Verwaltungsgericht München Beschluss, 20. Juli 2015 - M 22 S 15.30041

published on 20/07/2015 00:00
Verwaltungsgericht München Beschluss, 20. Juli 2015 - M 22 S 15.30041
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Gericht

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Tenor

I.

Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung im Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom ... Januar 2015 wird angeordnet.

II.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.

Der Antragsteller, ein syrischer Staatsangehöriger, reiste eigenen Angaben zufolge am 26. Juni 2014 in das Bundesgebiet ein und stellte am 16. Juli 2014 einen Asylantrag.

Der Antragsteller war bei seiner Einreise im Besitz eines italienischen Aufent-haltstitels (permesso di soggiorno) und eines italienischen Reiseausweises für Flüchtlinge (documento di viaggio). Beide Dokumente sind gültig bis zum 28. Mai 2019.

Auf Nachfrage des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden Bundesamt) teilte das italienische Dublinbüro (Unita Dublino) mit Schreiben vom 8. November 2014 mit, dass dem Antragsteller in Italien internationaler Schutz gewährt worden sei.

Mit Bescheid vom ... Januar 2015 stellte das Bundesamt daraufhin fest, dass dem Antragsteller in der Bundesrepublik Deutschland kein Asylrecht zustehe (Ablehnung des Asylantrags nach § 26 a AsylVfG) und ordnete die Abschiebung des Antrag-stellers nach Italien an.

Gegen den am 27. Januar 2015 zugestellten Bescheid ließ der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten am selben Tage Klage erheben und weiter beantragen,

hinsichtlich der Abschiebungsanordnung die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.

Zur Begründung des Antrags wurde im Wesentlichen vorgetragen, unabhängig vom Vorliegen systemischer Mängel sei der Bescheid aufzuheben, da die Antragsgegnerin sämtliche Fristen habe verstreichen lassen. Der Asylakte lasse sich entnehmen, dass ein Eurodac-Treffer bezüglich Italiens vorliege. Ein Übernahmeersuchen sei aber nicht gestellt worden. Die Antragsgegnerin sei daher wegen Ablaufs der einschlägigen Zweimonatsfrist zur Prüfung des Asylantrags verpflichtet.

Die Antragsgegnerin hat sich im Verfahren nicht geäußert.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird ergänzend auf die Gerichtsakte und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.

II.

Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung hinsichtlich der mit dem Bescheid verfügten Abschiebungsanordnung ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Nach summarischer Prüfung spricht Überwiegendes dafür, dass die Abschiebungsanordnung rechtswidrig ist und Rechte des Antragstellers verletzt. Die im Rahmen der Ermessensentscheidung über den Antrag vorzunehmende Interessenabwägung fällt daher zugunsten des Antragstellers aus.

1. Das Gericht teilt allerdings nicht die Auffassung des Antragstellers, dass für die Beurteilung der Frage Zuständigkeit für die Durchführung eines Asylverfahrens bzw. der Zulässigkeit einer etwaigen Rückführung des Antragstellers nach Italien die Dublin-Regelungen anzuwenden wären und von einer Zuständigkeit Deutschlands auszugehen wäre.

Nach Aktenlage liegt auf der Hand, dass dem Antragsteller in Italien internationaler Schutz durch Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gewährt wurde. Für einen solchen Fall findet nach weit überwiegender Auffassung in Rechtsprechung und Literatur die Dublin III-Verordnung keine Anwendung mehr, wenn der Schutz-berechtigte in einem anderen Dublinstaat einen weiteren Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes stellt (vgl. OVG NRW, B.v. 11.5.2015 - 14 A 926/15.A - juris Rn. 5 f; Funke-Kaiser in: GK-AsylVfG, Stand: Nov. 2014, § 27 a Rn. 34 m. w. N. auch zur Gegenmeinung). Die hier erfolgte Ablehnung des Asylantrags nach § 26 a AsylVfG - also die Feststellung, dass dem Ausländer aufgrund seiner Einreise aus einem sicheren Drittstaat im Sinne des Art. 16 a Abs. 2 Satz 1 GG kein Asylrecht zusteht, vgl. § 31 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG - dürfte daher keinen durchgreifenden Bedenken begegnen. Die nationale Drittstaatenregelung greift nicht nur dann, wenn der Antragsteller in einem sicheren Drittstaat Schutz hätte finden können, sondern erst recht auch dann, wenn dieser dort bereits Schutz gefunden hat (OVG NRW, B.v. 11.5.2015 - 14 A 926/15.A - juris Rn.12 ff m.w.N).

Das Gericht neigt weiter der Auffassung zu, dass die Aufnahmebedingungen für international Schutzberechtigte in Italien den einschlägigen europarechtlichen Vorgaben genügen (vgl. OVG LSA, U.v. 2.10.2013 - 3 L 643/12 - juris Rn. 103 ff; OVG RhPf, U.v. 21.2.2014 - 10 A 10656/13 - juris Rn. 49 ff; VGH BW, U.v. 16.4.2014 - A 11 S 1721/13 - juris Rn. 56 ff), wobei anzumerken ist, dass die Eingriffsschwelle des Art. 4 GRCharta (auf der Grundlage einer Auslegung der Bestimmung entsprechend jener zu Art. 3 EMRK durch den EGMR; vgl. hierzu die Konvergenzklausel in Art. 52 Abs. 3 GRCharta) durch Missstände etwa im soziökonomischen Bereich sehr hoch ist und die Rechtsprechung des EGMR (vgl. U. v. 21.1.2011 - Nr. 30696/09, M.S.S./Belgien und Griechenland - NVwZ 2011, 413) bzw. des EuGH (vgl. U. v. 21.12.2011 - Rs. C-411/10 und Rs. C-493/10, N.S. u. a. - NVwZ 2012, 417) zu systemischen Mängeln der Aufnahmebedingungen für Schutzsuchende schon wegen der unterschiedlichen Gewährleistungen, die aus dem jeweiligen Status folgen, auf die Situation anerkannter Schutzberechtigter nicht übertragen werden kann (zu Asylbewerbern vgl. die Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27.1.2003 bzw. künftig die Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.6.2013 - Aufnahmerichtlinien; zu Schutzberechtigten vgl. die Regelungen in Kapitel VII der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 - Qualifikationsrichtlinie/Neufassung).

Was die Besonderheiten der nationalen Drittstaatenregelung angeht, ist weiter darauf hinzuweisen, dass dem damit auch bezweckten Ausschluss der Geltendmachung ausländerrechtlicher Schutzansprüche nur ausnahmsweise mit dem Vortrag entgegengetreten werden kann, es dränge sich aufgrund bestimmter Tatsachen auf, dass der Antragsteller von einem im normativen Vergewisserungskonzept nicht aufgefangenen Sonderfall betroffen sei, wobei an die Darlegung einer solchen Gefahrenlage strenge Anforderungen zu stellen sind (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 - 2 BvR 1938, 2315/93 - BverfGE 94, 49/99 f; zu den anerkannten Fallgruppen vgl. auch Marx, AsylVfG, 8. Aufl. 2014, § 26 a Rn. 3 ff).

Dafür, dass vorliegend ein solcher Sonderfall gegeben sein könnte, ist nichts vorgetragen.

2. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung hinsichtlich der Abschiebungsanordnung ist dessen ungeachtet veranlasst. Eine Abschiebung darf nach § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG erst dann angeordnet werden, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Vor Erlass einer Anordnung muss folglich die Übernahmebereitschaft des Abschiebezielstaats positiv geklärt sein (vgl. OVG NW, B.v. 8.6.2015 - 14 A 1233/15.A - juris m. w. N.). Dazu, dass dies geschehen wäre und Italien seine Übernahmebereitschaft erklärt hätte oder aber eine gesicherte Verwaltungspraxis bestünde, aufgrund derer eine vorgängige Abklärung entbehrlich sein könnte, ist nach Aktenlage nichts ersichtlich.

Darüber hinaus bestehen nach den Umständen des Falles - da der Antragsteller im Besitz eines italienischen Aufenthaltstitels ist - auch Zweifel an der Zulässigkeit der Abschiebungsanordnung mit Blick auf die Vorgaben der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 (Rück-führungsrichtlinie). Nach deren Art. 6 Abs. 2 Satz 1 sind Drittstaatsangehörige, die sich illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaats aufhalten und Inhaber eines gültigen Aufenthaltstitels eines anderen Mitgliedsstaates sind, zu verpflichten, sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses anderen Mitgliedsstaates zu begeben. Es liegt daher nahe anzunehmen, dass hier nicht sogleich eine Abschiebungsanordnung erlassen werden durfte, vielmehr im Wege EU-rechtskonformer Auslegung und Anwendung des § 34 a AsylVfG es des vorherigen Erlasses einer Ausreiseaufforderung bedurft hätte.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Dieser Beschluss in unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).

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(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a). (2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur 1. bei der
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(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).

(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur

1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten,
2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten,
3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen,
3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen,
4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
Die Länder können auch bestimmen, daß Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung haben, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung durch die Länder nach Bundesrecht getroffen werden.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.

(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.

(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.