Verwaltungsgericht München Beschluss, 07. Apr. 2017 - M 17 V 17.34516

bei uns veröffentlicht am07.04.2017

Gericht

Verwaltungsgericht München

Tenor

I. Das Vollstreckungsverfahren wird eingestellt.

II. Die Kosten des gerichtskostenfreien Vollstreckungsverfahrens hat der Antragstellerin und Vollstreckungsgläubiger zu tragen.

Gründe

I.

Mit Urteil vom 9. Dezember 2016 verpflichtete das Verwaltungsgericht München (Az.: M 17 K 15.31483) die Antragsgegnerin u. a. festzustellen, dass bei der Antragstellerinin ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Jordanien vorliegt. Das Urteil ist seit dem 31. Januar 2017 rechtskräftig.

Die Bevollmächtigte der Antragstellerin forderte die Antragsgegnerin mit Schriftsätzen vom 27. Januar 2017 und 13. Februar 2017 auf, der Verpflichtung aus dem Urteil nachzukommen und einen entsprechenden Bescheid zu erlassen.

Mit Schriftsatz vom 9. März 2017, am 10. März 2017 beim Verwaltungsgericht München eingegangen, hat die Antragstellerin und Vollstreckungsgläubigerin beantragt,

die Antragsgegnerin unter Fristsetzung und Androhung eines Zwangsgeldes zu verpflichten, dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 9. Dezember 2016 - M 17 K 15.31483 - nachzukommen und den Anerkennungsbescheid sowie die Abschlussmitteilung zu erstellen und zuzustellen.

Mit Bescheid vom 16. März 2017 stellte die Antragsgegnerin fest, dass das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 AufenthG bei der Antragstellerin hinsichtlich Jordanien vorliegt.

Die Bevollmächtigte der Antragstellerin erklärte am 31. März 2017 das Vollstreckungsverfahren für erledigt. Die Antragsgegnerin stimmte der Erledigungserklärung mit allgemeiner Prozesserklärung 24. März 2016 zu.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten M 17 K 15.31483 und M 17 V 17.34516 Bezug genommen.

II.

Das Vollstreckungsverfahren ist in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) nach den übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Beteiligten vom 31. März 2017 und 24. März 2016 einzustellen.

Über die Kosten des Verfahrens ist gemäß § 161 Abs. 2 VwGO nach billigem Ermessen zu entscheiden. Billigem Ermessen entspricht es im vorliegenden Fall, die Kosten der Antragstellerin (Vollstreckungsgläubigerin) aufzuerlegen, da sich der Vollstreckungsantrag aller Voraussicht nach als unzulässig erwiesen hätte.

Ein Rechtsschutzbedürfnis dürfte angesichts einer verfrühten Antragstellung nicht bestanden haben. Zwar trifft § 172 VwGO selbst keine Regelung dazu, wann ein Vollstreckungsgläubiger einen derartigen Antrag anhängig machen kann. Dem Vollstreckungsschuldner ist jedoch eine angemessene Erfüllungsfrist einzuräumen, deren Dauer sich nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalles bemisst. In der Regel kann bei einem Zeitraum von drei Monaten eine Befolgung der in einem Urteil nach § 113 Abs. 5 VwGO auferlegten Verpflichtung erwartet werden (vgl. in diesem Zusammenhang: BVerwG, B.v. 21.12.2001 - 2 AV 3/01 - NVwZ-RR 2002, 314), wobei ausnahmsweise auch ein kürzerer Zeiträumen ausreichen kann. Maßgeblich für den Fristbeginn ist der Eintritt der Rechtskraft (vgl. BVerwG, a.a.O.; VG Freiburg, B.v. 24.4.2014 - A 4 K 807/14 - juris; VG Münster, B.v. 16.12.2015 - 6 M 28/15 - juris; a.A.: (Zeitpunkt der Zustellung) Heckmann in Sodan/Ziekow, a.a.O., § 172 Rn. 58; Pietzner/Möller in Schoch/Schneider/Bier, a.a.O., § 172 Rn. 33). Erst diese bewirkt nämlich die Vollstreckbarkeit nach § 168 Abs. 1 Nr. 1 VwGO, weil eine vorläufige Vollstreckbarkeit bei Verpflichtungsklagen nach § 167 Abs. 2 VwGO nur wegen der Kosten in Betracht kommt (VG Aachen, B.v. 21.3.2016 - 9 M 26/15 - juris). Die Frist ist bis zur Stellung des Vollstreckungsantrages zu bemessen, weil für die Notwendigkeit des Vollstreckungsantrages auf diesen Zeitpunkt abzustellen ist (vgl. BVerfG, B.v. 10.12.1998 - 2 BvR 1516/93 - juris; BVerwG, a.a.O.; VG Freiburg, a.a.O.).

Hier lag zwischen dem Eintritt der Rechtskraft und der Antragstellung ein Zeitraum von ca. fünf Wochen, der indes nicht ausreichend erscheint. Für diese Beurteilung ist in den Blick zu nehmen, dass eine rechtskräftige Verurteilung zur Feststellung eines Abschiebungsverbots zwar keinen großen Verwaltungsaufwand bei der Vollstreckungsschuldnerin erfordert und auch das Bundesamt zwischenzeitlich eine beträchtliche Anzahl an neuen Mitarbeitern eingestellt hat. Jedoch dürfte die fortwährend hohe Anzahl an zu bearbeitenden Asylverfahren aktuell noch dafür sprechen, von einer mehr als fünfwöchigen Regelbearbeitungsdauer auszugehen (vgl. VG Aachen, B.v. 21.03.2016 - 9 M 26/15 - juris).

Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.

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Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 113


(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 167


(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs. (2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungskl

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 60 Verbot der Abschiebung


(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalit

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 80 Ausschluss der Beschwerde


Entscheidungen in Rechtsstreitigkeiten nach diesem Gesetz können vorbehaltlich des § 133 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung nicht mit der Beschwerde angefochten werden.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 92


(1) Der Kläger kann bis zur Rechtskraft des Urteils seine Klage zurücknehmen. Die Zurücknahme nach Stellung der Anträge in der mündlichen Verhandlung setzt die Einwilligung des Beklagten und, wenn ein Vertreter des öffentlichen Interesses an der münd

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 161


(1) Das Gericht hat im Urteil oder, wenn das Verfahren in anderer Weise beendet worden ist, durch Beschluß über die Kosten zu entscheiden. (2) Ist der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt, so entscheidet das Gericht außer in den Fällen des § 1

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 172


Kommt die Behörde in den Fällen des § 113 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 5 und des § 123 der ihr im Urteil oder in der einstweiligen Anordnung auferlegten Verpflichtung nicht nach, so kann das Gericht des ersten Rechtszugs auf Antrag unter Fristsetzung gegen

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 168


(1) Vollstreckt wird1.aus rechtskräftigen und aus vorläufig vollstreckbaren gerichtlichen Entscheidungen,2.aus einstweiligen Anordnungen,3.aus gerichtlichen Vergleichen,4.aus Kostenfestsetzungsbeschlüssen,5.aus den für vollstreckbar erklärten Schieds

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Verwaltungsgericht München Beschluss, 07. Apr. 2017 - M 17 V 17.34516

bei uns veröffentlicht am 07.04.2017

Tenor I. Das Vollstreckungsverfahren wird eingestellt. II. Die Kosten des gerichtskostenfreien Vollstreckungsverfahrens hat der Antragstellerin und Vollstreckungsgläubiger zu tragen. Gründe I. Mit Urt

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Tenor

I.

Die Beklagte wird unter entsprechender Aufhebung der Ziffern 2 und 3 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 16. Oktober 2015 verpflichtet festzustellen, dass bei der Klägerin die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Jordaniens vorliegen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II.

Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Die Klägerin ist jordanische Staatsbürgerin. Sie hatte mit der Angabe, sie sei palästinensische Volkszugehörige aus dem Westjordanland, am 24. November 2009 Asylantrag gestellt.

Das Bundesamt lehnte mit Bescheid vom 22. September 2010 die Anerkennung die Klägerin als Asylberechtigte ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG offensichtlich nicht vorliegen und verneinte Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG. Die Klägerin wurde unter Fristsetzung aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen. Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde die Abschiebung nach Israel (Westjordanland) angedroht. Nach Rücknahme der Klage gegen diesen Bescheid stellte das Verwaltungsgericht Regensburg (B. v. 9.2.2011 - RN 6 K 10.30399 -) das Verfahren ein.

Am 5. Februar 2013 beantragte die Klägerin durch ihre damaligen Bevollmächtigten die Wiederaufnahme des Asylverfahrens. Die Klägerin werde seit Mai 2012 bei … psychotherapeutisch behandelt. Bei einer Abschiebung in das Herkunftsland drohe eine Reaktualisierung traumatischer Erfahrungen, zumal es dort immer noch zu Auseinandersetzungen zwischen der israelischen Armee und israelischen Siedlern und der palästinensischen Bevölkerung komme. Es bleibe ihr nichts anderes übrig, als zu ihrem Vater zurückzukehren, d. h. in die unmittelbare Nachbarschaft jenes Cousins, der sie bedroht habe. Bei einem Abbruch der Behandlung bzw. einer Abschiebung ins Heimatland würde sich der Gesundheitszustand die Klägerin mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit wesentlich verschlechtern. Damit bestehe das Abschiebeverbot des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich des Westjordanlands. Der Wiederaufnahmeantrag sei auch rechtzeitig gestellt worden. Zwar bestünden bereits seit langer Zeit gesundheitliche Beeinträchtigungen. Es sei der Klägerin jedoch nicht gelungen, die benötigte psychotherapeutische Behandlung zu erlangen. Die Behandlung dauere jetzt zwar bereits sieben Monate an. Die Therapeutin könne aber selbstverständlich erst nach längerer Therapiedauer die Krankheit genau diagnostizieren und die Folgen eines Behandlungsabbruchs bzw. einer Rückkehr ins Heimatland beschreiben. Hier habe die Therapeutin erstmals am … Januar 2013 einen Befundbericht verfasst, so dass die Dreimonatsfrist des § 51 Abs. 3 VwVfG ab diesem Zeitpunkt zu laufen beginne.

Beigefügt war ein Psychologischer Befundbericht von … München - Dipl.-Psychologin/Psychologische … vom … Januar 2013, demzufolge sich die Klägerin seit Mai 2012 in psychotherapeutischer Behandlung befinde. Sie leide an einer Posttraumatischen Belastungsstörung sowie an einer Angststörung aufgrund multipler traumatischer Erfahrungen: Leben in Palästina unter den Gewaltbedingungen der Besatzung, permanente Bedrohung durch ihren Cousin und die traumatische Flucht. Da die Klägerin von Kindheit an immer wieder Gewalterlebnissen ausgesetzt gewesen sei, sei sie schon früh erheblich vulnerabel gewesen und habe kaum Resilienz gegenüber erneuten Traumatisierungen entwickeln können. Es bestehe ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den berichteten Traumata und dieser psychischen Erkrankung. Sie sei weiterhin dringend behandlungsbedürftig. Ein Abbruch der Behandlung würde zu einer erheblichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes führen. Eine Abschiebung in das Herkunftsland wäre eine Reaktualisierung traumatischer Erfahrungen, weil die Klägerin dem Vorgang der Abschiebung hilflos ausgeliefert wäre, vergleichbar dem Ausgeliefertsein angesichts ihrer Gewalterfahrungen im Herkunftsland und auf der Flucht. Erschwerend komme hinzu, dass sie auch zu Recht befürchten müsse, erneut Gewalterlebnissen ausgesetzt zu sein. Sie sei latent suizidal, sie habe nach eigenen Angaben mehrfach mit dem Gedanken an einen Suizid gespielt. Eine psychische Dekompensation nach einer Abschiebung könne dazu führen, dass sie ihre Suizidimpulse nicht mehr ausreichend unter Kontrolle halten könne und angesichts der als ausweglos empfundenen Situation eine Kurzschlusshandlung begehen würde. Mit Sicherheit würde eine Abschiebung zu einer erheblichen gesundheitlichen Verschlechterung führen. Möglicherweise bestünde Gefahr für Leib und Leben. Eine Reisefähigkeit sei aus diesen Gründen nicht gegeben.

Mit Schreiben vom 14. August 2013 legten die Bevollmächtigten eine Kopie des palästinensischen Reiseausweises der Klägerin, ausgestellt am … August 2011, vor, den der Vater der Klägerin aus Palästina mitgebracht habe. Daraus ergebe sich, dass diese nicht am Wohnort der Familie, sondern in … geboren sei. Die Familie habe dort bis zum Einmarsch der irakischen Truppen gelebt und sei dann des Landes verwiesen worden. Seither lebe die Familie am Heimatort in ...

Weiter teilten sie mit Schreiben vom 23. September 2014 mit, es habe sich inzwischen herausgestellt, dass die Klägerin die jordanische Staatsbürgerschaft besitze. Sie sei in … geboren. Der tatsächliche Aufenthaltsort sei nach der Vertreibung jedoch überwiegend im Westjordanland gewesen. Die Klägerin, ihre Mutter und ihr Bruder hätten im Gegensatz zu ihrem Vater kein Aufenthaltsrecht im Westjordanland erhalten. Bis zum 18. Geburtstag habe die Klägerin daher immer wieder nach Jordanien ausreisen und dort eine neue Einreiseerlaubnis beantragen müssen. Nach dem 18. Geburtstag sei die Klägerin im Westjordanland geblieben und habe sich dort ohne Genehmigung der israelischen Behörden aufgehalten. Ein neuer Psychologisch-Psychotherapeutischer Befundbericht von ... vom ... August 2014 der Dipl. Soz.Päd. ... und der Dipl.-Psychologin/Psychologischen Psychotherapeutin … erweiterte und ergänzte die Befunde in dem früheren Psychologischen Befundbericht.

Am 16. Oktober 2015 erließ das Bundesamt unter dem Aktenzeichen 5610696 - 445 einen Bescheid, dessen Begründung sich auf die Klägerin bezog, jedoch an den Bruder die Klägerin adressiert war.

Mit Bescheid vom 16. Oktober 2015, am 21. Oktober 2015 zur Post gegeben, hob das Bundesamt ihren Bescheid vom 16. Oktober 2015 auf, stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen, und änderte die mit Bescheid des Bundesamtes vom 22. September 2010 (Az.: 5399815-499) erlassene Abschiebungsandrohung dahingehend ab, dass die Klägerin für den Fall, dass sie der Ausreiseaufforderung nicht nachkommt, nach Jordanien abgeschoben wird. Die sofortige Vollziehung des Bescheides wurde angeordnet.

Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, da eine Prüfung für den jetzt festgestellten Zielstaat Jordanien noch nicht erfolgt sei, sei das Verfahren insoweit wieder zu eröffnen gewesen. Zielstaatsbezogene Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG lägen hinsichtlich Jordaniens nicht vor. Die Klägerin habe zielstaatsbezogene (insbesondere Krankheits-) Gründe, die gegen eine Rückkehr in den Staat ihrer Staatsangehörigkeit, nämlich Jordanien, weder überzeugend und glaubhaft vorgetragen noch lägen sie nach den Erkenntnissen des Bundesamtes vor. Die vorgelegten psychologischen Befundberichte vom … Januar 2013 und ... August 2014 gäben bereits keine notwendigen nachvollziehbaren Diagnosen psychischer Erkrankungen der Klägerin, insbesondere einer PTBS, wieder. Es seien bereits keine Gründe angeführt worden, warum die psychischen Krankheitsbilder erst so spät geltend gemacht worden seien. Die Klägerin habe sich erst nach Rechtskraft des Vorverfahrens im Mai 2012 in psychotherapeutische Behandlung begeben. Sie solle aber bereits seit 10 Jahren an einer (chronischen) PTBS leiden, ohne diese Erkrankung im Vorverfahren nur ansatzweise plausibel gemacht zu haben. Soweit angeführt worden sei, es sei im laufenden Klageverfahren nicht gelungen, medizinische Unterlagen beizubringen, überzeuge ein noch weiteres, lange Zeit Verstreichen lassen von weiteren 18 Monaten überhaupt nicht. Das traumatisierende Ereignis sei durch den Therapeuten nicht kritisch hinterfragt worden, sondern ausweislich der vorgelegten Befundberichte seien die eigenen Angaben der Klägerin übernommen worden, „sie berichtet“. Es werde nicht erklärt, warum nur der Vater und überhaupt nach … habe zurückkehren wollen. In ihrer Anhörung habe sie die angeblich traumatisierenden Ereignisse nicht erwähnt, obschon konkrete Fragen zum Reiseweg und zum Schiff gestellt worden seien. Die Angaben zur Wohnung des Cousins, der sie belästigt und bedroht haben solle, wichen erheblich voneinander ab. Nachdem nicht einmal das Bestehen einer psychischen Erkrankung nachvollziehbar dargelegt sei, stelle sich die Frage nach aus der Erkrankung resultierender Gefahren nach Rückführung ins Herkunftsland nicht. Wie im Rahmen der Prüfung des Vorverfahrens festgestellt, drohe der Klägerin - auch nicht in Jordanien - eine, durch einen staatlichen oder nichtstaatlichen Akteur verursachte, Folter oder relevante unmenschliche Behandlung.

Am 30. Oktober 2015 erhob die Klägerin durch ihre Prozessbevollmächtigten Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München mit dem Antrag,

Die Beklagte wird unter Aufhebung der Ziffern 2 und 3 des Bescheides des Bundesamtes vom 16. Oktober 2015 - 5610696-445 - verpflichtet, festzustellen, dass bei der Klägerin ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Jordaniens vorliegt.

Gleichzeitig beantragte sie gemäß § 80 Abs. 5 VwGO, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Vollziehung der geänderten Abschiebungsanordnung herzustellen.

Zur Begründung wurde ausgeführt, die Klägerin sei in … geboren. Ihre Eltern stammten ursprünglich aus der Gemeinde … in der Provinz …/Westjordanland. Der Vater habe nach … des Westjordanlandes durch Jordanien die jordanische Staatsangehörigkeit erlangt. Ihre Familie sei 1959 nach ... geflohen. Die Mutter der Klägerin sei mit ihrer Familie 1967 nach ... geflohen und habe 1972 den Vater geheiratet. Nach dem Ende des Krieges habe die Familie der Klägerin wie Hunderttausende Palästinenser das Aufenthaltsrecht in ... verloren. Jordanien habe 1991 350.000 Palästinenser aufgenommen, darunter die Familie die Klägerin. Geplant gewesen sei die Rückkehr nach …, doch habe lediglich der Vater von den israelischen Behörden die Zuzugsgenehmigung erhalten. Die Mutter und die minderjährigen Kinder hätten nur die Genehmigung zum Besuch des Ehemanns/Vaters erhalten. Sie hätten aber immer wieder ausreisen und eine neue Einreisegenehmigung beantragen müssen. Die Klägerin habe sich deshalb ca. sieben Monate im Jahr im Westjordanland und fünf Monate in Jordanien aufgehalten. Mit ihrer Volljährigkeit habe das Recht, den Vater zu besuchen, geendet. Die Klägerin sei schließlich illegal im Westjordanland geblieben und habe beim Vater in … gelebt.

Nach der Flucht hätten die Mutter und die jüngeren Geschwister inzwischen in Deutschland Niederlassungserlaubnisse bzw. Aufenthaltserlaubnisse erhalten. Der Vater sei im Besitz einer Duldung.

Die Klägerin habe ihre Heimat 2009 verlassen und im Asylantrag angegeben, sie sei in … geboren.

Die Zweifel des Bundesamtes an den vorgelegten Befundberichten seien nicht gerechtfertigt. Die Klägerin habe tatsächlich viele Jahre in … im Westjordanland gelebt und dort seit ihrer Kindheit gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen israelischen Soldaten und palästinensischen Jugendlichen erlebt. Im Zuge dieser Auseinandersetzungen sei sie auch körperlich verletzt worden. Aus den unterschiedlichen Angaben der Familienangehörigen gegenüber dem Bundesamt könne nicht gefolgert werden, dass die Klägerin die Unwahrheit gesagt habe. Es werde die Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens beantragt. In Jordanien wäre eine Behandlung die Klägerin nicht möglich. Dort seien die psychiatrischen Behandlungsmöglichkeiten sehr beschränkt. Es sei nicht davon auszugehen, dass die Klägerin, deren Familie in Deutschland und dem europäischen Ausland lebe, bei einer Rückkehr nach Jordanien in der Lage wäre, die benötigte Behandlung zu erlangen.

Das Bundesamt übersandte mit Schreiben vom 3. November 2015 die Behördenakte.

Weiter legten die Prozessbevollmächtigten einen psychotherapeutischen Befundbericht von ... vom ... November 2015 der Dipl.-Soz.Päd. d der Dipl.-Psychologin/Psychologischen Psychotherapeutin or. Seit der Androhung der Abschiebung habe sich der körperliche und seelische Gesamtzustand die Klägerin auf besorgniserregende Weise abrupt verschlechtert. Die langsam aufgebaute Hoffnung sei wieder zerstört, sie sehe keine Zukunft, wolle nicht mehr leben, wenn sie nach Jordanien müsse. In letzter Zeit habe sie immer wieder Ohnmachtsanfälle, der Rettungsdienst habe sie mehrmals deswegen ins Krankenhaus bringen müssen. Ohne Sicherstellung einer traumatherapeutischen Behandlung bestehe die Gefahr einer weiteren Chronifizierung und Aggravation ihrer Symptome und damit auch die Gefahr von massiven psychischen und physischen Folgeerkrankungen. In einem Nachtrag zum Ergänzenden Befundbericht vom ... November 2015 (Unterzeichnerin Dipl.-Soz.Päd. ...) wird ausgeführt, in der letzten therapeutischen Sitzung am ... November 2015 habe die Klägerin in einem psychisch äußerst labil und emotional aufgelösten Zustand angegeben, sie habe am … November 2015 beschlossen, sich durch Medikamente zu suizidieren, was eine Bekannte verhindert habe.

Das Verwaltungsgericht München stellte mit Beschluss vom 2. März 2016 M 17 S 15.31484 die aufschiebende Wirkung der Klage vom 16. Oktober 2015 wieder her.

Die Klagebevollmächtigten legten mit Schreiben vom 23. März 2016 ein fachärztlich-psychotherapeutisches Gutachten von ... vom ... März 2016 der Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie … vor. In ihrem geschilderten psychischen und physischen Zustand würde es der Klägerin mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht möglich sein, für sich selber zu sorgen. Suizidale Handlungen wären aufgrund dieser Affektlage mit hoher Wahrscheinlichkeit gegeben, zumal sie bereits Suizidversuche unternommen habe. Einem entsprechenden Verlauf könnte auch nicht durch eine Behandlung in Jordanien entgegengewirkt werden, da für das Gelingen einer Psychotherapie die Wahrnehmung einer stabilen Sicherheit Voraussetzungen sei.

Mit Beschluss vom 9. Mai 2016 wurde der Rechtsstreit gemäß § 76 Abs. 1 AsylVfG auf den Einzelrichter übertragen. Zugleich erließ das Gericht nach Anhörung der Beteiligten einen Beweisbeschluss und ordnete die Einholung eines Sachverständigengutachtens an.

Unter dem ... September 2016 erstellte das Klinikum der … Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie - ein psychiatrisches Gutachten. Es kommt zusammengefasst zu der Beurteilung, dass bei der Klägerin die Kriterien nach ICD-10 für eine posttraumatische Belastungsstörung erfüllt seien. Als auslösendes Ereignis sei die Bedrängung durch den Cousin ... anzusehen, auf dem Boden einer möglicherweise bestehenden erhöhten Vulnerabilität infolge der Gewalterfahrungen seit der frühen Kindheit. Weiter seien bei der Klägerin die Diagnosen einer mittelgradigen depressiven Episode sowie einer Angst- und Panikstörung gemäß den ICD-10 Kriterien als erfüllt anzusehen.

Bezüglich der posttraumatischen Belastungsstörung benötige die Klägerin Unterstützung in einem Umfeld, in dem sie mit den beschriebenen Defiziten einigermaßen geschützt leben könne. Der Aufbau von Ressourcen auch über ein soziales Netzwerk solle gefördert werden, bei der Klägerin könne dies in der Fortsetzung der Ausbildung gesehen werden. Eine mögliche Pharmakotherapie könne sinnvoll sein. Bei zusätzlicher Suizidgefährdung müsse in diesem Fall eine vorsichtige Abwägung zwischen Nutzen und Risiko durchgeführt werden. Für die Behandlung der komorbiden depressiven Erkrankung werde, auch hinsichtlich der Angsterkrankungen eine Kombination aus medikamentöser und psychotherapeutischer Behandlung empfohlen.

Die Erkrankung vor allem der posttraumatischen Belastungsstörung sowie die hierfür notwendige Therapie sei mit den Sitten der Kultur in Jordanien nicht vereinbar. Somit sei die Erkrankung in Jordanien nicht behandelbar. Bei einer Rückkehr nach Jordanien würde der Therapieprozess, der zunächst zu einer einstweiligen Stabilisierung geführt habe, unterbrochen. Unbehandelt werde sich der aktuelle psychische Zustand mit hoher Wahrscheinlichkeit weiter verschlechtern und könne erneut in einem möglicherweise erfolgreichen Suizidversuch münden. Die Ängste der Klägerin in Bezug auf den Cousin seien stark ausgeprägt. Dies sei insofern bedeutsam, als dass sie nach einer Rückkehr als Frau kaum alleine leben könnte, der für sie zuständige Mann wäre der Onkel, der Vater des Cousins. Eine Verheiratung - auch gegen ihren Willen - wäre in ihrem Kulturkreis nicht ungewöhnlich, da dadurch die Versorgung formal gewährleistet wäre. Die Schilderungen der Klägerin seien als überzeugend erlebt worden und erlaubten somit die Prognose, dass es zu einer ausgeprägten Eigengefährdung im Falle einer Rückkehr nach Jordanien kommen könne.

Im Falle einer Rückkehr nach Jordanien erlebe sich die Klägerin in einer für sie ausweglosen Situation. Unter Berücksichtigung des bereits unternommenen Suizidversuches bestehe aufgrund der posttraumatischen Belastungsstörung und der beschriebenen Komorbitäten ein deutlich erhöhtes Risiko für einen erneuten Suizidversuch. Nehme man die krankheitsbedingte Vulnerabilität und die als ausweglos empfundene Situation im Heimatland zusammen, sehen die Gutachter eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit für eine gesundheitliche Verschlechterung sowie einen möglichen erneuten Suizidversuch.

Bei einer Rückkehr nach Jordanien würde ihr Onkel als nächster Verwandter die Verantwortung für sie tragen und den Versuch unternehmen, sie zu verheiraten, auch gegen ihren Willen. Über die Konfrontation mit einem aufgezwungenen Ehemann und die fehlenden Möglichkeiten, dieser Situation aus dem Wege zu gehen, würde es zu einer Retraumatisierung bzw. Reaktivierung des Erlebten kommen. Eine erfolgreiche Behandlung sei in solch einem Umfeld nicht möglich.

Die Klagebevollmächtigte nahm mit Schreiben vom 17. Oktober 2016 Stellung und vertrat die Ansicht, angesichts der Ergebnisse der Begutachtung liege ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor. Sie verzichtete mit Schreiben vom 24. November 2016 auf mündliche Verhandlung.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der sonstigen Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.

Gründe

Über die Klage kann mit Einverständnis der Klagepartei (Schriftsatz vom 24. November 2016) und der Beklagten (allgemeine Prozesserklärung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 25. Februar 2016 - Generalerklärung) ohne mündliche Verhandlung entschieden werden (§ 101 Abs. 2 VwGO).

Die Klage ist zulässig, insbesondere ist das Verwaltungsgericht München zur Entscheidung über diese Klage als Gericht der Hauptsache sachlich zuständig gemäß § 45 VwGO, obgleich im Erst-Asylverfahren das VG Regensburg zuständig war; seine örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO, weil die Klägerin im maßgeblichen Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit (vgl. § 83 Satz 1 VwGO i. V. m. § 17 Abs. 1 Satz 1 GVG) ihren Aufenthalt nach dem Asylgesetz im Regierungsbezirk Oberbayern (Gemeinschaftsunterkunft …) und damit im Gerichtsbezirk (Art. 1 Abs. 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung - AGVwGO) zu nehmen hatte (§ 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO i. V. m. § 83c AsylG).

Die Klage der Klägerin ist auch im Wesentlichen begründet, denn sie hat Anspruch darauf, dass die Beklagte unter Aufhebung der Ziffer 2, soweit ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG verneint wird, und Ziffer 3 ihres Bescheids vom 16. Oktober 2015 verpflichtet wird, ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen (vgl. § 113 Abs. 5 i. V. m. Abs. 1 VwGO). Soweit nach dem Klageantrag die vollumfängliche Aufhebung der Ziffer 2, d. h. hinsichtlich der Verneinung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG, beantragt ist, haben die Klagebevollmächtigten lediglich zu den Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorgetragen und einen darauf gerichteten Verpflichtungsantrag gestellt. Die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG sind auch nicht ersichtlich.

Die Voraussetzungen des § 71 AsylG i. V. m. § 51 VwVfG für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens liegen hier unbestritten vor, da eine Prüfung von Abschiebungsverboten für den jetzt festgestellten Zielstaat Jordanien noch nicht erfolgt ist. Insbesondere ist der am 5. Februar 2013 gestellte Asylfolgeantrag innerhalb von drei Monaten ab Kenntnis des Grundes für das Wiederaufgreifen gestellt worden (vgl. § 51 Abs. 3 VwVfG), nachdem der Klägerin erstmalig mit dem Psychologischen Befundbericht der Dipl.-Psychologin und Psychologischen Psychotherapeutin Frau …, …, vom … Januar 2013 eine ernste psychische Erkrankung attestiert worden ist. Auf den Asylfolgeantrag der Klägerin hin ist die Beklagte auch zur Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu verpflichten, weil zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 AsylG) bei der Klägerin aufgrund einer gutachterlich festgestellten schweren psychischen Erkrankung ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot vorliegt.

Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Diese Regelung erfasst zwar nur solche Gefahren, die in den spezifischen Verhältnissen im Zielstaat begründet sind, während Gefahren, die sich aus der Abschiebung als solcher ergeben, nur von der Ausländerbehörde als inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis berücksichtigt werden können. Die Vorschrift kann einen Anspruch auf Abschiebungsschutz begründen, wenn die Gefahr besteht, dass sich eine vorhandene Erkrankung aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib und Leben führt, d. h. dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht. Dies kann etwa der Fall sein, wenn sich die Krankheit im Heimatstaat aufgrund unzureichender Behandlungsmöglichkeiten verschlimmert oder wenn der betroffene Ausländer die medizinische Versorgung aus sonstigen Umständen tatsächlich nicht erlangen kann (BVerwG, B. v. 17.8.2011 - 10 B 13/11 u. a. - juris; BayVGH, U. v. 3.7.2012 - 13a B 11.30064 - juris Rn. 34). Eine Gefahr ist „erheblich“, wenn eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität zu erwarten ist. Das wäre der Fall, wenn sich der Gesundheitszustand des Ausländers wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern würde. Eine wesentliche Verschlechterung ist nicht schon bei einer befürchteten ungünstigen Entwicklung des Gesundheitszustandes anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden. Außerdem muss die Gefahr konkret sein, was voraussetzt, dass die Verschlechterung des Gesundheitszustands alsbald nach der Rückkehr des Betroffenen in sein Herkunftsland eintreten wird, weil er auf die dort unzureichenden Möglichkeiten zur Behandlung ihrer Leiden angewiesen wäre und anderswo wirksame Hilfe nicht in Anspruch nehmen könnte (vgl. BVerwG, U. v. 29.7.1999 - 9 C 2/99 - juris Rn. 8). Der Abschiebungsschutz aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG dient hingegen nicht dazu, eine bestehende Erkrankung optimal zu behandeln oder ihre Heilungschancen zu verbessern. Diese Vorschrift begründet insbesondere keinen Anspruch auf Teilhabe am medizinischen Fortschritt und Standard in der medizinischen Versorgung in Deutschland (vgl. VG Arnsberg, B. v. 23.2.2016 - 5 L 242/16.A - juris Rn. 64 m. w. N.).

Mit der ab dem 17. März 2016 geltenden gesetzlichen Regelung hat auch der Gesetzgeber klargestellt, dass eine erhebliche konkrete Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG aus gesundheitlichen Gründen nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden, vorliegt (vgl. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG). Es wird im Falle einer Erkrankung nicht vorausgesetzt, dass die medizinische Versorgung im Herkunftsland mit der Versorgung in Deutschland gleichwertig ist (vgl. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Nach der Gesetzesbegründung kann eine schwerwiegende Erkrankung in Fällen von PTBS regelmäßig nicht angenommen werden, sondern nur ausnahmsweise, wenn die Abschiebung zu einer wesentlichen Gesundheitsgefährdung bis hin zu einer Selbstgefährdung führt (vgl. BT-Drs. 18/7538 S. 18).

Zwar begründet eine Selbstmordgefahr, die in Verbindung mit einer bevorstehenden Abschiebung steht, kein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, sondern allenfalls ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis, das gemäß § 60a AufenthG gegenüber der Ausländerbehörde geltend zu machen ist (BVerfG, B. v. 26.2.1998 - 2 BvR 185/98 - juris). Das Gericht ist aber davon überzeugt, dass die Klägerin bei einer Rückkehr nach Jordanien wegen ihrer psychischen Erkrankung alsbald in eine lebensbedrohliche Situation geraten würde.

Eine lebensbedrohliche Situation ist für die Klägerin bei einer Rückkehr nach Jordanien zu befürchten, weil die Klägerin im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts an einer posttraumatischen Belastungsstörung (ICD-10:F43.1), einer mittelgradigen depressiven Episode (ICD-10:F32.1) und einer Angst- und Panikstörung (ICD-10: F41.1) leidet und eine medizinische Behandlung der Klägerin in Jordanien jedenfalls nicht finanzierbar und damit erreichbar ist.

Das 36 Seiten umfassende psychiatrische Gutachten von Prof. … und Frau … (Klinikum der … - Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Abteilung für Forensische Psychiatrie) vom ... September 2016, das aufgrund des Beweisbeschlusses des Verwaltungsgerichts München vom … Mai 2016 eingeholt worden ist, kommt nach Auswertung sämtlicher vorhandener medizinischer und sonstiger Unterlagen und einer ambulanten Untersuchung der Klägerin am ... Juli 2016 zum Ergebnis, dass bei der Klägerin die Kriterien nach ICD-10 für eine posttraumatische Belastungsstörung erfüllt seien. Als auslösendes Ereignis sei die Bedrängung durch den Cousin ... anzusehen, auf dem Boden einer möglicherweise bestehenden erhöhten Vulnerabilität infolge der Gewalterfahrungen seit der frühen Kindheit. Weiter seien bei der Klägerin die Diagnosen einer mittelgradigen depressiven Episode sowie einer Angst- und Panikstörung gemäß den ICD-10 Kriterien als erfüllt anzusehen.

Bezüglich der posttraumatischen Belastungsstörung benötige die Klägerin Unterstützung in einem Umfeld, in dem sie mit den beschriebenen Defiziten einigermaßen geschützt leben könne. Der Aufbau von Ressourcen auch über ein soziales Netzwerk solle gefördert werden, bei der Klägerin könne dies in der Fortsetzung der Ausbildung gesehen werden. Eine mögliche Pharmakotherapie könne sinnvoll sein. Bei zusätzlicher Suizidgefährdung müsse in diesem Fall eine vorsichtige Abwägung zwischen Nutzen und Risiko durchgeführt werden. Für die Behandlung der komorbiden depressiven Erkrankung werde, auch hinsichtlich der Angsterkrankungen, eine Kombination aus medikamentöser und psychotherapeutischer Behandlung empfohlen.

Die Erkrankung vor allem der posttraumatischen Belastungsstörung sowie die hierfür notwendige Therapie sei mit den Sitten der Kultur in Jordanien nicht vereinbar. Somit sei die Erkrankung in Jordanien nicht behandelbar. Bei einer Rückkehr nach Jordanien würde der Therapieprozess, der zunächst zu einer einstweiligen Stabilisierung geführt habe, unterbrochen. Unbehandelt werde sich der aktuelle psychische Zustand mit hoher Wahrscheinlichkeit weiter verschlechtern und könne erneut in einen möglicherweise erfolgreichen Suizidversuch münden. Die Ängste der Klägerin in Bezug auf den Cousin seien stark ausgeprägt. Dies sei insofern bedeutsam, als dass sie nach einer Rückkehr als Frau kaum alleine leben könnte, der für sie zuständige Mann wäre der Onkel, der Vater des Cousins. Eine Verheiratung - auch gegen ihren Willen - wäre in ihrem Kulturkreis nicht ungewöhnlich, da dadurch die Versorgung formal gewährleistet wäre. Die Schilderungen der Klägerin seien als überzeugend erlebt worden und erlaubten somit die Prognose, dass es zu einer ausgeprägten Eigengefährdung im Falle einer Rückkehr nach Jordanien kommen könne.

Im Falle einer Rückkehr nach Jordanien erlebe sich die Klägerin in einer für sie ausweglosen Situation. Unter Berücksichtigung des bereits unternommenen Suizidversuches bestehe aufgrund der posttraumatischen Belastungsstörung und der beschriebenen Komorbitäten ein deutlich erhöhtes Risiko für einen erneuten Suizidversuch. Nehme man die krankheitsbedingte Vulnerabilität und die als ausweglos empfundene Situation im Heimatland zusammen, sehen die Gutachter eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit für eine gesundheitliche Verschlechterung sowie einen möglichen erneuten Suizidversuch.

Bei einer Rückkehr nach Jordanien würde ihr Onkel als nächster Verwandter die Verantwortung für sie tragen und den Versuch unternehmen, sie zu verheiraten, auch gegen ihren Willen. Über die Konfrontation mit einem aufgezwungenen Ehemann und die fehlenden Möglichkeiten, dieser Situation aus dem Wege zu gehen, würde es zu einer Retraumatisierung bzw. Reaktivierung des Erlebten kommen. Eine erfolgreiche Behandlung sei in solch einem Umfeld nicht möglich.

Dieses fachärztliche Gutachten ist nachvollziehbar und enthält keine Widersprüche. Es bestätigt in wesentlichen Teilen die vorliegenden psychologischen Befundberichte vom ... Januar 2013 von …, Dipl. Psychologin/Psychologische Psychotherapeutin, Frau …, vom ... August 2014 der Dipl. Soz.Päd. … und der Dipl.-Psychologin/Psychologischen Psychotherapeutin …, weiterhin den psychotherapeutischen Befundbericht von … vom ... November 2015 der Dipl.-Soz.Päd. ... und der Dipl.-Psychologin/Psychologischen Psychotherapeutin … sowie das fachärztlich-psychotherapeutische Gutachten von … vom ... März 2016 der Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie …

Es ist zudem nicht davon auszugehen, dass der Klägerin eine Kombination aus medikamentöser und psychotherapeutischer Behandlung, auf die diese angewiesen ist, in ihrem Herkunftsland Jordanien trotz der prinzipiell existierenden Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung steht. Ausweislich der Auskunft der Deutschen Botschaft in Amman vom ... November 2015 sind psychiatrische Erkrankungen und speziell Depressionen zwar grundsätzlich in Jordanien behandelbar. Jedoch wird die Behandlung von psychiatrischen Erkrankungen generell nicht von der freiwilligen Krankenversicherung abgedeckt (VG Würzburg, U. v. 19.02.2016 - W 2 K 13.30028 - UA S. 15). In der Regel ist eine Behandlung für Mittellose bzw. nicht Krankenversicherte nicht möglich. Eine Behandlung (ebenso eine aufsuchende Behandlung) ist kostenpflichtig.

Gemessen an den vorliegenden Erkenntnissen wäre der Klägerin aufgrund fehlender finanzieller Mittel ein Zugang zu einer aufsuchenden Behandlung und Medikamenten verwehrt. Unter Zugrundelegung der Auskunftslage müsste die Klägerin mangels Leistungen durch die Krankenversicherung sowohl die Kosten für eine aufsuchende fachärztliche Betreuung als auch für die Medikation selbst aufbringen.

Unter diesen Voraussetzungen wäre es der Klägerin mangels hinreichender finanzieller Mittel und ohne Unterstützung durch ihre Familie nicht möglich, die benötigte psychiatrische Versorgung in Jordanien zu erreichen. Infolgedessen besteht die konkrete Gefahr, dass sich die psychische Krankheit der Klägerin in Jordanien erheblich verschlimmert.

Nach alledem ist das Gericht davon überzeugt, dass die Klägerin bei einer Rückkehr nach Jordanien in eine ausweglose Situation geraten würde. Selbst wenn der Gefahr eines Selbstmords im Zusammenhang mit der Abschiebung durch ärztliche Begleitung vor und während der Abschiebung entgegengewirkt werden könnte, besteht bei einer Rückkehr der Klägerin nach Jordanien zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts eine erhebliche konkrete Gefahr für ihr Leben. Wie vom gerichtlich bestellten Gutachter beschrieben, besteht bei der Klägerin unter Berücksichtigung des bereits unternommenen Suizidversuchs aufgrund der posttraumatischen Belastungsstörung und der Komorbitäten ein deutlich erhöhtes Risiko für einen erneuten Suizidversuch. Nehme man die krankheitsbedingte Vulnerabilität und die als ausweglos empfundene Situation im Heimatland zusammen, besteht eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit für eine gesundheitliche Verschlechterung und einen möglichen erneuten Suizidversuch.

Vor diesem Hintergrund bejaht das Gericht bei der Klägerin das Vorliegen eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.

Nach alledem war der Klage im Wesentlichen stattzugeben. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei (§ 83b AsylG). Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Tenor

I.

Die Beklagte wird unter entsprechender Aufhebung der Ziffern 2 und 3 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 16. Oktober 2015 verpflichtet festzustellen, dass bei der Klägerin die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Jordaniens vorliegen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II.

Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Die Klägerin ist jordanische Staatsbürgerin. Sie hatte mit der Angabe, sie sei palästinensische Volkszugehörige aus dem Westjordanland, am 24. November 2009 Asylantrag gestellt.

Das Bundesamt lehnte mit Bescheid vom 22. September 2010 die Anerkennung die Klägerin als Asylberechtigte ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG offensichtlich nicht vorliegen und verneinte Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG. Die Klägerin wurde unter Fristsetzung aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen. Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde die Abschiebung nach Israel (Westjordanland) angedroht. Nach Rücknahme der Klage gegen diesen Bescheid stellte das Verwaltungsgericht Regensburg (B. v. 9.2.2011 - RN 6 K 10.30399 -) das Verfahren ein.

Am 5. Februar 2013 beantragte die Klägerin durch ihre damaligen Bevollmächtigten die Wiederaufnahme des Asylverfahrens. Die Klägerin werde seit Mai 2012 bei … psychotherapeutisch behandelt. Bei einer Abschiebung in das Herkunftsland drohe eine Reaktualisierung traumatischer Erfahrungen, zumal es dort immer noch zu Auseinandersetzungen zwischen der israelischen Armee und israelischen Siedlern und der palästinensischen Bevölkerung komme. Es bleibe ihr nichts anderes übrig, als zu ihrem Vater zurückzukehren, d. h. in die unmittelbare Nachbarschaft jenes Cousins, der sie bedroht habe. Bei einem Abbruch der Behandlung bzw. einer Abschiebung ins Heimatland würde sich der Gesundheitszustand die Klägerin mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit wesentlich verschlechtern. Damit bestehe das Abschiebeverbot des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich des Westjordanlands. Der Wiederaufnahmeantrag sei auch rechtzeitig gestellt worden. Zwar bestünden bereits seit langer Zeit gesundheitliche Beeinträchtigungen. Es sei der Klägerin jedoch nicht gelungen, die benötigte psychotherapeutische Behandlung zu erlangen. Die Behandlung dauere jetzt zwar bereits sieben Monate an. Die Therapeutin könne aber selbstverständlich erst nach längerer Therapiedauer die Krankheit genau diagnostizieren und die Folgen eines Behandlungsabbruchs bzw. einer Rückkehr ins Heimatland beschreiben. Hier habe die Therapeutin erstmals am … Januar 2013 einen Befundbericht verfasst, so dass die Dreimonatsfrist des § 51 Abs. 3 VwVfG ab diesem Zeitpunkt zu laufen beginne.

Beigefügt war ein Psychologischer Befundbericht von … München - Dipl.-Psychologin/Psychologische … vom … Januar 2013, demzufolge sich die Klägerin seit Mai 2012 in psychotherapeutischer Behandlung befinde. Sie leide an einer Posttraumatischen Belastungsstörung sowie an einer Angststörung aufgrund multipler traumatischer Erfahrungen: Leben in Palästina unter den Gewaltbedingungen der Besatzung, permanente Bedrohung durch ihren Cousin und die traumatische Flucht. Da die Klägerin von Kindheit an immer wieder Gewalterlebnissen ausgesetzt gewesen sei, sei sie schon früh erheblich vulnerabel gewesen und habe kaum Resilienz gegenüber erneuten Traumatisierungen entwickeln können. Es bestehe ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den berichteten Traumata und dieser psychischen Erkrankung. Sie sei weiterhin dringend behandlungsbedürftig. Ein Abbruch der Behandlung würde zu einer erheblichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes führen. Eine Abschiebung in das Herkunftsland wäre eine Reaktualisierung traumatischer Erfahrungen, weil die Klägerin dem Vorgang der Abschiebung hilflos ausgeliefert wäre, vergleichbar dem Ausgeliefertsein angesichts ihrer Gewalterfahrungen im Herkunftsland und auf der Flucht. Erschwerend komme hinzu, dass sie auch zu Recht befürchten müsse, erneut Gewalterlebnissen ausgesetzt zu sein. Sie sei latent suizidal, sie habe nach eigenen Angaben mehrfach mit dem Gedanken an einen Suizid gespielt. Eine psychische Dekompensation nach einer Abschiebung könne dazu führen, dass sie ihre Suizidimpulse nicht mehr ausreichend unter Kontrolle halten könne und angesichts der als ausweglos empfundenen Situation eine Kurzschlusshandlung begehen würde. Mit Sicherheit würde eine Abschiebung zu einer erheblichen gesundheitlichen Verschlechterung führen. Möglicherweise bestünde Gefahr für Leib und Leben. Eine Reisefähigkeit sei aus diesen Gründen nicht gegeben.

Mit Schreiben vom 14. August 2013 legten die Bevollmächtigten eine Kopie des palästinensischen Reiseausweises der Klägerin, ausgestellt am … August 2011, vor, den der Vater der Klägerin aus Palästina mitgebracht habe. Daraus ergebe sich, dass diese nicht am Wohnort der Familie, sondern in … geboren sei. Die Familie habe dort bis zum Einmarsch der irakischen Truppen gelebt und sei dann des Landes verwiesen worden. Seither lebe die Familie am Heimatort in ...

Weiter teilten sie mit Schreiben vom 23. September 2014 mit, es habe sich inzwischen herausgestellt, dass die Klägerin die jordanische Staatsbürgerschaft besitze. Sie sei in … geboren. Der tatsächliche Aufenthaltsort sei nach der Vertreibung jedoch überwiegend im Westjordanland gewesen. Die Klägerin, ihre Mutter und ihr Bruder hätten im Gegensatz zu ihrem Vater kein Aufenthaltsrecht im Westjordanland erhalten. Bis zum 18. Geburtstag habe die Klägerin daher immer wieder nach Jordanien ausreisen und dort eine neue Einreiseerlaubnis beantragen müssen. Nach dem 18. Geburtstag sei die Klägerin im Westjordanland geblieben und habe sich dort ohne Genehmigung der israelischen Behörden aufgehalten. Ein neuer Psychologisch-Psychotherapeutischer Befundbericht von ... vom ... August 2014 der Dipl. Soz.Päd. ... und der Dipl.-Psychologin/Psychologischen Psychotherapeutin … erweiterte und ergänzte die Befunde in dem früheren Psychologischen Befundbericht.

Am 16. Oktober 2015 erließ das Bundesamt unter dem Aktenzeichen 5610696 - 445 einen Bescheid, dessen Begründung sich auf die Klägerin bezog, jedoch an den Bruder die Klägerin adressiert war.

Mit Bescheid vom 16. Oktober 2015, am 21. Oktober 2015 zur Post gegeben, hob das Bundesamt ihren Bescheid vom 16. Oktober 2015 auf, stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen, und änderte die mit Bescheid des Bundesamtes vom 22. September 2010 (Az.: 5399815-499) erlassene Abschiebungsandrohung dahingehend ab, dass die Klägerin für den Fall, dass sie der Ausreiseaufforderung nicht nachkommt, nach Jordanien abgeschoben wird. Die sofortige Vollziehung des Bescheides wurde angeordnet.

Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, da eine Prüfung für den jetzt festgestellten Zielstaat Jordanien noch nicht erfolgt sei, sei das Verfahren insoweit wieder zu eröffnen gewesen. Zielstaatsbezogene Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG lägen hinsichtlich Jordaniens nicht vor. Die Klägerin habe zielstaatsbezogene (insbesondere Krankheits-) Gründe, die gegen eine Rückkehr in den Staat ihrer Staatsangehörigkeit, nämlich Jordanien, weder überzeugend und glaubhaft vorgetragen noch lägen sie nach den Erkenntnissen des Bundesamtes vor. Die vorgelegten psychologischen Befundberichte vom … Januar 2013 und ... August 2014 gäben bereits keine notwendigen nachvollziehbaren Diagnosen psychischer Erkrankungen der Klägerin, insbesondere einer PTBS, wieder. Es seien bereits keine Gründe angeführt worden, warum die psychischen Krankheitsbilder erst so spät geltend gemacht worden seien. Die Klägerin habe sich erst nach Rechtskraft des Vorverfahrens im Mai 2012 in psychotherapeutische Behandlung begeben. Sie solle aber bereits seit 10 Jahren an einer (chronischen) PTBS leiden, ohne diese Erkrankung im Vorverfahren nur ansatzweise plausibel gemacht zu haben. Soweit angeführt worden sei, es sei im laufenden Klageverfahren nicht gelungen, medizinische Unterlagen beizubringen, überzeuge ein noch weiteres, lange Zeit Verstreichen lassen von weiteren 18 Monaten überhaupt nicht. Das traumatisierende Ereignis sei durch den Therapeuten nicht kritisch hinterfragt worden, sondern ausweislich der vorgelegten Befundberichte seien die eigenen Angaben der Klägerin übernommen worden, „sie berichtet“. Es werde nicht erklärt, warum nur der Vater und überhaupt nach … habe zurückkehren wollen. In ihrer Anhörung habe sie die angeblich traumatisierenden Ereignisse nicht erwähnt, obschon konkrete Fragen zum Reiseweg und zum Schiff gestellt worden seien. Die Angaben zur Wohnung des Cousins, der sie belästigt und bedroht haben solle, wichen erheblich voneinander ab. Nachdem nicht einmal das Bestehen einer psychischen Erkrankung nachvollziehbar dargelegt sei, stelle sich die Frage nach aus der Erkrankung resultierender Gefahren nach Rückführung ins Herkunftsland nicht. Wie im Rahmen der Prüfung des Vorverfahrens festgestellt, drohe der Klägerin - auch nicht in Jordanien - eine, durch einen staatlichen oder nichtstaatlichen Akteur verursachte, Folter oder relevante unmenschliche Behandlung.

Am 30. Oktober 2015 erhob die Klägerin durch ihre Prozessbevollmächtigten Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München mit dem Antrag,

Die Beklagte wird unter Aufhebung der Ziffern 2 und 3 des Bescheides des Bundesamtes vom 16. Oktober 2015 - 5610696-445 - verpflichtet, festzustellen, dass bei der Klägerin ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Jordaniens vorliegt.

Gleichzeitig beantragte sie gemäß § 80 Abs. 5 VwGO, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Vollziehung der geänderten Abschiebungsanordnung herzustellen.

Zur Begründung wurde ausgeführt, die Klägerin sei in … geboren. Ihre Eltern stammten ursprünglich aus der Gemeinde … in der Provinz …/Westjordanland. Der Vater habe nach … des Westjordanlandes durch Jordanien die jordanische Staatsangehörigkeit erlangt. Ihre Familie sei 1959 nach ... geflohen. Die Mutter der Klägerin sei mit ihrer Familie 1967 nach ... geflohen und habe 1972 den Vater geheiratet. Nach dem Ende des Krieges habe die Familie der Klägerin wie Hunderttausende Palästinenser das Aufenthaltsrecht in ... verloren. Jordanien habe 1991 350.000 Palästinenser aufgenommen, darunter die Familie die Klägerin. Geplant gewesen sei die Rückkehr nach …, doch habe lediglich der Vater von den israelischen Behörden die Zuzugsgenehmigung erhalten. Die Mutter und die minderjährigen Kinder hätten nur die Genehmigung zum Besuch des Ehemanns/Vaters erhalten. Sie hätten aber immer wieder ausreisen und eine neue Einreisegenehmigung beantragen müssen. Die Klägerin habe sich deshalb ca. sieben Monate im Jahr im Westjordanland und fünf Monate in Jordanien aufgehalten. Mit ihrer Volljährigkeit habe das Recht, den Vater zu besuchen, geendet. Die Klägerin sei schließlich illegal im Westjordanland geblieben und habe beim Vater in … gelebt.

Nach der Flucht hätten die Mutter und die jüngeren Geschwister inzwischen in Deutschland Niederlassungserlaubnisse bzw. Aufenthaltserlaubnisse erhalten. Der Vater sei im Besitz einer Duldung.

Die Klägerin habe ihre Heimat 2009 verlassen und im Asylantrag angegeben, sie sei in … geboren.

Die Zweifel des Bundesamtes an den vorgelegten Befundberichten seien nicht gerechtfertigt. Die Klägerin habe tatsächlich viele Jahre in … im Westjordanland gelebt und dort seit ihrer Kindheit gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen israelischen Soldaten und palästinensischen Jugendlichen erlebt. Im Zuge dieser Auseinandersetzungen sei sie auch körperlich verletzt worden. Aus den unterschiedlichen Angaben der Familienangehörigen gegenüber dem Bundesamt könne nicht gefolgert werden, dass die Klägerin die Unwahrheit gesagt habe. Es werde die Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens beantragt. In Jordanien wäre eine Behandlung die Klägerin nicht möglich. Dort seien die psychiatrischen Behandlungsmöglichkeiten sehr beschränkt. Es sei nicht davon auszugehen, dass die Klägerin, deren Familie in Deutschland und dem europäischen Ausland lebe, bei einer Rückkehr nach Jordanien in der Lage wäre, die benötigte Behandlung zu erlangen.

Das Bundesamt übersandte mit Schreiben vom 3. November 2015 die Behördenakte.

Weiter legten die Prozessbevollmächtigten einen psychotherapeutischen Befundbericht von ... vom ... November 2015 der Dipl.-Soz.Päd. d der Dipl.-Psychologin/Psychologischen Psychotherapeutin or. Seit der Androhung der Abschiebung habe sich der körperliche und seelische Gesamtzustand die Klägerin auf besorgniserregende Weise abrupt verschlechtert. Die langsam aufgebaute Hoffnung sei wieder zerstört, sie sehe keine Zukunft, wolle nicht mehr leben, wenn sie nach Jordanien müsse. In letzter Zeit habe sie immer wieder Ohnmachtsanfälle, der Rettungsdienst habe sie mehrmals deswegen ins Krankenhaus bringen müssen. Ohne Sicherstellung einer traumatherapeutischen Behandlung bestehe die Gefahr einer weiteren Chronifizierung und Aggravation ihrer Symptome und damit auch die Gefahr von massiven psychischen und physischen Folgeerkrankungen. In einem Nachtrag zum Ergänzenden Befundbericht vom ... November 2015 (Unterzeichnerin Dipl.-Soz.Päd. ...) wird ausgeführt, in der letzten therapeutischen Sitzung am ... November 2015 habe die Klägerin in einem psychisch äußerst labil und emotional aufgelösten Zustand angegeben, sie habe am … November 2015 beschlossen, sich durch Medikamente zu suizidieren, was eine Bekannte verhindert habe.

Das Verwaltungsgericht München stellte mit Beschluss vom 2. März 2016 M 17 S 15.31484 die aufschiebende Wirkung der Klage vom 16. Oktober 2015 wieder her.

Die Klagebevollmächtigten legten mit Schreiben vom 23. März 2016 ein fachärztlich-psychotherapeutisches Gutachten von ... vom ... März 2016 der Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie … vor. In ihrem geschilderten psychischen und physischen Zustand würde es der Klägerin mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht möglich sein, für sich selber zu sorgen. Suizidale Handlungen wären aufgrund dieser Affektlage mit hoher Wahrscheinlichkeit gegeben, zumal sie bereits Suizidversuche unternommen habe. Einem entsprechenden Verlauf könnte auch nicht durch eine Behandlung in Jordanien entgegengewirkt werden, da für das Gelingen einer Psychotherapie die Wahrnehmung einer stabilen Sicherheit Voraussetzungen sei.

Mit Beschluss vom 9. Mai 2016 wurde der Rechtsstreit gemäß § 76 Abs. 1 AsylVfG auf den Einzelrichter übertragen. Zugleich erließ das Gericht nach Anhörung der Beteiligten einen Beweisbeschluss und ordnete die Einholung eines Sachverständigengutachtens an.

Unter dem ... September 2016 erstellte das Klinikum der … Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie - ein psychiatrisches Gutachten. Es kommt zusammengefasst zu der Beurteilung, dass bei der Klägerin die Kriterien nach ICD-10 für eine posttraumatische Belastungsstörung erfüllt seien. Als auslösendes Ereignis sei die Bedrängung durch den Cousin ... anzusehen, auf dem Boden einer möglicherweise bestehenden erhöhten Vulnerabilität infolge der Gewalterfahrungen seit der frühen Kindheit. Weiter seien bei der Klägerin die Diagnosen einer mittelgradigen depressiven Episode sowie einer Angst- und Panikstörung gemäß den ICD-10 Kriterien als erfüllt anzusehen.

Bezüglich der posttraumatischen Belastungsstörung benötige die Klägerin Unterstützung in einem Umfeld, in dem sie mit den beschriebenen Defiziten einigermaßen geschützt leben könne. Der Aufbau von Ressourcen auch über ein soziales Netzwerk solle gefördert werden, bei der Klägerin könne dies in der Fortsetzung der Ausbildung gesehen werden. Eine mögliche Pharmakotherapie könne sinnvoll sein. Bei zusätzlicher Suizidgefährdung müsse in diesem Fall eine vorsichtige Abwägung zwischen Nutzen und Risiko durchgeführt werden. Für die Behandlung der komorbiden depressiven Erkrankung werde, auch hinsichtlich der Angsterkrankungen eine Kombination aus medikamentöser und psychotherapeutischer Behandlung empfohlen.

Die Erkrankung vor allem der posttraumatischen Belastungsstörung sowie die hierfür notwendige Therapie sei mit den Sitten der Kultur in Jordanien nicht vereinbar. Somit sei die Erkrankung in Jordanien nicht behandelbar. Bei einer Rückkehr nach Jordanien würde der Therapieprozess, der zunächst zu einer einstweiligen Stabilisierung geführt habe, unterbrochen. Unbehandelt werde sich der aktuelle psychische Zustand mit hoher Wahrscheinlichkeit weiter verschlechtern und könne erneut in einem möglicherweise erfolgreichen Suizidversuch münden. Die Ängste der Klägerin in Bezug auf den Cousin seien stark ausgeprägt. Dies sei insofern bedeutsam, als dass sie nach einer Rückkehr als Frau kaum alleine leben könnte, der für sie zuständige Mann wäre der Onkel, der Vater des Cousins. Eine Verheiratung - auch gegen ihren Willen - wäre in ihrem Kulturkreis nicht ungewöhnlich, da dadurch die Versorgung formal gewährleistet wäre. Die Schilderungen der Klägerin seien als überzeugend erlebt worden und erlaubten somit die Prognose, dass es zu einer ausgeprägten Eigengefährdung im Falle einer Rückkehr nach Jordanien kommen könne.

Im Falle einer Rückkehr nach Jordanien erlebe sich die Klägerin in einer für sie ausweglosen Situation. Unter Berücksichtigung des bereits unternommenen Suizidversuches bestehe aufgrund der posttraumatischen Belastungsstörung und der beschriebenen Komorbitäten ein deutlich erhöhtes Risiko für einen erneuten Suizidversuch. Nehme man die krankheitsbedingte Vulnerabilität und die als ausweglos empfundene Situation im Heimatland zusammen, sehen die Gutachter eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit für eine gesundheitliche Verschlechterung sowie einen möglichen erneuten Suizidversuch.

Bei einer Rückkehr nach Jordanien würde ihr Onkel als nächster Verwandter die Verantwortung für sie tragen und den Versuch unternehmen, sie zu verheiraten, auch gegen ihren Willen. Über die Konfrontation mit einem aufgezwungenen Ehemann und die fehlenden Möglichkeiten, dieser Situation aus dem Wege zu gehen, würde es zu einer Retraumatisierung bzw. Reaktivierung des Erlebten kommen. Eine erfolgreiche Behandlung sei in solch einem Umfeld nicht möglich.

Die Klagebevollmächtigte nahm mit Schreiben vom 17. Oktober 2016 Stellung und vertrat die Ansicht, angesichts der Ergebnisse der Begutachtung liege ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor. Sie verzichtete mit Schreiben vom 24. November 2016 auf mündliche Verhandlung.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der sonstigen Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.

Gründe

Über die Klage kann mit Einverständnis der Klagepartei (Schriftsatz vom 24. November 2016) und der Beklagten (allgemeine Prozesserklärung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 25. Februar 2016 - Generalerklärung) ohne mündliche Verhandlung entschieden werden (§ 101 Abs. 2 VwGO).

Die Klage ist zulässig, insbesondere ist das Verwaltungsgericht München zur Entscheidung über diese Klage als Gericht der Hauptsache sachlich zuständig gemäß § 45 VwGO, obgleich im Erst-Asylverfahren das VG Regensburg zuständig war; seine örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO, weil die Klägerin im maßgeblichen Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit (vgl. § 83 Satz 1 VwGO i. V. m. § 17 Abs. 1 Satz 1 GVG) ihren Aufenthalt nach dem Asylgesetz im Regierungsbezirk Oberbayern (Gemeinschaftsunterkunft …) und damit im Gerichtsbezirk (Art. 1 Abs. 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung - AGVwGO) zu nehmen hatte (§ 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO i. V. m. § 83c AsylG).

Die Klage der Klägerin ist auch im Wesentlichen begründet, denn sie hat Anspruch darauf, dass die Beklagte unter Aufhebung der Ziffer 2, soweit ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG verneint wird, und Ziffer 3 ihres Bescheids vom 16. Oktober 2015 verpflichtet wird, ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen (vgl. § 113 Abs. 5 i. V. m. Abs. 1 VwGO). Soweit nach dem Klageantrag die vollumfängliche Aufhebung der Ziffer 2, d. h. hinsichtlich der Verneinung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG, beantragt ist, haben die Klagebevollmächtigten lediglich zu den Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorgetragen und einen darauf gerichteten Verpflichtungsantrag gestellt. Die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG sind auch nicht ersichtlich.

Die Voraussetzungen des § 71 AsylG i. V. m. § 51 VwVfG für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens liegen hier unbestritten vor, da eine Prüfung von Abschiebungsverboten für den jetzt festgestellten Zielstaat Jordanien noch nicht erfolgt ist. Insbesondere ist der am 5. Februar 2013 gestellte Asylfolgeantrag innerhalb von drei Monaten ab Kenntnis des Grundes für das Wiederaufgreifen gestellt worden (vgl. § 51 Abs. 3 VwVfG), nachdem der Klägerin erstmalig mit dem Psychologischen Befundbericht der Dipl.-Psychologin und Psychologischen Psychotherapeutin Frau …, …, vom … Januar 2013 eine ernste psychische Erkrankung attestiert worden ist. Auf den Asylfolgeantrag der Klägerin hin ist die Beklagte auch zur Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu verpflichten, weil zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 AsylG) bei der Klägerin aufgrund einer gutachterlich festgestellten schweren psychischen Erkrankung ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot vorliegt.

Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Diese Regelung erfasst zwar nur solche Gefahren, die in den spezifischen Verhältnissen im Zielstaat begründet sind, während Gefahren, die sich aus der Abschiebung als solcher ergeben, nur von der Ausländerbehörde als inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis berücksichtigt werden können. Die Vorschrift kann einen Anspruch auf Abschiebungsschutz begründen, wenn die Gefahr besteht, dass sich eine vorhandene Erkrankung aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib und Leben führt, d. h. dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht. Dies kann etwa der Fall sein, wenn sich die Krankheit im Heimatstaat aufgrund unzureichender Behandlungsmöglichkeiten verschlimmert oder wenn der betroffene Ausländer die medizinische Versorgung aus sonstigen Umständen tatsächlich nicht erlangen kann (BVerwG, B. v. 17.8.2011 - 10 B 13/11 u. a. - juris; BayVGH, U. v. 3.7.2012 - 13a B 11.30064 - juris Rn. 34). Eine Gefahr ist „erheblich“, wenn eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität zu erwarten ist. Das wäre der Fall, wenn sich der Gesundheitszustand des Ausländers wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern würde. Eine wesentliche Verschlechterung ist nicht schon bei einer befürchteten ungünstigen Entwicklung des Gesundheitszustandes anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden. Außerdem muss die Gefahr konkret sein, was voraussetzt, dass die Verschlechterung des Gesundheitszustands alsbald nach der Rückkehr des Betroffenen in sein Herkunftsland eintreten wird, weil er auf die dort unzureichenden Möglichkeiten zur Behandlung ihrer Leiden angewiesen wäre und anderswo wirksame Hilfe nicht in Anspruch nehmen könnte (vgl. BVerwG, U. v. 29.7.1999 - 9 C 2/99 - juris Rn. 8). Der Abschiebungsschutz aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG dient hingegen nicht dazu, eine bestehende Erkrankung optimal zu behandeln oder ihre Heilungschancen zu verbessern. Diese Vorschrift begründet insbesondere keinen Anspruch auf Teilhabe am medizinischen Fortschritt und Standard in der medizinischen Versorgung in Deutschland (vgl. VG Arnsberg, B. v. 23.2.2016 - 5 L 242/16.A - juris Rn. 64 m. w. N.).

Mit der ab dem 17. März 2016 geltenden gesetzlichen Regelung hat auch der Gesetzgeber klargestellt, dass eine erhebliche konkrete Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG aus gesundheitlichen Gründen nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden, vorliegt (vgl. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG). Es wird im Falle einer Erkrankung nicht vorausgesetzt, dass die medizinische Versorgung im Herkunftsland mit der Versorgung in Deutschland gleichwertig ist (vgl. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Nach der Gesetzesbegründung kann eine schwerwiegende Erkrankung in Fällen von PTBS regelmäßig nicht angenommen werden, sondern nur ausnahmsweise, wenn die Abschiebung zu einer wesentlichen Gesundheitsgefährdung bis hin zu einer Selbstgefährdung führt (vgl. BT-Drs. 18/7538 S. 18).

Zwar begründet eine Selbstmordgefahr, die in Verbindung mit einer bevorstehenden Abschiebung steht, kein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, sondern allenfalls ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis, das gemäß § 60a AufenthG gegenüber der Ausländerbehörde geltend zu machen ist (BVerfG, B. v. 26.2.1998 - 2 BvR 185/98 - juris). Das Gericht ist aber davon überzeugt, dass die Klägerin bei einer Rückkehr nach Jordanien wegen ihrer psychischen Erkrankung alsbald in eine lebensbedrohliche Situation geraten würde.

Eine lebensbedrohliche Situation ist für die Klägerin bei einer Rückkehr nach Jordanien zu befürchten, weil die Klägerin im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts an einer posttraumatischen Belastungsstörung (ICD-10:F43.1), einer mittelgradigen depressiven Episode (ICD-10:F32.1) und einer Angst- und Panikstörung (ICD-10: F41.1) leidet und eine medizinische Behandlung der Klägerin in Jordanien jedenfalls nicht finanzierbar und damit erreichbar ist.

Das 36 Seiten umfassende psychiatrische Gutachten von Prof. … und Frau … (Klinikum der … - Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Abteilung für Forensische Psychiatrie) vom ... September 2016, das aufgrund des Beweisbeschlusses des Verwaltungsgerichts München vom … Mai 2016 eingeholt worden ist, kommt nach Auswertung sämtlicher vorhandener medizinischer und sonstiger Unterlagen und einer ambulanten Untersuchung der Klägerin am ... Juli 2016 zum Ergebnis, dass bei der Klägerin die Kriterien nach ICD-10 für eine posttraumatische Belastungsstörung erfüllt seien. Als auslösendes Ereignis sei die Bedrängung durch den Cousin ... anzusehen, auf dem Boden einer möglicherweise bestehenden erhöhten Vulnerabilität infolge der Gewalterfahrungen seit der frühen Kindheit. Weiter seien bei der Klägerin die Diagnosen einer mittelgradigen depressiven Episode sowie einer Angst- und Panikstörung gemäß den ICD-10 Kriterien als erfüllt anzusehen.

Bezüglich der posttraumatischen Belastungsstörung benötige die Klägerin Unterstützung in einem Umfeld, in dem sie mit den beschriebenen Defiziten einigermaßen geschützt leben könne. Der Aufbau von Ressourcen auch über ein soziales Netzwerk solle gefördert werden, bei der Klägerin könne dies in der Fortsetzung der Ausbildung gesehen werden. Eine mögliche Pharmakotherapie könne sinnvoll sein. Bei zusätzlicher Suizidgefährdung müsse in diesem Fall eine vorsichtige Abwägung zwischen Nutzen und Risiko durchgeführt werden. Für die Behandlung der komorbiden depressiven Erkrankung werde, auch hinsichtlich der Angsterkrankungen, eine Kombination aus medikamentöser und psychotherapeutischer Behandlung empfohlen.

Die Erkrankung vor allem der posttraumatischen Belastungsstörung sowie die hierfür notwendige Therapie sei mit den Sitten der Kultur in Jordanien nicht vereinbar. Somit sei die Erkrankung in Jordanien nicht behandelbar. Bei einer Rückkehr nach Jordanien würde der Therapieprozess, der zunächst zu einer einstweiligen Stabilisierung geführt habe, unterbrochen. Unbehandelt werde sich der aktuelle psychische Zustand mit hoher Wahrscheinlichkeit weiter verschlechtern und könne erneut in einen möglicherweise erfolgreichen Suizidversuch münden. Die Ängste der Klägerin in Bezug auf den Cousin seien stark ausgeprägt. Dies sei insofern bedeutsam, als dass sie nach einer Rückkehr als Frau kaum alleine leben könnte, der für sie zuständige Mann wäre der Onkel, der Vater des Cousins. Eine Verheiratung - auch gegen ihren Willen - wäre in ihrem Kulturkreis nicht ungewöhnlich, da dadurch die Versorgung formal gewährleistet wäre. Die Schilderungen der Klägerin seien als überzeugend erlebt worden und erlaubten somit die Prognose, dass es zu einer ausgeprägten Eigengefährdung im Falle einer Rückkehr nach Jordanien kommen könne.

Im Falle einer Rückkehr nach Jordanien erlebe sich die Klägerin in einer für sie ausweglosen Situation. Unter Berücksichtigung des bereits unternommenen Suizidversuches bestehe aufgrund der posttraumatischen Belastungsstörung und der beschriebenen Komorbitäten ein deutlich erhöhtes Risiko für einen erneuten Suizidversuch. Nehme man die krankheitsbedingte Vulnerabilität und die als ausweglos empfundene Situation im Heimatland zusammen, sehen die Gutachter eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit für eine gesundheitliche Verschlechterung sowie einen möglichen erneuten Suizidversuch.

Bei einer Rückkehr nach Jordanien würde ihr Onkel als nächster Verwandter die Verantwortung für sie tragen und den Versuch unternehmen, sie zu verheiraten, auch gegen ihren Willen. Über die Konfrontation mit einem aufgezwungenen Ehemann und die fehlenden Möglichkeiten, dieser Situation aus dem Wege zu gehen, würde es zu einer Retraumatisierung bzw. Reaktivierung des Erlebten kommen. Eine erfolgreiche Behandlung sei in solch einem Umfeld nicht möglich.

Dieses fachärztliche Gutachten ist nachvollziehbar und enthält keine Widersprüche. Es bestätigt in wesentlichen Teilen die vorliegenden psychologischen Befundberichte vom ... Januar 2013 von …, Dipl. Psychologin/Psychologische Psychotherapeutin, Frau …, vom ... August 2014 der Dipl. Soz.Päd. … und der Dipl.-Psychologin/Psychologischen Psychotherapeutin …, weiterhin den psychotherapeutischen Befundbericht von … vom ... November 2015 der Dipl.-Soz.Päd. ... und der Dipl.-Psychologin/Psychologischen Psychotherapeutin … sowie das fachärztlich-psychotherapeutische Gutachten von … vom ... März 2016 der Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie …

Es ist zudem nicht davon auszugehen, dass der Klägerin eine Kombination aus medikamentöser und psychotherapeutischer Behandlung, auf die diese angewiesen ist, in ihrem Herkunftsland Jordanien trotz der prinzipiell existierenden Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung steht. Ausweislich der Auskunft der Deutschen Botschaft in Amman vom ... November 2015 sind psychiatrische Erkrankungen und speziell Depressionen zwar grundsätzlich in Jordanien behandelbar. Jedoch wird die Behandlung von psychiatrischen Erkrankungen generell nicht von der freiwilligen Krankenversicherung abgedeckt (VG Würzburg, U. v. 19.02.2016 - W 2 K 13.30028 - UA S. 15). In der Regel ist eine Behandlung für Mittellose bzw. nicht Krankenversicherte nicht möglich. Eine Behandlung (ebenso eine aufsuchende Behandlung) ist kostenpflichtig.

Gemessen an den vorliegenden Erkenntnissen wäre der Klägerin aufgrund fehlender finanzieller Mittel ein Zugang zu einer aufsuchenden Behandlung und Medikamenten verwehrt. Unter Zugrundelegung der Auskunftslage müsste die Klägerin mangels Leistungen durch die Krankenversicherung sowohl die Kosten für eine aufsuchende fachärztliche Betreuung als auch für die Medikation selbst aufbringen.

Unter diesen Voraussetzungen wäre es der Klägerin mangels hinreichender finanzieller Mittel und ohne Unterstützung durch ihre Familie nicht möglich, die benötigte psychiatrische Versorgung in Jordanien zu erreichen. Infolgedessen besteht die konkrete Gefahr, dass sich die psychische Krankheit der Klägerin in Jordanien erheblich verschlimmert.

Nach alledem ist das Gericht davon überzeugt, dass die Klägerin bei einer Rückkehr nach Jordanien in eine ausweglose Situation geraten würde. Selbst wenn der Gefahr eines Selbstmords im Zusammenhang mit der Abschiebung durch ärztliche Begleitung vor und während der Abschiebung entgegengewirkt werden könnte, besteht bei einer Rückkehr der Klägerin nach Jordanien zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts eine erhebliche konkrete Gefahr für ihr Leben. Wie vom gerichtlich bestellten Gutachter beschrieben, besteht bei der Klägerin unter Berücksichtigung des bereits unternommenen Suizidversuchs aufgrund der posttraumatischen Belastungsstörung und der Komorbitäten ein deutlich erhöhtes Risiko für einen erneuten Suizidversuch. Nehme man die krankheitsbedingte Vulnerabilität und die als ausweglos empfundene Situation im Heimatland zusammen, besteht eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit für eine gesundheitliche Verschlechterung und einen möglichen erneuten Suizidversuch.

Vor diesem Hintergrund bejaht das Gericht bei der Klägerin das Vorliegen eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.

Nach alledem war der Klage im Wesentlichen stattzugeben. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei (§ 83b AsylG). Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Tenor

I.

Die Beklagte wird unter entsprechender Aufhebung der Ziffern 2 und 3 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 16. Oktober 2015 verpflichtet festzustellen, dass bei der Klägerin die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Jordaniens vorliegen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II.

Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Die Klägerin ist jordanische Staatsbürgerin. Sie hatte mit der Angabe, sie sei palästinensische Volkszugehörige aus dem Westjordanland, am 24. November 2009 Asylantrag gestellt.

Das Bundesamt lehnte mit Bescheid vom 22. September 2010 die Anerkennung die Klägerin als Asylberechtigte ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG offensichtlich nicht vorliegen und verneinte Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG. Die Klägerin wurde unter Fristsetzung aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen. Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde die Abschiebung nach Israel (Westjordanland) angedroht. Nach Rücknahme der Klage gegen diesen Bescheid stellte das Verwaltungsgericht Regensburg (B. v. 9.2.2011 - RN 6 K 10.30399 -) das Verfahren ein.

Am 5. Februar 2013 beantragte die Klägerin durch ihre damaligen Bevollmächtigten die Wiederaufnahme des Asylverfahrens. Die Klägerin werde seit Mai 2012 bei … psychotherapeutisch behandelt. Bei einer Abschiebung in das Herkunftsland drohe eine Reaktualisierung traumatischer Erfahrungen, zumal es dort immer noch zu Auseinandersetzungen zwischen der israelischen Armee und israelischen Siedlern und der palästinensischen Bevölkerung komme. Es bleibe ihr nichts anderes übrig, als zu ihrem Vater zurückzukehren, d. h. in die unmittelbare Nachbarschaft jenes Cousins, der sie bedroht habe. Bei einem Abbruch der Behandlung bzw. einer Abschiebung ins Heimatland würde sich der Gesundheitszustand die Klägerin mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit wesentlich verschlechtern. Damit bestehe das Abschiebeverbot des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich des Westjordanlands. Der Wiederaufnahmeantrag sei auch rechtzeitig gestellt worden. Zwar bestünden bereits seit langer Zeit gesundheitliche Beeinträchtigungen. Es sei der Klägerin jedoch nicht gelungen, die benötigte psychotherapeutische Behandlung zu erlangen. Die Behandlung dauere jetzt zwar bereits sieben Monate an. Die Therapeutin könne aber selbstverständlich erst nach längerer Therapiedauer die Krankheit genau diagnostizieren und die Folgen eines Behandlungsabbruchs bzw. einer Rückkehr ins Heimatland beschreiben. Hier habe die Therapeutin erstmals am … Januar 2013 einen Befundbericht verfasst, so dass die Dreimonatsfrist des § 51 Abs. 3 VwVfG ab diesem Zeitpunkt zu laufen beginne.

Beigefügt war ein Psychologischer Befundbericht von … München - Dipl.-Psychologin/Psychologische … vom … Januar 2013, demzufolge sich die Klägerin seit Mai 2012 in psychotherapeutischer Behandlung befinde. Sie leide an einer Posttraumatischen Belastungsstörung sowie an einer Angststörung aufgrund multipler traumatischer Erfahrungen: Leben in Palästina unter den Gewaltbedingungen der Besatzung, permanente Bedrohung durch ihren Cousin und die traumatische Flucht. Da die Klägerin von Kindheit an immer wieder Gewalterlebnissen ausgesetzt gewesen sei, sei sie schon früh erheblich vulnerabel gewesen und habe kaum Resilienz gegenüber erneuten Traumatisierungen entwickeln können. Es bestehe ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den berichteten Traumata und dieser psychischen Erkrankung. Sie sei weiterhin dringend behandlungsbedürftig. Ein Abbruch der Behandlung würde zu einer erheblichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes führen. Eine Abschiebung in das Herkunftsland wäre eine Reaktualisierung traumatischer Erfahrungen, weil die Klägerin dem Vorgang der Abschiebung hilflos ausgeliefert wäre, vergleichbar dem Ausgeliefertsein angesichts ihrer Gewalterfahrungen im Herkunftsland und auf der Flucht. Erschwerend komme hinzu, dass sie auch zu Recht befürchten müsse, erneut Gewalterlebnissen ausgesetzt zu sein. Sie sei latent suizidal, sie habe nach eigenen Angaben mehrfach mit dem Gedanken an einen Suizid gespielt. Eine psychische Dekompensation nach einer Abschiebung könne dazu führen, dass sie ihre Suizidimpulse nicht mehr ausreichend unter Kontrolle halten könne und angesichts der als ausweglos empfundenen Situation eine Kurzschlusshandlung begehen würde. Mit Sicherheit würde eine Abschiebung zu einer erheblichen gesundheitlichen Verschlechterung führen. Möglicherweise bestünde Gefahr für Leib und Leben. Eine Reisefähigkeit sei aus diesen Gründen nicht gegeben.

Mit Schreiben vom 14. August 2013 legten die Bevollmächtigten eine Kopie des palästinensischen Reiseausweises der Klägerin, ausgestellt am … August 2011, vor, den der Vater der Klägerin aus Palästina mitgebracht habe. Daraus ergebe sich, dass diese nicht am Wohnort der Familie, sondern in … geboren sei. Die Familie habe dort bis zum Einmarsch der irakischen Truppen gelebt und sei dann des Landes verwiesen worden. Seither lebe die Familie am Heimatort in ...

Weiter teilten sie mit Schreiben vom 23. September 2014 mit, es habe sich inzwischen herausgestellt, dass die Klägerin die jordanische Staatsbürgerschaft besitze. Sie sei in … geboren. Der tatsächliche Aufenthaltsort sei nach der Vertreibung jedoch überwiegend im Westjordanland gewesen. Die Klägerin, ihre Mutter und ihr Bruder hätten im Gegensatz zu ihrem Vater kein Aufenthaltsrecht im Westjordanland erhalten. Bis zum 18. Geburtstag habe die Klägerin daher immer wieder nach Jordanien ausreisen und dort eine neue Einreiseerlaubnis beantragen müssen. Nach dem 18. Geburtstag sei die Klägerin im Westjordanland geblieben und habe sich dort ohne Genehmigung der israelischen Behörden aufgehalten. Ein neuer Psychologisch-Psychotherapeutischer Befundbericht von ... vom ... August 2014 der Dipl. Soz.Päd. ... und der Dipl.-Psychologin/Psychologischen Psychotherapeutin … erweiterte und ergänzte die Befunde in dem früheren Psychologischen Befundbericht.

Am 16. Oktober 2015 erließ das Bundesamt unter dem Aktenzeichen 5610696 - 445 einen Bescheid, dessen Begründung sich auf die Klägerin bezog, jedoch an den Bruder die Klägerin adressiert war.

Mit Bescheid vom 16. Oktober 2015, am 21. Oktober 2015 zur Post gegeben, hob das Bundesamt ihren Bescheid vom 16. Oktober 2015 auf, stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen, und änderte die mit Bescheid des Bundesamtes vom 22. September 2010 (Az.: 5399815-499) erlassene Abschiebungsandrohung dahingehend ab, dass die Klägerin für den Fall, dass sie der Ausreiseaufforderung nicht nachkommt, nach Jordanien abgeschoben wird. Die sofortige Vollziehung des Bescheides wurde angeordnet.

Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, da eine Prüfung für den jetzt festgestellten Zielstaat Jordanien noch nicht erfolgt sei, sei das Verfahren insoweit wieder zu eröffnen gewesen. Zielstaatsbezogene Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG lägen hinsichtlich Jordaniens nicht vor. Die Klägerin habe zielstaatsbezogene (insbesondere Krankheits-) Gründe, die gegen eine Rückkehr in den Staat ihrer Staatsangehörigkeit, nämlich Jordanien, weder überzeugend und glaubhaft vorgetragen noch lägen sie nach den Erkenntnissen des Bundesamtes vor. Die vorgelegten psychologischen Befundberichte vom … Januar 2013 und ... August 2014 gäben bereits keine notwendigen nachvollziehbaren Diagnosen psychischer Erkrankungen der Klägerin, insbesondere einer PTBS, wieder. Es seien bereits keine Gründe angeführt worden, warum die psychischen Krankheitsbilder erst so spät geltend gemacht worden seien. Die Klägerin habe sich erst nach Rechtskraft des Vorverfahrens im Mai 2012 in psychotherapeutische Behandlung begeben. Sie solle aber bereits seit 10 Jahren an einer (chronischen) PTBS leiden, ohne diese Erkrankung im Vorverfahren nur ansatzweise plausibel gemacht zu haben. Soweit angeführt worden sei, es sei im laufenden Klageverfahren nicht gelungen, medizinische Unterlagen beizubringen, überzeuge ein noch weiteres, lange Zeit Verstreichen lassen von weiteren 18 Monaten überhaupt nicht. Das traumatisierende Ereignis sei durch den Therapeuten nicht kritisch hinterfragt worden, sondern ausweislich der vorgelegten Befundberichte seien die eigenen Angaben der Klägerin übernommen worden, „sie berichtet“. Es werde nicht erklärt, warum nur der Vater und überhaupt nach … habe zurückkehren wollen. In ihrer Anhörung habe sie die angeblich traumatisierenden Ereignisse nicht erwähnt, obschon konkrete Fragen zum Reiseweg und zum Schiff gestellt worden seien. Die Angaben zur Wohnung des Cousins, der sie belästigt und bedroht haben solle, wichen erheblich voneinander ab. Nachdem nicht einmal das Bestehen einer psychischen Erkrankung nachvollziehbar dargelegt sei, stelle sich die Frage nach aus der Erkrankung resultierender Gefahren nach Rückführung ins Herkunftsland nicht. Wie im Rahmen der Prüfung des Vorverfahrens festgestellt, drohe der Klägerin - auch nicht in Jordanien - eine, durch einen staatlichen oder nichtstaatlichen Akteur verursachte, Folter oder relevante unmenschliche Behandlung.

Am 30. Oktober 2015 erhob die Klägerin durch ihre Prozessbevollmächtigten Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München mit dem Antrag,

Die Beklagte wird unter Aufhebung der Ziffern 2 und 3 des Bescheides des Bundesamtes vom 16. Oktober 2015 - 5610696-445 - verpflichtet, festzustellen, dass bei der Klägerin ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Jordaniens vorliegt.

Gleichzeitig beantragte sie gemäß § 80 Abs. 5 VwGO, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Vollziehung der geänderten Abschiebungsanordnung herzustellen.

Zur Begründung wurde ausgeführt, die Klägerin sei in … geboren. Ihre Eltern stammten ursprünglich aus der Gemeinde … in der Provinz …/Westjordanland. Der Vater habe nach … des Westjordanlandes durch Jordanien die jordanische Staatsangehörigkeit erlangt. Ihre Familie sei 1959 nach ... geflohen. Die Mutter der Klägerin sei mit ihrer Familie 1967 nach ... geflohen und habe 1972 den Vater geheiratet. Nach dem Ende des Krieges habe die Familie der Klägerin wie Hunderttausende Palästinenser das Aufenthaltsrecht in ... verloren. Jordanien habe 1991 350.000 Palästinenser aufgenommen, darunter die Familie die Klägerin. Geplant gewesen sei die Rückkehr nach …, doch habe lediglich der Vater von den israelischen Behörden die Zuzugsgenehmigung erhalten. Die Mutter und die minderjährigen Kinder hätten nur die Genehmigung zum Besuch des Ehemanns/Vaters erhalten. Sie hätten aber immer wieder ausreisen und eine neue Einreisegenehmigung beantragen müssen. Die Klägerin habe sich deshalb ca. sieben Monate im Jahr im Westjordanland und fünf Monate in Jordanien aufgehalten. Mit ihrer Volljährigkeit habe das Recht, den Vater zu besuchen, geendet. Die Klägerin sei schließlich illegal im Westjordanland geblieben und habe beim Vater in … gelebt.

Nach der Flucht hätten die Mutter und die jüngeren Geschwister inzwischen in Deutschland Niederlassungserlaubnisse bzw. Aufenthaltserlaubnisse erhalten. Der Vater sei im Besitz einer Duldung.

Die Klägerin habe ihre Heimat 2009 verlassen und im Asylantrag angegeben, sie sei in … geboren.

Die Zweifel des Bundesamtes an den vorgelegten Befundberichten seien nicht gerechtfertigt. Die Klägerin habe tatsächlich viele Jahre in … im Westjordanland gelebt und dort seit ihrer Kindheit gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen israelischen Soldaten und palästinensischen Jugendlichen erlebt. Im Zuge dieser Auseinandersetzungen sei sie auch körperlich verletzt worden. Aus den unterschiedlichen Angaben der Familienangehörigen gegenüber dem Bundesamt könne nicht gefolgert werden, dass die Klägerin die Unwahrheit gesagt habe. Es werde die Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens beantragt. In Jordanien wäre eine Behandlung die Klägerin nicht möglich. Dort seien die psychiatrischen Behandlungsmöglichkeiten sehr beschränkt. Es sei nicht davon auszugehen, dass die Klägerin, deren Familie in Deutschland und dem europäischen Ausland lebe, bei einer Rückkehr nach Jordanien in der Lage wäre, die benötigte Behandlung zu erlangen.

Das Bundesamt übersandte mit Schreiben vom 3. November 2015 die Behördenakte.

Weiter legten die Prozessbevollmächtigten einen psychotherapeutischen Befundbericht von ... vom ... November 2015 der Dipl.-Soz.Päd. d der Dipl.-Psychologin/Psychologischen Psychotherapeutin or. Seit der Androhung der Abschiebung habe sich der körperliche und seelische Gesamtzustand die Klägerin auf besorgniserregende Weise abrupt verschlechtert. Die langsam aufgebaute Hoffnung sei wieder zerstört, sie sehe keine Zukunft, wolle nicht mehr leben, wenn sie nach Jordanien müsse. In letzter Zeit habe sie immer wieder Ohnmachtsanfälle, der Rettungsdienst habe sie mehrmals deswegen ins Krankenhaus bringen müssen. Ohne Sicherstellung einer traumatherapeutischen Behandlung bestehe die Gefahr einer weiteren Chronifizierung und Aggravation ihrer Symptome und damit auch die Gefahr von massiven psychischen und physischen Folgeerkrankungen. In einem Nachtrag zum Ergänzenden Befundbericht vom ... November 2015 (Unterzeichnerin Dipl.-Soz.Päd. ...) wird ausgeführt, in der letzten therapeutischen Sitzung am ... November 2015 habe die Klägerin in einem psychisch äußerst labil und emotional aufgelösten Zustand angegeben, sie habe am … November 2015 beschlossen, sich durch Medikamente zu suizidieren, was eine Bekannte verhindert habe.

Das Verwaltungsgericht München stellte mit Beschluss vom 2. März 2016 M 17 S 15.31484 die aufschiebende Wirkung der Klage vom 16. Oktober 2015 wieder her.

Die Klagebevollmächtigten legten mit Schreiben vom 23. März 2016 ein fachärztlich-psychotherapeutisches Gutachten von ... vom ... März 2016 der Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie … vor. In ihrem geschilderten psychischen und physischen Zustand würde es der Klägerin mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht möglich sein, für sich selber zu sorgen. Suizidale Handlungen wären aufgrund dieser Affektlage mit hoher Wahrscheinlichkeit gegeben, zumal sie bereits Suizidversuche unternommen habe. Einem entsprechenden Verlauf könnte auch nicht durch eine Behandlung in Jordanien entgegengewirkt werden, da für das Gelingen einer Psychotherapie die Wahrnehmung einer stabilen Sicherheit Voraussetzungen sei.

Mit Beschluss vom 9. Mai 2016 wurde der Rechtsstreit gemäß § 76 Abs. 1 AsylVfG auf den Einzelrichter übertragen. Zugleich erließ das Gericht nach Anhörung der Beteiligten einen Beweisbeschluss und ordnete die Einholung eines Sachverständigengutachtens an.

Unter dem ... September 2016 erstellte das Klinikum der … Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie - ein psychiatrisches Gutachten. Es kommt zusammengefasst zu der Beurteilung, dass bei der Klägerin die Kriterien nach ICD-10 für eine posttraumatische Belastungsstörung erfüllt seien. Als auslösendes Ereignis sei die Bedrängung durch den Cousin ... anzusehen, auf dem Boden einer möglicherweise bestehenden erhöhten Vulnerabilität infolge der Gewalterfahrungen seit der frühen Kindheit. Weiter seien bei der Klägerin die Diagnosen einer mittelgradigen depressiven Episode sowie einer Angst- und Panikstörung gemäß den ICD-10 Kriterien als erfüllt anzusehen.

Bezüglich der posttraumatischen Belastungsstörung benötige die Klägerin Unterstützung in einem Umfeld, in dem sie mit den beschriebenen Defiziten einigermaßen geschützt leben könne. Der Aufbau von Ressourcen auch über ein soziales Netzwerk solle gefördert werden, bei der Klägerin könne dies in der Fortsetzung der Ausbildung gesehen werden. Eine mögliche Pharmakotherapie könne sinnvoll sein. Bei zusätzlicher Suizidgefährdung müsse in diesem Fall eine vorsichtige Abwägung zwischen Nutzen und Risiko durchgeführt werden. Für die Behandlung der komorbiden depressiven Erkrankung werde, auch hinsichtlich der Angsterkrankungen eine Kombination aus medikamentöser und psychotherapeutischer Behandlung empfohlen.

Die Erkrankung vor allem der posttraumatischen Belastungsstörung sowie die hierfür notwendige Therapie sei mit den Sitten der Kultur in Jordanien nicht vereinbar. Somit sei die Erkrankung in Jordanien nicht behandelbar. Bei einer Rückkehr nach Jordanien würde der Therapieprozess, der zunächst zu einer einstweiligen Stabilisierung geführt habe, unterbrochen. Unbehandelt werde sich der aktuelle psychische Zustand mit hoher Wahrscheinlichkeit weiter verschlechtern und könne erneut in einem möglicherweise erfolgreichen Suizidversuch münden. Die Ängste der Klägerin in Bezug auf den Cousin seien stark ausgeprägt. Dies sei insofern bedeutsam, als dass sie nach einer Rückkehr als Frau kaum alleine leben könnte, der für sie zuständige Mann wäre der Onkel, der Vater des Cousins. Eine Verheiratung - auch gegen ihren Willen - wäre in ihrem Kulturkreis nicht ungewöhnlich, da dadurch die Versorgung formal gewährleistet wäre. Die Schilderungen der Klägerin seien als überzeugend erlebt worden und erlaubten somit die Prognose, dass es zu einer ausgeprägten Eigengefährdung im Falle einer Rückkehr nach Jordanien kommen könne.

Im Falle einer Rückkehr nach Jordanien erlebe sich die Klägerin in einer für sie ausweglosen Situation. Unter Berücksichtigung des bereits unternommenen Suizidversuches bestehe aufgrund der posttraumatischen Belastungsstörung und der beschriebenen Komorbitäten ein deutlich erhöhtes Risiko für einen erneuten Suizidversuch. Nehme man die krankheitsbedingte Vulnerabilität und die als ausweglos empfundene Situation im Heimatland zusammen, sehen die Gutachter eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit für eine gesundheitliche Verschlechterung sowie einen möglichen erneuten Suizidversuch.

Bei einer Rückkehr nach Jordanien würde ihr Onkel als nächster Verwandter die Verantwortung für sie tragen und den Versuch unternehmen, sie zu verheiraten, auch gegen ihren Willen. Über die Konfrontation mit einem aufgezwungenen Ehemann und die fehlenden Möglichkeiten, dieser Situation aus dem Wege zu gehen, würde es zu einer Retraumatisierung bzw. Reaktivierung des Erlebten kommen. Eine erfolgreiche Behandlung sei in solch einem Umfeld nicht möglich.

Die Klagebevollmächtigte nahm mit Schreiben vom 17. Oktober 2016 Stellung und vertrat die Ansicht, angesichts der Ergebnisse der Begutachtung liege ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor. Sie verzichtete mit Schreiben vom 24. November 2016 auf mündliche Verhandlung.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der sonstigen Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.

Gründe

Über die Klage kann mit Einverständnis der Klagepartei (Schriftsatz vom 24. November 2016) und der Beklagten (allgemeine Prozesserklärung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 25. Februar 2016 - Generalerklärung) ohne mündliche Verhandlung entschieden werden (§ 101 Abs. 2 VwGO).

Die Klage ist zulässig, insbesondere ist das Verwaltungsgericht München zur Entscheidung über diese Klage als Gericht der Hauptsache sachlich zuständig gemäß § 45 VwGO, obgleich im Erst-Asylverfahren das VG Regensburg zuständig war; seine örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO, weil die Klägerin im maßgeblichen Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit (vgl. § 83 Satz 1 VwGO i. V. m. § 17 Abs. 1 Satz 1 GVG) ihren Aufenthalt nach dem Asylgesetz im Regierungsbezirk Oberbayern (Gemeinschaftsunterkunft …) und damit im Gerichtsbezirk (Art. 1 Abs. 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung - AGVwGO) zu nehmen hatte (§ 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO i. V. m. § 83c AsylG).

Die Klage der Klägerin ist auch im Wesentlichen begründet, denn sie hat Anspruch darauf, dass die Beklagte unter Aufhebung der Ziffer 2, soweit ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG verneint wird, und Ziffer 3 ihres Bescheids vom 16. Oktober 2015 verpflichtet wird, ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen (vgl. § 113 Abs. 5 i. V. m. Abs. 1 VwGO). Soweit nach dem Klageantrag die vollumfängliche Aufhebung der Ziffer 2, d. h. hinsichtlich der Verneinung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG, beantragt ist, haben die Klagebevollmächtigten lediglich zu den Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorgetragen und einen darauf gerichteten Verpflichtungsantrag gestellt. Die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG sind auch nicht ersichtlich.

Die Voraussetzungen des § 71 AsylG i. V. m. § 51 VwVfG für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens liegen hier unbestritten vor, da eine Prüfung von Abschiebungsverboten für den jetzt festgestellten Zielstaat Jordanien noch nicht erfolgt ist. Insbesondere ist der am 5. Februar 2013 gestellte Asylfolgeantrag innerhalb von drei Monaten ab Kenntnis des Grundes für das Wiederaufgreifen gestellt worden (vgl. § 51 Abs. 3 VwVfG), nachdem der Klägerin erstmalig mit dem Psychologischen Befundbericht der Dipl.-Psychologin und Psychologischen Psychotherapeutin Frau …, …, vom … Januar 2013 eine ernste psychische Erkrankung attestiert worden ist. Auf den Asylfolgeantrag der Klägerin hin ist die Beklagte auch zur Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu verpflichten, weil zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 AsylG) bei der Klägerin aufgrund einer gutachterlich festgestellten schweren psychischen Erkrankung ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot vorliegt.

Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Diese Regelung erfasst zwar nur solche Gefahren, die in den spezifischen Verhältnissen im Zielstaat begründet sind, während Gefahren, die sich aus der Abschiebung als solcher ergeben, nur von der Ausländerbehörde als inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis berücksichtigt werden können. Die Vorschrift kann einen Anspruch auf Abschiebungsschutz begründen, wenn die Gefahr besteht, dass sich eine vorhandene Erkrankung aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib und Leben führt, d. h. dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht. Dies kann etwa der Fall sein, wenn sich die Krankheit im Heimatstaat aufgrund unzureichender Behandlungsmöglichkeiten verschlimmert oder wenn der betroffene Ausländer die medizinische Versorgung aus sonstigen Umständen tatsächlich nicht erlangen kann (BVerwG, B. v. 17.8.2011 - 10 B 13/11 u. a. - juris; BayVGH, U. v. 3.7.2012 - 13a B 11.30064 - juris Rn. 34). Eine Gefahr ist „erheblich“, wenn eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität zu erwarten ist. Das wäre der Fall, wenn sich der Gesundheitszustand des Ausländers wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern würde. Eine wesentliche Verschlechterung ist nicht schon bei einer befürchteten ungünstigen Entwicklung des Gesundheitszustandes anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden. Außerdem muss die Gefahr konkret sein, was voraussetzt, dass die Verschlechterung des Gesundheitszustands alsbald nach der Rückkehr des Betroffenen in sein Herkunftsland eintreten wird, weil er auf die dort unzureichenden Möglichkeiten zur Behandlung ihrer Leiden angewiesen wäre und anderswo wirksame Hilfe nicht in Anspruch nehmen könnte (vgl. BVerwG, U. v. 29.7.1999 - 9 C 2/99 - juris Rn. 8). Der Abschiebungsschutz aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG dient hingegen nicht dazu, eine bestehende Erkrankung optimal zu behandeln oder ihre Heilungschancen zu verbessern. Diese Vorschrift begründet insbesondere keinen Anspruch auf Teilhabe am medizinischen Fortschritt und Standard in der medizinischen Versorgung in Deutschland (vgl. VG Arnsberg, B. v. 23.2.2016 - 5 L 242/16.A - juris Rn. 64 m. w. N.).

Mit der ab dem 17. März 2016 geltenden gesetzlichen Regelung hat auch der Gesetzgeber klargestellt, dass eine erhebliche konkrete Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG aus gesundheitlichen Gründen nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden, vorliegt (vgl. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG). Es wird im Falle einer Erkrankung nicht vorausgesetzt, dass die medizinische Versorgung im Herkunftsland mit der Versorgung in Deutschland gleichwertig ist (vgl. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Nach der Gesetzesbegründung kann eine schwerwiegende Erkrankung in Fällen von PTBS regelmäßig nicht angenommen werden, sondern nur ausnahmsweise, wenn die Abschiebung zu einer wesentlichen Gesundheitsgefährdung bis hin zu einer Selbstgefährdung führt (vgl. BT-Drs. 18/7538 S. 18).

Zwar begründet eine Selbstmordgefahr, die in Verbindung mit einer bevorstehenden Abschiebung steht, kein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, sondern allenfalls ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis, das gemäß § 60a AufenthG gegenüber der Ausländerbehörde geltend zu machen ist (BVerfG, B. v. 26.2.1998 - 2 BvR 185/98 - juris). Das Gericht ist aber davon überzeugt, dass die Klägerin bei einer Rückkehr nach Jordanien wegen ihrer psychischen Erkrankung alsbald in eine lebensbedrohliche Situation geraten würde.

Eine lebensbedrohliche Situation ist für die Klägerin bei einer Rückkehr nach Jordanien zu befürchten, weil die Klägerin im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts an einer posttraumatischen Belastungsstörung (ICD-10:F43.1), einer mittelgradigen depressiven Episode (ICD-10:F32.1) und einer Angst- und Panikstörung (ICD-10: F41.1) leidet und eine medizinische Behandlung der Klägerin in Jordanien jedenfalls nicht finanzierbar und damit erreichbar ist.

Das 36 Seiten umfassende psychiatrische Gutachten von Prof. … und Frau … (Klinikum der … - Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Abteilung für Forensische Psychiatrie) vom ... September 2016, das aufgrund des Beweisbeschlusses des Verwaltungsgerichts München vom … Mai 2016 eingeholt worden ist, kommt nach Auswertung sämtlicher vorhandener medizinischer und sonstiger Unterlagen und einer ambulanten Untersuchung der Klägerin am ... Juli 2016 zum Ergebnis, dass bei der Klägerin die Kriterien nach ICD-10 für eine posttraumatische Belastungsstörung erfüllt seien. Als auslösendes Ereignis sei die Bedrängung durch den Cousin ... anzusehen, auf dem Boden einer möglicherweise bestehenden erhöhten Vulnerabilität infolge der Gewalterfahrungen seit der frühen Kindheit. Weiter seien bei der Klägerin die Diagnosen einer mittelgradigen depressiven Episode sowie einer Angst- und Panikstörung gemäß den ICD-10 Kriterien als erfüllt anzusehen.

Bezüglich der posttraumatischen Belastungsstörung benötige die Klägerin Unterstützung in einem Umfeld, in dem sie mit den beschriebenen Defiziten einigermaßen geschützt leben könne. Der Aufbau von Ressourcen auch über ein soziales Netzwerk solle gefördert werden, bei der Klägerin könne dies in der Fortsetzung der Ausbildung gesehen werden. Eine mögliche Pharmakotherapie könne sinnvoll sein. Bei zusätzlicher Suizidgefährdung müsse in diesem Fall eine vorsichtige Abwägung zwischen Nutzen und Risiko durchgeführt werden. Für die Behandlung der komorbiden depressiven Erkrankung werde, auch hinsichtlich der Angsterkrankungen, eine Kombination aus medikamentöser und psychotherapeutischer Behandlung empfohlen.

Die Erkrankung vor allem der posttraumatischen Belastungsstörung sowie die hierfür notwendige Therapie sei mit den Sitten der Kultur in Jordanien nicht vereinbar. Somit sei die Erkrankung in Jordanien nicht behandelbar. Bei einer Rückkehr nach Jordanien würde der Therapieprozess, der zunächst zu einer einstweiligen Stabilisierung geführt habe, unterbrochen. Unbehandelt werde sich der aktuelle psychische Zustand mit hoher Wahrscheinlichkeit weiter verschlechtern und könne erneut in einen möglicherweise erfolgreichen Suizidversuch münden. Die Ängste der Klägerin in Bezug auf den Cousin seien stark ausgeprägt. Dies sei insofern bedeutsam, als dass sie nach einer Rückkehr als Frau kaum alleine leben könnte, der für sie zuständige Mann wäre der Onkel, der Vater des Cousins. Eine Verheiratung - auch gegen ihren Willen - wäre in ihrem Kulturkreis nicht ungewöhnlich, da dadurch die Versorgung formal gewährleistet wäre. Die Schilderungen der Klägerin seien als überzeugend erlebt worden und erlaubten somit die Prognose, dass es zu einer ausgeprägten Eigengefährdung im Falle einer Rückkehr nach Jordanien kommen könne.

Im Falle einer Rückkehr nach Jordanien erlebe sich die Klägerin in einer für sie ausweglosen Situation. Unter Berücksichtigung des bereits unternommenen Suizidversuches bestehe aufgrund der posttraumatischen Belastungsstörung und der beschriebenen Komorbitäten ein deutlich erhöhtes Risiko für einen erneuten Suizidversuch. Nehme man die krankheitsbedingte Vulnerabilität und die als ausweglos empfundene Situation im Heimatland zusammen, sehen die Gutachter eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit für eine gesundheitliche Verschlechterung sowie einen möglichen erneuten Suizidversuch.

Bei einer Rückkehr nach Jordanien würde ihr Onkel als nächster Verwandter die Verantwortung für sie tragen und den Versuch unternehmen, sie zu verheiraten, auch gegen ihren Willen. Über die Konfrontation mit einem aufgezwungenen Ehemann und die fehlenden Möglichkeiten, dieser Situation aus dem Wege zu gehen, würde es zu einer Retraumatisierung bzw. Reaktivierung des Erlebten kommen. Eine erfolgreiche Behandlung sei in solch einem Umfeld nicht möglich.

Dieses fachärztliche Gutachten ist nachvollziehbar und enthält keine Widersprüche. Es bestätigt in wesentlichen Teilen die vorliegenden psychologischen Befundberichte vom ... Januar 2013 von …, Dipl. Psychologin/Psychologische Psychotherapeutin, Frau …, vom ... August 2014 der Dipl. Soz.Päd. … und der Dipl.-Psychologin/Psychologischen Psychotherapeutin …, weiterhin den psychotherapeutischen Befundbericht von … vom ... November 2015 der Dipl.-Soz.Päd. ... und der Dipl.-Psychologin/Psychologischen Psychotherapeutin … sowie das fachärztlich-psychotherapeutische Gutachten von … vom ... März 2016 der Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie …

Es ist zudem nicht davon auszugehen, dass der Klägerin eine Kombination aus medikamentöser und psychotherapeutischer Behandlung, auf die diese angewiesen ist, in ihrem Herkunftsland Jordanien trotz der prinzipiell existierenden Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung steht. Ausweislich der Auskunft der Deutschen Botschaft in Amman vom ... November 2015 sind psychiatrische Erkrankungen und speziell Depressionen zwar grundsätzlich in Jordanien behandelbar. Jedoch wird die Behandlung von psychiatrischen Erkrankungen generell nicht von der freiwilligen Krankenversicherung abgedeckt (VG Würzburg, U. v. 19.02.2016 - W 2 K 13.30028 - UA S. 15). In der Regel ist eine Behandlung für Mittellose bzw. nicht Krankenversicherte nicht möglich. Eine Behandlung (ebenso eine aufsuchende Behandlung) ist kostenpflichtig.

Gemessen an den vorliegenden Erkenntnissen wäre der Klägerin aufgrund fehlender finanzieller Mittel ein Zugang zu einer aufsuchenden Behandlung und Medikamenten verwehrt. Unter Zugrundelegung der Auskunftslage müsste die Klägerin mangels Leistungen durch die Krankenversicherung sowohl die Kosten für eine aufsuchende fachärztliche Betreuung als auch für die Medikation selbst aufbringen.

Unter diesen Voraussetzungen wäre es der Klägerin mangels hinreichender finanzieller Mittel und ohne Unterstützung durch ihre Familie nicht möglich, die benötigte psychiatrische Versorgung in Jordanien zu erreichen. Infolgedessen besteht die konkrete Gefahr, dass sich die psychische Krankheit der Klägerin in Jordanien erheblich verschlimmert.

Nach alledem ist das Gericht davon überzeugt, dass die Klägerin bei einer Rückkehr nach Jordanien in eine ausweglose Situation geraten würde. Selbst wenn der Gefahr eines Selbstmords im Zusammenhang mit der Abschiebung durch ärztliche Begleitung vor und während der Abschiebung entgegengewirkt werden könnte, besteht bei einer Rückkehr der Klägerin nach Jordanien zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts eine erhebliche konkrete Gefahr für ihr Leben. Wie vom gerichtlich bestellten Gutachter beschrieben, besteht bei der Klägerin unter Berücksichtigung des bereits unternommenen Suizidversuchs aufgrund der posttraumatischen Belastungsstörung und der Komorbitäten ein deutlich erhöhtes Risiko für einen erneuten Suizidversuch. Nehme man die krankheitsbedingte Vulnerabilität und die als ausweglos empfundene Situation im Heimatland zusammen, besteht eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit für eine gesundheitliche Verschlechterung und einen möglichen erneuten Suizidversuch.

Vor diesem Hintergrund bejaht das Gericht bei der Klägerin das Vorliegen eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.

Nach alledem war der Klage im Wesentlichen stattzugeben. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei (§ 83b AsylG). Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.

(1) Der Kläger kann bis zur Rechtskraft des Urteils seine Klage zurücknehmen. Die Zurücknahme nach Stellung der Anträge in der mündlichen Verhandlung setzt die Einwilligung des Beklagten und, wenn ein Vertreter des öffentlichen Interesses an der mündlichen Verhandlung teilgenommen hat, auch seine Einwilligung voraus. Die Einwilligung gilt als erteilt, wenn der Klagerücknahme nicht innerhalb von zwei Wochen seit Zustellung des die Rücknahme enthaltenden Schriftsatzes widersprochen wird; das Gericht hat auf diese Folge hinzuweisen.

(2) Die Klage gilt als zurückgenommen, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als zwei Monate nicht betreibt. Absatz 1 Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Der Kläger ist in der Aufforderung auf die sich aus Satz 1 und § 155 Abs. 2 ergebenden Rechtsfolgen hinzuweisen. Das Gericht stellt durch Beschluß fest, daß die Klage als zurückgenommen gilt.

(3) Ist die Klage zurückgenommen oder gilt sie als zurückgenommen, so stellt das Gericht das Verfahren durch Beschluß ein und spricht die sich nach diesem Gesetz ergebenden Rechtsfolgen der Zurücknahme aus. Der Beschluß ist unanfechtbar.

(1) Das Gericht hat im Urteil oder, wenn das Verfahren in anderer Weise beendet worden ist, durch Beschluß über die Kosten zu entscheiden.

(2) Ist der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt, so entscheidet das Gericht außer in den Fällen des § 113 Abs. 1 Satz 4 nach billigem Ermessen über die Kosten des Verfahrens durch Beschluß; der bisherige Sach- und Streitstand ist zu berücksichtigen. Der Rechtsstreit ist auch in der Hauptsache erledigt, wenn der Beklagte der Erledigungserklärung des Klägers nicht innerhalb von zwei Wochen seit Zustellung des die Erledigungserklärung enthaltenden Schriftsatzes widerspricht und er vom Gericht auf diese Folge hingewiesen worden ist.

(3) In den Fällen des § 75 fallen die Kosten stets dem Beklagten zur Last, wenn der Kläger mit seiner Bescheidung vor Klageerhebung rechnen durfte.

Kommt die Behörde in den Fällen des § 113 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 5 und des § 123 der ihr im Urteil oder in der einstweiligen Anordnung auferlegten Verpflichtung nicht nach, so kann das Gericht des ersten Rechtszugs auf Antrag unter Fristsetzung gegen sie ein Zwangsgeld bis zehntausend Euro durch Beschluß androhen, nach fruchtlosem Fristablauf festsetzen und von Amts wegen vollstrecken. Das Zwangsgeld kann wiederholt angedroht, festgesetzt und vollstreckt werden.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Tenor

Das Verfahren wird eingestellt.

Der Vollstreckungsgläubiger trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

 
Die Entscheidungen ergehen gemäß § 87a Abs. 1 Nrn. 3 und 5 und Abs. 3 VwGO durch den Berichterstatter anstelle der Kammer.
Nachdem der Vollstreckungsgläubiger in dem am 23.04.2014 beim Gericht eingegangenen Schreiben seines Prozessbevollmächtigten (ohne Datum) den Rechtsstreit ausdrücklich in der Hauptsache für erledigt erklärt hat und die Vollstreckungsschuldnerin eine solche Erklärung im Schreiben vom 16.04.2014 zumindest konkludent abgegeben hat, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen.
Nach § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO muss das Gericht - unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands - nach billigem Ermessen über die Kosten des Verfahrens entscheiden (zur Anwendbarkeit des § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO auch in Vollstreckungsverfahren nach den §§ 167 ff. VwGO siehe Kopp/Schenke, VwGO, 19. Aufl. 2013, § 161 RdNr. 8 und § 170 RdNr. 2, m.w.N.; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 16.02.1989, Die Justiz 1989, 445, m.w.N.; ebenso VG Freiburg, Beschluss vom 23.06.2009 - 4 K 666/09 -, m.w.N.).
Billigem Ermessen entspricht es hier, dem Vollstreckungsgläubiger die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, weil sein Antrag auf Vollstreckung des der (Asyl-)Klage des Vollstreckungsgläubigers (zum Teil) stattgebenden Urteils des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 29.01.2014 - A 4 K 725/13 - (noch) unzulässig war.
Dabei kann es hier dahingestellt bleiben, ob der Vollstreckungsantrag bereits deshalb unzulässig war, weil das dem Vollstreckungsschuldner zugestellte Urteil nicht mit einer Vollstreckungsklausel versehen war, wie das nach den §§ 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO und 725 ZPO an sich vorgeschrieben ist, da die Vorschrift des § 171 VwGO über die Entbehrlichkeit einer Vollstreckungsklausel für die Fälle der Vollstreckung von Verpflichtungsurteilen - wie hier - gemäß § 172 VwGO, der einer Anwendung von § 170 VwGO vorgeht (vgl. hierzu vgl. Kopp/Schenke, a.a.O., § 170 RdNr. 1), ausdrücklich nicht gilt (vgl. zum Meinungsstreit hierzu u. a. Kopp/Schenke, a.a.O., § 171 RdNr. 1, m.w.N.; zu den beachtlichen Argumenten für die Entbehrlichkeit einer Vollstreckungsklausel [auch] in Fällen der Vollstreckung nach § 172 VwGO siehe Funke-Kaiser, in: Quaas/Zuck, Prozesse in Verwaltungssachen, 2. Aufl. 2011, § 3 RdNr. 859, m.w.N.).
Denn in jedem Fall ist der vom Vollstreckungsgläubiger beim Gericht gestellte Vollstreckungsantrag verfrüht gewesen. Damit fehlte dem Vollstreckungsgläubiger das Rechtsschutzinteresse für die Stellung eines solchen Antrags (Heckmann, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 172 RdNr. 58). Zwar ist die Frage, wann ein Vollstreckungsgläubiger berechtigt ist, einen Antrag auf Vollstreckung eines verwaltungsgerichtlichen Urteils zu stellen, im Gesetz, insbesondere in den §§ 167 ff. VwGO, nicht geregelt. Soweit in § 170 Abs. 2 Satz 2 VwGO eine Frist von einem Monat bestimmt ist, scheidet eine Anwendung dieser Vorschrift schon deshalb aus, weil § 170 VwGO in Fällen der Vollstreckung eines Verpflichtungsurteils durch § 172 VwGO verdrängt wird (siehe oben); hinzu kommt, dass § 170 Abs. 2 Satz 2 VwGO nicht die Frage der Stellung eines Vollstreckungsantrags durch den Vollstreckungsgläubiger betrifft, sondern die vom Gericht nach Stellung eines solchen Antrags dem Vollstreckungsschuldner einzuräumende Frist zur Abwendung einer Vollstreckungsverfügung. Auch auf die Vier-Wochen-Frist in § 882a ZPO kann nicht abgestellt werden, da diese Vorschrift im Bereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit generell keine Anwendung findet (Bayer. VGH, Beschluss vom 02.03.2004, BayVBl 2004, 571, m.w.N.; VG Cottbus, Beschluss vom 01.02.2010 - 6 M 15/09 -, juris, m.w.N.; ebenso für den Bereich der FGO FG Hamburg, Beschluss vom 02.05.2007 - 4 K 12/07 -, juris, m.w.N.) und insbesondere die Vollstreckung eines verwaltungsgerichtlichen Urteils nicht von der vorherigen Anzeige der Vollstreckungsabsicht durch den Vollstreckungsgläubiger abhängt; darüber hinaus geht es hier nicht um die in § 882a ZPO allein geregelte Vollstreckung wegen einer Geldforderung. Ebenso wenig kann auf die Drei-Monats-Frist in § 75 VwGO abgestellt werden, weil die Erfüllung eines Vollstreckungstitels durch eine Behörde in der Regel weit weniger Aufwand erfordert als die Durchführung eines ordnungsgemäßen Verwaltungs- oder Widerspruchsverfahrens (Redeker/von Oertzen, VwGO, 14. Aufl. 2004, § 172 RdNr. 4).
Ungeachtet fehlender gesetzlicher Regelungen ist es jedoch in der Rechtsprechung allgemein anerkannt, dass dem Vollstreckungschuldner Gelegenheit zu geben ist, die Vollstreckung durch freiwillige Leistung abzuwenden, und dass der Vollstreckungsgläubiger ihm hierzu eine angemessene Frist einräumen muss, deren Länge sich nach den Umständen des Einzelfalls richtet (BVerfG, Beschlüsse vom 10.12.1998, NJW 1999, 778, und vom 05.03.1991, NJW 1991, 2758; BVerwG, Beschluss vom 30.12.1968, NJW 1969, 476; VGH Bad.-Württ., Beschlüsse vom 15.05.1992, NVwZ-RR 1993, 447, und vom 25.03.1976 - IV 559/76 -, DÖV 1976, 606 [nur Leitsatz]; FG Hamburg, Beschluss vom 02.05.2007, a.a.O., m.w.N.; Pietzner/Möller, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: April 2013, Bd. 2, § 172 RdNr. 33, m.w.N.; Heckmann, a.a.O., § 172 RdNr. 58; Schmidt-Kötters, in: Posser/Wolff, VwGO, 2008, § 172 RdNr. 21; Bader, in: Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, 5. Aufl. 2010, § 172 RdNr. 7). In Fällen der Vollstreckung eines verwaltungsgerichtlichen Urteils - wie hier - beginnt diese Frist frühestens mit der Kenntnis des Vollstreckungsschuldners von der Rechtskraft und damit der Vollstreckbarkeit des Urteils zu laufen, in der Praxis sogar regelmäßig erst mit Rückgabe der Akten durch das Gericht an die Verwaltungsbehörde, da die Erfüllung des Urteils im Allgemeinen die Kenntnis der Akten erfordert (Bader, a.a.O., § 172 RdNr. 7, m.w.N.; Redeker/von Oertzen, a.a.O., § 172 RdNr. 4). Der Auffassung, der zufolge die Frist für die Stellung eines Vollstreckungsantrags bereits mit der Zustellung des Urteils und nicht erst mit Eintritt der Rechtskraft zu laufen beginne (so Pietzner/Möller, a.a.O., § 172 RdNr. 33, und Heckmann, a.a.O., § 172 RdNr. 58), kann nach Auffassung des Gerichts nicht gefolgt werden, weil gemäß § 168 Abs. 1 Nr. 1 VwGO erst die Rechtskraft die Vollstreckbarkeit eines Urteils bewirkt und - vor allem - weil vor Eintritt der Rechtskraft nicht feststeht, ob das Urteil letztendlich überhaupt Bestand hat. Denn den Beteiligten steht es bis zum letzten Tag der Rechtsmittelfrist frei zu entscheiden, ob sie das gegen das Urteil gegebene Rechtsmittel einlegen wollen oder nicht (Bier, in: Schoch/Schneider/Bier, a.a.O., Bd. 1, § 60 RdNr. 40, m.w.N.; von Albedyll, in: Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll,, a.a.O., § 60 RdNr. 59).
Diese (angemessene) Frist hat der Vollstreckungsgläubiger der Vollstreckungsschuldnerin im vorliegenden Fall nicht eingeräumt. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 29.01.2014 - A 4 K 725/13 -, dessen Vollstreckung begehrt wird, ist den Beteiligten am 12.02.2014 zugestellt und am 13.03.2014 rechtkräftig geworden. Die vom Verwaltungsgericht versandte Mitteilung der Rechtskraft ist den Beteiligten jenes Verfahrens am 14.03.2014 (einem Freitag) zugegangen. Der Vollstreckungsgläubiger hat bereits am 01.04.2014, also nur etwas mehr als zwei Wochen nach Zugang der Rechtskraftmitteilung, beim Gericht den Antrag auf Vollstreckung aus dem zuvor genannten Urteil gestellt. Eine solch kurze Frist ist in keinem Fall, vor allem nicht im vorliegenden (Einzel-)Fall, angemessen, auch dann nicht, wenn man berücksichtigt, dass der Vollstreckungsgläubiger die Vollstreckungsschuldnerin zuvor bereits mit zwei Schreiben vom 17.03.2014 und vom 26.03.2014 zum Erlass des mit der Vollstreckung begehrten Bescheids aufgefordert hatte. Zwar erfordert der Erlass eines Bescheids über die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, zu dem die Vollstreckungsschuldnerin im vorliegenden Fall rechtskräftig verurteilt worden war, einerseits keinen allzu großen Verwaltungsaufwand. Doch darf andererseits auch hier nicht verkannt werden, dass zumindest eine sorgfältige Prüfung der maßgeblichen Daten anhand der Akten geboten ist, um insoweit Fehler und damit weitere Verzögerungen zu vermeiden. Vor allem kommt im vorliegenden Fall hinzu, dass die für den Erlass des begehrten Bescheids (allein) zuständige Behörde, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, durch einen enormen Anstieg von Asylanträgen im Jahr 2013 und vor allem auch zu Beginn des Jahres 2014 einer kurzfristig kaum zu bewältigenden Überbelastung ausgesetzt ist, was allgemein und insbesondere auch dem Prozessbevollmächtigten des Vollstreckungsgläubigers bekannt ist. Eine solche (Ausnahme-)Situation wird auch im Geltungsbereich des § 75 VwGO als zureichender Grund für eine Verzögerung anerkannt (siehe hierzu Kopp/Schenke, a.a.O., § 75 RdNr. 13, m.w.N.) und kann auch im Rahmen von § 172 VwGO als Grund für eine Säumnis der Behörde bei der Erfüllung eines titulierten Anspruchs herangezogen werden (vgl. hierzu Schmidt-Kötters, a.a.O., § 172 RdNr. 21.1, m.w.N.; Heckmann, a.a.O., § 172 RdNr. 58).
An dieser Beurteilung vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass der mit der Vollstreckung begehrte Bescheid erst am 07.04.2014 erlassen worden und dem Vollstreckungsgläubiger erst am 17.04.2014, also weitere ca. zwei Wochen nach Stellung des Vollstreckungsantrags, zugegangen ist. Denn zum einen liegen auch diese weiteren verstrichenen Zeiträume noch innerhalb der angemessenen Frist, die der Vollstreckungsschuldnerin nach den vorstehenden Ausführungen hier zur Erfüllung ihrer im Urteil aufgegebenen Verpflichtung zur Verfügung stand, und zum anderen kommt es für die Beantwortung der (Rechts-)Frage, ob eine Vollstreckungsmaßnahme bereits notwendig und ein Vollstreckungsantrag somit zulässig ist, auf den Zeitpunkt der Stellung des Vollstreckungsantrags beim Gericht und nicht auf spätere Zeitpunkte an (vgl. VG Cottbus, Beschluss vom 01.02.2010 - 6 M 15/09 -, juris; in diesem Sinne auch BVerfG, Beschluss vom 10.12.1998, a.a.O.).
10 
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG; vgl. auch §§ 92 Abs. 3 Satz 2 analog und 158 Abs. 2 VwGO).

Tenor

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 5.000 € festgesetzt.


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(1) Vollstreckt wird

1.
aus rechtskräftigen und aus vorläufig vollstreckbaren gerichtlichen Entscheidungen,
2.
aus einstweiligen Anordnungen,
3.
aus gerichtlichen Vergleichen,
4.
aus Kostenfestsetzungsbeschlüssen,
5.
aus den für vollstreckbar erklärten Schiedssprüchen öffentlich-rechtlicher Schiedsgerichte, sofern die Entscheidung über die Vollstreckbarkeit rechtskräftig oder für vorläufig vollstreckbar erklärt ist.

(2) Für die Vollstreckung können den Beteiligten auf ihren Antrag Ausfertigungen des Urteils ohne Tatbestand und ohne Entscheidungsgründe erteilt werden, deren Zustellung in den Wirkungen der Zustellung eines vollständigen Urteils gleichsteht.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

Tenor

Nach Erledigung des Vollstreckungsverfahrens werden die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens den Vollstreckungsgläubigern auferlegt.


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Entscheidungen in Rechtsstreitigkeiten nach diesem Gesetz können vorbehaltlich des § 133 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung nicht mit der Beschwerde angefochten werden.