Verwaltungsgericht München Beschluss, 07. Apr. 2017 - M 17 V 17.34514

bei uns veröffentlicht am07.04.2017

Gericht

Verwaltungsgericht München

Tenor

I. Das Vollstreckungsverfahren wird eingestellt.

II. Die Kosten des gerichtskostenfreien Vollstreckungsverfahrens hat der Antragsteller und Vollstreckungsgläubiger zu tragen.

Gründe

I.

Mit Urteil vom 8. Dezember 2016 verpflichtete das Verwaltungsgericht München (Az.: M 17 K 15.31388) die Antragsgegnerin u. a. festzustellen, dass bei dem Antragsteller ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Jordanien vorliegt. Das Urteil ist seit dem 17. Januar 2017 rechtskräftig.

Die Bevollmächtigte des Antragstellers forderte die Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 17. Januar 2017 auf, der Verpflichtung aus dem Urteil nachzukommen und einen entsprechenden Bescheid zu erlassen.

Mit Schriftsatz vom 7. März 2017, am 10. März 2017 beim Verwaltungsgericht München eingegangen, hat der Antragsteller und Vollstreckungsgläubiger beantragt,

die Antragsgegnerin unter Fristsetzung und Androhung eines Zwangsgeldes zu verpflichten, dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 8. Dezember 2016 - M 17 K 15.31388 - nachzukommen und den Anerkennungsbescheid sowie die Abschlussmitteilung zu erstellen und zuzustellen.

Mit Bescheid vom 27. März 2017 stellte die Antragsgegnerin fest, dass das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 AufenthG beim Antragsteller hinsichtlich Jordanien vorliegt.

Die Bevollmächtigte des Antragstellers erklärte am 5. April 2017 das Vollstreckungsverfahren für erledigt. Die Antragsgegnerin stimmte der Erledigungserklärung mit allgemeiner Prozesserklärung 24. März 2016 zu.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten M 17 K 15.31388 und M 17 V 17.34514 Bezug genommen.

II.

Das Vollstreckungsverfahren ist in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) nach den übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Beteiligten vom 5. April 2017 und 24. März 2016 einzustellen.

Über die Kosten des Verfahrens ist gemäß § 161 Abs. 2 VwGO nach billigem Ermessen zu entscheiden. Billigem Ermessen entspricht es im vorliegenden Fall, die Kosten dem Antragsteller (Vollstreckungsgläubiger) aufzuerlegen, da sich der Vollstreckungsantrag aller Voraussicht nach als unzulässig erwiesen hätte.

Ein Rechtsschutzbedürfnis dürfte angesichts einer verfrühten Antragstellung nicht bestanden haben. Zwar trifft § 172 VwGO selbst keine Regelung dazu, wann ein Vollstreckungsgläubiger einen derartigen Antrag anhängig machen kann. Dem Vollstreckungsschuldner ist jedoch eine angemessene Erfüllungsfrist einzuräumen, deren Dauer sich nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalles bemisst. In der Regel kann bei einem Zeitraum von drei Monaten eine Befolgung der in einem Urteil nach § 113 Abs. 5 VwGO auferlegten Verpflichtung erwartet werden (vgl. in diesem Zusammenhang: BVerwG, B.v. 21.12.2001 - 2 AV 3/01 - NVwZ-RR 2002, 314), wobei ausnahmsweise auch ein kürzerer Zeiträumen ausreichen kann. Maßgeblich für den Fristbeginn ist der Eintritt der Rechtskraft (vgl. BVerwG, a.a.O.; VG Freiburg, B.v. 24.4.2014 - A 4 K 807/14 - juris; VG Münster, B.v. 16.12.2015 - 6 M 28/15 - juris; a.A.: (Zeitpunkt der Zustellung) Heckmann in Sodan/Ziekow, a.a.O., § 172 Rn. 58; Pietzner/Möller in Schoch/Schneider/Bier, a.a.O., § 172 Rn. 33). Erst diese bewirkt nämlich die Vollstreckbarkeit nach § 168 Abs. 1 Nr. 1 VwGO, weil eine vorläufige Vollstreckbarkeit bei Verpflichtungsklagen nach § 167 Abs. 2 VwGO nur wegen der Kosten in Betracht kommt (VG Aachen, B.v. 21.3.2016 - 9 M 26/15 - juris). Die Frist ist bis zur Stellung des Vollstreckungsantrages zu bemessen, weil für die Notwendigkeit des Vollstreckungsantrages auf diesen Zeitpunkt abzustellen ist (vgl. BVerfG, B.v. 10.12.1998 - 2 BvR 1516/93 - juris; BVerwG, a.a.O.; VG Freiburg, a.a.O.).

Hier lag zwischen dem Eintritt der Rechtskraft und der Antragstellung ein Zeitraum von sieben Wochen, der indes nicht ausreichend erscheint. Für diese Beurteilung ist in den Blick zu nehmen, dass eine rechtskräftige Verurteilung zur Feststellung eines Abschiebungsverbots zwar keinen großen Verwaltungsaufwand bei der Vollstreckungsschuldnerin erfordert und auch das Bundesamt zwischenzeitlich eine beträchtliche Anzahl an neuen Mitarbeitern eingestellt hat. Jedoch dürfte die fortwährend hohe Anzahl an zu bearbeitenden Asylverfahren aktuell noch dafür sprechen, von einer dreimonatigen Regelbearbeitungsdauer auszugehen, zumal die Antragsgegnerin den geforderten Bescheid innerhalb der vom Gericht gesetzten kurzen Frist erlassen hat.

Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.

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Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 113


(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 167


(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs. (2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungskl

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 60 Verbot der Abschiebung


(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalit

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 80 Ausschluss der Beschwerde


Entscheidungen in Rechtsstreitigkeiten nach diesem Gesetz können vorbehaltlich des § 133 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung nicht mit der Beschwerde angefochten werden.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 92


(1) Der Kläger kann bis zur Rechtskraft des Urteils seine Klage zurücknehmen. Die Zurücknahme nach Stellung der Anträge in der mündlichen Verhandlung setzt die Einwilligung des Beklagten und, wenn ein Vertreter des öffentlichen Interesses an der münd

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 161


(1) Das Gericht hat im Urteil oder, wenn das Verfahren in anderer Weise beendet worden ist, durch Beschluß über die Kosten zu entscheiden. (2) Ist der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt, so entscheidet das Gericht außer in den Fällen des § 1

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 172


Kommt die Behörde in den Fällen des § 113 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 5 und des § 123 der ihr im Urteil oder in der einstweiligen Anordnung auferlegten Verpflichtung nicht nach, so kann das Gericht des ersten Rechtszugs auf Antrag unter Fristsetzung gegen

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 168


(1) Vollstreckt wird1.aus rechtskräftigen und aus vorläufig vollstreckbaren gerichtlichen Entscheidungen,2.aus einstweiligen Anordnungen,3.aus gerichtlichen Vergleichen,4.aus Kostenfestsetzungsbeschlüssen,5.aus den für vollstreckbar erklärten Schieds

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Tenor I. Das Vollstreckungsverfahren wird eingestellt. II. Die Kosten des gerichtskostenfreien Vollstreckungsverfahrens hat der Antragsteller und Vollstreckungsgläubiger zu tragen. Gründe I. Mit Urtei

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Tenor

I.

Die Beklagte wird unter entsprechender Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 2. Oktober 2015 verpflichtet, festzustellen, dass bei dem Kläger ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Jordaniens vorliegt.

II.

Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Kläger stellte am ... November 2009 als staatenloser Araber aus dem Westjordanland (Palästinensische Autonomiegebiete/Provinz Nablus) einen Asylantrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt). Dabei machte er im Wesentlichen gesundheitsbezogene Abschiebungsverbote geltend sowie die bestehenden Repressionen der israelischen Armee gegenüber den Palästinensern im israelisch besetzten Westjordanland.

Mit Bescheid vom 22. September 2010 lehnte das Bundesamt die Anerkennung des Klägers als Asylberechtigten ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und der Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG a. F. nicht vorliegen und forderte den Kläger auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen. Zugleich wurde ihm die Abschiebung nach Israel (Westjordanland) oder einen anderen Staat, in den der Kläger einreisen darf oder der zu seiner Rücknahme verpflichtet ist, angedroht, sollte der Kläger die Ausreisefrist nicht einhalten. Die dagegen vor dem Verwaltungsgericht Regensburg (Az. RN 6 K 10.30400) am 8. Oktober 2010 erhobene Klage nahm die Bevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom 8. Februar 2011 zurück.

Am 15. Februar 2013 stellte der Kläger einen auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes gerichteten Wiederaufgreifensantrag aus Krankheitsgründen (§ 60 Abs. 5 und 7 AufenthG), weil er als staatenloser Palästinenser aus dem Westjordanland der dortigen drohenden Festnahme und Schikanen der israelischen Streitkräfte ausgesetzt sei. Nach dem psychologischen Befundbericht vom ... Januar 2013 von ..., Dipl. Psychologin/Psychologische Psychotherapeutin, ..., bei der sich der Kläger seit Mai 2012 in psychotherapeutischer Behandlung befinde, leide dieser unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) (ICD-10, F43.1) sowie komorbid unter Angst, Depression (ICD-10, F41.2) und somatischen Beschwerden. Die Krankheit beruhe auf vielen Gewalterfahrungen, die durch die Besatzungssoldaten im Heimatland verursacht worden seien. Die Traumatisierung habe schon in der frühen Kindheit begonnen. Häufig sei in der Familie voller Trauer darüber gesprochen worden, wie eine ältere Schwester (...) an den Folgen eines Gasangriffs gestorben sei. Auch sei ihm noch schmerzhaft in Erinnerung, wie ein erschossener Cousin blutüberströmt in das Haus getragen worden sei. Infolge eines israelischen Angriffs mit sogenannten „Gummigeschossen“ habe er als kleines Kind ein Auge verloren. Dies sei von Kindheit an für ihn sehr belastend gewesen, weil er permanent von anderen Kindern deswegen ausgegrenzt worden sei. Als Erwachsener habe er wegen dieser Behinderung kaum Arbeitsmöglichkeiten gehabt. Infolge der Auseinandersetzungen mit den umliegenden jüdischen Siedlungen sei es besonders häufig zu Kontrollen und Hausdurchsuchungen durch die Besatzungsmacht gekommen. Er sei des Öfteren grundlos misshandelt worden. Mehrmals sei ihm der Arm ausgerenkt worden und sei es vorgekommen, dass alle jungen Männer in der Schule festgehalten und so gefesselt worden seien, dass sie stundenlang auf einem Bein stehend haben verbringen müssen, damit sie preisgeben, wer im Dorf mit Steinen geworfen habe und anderweitig gewalttätig geworden sei. Wenn er bei den Hausdurchsuchungen versucht habe, seinen Vater vor Repressalien zu bewahren, sei er selbst grob misshandelt worden. Aufgrund seiner Behinderung habe er seine Schwester ... (vgl. das Klageverfahren M 17 K 15.31483) weder vor den Übergriffen durch israelische Soldaten während der Hausdurchsuchungen - eine lange Narbe auf ihrem Kopf zeuge von dem Schlag eines Soldaten - noch vor den Nachstellungen eines im Nachbarhaus lebenden Cousins schützen können.

Seine PTBS sei stark ausgeprägt. Es bestehe ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den berichteten Ereignissen und seiner psychischen Erkrankung. Eine Abschiebung in das Herkunftsland würde einer Reaktualisierung der erlebten Traumata gleichkommen, da der Vorgang der Abschiebung den Kläger in einen Zustand der Hilflosigkeit versetzen würde. Im Herkunftsland, dem Ort der Traumatisierung, wäre zu erwarten, dass er angesichts der allgegenwärtigen Auslösereize immer wieder quälende Intrusionen durchmachen würde, wobei er diese unkontrollierbaren Erinnerungen als real erleben würde, was zu einer Überflutung mit belastendem Material führen würde. Unter derartigen Belastungen sei eine psychische Dekompensation sehr wahrscheinlich. Auch sei zu erwarten, dass der Kläger seine Schwester nicht vor seinem Cousin schützen könnte, was den Kläger enorm unter Stress setzen würde. Unter derartigen Belastungen müsse im Falle einer Abschiebung mit einer erheblichen psychischen Destabilisierung bis hin zum Kontrollverlust und Kurzschlusshandlung mit Fremd- oder Selbstgefährdung gerechnet werden.

Mit E-Mail vom ... und ... Dezember 2013 teilte die Regierung von Oberbayern der Ausländerbehörde des Landratsamtes ... mit, dass der Kläger bisher eine falsche Staatsangehörigkeit angegeben habe, da er jordanischer Staatsangehöriger sei. Ein entsprechender Nationalpass liege ausweislich des Ausländerzentralregisters für ihn vor.

Die Bevollmächtigte des Klägers legte mit Schriftsatz vom 23. September 2014 einen neuen psychologisch-psychotherapeutischen Befundbericht von ..., Dipl.-Psychologin ..., vom ... August 2014 vor. Danach sei der Kläger in ... geboren. Dies ergebe sich auch aus dem Reiseausweis der palästinensischen Autonomiebehörde, der inzwischen vorliege und den der Vater des Klägers aus dem Westjordanland mitgebracht habe. Nach Angaben des Klägers sei die Familie seines Vaters 1959 und die Familie seiner Mutter 1967 nach ... geflohen. Dort hätten seine Eltern (nach den Angaben der Mutter) 1972 standesamtlich geheiratet. 1990 sei die irakische Armee in ... einmarschiert und die Familie habe ihr dortiges Aufenthaltsrecht verloren sowie nach Jordanien ausreisen müssen. Nur der Vater habe die Erlaubnis erhalten, nach ... (Bezirk: ..., Provinz: .../Westjordanland) zurückzukehren und sich dort niederzulassen. Mutter und Kindern sei diese Erlaubnis verwehrt worden. Mit einer israelischen (Ausnahme)Genehmigung habe die Familie dennoch abwechselnd sieben Monate in .../Westjordanland und fünf Monate in Jordanien gelebt. Seit 1948 sei es völkerrechtlich vereinbart, dass alle palästinensischen Einwohner jeweils die Pässe der Länder (respektive Ägypten, Jordanien oder Syrien) erhielten, in deren Umkreis sie leben, um überhaupt die Möglichkeit zu haben, reisen zu können. Sein Vater habe damals einen jordanischen Pass erhalten, um in ... arbeiten zu dürfen. Die Kinder seien in den Pass eingetragen worden. Sie hätten sich in Jordanien lediglich aufgehalten, um jeweils auf die Ausstellung der erforderlichen Unterlagen der israelischen Behörden zu warten, um wieder in ... leben zu dürfen. Mit Erreichen der Volljährigkeit sei diese Eintragung im jordanischen Pass des Vaters erloschen. Danach habe keines der Kinder ... verlassen können, da es sonst nicht mehr hätte zurückkehren dürfen. Somit hätten sie in ... ohne die erforderlichen israelischen Genehmigungen gelebt. Seiner Mutter sei mit den drei kleineren Geschwistern im Jahr 2003 die Flucht gelungen. Der Kläger, seine Schwester ... und sein Vater seien jedoch gefasst worden und hätten nach Palästina zurückkehren müssen. Aufgrund der permanenten gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Besatzungsmacht und Bevölkerung habe der Kläger in beständiger Angst gelebt, da auch seine Familie - wie dargestellt - mehrfach von Übergriffen betroffen gewesen sei. Als er ein Kind war, sei er durch eine Explosion im Nebenhaus schwer verletzt worden. Dutzende Glas- und Metallsplitter seien in seinen Hals eingedrungen, die in einer langen Operation hätten entfernt werden müssen, was noch heute an einer langen Narbe sichtbar sei. 2009 sei seiner Schwester und ihm mit Hilfe eines jüdischen Schleusers die Flucht gelungen. Die tagelangen Strapazen, eingesperrt im fensterlosen dunklen Schiffsbauch eines Frachtschiffes ohne Kontakt zur Außenwelt und unter haarsträubenden hygienischen Bedingungen, seien ebenfalls traumatisierend für ihn gewesen.

Nach dem psychologischen Befundbericht vom ... August 2015 der Dipl.-Psychologin und Psychotherapeutin ... von ... leide der Kläger unter einer ausgeprägten PTBS (ICD-10, F43.1), komorbid an einer rezidivierenden depressiven Störung, derzeit mittelgradige depressive Episode (ICD-10, F33.1) sowie an einer generalisierten Angststörung (ICD-10, F41.1) und an körperlichen Beschwerden. Das Gefährliche bei einer Abschiebung nach Jordanien wäre für ihn, dass er umgehend an Polizei und Geheimdienst überstellt werden könnte. Erfahrungsgemäß würde er auf unbestimmte Zeit verhört werden, da die jordanischen Behörden bei abgeschobenen Rückkehrern davon ausgingen, dass entweder Terrorismusverdacht bestünde oder er von Deutschland aus als Spion eingeschleust würde. Darüber hinaus habe er in Jordanien keinerlei Anbindungen und Kontakte und auch keine Unterkunft. Fraglich sei zudem, ob er mit seinem stark eingeschränkten Sehvermögen jemals Arbeit finden könne, da dies bereits in der Vergangenheit ein großes Hindernis dargestellt habe. Eine Abschiebung in das Herkunftsland oder nach Jordanien würde einer Reaktualisierung der erlebten Traumata gleichkommen, da der Vorgang der Abschiebung den Kläger in einen Zustand der Hilflosigkeit versetzen würde. Er wäre dem Abschiebungsvorgang genauso ausgeliefert wie seinerzeit den traumatischen Gewalterlebnissen in seinem Herkunftsland. Es müsse mit einer erheblichen psychischen Destabilisierung bis hin zum Kontrollverlust gerechnet werden. Unter derartigen Belastungen könnte es auch zu einer Kurzschlusshandlung mit Suizidgefahr kommen.

Mit Bescheid vom 2. Oktober 2015, der der Bevollmächtigten des Kläger mit Schreiben vom 9. Oktober 2015 übersandt wurde, stellte das Bundesamt fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 1). Die mit Bescheid des Bundesamtes vom 20. September 2010 (Gesch.-Z. 5399822-499) erlassene Abschiebungsandrohung wurde dahingehend geändert, dass der Kläger für den Fall, dass er der Ausreiseaufforderung nicht nachkommt, nach Jordanien abgeschoben wird (Nr. 2). Die sofortige Vollziehung des Bescheides wurde angeordnet (Nr. 3).

Zur Begründung führt das Bundesamt im Bescheid aus: Das Verfahren sei wieder zu eröffnen gewesen, da eine Prüfung für den jetzt festgestellten Zielstaat (Jordanien) noch nicht erfolgt gewesen sei. Zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG lägen hinsichtlich Jordanien nicht vor. Die vorgelegten psychologischen Befundberichte vom ... Januar 2015 und ... August 2014 würden bereits keine notwendigen nachvollziehbaren Diagnosen psychischer Erkrankungen des Klägers, insbesondere einer PTBS, wiedergeben. Die Abschiebungsandrohung sei auf den neuen Zielstaat zu ändern gewesen. Im Übrigen wird auf den Inhalt des Bescheides Bezug genommen.

Die Bevollmächtigte des Klägers erhob mit Schriftsatz vom 19. Oktober 2015, dem Bayerischen Verwaltungsgericht München am 21. Oktober 2015 zugegangen, Klage mit dem Antrag,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes vom 2. Oktober 2015 zu verpflichten, festzustellen, dass bei dem Kläger ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Jordanien vorliegt.

Bereits im August 2014 habe er der Ausländerbehörde mitgeteilt, dass er die jordanische Staatsangehörigkeit besitze. Am ... September 2014, das heißt vor mehr als einem Jahr, sei der Ausländerbehörde der jordanische Reisepass des Klägers übersandt worden. Auch dem Bundesamt sei am ... September 2014 mitgeteilt worden, dass der Kläger die jordanische Staatsangehörigkeit besitze. Der Kläger sei schwerwiegend psychisch erkrankt und stehe seit drei Jahren in ständiger psychiatrischer und psychotherapeutischer Behandlung. Obwohl es sich bei Jordanien nicht um ein extrem armes Land handele, seien die psychiatrischen Behandlungsmöglichkeiten sehr beschränkt. Aus einem Bericht von IREN vom 1. November 2007 ergebe sich, dass es - jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt - in Jordanien nur zwei psychiatrische Krankenhäuser gegeben habe. Neuere Berichte des UNHCR und anderer Hilfsorganisationen würden sich ausschließlich mit den Behandlungsmöglichkeiten für die inzwischen nach Jordanien geflohenen syrischen Flüchtlinge beschäftigen. Zu dieser Personengruppe gehöre der Kläger nicht. Es stehe außer Frage, dass viele syrische Flüchtlinge, die in Jordanien leben, psychiatrischer und psychotherapeutischer Hilfe benötigten. Um diese Zielgruppe würden sich viele Nichtregierungsorganisationen kümmern, ohne jedoch den tatsächlichen Bedarf decken zu können. Als Jordanien-Palästinenser werde der Kläger als Staatsbürger „zweiter Klasse“ behandelt. Die UNRWA habe die Mittel kürzen müssen und könne die palästinensischen Flüchtlinge in Jordanien nicht mehr in vollem Umfang unterstützen. Es sei nicht davon auszugehen, dass der Kläger, dessen Familie in Deutschland und im europäischen Ausland lebe, bei einer Rückkehr nach Jordanien in der Lage wäre, die benötigte Behandlung zu erlangen. Es bestünde die konkrete Gefahr, dass sich der Gesundheitszustand des Klägers alsbald nach der Abschiebung wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlimmern würde. Zugleich wurde ein nervenärztliches Attest der Fachärztin für Psychiatrie, ..., vom ... Oktober 2015 vorgelegt, in dem bestätigt werde, dass der Kläger an einer PTBS mit schweren Schlafstörungen, Angstattacken, erhöhter Ängstlichkeit und Schreckhaftigkeit leide. Er bekomme ein Psychopharmakon, das ihm helfe, etwas Ruhe zu finden und zumindest zeitweise schlafen zu können.

Das Bundesamt übersandte mit Schreiben vom 4. November 2015 die Behördenakte und stellte keinen Antrag.

Das Verwaltungsgericht München stellte mit Beschluss vom 25. Februar 2016 die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 2. Oktober 2015 wieder her (M 17 S 15.31389) und ordnete mit Beschluss vom 5. April 2016 die Einholung eines Sachverständigengutachtens an.

Unter dem ... Oktober 2016 erstattete das Klinikum der Universität ... und ... für Psychiatrie und Psychotherapie, Abteilung für Forensische Psychiatrie, Prof. ... ein psychiatrisches Gutachten. Es kommt zum Ergebnis, dass beim Kläger eine Anpassungsstörung mit depressiver Symptomatik aufgrund langandauernder psychosozialer Belastungsfaktoren (ICD-10: F43.2) und eine mittelgradige Depression (ICD-10: F32.1) vorliegen.

Die Klägerbevollmächtigte vertrat dazu mit Schreiben vom 14. November 2016 die Ansicht, angesichts der Ergebnisse liege ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte in diesem Verfahren und im Verfahren M 17 S 15.31389 sowie auf die vorgelegten Behördenakten verwiesen.

Gründe

Die zulässige Klage, über die mit Einverständnis der Klagepartei (Schriftsatz vom 7. Dezember 2016) und der Beklagten (allgemeine Prozesserklärung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 25. Februar 2016 - Generalerklärung) ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann (§ 101 Abs. 2 VwGO), ist begründet.

Der Kläger hat Anspruch darauf, dass die Beklagte unter entsprechender Aufhebung ihres Bescheids vom 2. Oktober 2015 verpflichtet wird, ein Abschiebungsverbot hinsichtlich Jordaniens gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen (vgl. § 113 Abs. 5 i. V. m. Abs. 1 VwGO).

Die Voraussetzungen des § 71 AsylG i. V. m. § 51 VwVfG für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens liegen hier unbestritten vor, da eine Prüfung von Abschiebungsverboten für den jetzt festgestellten Zielstaat Jordanien noch nicht erfolgt ist. Insbesondere ist der am 15. Februar 2013 gestellte Asylfolgeantrag innerhalb von 3 Monaten ab Kenntnis des Grundes für das Wiederaufgreifen gestellt worden (vgl. § 51 Abs. 3 VwVfG), nachdem dem Kläger erstmalig mit dem psychologischen Befundbericht der Dipl.-Psychologin und Psychologischen Psychotherapeutin Frau ..., ..., vom ... Januar 2013 eine ernste psychische Erkrankung attestiert worden ist. Auf den Asylfolgeantrag des Klägers hin ist die Beklagte auch zur Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu verpflichten, weil zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 AsylG) beim Kläger aufgrund einer gutachterlich festgestellten schweren psychischen Erkrankung ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot vorliegt.

Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Umfasst werden von dieser Vorschrift nur sogenannte zielstaatsbezogene, individuell bestimmte Gefährdungssituationen. Die Vorschrift kann einen Anspruch auf Abschiebungsschutz begründen, wenn die Gefahr besteht, dass sich die Krankheit eines ausreisepflichtigen Ausländers in seinem Herkunftsland wesentlich verschlechtert. Für die Bestimmung der „Gefahr“ gilt der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, d. h. die drohende Rechtsgutverletzung darf nicht nur im Bereich des Möglichen liegen, sondern muss mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein (BVerwG, B. v. 2.11.1995 - 9 B 710/94 - juris). Eine Gefahr ist „erheblich“, wenn eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität zu erwarten ist. Das wäre der Fall, wenn sich der Gesundheitszustand des Ausländers wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern würde. Eine wesentliche Verschlechterung ist nicht schon bei einer befürchteten ungünstigen Entwicklung des Gesundheitszustandes anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden. Außerdem muss die Gefahr konkret sein, was voraussetzt, dass die Verschlechterung des Gesundheitszustands alsbald nach der Rückkehr des Betroffenen in sein Herkunftsland eintreten wird, weil er auf die dort unzureichenden Möglichkeiten zur Behandlung seiner Leiden angewiesen wäre und anderswo wirksame Hilfe nicht in Anspruch nehmen könnte (vgl. BVerwG, U. v. 29.7.1999 - 9 C 2/99 - juris Rn. 8). Der Abschiebungsschutz aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG dient hingegen nicht dazu, eine bestehende Erkrankung optimal zu behandeln oder ihre Heilungschancen zu verbessern. Diese Vorschrift begründet insbesondere keinen Anspruch auf Teilhabe am medizinischen Fortschritt und Standard in der medizinischen Versorgung in Deutschland (vgl. VG Arnsberg, B. v. 23.2.2016 - 5 L 242/16.A - juris Rn. 64 m. w. N.).

Mit der ab dem 17. März 2016 geltenden gesetzlichen Regelung hat auch der Gesetzgeber klargestellt, dass eine erhebliche konkrete Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG aus gesundheitlichen Gründen nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden, vorliegt (vgl. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG). Es wird im Falle einer Erkrankung nicht vorausgesetzt, dass die medizinische Versorgung im Herkunftsland mit der Versorgung in Deutschland gleichwertig ist (vgl. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Nach der Gesetzesbegründung kann eine schwerwiegende Erkrankung in Fällen von PTBS regelmäßig nicht angenommen werden, sondern nur ausnahmsweise, wenn die Abschiebung zu einer wesentlichen Gesundheitsgefährdung bis hin zu einer Selbstgefährdung führt (vgl. BT-Drs. 18/7538 S. 18).

Zwar begründet eine Selbstmordgefahr, die in Verbindung mit einer bevorstehenden Abschiebung steht, kein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, sondern allenfalls ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis, das gemäß § 60a AufenthG gegenüber der Ausländerbehörde geltend zu machen ist (BVerfG, B. v. 26.2.1998 - 2 BvR 185/98 - juris). Das Gericht ist aber davon überzeugt, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Jordanien wegen seiner psychischen Erkrankung alsbald in eine lebensbedrohliche Situation geraten würde.

Eine lebensbedrohliche Situation ist für den Kläger bei einer Rückkehr nach Jordanien zu befürchten, weil der Kläger an einer Anpassungsstörung mit depressiver Symptomatik aufgrund langandauernder Belastungsfaktoren (ICD-10: F43.2) und einer mittelgradigen Depression (ICD-10:F32.1) leidet und eine medizinische Behandlung des Klägers in Jordanien jedenfalls nicht finanzierbar und damit erreichbar ist.

Das 24 Seiten umfassende psychiatrische Gutachten von Prof. ... und Frau ... (Klinikum der ... für Psychiatrie und Psychotherapie, Abteilung für ...) vom ... Oktober 2016, das aufgrund des Beweisbeschlusses des Verwaltungsgerichts München vom 5. April 2016 eingeholt worden ist, kommt nach Auswertung sämtlicher vorhandener medizinischer und sonstiger Unterlagen und einer persönlichen Befragung des Klägers am 25. August 2016 zum Ergebnis, dass beim Kläger zwar keine PTBS, jedoch eine Anpassungsstörung mit depressiver Symptomatik aufgrund langandauernder Belastungsfaktoren (ICD-10: F43.2) und eine mittelgradige Depression (ICD-10:F32.1) vorliegt. Üblicherweise sind Anpassungsstörungen zeitlich limitiert und auf zwei Jahre begrenzt. Sie können allerdings chronifizieren und werden dann entsprechend der vorhersehenden Symptomatik codiert. Die Chronifizierung wird in der Regel durch fortbestehende Belastungsfaktoren bedingt. Das Krankheitsbild ist auf frühkindliche, kindliche (Verlust von regelmäßigen Kontakt zur Mutter, Verlust von Schwester, Körperliche Behinderung und Ausgrenzung infolge dessen) und jugendliche (Flucht von Mutter und Geschwistern, permanente Bedrohung und fehlenden Ressourcen oder Bezugspersonen) Erfahrungen bei langandauernden Belastungsfaktoren zurückzuführen. Insgesamt handelt es sich um ein schwerwiegendes Krankheitsbild mit hohem Leidensdruck, dass eine regelmäßige, langfristige, komplexe therapeutische Begleitung notwendig macht. Eine unabdingbare Voraussetzung für die Besserung des Befindens des Klägers ist, abgesehen von der Anwendung adäquater Therapiemaßnahmen (soziotherapeutisch und psychotherapeutisch), die Gewissheit einer sicheren und konstanten Umgebung. Die weitere Entwicklung von Ressourcen (seine neu gegründete Familie, aber auch die weitere berufliche Entwicklung) sind nötig für die Erreichung einer emotionalen Stabilität, ohne welche der Kläger weiteren Belastungsreaktionen nicht gewachsen ist und emotional dekompensieren kann. Die Folgen einer solchen Dekompensation sind von vielen anderen Faktoren abhängig und nicht wirklich vorhersehbar, schließen aber Suizidalität ein. Ein Abbruch der bereits begonnenen Therapie kann gravierende Folgen für die Gesundheit des Klägers haben, sie beeinträchtigen und die weitere Stabilisierung verhindern. Die aktuell positive Entwicklung des Klägers kann durch die Ablehnung seines Asylantrags einen Rückschlag erfahren, und zu kopflosem und resignativem Verhalten führen, welches psychiatrisch am ehesten als schwere Depression mit Suizidalität zu klassifizieren ist. Eine Abschiebung würde mit Sicherheit zu einer erheblichen Verschlechterung und einem dauerhaften Schaden seiner psychischen Gesundheit führen.

Dieses fachärztliche Gutachten ist nachvollziehbar und enthält keine Widersprüche oder strukturellen Mängel.

Es bestätigt - mit Ausnahme einer bestehenden PTBS - in wesentlichen Teilen die vorliegenden psychologischen Befundberichte vom ... Januar 2013 von ..., Dipl. Psychologin/Psychologische Psychotherapeutin, ... und vom ... August 2015 der Dipl.-Psychologin und Psychotherapeutin ...

Es ist zudem nicht davon auszugehen, dass dem Kläger eine adäquate psychiatrische Behandlung einschließlich einer medikamentösen Therapie, auf die der Kläger angewiesen ist, in seinem Herkunftsland Jordanien trotz der prinzipiell existierenden Behandlungsmöglichkeiten nicht zur Verfügung steht. Ausweislich der Auskunft der Deutschen Botschaft in Amman vom ... November 2015 sind psychiatrische Erkrankungen und speziell Depressionen zwar grundsätzlich in Jordanien behandelbar. Jedoch wird die Behandlung von psychiatrischen Erkrankungen generell nicht von der freiwilligen Krankenversicherung abgedeckt (VG Würzburg, U. v. 19.02.2016 - W 2 K 13.30028 - UA S. 15). In der Regel ist eine Behandlung für Mittellose bzw. nicht Krankenversicherte nicht möglich. Eine Behandlung (ebenso eine aufsuchende Behandlung) ist kostenpflichtig.

Gemessen an den vorliegenden Erkenntnissen wäre dem Kläger aufgrund fehlender finanzieller Mittel ein Zugang zu einer aufsuchenden Behandlung und Medikamenten verwehrt. Unter Zugrundelegung der Auskunftslage müsste der Kläger mangels Leistungen durch die Krankenversicherung sowohl die Kosten für eine aufsuchende fachärztliche Betreuung als auch für die Medikation selbst aufbringen. Obwohl er derzeit in Deutschland einer beruflichen Tätigkeit nachgeht und einer seiner Brüder in Jordanien lebt, ist nicht damit zu rechnen, dass der ungelernte Kläger aufgrund seiner Schwerbehinderung mit einem Grad der Behinderung von 50, des Verlusts eines Auges, seiner Herkunft aus dem Westjordanland und seines derzeitigen Gesundheitszustandes in der Lage sein wird, neben seinem Lebensunterhalt die Kosten seiner gesundheitlichen Versorgung zu erwirtschaften. Unter diesen Voraussetzungen wäre es dem Kläger mangels hinreichender finanzieller Mittel nicht möglich, die benötigte psychiatrische Versorgung in Jordanien zu erreichen. Infolgedessen besteht die konkrete Gefahr, dass sich die psychische Krankheit des Klägers in Jordanien erheblich verschlimmert.

Nach alledem ist das Gericht davon überzeugt, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Jordanien in eine ausweglose Situation geraten würde. Selbst wenn der Gefahr eines Selbstmords im Zusammenhang mit der Abschiebung durch ärztliche Begleitung vor und während der Abschiebung entgegengewirkt werden könnte, besteht bei einer Rückkehr des Klägers nach Jordanien derzeit eine erhebliche konkrete Gefahr für das Leben des aktuell (im Hinblick auf die üblicherweise zeitliche Limitierung der Anpassungsstörung) psychisch kranken Klägers.

Vor diesem Hintergrund bejaht das Gericht beim Kläger das Vorliegen eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.

Der Klage wird daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattgegeben. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei (§ 83b AsylG). Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Tenor

I.

Die Beklagte wird unter entsprechender Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 2. Oktober 2015 verpflichtet, festzustellen, dass bei dem Kläger ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Jordaniens vorliegt.

II.

Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Kläger stellte am ... November 2009 als staatenloser Araber aus dem Westjordanland (Palästinensische Autonomiegebiete/Provinz Nablus) einen Asylantrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt). Dabei machte er im Wesentlichen gesundheitsbezogene Abschiebungsverbote geltend sowie die bestehenden Repressionen der israelischen Armee gegenüber den Palästinensern im israelisch besetzten Westjordanland.

Mit Bescheid vom 22. September 2010 lehnte das Bundesamt die Anerkennung des Klägers als Asylberechtigten ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und der Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG a. F. nicht vorliegen und forderte den Kläger auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen. Zugleich wurde ihm die Abschiebung nach Israel (Westjordanland) oder einen anderen Staat, in den der Kläger einreisen darf oder der zu seiner Rücknahme verpflichtet ist, angedroht, sollte der Kläger die Ausreisefrist nicht einhalten. Die dagegen vor dem Verwaltungsgericht Regensburg (Az. RN 6 K 10.30400) am 8. Oktober 2010 erhobene Klage nahm die Bevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom 8. Februar 2011 zurück.

Am 15. Februar 2013 stellte der Kläger einen auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes gerichteten Wiederaufgreifensantrag aus Krankheitsgründen (§ 60 Abs. 5 und 7 AufenthG), weil er als staatenloser Palästinenser aus dem Westjordanland der dortigen drohenden Festnahme und Schikanen der israelischen Streitkräfte ausgesetzt sei. Nach dem psychologischen Befundbericht vom ... Januar 2013 von ..., Dipl. Psychologin/Psychologische Psychotherapeutin, ..., bei der sich der Kläger seit Mai 2012 in psychotherapeutischer Behandlung befinde, leide dieser unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) (ICD-10, F43.1) sowie komorbid unter Angst, Depression (ICD-10, F41.2) und somatischen Beschwerden. Die Krankheit beruhe auf vielen Gewalterfahrungen, die durch die Besatzungssoldaten im Heimatland verursacht worden seien. Die Traumatisierung habe schon in der frühen Kindheit begonnen. Häufig sei in der Familie voller Trauer darüber gesprochen worden, wie eine ältere Schwester (...) an den Folgen eines Gasangriffs gestorben sei. Auch sei ihm noch schmerzhaft in Erinnerung, wie ein erschossener Cousin blutüberströmt in das Haus getragen worden sei. Infolge eines israelischen Angriffs mit sogenannten „Gummigeschossen“ habe er als kleines Kind ein Auge verloren. Dies sei von Kindheit an für ihn sehr belastend gewesen, weil er permanent von anderen Kindern deswegen ausgegrenzt worden sei. Als Erwachsener habe er wegen dieser Behinderung kaum Arbeitsmöglichkeiten gehabt. Infolge der Auseinandersetzungen mit den umliegenden jüdischen Siedlungen sei es besonders häufig zu Kontrollen und Hausdurchsuchungen durch die Besatzungsmacht gekommen. Er sei des Öfteren grundlos misshandelt worden. Mehrmals sei ihm der Arm ausgerenkt worden und sei es vorgekommen, dass alle jungen Männer in der Schule festgehalten und so gefesselt worden seien, dass sie stundenlang auf einem Bein stehend haben verbringen müssen, damit sie preisgeben, wer im Dorf mit Steinen geworfen habe und anderweitig gewalttätig geworden sei. Wenn er bei den Hausdurchsuchungen versucht habe, seinen Vater vor Repressalien zu bewahren, sei er selbst grob misshandelt worden. Aufgrund seiner Behinderung habe er seine Schwester ... (vgl. das Klageverfahren M 17 K 15.31483) weder vor den Übergriffen durch israelische Soldaten während der Hausdurchsuchungen - eine lange Narbe auf ihrem Kopf zeuge von dem Schlag eines Soldaten - noch vor den Nachstellungen eines im Nachbarhaus lebenden Cousins schützen können.

Seine PTBS sei stark ausgeprägt. Es bestehe ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den berichteten Ereignissen und seiner psychischen Erkrankung. Eine Abschiebung in das Herkunftsland würde einer Reaktualisierung der erlebten Traumata gleichkommen, da der Vorgang der Abschiebung den Kläger in einen Zustand der Hilflosigkeit versetzen würde. Im Herkunftsland, dem Ort der Traumatisierung, wäre zu erwarten, dass er angesichts der allgegenwärtigen Auslösereize immer wieder quälende Intrusionen durchmachen würde, wobei er diese unkontrollierbaren Erinnerungen als real erleben würde, was zu einer Überflutung mit belastendem Material führen würde. Unter derartigen Belastungen sei eine psychische Dekompensation sehr wahrscheinlich. Auch sei zu erwarten, dass der Kläger seine Schwester nicht vor seinem Cousin schützen könnte, was den Kläger enorm unter Stress setzen würde. Unter derartigen Belastungen müsse im Falle einer Abschiebung mit einer erheblichen psychischen Destabilisierung bis hin zum Kontrollverlust und Kurzschlusshandlung mit Fremd- oder Selbstgefährdung gerechnet werden.

Mit E-Mail vom ... und ... Dezember 2013 teilte die Regierung von Oberbayern der Ausländerbehörde des Landratsamtes ... mit, dass der Kläger bisher eine falsche Staatsangehörigkeit angegeben habe, da er jordanischer Staatsangehöriger sei. Ein entsprechender Nationalpass liege ausweislich des Ausländerzentralregisters für ihn vor.

Die Bevollmächtigte des Klägers legte mit Schriftsatz vom 23. September 2014 einen neuen psychologisch-psychotherapeutischen Befundbericht von ..., Dipl.-Psychologin ..., vom ... August 2014 vor. Danach sei der Kläger in ... geboren. Dies ergebe sich auch aus dem Reiseausweis der palästinensischen Autonomiebehörde, der inzwischen vorliege und den der Vater des Klägers aus dem Westjordanland mitgebracht habe. Nach Angaben des Klägers sei die Familie seines Vaters 1959 und die Familie seiner Mutter 1967 nach ... geflohen. Dort hätten seine Eltern (nach den Angaben der Mutter) 1972 standesamtlich geheiratet. 1990 sei die irakische Armee in ... einmarschiert und die Familie habe ihr dortiges Aufenthaltsrecht verloren sowie nach Jordanien ausreisen müssen. Nur der Vater habe die Erlaubnis erhalten, nach ... (Bezirk: ..., Provinz: .../Westjordanland) zurückzukehren und sich dort niederzulassen. Mutter und Kindern sei diese Erlaubnis verwehrt worden. Mit einer israelischen (Ausnahme)Genehmigung habe die Familie dennoch abwechselnd sieben Monate in .../Westjordanland und fünf Monate in Jordanien gelebt. Seit 1948 sei es völkerrechtlich vereinbart, dass alle palästinensischen Einwohner jeweils die Pässe der Länder (respektive Ägypten, Jordanien oder Syrien) erhielten, in deren Umkreis sie leben, um überhaupt die Möglichkeit zu haben, reisen zu können. Sein Vater habe damals einen jordanischen Pass erhalten, um in ... arbeiten zu dürfen. Die Kinder seien in den Pass eingetragen worden. Sie hätten sich in Jordanien lediglich aufgehalten, um jeweils auf die Ausstellung der erforderlichen Unterlagen der israelischen Behörden zu warten, um wieder in ... leben zu dürfen. Mit Erreichen der Volljährigkeit sei diese Eintragung im jordanischen Pass des Vaters erloschen. Danach habe keines der Kinder ... verlassen können, da es sonst nicht mehr hätte zurückkehren dürfen. Somit hätten sie in ... ohne die erforderlichen israelischen Genehmigungen gelebt. Seiner Mutter sei mit den drei kleineren Geschwistern im Jahr 2003 die Flucht gelungen. Der Kläger, seine Schwester ... und sein Vater seien jedoch gefasst worden und hätten nach Palästina zurückkehren müssen. Aufgrund der permanenten gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Besatzungsmacht und Bevölkerung habe der Kläger in beständiger Angst gelebt, da auch seine Familie - wie dargestellt - mehrfach von Übergriffen betroffen gewesen sei. Als er ein Kind war, sei er durch eine Explosion im Nebenhaus schwer verletzt worden. Dutzende Glas- und Metallsplitter seien in seinen Hals eingedrungen, die in einer langen Operation hätten entfernt werden müssen, was noch heute an einer langen Narbe sichtbar sei. 2009 sei seiner Schwester und ihm mit Hilfe eines jüdischen Schleusers die Flucht gelungen. Die tagelangen Strapazen, eingesperrt im fensterlosen dunklen Schiffsbauch eines Frachtschiffes ohne Kontakt zur Außenwelt und unter haarsträubenden hygienischen Bedingungen, seien ebenfalls traumatisierend für ihn gewesen.

Nach dem psychologischen Befundbericht vom ... August 2015 der Dipl.-Psychologin und Psychotherapeutin ... von ... leide der Kläger unter einer ausgeprägten PTBS (ICD-10, F43.1), komorbid an einer rezidivierenden depressiven Störung, derzeit mittelgradige depressive Episode (ICD-10, F33.1) sowie an einer generalisierten Angststörung (ICD-10, F41.1) und an körperlichen Beschwerden. Das Gefährliche bei einer Abschiebung nach Jordanien wäre für ihn, dass er umgehend an Polizei und Geheimdienst überstellt werden könnte. Erfahrungsgemäß würde er auf unbestimmte Zeit verhört werden, da die jordanischen Behörden bei abgeschobenen Rückkehrern davon ausgingen, dass entweder Terrorismusverdacht bestünde oder er von Deutschland aus als Spion eingeschleust würde. Darüber hinaus habe er in Jordanien keinerlei Anbindungen und Kontakte und auch keine Unterkunft. Fraglich sei zudem, ob er mit seinem stark eingeschränkten Sehvermögen jemals Arbeit finden könne, da dies bereits in der Vergangenheit ein großes Hindernis dargestellt habe. Eine Abschiebung in das Herkunftsland oder nach Jordanien würde einer Reaktualisierung der erlebten Traumata gleichkommen, da der Vorgang der Abschiebung den Kläger in einen Zustand der Hilflosigkeit versetzen würde. Er wäre dem Abschiebungsvorgang genauso ausgeliefert wie seinerzeit den traumatischen Gewalterlebnissen in seinem Herkunftsland. Es müsse mit einer erheblichen psychischen Destabilisierung bis hin zum Kontrollverlust gerechnet werden. Unter derartigen Belastungen könnte es auch zu einer Kurzschlusshandlung mit Suizidgefahr kommen.

Mit Bescheid vom 2. Oktober 2015, der der Bevollmächtigten des Kläger mit Schreiben vom 9. Oktober 2015 übersandt wurde, stellte das Bundesamt fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 1). Die mit Bescheid des Bundesamtes vom 20. September 2010 (Gesch.-Z. 5399822-499) erlassene Abschiebungsandrohung wurde dahingehend geändert, dass der Kläger für den Fall, dass er der Ausreiseaufforderung nicht nachkommt, nach Jordanien abgeschoben wird (Nr. 2). Die sofortige Vollziehung des Bescheides wurde angeordnet (Nr. 3).

Zur Begründung führt das Bundesamt im Bescheid aus: Das Verfahren sei wieder zu eröffnen gewesen, da eine Prüfung für den jetzt festgestellten Zielstaat (Jordanien) noch nicht erfolgt gewesen sei. Zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG lägen hinsichtlich Jordanien nicht vor. Die vorgelegten psychologischen Befundberichte vom ... Januar 2015 und ... August 2014 würden bereits keine notwendigen nachvollziehbaren Diagnosen psychischer Erkrankungen des Klägers, insbesondere einer PTBS, wiedergeben. Die Abschiebungsandrohung sei auf den neuen Zielstaat zu ändern gewesen. Im Übrigen wird auf den Inhalt des Bescheides Bezug genommen.

Die Bevollmächtigte des Klägers erhob mit Schriftsatz vom 19. Oktober 2015, dem Bayerischen Verwaltungsgericht München am 21. Oktober 2015 zugegangen, Klage mit dem Antrag,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes vom 2. Oktober 2015 zu verpflichten, festzustellen, dass bei dem Kläger ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Jordanien vorliegt.

Bereits im August 2014 habe er der Ausländerbehörde mitgeteilt, dass er die jordanische Staatsangehörigkeit besitze. Am ... September 2014, das heißt vor mehr als einem Jahr, sei der Ausländerbehörde der jordanische Reisepass des Klägers übersandt worden. Auch dem Bundesamt sei am ... September 2014 mitgeteilt worden, dass der Kläger die jordanische Staatsangehörigkeit besitze. Der Kläger sei schwerwiegend psychisch erkrankt und stehe seit drei Jahren in ständiger psychiatrischer und psychotherapeutischer Behandlung. Obwohl es sich bei Jordanien nicht um ein extrem armes Land handele, seien die psychiatrischen Behandlungsmöglichkeiten sehr beschränkt. Aus einem Bericht von IREN vom 1. November 2007 ergebe sich, dass es - jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt - in Jordanien nur zwei psychiatrische Krankenhäuser gegeben habe. Neuere Berichte des UNHCR und anderer Hilfsorganisationen würden sich ausschließlich mit den Behandlungsmöglichkeiten für die inzwischen nach Jordanien geflohenen syrischen Flüchtlinge beschäftigen. Zu dieser Personengruppe gehöre der Kläger nicht. Es stehe außer Frage, dass viele syrische Flüchtlinge, die in Jordanien leben, psychiatrischer und psychotherapeutischer Hilfe benötigten. Um diese Zielgruppe würden sich viele Nichtregierungsorganisationen kümmern, ohne jedoch den tatsächlichen Bedarf decken zu können. Als Jordanien-Palästinenser werde der Kläger als Staatsbürger „zweiter Klasse“ behandelt. Die UNRWA habe die Mittel kürzen müssen und könne die palästinensischen Flüchtlinge in Jordanien nicht mehr in vollem Umfang unterstützen. Es sei nicht davon auszugehen, dass der Kläger, dessen Familie in Deutschland und im europäischen Ausland lebe, bei einer Rückkehr nach Jordanien in der Lage wäre, die benötigte Behandlung zu erlangen. Es bestünde die konkrete Gefahr, dass sich der Gesundheitszustand des Klägers alsbald nach der Abschiebung wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlimmern würde. Zugleich wurde ein nervenärztliches Attest der Fachärztin für Psychiatrie, ..., vom ... Oktober 2015 vorgelegt, in dem bestätigt werde, dass der Kläger an einer PTBS mit schweren Schlafstörungen, Angstattacken, erhöhter Ängstlichkeit und Schreckhaftigkeit leide. Er bekomme ein Psychopharmakon, das ihm helfe, etwas Ruhe zu finden und zumindest zeitweise schlafen zu können.

Das Bundesamt übersandte mit Schreiben vom 4. November 2015 die Behördenakte und stellte keinen Antrag.

Das Verwaltungsgericht München stellte mit Beschluss vom 25. Februar 2016 die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 2. Oktober 2015 wieder her (M 17 S 15.31389) und ordnete mit Beschluss vom 5. April 2016 die Einholung eines Sachverständigengutachtens an.

Unter dem ... Oktober 2016 erstattete das Klinikum der Universität ... und ... für Psychiatrie und Psychotherapie, Abteilung für Forensische Psychiatrie, Prof. ... ein psychiatrisches Gutachten. Es kommt zum Ergebnis, dass beim Kläger eine Anpassungsstörung mit depressiver Symptomatik aufgrund langandauernder psychosozialer Belastungsfaktoren (ICD-10: F43.2) und eine mittelgradige Depression (ICD-10: F32.1) vorliegen.

Die Klägerbevollmächtigte vertrat dazu mit Schreiben vom 14. November 2016 die Ansicht, angesichts der Ergebnisse liege ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte in diesem Verfahren und im Verfahren M 17 S 15.31389 sowie auf die vorgelegten Behördenakten verwiesen.

Gründe

Die zulässige Klage, über die mit Einverständnis der Klagepartei (Schriftsatz vom 7. Dezember 2016) und der Beklagten (allgemeine Prozesserklärung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 25. Februar 2016 - Generalerklärung) ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann (§ 101 Abs. 2 VwGO), ist begründet.

Der Kläger hat Anspruch darauf, dass die Beklagte unter entsprechender Aufhebung ihres Bescheids vom 2. Oktober 2015 verpflichtet wird, ein Abschiebungsverbot hinsichtlich Jordaniens gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen (vgl. § 113 Abs. 5 i. V. m. Abs. 1 VwGO).

Die Voraussetzungen des § 71 AsylG i. V. m. § 51 VwVfG für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens liegen hier unbestritten vor, da eine Prüfung von Abschiebungsverboten für den jetzt festgestellten Zielstaat Jordanien noch nicht erfolgt ist. Insbesondere ist der am 15. Februar 2013 gestellte Asylfolgeantrag innerhalb von 3 Monaten ab Kenntnis des Grundes für das Wiederaufgreifen gestellt worden (vgl. § 51 Abs. 3 VwVfG), nachdem dem Kläger erstmalig mit dem psychologischen Befundbericht der Dipl.-Psychologin und Psychologischen Psychotherapeutin Frau ..., ..., vom ... Januar 2013 eine ernste psychische Erkrankung attestiert worden ist. Auf den Asylfolgeantrag des Klägers hin ist die Beklagte auch zur Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu verpflichten, weil zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 AsylG) beim Kläger aufgrund einer gutachterlich festgestellten schweren psychischen Erkrankung ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot vorliegt.

Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Umfasst werden von dieser Vorschrift nur sogenannte zielstaatsbezogene, individuell bestimmte Gefährdungssituationen. Die Vorschrift kann einen Anspruch auf Abschiebungsschutz begründen, wenn die Gefahr besteht, dass sich die Krankheit eines ausreisepflichtigen Ausländers in seinem Herkunftsland wesentlich verschlechtert. Für die Bestimmung der „Gefahr“ gilt der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, d. h. die drohende Rechtsgutverletzung darf nicht nur im Bereich des Möglichen liegen, sondern muss mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein (BVerwG, B. v. 2.11.1995 - 9 B 710/94 - juris). Eine Gefahr ist „erheblich“, wenn eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität zu erwarten ist. Das wäre der Fall, wenn sich der Gesundheitszustand des Ausländers wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern würde. Eine wesentliche Verschlechterung ist nicht schon bei einer befürchteten ungünstigen Entwicklung des Gesundheitszustandes anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden. Außerdem muss die Gefahr konkret sein, was voraussetzt, dass die Verschlechterung des Gesundheitszustands alsbald nach der Rückkehr des Betroffenen in sein Herkunftsland eintreten wird, weil er auf die dort unzureichenden Möglichkeiten zur Behandlung seiner Leiden angewiesen wäre und anderswo wirksame Hilfe nicht in Anspruch nehmen könnte (vgl. BVerwG, U. v. 29.7.1999 - 9 C 2/99 - juris Rn. 8). Der Abschiebungsschutz aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG dient hingegen nicht dazu, eine bestehende Erkrankung optimal zu behandeln oder ihre Heilungschancen zu verbessern. Diese Vorschrift begründet insbesondere keinen Anspruch auf Teilhabe am medizinischen Fortschritt und Standard in der medizinischen Versorgung in Deutschland (vgl. VG Arnsberg, B. v. 23.2.2016 - 5 L 242/16.A - juris Rn. 64 m. w. N.).

Mit der ab dem 17. März 2016 geltenden gesetzlichen Regelung hat auch der Gesetzgeber klargestellt, dass eine erhebliche konkrete Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG aus gesundheitlichen Gründen nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden, vorliegt (vgl. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG). Es wird im Falle einer Erkrankung nicht vorausgesetzt, dass die medizinische Versorgung im Herkunftsland mit der Versorgung in Deutschland gleichwertig ist (vgl. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Nach der Gesetzesbegründung kann eine schwerwiegende Erkrankung in Fällen von PTBS regelmäßig nicht angenommen werden, sondern nur ausnahmsweise, wenn die Abschiebung zu einer wesentlichen Gesundheitsgefährdung bis hin zu einer Selbstgefährdung führt (vgl. BT-Drs. 18/7538 S. 18).

Zwar begründet eine Selbstmordgefahr, die in Verbindung mit einer bevorstehenden Abschiebung steht, kein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, sondern allenfalls ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis, das gemäß § 60a AufenthG gegenüber der Ausländerbehörde geltend zu machen ist (BVerfG, B. v. 26.2.1998 - 2 BvR 185/98 - juris). Das Gericht ist aber davon überzeugt, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Jordanien wegen seiner psychischen Erkrankung alsbald in eine lebensbedrohliche Situation geraten würde.

Eine lebensbedrohliche Situation ist für den Kläger bei einer Rückkehr nach Jordanien zu befürchten, weil der Kläger an einer Anpassungsstörung mit depressiver Symptomatik aufgrund langandauernder Belastungsfaktoren (ICD-10: F43.2) und einer mittelgradigen Depression (ICD-10:F32.1) leidet und eine medizinische Behandlung des Klägers in Jordanien jedenfalls nicht finanzierbar und damit erreichbar ist.

Das 24 Seiten umfassende psychiatrische Gutachten von Prof. ... und Frau ... (Klinikum der ... für Psychiatrie und Psychotherapie, Abteilung für ...) vom ... Oktober 2016, das aufgrund des Beweisbeschlusses des Verwaltungsgerichts München vom 5. April 2016 eingeholt worden ist, kommt nach Auswertung sämtlicher vorhandener medizinischer und sonstiger Unterlagen und einer persönlichen Befragung des Klägers am 25. August 2016 zum Ergebnis, dass beim Kläger zwar keine PTBS, jedoch eine Anpassungsstörung mit depressiver Symptomatik aufgrund langandauernder Belastungsfaktoren (ICD-10: F43.2) und eine mittelgradige Depression (ICD-10:F32.1) vorliegt. Üblicherweise sind Anpassungsstörungen zeitlich limitiert und auf zwei Jahre begrenzt. Sie können allerdings chronifizieren und werden dann entsprechend der vorhersehenden Symptomatik codiert. Die Chronifizierung wird in der Regel durch fortbestehende Belastungsfaktoren bedingt. Das Krankheitsbild ist auf frühkindliche, kindliche (Verlust von regelmäßigen Kontakt zur Mutter, Verlust von Schwester, Körperliche Behinderung und Ausgrenzung infolge dessen) und jugendliche (Flucht von Mutter und Geschwistern, permanente Bedrohung und fehlenden Ressourcen oder Bezugspersonen) Erfahrungen bei langandauernden Belastungsfaktoren zurückzuführen. Insgesamt handelt es sich um ein schwerwiegendes Krankheitsbild mit hohem Leidensdruck, dass eine regelmäßige, langfristige, komplexe therapeutische Begleitung notwendig macht. Eine unabdingbare Voraussetzung für die Besserung des Befindens des Klägers ist, abgesehen von der Anwendung adäquater Therapiemaßnahmen (soziotherapeutisch und psychotherapeutisch), die Gewissheit einer sicheren und konstanten Umgebung. Die weitere Entwicklung von Ressourcen (seine neu gegründete Familie, aber auch die weitere berufliche Entwicklung) sind nötig für die Erreichung einer emotionalen Stabilität, ohne welche der Kläger weiteren Belastungsreaktionen nicht gewachsen ist und emotional dekompensieren kann. Die Folgen einer solchen Dekompensation sind von vielen anderen Faktoren abhängig und nicht wirklich vorhersehbar, schließen aber Suizidalität ein. Ein Abbruch der bereits begonnenen Therapie kann gravierende Folgen für die Gesundheit des Klägers haben, sie beeinträchtigen und die weitere Stabilisierung verhindern. Die aktuell positive Entwicklung des Klägers kann durch die Ablehnung seines Asylantrags einen Rückschlag erfahren, und zu kopflosem und resignativem Verhalten führen, welches psychiatrisch am ehesten als schwere Depression mit Suizidalität zu klassifizieren ist. Eine Abschiebung würde mit Sicherheit zu einer erheblichen Verschlechterung und einem dauerhaften Schaden seiner psychischen Gesundheit führen.

Dieses fachärztliche Gutachten ist nachvollziehbar und enthält keine Widersprüche oder strukturellen Mängel.

Es bestätigt - mit Ausnahme einer bestehenden PTBS - in wesentlichen Teilen die vorliegenden psychologischen Befundberichte vom ... Januar 2013 von ..., Dipl. Psychologin/Psychologische Psychotherapeutin, ... und vom ... August 2015 der Dipl.-Psychologin und Psychotherapeutin ...

Es ist zudem nicht davon auszugehen, dass dem Kläger eine adäquate psychiatrische Behandlung einschließlich einer medikamentösen Therapie, auf die der Kläger angewiesen ist, in seinem Herkunftsland Jordanien trotz der prinzipiell existierenden Behandlungsmöglichkeiten nicht zur Verfügung steht. Ausweislich der Auskunft der Deutschen Botschaft in Amman vom ... November 2015 sind psychiatrische Erkrankungen und speziell Depressionen zwar grundsätzlich in Jordanien behandelbar. Jedoch wird die Behandlung von psychiatrischen Erkrankungen generell nicht von der freiwilligen Krankenversicherung abgedeckt (VG Würzburg, U. v. 19.02.2016 - W 2 K 13.30028 - UA S. 15). In der Regel ist eine Behandlung für Mittellose bzw. nicht Krankenversicherte nicht möglich. Eine Behandlung (ebenso eine aufsuchende Behandlung) ist kostenpflichtig.

Gemessen an den vorliegenden Erkenntnissen wäre dem Kläger aufgrund fehlender finanzieller Mittel ein Zugang zu einer aufsuchenden Behandlung und Medikamenten verwehrt. Unter Zugrundelegung der Auskunftslage müsste der Kläger mangels Leistungen durch die Krankenversicherung sowohl die Kosten für eine aufsuchende fachärztliche Betreuung als auch für die Medikation selbst aufbringen. Obwohl er derzeit in Deutschland einer beruflichen Tätigkeit nachgeht und einer seiner Brüder in Jordanien lebt, ist nicht damit zu rechnen, dass der ungelernte Kläger aufgrund seiner Schwerbehinderung mit einem Grad der Behinderung von 50, des Verlusts eines Auges, seiner Herkunft aus dem Westjordanland und seines derzeitigen Gesundheitszustandes in der Lage sein wird, neben seinem Lebensunterhalt die Kosten seiner gesundheitlichen Versorgung zu erwirtschaften. Unter diesen Voraussetzungen wäre es dem Kläger mangels hinreichender finanzieller Mittel nicht möglich, die benötigte psychiatrische Versorgung in Jordanien zu erreichen. Infolgedessen besteht die konkrete Gefahr, dass sich die psychische Krankheit des Klägers in Jordanien erheblich verschlimmert.

Nach alledem ist das Gericht davon überzeugt, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Jordanien in eine ausweglose Situation geraten würde. Selbst wenn der Gefahr eines Selbstmords im Zusammenhang mit der Abschiebung durch ärztliche Begleitung vor und während der Abschiebung entgegengewirkt werden könnte, besteht bei einer Rückkehr des Klägers nach Jordanien derzeit eine erhebliche konkrete Gefahr für das Leben des aktuell (im Hinblick auf die üblicherweise zeitliche Limitierung der Anpassungsstörung) psychisch kranken Klägers.

Vor diesem Hintergrund bejaht das Gericht beim Kläger das Vorliegen eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.

Der Klage wird daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattgegeben. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei (§ 83b AsylG). Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Tenor

I.

Die Beklagte wird unter entsprechender Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 2. Oktober 2015 verpflichtet, festzustellen, dass bei dem Kläger ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Jordaniens vorliegt.

II.

Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Kläger stellte am ... November 2009 als staatenloser Araber aus dem Westjordanland (Palästinensische Autonomiegebiete/Provinz Nablus) einen Asylantrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt). Dabei machte er im Wesentlichen gesundheitsbezogene Abschiebungsverbote geltend sowie die bestehenden Repressionen der israelischen Armee gegenüber den Palästinensern im israelisch besetzten Westjordanland.

Mit Bescheid vom 22. September 2010 lehnte das Bundesamt die Anerkennung des Klägers als Asylberechtigten ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und der Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG a. F. nicht vorliegen und forderte den Kläger auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen. Zugleich wurde ihm die Abschiebung nach Israel (Westjordanland) oder einen anderen Staat, in den der Kläger einreisen darf oder der zu seiner Rücknahme verpflichtet ist, angedroht, sollte der Kläger die Ausreisefrist nicht einhalten. Die dagegen vor dem Verwaltungsgericht Regensburg (Az. RN 6 K 10.30400) am 8. Oktober 2010 erhobene Klage nahm die Bevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom 8. Februar 2011 zurück.

Am 15. Februar 2013 stellte der Kläger einen auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes gerichteten Wiederaufgreifensantrag aus Krankheitsgründen (§ 60 Abs. 5 und 7 AufenthG), weil er als staatenloser Palästinenser aus dem Westjordanland der dortigen drohenden Festnahme und Schikanen der israelischen Streitkräfte ausgesetzt sei. Nach dem psychologischen Befundbericht vom ... Januar 2013 von ..., Dipl. Psychologin/Psychologische Psychotherapeutin, ..., bei der sich der Kläger seit Mai 2012 in psychotherapeutischer Behandlung befinde, leide dieser unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) (ICD-10, F43.1) sowie komorbid unter Angst, Depression (ICD-10, F41.2) und somatischen Beschwerden. Die Krankheit beruhe auf vielen Gewalterfahrungen, die durch die Besatzungssoldaten im Heimatland verursacht worden seien. Die Traumatisierung habe schon in der frühen Kindheit begonnen. Häufig sei in der Familie voller Trauer darüber gesprochen worden, wie eine ältere Schwester (...) an den Folgen eines Gasangriffs gestorben sei. Auch sei ihm noch schmerzhaft in Erinnerung, wie ein erschossener Cousin blutüberströmt in das Haus getragen worden sei. Infolge eines israelischen Angriffs mit sogenannten „Gummigeschossen“ habe er als kleines Kind ein Auge verloren. Dies sei von Kindheit an für ihn sehr belastend gewesen, weil er permanent von anderen Kindern deswegen ausgegrenzt worden sei. Als Erwachsener habe er wegen dieser Behinderung kaum Arbeitsmöglichkeiten gehabt. Infolge der Auseinandersetzungen mit den umliegenden jüdischen Siedlungen sei es besonders häufig zu Kontrollen und Hausdurchsuchungen durch die Besatzungsmacht gekommen. Er sei des Öfteren grundlos misshandelt worden. Mehrmals sei ihm der Arm ausgerenkt worden und sei es vorgekommen, dass alle jungen Männer in der Schule festgehalten und so gefesselt worden seien, dass sie stundenlang auf einem Bein stehend haben verbringen müssen, damit sie preisgeben, wer im Dorf mit Steinen geworfen habe und anderweitig gewalttätig geworden sei. Wenn er bei den Hausdurchsuchungen versucht habe, seinen Vater vor Repressalien zu bewahren, sei er selbst grob misshandelt worden. Aufgrund seiner Behinderung habe er seine Schwester ... (vgl. das Klageverfahren M 17 K 15.31483) weder vor den Übergriffen durch israelische Soldaten während der Hausdurchsuchungen - eine lange Narbe auf ihrem Kopf zeuge von dem Schlag eines Soldaten - noch vor den Nachstellungen eines im Nachbarhaus lebenden Cousins schützen können.

Seine PTBS sei stark ausgeprägt. Es bestehe ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den berichteten Ereignissen und seiner psychischen Erkrankung. Eine Abschiebung in das Herkunftsland würde einer Reaktualisierung der erlebten Traumata gleichkommen, da der Vorgang der Abschiebung den Kläger in einen Zustand der Hilflosigkeit versetzen würde. Im Herkunftsland, dem Ort der Traumatisierung, wäre zu erwarten, dass er angesichts der allgegenwärtigen Auslösereize immer wieder quälende Intrusionen durchmachen würde, wobei er diese unkontrollierbaren Erinnerungen als real erleben würde, was zu einer Überflutung mit belastendem Material führen würde. Unter derartigen Belastungen sei eine psychische Dekompensation sehr wahrscheinlich. Auch sei zu erwarten, dass der Kläger seine Schwester nicht vor seinem Cousin schützen könnte, was den Kläger enorm unter Stress setzen würde. Unter derartigen Belastungen müsse im Falle einer Abschiebung mit einer erheblichen psychischen Destabilisierung bis hin zum Kontrollverlust und Kurzschlusshandlung mit Fremd- oder Selbstgefährdung gerechnet werden.

Mit E-Mail vom ... und ... Dezember 2013 teilte die Regierung von Oberbayern der Ausländerbehörde des Landratsamtes ... mit, dass der Kläger bisher eine falsche Staatsangehörigkeit angegeben habe, da er jordanischer Staatsangehöriger sei. Ein entsprechender Nationalpass liege ausweislich des Ausländerzentralregisters für ihn vor.

Die Bevollmächtigte des Klägers legte mit Schriftsatz vom 23. September 2014 einen neuen psychologisch-psychotherapeutischen Befundbericht von ..., Dipl.-Psychologin ..., vom ... August 2014 vor. Danach sei der Kläger in ... geboren. Dies ergebe sich auch aus dem Reiseausweis der palästinensischen Autonomiebehörde, der inzwischen vorliege und den der Vater des Klägers aus dem Westjordanland mitgebracht habe. Nach Angaben des Klägers sei die Familie seines Vaters 1959 und die Familie seiner Mutter 1967 nach ... geflohen. Dort hätten seine Eltern (nach den Angaben der Mutter) 1972 standesamtlich geheiratet. 1990 sei die irakische Armee in ... einmarschiert und die Familie habe ihr dortiges Aufenthaltsrecht verloren sowie nach Jordanien ausreisen müssen. Nur der Vater habe die Erlaubnis erhalten, nach ... (Bezirk: ..., Provinz: .../Westjordanland) zurückzukehren und sich dort niederzulassen. Mutter und Kindern sei diese Erlaubnis verwehrt worden. Mit einer israelischen (Ausnahme)Genehmigung habe die Familie dennoch abwechselnd sieben Monate in .../Westjordanland und fünf Monate in Jordanien gelebt. Seit 1948 sei es völkerrechtlich vereinbart, dass alle palästinensischen Einwohner jeweils die Pässe der Länder (respektive Ägypten, Jordanien oder Syrien) erhielten, in deren Umkreis sie leben, um überhaupt die Möglichkeit zu haben, reisen zu können. Sein Vater habe damals einen jordanischen Pass erhalten, um in ... arbeiten zu dürfen. Die Kinder seien in den Pass eingetragen worden. Sie hätten sich in Jordanien lediglich aufgehalten, um jeweils auf die Ausstellung der erforderlichen Unterlagen der israelischen Behörden zu warten, um wieder in ... leben zu dürfen. Mit Erreichen der Volljährigkeit sei diese Eintragung im jordanischen Pass des Vaters erloschen. Danach habe keines der Kinder ... verlassen können, da es sonst nicht mehr hätte zurückkehren dürfen. Somit hätten sie in ... ohne die erforderlichen israelischen Genehmigungen gelebt. Seiner Mutter sei mit den drei kleineren Geschwistern im Jahr 2003 die Flucht gelungen. Der Kläger, seine Schwester ... und sein Vater seien jedoch gefasst worden und hätten nach Palästina zurückkehren müssen. Aufgrund der permanenten gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Besatzungsmacht und Bevölkerung habe der Kläger in beständiger Angst gelebt, da auch seine Familie - wie dargestellt - mehrfach von Übergriffen betroffen gewesen sei. Als er ein Kind war, sei er durch eine Explosion im Nebenhaus schwer verletzt worden. Dutzende Glas- und Metallsplitter seien in seinen Hals eingedrungen, die in einer langen Operation hätten entfernt werden müssen, was noch heute an einer langen Narbe sichtbar sei. 2009 sei seiner Schwester und ihm mit Hilfe eines jüdischen Schleusers die Flucht gelungen. Die tagelangen Strapazen, eingesperrt im fensterlosen dunklen Schiffsbauch eines Frachtschiffes ohne Kontakt zur Außenwelt und unter haarsträubenden hygienischen Bedingungen, seien ebenfalls traumatisierend für ihn gewesen.

Nach dem psychologischen Befundbericht vom ... August 2015 der Dipl.-Psychologin und Psychotherapeutin ... von ... leide der Kläger unter einer ausgeprägten PTBS (ICD-10, F43.1), komorbid an einer rezidivierenden depressiven Störung, derzeit mittelgradige depressive Episode (ICD-10, F33.1) sowie an einer generalisierten Angststörung (ICD-10, F41.1) und an körperlichen Beschwerden. Das Gefährliche bei einer Abschiebung nach Jordanien wäre für ihn, dass er umgehend an Polizei und Geheimdienst überstellt werden könnte. Erfahrungsgemäß würde er auf unbestimmte Zeit verhört werden, da die jordanischen Behörden bei abgeschobenen Rückkehrern davon ausgingen, dass entweder Terrorismusverdacht bestünde oder er von Deutschland aus als Spion eingeschleust würde. Darüber hinaus habe er in Jordanien keinerlei Anbindungen und Kontakte und auch keine Unterkunft. Fraglich sei zudem, ob er mit seinem stark eingeschränkten Sehvermögen jemals Arbeit finden könne, da dies bereits in der Vergangenheit ein großes Hindernis dargestellt habe. Eine Abschiebung in das Herkunftsland oder nach Jordanien würde einer Reaktualisierung der erlebten Traumata gleichkommen, da der Vorgang der Abschiebung den Kläger in einen Zustand der Hilflosigkeit versetzen würde. Er wäre dem Abschiebungsvorgang genauso ausgeliefert wie seinerzeit den traumatischen Gewalterlebnissen in seinem Herkunftsland. Es müsse mit einer erheblichen psychischen Destabilisierung bis hin zum Kontrollverlust gerechnet werden. Unter derartigen Belastungen könnte es auch zu einer Kurzschlusshandlung mit Suizidgefahr kommen.

Mit Bescheid vom 2. Oktober 2015, der der Bevollmächtigten des Kläger mit Schreiben vom 9. Oktober 2015 übersandt wurde, stellte das Bundesamt fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 1). Die mit Bescheid des Bundesamtes vom 20. September 2010 (Gesch.-Z. 5399822-499) erlassene Abschiebungsandrohung wurde dahingehend geändert, dass der Kläger für den Fall, dass er der Ausreiseaufforderung nicht nachkommt, nach Jordanien abgeschoben wird (Nr. 2). Die sofortige Vollziehung des Bescheides wurde angeordnet (Nr. 3).

Zur Begründung führt das Bundesamt im Bescheid aus: Das Verfahren sei wieder zu eröffnen gewesen, da eine Prüfung für den jetzt festgestellten Zielstaat (Jordanien) noch nicht erfolgt gewesen sei. Zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG lägen hinsichtlich Jordanien nicht vor. Die vorgelegten psychologischen Befundberichte vom ... Januar 2015 und ... August 2014 würden bereits keine notwendigen nachvollziehbaren Diagnosen psychischer Erkrankungen des Klägers, insbesondere einer PTBS, wiedergeben. Die Abschiebungsandrohung sei auf den neuen Zielstaat zu ändern gewesen. Im Übrigen wird auf den Inhalt des Bescheides Bezug genommen.

Die Bevollmächtigte des Klägers erhob mit Schriftsatz vom 19. Oktober 2015, dem Bayerischen Verwaltungsgericht München am 21. Oktober 2015 zugegangen, Klage mit dem Antrag,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes vom 2. Oktober 2015 zu verpflichten, festzustellen, dass bei dem Kläger ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Jordanien vorliegt.

Bereits im August 2014 habe er der Ausländerbehörde mitgeteilt, dass er die jordanische Staatsangehörigkeit besitze. Am ... September 2014, das heißt vor mehr als einem Jahr, sei der Ausländerbehörde der jordanische Reisepass des Klägers übersandt worden. Auch dem Bundesamt sei am ... September 2014 mitgeteilt worden, dass der Kläger die jordanische Staatsangehörigkeit besitze. Der Kläger sei schwerwiegend psychisch erkrankt und stehe seit drei Jahren in ständiger psychiatrischer und psychotherapeutischer Behandlung. Obwohl es sich bei Jordanien nicht um ein extrem armes Land handele, seien die psychiatrischen Behandlungsmöglichkeiten sehr beschränkt. Aus einem Bericht von IREN vom 1. November 2007 ergebe sich, dass es - jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt - in Jordanien nur zwei psychiatrische Krankenhäuser gegeben habe. Neuere Berichte des UNHCR und anderer Hilfsorganisationen würden sich ausschließlich mit den Behandlungsmöglichkeiten für die inzwischen nach Jordanien geflohenen syrischen Flüchtlinge beschäftigen. Zu dieser Personengruppe gehöre der Kläger nicht. Es stehe außer Frage, dass viele syrische Flüchtlinge, die in Jordanien leben, psychiatrischer und psychotherapeutischer Hilfe benötigten. Um diese Zielgruppe würden sich viele Nichtregierungsorganisationen kümmern, ohne jedoch den tatsächlichen Bedarf decken zu können. Als Jordanien-Palästinenser werde der Kläger als Staatsbürger „zweiter Klasse“ behandelt. Die UNRWA habe die Mittel kürzen müssen und könne die palästinensischen Flüchtlinge in Jordanien nicht mehr in vollem Umfang unterstützen. Es sei nicht davon auszugehen, dass der Kläger, dessen Familie in Deutschland und im europäischen Ausland lebe, bei einer Rückkehr nach Jordanien in der Lage wäre, die benötigte Behandlung zu erlangen. Es bestünde die konkrete Gefahr, dass sich der Gesundheitszustand des Klägers alsbald nach der Abschiebung wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlimmern würde. Zugleich wurde ein nervenärztliches Attest der Fachärztin für Psychiatrie, ..., vom ... Oktober 2015 vorgelegt, in dem bestätigt werde, dass der Kläger an einer PTBS mit schweren Schlafstörungen, Angstattacken, erhöhter Ängstlichkeit und Schreckhaftigkeit leide. Er bekomme ein Psychopharmakon, das ihm helfe, etwas Ruhe zu finden und zumindest zeitweise schlafen zu können.

Das Bundesamt übersandte mit Schreiben vom 4. November 2015 die Behördenakte und stellte keinen Antrag.

Das Verwaltungsgericht München stellte mit Beschluss vom 25. Februar 2016 die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 2. Oktober 2015 wieder her (M 17 S 15.31389) und ordnete mit Beschluss vom 5. April 2016 die Einholung eines Sachverständigengutachtens an.

Unter dem ... Oktober 2016 erstattete das Klinikum der Universität ... und ... für Psychiatrie und Psychotherapie, Abteilung für Forensische Psychiatrie, Prof. ... ein psychiatrisches Gutachten. Es kommt zum Ergebnis, dass beim Kläger eine Anpassungsstörung mit depressiver Symptomatik aufgrund langandauernder psychosozialer Belastungsfaktoren (ICD-10: F43.2) und eine mittelgradige Depression (ICD-10: F32.1) vorliegen.

Die Klägerbevollmächtigte vertrat dazu mit Schreiben vom 14. November 2016 die Ansicht, angesichts der Ergebnisse liege ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte in diesem Verfahren und im Verfahren M 17 S 15.31389 sowie auf die vorgelegten Behördenakten verwiesen.

Gründe

Die zulässige Klage, über die mit Einverständnis der Klagepartei (Schriftsatz vom 7. Dezember 2016) und der Beklagten (allgemeine Prozesserklärung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 25. Februar 2016 - Generalerklärung) ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann (§ 101 Abs. 2 VwGO), ist begründet.

Der Kläger hat Anspruch darauf, dass die Beklagte unter entsprechender Aufhebung ihres Bescheids vom 2. Oktober 2015 verpflichtet wird, ein Abschiebungsverbot hinsichtlich Jordaniens gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen (vgl. § 113 Abs. 5 i. V. m. Abs. 1 VwGO).

Die Voraussetzungen des § 71 AsylG i. V. m. § 51 VwVfG für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens liegen hier unbestritten vor, da eine Prüfung von Abschiebungsverboten für den jetzt festgestellten Zielstaat Jordanien noch nicht erfolgt ist. Insbesondere ist der am 15. Februar 2013 gestellte Asylfolgeantrag innerhalb von 3 Monaten ab Kenntnis des Grundes für das Wiederaufgreifen gestellt worden (vgl. § 51 Abs. 3 VwVfG), nachdem dem Kläger erstmalig mit dem psychologischen Befundbericht der Dipl.-Psychologin und Psychologischen Psychotherapeutin Frau ..., ..., vom ... Januar 2013 eine ernste psychische Erkrankung attestiert worden ist. Auf den Asylfolgeantrag des Klägers hin ist die Beklagte auch zur Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu verpflichten, weil zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 AsylG) beim Kläger aufgrund einer gutachterlich festgestellten schweren psychischen Erkrankung ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot vorliegt.

Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Umfasst werden von dieser Vorschrift nur sogenannte zielstaatsbezogene, individuell bestimmte Gefährdungssituationen. Die Vorschrift kann einen Anspruch auf Abschiebungsschutz begründen, wenn die Gefahr besteht, dass sich die Krankheit eines ausreisepflichtigen Ausländers in seinem Herkunftsland wesentlich verschlechtert. Für die Bestimmung der „Gefahr“ gilt der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, d. h. die drohende Rechtsgutverletzung darf nicht nur im Bereich des Möglichen liegen, sondern muss mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein (BVerwG, B. v. 2.11.1995 - 9 B 710/94 - juris). Eine Gefahr ist „erheblich“, wenn eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität zu erwarten ist. Das wäre der Fall, wenn sich der Gesundheitszustand des Ausländers wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern würde. Eine wesentliche Verschlechterung ist nicht schon bei einer befürchteten ungünstigen Entwicklung des Gesundheitszustandes anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden. Außerdem muss die Gefahr konkret sein, was voraussetzt, dass die Verschlechterung des Gesundheitszustands alsbald nach der Rückkehr des Betroffenen in sein Herkunftsland eintreten wird, weil er auf die dort unzureichenden Möglichkeiten zur Behandlung seiner Leiden angewiesen wäre und anderswo wirksame Hilfe nicht in Anspruch nehmen könnte (vgl. BVerwG, U. v. 29.7.1999 - 9 C 2/99 - juris Rn. 8). Der Abschiebungsschutz aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG dient hingegen nicht dazu, eine bestehende Erkrankung optimal zu behandeln oder ihre Heilungschancen zu verbessern. Diese Vorschrift begründet insbesondere keinen Anspruch auf Teilhabe am medizinischen Fortschritt und Standard in der medizinischen Versorgung in Deutschland (vgl. VG Arnsberg, B. v. 23.2.2016 - 5 L 242/16.A - juris Rn. 64 m. w. N.).

Mit der ab dem 17. März 2016 geltenden gesetzlichen Regelung hat auch der Gesetzgeber klargestellt, dass eine erhebliche konkrete Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG aus gesundheitlichen Gründen nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden, vorliegt (vgl. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG). Es wird im Falle einer Erkrankung nicht vorausgesetzt, dass die medizinische Versorgung im Herkunftsland mit der Versorgung in Deutschland gleichwertig ist (vgl. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Nach der Gesetzesbegründung kann eine schwerwiegende Erkrankung in Fällen von PTBS regelmäßig nicht angenommen werden, sondern nur ausnahmsweise, wenn die Abschiebung zu einer wesentlichen Gesundheitsgefährdung bis hin zu einer Selbstgefährdung führt (vgl. BT-Drs. 18/7538 S. 18).

Zwar begründet eine Selbstmordgefahr, die in Verbindung mit einer bevorstehenden Abschiebung steht, kein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, sondern allenfalls ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis, das gemäß § 60a AufenthG gegenüber der Ausländerbehörde geltend zu machen ist (BVerfG, B. v. 26.2.1998 - 2 BvR 185/98 - juris). Das Gericht ist aber davon überzeugt, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Jordanien wegen seiner psychischen Erkrankung alsbald in eine lebensbedrohliche Situation geraten würde.

Eine lebensbedrohliche Situation ist für den Kläger bei einer Rückkehr nach Jordanien zu befürchten, weil der Kläger an einer Anpassungsstörung mit depressiver Symptomatik aufgrund langandauernder Belastungsfaktoren (ICD-10: F43.2) und einer mittelgradigen Depression (ICD-10:F32.1) leidet und eine medizinische Behandlung des Klägers in Jordanien jedenfalls nicht finanzierbar und damit erreichbar ist.

Das 24 Seiten umfassende psychiatrische Gutachten von Prof. ... und Frau ... (Klinikum der ... für Psychiatrie und Psychotherapie, Abteilung für ...) vom ... Oktober 2016, das aufgrund des Beweisbeschlusses des Verwaltungsgerichts München vom 5. April 2016 eingeholt worden ist, kommt nach Auswertung sämtlicher vorhandener medizinischer und sonstiger Unterlagen und einer persönlichen Befragung des Klägers am 25. August 2016 zum Ergebnis, dass beim Kläger zwar keine PTBS, jedoch eine Anpassungsstörung mit depressiver Symptomatik aufgrund langandauernder Belastungsfaktoren (ICD-10: F43.2) und eine mittelgradige Depression (ICD-10:F32.1) vorliegt. Üblicherweise sind Anpassungsstörungen zeitlich limitiert und auf zwei Jahre begrenzt. Sie können allerdings chronifizieren und werden dann entsprechend der vorhersehenden Symptomatik codiert. Die Chronifizierung wird in der Regel durch fortbestehende Belastungsfaktoren bedingt. Das Krankheitsbild ist auf frühkindliche, kindliche (Verlust von regelmäßigen Kontakt zur Mutter, Verlust von Schwester, Körperliche Behinderung und Ausgrenzung infolge dessen) und jugendliche (Flucht von Mutter und Geschwistern, permanente Bedrohung und fehlenden Ressourcen oder Bezugspersonen) Erfahrungen bei langandauernden Belastungsfaktoren zurückzuführen. Insgesamt handelt es sich um ein schwerwiegendes Krankheitsbild mit hohem Leidensdruck, dass eine regelmäßige, langfristige, komplexe therapeutische Begleitung notwendig macht. Eine unabdingbare Voraussetzung für die Besserung des Befindens des Klägers ist, abgesehen von der Anwendung adäquater Therapiemaßnahmen (soziotherapeutisch und psychotherapeutisch), die Gewissheit einer sicheren und konstanten Umgebung. Die weitere Entwicklung von Ressourcen (seine neu gegründete Familie, aber auch die weitere berufliche Entwicklung) sind nötig für die Erreichung einer emotionalen Stabilität, ohne welche der Kläger weiteren Belastungsreaktionen nicht gewachsen ist und emotional dekompensieren kann. Die Folgen einer solchen Dekompensation sind von vielen anderen Faktoren abhängig und nicht wirklich vorhersehbar, schließen aber Suizidalität ein. Ein Abbruch der bereits begonnenen Therapie kann gravierende Folgen für die Gesundheit des Klägers haben, sie beeinträchtigen und die weitere Stabilisierung verhindern. Die aktuell positive Entwicklung des Klägers kann durch die Ablehnung seines Asylantrags einen Rückschlag erfahren, und zu kopflosem und resignativem Verhalten führen, welches psychiatrisch am ehesten als schwere Depression mit Suizidalität zu klassifizieren ist. Eine Abschiebung würde mit Sicherheit zu einer erheblichen Verschlechterung und einem dauerhaften Schaden seiner psychischen Gesundheit führen.

Dieses fachärztliche Gutachten ist nachvollziehbar und enthält keine Widersprüche oder strukturellen Mängel.

Es bestätigt - mit Ausnahme einer bestehenden PTBS - in wesentlichen Teilen die vorliegenden psychologischen Befundberichte vom ... Januar 2013 von ..., Dipl. Psychologin/Psychologische Psychotherapeutin, ... und vom ... August 2015 der Dipl.-Psychologin und Psychotherapeutin ...

Es ist zudem nicht davon auszugehen, dass dem Kläger eine adäquate psychiatrische Behandlung einschließlich einer medikamentösen Therapie, auf die der Kläger angewiesen ist, in seinem Herkunftsland Jordanien trotz der prinzipiell existierenden Behandlungsmöglichkeiten nicht zur Verfügung steht. Ausweislich der Auskunft der Deutschen Botschaft in Amman vom ... November 2015 sind psychiatrische Erkrankungen und speziell Depressionen zwar grundsätzlich in Jordanien behandelbar. Jedoch wird die Behandlung von psychiatrischen Erkrankungen generell nicht von der freiwilligen Krankenversicherung abgedeckt (VG Würzburg, U. v. 19.02.2016 - W 2 K 13.30028 - UA S. 15). In der Regel ist eine Behandlung für Mittellose bzw. nicht Krankenversicherte nicht möglich. Eine Behandlung (ebenso eine aufsuchende Behandlung) ist kostenpflichtig.

Gemessen an den vorliegenden Erkenntnissen wäre dem Kläger aufgrund fehlender finanzieller Mittel ein Zugang zu einer aufsuchenden Behandlung und Medikamenten verwehrt. Unter Zugrundelegung der Auskunftslage müsste der Kläger mangels Leistungen durch die Krankenversicherung sowohl die Kosten für eine aufsuchende fachärztliche Betreuung als auch für die Medikation selbst aufbringen. Obwohl er derzeit in Deutschland einer beruflichen Tätigkeit nachgeht und einer seiner Brüder in Jordanien lebt, ist nicht damit zu rechnen, dass der ungelernte Kläger aufgrund seiner Schwerbehinderung mit einem Grad der Behinderung von 50, des Verlusts eines Auges, seiner Herkunft aus dem Westjordanland und seines derzeitigen Gesundheitszustandes in der Lage sein wird, neben seinem Lebensunterhalt die Kosten seiner gesundheitlichen Versorgung zu erwirtschaften. Unter diesen Voraussetzungen wäre es dem Kläger mangels hinreichender finanzieller Mittel nicht möglich, die benötigte psychiatrische Versorgung in Jordanien zu erreichen. Infolgedessen besteht die konkrete Gefahr, dass sich die psychische Krankheit des Klägers in Jordanien erheblich verschlimmert.

Nach alledem ist das Gericht davon überzeugt, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Jordanien in eine ausweglose Situation geraten würde. Selbst wenn der Gefahr eines Selbstmords im Zusammenhang mit der Abschiebung durch ärztliche Begleitung vor und während der Abschiebung entgegengewirkt werden könnte, besteht bei einer Rückkehr des Klägers nach Jordanien derzeit eine erhebliche konkrete Gefahr für das Leben des aktuell (im Hinblick auf die üblicherweise zeitliche Limitierung der Anpassungsstörung) psychisch kranken Klägers.

Vor diesem Hintergrund bejaht das Gericht beim Kläger das Vorliegen eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.

Der Klage wird daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattgegeben. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei (§ 83b AsylG). Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.

(1) Der Kläger kann bis zur Rechtskraft des Urteils seine Klage zurücknehmen. Die Zurücknahme nach Stellung der Anträge in der mündlichen Verhandlung setzt die Einwilligung des Beklagten und, wenn ein Vertreter des öffentlichen Interesses an der mündlichen Verhandlung teilgenommen hat, auch seine Einwilligung voraus. Die Einwilligung gilt als erteilt, wenn der Klagerücknahme nicht innerhalb von zwei Wochen seit Zustellung des die Rücknahme enthaltenden Schriftsatzes widersprochen wird; das Gericht hat auf diese Folge hinzuweisen.

(2) Die Klage gilt als zurückgenommen, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als zwei Monate nicht betreibt. Absatz 1 Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Der Kläger ist in der Aufforderung auf die sich aus Satz 1 und § 155 Abs. 2 ergebenden Rechtsfolgen hinzuweisen. Das Gericht stellt durch Beschluß fest, daß die Klage als zurückgenommen gilt.

(3) Ist die Klage zurückgenommen oder gilt sie als zurückgenommen, so stellt das Gericht das Verfahren durch Beschluß ein und spricht die sich nach diesem Gesetz ergebenden Rechtsfolgen der Zurücknahme aus. Der Beschluß ist unanfechtbar.

(1) Das Gericht hat im Urteil oder, wenn das Verfahren in anderer Weise beendet worden ist, durch Beschluß über die Kosten zu entscheiden.

(2) Ist der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt, so entscheidet das Gericht außer in den Fällen des § 113 Abs. 1 Satz 4 nach billigem Ermessen über die Kosten des Verfahrens durch Beschluß; der bisherige Sach- und Streitstand ist zu berücksichtigen. Der Rechtsstreit ist auch in der Hauptsache erledigt, wenn der Beklagte der Erledigungserklärung des Klägers nicht innerhalb von zwei Wochen seit Zustellung des die Erledigungserklärung enthaltenden Schriftsatzes widerspricht und er vom Gericht auf diese Folge hingewiesen worden ist.

(3) In den Fällen des § 75 fallen die Kosten stets dem Beklagten zur Last, wenn der Kläger mit seiner Bescheidung vor Klageerhebung rechnen durfte.

Kommt die Behörde in den Fällen des § 113 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 5 und des § 123 der ihr im Urteil oder in der einstweiligen Anordnung auferlegten Verpflichtung nicht nach, so kann das Gericht des ersten Rechtszugs auf Antrag unter Fristsetzung gegen sie ein Zwangsgeld bis zehntausend Euro durch Beschluß androhen, nach fruchtlosem Fristablauf festsetzen und von Amts wegen vollstrecken. Das Zwangsgeld kann wiederholt angedroht, festgesetzt und vollstreckt werden.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Tenor

Das Verfahren wird eingestellt.

Der Vollstreckungsgläubiger trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

 
Die Entscheidungen ergehen gemäß § 87a Abs. 1 Nrn. 3 und 5 und Abs. 3 VwGO durch den Berichterstatter anstelle der Kammer.
Nachdem der Vollstreckungsgläubiger in dem am 23.04.2014 beim Gericht eingegangenen Schreiben seines Prozessbevollmächtigten (ohne Datum) den Rechtsstreit ausdrücklich in der Hauptsache für erledigt erklärt hat und die Vollstreckungsschuldnerin eine solche Erklärung im Schreiben vom 16.04.2014 zumindest konkludent abgegeben hat, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen.
Nach § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO muss das Gericht - unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands - nach billigem Ermessen über die Kosten des Verfahrens entscheiden (zur Anwendbarkeit des § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO auch in Vollstreckungsverfahren nach den §§ 167 ff. VwGO siehe Kopp/Schenke, VwGO, 19. Aufl. 2013, § 161 RdNr. 8 und § 170 RdNr. 2, m.w.N.; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 16.02.1989, Die Justiz 1989, 445, m.w.N.; ebenso VG Freiburg, Beschluss vom 23.06.2009 - 4 K 666/09 -, m.w.N.).
Billigem Ermessen entspricht es hier, dem Vollstreckungsgläubiger die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, weil sein Antrag auf Vollstreckung des der (Asyl-)Klage des Vollstreckungsgläubigers (zum Teil) stattgebenden Urteils des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 29.01.2014 - A 4 K 725/13 - (noch) unzulässig war.
Dabei kann es hier dahingestellt bleiben, ob der Vollstreckungsantrag bereits deshalb unzulässig war, weil das dem Vollstreckungsschuldner zugestellte Urteil nicht mit einer Vollstreckungsklausel versehen war, wie das nach den §§ 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO und 725 ZPO an sich vorgeschrieben ist, da die Vorschrift des § 171 VwGO über die Entbehrlichkeit einer Vollstreckungsklausel für die Fälle der Vollstreckung von Verpflichtungsurteilen - wie hier - gemäß § 172 VwGO, der einer Anwendung von § 170 VwGO vorgeht (vgl. hierzu vgl. Kopp/Schenke, a.a.O., § 170 RdNr. 1), ausdrücklich nicht gilt (vgl. zum Meinungsstreit hierzu u. a. Kopp/Schenke, a.a.O., § 171 RdNr. 1, m.w.N.; zu den beachtlichen Argumenten für die Entbehrlichkeit einer Vollstreckungsklausel [auch] in Fällen der Vollstreckung nach § 172 VwGO siehe Funke-Kaiser, in: Quaas/Zuck, Prozesse in Verwaltungssachen, 2. Aufl. 2011, § 3 RdNr. 859, m.w.N.).
Denn in jedem Fall ist der vom Vollstreckungsgläubiger beim Gericht gestellte Vollstreckungsantrag verfrüht gewesen. Damit fehlte dem Vollstreckungsgläubiger das Rechtsschutzinteresse für die Stellung eines solchen Antrags (Heckmann, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 172 RdNr. 58). Zwar ist die Frage, wann ein Vollstreckungsgläubiger berechtigt ist, einen Antrag auf Vollstreckung eines verwaltungsgerichtlichen Urteils zu stellen, im Gesetz, insbesondere in den §§ 167 ff. VwGO, nicht geregelt. Soweit in § 170 Abs. 2 Satz 2 VwGO eine Frist von einem Monat bestimmt ist, scheidet eine Anwendung dieser Vorschrift schon deshalb aus, weil § 170 VwGO in Fällen der Vollstreckung eines Verpflichtungsurteils durch § 172 VwGO verdrängt wird (siehe oben); hinzu kommt, dass § 170 Abs. 2 Satz 2 VwGO nicht die Frage der Stellung eines Vollstreckungsantrags durch den Vollstreckungsgläubiger betrifft, sondern die vom Gericht nach Stellung eines solchen Antrags dem Vollstreckungsschuldner einzuräumende Frist zur Abwendung einer Vollstreckungsverfügung. Auch auf die Vier-Wochen-Frist in § 882a ZPO kann nicht abgestellt werden, da diese Vorschrift im Bereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit generell keine Anwendung findet (Bayer. VGH, Beschluss vom 02.03.2004, BayVBl 2004, 571, m.w.N.; VG Cottbus, Beschluss vom 01.02.2010 - 6 M 15/09 -, juris, m.w.N.; ebenso für den Bereich der FGO FG Hamburg, Beschluss vom 02.05.2007 - 4 K 12/07 -, juris, m.w.N.) und insbesondere die Vollstreckung eines verwaltungsgerichtlichen Urteils nicht von der vorherigen Anzeige der Vollstreckungsabsicht durch den Vollstreckungsgläubiger abhängt; darüber hinaus geht es hier nicht um die in § 882a ZPO allein geregelte Vollstreckung wegen einer Geldforderung. Ebenso wenig kann auf die Drei-Monats-Frist in § 75 VwGO abgestellt werden, weil die Erfüllung eines Vollstreckungstitels durch eine Behörde in der Regel weit weniger Aufwand erfordert als die Durchführung eines ordnungsgemäßen Verwaltungs- oder Widerspruchsverfahrens (Redeker/von Oertzen, VwGO, 14. Aufl. 2004, § 172 RdNr. 4).
Ungeachtet fehlender gesetzlicher Regelungen ist es jedoch in der Rechtsprechung allgemein anerkannt, dass dem Vollstreckungschuldner Gelegenheit zu geben ist, die Vollstreckung durch freiwillige Leistung abzuwenden, und dass der Vollstreckungsgläubiger ihm hierzu eine angemessene Frist einräumen muss, deren Länge sich nach den Umständen des Einzelfalls richtet (BVerfG, Beschlüsse vom 10.12.1998, NJW 1999, 778, und vom 05.03.1991, NJW 1991, 2758; BVerwG, Beschluss vom 30.12.1968, NJW 1969, 476; VGH Bad.-Württ., Beschlüsse vom 15.05.1992, NVwZ-RR 1993, 447, und vom 25.03.1976 - IV 559/76 -, DÖV 1976, 606 [nur Leitsatz]; FG Hamburg, Beschluss vom 02.05.2007, a.a.O., m.w.N.; Pietzner/Möller, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: April 2013, Bd. 2, § 172 RdNr. 33, m.w.N.; Heckmann, a.a.O., § 172 RdNr. 58; Schmidt-Kötters, in: Posser/Wolff, VwGO, 2008, § 172 RdNr. 21; Bader, in: Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, 5. Aufl. 2010, § 172 RdNr. 7). In Fällen der Vollstreckung eines verwaltungsgerichtlichen Urteils - wie hier - beginnt diese Frist frühestens mit der Kenntnis des Vollstreckungsschuldners von der Rechtskraft und damit der Vollstreckbarkeit des Urteils zu laufen, in der Praxis sogar regelmäßig erst mit Rückgabe der Akten durch das Gericht an die Verwaltungsbehörde, da die Erfüllung des Urteils im Allgemeinen die Kenntnis der Akten erfordert (Bader, a.a.O., § 172 RdNr. 7, m.w.N.; Redeker/von Oertzen, a.a.O., § 172 RdNr. 4). Der Auffassung, der zufolge die Frist für die Stellung eines Vollstreckungsantrags bereits mit der Zustellung des Urteils und nicht erst mit Eintritt der Rechtskraft zu laufen beginne (so Pietzner/Möller, a.a.O., § 172 RdNr. 33, und Heckmann, a.a.O., § 172 RdNr. 58), kann nach Auffassung des Gerichts nicht gefolgt werden, weil gemäß § 168 Abs. 1 Nr. 1 VwGO erst die Rechtskraft die Vollstreckbarkeit eines Urteils bewirkt und - vor allem - weil vor Eintritt der Rechtskraft nicht feststeht, ob das Urteil letztendlich überhaupt Bestand hat. Denn den Beteiligten steht es bis zum letzten Tag der Rechtsmittelfrist frei zu entscheiden, ob sie das gegen das Urteil gegebene Rechtsmittel einlegen wollen oder nicht (Bier, in: Schoch/Schneider/Bier, a.a.O., Bd. 1, § 60 RdNr. 40, m.w.N.; von Albedyll, in: Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll,, a.a.O., § 60 RdNr. 59).
Diese (angemessene) Frist hat der Vollstreckungsgläubiger der Vollstreckungsschuldnerin im vorliegenden Fall nicht eingeräumt. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 29.01.2014 - A 4 K 725/13 -, dessen Vollstreckung begehrt wird, ist den Beteiligten am 12.02.2014 zugestellt und am 13.03.2014 rechtkräftig geworden. Die vom Verwaltungsgericht versandte Mitteilung der Rechtskraft ist den Beteiligten jenes Verfahrens am 14.03.2014 (einem Freitag) zugegangen. Der Vollstreckungsgläubiger hat bereits am 01.04.2014, also nur etwas mehr als zwei Wochen nach Zugang der Rechtskraftmitteilung, beim Gericht den Antrag auf Vollstreckung aus dem zuvor genannten Urteil gestellt. Eine solch kurze Frist ist in keinem Fall, vor allem nicht im vorliegenden (Einzel-)Fall, angemessen, auch dann nicht, wenn man berücksichtigt, dass der Vollstreckungsgläubiger die Vollstreckungsschuldnerin zuvor bereits mit zwei Schreiben vom 17.03.2014 und vom 26.03.2014 zum Erlass des mit der Vollstreckung begehrten Bescheids aufgefordert hatte. Zwar erfordert der Erlass eines Bescheids über die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, zu dem die Vollstreckungsschuldnerin im vorliegenden Fall rechtskräftig verurteilt worden war, einerseits keinen allzu großen Verwaltungsaufwand. Doch darf andererseits auch hier nicht verkannt werden, dass zumindest eine sorgfältige Prüfung der maßgeblichen Daten anhand der Akten geboten ist, um insoweit Fehler und damit weitere Verzögerungen zu vermeiden. Vor allem kommt im vorliegenden Fall hinzu, dass die für den Erlass des begehrten Bescheids (allein) zuständige Behörde, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, durch einen enormen Anstieg von Asylanträgen im Jahr 2013 und vor allem auch zu Beginn des Jahres 2014 einer kurzfristig kaum zu bewältigenden Überbelastung ausgesetzt ist, was allgemein und insbesondere auch dem Prozessbevollmächtigten des Vollstreckungsgläubigers bekannt ist. Eine solche (Ausnahme-)Situation wird auch im Geltungsbereich des § 75 VwGO als zureichender Grund für eine Verzögerung anerkannt (siehe hierzu Kopp/Schenke, a.a.O., § 75 RdNr. 13, m.w.N.) und kann auch im Rahmen von § 172 VwGO als Grund für eine Säumnis der Behörde bei der Erfüllung eines titulierten Anspruchs herangezogen werden (vgl. hierzu Schmidt-Kötters, a.a.O., § 172 RdNr. 21.1, m.w.N.; Heckmann, a.a.O., § 172 RdNr. 58).
An dieser Beurteilung vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass der mit der Vollstreckung begehrte Bescheid erst am 07.04.2014 erlassen worden und dem Vollstreckungsgläubiger erst am 17.04.2014, also weitere ca. zwei Wochen nach Stellung des Vollstreckungsantrags, zugegangen ist. Denn zum einen liegen auch diese weiteren verstrichenen Zeiträume noch innerhalb der angemessenen Frist, die der Vollstreckungsschuldnerin nach den vorstehenden Ausführungen hier zur Erfüllung ihrer im Urteil aufgegebenen Verpflichtung zur Verfügung stand, und zum anderen kommt es für die Beantwortung der (Rechts-)Frage, ob eine Vollstreckungsmaßnahme bereits notwendig und ein Vollstreckungsantrag somit zulässig ist, auf den Zeitpunkt der Stellung des Vollstreckungsantrags beim Gericht und nicht auf spätere Zeitpunkte an (vgl. VG Cottbus, Beschluss vom 01.02.2010 - 6 M 15/09 -, juris; in diesem Sinne auch BVerfG, Beschluss vom 10.12.1998, a.a.O.).
10 
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG; vgl. auch §§ 92 Abs. 3 Satz 2 analog und 158 Abs. 2 VwGO).

Tenor

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 5.000 € festgesetzt.


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(1) Vollstreckt wird

1.
aus rechtskräftigen und aus vorläufig vollstreckbaren gerichtlichen Entscheidungen,
2.
aus einstweiligen Anordnungen,
3.
aus gerichtlichen Vergleichen,
4.
aus Kostenfestsetzungsbeschlüssen,
5.
aus den für vollstreckbar erklärten Schiedssprüchen öffentlich-rechtlicher Schiedsgerichte, sofern die Entscheidung über die Vollstreckbarkeit rechtskräftig oder für vorläufig vollstreckbar erklärt ist.

(2) Für die Vollstreckung können den Beteiligten auf ihren Antrag Ausfertigungen des Urteils ohne Tatbestand und ohne Entscheidungsgründe erteilt werden, deren Zustellung in den Wirkungen der Zustellung eines vollständigen Urteils gleichsteht.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

Tenor

Nach Erledigung des Vollstreckungsverfahrens werden die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens den Vollstreckungsgläubigern auferlegt.


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Entscheidungen in Rechtsstreitigkeiten nach diesem Gesetz können vorbehaltlich des § 133 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung nicht mit der Beschwerde angefochten werden.