Verwaltungsgericht München Beschluss, 07. Apr. 2017 - M 17 V 17.34514
Tenor
I. Das Vollstreckungsverfahren wird eingestellt.
II. Die Kosten des gerichtskostenfreien Vollstreckungsverfahrens hat der Antragsteller und Vollstreckungsgläubiger zu tragen.
Gründe
I.
die Antragsgegnerin unter Fristsetzung und Androhung eines Zwangsgeldes zu verpflichten, dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München
II.
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Urteil einreichenVerwaltungsgericht München Beschluss, 07. Apr. 2017 - M 17 V 17.34514 zitiert oder wird zitiert von 6 Urteil(en).
Tenor
I.
Die Beklagte wird unter entsprechender Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom
II.
Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger stellte am ... November 2009 als staatenloser Araber aus dem Westjordanland (Palästinensische Autonomiegebiete/Provinz Nablus) einen Asylantrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt). Dabei machte er im Wesentlichen gesundheitsbezogene Abschiebungsverbote geltend sowie die bestehenden Repressionen der israelischen Armee gegenüber den Palästinensern im israelisch besetzten Westjordanland.
Mit Bescheid vom 22. September 2010 lehnte das Bundesamt die Anerkennung des Klägers als Asylberechtigten ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und der Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG a. F. nicht vorliegen und forderte den Kläger auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen. Zugleich wurde ihm die Abschiebung nach Israel (Westjordanland) oder einen anderen Staat, in den der Kläger einreisen darf oder der zu seiner Rücknahme verpflichtet ist, angedroht, sollte der Kläger die Ausreisefrist nicht einhalten. Die dagegen vor dem Verwaltungsgericht Regensburg (Az. RN 6 K 10.30400) am 8. Oktober 2010 erhobene Klage nahm die Bevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom 8. Februar 2011 zurück.
Am
Seine PTBS sei stark ausgeprägt. Es bestehe ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den berichteten Ereignissen und seiner psychischen Erkrankung. Eine Abschiebung in das Herkunftsland würde einer Reaktualisierung der erlebten Traumata gleichkommen, da der Vorgang der Abschiebung den Kläger in einen Zustand der Hilflosigkeit versetzen würde. Im Herkunftsland, dem Ort der Traumatisierung, wäre zu erwarten, dass er angesichts der allgegenwärtigen Auslösereize immer wieder quälende Intrusionen durchmachen würde, wobei er diese unkontrollierbaren Erinnerungen als real erleben würde, was zu einer Überflutung mit belastendem Material führen würde. Unter derartigen Belastungen sei eine psychische Dekompensation sehr wahrscheinlich. Auch sei zu erwarten, dass der Kläger seine Schwester nicht vor seinem Cousin schützen könnte, was den Kläger enorm unter Stress setzen würde. Unter derartigen Belastungen müsse im Falle einer Abschiebung mit einer erheblichen psychischen Destabilisierung bis hin zum Kontrollverlust und Kurzschlusshandlung mit Fremd- oder Selbstgefährdung gerechnet werden.
Mit E-Mail vom ... und ... Dezember 2013 teilte die Regierung von Oberbayern der Ausländerbehörde des Landratsamtes ... mit, dass der Kläger bisher eine falsche Staatsangehörigkeit angegeben habe, da er jordanischer Staatsangehöriger sei. Ein entsprechender Nationalpass liege ausweislich des Ausländerzentralregisters für ihn vor.
Die Bevollmächtigte des Klägers legte mit Schriftsatz vom
Nach dem psychologischen Befundbericht vom ... August 2015 der Dipl.-Psychologin und Psychotherapeutin ... von ... leide der Kläger unter einer ausgeprägten PTBS (ICD-10, F43.1), komorbid an einer rezidivierenden depressiven Störung, derzeit mittelgradige depressive Episode (ICD-10, F33.1) sowie an einer generalisierten Angststörung (ICD-10, F41.1) und an körperlichen Beschwerden. Das Gefährliche bei einer Abschiebung nach Jordanien wäre für ihn, dass er umgehend an Polizei und Geheimdienst überstellt werden könnte. Erfahrungsgemäß würde er auf unbestimmte Zeit verhört werden, da die jordanischen Behörden bei abgeschobenen Rückkehrern davon ausgingen, dass entweder Terrorismusverdacht bestünde oder er von Deutschland aus als Spion eingeschleust würde. Darüber hinaus habe er in Jordanien keinerlei Anbindungen und Kontakte und auch keine Unterkunft. Fraglich sei zudem, ob er mit seinem stark eingeschränkten Sehvermögen jemals Arbeit finden könne, da dies bereits in der Vergangenheit ein großes Hindernis dargestellt habe. Eine Abschiebung in das Herkunftsland oder nach Jordanien würde einer Reaktualisierung der erlebten Traumata gleichkommen, da der Vorgang der Abschiebung den Kläger in einen Zustand der Hilflosigkeit versetzen würde. Er wäre dem Abschiebungsvorgang genauso ausgeliefert wie seinerzeit den traumatischen Gewalterlebnissen in seinem Herkunftsland. Es müsse mit einer erheblichen psychischen Destabilisierung bis hin zum Kontrollverlust gerechnet werden. Unter derartigen Belastungen könnte es auch zu einer Kurzschlusshandlung mit Suizidgefahr kommen.
Mit Bescheid vom
Zur Begründung führt das Bundesamt im Bescheid aus: Das Verfahren sei wieder zu eröffnen gewesen, da eine Prüfung für den jetzt festgestellten Zielstaat (Jordanien) noch nicht erfolgt gewesen sei. Zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG lägen hinsichtlich Jordanien nicht vor. Die vorgelegten psychologischen Befundberichte vom ... Januar 2015 und ... August 2014 würden bereits keine notwendigen nachvollziehbaren Diagnosen psychischer Erkrankungen des Klägers, insbesondere einer PTBS, wiedergeben. Die Abschiebungsandrohung sei auf den neuen Zielstaat zu ändern gewesen. Im Übrigen wird auf den Inhalt des Bescheides Bezug genommen.
Die Bevollmächtigte des Klägers erhob mit Schriftsatz vom 19. Oktober 2015, dem Bayerischen Verwaltungsgericht München
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes vom
Bereits im August 2014 habe er der Ausländerbehörde mitgeteilt, dass er die jordanische Staatsangehörigkeit besitze. Am ... September 2014, das heißt vor mehr als einem Jahr, sei der Ausländerbehörde der jordanische Reisepass des Klägers übersandt worden. Auch dem Bundesamt sei am ... September 2014 mitgeteilt worden, dass der Kläger die jordanische Staatsangehörigkeit besitze. Der Kläger sei schwerwiegend psychisch erkrankt und stehe seit drei Jahren in ständiger psychiatrischer und psychotherapeutischer Behandlung. Obwohl es sich bei Jordanien nicht um ein extrem armes Land handele, seien die psychiatrischen Behandlungsmöglichkeiten sehr beschränkt. Aus einem Bericht von IREN vom 1. November 2007 ergebe sich, dass es - jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt - in Jordanien nur zwei psychiatrische Krankenhäuser gegeben habe. Neuere Berichte des UNHCR und anderer Hilfsorganisationen würden sich ausschließlich mit den Behandlungsmöglichkeiten für die inzwischen nach Jordanien geflohenen syrischen Flüchtlinge beschäftigen. Zu dieser Personengruppe gehöre der Kläger nicht. Es stehe außer Frage, dass viele syrische Flüchtlinge, die in Jordanien leben, psychiatrischer und psychotherapeutischer Hilfe benötigten. Um diese Zielgruppe würden sich viele Nichtregierungsorganisationen kümmern, ohne jedoch den tatsächlichen Bedarf decken zu können. Als Jordanien-Palästinenser werde der Kläger als Staatsbürger „zweiter Klasse“ behandelt. Die UNRWA habe die Mittel kürzen müssen und könne die palästinensischen Flüchtlinge in Jordanien nicht mehr in vollem Umfang unterstützen. Es sei nicht davon auszugehen, dass der Kläger, dessen Familie in Deutschland und im europäischen Ausland lebe, bei einer Rückkehr nach Jordanien in der Lage wäre, die benötigte Behandlung zu erlangen. Es bestünde die konkrete Gefahr, dass sich der Gesundheitszustand des Klägers alsbald nach der Abschiebung wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlimmern würde. Zugleich wurde ein nervenärztliches Attest der Fachärztin für Psychiatrie, ..., vom ... Oktober 2015 vorgelegt, in dem bestätigt werde, dass der Kläger an einer PTBS mit schweren Schlafstörungen, Angstattacken, erhöhter Ängstlichkeit und Schreckhaftigkeit leide. Er bekomme ein Psychopharmakon, das ihm helfe, etwas Ruhe zu finden und zumindest zeitweise schlafen zu können.
Das Bundesamt übersandte mit Schreiben vom
Das Verwaltungsgericht München stellte mit Beschluss vom 25. Februar 2016 die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 2. Oktober 2015 wieder her (M 17 S 15.31389) und ordnete mit Beschluss vom 5. April 2016 die Einholung eines Sachverständigengutachtens an.
Unter dem ... Oktober 2016 erstattete das Klinikum der Universität ... und ... für Psychiatrie und Psychotherapie, Abteilung für Forensische Psychiatrie, Prof. ... ein psychiatrisches Gutachten. Es kommt zum Ergebnis, dass beim Kläger eine Anpassungsstörung mit depressiver Symptomatik aufgrund langandauernder psychosozialer Belastungsfaktoren (ICD-10: F43.2) und eine mittelgradige Depression (ICD-10: F32.1) vorliegen.
Die Klägerbevollmächtigte vertrat dazu mit Schreiben vom
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte in diesem Verfahren und im Verfahren M 17 S 15.31389 sowie auf die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
Gründe
Die zulässige Klage, über die mit Einverständnis der Klagepartei (Schriftsatz vom
Der Kläger hat Anspruch darauf, dass die Beklagte unter entsprechender Aufhebung ihres Bescheids vom
Die Voraussetzungen des § 71 AsylG i. V. m. § 51 VwVfG für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens liegen hier unbestritten vor, da eine Prüfung von Abschiebungsverboten für den jetzt festgestellten Zielstaat Jordanien noch nicht erfolgt ist. Insbesondere ist der am 15. Februar 2013 gestellte Asylfolgeantrag innerhalb von 3 Monaten ab Kenntnis des Grundes für das Wiederaufgreifen gestellt worden (vgl. § 51 Abs. 3 VwVfG), nachdem dem Kläger erstmalig mit dem psychologischen Befundbericht der Dipl.-Psychologin und Psychologischen Psychotherapeutin Frau ..., ..., vom ... Januar 2013 eine ernste psychische Erkrankung attestiert worden ist. Auf den Asylfolgeantrag des Klägers hin ist die Beklagte auch zur Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu verpflichten, weil zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 AsylG) beim Kläger aufgrund einer gutachterlich festgestellten schweren psychischen Erkrankung ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot vorliegt.
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Umfasst werden von dieser Vorschrift nur sogenannte zielstaatsbezogene, individuell bestimmte Gefährdungssituationen. Die Vorschrift kann einen Anspruch auf Abschiebungsschutz begründen, wenn die Gefahr besteht, dass sich die Krankheit eines ausreisepflichtigen Ausländers in seinem Herkunftsland wesentlich verschlechtert. Für die Bestimmung der „Gefahr“ gilt der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, d. h. die drohende Rechtsgutverletzung darf nicht nur im Bereich des Möglichen liegen, sondern muss mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein (BVerwG, B. v. 2.11.1995 - 9 B 710/94 - juris). Eine Gefahr ist „erheblich“, wenn eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität zu erwarten ist. Das wäre der Fall, wenn sich der Gesundheitszustand des Ausländers wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern würde. Eine wesentliche Verschlechterung ist nicht schon bei einer befürchteten ungünstigen Entwicklung des Gesundheitszustandes anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden. Außerdem muss die Gefahr konkret sein, was voraussetzt, dass die Verschlechterung des Gesundheitszustands alsbald nach der Rückkehr des Betroffenen in sein Herkunftsland eintreten wird, weil er auf die dort unzureichenden Möglichkeiten zur Behandlung seiner Leiden angewiesen wäre und anderswo wirksame Hilfe nicht in Anspruch nehmen könnte (vgl. BVerwG, U. v. 29.7.1999 - 9 C 2/99 - juris Rn. 8). Der Abschiebungsschutz aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG dient hingegen nicht dazu, eine bestehende Erkrankung optimal zu behandeln oder ihre Heilungschancen zu verbessern. Diese Vorschrift begründet insbesondere keinen Anspruch auf Teilhabe am medizinischen Fortschritt und Standard in der medizinischen Versorgung in Deutschland (vgl. VG Arnsberg, B. v. 23.2.2016 - 5 L 242/16.A - juris Rn. 64 m. w. N.).
Mit der ab dem
Zwar begründet eine Selbstmordgefahr, die in Verbindung mit einer bevorstehenden Abschiebung steht, kein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, sondern allenfalls ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis, das gemäß § 60a AufenthG gegenüber der Ausländerbehörde geltend zu machen ist (BVerfG, B. v. 26.2.1998 - 2 BvR 185/98 - juris). Das Gericht ist aber davon überzeugt, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Jordanien wegen seiner psychischen Erkrankung alsbald in eine lebensbedrohliche Situation geraten würde.
Eine lebensbedrohliche Situation ist für den Kläger bei einer Rückkehr nach Jordanien zu befürchten, weil der Kläger an einer Anpassungsstörung mit depressiver Symptomatik aufgrund langandauernder Belastungsfaktoren (ICD-10: F43.2) und einer mittelgradigen Depression (ICD-10:F32.1) leidet und eine medizinische Behandlung des Klägers in Jordanien jedenfalls nicht finanzierbar und damit erreichbar ist.
Das 24 Seiten umfassende psychiatrische Gutachten von Prof. ... und Frau ... (Klinikum der ... für Psychiatrie und Psychotherapie, Abteilung für ...) vom ... Oktober 2016, das aufgrund des Beweisbeschlusses des Verwaltungsgerichts München
Dieses fachärztliche Gutachten ist nachvollziehbar und enthält keine Widersprüche oder strukturellen Mängel.
Es bestätigt - mit Ausnahme einer bestehenden PTBS - in wesentlichen Teilen die vorliegenden psychologischen Befundberichte vom ... Januar 2013 von ..., Dipl. Psychologin/Psychologische Psychotherapeutin, ... und vom ... August 2015 der Dipl.-Psychologin und Psychotherapeutin ...
Es ist zudem nicht davon auszugehen, dass dem Kläger eine adäquate psychiatrische Behandlung einschließlich einer medikamentösen Therapie, auf die der Kläger angewiesen ist, in seinem Herkunftsland Jordanien trotz der prinzipiell existierenden Behandlungsmöglichkeiten nicht zur Verfügung steht. Ausweislich der Auskunft der Deutschen Botschaft in Amman vom ... November 2015 sind psychiatrische Erkrankungen und speziell Depressionen zwar grundsätzlich in Jordanien behandelbar. Jedoch wird die Behandlung von psychiatrischen Erkrankungen generell nicht von der freiwilligen Krankenversicherung abgedeckt (VG Würzburg, U. v. 19.02.2016 - W 2 K 13.30028 - UA S. 15). In der Regel ist eine Behandlung für Mittellose bzw. nicht Krankenversicherte nicht möglich. Eine Behandlung (ebenso eine aufsuchende Behandlung) ist kostenpflichtig.
Gemessen an den vorliegenden Erkenntnissen wäre dem Kläger aufgrund fehlender finanzieller Mittel ein Zugang zu einer aufsuchenden Behandlung und Medikamenten verwehrt. Unter Zugrundelegung der Auskunftslage müsste der Kläger mangels Leistungen durch die Krankenversicherung sowohl die Kosten für eine aufsuchende fachärztliche Betreuung als auch für die Medikation selbst aufbringen. Obwohl er derzeit in Deutschland einer beruflichen Tätigkeit nachgeht und einer seiner Brüder in Jordanien lebt, ist nicht damit zu rechnen, dass der ungelernte Kläger aufgrund seiner Schwerbehinderung mit einem Grad der Behinderung von 50, des Verlusts eines Auges, seiner Herkunft aus dem Westjordanland und seines derzeitigen Gesundheitszustandes in der Lage sein wird, neben seinem Lebensunterhalt die Kosten seiner gesundheitlichen Versorgung zu erwirtschaften. Unter diesen Voraussetzungen wäre es dem Kläger mangels hinreichender finanzieller Mittel nicht möglich, die benötigte psychiatrische Versorgung in Jordanien zu erreichen. Infolgedessen besteht die konkrete Gefahr, dass sich die psychische Krankheit des Klägers in Jordanien erheblich verschlimmert.
Nach alledem ist das Gericht davon überzeugt, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Jordanien in eine ausweglose Situation geraten würde. Selbst wenn der Gefahr eines Selbstmords im Zusammenhang mit der Abschiebung durch ärztliche Begleitung vor und während der Abschiebung entgegengewirkt werden könnte, besteht bei einer Rückkehr des Klägers nach Jordanien derzeit eine erhebliche konkrete Gefahr für das Leben des aktuell (im Hinblick auf die üblicherweise zeitliche Limitierung der Anpassungsstörung) psychisch kranken Klägers.
Vor diesem Hintergrund bejaht das Gericht beim Kläger das Vorliegen eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Der Klage wird daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattgegeben. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei (§ 83b AsylG). Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.
(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.
(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.
(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.
(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.
(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.
(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.
(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.
(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.
(11) (weggefallen)
Tenor
I.
Die Beklagte wird unter entsprechender Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom
II.
Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger stellte am ... November 2009 als staatenloser Araber aus dem Westjordanland (Palästinensische Autonomiegebiete/Provinz Nablus) einen Asylantrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt). Dabei machte er im Wesentlichen gesundheitsbezogene Abschiebungsverbote geltend sowie die bestehenden Repressionen der israelischen Armee gegenüber den Palästinensern im israelisch besetzten Westjordanland.
Mit Bescheid vom 22. September 2010 lehnte das Bundesamt die Anerkennung des Klägers als Asylberechtigten ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und der Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG a. F. nicht vorliegen und forderte den Kläger auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen. Zugleich wurde ihm die Abschiebung nach Israel (Westjordanland) oder einen anderen Staat, in den der Kläger einreisen darf oder der zu seiner Rücknahme verpflichtet ist, angedroht, sollte der Kläger die Ausreisefrist nicht einhalten. Die dagegen vor dem Verwaltungsgericht Regensburg (Az. RN 6 K 10.30400) am 8. Oktober 2010 erhobene Klage nahm die Bevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom 8. Februar 2011 zurück.
Am
Seine PTBS sei stark ausgeprägt. Es bestehe ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den berichteten Ereignissen und seiner psychischen Erkrankung. Eine Abschiebung in das Herkunftsland würde einer Reaktualisierung der erlebten Traumata gleichkommen, da der Vorgang der Abschiebung den Kläger in einen Zustand der Hilflosigkeit versetzen würde. Im Herkunftsland, dem Ort der Traumatisierung, wäre zu erwarten, dass er angesichts der allgegenwärtigen Auslösereize immer wieder quälende Intrusionen durchmachen würde, wobei er diese unkontrollierbaren Erinnerungen als real erleben würde, was zu einer Überflutung mit belastendem Material führen würde. Unter derartigen Belastungen sei eine psychische Dekompensation sehr wahrscheinlich. Auch sei zu erwarten, dass der Kläger seine Schwester nicht vor seinem Cousin schützen könnte, was den Kläger enorm unter Stress setzen würde. Unter derartigen Belastungen müsse im Falle einer Abschiebung mit einer erheblichen psychischen Destabilisierung bis hin zum Kontrollverlust und Kurzschlusshandlung mit Fremd- oder Selbstgefährdung gerechnet werden.
Mit E-Mail vom ... und ... Dezember 2013 teilte die Regierung von Oberbayern der Ausländerbehörde des Landratsamtes ... mit, dass der Kläger bisher eine falsche Staatsangehörigkeit angegeben habe, da er jordanischer Staatsangehöriger sei. Ein entsprechender Nationalpass liege ausweislich des Ausländerzentralregisters für ihn vor.
Die Bevollmächtigte des Klägers legte mit Schriftsatz vom
Nach dem psychologischen Befundbericht vom ... August 2015 der Dipl.-Psychologin und Psychotherapeutin ... von ... leide der Kläger unter einer ausgeprägten PTBS (ICD-10, F43.1), komorbid an einer rezidivierenden depressiven Störung, derzeit mittelgradige depressive Episode (ICD-10, F33.1) sowie an einer generalisierten Angststörung (ICD-10, F41.1) und an körperlichen Beschwerden. Das Gefährliche bei einer Abschiebung nach Jordanien wäre für ihn, dass er umgehend an Polizei und Geheimdienst überstellt werden könnte. Erfahrungsgemäß würde er auf unbestimmte Zeit verhört werden, da die jordanischen Behörden bei abgeschobenen Rückkehrern davon ausgingen, dass entweder Terrorismusverdacht bestünde oder er von Deutschland aus als Spion eingeschleust würde. Darüber hinaus habe er in Jordanien keinerlei Anbindungen und Kontakte und auch keine Unterkunft. Fraglich sei zudem, ob er mit seinem stark eingeschränkten Sehvermögen jemals Arbeit finden könne, da dies bereits in der Vergangenheit ein großes Hindernis dargestellt habe. Eine Abschiebung in das Herkunftsland oder nach Jordanien würde einer Reaktualisierung der erlebten Traumata gleichkommen, da der Vorgang der Abschiebung den Kläger in einen Zustand der Hilflosigkeit versetzen würde. Er wäre dem Abschiebungsvorgang genauso ausgeliefert wie seinerzeit den traumatischen Gewalterlebnissen in seinem Herkunftsland. Es müsse mit einer erheblichen psychischen Destabilisierung bis hin zum Kontrollverlust gerechnet werden. Unter derartigen Belastungen könnte es auch zu einer Kurzschlusshandlung mit Suizidgefahr kommen.
Mit Bescheid vom
Zur Begründung führt das Bundesamt im Bescheid aus: Das Verfahren sei wieder zu eröffnen gewesen, da eine Prüfung für den jetzt festgestellten Zielstaat (Jordanien) noch nicht erfolgt gewesen sei. Zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG lägen hinsichtlich Jordanien nicht vor. Die vorgelegten psychologischen Befundberichte vom ... Januar 2015 und ... August 2014 würden bereits keine notwendigen nachvollziehbaren Diagnosen psychischer Erkrankungen des Klägers, insbesondere einer PTBS, wiedergeben. Die Abschiebungsandrohung sei auf den neuen Zielstaat zu ändern gewesen. Im Übrigen wird auf den Inhalt des Bescheides Bezug genommen.
Die Bevollmächtigte des Klägers erhob mit Schriftsatz vom 19. Oktober 2015, dem Bayerischen Verwaltungsgericht München
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes vom
Bereits im August 2014 habe er der Ausländerbehörde mitgeteilt, dass er die jordanische Staatsangehörigkeit besitze. Am ... September 2014, das heißt vor mehr als einem Jahr, sei der Ausländerbehörde der jordanische Reisepass des Klägers übersandt worden. Auch dem Bundesamt sei am ... September 2014 mitgeteilt worden, dass der Kläger die jordanische Staatsangehörigkeit besitze. Der Kläger sei schwerwiegend psychisch erkrankt und stehe seit drei Jahren in ständiger psychiatrischer und psychotherapeutischer Behandlung. Obwohl es sich bei Jordanien nicht um ein extrem armes Land handele, seien die psychiatrischen Behandlungsmöglichkeiten sehr beschränkt. Aus einem Bericht von IREN vom 1. November 2007 ergebe sich, dass es - jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt - in Jordanien nur zwei psychiatrische Krankenhäuser gegeben habe. Neuere Berichte des UNHCR und anderer Hilfsorganisationen würden sich ausschließlich mit den Behandlungsmöglichkeiten für die inzwischen nach Jordanien geflohenen syrischen Flüchtlinge beschäftigen. Zu dieser Personengruppe gehöre der Kläger nicht. Es stehe außer Frage, dass viele syrische Flüchtlinge, die in Jordanien leben, psychiatrischer und psychotherapeutischer Hilfe benötigten. Um diese Zielgruppe würden sich viele Nichtregierungsorganisationen kümmern, ohne jedoch den tatsächlichen Bedarf decken zu können. Als Jordanien-Palästinenser werde der Kläger als Staatsbürger „zweiter Klasse“ behandelt. Die UNRWA habe die Mittel kürzen müssen und könne die palästinensischen Flüchtlinge in Jordanien nicht mehr in vollem Umfang unterstützen. Es sei nicht davon auszugehen, dass der Kläger, dessen Familie in Deutschland und im europäischen Ausland lebe, bei einer Rückkehr nach Jordanien in der Lage wäre, die benötigte Behandlung zu erlangen. Es bestünde die konkrete Gefahr, dass sich der Gesundheitszustand des Klägers alsbald nach der Abschiebung wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlimmern würde. Zugleich wurde ein nervenärztliches Attest der Fachärztin für Psychiatrie, ..., vom ... Oktober 2015 vorgelegt, in dem bestätigt werde, dass der Kläger an einer PTBS mit schweren Schlafstörungen, Angstattacken, erhöhter Ängstlichkeit und Schreckhaftigkeit leide. Er bekomme ein Psychopharmakon, das ihm helfe, etwas Ruhe zu finden und zumindest zeitweise schlafen zu können.
Das Bundesamt übersandte mit Schreiben vom
Das Verwaltungsgericht München stellte mit Beschluss vom 25. Februar 2016 die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 2. Oktober 2015 wieder her (M 17 S 15.31389) und ordnete mit Beschluss vom 5. April 2016 die Einholung eines Sachverständigengutachtens an.
Unter dem ... Oktober 2016 erstattete das Klinikum der Universität ... und ... für Psychiatrie und Psychotherapie, Abteilung für Forensische Psychiatrie, Prof. ... ein psychiatrisches Gutachten. Es kommt zum Ergebnis, dass beim Kläger eine Anpassungsstörung mit depressiver Symptomatik aufgrund langandauernder psychosozialer Belastungsfaktoren (ICD-10: F43.2) und eine mittelgradige Depression (ICD-10: F32.1) vorliegen.
Die Klägerbevollmächtigte vertrat dazu mit Schreiben vom
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte in diesem Verfahren und im Verfahren M 17 S 15.31389 sowie auf die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
Gründe
Die zulässige Klage, über die mit Einverständnis der Klagepartei (Schriftsatz vom
Der Kläger hat Anspruch darauf, dass die Beklagte unter entsprechender Aufhebung ihres Bescheids vom
Die Voraussetzungen des § 71 AsylG i. V. m. § 51 VwVfG für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens liegen hier unbestritten vor, da eine Prüfung von Abschiebungsverboten für den jetzt festgestellten Zielstaat Jordanien noch nicht erfolgt ist. Insbesondere ist der am 15. Februar 2013 gestellte Asylfolgeantrag innerhalb von 3 Monaten ab Kenntnis des Grundes für das Wiederaufgreifen gestellt worden (vgl. § 51 Abs. 3 VwVfG), nachdem dem Kläger erstmalig mit dem psychologischen Befundbericht der Dipl.-Psychologin und Psychologischen Psychotherapeutin Frau ..., ..., vom ... Januar 2013 eine ernste psychische Erkrankung attestiert worden ist. Auf den Asylfolgeantrag des Klägers hin ist die Beklagte auch zur Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu verpflichten, weil zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 AsylG) beim Kläger aufgrund einer gutachterlich festgestellten schweren psychischen Erkrankung ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot vorliegt.
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Umfasst werden von dieser Vorschrift nur sogenannte zielstaatsbezogene, individuell bestimmte Gefährdungssituationen. Die Vorschrift kann einen Anspruch auf Abschiebungsschutz begründen, wenn die Gefahr besteht, dass sich die Krankheit eines ausreisepflichtigen Ausländers in seinem Herkunftsland wesentlich verschlechtert. Für die Bestimmung der „Gefahr“ gilt der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, d. h. die drohende Rechtsgutverletzung darf nicht nur im Bereich des Möglichen liegen, sondern muss mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein (BVerwG, B. v. 2.11.1995 - 9 B 710/94 - juris). Eine Gefahr ist „erheblich“, wenn eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität zu erwarten ist. Das wäre der Fall, wenn sich der Gesundheitszustand des Ausländers wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern würde. Eine wesentliche Verschlechterung ist nicht schon bei einer befürchteten ungünstigen Entwicklung des Gesundheitszustandes anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden. Außerdem muss die Gefahr konkret sein, was voraussetzt, dass die Verschlechterung des Gesundheitszustands alsbald nach der Rückkehr des Betroffenen in sein Herkunftsland eintreten wird, weil er auf die dort unzureichenden Möglichkeiten zur Behandlung seiner Leiden angewiesen wäre und anderswo wirksame Hilfe nicht in Anspruch nehmen könnte (vgl. BVerwG, U. v. 29.7.1999 - 9 C 2/99 - juris Rn. 8). Der Abschiebungsschutz aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG dient hingegen nicht dazu, eine bestehende Erkrankung optimal zu behandeln oder ihre Heilungschancen zu verbessern. Diese Vorschrift begründet insbesondere keinen Anspruch auf Teilhabe am medizinischen Fortschritt und Standard in der medizinischen Versorgung in Deutschland (vgl. VG Arnsberg, B. v. 23.2.2016 - 5 L 242/16.A - juris Rn. 64 m. w. N.).
Mit der ab dem
Zwar begründet eine Selbstmordgefahr, die in Verbindung mit einer bevorstehenden Abschiebung steht, kein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, sondern allenfalls ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis, das gemäß § 60a AufenthG gegenüber der Ausländerbehörde geltend zu machen ist (BVerfG, B. v. 26.2.1998 - 2 BvR 185/98 - juris). Das Gericht ist aber davon überzeugt, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Jordanien wegen seiner psychischen Erkrankung alsbald in eine lebensbedrohliche Situation geraten würde.
Eine lebensbedrohliche Situation ist für den Kläger bei einer Rückkehr nach Jordanien zu befürchten, weil der Kläger an einer Anpassungsstörung mit depressiver Symptomatik aufgrund langandauernder Belastungsfaktoren (ICD-10: F43.2) und einer mittelgradigen Depression (ICD-10:F32.1) leidet und eine medizinische Behandlung des Klägers in Jordanien jedenfalls nicht finanzierbar und damit erreichbar ist.
Das 24 Seiten umfassende psychiatrische Gutachten von Prof. ... und Frau ... (Klinikum der ... für Psychiatrie und Psychotherapie, Abteilung für ...) vom ... Oktober 2016, das aufgrund des Beweisbeschlusses des Verwaltungsgerichts München
Dieses fachärztliche Gutachten ist nachvollziehbar und enthält keine Widersprüche oder strukturellen Mängel.
Es bestätigt - mit Ausnahme einer bestehenden PTBS - in wesentlichen Teilen die vorliegenden psychologischen Befundberichte vom ... Januar 2013 von ..., Dipl. Psychologin/Psychologische Psychotherapeutin, ... und vom ... August 2015 der Dipl.-Psychologin und Psychotherapeutin ...
Es ist zudem nicht davon auszugehen, dass dem Kläger eine adäquate psychiatrische Behandlung einschließlich einer medikamentösen Therapie, auf die der Kläger angewiesen ist, in seinem Herkunftsland Jordanien trotz der prinzipiell existierenden Behandlungsmöglichkeiten nicht zur Verfügung steht. Ausweislich der Auskunft der Deutschen Botschaft in Amman vom ... November 2015 sind psychiatrische Erkrankungen und speziell Depressionen zwar grundsätzlich in Jordanien behandelbar. Jedoch wird die Behandlung von psychiatrischen Erkrankungen generell nicht von der freiwilligen Krankenversicherung abgedeckt (VG Würzburg, U. v. 19.02.2016 - W 2 K 13.30028 - UA S. 15). In der Regel ist eine Behandlung für Mittellose bzw. nicht Krankenversicherte nicht möglich. Eine Behandlung (ebenso eine aufsuchende Behandlung) ist kostenpflichtig.
Gemessen an den vorliegenden Erkenntnissen wäre dem Kläger aufgrund fehlender finanzieller Mittel ein Zugang zu einer aufsuchenden Behandlung und Medikamenten verwehrt. Unter Zugrundelegung der Auskunftslage müsste der Kläger mangels Leistungen durch die Krankenversicherung sowohl die Kosten für eine aufsuchende fachärztliche Betreuung als auch für die Medikation selbst aufbringen. Obwohl er derzeit in Deutschland einer beruflichen Tätigkeit nachgeht und einer seiner Brüder in Jordanien lebt, ist nicht damit zu rechnen, dass der ungelernte Kläger aufgrund seiner Schwerbehinderung mit einem Grad der Behinderung von 50, des Verlusts eines Auges, seiner Herkunft aus dem Westjordanland und seines derzeitigen Gesundheitszustandes in der Lage sein wird, neben seinem Lebensunterhalt die Kosten seiner gesundheitlichen Versorgung zu erwirtschaften. Unter diesen Voraussetzungen wäre es dem Kläger mangels hinreichender finanzieller Mittel nicht möglich, die benötigte psychiatrische Versorgung in Jordanien zu erreichen. Infolgedessen besteht die konkrete Gefahr, dass sich die psychische Krankheit des Klägers in Jordanien erheblich verschlimmert.
Nach alledem ist das Gericht davon überzeugt, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Jordanien in eine ausweglose Situation geraten würde. Selbst wenn der Gefahr eines Selbstmords im Zusammenhang mit der Abschiebung durch ärztliche Begleitung vor und während der Abschiebung entgegengewirkt werden könnte, besteht bei einer Rückkehr des Klägers nach Jordanien derzeit eine erhebliche konkrete Gefahr für das Leben des aktuell (im Hinblick auf die üblicherweise zeitliche Limitierung der Anpassungsstörung) psychisch kranken Klägers.
Vor diesem Hintergrund bejaht das Gericht beim Kläger das Vorliegen eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Der Klage wird daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattgegeben. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei (§ 83b AsylG). Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.
(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.
(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.
(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.
(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.
(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.
(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.
(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.
(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.
(11) (weggefallen)
Tenor
I.
Die Beklagte wird unter entsprechender Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom
II.
Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger stellte am ... November 2009 als staatenloser Araber aus dem Westjordanland (Palästinensische Autonomiegebiete/Provinz Nablus) einen Asylantrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt). Dabei machte er im Wesentlichen gesundheitsbezogene Abschiebungsverbote geltend sowie die bestehenden Repressionen der israelischen Armee gegenüber den Palästinensern im israelisch besetzten Westjordanland.
Mit Bescheid vom 22. September 2010 lehnte das Bundesamt die Anerkennung des Klägers als Asylberechtigten ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und der Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG a. F. nicht vorliegen und forderte den Kläger auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen. Zugleich wurde ihm die Abschiebung nach Israel (Westjordanland) oder einen anderen Staat, in den der Kläger einreisen darf oder der zu seiner Rücknahme verpflichtet ist, angedroht, sollte der Kläger die Ausreisefrist nicht einhalten. Die dagegen vor dem Verwaltungsgericht Regensburg (Az. RN 6 K 10.30400) am 8. Oktober 2010 erhobene Klage nahm die Bevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom 8. Februar 2011 zurück.
Am
Seine PTBS sei stark ausgeprägt. Es bestehe ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den berichteten Ereignissen und seiner psychischen Erkrankung. Eine Abschiebung in das Herkunftsland würde einer Reaktualisierung der erlebten Traumata gleichkommen, da der Vorgang der Abschiebung den Kläger in einen Zustand der Hilflosigkeit versetzen würde. Im Herkunftsland, dem Ort der Traumatisierung, wäre zu erwarten, dass er angesichts der allgegenwärtigen Auslösereize immer wieder quälende Intrusionen durchmachen würde, wobei er diese unkontrollierbaren Erinnerungen als real erleben würde, was zu einer Überflutung mit belastendem Material führen würde. Unter derartigen Belastungen sei eine psychische Dekompensation sehr wahrscheinlich. Auch sei zu erwarten, dass der Kläger seine Schwester nicht vor seinem Cousin schützen könnte, was den Kläger enorm unter Stress setzen würde. Unter derartigen Belastungen müsse im Falle einer Abschiebung mit einer erheblichen psychischen Destabilisierung bis hin zum Kontrollverlust und Kurzschlusshandlung mit Fremd- oder Selbstgefährdung gerechnet werden.
Mit E-Mail vom ... und ... Dezember 2013 teilte die Regierung von Oberbayern der Ausländerbehörde des Landratsamtes ... mit, dass der Kläger bisher eine falsche Staatsangehörigkeit angegeben habe, da er jordanischer Staatsangehöriger sei. Ein entsprechender Nationalpass liege ausweislich des Ausländerzentralregisters für ihn vor.
Die Bevollmächtigte des Klägers legte mit Schriftsatz vom
Nach dem psychologischen Befundbericht vom ... August 2015 der Dipl.-Psychologin und Psychotherapeutin ... von ... leide der Kläger unter einer ausgeprägten PTBS (ICD-10, F43.1), komorbid an einer rezidivierenden depressiven Störung, derzeit mittelgradige depressive Episode (ICD-10, F33.1) sowie an einer generalisierten Angststörung (ICD-10, F41.1) und an körperlichen Beschwerden. Das Gefährliche bei einer Abschiebung nach Jordanien wäre für ihn, dass er umgehend an Polizei und Geheimdienst überstellt werden könnte. Erfahrungsgemäß würde er auf unbestimmte Zeit verhört werden, da die jordanischen Behörden bei abgeschobenen Rückkehrern davon ausgingen, dass entweder Terrorismusverdacht bestünde oder er von Deutschland aus als Spion eingeschleust würde. Darüber hinaus habe er in Jordanien keinerlei Anbindungen und Kontakte und auch keine Unterkunft. Fraglich sei zudem, ob er mit seinem stark eingeschränkten Sehvermögen jemals Arbeit finden könne, da dies bereits in der Vergangenheit ein großes Hindernis dargestellt habe. Eine Abschiebung in das Herkunftsland oder nach Jordanien würde einer Reaktualisierung der erlebten Traumata gleichkommen, da der Vorgang der Abschiebung den Kläger in einen Zustand der Hilflosigkeit versetzen würde. Er wäre dem Abschiebungsvorgang genauso ausgeliefert wie seinerzeit den traumatischen Gewalterlebnissen in seinem Herkunftsland. Es müsse mit einer erheblichen psychischen Destabilisierung bis hin zum Kontrollverlust gerechnet werden. Unter derartigen Belastungen könnte es auch zu einer Kurzschlusshandlung mit Suizidgefahr kommen.
Mit Bescheid vom
Zur Begründung führt das Bundesamt im Bescheid aus: Das Verfahren sei wieder zu eröffnen gewesen, da eine Prüfung für den jetzt festgestellten Zielstaat (Jordanien) noch nicht erfolgt gewesen sei. Zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG lägen hinsichtlich Jordanien nicht vor. Die vorgelegten psychologischen Befundberichte vom ... Januar 2015 und ... August 2014 würden bereits keine notwendigen nachvollziehbaren Diagnosen psychischer Erkrankungen des Klägers, insbesondere einer PTBS, wiedergeben. Die Abschiebungsandrohung sei auf den neuen Zielstaat zu ändern gewesen. Im Übrigen wird auf den Inhalt des Bescheides Bezug genommen.
Die Bevollmächtigte des Klägers erhob mit Schriftsatz vom 19. Oktober 2015, dem Bayerischen Verwaltungsgericht München
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes vom
Bereits im August 2014 habe er der Ausländerbehörde mitgeteilt, dass er die jordanische Staatsangehörigkeit besitze. Am ... September 2014, das heißt vor mehr als einem Jahr, sei der Ausländerbehörde der jordanische Reisepass des Klägers übersandt worden. Auch dem Bundesamt sei am ... September 2014 mitgeteilt worden, dass der Kläger die jordanische Staatsangehörigkeit besitze. Der Kläger sei schwerwiegend psychisch erkrankt und stehe seit drei Jahren in ständiger psychiatrischer und psychotherapeutischer Behandlung. Obwohl es sich bei Jordanien nicht um ein extrem armes Land handele, seien die psychiatrischen Behandlungsmöglichkeiten sehr beschränkt. Aus einem Bericht von IREN vom 1. November 2007 ergebe sich, dass es - jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt - in Jordanien nur zwei psychiatrische Krankenhäuser gegeben habe. Neuere Berichte des UNHCR und anderer Hilfsorganisationen würden sich ausschließlich mit den Behandlungsmöglichkeiten für die inzwischen nach Jordanien geflohenen syrischen Flüchtlinge beschäftigen. Zu dieser Personengruppe gehöre der Kläger nicht. Es stehe außer Frage, dass viele syrische Flüchtlinge, die in Jordanien leben, psychiatrischer und psychotherapeutischer Hilfe benötigten. Um diese Zielgruppe würden sich viele Nichtregierungsorganisationen kümmern, ohne jedoch den tatsächlichen Bedarf decken zu können. Als Jordanien-Palästinenser werde der Kläger als Staatsbürger „zweiter Klasse“ behandelt. Die UNRWA habe die Mittel kürzen müssen und könne die palästinensischen Flüchtlinge in Jordanien nicht mehr in vollem Umfang unterstützen. Es sei nicht davon auszugehen, dass der Kläger, dessen Familie in Deutschland und im europäischen Ausland lebe, bei einer Rückkehr nach Jordanien in der Lage wäre, die benötigte Behandlung zu erlangen. Es bestünde die konkrete Gefahr, dass sich der Gesundheitszustand des Klägers alsbald nach der Abschiebung wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlimmern würde. Zugleich wurde ein nervenärztliches Attest der Fachärztin für Psychiatrie, ..., vom ... Oktober 2015 vorgelegt, in dem bestätigt werde, dass der Kläger an einer PTBS mit schweren Schlafstörungen, Angstattacken, erhöhter Ängstlichkeit und Schreckhaftigkeit leide. Er bekomme ein Psychopharmakon, das ihm helfe, etwas Ruhe zu finden und zumindest zeitweise schlafen zu können.
Das Bundesamt übersandte mit Schreiben vom
Das Verwaltungsgericht München stellte mit Beschluss vom 25. Februar 2016 die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 2. Oktober 2015 wieder her (M 17 S 15.31389) und ordnete mit Beschluss vom 5. April 2016 die Einholung eines Sachverständigengutachtens an.
Unter dem ... Oktober 2016 erstattete das Klinikum der Universität ... und ... für Psychiatrie und Psychotherapie, Abteilung für Forensische Psychiatrie, Prof. ... ein psychiatrisches Gutachten. Es kommt zum Ergebnis, dass beim Kläger eine Anpassungsstörung mit depressiver Symptomatik aufgrund langandauernder psychosozialer Belastungsfaktoren (ICD-10: F43.2) und eine mittelgradige Depression (ICD-10: F32.1) vorliegen.
Die Klägerbevollmächtigte vertrat dazu mit Schreiben vom
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte in diesem Verfahren und im Verfahren M 17 S 15.31389 sowie auf die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
Gründe
Die zulässige Klage, über die mit Einverständnis der Klagepartei (Schriftsatz vom
Der Kläger hat Anspruch darauf, dass die Beklagte unter entsprechender Aufhebung ihres Bescheids vom
Die Voraussetzungen des § 71 AsylG i. V. m. § 51 VwVfG für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens liegen hier unbestritten vor, da eine Prüfung von Abschiebungsverboten für den jetzt festgestellten Zielstaat Jordanien noch nicht erfolgt ist. Insbesondere ist der am 15. Februar 2013 gestellte Asylfolgeantrag innerhalb von 3 Monaten ab Kenntnis des Grundes für das Wiederaufgreifen gestellt worden (vgl. § 51 Abs. 3 VwVfG), nachdem dem Kläger erstmalig mit dem psychologischen Befundbericht der Dipl.-Psychologin und Psychologischen Psychotherapeutin Frau ..., ..., vom ... Januar 2013 eine ernste psychische Erkrankung attestiert worden ist. Auf den Asylfolgeantrag des Klägers hin ist die Beklagte auch zur Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu verpflichten, weil zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 AsylG) beim Kläger aufgrund einer gutachterlich festgestellten schweren psychischen Erkrankung ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot vorliegt.
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Umfasst werden von dieser Vorschrift nur sogenannte zielstaatsbezogene, individuell bestimmte Gefährdungssituationen. Die Vorschrift kann einen Anspruch auf Abschiebungsschutz begründen, wenn die Gefahr besteht, dass sich die Krankheit eines ausreisepflichtigen Ausländers in seinem Herkunftsland wesentlich verschlechtert. Für die Bestimmung der „Gefahr“ gilt der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, d. h. die drohende Rechtsgutverletzung darf nicht nur im Bereich des Möglichen liegen, sondern muss mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein (BVerwG, B. v. 2.11.1995 - 9 B 710/94 - juris). Eine Gefahr ist „erheblich“, wenn eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität zu erwarten ist. Das wäre der Fall, wenn sich der Gesundheitszustand des Ausländers wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern würde. Eine wesentliche Verschlechterung ist nicht schon bei einer befürchteten ungünstigen Entwicklung des Gesundheitszustandes anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden. Außerdem muss die Gefahr konkret sein, was voraussetzt, dass die Verschlechterung des Gesundheitszustands alsbald nach der Rückkehr des Betroffenen in sein Herkunftsland eintreten wird, weil er auf die dort unzureichenden Möglichkeiten zur Behandlung seiner Leiden angewiesen wäre und anderswo wirksame Hilfe nicht in Anspruch nehmen könnte (vgl. BVerwG, U. v. 29.7.1999 - 9 C 2/99 - juris Rn. 8). Der Abschiebungsschutz aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG dient hingegen nicht dazu, eine bestehende Erkrankung optimal zu behandeln oder ihre Heilungschancen zu verbessern. Diese Vorschrift begründet insbesondere keinen Anspruch auf Teilhabe am medizinischen Fortschritt und Standard in der medizinischen Versorgung in Deutschland (vgl. VG Arnsberg, B. v. 23.2.2016 - 5 L 242/16.A - juris Rn. 64 m. w. N.).
Mit der ab dem
Zwar begründet eine Selbstmordgefahr, die in Verbindung mit einer bevorstehenden Abschiebung steht, kein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, sondern allenfalls ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis, das gemäß § 60a AufenthG gegenüber der Ausländerbehörde geltend zu machen ist (BVerfG, B. v. 26.2.1998 - 2 BvR 185/98 - juris). Das Gericht ist aber davon überzeugt, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Jordanien wegen seiner psychischen Erkrankung alsbald in eine lebensbedrohliche Situation geraten würde.
Eine lebensbedrohliche Situation ist für den Kläger bei einer Rückkehr nach Jordanien zu befürchten, weil der Kläger an einer Anpassungsstörung mit depressiver Symptomatik aufgrund langandauernder Belastungsfaktoren (ICD-10: F43.2) und einer mittelgradigen Depression (ICD-10:F32.1) leidet und eine medizinische Behandlung des Klägers in Jordanien jedenfalls nicht finanzierbar und damit erreichbar ist.
Das 24 Seiten umfassende psychiatrische Gutachten von Prof. ... und Frau ... (Klinikum der ... für Psychiatrie und Psychotherapie, Abteilung für ...) vom ... Oktober 2016, das aufgrund des Beweisbeschlusses des Verwaltungsgerichts München
Dieses fachärztliche Gutachten ist nachvollziehbar und enthält keine Widersprüche oder strukturellen Mängel.
Es bestätigt - mit Ausnahme einer bestehenden PTBS - in wesentlichen Teilen die vorliegenden psychologischen Befundberichte vom ... Januar 2013 von ..., Dipl. Psychologin/Psychologische Psychotherapeutin, ... und vom ... August 2015 der Dipl.-Psychologin und Psychotherapeutin ...
Es ist zudem nicht davon auszugehen, dass dem Kläger eine adäquate psychiatrische Behandlung einschließlich einer medikamentösen Therapie, auf die der Kläger angewiesen ist, in seinem Herkunftsland Jordanien trotz der prinzipiell existierenden Behandlungsmöglichkeiten nicht zur Verfügung steht. Ausweislich der Auskunft der Deutschen Botschaft in Amman vom ... November 2015 sind psychiatrische Erkrankungen und speziell Depressionen zwar grundsätzlich in Jordanien behandelbar. Jedoch wird die Behandlung von psychiatrischen Erkrankungen generell nicht von der freiwilligen Krankenversicherung abgedeckt (VG Würzburg, U. v. 19.02.2016 - W 2 K 13.30028 - UA S. 15). In der Regel ist eine Behandlung für Mittellose bzw. nicht Krankenversicherte nicht möglich. Eine Behandlung (ebenso eine aufsuchende Behandlung) ist kostenpflichtig.
Gemessen an den vorliegenden Erkenntnissen wäre dem Kläger aufgrund fehlender finanzieller Mittel ein Zugang zu einer aufsuchenden Behandlung und Medikamenten verwehrt. Unter Zugrundelegung der Auskunftslage müsste der Kläger mangels Leistungen durch die Krankenversicherung sowohl die Kosten für eine aufsuchende fachärztliche Betreuung als auch für die Medikation selbst aufbringen. Obwohl er derzeit in Deutschland einer beruflichen Tätigkeit nachgeht und einer seiner Brüder in Jordanien lebt, ist nicht damit zu rechnen, dass der ungelernte Kläger aufgrund seiner Schwerbehinderung mit einem Grad der Behinderung von 50, des Verlusts eines Auges, seiner Herkunft aus dem Westjordanland und seines derzeitigen Gesundheitszustandes in der Lage sein wird, neben seinem Lebensunterhalt die Kosten seiner gesundheitlichen Versorgung zu erwirtschaften. Unter diesen Voraussetzungen wäre es dem Kläger mangels hinreichender finanzieller Mittel nicht möglich, die benötigte psychiatrische Versorgung in Jordanien zu erreichen. Infolgedessen besteht die konkrete Gefahr, dass sich die psychische Krankheit des Klägers in Jordanien erheblich verschlimmert.
Nach alledem ist das Gericht davon überzeugt, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Jordanien in eine ausweglose Situation geraten würde. Selbst wenn der Gefahr eines Selbstmords im Zusammenhang mit der Abschiebung durch ärztliche Begleitung vor und während der Abschiebung entgegengewirkt werden könnte, besteht bei einer Rückkehr des Klägers nach Jordanien derzeit eine erhebliche konkrete Gefahr für das Leben des aktuell (im Hinblick auf die üblicherweise zeitliche Limitierung der Anpassungsstörung) psychisch kranken Klägers.
Vor diesem Hintergrund bejaht das Gericht beim Kläger das Vorliegen eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Der Klage wird daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattgegeben. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei (§ 83b AsylG). Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.
(1) Der Kläger kann bis zur Rechtskraft des Urteils seine Klage zurücknehmen. Die Zurücknahme nach Stellung der Anträge in der mündlichen Verhandlung setzt die Einwilligung des Beklagten und, wenn ein Vertreter des öffentlichen Interesses an der mündlichen Verhandlung teilgenommen hat, auch seine Einwilligung voraus. Die Einwilligung gilt als erteilt, wenn der Klagerücknahme nicht innerhalb von zwei Wochen seit Zustellung des die Rücknahme enthaltenden Schriftsatzes widersprochen wird; das Gericht hat auf diese Folge hinzuweisen.
(2) Die Klage gilt als zurückgenommen, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als zwei Monate nicht betreibt. Absatz 1 Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Der Kläger ist in der Aufforderung auf die sich aus Satz 1 und § 155 Abs. 2 ergebenden Rechtsfolgen hinzuweisen. Das Gericht stellt durch Beschluß fest, daß die Klage als zurückgenommen gilt.
(3) Ist die Klage zurückgenommen oder gilt sie als zurückgenommen, so stellt das Gericht das Verfahren durch Beschluß ein und spricht die sich nach diesem Gesetz ergebenden Rechtsfolgen der Zurücknahme aus. Der Beschluß ist unanfechtbar.
(1) Das Gericht hat im Urteil oder, wenn das Verfahren in anderer Weise beendet worden ist, durch Beschluß über die Kosten zu entscheiden.
(2) Ist der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt, so entscheidet das Gericht außer in den Fällen des § 113 Abs. 1 Satz 4 nach billigem Ermessen über die Kosten des Verfahrens durch Beschluß; der bisherige Sach- und Streitstand ist zu berücksichtigen. Der Rechtsstreit ist auch in der Hauptsache erledigt, wenn der Beklagte der Erledigungserklärung des Klägers nicht innerhalb von zwei Wochen seit Zustellung des die Erledigungserklärung enthaltenden Schriftsatzes widerspricht und er vom Gericht auf diese Folge hingewiesen worden ist.
(3) In den Fällen des § 75 fallen die Kosten stets dem Beklagten zur Last, wenn der Kläger mit seiner Bescheidung vor Klageerhebung rechnen durfte.
Kommt die Behörde in den Fällen des § 113 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 5 und des § 123 der ihr im Urteil oder in der einstweiligen Anordnung auferlegten Verpflichtung nicht nach, so kann das Gericht des ersten Rechtszugs auf Antrag unter Fristsetzung gegen sie ein Zwangsgeld bis zehntausend Euro durch Beschluß androhen, nach fruchtlosem Fristablauf festsetzen und von Amts wegen vollstrecken. Das Zwangsgeld kann wiederholt angedroht, festgesetzt und vollstreckt werden.
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
Tenor
Das Verfahren wird eingestellt.
Der Vollstreckungsgläubiger trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
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Tenor
Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 5.000 € festgesetzt.
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G r ü n d e
2Der Antrag des Prozessbevollmächtigten der Vollstreckungsgläubigerin auf Streitwertfestsetzung ist als Antrag auf Festsetzung des Werts des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit im Sinne von § 33 Abs. 1 RVG aufzufassen. Die Festsetzung eines Streitwerts für Gerichtsgebühren nach dem Gerichtskostengesetz, die dann nach § 32 Abs. 1 RVG auch für die Gebühren des Rechtsanwalts maßgebend wäre, scheidet aus. Dies folgt daraus, dass im vorliegenden Verfahren nach § 172 VwGO die Bestimmung des § 83b AsylG anwendbar ist, wonach in Streitigkeiten nach dem Asylgesetz Gerichtskosten nicht erhoben werden. Beantragt – wie hier die Vollstreckungsgläubigerin – ein Ausländer, der im Klageverfahren nach dem Asylgesetz obsiegt hat, die Androhung eines Zwangsgelds gemäß § 172 VwGO, weil das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge seiner durch rechtskräftiges Urteil auferlegten Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht nachgekommen sei, handelt es sich um eine Streitigkeit nach dem Asylgesetz. Hierzu gehören alle Verfahren, die den Zugang zum Asylverfahren, seine Durchführung und seine Rechtsfolgen betreffen. Danach sind Verfahren nach dem Asylgesetz nicht nur die entsprechenden Hauptsacheverfahren und Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, sondern auch sämtliche Nebenverfahren,
3vgl. zu §§ 80, 83b AsylVfG: Hamb. OVG, Beschluss vom 11. März 1999 – 4 So 15/99.A -, juris,
4und damit auch das hier in Rede stehende Vollstreckungsverfahren gemäß § 172 VwGO. Einer Streitwertfestsetzung bedürfte es im Übrigen auch dann nicht, wenn § 83b AsylG nicht anwendbar wäre. Denn das Gerichtskostengesetz sieht für das Verfahren nach § 172 VwGO eine streitwertunabhängige Festgebühr vor (vgl. Nr. 5301 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG).
5Für die Festsetzung des Gegenstandswerts gelten nach § 23 Abs. 1 Satz 1 oder Satz 2 RVG die Wertvorschriften des Gerichtskostengesetzes entsprechend. Nach § 52 Abs. 1 GKG ist in Verfahren unter anderem vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Bei der Bestimmung des wirtschaftlichen Interesses des Antragstellers an einem Vollstreckungsverfahren nach § 172 VwGO ist grundsätzlich von dem Wert des entsprechenden Hauptsacheverfahrens auszugehen. Will der Vollstreckungsgläubiger das in der Hauptsache ergangene Bescheidungsurteil in vollem Umfang durchsetzen, ist das Interesse an der Durchsetzung des Anspruchs nicht geringer als das Interesse an der Feststellung des Anspruchs im Erkenntnisverfahren. Die Höhe des dem Vollstreckungsschuldner angedrohten Zwangsgeldes ist hingegen für die Bewertung des Interesses des Vollstreckungsgläubigers unerheblich. Sie spiegelt nicht das wirtschaftliche Interesse des Vollstreckungsgläubigers wider, sondern beruht allein auf der Einschätzung des Gerichts, dass ein Zwangsgeld in der angedrohten Höhe zur Einwirkung auf den Vollstreckungsschuldner voraussichtlich ausreichend sein wird.
6Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 11. August 2010 – 8 E 555/10 -, juris, mit weiteren Nachweisen, auch zu abweichender Rechtsprechung.
7Nach diesen Maßgaben erscheint es im vorliegenden Fall angemessen, den Gegenstandswert für das Verfahren nach § 172 VwGO auf 5.000,- € festzusetzen.
8Der Gegenstandswert im Erkenntnisverfahren richtete sich nach § 30 Abs. 1 Satz 1 RVG in der für die Zeit vom 1. August 2013 bis zum 23. Oktober 2015 geltenden Fassung (vom 23. Juli 2013, BGBl. I S. 2586), weil über die am 13. März 2014 erhobene Klage der damaligen Klägerin durch Urteil vom 23. Juni 2015 (6 A 644/14.A) entschieden worden ist. Nach § 30 Abs. 1 Satz 1 RVG in dieser Fassung (wie auch in der im Wesentlichen unveränderten aktuellen Fassung vom 20. Oktober 2015, BGBl. I S. 1722) betrug der Gegenstandswert 5.000 €. Dieser Wert ist auch für das Verfahren nach § 172 VwGO anzusetzen. Dabei ist es unerheblich, dass die Klage ursprünglich auf die Asylanerkennung und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie die Feststellung von Abschiebungsverboten gerichtet war, die Vollstreckungsgläubigerin indes lediglich die Vollstreckung hinsichtlich der Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG betrieben hat. Da die früher in § 30 Satz 1 RVG in der Fassung bis zum 31. Juli 2013 (siehe die Fassung vom 22. Dezember 2006, BGBl. I S. 3416) vorgesehene Differenzierung zwischen Klageverfahren, die die Asylanerkennung einschließlich der Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes und die Feststellung von Abschiebungshindernissen einerseits betreffen und sonstigen Klageverfahren mit der Neufassung des § 30 RVG bewusst aufgegeben worden ist,
9vgl. BT-Drucks. 17/11471, S. 269,
10kommt eine solche Differenzierung,
11vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 20. Januar 1994 – 9 B 15.94 -, juris,
12nicht mehr in Betracht und scheidet auch hinsichtlich des Verfahrens nach § 172 VwGO aus.
13Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).
(1) Vollstreckt wird
- 1.
aus rechtskräftigen und aus vorläufig vollstreckbaren gerichtlichen Entscheidungen, - 2.
aus einstweiligen Anordnungen, - 3.
aus gerichtlichen Vergleichen, - 4.
aus Kostenfestsetzungsbeschlüssen, - 5.
aus den für vollstreckbar erklärten Schiedssprüchen öffentlich-rechtlicher Schiedsgerichte, sofern die Entscheidung über die Vollstreckbarkeit rechtskräftig oder für vorläufig vollstreckbar erklärt ist.
(2) Für die Vollstreckung können den Beteiligten auf ihren Antrag Ausfertigungen des Urteils ohne Tatbestand und ohne Entscheidungsgründe erteilt werden, deren Zustellung in den Wirkungen der Zustellung eines vollständigen Urteils gleichsteht.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.
Tenor
Nach Erledigung des Vollstreckungsverfahrens werden die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens den Vollstreckungsgläubigern auferlegt.
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Gründe
2Gemäß § 87 a Abs. 3 und Abs. 1 Nr. 3 VwGO analog ist der Vorsitzende als Berichterstatter zuständig. Denn zum einen erstreckt sich die Einzelrichterübertragung im Erkenntnisverfahren nicht auf das selbstständige Vollstreckungsverfahren.
3Vgl. Kronisch in Sodan/Ziekow, VwGO, Kommentar, 4. Auflage 2014, § 6 Rn. 17; a. A.: Funke-Kaiser in Gemeinschaftskommentar zum Asylverfahrensgesetz (AsylVfG), Band 3 (Stand: Februar 2011), II - 76 Rn. 25.
4Zum anderen ist in einem Fall des § 113 Abs. 5 VwGO bei der Vollstreckung gegen die öffentliche Hand gemäß § 172 Satz 1 VwGO die Zuständigkeit des Gerichts als Spruchkörper gegeben, dessen Beschlussentscheidung in entsprechender Anwendung des § 87 a VwGO vorzubereiten ist.
5Vgl. Ortloff/Risse in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Kommentar, Band 2 (Stand: Oktober 2015), § 87 a Rn. 24.
6Nachdem die Beteiligten das Vollstreckungsverfahren übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist gemäß § 161 Abs. 2 VwGO lediglich noch nach billigem Ermessen und unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes durch Beschluss über die Kosten des Verfahrens, in dem Gerichtskosten nach § 83 b AsylVfG nicht erhoben werden, zu befinden. Es entspricht der Billigkeit, diese den Vollstreckungsgläubigern aufzuerlegen, weil sich der Vollstreckungsantrag aller Voraussicht nach als unzulässig erwiesen hätte.
7Ein Rechtsschutzbedürfnis dürfte angesichts einer verfrühten Antragstellung nicht bestanden haben. Zwar trifft § 172 VwGO selbst keine Regelung dazu, wann ein Vollstreckungsgläubiger einen derartigen Antrag anhängig machen kann. Dem Vollstreckungsschuldner ist jedoch eine angemessene Erfüllungsfrist einzuräumen, deren Dauer sich nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalles bemisst. In der Regel kann bei einem Zeitraum von drei Monaten eine Befolgung der in einem Urteil nach § 113 Abs. 5 VwGO auferlegten Verpflichtung erwartet werden,
8vgl. in diesem Zusammenhang: BVerwG, Beschluss vom 21. Dezember 2001 - 2 AV 3/01 -, NVwZ-RR 2002, 314; Beschluss der Kammer vom 17. September 2012 - 9 M 15/12 -,
9wobei ausnahmsweise auch ein kürzerer Zeiträumen ausreichen kann. Maßgeblich für den Fristbeginn ist der Eintritt der Rechtskraft.
10Vgl. BVerwG, a.a.O.; VG Freiburg, Beschluss vom 24. April 2014 - A 4 K 807/14 -, juris; VG Münster, Beschluss vom 16. Dezember 2015 - 6 M 28/15 -, juris; a. A.: (Zeitpunkt der Zustellung) Heckmann in Sodan/Ziekow, a.a.O., § 172 Rn. 58; Pietzner/Möller in Schoch/Schneider/Bier, a.a.O., § 172 Rn. 33.
11Erst diese bewirkt nämlich die Vollstreckbarkeit nach § 168 Abs. 1 Nr. 1 VwGO, weil eine vorläufige Vollstreckbarkeit bei Verpflichtungsklagen nach § 167 Abs. 2 VwGO nur wegen der Kosten in Betracht kommt. Die Frist ist bis zur Stellung des Vollstreckungsantrages zu bemessen, weil für die Notwendigkeit des Vollstreckungsantrages auf diesen Zeitpunkt abzustellen ist.
12Vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Dezember 1998 - 2 BvR 1516/93 -, juris; BVerwG, a.a.O.; VG Freiburg, a.a.O.
13Hier lag zwischen dem Eintritt der Rechtskraft und der Antragstellung ein Zeitraum von nahezu zwei Monaten, der indes nicht ausreichend erscheint. Für diese Beurteilung ist in den Blick zu nehmen, dass eine rechtskräftige Verurteilung zur Feststellung eines Abschiebungsverbots zwar keinen großen Verwaltungsaufwand bei der Vollstreckungsschuldnerin erfordert. In einer solchen Konstellation dürften zwei Monate ausreichen, wenn sie als allein Rechtsmittelberechtigte für ihr weiteres Vorgehen nicht den Eintritt der Rechtskraft abwarten muss. Dies ist im vorliegenden Verfahren indes nicht der Fall, weil hier die Klage teilweise abgewiesen worden ist. Zudem dürfte die hohe Anzahl an Asylanträgen im Jahre 2015 dafür sprechen, von einer dreimonatigen Regelbearbeitungsdauer auszugehen.
14Dieser Beschluss ist gemäß §§ 158 Abs. 2 VwGO, 80 AsylVfG unanfechtbar.
Entscheidungen in Rechtsstreitigkeiten nach diesem Gesetz können vorbehaltlich des § 133 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung nicht mit der Beschwerde angefochten werden.