Verwaltungsgericht München Urteil, 29. Jan. 2019 - M 4 K 18.266

bei uns veröffentlicht am29.01.2019

Gericht

Verwaltungsgericht München

Tenor

I. Der Prüfungsbescheid vom 6.7.2017 in der Fassung vom 28.3.2018 wird aufgehoben. Der Beklagte wird verpflichtet, die Prüfungsaufgabe 3 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bewerten. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen die Bewertung der Prüfungsaufgabe 3 durch den Erstkorrektor im Rahmen einer Ersten Juristischen Staatsprüfung.

Die Klägerin nahm im Termin 2017/1 zur Notenverbesserung ihres Erstversuchs im Termin 2016/1 an der Ersten Juristischen Staatsprüfung teil.

Mit Schreiben vom … teilte das Bayerische Staatsministerium der Justiz (im Folgenden: ...) der Klägerin mit, sie habe den schriftlichen Teil der Ersten Juristischen Staatsprüfung bestanden. Die schriftlichen Prüfungsarbeiten seien wie folgt bewertet worden:

Aufgabe

1

2

3

4

5

6

Punktzahl

8,0

8,0

6,0

5,0

5,0

0

Gesamtnote der schriftlichen Prüfung: 5,33 Punkte (ausreichend). Damit sei sie nach § 31 Abs. 2 Satz 1 der Ausbildungs- und Prüfungsordnung für Juristen -JAPOzur mündlichen Prüfung zugelassen.

Die mündliche Prüfung legte die Klägerin am … mit einer Gesamtnote von 10,33 Punkten ab. Sie bestand damit die Erste Juristische Staatsprüfung mit einer Prüfungsgesamtnote von 6,58 Punkten (befriedigend). Diese Prüfungsgesamtnote wurde der Klägerin im Anschluss an die mündliche Prüfung bekannt gegeben. Eine schriftliche Prüfungsbescheinigung erhielt die Klägerin nicht.

Das von der Klägerin angestrengte Nachprüfungsverfahren zur Bewertung der Prüfungsaufgabe 3 durch den Erstkorrektor führte zu keiner Änderung der Bewertung. Mit Schreiben vom 29. September 2017 nahm der Erstkorrektor Stellung zu den Einwendungen der Klägerin gegen die Bewertung und kam hierbei zu keiner anderen Gesamtbewertung.

Der Bevollmächtigte der Klägerin erhob mit Schriftsatz vom 15. Januar 2018 Klage gegen „den Bescheid des ... vom 26.06.2017“, eingegangen bei Gericht am 16. Januar 2018 und beantragte zunächst, den Bescheid des ... vom … aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die schriftliche Prüfungsarbeit 3 der Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts durch einen anderen Prüfer als den Erstkorrektor erneut bewerten zu lassen.

Mit selbigem Schriftsatz begründete der Bevollmächtigte die Klage und trug Einwendungen gegen die Bewertung der Prüfungsarbeit 3 vor. Die beantragte Neubewertung durch einen anderen Prüfer begründete er im Wesentlichen damit, dass die Besorgnis der Befangenheit bestehe. Es bestünden berechtigte Zweifel an der Unvoreingenommenheit und Objektivität des Prüfers. Dieser beharre in seiner im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens abgegebenen Stellungnahme auf seiner Feststellung, dass die Klägerin den Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung im Rahmen von Frage 1a nicht geprüft habe. Es handele sich um eine vergleichsweise einfach verifizierbare Rüge. Der Erstkorrektor hätte lediglich die in der Einwendungsbegründung angegebenen Seiten der Klausurbearbeitung aufschlagen müssen, um festzustellen, dass die Klägerin auf Seite 13 und 14 tatsächlich einen Schadensersatz statt der Leistung geprüft habe und dass seine Beurteilung folglich fehlerhaft sei. Der Erstkorrektor verschließe sich jedoch ganz offensichtlich dieser Einsicht und bringe damit auch für einen objektiven Dritten in der Lage des Prüflings zum Ausdruck, dass er auf seine ursprüngliche Bewertung in jedem Fall festgelegt sei.

Mit Schriftsatz vom …, eingegangen bei Gericht am 11. April 2018, beantragte der Beklagte,

die Klage abzuweisen.

In seiner Klageerwiderung führte das ... an, dass der Beklagte hinsichtlich der Aufgabe 3 vom Erstkorrektor eine neue Stellungnahme zu seiner Bewertung eingeholt hatte. Dieser habe mit Schreiben vom 25. März 2018 eine erneute Bewertung der Aufgabe vorgenommen und hierbei seine Bewertung der Prüfungsaufgabe 3 von zunächst fünf auf nunmehr sechs Punkte angehoben. Der Erstkorrektor räumte ein, dass er übersehen habe, dass die Klägerin den Schadensersatz statt der Leistung im Rahmen von Frage 1a auf Seite 13 und 14 geprüft habe, sodass an der bisherigen Bewertung nicht festgehalten werden könne. Die neue Bewertung der sechs schriftlichen Arbeiten stelle sich damit wie folgt dar:

Aufgabe

1

2

3

4

5

6

Punktzahl

8,0

8,0

6,5

5,0

5,0

0

Der Beklagte habe daher den (mündlichen) Prüfungsbescheid vom … mit Bescheid vom … dahingehend abgeändert, dass die Klägerin in der Aufgabe 3 nunmehr eine Einzelnote von 6,5 Punkten und damit eine Gesamtnote der schriftlichen Prüfungen von 5,41 Punkten (ausreichend) und eine Prüfungsgesamtnote von 6,64 Punkten (befriedigend) erreicht habe.

Im Übrigen sei zur Zulässigkeit der Klage auszuführen, dass die klägerseits beantragte Aufhebung des „Bescheids vom … … …“ nicht in Betracht komme, da es sich hierbei um keinen Verwaltungsakt handele. Vielmehr sei mit Schreiben vom … … … lediglich das Ergebnis der schriftlichen Prüfungen mitgeteilt und die Ladung zur mündlichen Prüfung ausgesprochen worden. Grundsätzlich seien Teile der Prüfung oder Teilleistungen nicht isoliert anfechtbar. Mitteilungen der Prüfungsbehörde an den Prüfling über die Bewertung einer einzelnen Prüfungsleistung im Allgemeinen würden nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht die Merkmale eines mit der Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage angreifbaren Verwaltungsaktes aufweisen. Demnach handele es sich bei der Ladung zur mündlichen Prüfung vom … … …, die lediglich informatorisch den Ausgang der schriftlichen Prüfung enthalte, nicht um einen Verwaltungsakt. Demnach müsse sich die Klage gegen die mündlich bekanntgegebene Gesamtnote richten.

Die inhaltlichen Einwendungen seien nicht begründet. Die Stellungnahmen des Erstkorrektors vom 29. September 2017 und vom 25. März 2018 würden in Bezug genommen. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Erstkorrektor im Rahmen seiner Neubewertung nunmehr zutreffend berücksichtigt habe, dass die Klägerin bei der Prüfungsfrage 1a einen Schadensersatzanspruch statt der Leistung geprüft habe, sei eine Rechtsfehlerhaftigkeit der Bewertung nicht mehr zu erkennen.

Unabhängig davon könne die Klägerin auch keine Neubewertung durch einen anderen Prüfer verlangen, da die Voraussetzungen hierfür nicht vorlägen. Insbesondere begründe der bisherige Wahrnehmungsfehler des Erstkorrektors nicht seine Befangenheit, zumal der Korrektor diesen nunmehr ausdrücklich eingeräumt und zum Anlass für eine Anhebung der Bewertung genommen habe. Der Grundsatz der Chancengleichheit gebiete es vielmehr, den bisherigen Prüfer beizubehalten, der den richtigen Vergleichsmaßstab für die Einordnung der Leistung in die Bewerberkonkurrenz besitze.

Auf Frage des Gerichts teilte der Bevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 10. Januar 2019, eingegangen bei Gericht am 14. Januar 2019, mit, dass die Klägerin auch nach der erfolgten Neubewertung an ihrer Klage festhalte. Vor dem Hintergrund, dass der ursprüngliche Prüfungsbescheid im Bescheid vom … teilweise „widerrufen“ worden sei, werde in der mündlichen Verhandlung beantragt werden und beantragte der Bevollmächtigte auch zuletzt:

I. Die Prüfungsbescheide des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz - ... - vom 6.7.2017 und vom 28.3.2018 werden aufgehoben.

II. Der Beklagte wird verpflichtet, durch einen anderen Prüfer als den bisherigen Erstkorrektor über die Bewertung der schriftlichen Prüfungsarbeit (Aufgabe) Nr. 3 der Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts und über die Gesamtnote der schriftlichen Prüfung sowie über die Prüfungsgesamtnote der Ersten Juristischen Staatsprüfung neu zu entscheiden.

Der Bevollmächtigte trug erneut zu den Einwendungen gegen die Bewertung der Prüfungsaufgabe 3 vor und führte zum Antrag auf Neubewertung durch einen anderen Korrektor im Wesentlichen aus, dass die Besorgnis der Befangenheit nicht nachträglich dadurch entfalle, dass der Erstkorrektor später einsichtig gewesen sei. Dem Erstkorrektor fehle offensichtlich die notwendige fachliche Kompetenz zur sachgerechten Bewertung der Prüfungsleistung der Klägerin. Sein Umgang mit den erfolgten Einwendungsbegründungen und den darin aufgezeigten eigenen Fehlern belege, dass der Prüfer festgelegt, für eigene Fehler nicht mehr aufnahmebereit und damit auch nicht mehr willens sei, seine eigenen Fehlbeurteilungen zu bereinigen.

Das Gericht hat die Klage gegen die Bewertung der Prüfungsaufgabe 6 mit null Punkten mit Urteil vom 29. Januar 2019 (M 4 K 17.3273) abgewiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, insbesondere hinsichtlich der Schriftsätze von Kläger- und Beklagtenseite, sowie die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist zulässig und begründet, soweit sie darauf gerichtet ist, dass der Beklagte über die Bewertung der schriftlichen Prüfungsarbeit 3 der Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden hat. Die Klage ist insoweit unbegründet, als die Neubewertung durch einen anderen Prüfer als den Erstkorrektor beantragt ist.

I.

Die Klage war zunächst unzulässig, soweit sie auf die Aufhebung der Notenmitteilung vom … … … gerichtet war, ist nunmehr aber zulässig, da sie sich gegen den Prüfungsbescheid vom … … … in der Fassung vom … richtet.

1. Die Notenmitteilung vom … stellt mangels Regelungswirkung keinen Verwaltungsakt i.S.d. Art. 35 Satz 1 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz -Bay-VwVfG dar und ist damit nicht isoliert anfechtbar.

Eine Regelungswirkung kommt weder dem Ergebnis der schriftlichen noch demjenigen der mündlichen Prüfung der Ersten Juristischen Staatsprüfung für sich gesehen zu (vgl. BayVGH, B.v. 25.4.2008 - 7 ZB 07.2331 - juris Rn. 9 zur Zweiten Juristischen Staatsprüfung). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind Mitteilungen der Prüfungsbehörde an den Prüfling über die Bewertung einzelner Prüfungsleistungen im Allgemeinen keine angreifbaren Verwaltungsakte, da die Einzelnoten, die dem Prüfling im Verlauf des Prüfungsverfahrens erteilt werden, regelmäßig keine selbstständige rechtliche Bedeutung haben, sondern lediglich als Grundlage der behördlichen Entscheidung über das Bestehen oder Nichtbestehen der Prüfung sowie über die erzielte Gesamtnote dienen (vgl. BVerwG, U.v. 22.6.1994 - 6 C 37/92 - juris Rn. 16; B.v. 25.3.2003 - 6 B 8/03 - juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 25.4.2008 - 7 ZB 07.2331 - juris Rn. 11).

§ 44a Verwaltungsgerichtsordnung -VwGOführt zum selben Ergebnis. Nach dieser Vorschrift können Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden; dies gilt dann nicht, wenn behördliche Verfahrenshandlungen vollstreckt werden können. Da der Mitteilung des Ergebnisses der schriftlichen Prüfung keine unmittelbare Rechtswirkung zukommt und sie auch nicht vollstreckbar ist, handelt es sich bei der Notenmitteilung vom … um eine unselbstständige Verfahrenshandlung nach § 44a VwGO. Rechtswirkungen ergeben sich erst mit dem Bescheid der Prüfungsbehörde, in dem dem Prüfling mitgeteilt wird, er habe die Prüfung in bestimmter Weise bestanden oder nicht bestanden (vgl. BVerwG, B.v. 25.3.2003 - 6 B 8/03 - juris Rn. 3). Im Rahmen der Ersten Juristischen Staatsprüfung ist die mündliche Eröffnung des Prüfungsgesamtergebnisses durch den Vorsitzenden der Prüfungskommission im Anschluss an die mündliche Prüfung nach § 34 Abs. 2 Satz 1 JAPO als rechtsverbindliche Prüfungsentscheidung und damit als mündlich erlassener Verwaltungsakt nach Art. 35 Satz 1, Art. 37 Abs. 2 Satz 1 BayVwVfG anzusehen (vgl. BayVGH, B.v. 25.4.2008 - 7 ZB 07.2331 - juris Rn. 9).

Daraus ergibt sich für den vorliegenden Fall, dass auch hier die Mitteilung über das Ergebnis der schriftlichen Prüfung nach § 31 Abs. 3 JAPO nicht für sich allein anfechtbar war, sondern dass die Klägerin den abschließenden Prüfungsbescheid angreifen und seine Abänderung anstreben musste. Die Klage war daher gegen den mündlichen Prüfungsbescheid vom … zu richten.

2. In dem mit Schriftsatz vom 10. Januar 2019 gestellten Antrag, „die Prüfungsbescheide vom … … und vom …“ aufzuheben, liegt eine nach § 91 Abs. 1 VwGO zulässige Klageänderung gegenüber der am 16. Januar 2018 erhobenen Klage, „den Bescheid vom …“ aufzuheben, weil sie sachdienlich ist und außerdem der Beklagte eingewilligt hat. Die Klage ist daher zulässig.

2.1. Soweit die Klägerin durch ihren Bevollmächtigten „die Prüfungsbescheide vom … und vom …“ zum Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens gemacht hat, handelt es sich nicht nur um eine bloße Berichtigung des Klageantrags, sondern um eine objektive Klageänderung nach § 91 Abs. 1 VwGO, da sie damit - anders als zuvor - einen Verwaltungsakt und dessen Änderungsverwaltungsakt zum Gegenstand ihrer Anfechtungsklage gemacht hat, mithin den Streitgegenstand des anhängigen Verfahrens änderte (vgl. Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 91 Rn. 11; BVerwG, B.v. 21.10.1983 - 1 B 116.83 - BeckRS 1983, 31247761). Dass die Klage vom 16. Januar 2018 ausschließlich auf Aufhebung der Notenmitteilung vom … … … gerichtet war, ergibt sich ohne Zweifel aus dem Klageantrag, mit welchem ausdrücklich nur die Aufhebung „des Bescheids vom …“ begehrt wurde. Diese eindeutige und unmissverständliche Formulierung ist keiner Auslegung in die Anfechtung des Prüfungsbescheids vom … zugänglich, zumal die Klageschrift von der anwaltlichen Vertretung des Klägers gefertigt worden war (vgl. BayVGH, B.v. 20.10.2010 - 20 ZB 10.2056 - BeckRS 2010, 31837 Rn. 9). Mit geändertem Antrag vom 14. Januar 2019 änderte die Klägerin den Streitgegenstand nach Rechtshängigkeit.

2.2. Die Klageänderung ist zulässig, weil sich der Beklagte nach § 91 Abs. 2 VwGO in der mündlichen Verhandlung auf die geänderte Klage eingelassen hat, indem er sich mit Sachvortrag inhaltlich zu den Einwendungen der Klägerin gegen die Bewertung der Prüfungsaufgabe 3 geäußert hat (vgl. BVerwG, B.v. 25.6.2009 - 9 B 20.09 - BeckRS 2009, 35598 Rn. 5). Darüber hinaus hält das Gericht die Klageänderung auch für sachdienlich, da sie der endgültigen Beilegung des sachlichen Streits zwischen den Beteiligten im laufenden Verfahren über die Bewertung der Prüfungsaufgabe 3 dient und der Streitstoff mit den Einwendungen der Klägerin im Wesentlichen derselbe bleibt (vgl. BVerwG, B.v. 25.6.2009 - 9 B 20.09 - BeckRS 2009, 35598 Rn. 6).

2.3. Die Klage ist dadurch zulässig. Zwar wirkt eine objektive Klageänderung nicht fristwahrend auf den Zeitpunkt der Klageerhebung zurück, weil die Klagefrist auch hinsichtlich des neuen Klageantrags gewahrt sein muss. Erst mit der wirksam erklärten Änderung der Klage wird die (neue) Streitsache rechtshängig i.S.d. § 90 VwGO; eine auf den Zeitpunkt der ursprünglichen Klageerhebung zurückwirkende Rechtshängigkeit lässt sich § 90 VwGO hingegen nicht entnehmen (VGH BW, B.v. 22.8.2014 - 2 S 1472/14 - NVwZ-RR 2015, 118). Eine Klage allein gegen den Prüfungsbescheid vom …… wäre daher auch unter Berücksichtigung der Jahresfrist nach § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO wegen unterbliebener Rechtsbehelfsbelehrung:verfristet. Da der Änderungsverwaltungsakt vom … jedoch eine neue Rechtsbehelfsfrist in Gang setzte und sich diese abermals wegen unterbliebener Rechtsbehelfsbelehrung:nach § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO richtet, hat die Klägerin am 14. Januar 2019 fristwahrend Klage erhoben.

II.

Die Klage ist insoweit begründet, als sie auf die Neubewertung der Prüfungsaufgabe 3 gerichtet ist. Der Prüfungsbescheid des ... vom … in der Fassung vom … ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Bewertung der von der Klägerin angefertigten Bearbeitung der Prüfungsaufgabe 3 durch den Erstkorrektor ist fehlerhaft. Die Klägerin hat somit einen Anspruch auf Neubewertung dieser Klausur und Neuverbescheidung (§ 113 Abs. 1, Abs. 5 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung -VwGO-).

1. Prüfungsentscheidungen sind nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbar.

Nach dem das Prüfungsrecht beherrschenden Grundsatz der Chancengleichheit müssen für vergleichbare Prüflinge so weit wie möglich vergleichbare Prüfungsbedingungen und Bewertungskriterien gelten. Mit diesem Grundsatz wäre es unvereinbar, wenn einzelne Kandidaten, indem sie einen Verwaltungsgerichtsprozess anstrengen, die Chance einer vom Vergleichsrahmen unabhängigen Bewertung erhielten. Die gleichmäßige Beurteilung aller vergleichbaren Kandidaten ist nur erreichbar, wenn den Prüfungsbehörden bei prüfungsspezifischen Wertungen ein Entscheidungsspielraum verbleibt und die gerichtliche Kontrolle insoweit eingeschränkt wird (BVerfG, B.v. 17.4.1991 - 1 BvR 419/81 - BVerfGE 84, 34 [52]).

Dieser prüfungsspezifische Bewertungsspielraum erstreckt sich auch auf die Notenvergabe bei Prüfungen wie der streitgegenständlichen: Die Prüfer müssen bei ihrem wertenden Urteil von Einschätzungen und Erfahrungen ausgehen, die sie im Laufe ihrer Examenspraxis bei vergleichbaren Prüfungen entwickelt haben und allgemein anwenden. Auch die Bestehensgrenze lässt sich nicht starr und ohne den Blick auf durchschnittliche Ergebnisse bestimmen. Daraus folgt, dass die Prüfungsnoten nicht isoliert gesehen werden dürfen, sondern in einem Bezugssystem zu finden sind, das durch die persönlichen Erfahrungen und Vorstellungen der Prüfer beeinflusst wird. Da sich die komplexen Erwägungen, die einer Prüfungsentscheidung zugrunde liegen, nicht regelhaft erfassen lassen, würde eine gerichtliche Kontrolle zu einer Verzerrung der Maßstäbe führen (BVerfG, B.v. 17.4.1991 - 1 BvR 419/81 - BVerfGE 84, 34 [51 f.]).

Gegenstände des prüfungsspezifischen Beurteilungsspielraumes sind etwa die Punktevergabe und Notengebung, soweit diese nicht mathematisch determiniert sind, die Einordnung des Schwierigkeitsgrades einer Aufgabenstellung, bei Stellung verschiedener Aufgaben deren Gewichtung untereinander, die Würdigung der Qualität der Darstellung, die Gewichtung der Stärken und Schwächen in der Bearbeitung sowie die Gewichtung der Bedeutung eines Mangels (BVerwG, U.v. 12.11.1997 - 6 C 11.96 - juris Rn. 22; B.v. 13.5.2004 - 6 B 25/04 - juris Rn. 11; Niehues/Fischer, Prüfungsrecht, 6. Aufl. 2014, Rn. 635). Ebenso handelt es sich um eine den Prüfern vorbehaltene prüfungsspezifische Wertung, ob im Hinblick auf eine entsprechend determinierte Notenstufe bzw. zugeordnete Punktzahl eine Prüfungsleistung als „brauchbar“ zu bewerten ist (BVerwG, U.v. 12.11.1997, a.a.O.). In diesen Bereich des prüfungsspezifischen Bewertungsspielraumes dürfen die Gerichte grundsätzlich nicht eindringen, sondern haben nur zu überprüfen, ob die Prüfer die objektiven, auch rechtlich beachtlichen Grenzen ihres Bewertungsspielraumes überschritten haben (vgl. BVerwG, B.v. 13.5.2004 - 6 B 25/04 - juris; BVerfG, B.v. 17.4.1991 - 1 BvR 419/81 - BVerfGE 84, 34 ff.).

Der Bewertungsspielraum ist überschritten, wenn die Prüfungsbehörden Verfahrensfehler begehen, anzuwendendes Recht verkennen, von einem unrichtigen Sachverhalt ausgehen, allgemeingültige Bewertungsmaßstäbe verletzen oder sich von sachfremden Erwägungen leiten lassen. Ein in diesem Sinne allgemeingültiger Bewertungsgrundsatz ist es, dass zutreffende Antworten und brauchbare Lösungen im Prinzip nicht als falsch bewertet werden und zum Nichtbestehen führen dürfen. Soweit die Richtigkeit oder Angemessenheit von Lösungen wegen der Eigenart der Prüfungsfrage nicht eindeutig bestimmbar ist, gebührt zwar dem Prüfer ein Bewertungsspielraum, dem aber ein Antwortspielraum des Prüflings gegenübersteht. Eine vertretbare und mit gewichtigen Argumenten folgerichtig begründete Lösung darf nicht als falsch gewertet werden. Überschritten wird der Beurteilungsspielraum ferner, wenn eine Bewertung auf einer wissenschaftlich-fachlichen Annahme des Prüfers beruht, die einem Fachkundigen als unhaltbar erscheinen muss (BVerfG, B.v. 17.4.1991 - 1 BvR 419/81 - BVerfGE 84, 34 [53 ff.]; BVerwG, B.v. 13.5.2004 - 6 B 25/04 - juris Rn. 11). Die wissenschaftlich-fachlichen Wertungen können vom Gericht stärker, wenn auch nicht vollständig, überprüft werden. Eine fachliche Antwort lässt sich bei entsprechendem Fachwissen als „richtig“, „falsch“ oder bei bestehenden Unklarheiten zumindest als „vertretbar“ bezeichnen. Ob eine als „falsch“ bewertete Lösung diese Voraussetzungen erfüllt, muss das Gericht gegebenenfalls durch Sachverständige klären. Bei der Beurteilung juristischer Fachfragen, insbesondere bei juristischen Staatsprüfungen, ist allerdings in aller Regel von der erforderlichen Qualifikation und Fachkompetenz der Verwaltungsgerichte auszugehen (BVerwG, U.v. 24.2.1993 - 6 C 38/92 - juris; BVerwG, B.v. 21.7.1998 - 6 B 44/98 - juris).

Das Gericht hat die zu Grunde liegenden Prüfungsbewertungen nur insoweit zu überprüfen, als vom Prüfling dagegen substantiierte Einwendungen vorgebracht werden. Der Prüfling muss also auf vermeintliche Irrtümer und Rechtsfehler wirkungsvoll hinweisen (BVerfG, B.v. 17.4.1991 - 1 BvR 419/81 - BVerfGE 84, 34, 48). Dazu genügt es nicht, dass er sich generell gegen eine bestimmte Bewertung seiner Prüfungsleistungen wendet und etwa pauschal eine zu strenge Korrektur bemängelt. Vielmehr muss er konkret darlegen, in welchen Punkten die Korrektur bestimmter Prüfungsleistungen nach seiner Auffassung Bewertungsfehler aufweist, indem er substantiierte Einwände gegen Prüferbemerkungen und -bewertungen erhebt. Macht er geltend, dass etwa eine als falsch bewertete Antwort in Wahrheit vertretbar sei und auch so vertreten werde, so hat er dies unter Hinweis auf entsprechende Fundstellen näher darzulegen (BVerwG, U.v. 24.2.1993 - 6 C 35/92 - juris Rn. 27).

Ist die vom Prüfling gerügte Bewertung einer Prüfungsaufgabe fehlerhaft und hat dieser Fehler Einfluss auf das Prüfungsergebnis, so führt dies zur Aufhebung des Bescheides über die Prüfungsendnote und zur Verpflichtung der Prüfungsbehörde, das Prüfungsverfahren durch Neubewertung der betreffenden Aufgabe fortzusetzen (BVerwG, U.v. 16.3.1994 - 6 C 5/93 - juris Rn. 22). Können allerdings Auswirkungen dieser materiellen Prüfungsfehler auf das Ergebnis der Prüfungsentscheidung ausgeschlossen werden, so folgt - wie bei unwesentlichen Verfahrensfehlern - aus dem Grundsatz der Chancengleichheit, dass ein Anspruch auf Neubewertung nicht besteht, weil sich die Prüfungsentscheidung im Ergebnis als zutreffend und damit als rechtmäßig darstellt (BVerwG, B.v. 13.3.1998 - 6 B 28/98 - juris Rn. 7).

2. Unter Anwendung dieser Rechtsgrundsätze ergibt sich für den vorliegenden Fall, dass die gegen die Klausurbewertung erhobenen Einwendungen durchgreifen. Die Prüfungsaufgabe 3 wurde vom Erstkorrektor ursprünglich mit fünf Punkten, im Laufe des Klageverfahrens dann mit sechs Punkten bewertet.

2.1. Der Einwand der Klägerin gegen die Korrekturanmerkung in der zusammenfassenden Bewertung des Erstkorrektors „Die Prüfung des Anspruchs auf SchE statt der Leistung fehlt bei Frage 1.a leider völlig.“ und die mehrfachen Korrekturanmerkungen „Nicht gesehen“ beim Prüfungspunkt „Schadensersatz statt der Leistung (§§ 311 a Abs. 2 Satz 1, 433, 434 Abs. 1, 437 Nr. 3 BGB, §§ 161 Abs. 2, 124 Abs. 1 HGB)“ auf Seite 2 des Begründungsblatts war begründet. Der Erstkorrektor hielt auch im Nachprüfungsverfahren an seiner Korrektur fest. Seine Feststellung, dass der Schadensersatz statt der Leistung im Rahmen von Frage 1a nicht geprüft worden sei, sei korrekt. Genauso habe es der - nicht beanstandete - Zweitkorrektor gesehen.

Erst als der Bevollmächtigte der Klägerin im Klageverfahren nochmals einwendete, dass die Klägerin den Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung nach „§ 437 Nr. 3, 311a II BGB“ auf Seite 13 und 14 der Klausurbearbeitung entgegen der Korrekturanmerkung des Erstkorrektors und dessen Stellungnahme im Nachprüfungsverfahren geprüft habe, räumte der Erstkorrektor diesen Bewertungsfehler mit Stellungnahme vom 25. März 2018 ein und bewertete die Prüfungsaufgabe nachträglich mit sechs Punkten. Eine Ergänzung der Bewertung im Klageverfahren ist zwar zulässig. Ob durch die Neubewertung der Prüfungsaufgabe dieser Mangel der Bewertung und damit des Prüfungsbescheids geheilt ist, so dass der Prüfungsbescheid nicht mehr aus diesem Grunde aufgehoben werden darf und insofern auch dem Anspruch auf Neubescheidung - jedenfalls mit Blick auf die erste Einwendung - die Grundlage entzogen ist (vgl. BVerwG, B.v. 30.3.2000 - 6 B 8/00 - NVwZ-RR 2000, 503; B.v. 9.12.1992 - 6 C 3/92 - NVwZ 1993, 677), ist jedoch zweifelhaft, da der Erstkorrektor unverständlicherweise noch im Nachprüfungsverfahren auf seiner Meinung beharrt und diese erst im Klageverfahren korrigiert hat.

2.2. Jedenfalls greift die zweite Einwendung der Klägerin gegen die Korrekturanmerkung auf Seite 2 des Begründungsblatts, wonach die Klägerin „am Ende falsch einen (aus cic resultierenden?) Anspruch aus 812 bejaht“, durch.

Der Erstkorrektor ergänzte seine Bewertung im Nachprüfungsverfahren wie folgt:

„Die Korrekturanmerkung „falsch“ erscheint in der Tat fraglich. Richtig wäre „kaum vertretbar“. […] Auch wenn die […] gerügte Beurteilung eines Bereicherungsanspruches als „falsch“ nicht zutreffend sein sollte, komme ich zu keiner anderen Gesamtbewertung. Auch für eine kaum vertretbare Auffassung fehlt jede argumentative Auseinandersetzung.“

Im Klageverfahren gab er folgende weitere Stellungnahme ab:

„Der Einwand, ich hätte verkannt, dass der Bearbeiter nicht einen aus cic resultierenden Anspruch aus § 812 BGB bejaht, dieser vielmehr auf der Vertragsaufhebung beruht, ist nicht zutreffend. Mit meiner Anmerkung werfe ich, wie auch der Zweitkorrektor, die Frage auf, ob aus cic eine Vertragsaufhebung resultieren kann. Der nicht beanstandete Zweitkorrektor verneint dies („nein“) mit dem Hinweis, dass cic „nur auf das negative Interesse“ gehe. Im Hinblick darauf halte auch ich weiter daran fest, dass die Auffassung, cic könne zur Aufhebung des Vertrages führen, kaum vertretbar ist. Wer diese Auffassung vertreten soll, geht aus der Klagebegründung nicht hervor. Insbesondere erfolgt aber keine Auseinandersetzung mit der ganz herrschenden Meinung, wonach cic ausschließlich auf das negative Interesse gerichtet ist.“

Die Rüge der Klägerin hat Erfolg, da der Erstkorrektor seinen Beurteilungsspielraum überschritten hat, indem er eine in der Literatur vertretene und durch die höchstrichterliche Rechtsprechung bestätigte Meinung als „kaum vertretbar“ bewertet hat.

Die Ansicht des Erstkorrektors ist falsch, wonach kaum vertretbar sei, dass eine Haftung aus culpa in contrahendo zu einer Vertragsaufhebung führen könne. Ein Anspruch auf Schadensersatz aus culpa in contrahendo nach §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB ist auf Aufhebung des Vertrages gerichtet, wenn der Vertragspartner den Vertragsschluss pflichtwidrig herbeigeführt hat und der Schaden im Zustandekommen eines nachteiligen Vertrages besteht. Der zum Vertragsschluss Veranlasste kann im Wege der Naturalrestitution nach § 249 Abs. 1 BGB Rückgängigmachung des Vertrages verlangen. Diese Rechtsfolge eines Anspruchs aus culpa in contrahendo entspricht sowohl einer in der Literatur vertretenen Meinung als auch der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH, U.v. 28.03.1990 - VIII ZR 169/89 - NJW 1990, 1659; U.v. 11.6.2010 - V ZR 144/09 -, juris Rn. 8; Feldmann in Staudinger, BGB, 2018, § 311 Rn. 177; Schulze, BGB, 10. Aufl. 2019, § 311 Rn. 26; Emmerich in Münchener Kommentar, BGB, 8. Aufl. 2019, § 311 Rn. 211; Kindl in Erman, BGB, 15. Aufl. 2017, § 311 Rn. 79; Grüneberg in Palandt, BGB, 74. Aufl. 2015, § 311 Rn. 55; Stadler in Jauernig, BGB, 17. Aufl. 2018, § 311 Rn. 55). Insoweit ist die Klausurbearbeitung der Klägerin auf Seite 16 - „cic, §§ 280 I, 311 II, 241 II […] Rechtsfolgen: Der R kann Vertragsaufhebung […] verlangen […]“ - entgegen der Ansicht des Erstkorrektors vertretbar.

Die Bewertung ist auch fehlerhaft vor dem Hintergrund, dass der Erstkorrektor seine Korrekturanmerkung mit der Ausführung untermauert, dass sich die Klägerin nicht mit der ganz herrschenden Meinung auseinandersetze, wonach die cic ausschließlich auf das negative Interesse gerichtet sei. Zu Recht gibt der Bevollmächtigte der Klägerin zu bedenken, dass die culpa in contrahendo durchaus auf das positive Interesse gerichtet sein kann und mit der Vertragsaufhebung im konkreten Fall aber gerade das negative Interesse ersetzt werden soll. Die Stellungnahme des Erstkorrektors ist damit in zweierlei Hinsicht fehlerhaft. Zum einen unterstellt er der Klägerin, sie habe nicht erkannt, dass ein Anspruch aus culpa in contrahendo auf das negative Interesse gerichtet sein kann. Die Klägerin kommt aber gerade zu dem Ergebnis, dass ein Anspruch auf Vertragsaufhebung entstanden ist und somit das negative Interesse zu ersetzen ist (vgl. BGH, U.v. 6.4.2001 - V ZR 394/99 - NJW 2001, 2875). Zum anderen ist für das Gericht nicht ersichtlich, dass die culpa in contrahendo „nach der ganz herrschenden Meinung ausschließlich auf das negative Interesse“ gerichtet sein soll. Im Gegenteil geht der Bundesgerichtshof davon aus, dass unter bestimmten Voraussetzungen Ersatz des positiven Interesses verlangt werden kann und wird dies auch so in der Literatur vertreten (vgl. BGH, U.v. 11.6.2010 - V ZR 144/09 - juris Rn. 10; BGH, U.v. 6.4.2001 - V ZR 394/99 - IBRRS 37128, beck-online; Emmerich in Münchener Kommentar, BGB, 8. Aufl. 2019, § 311 Rn. 201; Schulze, BGB, 10. Aufl. 2019, § 311 Rn. 26; Grüneberg in Palandt, BGB, 74. Aufl. 2015, § 311 Rn. 56).

2.3. Auch die dritte Einwendung der Klägerin greift durch, mit der sie die Korrekturanmerkungen „relativiert“ und „angedeutet“ beim Prüfungspunkt „Rentabilitätsvermutung? Innenausstattung gerade erworben, um Diskothek zu betreiben“ auf Seite 2 des Begründungsblatts rügt. In der zusammenfassenden Bewertung schreibt der Erstkorrektor hierzu, dass die Klägerin bei Frage 1.b durchaus die Schadensproblematik erkannt habe, aber teilweise in Andeutungen verbleibe.

Es spricht vieles dafür, dass sich der Erstkorrektor auf Seite 21 der Prüfungsarbeit verlesen hat („relativiert“ statt „rentiert“). Die Klägerin führt hier aus: „Wäre ordnungsgemäß geliefert worden, hätten sich die Aufwendungen zwar nicht in Luft aufgelöst (sie sind ja als solche auch keine unfreiwillige Vermögenseinbuße, also kein Schaden), wohl hätten sie sich aber rentiert. Der Schaden liegt aber im Ausfall der wirtschaftlich erwartbaren Rentabilität.“ An anderer Stelle der Bewertung zitierte der Erstkorrektor die Prüfungsarbeit der Klägerin ebenfalls in Klammern und Anführungszeichen (vgl. Korrekturanmerkung „(„kann dahinstehen“)“ auf Seite 1 des Begründungsblatts und Seite 5 der Prüfungsarbeit), sodass nahe liegt, dass der Erstkorrektor die Klägerin auch hier mit seiner Anmerkung „Nicht ausdrücklich („relativiert“)“ zitieren wollte.

Der Erstkorrektor gibt in seinen Stellungnahmen an, dass er nicht mehr nachvollziehen könne, ob das Wort „rentiert“ verkannt worden sei oder hier nur ein Schreibfehler vorliege. Jedenfalls sei die Korrekturanmerkung, wonach die Problematik des freiwilligen Vermögensopfers nicht ausdrücklich erwähnt worden sei, zutreffend. Genauso zutreffend sei, dass die Rentabilitätsvermutung nicht durchdrungen, sondern - eben mit dem Wort „rentiert“ und „Rentabilität“ - nur angedeutet werde. Was an seinem Urteil, dass angesichts der auch an dieser Stelle fehlenden Argumentation keine andere Gesamtbewertung veranlasst sei, nicht „glaubhaft“ sein solle, erschließe sich nicht.

Die Korrekturanmerkung, wonach die Rentabilitätsvermutung nur angedeutet sein soll, begründet der Erstkorrektor in seinen Stellungnahmen nicht. Er lässt nicht erkennen, inwieweit er weitergehende Ausführungen erwartet hätte. Zudem kann ihm nicht zugestimmt werden, dass die Klägerin die Problematik des freiwilligen Vermögensopfers nicht ausdrücklich erwähnt habe.

2.4. Die Bewertungsfehler sind nach Überzeugung des Gerichts auch kausal für das Ergebnis der Bewertung. Die ergänzenden Ausführungen des Erstkorrektors im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens bzw. im Klageverfahren überzeugen nicht. Die Feststellung eines kausalen Bewertungsfehlers präjudiziert allerdings keineswegs, dass die Prüfungsarbeit der Klägerin bei einer erneuten Bewertung besser benotet werden muss als bisher. Gleichwohl ist es nicht völlig auszuschließen, dass die Prüfungsarbeit bei einer Neubewertung mit einer höheren Punktzahl bewertet wird.

3. Die Klage ist insoweit unbegründet, als die Neubewertung durch einen anderen Prüfer als den Erstkorrektor beantragt ist. Die Neubewertung muss nach Auffassung des Gerichts nicht von einem anderen Erstkorrektor durchgeführt werden, weil hinsichtlich des bisherigen Erstkorrektors die Besorgnis der Befangenheit nach Art. 21 BayVwVfG in einer Gesamtschau gerade noch nicht begründet ist.

Gemäß Art. 21 Abs. 1 BayVwVfG ist die Besorgnis der Befangenheit gegen einen Prüfer begründet, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen (Niehues/Fischer, Prüfungsrecht, 5. Aufl. 2010, Rn. 338). Maßgeblich ist eine Gesamtbetrachtung der Umstände des Einzelfalles, wobei die Art und Weise des jeweiligen Bewertungsfehlers auf eine Befangenheit schließen lassen kann. Eine Befangenheit kann nicht nur vorliegen, wenn sich der Prüfer von vornherein darauf festgelegt hat, seine Benotung nicht zu ändern, sondern auch dann, wenn es ihm an der Fähigkeit gebrechen sollte, eigene Fehler zu erkennen und einzuräumen, oder auch nur, diese mit dem ihm objektiv gebührenden Gewicht zu bereinigen. Allein auf die Zahl der (wiederholten) Nachkorrekturen kommt es aber nicht an (vgl. BVerwG, U.v. 4.5.1999 - 6 C 13/98 - NVwZ 2000, 915, 921).

Das Gericht ist der Auffassung, dass der Erstkorrektor trotz seiner in mehreren Fällen fehlerhaften Bewertung und trotz seines Festhaltens an der Bewertung im Rahmen der zweiten und dritten Einwendung im Ergebnis noch kein Gesamtverhalten gezeigt hat, dass er sich auf eine bestimmte Benotung festgelegt hat bzw. es ihm nicht erkennbar an der Fähigkeit fehlt, eigene Fehler mit dem ihnen zukommenden Gewicht zu erkennen und zu bereinigen. Seine Stellungnahme vom 25. März 2018 zur ersten Einwendung, die darin zum Ausdruck kommende Einsicht und Bereitschaft, den früheren Fehler zu revidieren, die Entschuldigung gegenüber den Verfahrensbeteiligten und letztlich die Anhebung der Note zeigen, dass sich der Erstkorrektor gerade nicht darauf festgelegt hat, seine Benotung nicht zu ändern und er die Fähigkeit hat, eigene Fehler zu erkennen und einzuräumen. Allein aus dem Festhalten an den von ihm für fachlich richtig gehaltenen Korrekturanmerkungen im Rahmen der zweiten und dritten Einwendung ergeben sich keine Anhaltspunkte für eine Befangenheit (vgl. BayVGH, B.v. 4.11.2005 - 7 ZB 05.1999 - juris Rn. 19). Im Übrigen führen unzutreffende Rechtsausführungen eines Prüfers nicht zu dessen Befangenheit (vgl. VGH Kassel, U.v. 21.5.2012 - 9 A 1156/11).

Trotzdem bleibt es dem ... unbenommen, die nochmalige Bewertung der Prüfungsaufgabe durch einen anderen Korrektor vornehmen zu lassen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO.

IV.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung.

V.

Gründe für die Zulassung der Berufung nach § 124a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 VwGO liegen nicht vor.

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(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

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(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

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(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird. (2) Die B

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(1) Die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf beginnt nur zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsbehörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende F

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Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen die Bewertung der Aufgabe 6 mit der Note „ungenügend“ aufgrund eines „Unterschleifbescheids“ im Rahmen einer Ersten Juristischen Staatsprüfung.

Die Klägerin bestand im Termin 2016/1 die Erste Juristische Staatsprüfung mit der Prüfungsgesamtnote von 6,83 Punkten (befriedigend); sie nahm zur Notenverbesserung nochmals im Termin 2017/1 an der Ersten Juristischen Staatsprüfung teil.

Die Klägerin wurde mit Schreiben vom 28. Dezember 2016 zum schriftlichen Teil der Ersten Juristischen Staatsprüfung zugelassen. Es enthielt sowohl einen Hinweis auf die zugelassenen Hilfsmittel und die Erläuterungen im Internet als auch einen Abdruck der Hilfsmittelbekanntmachung.

Ziffer 4.1 der Hilfsmittelbekanntmachung für die Erste Juristische Staatsprüfung (Hilfsmittelbekanntmachung EJS) des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz - ... - vom 16. Oktober 2008 (Az.: PA - 2230 - 9167/2008, zuletzt geändert durch Bekanntmachung vom … … 2015, Az.: PA 2230 - 2913/2012) lautet:

„Die Hilfsmittel dürfen keine Eintragungen enthalten. Ausgenommen sind bis zu 20 handschriftliche Verweisungen pro Doppelseite mit Bleistift auf Normen (nur Artikel-, Paragraphen- und Gesetzesbezeichnung) sowie einfache Unterstreichungen mit Bleistift, soweit die Verweisungen beziehungsweise Unterstreichungen nicht der Umgehung des Kommentierungsverbots dienen. Soweit die Hilfsmittel darüber hinausgehende Eintragungen enthalten, sind sie nicht zugelassen.“

Am Prüfungstag (… 2017 - Aufgabe 6) wurde nach Beginn der Arbeitszeit bei einer Kontrolle festgestellt, dass das Hilfsmittel „Schönfelder, Deutsche Gesetze (Loseblattsammlung)“ der Klägerin nach Auffassung des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz (im Folgenden: Landesjustizprüfungsamt) unzulässige handschriftliche Bemerkungen enthält.

Im Einzelnen:

- In 15 Fällen sei auf einer Doppelseite (im Sinne einer aufgeschlagenen Doppelseite) des BGB bzw. HGB die Anzahl von 20 zulässigen Verweisungen überschritten worden.

- Neben § 309 Nr. 7 BGB befände sich ein Kreuz.

- In drei Fällen sei ein Wort doppelt unterstrichen: in § 506 Abs. 3 BGB das Wort „Teilzahlungsgeschäft“, in § 508 BGB das Wort „Ausübung“ und in § 354a HGB das Wort „Abtretung“.

Das ... gab der Klägerin mit Schreiben vom 15. März 2017 Gelegenheit zur Stellungnahme.

Hierzu trug die Klägerin mit Schreiben vom 24. April 2017 im Wesentlichen vor, die Hilfsmittelbekanntmachung sei unzulässig, da sie zu unbestimmt sei und deshalb keine rechtliche Wirkung entfalte. Der Begriff „Doppelseite“ in Ziffer 4.1 der Bekanntmachung könne sowohl Vorder- und Rückseite eines Blattes als auch zwei nebeneinanderliegende Blätter meinen. Die Regelung sei wegen Verstoßes gegen den Bestimmtheitsgrundsatz unwirksam. Die Nichtigkeit der numerischen Begrenzungsregelung ergebe sich auch aus Inkohärenz, da der Grundsatz der Chancengleichheit nicht gewahrt sei. Die Regelung führe zu unverhältnismäßigen und erkennbar ungerechten Konsequenzen. Außerdem sei zu bedenken, dass die Klägerin sowohl den Freiversuch 2015/1 als auch den Erstversuch 2016/1 unter Geltung der alten Prüfungsordnung abgelegt habe. Die Anpassung der Hilfsmittel an die neuen Regeln habe für sie einen enormen Aufwand bedeutet. Diese kurzfristige Anpassung sei ein durch den Normgeber vermeidbarer und unverhältnismäßiger Nachteil. Nach den Grundsätzen der unechten Rückwirkung hätten längere Übergangsfristen gesetzt werden müssen. Das Kreuz neben § 309 Nr. 7 BGB sei von ihr während eines Denkvorgangs bei der Bearbeitung der Aufgabe 3 gesetzt worden sei. Die doppelten Unterstreichungen seien ihr nicht bewusst gewesen. Bei neu erworbenen Gesetzbüchern hätte sie stets nur einfach unterstrichen.

Mit Bescheid vom 12. Juni 2017, der am selben Tag zur Post gegeben wurde, teilte die Vorsitzende des Prüfungsausschusses für die Erste Juristische Staatsprüfung beim ... mit, die Bearbeitung der Aufgabe 6 der Klägerin werde mit der Note „ungenügend“ (0 Punkte) bewertet.

Zur Begründung wurde im Wesentlichen angegeben, das sichergestellte Hilfsmittel enthalte unzulässige handschriftliche Bemerkungen. Bereits der Besitz nicht zugelassener Hilfsmittel nach Ausgabe der Prüfungsaufgaben sei ein Unterschleif mit den Rechtsfolgen des § 11 Abs. 1 Satz 1 JAPO, sofern der Prüfling nicht nachweise, dass der Besitz weder auf Vorsatz noch auf Fahrlässigkeit beruhe. Hierbei komme es nicht darauf an, ob es tatsächlich benutzt worden sei und ob es für die Bearbeitung der konkreten Aufgabe brauchbar gewesen sei. Die Regelung in Ziffer 4.1 der Hilfsmittelbekanntmachung sei hinreichend bestimmt. Der Begriff der Doppelseite sei schon laut Duden als Gesamtheit zweier nebeneinanderliegender Seiten zu verstehen. Eine begriffliche Unklarheit liege nach dem allgemeinen Sprachgebrauch nicht vor. Im Übrigen werde im Rahmen der Rubrik „Häufig gestellte Fragen zur Hilfsmittelbekanntmachung für die Erste Juristische Staatsprüfung“ auf der Internetseite des Landesjustizprüfungsamtes ausdrücklich aufgeführt, dass bis zu 20 Verweisungen pro aufgeschlagene Doppelseite erlaubt seien. Auch sei die Regelung nicht wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Chancengleichheit unwirksam. Sie gelte gleichermaßen für alle Teilnehmer der Prüfung. Die maßgebliche Änderung der Hilfsmittelbekanntmachung sei bereits am … … 2015 bekannt gemacht worden, habe aber erstmalig erst im Termin 2016/2 gegolten. Den Nachweis fehlenden Verschuldens habe die Klägerin nicht geführt. In dem mit der Ladung übersandten Merkblatt zur Hilfsmittelbekanntmachung EJS sei wörtlich folgender Abschnitt enthalten: „Bitte überprüfen Sie, ob Ihre Hilfsmittel der Bekanntmachung entsprechen. Achten Sie besonders darauf, dass Sie keine unerlaubten technischen Hilfsmittel bei sich haben und Ihre Hilfsmittel keine unzulässigen Einlagen und Anmerkungen enthalten.“

Die mündliche Prüfung legte die Klägerin am … … … ab. Die Prüfungsgesamtnote von 6,58 Punkten (befriedigend) wurde der Klägerin im Anschluss an die mündliche Prüfung bekannt gegeben.

Der Bevollmächtigte der Klägerin erhob mit Schriftsatz vom 14. Juli 2017, am 17. Juli 2017 per Telefax bei Gericht eingegangen, Klage gegen den „Unterschleifbescheid“ vom 12. Juni 2017.

Ein weiterer Bevollmächtigter der Klägerin erhob am 16. Januar 2018 Klage gegen „den Bescheid des Landesjustizprüfungsamtes vom 26. Juni 2017“ - die Notenmitteilung über den schriftlichen Teil der Ersten Juristischen Staatsprüfung - und beantragte zunächst, „den Bescheid des Landesjustizprüfungsamtes vom 26. Juni 2017“ aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die schriftliche Prüfungsarbeit 3 der Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts durch einen anderen Prüfer als den Erstkorrektor erneut bewerten zu lassen (M 4 K 18.266).

Der Bevollmächtigte der Klägerin im hiesigen Verfahren beantragte mit Schriftsatz vom 25. Februar 2018:

I. Der Bescheid des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz - ... - vom 12. Juni 2017 wird aufgehoben.

II. Der Beklagte wird verpflichtet, über die Bewertung der schriftlichen Prüfungsarbeit (Aufgabe) Nr. 6 der Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts und über die Gesamtnote des schriftlichen Teils sowie über die Prüfungsgesamtnote der Ersten Juristischen Staatsprüfung neu zu entscheiden.

Zur Begründung führt der Bevollmächtigte im Wesentlichen aus, dass die Hilfsmittelbekanntmachung in Ziffer 4.1 mit der Verwendung des Rechtsbegriffs „Doppelseite“ zu unbestimmt sei und schon deswegen keinerlei rechtliche Wirkungen entfalten könne. Sie verstoße gegen den Bestimmtheitsgrundsatz aus Art. 20 Abs. 3 GG. Die Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs „Doppelseite“ im Sinn einer rechtssicheren Konkretisierung sei objektiv nicht möglich. Rein begrifflich könne mit „Doppelseite“ sowohl die Vorder- und Rückseite eines Blattes als auch die beiden aufeinanderfolgenden Seiten zweier nebeneinanderliegender Blätter gemeint sein. Dem Duden sei keine gesetzesauslegende Bedeutung zuzusprechen. Im Zeitungswesen werde „Doppelseite“ als die Gesamtheit zweier aufeinanderfolgender Seiten, im Druckereiwesen als die Vorder- und Rückseite eines Blattes verstanden. Der allgemeine Sprachgebrauch sei insoweit nicht festgelegt. Die Klägerin habe unter „Doppelseite“ „doppelseitig bedruckt“ bzw. „beidseitig bedruckt“ oder eben „das Bedrucktsein der Vorder- und Rückseite eines Blattes“ verstanden, aber nicht „zwei Blätter, die jeweils einseitig bedruckt sind“; sie habe dies auch nicht so verstehen müssen. In der Sprache des Druckereihandwerks würden die Begriffe „doppelseitiger“ und „beidseitiger“ Druck völlig synonym verwendet. Gegen die Auslegung des Beklagten spreche auch das System der Nachlieferungen der Loseblattausgaben der einschlägigen Hilfsmittel. Das immer wiederkehrende Ein- und Aussortieren der regelmäßig zahllosen Seiten einer Nachlieferung könne nur bei der Auslegung der „Doppelseite“ als Vorder- und Rückseite unproblematisch vonstattengehen, weil jegliche handschriftliche Übertragung von Verweisungen auf ausschließlich auszutauschenden Seiten zu erfolgen hätten. Eine Verschiebung des Druckbildes und damit konkrete Auswirkungen auf nicht auszusortierende Folgeblätter kompliziere die Übertragung von Verweisungen in völlig unnötiger und unverhältnismäßiger Weise, wenn man die Auslegung des Beklagten zugrunde lege.

Mit Blick auf grundrechtsintensive „Eingriffskomplexe“, Fragen wie hier nach Art. 12 Abs. 1 GG und die hiesige Sanktion „ungenügend“ (null Punkte) erfülle die Hilfsmittelbekanntmachung in Ziffer 4.1 die Anforderungen des Bestimmtheitsgebots nach Art. 20 Abs. 3 GG nicht. Auch mit Hilfe juristischer Auslegungsmethoden lasse sich keine zuverlässige Grundlage für die Auslegung und Anwendung des Tatbestandmerkmals „pro Doppelseite“ gewinnen. Hieraus folge, dass Ziffer 4.1 der Hilfsmittelbekanntmachung unwirksam, also nichtig sei und keine Grundlage für jedwede Verwaltungsentscheidung sein könne. Der Beklagte könne sich auch nicht auf die Rubrik „Häufig gestellte Fragen…“ auf seiner Internetseite berufen. Für die Interpretation einer Norm sei die schlichte subjektive Vorstellung des Normgebers über die Bedeutung einer Bestimmung grundsätzlich nicht entscheidend und schon gar nicht die Rubrik „Häufig gestellte Fragen…“. Vielmehr komme es auf die Bekanntmachung der jeweiligen Norm im amtlichen Publikationsorgan an. Die Nichtigkeitssanktion sei auch deswegen geboten, als es der zuständigen Stelle unproblematisch möglich gewesen wäre, eine nicht nur nähere, sondern eindeutige Bestimmung des Begriffs „Doppelseite“ zu formulieren.

Die Unwirksamkeit von Ziffer 4.1 ergebe sich zudem aus deren fehlender Kohärenz und des damit programmierten Verstoßes gegen den das Prüfungsrecht bestimmenden Grundsatz der Chancengleichheit.

Das ... beantragte für den Beklagten mit Schriftsatz vom 22. März 2018,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verwies das ... auf den Bescheid vom 12. Juni 2017 und ergänzte im Wesentlichen, dass die Klägerin die Begriffe „Doppelseite“ und „doppelseitig bedruckte Einfachseite“ vermenge. Die Hilfsmittelbekanntmachung spreche ausdrücklich von einer Doppelseite in Abgrenzung zu einer „Einfachseite“. Nicht nachvollziehbar sei, inwiefern das System der Nachlieferungen der Loseblattsammlungen gegen die Auslegung des Beklagten spreche. Die Notwendigkeit der Übertragung der Kommentierungen der alten auf die neuen Blätter ergebe sich unabhängig von der Auslegung des Begriffs der Doppelseite. Auch eine Verschiebung des Druckbildes führe lediglich dazu, dass die von der Nachlieferung betroffenen Seiten neu zu kommentieren seien.

Lediglich ergänzend werde darauf hingewiesen, dass der Klägerin auch nach ihrem Verständnis von einer Doppelseite (= Vorder- und Rückseite) ein Verstoß gegen die Hilfsmittelbekanntmachung vorzuwerfen wäre. Exemplarisch werde auf die Seiten 164/164a, 169/170, 185/186, 189/190, 199/200, 207/208, 213/214 und 217/218 des BGB hingewiesen, auf welchen bei einer Addition der Verweisungen auf Vorder- und Rückseite die Anzahl von 20 Verweisungen mehrfach überschritten worden sei. Hierauf komme es bei richtiger Auslegung des Begriffs „Doppelseite“ jedoch nicht an.

Nachdem der Erstkorrektor im Klageverfahren M 4 K 18.266 einen Bewertungsfehler eingeräumt und die Bewertung der Aufgabe 3 der Klägerin von zunächst fünf auf nunmehr sechs Punkte angehoben hatte, änderte der Beklagte den (mündlichen) Prüfungsbescheid vom … mit Bescheid vom … dahingehend ab, dass die Klägerin in der Aufgabe 3 nunmehr eine Einzelnote von 6,5 Punkten und damit eine Prüfungsgesamtnote von 6,64 Punkten (befriedigend) erreicht habe.

Auf Frage des Gerichts teilte der Bevollmächtigte im Verfahren M 4 K 18.266 mit Schriftsatz vom 10. Januar 2019, eingegangen bei Gericht am 14. Januar 2019, mit, dass die Klägerin auch nach der erfolgten Neubewertung an ihrer Klage festhalte. Vor dem Hintergrund, dass der ursprüngliche Prüfungsbescheid mit Bescheid vom 28. März 2018 teilweise „widerrufen“ worden sei, werde in der mündlichen Verhandlung beantragt werden (und beantragte der Bevollmächtigte auch zuletzt), „die Prüfungsbescheide des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz - ... - … und …“ aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die schriftliche Prüfungsarbeit 3 der Klägerin erneut bewerten zu lassen.

Der Bevollmächtigte der Klägerin im hiesigen Verfahren ergänzte seine Klagebegründung mit Schriftsatz vom 16. Januar 2019 weiter damit, dass bei der Auslegung des Begriffs „Doppelseite“ des Beklagten eine Verschiebung des Druckbildes eben nicht lediglich dazu führe, dass die von der Nachlieferung betroffenen Seiten neu zu kommentieren seien. Vielmehr könnten bei der Nachlieferung nicht auszutauschende (rechte) Seiten betroffen sein, wenn eine Verschiebung des Druckbildes auf der vorhergehenden (linken) Seite dazu führe, dass das Limit von „bis zu 20 handschriftlichen Verweisungen“ (links und rechts) überschritten wäre und handschriftliche Verweisungen auf der nicht ausgetauschten rechten Seite auszuradieren wären. Dies erschwere den Austauschvorgang in unverhältnismäßiger Weise und spreche für die Auslegung der Klägerin. Für die Auslegung als „Vorder- und Rückseite“ spreche auch Ziffer 3.1 der Hilfsmittelbekanntmachung, wonach die jeweils zuletzt erschienenen Ergänzungslieferungen der Hilfsmittel zusätzlich mitzubringen seien. Falls eine Einordnung bereits erfolgt sei, könnten „die ausgeschiedenen Blätter“ mitgebracht werden. Eine „Doppelseite“ im Sinne von „zwei nebeneinanderliegenden Seiten“ existiere bei losen Blättern mangels Einordnung gar nicht.

Die Verhältnismäßigkeit der hiesigen Übergangsfrist habe der Beklagte nur behauptet. Sie sei nicht mehr nur zweifelhaft, da ein Kandidat nach Bekanntmachung der seinerzeitigen Änderungsregelungen bereits zum drittnächsten Termin seine gesamte Gesetzesausstattung vollständig zu erneuern hätte. Dies lasse sich im Verhältnis zum Ausmaß des verursachten Vertrauensschadens nicht mehr rechtfertigen.

Das Gericht überprüfte das Hilfsmittel „Schönfelder, Deutsche Gesetze (Loseblattsammlung)“ der Klägerin mit folgendem Ergebnis:

- In zehn Fällen wurde auf einer aufgeschlagenen Doppelseite des BGB bzw. HGB die Anzahl von 20 Verweisungen überschritten:

- BGB:

Auf der Doppelseite 26/27 befinden sich 22 handschriftliche Verweise, auf der Doppelseite 30/31 21, auf der Doppelseite 36/37 24, auf der Doppelseite 56/57 21, auf der Doppelseite 92/93 21, auf der Doppelseite 118/119 22, auf der Doppelseite 206/207 22, auf der Doppelseite 258/259 23 auf der Doppelseite 460/461 22.

- HGB:

Auf der Doppelseite 23a/24 befinden sich 24 handschriftliche Verweisungen.

- Neben § 309 Nr. 7 BGB befindet sich ein Kreuz.

- In fünf Fällen ist ein Wort doppelt unterstrichen: zusätzlich zu den vom ... genannten Stellen in § 884 BGB das Wort „Erben“ und in § 812 Abs. 2 BGB das Wort „Leistung“.

Das Gericht kommt nach Überprüfung der Seiten der Verweisungen auf Vorder- und Rückseite zu folgendem Ergebnis:

In acht Fällen wurde auf einer Vorder- und Rückseite des BGB die Anzahl von 20 Verweisungen überschritten: auf den Seiten 164/164a befinden sich 21 handschriftliche Verweise, auf den Seiten 169/170 24, auf den Seiten 185/186 30, auf den Seiten 189/190 25, auf den Seiten 199/200 26, auf den Seiten 207/208 38, auf den Seiten 213/214 23 und auf den Seiten 217/218 29.

Mit Urteil vom 29. Januar 2019 hat das Gericht der Klage gegen die Bewertung der Aufgabe 3 im Verfahren M 4 K 18.266 teilweise stattgegeben.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, insbesondere hinsichtlich der Schriftsätze von Kläger- und Beklagtenseite und die Niederschrift über die mündliche Verhandlung, sowie die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Der hier angegriffene Bescheid des Beklagten vom 12. Juni 2017 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin folglich nicht in ihren Rechten. Die Bewertung der von der Klägerin im Prüfungstermin 2017/1 gefertigten Aufgabe 6 mit der Note „ungenügend“ (null Punkte) ist rechtlich nicht zu beanstanden.

I.

Die Klage gegen den „Unterschleifbescheid“ ist zulässig.

Wegen § 11 Abs. 7 Satz 1 JAPO, wonach die Entscheidung über die Rechtsfolgen nach § 11 Abs. 1 bis Abs. 6 JAPO durch schriftlichen Verwaltungsakt bekannt gegeben wird, kann in diesem Fall eine Einzelnote, die in einen abschließenden Prüfungsbescheid einfließt, gesondert mit der Anfechtungsklage angegriffen werden. Allerdings fehlt einer Klage gegen einen „Unterschleifbescheid“ wohl das Rechtsschutzbedürfnis, wenn der Prüfungsbescheid mit der Prüfungsgesamtnote bestandskräftig geworden ist. Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall.

Zwar war die Klage vom 16. Januar 2018 gegen die Notenmitteilung vom 26. Juni 2017 (im Verfahren M 4 K 18.266) zunächst unzulässig, da sie ausschließlich auf die Aufhebung der Notenmitteilung gerichtet war und die Notenmitteilung mangels Regelungswirkung bzw. wegen § 44a Verwaltungsgerichtsordnung -VwGOnicht isoliert anfechtbar ist (vgl. BayVGH, B.v. 25.4.2008 - 7 ZB 07.2331 - juris Rn. 9 ff.; BVerwG, U.v. 22.6.1994 - 6 C 37/92 - juris Rn. 16; B.v. 25.3.2003 - 6 B 8/03 - juris Rn. 3). Jedoch wurde die Klage vom 16. Januar 2018 gegen den Prüfungsbescheid vom … nach dessen Änderung mit Bescheid vom 28. März 2018 mit Schriftsatz vom 10. Januar 2019, bei Gericht am 14. Januar 2019 eingegangen, zulässig geändert. Damit ist der Prüfungsbescheid nicht bestandskräftig geworden und steht er als solcher einer zulässigen Anfechtungsklage gegen den „Unterschleifbescheid“ nicht entgegen.

II.

Die Klage ist jedoch nicht begründet. Der Bescheid vom 12. Juni 2017 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).

Die Entscheidung des Prüfungsausschusses für die Erste Juristische Staatsprüfung, die Bearbeitung der Aufgabe 6 der Ersten Juristischen Staatsprüfung 2017/1 der Klägerin mit der Note „ungenügend“ (0 Punkte) zu bewerten, findet ihre Rechtsgrundlage in § 11 Abs. 1 Satz 1 und Satz 3 JAPO i.V.m. § 7 Abs. 2 Nr. 4 JAPO.

Danach ist die Arbeit eines Prüflings, der versucht, das Ergebnis seiner Prüfungsarbeit durch Unterschleif, Täuschung oder Benutzung nicht zugelassener Hilfsmittel zu eigenem oder fremdem Vorteil zu beeinflussen, mit der Note „ungenügend“ (0 Punkte) zu bewerten. Nach § 11 Abs. 1 Satz 3 JAPO stellt auch der Besitz nicht zugelassener Hilfsmittel nach Ausgabe der Prüfungsaufgabe einen Unterschleif dar, sofern der Prüfling nicht nachweist, dass der Besitz weder auf Vorsatz noch auf Fahrlässigkeit beruht.

1. Die Klägerin war am 14. März 2017 nach Ausgabe der Prüfungsaufgabe im Besitz eines nicht zugelassenen Hilfsmittels.

Gemäß § 28 Abs. 3 Satz 1 JAPO dürfen die Prüflinge nur die vom Prüfungsausschuss zugelassenen Hilfsmittel benutzen. Der Prüfungsausschuss hat nach § 7 Abs. 2 Nr. 3 JAPO für die Erste Juristische Staatsprüfung die Hilfsmittelbekanntmachung für die Erste Juristische Staatsprüfung des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz -... - vom 16. Oktober 2008 (Az.: PA - 2230 - 9167/2008, JMBl 2008, S. 161; AllMBl 2008, S. 727), zuletzt geändert durch Bekanntmachung vom … … 2015 (Az.: PA 2230 - 2913/2012, JMBl 2015, S. 30), erlassen. Nach Ziffer 4.1 dürfen die Hilfsmittel keine Eintragungen enthalten. Ausgenommen sind bis zu 20 handschriftliche Verweisungen pro Doppelseite mit Bleistift auf Normen (nur Artikel-, Paragraphen- und Gesetzesbezeichnung) sowie einfache Unterstreichungen mit Bleistift, soweit die Verweisungen beziehungsweise Unterstreichungen nicht der Umgehung des Kommentierungsverbots dienen. Darüber hinausgehende Eintragungen sind nicht zugelassen.

Die Auslegung des Begriffs der Doppelseite durch das Gericht ergibt, dass jedenfalls (auch) eine aufgeschlagene Doppelseite damit gemeint ist (1.1.).

Ob auch die Vorder- und Rückseite eines Blattes als Doppelseite verstanden werden kann, kann im vorliegenden Fall dahinstehen; die Klägerin war jedoch auch bei dieser Auslegung im Besitz eines unzulässigen Hilfsmittels (1.2.). Zusätzlich sind die doppelten Unterstreichungen der Klägerin und das eingefügte Kreuz neben § 309 Nr. 7 BGB unzulässige Eintragungen (1.3.). Überdies beruht Ziffer 4.1 der Hilfsmittelbekanntmachung auf einer ausreichenden Ermächtigungsgrundlage und verstößt nicht gegen höherrangiges Recht; sie ist nicht nichtig (1.4.).

1.1. Eine Auslegung des Begriffs der Doppelseite in Ziffer 4.1 der Hilfsmittelbekanntmachung ergibt, dass davon - wie vom Beklagten vertreten und von der Klägerin nicht bestritten - eine aufgeschlagene Doppelseite (bzw. zwei nebeneinanderliegende Seiten) erfasst ist.

1.1.1. Für die Begriffsauslegung sind nach Auffassung des Gerichts vorrangig verwandte Lebenssachverhalte heranzuziehen, d.h. solche, die dem Begriff der Doppelseite in einer Gesetzessammlung nahe stehen. Für die Auslegung des Begriffs der Doppelseite im Sinne einer aufgeschlagenen Doppelseite (bzw. zweier nebeneinanderliegender Seiten) spricht ein Blick auf die verwandten Gebiete des Buch- und Zeitungswesens. Wie vom Beklagten angeführt, definiert der Duden die Doppelseite im Zeitungswesen als Gesamtheit zweier nebeneinanderliegender Seiten, die ein Thema umfassen. Auch der Bundesgerichtshof geht in einer seiner Entscheidungen bei einem Fristenkalender von derselben Lesart aus, indem er von der „zweiten (rechten) Seite“ einer Doppelseite spricht (vgl. BGH, B.v. 23.1.2002 - XII ZB 155/01 - juris Rn. 3).

Das Argument der Klägerin, wonach im Druckereiwesen der „doppelseitige“ und „beidseitige“ Druck synonym verwendet würden, überzeugt nicht, weil beim Drucken in der Regel nur ein Blatt gedruckt wird und der Befehl eines doppelseitigen Drucks nur die Vorder- und Rückseite meinen kann. Das Argument des „doppelseitigen Klebebands“ überzeugt ebenfalls nicht, da es auch hier nur eine Vorder- und Rückseite gibt. Dass vorgenannte Erwägungen hinsichtlich der Loseblattsammlung „Schönfelder“ dafür sprechen, dass eine Doppelseite eine Vorder- und Rückseite sein soll, ist für das Gericht nicht ersichtlich.

Auch steht dieser Auslegung nicht das System der Ergänzungslieferungen entgegen. Es mag sein, dass bei einer Verschiebung des Druckbildes nicht nur die von der Nachlieferung betroffenen Seiten neu zu kommentieren sind, sondern auch von der Nachlieferung nicht betroffene Seiten überprüft werden müssen, ob die zulässige Anzahl an Verweisungen eingehalten wird. Dieser Vorgang ist dem Ein- und Aussortieren von Seiten in einer Loseblattsammlung jedoch immanent. Sinn und Zweck von Ziffer 4.1 der Hilfsmittelbekanntmachung ist es nicht, den Prüflingen den Austauschvorgang der Seiten zu erleichtern. Der Prüfling muss seine Hilfsmittel nicht kommentieren; wenn er es macht, ist er für den zulässigen Zustand verantwortlich.

1.1.2. Für die Auslegung des Begriffs der Doppelseite spricht auch der Wille des Vorschriftengebers (hier des Prüfungsausschusses).

Bei der Hilfsmittelbekanntmachung handelt es sich um eine Verwaltungsvorschrift, da sie sicherstellt, dass die Beurteilung eines zugelassenes Hilfsmittels in den Prüfungen nach einem einheitlichen Verfahren und nach einheitlichen Maßstäben erfolgt und damit insbesondere der Grundsatz der Chancengleichheit gewährleistet wird (vgl. Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 7. Aufl. 2018, Rn. 33; BVerwG, U.v. 28.9.1971 - VI C 41.68 - BeckRS 1971, 31294360). Dafür spricht auch, dass die Hilfsmittelbekanntmachung in der für Verwaltungsvorschriften üblichen Form, im Ministerialblatt, bekanntgemacht worden ist (vgl. BVerwG, U.v. 24.3.1977 - II C 14.75 - juris Rn. 17).

Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. BVerwG, U.v. 29.4.1971 - II C 20.69 - juris Rn. 38; U.v. 28.9.1971 - VI C 41.68 - BeckRS 1971, 31294360) ist bei der Auslegung einer Verwaltungsvorschrift der Wille des Vorschriftengebers nach der allgemeingültigen Auslegungsregel des § 133 BGB zu erforschen. Für die Ermittlung dessen, was wirklich gewollt war, ist danach bei Erklärungen, die generalisierend auf eine unbestimmte Vielzahl künftiger Fälle abstellen, die tatsächliche Verwaltungspraxis jedenfalls insoweit heranzuziehen, als sie von dem Urheber der Verwaltungsvorschrift gebilligt oder doch geduldet wurde und wird (vgl. BVerwG, U.v. 29.4.1971 - II C 20.69 - juris Rn. 38; U.v. 28.9.1971 - VI C 41.68 - BeckRS 1971, 31294360). Danach entspricht die Auslegung der „Doppelseite“ als aufgeschlagene Doppelseite unstreitig der Ansicht und dem Willen des Prüfungsausschusses, wie sich aus dem Bescheid vom 12. Juni 2017 ergibt. Dies hat der Beklagte in der mündlichen Verhandlung bestätigt. Auch die Rubrik „Häufig gestellte Fragen zur Hilfsmittelbekanntmachung für die Erste Juristische Staatsprüfung“ auf der Internetseite des Landesjustizprüfungsamtes bestätigt diese Auslegung.

1.1.3. Die handschriftlichen Eintragungen, die 20 Verweisungen pro aufgeschlagene Doppelseite überschreiten, sind daher unzulässig. Selbst wenn die Klägerin das Prüfungsergebnis nicht durch das unzulässige Hilfsmittel beeinflussen wollte (vgl. § 11 Abs. 1 Satz 1 JAPO), war sie zumindest im Besitz eines unzulässigen Hilfsmittels (§ 11 Abs. 1 Satz 3 JAPO), da sie nicht nachgewiesen hat, dass der Besitz weder auf Vorsatz noch auf Fahrlässigkeit beruht.

1.2. Ob mit dem Begriff der Doppelseite auch die Vorder- und Rückseite eines Blattes gemeint sein kann, kann deshalb vorliegend offen bleiben. Unabhängig davon hat die Klägerin jedoch auch in diesem Fall die zulässige Anzahl an handschriftlichen Verweisungen mehrfach überschritten.

1.3. Darüber hinaus sind die doppelten Unterstreichungen der Klägerin in der Gesetzessammlung „Schönfelder“ einschließlich des nach Angaben der Klägerseite erst nach Ausgabe der Prüfungsarbeit eingefügten Kreuzes neben § 309 Nr. 7 BGB unzulässig.

1.4. Ziffer 4.1 der Hilfsmittelbekanntmachung beruht auf einer ausreichenden Ermächtigungsgrundlage und verstößt auch sonst nicht gegen höherrangiges Recht. Sie ist nicht nichtig.

Die Kammer folgt der ober- und höchstrichterlichen Rechtsprechung, wonach § 11 Abs. 1 JAPO eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage hat (damals Art. 19 Abs. 2 und 115 Abs. 2 Satz 2 BayBG, vgl. ständige Rspr. des BayVGH, vgl. U.v. 23.7.1993 - 3 B 93.48 - BeckRS 1993, 10970 m.w.N.; BayVerfGH, E.v. 28.1.1988 - Vf. 13 VII/86 - BayVBl 1988, 238 m.w.N.).

Dass der Verordnungsgeber es nach § 7 Abs. 2 Nr. 3 JAPO dem Prüfungsausschuss überlassen hat, die zugelassenen Hilfsmittel festzulegen und dass diese Festlegung in Form einer Bekanntmachung erfolgt, die jedem Prüfling mit der Zulassung zur Prüfung zur Kenntnis gebracht wird, begegnet jedenfalls keinen rechtlichen Bedenken (vgl. BayVGH, U.v. 23.7.1993 - 3 B 93.48 - BeckRS 1993, 10970). Art. 12 GG verpflichtet den Verordnungsgeber nicht, die zugelassenen Hilfsmittel durch Rechtsverordnung zu bestimmen.

Die entsprechenden Regelungen sind auch hinreichend bestimmt. Soweit es in § 11 JAPO um den Besitz oder die Benutzung unzulässiger Hilfsmittel geht, handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, dessen Verwendung in der Prüfungsordnung rechtlich nicht zu beanstanden ist (vgl. BayVGH, U.v. 23.7.1993 - 3 B 93.48 - BeckRS 1993, 10970). Im Rahmen des ihm eingeräumten Gestaltungsermessens hatte der Verordnungsgeber nämlich die Wahl, eine Fülle abgegrenzter Tatbestände zu regeln oder einen unbestimmten Rechtsbegriff zu verwenden. Nachdem eine Vielzahl von Unterschleif- oder Täuschungshandlungen möglich ist, die in einer Verordnung nicht im Einzelnen vollständig und abschließend geregelt werden können, ist die Entscheidung des Verordnungsgebers für einen unbestimmten Rechtsbegriff nicht zu beanstanden, zumal wenn - wie hier - darunter bestimmte Verhaltensweisen fallen und der Betroffene sein Verhalten danach ausrichten kann (vgl. BayVGH, U.v. 23.7.1993 - 3 B 93.48 - BeckRS 1993, 10970).

1.4.1. Ziffer 4.1 der Hilfsmittelbekanntmachung ist auch hinreichend bestimmt und daher wirksame Rechtsgrundlage für den „Unterschleifbescheid“ vom 12. Juni 2017.

An die Bestimmtheit einer Regelung sind geringere Anforderungen zu stellen, wenn es sich - wie hier - um eine Regelung handelt, die nicht selbst Pflichten des Adressaten begründet, sondern ihn begünstigt oder anderweitig statuierte Pflichten reduziert bzw. ermäßigt (vgl. BVerfG, B.v. 28.11.1991 - 2 BvR 1772/89 - juris Rn. 4). Bei der Bestimmung in Ziffer 4.1 der Hilfsmittelbekanntmachung handelt es sich um eine Vorschrift, die den einzelnen Prüfling begünstigt, denn der Grundsatz gleicher äußerer Prüfungsbedingungen wäre auch erfüllt, wenn jede handschriftliche Eintragung verboten ist. Wenn dem Prüfling gleichwohl das Anbringen von Verweisungen und Unterstreichungen zugestanden wird, so bekommt er mehr als rechtlich geboten ist. Es liegt im Verantwortungsbereich des einzelnen Prüflings, die Zulässigkeit der von ihm verwendeten Hilfsmittel, auf die in der Ladung hingewiesen worden ist, zu überprüfen und insbesondere auf handschriftliche Eintragungen durchzusehen. In Zweifel über die Zulässigkeit des Umfangs handschriftlicher Eintragungen hat er zur Wahrung gleicher äußerer Prüfungsbedingungen im eigenen Interesse auf Eintragungen zu verzichten (vgl. BayVGH, U.v. 3.7.1993 - 3 B 93.48 - BeckRS 1993, 10970 zur Bestimmung des Begriffs „kurze Bemerkung“). Auslegungsschwierigkeiten führen grundsätzlich nicht zur Nichtigkeit der Bestimmung (vgl. BayVGH, U.v. 3.7.1993 - 3 B 93.48 - BeckRS 1993, 10970).

Gegen eine Nichtigkeit von Ziffer 4.1 der Hilfsmittelbekanntmachung spricht auch, dass eine Bestimmung nicht nichtig ist, wenn sie so ausgelegt werden kann, dass sie einen rechtmäßigen Inhalt hat (vgl. BayVGH, U.v. 29.4.2010 - 20 BV 09.2010 - juris Rn. 51). Wie unter Punkt 1.1. ausgeführt, ist eine Auslegung des Begriffs der Doppelseite als aufgeschlagene Doppelseite (bzw. zwei nebeneinanderliegende Seiten) möglich und auch rechtmäßig (vgl. oben).

1.4.2. Ziffer 4.1 der Hilfsmittelbekanntmachung ist auch nicht wegen „Inkohärenz“, wie die Klägerin meint, unwirksam. Warum diese Regelung nicht geeignet sein soll, möglichst gleiche äußere Prüfungsbedingungen so zu erreichen, dass der Grundsatz der Chancengleichheit gewahrt ist, erschließt sich dem Gericht nicht.

Die Auffassung der Klägerin, dass die Auslegung als aufgeschlagene Doppelseite zu ungerechten Konsequenzen führe, da 20 Verweisungen auf der aufgeschlagenen Doppelseite und jeweils 20 auf der vorhergehenden Vorderseite und der nachfolgenden Rückseite - also insgesamt 60 Verweisungen auf vier Seiten - zulässig, hingegen 21 Verweisungen auf der aufgeschlagenen Doppelseite ohne jegliche Verweisung auf der vorhergehenden Vorderseite und der nachfolgenden Rückseite unzulässig seien, ist nicht zielführend. Dem ist nämlich entgegenzuhalten, dass es jedem Prüfling freisteht, die maximal zulässige Anzahl an Verweisungen auszuschöpfen. Entschließt er sich, wie in dem von der Klägerin angeführten Beispiel, keine Verweisungen anzubringen, steht dies dem Grundsatz der Chancengleichheit nicht entgegen. Nach der Logik der Klägerin dürfte es außerdem keine Begrenzung von Verweisungen geben. Denn auch bei der Auslegung der Doppelseite als „Vorder- und Rückseite“ ist die Konstellation denkbar, dass 40 Eintragungen auf der aufgeschlagenen Doppelseite (jeweils 20 auf dem linken Blatt und dem rechten Blatt) zulässig wären - da ja zwei „Doppelseiten“ im Sinne einer „Vorder- und Rückseite“ -, aber zum Beispiel 21 Verweisungen auf einer Vorder- und Rückseite unzulässig wären, auch wenn der Prüfling auf der folgenden Vorder- und Rückseite keine Verweisungen einträgt.

1.4.3. Nach Auffassung des Gerichts bedurfte es keiner längeren Übergangsfristen, und Ziffer 4.1 der Hilfsmittelbekanntmachung verstößt nicht gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.

Die Prüflinge hatten ausreichend Zeit, sich auf die Neuregelung einzustellen und vorzubereiten. Die maßgebliche Änderung der Hilfsmittelbekanntmachung wurde am … … 2015 bekannt gemacht und galt erstmalig im Prüfungstermin 2016/2, sodass auch Prüflinge wie die Klägerin, die an mehreren Prüfungsterminen teilnahmen, sich darauf einstellen und die Hilfsmittel entsprechend anpassen konnten.

Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund, dass aus Gründen der Praktikabilität und Flexibilität gerade bei der Auswahl der zugelassenen Hilfsmittel - im Übrigen im Interesse des Prüflings - rasche Entscheidungen entsprechend neueren Erkenntnissen getroffen werden müssen (vgl. BayVGH, B.v. 7.3.2005 - 7 ZB 04.945 - juris Rn. 8).

2. Die Klägerin konnte auch nicht nachweisen, dass der Besitz des nicht zugelassenen Hilfsmittels weder auf Vorsatz noch auf Fahrlässigkeit beruhte (§ 11 Abs. 1 Satz 3 JAPO).

Nach § 28 Abs. 3 Satz 2 JAPO und Ziffer 5 der Hilfsmittelbekanntmachung haben die Prüflinge die zugelassenen Hilfsmittel selbst mitzubringen. Somit sind sie für deren Zustand selbst verantwortlich und haben die Verpflichtung, gründlich zu überprüfen, ob die in ihrem Besitz befindlichen Hilfsmittel der Hilfsmittelbekanntmachung entsprechen. In der Zulassung zum schriftlichen Teil der Ersten Juristischen Staatsprüfung ist ausdrücklich auf die Bestimmungen zu den zulässigen Hilfsmitteln hingewiesen; die Hilfsmittelbekanntmachung wurde im Wortlaut abgedruckt, und in dem mit der Ladung übersandten Merkblatt zur Hilfsmittelbekanntmachung wurde nochmals ausdrücklich auf eine entsprechende Prüfung auf unzulässige Anmerkungen hingewiesen. Notfalls hätte sich die Klägerin im Zweifelsfall rechtzeitig durch Nachfragen beim ... kundig machen müssen (vgl. BayVGH, B.v. 3.3.2011 - 7 ZB 10.2819 - juris Rn. 14).

Die Klägerin hat im Anhörungsverfahren und in den Schriftsätzen selbst eingeräumt, dass eine „Doppelseite“ auch die beiden aufeinanderfolgenden Seiten zweier nebeneinanderliegender Blätter bedeuten könne. Was die doppelten Unterstreichungen betrifft, hätte die Klägerin ohne weiteres die Möglichkeit gehabt, sich vor dem schriftlichen Teil der Prüfung neue Gesetzessammlungen zu besorgen. Wenn sie davon abgesehen hat und mit einer während des Studiums mit Eintragungen versehenen Gesetzessammlung in die Prüfung gegangen ist, so war es allein ihr Risiko, wenn sich bei einer Kontrolle herausstellt, dass sich nicht zulässige Eintragungen in der Gesetzessammlung befinden (vgl. VG Mainz, U.v. 11.12.2002 - 7 K 502/02 - NJW 2003, 1545). Die Fahrlässigkeit der Klägerin bewegt sich auch nicht am untersten Rand eines Verschuldens. Von einem Prüfling der Ersten Juristischen Staatsprüfung muss sogar erwartet werden, dass er sorgfältig prüft, welche Hilfsmittel er in die Prüfung mitnehmen darf (vgl. BayVGH, U.v. 21.1.2016 - 7 BV 15.1233 - juris Rn. 22).

3. Die Entscheidung, die Aufgabe 6 mit null Punkten zu bewerten, ist auch nicht unverhältnismäßig.

Zwar kann nach § 11 Abs. 6 JAPO in minder schweren Fällen bei Vorliegen besonderer Umstände von einer Ahndung abgesehen werden. Ein minder schwerer Fall - wenn die Bewertung mit null Punkten ungeeignet wäre, den mit ihr verfolgten legitimen Zweck zu erreichen, weil das sanktionierte Verhalten nicht geeignet war, das Prüfungsergebnis zu beeinflussen (BayVGH, U.v. 21.1.2016 - 7 BV 15.1233 - juris Rn. 17) - liegt jedoch nicht vor.

III.

Nach alledem ist die Klage mit der Kostenfolge des § 154 VwGO abzuweisen.

IV.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 167 Abs. 2 VwGO, 708 ff. ZPO.

V.

Gründe für die Zulassung der Berufung nach § 124a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 VwGO liegen nicht vor.

Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen können nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden. Dies gilt nicht, wenn behördliche Verfahrenshandlungen vollstreckt werden können oder gegen einen Nichtbeteiligten ergehen.

(1) Eine Änderung der Klage ist zulässig, wenn die übrigen Beteiligten einwilligen oder das Gericht die Änderung für sachdienlich hält.

(2) Die Einwilligung des Beklagten in die Änderung der Klage ist anzunehmen, wenn er sich, ohne ihr zu widersprechen, in einem Schriftsatz oder in einer mündlichen Verhandlung auf die geänderte Klage eingelassen hat.

(3) Die Entscheidung, daß eine Änderung der Klage nicht vorliegt oder zuzulassen sei, ist nicht selbständig anfechtbar.

Durch Erhebung der Klage wird die Streitsache rechtshängig. In Verfahren nach dem Siebzehnten Titel des Gerichtsverfassungsgesetzes wegen eines überlangen Gerichtsverfahrens wird die Streitsache erst mit Zustellung der Klage rechtshängig.

Tenor

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 24. Juni 2014 - 13 K 1895/13 - wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert für das Berufungszulassungsverfahren wird auf 5.217,52 EUR festgesetzt.

Gründe

 
Der auf die in § 124 Abs. 2 Nrn. 1 und 5 VwGO genannten Zulassungsgründe gestützte Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegen vor, wenn unter Berücksichtigung der jeweils dargelegten Gesichtspunkte (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) die Richtigkeit des angefochtenen Urteils weiterer Prüfung bedarf, ein Erfolg der angestrebten Berufung nach den Erkenntnismöglichkeiten des Zulassungsverfahrens mithin möglich ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10.03.2004 - 7 AV 4/03 - DVBl. 2004, 838).
a) Der Kläger ist A-Mitglied der Beklagten. Diese erließ unter dem 20.07.2012 einen Bescheid über die „Rückforderung ohne Rechtsgrund erbrachter Leistungen“, mit dem sie den Kläger aufforderte, für seine Ehefrau erbrachte Leistungen in Höhe von 6.213,06 EUR zurückzuerstatten. Unter dem 25.07.2012 erging ein weiterer Rückforderungsbescheid über einen Betrag von 5.217,52 EUR. Die hiergegen eingelegten Widersprüche des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 07.05.2013 - dem Kläger zugestellt am 14.05.2013 - zurück. Dabei nahm sie den Bescheid vom 20.07.2013 insoweit teilweise zurück, als sie nunmehr einen zusätzlichen Rückforderungsbetrag von 21,08 EUR geltend machte.
Am 06.06.2013 hat der durch Rechtssekretäre der ... Rechtsschutz GmbH vertretene Kläger Klage erhoben. Dabei hat er ausdrücklich beantragt,
„den Bescheid vom 20.07.2012, Az.: 3328-223-21-561, in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 07.05.2013, Az. BVV 1-02 R2012-000188 aufzuheben.“
Bescheidkopien hat der Kläger nicht vorgelegt. Die Klagebegründung ist am 11.10.2013 beim Verwaltungsgericht eingegangen.
Das Verwaltungsgericht hat der Klage stattgegeben, soweit sie gegen den Bescheid vom 20.07.2012 gerichtet ist. Soweit die Klage gegen den Rückforderungsbescheid vom 25.07.2012 gerichtet ist, hat es sie hingegen als unzulässig abgewiesen. Die am 06.06.2013 erhobene Klage habe sich ausdrücklich auf den Bescheid vom 20.07.2012 beschränkt. In Bezug auf den Bescheid vom 25.07.2012 sei jedenfalls die Klagefrist des § 74 Abs. 1 VwGO versäumt.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seinem Zulassungsantrag. Er ist der Ansicht, lediglich aufgrund eines Büroversehens sei der Bescheid vom 25.07.2012 nicht erfasst worden. Die Beklagte habe in dem Widerspruchsbescheid vom 07.05.2013 sämtliche Bescheide zusammengefasst, sodass es für die Beklagte offensichtlich gewesen sei, dass sich der Kläger gegen alle Rückforderungsbescheide wenden wolle. Dies habe sich auch aus der Klagebegründung und seinem übrigen Vortrag ergeben.
b) Aus diesem Vorbringen ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Entscheidung des Verwaltungsgerichts.
10 
aa) Der Senat teilt die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass nach der Klageschrift vom 06.06.2013 zunächst nur der Bescheid der Beklagten vom 20.07.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.05.2013 Streitgegenstand geworden ist.
11 
§ 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO verpflichtet den Kläger dazu, den Beklagten und den Gegenstand des Klagebegehrens zu bezeichnen. Zwar schreibt das Gesetz zur Erhebung einer wirksamen Klage nicht zwingend eine Antragstellung oder die Angabe der zur Begründung dienenden Tatsachen vor. Jedoch muss aus der Tatsache der Klageerhebung, aus Angaben über den angegriffenen Verwaltungsakt und etwaigen sonstigen während der Klagefrist abgegebenen Erklärungen oder diesen beigefügten Unterlagen es für das Gericht möglich sein, festzustellen, um was es dem Kläger geht, in welcher Angelegenheit die Klage erhoben wird und auf welchen konkreten Fall sich die Rechtshängigkeit bezieht. Bei Rechtsbehelfen ist hierzu immer auch eine hinreichend genaue Bezeichnung der angegriffenen Entscheidung erforderlich (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 19. Aufl., § 82 Rn. 7; BayVGH, Beschluss vom 20.10.2010 - 20 ZB 10.2056 - juris).
12 
Hiernach hat sich die fristgerecht erhobene Klage ursprünglich nicht gegen den Bescheid vom 25.07.2012 gerichtet. Das ergibt sich ohne Zweifel aus dem in der Klageschrift enthaltenen Klageantrag, mit dem ausdrücklich nur die Aufhebung des Bescheids vom 20.07.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.05.2013 begehrt worden ist. Dabei wird der Bescheid vom 20.07.2012 nicht nur mit dem Erlassdatum, sondern zudem mit dem entsprechenden Aktenzeichen der Beklagten - das sich von dem Aktenzeichen des Bescheids vom 25.07.2012 unterscheidet - bezeichnet. Diese eindeutige und unmissverständliche Formulierung ist keiner Auslegung in die Anfechtung eines weiteren Bescheids zugänglich, zumal die Klageschrift nicht von dem Kläger selbst, sondern von den ihn vertretenden rechtskundigen Rechtssekretären gefertigt worden ist. Nach § 88 VwGO ist das Gericht zwar nicht an die Formulierung des Klageantrags, wohl aber an das sich aus dem Klagevorbringen ergebende Klagebegehren gebunden (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 14.05.2014 - 11 S 2224/13 - juris).
13 
Eine andere Beurteilung des Klagegegenstandes lässt sich auch nicht daraus ableiten, dass mit dem Widerspruchsbescheid vom 07.05.2013 nicht nur der Widerspruch gegen den Bescheid vom 20.07.2012, sondern auch der Widerspruch gegen den Bescheid vom 25.07.2012 zurückgewiesen worden war. Denn in der Klageschrift wird explizit nur der Bescheid vom 20.07.2012 als angefochtener Ausgangsbescheid genannt.
14 
Umstände, die möglicherweise zu einer abweichenden Auslegung des Klagegegenstandes hätten führen können (Vorlage der Klagebegründung, Antragsformulierung in der mündlichen Verhandlung), sind erst nach Ablauf der Klagefrist eingetreten und können deshalb bei der Ermittlung des ursprünglichen Klagegegenstandes nicht berücksichtigt werden (vgl. BayVGH, aaO).
15 
bb) Soweit der Kläger später - möglicherweise schon mit der Vorlage der Klagebegründung am 11.10.2013, jedenfalls aber mit der Antragstellung in der mündlichen Verhandlung - auch den Bescheid vom 25.07.2013 zum Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens gemacht hat, handelt es sich demzufolge nicht nur um eine bloße Berichtigung des Klageantrags, sondern um eine objektive Klageänderung nach § 91 VwGO, da er damit einen weiteren Verwaltungsakt zum Gegenstand seiner Anfechtungsklage gemacht hat. Eine objektive Klageänderung wirkt aber nicht fristwahrend auf den Zeitpunkt der Klageerhebung zurück, weil die Klagefrist auch hinsichtlich des neuen Klageantrags gewahrt sein muss (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 19. Aufl., § 91 Rn. 32; NdsOVG, Beschluss vom 27.08.2002 - 8 LA 101/02 - juris). Erst mit der wirksam erklärten Änderung der Klage wird die (neue) Streitsache rechtshängig i. S. d. § 90 VwGO; eine auf den Zeitpunkt der ursprünglichen Klageerhebung zurückwirkende Rechtshängigkeit lässt sich § 90 hingegen nicht entnehmen (vgl. Ortloff/Riese in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 91 Rnrn. 79 u. 87).
16 
Etwas anderes folgt auch nicht aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschluss vom 05.05.1982 - 7 B 201.81 - DVBl. 1982, 1000), wonach eine Klageschrift, die den Maßgaben des § 82 Abs. 1 VwGO nicht genügt, auch nach Ablauf der Klagefrist ergänzt werden kann, sodass die Klage wegen des ursprünglichen Mangels nicht mehr als unzulässig abgewiesen werden darf. Daraus ergibt sich nämlich nicht, dass eine Klage, die wie hier den Gegenstand des Klagebegehrens eindeutig bezeichnet und einen bestimmten Antrag enthält, nach Ablauf der Klagefrist ohne weiteres geändert und auf einen weiteren Bescheid erstreckt werden kann. Denn in einem solchen Fall liegt nicht lediglich eine bloße Ergänzung eines auslegungsfähigen Klagebegehrens, sondern eine Erweiterung eines eindeutig bezeichneten Klagebegehrens um einen weiteren - neuen - Gegenstand vor. Die Notwendigkeit, auch insoweit die Klagefrist einzuhalten, entfällt nicht dadurch, dass der Kläger sein neues Begehren im Wege einer Klageänderung in den anhängigen Rechtsstreit einführt (vgl. NdsOVG, aaO).
17 
cc) Soweit der Kläger geltend macht, lediglich aufgrund eines Büroversehens sei der Bescheid vom 25.07.2012 nicht erfasst worden, ist schließlich kein Grund für die Wiedereinsetzung in die versäumte Klagefrist des § 74 Abs. 1 VwGO bezüglich dieses Bescheids dargetan. Es stellt ein Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten dar, wenn sie die Bestimmung des Klagegegenstands allein ihrem Hilfspersonal überlassen haben. Eine gesteigerte Sorgfaltspflicht eines Rechtsanwalts setzt stets ein, wenn ihm in einer Fristsache eine Akte zur Vorbereitung der fristgebundenen Prozesshandlung - hier: Erhebung der Klage - vorgelegt wird. Die Anfertigung einer Klageschrift darf wegen ihrer Bedeutung und den an sie zu stellenden Anforderungen nicht dem Büropersonal überlassen werden, ohne dass der Rechtsanwalt das Arbeitsergebnis vor Unterzeichnung selbst auf Richtigkeit und Vollständigkeit überprüft (vgl. Bier in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 60 Rn. 46). Diese Anforderungen müssen gleichermaßen auch für gewerkschaftliche Rechtssekretäre gelten, die mit der Klageerhebung betraut sind. Es bedarf keiner näheren Ausführungen, dass ein bevollmächtigter Rechtssekretär vor der Anfertigung einer Klageschrift in eigener Verantwortung mit dem Vertretenen abklären muss, welches konkrete Begehren mit der Klage verfolgt werden soll, und er die Klageschrift daraufhin zu überprüfen hat, ob der hiernach gewollte Gegenstand der Klage auch hinreichend genau bezeichnet wird.
18 
2. Der weiter behauptete Verfahrensmangel der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) ist schon nicht ausreichend dargelegt.
19 
Der Kläger rügt als Verfahrensfehler eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 108 Abs. 2 GG, Art. 103 Abs. 1 GG). Zur Begründung macht er geltend, das Verwaltungsgericht habe es unterlassen, ihn (wohl gemäß § 86 Abs. 3 VwGO) darauf hinzuweisen, dass sein Antrag fehlerhaft gewesen sei.
20 
Eine schlüssige Darlegung des behaupteten Verfahrensfehlers ist diesem Vorbringen nicht zu entnehmen. Nachdem die Klage ausdrücklich nur gegen einen der beiden Rückforderungsbescheide gerichtet war (vgl. oben unter 1.), gab es für das Gericht keinerlei Anlass, insoweit von einem (versehentlich) unvollständigen Antrag auszugehen. Klagen, die nur gegen einen von mehreren belastenden Verwaltungsakten gerichtet sind, sind in der gerichtlichen Praxis ebenso häufig anzutreffen wie (Teil-) Klagen, die sich auf die Anfechtung eines Teilbetrags beschränken. Dass hier eigentlich eine Anfechtung beider Rückforderungsbescheide beabsichtigt gewesen sein könnte, lässt sich ansatzweise frühestens aus der am 11.10.2013 beim Verwaltungsgericht eingegangenen Klagebegründung ersehen. Zu diesem Zeitpunkt war aber die Klagefrist des § 74 Abs. 1 VwGO bereits seit Langem verstrichen, sodass ein entsprechender gerichtlicher Hinweis ins Leere gegangen wäre und nichts mehr an der teilweisen Unzulässigkeit der Klage hätte ändern können.
21 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf den §§ 47 Abs. 1 und 3 und 52 Abs. 3 GKG.
22 
Der Beschluss ist unanfechtbar.

(1) Die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf beginnt nur zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsbehörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist.

(2) Ist die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist die Einlegung des Rechtsbehelfs nur innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung zulässig, außer wenn die Einlegung vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war oder eine schriftliche oder elektronische Belehrung dahin erfolgt ist, daß ein Rechtsbehelf nicht gegeben sei. § 60 Abs. 2 gilt für den Fall höherer Gewalt entsprechend.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Eine Gesellschaft, deren Zweck auf den Betrieb eines Handelsgewerbes unter gemeinschaftlicher Firma gerichtet ist, ist eine Kommanditgesellschaft, wenn bei einem oder bei einigen von den Gesellschaftern die Haftung gegenüber den Gesellschaftsgläubigern auf den Betrag einer bestimmten Vermögenseinlage beschränkt ist (Kommanditisten), während bei dem anderen Teil der Gesellschafter eine Beschränkung der Haftung nicht stattfindet (persönlich haftende Gesellschafter).

(2) Soweit nicht in diesem Abschnitt ein anderes vorgeschrieben ist, finden auf die Kommanditgesellschaft die für die offene Handelsgesellschaft geltenden Vorschriften Anwendung.

(1) Wer durch die Leistung eines anderen oder in sonstiger Weise auf dessen Kosten etwas ohne rechtlichen Grund erlangt, ist ihm zur Herausgabe verpflichtet. Diese Verpflichtung besteht auch dann, wenn der rechtliche Grund später wegfällt oder der mit einer Leistung nach dem Inhalt des Rechtsgeschäfts bezweckte Erfolg nicht eintritt.

(2) Als Leistung gilt auch die durch Vertrag erfolgte Anerkennung des Bestehens oder des Nichtbestehens eines Schuldverhältnisses.

(1) Zur Begründung eines Schuldverhältnisses durch Rechtsgeschäft sowie zur Änderung des Inhalts eines Schuldverhältnisses ist ein Vertrag zwischen den Beteiligten erforderlich, soweit nicht das Gesetz ein anderes vorschreibt.

(2) Ein Schuldverhältnis mit Pflichten nach § 241 Abs. 2 entsteht auch durch

1.
die Aufnahme von Vertragsverhandlungen,
2.
die Anbahnung eines Vertrags, bei welcher der eine Teil im Hinblick auf eine etwaige rechtsgeschäftliche Beziehung dem anderen Teil die Möglichkeit zur Einwirkung auf seine Rechte, Rechtsgüter und Interessen gewährt oder ihm diese anvertraut, oder
3.
ähnliche geschäftliche Kontakte.

(3) Ein Schuldverhältnis mit Pflichten nach § 241 Abs. 2 kann auch zu Personen entstehen, die nicht selbst Vertragspartei werden sollen. Ein solches Schuldverhältnis entsteht insbesondere, wenn der Dritte in besonderem Maße Vertrauen für sich in Anspruch nimmt und dadurch die Vertragsverhandlungen oder den Vertragsschluss erheblich beeinflusst.

(1) Wer zum Schadensersatz verpflichtet ist, hat den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre.

(2) Ist wegen Verletzung einer Person oder wegen Beschädigung einer Sache Schadensersatz zu leisten, so kann der Gläubiger statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Bei der Beschädigung einer Sache schließt der nach Satz 1 erforderliche Geldbetrag die Umsatzsteuer nur mit ein, wenn und soweit sie tatsächlich angefallen ist.

8
1. Nach einer Verletzung von Aufklärungspflichten kann der Geschädigte grundsätzlich Ersatz des Vertrauensschaden verlangen (Senat, BGHZ 168, 35, 39 m.w.N.). Er ist so zu stellen, wie er bei Offenbarung der für seinen Vertragsentschluss maßgeblichen Umstände stünde. Da in aller Regel anzunehmen ist, dass der Vertrag bei der gebotenen Aufklärung nicht oder mit einem anderen Inhalt zustande gekommen wäre, ist der Geschädigte in erster Linie berechtigt, sich von diesem zu lösen und Ersatz seiner im Vertrauen auf den Vertrags- schluss getätigten Aufwendungen zu verlangen (vgl. BGHZ 111, 75, 82). Daneben räumt die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dem Geschädigten das Recht ein, an dem für ihn ungünstigen Vertrag festzuhalten. Geschieht dies, reduziert sich der zu ersetzende Vertrauensschaden auf dessen berechtigte Erwartungen, die durch den zustande gekommenen Vertrag nicht befriedigt werden (Senat, BGHZ 168, 35, 39).

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
V ZR 394/99 Verkündet am:
6. April 2001
K a n i k ,
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
-------------------------------------
BGB §§ 276 Fa, 434, 440 Abs. 1
Verletzt ein Verkäufer seine vorvertraglichen Aufklärungspflichten dadurch, daß er
den Käufer über einen Umstand nicht ordnungsgemäß unterrichtet, der einen
Rechtsmangel darstellt, so werden auf Ersatz des Vertrauensschadens gerichtete
Schadensersatzansprüche wegen Verschuldens bei Vertragsschluß nicht durch die
Gewährleistungsansprüche wegen des Rechtsmangels ausgeschlossen.
Ein Schadensersatzanspruch wegen Verschuldens bei Vertragsschluß kann ausnahmsweise
auf Ersatz des Erfüllungsinteresses gerichtet werden, wenn feststeht,
daß ohne das schädigende Verhalten ein Vertrag zu anderen, für den Geschädigten
günstigeren Bedingungen zustande gekommen wäre. Läßt sich diese Feststellung
nicht treffen, so kann der Geschädigte, der an dem Vertrag festhalten will, als Ersatz
des negativen Interesses verlangen, so gestellt zu werden, als wäre es ihm bei
Kenntnis der wahren Sachlage gelungen, den Kaufvertrag zu einem günstigeren
Preis abzuschließen.
BGH, Urt. v. 6. April 2001 - V ZR 394/99 - OLG Karlsruhe
LG Freiburg
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
vom 16. Februar 2001 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Wenzel, die Richterin
Dr. Lambert-Lang und die Richter Tropf, Dr. Lemke und Dr. Gaier

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe - 13. Zivilsenat in Freiburg - vom 13. Oktober 1999 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Mit notariellem Vertrag vom 7. September 1993 kauften die Kläger und eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung vom Beklagten zwei gewerblich genutzte Grundstücke zum Preis von 4.950.000 DM. Nach vollständiger Kaufpreiszahlung wurde das Eigentum am 26. April 1994 umgeschrieben. Eine etwa 4.000 m² große Teilfläche eines der Grundstücke war durch Vertrag vom 21. Dezember 1979 an die H. H. KG vermietet, die dort einen Autound Reifenservicebetrieb eingerichtet hatte. Die den Klägern vor Vertragsabschluß vom Makler übergebene Vertragsurkunde bestimmte unter § 3 eine Befristung des Mietverhältnisses bis zum 31. Dezember 1994, wobei der Mieterin
ein "Optionsrecht auf Verlängerung des Mietverhältnisses um einmal fünf Jahre" eingeräumt wurde.
Die Kläger hatten das Grundstück erworben, um dort ein Boardinghouse zu errichten. Im Oktober 1993 verhandelten sie mit der H. H. KG über eine vorzeitige Aufhebung des Mietvertrages. Nach ihrem Vortrag erfuhren die Kläger erst jetzt, daß der Beklagte der Mieterin durch eine Vereinbarung vom Mai 1993 eine weitere Option auf Verlängerung des Vertragsverhältnisses um nochmals fünf Jahre nach dem 31. Dezember 1999 eingeräumt hatte. Unter dem 22./30. Januar 1995 einigten sich die Kläger mit der Mieterin auf einen schriftlichen Nachtrag zum Mietvertrag. Danach wurde eine Hoffläche von etwa 1.000 m² "entmietet" und von den Klägern für den Bau des Boardinghouses genutzt. Außerdem wurde das Mietverhältnis bis zum 31. Dezember 2009 verlängert und der Mietzins reduziert. Die Kläger begannen noch im selben Jahr mit den Bauarbeiten, so daß das Boardinghouse im Oktober 1996 eröffnet werden konnte.
Die Kläger verlangen von dem Beklagten die Zahlung von 300.000 DM als Schadensersatz, weil er mit der Option zur Verlängerung des Mietverhältnisses bis Ende 2004 einen Mangel des Grundstücks arglistig verschwiegen habe. Das Landgericht hat nach Einholung eines Sachverständigengutachtens die Klage abgewiesen. Die Berufung der Kläger ist ohne Erfolg geblieben. Mit der Revision verfolgen sie ihr Klageziel weiter. Der Beklagte beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.

Entscheidungsgründe:

I.

Das Berufungsgericht verneint einen Anspruch aus culpa in contrahendo. Der Beklagte habe zwar seine Pflicht zur Aufklärung über das Bestehen der weiteren Option verletzt, die Differenz zu einem bei pflichtgemäßer Unterrichtung vereinbarten geringeren Kaufpreis könne aber nicht als Schaden geltend gemacht werden. Nach neuerer Rechtsprechung sei nämlich für einen Anspruch , der auf Ersatz des positiven Interesses aus einem nicht zustande gekommenen Vertrag gerichtet werde, der Nachweis erforderlich, daß der günstigere Vertrag tatsächlich abgeschlossen worden wäre. Umstände, die eine solche Feststellung ermöglichen könnten, seien aber nicht geltend gemacht. Der Schadensersatzanspruch könne auch nicht auf einen Rechtsmangel gestützt werden. Da die weitere Option einen behebbaren Mangel darstelle, habe eine Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung gegenüber dem Beklagten erfolgen müssen. Daß diese entbehrlich gewesen sei, weil die Mieterin ohnehin zu keinem Verzicht auf die Option bereit gewesen wäre, habe nicht festgestellt werden können.
Diese Ausführungen halten im entscheidenden Punkt einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand.

II.


1. Zutreffend hat das Berufungsgericht einen Schadensersatzanspruch aus §§ 440 Abs. 1, 326 BGB verneint.
Die weitere Verlängerungsoption zugunsten der H. H. KG als Mieterin, von der die Kläger nach den ihnen zugänglich gemachten Vertragsunterlagen nicht ausgehen konnten, stellt einen Rechtsmangel dar. Die Verpflichtung des Verkäufers aus § 434 BGB, den Kaufgegenstand frei von Rechten Dritter zu verschaffen, erstreckt sich bei einem Grundstückskauf auch auf ein bestehendes Mietverhältnis (Senat, Urt. v. 25. Oktober 1991, V ZR 225/90, NJW-RR 1992, 201, 202; Urt. v. 8. November 1991, V ZR 139/90, NJW 1992, 905; Urt. v. 24. Oktober 1997, V ZR 187/96, NJW 1998, 534). Da die Option auf Verlängerung eines Mietverhältnisses grundsätzlich als behebbarer Rechtsmangel anzusehen ist (vgl. Senat, Urt. v. 2. Oktober 1987, V ZR 105/86, NJW-RR 1988, 79; Urt. v. 24. Oktober 1997, V ZR 187/96, NJW 1998, 534, 535), scheitert ein Schadensersatzanspruch aus §§ 440 Abs. 1, 326 BGB aber daran, daß die Kläger dem Beklagten weder eine Frist zur Beseitigung des Rechtsmangels verbunden mit einer Ablehnungsandrohung gesetzt haben, noch besondere Umstände gegeben sind, die diese Voraussetzung entbehrlich machen. Das Berufungsgericht hat eine offensichtliche Zwecklosigkeit der Fristsetzung nicht feststellen können. Dies ist frei von Rechtsfehlern und wird mit der Revision nicht angegriffen.
2. Mit Recht wendet sich die Revision aber gegen die Auffassung des Berufungsgerichts, auch die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs wegen Verschuldens bei Vertragsschluß seien nicht erfüllt.

a) Ein Schadensersatzanspruch wegen Verschuldens bei Vertragsschluß kann ausnahmsweise auf Ersatz des Erfüllungsinteresses gerichtet werden, wenn ohne das schädigende Verhalten mit einem Dritten oder auch demselben Vertragspartner ein Vertrag zu anderen, für den Geschädigten günstigeren Be-
dingungen zustande gekommen wäre (BGH, Urt. v. 24. Juni 1998, XII ZR 126/96, NJW 1998, 2900, 2901 m.w.N.). Einen solchen Anspruch haben die Kläger mit dem Vortrag verfolgt, bei Kenntnis des weiteren Optionsrechts wäre ein um 300.000 DM niedrigerer Kaufpreis vereinbart worden. Der Ersatz des Erfüllungsinteresses setzt allerdings - was das Berufungsgericht nicht verkannt hat - die Feststellung voraus, daß der Vertrag ohne das pflichtwidrige Verhalten zu anderen, für den Geschädigten günstigeren Bedingungen geschlossen worden wäre (BGH, Urt. v. 24. Juni 1998, aaO). Daß das Berufungsgericht diese Feststellung nicht hat treffen können, wird von der Revision hingenommen und läßt Rechtsfehler nicht erkennen. Nichts spricht dafür, daß sich der Beklagte auf einen um 300.000 DM geringeren Kaufpreis eingelassen hätte. Er hatte kein nachhaltiges Interesse an dem Grundstücksverkauf, war doch die Initiative zu diesem Geschäft nicht von ihm, sondern von dem Makler, den die Kläger beauftragt hatten, ausgegangen. Überdies erklärte der Beklagte, nachdem die Kläger ihn auf die weitere Option angesprochen hatten, sogleich seine Bereitschaft, den Kaufvertrag rückgängig zu machen. Es kann daher offen bleiben, ob ein solcher auf das Erfüllungsinteresse gerichteter Anspruch neben den Vorschriften der Rechtsmängelhaftung (§§ 440 Abs. 1, 326 Abs. 1 BGB) Anwendung finden kann.

b) Das Berufungsgericht hat es jedoch fehlerhaft unterlassen, das Klagebegehren unter dem Gesichtspunkt eines Anspruchs auf Ersatz des Vertrauensschadens zu prüfen. Ein solcher Anspruch ist nicht durch die Vorschriften der §§ 440 Abs. 1, 326 Abs. 1 BGB ausgeschlossen (vgl. BGHZ 65, 246, 253; Senat, Urt. v. 21. Dezember 1984, V ZR 206/83, NJW 1985, 2697, 2698; Urt. v. 17. Mai 1991, V ZR 92/90, NJW 1991, 2700; Urt. v. 11. Oktober 1991, V ZR 159/90, NJW-RR 1992, 91, 92; Urt. v. 17. Juni 1994, V ZR 204/92, NJW
1994, 2947, 2949; Urt. v. 19. November 1999, V ZR 321/98, NJW 2000, 803, 804).
aa) Auch wenn das wegen Verschuldens bei Vertragsschluß zu ersetzende Vertrauensinteresse in bestimmten Fällen wirtschaftlich dem Erfüllungsinteresse entsprechen kann, liegen der Haftung aus culpa in contrahendo und der Schadensersatzpflicht wegen Nichterfüllung nach §§ 440 Abs. 1, 326 Abs. 1 BGB die Verletzung unterschiedlicher Rechtspflichten zugrunde (BGH, Urt. v. 6. Juni 2000, XI ZR 235/99, WM 2000, 1840, 1841; vgl. auch BGHZ 142, 51, 62, 64). Der Schadensersatzanspruch wegen Verschuldens bei Vertragsschluß folgt aus dem gesetzlichen Schuldverhältnis, das mit der Aufnahme von Vertragsverhandlungen begründet wird, vom tatsächlichen Zustandekommen eines Vertrages und seiner Wirksamkeit weitgehend unabhängig ist und zur verkehrsüblichen Sorgfalt sowie zu loyalem und redlichem Verhalten gegenüber dem Geschäftsgegner verpflichtet (Senat, BGHZ 6, 30, 333; BGHZ 49, 77, 82; 66, 51, 54; BGH, Urt. v. 6. Juni 2000, aaO, 1840 f). Deshalb richtet sich der Anspruch nicht auf ordnungsgemäße Vertragserfüllung, sondern auf den Ausgleich der Nachteile, die durch die Verletzung des bei der Vertragsanbahnung in den Vertragspartner gesetzten Vertrauens entstanden sind (BGHZ 49, 77, 82; 57, 191, 197; BGH, Urt. v. 2. März 1988, VIII ZR 380/86, NJW 1988, 2234, 2236; Urt. v. 6. Juni 2000, aaO, 1841). Der Schadensersatzanspruch aus culpa in contrahendo ist nicht durch das Erfüllungsinteresse begrenzt, sondern kann dieses auch übersteigen (BGHZ 49, 77, 82; 57, 191, 193; 69, 53, 56). Dagegen knüpft der Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung nach §§ 440 Abs. 1, 325 ff BGB an die Verletzung von vertraglichen Hauptpflichten an, die erst durch den Vertragsschluß festgelegt werden (vgl. zu § 326 BGB: Senat, Urt. v. 28. November 1956, V ZR 77/55, NJW 1957, 217; BGH, Urt. v.
1. Oktober 1986, VIII ZR 132/85, NJW 1987, 251, 253). Der Geschädigte ist so zu stellen, wie er bei ordnungsgemäßer Erfüllung gestanden hätte (vgl. BGHZ 99, 182, 197; Senat, Urt. v. 19. September 1980, V ZR 51/78, NJW 1981, 45, 46 f; Urt. v. 21. Januar 2000, V ZR 387/98, NJW 2000, 1256).
bb) Erfüllt - wie hier - ein Lebenssachverhalt die Tatbestandsmerkmale mehrerer Anspruchsgrundlagen, ohne daß einer der Haftungstatbestände nach seinem Sinn und Zweck oder einer ausdrücklichen Regelung den Vorrang beanspruchen kann, so ist ein Fall der Anspruchskonkurrenz gegeben, bei dem sämtliche Rechtsfolgen gleichrangig nebeneinander stehen (vgl. GSZ, BGHZ 13, 88, 95; auch BGHZ 17, 214, 217; 66, 315, 319; 100, 190, 201). Bei einem Zusammentreffen in der geschilderten Weise kommt einem Schadensersatzanspruch aus §§ 440 Abs. 1, 326 Abs.1 BGB gegenüber einem solchen aus culpa in contrahendo kein Vorrang zu. Im Unterschied zu den Regelungen für Sachmängel in den §§ 459 ff BGB (vgl. hierzu Senat, BGHZ 60, 319, 321 ff) handelt es sich bei den Bestimmungen über die Rechtsmängelgewährleistung im Kaufrecht nicht um abschließende Sonderregelungen (vgl. Senat, Urt. v. 21. Dezember 1984, aaO). Für Rechtsmängel verweist § 440 Abs. 1 BGB lediglich pauschal auf die §§ 320 bis 327 BGB; es fehlt nicht nur an Regelungen mit einer den §§ 459 ff BGB vergleichbaren systematischen Geschlossenheit (BGHZ 110, 196, 203), sondern auch an einer § 477 BGB entsprechenden besonderen Verjährungsbestimmung. Überdies kennt die Rechtsmängelhaftung keine dem § 463 Satz 2 BGB (vgl. hierzu Senat BGHZ 60, 319, 321) vergleichbare , einschränkende Sonderregelung des Verschuldens bei Vertragsschluß. § 444 BGB, der den Verkäufer zur Aufklärung über die rechtlichen Verhältnisse der Kaufsache verpflichtet, erfaßt nur die vertraglichen, nicht aber
auch die vorvertraglichen Hinweispflichten (vgl. RGZ 52, 167, 168; Soergel /Huber, BGB, 12. Aufl., § 444 Rdn. 3).
cc) Daß sie dem Beklagten keine Gelegenheit zur Beseitigung des Rechtsmangels gaben, begründet keinen Verstoß der Kläger gegen die ihnen obliegende Schadensminderungspflicht (§ 254 Abs. 2 BGB). Es bestehen keine Anhaltspunkte für die Annahme, die Kläger hätten mit der Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs wegen Verschuldens bei Vertragsschluß anstelle des Erfüllungsanspruchs aus § 434 BGB gegen das Gebot des eigenen Interesses verstoßen. Überdies läßt sich dem Vortrag des Beklagten nicht hinreichend entnehmen, daß es ihm durch Leistungen, deren Wert hinter den von den Klägern geforderten 300.000 DM zurückbleibt, gelungen wäre, die Mieterin zum Verzicht auf die verlängerte Mietoption zu bewegen.

c) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist mit dem Urteil des XII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofes vom 24. Juni 1998 (aaO) keine Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung zum Ersatz des Vertrauensinteresses durch Anpassung eines Vertrages nach den Grundsätzen der culpa in contrahendo verbunden. Die Entscheidung bestätigt diese vielmehr mit dem Hinweis, die Vorinstanz habe in Übereinstimmung mit der - durch Zitate belegten - ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes einen Anspruch auf Vertragsanpassung unter den gegebenen Umständen in revisionsrechtlich nicht angreifbarer Weise verneint. Auch in der Literatur (vgl. Stoll, JZ 1999, 95 ff; Lorenz , NJW 1999, 1001 f) ist die Entscheidung nicht anders verstanden worden.

d) Nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des Berufungsgerichts hat der Beklagte die Kläger unzutreffend über die mögliche Dauer des mit der
H. H. KG geschlossenen Mietverhältnisses unterrichtet. Mit der Vereinbarung vom 13. Mai/1. Juli 1993 hatten der Beklagte und die Mieterin den bestehenden Mietvertrag um ein Gestaltungsrecht ergänzt, das es der Mieterin erlaubte, bis zum 31. Dezember 1998 durch eine entsprechende Erklärung das Mietverhältnis um weitere fünf Jahre zu verlängern. Diese Vertragsverlängerung ist durch die beiderseitig unterschriebene Urkunde nach § 566 BGB formwirksam vereinbart, weil auf die ursprüngliche Vertragsurkunde Bezug genommen und der im übrigen unveränderte Fortbestand des dort Vereinbarten zum Ausdruck gebracht wird (vgl. BGH, Urt. v. 26. Februar 1992, XII ZR 129/90, NJW 1992, 2283, 2284).
Durch das zumindest fahrlässige Verschweigen der zweiten Verlängerungsoption verletzte der Beklagte schuldhaft seine vorvertraglichen Pflichten. Macht nämlich der Verkäufer oder eine Person, deren er sich zur Erfüllung seiner vorvertraglichen Pflichten bedient, Angaben, die für den Kaufentschluß des anderen Teils von Bedeutung sein können, so müssen diese Angaben richtig sein (BGHZ 74, 103, 110; Senat, Urt. v. 20. November 1987, V ZR 66/86, NJWRR 1988, 458, 459; Urt. v. 26. September 1997, V ZR 29/96, NJW 1998, 302). Dies gilt bei der Unterrichtung über das bestehende Mietverhältnis selbst dann, wenn der Beklagte von der beabsichtigten Umgestaltung des Anwesens durch Errichtung eines Boardinghouses nichts wußte. Bereits im Hinblick auf § 571 Abs. 1 BGB ist die Dauer eines Mietverhältnisses wegen der damit eingeschränkten Verfügungsmöglichkeit des Erwerbers grundsätzlich für dessen Kaufentschluß von Bedeutung.

e) Der Anspruch aus culpa in contrahendo ist regelmäßig auf Ersatz des negativen Interesses gerichtet (BGHZ 114, 87, 94; 142, 51, 62; BGH, Urt. v.
6. Juni 2000, aaO). Danach sind die Kläger so zu stellen, wie sie bei Offenbarung der für ihren Kaufentschluß maßgeblichen Umstände stünden (vgl. Senat, Urt. v. 8. Oktober 1993, V ZR 146/92, NJW-RR 1994, 76, 77). Wenn der Geschädigte , wie hier die Kläger, an dem Vertrag festhalten will, obwohl dieser infolge der Pflichtverletzung zu für ihn ungünstigen Bedingungen zustande gekommen ist, so ist er so zu behandeln, als wäre es ihm bei Kenntnis der wahren Sachlage gelungen, den Kaufvertrag zu einem günstigeren Preis abzuschließen (BGHZ 69, 53, 58; BGH, Urt. v. 11. Februar 1999, IX ZR 352/97, NJW 1999, 2032, 2034). Schaden ist danach der Betrag, um den die Kläger im Streitfall wegen der fehlenden Mitteilung über das weitere Optionsrecht der Mieterin das Grundstück zu teuer erworben haben (vgl. BGHZ 114, 87, 94; Senat , Urt. v. 10. Juli 1987, V ZR 236/85, NJW-RR 1988, 10, 11; Urt. v. 8. Oktober 1993, aaO; BGH, Urt. v. 1. April 1981, VIII ZR 51/80, NJW 1981, 2050, 2051; Urt. v. 27. September 1988, XI ZR 4/88, NJW-RR 1989, 150, 151; Urt. v. 14. Januar 1993, IX ZR 206/91, NJW 1993, 1323, 1325). Dies erfordert - im Unterschied zur Geltendmachung des Erfüllungsinteresses (vgl. BGH, Urt. v. 24. Juni 1998, aaO) - nicht den Nachweis, daß sich der Vertragsgegner auf einen Vertragsschluß zu einem niedrigeren Preis eingelassen hätte (vgl. BGHZ 69, 53, 58; 114, 87, 94; BGH, Urt. v. 27. September 1988, aaO; Senat, Urt. v. 26. Januar 1996, V ZR 42/94, NJW-RR 1996, 690). Entscheidend ist allein, wie sich der Getäuschte bei Kenntnis der ihm verheimlichten Umstände verhalten hätte; verbleibende Unklarheiten gehen zu Lasten des aufklärungspflichtigen Verkäufers (vgl. BGHZ 114, 87, 94).
3. Den Betrag, um den sie das Grundstück vom Beklagten zu teuer erwarben , haben die Kläger allerdings bislang nicht dargetan. Sie haben ihren Schaden vielmehr mit den Mieteinnahmen begründet, die ihnen in Höhe von
319.000 DM der Zeit von Januar 1994 bis Dezember 1999 oder - in zweiter Linie - in Höhe von 307.501,49 DM in der Zeit von Januar 2000 bis Dezember 2004 wegen des Nachgebens gegenüber der H. H. KG in der Vereinbarung vom 22./25. Januar 1995 entgangen sein sollen. Diese Aufwendungen sind jedoch nicht zu ersetzen; denn sie unterfallen nicht dem Schutzzweck des Schadensersatzanspruchs wegen Verschuldens bei Vertragsschluß. Dessen Grundlage ist enttäuschtes Vertrauen (vgl. Senat, Urt. v. 12. Dezember 1980, V ZR 168/78, NJW 1981, 1035, 1036). Die von den Klägern mit der Mieterin getroffene Vereinbarung beruht jedoch nicht darauf, daß die Kläger weiterhin darauf vertrauten, zutreffend über die Dauer des Mietverhältnisses unterrichtet worden zu sein. Grund war vielmehr der Entschluß der Kläger, trotz der als falsch erkannten Auskunft am Vertrag festzuhalten und das beabsichtigte Boardinghouse auch unter den gegebenen Bedingungen zu errichten. Dem Verschulden des Beklagten zurechenbare Folge des Vertrauens der Kläger war nur der Abschluß des Kaufvertrages, nicht aber die Nachteile, die sich erst aus der Entscheidung der Kläger ergaben, trotz der erkannten längeren Dauer des Mietverhältnisses keine Rückabwicklung des Vertrages zu fordern (vgl. Senat, Urt. v. 12. Dezember 1980, aaO; auch BGH, Urt. v. 2. Juni 1980, VIII ZR 64/79, NJW 1980, 2408, 2410).
Die Kläger können die ihnen angeblich entgangenen Mieteinnahmen auch nicht mit der Begründung als Vertrauensschaden ersetzt verlangen, sie hätten davon ausgehen dürfen, über die Zahlung des vereinbarten Kaufpreises hinaus keine weiteren Investitionen tätigen zu müssen. Zwar kann das Vertrauen des Getäuschten, daß sein Gesamtaufwand für die vorgesehene Verwendung der Kaufsache den Kaufpreis nicht übersteigen werde (vgl. BGHZ 111, 75, 82), geschützt sein. Im vorliegenden Fall bestand für eine solche Annahme
der Kläger indes keine dem Beklagten zurechenbare Grundlage. So behaupten die Kläger selbst nicht, den Beklagten über die von ihnen beabsichtigte Nutzung des Grundstücks informiert zu haben. Der Beklagte wußte aus dem Schreiben des von den Klägern beauftragten Maklers vom 13. Juli 1992 lediglich , daß "ein Investor" an dem Erwerb interessiert war. Waren aber die Pläne der Kläger weder Basis noch Gegenstand der Vertragsverhandlungen, so konnten die Kläger aufgrund des Verhaltens des Beklagten nicht darauf vertrauen , mit dem Kaufpreis sei auch die von ihnen beabsichtigte Ä nderung der Nutzung des Anwesens erkauft.
Selbst wenn sich die Kläger die Ausführungen des Sachverständigen aus dem im ersten Rechtszug eingeholten schriftlichen Gutachten zu eigen gemacht hätten, wäre auch dies kein für die Ermittlung des Vertrauensschadens erheblicher Vortrag. Der Sachverständige hat mit dem "Nachteil ... aus der nicht realisierten Investition" nichts anderes als den Gewinn ermittelt, der den Klägern bei einer verspäteten Fertigstellung des Bauvorhabens entgangen wäre. Dieser ist aber für die Berechnung der - nicht durch eine Verzögerung verursachten - Vermögensnachteile, die die Kläger hier als Schadensersatz geltend machen können, ohne Belang.
4. Damit festgestellt werden kann, ob und ggf. in welchem Umfang den Klägern ein Schaden dadurch entstanden ist, daß sie wegen der unzutreffenden Information über die Dauer des Mietverhältnisses das Grundstück zu teuer erworben haben, werden sie - bezogen auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses - vortragen und unter Beweis stellen müssen, welcher Minderwert des Grundstücks sich gegenüber einem Ende 1999 auslaufenden Mietverhältnis mit
der H. H. KG durch die Verlängerungsoption bis Ende 2004 ergibt (vgl. Senat, Urt. v. 10. Juli 1987, aaO; BGH, Urt. v. 27. September 1988 aaO).
Das bisherige Vorbringen der Kläger reicht nicht aus, um den für die Anpassung des Kaufpreises maßgeblichen Minderwert ermitteln zu können. Zwar haben die Kläger im ersten Rechtszug behauptet, durch ein Mietverhältnis von längerer Dauer sei der Verkehrswert eines zu Ausbau- oder Neubauzwecken erworbenen Grundstücks um 10 % gemindert. Die Parteien haben indes die Nutzung des Grundstücks für die Errichtung eines Boardinghouses oder auch nur für eine bauliche Umgestaltung nicht zum Vertragszweck gemacht. Es kann daher nur maßgeblich sein, welche Bedeutung der Geschäftsverkehr gewöhnlich einer Verlängerungsoption, wie sie hier vereinbart wurde, für die Wertermittlung beilegt. Den Absichten einzelner Interessenten, auf die der vom Landgericht beauftragte Sachverständige bei der Erläuterung seines Gutachtens abgestellt hat, kommt unter den hier gegebenen Umständen keine entscheidende Bedeutung zu.

III.


Das Berufungsurteil kann danach mit der gegebenen Begründung keinen Bestand haben; es ist aufzuheben. Da Entscheidungsreife fehlt, muß die Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht erfolgen.
Das Berufungsgericht hat sich dadurch, daß es nur einen auf das Erfüllungsinteresse gerichteten Schadensersatzanspruch in Betracht gezogen hat, den Blick auf die Möglichkeit des Ersatzes des Vertrauensschadens ver-
stellt. Bei zutreffender rechtlicher Sicht hätte es - zumal der Beweisbeschluß des Landgerichts vom 12. Februar 1997 eine unerhebliche Behauptung zum Gegenstand hatte - Anlaß gehabt, die Kläger nach § 139 ZPO im Hinblick auf den ihnen etwa entstandenen Schaden zu einem ergänzenden Vortrag anzuhalten. Dies ist ihm durch die Zurückverweisung der Sache (§ 565 ZPO) wieder zu ermöglichen (vgl. Senat, BGHZ 129, 112, 122; Urt. v. 2. Dezember 1994, V ZR 193/93, NJW 1995, 587, 589).
Die Kläger erhalten auf diese Weise auch Gelegenheit, ihren Klageantrag zu überdenken. Da es keinen Anhaltspunkt dafür gibt, daß auch der geltend gemachte Schadensersatzanspruch zum Gesellschaftsvermögen zählen soll, ist von Mitgläubigerschaft auszugehen (vgl. BGH, Urt. v. 12. Oktober 1995, I ZR 172/93, NJW 1996, 1407, 1409). Die Kläger können daher nach § 432 Abs. 1 Satz 1 BGB nur Leistung an alle Gläubiger verlangen. Zu diesen dürfte
aber auch die R. straße 1 - Grundstücksverwaltungsgesellschaft mit beschränkter Haftung zählen, die ebenfalls als Gesamtschuldnerin hinsichtlich des Kaufpreises an dem Kaufvertrag mit dem Beklagten beteiligt war.
Wenzel Lambert-Lang Tropf Lemke Gaier
8
1. Nach einer Verletzung von Aufklärungspflichten kann der Geschädigte grundsätzlich Ersatz des Vertrauensschaden verlangen (Senat, BGHZ 168, 35, 39 m.w.N.). Er ist so zu stellen, wie er bei Offenbarung der für seinen Vertragsentschluss maßgeblichen Umstände stünde. Da in aller Regel anzunehmen ist, dass der Vertrag bei der gebotenen Aufklärung nicht oder mit einem anderen Inhalt zustande gekommen wäre, ist der Geschädigte in erster Linie berechtigt, sich von diesem zu lösen und Ersatz seiner im Vertrauen auf den Vertrags- schluss getätigten Aufwendungen zu verlangen (vgl. BGHZ 111, 75, 82). Daneben räumt die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dem Geschädigten das Recht ein, an dem für ihn ungünstigen Vertrag festzuhalten. Geschieht dies, reduziert sich der zu ersetzende Vertrauensschaden auf dessen berechtigte Erwartungen, die durch den zustande gekommenen Vertrag nicht befriedigt werden (Senat, BGHZ 168, 35, 39).

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
V ZR 394/99 Verkündet am:
6. April 2001
K a n i k ,
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
-------------------------------------
BGB §§ 276 Fa, 434, 440 Abs. 1
Verletzt ein Verkäufer seine vorvertraglichen Aufklärungspflichten dadurch, daß er
den Käufer über einen Umstand nicht ordnungsgemäß unterrichtet, der einen
Rechtsmangel darstellt, so werden auf Ersatz des Vertrauensschadens gerichtete
Schadensersatzansprüche wegen Verschuldens bei Vertragsschluß nicht durch die
Gewährleistungsansprüche wegen des Rechtsmangels ausgeschlossen.
Ein Schadensersatzanspruch wegen Verschuldens bei Vertragsschluß kann ausnahmsweise
auf Ersatz des Erfüllungsinteresses gerichtet werden, wenn feststeht,
daß ohne das schädigende Verhalten ein Vertrag zu anderen, für den Geschädigten
günstigeren Bedingungen zustande gekommen wäre. Läßt sich diese Feststellung
nicht treffen, so kann der Geschädigte, der an dem Vertrag festhalten will, als Ersatz
des negativen Interesses verlangen, so gestellt zu werden, als wäre es ihm bei
Kenntnis der wahren Sachlage gelungen, den Kaufvertrag zu einem günstigeren
Preis abzuschließen.
BGH, Urt. v. 6. April 2001 - V ZR 394/99 - OLG Karlsruhe
LG Freiburg
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
vom 16. Februar 2001 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Wenzel, die Richterin
Dr. Lambert-Lang und die Richter Tropf, Dr. Lemke und Dr. Gaier

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe - 13. Zivilsenat in Freiburg - vom 13. Oktober 1999 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Mit notariellem Vertrag vom 7. September 1993 kauften die Kläger und eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung vom Beklagten zwei gewerblich genutzte Grundstücke zum Preis von 4.950.000 DM. Nach vollständiger Kaufpreiszahlung wurde das Eigentum am 26. April 1994 umgeschrieben. Eine etwa 4.000 m² große Teilfläche eines der Grundstücke war durch Vertrag vom 21. Dezember 1979 an die H. H. KG vermietet, die dort einen Autound Reifenservicebetrieb eingerichtet hatte. Die den Klägern vor Vertragsabschluß vom Makler übergebene Vertragsurkunde bestimmte unter § 3 eine Befristung des Mietverhältnisses bis zum 31. Dezember 1994, wobei der Mieterin
ein "Optionsrecht auf Verlängerung des Mietverhältnisses um einmal fünf Jahre" eingeräumt wurde.
Die Kläger hatten das Grundstück erworben, um dort ein Boardinghouse zu errichten. Im Oktober 1993 verhandelten sie mit der H. H. KG über eine vorzeitige Aufhebung des Mietvertrages. Nach ihrem Vortrag erfuhren die Kläger erst jetzt, daß der Beklagte der Mieterin durch eine Vereinbarung vom Mai 1993 eine weitere Option auf Verlängerung des Vertragsverhältnisses um nochmals fünf Jahre nach dem 31. Dezember 1999 eingeräumt hatte. Unter dem 22./30. Januar 1995 einigten sich die Kläger mit der Mieterin auf einen schriftlichen Nachtrag zum Mietvertrag. Danach wurde eine Hoffläche von etwa 1.000 m² "entmietet" und von den Klägern für den Bau des Boardinghouses genutzt. Außerdem wurde das Mietverhältnis bis zum 31. Dezember 2009 verlängert und der Mietzins reduziert. Die Kläger begannen noch im selben Jahr mit den Bauarbeiten, so daß das Boardinghouse im Oktober 1996 eröffnet werden konnte.
Die Kläger verlangen von dem Beklagten die Zahlung von 300.000 DM als Schadensersatz, weil er mit der Option zur Verlängerung des Mietverhältnisses bis Ende 2004 einen Mangel des Grundstücks arglistig verschwiegen habe. Das Landgericht hat nach Einholung eines Sachverständigengutachtens die Klage abgewiesen. Die Berufung der Kläger ist ohne Erfolg geblieben. Mit der Revision verfolgen sie ihr Klageziel weiter. Der Beklagte beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.

Entscheidungsgründe:

I.

Das Berufungsgericht verneint einen Anspruch aus culpa in contrahendo. Der Beklagte habe zwar seine Pflicht zur Aufklärung über das Bestehen der weiteren Option verletzt, die Differenz zu einem bei pflichtgemäßer Unterrichtung vereinbarten geringeren Kaufpreis könne aber nicht als Schaden geltend gemacht werden. Nach neuerer Rechtsprechung sei nämlich für einen Anspruch , der auf Ersatz des positiven Interesses aus einem nicht zustande gekommenen Vertrag gerichtet werde, der Nachweis erforderlich, daß der günstigere Vertrag tatsächlich abgeschlossen worden wäre. Umstände, die eine solche Feststellung ermöglichen könnten, seien aber nicht geltend gemacht. Der Schadensersatzanspruch könne auch nicht auf einen Rechtsmangel gestützt werden. Da die weitere Option einen behebbaren Mangel darstelle, habe eine Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung gegenüber dem Beklagten erfolgen müssen. Daß diese entbehrlich gewesen sei, weil die Mieterin ohnehin zu keinem Verzicht auf die Option bereit gewesen wäre, habe nicht festgestellt werden können.
Diese Ausführungen halten im entscheidenden Punkt einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand.

II.


1. Zutreffend hat das Berufungsgericht einen Schadensersatzanspruch aus §§ 440 Abs. 1, 326 BGB verneint.
Die weitere Verlängerungsoption zugunsten der H. H. KG als Mieterin, von der die Kläger nach den ihnen zugänglich gemachten Vertragsunterlagen nicht ausgehen konnten, stellt einen Rechtsmangel dar. Die Verpflichtung des Verkäufers aus § 434 BGB, den Kaufgegenstand frei von Rechten Dritter zu verschaffen, erstreckt sich bei einem Grundstückskauf auch auf ein bestehendes Mietverhältnis (Senat, Urt. v. 25. Oktober 1991, V ZR 225/90, NJW-RR 1992, 201, 202; Urt. v. 8. November 1991, V ZR 139/90, NJW 1992, 905; Urt. v. 24. Oktober 1997, V ZR 187/96, NJW 1998, 534). Da die Option auf Verlängerung eines Mietverhältnisses grundsätzlich als behebbarer Rechtsmangel anzusehen ist (vgl. Senat, Urt. v. 2. Oktober 1987, V ZR 105/86, NJW-RR 1988, 79; Urt. v. 24. Oktober 1997, V ZR 187/96, NJW 1998, 534, 535), scheitert ein Schadensersatzanspruch aus §§ 440 Abs. 1, 326 BGB aber daran, daß die Kläger dem Beklagten weder eine Frist zur Beseitigung des Rechtsmangels verbunden mit einer Ablehnungsandrohung gesetzt haben, noch besondere Umstände gegeben sind, die diese Voraussetzung entbehrlich machen. Das Berufungsgericht hat eine offensichtliche Zwecklosigkeit der Fristsetzung nicht feststellen können. Dies ist frei von Rechtsfehlern und wird mit der Revision nicht angegriffen.
2. Mit Recht wendet sich die Revision aber gegen die Auffassung des Berufungsgerichts, auch die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs wegen Verschuldens bei Vertragsschluß seien nicht erfüllt.

a) Ein Schadensersatzanspruch wegen Verschuldens bei Vertragsschluß kann ausnahmsweise auf Ersatz des Erfüllungsinteresses gerichtet werden, wenn ohne das schädigende Verhalten mit einem Dritten oder auch demselben Vertragspartner ein Vertrag zu anderen, für den Geschädigten günstigeren Be-
dingungen zustande gekommen wäre (BGH, Urt. v. 24. Juni 1998, XII ZR 126/96, NJW 1998, 2900, 2901 m.w.N.). Einen solchen Anspruch haben die Kläger mit dem Vortrag verfolgt, bei Kenntnis des weiteren Optionsrechts wäre ein um 300.000 DM niedrigerer Kaufpreis vereinbart worden. Der Ersatz des Erfüllungsinteresses setzt allerdings - was das Berufungsgericht nicht verkannt hat - die Feststellung voraus, daß der Vertrag ohne das pflichtwidrige Verhalten zu anderen, für den Geschädigten günstigeren Bedingungen geschlossen worden wäre (BGH, Urt. v. 24. Juni 1998, aaO). Daß das Berufungsgericht diese Feststellung nicht hat treffen können, wird von der Revision hingenommen und läßt Rechtsfehler nicht erkennen. Nichts spricht dafür, daß sich der Beklagte auf einen um 300.000 DM geringeren Kaufpreis eingelassen hätte. Er hatte kein nachhaltiges Interesse an dem Grundstücksverkauf, war doch die Initiative zu diesem Geschäft nicht von ihm, sondern von dem Makler, den die Kläger beauftragt hatten, ausgegangen. Überdies erklärte der Beklagte, nachdem die Kläger ihn auf die weitere Option angesprochen hatten, sogleich seine Bereitschaft, den Kaufvertrag rückgängig zu machen. Es kann daher offen bleiben, ob ein solcher auf das Erfüllungsinteresse gerichteter Anspruch neben den Vorschriften der Rechtsmängelhaftung (§§ 440 Abs. 1, 326 Abs. 1 BGB) Anwendung finden kann.

b) Das Berufungsgericht hat es jedoch fehlerhaft unterlassen, das Klagebegehren unter dem Gesichtspunkt eines Anspruchs auf Ersatz des Vertrauensschadens zu prüfen. Ein solcher Anspruch ist nicht durch die Vorschriften der §§ 440 Abs. 1, 326 Abs. 1 BGB ausgeschlossen (vgl. BGHZ 65, 246, 253; Senat, Urt. v. 21. Dezember 1984, V ZR 206/83, NJW 1985, 2697, 2698; Urt. v. 17. Mai 1991, V ZR 92/90, NJW 1991, 2700; Urt. v. 11. Oktober 1991, V ZR 159/90, NJW-RR 1992, 91, 92; Urt. v. 17. Juni 1994, V ZR 204/92, NJW
1994, 2947, 2949; Urt. v. 19. November 1999, V ZR 321/98, NJW 2000, 803, 804).
aa) Auch wenn das wegen Verschuldens bei Vertragsschluß zu ersetzende Vertrauensinteresse in bestimmten Fällen wirtschaftlich dem Erfüllungsinteresse entsprechen kann, liegen der Haftung aus culpa in contrahendo und der Schadensersatzpflicht wegen Nichterfüllung nach §§ 440 Abs. 1, 326 Abs. 1 BGB die Verletzung unterschiedlicher Rechtspflichten zugrunde (BGH, Urt. v. 6. Juni 2000, XI ZR 235/99, WM 2000, 1840, 1841; vgl. auch BGHZ 142, 51, 62, 64). Der Schadensersatzanspruch wegen Verschuldens bei Vertragsschluß folgt aus dem gesetzlichen Schuldverhältnis, das mit der Aufnahme von Vertragsverhandlungen begründet wird, vom tatsächlichen Zustandekommen eines Vertrages und seiner Wirksamkeit weitgehend unabhängig ist und zur verkehrsüblichen Sorgfalt sowie zu loyalem und redlichem Verhalten gegenüber dem Geschäftsgegner verpflichtet (Senat, BGHZ 6, 30, 333; BGHZ 49, 77, 82; 66, 51, 54; BGH, Urt. v. 6. Juni 2000, aaO, 1840 f). Deshalb richtet sich der Anspruch nicht auf ordnungsgemäße Vertragserfüllung, sondern auf den Ausgleich der Nachteile, die durch die Verletzung des bei der Vertragsanbahnung in den Vertragspartner gesetzten Vertrauens entstanden sind (BGHZ 49, 77, 82; 57, 191, 197; BGH, Urt. v. 2. März 1988, VIII ZR 380/86, NJW 1988, 2234, 2236; Urt. v. 6. Juni 2000, aaO, 1841). Der Schadensersatzanspruch aus culpa in contrahendo ist nicht durch das Erfüllungsinteresse begrenzt, sondern kann dieses auch übersteigen (BGHZ 49, 77, 82; 57, 191, 193; 69, 53, 56). Dagegen knüpft der Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung nach §§ 440 Abs. 1, 325 ff BGB an die Verletzung von vertraglichen Hauptpflichten an, die erst durch den Vertragsschluß festgelegt werden (vgl. zu § 326 BGB: Senat, Urt. v. 28. November 1956, V ZR 77/55, NJW 1957, 217; BGH, Urt. v.
1. Oktober 1986, VIII ZR 132/85, NJW 1987, 251, 253). Der Geschädigte ist so zu stellen, wie er bei ordnungsgemäßer Erfüllung gestanden hätte (vgl. BGHZ 99, 182, 197; Senat, Urt. v. 19. September 1980, V ZR 51/78, NJW 1981, 45, 46 f; Urt. v. 21. Januar 2000, V ZR 387/98, NJW 2000, 1256).
bb) Erfüllt - wie hier - ein Lebenssachverhalt die Tatbestandsmerkmale mehrerer Anspruchsgrundlagen, ohne daß einer der Haftungstatbestände nach seinem Sinn und Zweck oder einer ausdrücklichen Regelung den Vorrang beanspruchen kann, so ist ein Fall der Anspruchskonkurrenz gegeben, bei dem sämtliche Rechtsfolgen gleichrangig nebeneinander stehen (vgl. GSZ, BGHZ 13, 88, 95; auch BGHZ 17, 214, 217; 66, 315, 319; 100, 190, 201). Bei einem Zusammentreffen in der geschilderten Weise kommt einem Schadensersatzanspruch aus §§ 440 Abs. 1, 326 Abs.1 BGB gegenüber einem solchen aus culpa in contrahendo kein Vorrang zu. Im Unterschied zu den Regelungen für Sachmängel in den §§ 459 ff BGB (vgl. hierzu Senat, BGHZ 60, 319, 321 ff) handelt es sich bei den Bestimmungen über die Rechtsmängelgewährleistung im Kaufrecht nicht um abschließende Sonderregelungen (vgl. Senat, Urt. v. 21. Dezember 1984, aaO). Für Rechtsmängel verweist § 440 Abs. 1 BGB lediglich pauschal auf die §§ 320 bis 327 BGB; es fehlt nicht nur an Regelungen mit einer den §§ 459 ff BGB vergleichbaren systematischen Geschlossenheit (BGHZ 110, 196, 203), sondern auch an einer § 477 BGB entsprechenden besonderen Verjährungsbestimmung. Überdies kennt die Rechtsmängelhaftung keine dem § 463 Satz 2 BGB (vgl. hierzu Senat BGHZ 60, 319, 321) vergleichbare , einschränkende Sonderregelung des Verschuldens bei Vertragsschluß. § 444 BGB, der den Verkäufer zur Aufklärung über die rechtlichen Verhältnisse der Kaufsache verpflichtet, erfaßt nur die vertraglichen, nicht aber
auch die vorvertraglichen Hinweispflichten (vgl. RGZ 52, 167, 168; Soergel /Huber, BGB, 12. Aufl., § 444 Rdn. 3).
cc) Daß sie dem Beklagten keine Gelegenheit zur Beseitigung des Rechtsmangels gaben, begründet keinen Verstoß der Kläger gegen die ihnen obliegende Schadensminderungspflicht (§ 254 Abs. 2 BGB). Es bestehen keine Anhaltspunkte für die Annahme, die Kläger hätten mit der Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs wegen Verschuldens bei Vertragsschluß anstelle des Erfüllungsanspruchs aus § 434 BGB gegen das Gebot des eigenen Interesses verstoßen. Überdies läßt sich dem Vortrag des Beklagten nicht hinreichend entnehmen, daß es ihm durch Leistungen, deren Wert hinter den von den Klägern geforderten 300.000 DM zurückbleibt, gelungen wäre, die Mieterin zum Verzicht auf die verlängerte Mietoption zu bewegen.

c) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist mit dem Urteil des XII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofes vom 24. Juni 1998 (aaO) keine Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung zum Ersatz des Vertrauensinteresses durch Anpassung eines Vertrages nach den Grundsätzen der culpa in contrahendo verbunden. Die Entscheidung bestätigt diese vielmehr mit dem Hinweis, die Vorinstanz habe in Übereinstimmung mit der - durch Zitate belegten - ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes einen Anspruch auf Vertragsanpassung unter den gegebenen Umständen in revisionsrechtlich nicht angreifbarer Weise verneint. Auch in der Literatur (vgl. Stoll, JZ 1999, 95 ff; Lorenz , NJW 1999, 1001 f) ist die Entscheidung nicht anders verstanden worden.

d) Nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des Berufungsgerichts hat der Beklagte die Kläger unzutreffend über die mögliche Dauer des mit der
H. H. KG geschlossenen Mietverhältnisses unterrichtet. Mit der Vereinbarung vom 13. Mai/1. Juli 1993 hatten der Beklagte und die Mieterin den bestehenden Mietvertrag um ein Gestaltungsrecht ergänzt, das es der Mieterin erlaubte, bis zum 31. Dezember 1998 durch eine entsprechende Erklärung das Mietverhältnis um weitere fünf Jahre zu verlängern. Diese Vertragsverlängerung ist durch die beiderseitig unterschriebene Urkunde nach § 566 BGB formwirksam vereinbart, weil auf die ursprüngliche Vertragsurkunde Bezug genommen und der im übrigen unveränderte Fortbestand des dort Vereinbarten zum Ausdruck gebracht wird (vgl. BGH, Urt. v. 26. Februar 1992, XII ZR 129/90, NJW 1992, 2283, 2284).
Durch das zumindest fahrlässige Verschweigen der zweiten Verlängerungsoption verletzte der Beklagte schuldhaft seine vorvertraglichen Pflichten. Macht nämlich der Verkäufer oder eine Person, deren er sich zur Erfüllung seiner vorvertraglichen Pflichten bedient, Angaben, die für den Kaufentschluß des anderen Teils von Bedeutung sein können, so müssen diese Angaben richtig sein (BGHZ 74, 103, 110; Senat, Urt. v. 20. November 1987, V ZR 66/86, NJWRR 1988, 458, 459; Urt. v. 26. September 1997, V ZR 29/96, NJW 1998, 302). Dies gilt bei der Unterrichtung über das bestehende Mietverhältnis selbst dann, wenn der Beklagte von der beabsichtigten Umgestaltung des Anwesens durch Errichtung eines Boardinghouses nichts wußte. Bereits im Hinblick auf § 571 Abs. 1 BGB ist die Dauer eines Mietverhältnisses wegen der damit eingeschränkten Verfügungsmöglichkeit des Erwerbers grundsätzlich für dessen Kaufentschluß von Bedeutung.

e) Der Anspruch aus culpa in contrahendo ist regelmäßig auf Ersatz des negativen Interesses gerichtet (BGHZ 114, 87, 94; 142, 51, 62; BGH, Urt. v.
6. Juni 2000, aaO). Danach sind die Kläger so zu stellen, wie sie bei Offenbarung der für ihren Kaufentschluß maßgeblichen Umstände stünden (vgl. Senat, Urt. v. 8. Oktober 1993, V ZR 146/92, NJW-RR 1994, 76, 77). Wenn der Geschädigte , wie hier die Kläger, an dem Vertrag festhalten will, obwohl dieser infolge der Pflichtverletzung zu für ihn ungünstigen Bedingungen zustande gekommen ist, so ist er so zu behandeln, als wäre es ihm bei Kenntnis der wahren Sachlage gelungen, den Kaufvertrag zu einem günstigeren Preis abzuschließen (BGHZ 69, 53, 58; BGH, Urt. v. 11. Februar 1999, IX ZR 352/97, NJW 1999, 2032, 2034). Schaden ist danach der Betrag, um den die Kläger im Streitfall wegen der fehlenden Mitteilung über das weitere Optionsrecht der Mieterin das Grundstück zu teuer erworben haben (vgl. BGHZ 114, 87, 94; Senat , Urt. v. 10. Juli 1987, V ZR 236/85, NJW-RR 1988, 10, 11; Urt. v. 8. Oktober 1993, aaO; BGH, Urt. v. 1. April 1981, VIII ZR 51/80, NJW 1981, 2050, 2051; Urt. v. 27. September 1988, XI ZR 4/88, NJW-RR 1989, 150, 151; Urt. v. 14. Januar 1993, IX ZR 206/91, NJW 1993, 1323, 1325). Dies erfordert - im Unterschied zur Geltendmachung des Erfüllungsinteresses (vgl. BGH, Urt. v. 24. Juni 1998, aaO) - nicht den Nachweis, daß sich der Vertragsgegner auf einen Vertragsschluß zu einem niedrigeren Preis eingelassen hätte (vgl. BGHZ 69, 53, 58; 114, 87, 94; BGH, Urt. v. 27. September 1988, aaO; Senat, Urt. v. 26. Januar 1996, V ZR 42/94, NJW-RR 1996, 690). Entscheidend ist allein, wie sich der Getäuschte bei Kenntnis der ihm verheimlichten Umstände verhalten hätte; verbleibende Unklarheiten gehen zu Lasten des aufklärungspflichtigen Verkäufers (vgl. BGHZ 114, 87, 94).
3. Den Betrag, um den sie das Grundstück vom Beklagten zu teuer erwarben , haben die Kläger allerdings bislang nicht dargetan. Sie haben ihren Schaden vielmehr mit den Mieteinnahmen begründet, die ihnen in Höhe von
319.000 DM der Zeit von Januar 1994 bis Dezember 1999 oder - in zweiter Linie - in Höhe von 307.501,49 DM in der Zeit von Januar 2000 bis Dezember 2004 wegen des Nachgebens gegenüber der H. H. KG in der Vereinbarung vom 22./25. Januar 1995 entgangen sein sollen. Diese Aufwendungen sind jedoch nicht zu ersetzen; denn sie unterfallen nicht dem Schutzzweck des Schadensersatzanspruchs wegen Verschuldens bei Vertragsschluß. Dessen Grundlage ist enttäuschtes Vertrauen (vgl. Senat, Urt. v. 12. Dezember 1980, V ZR 168/78, NJW 1981, 1035, 1036). Die von den Klägern mit der Mieterin getroffene Vereinbarung beruht jedoch nicht darauf, daß die Kläger weiterhin darauf vertrauten, zutreffend über die Dauer des Mietverhältnisses unterrichtet worden zu sein. Grund war vielmehr der Entschluß der Kläger, trotz der als falsch erkannten Auskunft am Vertrag festzuhalten und das beabsichtigte Boardinghouse auch unter den gegebenen Bedingungen zu errichten. Dem Verschulden des Beklagten zurechenbare Folge des Vertrauens der Kläger war nur der Abschluß des Kaufvertrages, nicht aber die Nachteile, die sich erst aus der Entscheidung der Kläger ergaben, trotz der erkannten längeren Dauer des Mietverhältnisses keine Rückabwicklung des Vertrages zu fordern (vgl. Senat, Urt. v. 12. Dezember 1980, aaO; auch BGH, Urt. v. 2. Juni 1980, VIII ZR 64/79, NJW 1980, 2408, 2410).
Die Kläger können die ihnen angeblich entgangenen Mieteinnahmen auch nicht mit der Begründung als Vertrauensschaden ersetzt verlangen, sie hätten davon ausgehen dürfen, über die Zahlung des vereinbarten Kaufpreises hinaus keine weiteren Investitionen tätigen zu müssen. Zwar kann das Vertrauen des Getäuschten, daß sein Gesamtaufwand für die vorgesehene Verwendung der Kaufsache den Kaufpreis nicht übersteigen werde (vgl. BGHZ 111, 75, 82), geschützt sein. Im vorliegenden Fall bestand für eine solche Annahme
der Kläger indes keine dem Beklagten zurechenbare Grundlage. So behaupten die Kläger selbst nicht, den Beklagten über die von ihnen beabsichtigte Nutzung des Grundstücks informiert zu haben. Der Beklagte wußte aus dem Schreiben des von den Klägern beauftragten Maklers vom 13. Juli 1992 lediglich , daß "ein Investor" an dem Erwerb interessiert war. Waren aber die Pläne der Kläger weder Basis noch Gegenstand der Vertragsverhandlungen, so konnten die Kläger aufgrund des Verhaltens des Beklagten nicht darauf vertrauen , mit dem Kaufpreis sei auch die von ihnen beabsichtigte Ä nderung der Nutzung des Anwesens erkauft.
Selbst wenn sich die Kläger die Ausführungen des Sachverständigen aus dem im ersten Rechtszug eingeholten schriftlichen Gutachten zu eigen gemacht hätten, wäre auch dies kein für die Ermittlung des Vertrauensschadens erheblicher Vortrag. Der Sachverständige hat mit dem "Nachteil ... aus der nicht realisierten Investition" nichts anderes als den Gewinn ermittelt, der den Klägern bei einer verspäteten Fertigstellung des Bauvorhabens entgangen wäre. Dieser ist aber für die Berechnung der - nicht durch eine Verzögerung verursachten - Vermögensnachteile, die die Kläger hier als Schadensersatz geltend machen können, ohne Belang.
4. Damit festgestellt werden kann, ob und ggf. in welchem Umfang den Klägern ein Schaden dadurch entstanden ist, daß sie wegen der unzutreffenden Information über die Dauer des Mietverhältnisses das Grundstück zu teuer erworben haben, werden sie - bezogen auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses - vortragen und unter Beweis stellen müssen, welcher Minderwert des Grundstücks sich gegenüber einem Ende 1999 auslaufenden Mietverhältnis mit
der H. H. KG durch die Verlängerungsoption bis Ende 2004 ergibt (vgl. Senat, Urt. v. 10. Juli 1987, aaO; BGH, Urt. v. 27. September 1988 aaO).
Das bisherige Vorbringen der Kläger reicht nicht aus, um den für die Anpassung des Kaufpreises maßgeblichen Minderwert ermitteln zu können. Zwar haben die Kläger im ersten Rechtszug behauptet, durch ein Mietverhältnis von längerer Dauer sei der Verkehrswert eines zu Ausbau- oder Neubauzwecken erworbenen Grundstücks um 10 % gemindert. Die Parteien haben indes die Nutzung des Grundstücks für die Errichtung eines Boardinghouses oder auch nur für eine bauliche Umgestaltung nicht zum Vertragszweck gemacht. Es kann daher nur maßgeblich sein, welche Bedeutung der Geschäftsverkehr gewöhnlich einer Verlängerungsoption, wie sie hier vereinbart wurde, für die Wertermittlung beilegt. Den Absichten einzelner Interessenten, auf die der vom Landgericht beauftragte Sachverständige bei der Erläuterung seines Gutachtens abgestellt hat, kommt unter den hier gegebenen Umständen keine entscheidende Bedeutung zu.

III.


Das Berufungsurteil kann danach mit der gegebenen Begründung keinen Bestand haben; es ist aufzuheben. Da Entscheidungsreife fehlt, muß die Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht erfolgen.
Das Berufungsgericht hat sich dadurch, daß es nur einen auf das Erfüllungsinteresse gerichteten Schadensersatzanspruch in Betracht gezogen hat, den Blick auf die Möglichkeit des Ersatzes des Vertrauensschadens ver-
stellt. Bei zutreffender rechtlicher Sicht hätte es - zumal der Beweisbeschluß des Landgerichts vom 12. Februar 1997 eine unerhebliche Behauptung zum Gegenstand hatte - Anlaß gehabt, die Kläger nach § 139 ZPO im Hinblick auf den ihnen etwa entstandenen Schaden zu einem ergänzenden Vortrag anzuhalten. Dies ist ihm durch die Zurückverweisung der Sache (§ 565 ZPO) wieder zu ermöglichen (vgl. Senat, BGHZ 129, 112, 122; Urt. v. 2. Dezember 1994, V ZR 193/93, NJW 1995, 587, 589).
Die Kläger erhalten auf diese Weise auch Gelegenheit, ihren Klageantrag zu überdenken. Da es keinen Anhaltspunkt dafür gibt, daß auch der geltend gemachte Schadensersatzanspruch zum Gesellschaftsvermögen zählen soll, ist von Mitgläubigerschaft auszugehen (vgl. BGH, Urt. v. 12. Oktober 1995, I ZR 172/93, NJW 1996, 1407, 1409). Die Kläger können daher nach § 432 Abs. 1 Satz 1 BGB nur Leistung an alle Gläubiger verlangen. Zu diesen dürfte
aber auch die R. straße 1 - Grundstücksverwaltungsgesellschaft mit beschränkter Haftung zählen, die ebenfalls als Gesamtschuldnerin hinsichtlich des Kaufpreises an dem Kaufvertrag mit dem Beklagten beteiligt war.
Wenzel Lambert-Lang Tropf Lemke Gaier

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,

1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.