Verwaltungsgericht München Urteil, 07. Feb. 2019 - M 2 K 17.49621

bei uns veröffentlicht am07.02.2019

Gericht

Verwaltungsgericht München

Tenor

I. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 14. November 2018 wird in den Nummern 2 bis 4 aufgehoben.

II. Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AsylG hinsichtlich Ungarn vorliegen.

III. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerinnen vorher Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Tatbestand

Die Klägerin zu 1) ist afghanische Staatsangehörige, die Klägerin zu 2) ihre minderjährige Tochter.

Den Klägerinnen wurde in Ungarn am 11. September 2017 subsidiärer Schutz zuerkannt. Die Klägerinnen sind in der Folge im Oktober 2017 in das Bundesgebiet eingereist und haben am 6. Oktober 2017 Asylantrag gestellt.

Mit Bescheid vom 14. November 2018 hat das Bundesamt den Antrag der Klägerinnen als unzulässig abgelehnt (Ziff. 1) und festgestellt, dass Abschiebungsverbote nicht vorliegen. (Ziff. 2). Das Bundesamt hat die Klägerinnen aufgefordert, das Bundesgebiet innerhalb von 30 Tagen zu verlassen und ihnen für den Fall des Nichteinhaltens dieser Frist die Abschiebung nach Ungarn oder einen anderen aufnahmebereiten oder -verpflichteten Staat mit Ausnahme von Afghanistan angedroht (Ziff. 3). Die Wiedereinreisesperre wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziff. 4).

Auf die Begründung des Bescheids wird Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG).

Die Klägerinnen haben am 27. November 2017 Klage erheben lassen und beantragen zuletzt sinngemäß,

den Bescheid in den Ziffern 2) bis 4) aufzuheben und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Ungarn festzustellen,

Die Kammer hat die Sache mit Beschluss vom 19. Dezember 2018 auf den Einzelrichter übertragen.

Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichtssowie die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.

Gründe

Die Klägerinnen haben Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Ungarn. Der Klägerin zu 1) und ihrer minderjährigen Tochter droht aufgrund der dortigen Aufnahmebedingungen für anerkannte Flüchtlinge mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 3 EMRK.

1. In der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist anerkannt, dass die Rückführung eines Flüchtlings in einen anderen Konventionsstaat eine Verletzung des Art. 3 EMRK auch durch den rückführenden Staat darstellen kann, wenn den Behörden bekannt ist oder bekannt sein muss, dass dort gegen Art. 3 EMRK verstoßende Bedingungen herrschen. Solche Bedingungen können dann anzunehmen sein, wenn ein Flüchtling völlig auf sich allein gestellt ist und er über einen langen Zeitraum gezwungen sein wird, auf der Straße zu leben, ohne Zugang zu sanitären Einrichtungen oder Nahrungsmitteln (vgl. hierzu insgesamt EGMR, U.v. 21.1.2011 - 30696/09 - M.S.S./Belgien und Griechenland - juris Rn. 263 f. und 365 ff.).

Allerdings verpflichtet diese Norm nicht, jede Person innerhalb des eigenen Zuständigkeitsbereichs mit einem Obdach zu versorgen oder sie finanziell zu unterstützen, um ihr einen gewissen Lebensstandard zu ermöglichen (vgl. EGMR, B.v 2.4.2013 - 27725.10, Mohammed Hussein/Italien und Niederlande - ZAR 2013, 336 f.; U.v. 21.1.2011 - 30696.09, M.S.S./Belgien und Griechenland - juris Rn. 249 m.w.N.). Auch gewährt sie von einer Überstellung betroffenen Ausländern grundsätzlich keinen Anspruch auf Verbleib in einem Mitgliedstaat, um dort weiterhin von medizinischer, sozialer oder anderweitiger Unterstützung oder Leistung zu profitieren. Allein die Tatsache, dass die wirtschaftlichen und sozialen Lebensverhältnisse bei einer Überstellung bedeutend geschmälert würden, begründet grundsätzlich keinen Verstoß gegen die Vorschrift (vgl. EGMR, B.v. 2.4.2013 - 27725.10, Mohammed Hussein/Italien und Niederlande - ZAR 2013, 336/337). Die Verantwortlichkeit eines Staates ist jedoch dann begründet, wenn der Betroffene vollständig von staatlicher Unterstützung abhängig ist und - trotz ausdrücklich im nationalen Recht verankerter Rechte - behördlicher Gleichgültigkeit gegenübersteht, obwohl er sich in so ernsthafter Armut und Bedürftigkeit befindet, dass dies mit der Menschenwürde unvereinbar ist (vgl. EGMR, U.v. 21.1.2011 - 30696/09, M.S.S./Belgien und Griechenland - juris Rn. 250; siehe auch EuGH, U.v. 21.12.2011 - C-411/10 u.a. - juris Rn. 88 ff.). Bei der Prüfung einer Überstellung kommt es nicht nur auf die generellen Verhältnisse im Zielstaat an, sondern auch auf die individuellen Umstände des konkret Betroffenen. Wenn etwa mit Blick auf bestimmte Erkrankungen ernstliche Zweifel über die Folgen einer Abschiebung bestehen, müssen individuelle und ausreichende Zusicherungen des Zielstaates eingeholt werden (vgl. auch OVG NW, B.v. 8.12.2017 - 11 A 585/17.A - juris Rn. 15). Jedenfalls ist es erforderlich, dass die dort gewährleisteten Rechte praktisch sowie effektiv und nicht nur theoretisch und illusorisch zur Verfügung stehen (vgl. hierzu: EGMR, U.v. 13.12.2016 - 41738/10, Paposhvili/Belgien -juris Rn. 182, 187, 191 m.w.N.).

Im Einklang hiermit sieht das Bundesverfassungsgericht bisher bei belastbaren Anhaltspunkten für Kapazitätsengpässe bei der Unterbringung ebenfalls keine Verletzung von Art. 3 EMRK. Vielmehr wird bei drohender Obdachlosigkeit im Zielstaat der Abschiebung in besonderen Einzelfällen - etwa bei Familien mit Kleinstkindern - lediglich ein inländisches Abschiebungshindernis wegen Reiseunfähigkeit im weiteren Sinne angenommen (vgl. BVerfG, B.v. 17.9.2014 - 2 BvR 1795/14 - juris Rn. 11, 13 f.; siehe auch EGMR, U.v. 4.11.2014 - 29217/12, Tarakhel/Switzerland - juris Rn. 116 ff.: Garantieerklärung für Unterbringung zusammen als Familie und in einer dem Alter der Kinder entsprechenden Weise).

2. Gemessen an diesem Maßstab besteht für anerkannte Schutzberechtigte, jedenfalls für solche, die wie die Klägerin zu 1) mit ihrer minderjährigen Tochter im Alter von sieben Jahren als besonders schutzbedürftig einzuschätzen sind, in Ungarn die Gefahr einer Verletzung ihrer Rechte aus Art. 3 EMRK (vgl. auch OVG Saarl, B.v. 12.3.2018 - 2 A 69/18 - juris Rn. 14 ff.). Die Befriedigung ihrer elementaren Bedürfnisse (Wohnraum, Nahrungsmittel und Zugang zu sanitären Einrichtungen) wäre allenfalls für eine kurzfristige Übergangszeit gewährleistet. Den anerkannten Schutzberechtigten droht im Anschluss daran akute Obdachlosigkeit und Verelendung, zumal Rückkehrer in der Regel keinen Zugang mehr zur kostenfreien Krankenversicherung finden. Die Klägerin zu 1) hat mit ihrer noch viele Jahre minderjährigen Tochter keine reelle Chance, sich in Ungarn ein Existenzminimum aufzubauen. Es ist vor diesem Hintergrund bis auf weiteres ausgeschlossen, dass die Klägerin zu 1) überhaupt einen Beitrag zur wirtschaftlichen Existenzsicherung wird leisten können.

Dies ergibt die Auswertung der hinreichend verlässlichen und auch ihrem Umfang nach zureichenden Erkenntnislage, die sich grundsätzlich von den im streitgegenständlichen Bescheid zugrunde gelegten tatsächlichen Verhältnissen unterscheidet. Die Möglichkeit zum Abschluss eines Integrationsvertrages wurde ersatzlos abgeschafft; damit entfallen sowohl die mit ihm verbundenen finanziellen Hilfen als auch die individuelle Begleitung des Integrationsprozesses für die Dauer von zwei Jahren. Infolge von Gesetzesänderungen im April und Juni 2016 haben sich dadurch die Bedingungen für diejenigen anerkannten Schutzberechtigten, die - wie die Klägerinnen - nach dem 1. April 2016 ihren Status erhalten haben, signifikant verschlechtert. Für sie gibt es keinerlei staatliche Integrationsleistungen mehr. Wie sich aus dem Internetauftritt des Amts für Einwanderung und Asyl der Republik Ungarn unter der Rubrik „Häufige Fragen - Als Flüchtlinge in Ungarn“ ergibt (www.bmbah.hu), müssen anerkannte Schutzberechtigte nunmehr binnen 30 - statt zuvor 60 - Tagen nach der Statusentscheidung die Aufnahmezentren verlassen. Der beitragsfreie Zugang zur Krankenversicherung wird nur noch für einen Zeitraum von sechs Monaten (zuvor: 12 Monate) ab Zuerkennung des Status gewährt (siehe auch: Aida, Country Report: Hungary, Februar 2017, S. 94). Die Migrationsbehörde kann sogar rückwirkend Geld von ihnen zurückfordern (vgl. Ecre, Asylum in Hungary: Damaged beyond rep…, März 2017, S. 6; Aida, Country Report: Hungary, Februar 2017, S. 85 ff.). Anerkannte Schutzberechtigte erhalten damit keine Unterstützung mehr bei der Wohnungssuche, finanzielle Hilfen, Sprachkurse oder sonstige staatliche Integrationshilfen. Der Zugang zum Arbeitsmarkt steht anerkannten Schutzberechtigten zwar weiterhin offen, allerdings sind bestimmte Berufsfelder ungarischen Staatsbürgern beziehungsweise Ausländern mit langem Aufenthalt vorbehalten (Aida, Country Report: Hungary, Februar 2017, S. 93 f.).

Zudem ist nach dem Rückzug des ungarischen Staates aus dem Integrationsprogramm ungewiss, ob anerkannte Schutzberechtigte in anderer Weise Unterstützung bei ihrer Integration und der Einforderung ihnen zustehender Rechte erhalten können. Im Lichte des Art. 3 EMRK kommt es hierauf jedoch an. Die spezifischen Hilfsbedürfnisse international Schutzberechtigter verlangen, dass ihnen zumindest in einer ersten Übergangsphase ein Mindestmaß an Fürsorge und Unterstützung bei der Integration zukommt. Die - möglicherweise garantierte - Inländergleichbehandlung muss auch faktisch und nicht nur formalrechtlich gewährleistet sein (vgl. BVerfG, B.v. 8.5.2017 - 2 BvR 157/17 - juris Rn. 21 unter Verweis auf HessVGH, U.v. 4.11.2016 - 3 A 1322/16.A - juris Rn. 25). Anerkannte Schutzberechtigte können nicht ohne weiteres die Rechtspositionen, die die Rechtsordnung des Zielstaates formal gewährt, effektiv einfordern. Sie müssen erst in eine der einheimischen Bevölkerung vergleichbare tatsächliche Position einrücken, die ihnen die Teilhabe an den gewährten Rechten ermöglicht (vgl. VGH BW, B.v. 15.3.2017 - A 11 S 2151/16 - juris Rn. 25).

Nichtregierungsorganisationen wie das Ungarische Rote Kreuz oder das Ungarische Helsinki Komitee sind offenbar vor allem damit befasst, Asylantragstellern im ungarischen Asylsystem beizustehen. Zu ihrer Arbeit mit anerkannten Schutzberechtigten gibt es nur wenige Erkenntnisse (vgl. hierzu VG Berlin, B.v. 17.7.2017 - 23 l 507.17 A - juris Rn. 15 m.w.N.). So heißt es zwar im Bericht des Ungarischen Helsinki Komitees von März 2017, Nichtregierungsorganisationen und kirchliche Einrichtungen leisteten Integrationsarbeit und seien bei der Suche nach einer Unterkunft und einer Arbeitsmöglichkeit behilflich, ebenso bei der Familienzusammenführung oder dem Erlernen der ungarischen Sprache (siehe HHC, Under Destruction, S. 3). Migrant Solidarity Group of Hungary, Migszol, versteht sich primär als politische Plattform, bewirbt eigene Sprachkurse und betont, sonst keine humanitäre Hilfe zu leisten (siehe: http://www.migszol.com/what-we-do.html: “We do not do humanitarian work [there are many great voluntary organizations who do], but political activism”). Soweit ersichtlich ist im Bereich der Integration vor allem die Hungarian Association for Migrants, Menedék, tätig (vgl. http://menedek.hu/en/about-us). In einzelnen Projekten, die teilweise vom Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds der Europäischen Union unterstützt werden, leistet Menedék in mehreren Städten Ungarns Integrationsarbeit beispielsweise durch soziale und rechtliche Beratungen oder Hilfe bei der Suche nach einer Beschäftigung. Außerdem werden Kindergarten- und Schulplätze vermittelt (zu den aktuellen Projekten im Einzelnen siehe: http://menedek.hu/en/projects). Insofern scheinen damit vereinzelte Angebote in einigen Städten Ungarns verfügbar zu sein, wobei einige Unterstützungsleistungen offensichtlich nur zeitlich befristet angeboten werden konnten (siehe: http://menedek.hu/en/projects/closed).

Selbst kirchliche Organisationen folgen inzwischen mehrheitlich der staatlichen Flüchtlingspolitik oder schweigen zumindest (siehe etwa Bericht in Spiegel Online, Warum Orbán alle Asylbewerber inhaftieren will, v. 14.1.2017, http://www.spiegel.de/politik/ausland/fluechtlinge-in-ungarn-viktor-orbans-offensive-a-1129919.html). Anhaltspunkte dafür, dass sie gegenwärtig über Einzelfälle hinaus aktiv in die Integration anerkannter Schutzberechtigter eingebunden sind, sind nicht ersichtlich. Zuletzt soll die Regierung Orbán die Einführung einer Strafsteuer für Flüchtlingshelfer erwogen haben. Neben stärkerer Kontrolle drohe den Mitarbeitern von Flüchtlingsorganisationen zudem die Ausweisung (http://www.zeit.de /politik/ausland/2018-01/viktor-orban-ungarn-fluechtlinge-helfer-strafsteuer, vom 18.2.2018; https://www.welt.de/politik/ausland/article173576156/Ungarns-Regierung-will-Taetigkeit-von-Fluechtlings-helfern-unterbinden.html, vom 14.2.2018; https://www.tagesschau.de/ausland/ungarn-fluechtlinge-179.html, vom 17.1.2018). NGO’s bedürfen nach der geplanten Gesetzesänderung fortan einer Genehmigung durch das Innenministerium, andernfalls drohe ihnen die Schließung.

Unter diesen Umständen wird inzwischen abgeraten, sowohl Dublin-Überstellungen als auch Rückführungen anerkannter Schutzberechtigter nach Ungarn vorzunehmen (vgl. Ecre, Asylum in Hungary: Damaged beyond rep…, März 2017, S. 7). Hinsichtlich des ungarischen Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen wird ohnehin jedenfalls bei Dublin-Rückkehrern von systemischen Mängeln ausgegangen (vgl. BayVGH, U.v. 23.3.2017 - 13a B 17.50003 - juris, Leitsatz; HessVGH, B.v. 24.8.2017 - 4 A 2986/16.A - juris, Leitsatz; OVG NW, B.v. 8.12.2017 - 11 A 585/17.A - juris). Zumindest bei besonders schutzbedürftigen Personen wie Familien mit mehreren (Klein) Kindern ist es unter den aktuellen Umständen als unzumutbar zu erachten, nach Ungarn zurückzukehren.

Nach alledem war die Beklagte deshalb unter insoweitiger Aufhebung des angegriffenen Bescheids zu verpflichten, festzustellen, dass bei den Klägern das Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Ungarn vorliegt.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Dass die Bevollmächtigte die vollständige Aufhebung des Bescheids beantragt hat, war sinngemäß dahingehend auszulegen, dass lediglich die Aufhebung der Ziffern 2. bis 4. beantragt wird. Dass der Asylantrag aufgrund der Anerkennung in Ungarn unzulässig ist, hat die Klägerseite zu keinem Zeitpunkt bestritten; der Sache nach ging es den Klägerinnen allein um die Feststellung von Abschiebungshindernissen. Gemessen daran, ist die Beklagte vollständig unterlegen.

4. Die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

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Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 167


(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs. (2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungskl

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 60 Verbot der Abschiebung


(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalit

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 77 Entscheidung des Gerichts


(1) In Streitigkeiten nach diesem Gesetz stellt das Gericht auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ab; ergeht die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Entscheidung gefä

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 60 Auflagen


(1) Ein Ausländer, der nicht oder nicht mehr verpflichtet ist, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, und dessen Lebensunterhalt nicht gesichert ist (§ 2 Absatz 3 des Aufenthaltsgesetzes), wird verpflichtet, an dem in der Verteilentscheidung nach §

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Gründe I. 1 Die Beschwerdeführer sind äthiopische Staatsangehörige

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(1) Ein Ausländer, der nicht oder nicht mehr verpflichtet ist, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, und dessen Lebensunterhalt nicht gesichert ist (§ 2 Absatz 3 des Aufenthaltsgesetzes), wird verpflichtet, an dem in der Verteilentscheidung nach § 50 Absatz 4 genannten Ort seinen gewöhnlichen Aufenthalt zu nehmen (Wohnsitzauflage). Findet eine länderübergreifende Verteilung gemäß § 51 statt, dann ergeht die Wohnsitzauflage im Hinblick auf den sich danach ergebenden Aufenthaltsort. Der Ausländer kann den in der Wohnsitzauflage genannten Ort ohne Erlaubnis vorübergehend verlassen.

(2) Ein Ausländer, der nicht oder nicht mehr verpflichtet ist, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, und dessen Lebensunterhalt nicht gesichert ist (§ 2 Absatz 3 des Aufenthaltsgesetzes), kann verpflichtet werden,

1.
in einer bestimmten Gemeinde, in einer bestimmten Wohnung oder Unterkunft zu wohnen,
2.
in eine bestimmte Gemeinde, Wohnung oder Unterkunft umzuziehen oder
3.
in dem Bezirk einer anderen Ausländerbehörde desselben Landes seinen gewöhnlichen Aufenthalt und Wohnung oder Unterkunft zu nehmen.
Eine Anhörung des Ausländers ist erforderlich in den Fällen des Satzes 1 Nummer 2, wenn er sich länger als sechs Monate in der Gemeinde, Wohnung oder Unterkunft aufgehalten hat. Die Anhörung gilt als erfolgt, wenn der Ausländer oder sein anwaltlicher Vertreter Gelegenheit hatte, sich innerhalb von zwei Wochen zu der vorgesehenen Unterbringung zu äußern. Eine Anhörung unterbleibt, wenn ihr ein zwingendes öffentliches Interesse entgegensteht.

(3) Zuständig für Maßnahmen nach Absatz 1 Satz 1 ist die nach § 50 zuständige Landesbehörde. Die Wohnsitzauflage soll mit der Zuweisungsentscheidung nach § 50 verbunden werden. Zuständig für Maßnahmen nach Absatz 1 Satz 2 ist die nach § 51 Absatz 2 Satz 2 zuständige Landesbehörde. Die Wohnsitzauflage soll mit der Verteilungsentscheidung nach § 51 Absatz 2 Satz 2 verbunden werden. Zuständig für Maßnahmen nach Absatz 2 ist die Ausländerbehörde, in deren Bezirk die Gemeinde oder die zu beziehende Wohnung oder Unterkunft liegt.

(1) In Streitigkeiten nach diesem Gesetz stellt das Gericht auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ab; ergeht die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Entscheidung gefällt wird. § 74 Absatz 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(2) Das Gericht kann außer in den Fällen des § 38 Absatz 1 und des § 73b Absatz 7 bei Klagen gegen Entscheidungen nach diesem Gesetz im schriftlichen Verfahren durch Urteil entscheiden, wenn der Ausländer anwaltlich vertreten ist. Auf Antrag eines Beteiligten muss mündlich verhandelt werden. Hierauf sind die Beteiligten von dem Gericht hinzuweisen.

(3) Das Gericht sieht von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe ab, soweit es den Feststellungen und der Begründung des angefochtenen Verwaltungsaktes folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt oder soweit die Beteiligten übereinstimmend darauf verzichten.

(4) Wird während des Verfahrens der streitgegenständliche Verwaltungsakt, mit dem ein Asylantrag als unzulässig abgelehnt wurde, durch eine Ablehnung als unbegründet oder offensichtlich unbegründet ersetzt, so wird der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens. Das Bundesamt übersendet dem Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist, eine Abschrift des neuen Verwaltungsakts. Nimmt der Kläger die Klage daraufhin unverzüglich zurück, trägt das Bundesamt die Kosten des Verfahrens. Unterliegt der Kläger ganz oder teilweise, entscheidet das Gericht nach billigem Ermessen.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Gründe

I.

1

Die Beschwerdeführer sind äthiopische Staatsangehörige; die Beschwerdeführerin zu 1. ist die Mutter des am 26. März 2011 geborenen Beschwerdeführers zu 2. Sie reisten im Januar 2014 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten einen Asylantrag; zuvor hatte die Beschwerdeführerin zu 1. bereits in Italien einen Asylantrag gestellt, aufgrund dessen sie dort subsidiären Schutz zuerkannt bekam. Sie wenden sich gegen einen am 9. Juli 2014 zugestellten Beschluss des Verwaltungsgerichts Kassel vom 8. Juli 2014, mit dem ihnen Eilrechtsschutz gegen die auf § 34a Abs. 1 Satz 1, § 26a AsylVfG gestützte Anordnung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) vom 16. Juni 2014 versagt wurde, sie in den sicheren Drittstaat Italien abzuschieben.

2

1. Das Verwaltungsgericht lehnte den Eilantrag der Beschwerdeführer mit der Begründung ab, dass kein Ausnahmefall nach dem Konzept der normativen Vergewisserung im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 94, 49 ff.) gegeben sei, insbesondere weil anhand der in der jüngeren Rechtsprechung des EGMR (vgl. EGMR , Urteil vom 21. Januar 2011, M.S.S. v. Belgien und Griechenland, Nr. 30696/09, NVwZ 2011, S. 413; Beschluss vom 2. April 2013, Mohammed Hussein u.a. v. Niederlande und Italien, Nr. 27725/10, ZAR 2013, S. 336) entwickelten Maßstäbe Mängel der Aufnahmesituation in Italien, die eine Aussetzung der Abschiebung in Anwendung von Art. 3 EMRK gebieten könnten, derzeit nach der Auskunftslage auch für die Gruppe der Inhaber eines Schutzstatus nicht erkennbar sei. Anders stelle sich die Lage nur bei alleinstehenden Elternteilen mit Kind dar, zu der die Beschwerdeführer aber deshalb nicht gehörten, weil auch der Lebensgefährte der Beschwerdeführerin zu 1. aufgrund eines Beschlusses in seinem Eilverfahren mittlerweile vollziehbar nach Italien ausreisepflichtig sei.

3

2. Die Beschwerdeführer rügen mit ihrer am 11. August 2014, einem Montag, erhobenen Verfassungsbeschwerde die Verletzung ihrer Rechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG.

4

Sie befürchten unter Bezugnahme insbesondere auf einen Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe zu den Aufnahmebedingungen in Italien vom Oktober 2013, bei einer Rückkehr nach Italien wie die große Mehrheit der Schutzbedürftigen obdachlos zu werden und keinen Zugang zu Gesundheitsvorsorge und Nahrungsmitteln zu erhalten. Schutzberechtigte seien einem sehr hohen Risiko der Verelendung ausgesetzt; ihre Situation sei wesentlich prekärer als die eines Asylsuchenden, der sich noch im Verfahren befinde. Verletzungen ihrer Grundrechte aus Art. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, welche die Beschwerdeführer in Folge einer Abschiebung nach Italien erlitten, müsse sich die Bundesrepublik Deutschland zurechnen lassen. In den geschilderten Zuständen in Italien liege eine Verletzung sowohl der Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG als auch eine Gefahr für ihr Leben und ihre körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG).

II.

5

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Ihr kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu, und die Annahme ist nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt. Die Verfassungsbeschwerde hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>); sie ist unzulässig (dazu 1.). Hiervon unabhängig besteht allerdings Anlass zu dem Hinweis, dass die mit der Rückführung befassten deutschen Behörden in dem vorliegenden Einzelfall geeignete Vorkehrungen zum Schutz des Beschwerdeführers zu 2. zu treffen haben (dazu 2.).

6

1. Die Beschwerdeführer zeigen schon die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung nicht auf (vgl. zu diesem Erfordernis nur BVerfGE 108, 370 <386 f.>). Sie setzen sich mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 94, 49 <95 ff.>) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (vgl. EGMR , Urteil vom 21. Januar 2011, M.S.S. v. Belgien und Griechenland, Nr. 30696/09, NVwZ 2011, S. 413; Beschluss vom 2. April 2013, Mohammed Hussein u.a. v. Niederlande und Italien, Nr. 27725/10, ZAR 2013, S. 336) nicht auseinander, die der angegriffenen Entscheidung zugrunde liegt.

7

Soweit die Beschwerdeführer eine Verletzung in ihren Rechten aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG aufgrund einer drohenden Obdachlosigkeit bei einer Abschiebung geltend machen, legen sie im Übrigen auch nicht hinreichend substantiiert dar, dass sie in Italien mit Obdachlosigkeit zu rechnen haben und dem Beschwerdeführer zu 2. als Folge der Abschiebung mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Gesundheitsgefahren drohen. Es bedarf daher keiner Klärung, ob dahingehende systemische Mängel des italienischen Aufnahmesystems bestehen und ob solche strukturelle Defizite in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union einen im Konzept der normativen Vergewisserung nicht aufgefangenen Sonderfall darstellen können (vgl. dazu nur Moll/Pohl, ZAR 2012, S. 102 <104 ff.>; zu den Darlegungslasten für die Begründung eines solchen Sonderfalles vgl. BVerfGE 94, 49 <100>). Hierbei wäre ohnehin zu berücksichtigen, dass etwaige mit der Überforderung des Asylsystems eines Mitgliedstaats der Europäischen Union verbundene transnationale Probleme vornehmlich auf der Ebene der Europäischen Union zu bewältigen sind (vgl. BVerfGE 128, 224 <226>).

8

2. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann es allerdings - unbeschadet der Prüfung, ob einer Zurückweisung oder Rückverbringung eines Ausländers in einen sicheren Drittstaat ausnahmsweise Hinderungsgründe entgegenstehen - in Einzelfällen geboten sein, dass die deutschen Behörden vor einer solchen mit den im Zielstaat zuständigen Behörden Kontakt aufnehmen, den Sachverhalt klären und gegebenenfalls zum Schutz des Ausländers Vorkehrungen treffen (vgl. BVerfGE 94, 49 <100>). Insbesondere besteht eine Verpflichtung der mit dem Vollzug einer Abschiebung betrauten Stelle, von Amts wegen aus dem Gesundheitszustand eines Ausländers folgende tatsächliche Abschiebungshindernisse in jedem Stadium der Durchführung der Abschiebung zu beachten; diese Stelle hat gegebenenfalls durch ein (vorübergehendes) Absehen von der Abschiebung (Duldung) oder durch entsprechende tatsächliche Gestaltung derselben die notwendigen Vorkehrungen zu treffen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 26. Februar 1998 - 2 BvR 185/98 -, InfAuslR 1998, S. 241 <242>).

9

a) Nach der - von Verfassungs wegen nicht zu beanstandenden - jüngeren Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte ist es im Rahmen des Verfahrens auf Erlass einer Abschiebungsanordnung gemäß § 34a Abs. 1 AsylVfG mit Blick auf den Wortlaut dieser Vorschrift Aufgabe allein des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge zu prüfen, ob "feststeht", dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Das Bundesamt hat damit sowohl zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse als auch der Abschiebung entgegenstehende inlandsbezogene Vollzugshindernisse zu prüfen, so dass daneben für eine eigene Entscheidungskompetenz der Ausländerbehörde zur Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG kein Raum verbleibt (vgl. OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 29. November 2004 - 2 M 299/04, juris; Hamburgisches OVG, Beschluss vom 3. Dezember 2010 - 4 Bs 223/10 -, juris; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 31. Mai 2011 - A 11 S 1523/11 -, InfAuslR 2011, S. 310, dort <311> auch m.w.N. zur a.A.; OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30. August 2011 - 18 B 1060/11 -, juris; Niedersächsisches OVG, Urteil vom 4. Juli 2012 - 2 LB 163/10 -, InfAuslR 2012, S. 383; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 1. Februar 2012 - OVG 2 S 6.12 -, juris; BayVGH, Beschluss vom 12. März 2014 - 10 CE 14.427 -, juris; OVG des Saarlandes, Beschluss vom 25. April 2014 - 2 B 215/14 -, juris; zuletzt VG Karlsruhe, Beschluss vom 19. Mai 2014 - A 9 K 3615/13 -, juris).

10

Dies gilt nicht nur hinsichtlich bereits bei Erlass der Abschiebungsanordnung vorliegender, sondern auch bei nachträglich auftretenden Abschiebungshindernissen und Duldungsgründen. Gegebenenfalls hat das Bundesamt die Abschiebungsanordnung aufzuheben oder die Ausländerbehörde anzuweisen, von deren Vollziehung abzusehen (vgl. OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30. August 2011 - 18 B 1060/11 -, juris, Rn. 4; BayVGH, Beschluss vom 12. März 2014 - 10 CE 14.427 -, juris, Rn. 4; OVG des Saarlandes, Beschluss vom 25. April 2014 - 2 B 215/14 -, juris, Rn. 7; VG Karlsruhe, Beschluss vom 19. Mai 2014 - A 9 K 3615/13 -, juris, Rn. 4).

11

b) Ein Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ist nach der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte unter anderem dann gegeben, wenn die konkrete Gefahr besteht, dass sich der Gesundheitszustand des Ausländers durch die Abschiebung wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtert, und wenn diese Gefahr nicht durch bestimmte Vorkehrungen ausgeschlossen oder gemindert werden kann. Diese Voraussetzungen können nicht nur erfüllt sein, wenn und solange der Ausländer ohne Gefährdung seiner Gesundheit nicht transportfähig ist (Reiseunfähigkeit im engeren Sinn), sondern auch, wenn die Abschiebung als solche - außerhalb des Transportvorgangs - eine erhebliche konkrete Gesundheitsgefahr für den Ausländer bewirkt (Reiseunfähigkeit im weiteren Sinn). Das dabei in den Blick zu nehmende Geschehen beginnt regelmäßig bereits mit der Mitteilung einer beabsichtigten Abschiebung gegenüber dem Ausländer. Besondere Bedeutung kommt sodann denjenigen Verfahrensabschnitten zu, in denen der Ausländer dem tatsächlichen Zugriff und damit auch der Obhut staatlicher deutscher Stellen unterliegt. Hierzu gehören das Aufsuchen und Abholen in der Wohnung, das Verbringen zum Abschiebeort sowie eine etwaige Abschiebungshaft ebenso wie der Zeitraum nach Ankunft am Zielort bis zur Übergabe des Ausländers an die Behörden des Zielstaats. In dem genannten Zeitraum haben die zuständigen deutschen Behörden von Amts wegen in jedem Stadium der Abschiebung etwaige Gesundheitsgefahren zu beachten. Diese Gefahren müssen sie entweder durch ein (vorübergehendes) Absehen von der Abschiebung mittels einer Duldung oder aber durch eine entsprechende tatsächliche Gestaltung des Vollstreckungsverfahrens mittels der notwendigen Vorkehrungen abwehren (vgl. zum Ganzen VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 6. Februar 2008 - 11 S 2439/07 -, InfAuslR 2008, S. 213 <214> unter Verweis auf BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 26. Februar 1998 - 2 BvR 185/98 -, InfAuslR 1998, S. 241).

12

Die der zuständigen Behörde obliegende Pflicht, gegebenenfalls durch eine entsprechende Gestaltung der Abschiebung die notwendigen Vorkehrungen zu treffen, damit eine Abschiebung verantwortet werden kann, kann es in Einzelfällen gebieten, dass erforderliche Hilfen rechtzeitig nach der Ankunft im Zielstaat zur Verfügung stehen, wobei der Ausländer regelmäßig auf den dort allgemein üblichen Standard zu verweisen ist (vgl. dazu OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 20. Juni 2011 - 2 M 38/11 -, InfAuslR 2011, S. 390 <392>).

13

c) So liegt es auch im vorliegenden Fall. Bei Rückführungen in sichere Drittstaaten können hiervon betroffene Ausländer - anders als bei der Rückführung in ihr Heimatland - regelmäßig weder auf verwandtschaftliche Hilfe noch auf ein soziales Netzwerk bei der Suche nach einer Unterkunft für die Zeit unmittelbar nach ihrer Rückkehr zurückgreifen. Bestehen - wie gegenwärtig im Falle Italiens - aufgrund von Berichten international anerkannter Flüchtlingsschutzorganisationen oder des Auswärtigen Amtes belastbare Anhaltspunkte für das Bestehen von Kapazitätsengpässen bei der Unterbringung rückgeführter Ausländer im sicheren Drittstaat, hat die auf deutscher Seite für die Abschiebung zuständige Behörde dem angemessen Rechnung zu tragen.

14

Bei Vorliegen einer solchen Auskunftslage hat das zuständige Bundesamt angesichts der hier berührten hochrangigen Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Art. 6 Abs. 1 GG und der bei der Durchführung von Überstellungen allgemein besonders zu beachtenden Gesichtspunkte der Familieneinheit und des Kindeswohls (vgl. etwa Erwägungsgrund 22 und Art. 14 Abs. 1 a) und d) der Richtlinie 2008/115/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger - Rückführungsrichtlinie) jedenfalls bei der Abschiebung von Familien mit Neugeborenen und Kleinstkindern bis zum Alter von drei Jahren in Abstimmung mit den Behörden des Zielstaats sicherzustellen, dass die Familie bei der Übergabe an diese eine gesicherte Unterkunft erhält, um erhebliche konkrete Gesundheitsgefahren in dem genannten Sinne für diese in besonderem Maße auf ihre Eltern angewiesenen Kinder auszuschließen.

15

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

16

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Tenor

Die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Minden vom 14. Dezember 2016 - 1 L 2033/16.A -, vom 6. Januar 2017 - 1 L 23/17.A - und vom 26. Januar 2017 - 1 L 151/17.A - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 in Verbindung mit Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes. Die Beschlüsse werden aufgehoben.

Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren und für das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu erstatten.

Der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Verfassungsbeschwerdeverfahren auf 20.000 € (in Worten: zwanzigtausend Euro) und für den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auf 10.000 € (in Worten: zehntausend Euro) festgesetzt.

Gründe

I.

1

1. Der am 9. April 1993 geborene Beschwerdeführer ist syrischer Staatsangehöriger, arabischer Volkszugehörigkeit und sunnitischen Glaubens. Er reiste am 19. Juli 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 2. Dezember 2015 einen Asylantrag. Im Rahmen seiner persönlichen Anhörung am 30. August 2016 gab er an, sein Asylantrag sei in Griechenland positiv beschieden worden. Auf Anfrage des Bundesamts teilte Griechenland mit Schreiben vom 19. Oktober 2016 mit, dass dem Beschwerdeführer internationaler Schutz gewährt worden sei. Mit dem Beschwerdeführer wurde am 8. November 2016 ein Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zur Durchführung des Asylverfahrens geführt, in dem er angab, in Griechenland auf der Straße gelebt zu haben. Er habe keine Unterstützung vom griechischen Staat erhalten.

2

2. Das Bundesamt lehnte den Asylantrag mit Bescheid vom 8. November 2016 als unzulässig ab, stellte fest, dass keine Abschiebungsverbote vorlägen und drohte die Abschiebung nach Griechenland an. Der Asylantrag sei aufgrund der Schutzgewährung in Griechenland gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG unzulässig. Eine Verletzung der Rechte des Beschwerdeführers aus Art. 3 EMRK bei einer Rückführung nach Griechenland aufgrund der dortigen humanitären Verhältnisse drohe nicht. Griechenland sei Mitgliedstaat der Europäischen Union. Die Europäische Union habe zahlreiche Regelungen zur Behandlung von Flüchtlingen erlassen. Es sei davon auszugehen, dass Griechenland diese Regelungen einhalte. Dies gelte selbst bei traumatisierten und sonst vulnerablen Personen.

3

3. a) Der Beschwerdeführer erhob fristgerecht Klage gegen den Bescheid, stellte einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung. Mit Schreiben vom 28. November 2016 begründete er Klage und Eilantrag unter Bezugnahme auf Berichte von aida, UNHCR, der Hellenic Foundation for European and Foreign Policy und Pro Asyl. Er führte aus, dass die Lage in Griechenland für anerkannt Schutzberechtigte noch schlechter sei als für Asylbewerber, die nach wie vor nicht nach Griechenland zurückgeführt würden. Es stünde kein Wohnraum zur Verfügung, ein Integrationsprogramm fehle. In Griechenland sei er nach seiner Anerkennung einfach auf der Straße gelassen worden. Viele anerkannt Schutzberechtigte blieben arbeits- und mittellos. Zwar stünde anerkannten Schutzberechtigten im Wesentlichen ein Anspruch auf Inländergleichbehandlung zu. Die Kriterien einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung durch die Aufnahmebedingungen müsse jedoch gleichlautend zu Asylbewerbern beurteilt werden. Mit Schreiben vom 6. Dezember 2016 wies er auf einen Beschluss des Verwaltungsgerichts Göttingen hin, in dem dieses dem Eilantrag eines in Griechenland anerkannten Flüchtlings, der transsexuell war, stattgegeben hatte.

4

b) Das Verwaltungsgericht Minden wies den Antrag mit Beschluss vom 14. Dezember 2016 ab. Das Konzept der normativen Vergewisserung sei für Griechenland nicht widerlegt. Für anerkannte Flüchtlinge sehe die Genfer Flüchtlingskonvention im Wesentlichen eine Inländergleichbehandlung vor. Aus den zugänglichen Quellen lasse sich nicht entnehmen, dass anerkannt Schutzberechtigte in Griechenland systematisch schlechter behandelt würden als Inländer. Etwas anderes folge nicht daraus, dass aufgrund des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 21. Januar 2011 derzeit keine Überstellungen nach Griechenland im Rahmen der Dublin-III-VO stattfänden. Zum einen beziehe sich diese Rechtsprechung nicht auf anerkannt Schutzberechtigte. Zum anderen habe sich die Situation für Flüchtlinge in den letzten Monaten deutlich verbessert, weshalb die Europäische Kommission am 8. Dezember 2016 empfohlen habe, ab März 2017 wieder Dublin-Überstellungen nach Griechenland durchzuführen. Aus der von dem Beschwerdeführer angeführten Entscheidung des Verwaltungsgerichts Göttingen folge nichts anderes, da es sich dort um einen Angehörigen einer besonders vulnerablen Personengruppe gehandelt habe.

5

4. a) Unter dem 4. Januar 2017 erhob der Beschwerdeführer Anhörungsrüge und stellte hilfsweise einen Antrag nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO. Das Verwaltungsgericht habe entscheidungserheblichen Vortrag übergangen und sich insbesondere nicht mit den von ihm zitierten Berichten und Stellungnahmen auseinandergesetzt, sondern einseitig die Empfehlung der EU-Kommission herangezogen. Weiterhin verwies er auf ein Interview von amnesty international mit einer Athener Anwältin, laut dem Flüchtlinge unter den Sparmaßnahmen am stärksten leiden würden. Sozialleistungen erhielten nur noch diejenigen, die 20 Jahre lang legal in Griechenland gelebt hätten. Flüchtlinge seien damit faktisch ausgeschlossen.

6

b) Mit Beschluss vom 6. Januar 2017 lehnte das Verwaltungsgericht die Anträge ab. Es habe die Ausführungen des Beschwerdeführers zur Kenntnis genommen, hieraus jedoch andere rechtliche Schlussfolgerungen gezogen.

7

5. a) Der Beschwerdeführer erhob am 23. Januar 2017 eine weitere Gehörsrüge und stellte einen Antrag nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO, mit der er eine Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 20. Januar 2017 vorlegte, die ihrerseits auf weitere Auskünfte Bezug nahm. Die Auskunft legte insbesondere dar, dass anerkannt Schutzberechtigte in Griechenland faktisch keine staatlichen Hilfen erhielten und vielfach obdachlos seien.

8

b) Das Verwaltungsgericht lehnte den weiteren Antrag mit Beschluss vom 26. Januar 2017 ab. Es handle sich beim Beschwerdeführer um einen gesunden jungen Mann und nicht um eine vulnerable Person, zu denen die Erkenntnismittel Auskünfte enthielten.

II.

9

1. Der Beschwerdeführer hat am 23. Januar 2017 Verfassungsbeschwerde erhoben und diese mit Schreiben vom 31. Januar 2017 auf den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 26. Januar 2017 erweitert. Die Entscheidungen verletzten ihn in seinen Grundrechten aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG, Art. 2 Abs. 1 Satz 1 GG, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, Art. 2 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 104 GG, Art. 3 GG, Art. 16a GG, Art. 19 Abs. 4 GG, Art. 20 GG, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG und Art. 103 GG. Die zahlreichen von ihm schon im fachgerichtlichen Verfahren vorgelegten Erkenntnismittel belegten klar, dass es für anerkannte Schutzberechtigte in Griechenland keine Unterstützung gebe. Der Zugang zu den Sozialleistungen, die griechischen Bürgern gewährt würden, bestehe nur auf dem Papier. Infolge der Sparmaßnahmen habe sich die Situation in den letzten Jahren zumindest für anerkannt Schutzberechtigte noch verschlechtert und nicht, wie das Verwaltungsgericht anzunehmen scheine, verbessert. Die in Griechenland zu erwartende Behandlung verletze ihn in seinem Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG. Er habe dort keine reelle Chance, sich ein Existenzminimum zu schaffen. Er werde keine Beschäftigung finden und habe, anders als griechische Staatsangehörige, dort kein soziales Netzwerk, auf das er nach seiner Rückkehr zugreifen könne. Zwar gewähre das Unionsrecht grundsätzlich nur eine Inländergleichbehandlung. Schutzberechtigten müssten jedoch zumindest die Hilfen zur Befriedigung elementarer Grundbedürfnisse (Unterkunft, Nahrungsbeschaffung, Hygiene) gewährt werden. Dieser Standard sei der Geltungsgrund des gemeinsamen europäischen Asylsystems. Die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts verstießen weiterhin gegen Art. 3 Abs. 1 GG, da die lapidare Behauptung, dass das Konzept der normativen Vergewisserung nicht verletzt werde, angesichts des Tatsachenvortrags des Beschwerdeführers unter keinem Gesichtspunkt vertretbar sei. Das Verwaltungsgericht habe nur ausgeführt, den Vortrag des Beschwerdeführers zur Kenntnis genommen zu haben, ohne deutlich zu machen, auf welchen abweichenden Erkenntnismitteln die eigene Würdigung beruhe. Weiterhin sei auch gegen Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verstoßen worden, da die Rechtswidrigkeit des Bescheids nahe gelegen habe und sich das Verwaltungsgericht mit dieser Frage im Hauptsacheverfahren, gegebenenfalls durch Einholung neuer Erkenntnismittel, weiter habe beschäftigen müssen.

10

2. Die Akten der Ausgangsverfahren haben dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen. Das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen und das Bundesministerium des Innern hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Das Bundesministerium des Innern hat darauf hingewiesen, dass zum 1. Januar 2017 in Griechenland eine allgemeine Sozialleistung in Höhe von 200 € eingeführt werden sollte, die auch anerkannt Schutzberechtigten offen stehen werde. Anträge könnten erst ab dem 1. Februar 2017 gestellt werden, praktische Erfahrungen bestünden noch keine.

11

Mit Schreiben vom 16. April 2017 hat der Beschwerdeführer beantragt, den Wert der anwaltlichen Tätigkeit auf mindestens 115.000 € festzusetzen.

III.

12

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93b i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).

13

1. Die Verfassungsbeschwerde ist in einer die Entscheidungskompetenz der Kammer begründenden Weise offensichtlich begründet im Sinne von § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG. Das Verwaltungsgericht hat die sich aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und 2 GG ergebenden Anforderungen an die Beurteilung der Aufnahmebedingungen in dem Abschiebungszielstaat als unmenschliche und entwürdigende Behandlung im Sinne von § 60 Abs. 5 AufenthG in Verbindung mit Art. 3 EMRK verfehlt.

14

Den schutzwürdigen Interessen des Betroffenen muss im Anwendungsbereich des Art. 2 Abs. 2 GG wirksam Rechnung getragen werden (vgl. BVerfGK 10, 108 <112 f.>). Die Verfahrensgewährleistung des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG beschränkt sich nicht auf die Einräumung der Möglichkeit, die Gerichte gegen Akte der öffentlichen Gewalt anzurufen; sie gibt dem Bürger darüber hinaus einen Anspruch auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle. Das Gebot effektiven Rechtsschutzes verlangt nicht nur, dass jeder potenziell rechtsverletzende Akt der Exekutive in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht der richterlichen Prüfung unterstellt werden kann; vielmehr müssen die Gerichte den betroffenen Rechten auch tatsächliche Wirksamkeit verschaffen (vgl. BVerfGE 35, 263 <274>; 40, 272 <275>; 67, 43 <58>; 84, 34 <49>; stRspr). Das Maß dessen, was wirkungsvoller Rechtsschutz ist, bestimmt sich entscheidend auch nach dem sachlichen Gehalt des als verletzt behaupteten Rechts (vgl. BVerfGE 60, 253 <297>), hier des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit in Verbindung mit der Gewährleistung des Art. 3 EMRK im Lichte der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte.

15

In der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist anerkannt, dass die Rückführung eines Flüchtlings in einen anderen Konventionsstaat eine Verletzung des Art. 3 EMRK auch durch den rückführenden Staat darstellen kann, wenn den Behörden bekannt ist oder bekannt sein muss, dass dort gegen Art. 3 EMRK verstoßende Bedingungen herrschen. Solche Bedingungen können dann anzunehmen sein, wenn ein Flüchtling völlig auf sich allein gestellt ist und er über einen langen Zeitraum gezwungen sein wird, auf der Straße zu leben, ohne Zugang zu sanitären Einrichtungen oder Nahrungsmitteln (vgl. hierzu insgesamt EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 - 30696/09 - M.S.S. gg. Griechenland und Belgien, Rn. 263 f. und 365 ff.).

16

Die verfahrensrechtlichen Anforderungen an die Sachverhaltsaufklärung haben dem hohen Wert dieser Rechte Rechnung zu tragen (vgl. zu den Anforderungen an einen wirkungsvollen Rechtsschutz im Zusammenhang mit Art. 2 Abs. 2 GG BVerfGE 117, 71<106 f.>) und die Vorgaben der Europäischen Menschenrechtskonvention zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 111, 307 <323 ff.>). In Fällen, in denen es um die Beurteilung der Aufnahmebedingungen in einem Drittstaat als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK geht, kommt der verfahrensrechtlichen Sachaufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) verfassungsrechtliches Gewicht zu. Die fachgerichtliche Beurteilung solcher möglicherweise gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Aufnahmebedingungen muss daher, jedenfalls wenn diese ernsthaft zweifelhaft sind, etwa weil dies in der jüngsten Vergangenheit noch von der Bundesregierung und der EU-Kommission bejaht wurde und damit der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens erschüttert ist, auf einer hinreichend verlässlichen, auch ihrem Umfang nach zureichenden tatsächlichen Grundlage beruhen (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 21. April 2016 - 2 BvR 273/16 -, juris, Rn. 11). Dabei kann es sowohl verfassungsrechtlich als auch konventionsrechtlich geboten sein, dass sich die zuständigen Behörden und Gerichte vor einer Rückführung in den Drittstaat über die dortigen Verhältnisse informieren und gegebenenfalls Zusicherungen der zuständigen Behörden einholen (vgl. BVerfGE 94, 49 <100>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 17. September 2014 - 2 BvR 732/14 -, juris, Rn. 15 f., EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 - 30696/09 - M.S.S. gg. Griechenland und Belgien, Rn. 353 f. und EGMR, Urteil vom 4. November 2014 - 29217/12 - Tarakhel gg. Schweiz, Rn. 121).

17

Soweit entsprechende Erkenntnisse und Zusicherungen im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht vorliegen und nicht eingeholt werden können, ist es zur Sicherung effektiven Rechtsschutzes geboten, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen (vgl. zur Bedeutung des Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes für das Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 BVerfGE 126, 1<27 ff.>; zuletzt BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 17. Januar 2017 - 2 BvR 2013/16 -, juris, Rn. 17).

18

2. Die angegriffenen Entscheidungen werden diesen Vorgaben nicht gerecht. Die Schlussfolgerung des Verwaltungsgerichts beruht im Wesentlichen auf der Annahme, die Situation des Beschwerdeführers als anerkannter Schutzberechtigter in Griechenland sei anders zu bewerten als jene von Asylbewerbern; der Umstand, dass sich anerkannt Schutzberechtigte auf eine Gleichbehandlung mit Inländern berufen könnten, genüge den unionsrechtlichen Vorgaben. Auch habe die Europäische Kommission am 8. Dezember 2016 empfohlen, ab März 2017 wieder Dublin-Überstellungen nach Griechenland durchzuführen und zur Begründung auf Verbesserungen im griechischen Asylsystem hingewiesen.

19

Mit dieser Begründung verfehlt das Verwaltungsgericht die aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgenden Anforderungen; auch der - bloße - Hinweis, das Verwaltungsgericht habe den Vortrag des Beschwerdeführers umfassend zur Kenntnis genommen, werte ihn lediglich anders als dieser, lässt eine den angeführten Anforderungen genügende Befassung mit den aufgeworfenen Problemen nicht erkennen. Der Beschwerdeführer hat im fachgerichtlichen Verfahren zahlreiche Erkenntnisse vorgelegt, aus denen sich ergibt, dass anerkannt Schutzberechtigten in Griechenland nicht einmal die geringen Unterstützungsleistungen zugänglich sind, die Personen zustehen, über deren Antrag auf internationalen Schutz noch nicht entschieden wurde. Anerkannt Schutzberechtigte hätten - auch angesichts der Wirtschaftskrise in Griechenland - keinen Zugang zu Arbeit oder zu Sozialleistungen, erhielten keinerlei Unterstützung bei der Suche nach einer Wohnung und müssten gleichwohl unmittelbar nach ihrer Anerkennung die Flüchtlingsunterkünfte verlassen. Ihnen drohe von diesem Zeitpunkt an die Obdachlosigkeit; Integrationsmaßnahmen würden von staatlicher Seite nicht angeboten.

20

Zwar trifft die Grundannahme des Verwaltungsgerichts zu, dass anerkannt Schutzberechtigten nach Art. 20 ff. der Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikationsricht-linie) und den Wohlfahrtsvorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention im Wesentlichen - nur - ein Anspruch auf Inländergleichbehandlung zusteht. Das Verwaltungsgericht setzt sich jedoch nicht damit auseinander, dass zum einen die von Art. 34 Qualifikationsrichtlinie geforderten, über die Inländergleichbehandlung hinausgehenden Integrationsmaßnahmen nicht angeboten werden (vgl. zur Relevanz dieser Maßnahmen bei der Prüfung einer Verletzung des Art. 3 EMRK: Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 4. November 2016 - 3 A 1292/16.A -, juris, Rn. 29 ff.). Zum anderen knüpfen - nach den vom Beschwerdeführer vorgelegten Erkenntnissen - die in Griechenland verfügbaren Sozialleistungen an einen bis zu 20jährigen legalen Aufenthalt an, weshalb anerkannt Schutzberechtigte von der Inanspruchnahme dieser Leistungen faktisch ausgeschlossen sind.

21

Zudem bedarf es einer Auseinandersetzung mit der Einschätzung, bei anerkannt Schutzberechtigten ebenso wie bei Asylbewerbern treffe die Annahme des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu, dass es sich hierbei um eine besonders verletzliche Gruppe handelt, die zumindest für eine Übergangszeit auf staatliche Hilfe bei der Integration in den Aufnahmestaat angewiesen ist (vgl. Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 4. November 2016 - 3 A 1292/16.A -, juris, Rn. 24 f.). Es hätte daher - insbesondere vor dem Hintergrund, dass die von Art. 34 Qualifikationsrichtlinie vorgeschriebenen Integrationsmaßnahmen nicht existieren - weiterer Feststellungen dazu bedurft, ob und wie für nach Griechenland zurückgeführte anerkannt Schutzberechtigte zumindest in der ersten Zeit nach ihrer Ankunft der Zugang zu Obdach, Nahrungsmitteln und sanitären Einrichtungen sichergestellt wird.

22

Die erforderlichen Erkenntnisse hierzu enthält jedenfalls nicht die vom Verwaltungsgericht benannte Empfehlung der Kommission vom 8. Dezember 2016. Denn diese legt nur Verbesserungen - auch der humanitären Standards - für die Dauer des griechischen Asylverfahrens dar, bezieht sich also nicht auf die hier relevante Problematik der anerkannt Schutzberechtigten. Insbesondere ist nicht die Rede davon, dass erweiterte - nach wie vor nicht ausreichende - Unterbringungskapazitäten für Asylbewerber auch rückgeführten anerkannt Schutzberechtigten zur Verfügung stünden. Im Übrigen empfiehlt die Kommission Rückführungen zur Durchführung von Asylverfahren ohnehin nur für den Fall, dass jeweils im Einzelfall aufgrund einer Zusicherung der griechischen Behörde feststeht, dass der Zurückzuführende in einer Flüchtlingsunterkunft unterkommen kann (vgl. Ziff. 10 der empfohlenen Maßnahmen zur Verbesserung des griechischen Asylsystems). Eine solche Zusicherung seitens der griechischen Behörde, den Beschwerdeführer zumindest für eine Übergangszeit unterzubringen, ist im vorliegenden Verfahren jedoch nicht abgegeben und von Bundesamt oder Bundesregierung - soweit ersichtlich - auch nicht angefordert worden. Vielmehr hat das Bundesamt in seinem Bescheid vom 8. November 2016 lediglich ausgeführt, dass davon auszugehen sei, dass Griechenland die einschlägigen Regelungen des EU-Rechts einhalte. Auf welcher Grundlage diese Annahme beruht, wird nicht offengelegt. Sie ist auch angesichts der seit sechs Jahren bejahten systemischen Mängel im griechischen Asylsystem nicht nachvollziehbar.

23

3. Die angegriffenen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts beruhen auf der Grundrechtsverletzung. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Verwaltungsgericht bei hinreichender Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Vorgaben zu einer anderen, für den Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung gekommen wäre. Bei einer erneuten Entscheidung wird das Verwaltungsgericht zu prüfen und berücksichtigen haben, inwieweit seit der Einführung allgemeiner Sozialhilfeleistungen zum 1. Januar 2017 anerkannt Schutzberechtigten in Griechenland in der Praxis Zugang zu diesen effektiv offen steht.

24

Die Kammer hebt nach § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG die Beschlüsse auf und verweist die Sache an das Verwaltungsgericht zur erneuten Entscheidung zurück. Auf das Vorliegen der weiter gerügten Grundrechtsverletzungen kommt es nicht an.

25

4. Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer gemäß § 34a Abs. 2 BVerfGG die notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu erstatten. Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit war angesichts des erheblichen Aufwands dieser Tätigkeit und den hohen Anforderungen, die an den Vortrag bezüglich der Verhältnisse in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union anzulegen sind, gegenüber dem regelmäßigen Gegenstandswert im Falle stattgebender Kammerbeschlüsse (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.> und zur konkreten Höhe statt vieler BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 21. April 2016 - 2 BvR 273/16 -, juris, Rn. 16; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 17. Januar 2017 - 2 BvR 2013/16 -, juris, Rn. 25) zu erhöhen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 15. März 2017 - 2 BvR 890/16 -, juris, Rn. 2).

Tenor

Das Verfahren wird ausgesetzt, um nach Art. 267 AEUV eine Vorabentscheidung des Gerichthofs der Europäischen Union zu folgenden Fragen einzuholen:

1. Ist ein Asylbewerber nur dann flüchtig im Sinne von Art. 29 Abs. 2 Satz 2 VO (EU) 604/2013, wenn er sich gezielt und bewusst dem Zugriff der für die Durchführung der Überstellung zuständigen nationalen Behörden entzieht, um die Überstellung zu vereiteln bzw. zu erschweren, oder genügt es, wenn er sich über einen längeren Zeitraum nicht mehr in der ihm zugewiesenen Wohnung aufhält und die Behörde nicht über seinen Verbleib informiert ist und deshalb eine geplante Überstellung nicht durchgeführt werden kann?

Kann sich der Betroffene auf die richtige Anwendung der Vorschrift berufen und in einem Verfahren gegen die Überstellungsentscheidung einwenden, die Überstellungsfrist von sechs Monaten sei abgelaufen, weil er nicht flüchtig gewesen sei?

2. Kommt eine Verlängerung der Frist nach Art. 29 Abs. 1 UA 1 VO (EU) 604/2013 allein dadurch zustande, dass der überstellende Mitgliedstaat noch vor Ablauf der Frist den zuständigen Mitgliedstaat darüber informiert, dass der Betreffende flüchtig ist, und zugleich eine konkrete Frist benennt, die 18 Monate nicht übersteigen darf, bis zu der die Überstellung durchgeführt werden wird, oder ist eine Verlängerung nur in der Weise möglich, dass die beteiligten Mitgliedstaaten einvernehmlich eine verlängerte Frist festlegen?

3. Ist eine Überstellung des Asylbewerbers in den zuständigen Mitgliedstaat unzulässig, wenn er für den Fall einer Zuerkennung eines internationalen Schutzstatus dort im Hinblick auf die dann zu erwartenden Lebensumstände einem ernsthaften Risikos ausgesetzt wäre, eine Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh zu erfahren?

Fällt diese Fragestellung noch in den Anwendungsbereich des Unionsrechts?

Nach welchen unionsrechtlichen Maßstäben sind die Lebensverhältnisse des anerkannten international Schutzberechtigten zu beurteilen?

Der Senat beantragt die Anordnung eines Eilvorabentscheidungsverfahrens.

Gründe

 
I.
Der Kläger ist nach seinen Angaben ein am 23. Oktober 1992 geborener Staatsangehöriger Gambias. Er wendet sich gegen seine Überstellung nach Italien zur Durchführung eines Asylverfahrens.
Er stellte am 23. Dezember 2014 einen Asylantrag, nachdem er Gambia am 5. Oktober 2012 verlassen und Italien über den Seeweg erreichte hatte. Von Italien aus reiste er nach Deutschland weiter. Auf Grundlage eines Eurodac-Treffers, wonach er in Italien einen Asylantrag gestellt habe (vgl. Art. 18 Abs. 1 lit. b) VO (EU) 604/2013), ersuchte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Italien am 26. Januar 2015 um die Wiederaufnahme des Klägers. Eine Reaktion Italiens auf dieses Ersuchen blieb in der Folgezeit aus.
Mit Bescheid vom 25. Februar 2015 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Asylantrag des Klägers als unzulässig ab (Nr. 1) und ordnete seine Abschiebung nach Italien an (Nr. 2).
Der Kläger erhob am 4. März 2015 Klage und stellte am 12. März 2015 einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes, den das Verwaltungsgericht Karlsruhe mit Beschluss vom 30. April 2015 als unzulässig ablehnte, weil verspätet gestellt. Auf einen weiteren Eilantrag hin ordnete später das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Klage mit Beschluss vom 18. Februar 2016 an.
Am 8. Juni 2015 sollte der Kläger nach Italien überstellt werden, was jedoch misslang, da er in seinem Wohnbereich in der Gemeinschaftsunterkunft in Heidelberg nicht angetroffen werden konnte. Nach entsprechenden Nachfragen des Regierungspräsidiums Karlsruhe teilte die "Fachstelle für Wohnungsnotfälle" der Stadt Heidelberg unter dem 16. Juni 2015 dem Regierungspräsidium Karlsruhe mit, der Kläger sei seit längerem nicht in der Gemeinschaftsunterkunft anzutreffen, dieses habe der zuständige Hausmeister bestätigt. In der mündlichen Verhandlung des Senates erklärte der Kläger - erstmals im gesamten gerichtlichen Verfahren - hierzu, dass er Anfang Juni zu einem in Freiberg/Neckar lebenden Freund gereist sei, um ihn zu besuchen. Nach etwa ein bis zwei Wochen habe er einen Anruf von seinem Zimmergenossen aus Heidelberg erhalte, dass die Polizei ihn suche. Er habe sich entschieden, nach Heidelberg zurückzugehen, habe aber kein Geld gehabt, um die Rückfahrt zu bezahlen; er habe sich dieses erst leihen müssen: Etwa nach zwei Wochen sei er wieder in Heidelberg gewesen und sei dort zum Sozialamt der Stadt Heidelberg gegangen und habe gefragt, ob er noch sein Zimmer habe, was bejaht worden sei. Darüber, dass er seine längere Abwesenheit melden müsse, habe ihn niemand belehrt.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge unterrichtete das italienische Innenministerium mit einem Formblatt am 16. Juni 2015, dass eine Überstellung derzeit nicht möglich sei, weil der Kläger flüchtig sei. Dies sei ihm seit dem 16. Juni 2016 bekannt. Weiter heißt es in dem Formular, dass eine Überstellung bis spätestens zum 10. August 2016 "gem. Art. 29 Abs. 2 Dublin-VO" erfolgen werde.
Am 3. Februar 2016 sollte der Kläger erneut überstellt werden; die Überstellung scheiterte erneut, weil der Kläger sich weigerte, das Flugzeug zu besteigen.
Durch Urteil vom 6. Juni 2016 wies das Verwaltungsgericht die Klage ab.
Auf den Antrag des Klägers ließ der Senat die Berufung zu. Im Berufungsverfahren vertritt der Kläger nach wie vor die Auffassung, er sei im Juni 2015 nicht flüchtig gewesen, auch habe das Bundesamt die Fristverlängerung nicht, wie geschehen, bewirken können. Die Verfügung sein auch deshalb aufzuheben, weil bislang keine seit 6. August 2016 erforderliche Entscheidung zum Vorliegen eines nationalen Abschiebungsverbots erfolgt sei. Eine Überstellung nach Italien sei auch deshalb unzulässig, weil das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen dort systemischen Schwachstellen im Sinne des Art. 3 Abs. 2 UA 2 VO (EU) Nr. 604/2013 aufweise. Schließlich sei die Abschiebungsanordnung im Hinblick auf seine mit Erlaubnis der Ausländerbehörde aufgenommene Ausbildung aufzuheben.
10 
Während des Berufungsverfahrens konnte das Bundesamt in Erfahrung bringen, dass dem Kläger in Italien ein nationaler Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen erteilt worden war, der ein Jahr gültig und am 9. Mai 2015 abgelaufen war.
II.
11 
Der Senat setzt den Rechtsstreit aus, um eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (im Folgenden: EuGH) zu den im Tenor formulierten Fragen einzuholen. Die Fragen betreffen die Auslegung von Unionsrecht, insbesondere Art. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 und Art. 29 Abs. 2 VO (EU) 604/2013.
12 
1.Folgende nationale Vorschriften bilden rechtlichen Rahmen des vorliegenden Rechtsstreits:
13 
§ 60a Aufenthaltsgesetz i.d.F.v. 31.07.2016 (BGBl. I, S. 1939)
Vorübergehende Aussetzung der Abschiebung (Duldung)
(2) Die Abschiebung eines Ausländers ist auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Die Abschiebung eines Ausländers ist auch auszusetzen, wenn seine vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen eines Verbrechens von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre. Einem Ausländer kann eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Eine Duldung wegen dringender persönlicher Gründe im Sinne von Satz 3 ist zu erteilen, wenn der Ausländer eine qualifizierte Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf in Deutschland aufnimmt oder aufgenommen hat, die Voraussetzungen nach Absatz 6 nicht vorliegen und konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung nicht bevorstehen. In den Fällen nach Satz 4 wird die Duldung für die im Ausbildungsvertrag bestimmte Dauer der Berufsausbildung erteilt…
14 
§ 29 Asylgesetz i.d.F.v. 31.07.2016 (BGBl. I, S. 1939)
Unzulässige Anträge
Ein Asylantrag ist unzulässig, wenn
ein anderer Staat
nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr.604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 vom 29.6.2013, S. 31) oder
auf Grund von anderen Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages
für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist…
15 
§ 31 Asylgesetz
Entscheidung des Bundesamtes über Asylanträge
(3) In den Fällen des Absatzes 2 und in Entscheidungen über unzulässige Asylanträge ist festzustellen, ob die Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 oder 7 des Aufenthaltsgesetzes vorliegen. Davon kann abgesehen werden, wenn der Ausländer als Asylberechtigter anerkannt wird oder ihm internationaler Schutz im Sinne des § 1 Absatz 1 Nummer 2 zuerkannt wird.
16 
§ 34a Asylgesetz
Abschiebungsanordnung
Soll der Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26a) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Absatz 1 Nummer 1) abgeschoben werden, ordnet das Bundesamt die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Dies gilt auch, wenn der Ausländer den Asylantrag in einem anderen auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat gestellt oder vor der Entscheidung des Bundesamtes zurückgenommen hat. Einer vorherigen Androhung und Fristsetzung bedarf es nicht. Kann eine Abschiebungsanordnung nach Satz 1 oder 2 nicht ergehen, droht das Bundesamt die Abschiebung in den jeweiligen Staat an.
Anträge nach § 80 Absatz 5 der Verwaltungsgerichtsordnung gegen die Abschiebungsanordnung sind innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen. Die Abschiebung ist bei rechtzeitiger Antragstellung vor der gerichtlichen Entscheidung nicht zulässig...
17 
Auf die Auslegung der unionsrechtlichen Vorschriften kommt es nach Auffassung des Senats entscheidungserheblich an. Denn zum einen steht die vom Kläger aufgenommene Ausbildung einer Überstellung nicht entgegen, insbesondere konnte der Kläger kein schützenwertes Vertrauen entwickeln, auch in der Zukunft nach einem negativen Ausgang dieses Rechtsstreits weiter in der Bundesrepublik Deutschland verbleiben zu können. Dem Kläger wird keine Duldung nach § 60 Abs. 2 Satz 4 AufenthG zu erteilen sein, denn mit Erlass der Abschiebungsanordnung waren aufenthaltsbeendende Maßnahmen bereits eingeleitet. Auch die Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG scheidet aus, insbesondere kommt mit Rücksicht auf das nicht schutzwürdige Vertrauen in eine Fortsetzung der Ausbildung keine Ermessensreduzierung in Betracht, wie der Kläger meint. Nach den dem Senat vorliegenden Erkenntnismittel, insbesondere dem Bericht von aida "Country Report: Italy" (February 2017) leiden das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen trotz diverser erheblicher Mängel an keinen systemischen Schwachstellen, die gerade den allein stehenden Kläger, der keine gesundheitlichen Einschränkungen hat, dem beachtlichen Risiko einer Schlechtbehandlung im Sinne Art. 4 GRCh aussetzen würde, wenn er zur Durchführung eines (wohl weiteren) Asylverfahrens nach Italien überstellt werden würde. Entgegen der Auffassung des Klägers sind die angegriffenen Bescheide auch nicht aufzuheben, auch wenn das Bundesamt noch nicht über das Vorliegen von nationalen Abschiebungsverboten entschieden hat. Dies beruht darauf, dass § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG in der hier maßgeblichen Fassung, zum Zeitpunkt seiner Entscheidung noch nicht gegolten hatte, sondern erst am 6. August 2016 in Kraft getreten ist. Im Anschluss an vergleichbare in der Vergangenheit aufgetretene Fallkonstellationen geht der Senat im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts davon aus, dass dieser Streitgegenstand im Berufungsverfahren angewachsen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.02.1992 – 9 C 59.91 – NVwZ 1992, 892 zu § 51 Abs. 1 AuslG, vom 08.09.2011 – 10 C 14.10 und 10 C 15.10 – jew. juris zu § 60 Abs. 2, 3 und Abs. 7 Satz 2 AufenthG a.F.).
18 
Nach Auffassung des Senats führt auch die in Italien erfolgte Erteilung eines ein Jahr gültigen Aufenthaltstitels aus humanitären Gründen nicht zur Unanwendbarkeit der Verordnung (EU) Nr. 604/2013. Mit der Erteilung dieses Titels ist dem Kläger kein internationaler Schutz im Sinne der RL 2011/95/EU gewährt worden.
19 
Zur ersten Vorlagefrage:
20 
Eine erste zentrale Weichenstellung nimmt der vorliegende Fall mit der Beantwortung der Frage, ob der Kläger 16. Juni 2015, d.h. am Tag der Meldung des Bundesamts an das italienische Innenministerium, "flüchtig" im Sinne des Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Verordnung (EU) Nr.604/2013 war. Denn durch die spätere Anordnung der aufschiebenden Wirkung mit Beschluss vom 18. Februar 2016, der erst nach Ablauf der 6-Montsfrist ergangen war, hätte die abgelaufene Frist nicht mehr verlängert oder unterbrochen werden können. Die Fragestellung erfährt im vorliegenden Fall insofern eine ungewöhnliche Zuspitzung als nach dem unstreitigen Sachverhalt der Kläger sich genau an dem Tag, an dem die Mitteilung an die italienischen Behörden erfolgt war, wieder bei der Stadt Heidelberg gemeldet hat, eine entsprechende Information aber nicht mehr an das Bundesamt gelangt war. Es ist nicht feststellbar, ob zum genauen Zeitpunkt der Meldung bei der Stadt Heidelberg die Information des italienischen Innenministeriums durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bereits erfolgt war oder nicht. Geht man von der Legaldefinition der Fluchtgefahr in Art. 2 lit. n) Verordnung (EU) Nr.604/2013 aus, wonach ein "Entziehen" durch Flucht festgestellt werden muss, so liegt auch nach dem allgemeinen Wortsinn nahe, im Begriff des "Entziehens" ein Element des Planvollen und Vorsätzlichen bzw. Bewussten zu sehen, mit anderen Worten ein Verhalten, das bewusst in Bezug auf die erwartete Überstellung erfolgt ist. Ein Flüchtigsein wäre nicht schon dann anzunehmen, wenn der oder die Betreffende nicht angetroffen wird und bei dieser Gelegenheit der aktuelle Aufenthaltsort nicht ermittelt werden kann. Die englische Fassung spricht in Art. 2 lit. n) bzw. Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Verordnung (EU) Nr.604/2013 allerdings (nur) von "risk of absconding" bzw. von "if the person concerned absconds"; im Französischen ist demgegenüber wiederum Rede von "risque de fuite" und "si la personne concernée prend la fuite". Jedenfalls die deutsche wie auch die französische Fassungen legen ein weites Verständnis nicht nahe. Nur der Vollständigkeit halber weist der Senat darauf hin, dass sich aus den öffentlich zugänglichen Materialien des Normsetzungsverfahrens nichts Erhellendes ablesen lässt. Die Vorschrift des Art. 29 Abs. 2 Verordnung (EU) Nr.604/2013 entspricht wörtlich der des Art. 20 Abs. 2 Verordnung (EG) 343/2003. Im Kommissionsentwurf (KOM/2001/0447endg – ABl. C 2001, 304 E, 192) war der hier interessierende Satz 2 noch gar nicht enthalten. Er wurde, soweit ersichtlich, erst im Kontext der abschließenden Beratungen des Rates eingefügt. Andererseits sieht der Senat keine Anhaltspunkte dafür, dass mit der Vorschrift des Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Verordnung (EU) Nr. 604/2013 ein missbilligtes Verhalten des Ausländers sanktioniert werden soll. Der Senat versteht Sinn und Zweck der Vorschrift dahin gehend, dass das effektive Funktionieren des Dublin-Systems gesichert werden soll. Dieses Funktionieren kann erheblich beeinträchtigt werden, wenn die Überstellungen nicht zeitnah erfolgen können, weil dem Gründe entgegen stehen, die nicht in die Verantwortungssphäre des überstellenden Mitgliedstaat fallen. Im Übrigen würden praktisch gesehen oftmals erhebliche Ermittlungs- bzw. Beweisschwierigkeiten bestehen, wenn den Betroffenen nachgewiesen werden müsste, dass sie sich gerade, um eine Überstellung unmöglich zu machen oder zu erschweren, von ihrer Wohnung entfernt bzw. sich verborgen hatten. Hiervon ausgehend sprechen gute Gründe dafür, es ausreichen zu lassen, dass der zuständigen Behörde der Aufenthalt zum Zeitpunkt des Überstellungsversuchs und auch noch zum Zeitpunkt der Information der zuständige Behörde des zuständigen Mitgliedstaat nicht bekannt war und es auch keine verlässlichen Anhaltspunkte für diese gab, wie der aktuelle Aufenthalt in zumutbarer Weise zu ermitteln sein könnte. Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass zuständige Behörden hier im konkreten Fall das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - für das Asylverfahren - sowie das Regierungspräsidium Karlsruhe - für die Durchführung der Überstellung - waren. Legt man diese weitere Verständnis der Norm zugrunde, so wäre der Kläger, insbesondere nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung auch noch am 16. Juni 2015 flüchtig gewesen, zumal sich aus diesen noch nicht einmal entnehmen lässt, ob überhaupt oder ggf. wann er wieder nach Heidelberg zurückkehren wollte.
21 
Im Anschluss an die Rechtsprechung des Gerichtshofs im Urteil vom 07. Juni 2016 (C-63/15) geht der Senat davon aus, dass durch die Vorschrift des Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Verordnung (EU) Nr. 604/2013 auch unmittelbar Rechte des Ausländers berührt werden.
22 
Zur zweiten Vorlagefrage:
23 
Was die Frage betrifft, auf welche Weise die Fristverlängerung im Falle der Flucht (oder Krankheit) bewirkt wird, legt der Wortlaut des Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Verordnung (EU) Nr. 604/2013 auf den ersten Blick die Herstellung eines Einvernehmens zwischen den Mitgliedstaaten nahe. Denn es heißt dort gerade nicht, dass "sich die Frist verlängert". Andererseits deckt der Wortlaut – auf den zweiten Blick – auch ein Verständnis dahin gehend, dass der überstellende Mitgliedstaat die Fristverlängerung einseitig herbeiführen kann, indem er den aufnehmenden Mitgliedstaat vor Ablauf der regulären Frist informiert und eine konkrete Frist benennt, bis zu der die Überstellung durchgeführt werden wird; die Frist darf dann auch durchaus, wie hier geschehen den Spielraum von 18 Monaten nicht ausschöpfen. Der rechtliche Ansatz einer einvernehmlichen Verlängerung wäre nach Auffassung des Senats unpraktikabel und hätte vorhersehbar zur Folge, dass die Norm in vielen Fällen leer liefe. Von diesem Verständnis lässt sich offensichtlich auch der weiterhin gültige Art. 9 Abs. 2 Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 leiten, der das vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hier praktizierte Verfahren festlegt. Der Senat ist sich der Tatsache bewusst, dass diese Verordnung selbstverständlich nicht geeignet ist, das Verordnungsrecht des Rates materiell zu ändern. Da aber der Wortlaut der hier auszulegenden Bestimmung eine Auslegung in diesem Sinn nicht gänzlich ausschließt, legt nicht zuletzt der Grundsatz der praktischen Wirksamkeit des Unionsrechts ein entsprechendes Normverständnis nahe.
24 
Zur dritten Vorlagefrage:
25 
Die Frage ist nach Auffassung des Senats nicht schon deshalb irrelevant, weil der Kläger unstreitig in Italien (noch) nicht als international Schutzberechtigter anerkannt worden ist. Das Gemeinsame Europäische Asylsystem beschränkt sich nämlich nach Auffassung des Senats nicht nur darauf, die Phase der Aufnahme der Flüchtlinge und des Verfahrens auf Zuerkennung eines internationalen Schutzstatus zweckentsprechend in einer Art und Weise zu regeln, die geeignet ist, einen effektiven und menschenwürdegemäßen Flüchtlingsschutz zu gewährleisten (vgl. etwa den 2., 8., 9., 10. und 11. Erwägungsgrund der Richtlinie 2013/33/EU vom 26.06.2013 bzw. den 2., 11., 15. und 25. Erwägungsrund der Richtlinie 2013/32/EU vom 26.06.2013). Vielmehr hat es auch diejenigen Personen in den Blick zu nehmen, die nach Durchlaufen des Verfahrens von dem zuständigen Mitgliedstaat einen internationalen Schutzstatus zuerkannt bekommen haben (vgl. Art. 20 ff. der Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011). Ein effektives und menschenwürdiges Gemeinsames Europäisches Asylsystem steht und fällt auch mit den verheißenen und sodann realisierten Schutzstandards für die anerkannten Menschen. Aus der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (vgl. Urteil vom 21.12.2011 – C-411/10 u.a.; vom 14.11.2013 – C-14/11; vom 10.12.2013 – C-394/12) ergeben sich keine genügenden Anhaltspunkte dafür, dass insoweit keine umfassende Bewertung gerade auch unionsrechtlich geboten sein könnte, mit anderen Worten, dass das Gemeinsame Europäische Asylsystem die Augen davor verschließen dürfte, in welcher Situation sich im Anschluss an die Aufnahme zum Zwecke der Verfahrensdurchführung die Schutzberechtigten befinden werden, wenn man den Schutzsuchenden nach dem Mechanismus des Dublin-Systems eine freie Wahl des Zufluchtlandes verwehrt und ihnen grundsätzlich nur einen Verfahrensweg in dem zuständigen Mitgliedstaat eröffnet. Denn notwendige und zwingende Kehrseite dieses Mechanismus muss sein, dass dann auch diese Betroffenen ein menschenwürdiges Leben in dem zuerkennenden Mitgliedstaat führen können. Dieser erweiterte Blickwinkel ist der systemimmanenten Logik dieses Mechanismus geschuldet. Daraus folgt dann auch, dass die Prüfung, ob in einem Mitgliedstaat sog. systemische Schwachstellen (vgl. Art. 3 Abs. 2 Satz 2 VO (EU) Nr. 604/2013) bestehen, sich nicht auf die Beantwortung der Frage beschränken darf, ob die Aufnahmebedingungen während des Verfahren und das Verfahren selbst frei von solchen Mängel sind, sondern auch die Lage danach einbeziehen muss. Dieses hat dann aber notwendigerweise zur Konsequenz, dass systemische, nicht menschenwürdegemäße Mängel auch nur in einer Phase insgesamt dazu führen, dass die Betroffenen nicht auf das Verfahren in dem an sich zuständigen Mitgliedstaat verwiesen werden können, wenn die Betroffenen andernfalls das reale Risiko eingingen, eine Schlechtbehandlung im Sinne des Art.4 GRCh zu erfahren. Mit anderen Worten: Die besten Aufnahmebedingungen während des Anerkennungsverfahrens wären unzureichend, wenn den Betroffenen anschließend nach einer Anerkennung Verelendung droht, und umgekehrt. Ungeachtet dessen gebietet es ohnehin jedenfalls Art. 3 EMRK, vor einer Überstellung außerhalb des Dublinmechanismus (auf welcher Rechtsgrundlage auch immer), aus gegebenem Anlass eine Prüfung vorzunehmen. Allerdings ist dem Senat bewusst, dass die Qualifikationsrichtlinie, was die Existenzbedingungen der Schutzberechtigten betrifft, in der Regel nur Inländerbehandlung verspricht (vgl. auch VGH Bad.-Württ., Urteil vom 10.11.2014 – A 11 S 1778/14 –, InfAuslR 2015, 77) und unionsrechtlich nach dem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem keine bestimmten (Mindest-)Standards vorgegeben werden (vgl. allerdings auch Art. 32 QRL, der nur Gleichbehandlung mit anderen Drittstaatszugehörigen verlangt). Inländerbehandlung kann allerdings unzureichend sein, selbst wenn die Standards für die Inländer noch menschenwürdegemäß sein sollten. Denn die Union muss bei alledem in den Blick nehmen, dass es sich hier typischerweise um verletzliche und entwurzelte Menschen, jedenfalls um Menschen mit vielerlei Handicaps handelt, die nicht ohne weiteres oder auch gar nicht in der Lage sein werden, allein gestellt die Rechtspositionen, die die Rechtsordnung des Aufnahmestaats an sich formal gewährleistet auch effektiv geltend zu machen. Sie müssen daher erst in die gleiche oder eine vergleichbare faktische Position einrücken, aus der heraus die einheimische Bevölkerung ihre Rechte in Anspruch nimmt und nehmen kann. Erst mit diesem realen sozialen Hintergrund erfährt Inländerbehandlung ihre innere Rechtfertigung und Tragfähigkeit. Deshalb fordert Art. 34 QRL aus gutem Grund von den Mitgliedstaaten, den effektiven Zugang zu Integrationsprogrammen zu gewährleisten, denen eine spezifisch kompensatorische Funktion zukommt, und dieses bedingungs- und einschränkungslos. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte berücksichtigte in seiner Rechtsprechung (Entscheidung vom 21.01.2011 – Nr. 30696/09 ) im Kontext des Art. 3 EMRK ausdrücklich den Umstand, dass der hier zu betrachtende und zu würdigende Personenkreis in besonderem Maße verletzlich und/oder hilfsbedürftig ist und entwickelt die mit Blick auf Art. 3 EMRK einzuhaltenden (höheren) Standards – in Abweichung von der für die Beurteilung der in Abschiebezielstaaten allgemein herrschenden humanitären Zuständen herausgebildeten eigenen Spruchpraxis (vgl. nunmehr aber auch EGMR, Urteil vom 13.12.2016 – 41738/16 ) spezifisch auch unter diesem Gesichtspunkt sowie den Verheißungen des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems. Konkret bedeutet dies dann auch, dass dieses Gemeinsame Europäische Asylsystem zumindest ein entsprechend dimensioniertes und den Defiziten des hier zu betrachtenden Personenkreises gerecht werdendes Integrationsprogramm gewährleisten muss, soweit dieses erforderlich ist, um jedenfalls die Inländerbehandlung faktisch und nicht nur formal rechtlich zu gewährleisten und sicherzustellen, was dann von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedliche Anforderungen bedingen kann. Dieser Standard stellt im Kontext des Unionsrechts ein flüchtlings- und menschenrechtliches Minimum dar. Er ist letztlich die Rechtfertigung und der Geltungsgrund des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, namentlich des dieses entscheidend prägenden Dublinsystems, der es den Flüchtlingen grundsätzlich verwehrt, einen effektiven Flüchtlingsschutz auch in einem anderen Mitgliedstaat zu suchen und zu finden. Dieses flüchtlings- und menschenrechtliche Minimum ist gewissermaßen die Kehrseite des Dublinsystems.
26 
Auf die vom Senat aufgeworfene Problematik kommt es im vorliegenden Verfahren auch an. Denn dem Senat liegt u.a. der ausführliche Recherchebericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe "Aufnahmebedingungen in Italien" vom August 2016 (vgl. dort S. 33 ff.) vor, aus dem sich konkrete Anhaltspunkte dafür ergeben, dass international Schutzberechtigte einem konkreten Risiko ausgesetzt sein könnten, bei einem Leben völlig am Rande der Gesellschaft obdachlos zu werden und zu verelenden. Dieser Bericht gibt, sofern die hier aufgeworfene Frage zu bejahen ist, Anlass diesen Anhaltspunkten weiter nachzugehen und eine abschließende Klärung herbeizuführen. Die Schweizerische Flüchtlingshilfe betont mehrfach, dass das völlig unzureichend entwickelte Sozialsystem in weiten Teilen durch den Rückhalt in familiären Strukturen zu erklären ist, bzw. anders gewendet nur wegen dieses Rückhalt unter der italienischen Bevölkerung Not nicht ein generelles Phänomen darstellt. Diese Strukturen fehlen aber bei den Schutzberechtigten völlig. Dass hier die kompensatorisch greifenden Integrationsprogramme in Italien gegenwärtig weitgehend fehlen und namentlich der Zugang zu den unerlässlichen Sprachkursen mehr oder weniger dem Zufall überlassen ist, beschreibt die Schweizerische Flüchtlingshilfe (S. 53 f.) eindrücklich. Zwar soll ein Integrationsplan verabschiedet werden, er existiert allerdings noch nicht, geschweige denn, dass er umgesetzt würde; aktuell wird weiter hiervon geredet, mehr aber nicht (vgl. etwa Tagesspiegel v. 01.01.2017). Wenn überhaupt, werden einige wenige Projekte nur von Nichtregierungsorganisationen organisiert. Bei dieser Ausgangslage wäre es in Ermangelung eines ausgebauten vielfältigen sozialen Sicherungssystems unrealistisch, die Schutzberechtigten auf einen Rechtsweg zu verweisen, weil schon wegen teilweiser fehlender Ansprüche der Aspekt der Inländerbehandlung ins Abseits führen muss. Abgesehen davon dürfte die Effektivität ernsthaft infrage stehen. Dass die großen strukturellen Defizite des staatlichen Sozialsystems im weitesten Sinne angesichts der in den vergangenen Jahren stark angestiegenen Flüchtlingszahlen in Italien effektiv durch Nichtregierungsorganisationen und Kirchen ausgeglichen werden können, lässt der Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe nicht erkennen; wäre dieses der Fall, könnten die von ihr beschriebenen Verhältnisse so nicht eingetreten sein. Jedenfalls wäre dieser Frage gegebenenfalls noch weiter nachzugehen (vgl. zur Funktion und Tätigkeit von Nichtregierungsorganisationen und Kirchen in Italien vor Jahren bei wesentlich geringeren Flüchtlingszahlen VGH Bad-Württ., Urteil vom 16.04.2014 – A 11 S 1721/13).
27 
Namentlich für diese ggf. noch anzustellenden Ermittlungen ist es im Übrigen für den Senat von erheblicher Bedeutung, dass geklärt wird, welche unionsrechtlichen und menschenrechtlichen Standards für die Beurteilung der Verhältnisse in dem jeweiligen Mitgliedstaat gelten und anzuwenden sind.
28 
Der Senat erachtet es für geboten, über das Ersuchen im Eilvorabentscheidungsverfahren zu entscheiden (Art. 107 VerfO i.V.m. Art. 23a der Satzung des Gerichthofs), da die dritte Vorlagefrage von weitreichender Bedeutung ist. Sie hat Relevanz für alle Italien betreffenden Überstellungsverfahren im gesamten Dublinsystem; sie ist daher vorgreiflich in einer unübersehbaren Zahl von Verfahren. Die Ungewissheit über ihren Ausgang birgt die Gefahr, das Funktionieren des durch die Verordnung 604/2013 eingeführten Systems zu beeinträchtigen und das Gemeinsame Europäischen Asylsystem zu schwächen (vgl. EuGH, Beschluss vom 15.02.2017 - C-670/16 -, ECLI:EU:C:2017:120).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Tenor

I. Unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 25. Oktober 2016 wird der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 23. November 2015 aufgehoben.

II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen.

III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die im Jahr 1971 geborene Klägerin und ihre beiden 2006 und 2008 geborenen Kinder sind kurdische Yeziden aus Sheikhan im Irak. Sie reisten am 5. August 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten am 14. September 2015 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) Asylantrag.

Bei der Befragung zur Vorbereitung der Anhörung am 14. September 2015 gab die Mutter, die Klägerin zu 1, an, sie habe ihr Heimatland am 1. Juli 2015 verlassen. In der Heimat lebten noch ihr Ehemann und 2 weitere Kinder sowie drei Brüder und zwei Schwestern. Im persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats am 16. Oktober 2015 gab die Klägerin zu 1 an, sie sei ca. einen Monat unterwegs gewesen und dabei über ihr unbekannte Länder gefahren. In Ungarn seien ihr Fingerabdrücke abgenommen worden.

Nachdem sich ein Eurodac-Treffer für Ungarn ergeben hatte, bat das Bundesamt am 21. Oktober 2015 Ungarn um Übernahme des Asylverfahrens. Der ungarische Staat bestätigte den Empfang der Anfrage am 22. Oktober 2015.

Mit Bescheid des Bundesamts vom 23. November 2015 wurden die Anträge als unzulässig abgelehnt (1.) und die Abschiebung nach Ungarn angeordnet (2.). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 12 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (3.). Zur Begründung ist ausgeführt, der Asylantrag sei gemäß § 27a AsylG a.F. unzulässig, da Ungarn nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 v. 29.6.2013, S. 31 - Dublin III-VO), zur Prüfung der Asylanträge zuständig sei. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die zu einem Selbsteintrittsrecht führen könnten, seien nicht ersichtlich. Der Vortrag der Kläger, dass sie in Ungarn zwei Tage ohne Essen im Gefängnis gewesen seien und die Klägerin zu 1 deshalb aktuell psychisch sehr belastet sei, rechtfertige keine andere Beurteilung. Gründe zur Annahme von systemischen Mängeln im ungarischen Asylverfahren lägen nicht vor. Die in Deutschland lebenden Geschwister bzw. Verwandten der Klägerin zu 1 seien keine „Familienangehörige“ im Sinn der Dublin III-VO. Die Asylanträge würden daher in der Bundesrepublik Deutschland nicht materiell geprüft.

Am 1. Dezember 2015 erhoben die Kläger hiergegen beim Verwaltungsgericht Ansbach Klage und stellten zugleich Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung. Sie führten aus, es sei von systemischen Mängeln des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in Ungarn auszugehen. Das ergebe sich aus zahlreichen verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen. Zudem werde zu Unrecht angenommen, dass die Kläger der Regelung des § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG (a.F.) unterfielen.

Mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 4. Januar 2016 wurde die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet und mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 7. März 2017 deren Fortdauer (13a AS 17.50010).

In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 18. Oktober 2016 erklärten die Kläger, in Ungarn seien zwangsweise Fingerabdrücke abgenommen worden und es sei ihnen keine gute Behandlung widerfahren. Die Kinder hätten trotz starken Fiebers keine Behandlung bekommen; sie seien zusammen mit vielen anderen Personen inhaftiert gewesen.

Mit Urteil vom 25. Oktober 2016 wurde die Klage abgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, nach den unionsrechtlichen Rechtsvorschriften sei Ungarn für die Durchführung der Asylverfahren zuständig. Aufgrund der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage durch Beschluss vom 4. Januar 2016 sei die Wiederaufnahmefrist noch nicht abgelaufen. Derzeit sei auch nicht ernsthaft zu befürchten, dass in Ungarn das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen systemische Mängel aufwiesen. Das gelte auch nach der Verschärfung der gesetzlichen Regelungen in Ungarn zum 15. August 2015. Dafür spreche, dass der UNHCR keine generelle Empfehlung ausgesprochen habe, Asylbewerber nicht nach Ungarn zu überstellen. Auch die nach der Rechtslage mögliche Anwendung von Asylhaft bei Rückkehrern im Dublin-Verfahren führe nicht zur Annahme systemischer Mängel. Das hätten auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (U.v. 3.7.2014 - 71932/12) und der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (B.v. 12.6.2015 - 13a ZB 15.50097 - juris; B.v. 27.4.2015 - 14 ZB 13.30076 - juris) festgestellt. Zwar seien Dublin-Rückkehrer häufiger von Asylhaft betroffen als Ersteinreisende, jedoch würden Asylkläger aus sogenannten anerkennungsträchtigen Herkunftsländern regelmäßig weder in Asylhaft noch in Abschiebehaft genommen, im Zeitraum vom 1. Januar bis 30. Juni 2015 nur 0,7% aller Asylantragsteller. Familien mit minderjährigen Kindern müssten in separaten Gebäuden getrennt von alleinstehenden Männern untergebracht werden. Asylhaft werde nur in begründeten Einzelfällen angewendet. Dass die Haftbedingungen an sich menschenunwürdig wären und es dort systematisch zu Menschenrechtsverletzungen kommen würde, sei nicht ersichtlich. Es gebe regelmäßig eine medizinische Betreuung, teilweise arbeiteten dort Sozialpädagogen und es bestehe die Möglichkeit der freien Bewegung. Den aktuellen Berichten könne weiter nicht entnommen werden, dass den Klägern eine Überstellung von Ungarn nach Serbien drohe. Auch die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens gegenüber Ungarn durch die europäische Kommission führe nicht per se zur Annahme von systemischen Mängeln im Asylsystem. Die vorübergehenden Kapazitätsprobleme dürften sich mittlerweile nach den von der ungarischen Regierung ergriffenen Maßnahmen wieder entschärft haben.

Auf Antrag der Kläger hat der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 25. Januar 2017 die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Frage zugelassen, ob das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Ungarn systemische Mängel aufweisen (13a ZB 16.50076).

Zur Begründung ihrer Berufung tragen die Kläger vor, im ungarischen Asylsystem herrschten größere Funktionsstörungen, so dass die ernst zu nehmende Gefahr bestehe, dass sie bei einer Überstellung in einer Weise behandelt würden, die mit ihren Grundrechten nicht vereinbar sei. Insbesondere bestehe mit der Aufnahme von Serbien in die Liste der sicheren Drittstaaten die Gefahr, dass Schutzsuchende nach einer Überstellung nach Ungarn ohne inhaltliche Prüfung ihrer Fluchtgründe in Staaten abgeschoben würden, für die zweifelhaft sei, dass die dortigen Asylverfahren den europäischen Mindestanforderungen entsprächen und Abschiebungen unter Verstoß gegen das Refoulement-Verbot ausgeschlossen seien. Zudem sei zu befürchten, dass das ungarische Asylrecht seit dem 1. August 2015 hinter den europäischen Verfahrensgarantien zurückbleibe. Diese Einschätzung werde bestätigt durch die Berichte von Bordermonitoring, Pro Asyl, Amnesty International, European Council on Refugees and Exiles (ecre) und des Hungarian Helsinki Committee.

Die Kläger beantragen,

den Bescheid des Bundesamts vom 23. November 2015 unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 25. Oktober 2016 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt

Berufungszurückweisung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und vorgelegten Behördenakten und die Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 23. März 2017 verwiesen.

Gründe

Die Berufung ist zulässig und begründet (§ 125 Abs. 1 Satz 1, § 128 Satz 1 VwGO).

I.

Die Klage ist zulässig, insbesondere ist die Anfechtungsklage die allein statthafte Klageart gegen den Bescheid des Bundesamts vom 23. November 2015, wenn es um das Begehren auf Aufhebung einer Entscheidung über die Unzuständigkeit Deutschlands für die Prüfung eines Asylantrags nach den unionsrechtlichen Regelungen der Dublin III-VO geht (BVerwG, U.v. 27.10.2015 - 1 C 32.14 - BVerwGE 153, 162 = NVwZ 2016, 154 zu Art. 2 Buchst. e Dublin II-VO).

II.

Die Klage ist auch begründet. Nach der im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgeblichen Sach- und Rechtslage (§ 77 Abs. 1 AsylG) ist der Bescheid des Bundesamts vom 23. November 2015 rechtswidrig und verletzt die Kläger dadurch in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).

1. Gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1a) AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Dublin III-VO für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.

Die Reihenfolge der Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats richtet sich nach Kapitel III der Verordnung (vgl. Art. 7 Abs. 1 Dublin III-VO). Nach Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO wird bei der Bestimmung des nach diesen Kriterien zuständigen Mitgliedstaats von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat gestellt hat.

Gemessen hieran wäre der beim Bundesamt gestellte Asylantrag gemäß § 29 AsylG unzulässig, weil die Kläger nach den Eurodac-Treffern in Ungarn aus einem Drittstaat kommend die Grenze dieses Mitgliedstaats überschritten haben, der damit nach Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig wäre. Zwischen den Beteiligten besteht auch kein Streit über die prinzipielle Zuständigkeit Ungarns. Die Kläger befürchten allerdings, dass ihnen im Fall ihrer Abschiebung eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S.v. Art. 3 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention - EMRK) drohen würde. Davon ist in Ungarn auch auszugehen.

Das gemeinsame europäische Asylsystem stützt sich ebenso wie das deutsche Konzept der „normativen Vergewisserung“ hinsichtlich der Sicherheit von Drittstaaten (siehe hierzu EuGH, U.v. 21.12.2011 - C-411/10 u.a. - NVwZ 2012, 417 Rn. 75 ff.; BVerfG, U.v. 14.5.1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 - BVerfGE 94, 49) auf die uneingeschränkte und umfassende Anwendung des am 28. Juli 1951 in Genf unterzeichneten Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK) und die Versicherung, dass niemand dorthin zurückgeschickt wird, wo er Verfolgung ausgesetzt ist. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass alle daran beteiligten Staaten die Grundrechte beachten und dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen dürfen. Es wird vermutet, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GR-Charta) sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention steht. Wenn ein Mitgliedstaat der Aufnahme des betreffenden Asylbewerbers zugestimmt (oder nicht geantwortet) hat, kann der Asylbewerber der Bestimmung dieses Mitgliedstaats deshalb gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO nur mit dem Einwand entgegentreten, es gebe wesentliche Gründe für die Annahme, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 GR-Charta mit sich bringen (siehe zur Dublin II-VO EGMR, U.v. 21.1.2011 - M.S.S./Belgien und Griechenland, Nr. 30696/09 - NVwZ 2011, 413; EuGH, U.v. 21.12.2011 - N.S., C-411/10 und C-493/10 - NVwZ 2012, 417; U.v. 10.12.2013 - Abdullahi, C-394/12 - NVwZ 2014, 208). Das ist vorliegend der Fall. Nach den dargestellten Grundsätzen ist es geboten, eine Überstellung nach Ungarn zu unterlassen, weil dort derzeit von systemischen Schwachstellen in diesem Sinn auszugehen ist.

2. Der Senat ist auf der Grundlage des ihm vorliegenden Erkenntnismaterials zur Situation von Asylbewerbern sowie von Dublin-Rückkehrern zu der Überzeugung gelangt, dass bei diesen und damit auch den Klägern eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Fall der Überstellung/Abschiebung nach Ungarn ernsthaft zu befürchten ist.

a) Das ergibt sich aus der dortigen (gesetzlichen) Entwicklung in den letzten Jahren. Nach der am 1. Juli 2013 in Kraft getretenen Änderung des Asylgesetzes, die die Möglichkeit einer Inhaftierung von Asylbewerbern vorsah, kam es ab Sommer 2015 zu weiteren Gesetzesänderungen betreffend unter anderem die Einführung eines beschleunigten Verfahrens, den Rechtsschutz und die Inhaftierung sowie die Aufnahme von Serbien in eine nationale Liste sicherer Drittstaaten mit der Folge der Unzulässigkeit von Asylanträgen bei Einreise über Serbien (UNHCR, Hungary: As a Country of Asylum, Mai 2016 - UNHCR Mai 2016; Hungarian Helsinki Committee, Information Note v. 7.8.2015: Changes to Hungarian asylum law jeopardise access to protection in Hungary - HHC 7.8.2015; AIDA - Asylum Information Database, Country-Report: Hungary v. November 2015 - aida November 2015; Third Party Intervention by the Council of Europe Commissioner for Human Rights, Applications No. 44825/15 und 44944/15 v. 17.12.2015 - CHR). Im September 2015 wurde mit der Errichtung von Grenzzäunen zu Serbien und Kroatien ein Grenzverfahren in dort eingerichteten Transitzonen etabliert (UNHCR Mai 2016; aida November 2015; CHR). Im Fall von Unzulässigkeit und im beschleunigten Verfahren ist vom Amt für Einwanderung und Staatsbürgerschaft (OIN) innerhalb von 15 Tagen zu entscheiden, im regulären Verfahren innerhalb von zwei Monaten (aida November 2015, S. 12; CHR). Die Rechtsmittelfrist gegen Unzulässigkeitsentscheidungen des OIN bzw. gegen Entscheidungen im beschleunigten Verfahren beträgt drei Tage, im Standardverfahren acht Tage (UNHCR Mai 2016, S. 10; HHC 7.8.2015; aida November 2015, S. 21 ff.). Unter Beibehaltung der im Juli 2013 eingeführten Asylhaft im Allgemeinen wurde die zulässige Haftdauer für Grenzankömmlinge ohne Papiere auf 24 statt bisher 12 Stunden heraufgesetzt und die Haftanordnung im Dublin-Verfahren erleichtert. Im Allgemeinen kann Asylhaft erstmalig maximal für 72 Stunden sowie aufgrund eines Verlängerungsantrags um maximal 60 Tage aus im Einzelnen genannten Gründen angeordnet werden, insbesondere bei unklarer Identität und Gefahr des Untertauchens. Zuvor ist zu prüfen, ob ein milderes Mittel zur Anwendung kommen kann (Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Regensburg v. 27.1.2016: Rücküberstellungen nach Ungarn im Rahmen des Dublin-Verfahrens - AA 27.1.2016). Die maximale Dauer der Asylhaft beträgt 6 Monate, bei Folgeanträgen 12 Monate und bei Familien mit Kindern 1 Monat (AA 27.1.2016; aida November 2015, S. 63). Die bisher verpflichtende Platzgröße für die Asylhaft wurde in eine Empfehlung umgewandelt, die so weit wie möglich einzuhalten ist. Ferner kann OIN Asylantragsteller ohne Dokumente verpflichten, ihr Heimatland zu kontaktieren (HHC 7.8.2015; CHR).

Dublin-Rückkehrer, über deren Erstantrag bei Rückkehr noch nicht entschieden wurde, werden als Erstantragsteller behandelt (AA 27.1.2016). Grundsätzlich hat die Asylbehörde in Fällen, in denen Asylantragsteller während eines laufenden Asylverfahrens in einen Mitgliedstaat weiterreisen, in jedem Verfahrensstadium die Möglichkeit, entweder auf Basis der zur Verfügung stehenden Informationen eine Sachentscheidung zu treffen oder aber das Asylverfahren einzustellen. Regelmäßig wird das Asylverfahren ohne Entscheidung in der Sache eingestellt (AA 27.1.2016; aida November 2015, S. 21 ff.). Die Wiederaufnahme des Verfahrens kann bis zu neun Monate nach Einstellung des Verfahrens beantragt werden (UNHCR Mai 2016, S. 20; AA 27.1.2016). Danach wird die Einstellung endgültig und der Asylbewerber wird wie ein Folgeantragsteller behandelt, wobei Änderungen dergestalt in Planung seien, dass der Asylantrag auch in diesem Fall vollumfänglich geprüft werde (AA 27.1.2016).

b) Angesichts dieser Ausgangslage, die nach dem vorliegenden Erkenntnismaterial ab dem Jahr 2013 bis zum jetzigen Zeitpunkt durch eine fortschreitende (gesetzliche) Intensivierung und Verschärfung gekennzeichnet ist, besteht für die Kläger insbesondere die Gefahr, in Ungarn ohne ausreichende gesetzmäßige Anordnung und ohne effektive Rechtsschutzmöglichkeiten inhaftiert zu werden.

Die Anordnung der Asylhaft ist schon nach den gesetzlichen Vorgaben in großem Umfang zulässig. Danach kann Asylhaft angeordnet werden 1. bei unklarer Identität oder Staatsangehörigkeit, 2. bei Ausländern, die sich im Ausweisungsverfahren befinden und einen Asylantrag stellen, obwohl sie diesen zweifelsfrei bereits zuvor hätten stellen können oder um eine drohende Aufenthaltsbeendigung zu verzögern oder abzuwenden, 3. wenn der Sachverhalt des Asylbegehrens aufgeklärt werden muss und eine Aufklärung nicht ohne Haft möglich ist, speziell wenn die Gefahr des Untertauchens besteht, 4. wenn der Asylbewerber eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, 5. wenn der Asylantrag im Flughafenbereich gestellt wurde oder 6. zur Sicherstellung der Durchführung des Dublin-Verfahrens, wenn die ernsthafte Gefahr des Untertauchens besteht (AA 27.1.2016). Diese Formulierung der Haftgründe ist sehr weit gefasst und lässt damit Raum für eine weitreichende Inhaftierung von Asylbewerbern (siehe auch UNHCR, Stellungnahme an das VG Düsseldorf v. 30.9.2014: Situation der Flüchtlinge und Asylsuchenden in Ungarn, insbesondere Dublin-Rückkehrer und Inhaftierungen - UNHCR 30.9.2014; Pro Asyl, Stellungnahme an das VG Düsseldorf vom 31.10.2014: Haftsituation von Asylbewerbern in Ungarn - Pro Asyl 31.10.2014; aida November 2015, S. 59 ff.).

Auch die tatsächliche Praxis der Inhaftierung in Ungarn wird schon länger in vielen Punkten erheblich kritisiert. So solle das OIN vor einer Haftanordnung zwar prüfen, ob Alternativen zur Haft bestünden, aber nach Auskunft des Hungarian Helsinki Committee und Pro Asyl (Brief Information Note for the Seminar on the Right to Asylum in Europe, Barcelona, 9.-10.6.2016: The Reception Infrastructure for Asylum-Seekers in Hungary - HHC Juni 2016; Pro Asyl 31.10.2014) werde hiervon nur in Ausnahmefällen Gebrauch gemacht; Verlängerungen würden automatisch für den Höchstzeitraum beantragt und die Haftanordnungen seien nicht individualisiert (UNHCR 30.9.2014; Pro Asyl 31.10.2014). Kritisch angemerkt wird dabei ferner, dass es in „Asylhaft“-Einrichtungen des OIN praktisch kein ausgebildetes Personal gebe; Sozialarbeiter erhielten nur Zugang unter Begleitung einer bewaffneten Wache. Auch wenn sich die Inhaftierten zwischen 6.00 und 23.00 Uhr innerhalb der Hafteinrichtungen frei bewegen könnten (Pro Asyl 31.10.2014) und es in der polizeilichen „Einwanderungshaft“ für Folgeantragsteller ausgebildetes Bewachungspersonal gebe (UNHCR 30.9.2014), wird festgestellt, dass Asylbewerber bei etwaigen Behördengängen und Gerichtsterminen wie im Strafverfahren gefesselt und mit Handschellen vorgeführt würden (aida November 2015, S. 65; CHR). Weiter wird kritisiert, dass die Inhaftierungsquote ab dem Jahr 2013 kontinuierlich angestiegen sei. Während in einer Auskunft des Auswärtigen Amts vom 3. Juli 2015 an das Verwaltungsgericht Hannover (AA 3.7.2015) noch angegeben wurde, dass im Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Mai 2015 2,1% aller Asylantragsteller und 6 bis 10% der Dublin-Rückkehrer in Asylhaft genommen worden seien, komme es in der Praxis nach Auskunft von aida (November 2015, S. 62) und CHR sehr häufig zu Inhaftierungen und entgegen der gesetzlichen Regelung seit September 2014 auch bei Familien mit Kindern, die unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten von Gesetzes wegen als schwerwiegendstes Mittel bis zu 30 Tage inhaftiert werden könnten. UNHCR kann jedoch nicht bestätigen, dass die Haft nur unter dieser Voraussetzung stattfindet (UNHCR 30.9.2014). Pro Asyl gibt vielmehr an, dass OIN ab September 2014 Familien verstärkt inhaftiert habe (Pro Asyl 31.10.2014). Anlässlich seines Besuchs vom 24. bis 27. November 2015 wurde dem CHR von OIN mitgeteilt, dass sich derzeit 525 Asylantragsteller in offenen Aufnahmeeinrichtungen befänden und 412, mithin ca. 44%, inhaftiert seien. Anfang November 2015 soll die Inhaftierungsquote CHR zufolge sogar 52% gegenüber 11% im Jahr 2014 betragen haben (siehe auch HHC v. Juni 2016). Zudem scheint sich nach Auffassung der genannten Organisationen der ungenügende Gebrauch von Haftalternativen fortzusetzen. Auch das Problem der willkürlichen Inhaftierung sei weiterhin akut. Nach Auskunft von HHC waren am 30. Mai 2016 insgesamt 702 Asylbewerber in Haft, 1.583 in offenen Aufnahmeeinrichtungen. Zuletzt meldete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich (Kurzinformation Ungarn v. 14.12.2016: Zentrum Bicske geschlossen - BFA 14.12.2016), dass im Dezember 2016 nach offiziellen Zahlen 192 Migranten in offener und 301 in geschlossener Unterbringung aufhältig waren. Zur Haftdauer berichtet Pro Asyl in Zusammenarbeit mit dem HHC, das wiederum eine Anfrage an OIN richtete, dass die durchschnittliche Haftdauer im Zeitraum vom 1.7.2013 bis 31. August 2014 dem OIN zufolge zwar „nur“ 32 Tage betragen habe, nach den eigenen Einschätzungen und einer Untersuchung des HHC allerdings deutlich länger sei. Die Diskrepanz beruhe auf vermutlich darauf, dass OIN nicht nur die Zeit von Inhaftierungen einrechne, sondern auch diejenigen Fälle ohne jegliche Inhaftierung.

Schließlich wies HHC im Juni 2016 nochmals ausdrücklich darauf hin, dass Ungarn einer der wenigen Staaten in Europa sei, in dem Asylerstantragsteller in der Regel für mehrere Monate inhaftiert würden (HHC Juni 2016). Dublin-Rückkehrer würden in der Praxis regelmäßig inhaftiert (so auch UNHCR 30.9.2014; Pro Asyl 31.10.2014; CHR). Diese Haft werde als „Asylhaft“, nicht als „Abschiebehaft“ oder „Einwanderungshaft“ verhängt (UNHCR 30.9.2014). Auch das Auswärtige Amt (AA 3.7.2015) gibt an, dass die Wahrscheinlichkeit, in Haft genommen zu werden, im ersten Halbjahr 2015 für Dublin-Rückkehrer gegenüber Neuankömmlingen erhöht gewesen sei.

Zudem lässt sich den Erkenntnisquellen nicht entnehmen, dass ein effektiver Rechtsschutz existieren würde. Insbesondere bestehen für das OIN und auch die Gerichte sehr restriktive Fristenregelungen zur Entscheidung. Diese sind nicht ausreichend, um die Durchführung eines rechtsstaatlichen Verfahrens zu gewährleisten. Bei Fristen im Tagebereich wie dargestellt können die unverzichtbaren Anforderungen an ein solches Verfahren einschließlich Dolmetscher, Anhörung, (individualisierter) Herkunftslandinformationen etc. nicht eingehalten werden (siehe hierzu HHC 7.8.2015; aida November 2015; CHR). Gleiches gilt für die Rechtmittelfristen (siehe auch aida November 2015; CHR). Weiter gibt es zwar de iure Zugang zu Rechtsberatung, in der Praxis ist diese aber den Auskünften zufolge mangels entsprechender staatlicher Finanzierung nicht verfügbar (UNHCR 30.9.2014). Soweit überhaupt staatliche Anwälte bestellt seien, agierten diese passiv (Pro Asyl 31.10.2014; aida November 2015). Tatsächlich gebe es damit nur Zugang zu den (Vertrags-)Anwälten des HHC, so dass nur eine Minderheit anwaltliche Vertretung erhalte (Pro Asyl 31.10.2014). Außerdem ist gegen die Verhängung von „Asylhaft“ kein gesetzlicher Rechtsbehelf vorgesehen, sondern nur eine sogenannte „Einspruchsmöglichkeit“. Nach den Informationen von UNHCR werde aber auch hiervon aus Unkenntnis kein Gebrauch gemacht (UNHCR 30.9.2014). Gegen die „Einwanderungshaft“ gebe es ebenfalls keinen Rechtsbehelf, nur eine automatische Überprüfung (UNHCR 30.9.2014). Die gerichtliche Haftüberprüfung erfolge in einem „automatisierten“ Prozess alle 60 Tage durch dieselben (Straf-)Richter, die die Erstprüfung durchgeführt hätten (UNHCR 30.9.2014; Pro Asyl 31.10.2014; aida November 2015, S. 67 ff.). In der täglichen Praxis würden Entscheidungen für 5 bis 15 Häftlinge innerhalb von 30 Minuten gefällt, ohne dass eine individuelle Prüfung erfolgen könne (UNHCR 30.9.2014; Pro Asyl 31.10.2014). Schon im Jahr 2012 habe der Oberste Gerichtshof (Kuria) eine Untersuchung in Auftrag gegeben, die 8.000 Entscheidungen analysiert habe, von denen nur in drei Fällen keine Haftverlängerung erfolgt sei (UNHCR 30.9.2014). Die Asylarbeitsgruppe am Obersten Gerichtshof bestätigte im Oktober 2014, dass die gerichtliche Überprüfung der Asylhaft wirkungslos sei (aida November 2015, S. 67 ff.). Die Entscheidungen seien schematisch, das Verfahren nicht individualisiert und es erfolge keine Überprüfung, ob die Haft das einzige Mittel sei. Seit der Beanstandung durch die Kuria habe sich aber in der Praxis nichts geändert (aida November 2015, S. 67 ff.). Angesichts dieser gravierenden Missstände kann der Rechtsschutz damit insgesamt gesehen nicht mehr als wirksam bezeichnet werden.

Die Bewertung dieser Erkenntnisse ist insofern mit Schwierigkeiten verbunden, als jeweils nur punktuelle Angaben gemacht, wie etwa zu bestimmten Zeiträumen oder zu den betroffenen Gruppen, und keine statistisch aufbereiteten Daten für die Jahre 2014, 2015 und 2016 genannt werden zur (Gesamt-)Anzahl der Asylanträge in Ungarn, zur Anzahl der Dublin-Rückkehrer und zu den Verhältnissen in der Transitzone sowie dem jeweiligen Anteil an Inhaftierungen. Das kann wohl kaum darin begründet sein, dass keine offiziellen statistischen Informationen vorlägen, etwa ob Dublin-Rückkehrer regelmäßig oder ausnahmsweise inhaftiert werden, wie das Auswärtige Amt angibt (AA 27.1.2016). Denn das widerspräche zum einen dessen eigener Aussage in der Auskunft an das Verwaltungsgericht Hannover (AA 3.7.2015), wonach im Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Mai 2015 6 bis 10% der Dublin-Rückkehrer in Asylhaft genommen worden seien. Zum anderen wurde dem CHR im November 2015 von OIN mitgeteilt, dass es zu diesem Zeitpunkt eine allgemeine Inhaftierungsquote von ca. 44% gegeben habe und von den in diesem Jahr durchgeführten 1.338 Dublin-Überstellungen 332 Rückkehrer in Asylhaft genommen worden seien, also ca. 25%. Auch wenn hiermit keine übergreifende Aussage getroffen wird, die Angaben zur Inhaftierungsquote sehr differieren und nicht zu erkennen ist, inwieweit sich die statistischen Ausgangsdaten decken, lässt sich in der Zusammenschau mit den weiteren Angaben, insbesondere des Hungarian Helsinki Committee (Hungary: Key Asylum Figures as of 1 September 2016 - HHC 1.9.2016: am 29.8.2016 waren 233 von 707 Asylbewerbern in Haft) und des österreichischen Bundesamts für Asylwesen (BFA 14.12.2016: im Dezember 2016 waren 192 Migranten in offener und 301 in geschlossener Unterbringung aufhältig), dennoch ein Gesamtbild entnehmen. Die vorliegenden Erkenntnisse zeigen deutlich, dass die Inhaftierung von Asylbewerbern in Ungarn weit verbreitet ist. Es tritt klar zu Tage, dass die gesetzlichen Vorgaben eine weitreichende Anordnung von Haft ermöglichen und sie auch in der praktischen Handhabung in beachtlichem Umfang stattfindet. Da zudem die Anordnung der Haft schematisch und ohne Einzelfallprüfung erfolgt und eine gerichtliche Überprüfung faktisch nicht stattfindet, muss davon ausgegangen werden, dass Dublin-Rückkehrer wie die Kläger im Fall ihrer Überstellung nach Ungarn einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinn von Art. 3 EMRK ausgesetzt wären. Diese Einschätzung wird auch bestätigt durch deren unbestrittenen Angaben, dass sie in Ungarn bereits inhaftiert gewesen seien.

c) Ein weiterer Grund für die Annahme, dass das Asylverfahren in Ungarn systemische Schwachstellen aufweist, die zu einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung führen, ist die ernsthafte Gefahr eines Verstoßes gegen das Refoulement-Verbot des Art. 33 Abs. 1 GFK. Im Fall einer Rückführung nach Ungarn würde die Abschiebung nach Serbien drohen. Neben den bereits erwähnten Gesetzesänderungen wurde im Juli 2015 eine nationale Liste von sicheren Drittstaaten, zu denen aus ungarischer Sicht auch Serbien gehört, aufgestellt (UNHCR Mai 2016, S. 15 ff.; HHC 7.8.2015; aida November 2015, S. 43 ff.; CHR). Das widerspricht dem europarechtlichen Konzept des sicheren Drittstaats, der Position von UNHCR und steht auch im Widerspruch zum Leitfaden des ungarischen Obersten Gerichtshofs. Mit der Gesetzesänderung wird das OIN ermächtigt, ohne inhaltliche Überprüfung des Asylbegehrens alle Anträge von Asylbewerbern abzulehnen, die durch einen solchen sicheren Drittstaat gekommen sind. Die Betroffenen werden dabei zwar informiert, dass ein Dublin-Verfahren eingeleitet wird, aber nicht mehr über die weiteren Verfahrensschritte. Sie bekommen die Unzulässigkeitsentscheidung zwar mündlich in einer ihnen verständlichen Sprache mitgeteilt, nicht aber eine schriftliche Übersetzung (aida November 2015, S. 23). Erschwerend kommt hinzu, dass es gegen die Entscheidung des OIN faktisch kaum Rechtsschutz gibt. Zwar kann gegen die Entscheidung des OIN unter bestimmten Voraussetzungen und mit inhaltlichen Vorgaben ein Rechtsmittel eingelegt werden, jedoch beträgt die Frist hierfür, wie bereits dargelegt, nur drei Tage bzw. nach einer weiteren Gesetzesänderung im September 2015 sieben Tage (UNHCR Mai 2016, S. 18; aida November 2015, S. 25-27). In dieser kurzen Zeitspanne kann weder ein Rechtsbeistand erlangt noch ein substantiierter Rechtsbehelf erhoben werden, zumal die lückenhafte Information der Asylantragsteller und Verständigungsschwierigkeiten noch berücksichtigt werden müssen. Die gerichtliche Überprüfung einer Unzulässigkeitsentscheidung muss innerhalb von acht Tagen nach dem Antrag auf Überprüfung erfolgen; ein Anhörungsrecht des Asylsuchenden besteht nicht (UNHCR Mai 2016, S. 18; aida November 2015, S. 25-27). Selbst wenn eine gerichtliche Entscheidung erlangt werden kann, wird diese vom OIN entweder gar nicht, verspätet oder sehr zögerlich umgesetzt (UNHCR Mai 2016, S. 18)

Im Ergebnis würde damit eine quasi automatische Zurückweisung ohne inhaltliche Überprüfung der Schutzbedürftigkeit stattfinden mit der Folge einer unverzüglichen Abschiebung nach Serbien, wo derzeit kein Schutz verfügbar ist und zudem die Gefahr einer Kettenabschiebung unter Verstoß gegen das Refoulement-Verbot besteht (siehe aida November 2015, S. 45; HHC 7.8.2015). Die Regelung findet auch auf Dublin-Rückkehrer Anwendung, die vor Inkrafttreten der gesetzlichen Regelung am 1. August 2015 über Serbien als - aus ungarischer Sicht - sicherem Drittstaat eingereist sind (aida November 2015, S. 24). Damit wären auch die Kläger der Gefahr einer Rückführung nach Serbien ausgesetzt, ohne dass sie vorher angehört würden oder dass ein wirksamer Rechtsschutz gegen die Entscheidung des OIN zur Verfügung stünde (aida November 2015, S. 24 ff.).

Die dargestellte Gesetzesänderung entzieht dem Einwand der Beklagten, gegenwärtig bestehe keine reale und durch Tatsachen belegte Gefahr, dass Schutzsuchende bei einer Rücküberstellung nach Ungarn einem indirekten Verstoß gegen das Refoulement-Verbot ausgesetzt sein könnten, den Boden. Unstreitig lässt die Gesetzeslage in Ungarn jedenfalls die Abschiebung nach Serbien ohne jegliche inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens zu. Inwieweit Serbien tatsächlich die Übernahme von Drittstaatsangehörigen aus Ungarn ablehnt, bleibt dabei insoweit ohne Bedeutung, als das OIN vom Gesetzgeber zur sofortigen Abschiebung ermächtigt wurde. Zwar mag diese im Einzelfall mangels Nachweis, dass die Betroffenen tatsächlich über Serbien eingereist sind, oder weil zwischen dem Grenzübertritt von Serbien nach Ungarn und dem Antrag auf Rückübernahme mehr als ein Jahr verstrichen ist (AA 27.1.2016) tatsächlich nicht durchgeführt werden können. Das vermag aber an der gesetzlichen Zulässigkeit einer Abschiebung nichts zu ändern. Zudem finden den Erkenntnisquellen zufolge durchaus Rückübernahmen statt, auch wenn Serbien nur unter bestimmten Voraussetzungen zustimmt. So wurden im Zeitraum von Januar bis Mai 2016 in der Praxis pro Woche durchschnittlich zwei Personen rückübernommen (UNHCR Mai 2016). Allein die Tatsache, dass es sich hierbei nicht um eine exorbitante Größenordnung handeln mag, rechtfertigt die Verneinung einer realen Gefahr nicht (in diesem Sinn auch zu § 34a AsylG: OVG SH, B.v. 21.11.2016 - 2 LA 111/16 - juris). Das übersieht die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin (U.v. 13.12.2016 - 3 K 509.15 A - juris), in der nur darauf abgestellt wird, dass Serbien die Übernahmeersuchen Ungarns formal ablehne. Angesichts der tatsächlich stattfindenden Abschiebungen und der dargestellten gesetzlichen Zulässigkeit bestehen vielmehr erhebliche Anhaltspunkte dafür, dass ohne inhaltliche Prüfung von Asylanträgen eine Abschiebung nach Serbien erfolgen könnte. Wenn die Beklagte demgegenüber unter Berufung auf das Verwaltungsgericht Berlin der Auffassung ist, dass vorliegend ausnahmsweise kein Risiko bestehen sollte, unter Verstoß gegen das Refoulement-Verbot von Ungarn nach Serbien abgeschoben zu werden, wäre es ihre Aufgabe, die Gründe hierfür näher darzulegen. Das ist nicht geschehen.

d) Die Einschätzung zum Vorliegen von systemischen Schwachstellen entspricht auch der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (U.v. 13.10.2016 - A 11 S 1596/16 - DVBl 2016, 1615) und des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (B.v. 20.12.2016 - 8 LB 184/15 - juris, Bezug nehmend auf U.v. 15.11.2016 - 8 LB 92/15 - juris). Die gegenteilige Ansicht des Verwaltungsgerichts Berlin (U.v. 13.12.2016 - 3 K 509.15 A - juris), auf die sich die Beklagte beruft, erklärt nicht, weshalb sich aus den genannten Daten keine belastbaren Erkenntnisse ergeben sollten, welche die hier und von den beiden weiteren Obergerichten vorgenommene Bewertung stützen könnten. Unter anderem wegen der dortigen Inhaftierungspraxis hat im Übrigen mittlerweile auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (U.v. 17.3.2017 - 47287/15 - abrufbar unter https: …dejure.org/2017, 6131) Ungarn zur Zahlung von Schadenersatz verurteilt, weil die Rechtsgrundlagen für die Inhaftierung unbestimmt seien und sie aufgrund einer formalen Entscheidung ohne individuelle Prüfung erfolge. Im Hinblick auf die Einstufung von Serbien als sicheren Drittstaat geht der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ebenfalls von einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung im Sinn von Art. 3 EMRK aus. Diese ergebe sich bereits daraus, dass die Betroffenen mangelhaft informiert würden, deshalb keinen effektiven Zugang zu den relevanten Verfahren hätten und ihre Rechte nicht substantiiert geltend machen könnten. Gerügt wird weiter die fehlende Prüfung der individuellen Risiken, was dazu führe, dass in einer automatisierten Weise (Ketten-)Abschiebungen stattfinden würden. Die ungarische Regierung vermöge keine überzeugende Erklärung zu geben, weshalb Serbien entgegen den allgemeinen europarechtlichen Einschätzungen und den Berichten der internationalen Institutionen als sicherer Drittstaat eingestuft werde. Insgesamt vermag der Gerichtshof deshalb nicht zu erkennen, dass effektive Garantien vorhanden seien, die die Betroffenen davor schützen würden, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt zu sein.

3. Angesichts dieser systemischen Schwachstellen - wie dargelegt - kommt es auch auf den Einwand der Beklagten nicht mehr an, die Auffassung des Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (U.v. 13.10.2016 a.a.O. Rn. 45 ff.) zur Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 AsylG könne nicht geteilt werden. Danach sei Voraussetzung einer Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 AsylG, dass die Abschiebung in den zuständigen Mitgliedstaat erfolgen könne und dies auch alsbald der Fall sein werde. Bestünden aufgrund einer in Relation zu den Übernahmezustimmungen niedrigen Quote an vollzogenen Überstellungen hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass dieses nicht der Fall sein könnte, führe dies zur Rechtswidrigkeit der Abschiebungsanordnung. Diese Frage kann hier dahingestellt bleiben, weil sich die Rechtswidrigkeit der Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 AsylG (bzw. § 27a AsylG a.F.) schon aus dem Vorliegen systemischer Schwachstellen in Ungarn ergibt mit der Folge, dass auch die hierauf gestützte Abschiebungsanordnung rechtswidrig ist. Im Übrigen hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg seine Einschätzung in erster Linie ebenfalls auf das Vorliegen von systemischen Schwachstellen gestützt und lediglich ergänzend ausgeführt, dass die angegriffenen Verfügungen auch aus diesem weiteren Grund aufzuheben seien. Die Zuständigkeit sei auch deshalb auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen, weil eine Überstellung bis zum Ablauf der Überstellungsfrist nicht mehr durchgeführt werde. Gleiches gilt für die Entscheidung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (B.v. 20.12.2016 a.a.O. Rn. 60 ff.). Dessen ungeachtet gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass Abschiebungen nach Ungarn nicht erfolgen könnten. So gibt HHC 1.9.2016 an, dass von Januar bis Juli 2016 377 Dublin-Rückführungen nach Ungarn stattgefunden hätten, davon 203 aus Deutschland (siehe hierzu auch OVG SH, B.v. 21.11.2016 - 2 LA 111/16 - juris).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO sind nicht gegeben, da der Frage, ob in Ungarn systemische Schwachstellen bestehen, nur in tatsächlicher Hinsicht eine grundsätzlich Bedeutung zukommt.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.