Jahr 1994 kam es zu einem Massenexodus der nicht-tschetschenischen Bevölkerung aus der Republik (ca. 200.000 bis 300.000 Menschen).

94

Am 29.11.1994 beschloss der Sicherheitsrat der Russischen Föderation unter seinem Ersten Sekretär Oleg Lobow ohne Konsultation der übrigen Institutionen den Angriff auf Tschetschenien. Am 11.12.1994 erteilte der russische Präsident Boris Jelzin schließlich den Befehl zur militärischen Intervention (Erster Tschetschenienkrieg). Der tschetschenische Rebellenchef Dudajew wurde am Abend des 21.04.1996 in der Nähe des Dorfes Gechi-Tschu getötet. Offiziellen Stellungnahmen zufolge wurde er während eines Telefonats durch einen gezielten Angriff mit einer Rakete tödlich verletzt. Allerdings gab es auch Spekulationen darüber, dass Dudajew innertschetschenischen Machtkämpfen zum Opfer gefallen sei oder gar überlebt habe. Vor den russischen Präsidentschaftswahlen am 16.06.1996 einigte man sich auf ein Waffenstillstandsabkommen, das aber zunächst von beiden Seiten nicht eingehalten wurde. Im August 1996 handelte dann der russische General Alexander Lebed mit dem Chef der tschetschenischen Übergangsregierung Aslan Maschadow ein neues Waffenstillstandsabkommen aus, das auch den Abzug der russischen Truppen aus Tschetschenien beinhaltete (Abkommen von Chassawjurt). Maschadow hatte im August 1996 die von der russischen Armee kontrollierte Stadt Grosny mit etwa 5.000 tschetschenischen Separatisten zurückerobert. Der Krieg hatte damit für die russische Seite eine überraschende und niederschmetternde Wende genommen. Anfang Januar 1997 war der Abzug der russischen Truppen abgeschlossen. Ende Januar fanden in Tschetschenien Parlaments- und Präsidentenwahlen statt, aus denen Maschadow als Staatschef hervorging; am 12.05.1997 unterzeichneten Jelzin und Maschadow einen formellen Friedensvertrag. Der umstrittene politische Status Tschetscheniens wurde allerdings in diesem Vertrag nicht geklärt, sondern auf den 31.12.2001 verschoben.

95

Nach der Unterzeichnung des Friedensvertrages von Chassawjurt 1996 wurde Tschetschenien de facto, allerdings nicht de jure, eine unabhängige Republik. Die Macht rissen jedoch bald die intensiv aus dem Ausland unterstützten islamistischen Gruppierungen an sich. Der 1997 noch demokratisch gewählte Präsident Aslan Maschadow musste schon bald einwilligen, die Scharia einzuführen, und seine Macht mit den Kriegsherren und ihren wahabitischen Mentoren aus dem arabischen Raum teilen. Dem Aufbau der staatlichen Exekutivstrukturen widersetzten sich kriminelle Clans. Bis zum Jahr 1999 verwandelte sich Tschetschenien auf diese Weise in ein sicheres Rückzugsgebiet für Mitglieder mafiaähnlicher Vereinigungen, die im ganzen GUS-Raum-Raum operierten. Parallel dazu fanden eine erzwungene Islamisierung des öffentlichen Lebens, Übergriffe auf nicht-muslimische Minderheiten und ihr Exodus statt.

96

Rund 400 tschetschenische Freischärler unter der Führung von Schamil Bassajew und Ibn al-Chattab griffen am 07.08.1999 das Nachbarland Dagestan im Bezirk Botlichinskij an. In Kämpfen bis zum 26.08.1999 kamen rund 73 russische Soldaten ums Leben und 259 wurden verwundet. Am 05.09.1999 griffen diesmal rund 2.000 Kämpfer den dagestanischen Bezirk Nowolakskij bis 15.09. an und töteten mehrere hundert Menschen. Am 01.10.1999 marschierte die russische Armee erneut in Tschetschenien ein, um die aus der Sicht Russlands kriminelle und die Rebellen unterstützende Regierung von Aslan Maschadow von der Macht zu entfernen. Schon bald eroberte die Armee den Großteil des tschetschenischen Flachlandes und die Hauptstadt Grosny (Zweiter Tschetschenienkrieg).

97

Maschadow und die islamistischen Gruppierungen tauchten in den Untergrund ab und versuchten sich in die schwer zugänglichen südlichen Gebirgsregionen zurückzuziehen, wo sie sich vor der russischen Armee sicher glaubten. Nachdrängende russische Truppen schlossen jedoch einen Großteil der flüchtenden Rebellen südlich von Grosny ein. Während der überwiegende Teil von ihnen nach der Schlacht um Höhe 776 der Umschließung entkam, wurde ein weiterer Großverband unter dem Kommando von Ruslan Gelaew bei Komsomolskie von Föderationstruppen aufgerieben.

98

Die eigentliche militärische Phase der russischen Invasion endete demzufolge bereits im Frühjahr 2000. Ihre Truppen blieben jedoch vor Ort stationiert, um eine Rückkehr der Rebellen zu verhindern und sie, wenn möglich, gänzlich aus ihren Rückzugsgebieten zu vertreiben. Die verbliebenen tschetschenischen Verbände, unter denen sich auch internationale Dschihad-Kämpfer befanden, gingen in der Folge zu einer Guerilla-Taktik über, indem sie kleine Kampfeinheiten (10 bis 50 Mann) bildeten und auf überfallartige Angriffe und Anschläge gegenüber der russischen Armee setzten, bei denen oft auch tschetschenische Zivilisten starben. Ab 2000 traten auch erstmals weibliche Selbstmordattentäter, die so genannten „Schwarzen Witwen“, in Erscheinung. Von Beobachtern werden ausländische Geldgeber als Finanziers der Rebellen vermutet, wobei Georgien auf Grund seiner Lage als Operationsbasis vermutet wird.

99

2001 startete Russland eine breit angelegte so genannte „Antiterror-Operation“ mit dem Ziel der Zerschlagung des tschetschenischen Widerstandes. In ihrem Verlauf gelang es den Russen nach und nach, wichtige Führungspersonen des tschetschenischen Widerstandes auszuschalten, darunter tschetschenische und internationale Größen wie Ibn al-Chatab, Abu al-Walid, Salman Radujew, Ruslan Gelajew und Aslan Maschadow. Ein Erfolg bei der Auffindung des wohl gefährlichsten Terroristen Schamil Bassajew blieb lange aus, am 10.07.2006 wurde sein Tod gemeldet. Diesen Nachrichten zufolge wurde er durch eine russische Geheimdienstaktion getötet.

100

Am 26.09.2002 griffen die tschetschenischen Freischärler unter dem Anführer Ruslan Gelajew die kleine russische Republik Inguschetien an und töteten in dem Dorf Galschki 14 russische Soldaten und 17 Bürger.

101

Bei der Geiselnahme im Moskauer Dubrowka-Theater vom 23.10. bis 26.10. 2002 nahmen tschetschenische Selbstmordattentäter, darunter auch mehrere Frauen, unter Führung von Mowsar Barajew etwa 700 Geiseln und forderten die Beendigung des Krieges und den sofortigen Abzug des russischen Militärs. Zur Beendigung des Dramas setzten die russischen Behörden ein zuvor ungetestetes Betäubungsgas ein. Dabei starben alle 41 Geiselnehmer sowie 129 Geiseln: Die bewusstlosen Geiselnehmer durch Genickschüsse der russischen Einsatzkommandos, die Theaterbesucher überwiegend auf Grund der Betäubungsmittelüberdosis und der unzureichenden medizinischen Versorgung nach ihrer Befreiung.

102

Ein Bombenanschlag auf das tschetschenische Regierungsgebäude in Grosny am 27.12.2002 forderte 72 Todesopfer. Im Februar 2003 erließen die USA Sanktionen gegen tschetschenische Rebellengruppen und setzten sie auf ihre Liste terroristischer Organisationen, unter anderem infolge der Bombenattentate in Moskau. Außerdem wurden Bankkonten eingefroren. Bei einer Volksbefragung in Tschetschenien am 23.03.2003 stimmten laut offiziellem Ergebnis 95,5 % der Bevölkerung für den Verbleib in der Russischen Föderation. Beobachter bezweifelten allerdings die Rechtmäßigkeit des Wahlergebnisses.

103

Am 05.10.2003 fanden in Tschetschenien Präsidentenwahlen statt. Russlands Präsident Wladimir Putin, der diese Wahlen angeordnet hatte, gelang es, seinen Kandidaten Achmad Kadyrow, den Chef der Verwaltungsbehörde, durchzusetzen, indem er erwirkte, dass alle Kandidaten, die in Umfragen vor Kadyrow lagen, nicht kandidierten. Aslambek Alsachanow bekam als Gegenleistung für den Rückzug seiner Kandidatur einen Posten als Putins Beauftragter in Tschetschenien-Fragen, Malik Saidullajews Kandidatur wurde vom Obersten Gerichtshof für ungültig erklärt. Die Wahl, zu der die OSZE nach offiziellen Angaben aus Sicherheitsgründen keine Beobachter entsandt hatte, wurde sowohl von westlichen Politikern als auch von Menschenrechtsorganisationen als Farce bezeichnet. Kadyrow kündigte an, noch härter gegen seine Gegner vorzugehen.

104

Sieben Monate später, am 09.05.2004, wurde Kadyrow bei einem Bombenanschlag getötet. Putin ernannte daraufhin den tschetschenischen Regierungschef Sergej Abramow zum provisorischen Präsidenten.

105

Nach einem Radiointerview des von Moskau nicht anerkannten, im Untergrund lebenden Präsidenten Aslan Maschadow im Juni 2004, in dem er eine Taktikänderung bei den Separatisten ankündigte, griffen am 22.06.2004 (am Jahrestag des deutschen Russlandfeldzugs) tschetschenische Rebellen erneut die Nachbarrepublik Inguschetien an. Nach Augenzeugenberichten umzingelten etwa 200 schwer bewaffnete Rebellen mehrere Polizeistationen, Posten der Verkehrspolizei und eine Kaserne von Grenzsoldaten und erschossen alle anwesenden Polizisten, Soldaten sowie Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft und des Inlandsgeheimdienstes FSB. In dem Blutbad starben 90 Menschen, darunter 62 lokale Sicherheitskräfte, der inguschetische Innenminister Abukar Kostojew, einer seiner Stellvertreter und der Gesundheitsminister.

106

Im September 2004 starben bei der Geiselnahme in einer Schule im nordossetischen Beslan nach offiziellen Angaben 338 Zivilisten und Sicherheitskräfte sowie die etwa 30 Geiselnehmer. Das Kommando hatte am Einschulungstag eine große Anzahl von Schülern, Lehrern und Eltern in ihre Gewalt gebracht und drohte mit der Sprengung der Turnhalle, in der sie sich mit den Geiseln aufhielten, falls Russland sich nicht aus Tschetschenien zurückzöge. Der Aktion waren die Entführung und spätere Sprengung zweier russischer Passagiermaschinen mit etwa 90 Menschen an Bord sowie ein Anschlag auf eine Station der Moskauer Metro mit 12 Todesopfern vorausgegangen. Die Verantwortung übernahm jeweils der tschetschenische Rebellenführer Schamil Bassajew.

107

Am 08.03.2005 gelang es den Russen, den nicht anerkannten Rebellen-Präsidenten Maschadow bei Tolstoj-Jurt zu stellen und im Verlauf der nicht näher aufgeklärten Operation zu töten. Während im Westen in diesem Zusammenhang Warnungen vor einer Radikalisierung des tschetschenischen Widerstandes geäußert wurden, gingen viele russische Beobachter, denen Maschadow als Drahtzieher und Mitorganisator zahlreicher Anschläge galt, von einer Minderung der Zahl der Terrorakte und einer Stabilisierung der Lage aus. Tatsächlich zogen sich die wenigen verbliebenen Rebellen mehr und mehr aus dem Vorhaben eines Krieges gegen Russland zurück. Ihre Zahl wurde je nach Quelle auf etwa 100–200 Mann geschätzt, die in kleinen Gruppen von 2–4 und höchstens 10–15 Mann operieren. Um ihr eigenes Fortbestehen zu finanzieren, sind die Gruppen vermehrt zum Drogenhandel übergegangen.

108

Am 16.04.2009 wurde auf Anweisung des russischen Präsidenten Dimitir Medwedew Tschetscheniens Status einer „Zone der Ausführung antiterroristischer Operationen" aufgehoben. Mit dem Abzug etwa 20.000 russischer Militärangehöriger liegt die Regierungsgewalt verstärkt beim 2007 vereidigten Präsidenten Tschetscheniens, Ramsan Kadyrow.

109

cc) Da der Konflikt innerhalb des Staates der Russischen Föderation in der Teilrepublik Tschetschenien stattfand und sich die Russischen Streitkräfte einerseits und (wenn auch teilweise vom Ausland unterstützte) tschetschenische Rebellen andererseits gegenüberstanden, war der Konflikt innerstaatlich. Angesichts des oben dargestellten Ausmaßes der Kampfhandlungen kann auch nicht von bloßen „inneren Unruhen oder Spannungen wie Tumulten, vereinzelt auftretenden Gewalttaten oder anderen ähnlichen Handlungen“ gesprochen werden. Zwischen den staatlichen russischen Behörden und organisierten bewaffneten tschetschenischen Rebellen bestand vielmehr ein lang anhaltender bewaffneter Konflikt. Wie bereits das BVerwG im Revisionsurteil ausgeführt hat, sind auch die Beteiligten in der dortigen mündlichen Verhandlung vom Vorliegen eines solchen (aus Sicht des Revisionsgerichts naheliegenden) innerstaatlichen Konflikts ausgegangen.

110

b) Der Umstand, dass der Kläger nach seinen Schilderungen nicht Mitglied der organisierten bewaffneten tschetschenischen Rebellen war und damit als Zivilperson anzusehen sein dürfte, schließt nicht aus, dass er Täter eines Kriegsverbrechens nach Art. 8 Abs. 2 IStGH-Statut sein kann (BVerwG, Urt. v. 16.02.2010, a.a.O., RdNr. 30).

111

aa) Art. 8 Abs. 2 IStGH-Statut definiert nur, welche Handlungen Kriegsverbrechen darstellen und wer geeignetes Opfer sein kann, grenzt jedoch den Täterkreis selbst nicht ein. Nach der Rechtsprechung internationaler Strafgerichtshöfe und nach der völkerstrafrechtlichen Literatur kann grundsätzlich auch eine Zivilperson Täter eines Kriegsverbrechens sein, nicht nur ein Kämpfer der sich gegenüberstehenden Konfliktparteien; es muss aber ein funktionaler Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt bestehen (BVerwG, Urt. v. 16.02.2010, a.a.O., RdNr. 31, m.w.N.).

112

Der funktionale Zusammenhang erfordert eine Verbindung zwischen der Tat und dem bewaffneten Konflikt, nicht zwischen dem Täter und einer der Konfliktparteien. Eine Verbindung des Täters zu einer der Konfliktparteien ist zwar ein Indiz für den funktionalen Zusammenhang zwischen Tat und Konflikt, aber keine zwingende Voraussetzung. Das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts muss für die Fähigkeit des Täters, das Verbrechen zu begehen, für seine Entscheidung zur Tatbegehung, für die Art und Weise der Begehung oder für den Zweck der Tat von wesentlicher Bedeutung sein. Für einen funktionalen Zusammenhang spricht es, wenn bestimmte Taten unter Ausnutzung der durch den bewaffneten Konflikt geschaffenen Situation begangen werden. Dies gilt aber nicht für Taten, die nur bei Gelegenheit des gleichzeitigen bewaffneten Konflikts und unabhängig von diesem begangen werden. Zu prüfen ist insoweit, ob die Tat in Friedenszeiten ebenso hätte begangen werden können oder ob die Situation des bewaffneten Konflikts die Tatbegehung erleichtert und die Opfersituation verschlechtert hat. Die persönliche Motivation des Täters ist unerheblich (BVerwG, Urt. v. 16.02.2010, a.a.O., RdNr. 32, m.w.N.).

113

bb) Der hiernach notwendige Zusammenhang zwischen der vom Kläger verübten Tat und dem innerstaatlichen Konflikt ist gegeben.

114

Der Zweite Tschetschenienkrieg war jedenfalls für seine Entscheidung zur Tatbegehung von wesentlicher Bedeutung. Nur auf Grund der Tatsache, dass sein Bruder als Mitglied der bewaffneten Rebellen festgenommen worden war, entschloss sich der Kläger, zur Befreiung seines Bruders einen russischen Offizier zu entführen und dabei die ihn begleitenden Soldaten kampfunfähig zu machen, also zu verwunden oder gar zu töten.

115

Dem funktionalen Zusammenhang steht auch nicht entgegen, dass die Aktion abseits vom allgemeinen Kampfgeschehen auf einem Markt durchgeführt wurde; denn die Aktion war gegen eine der Konfliktparteien gerichtet. Sie wurde mit Hilfe der gegnerischen Konfliktpartei realisiert. Die persönliche Motivation des Klägers, seinen Bruder aus russischer Haft zu befreien, steht dem nicht entgegen, da die spezifische Gefährdungssituation des bewaffneten Konflikts die Tat erst ermöglichte (BVerwG, Urt. v. 16.02.2010, a.a.O., RdNr. 33).

116

c) Auch sind die beiden getöteten oder verwundeten russischen Soldaten als Opfer eines Kriegsverbrechens nach Art. 8 Abs. 2 IStGH-Statut anzusehen.

117

aa) Der Kläger hat den Tatbestand der „meuchlerischen Tötung“ der beiden russischen Soldaten nach Art. 8 Abs. 2 Buchst. e Nr. IX IStGH-Statut erfüllt.

118

a) Die meuchlerische Tötung und Verwundung feindlicher Kombattanten (sog. Perfidieverbot) wird seit der Verabschiedung von Art. 23 Buchst. b der Haager Landkriegsordnung von 1907 (RGBl 1910, 132) als Kriegsverbrechen angesehen. Während dieses Kriegsverbrechen im internationalen bewaffneten Konflikt auch gegenüber Zivilpersonen begangen werden kann (vgl. Art. 8 Abs. 2 Buchst. b Nr. XI IStGH-Statut), sind taugliche Opfer im nichtinternationalen bewaffneten Konflikt nur Kämpfer der gegnerischen Partei (Art. 8 Abs. 2 Buchst. e Nr. IX IStGH-Statut) (BVerwG, Urt. v. 16.02.2010, a.a.O., RdNr. 37). Da die beiden Personen, an deren Tötung der Kläger beteiligt war, russische Soldaten waren, kommt der Kläger als Täter einer „meuchlerischen Tötung“ in Betracht.

119

ß) Im Einzelfall sind verbotene Perfidie und erlaubte Kriegslist schwer voneinander abzugrenzen. Zur näheren Bestimmung der Voraussetzungen der „meuchlerischen Tötung" kann auf das Verbot der Heimtücke im internationalen bewaffneten Konflikt nach Art. 37 Abs. 1 des am 08.06.1977 unterzeichneten Zusatzprotokolls I zu den Genfer Abkommen vom 12.08.1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Zusatzprotokoll I - BGBl 1990 II S. 1551) zurückgegriffen werden, das auch für den innerstaatlichen bewaffneten Konflikt gilt (BVerwG, Urt. v. 16.02.2010, a.a.O., RdNr. 38). Diese Bestimmung lautet:

120

"Art. 37 Verbot der Heimtücke

121

(1) Es ist verboten, einen Gegner unter Anwendung von Heimtücke zu töten, zu verwunden oder gefangen zu nehmen. Als Heimtücke gelten Handlungen, durch die ein Gegner in der Absicht, sein Vertrauen zu missbrauchen, verleitet wird, darauf zu vertrauen, dass er nach den Regeln des in bewaffneten Konflikten anwendbaren Völkerrechts Anspruch auf Schutz hat oder verpflichtet ist, Schutz zu gewähren. Folgende Handlungen sind Beispiele für Heimtücke:

122

a) das Vortäuschen der Absicht, unter einer Parlamentärflagge zu verhandeln oder sich zu ergeben;

123

b) das Vortäuschen von Kampfunfähigkeit infolge Verwundung oder Krankheit;

124

c) das Vortäuschen eines zivilen oder Nichtkombattantenstatus;

125

d) das Vortäuschen eines geschützten Status durch Benutzung von Abzeichen, Emblemen oder Uniformen der Vereinten Nationen oder neutraler oder anderer nicht am Konflikt beteiligter Staaten."

126

Völkerrechtswidrig ist danach nicht jede Irreführung des Gegners, sondern nur die Ausnutzung eines durch spezifische – insbesondere in Art. 37 Abs. 1 Zusatzprotokoll I beschriebene – Handlungen geschaffenen Vertrauenstatbestandes. Entscheidend ist, dass der Täter den Gegner gerade über das Bestehen einer völkerrechtlichen Schutzlage getäuscht hat. Das gilt auch im innerstaatlichen bewaffneten Konflikt. Insoweit ist allerdings zu berücksichtigen, dass es für Guerilla- bzw. Widerstandskämpfer keine völkerrechtliche Pflicht zum Tragen einer Uniform gibt. Mithin ist der Tatbestand des Vortäuschens eines zivilen oder Nichtkombattantenstatus nur unter besonderen Voraussetzungen erfüllt. Für Widerstandskämpfer im innerstaatlichen bewaffneten Konflikt besteht jedoch die Pflicht zum offenen Tragen der Waffe als Unterscheidungsmerkmal zwischen Kämpfern und Zivilpersonen. Das lässt sich aus der Vorschrift des Art. 44 Abs. 3 Zusatzprotokoll I ableiten, wonach Kombattanten nicht gegen das Verbot perfiden Verhaltens verstoßen, wenn sie ihre Waffen bei jeder militärischen Handlung einschließlich der Vorbereitung von Angriffen offen tragen. Diese Wertung ist auch für die Anwendung des Perfidieverbots im innerstaatlichen bewaffneten Konflikt zu berücksichtigen (BVerwG, Urt. v. 16.02.2010, a.a.O., RdNr. 39 f., m.w.N.).

127

?) Der Kläger hat im Sinne von Art. 8 Abs. 2 Buchst. e Nr. IX IStGH-Statut „meuchlerisch“ gehandelt, in dem er den getöteten oder verwundeten Soldaten einen zivilen bzw. Nichtkombattantenstatus vortäuschte.

128

(1) Der Kläger hat bei seiner Befragung im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 26.07.2012 erklärt, dass er und sein Freund bei der Entführung des russischen Offiziers Zivilkleidung trugen.

129

(2) Der Senat ist auch davon überzeugt, dass der Kläger und sein Freund die Waffen, mit denen sie die Soldaten töteten oder verwundeten, vor Abgabe des ersten Schusses, verdeckt trugen und die die russischen Soldaten darüber täuschten, dass sie von ihnen keinen Angriff zu erwarten hatten. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 28.11.2008 (Bl. 92 GA) hat der Kläger angegeben, auf dem Markt (offener Basar) habe man mit versteckten Waffen herumlaufen können, und die von ihm verwendete AKM 45 habe man leicht unter der Jacke verstecken können. Dies kann zur Überzeugung des Senats nur so verstanden werden, dass der Kläger und der Mittäter die Waffen vor Abgabe des ersten Schusses versteckt trugen. Zwar hat der Kläger bei der zweiten informatorischen Befragung am 26.07.2012 zunächst erklärt, er und sein Freund hätten die Waffen offen am Gürtel getragen. Diese Darstellung hält der Senat aber nicht für glaubhaft. Nachdem der Kläger auf den Widerspruch zu seiner früheren Schilderung hingewiesen worden ist, hat er erklärt, dass er sich an Details nicht mehr erinnern könne und er nicht mehr wisse, ob sie die Waffen offen oder versteckt getragen hätten. Ein offenes Tragen der Waffen erschiene indes wenig plausibel, da dies einen Erfolg der geplanten Entführung eines bewaffneten Offiziers und seiner beiden bewaffneten Begleiter durch nur zwei Personen wesentlich erschwert, wenn nicht gar unmöglich gemacht hätte. Der Senat ist – wie bereits oben dargelegt – davon überzeugt, dass der Kläger mit seiner in der mündlichen Verhandlung vom 26.07.2012 zunächst vorgetragenen Darstellung, er und sein Freund hätten die Waffen offen getragen, ersichtlich den Versuch hat unternehmen wollen, den im Revisionsverfahren zur Sprache gekommenen Vorwurf zu entkräften, die beiden russischen Soldaten „meuchlerisch“ getötet zu haben und deshalb Kriegsverbrecher im Sinne von § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylVfG zu sein.

130

(3) Dem Kläger ist auch ein vorsätzliches und wissentliches Verhalten im Sinne von Art. 30 IStGH-Statut vorzuhalten.

131

Gemäß § 30 Abs. 1 IStGH-Satut ist, sofern nichts anderes bestimmt ist, eine Person für ein der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegendes Verbrechen nur dann strafrechtlich verantwortlich und strafbar, wenn die objektiven Tatbestandsmerkmale vorsätzlich und wissentlich verwirklicht werden. Gemäß § 30 Abs. 2 IStGH-Statut liegt „Vorsatz“ im Sinne dieses Artikels vor, wenn die betreffende Person a) im Hinblick auf ein Verhalten dieses Verhalten setzen will, b) im Hinblick auf die Folgen diese Folgen herbeiführen will oder ihr bewusst ist, dass diese im gewöhnlichen Verlauf der Ereignisse eintreten werden. „Wissen" im Sinne dieses Artikels bedeutet gemäß § 30 Abs. 3 StGH-Statut das Bewusstsein, dass ein Umstand vorliegt oder dass im gewöhnlichen Verlauf der Ereignisse eine Folge eintreten wird; „wissentlich" und „Wissen" sind entsprechend auszulegen.

132

Der Kläger handelte hiernach in Bezug auf die Tatbestandsmerkmale „Tötung“ bzw. „Verwundung“ und „meuchlerisch“ im Sinne von Art. 8 Abs. 2 Buchstabe e Nr. IX IStGH-Statut vorsätzlich.

133

Er und sein Freund schossen nach seinen eigenen Angaben mit Waffen, die er als „moderne Form der Kalaschnikow" bezeichnet hat, gezielt auf die Soldaten, um sie kampfunfähig zu machen und die Entführung des Offiziers als Austauschperson für seinen Bruder durchführen zu können. Das Verhalten, das Abgeben von Schüssen auf die Soldaten, wollte der Kläger damit ersichtlich setzen. Ihm war auch bewusst, dass als Folge der gezielten Schüsse im gewöhnlichen Verlauf die Soldaten verwundet werden und sie ihren Verletzungen – möglicherweise oder wahrscheinlich – erliegen. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 28.11.2008 gab er zwar an (Bl. 93 GA), er habe keine Tötungsabsicht gehabt, er habe aber die russischen Soldaten außer Gefecht setzen müssen, um seinen Bruder zu befreien. Tötungsabsicht setzt Art. 30 IStGH-Statut indes nicht voraus. Da der Kläger und sein Freund aus einer Entfernung von ca. 5 bis 6 m gezielte Schüsse abgaben, musste der Kläger allerdings davon ausgehen, dass diese für die Soldaten tödlich sein werden. Zudem bejahte er im Rahmen seiner Anhörung durch das Bundesamt die Frage, ob er zur Rettung seines Bruders „zum Mörder geworden" sei, was gegen ein bloß fahrlässiges Handeln spricht (BVerwG, Urt. v. 16.02.2010, a.a.O., RdNr. 42). Im Übrigen genügt gemäß Art. 8 Abs. 2 Buchstabe e Nr. IX IStGH-Statut auch die bloße „meuchlerische Verwundung“ des Kombattanten für die Annahme eines Kriegsverbrechens. Vorsatz ist auch in Bezug auf die „meuchlerische“ Form der Tötung oder Verwundung zu bejahen. Denn durch das verdeckte Tragen der Waffen wollte der Kläger bei den Soldaten, die sich auf dem Markt in keiner unmittelbaren Bedrohungssituation sahen, keinen Argwohn wecken und sie durch einen überraschenden Angriff kampfunfähig machen.

134

(4) Der Kläger kann sich ferner nicht – strafausschließend – darauf berufen, dass er mit der Verwundung bzw. der (in Kauf genommenen) Tötung der Soldaten (letzten Endes) die Befreiung seines Bruders habe erreichen wollen, dem unmittelbar Gewalt gedroht habe. Strafausschließungsgründe sind am Maßstab von Art. 31 Abs. 1 IStGH-Statut zu messen (BVerwG, Urt. v. 16.02.2010, a.a.O., RdNr. 43).

135

Nach dieser Vorschrift ist neben anderen in diesem Statut vorgesehenen Gründen für den Ausschluss der strafrechtlichen Verantwortlichkeit strafrechtlich nicht verantwortlich, wer zur Zeit des fraglichen Verhaltens

136

a) wegen einer seelischen Krankheit oder Störung unfähig ist, die Rechtswidrigkeit oder Art seines Verhaltens zu erkennen oder dieses so zu steuern, dass es den gesetzlichen Anforderungen entspricht;

137

b) wegen eines Rauschzustands unfähig ist, die Rechtswidrigkeit oder Art seines Verhaltens zu erkennen oder dieses so zu steuern, dass es den gesetzlichen Anforderungen entspricht, sofern er sich nicht freiwillig und unter solchen Umständen berauscht hat, unter denen er wusste oder in Kauf nahm, dass er sich infolge des Rausches wahrscheinlich so verhält, dass der Tatbestand eines der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegenden Verbrechens erfüllt wird;

138

c) in angemessener Weise handelt, um sich oder einen anderen oder, im Fall von Kriegsverbrechen, für sich oder einen anderen lebensnotwendiges oder für die Ausführung eines militärischen Einsatzes unverzichtbares Eigentum, vor einer unmittelbar drohenden und rechtswidrigen Anwendung von Gewalt in einer Weise zu verteidigen, die in einem angemessenen Verhältnis zum Umfang der ihm, dem anderen oder dem geschützten Eigentum drohenden Gefahr steht. Die Teilnahme an einem von Truppen durchgeführten Verteidigungseinsatz stellt für sich genommen keinen Grund für den Ausschluss der strafrechtlichen Verantwortlichkeit nach diesem Buchstaben dar;

139

d) wegen einer ihm selbst oder einem anderen unmittelbar drohenden Gefahr für das Leben oder einer dauernden oder unmittelbar drohenden Gefahr schweren körperlichen Schadens zu einem Verhalten genötigt ist, das angeblich den Tatbestand eines der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegenden Verbrechens erfüllt, und in notwendiger und angemessener Weise handelt, um diese Gefahr abzuwenden, sofern er nicht größeren Schaden zuzufügen beabsichtigt als den, den er abzuwenden trachtet. Eine solche Gefahr kann entweder

140

i) von anderen Personen ausgehen oder

141

ii) durch andere Umstände bedingt sein, die von ihm nicht zu vertreten sind.

142

In Betracht zu ziehen ist allenfalls eine Anwendung der Buchstaben c und d. Der Kläger verfolgte nach eigenen Angaben das Ziel, seinen Bruder aus einer als unrechtmäßig angesehenen Inhaftierung zu befreien, in deren Verlauf er Übergriffe bis hin zu Folter oder gar Tötung befürchtete. Damit wollte er eine – aus seiner Sicht – dem Bruder unmittelbar drohende Gefahr abwenden. Er hat aber nicht in einer im Sinne der genannten Vorschrift angemessenen Weise gehandelt, weil die meuchlerische Tötung oder Verwundung der beiden Soldaten in keinem angemessenen Verhältnis zum Umfang der seinem Bruder drohenden Gefahr stand.

143

bb) Damit bedarf keiner Vertiefung, ob in der Geiselnahme des russischen Offiziers ebenfalls ein Kriegsverbrechens nach Art. 8 Abs. 2 Buchst. c Nr. III IStGH-Statut zu sehen ist.

144

1.2.2. Eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft scheidet auch gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG i. V. m. § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG aus, weil die Tötung oder Verwundung der beiden russischen Soldaten eine schwere nichtpolitische Straftat darstellt.

145

a) Ob einer Straftat das von § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG geforderte Gewicht zukommt, bestimmt sich nach internationalen und nicht nach nationalen Maßstäben. Es muss sich um ein Kapitalverbrechen oder eine sonstige Straftat handeln, die in den meisten Rechtsordnungen als besonders schwerwiegend qualifiziert ist und entsprechend strafrechtlich verfolgt wird (BVerwG, Urt. v. 16.02.2010, a.a.O., RdNr. 47, m.w.N.).

146

Die vom Kläger begangene Tötung oder Verwundung der beiden Soldaten und die Geiselnahme eines Offiziers sind schwere Straftaten in diesem Sinne, insbesondere weil sie nicht durch einen Kombattantenstatus legitimiert sind; etwas anderes könnte sich nur dann ergeben, wenn der Kläger nicht vorsätzlich gehandelt hätte oder sich auf Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe berufen könnte (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.02.2010, a.a.O., RdNr. 47). Dies ist nach den oben getroffenen Feststellungen nicht der Fall.

147

b) Die vom Kläger begangene Tat ist auch eine nichtpolitische gewesen.

148

Die Frage, ob eine Tat politisch oder nichtpolitisch ist, beurteilt sich nach dem Delikttypus sowie den der konkreten Tat zugrunde liegenden Motiven und den mit ihr verfolgten Zielen. Nichtpolitisch ist eine Tat, wenn sie überwiegend aus anderen Motiven, etwa aus persönlichen Beweggründen oder Gewinnstreben begangen wird. Besteht keine eindeutige Verbindung zwischen dem Verbrechen und dem angeblichen politischen Ziel oder ist die betreffende Handlung in Bezug zum behaupteten politischen Ziel unverhältnismäßig, überwiegen nichtpolitische Beweggründe und kennzeichnen die Tat damit insgesamt als nichtpolitisch (BVerwG, Urt. v. 16.02.2010, a.a.O., RdNr. 48; Urt. v. 24.11.2009, a.a.O., RdNr. 42).

149

Der Beweggrund des Klägers für die Tötung oder Verwundung der beiden Soldaten und für die Geiselnahme des Offiziers lag nach seinem Vorbringen allein in der Befreiung seines Bruders aus der russischen Gefangenschaft. Er verfolgte damit ein persönliches und kein politisches Ziel. Für die politische Qualität der Straftat genügt es nicht, dass sich das Handeln des Klägers aus der Sicht der russischen Sicherheitskräfte (möglicherweise) als Engagement des Klägers für die „tschetschenisch-separatistische Sache" darstellte; vielmehr kommt es insoweit maßgeblich auf die tatsächliche Motivation des Klägers an (BVerwG, Urt. v. 16.02.2010, a.a.O., RdNr. 49). Seinem Vorbringen lässt sich gerade nicht entnehmen, dass er Widerstandskämpfer war und die Aktion den Zielen des tschetschenischen Widerstands dienen sollte. Der Kläger gab vielmehr an, dass er nicht Mitglied der Widerstandskämpfer gewesen sei. Nach den Gründen des Revisionsurteils hat der Prozessbevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgehoben, dass sich der Kläger nicht mit den Zielen des tschetschenischen Widerstands identifiziere, sondern lediglich eine Einzelaktion mit deren Unterstützung durchgeführt habe. Auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 26.07.2012 hat der Kläger nochmals bestätigt, dass er seinen Bruder habe retten wollen und er zu anderen Gründen nichts weiter vorzutragen habe.

150

c) In seinem Urteil vom 09.11.2010 (C-57/09 und C-101/09, NVwZ 2011, 285) hat die Große Kammer des der EuGH nunmehr klargestellt, dass der Ausschluss von der Anerkennung als Flüchtling nach der mit § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG inhaltsgleichen Regelung des Art. 12 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2004/83 nicht voraussetzt, dass von der betreffenden Person eine gegenwärtige Gefahr für den Aufnahmemitgliedstaat ausgeht und eine auf den Einzelfall bezogene Verhältnismäßigkeitsprüfung durchgeführt wurde.

151

2. Der Antrag auf Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG in Bezug auf das Herkunftsland, den der Kläger im erstinstanzlichen Verfahren hilfsweise gestellt hat, ist seit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes im Asylprozess sachdienlich dahin auszulegen, dass in erster Linie die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG und für den Fall, dass die Klage insoweit keinen Erfolg hat, hilfsweise die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG begehrt wird. Diese Abschiebungsverbote beruhen auf Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG und bilden einen eigenständigen, vorrangig vor den verbleibenden nationalen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu prüfenden Streitgegenstand (BVerwG, Urt. v. 24.06.2008 – 10 C 43.07 –, BVerwGE 131, 198 [201], RdNr. 11 ff.; Urt. v. 14.07.2009 – 10 C 9.08 –, BVerwGE 134, 188 [191], RdNr. 9; Urt. v. 27.04.2010 – 10 C 4.09 –, BVerwGE 136, 360 [364 f.], RdNr. 16).

152

2.1. Der Kläger hat einen Anspruch auf Feststellung, dass das Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG vorliegt. Danach darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für diesen Ausländer die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Mit diesem durch das Richtlinienumsetzungsgesetz ergänzten Abschiebungsverbot, das bereits in § 53 Abs. 1 AuslG 1990 und § 53 Abs. 4 AuslG 1990 i.V.m. Art. 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl 1952 II 685) – EMRK – enthalten war, wird Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG umgesetzt. Die Europäische Kommission hat sich bei der Formulierung dieser Richtlinienbestimmung an Art. 3 EMRK orientiert und in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) Bezug genommen (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.04.2010 – 10 C 5.09 –, a.a.O., RdNr. 15). Dadurch soll die inhaltliche Orientierung an der EMRK für den subsidiären Schutz festgeschrieben werden, so dass die einschlägige Rechtsprechung des EGMR übernommen werden soll (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, A 1 § 60 RdNr. 107, m.w.N.).

153

2.1.1. Die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG scheidet nicht deshalb aus, weil der Kläger den Ausschlussgrund des § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG i. V. m. § 3 Abs. 2 AsylVfG erfüllt hat. Dieser Ausschlussgrund gilt nach dem eindeutigen Wortlaut nur für das flüchtlingsrechtliche Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 1 AufenthG, nicht hingegen für die sonstigen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG (BVerwG, Urt. v. 07.09.2010 – 10 C 11.09 –, Buchholz 451.902 Europ Ausl- u Asylrecht Nr. 42, S. 181, RdNr. 13).

154

2.1.2. Unter Folter ist gemäß Art. 1 der UN-Anti-Folterkonvention jede Handlung zu verstehen, durch die jemandem vorsätzlich starke körperliche oder geistig-seelische Schmerzen zugefügt werden, sofern dies u. a. in der Absicht, von ihm oder einem Dritten eine Auskunft oder ein Geständnis zu erzwingen, ihn für eine tatsächlich oder mutmaßlich von ihm oder einem Dritten begangene Tat zu bestrafen, ihn oder einen Dritten einzuschüchtern oder zu nötigen oder in irgend einer anderen, auf irgend eine Art der Diskriminierung beruhenden Absicht geschieht, und sofern solche Schmerzen oder Leiden von einem öffentlichen Bediensteten oder einer anderen in amtlicher Eigenschaft handelnden Person bzw. auf deren Veranlassung, mit deren Zustimmung oder mit deren stillschweigendem Einverständnis verursacht werden. Als unmenschliche Behandlung ist die absichtliche Zufügung schwerer psychischer oder physischer Leiden anzusehen. Eine erniedrigende Behandlung ist dann gegeben, wenn bei dem Opfer Gefühle von Furcht, Todesangst oder Minderwertigkeit verursacht werden, die geeignet sind, zu erniedrigen oder zu entwürdigen und möglicherweise den psychischen oder moralischen Widerstand zu brechen. Die in Frage stehende Maßnahme muss ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um überhaupt in den Schutzbereich von Art. 3 EMRK zu gelangen. Die Beurteilung dieses Minimums hängt von den Umständen des Einzelfalles ab und erfordert eine wertende Betrachtung. Kriterien sind beispielsweise Art und Zusammenhang der Behandlung, Dauer und psychische Wirkungen. Wenn besondere Umstände vorliegen, kann es auch als erniedrigende Behandlung gewertet werden, wenn eine Kategorie von Personen auf Grund ihrer Rasse öffentlich ausgesondert und einer unterschiedlichen Behandlung unterworfen wird. Zwischen Folter, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung wird man nur nach der Schwere der einzelnen Maßnahme graduell unterscheiden können (vgl. zum Ganzen: Hailbronner, a.a.O., RdNr. 110 ff.).

155

Eine Bestrafung oder Behandlung ist nur dann als unmenschlich oder erniedrigend anzusehen, wenn die mit ihr verbundenen Leiden über das in rechtmäßigen Bestrafungsmethoden enthaltene, unausweichliche Leidens- oder Erniedrigungselement hinausgehen, oder wenn eine Strafschärfung wegen der politischen Überzeugung des Betroffenen erfolgt. Danach können z. B. bestimmte Strafarten oder besonders harte Haftbedingungen einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK begründen (Hailbronner, a.a.O., RdNr. 114 f.).

156

2.1.3. Bei der anzustellenden Prognose, ob der Ausländer den in § 60 Abs. 2 AufenthG genannten Gefahren ausgesetzt ist, ist grundsätzlich der sog. Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen (BVerwG, Urt. v. 27.04.2010 – 10 C 5.09 – BVerwGE 136, 377 [382], RdNr. 18 ff., m.w.N.). Allerdings gilt gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG u. a. Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG. Diese Vorschrift greift sowohl bei der Entscheidung über die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz für einen Vorverfolgten (bzw. von Verfolgung unmittelbar Bedrohten) als auch bei der Prüfung der Gewährung subsidiären Schutzes zugunsten desjenigen, der bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. davon unmittelbar bedroht war. In beiden Varianten des internationalen Schutzes privilegiert sie den von ihr erfassten Personenkreis durch eine Beweiserleichterung (BVerwG, Urt. v. 27.04.2010, a.a.O., RdNr. 20). Danach ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchem Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Diese Vorschrift begründet für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare tatsächliche Vermutung dafür, dass sie erneut von einer solchen Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht sind. Geht es um die Anwendung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie bei der Feststellung eines unionsrechtlich vorgezeichneten subsidiären Abschiebungsverbots, greift die Vermutung nach dieser Vorschrift ein, wenn der Antragsteller vor seiner Ausreise aus dem Heimatland einen ernsthaften Schaden im Sinne von Art. 15 der Richtlinie erlitten hat oder unmittelbar von einem solchen Schaden bedroht war. Eine Vorverfolgung im flüchtlingsrechtlichen Sinne reicht für das Eingreifen der Vermutung im Rahmen des subsidiären Schutzes daher nur dann aus, wenn in ihr zugleich ein ernsthafter Schaden im Sinne des Art. 15 der Richtlinie liegt, etwa wenn die Verfolgungsmaßnahme in Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung besteht. Außerdem setzt die Vermutung nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie, dass der Antragsteller „erneut von einem solchen Schaden bedroht wird", einen inneren Zusammenhang zwischen dem vor der Ausreise erlittenen oder damals drohenden Schaden (Vorschädigung) und dem befürchteten künftigen Schaden voraus (vgl. zum Ganzen: BVerwG, Urt. v. 07.09.2010, a.a.O., S. 182, RdNr. 15; Urt. v. 17.11.2011 – 10 C 13.10 –, NVwZ 2012, 454 [455], RdNr. 21).

157

2.1.4. Im konkreten Fall ist zunächst davon auszugehen, dass der Kläger wegen seiner Beteiligung an der Entführung und Tötung bzw. Verwundung russischer Militärangehöriger abseits vom allgemeinen Kampfgeschehen vor seiner Ausreise aus Tschetschenien von Folter und unmenschlicher erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unmittelbar bedroht war, so dass dem Kläger die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG zugute kommt.

158

Wie oben (1.1. a) bb)) bereits ausgeführt, gehörten Folter und Erzwingung von Ge-ständnissen bereits geraume Zeit vor der Ausreise des Klägers aus der Russischen Föderation zu den üblichen Praktiken der russischen Sicherheitskräfte. Nach verschiedenen Auskünften wurde von zahlreichen menschenrechtswidrigen Übergriffen berichtet. In sog. Filtrationslagern, die dazu dienen sollten, tschetschenische Terroristen aufzuspüren, kam es im großen Stil, abgeschirmt von der Öffentlichkeit, zu systematischen Folterungen (vgl. zum Ganzen: BayVGH, Urt. v. 24.10.2007 – 11 B 03.30710 –, Juris, m. w. Nachw.).

159

Nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 07.05.2002 etwa wurden in Tschetschenien an verschiedenen Orten Gräber mit jeweils mehreren (nach Angaben von Nichtregierungsorganisationen bis zu zweihundert) Leichen gefunden, die zum Teil Folterspuren aufwiesen. Internationale und russische Menschenrechtsorganisationen (z.B. Human Rights Watch-Bericht vom 18.02.2000, Amnesty International-Bericht vom 22.12.1999 sowie Nachforschungen der russischen Menschenrechtsorganisation Memorial) berichten über die Einrichtung sog. Filtrationslager oder -punkte. Nach russischer Lesart dienten diese dem Zweck, tschetschenische Terroristen unter den Flüchtlingen aufzuspüren. Die genannten Menschenrechtsorganisationen gingen auf Grund von Augenzeugenberichten zunächst von dem Betreiben mindestens eines solchen russischen „Filtrationslagers" an der Grenze zwischen Inguschetien und Tschetschenien aus. Dort soll es abgeschirmt von der Öffentlichkeit zu Folterungen (z.B. Elektroschocks, Schläge u. a. auf den Kopf und den Rücken mit Metallhammer und Vergewaltigungen) durch russische Spezialkräfte gekommen sein. Auf Grund von Augenzeugenberichten und auch Filmaufnahmen wurde davon ausgegangen, dass es in und um Grosny weitere Filtrationslager gab, in denen auch systematisch gefoltert wurde, u. a. in dem Gefängnis Tschernokosowo nördlich von Grosny. Darüber hinaus wurde immer wieder über sogenannte „Filtrationspunkte" berichtet, die von russischen Sicherheitskräften und in vergleichbarer Art auch von tschetschenischen Rebellen unterhalten wurden. Damit gemeint war zum Beispiel, dass Gefangene glaubhaften Berichten zufolge in Erdlöchern gehalten werden sollten. Der Menschenrechtskommissar des Europarates, Gil-Robles, konnte bei seinem Besuch in Tschetschenien zwar auch Haftanstalten besuchen, ihm wurden jedoch ausschließlich frisch gestrichene Zellen gezeigt und Gespräche mit Gefangenen nur in Anwesenheit von russischen Bewachern erlaubt. Die Inspektionsergebnisse des IKRK waren gar nicht und die des Anti-Folter-Ausschusses des Europarats weit überwiegend mangels erforderlicher Zustimmung der russischen Regierung nicht veröffentlicht worden. Die russische Menschenrechtsorganisation Memorial erhob darüber hinaus den Vorwurf, dass sog. „Todesschwadronen", zusammengesetzt aus Angehörigen der russischen Sicherheitskräfte, in Tschetschenien operierten und massive Menschenrechtsverletzungen begingen.

160

Das Europäische Komitee für die Verhinderung von Folter und unmenschlicher und erniedrigender Behandlung (CPT) besuchte vom 23. bis 29.5.2003 bereits zum sechsten Mal Tschetschenien und stellte fest, dass es dort weiterhin zu Rückgriff auf Folter und andere Formen von Misshandlung durch Sicherheitskräfte und föderale Truppen komme. Generell würden in Russland häufig Methoden der Folter und unmenschlicher Behandlung beim Vorgehen von Polizei und Sicherheitskräften angewandt. Gemäß Berichten von NROs, aber auch eingeräumt von offizieller Seite wie dem Menschenrechtsbeauftragten der Russischen Föderation, kommt es bei Verhaftungen, Polizeigewahrsam und Untersuchungshaft immer wieder zu Folter sowie grausamer und erniedrigender Behandlung durch Polizei und Ermittlungsbehörden. Besonders kritisch sei die Situation vor Beginn von Strafverfahren im Rahmen der sog. „Operativen Ermittlungstätigkeit“: Dabei würden die Untersuchungsbehörden auch Methoden der Folter anwenden, um erste Informationen zu einem Verbrechen zu erhalten, bevor sie das offizielle Verfahren und weitere prozessrechtlich sanktionierte Untersuchungsschritte einleiteten. Der VN-Menschenrechtsausschuss (Schlussfolgerungen zum 5. Staatenbericht der RF zum Zivilpakt, November 2003) zeigte sich über die „wiederholten Berichte über die Anwendung von Folter und Misshandlung während informeller Befragungen in Polizeistationen“ besorgt. Menschenrechtsorganisationen weisen darauf hin, dass nur ein geringer Teil dieser Misshandlungen disziplinarisch oder strafrechtlich verfolgt werde. Dies, wie die auf allen Ebenen wahrgenommene Korruption, unterminiere auch das Vertrauen der Bevölkerung in die Strafverfolgungsbehörden (vgl. zum Ganzen den Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 26.03.2004).

161

Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass der Kläger vor seiner Ausreise aus der Russischen Föderation befürchten musste, von den russischen Sicherheitskräften, wenn sie seiner habhaft geworden wären, gefoltert zu werden, um ggf. Widerstandskämpfer aufspüren zu können. Wegen der Beteiligung an der Befreiung seines bei den Widerstandskämpfern aktiven Bruders lag es aus Sicht der russischen Sicherheitskräfte nahe, dass der Klägers sich am tschetschenischen Widerstand beteiligte und/oder Kenntnisse über die Rebellenorganisation(en) hatte. Zudem musste er wegen der Tötung oder Verwundung der russischen Soldaten und der Geiselnahme des Offiziers mit Vergeltung durch unmenschliche oder erniedrigende Behandlung, insbesondere körperliche Bestrafung, wenn nicht sogar mit seiner Tötung rechnen.

162

2.1.5. Es liegen keine stichhaltigen Gründe vor, die dagegen sprechen könnten, dass der Kläger im Fall seiner Rückkehr in die Russische Föderation erneut von Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung bedroht wird.

163

a) Ein stichhaltiger Grund ist insbesondere nicht darin zu erkennen, dass nach der Auskunft des Auswärtigen Amts an den Senat vom 21.04.2011 (Bl. 272 GA) laut Interpol Moskau nach dem Kläger in der Russischen Föderation nicht gefahndet werde und auch keine Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass Personen, welche nicht zur Fahndung ausgeschrieben seien, im Fall ihrer Rückkehr nach Tschetschenien oder in andere Teile der Russischen Föderation staatliche Maßnahmen drohen würden.

164

Das Auswärtige Amt hat im Lagebericht vom 07.03.2011 zur Behandlung von Rückkehrern ausgeführt (S. 35 ff.), solange der Tschetschenien-Konflikt nicht endgültig gelöst sei, sei davon auszugehen, dass abgeschobene Tschetschenen besondere Aufmerksamkeit durch russische Behörden erführen. Dies gelte insbesondere für solche Personen, die sich gegen die gegenwärtigen Machthaber engagiert hätten bzw. denen die russischen Behörden ein solches Engagement unterstellten. Vor diesem Hintergrund spricht Überwiegendes dafür, dass der Kläger im Fall seiner Rückkehr in die Russische Föderation festgenommen wird, wenn den russischen Behörden die Schilderungen des Klägers in dem von ihm betriebenen Asylverfahren bekannt werden. Für Letzteres spricht die Publizität, die das Verfahren mittlerweile gewonnen hat. Es kann insbesondere nicht davon ausgegangen werden, dass die im Zweiten Tschetschenienkrieg begangenen Taten nicht mehr verfolgt werden. Die am 22.06.2006 von der Duma beschlossene Amnestieverordnung, erfasst keine schweren Verbrechen wie Mord und Geiselnahme (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 07.03.2011, S. 23).

165

b) Es liegen auch keine stichhaltigen Gründe für die Annahme vor, dass der Kläger im Fall seiner Festnahme nicht Gefahr läuft gefoltert oder zumindest unmenschlich oder erniedrigend behandelt oder bestraft zu werden.

166

Zwar haben sich die Verhältnisse seit der Ausreise des Klägers aus der Russischen Föderation verbessert. Trotz des gesetzlichen Verbots der Folter in der Russischen Föderation wurde jedoch wiederholt vom Menschenrechtsbeauftragten Lukin und verschiedenen Menschenrechtsorganisationen vor allem bei Verhaftungen, Polizeigewahrsam und Untersuchungshaft von Vorfällen berichtet, bei welchen dieses Verbot nicht eingehalten wurde (vgl. die Auskunft des Auswärtigen Amts an den Senat vom 21.04.2011). Insbesondere auch amnesty international hält in seiner Stellungnahme an den Senat vom 27.02.2012 eine Verhaftung für möglich und führt ergänzend aus, dass in diesem Fall die Gefahr der Folterung oder Misshandlung zur Erlangung eines Geständnisses sowie ein unfaires Verfahren mit einer unverhältnismäßig hohen Haftstrafe drohten.

167

In einem Bericht von Memorial von 2010 u. a. über Tschetschenen im Strafvollzug (S. 37 f.) heißt es unter Nennung verschiedener Referenzfälle, dass – wie bereits 2009 berichtet worden sei – die Lage von Tschetschenen in russischen Gefängnissen besonders schwer sei. Hauptgrund sei, dass in den Rechtsschutzorganen sehr viele Menschen tätig seien, die den Krieg in der Tschetschenischen Republik selbst mitgemacht hätten. Die meisten von ihnen brächten dann das, was sie dort anzuwenden gelernt hätten, mit. Sie seien selbst traumatisiert, voller Hass. Gefährlich seien sie vor allem für die, die sie noch vor kurzem als Feinde vor Ort bekämpft hatten. Memorial habe oft mit Fällen zu tun, in denen Bürger von Tschetschenien Verbrechen beschuldigt werden, für die sie schon einmal verurteilt und anschließend amnestiert worden seien. Es gebe sogar Fälle, in denen jemand für etwas zur Verantwortung gezogen werde, was sich vor mehreren Jahren ereignet habe. Während der Verbüßung ihrer Haftzeit drohe Tschetschenen ständig Verfolgung, sowohl durch die Angestellten des Strafvollzuges als auch durch die anderen Gefangenen. Beiden Gruppen seien xenophobe Emotionen nicht fremd. Schläge, grundlose Bestrafungen, eine Unterbringung in einem Gebäude für Tuberkulosekranke, all das drohe Tschetschenen in der Haft. Wenn die Haftzeit ihrem Ende zugehe, gäben sich die Mitarbeiter von Kolonien und Gefängnissen jede erdenkliche Mühe, um die Freilassung von Tschetschenen zu verhindern. Dafür erfänden sie die seltsamsten Beschuldigungen oder provozierten diese mit erniedrigendem Verhalten zum Übertreten der Vorschriften.

168

Vor diesem Hintergrund und der Tatsache, dass der Kläger – für den Senat glaubhaft – geschildert hat, in welcher Weise er abseits vom allgemeinen Kampfgeschehen an der Verwundung oder Tötung russischer Soldaten sowie der Geiselnahme eines Offiziers beteiligt war, lassen sich keine stichhaltigen Gründe für die Annahme finden, dem Kläger drohe im Fall seiner Verhaftung nicht erneut Folter oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung. Auch besteht der erforderliche innere Zusammenhang zwischen dem dem Kläger vor der Ausreise drohenden Schaden und dem befürchteten künftigen Schaden.

169

2.2. Da dem Kläger Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2 AufenthG zu gewähren ist, muss nicht weiter untersucht werden, ob daneben auch die Voraussetzungen von § 60 Abs. 3 oder Abs. 7 Satz 2 AufenthG vorliegen (vgl.BayVGH, Urt. v. 18.07.2011 – 9 B 10.30246 –, Juris). Denn der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Verpflichtung zur Feststellung eines auf Unionsrecht beruhenden Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG bildet einen einheitlichen, nicht weiter teilbaren Verfahrensgegenstand mit mehreren Anspruchsgrundlagen (BVerwG, Urt. v. 08.09.2011 – 10 C 14.10 –, BVerwGE 140, 319 [326 f.], RdNr. 16 f.; Urt. v. 17.11.2011, a.a.O., RdNr. 11).

170

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben.

171

III. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11. 711 ZPO.

172

IV. Die Revision war nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO gegeben ist.


(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Tatbestand

1

Der Kläger erstrebt Abschiebungsschutz wegen ihm in Afghanistan drohender Gefahren.

2

Der 1986 geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger. Er stammt aus der Provinz Helmand (Afghanistan), ist schiitischen Glaubens und gehört dem Volk der Hazara an. Im Februar 2009 reiste er nach Deutschland ein. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - lehnte seinen Asylantrag mit Bescheid vom 17. März 2010 ab. Zugleich stellte es fest, dass weder die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft noch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen, und drohte dem Kläger die Abschiebung nach Afghanistan an.

3

Nach Rücknahme der Klage auf Asylanerkennung hat das Verwaltungsgericht die Beklagte zur Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG hinsichtlich Afghanistans verpflichtet und die Klage im Übrigen abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat der Verwaltungsgerichtshof mit Urteil vom 27. April 2012 die Klage in vollem Umfang abgewiesen. Zur Begründung hat er ausgeführt, dem Kläger stehe weder unionsrechtlicher noch nationaler Abschiebungsschutz zu. Hinsichtlich eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG gebe es keine hinreichenden Anhaltspunkte, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung drohe. Auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 3 AufenthG sei nicht erkennbar. Die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG lägen ebenfalls nicht vor. Da in Afghanistan kein landesweiter bewaffneter Konflikt herrsche, komme eine individuelle Bedrohung nur in Betracht, wenn sich der Konflikt auf den tatsächlichen Zielort bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat erstrecke. Dies sei die Herkunftsregion des Ausländers, in der er zuletzt gelebt habe bzw. in die er typischerweise zurückkehren könne und voraussichtlich auch werde. Der Kläger habe glaubhaft vorgetragen, dass er in seiner Heimatregion Helmand keine aufnahmebereiten Bekannten oder Verwandten und keine Existenzgrundlage mehr habe. Zudem habe er Angst vor einer dort lebenden Privatperson, außerdem befürchte er Diskriminierungen, denen seine Volksgruppe in Helmand in besonderem Maße ausgesetzt sei. Wolle bzw. werde der Kläger keinesfalls nach Helmand zurückkehren, sei auf das derzeit einzig mögliche Abschiebungsziel Kabul abzustellen. Dort herrsche kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt mehr. Die Sicherheitslage werde in Kabul, abgesehen von einigen spektakulären Anschlägen, relativ einheitlich als stabil und weiterhin deutlich ruhiger als noch etwa vor zwei Jahren bewertet.

4

Dem Kläger stehe hinsichtlich Afghanistans auch nicht der hilfsweise begehrte nationale Abschiebungsschutz zur Seite. Es sei nicht ersichtlich, welches Menschenrecht der EMRK ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG begründen könnte. Einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wegen der allgemein schlechten Lebensverhältnisse in Afghanistan stehe § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG entgegen. Eine extreme Gefahrenlage, bei der aufgrund der Schutzwirkungen der Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG ausnahmsweise nicht greife, liege für Kabul nicht (mehr) vor. Vielmehr sei eine gewisse Verbesserung der allgemeinen Versorgungslage in Kabul zu erkennen, die nach den strengen Maßstäben des Bundesverwaltungsgerichts im Rahmen einer wertenden Gesamtschau der Annahme einer alsbald nach der Abschiebung eintretenden Extremgefahr für gesunde ledige afghanische Männer auch ohne Vermögen oder Anbindung an lokale Familien- bzw. Stammesstrukturen entgegenstehe. Der Senat sehe keine hinreichenden Anhaltspunkte mehr dafür, dass bei dieser Personengruppe im Falle der Abschiebung alsbald der Tod oder schwerste gesundheitliche Beeinträchtigungen zu erwarten wären. Es sei vielmehr zu erwarten, dass Rückkehrer in Kabul durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren könnten. Zwar dürfte aufgrund der schlechten Gesamtsituation ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen in der Tat eine Rückkehr nach Kabul selbst für gesunde alleinstehende Männer unter humanitären Gesichtspunkten kaum zumutbar sein. Diese Zumutbarkeit sei nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts jedoch kein zentraler Maßstab für die Bestimmung einer extremen Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Im Falle des Klägers seien auch keine hinreichenden individuellen Faktoren gegeben, die ausnahmsweise eine extreme Gefahrenlage begründen könnten.

5

Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 60 Abs. 2, 5 sowie 7 Satz 1 und 2 AufenthG. Außerdem macht er Verfahrensfehler geltend und regt zur weiteren Klärung des Gehalts der Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 und 7 Satz 2 AufenthG eine Vorlage an den EuGH an.

6

Die Beklagte verteidigt die angegriffene Entscheidung.

7

Der Vertreter des Bundesinteresses hat sich am Verfahren beteiligt.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision des Klägers ist zulässig und begründet. Das Berufungsurteil verletzt hinsichtlich des vom Kläger mit seinem Hauptantrag verfolgten Begehrens auf Gewährung unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes Bundesrecht. Das Berufungsgericht hat bei der im Rahmen des Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG gebotenen Prüfung, ob am tatsächlichen Zielort des Klägers bei einer Rückkehr nach Afghanistan ein bewaffneter Konflikt besteht, nicht auf die Herkunftsregion des Klägers, sondern auf die Verhältnisse in Kabul als dem derzeit einzig möglichen Abschiebungsziel abgestellt. Da der Senat mangels ausreichender Feststellungen im Berufungsurteil nicht selbst abschließend über die Gewährung unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes entscheiden kann, ist das Verfahren an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

9

1. Gegenstand des Verfahrens ist neben dem unionsrechtlichen Abschiebungsschutz weiterhin auch der vom Kläger hilfsweise begehrte nationale Abschiebungsschutz. Dem steht nicht entgegen, dass das Berufungsgericht die Zulassung der Revision allein mit der grundsätzlichen Bedeutung einer auf den unionsrechtlichen Abschiebungsschutz zugeschnittenen Frage begründet hat. Die Urteilsformel enthält keine Beschränkung der Zulassung auf den unionsrechtlichen Abschiebungsschutz. Der Umfang der Zulassung ist daher unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Rechtsmittelklarheit durch Auslegung zu ermitteln. Danach ist hier von einer uneingeschränkten Zulassung auszugehen. Die vom Kläger im Berufungsverfahren gestellten (Haupt- und Hilfs-)Anträge betreffen zwar unterschiedliche Streitgegenstände. Diese sind aber eng miteinander verflochten, insbesondere stellt sich die vom Berufungsgericht aufgeworfene Frage des maßgeblichen Anknüpfungsortes nicht nur beim unionsrechtlichen, sondern auch beim nationalen Abschiebungsschutz. Für eine uneingeschränkte Zulassung der Revision spricht im Übrigen auch die dem Berufungsurteil beigefügte Rechtsmittelbelehrung, die sich lediglich auf das Rechtsmittel der Revision bezieht.

10

2. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des klägerischen Begehrens auf Gewährung von Abschiebungsschutz ist grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz (Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 Rn. 10). Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte. Maßgeblich ist daher für das Revisionsverfahren das Aufenthaltsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162), zuletzt geändert durch das Gesetz zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer aufenthaltsrechtlicher Vorschriften vom 21. Januar 2013 (BGBl I S. 86). Unionsrechtlich finden sowohl die Richtlinie 2004/83/EG des Rates über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes - Qualifikations-Richtlinie - vom 29. April 2004 (ABl EU Nr. L 304 vom 30. September 2004 S. 12; berichtigt ABl EU Nr. L 204 vom 5. August 2005 S. 24) Anwendung als auch die - während des Berufungsverfahrens in Kraft getretene - Neufassung durch die Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl EU Nr. L 337 vom 20. Dezember 2011 S. 9). Für die in der Neufassung inhaltlich geänderten Bestimmungen wurde den Mitgliedstaaten eine Umsetzungsfrist bis zum 21. Dezember 2013 eingeräumt (Art. 39 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU) und es bleibt bis zum Ablauf dieser Frist bei der Anwendung der Richtlinie 2004/83/EG (vgl. Art. 41 Abs. 2 i.V.m. Art. 40 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU). Hinsichtlich der unverändert übernommenen Bestimmungen gilt die Neufassung hingegen schon jetzt (vgl. Art. 41 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU).

11

3. Das Berufungsurteil verletzt in Bezug auf den vom Kläger primär begehrten unionsrechtlichen Abschiebungsschutz Bundesrecht. Die diesbezüglichen Vorgaben des Art. 15 der Richtlinie 2011/95/EU (früher: Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG) sind in § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG - in überschießender Umsetzung - als absolute Abschiebungsverbote ausgestaltet und bilden einen eigenständigen, in sich nicht weiter teilbaren Streitgegenstand (Urteile vom 24. Juni 2008 a.a.O. Rn. 11 und vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 5.09 - BVerwGE 136, 377 Rn. 13 und 16).

12

3.1 Das Berufungsgericht hat einen Anspruch des Klägers auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG mit einer Begründung abgelehnt, die revisionsrechtlicher Prüfung nicht standhält. Nach dieser Vorschrift ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist.

13

Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieses - die Vorgaben des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG (inzwischen: Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2011/95/EU) umsetzenden - Abschiebungsverbots können auch dann erfüllt sein, wenn sich der bewaffnete Konflikt nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstreckt (Urteil vom 24. Juni 2008 a.a.O. Rn. 25). In diesem Fall ist Bezugspunkt für die Gefahrenprognose der tatsächliche Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr. Das ist in der Regel die Herkunftsregion des Ausländers, in die er typischerweise zurückkehren wird (Urteil vom 14. Juli 2009 - BVerwG 10 C 9.08 - BVerwGE 134, 188 Rn. 17 unter Hinweis auf EuGH, Urteil vom 17. Februar 2009 - Rs. C-465/07, Elgafaji - NVwZ 2009, 705 Rn. 40).

14

Das Berufungsgericht hat dies zutreffend zu Grunde gelegt. Es hat aber nicht geprüft, ob in der Herkunftsregion des Klägers ein bewaffneter Konflikt herrscht, sondern stattdessen auf die Verhältnisse in Kabul als dem derzeit einzig möglichen Abschiebungsziel abgestellt, weil der Kläger keinesfalls nach Helmand zurückkehren wolle bzw. werde. Wie der Senat bereits in seinem Beschluss vom 14. November 2012 (BVerwG 10 B 22.12 - juris Rn. 7) als geklärt gesehen hat, kommt es für die Frage, welche Region als Zielort der Rückkehr eines Ausländers anzusehen ist, aber weder darauf an, für welche Region sich ein unbeteiligter Betrachter vernünftigerweise entscheiden würde, noch darauf, in welche Region der betroffene Ausländer aus seinem subjektiven Blickwinkel strebt. Ein Abweichen von der Regel kann insbesondere nicht damit begründet werden, dass dem Ausländer in der Herkunftsregion die Gefahren drohen, vor denen ihm § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG Schutz gewähren soll. Dies ergibt sich schon aus dem systematischen Zusammenhang der unionsrechtlichen Abschiebungsverbote mit den Bestimmungen über den internen Schutz (Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG; künftig: Art. 8 der Richtlinie 2011/95/EU). Kommt die Herkunftsregion als Zielort wegen der dem Ausländer dort drohenden Gefahr nicht in Betracht, kann er nur unter den einschränkenden Voraussetzungen des Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG auf eine andere Region des Landes verwiesen werden. Der Begriff des "tatsächlichen Zielortes der Rückkehr" ist daher kein rein empirischer Begriff, bei dem auf die tatsächlich wahrscheinlichste oder subjektiv gewollte Rückkehrregion abzustellen ist. Da es bei § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG um den Schutz vor den Gefahren eines - nicht notwendig landesweiten - bewaffneten Konflikts im Heimatstaat geht, kommt bei der Bestimmung des Ortes der (voraussichtlichen) tatsächlichen Rückkehr der Herkunft als Ordnungs- und Zuschreibungsmerkmal eine besondere Bedeutung zu. Ein Abweichen von der Herkunftsregion kann daher auch nicht damit begründet werden, dass der Ausländer infolge eines bewaffneten Konflikts den personalen Bezug zu seiner Herkunftsregion verloren hat, etwa weil Familienangehörige getötet worden sind oder diese Gebiete ebenfalls verlassen haben. Auch soweit die nachlassende subjektive Bindung zur Herkunftsregion durch Umstände begründet worden ist, die mittelbare Folgen des bewaffneten Konflikts sind (z.B. Beeinträchtigung der sozialen und wirtschaftlichen Infrastruktur, nachhaltige Verschlechterung der Versorgungslage), und es mangels Existenzgrundlage und Zukunftsperspektive eine nachvollziehbare Haltung ist, nicht in die Herkunftsregion zurückkehren zu wollen, behält diese für die schutzrechtliche Betrachtung grundsätzlich ihre Relevanz. Allerdings ist jedenfalls dann nicht (mehr) auf die Herkunftsregion abzustellen, wenn sich der Ausländer schon vor der Ausreise und unabhängig von den fluchtauslösenden Umständen von dieser gelöst und in einem anderen Landesteil mit dem Ziel niedergelassen hatte, dort auf unabsehbare Zeit zu leben. Durch eine solche freiwillige Ablösung verliert die Herkunftsregion ihre Bedeutung als Ordnungs- und Zurechnungsmerkmal und scheidet damit als Anknüpfungspunkt für die Gefahrenprognose bei § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG aus.

15

Diese Ausdeutung des vom Gerichtshof der Europäischen Union - EuGH - (Urteil vom 17. Februar 2009 a.a.O. Rn. 40) verwandten Begriffs des tatsächlichen Zielorts der Rückkehr kann vorgenommen werden, ohne diesem die Rechtssache zur Vorabentscheidung vorzulegen. Der EuGH hat den Begriff in seinem Urteil vom 17. Februar 2009 zwar nicht abschließend definiert. Die hier entfaltete Auslegung trägt aber dem Zweck der Vorschriften über den internen Schutz Rechnung und folgt damit der Vorgabe des EuGH, die Auslegung nationalen Rechts so weit wie möglich am Wortlaut und Zweck der Richtlinie auszurichten, um das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen und auf diese Weise Art. 249 Abs. 3 EG (inzwischen: Art. 288 AEUV) nachzukommen (EuGH, Urteil vom 17. Februar 2009 a.a.O. Rn. 42).

16

Das Berufungsurteil verstößt nach den vorstehenden Grundsätzen gegen Bundesrecht, weil es für das Bestehen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts nicht die Verhältnisse in der Herkunftsregion des Klägers in den Blick genommen, sondern auf die Lage in Kabul als dem voraussichtlichen Zielort einer Abschiebung abgestellt hat. Den Feststellungen des Berufungsgerichts ist aber nicht zu entnehmen, dass der Kläger sich vor seiner Ausreise dauerhaft in einer anderen Region als Helmand niedergelassen hat. Er ist zwar zunächst mit seiner Lebensgefährtin nach Kabul (und später in den Iran zu seiner Schwester) gegangen. Dies geschah nach seinen Angaben aber allein aus Angst vor dem Vater seiner Lebensgefährtin; zur Dauer und den näheren Umständen des Aufenthalts in Kabul enthält das Berufungsurteil keine Feststellungen. Die vom Berufungsgericht angeführten Erwägungen, warum der Kläger nicht nach Helmand zurückkehren wolle bzw. werde, lassen die Relevanz der Heimatregion für die Gefahrenprognose bei einem bewaffneten Konflikt nicht entfallen.

17

3.2 Das Berufungsurteil beruht auf diesem Fehler. Das Berufungsgericht hat - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - keine tatsächlichen Feststellungen zur Lage in der Provinz Helmand getroffen. Ob in dieser Region ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt herrscht und dem Kläger dort die in § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG definierte Gefahr droht, kann daher revisionsgerichtlich weder festgestellt noch ausgeschlossen werden.

18

3.3 Die Entscheidung erweist sich hinsichtlich des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO) oder unrichtig, so dass der Senat in der Sache nicht abschließend entscheiden kann.

19

a) Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG scheidet nicht schon deshalb aus, weil der Kläger - einen innerstaatlichen bewaffneten Konflikt in seiner Herkunftsregion unterstellt - in Kabul internen Schutz finden könnte. Dies würde nach § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG voraussetzen, dass für den Kläger in Kabul nicht nur keine Gefahr besteht, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, sondern von ihm auch vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort aufhält.

20

Auch hierzu fehlen hinreichende tatrichterliche Feststellungen. Das Berufungsgericht hat in Bezug auf Kabul zwar festgestellt, dass die tatsächlichen Voraussetzungen für die Gewährung nationalen Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG nicht vorliegen, weil dort keine extreme Gefahrenlage herrsche und zu erwarten sei, dass Rückkehrer durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren könnten. Nach Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG muss beim internen Schutz die Existenzgrundlage aber so weit gesichert sein, dass vom Ausländer vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort aufhält. Dieser Zumutbarkeitsmaßstab geht über das Fehlen einer im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG beachtlichen existenziellen Notlage hinaus; weiterhin offenbleiben kann, welche darüber hinausgehenden wirtschaftlichen und sozialen Standards erfüllt sein müssen (vgl. Urteil vom 29. Mai 2008 - BVerwG 10 C 11.07 - BVerwGE 131, 186 Rn. 35).

21

b) Umgekehrt kann auf der Grundlage der tatrichterlichen Feststellungen auch nicht davon ausgegangen werden, dass das Berufungsurteil hinsichtlich des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes aus anderen Gründen unrichtig ist. Das Berufungsgericht hat vor allem im Ergebnis zu Recht das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG verneint. Ein solches Abschiebungsverbot ergibt sich - entgegen der Auffassung der Revision - insbesondere nicht aus den allgemeinen humanitären Verhältnissen in Afghanistan.

22

Nach § 60 Abs. 2 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Mit diesem Abschiebungsverbot wird Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG (inzwischen: Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2011/95/EU) umgesetzt. Die Europäische Kommission hat sich bei der Formulierung dieser Richtlinienbestimmung an Art. 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl 1952 II S. 685) - EMRK - orientiert und in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte - EGMR - Bezug genommen (Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Rates über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen vom 12. September 2001 KOM <2001> 510 endgültig S. 6, 30). Die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK ist bei der Auslegung des § 60 Abs. 2 AufenthG auch über Art. 19 Abs. 2 der Grundrechte-Charta (ABl EU 2010 Nr. C 83, 389) - GR-Charta - zu berücksichtigen. Danach darf niemand in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn das ernsthafte Risiko der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung besteht. Dies gilt nach Art. 51 Abs. 1 GR-Charta auch für die Mitgliedstaaten bei der Durchführung des Rechts der Union. Nach den gemäß Art. 52 Abs. 7 GR-Charta bei ihrer Auslegung gebührend zu berücksichtigenden Erläuterungen (ABl EU 2007 Nr. C 303 S. 17 = EuGRZ 2008, 92) wird durch die Regelung in Art. 19 Abs. 2 GR-Charta die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK in Auslieferungs-, Ausweisungs- und Abschiebungsfällen übernommen (Urteil vom 27. April 2010 a.a.O. Rn. 15 und 17).

23

Entgegen der Auffassung der Revision ist der neueren Rechtsprechung des EGMR nicht zu entnehmen, dass sich der Maßstab für eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK bei Abschiebungen in Staaten mit schwierigen Lebensbedingungen nach den "für alle Menschen gleich geltenden Mindeststandards einer Behandlung" bestimmt. Entsprechendes ergibt sich insbesondere nicht aus der Entscheidung des EGMR im Verfahren M.S.S. gegen Belgien und Griechenland (Urteil vom 21. Januar 2011 - Nr. 30696/06 - NVwZ 2011, 413). Bereits in seinem Beschluss vom 25. Oktober 2012 (BVerwG 10 B 16.12 - juris Rn. 8 f.) hat der Senat dargelegt, dass der EGMR davon ausgeht, dass die Staaten - unbeschadet ihrer vertraglichen Verpflichtungen einschließlich derer aus der Konvention selbst - das Recht haben, die Einreise fremder Staatsbürger in ihr Hoheitsgebiet zu regeln (EGMR, Urteile vom 28. Mai 1985 - Nr. 15/1983/71/107-109, Abdulaziz u. a./Vereinigtes Königreich - NJW 1986, 3007 Rn. 67; vom 18. Oktober 2006 - Nr. 46410/99, Üner/Niederlande - NVwZ 2007, 1279 Rn. 54 und vom 28. Juni 2012 - Nr. 14499/09, A.A. u.a. - Rn. 71). Die Abschiebung durch einen Konventionsstaat kann aber dessen Verantwortlichkeit nach der Konvention begründen, wenn es ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür gibt, dass der Betroffene im Falle seiner Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, im Aufnahmeland einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. In einem solchen Fall ergibt sich aus Art. 3 EMRK die Verpflichtung, die Person nicht in dieses Land abzuschieben (stRspr, EGMR, Urteile vom 7. Juli 1989 - Nr. 1/1989/161/217, Soering/Vereinigtes Königreich - NJW 1990, 2183 Rn. 90 f. und vom 28. Februar 2008 - Nr. 37201/06, Saadi/Italien - NVwZ 2008, 1330 Rn. 125). Allerdings können Ausländer kein Recht aus der Konvention auf Verbleib in einem Konventionsstaat geltend machen, um dort weiter medizinische, soziale oder andere Hilfe und Unterstützung zu erhalten. Der Umstand, dass im Fall einer Aufenthaltsbeendigung die Lage des Betroffenen einschließlich seiner Lebenserwartung erheblich beeinträchtigt würde, reicht nach dieser Rechtsprechung allein nicht aus, einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK anzunehmen. Anderes kann nur in besonderen Ausnahmefällen gelten, in denen humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen (EGMR, Urteil vom 27. Mai 2008 - Nr. 26565/05, N./Vereinigtes Königreich - NVwZ 2008, 1334 Rn. 42). So hat der EGMR ein Abschiebungsverbot aus Art. 3 EMRK zugunsten eines im fortgeschrittenen, tödlichen und unheilbaren Stadiums an Aids Erkrankten angenommen, weil die Abschiebung seinen Tod beschleunigen würde, er keine angemessene Behandlung erreichen könne und kein Beweis für irgendeine mögliche moralische oder soziale Unterstützung im Zielstaat zu erbringen sei (EGMR, Urteil vom 2. Mai 1997 - Nr. 146/1996/767/964, D./Vereinigtes Königreich - NVwZ 1998, 161 Rn. 52 f.). Zusammenfassend führt der Gerichtshof zur Herleitung eines Abschiebungsverbots aus Art. 3 EMRK aufgrund von Krankheiten aus, dass angesichts der grundlegenden Bedeutung von Art. 3 EMRK im System der Konvention zwar eine gewisse Flexibilität notwendig sei, um eine Ausweisung (expulsion) in besonderen Ausnahmefällen zu verhindern. Doch verpflichte Art. 3 EMRK die Staaten nicht, Fortschritte in der Medizin sowie Unterschiede in sozialen und wirtschaftlichen Standards durch freie und unbegrenzte Versorgung von Ausländern ohne Bleiberecht zu beseitigen (EGMR, Urteil vom 27. Mai 2008 a.a.O. Rn. 44).

24

Wie der Senat in seinem Beschluss vom 25. Oktober 2012 (a.a.O. Rn. 9) ausgeführt hat, ist diese gefestigte Rechtsprechung durch das Urteil der Großen Kammer vom 21. Januar 2011 (a.a.O.) im Verfahren M.S.S. gegen Belgien und Griechenland nicht grundsätzlich revidiert worden. Dieses Urteil verhält sich - entgegen der Auffassung der Revision - erkennbar nicht zu den "für alle Menschen gleich geltenden Mindeststandards einer Behandlung". Zwar hat der EGMR eine Verletzung von Art. 3 EMRK durch das Königreich Belgien als abschiebenden Staat angenommen, weil der betroffene Asylantragsteller mit seiner Überstellung an Griechenland als Signaturstaat der EMRK einer Situation äußerster materieller Armut ausgeliefert worden sei, was den belgischen Behörden bewusst gewesen sei (Rn. 263 f., 366 f.). Jedoch erstreckt diese Entscheidung den Schutzbereich des Art. 3 EMRK ausdrücklich nicht allgemein auf soziale Leistungsrechte; der EGMR betont vielmehr die Fortgeltung seiner insoweit sehr zurückhaltenden Rechtsprechung (Rn. 249 m.w.N.) und begründet seine Entscheidung mit dem Schutz der Menschenwürde von Personen, die - in einem ihnen völlig fremden Umfeld - vollständig von staatlicher Unterstützung abhängig sind und behördlicher Gleichgültigkeit gegenüberstehen, obwohl sie sich in ernsthafter Armut und Bedürftigkeit befinden (Rn. 253). Als eine hiernach in Betracht zu ziehende Personengruppe führt der EGMR die Gruppe der Asylsuchenden an, die er als besonders verletzlich und schutzbedürftig qualifiziert (Rn. 251, 259).

25

Dass damit keine generelle Erstreckung des Schutzes nach Art. 3 EMRK auf zu gewährleistende Standards im Heimatstaat des Betroffenen einhergeht, ergibt sich auch aus nachfolgenden Urteilen des EGMR (vgl. Beschluss vom 25. Oktober 2012 a.a.O. Rn. 9 m.w.N.). In seinem Urteil vom 28. Juni 2011 im Verfahren Sufi und Elmi gegen Vereinigtes Königreich (Nr. 8319/07 - NVwZ 2012, 681) stellt der EGMR nochmals klar, dass in Abschiebungsfällen nur zu prüfen ist, ob unter Berücksichtigung aller Umstände ernstliche Gründe für die Annahme nachgewiesen worden sind, dass der Betroffene im Fall seiner Abschiebung tatsächlich Gefahr liefe, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Wenn eine solche Gefahr nachgewiesen ist, verletzt die Abschiebung des Ausländers notwendig Art. 3 EMRK, einerlei, ob sich die Gefahr aus einer allgemeinen Situation der Gewalt ergibt, einem besonderen Merkmal des Ausländers oder einer Verbindung von beiden (Rn. 218). Zugleich weist der EGMR darauf hin, dass die sozio-ökonomischen und humanitären Verhältnisse im Bestimmungsland hingegen nicht notwendig für die Frage bedeutend und erst recht nicht dafür entscheidend sind, ob der Betroffene in diesem Gebiet wirklich der Gefahr einer Misshandlung unter Verstoß gegen Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre. Denn die Konvention zielt hauptsächlich darauf ab, bürgerliche und politische Rechte zu schützen. Die grundlegende Bedeutung von Art. 3 EMRK macht nach Auffassung des EGMR aber eine gewisse Flexibilität erforderlich, um in sehr ungewöhnlichen Fällen eine Abschiebung zu verhindern. In ganz außergewöhnlichen Fällen können daher auch (schlechte) humanitäre Verhältnisse Art. 3 EMRK verletzen, wenn die humanitären Gründe gegen die Ausweisung "zwingend" sind (Rn. 278). Nur soweit die schlechten humanitären Bedingungen - wie in Somalia - nicht nur oder überwiegend auf Armut oder fehlende staatliche Mittel beim Umgang mit Naturereignissen zurückzuführen sind, sondern überwiegend auf direkte und indirekte Aktionen der Konfliktparteien zurückgehen, hält der EGMR das im Verfahren M.S.S. gegen Belgien und Griechenland (a.a.O.) entwickelte Kriterium für besser geeignet, nach dem die Fähigkeit des Beschwerdeführers berücksichtigt werden muss, seine elementaren Bedürfnisse zu befriedigen, wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft, weiter seine Verletzlichkeit für Misshandlungen und seine Aussicht auf eine Verbesserung der Lage in angemessener Zeit (Rn. 282 f.).

26

Welche Anforderungen sich aus dieser Rechtsprechung des EGMR im Einzelnen für Abschiebungen in den Herkunftsstaat bei schlechten humanitären Bedingungen ergeben, bedarf vorliegend keiner abschließenden Entscheidung. Denn selbst der EGMR geht in Bezug auf Afghanistan davon aus, dass die allgemeine Lage dort nicht so ernst ist, dass eine Abschiebung ohne Weiteres eine Verletzung des Art. 3 EMRK wäre (EGMR, Urteil vom 13. Oktober 2011 - Nr. 10611/09, Husseini/Schweden - NJOZ 2012, 952 Rn. 84). Auch auf der Grundlage der tatrichterlichen Feststellungen des Berufungsgerichts liegen die Voraussetzungen für eine allein auf die allgemeinen Lebensbedingungen im Herkunftsland gestützte Verletzung des Art. 3 EMRK ersichtlich nicht vor. Maßgeblich ist dabei die Perspektive des abschiebenden Staates, aus dessen Sicht zu prüfen ist, ob der Betroffene durch die Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Bei dieser Prüfung stellt der EGMR grundsätzlich auf den gesamten Abschiebungszielstaat ab und prüft zunächst, ob solche Umstände an dem Ort vorliegen, an dem die Abschiebung endet (EGMR, Urteil vom 28. Juni 2011 a.a.O. Rn. 265, 301, 309). Das gilt auch bei der Beurteilung von Umständen, die nicht in die unmittelbare Verantwortung des Abschiebungszielstaates fallen, dem abschiebenden Staat nach Art. 3 EMRK aber dennoch eine Abschiebung des Ausländers verbieten.

27

Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass derzeit nur eine Abschiebung nach Kabul möglich ist (UA S. 14). Zugleich hat es sich bezüglich der allgemeinen Lebensbedingungen in Kabul - im Rahmen seiner Ausführungen zu § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG - in tatsächlicher Hinsicht der Einschätzung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs angeschlossen, dass zu erwarten sei, dass Rückkehrer dort durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren könnten (UA S. 23). Die daran anschließende Bemerkung des Berufungsgerichts, aufgrund der schlechten Gesamtsituation dürfte ohne schützende Familien- und Stammesstrukturen eine Rückkehr nach Kabul selbst für gesunde alleinstehende Männer unter humanitären Gesichtspunkten "kaum zumutbar" sein, führt nicht zu einer anderen Bewertung. Sie umfasst nicht die tatsächliche Feststellung, die sozio-ökonomischen und humanitären Verhältnisse im Abschiebezielstaat seien so schlecht, dass nach Art. 3 EMRK von einer Abschiebung zwingend abgesehen werden müsse. Mit dieser Formulierung bringt das Berufungsgericht lediglich seine Haltung zum Ausdruck, dass die rechtlichen "Hürden" des Bundesverwaltungsgerichts für die Annahme eines Abschiebungsverbots in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG seiner Auffassung nach zu hoch sind, und lässt in der Sache sein Bedauern erkennen, dass die oberste Landesbehörde für Afghanistan keinen generellen Abschiebestopp aus humanitären Gründen gemäß § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG angeordnet hat und das Gericht diese politische Entscheidung - unterhalb der hier nicht erreichten Grenze verfassungsrechtlich gebotenen Abschiebungsschutzes - nicht zu ersetzen vermag (Beschluss vom 25. Oktober 2012 a.a.O. Rn. 5).

28

Damit liegen die tatsächlichen Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG - ungeachtet des Umstandes, dass bei § 60 Abs. 2 AufenthG und bei § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in rechtlicher Hinsicht unterschiedliche Maßstäbe gelten - ersichtlich nicht vor. Selbst bei Zugrundelegung der - vom EGMR im Verfahren M.S.S. gegen Belgien und Griechenland für einen gänzlich anderen Anwendungsfall entwickelten und in den Verfahren Sufi und Elmi gegen Vereinigtes Königreich auf eine ebenfalls andere Ausgangssituation im Herkunftsstaat übertragenen - abgesenkten und auf die Situation besonderer Verletzlichkeit und Schutzbedürftigkeit bezogenen Maßstäbe ergäbe sich nach den Feststellungen des Berufungsgerichts zu den Verhältnissen in Kabul für den Kläger kein Abschiebungsverbot aus § 60 Abs. 2 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK (Beschluss vom 25. Oktober 2012 a.a.O. Rn. 10).

29

Auch insoweit bedarf es keiner Vorlage an den EuGH. Die Voraussetzungen, unter denen einen abschiebenden Staat aus Art. 3 EMRK ausnahmsweise eine Verantwortung für nicht dem Abschiebezielstaat oder anderen Akteuren zuzurechnende Umstände trifft, ergeben sich aus der Rechtsprechung des EGMR und werfen im vorliegenden Verfahren keine entscheidungserheblichen unionsrechtlichen Zweifelsfragen auf. Die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK ist bei der Auslegung des Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2011/95/EU zu beachten. Dass die Richtlinie in Bezug auf Art. 3 EMRK bei Umständen, die weder in die Verantwortung des Abschiebezielstaats noch eines sonstigen Akteurs fallen, keinen über die Rechtsprechung des EGMR hinausgehenden Schutz gewährt, ergibt sich schon aus Art. 6 der Richtlinie 2011/95/EU (früher: Art. 6 der Richtlinie 2004/83/EG). Denn dieser Vorschrift ist zu entnehmen, dass es nach den Vorstellungen des Richtliniengebers auch beim subsidiären Schutz grundsätzlich eines Akteurs bedarf, von dem ein ernsthafter Schaden ausgehen kann.

30

4. Kann der Senat mangels hinreichender tatrichterlicher Feststellungen weder positiv noch negativ abschließend über das Vorliegen der Voraussetzungen für die Gewährung unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes entscheiden, so ist das Berufungsurteil schon aus diesem Grund aufzuheben und das Verfahren an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, ohne dass es auf die von der Revision fristgerecht erhobenen Verfahrensrügen ankommt. Zur Klarstellung weist der Senat allerdings darauf hin, dass die gerügten Verfahrensfehler nicht vorliegen. Insoweit wird Bezug genommen auf die Ausführungen in den Beschlüssen des Senats vom 25. Oktober 2012 - BVerwG 10 B 16.12 und 10 B 20.12 - zu vergleichbaren Verfahrensrügen des Prozessbevollmächtigten des Klägers. Das Berufungsgericht hat auch nicht gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verstoßen, weil es den Rechtsstreit nicht dem EuGH vorgelegt hat. Ein solcher Verstoß scheidet schon deswegen aus, weil es nach Art. 267 Abs. 2 AEUV zwar zur Vorlage berechtigt, nicht aber verpflichtet ist. Unabhängig davon liegen die Voraussetzungen für eine Vorlage an den EuGH aber auch nicht vor. Die entscheidungserheblichen Fragen des Unionsrechts sind in der Rechtsprechung des EuGH geklärt bzw. unterliegen keinen Zweifeln, die eine Vorlage rechtfertigen oder gar gebieten. Insoweit wird auf die vorstehenden Ausführungen Bezug genommen.

31

5. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

32

5.1 Das Berufungsgericht wird hinsichtlich des Begehrens auf Gewährung unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes vor allem mit Blick auf § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG auf aktueller Tatsachengrundlage zu klären haben, ob in der Herkunftsregion des Klägers ein bewaffneter Konflikt herrscht und ihm dort die Gefahren drohen, vor denen § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG Schutz gewährt. Ist dies der Fall, hat es weiter zu prüfen, ob der Kläger nach § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG auf die Möglichkeit internen Schutzes in einem anderen Landesteil - insbesondere Kabul - verwiesen werden kann.

33

5.2 Kommt das Berufungsgericht zu dem Ergebnis, dass der Kläger keinen Anspruch auf Gewährung unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes hat, wird es auf aktueller Erkenntnislage auch erneut über den Hilfsantrag des Klägers auf Gewährung nationalen Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 und 3 AufenthG zu entscheiden haben.

34

a) Dabei kann dahinstehen, wie die Aussage des Berufungsgerichts bei § 60 Abs. 5 AufenthG zu verstehen ist, dass bezüglich Art. 3 EMRK die weitergehende und unionsrechtlich aufgeladene Schutznorm des § 60 Abs. 2 AufenthG "vorrangig, d.h. im vorliegenden Falle nicht zu prüfen" sei. Sollte das Berufungsgericht damit zum Ausdruck bringen wollen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK durch § 60 Abs. 2 AufenthG verdrängt wird, wäre dies allerdings nicht mit Bundesrecht zu vereinbaren.

35

Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit eine Abschiebung nach den Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention unzulässig ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Vorgängerregelung in § 53 Abs. 4 AuslG (Urteil vom 11. November 1997 - BVerwG 9 C 13.96 - BVerwGE 105, 322) umfasst der Verweis auf die EMRK lediglich Abschiebungshindernisse, die in Gefahren begründet liegen, welche dem Ausländer im Zielstaat der Abschiebung drohen ("zielstaatsbezogene" Abschiebungshindernisse).

36

Der Verweis auf Abschiebungsverbote, die sich aus der Anwendung der EMRK ergeben, umfasst auch das Verbot der Abschiebung in einen Zielstaat, in dem dem Ausländer unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne von Art. 3 EMRK droht. Bei § 60 Abs. 5 AufenthG sind alle Verbürgungen der EMRK in den Blick zu nehmen, aus denen sich ein Abschiebungsverbot ergeben kann. Soweit § 60 Abs. 5 AufenthG die völkerrechtliche Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland wiederholt, bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen die Gefahr der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung zu berücksichtigen (Art. 3 EMRK), ist der sachliche Regelungsbereich zwar weitgehend identisch mit dem unionsrechtlichen Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG und geht über diesen, soweit Art. 3 EMRK in Rede steht, jedenfalls nicht hinaus. Denn § 60 Abs. 2 AufenthG knüpft - wie dargelegt - an Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2011/95/EG an, der seinerseits die Verantwortung des Abschiebestaats nach Art. 3 EMRK übernimmt. Auch wenn bei Anträgen auf internationalen Schutz der unionsrechtliche Abschiebungsschutz - und damit auch das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG - vor dem nationalen Abschiebungsschutz zu prüfen ist, folgt hieraus in Bezug auf eine Verletzung des Art. 3 EMRK keine (verdrängende) Spezialität des Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG, die eine Prüfung des § 60 Abs. 5 AufenthG bereits dem Grunde nach ausschließt. Die Gewährleistung nach nationalem Recht tritt vielmehr selbstständig neben die aus Unionsrecht. Eine tatbestandsausschließende Spezialität des § 60 Abs. 2 AufenthG wäre mit dem hohen Rang, den die durch Art. 3 EMRK geschützten Rechtsgüter haben, unvereinbar. Damit ist hinsichtlich des Vorliegens eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG in jedem Fall materiell zu prüfen, ob die Voraussetzungen des Art. 3 EMRK erfüllt sind. In Fällen, in denen - wie hier - gleichzeitig über die Gewährung unionsrechtlichen und nationalen Abschiebungsschutzes zu entscheiden ist, scheidet allerdings bei Verneinung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 AufenthG regelmäßig aus denselben tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK aus, so dass in der Sache divergierende Bewertungen kaum denkbar sind.

37

b) Schließlich soll nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat auch dann abgesehen werden, wenn dort für ihn eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Allerdings sind Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, grundsätzlich nur nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen (Sperrwirkung).

38

Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass ein Ausländer im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die ihn im Abschiebezielstaat erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur ausnahmsweise beanspruchen kann, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Denn nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren (stRspr, vgl. Urteil vom 8. September 2012 - BVerwG 10 C 14.10 - BVerwGE 140, 319 - Rn. 22 f. m.w.N.). Auch insoweit sind die Verhältnisse im ganzen Land in den Blick zu nehmen und - wie bei § 60 Abs. 2 und 5 AufenthG in Bezug auf Art. 3 EMRK - zunächst die Verhältnisse am Zielort der Abschiebung zu prüfen.

39

Das Berufungsgericht hat in Anwendung dieser Maßstäbe ein Abschiebungsverbot verneint, weil in tatsächlicher Hinsicht zu erwarten sei, dass Rückkehrer in Kabul durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren könnten. Dabei hat es weder die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit, dass es infolge der problematischen Versorgungslage, die neben der Versorgung mit Lebensmitteln auch die medizinische Versorgung und die Versorgung mit Wohnraum umfasst, zur Beeinträchtigung fundamentaler Schutzgüter kommen werde, überspannt noch hat es seine tatrichterliche Überzeugung auf einer zu schmalen Tatsachenbasis gebildet. Soweit die Revision geltend macht, das Berufungsgericht habe im Rahmen der Beurteilung einer extremen Gefahrenlage die medizinische Versorgungslage nicht hinreichend berücksichtigt, verkennt sie, dass diese nur bei akut behandlungsbedürftigen Vorerkrankungen oder in Fällen von Bedeutung ist, in denen aufgrund der allgemeinen Lebensverhältnisse mit einer entsprechend hohen Wahrscheinlichkeit eine lebensbedrohliche Erkrankung zu erwarten ist, für die dann faktisch kein Zugang zu medizinischer (Grund-)Versorgung besteht (s.a. Beschluss vom 25. Oktober 2012 - BVerwG 10 B 20.12 - Rn. 14).

40

Soweit das Berufungsgericht im Übrigen der Auffassung ist, das Bundesverwaltungsgericht stelle an das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung überzogene rechtliche Anforderungen, geben die Ausführungen dem Senat keine Veranlassung zu einer Änderung seiner Rechtsprechung. Das Berufungsgericht begründet seine Kritik damit, dass die Zumutbarkeit einer Rückkehr unter humanitären Gesichtspunkten, die es aufgrund der schlechten Gesamtsituation ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen selbst für gesunde alleinstehende Männer "kaum" für gegeben hält, nach der Rechtsprechung "kein zentraler Maßstab für die Bestimmung einer extremen Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG" sei. Mit diesen Erwägungen stellt es dem aus dem Verfassungsrecht abgeleiteten Rechtsbegriff der Zumutbarkeit eine eigene - mit außerrechtlichen Erwägungen begründete und enger gefasste - Zumutbarkeit gegenüber und vermischt damit die Grenze zwischen einer dem Betroffenen rechtlich (noch) zumutbaren und einer nicht (mehr) zumutbaren Rückkehr. Dabei vernachlässigt es zudem, dass es bei der verfassungskonformen Auslegung nicht um die Bestimmung eines aus Sicht des jeweiligen Gerichts "sinnvollen" und/oder "menschenrechtsfreundlichen" Abschiebungsschutzregimes geht, sondern um die Festlegung der Voraussetzungen, unter denen im gewaltenteilenden Rechtsstaat die Rechtsprechung befugt ist, über eine verfassungskonforme Auslegung ausnahmsweise die Entscheidung des demokratisch legitimierten Gesetzgebers, allgemeine Gefahren nur im Rahmen einer Anordnung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen, unbeachtet zu lassen. Hierbei macht es in der Sache einen erheblichen Unterschied, ob ein Mensch ohne jeden Ausweg in eine Situation gebracht wird, in der er so gut wie keine Überlebensmöglichkeit hat, oder ob er bei allen - auch existenzbedrohenden - Schwierigkeiten nicht chancenlos ist, sondern die Möglichkeit hat, Einfluss auf sein Schicksal zu nehmen.

41

Die weiteren Zweifel des Berufungsgerichts, ob ein Obergericht revisionsrechtlich dazu verpflichtet werden könne, sich mit der abweichenden Einschätzung anderer Obergerichte auseinanderzusetzen, betreffen nicht den materiell-rechtlichen Maßstab für die Beurteilung einer extremen Gefahrenlage selbst. Die damit ausgedrückte Kritik an der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu den Anforderungen an die tatrichterliche Überzeugungsbildung nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO (vgl. Urteil vom 29. Juni 2010 - BVerwG 10 C 10.09 - BVerwGE 137, 226 Rn. 22) vernachlässigt, dass diese Auseinandersetzung nicht als Selbstzweck gefordert wird. Sie zielt auf eine Verbesserung der Entscheidungsqualität durch Verbreiterung der erkennbar in die tatrichterliche Bewertung eingestellten Tatsachen- und Argumentationsbasis. Dies gilt namentlich in Fällen, in denen es - wie hier - im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung von § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG um eine "Korrektur" des demokratisch legitimierten Gesetzgebers geht, für die im Rahmen der Tatsachen- und Lagebeurteilung eine umfassende Gesamtwürdigung der voraussichtlichen Lebensbedingungen im Abschiebezielstaat und der damit verbundenen Gefahren erforderlich ist.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) In Streitigkeiten nach diesem Gesetz stellt das Gericht auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ab; ergeht die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Entscheidung gefällt wird. § 74 Absatz 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(2) Das Gericht kann außer in den Fällen des § 38 Absatz 1 und des § 73b Absatz 7 bei Klagen gegen Entscheidungen nach diesem Gesetz im schriftlichen Verfahren durch Urteil entscheiden, wenn der Ausländer anwaltlich vertreten ist. Auf Antrag eines Beteiligten muss mündlich verhandelt werden. Hierauf sind die Beteiligten von dem Gericht hinzuweisen.

(3) Das Gericht sieht von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe ab, soweit es den Feststellungen und der Begründung des angefochtenen Verwaltungsaktes folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt oder soweit die Beteiligten übereinstimmend darauf verzichten.

(4) Wird während des Verfahrens der streitgegenständliche Verwaltungsakt, mit dem ein Asylantrag als unzulässig abgelehnt wurde, durch eine Ablehnung als unbegründet oder offensichtlich unbegründet ersetzt, so wird der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens. Das Bundesamt übersendet dem Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist, eine Abschrift des neuen Verwaltungsakts. Nimmt der Kläger die Klage daraufhin unverzüglich zurück, trägt das Bundesamt die Kosten des Verfahrens. Unterliegt der Kläger ganz oder teilweise, entscheidet das Gericht nach billigem Ermessen.

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

Das Gericht darf über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

Tenor

I.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

II.

Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO wird abgelehnt.

III.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

IV.

Der Gegenstandswert wird auf 500,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen ein vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) nach § 11 Abs. 7 Satz 1 AufenthG angeordnetes Einreise- und Aufenthaltsverbot.

Der Antragsteller, ein senegalesischer Staatsangehöriger, stellte am 21.8.2014 einen Asylantrag.

Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 1.12.2015 wurde der Antragsteller unter anderem darauf hingewiesen, dass das Bundesamt bei einer eventuellen Ablehnung des Asylantrages und der damit einhergehenden Abschiebungsandrohung die Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots zu prüfen habe. Der Antragsteller wurde aufgefordert, Tatsachen vorzutragen, die bei einer eventuellen Entscheidung zum Einreise- und Aufenthaltsverbot als schutzwürdige Belange zu berücksichtigen wären. Dies wären unter anderem Familienmitglieder in Deutschland (mit/ohne Aufenthaltstitel), ein Personensorgerecht für einen im Bundesgebiet sich rechtmäßig aufhaltenden Minderjährigen oder die Ausübung des Umgangsrechts mit diesem oder andere schutzwürdigen Belange.

Mit Bescheid vom 21.4.2016, dem Antragsteller zugestellt am 30.4.2016, lehnte das Bundesamt die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und auf Asylanerkennung als offensichtlich unbegründet ab (Ziffern 1 und 2). Den Antrag auf Zuerkennung subsidiären Schutzes lehnte es ab (Ziffer 3). Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG würden nicht vorliegen (Ziffer 4). Unter Androhung seiner Abschiebung in den Senegal oder in einen anderen zu seiner Aufnahme bereiten oder zu seiner Rückübernahme verpflichteten Staat forderte das Bundesamt den Antragsteller auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen (Ziffer 5). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde gemäß § 10 Abs. 7 AufenthG angeordnet und auf 10 Monate ab dem Tag der Ausreise befristet (Ziffer 6). Ferner wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 10 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 7). Zum in Ziffer 6 des Bescheids angeordneten Einreise- und Aufenthaltsverbot ist ausgeführt, dass die Voraussetzungen vorliegen, unter denen ein derartiges Verbot angeordnet werden könne. Anhaltspunkte für schutzwürdige Belange des Antragstellers seien weder vorgetragen worden noch würden sie nach den Erkenntnissen des Bundesamtes vorliegen. Daher werde das Verbot angeordnet. Die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf 10 Monate sei im vorliegenden Fall angemessen. Der Antragsteller verfüge im Bundesgebiet über keine familiären Bindungen, die im Rahmen der Ermessensprüfung zu berücksichtigen wären.

Am 4.5.2016 ließ der Antragsteller Anfechtungsklage gegen die Ziffer 6 des streitgegenständlichen Bescheides erheben sowie Verpflichtungsklage im Hinblick auf die Ziffer 7. Ferner ließ er einen Eilrechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO im Hinblick auf die Ziffer 6 des Bescheides stellen.

Für den Antrag bestehe bereits vor der Ausreise ein Rechtsschutzbedürfnis, weil sich der Antragsteller trotz des anhängigen Klageverfahrens durch den bloßen weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet nach § 95 Abs. 2 Nr. 1b) AufenthG strafbar mache, wenn das Aufenthaltsverbot vollziehbar sei. Das angeordnete Verbot nach § 11 Abs. 7 AufenthG sei wegen Ermessensausfalls rechtswidrig. So sei schon ein Entschließungsermessen nicht ausgeübt worden. Die Formulierung in den Bescheidsgründen zeige, dass das Bundesamt lediglich das Vorliegen schutzwürdiger Belange geprüft habe und vom Nichtvorliegen derartiger Belange auf eine Pflicht zur Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots ausgegangen sei. Hinsichtlich der Befristung des Verbots auf 10 Monate werde im Wesentlichen nur der Gesetzeswortlaut wiederholt. Eine inhaltliche Ermessensausübung sei daraus nicht erkennbar.

Der Antragsteller beantragt sinngemäß,

die aufschiebende Wirkung der Klage gegen das Einreise- und Aufenthaltsverbot in Ziffer 6 des Bescheids des Bundesamtes vom 21.4.2016 anzuordnen.

Die Antragsgegnerin hat sich im Eilrechtsschutzverfahren bislang noch nicht geäußert.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie auf die Akten des Bundesamtes, die dem Gericht vorgelegen haben, Bezug genommen.

II.

Der zulässige Antrag hat keinen Erfolg.

1. Der Antrag ist zulässig.

Er ist insbesondere statthaft; denn nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung der Klage in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen, wenn die aufschiebende Wirkung kraft Gesetzes entfällt. Dies ist hinsichtlich der Ziffer 6 des streitgegenständlichen Bescheides gemäß § 84 Abs. 1 Satz 2 AufenthG der Fall.

Dem innerhalb der Frist des § 36 Abs. 3 Satz 10 AsylG gestellten Antrag fehlt auch nicht das Rechtsschutzbedürfnis. Der Antragsteller hat zu Recht darauf hinweisen lassen, dass sich ein Ausländer nach § 95 Abs. 2 Nr. 1b) AufenthG strafbar macht, wenn er sich in Zuwiderhandlung gegen eine vollziehbare Anordnung nach § 11 Abs. 7 Satz 1 AufenthG im Bundesgebiet aufhält. Nach § 11 Abs. 7 Satz 2 AufenthG wird das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Nachdem im Hauptsacheverfahren ausschließlich die Ziffern 6 und 7 des streitgegenständlichen Bescheides angegriffen worden sind, sind die Ziffern 1 bis 5 bereits bestandskräftig geworden; denn insoweit ist die Klagefrist des § 74 Abs. 1 Alt. 2 AsylG verstrichen. Daher bedarf es der Anordnung der aufschiebenden Wirkung, weil der Antragsteller andererseits Gefahr liefe, wegen eines weiteren Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland strafrechtlich verfolgt zu werden.

2. Der Antrag ist jedoch nicht begründet.

Bei seiner Entscheidung hat das Gericht eine Interessenabwägung durchzuführen, im Rahmen derer das Interesse des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage und das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gegeneinander abzuwägen sind. Im Rahmen dieser Abwägung spielen die Erfolgsaussichten der Hauptsacheklage eine wesentliche Rolle. Lassen sich diese nach der im Eilrechtsschutzverfahren gebotenen aber auch ausreichenden summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage nicht hinreichend

sicher abschätzen, so führt dies zu einer von den Erfolgsaussichten der Klage unabhängigen Interessenabwägung (vgl. Kopp/Schenke, 21. Aufl. 2015, § 80 Rn. 146 ff., insb. Rn. 152).

Die Klage wird im Hauptsacheverfahren aller Voraussicht nach erfolglos bleiben, weshalb auch der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ohne Erfolg bleibt.

Die streitgegenständliche Anordnung in Ziffer 6 des Bescheids des Bundesamts beruht auf § 11 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Danach kann das Bundesamt gegen einen Ausländer, dessen Asylantrag nach § 29a Abs. 1 AsylG als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt, ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Verbot ist mit seiner Anordnung zu befristen, wobei die Frist bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ein Jahr nicht überschreiten soll (§ 11 Abs. 7 Sätze 4 und 5 AufenthG). Sowohl über die Frage, ob ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet wird, als auch in Bezug auf die Dauer der Sperrfrist ist dem Bundesamt damit ein Ermessen eingeräumt. Das Gericht hat in diesem Zusammenhang nur zu prüfen, ob die in § 114 VwGO genannten besonderen Voraussetzungen eingehalten werden, d. h. ob die tatbestandlichen Voraussetzungen des Verwaltungsaktes - hier der behördlichen Befristungsentscheidung - gegeben sind, ob der Erlass des Verwaltungsaktes auf Ermessensfehlern beruht und ob eine Unterlassung einer rechts- und ermessensfehlerfreien Entscheidung der Behörde beim betroffenen Ausländer zu einer Rechtsverletzung führt.

Die Grundvoraussetzungen für die Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots sind hier unstreitig gegeben. Allerdings meint der Antragsteller, die Antragsgegnerin habe ihr Entschließungsermessen nicht ausgeübt. Dies ist jedoch nach dem Wortlaut des streitgegenständlichen Bescheides nicht der Fall. Das Bundesamt hat ausgeführt, dass das Verbot angeordnet wird, nicht dass es anzuordnen war. Außerdem hat es dargelegt unter welchen Voraussetzungen es angeordnet werden kann. Da besonders schutzwürdige Belange nicht vorliegen würden noch für das Bundesamt ersichtlich seien, werde das Verbot angeordnet. Hier wird deutlich, dass das Bundesamt erkannt hat, eine Ermessensentscheidung zu treffen. Ferner wird aus den Bescheidsgründen ersichtlich, dass ein Einreise- und Aufenthaltsverbot regelmäßig angeordnet wird, wenn schutzwürdige Belange nicht vorliegen. Diese dem Gericht aus einer Vielzahl von Bescheiden bekannte Vorgehensweise ist nicht zu beanstanden. Letztendlich wirkt das Bundesamt bei der Ermessensausübung - dem Zweck der Ermächtigung des § 11 Abs. 7 AufenthG entsprechend - aus generalpräventiven Erwägungen einer Überlastung des Asylverfahrens durch offensichtlich nicht schutzbedürftige Personen entgegen, um die entsprechenden Kapazitäten vielmehr für die Prüfung der Asylanträge tatsächlich schutzbedürftiger Personen einzusetzen (vgl. dazu die Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung, BT-Drs. 18/4097, Seite 38 sowie Maor in: Kluth/Heusch, Beck'scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Stand: 1.2.2016). Diese Vorgehensweise gewährleistet darüber hinaus eine Gleichbehandlung von Asylbewerbern, deren Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden ist.

Auch die durch das Bundesamt verfügte Länge der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes von 10 Monaten begegnet keinen durchgreifenden Bedenken. In § 11 Abs. 7 Satz 5 und 6 AufenthG sind als Höchstfristen ein Jahr für Erstfälle und drei Jahre in den übrigen Fällen normiert. Das Bundesamt hat dieses ihm zustehende Ermessen hier mit der Festsetzung einer unterhalb der Höchstfrist liegenden Länge erkannt. Es hat im Bescheid ausdrücklich auf das ihm zustehende Ermessen hingewiesen und ausgeführt, dass es eine Frist von 10 Monaten für angemessen erachte. Die gewählte Frist liegt somit unterhalb der Höchstfrist und schutzwürdige Belange des Antragstellers, die im konkreten Einzelfall hätten berücksichtigt werden müssen, waren und sind nicht ersichtlich, weshalb Ermessensfehler nicht erkennbar sind. In einem solchen Fall ist für eine ordnungsgemäße Ermessensausübung nicht erforderlich, den Ausschluss sämtlicher anderer Zeiträume unterhalb der Höchstgrenze im Bescheid zu begründen (so ausdrücklich VG Düsseldorf vom 11.3.2016, Az. 17 AL 472/16.A).

Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO war daher abzulehnen.

Mangels hinreichender Erfolgsaussichten im Eilrechtsschutzverfahren war auch der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abzulehnen, § 166 VwGO i. V. m. § 114 ZPO.

Die Kosten des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO hat gemäß § 154 Abs. 1 VwGO der Antragsteller zu tragen.

Da es sich bei der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots um ein Verfahren nach dem Asylgesetz handelt, werden Gerichtskosten gemäß § 83b AsylG nicht erhoben, weshalb grundsätzlich auch für eine Streitwertfestsetzung kein Raum ist.

Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 30 Abs. 2 RVG. Danach kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Wert als den nach § 30 Abs. 1 RVG bestimmten Wert festsetzen, wenn dieser nach den besonderen Umständen des Einzelfalles unbillig ist. Letzteres ist vorliegend der Fall, da sich der Antragsteller nicht gegen die Ablehnung seines Asylantrages als solches wendet, sondern allein gegen das in Ziffer 6 des streitgegenständ-lichen Bescheides angeordnete Einreise- und Aufenthaltsverbot. Insofern ist lediglich ein geringer Teilausschnitt des der Grundnorm des § 30 Abs. 1 RVG typischerweise zugrunde liegenden Streitgegenstandes betroffen. Das Gericht bewertet den Gegenstandswert in der Hauptsache mit 1000,- € und setzt den Gegenstandswert daher im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auf 500,- € fest (so auch VG Düsseldorf vom 20.1.2016, Az. 6 L 23/16.A ; VG Ansbach vom 18.11.2015, Az. AN 5 S 15.01616 ).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Die Verwaltungsbehörde kann ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

(1) In Streitigkeiten nach diesem Gesetz stellt das Gericht auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ab; ergeht die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Entscheidung gefällt wird. § 74 Absatz 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(2) Das Gericht kann außer in den Fällen des § 38 Absatz 1 und des § 73b Absatz 7 bei Klagen gegen Entscheidungen nach diesem Gesetz im schriftlichen Verfahren durch Urteil entscheiden, wenn der Ausländer anwaltlich vertreten ist. Auf Antrag eines Beteiligten muss mündlich verhandelt werden. Hierauf sind die Beteiligten von dem Gericht hinzuweisen.

(3) Das Gericht sieht von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe ab, soweit es den Feststellungen und der Begründung des angefochtenen Verwaltungsaktes folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt oder soweit die Beteiligten übereinstimmend darauf verzichten.

(4) Wird während des Verfahrens der streitgegenständliche Verwaltungsakt, mit dem ein Asylantrag als unzulässig abgelehnt wurde, durch eine Ablehnung als unbegründet oder offensichtlich unbegründet ersetzt, so wird der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens. Das Bundesamt übersendet dem Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist, eine Abschrift des neuen Verwaltungsakts. Nimmt der Kläger die Klage daraufhin unverzüglich zurück, trägt das Bundesamt die Kosten des Verfahrens. Unterliegt der Kläger ganz oder teilweise, entscheidet das Gericht nach billigem Ermessen.

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Streitigkeiten nach diesem Gesetz nicht erhoben.