Verwaltungsgericht Mainz Urteil, 13. Juli 2016 - 3 K 741/15.MZ

ECLI:ECLI:DE:VGMAINZ:2016:0713.3K741.15.MZ.0A
bei uns veröffentlicht am13.07.2016

Tenor

Die Beklagte wird unter Aufhebung der Bescheide vom 20. September 2014 und vom 20. Februar 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. Juli 2015 verpflichtet, bauaufsichtlich gegen das Bauvorhaben der Beigeladenen auf dem Grundstück Am K. ... in ... W.-H. unter Beachtung der vorhandenen natürlichen Geländeoberfläche auf der Nordseite des Bauvorhabens einzuschreiten.

Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen; die Beigeladenen haben ihre außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt bauaufsichtliches Einschreiten gegen ein dreigeschossiges Nachbargebäude, für das die Bauaufsichtsbehörde die Geländehöhe festgelegt hat.

2

Dem Rechtsvorgänger der Beigeladenen wurde im Januar 1970 auf dem Grundstück Am K. ... in W.-H. ein Einfamilienhaus mit Altenteilerwohnung im Untergeschoss genehmigt. Im Juli 2014 legten die Beigeladenen im Freistellungsverfahren nach § 67 Landesbauordnung der Beklagten Baupläne zur Aufstockung, Erweiterung und energetischen Sanierung des Wohngebäudes vor. Das als Aufstockung zwischenzeitlich verwirklichte, nach Süden zurückgesetzte Dachgeschoss hat eine Grundfläche von 104,73 qm, das darunter liegende Erdgeschoss eine von ca. 205 qm.

3

Das Grundstück der Beigeladenen und das Nachbargrundstück der Klägerin (Am K. ...) liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans HE 18 der Beklagten vom 22. August 1990. Er enthält für diesen Bereich die Festsetzungen „Reines Wohngebiet“, „offene Bauweise“, „ein Vollgeschoss“ und außerdem als örtliche Bauvorschrift die Regelung, dass bei eingeschossiger Bauweise eine Aufkantung (Kniestock) bis zu 0,50 m (gemessen in der Verlängerung der Außenseite Umfassungswand) von Oberkante Rohdecke bis Unterkante Sparren zulässig ist (textliche Festsetzung 2.4).

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Mit Schreiben vom 27. August 2014 beantragte die Klägerin bauaufsichtliches Einschreiten gegen das Bauvorhaben. Es verstoße gegen Festsetzungen des Bebauungsplans, der nur eine eingeschossige Bauweise mit Kniestock zulasse. Das Bestandsgebäude verfüge indes bereits über 2 Vollgeschosse und solle nunmehr um ein weiteres Vollgeschoss erhöht werden. Darüber hinaus beeinträchtige sich ihre Grundstücksituation durch die geplante Aufstockung entlang ihres Grundstücks hinsichtlich Sonnen- und Lichteinfall unzumutbar. Das Abstandsflächenrecht sei außerdem zu beachten.

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Die Beklagte lehnte ein bauaufsichtliches Einschreiten mit Bescheid vom 10. September 2014 ab. Ein Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften sei nicht ersichtlich. Den Festsetzungen des Bebauungsplans hinsichtlich der Zahl der Vollgeschosse und der festgesetzten Kniestockhöhe komme keine nachbar-schützende Bedeutung zu. Abstandsflächenvorschriften würden eingehalten.

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Hiergegen richtete sich der Widerspruch der Klägerin vom 29. September 2014.

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Mit Bescheid vom 20. Februar 2015 legte die Beklagte die Geländeoberfläche nach § 2 Abs. 6 LBauO für die nördliche Seite des Baugrundstücks – zur Grenze des Anwesens der Klägerin – in der Form einer Diagonale durch das vorhandene, etwa 20 m lange und 2,60 m hohe Untergeschoss fest (sog. Eckpunktemethode).

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Auch hiergegen wandte sich die Klägerin mit einem Widerspruch und machte geltend, es bestehe kein Bedürfnis für die Festlegung einer Geländeoberfläche in Abweichung von der (anhand der örtlichen Gegebenheiten und mittels eines geologischen Gutachtens) auch heute noch feststellbaren natürlichen Geländehöhe. Die Festlegung erfolge willkürlich, um den Vorgaben des Bebauungsplans zur Geschossigkeit mit dem Bauvorhaben noch einhalten zu können und Verstöße gegen nachbarschützende Vorschriften zu legalisieren.

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Die Widersprüche wurden mit Widerspruchsbescheid vom 17. Juli 2015 zurückgewiesen. Für das dem Freistellungsverfahren unterfallende Baugesuch habe nur die Feststellung der Vereinbarkeit mit dem Bebauungsplan und die Sicherung der Erschließung geprüft werden müssen. Beide Kriterien seien gegeben. Die Aufstockung sei nicht als Vollgeschoss zu werten, weil sie weniger als zwei Drittel der Grundfläche des darunter liegenden Geschosses umfasse. Nachbarschützende Vorschriften verletze das Bauvorhaben nicht. Eine erdrückende Wirkung gehe von dem nur geringfügig höheren Gebäude der Beigeladenen nicht aus. Die Reduzierung von Tageslicht bzw. Sonnen-einstrahlung sei für das klägerische Grundstück nicht unzumutbar. Die Festlegung der Geländeoberfläche am Bauvorhaben, die zur Klärung der einzuhaltenden Abstandsflächen erforderlich geworden sei, sei auch unter Abwägung der nachbarlichen Interessen rechtmäßig; insbesondere führe sie nicht zu einem Unterlaufen der bauleitplanerischen Festsetzungen. Angesichts der Umstände, dass das Baugrundstück vor mehr als 30 Jahren an der Nachbargrenze abgegraben worden sei, das Grundstück der Klägerin entlang der Grenze höchst unterschiedliche Geländehöhen aufweise und die Höhenverhältnisse der Grundstücke östlich Erschließungsstraße sich glichen, sei die Festlegung erforderlich und dem Niveau nach gerechtfertigt. Der sich aus der Baugenehmigung zum Wohnhaus der Klägerin ergebende Geländeverlauf zeige die Plausibilität der für das Vorhaben der Beigeladenen bestimmten Geländehöhe.

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Ihre dagegen gerichtete Klage begründet die Klägerin unter Wiederholung des bisherigen Vorbringens damit, dass eine willkürliche Festlegung der Geländeoberfläche in Form einer Diagonale durch das vorhandene Untergeschoss erfolgt sei, um die im Bebauungsplan festgelegte Geschosszahl zu umgehen und Verstöße gegen nachbarschützende Vorschriften zu legalisieren. Denn schon das bestehende Gebäude auf dem Grundstück der Beigeladenen überschreite die nachbarschützende Bebauungsplanvorgabe „ein Vollgeschoss mit Kniestock“ und verfüge über zwei Vollgeschosse. Das unterste, im Zuge der Gebäudeerrichtung freigelegte Geschoss rage im Mittel mehr als 1,40 m über die natürliche Geländeoberfläche hinaus. Dies ergebe sich dann, wenn man auf das mit der ursprünglichen Bebauung vor über 30 Jahren geschaffene Grenzniveau an der Nordseite des Baugrundstücks oder aber auch auf das an der Südseite des Gebäudes noch feststellbare Geländeniveau abstelle. Wegen dieser Ermittlungsmöglichkeiten habe bereits kein Bedürfnis für eine abweichende Festsetzung der Geländeoberfläche bestanden, die zudem in einer Baugenehmigung hätte erfolgen müssen. Nur wenn die nun festgelegte Geländehöhe von im Mittel 1,30 m zugrunde gelegt werde, stelle das Untergeschoss kein Vollgeschoss dar. Die Festsetzung anhand der hier zudem unzulässigen sogenannten Eckpunktmethode habe dazu gedient, das Bauvorhaben „zu retten“ und nachträgliche Verstöße gegen nachbarschützende Vorschriften zu legalisieren. Darüber hinaus verändere sich die Licht- und Sonnensituation ihres Grundstücks durch das wegen seiner Höhe von 8,68 m (einschließlich 2,60 m Untergeschoss) eine dreigeschossige Dimension aufweisende Nachbargebäude nachteilig mit der Folge, dass auch eine Nutzung der südlichen Dachfläche als Solaranlage nur sehr eingeschränkt möglich sei.

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Die Klägerin beantragt,

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die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 20. September 2014 und vom 20. Februar 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. Juli 2015 zu verpflichten, bauaufsichtlich gegen das Bauvorhaben der Beigeladenen auf dem Grundstück Am K. ... in ... W.-H. unter Beachtung der vorhandenen natürlichen Geländeoberfläche auf der Nordseite des Bauvorhabens einzuschreiten.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie nimmt inhaltlich Bezug auf den Widerspruchsbescheid und weist darauf hin, dass bezüglich der Abstandsvorschriften nicht auf das durch Abgrabung entstandene Grenzniveau des Baugrundstücks abzustellen sei. Aufgrund des heterogenen Geländeverlaufs in dem Bereich mit der Folge unterschiedlicher Abstandsflächenrelevanz sei aus Gründen der Rechtssicherheit und zur Vermeidung von Ungleichbehandlungen die Geländeoberfläche per Verwaltungsakt festgelegt worden, die der ursprünglich vorhandenen sehr nahe komme. Im Übrigen sei die textliche Festsetzung des Bebauungsplans über die Aufkantung im maßgeblichen Bereich nicht anwendbar, weil sie hier fehlende Regelungen bezüglich der Dachform/-neigung voraussetze.

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Die Beigeladenen stellen keinen Antrag.

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Sie tragen vor, das Bauvorhaben werde auf einem von der Erschließungsstraße aus gesehen abfallenden Grundstück realisiert. In dem Gebiet hätten in den zurückliegenden Jahrzehnten Veränderungen des natürlichen Geländeverlaufs stattgefunden. In dieser Situation sei es rechtlich zulässig und angemessen, das Geländeniveau durch eine Projektion auf eine fiktive Waagerechte zu bestimmen. Eine solche Festsetzung komme nach dem Widerspruchsbescheid auch dem ursprünglich vorhandenen natürlichen Geländeverlauf sehr nahe. Die Festlegung der Geländeoberfläche diene dem Bedürfnis der Beigeladenen nach Rechtssicherheit hinsichtlich des dem Freistellungsverfahren unterliegenden Bauvorhabens. Die Gebäudehöhe betrage nicht 8,68 m, sondern – gemessen vom Bezugspunkt der festgesetzten Geländehöhe – 7,48 m. Dieser Wert sei für die Abstandsflächenberechnung maßgeblich. Das Bestandsgebäude halte nach Anbringen der Dämmung einen zulässigen Abstand von 2,84 m ein. Im Bereich der Aufstockung erfolge keine Dämmung. Rücksichtslos sei das Bauvorhaben nicht, denn es entfalte keine unzumutbaren Wirkungen für das Nachbargrundstück. Negative Veränderungen seien auch darauf zurückzuführen, dass das Gebäude der Klägerin die vorgeschriebene Abstandsfläche nicht einhalte.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten sowie Bebauungsplanunterlagen Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage hat Erfolg. Die Klägerin hat gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten gegen das Bauvorhaben der Beigeladenen – der bereits erfolgten Aufstockung des zweigeschossigen Wohngebäudes auf dem Grundstück Am K. ... in W.-H.. Der ablehnende Bescheid vom 20. September 2014 und der Bescheid vom 20. Februar 2015 über die Festlegung der Geländehöhe an dem Gebäude der Beigeladenen in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. Juli 2015 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO).

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Rechtsgrundlage für das begehrte bauaufsichtliche Einschreiten gegen das im Freistellungsverfahren (§ 67 LBauO) behandelte Bauvorhaben der Beigeladenen ist § 81 Satz 1 der Landesbauordnung Rheinland-Pfalz in der seit dem 1. August 2015 geltenden Fassung – LBauO –. Danach kann die Beklagte als Bauaufsichtsbehörde die Beseitigung einer baulichen Anlage anordnen, wenn diese gegen baurechtliche oder sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften über die Errichtung oder die Änderung verstößt. Dieser Ermächtigung zum bauaufsichtlichen Einschreiten korrespondiert ein subjektiver Anspruch des Nachbarn auf ermessensfehlerfreie Entscheidung, sofern die verletzte Vorschrift nachbarschützend ist. In einem solchen Fall reduziert sich das der Bauaufsichtsbehörde eingeräumte Ermessen regelmäßig auf Null, wenn der Nachbar ein Einschreiten zum Schutz seiner Rechte verlangt. Es verbleibt dann nur noch die Pflicht zum bauaufsichtlichen Einschreiten zur Beseitigung des rechtswidrigen Zustands (vgl. OVG RP, Urteil vom 12.6.2012 – 8 A 10291/12 –, BauR 2012,1634 und juris, Rn. 24, 32; Urteil vom 25.11.2009 – 8 A 10636/09 –, BauR 2010, 904 und juris, Rn. 29).

21

Hiernach hat die Klägerin einen Anspruch gegen die Beklagte auf bauaufsichtliches Einschreiten gegen die Aufstockung des Gebäudes auf dem streitgegenständlichen Baugrundstück. Diese verstößt (zumindest) gegen die auch dem Schutz der Klägerin als Nachbarin dienende Abstandsflächenregelung in § 8 Abs. 1 i.V.m. Abs. 6 Satz 3 LBauO.

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1. Eine Verletzung der Klägerin in eigenen Rechten scheidet hingegen unter dem Gesichtspunkt des Gebietsgewährleistungsanspruchs aus. Der für die Grundstücke der verfahrensbeteiligten Nachbarn geltende Bebauungsplan HE 18 vom 22. August 1990 enthält die Festsetzung „Reines Wohngebiet“, mit der die Weiternutzung des geänderten Gebäudes durch die Beigeladenen zu Wohnzwecken ihrer Art nach in Einklang steht (vgl. § 30 Abs. 1 des BaugesetzbuchsBauGB – i.V.m. § 3 Abs. 2 Nr. 1 der BaunutzungsverordnungBauNVO –).

23

2. Die Klägerin kann sich für den Erfolg ihrer Klage ferner nicht auf Verstöße gegen die Festsetzungen des Bebauungsplans über die Höchstzahl der Vollgeschosse (hier 1) und die Beschränkung einer Aufkantung bei eingeschossiger Bauweise auf 0,50 m (Festsetzung 2.4 des Bebauungsplans) stützen. Es handelt sich dabei um Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung, durch die die Planbetroffenen nicht in gleicher Weise zu einer „Schicksalsgemeinschaft“ verbunden werden, wie die Rechtsprechung dies für die Festsetzungen der Art der Nutzung annimmt; Festsetzungen eines Bebauungsplans über das Maß der baulichen Nutzung kommt deshalb grundsätzlich keine nachbarschützende Wirkung zu (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23.6.1995 – 4 B 52/95 –, NVwZ 1996, 170 und juris, Rn. 3 f.). Durch ein der Art nach baugebietswidriges Vorhaben kann, auch wenn es für sich gesehen noch nicht zu einer tatsächlich spürbaren und nachweisbaren Beeinträchtigung des Nachbarn führt, gleichwohl typischerweise eine „schleichende“ Verfremdung des Gebiets eingeleitet werden; eine solche später nur schwer korrigierbare Entwicklung soll der Nachbar, der sich seinerseits an die Art der vorgeschriebenen Nutzung halten muss, rechtzeitig verhindern können. Hiermit sind Abweichungen von den Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung nicht vergleichbar. Sie lassen in aller Regel den Gebietscharakter unberührt und haben in erster Linie nur Auswirkungen auf das Baugrundstück und die unmittelbar anschließenden Nachbargrundstücke. Zum Schutz der Nachbarn wird daher das drittschützende Rücksichtnahmegebot nach § 30 Abs. 1 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 BauNVO als ausreichend angesehen, das eine Abwägung der nachbarlichen Interessen auch hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung ermöglicht und den Nachbarn vor unzumutbaren Beeinträchtigungen bewahrt (vgl. BVerwG, wie vor).

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Auch nicht ausnahmsweise kann sich die Klägerin hier auf die Festsetzungen des Bebauungsplans über die Höchstzahl der Vollgeschosse und das Höchstmaß einer Aufkantung berufen, was nur dann möglich wäre, wenn der Satzungsgeber den konkreten Bebauungsplanfestsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung eine nachbarschützende Wirkung zugedacht hätte (vgl. OVG RP, Urteil vom 26.11.2014 – 8 A 10674/14 –, juris, Rn. 25 f.; Beschluss vom 8.2.2012 – 8 B 10011/12 –, BauR 2012, 931 und juris, Rn. 8). Dies ist indes hier nicht der Fall. Aus der Begründung zum Bebauungsplan ergeben sich keine Anhaltspunkte, dass die Beklagte mit den Festsetzungen zu der Vollgeschosszahl und der höchstzulässigen Aufkantung – neben städtebaulichen Gesichtspunkten – gerade auch die Interessen der benachbarten Grundstückseigentümer hat schützen wollen.

25

Vor diesem Hintergrund bedarf es keiner Erörterung der von der Beklagten vertretenen Auffassung, nach der die Beschränkung einer Aufkantung keine Geltung für Baubereiche ohne Festsetzungen über Dachform und -neigung entfalte.

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3. Das um ein Geschoss erhöhte Wohngebäude steht jedoch mit nachbarschützenden Vorschriften des Bauordnungsrechts nicht in Einklang. Es verstößt mit dem zusätzlichen Geschoss – unabhängig davon, ob es sich dabei um ein Vollgeschoss im Sinne von § 2 Abs. 4 Satz 2 und 3 LBauO handelt – gegen die nachbarschützende Vorschrift des § 8 Abs. 1 i.V.m. Abs. 6 Satz 3 LBauO über die notwendige Abstandsfläche. Vor diesem Hintergrund erübrigt sich die Prüfung der Frage, ob das Bauvorhaben deshalb oder aus anderen Gründen auch dem angesprochenen nachbarschützenden Rücksichtnahmegebot im Sinne von § 30 Abs. 1 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 BauNVO widerspricht.

27

Nach § 8 Abs. 1 i.V.m. Abs. 6 Satz 3 LBauO sind vor Außenwänden oberirdischer Gebäude Flächen von Gebäuden freizuhalten (Abstandsflächen), wobei die Tiefe der Abstandsfläche mindestens 3 m betragen muss. Diese Mindestabstandsfläche wird durch die zur Grenze der Klägerin hin realisierte Gebäudeaufstockung unterschritten. Unterer Bezugspunkt für die Bestimmung der (mittleren) Wandhöhe, nach der sich die Tiefe der Abstandsfläche richtet (§ 8 Abs. 4 Satz 1, 4 LBauO), stellt nach § 8 Abs. 4 Satz 2 LBauO die Geländeoberfläche auf dem Baugrundstück dar. Dies ist gemäß § 2 Abs. 6 LBauO die Fläche, die sich aus den Festsetzungen des Bebauungsplans ergibt oder die von der Bauaufsichtsbehörde festgelegt ist, im Übrigen die natürliche, an das Gebäude angrenzende Geländeoberfläche. Vorliegend ist die natürliche Geländeoberfläche an dem bestehenden Gebäude zum Grundstück der Klägerin hin maßgeblich mit der Folge, dass das erhöhte Wohngebäude die Mindestabstandsfläche nicht einhalten kann ([6,08 m + 2,60 m für die Höhe Kellergeschoss] x 0,4 = 3,472 m). Als unterer Bezugspunkt für die Ermittlung der Wandhöhe kann nicht auf die mit Bescheid vom 20. Februar 2015 von der Beklagten nach § 2 Abs. 6 LBauO festgelegte, den Mindestabstand dann gerade noch wahrende Geländehöhe ([6,08 m + 1,30 m für die Höhe Kellergeschoss] x 0,4 = 2,952 m) abgestellt werden, denn diese Festlegung ist in rechtlich unzulässiger Weise erfolgt.

28

a) Die Festlegung der Geländehöhe in dem genannten Bescheid ist zwar in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden. Es handelt sich dabei um einen eigenständigen Verwaltungsakt (vgl. OVG Saarland, Urteil vom 30.9.1997 – 2 R 30/96 –, BauR 1998, 314 und juris, Rn. 35), der unabhängig von einer Baugenehmigung (im Freistellungsverfahren nach § 67 LBauO ohnehin entbehrlich) ergehen kann (vgl. OVG RP, Urteil vom 2.4.2003 – 8 A 10936/02 –, juris, Rn. 30). Er ist vorliegend auch hinreichend bestimmt, denn er legt die Geländehöhe (zeichnerisch) als im Mittel gemessene Höhe des frei liegenden Kellergeschosses (sog. Eckpunktmethode) an der Nordseite des Gebäudes zum Grundstück der Klägerin hin zweifelsfrei fest.

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b) In materieller Hinsicht ist die Festlegung der Geländeoberfläche jedoch nur zulässig, wenn ein – hier indes fehlendes – Bedürfnis dafür besteht. Dies ist z.B. der Fall bei schwierigen topographischen Verhältnissen, wenn es die Sicherheit oder gestalterische Gesichtspunkte erfordern, die natürliche Geländeoberfläche aufgrund von Aufschüttungen bzw. großen Unregelmäßigkeiten und Schwankungen nicht mehr feststellbar ist oder eine Harmonisierung des Geländes aus sonstigen Gründen unerlässlich ist (vgl. OVG RP, Urteil vom 2.4.2003 – 8 A 10936/02 –, juris, Rn. 32; Beschluss vom 24.10.2006 – 8 A 11008/06 –, juris, Rn. 4; OVG Saarland, Beschluss vom 17.9.1979 – II W 1.2047/79 –, BRS 35 Nr. 99; VG Trier, Urteil vom 12.7.2006 – 5 K 46/06.TR –, juris, Rn. 23; VG Neustadt/W., Beschluss vom 7.8.2014 – 3 L 644/14.NW –, juris, Rn. 24). Ein derartiger Sonderfall ist bereits nicht gegeben.

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Die natürliche Geländehöhe auf dem Grundstück der Beigeladenen im Bereich des Kellergeschosses an der Nordseite des Gebäudes ist nämlich ohne weiteres feststellbar und damit maßgeblich. Mit der Errichtung des ursprünglichen Wohngebäudes auf der Grundlage der hierfür erteilten Baugenehmigung aus dem Januar 1970 war das nach Osten leicht abfallende Grundstück an der Nordseite teilweise abgegraben und ein vollständig aus dem Boden herausragendes Kellergeschoss errichtet worden, das an dieser Gebäudeseite eine Tiefe von 20 m und eine Höhe von 2,60 m aufweist. Die daran angrenzende, mit dem Kellerboden gleichauf liegende Geländeoberfläche stellt nach über 40 Jahren ihrer Entstehung die „neue“ natürliche und deshalb rechtlich beachtliche Geländeoberfläche dar. Ein vor mehr als 30 Jahren (hier sogar vor fast 50 Jahren) geändertes Geländeniveau hat nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz allein wegen des Zeitablaufs – also unabhängig von der Rechtmäßigkeit der Veränderung, die hier aufgrund der Baugenehmigung ohnedies auch nicht in Zweifel zu ziehen wäre – die notwendige Legitimation, um sie als natürliche Geländeoberfläche ansehen zu können (vgl. OVG RP, Beschluss vom 28.9.2005 – 8 A 10424/05 –, juris, Rn. 22 m.w.N.; VG Mainz, Urteil vom 26.5.2004 – 7 K 834/03 –, juris, Rn. 27). Die hier in Rede stehenden Regelungen des Abstandsflächenrechts, die auf die natürliche Geländeoberfläche abstellen, verlangen nicht zwingend, ein ursprüngliches Gelände heranzuziehen, das möglicherweise weit in der Vergangenheit vorhanden war und in der Zwischenzeit verändert wurde. Sie sollen in Gegenwart und Zukunft eine Bebauung gewährleisten, die mit den Anforderungen einer ausreichenden Belichtung, Belüftung und Besonnung der Gebäude, der Gewährleistung eines effektiven Brandschutzes sowie der Verwirklichung gesunder Wohn- und Arbeitsverhältnisse und dem gebotenen Nachbarschutz vereinbar ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 16.5.1991 – 4 C 17/90 –, BVerwGE 88, 191 und juris, Rn. 24). Es soll vermieden werden, durch Manipulationen des Geländes die gesetzlichen Regelungen zu unterlaufen. Diese Gesichtspunkte hindern jedoch nicht, ein seit 30 Jahren verändertes Gelände als nunmehr natürliches Gelände anzusehen. Dem deutschen Recht lässt sich der hergebrachte Grundsatz entnehmen, spätestens nach Ablauf eines derartigen Zeitraums, der einer menschlichen Generation entspricht, zur Wahrung des Rechtsfriedens faktischen Zuständen rechtliche Anerkennung zu gewähren (vgl. OVG RP, Beschluss vom 28.9.2005 – 8 A 10424/05 –, juris, Rn. 22). Der lange Zeitablauf seit Veränderung der ursprünglichen Geländeoberfläche begründet daher auch hier die notwendig befriedende Bedeutung, die die Annahme einer neuen natürlichen Geländeoberfläche rechtfertigt.

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Es sind auch keine anderen außergewöhnlichen Gegebenheiten ersichtlich, die eine bauaufsichtliche Festsetzung der Geländeoberfläche in Abweichung von der in der Örtlichkeit gegebenen Geländehöhe notwendig machen würden. Soweit die Beklagte ausführt, mit der Festlegung der Geländeoberfläche auf der mittleren Wandhöhe – oberhalb des vorhandenen Geländeniveaus – habe sie verhindern wollen, dass eine allein durch Zeitablauf bewirkte Änderung der Geländehöhe in Einzelfällen zu einer Änderung des Charakters des Gebiets mit einer eingeschossigen Bebauung hin zu einer zweigeschossigen Struktur führe. Insoweit besteht kein Bedürfnis für eine Festlegung einer Geländehöhe oberhalb der natürlichen Geländeoberfläche. Aufgrund der Genehmigung eines auf der Nordseite freiliegenden Kellergeschosses auf dem Grundstück der Beigeladenen im Jahr 1970 war ein Bestandsschutz eingetreten, der rechtliche Bindungen auch für spätere bauliche Veränderungen geschaffen hat. Mögliche städtebauliche Vorstellungen – die Beibehaltung der Eingeschossigkeit der Wohngebäude in dem Gebiet – hätte die Beklagte in dem späteren, 1990 in Kraft getretenen Bebauungsplan festschreiben können und müssen, etwa indem sie dort die Geländehöhe für das Baugebiet oder Teile davon gemäß § 2 Abs. 6 LBauO regelt. Für nachträgliche Korrekturen durch die Bauaufsicht in Einzelfällen besteht daher kein rechtlich erhebliches Bedürfnis. Als erforderlich anzusehen ist die Festlegung eines höheren Geländeniveaus an dem Gebäude der Beigeladenen auch nicht unter dem Gleichheitsgedanken, die Klägerin könne wegen des hängigen Geländes an ihrem Wohngebäude das Bauvorhaben realisieren, die Beigeladenen indessen nicht. Hier wird die Wirkung und Bedeutung der Festsetzung der Geländeoberfläche für die Höhe baulicher Anlagen und damit insbesondere für – auch hier relevant – das bauordnungsrechtliche Abstandsflächenrecht verkannt (vgl. § 8 Abs. 4 Satz 2 LBauO). Dieses ist Ausdruck städtebaulicher und immissionsschutzrechtlicher Zielsetzungen. Es dient wesentlich dem Willen des Landesgesetzgebers, eine sozial- und gesundheitspolitisch erwünschte aufgelockerte Bodennutzung zu erreichen. Durch die Anlage von Freiflächen soll eine ausreichende Belichtung, Belüftung und Besonnung des zu betrachtenden Gebäudes selbst und damit eine Verbesserung der Wohn- und Arbeitsverhältnisse erreicht werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 16.5.1991 – 4 C 17/90 –, a.a.O. und juris, Rn. 24). Daneben erfolgt eine Sicherstellung des Brandschutzes. Zugleich sollen die insoweit gleichgerichteten Interessen der Nachbarn im Sinne eines Ausgleichs wechselseitiger Belange geregelt werden (vgl. BVerwG, wie vor; OVG RP, Urteil vom 13.10.1993 – 8 A 12355/92 –, BRS 55 Nr. 115 und juris, Rn. 23; Urteil vom 3.11.1999 – 8 A 10951/99 –, BauR 2000, 551 und juris, Rn. 27). Dieser gesetzlich in § 8 LBauO erfolgte Interessenausgleich gerät in Schieflage, wenn durch Außerachtlassung von Gebäudeteilen die Auswirkungen der baulichen Anlage eines Nachbarn als geringer gewertet werden. Die Abstandsflächenvorschriften enthalten strikte Regelungen, die – beschränkt – nur das Bauvorhaben und den Nachbarn betreffen, nicht die Umgebungsbebauung. Es obliegt grundsätzlich dem Bauherrn, auf die Einhaltung dieser Bestimmungen – wegen der Auswirkungen seines Gebäudes – auf seinem Grundstück zu achten und es ist grundsätzlich nicht treuwidrig, wenn der Nachbar die Beachtung dieser auch ihn schützenden Vorschriften beansprucht (vgl. OVG RP, Urteil vom 28.3.2001 – 8 A 12042/00 –, juris, Rn. 32). Die Gesetzessystematik der Abstandsflächenvorschrift lässt im Übrigen eine Vergleichsbetrachtung der Bebauungsmöglichkeiten auf den benachbarten Grundstücken nicht zu.

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c) Ungeachtet dessen durfte die Beklagte die Festsetzung einer gegenüber der natürlichen erhöhten Geländehöhe wegen Verletzung von Nachbarrechten auch der Sache nach nicht vornehmen. Die Bauaufsichtsbehörde hat die Auswirkungen einer Festlegung der Geländeoberfläche im Hinblick auf die Anwendung von nachbarschützenden Vorschriften zu beachten und abzuwägen (vgl. OVG RP, Urteil vom 2.4.2003 – 8 A 10936/02 –, juris, Rn. 32; Beschluss vom 23.8.1996 – 8 B 12041/96 –, S. 4 BA). Die Festlegung der Geländehöhe kann wegen der mit ihr verbundenen Vorgabe für die Höhe baulicher Anlagen zur Umgehung von nachbarschützenden Vorschriften führen. Deshalb ist die Bauaufsichtsbehörde gehalten, nachbarschützende Vorschriften – insbesondere die Abstandsflächenregelungen des § 8 LBauO – zu beachten und in ihre Entscheidung mit einzustellen. Das Abstandsflächenrecht dient, wie bereits ausgeführt, neben dem Brandschutz und der Gestaltung auch der Belichtung, Besonnung und Belüftung sowie dem Schutz benachbarter Grundstücke vor Gefahren und unzumutbaren Belästigungen (vgl. BVerwG, Urteil vom 16.5.1991 – 4 C 17/90 –, a.a.O und juris, Rn. 24; OVG RP, Urteil vom 3.11.1999 – 8 A 10951/99 –, a.a.O. und juris, Rn. 27). Es muss deshalb gewährleistet sein, dass die Festlegung der Geländeoberfläche und die Errichtung etwaiger baulicher Anlagen mit dem Nachbarinteresse vereinbar sind; darauf hat der Grundstücksnachbar einen Anspruch (vgl. OVG RP, Beschluss vom 23.8.1996 – 8 B 12041/96 –, S. 4 f. BA). Eine abweichende Festlegung der Geländeoberfläche durch die Bauaufsichtsbehörde darf daher nicht dazu führen, dass die in Abhängigkeit von der Höhenlage geltenden Vorschriften unterlaufen werden. Dies würde einen Missbrauch der Festlegungsbefugnis darstellen, durch welche Verstöße gegen Bauvorschriften, die an die Höhe von Gebäudeteilen über der Geländeoberfläche anknüpfen, unrechtmäßig ausgeräumt würden.

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Die von der Beklagten festgelegte Geländehöhe führt zu einer deutlichen Erhöhung der Geländeoberfläche im Vergleich zu der vorhandenen, natürlichen Geländehöhe. Die Klägerin hat ein um etwa 1,30 m höheres Nachbargebäude hinzunehmen; durch dieses wird die gesetzlich geforderte Abstandsfläche um etwa 0,50 m unterschritten. Dies sind erhebliche Beeinträchtigungen in nach der Rechtsordnung im Abstandsflächenrecht zusammengeführten zentralen nachbarschützenden Belangen, die hier der Legalisierung der aufgestockten Bebauung auf dem Grundstück der Beigeladenen dienen. Diese nicht nur geringfügigen Beeinträchtigungen überwiegen auch das Gewicht der Motive der Beklagten für eine Höhenfestlegung – Wahrung des eingeschossigen Gebietscharakters und Gleichbehandlung aller Nachbarn im Hinblick auf die vorhandene gleichmäßige Bebauungshöhe im Gebiet –. Das Abstandsflächenrecht enthält strikte und zentrale Regelungen auch zum Schutz der Nachbarn vor Auswirkungen durch Bebauung (nicht durch Geländehöhen auf den Grundstücken); der Gesetzgeber hat mit ihm selbst einen konkreten Ausgleich der Nachbarinteressen vorgenommen, und zwar ungeachtet städtebaulicher Vorstellungen des Satzungsgebers eines Bebauungsplans und der Bauaufsichtsbehörde. Jeder Bauherr hat deshalb auf die Einhaltung dieser Vorschriften durch bauliche Anlagen auf seinem Grundstück zu achten. Hier kommt zu Lasten der Bauherrn hinzu, dass die Größe ihres Grundstücks es (auch unter Berücksichtigung des bauplanerisch vorgegebenen Baufensters) ohne weiteres zulässt, ein Erweiterungsbauvorhaben angemessen zu verwirklichen. Insgesamt überwiegen daher die Nachbarinteressen der Klägerin und machen die Festlegung der Geländehöhe, wie im Bescheid vom 20. September 2015 erfolgt, unrechtmäßig.

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Zugunsten der Beigeladenen kann auch nicht eine Abweichungslage im Sinne von § 69 Abs. 1 Satz 1 LBauO angenommen werden. Dies würde im konkreten Einzelfall eine besondere Situation voraussetzen, die sich vom gesetzlichen Regelfall der Einhaltung der Abstandsflächen auf dem Baugrundstück derart unterscheiden würde, dass die Nichtberücksichtigung des normativ festgelegten Standards als gerechtfertigt gelten könnte. Geht es um die Abweichung von nachbarschützenden Vorschriften, sind die entsprechenden Rechte des Nachbarn stets materiell mitentscheidend. Eine Abweichung kommt in einer derartigen Situation daher nur in Betracht, wenn aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls der Nachbar nicht schutzwürdig ist oder die Gründe, die für eine Abweichung streiten, objektiv derart gewichtig sind, dass die Interessen des Nachbarn ausnahmsweise zurücktreten müssen (vgl. OVG RP, Urteil vom 3.11.1999 – 8 A 10951/99 –, BauR 2000, 551 und juris, Rn. 25). Objektiv gewichtige Gründe für die Verwirklichung des Bauvorhabens stehen den Beigeladenen im Verhältnis zu den Interessen der Nachbarin an der Einhaltung der gesetzlich bestimmten notwendigen Abstandsflächen zur Wahrung einer angemessenen Gebäudeauflockerung nicht zur Seite. Das Grundstück der Beigeladenen bietet im Rahmen der Vorgaben des Bebauungsplans ausreichend Möglichkeiten der Bebauung.

35

Den Interessen der Klägerin kann auch die notwendige Schutzwürdigkeit nicht deshalb abgesprochen werden, weil sie mit ihrem Gebäude zur Grenze des Baugrundstücks nicht den gesetzlichen Mindestabstand von 3 m einhält, sondern diesen um 0,50 m unterschreitet. Der Klägerin ist es insoweit unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben auch nicht verwehrt, sich auf die Verletzung des Abstandsflächenrechts durch das angegriffene Bauvorhaben zu berufen. Dabei spielt zunächst der Umstand eine Rolle, dass die Bebauung des klägerischen Grundstücks aufgrund entsprechender bauaufsichtlicher Genehmigung durchgeführt worden ist und deshalb Bestandsschutz genießt (vgl. OVG RP, Beschluss vom 29.10.1981 – 1 B 59/81 –, AS 17, 94, 99). Eine rechtsmissbräuchliche Geltendmachung ihrer Belange müsste die Klägerin sich aber auch nur dann entgegenhalten lassen, wenn sie bei eigener rechtswidriger Grundstücksnutzung eine an sich zulässige bauliche Nutzung auf dem Grundstück der Beigeladenen verhindern, mit anderen Worten sich selbst einen Vorteil zu Lasten der Beigeladenen verschaffen wollte (vgl. OVG RP, Beschluss vom 29.10.1981 – 1 B 59/81 –, AS 17, 94, 100). So ist der Fall hier aber nicht. Auch wenn das Grundstück der Klägerin unbebaut wäre, hätten die Beigeladenen den gesetzlichen Abstand einhalten müssen. Es ist nicht ersichtlich, weshalb ein Bauherr einen rechtswidrigen Vorteil aus den Verhältnissen auf dem Nachbargrundstück erlangen können soll, den er bei einem dortigen legalen Bestand nicht hätte. Der Bauherr kann deshalb nur verlangen, so behandelt zu werden, wie wenn auf dem Nachbargrundstück ein rechtlich zulässiger Zustand verwirklicht wäre (vgl. OVG RP, Beschluss vom 29.10.1981 – 1 B 59/81 –, AS 17, 94, 100 f.).

36

Der auf den ursprünglichen beiden Geschossen im Zuge der Baumaßnahmen aufgebrachte Wärmeschutz steht im Einklang mit der Abstandsflächenregelung in § 8 Abs. 5 Satz 4 LBauO.

37

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Es entspricht billigem Ermessen, die Beklagte nicht auch mit den außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu belasten, die mangels Stellung eines Antrags selbst kein Kostenrisiko eingegangen sind (§ 154 Abs. 1 und 3, § 162 Abs. 3 VwGO).

38

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des Urteil hinsichtlich der Kosten ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 ff. ZPO.

Beschluss der 3. Kammer des Verwaltungsgerichts Mainz vom 13. Juli 2016

39

Der Streitwert wird auf 7.500,-- € festgesetzt (§ 52 Abs. 1 GKG i.V.m. 9.7.1 des Streitwertkatalogs der Verwaltungsgerichtsbarkeit, NVwZ-Beilage 2013, 57).

40

Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren durch die Klägerin wird für notwendig erklärt (§ 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO).

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(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

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(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

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(1) Kosten sind die Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten einschließlich der Kosten des Vorverfahrens. (2) Die Gebühren und Auslage

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(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.


Tenor

Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Neustadt/Wstr. vom 5. Dezember 2011 wird zurückgewiesen.

Die Kläger haben die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen der Beigeladenen zu tragen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des festzusetzenden Betrags abwenden, wenn nicht die jeweiligen Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Kläger begehren bauaufsichtliches Einschreiten gegen eine baugebietswidrige Wohnnutzung.

2

Sie sind Eigentümer der in der Gemarkung R… gelegenen Grundstücke Flurstück Nrn. …, … und …, auf denen sie eine Spedition betreiben. Im Nordwesten grenzt an diese Parzellen das mit einem Wohnhaus bebaute Grundstück der Beigeladenen an (Flurstück Nr. …). Der am 1. August 1991 in Kraft getretene Bebauungsplan „In der Langenbach“ setzt für diese Flurstücke ein Gewerbegebiet fest. Im Süden des Speditionsgeländes schließt sich ein ebenfalls mit Wohnhäusern bebautes Mischgebiet an.

3

Das Wohnhaus der Beigeladenen wurde 1913 errichtet. 1986 wurde das Hausgrundstück vom Land Rheinland-Pfalz - Straßenverwaltung - angekauft, da es zu einem großen Teil für den Straßenbau benötigt wurde. Von Anfang 1988 bis Mitte 1991 nutzte die Straßenverwaltung das Gebäude als Büro. Nach Fertigstellung der Straßenbaumaßnahme verkaufte das Land Rheinland-Pfalz das Grundstück mit notariellem Kaufvertrag vom Dezember 1992 zum Preis von 90.000,00 DM an die Kläger, die das Gebäude seither zu Wohnzwecken nutzen.

4

Im Jahr 1995 erteilte der Beklagte den Beigeladenen eine Baugenehmigung zur Errichtung einer Eingangsüberdachung mit Terrasse und Balkon.

5

Seit etwa 1999 beanstandete die Bauaufsichtsbehörde den Umfang des Lkw-Betriebes auf dem Speditionsgrundstück. Ein schalltechnisches Gutachten vom April 2001 ergab, dass bei 6 Lkw-Abfahrten von dem Grundstück in der lautesten Nachtstunde am Wohngebäude der Beigeladenen der Immissionsrichtwert für Gewerbegebiete (50 dB(A)) nicht eingehalten werden könne. Am 25. Juli 2003 verfügte der Beklagte ein Nachtfahrverbot für LKW. Schließlich wurde den Klägern am 13. Februar 2007 eine Baugenehmigung u.a. für einen Abstellplatz mit der Maßgabe erteilt, dass in der lautesten Nachtstunde maximal 3 Pkw-Parkvorgänge und 3 Lkw-Abfahrten zulässig seien.

6

Hinsichtlich der Wohnnutzung des Gebäudes der Beigeladenen stellte der Beklagte mit Bescheid vom 6. Februar 2004 fest, dass diese Wohnnutzung sowohl in formeller als auch in materieller Hinsicht gegen baurechtliche Bestimmungen verstoße und ein Bestandsschutz aus einer früher zulässigerweise ausgeübten Wohnnutzung nicht mehr bestehe. In der Begründung wurde ausgeführt, dass die Kreisverwaltung aber bereit sei, aufgrund der besonderen Umstände des Falles von einem bauaufsichtlichen Einschreiten gegen die rechtswidrige Wohnnutzung abzusehen, allerdings nur dann, wenn keine strengeren Lärmschutzanforderungen als die für ein Betriebswohngebäude im Gewerbegebiet gestellt würden. Diese Duldungsentscheidung stelle eine sachgerechte Interessenabwägung dar und verschaffe den Beigeladenen eine „gewisse verfestigte Rechtsposition“. Die von den Beigeladenen gegen die Feststellung der Baurechtswidrigkeit ihrer Wohnnutzung erhobene Klage blieb ohne Erfolg (Urteil des VG Neustadt an der Weinstraße vom 26. November 2007 - 3 K 724/07.NW - und Beschluss des Senats vom 26. März 2008 - 8 A 10034/08.OVG -). Im Rahmen einer Petition der Beigeladenen, mit der sie die Erstreckung der Duldung auch auf ihre Kinder erreichen wollten, teilte der Landrat des Beklagten mit Schreiben vom 15. September 2008 mit, dass die Beigeladenen auch künftig mit einem Einschreiten nicht rechnen müssten, sofern nicht besondere Umstände tatsächlicher oder rechtlicher Art ein Einschreiten erforderten. Diese Ausführungen würden entsprechend auch für den Fall der Übernahme des Gebäudes durch die Kinder der Beigeladenen gelten.

7

Mit Schreiben vom 21. November 2008 bat der damalige Bevollmächtigte der Kläger den Beklagten unter Hinweis auf die inzwischen rechtskräftig festgestellte Baurechtswidrigkeit der Wohnnutzung um Aufklärung, in welcher Weise die Bauverwaltung einzuschreiten gedenke. In seiner Antwort teilte der Beklagte mit, dass den Interessen des Speditionsunternehmens durch die „Gleichstellung“ des Hauses mit einem Betriebswohngebäude hinreichend Rechnung getragen worden sei. Nachdem eine erneute Bitte um bauaufsichtliches Einschreiten im September 2009 erfolglos geblieben war, beantragten die Kläger mit Schreiben vom 23. August 2010 förmlich, gegen die rechtswidrige Wohnnutzung der Beigeladenen durch Erlass einer Nutzungsuntersagungsverfügung einzuschreiten. Zumindest müsse die im Bescheid vom 6. Februar 2004 ausgesprochene Duldung eingeschränkt werden.

8

Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 10. Februar 2011 ab und führte zur Begründung aus: Der im Falle der Verletzung des Gebietsbewahrungsanspruchs grundsätzlich bestehende Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten scheide hier wegen besonderer Umstände des Falles aus. Zunächst sei der Nachbaranspruch verwirkt. Darüber hinaus stünden einem Einschreiten auch Vertrauensschutzgesichtspunkte zu Gunsten der Beigeladenen entgegen. Ihnen sei nicht erkennbar gewesen, dass sie 1992 ein illegales Wohngebäude erwarben. Hinzu komme, dass ihnen 1995 die Errichtung einer Eingangsüberdachung mit Terrasse und Balkon bauaufsichtlich genehmigt worden sei, woraufhin die Beigeladenen nicht unerhebliche Investitionen getätigt hätten. Mit der „Gleichstellung“ des Wohngebäudes der Beigeladenen mit einer Betriebswohnung sei den Interessen des Speditionsbetriebs hinreichend Rechnung getragen. Im Übrigen behalte sich die Kreisverwaltung ein Einschreiten vor, sofern dies wegen besonderer Umstände tatsächlicher oder rechtlicher Art im öffentlichen Interesse erforderlich werde. Demzufolge werde auch der Hilfsantrag auf Einschränkung der Duldung abgelehnt. Ob das Ableben der Beigeladenen oder andere Umstände ein Einschreiten erfordere, werde zu gegebener Zeit im Einzelfall zu entscheiden sein.

9

Der dagegen erhobene Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 9. Mai 2011 zurückgewiesen. Zuvor hatten die Beigeladenen ausgeführt, dass die Geltendmachung von Gewährleistungsansprüchen gegen das Land Rheinland-Pfalz wegen des im Kaufvertrag vereinbarten Gewährleistungsausschlusses erfolglos geblieben sei.

10

Die Kläger haben zur Begründung der daraufhin erhobenen Klage vorgetragen: Die Verweigerung des bauaufsichtlichen Einschreitens sei ermessensfehlerhaft. Die Nachbarschaft zu den Beigeladenen gestalte sich denkbar ungünstig. Es komme immer wieder zu neuen Anzeigen beim Gewerbeaufsichtsamt und anderen Ämtern. Dadurch würden die Abläufe in ihrem Speditionsbetrieb empfindlich gestört. Ihr Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten sei auch nicht verwirkt. Zweifelsfrei Kenntnis von den anspruchsbegründenden Tatsachen hätten sie erst nach Abschluss des auf den Bescheid vom 6. Februar 2004 bezogenen Verfahrens der Beigeladenen gehabt. Sollte doch von einer Duldung auszugehen sein, müsse diese jedoch jedenfalls beschränkt werden.

11

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 5. Dezember 2011 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Den Klägern stehe ein Anspruch auf Erlass einer Nutzungsuntersagungsverfügung nicht zu. Zwar sei die von den Beigeladenen ausgeübte Wohnnutzung formell und materiell baurechtswidrig. Jedoch liege ein Verstoß gegen den Gebietserhaltungsanspruch der Kläger nicht vor. Mit der in der Duldungsverfügung vom 6. Februar 2004 enthaltenen Gleichstellung des Gebäudes der Beigeladenen mit einem im Gewerbegebiet nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO ausnahmsweise zulässigen Betriebswohngebäude sei dem öffentlichen Interesse an der Erhaltung des im Bebauungsplan festgesetzten Gebietscharakters Genüge getan. Eine negative Vorbildwirkung durch die geduldete Wohnnutzung sei nicht zu befürchten, da sich in dem festgesetzten Gewerbegebiet neben dem Grundstück der Beigeladenen lediglich noch die Grundstücke der Kläger befänden. Vor diesem Hintergrund sei auch der Hilfsantrag abzuweisen. Ein Bedürfnis für eine Konkretisierung oder Einschränkung der Duldung vom 6. Februar 2004 bestehe derzeit nicht.

12

Die Kläger haben zur Begründung der vom Senat zugelassenen Berufung im Wesentlichen ausgeführt: Ihr Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten sei nicht verwirkt. Sie hätten rechtzeitig nach rechtskräftiger Feststellung der Baurechtswidrigkeit der Wohnnutzung der Beigeladenen ein bauaufsichtliches Einschreiten beantragt. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts sei ihr Gebietsbewahrungsanspruch sehr wohl verletzt. § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO lasse lediglich Betriebswohnungen ausnahmsweise zu. Eine Baugenehmigung für eine reine Wohnnutzung - wie hier - sei deshalb rechtswidrig. Dann sei aber eine dahingehende Duldungsentscheidung ebenfalls rechtswidrig. Es gehe nicht an, dass sich die Behörde durch ihr eigenes Verhalten an der Herstellung rechtmäßiger Zustände hindere.

13

Die Kläger beantragen,

14

unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 5. Dezember 2011 den Bescheid des Beklagten vom 10. Februar 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Mai 2011 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, über ihren Antrag auf Unterlassung der Nutzung des Grundstücks P… Straße in R… zu Wohnzwecken unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

15

Der Beklagte beantragt,

16

die Berufung zurückzuweisen.

17

Nach seiner Auffassung ist die Duldungsentscheidung vom 6. Februar 2004 gegenüber den Klägern bestandskräftig geworden. Im Übrigen sei die Behörde durchaus bauaufsichtlich eingeschritten, indem sie nämlich das Wohnhaus der Beigeladenen einer Betriebswohnung im Sinne von § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO gleichgestellt habe. Die darüber hinaus ausgesprochene Duldung stelle gerade unter Berücksichtigung des Vertrauensschutzes zugunsten der Beigeladenen eine rechtmäßige Ermessensentscheidung dar.

18

Die Beigeladenen beantragen ebenfalls,

19

die Berufung zurückzuweisen.

20

Sie tragen ergänzend vor: Dem Anspruch auf Einschreiten stehe bereits die Bestandskraft des Duldungsbescheids vom 6. Februar 2004 entgegen. Die Kläger hätten nach Kenntnis hiervon länger als ein Jahr nichts dagegen unternommen. Darüber hinaus sei der Anspruch auf Einschreiten auch infolge der Untätigkeit der Kläger gegenüber der bereits seit 1992 ausgeübten Wohnnutzung verwirkt.

21

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie auf die beigezogenen Behördenakten, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, verwiesen.

Entscheidungsgründe

22

Die Berufung hat keinen Erfolg.

23

Das Verwaltungsgericht hat die Klage auf bauaufsichtliches Einschreiten gegenüber den Beigeladenen zu Recht abgewiesen. Die Kläger haben keinen Anspruch auf eine erneute Entscheidung über ihren Antrag, gegen die Wohnnutzung der Beigeladenen durch Erlass einer Nutzungsuntersagungsverfügung einzuschreiten. Denn die ablehnende Entscheidung des Beklagten ist rechtlich nicht zu beanstanden, insbesondere ermessensfehlerfrei erfolgt.

24

Rechtsgrundlage für das begehrte bauaufsichtliche Einschreiten ist § 81 Satz 1 LBauO. Nach dieser Vorschrift kann die Bauaufsichtsbehörde die Benutzung baulicher Anlagen untersagen, wenn diese gegen baurechtliche Vorschriften verstoßen. Dieser Ermächtigung zum bauaufsichtlichen Einschreiten korrespondiert ein subjektiver Anspruch eines Nachbarn auf ermessensfehlerfreie Entscheidung, sofern die verletzte Vorschrift nachbarschützend ist (vgl. Urteil des Senats vom 7. Dezember 2005 - 8 A 11062/05.OVG -).

25

1. Die Wohnnutzung der Beigeladenen ist sowohl formell baurechtswidrig, weil sich die ursprünglich im Jahr 1913 genehmigte Wohnnutzung des Hauses infolge der Umnutzung zum Baubüro erledigt hat, als auch materiell baurechtswidrig, weil sie nicht genehmigungsfähig ist. In einem Gewerbegebiet sind Wohngebäude grundsätzlich nicht zulässig. Nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO können lediglich Wohnungen für Aufsichts- und Bereitschaftspersonen sowie für Betriebsinhaber und Betriebsleiter, die dem Gewerbebetrieb zugeordnet und ihm gegenüber untergeordnet sind, ausnahmsweise zugelassen werden. Diese Ausnahmevoraussetzungen liegen für die reine Wohnnutzung der Beigeladenen nicht vor. All dies steht zwischen den Beteiligten durch das Urteil des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 26. November 2007 - 3 K 724/07.NW - und den Beschluss des Senats vom 26. März 2008 - 8 A 10034/08.OVG - rechtskräftig fest.

26

Die Kläger können sich auch auf die materielle Baurechtswidrigkeit der Wohnnutzung durch die Beigeladenen berufen. Denn die Festsetzung von Baugebieten durch Bebauungspläne hat für die Nachbarn im Plangebiet kraft Bundesrechts nachbarschützende Funktion (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. September 1993 - 4 C 28.91 -, BVerwGE 94, 151, LS 2). Soweit das Verwaltungsgericht zwischen objektiver Rechtswidrigkeit der Grundstücksnutzung und dem Umfang des Gebietsbewahrungsanspruchs des Nachbarn differenziert, gilt es klarzustellen, dass der Umfang der subjektiven Rechtsstellung des Nachbarn in vollem Umfang den objektiv-rechtlichen Anforderungen an die Gebietsverträglichkeit entspricht. So hat das Bundesverwaltungsgericht klargestellt, dass der Nachbar auch dann einen Anspruch auf die Bewahrung der festgesetzten Gebietsart hat, wenn das baugebietswidrige Vorhaben im jeweiligen Einzelfall noch nicht zu einer tatsächlich spürbaren und nachweisbaren Beeinträchtigung des Nachbarn führt (BVerwG, Urteil vom 16. September 1993, a.a.O., S. 161 und juris, Rn. 23). Dass die baugebietswidrige Wohnnutzung der Beigeladenen aufgrund der getroffenen Duldungsentscheidung zu keinen strengeren Lärmschutzvorkehrungen als den in einem Gewerbegebiet erforderlichen zwingt, ist deshalb für die Frage des Verstoßes gegen den Gebietsbewahrungsanspruch unerheblich.

27

2. Trotz Vorliegens der tatbestandlichen Voraussetzungen der Eingriffsermächtigung in § 81 Satz 1 LBauO haben die Kläger keinen Anspruch auf ein bauaufsichtliches Einschreiten gegen die im Haus der Beigeladenen stattfindende Wohnnutzung, weil der Beklagte dies zum jetzigen Zeitpunkt fehlerfrei abgelehnt hat.

28

a) Es kann deshalb letztlich dahingestellt bleiben, ob dem von den Klägern geltend gemachten Anspruch der Einwand der Verwirkung oder die Unanfechtbarkeit der Duldungsentscheidung vom 6. Februar 2004 entgegengehalten werden kann. In beiden Fällen neigt der Senat allerdings dazu, dies zu verneinen.

29

Dass die Kläger seit Aufnahme der Wohnnutzung durch die Beigeladenen im Jahr 1992 lange Zeit untätig geblieben sind, dürfte deshalb keine Verwirkung ihrer nachbarlichen Ansprüche auf bauaufsichtliches Einschreiten begründen, weil in den 1990er Jahren keiner der Beteiligten erkannt hatte, dass die 1913 erteilte Baugenehmigung zur Wohnnutzung infolge der Umnutzung des Hauses durch die Straßenverwaltung unwirksam geworden war (vgl. allgemein zu den Voraussetzungen der Verwirkung nachbarlicher Abwehrrechte: BVerwG, Urteil vom 16. Mai 1991 - 4 C 4.89 -, NVwZ 1991, 1182 und juris, Rn. 22).

30

Hinsichtlich des Bescheids vom 6. Februar 2004 dürfte zwar von einem Duldungsverwaltungsakt auszugehen sein. Hierfür sprechen die Formulierungen „Duldungsentscheidung“ und „Verschaffen einer verfestigten Rechtsposition“. Indes dürfte diese Duldungsentscheidung gegenüber den Klägern nicht unanfechtbar geworden sein. Eine unmittelbare Anwendung der Anfechtungsfristen nach §§ 57, 58 und 70 VwGO scheidet mangels förmlicher Bekanntgabe des Verwaltungsakts den Klägern gegenüber aus. Das Berufen auf die fehlende Bekanntgabe der Duldungsentscheidung dürfte ihnen auch nicht nach Treu und Glauben versagt werden können. Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht in dem von den Beigeladenen zitierten Urteil vom 25. Januar 1974 - IV C 2.72 -, ausgeführt, dass einem Nachbar dann, wenn er sichere Kenntnis von einer Baugenehmigung erlangt hat oder hätte erlangen müssen, nach Treu und Glauben die Berufung darauf versagt sein könne, dass die Baugenehmigung ihm nicht amtlich mitgeteilt wurde (vgl. BVerwGE 44, 294, Leitsatz 2). Die danach erforderliche Treuwidrigkeit dürfte den Klägern hier allerdings nicht vorgehalten werden können. So haben sie in dem mit dem Beklagten geführten Rechtsstreit um das Nachtfahrverbot vom 25. Juli 2003 bereits im Schriftsatz ihres damaligen Verfahrensbevollmächtigten vom 8. November 2004 die in dem „Feststellungsbescheid“ (vom 6. Februar 2004) erklärte Duldung der Wohnnutzung der Beigeladenen als „evident rechtsmissbräuchlich und ermessensfehlerhaft“ kritisiert. Dass sie darüber hinaus keine weiteren Schritte eingeleitet, sondern zunächst den Rechtsstreit zwischen den Beigeladenen und dem Beklagten über die Baurechtswidrigkeit der Wohnnutzung abgewartet haben, erscheint legitim. Nach rechtskräftigem Abschluss dieses Rechtsstreits sind die Kläger dann alsbald aktiv geworden und haben um bauaufsichtliches Einschreiten nachgesucht.

31

b) Der Beklagte hat den Antrag der Kläger, gegen die rechtswidrige Wohnnutzung der Beigeladenen durch Erlass einer Nutzungsuntersagungsverfügung einzuschreiten, im Bescheid vom 10. Februar 2011 jedenfalls ermessensfehlerfrei abgelehnt.

32

Zwar kann ein Nachbar nach der Rechtsprechung des erkennenden Gerichts bei der Verletzung nachbarschützender Vorschriften grundsätzlich ein bauaufsichtliches Einschreiten zum Zwecke der Beseitigung des Rechtsverstoßes beanspruchen. Eine solche Ermessensreduzierung gilt jedoch nicht uneingeschränkt. So ist anerkannt, dass sie dann nicht eintritt, wenn eine Befreiung oder eine Abweichung von der nachbarschützenden Vorschrift in Betracht kommt, übergeordnete, sich aus der Sache selbst ergebende öffentliche Interessen einem Einschreiten entgegenstehen oder sich die Abweichung von der nachbarschützenden Vorschrift im Bagatellbereich hält (vgl. OVG RP, Urteile vom 22. Oktober 1987 - 1 A 108/85 - und 7. Dezember 2005 - 8 A 11062/05.OVG -, jew. m.w.N.). Der Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten ist ferner eingeschränkt, soweit der Einschreitenspflicht der Behörde ihrerseits rechtliche Schranken entgegenstehen. Denn der subjektive Anspruch des Nachbarn kann nicht weitergehen als die objektive Pflicht der Bauaufsichtsbehörde.

33

Der Beklagte sieht sich derzeit zu Recht aus Gründen des Vertrauensschutzes an dem Erlass einer Nutzungsuntersagungsverfügung gegenüber den Beigeladenen gehindert.

34

(1) Zwar können polizeiliche bzw. ordnungsrechtliche Eingriffsbefugnisse nicht verwirkt werden. Denn im Unterschied zu subjektiven privaten Rechten sind sie nicht verzichtbar, müssen vielmehr im öffentlichen Interesse zur Gewährleistung rechtmäßiger Zustände aufrechterhalten bleiben (vgl. VGH BW, Urteil vom 1. April 2008 - 10 S 1388/06 -, NVwZ-RR 2008, 696; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 12. Aufl. 2011, § 53 Rn. 44). Von dem Tatbestand der Verwirkung ist jedoch der Umstand zu unterscheiden, dass sich das Gebrauchmachen von einer Eingriffsermächtigung im Einzelfall als ermessensfehlerhaft erweisen kann, wenn sich eine Behörde damit in Widerspruch zu ihrem früheren Verhalten setzt und schutzwürdiges Vertrauen des Betroffenen verletzt. So ist in der Rechtsprechung des erkennenden Gerichts anerkannt, dass eine Bauaufsichtsbehörde dann am ermessensfehlerfreien Erlass einer Beseitigungsverfügung gehindert sein kann, wenn sie durch ihr vorangegangenes positives Tun einen Vertrauenstatbestand beim Bauherrn geschaffen und dieser im Vertrauen darauf nicht unerhebliche und nur schwer rückgängig zu machende Vermögensdispositionen getroffen hat (sog. „aktive Duldung“, vgl. OVG RP, Urteil vom 13. Dezember 1979 - 1 A 68/77 -, AS 15, 324 [326]; Urteil vom 22. November 2011 - 8 A 11101/11.OVG -, DVBl. 2012, 250; ebenso: OVG NRW, Beschluss vom 18. November 2008 -7 A 103/08-, NVwZ-RR 2009, 364 und juris, Rn. 48 f; Decker, in: Simon/Busse, BayBauO, 107. Ergänzungslieferung 2012, Art. 76, Rn. 227 m.w.N.; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl. 2008, § 53, Rn. 27).

35

Die Begrenzung der Einschreitenspflicht aus Gründen des Vertrauensschutzes schränkt die Durchsetzung des objektiven Rechts und der damit korrespondierenden subjektiven Nachbaransprüche zwangsläufig ein. Diese Zurücknahme der Rechtsdurchsetzung ist aber durch die gegenläufigen, ihrerseits ebenfalls rechtlich geschützten Interessen gerechtfertigt (vgl. zu dem im Rechtsstaatsprinzip wurzelnden Gebot des Vertrauensschutzes bei Erlass baurechtlicher Beseitigungsverfügungen: BVerfG, Beschluss vom 2. September 2004 -1 BvR 1860/02-, NVwZ 2005, 203 [Pirmasenser Amnestie]). Die widerstreitenden Positionen müssen in einen angemessenen Ausgleich gebracht werden. Hierzu dient das den Bauaufsichtsbehörden eingeräumte Ermessen. Dabei wird dem Gebot zur Herbeiführung rechtmäßiger Zustände von vornherein dadurch in besonderem Maße Ausdruck verliehen, dass die Hinnahme rechtswidriger Zustände aus Gründen des Vertrauensschutzes nur für einen vorübergehenden Zeitraum erlaubt sein kann. Keinesfalls darf die auf schutzwürdiges Vertrauen gestützte Duldung in ihrer Wirkung derjenigen einer Baugenehmigung gleichkommen (vgl. HessVGH, Beschluss vom 29. März 1993 - 4 UE 470/90 -, BauR 1994, 229 und juris, Rn. 13; Finkelnburg/Ortloff/Otto, Öffentliches Baurecht, Bd. II, 6. Aufl. 2010, S. 186 m.w.N.).

36

(2) Vor diesem Hintergrund ist die Entscheidung des Beklagten, aktuell nicht gegen die Wohnnutzung der Beigeladenen in ihrem Haus P… Str. einzuschreiten, rechtlich nicht zu beanstanden.

37

Der Beklagte hat zu Recht erkannt, dass durch die Baugenehmigung zur Errichtung der Eingangsüberdachung mit Terrasse und Balkon im Jahr 1995 ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden war. Die Beigeladenen mussten diese Baugenehmigung so verstehen, dass die Berechtigung zur Wohnnutzung in dem von ihnen erworbenen Haus nicht in Frage gestellt wird. Die sich im Nachhinein als rechtswidrig erweisende Genehmigung ist auch von den Klägern nicht beanstandet worden; gestritten wurde im Rahmen der Bauausführung lediglich um einen geringfügigen Terrassenüberbau. Da die Beigeladenen im Vertrauen auf die Berechtigung ihrer Wohnnutzung auch nicht unerhebliche Investitionen getätigt haben, würde die Bauaufsichtsbehörde gegen Grundsätze des Vertrauensschutzes verstoßen, wenn sie hierauf im Rahmen der Entscheidung über die Durchsetzung des Gebietsbewahrungsanspruchs nicht Rücksicht nähme.

38

Andererseits hat der Beklagte bei seinen, dem Bescheid vom 11. Februar 2011 zugrunde liegenden Ermessenserwägungen auch die schutzwürdigen Interessen der Kläger gewürdigt und ihnen in gebotenem Maße Rechnung getragen. Wie vom Verwaltungsgericht bereits zutreffend dargelegt, hat die Behörde nämlich die Duldung des baurechtswidrigen Zustands an die Bedingung geknüpft, dass die Beigeladenen keine strengeren Lärmschutzanforderungen geltend machen, als dies für eine Betriebswohnung in einem Gewerbebetrieb beansprucht werden könnte. Dies bedeutet, dass sich die Beigeladenen mit den in einem Gewerbegebiet zwangsläufig entstehenden und als gebietsverträglich zu bewertenden Geräuscheinwirkungen, einschließlich auftretender Geräuschspitzen, abzufinden haben. Sofern sie darüber hinaus Schutzvorkehrungen auch unterhalb des in einem Gewerbegebiet üblichen Niveaus beanspruchen und gegenüber dem Beklagten geltend machen, stellen sie damit die ihnen lediglich unter der vorgenannten Bedingung gewährte Duldung in Frage. Ferner hat der Beklagte in seinem Bescheid vom 10. Februar 2011 den Interessen der Kläger dadurch Rechnung getragen, dass er sich die Möglichkeit des Einschreitens in der Zukunft ausdrücklich vorbehalten und dabei durchaus offengelassen hat, ob nicht der – von den Klägern angesprochene – Zeitpunkt des Ablebens der Beigeladenen und damit die Beendigung der derzeit praktizierten baurechtswidrigen Nutzung des Hauses einen Anlass für ein Einschreiten darstellt. Soweit darin eine Einschränkung gegenüber der großzügigeren, nämlich eine Anschlussnutzung durch die Kinder der Beigeladenen einschließende Duldungsregelung im Schreiben des Landrats vom 15. September 2008 zu sehen ist, ist dies rechtlich nicht zu beanstanden. Denn § 50 VwVfG i.V.m. § 1 LVwVfG stellt Aufhebungen bzw. Einschränkungen von Verwaltungsakten anlässlich oder gelegentlich eines Rechtsbehelfsverfahrens - wie hier - von Vertrauensschutzerwägungen nach §§ 48 oder 49 VwVfG frei (vgl. Ziekow, VwVfG, 2. Aufl. 2010, § 50 Rn. 2).

39

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

40

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten beruht auf § 167 i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

41

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.

42

Beschluss

43

Der Wert des Streitgegenstandes für das Berufungsverfahren wird auf 7.500,00 € festgesetzt (§§ 47, 52 GKG).

(1) Im Geltungsbereich eines Bebauungsplans, der allein oder gemeinsam mit sonstigen baurechtlichen Vorschriften mindestens Festsetzungen über die Art und das Maß der baulichen Nutzung, die überbaubaren Grundstücksflächen und die örtlichen Verkehrsflächen enthält, ist ein Vorhaben zulässig, wenn es diesen Festsetzungen nicht widerspricht und die Erschließung gesichert ist.

(2) Im Geltungsbereich eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans nach § 12 ist ein Vorhaben zulässig, wenn es dem Bebauungsplan nicht widerspricht und die Erschließung gesichert ist.

(3) Im Geltungsbereich eines Bebauungsplans, der die Voraussetzungen des Absatzes 1 nicht erfüllt (einfacher Bebauungsplan), richtet sich die Zulässigkeit von Vorhaben im Übrigen nach § 34 oder § 35.

(1) Reine Wohngebiete dienen dem Wohnen.

(2) Zulässig sind

1.
Wohngebäude,
2.
Anlagen zur Kinderbetreuung, die den Bedürfnissen der Bewohner des Gebiets dienen.

(3) Ausnahmsweise können zugelassen werden

1.
Läden und nicht störende Handwerksbetriebe, die zur Deckung des täglichen Bedarfs für die Bewohner des Gebiets dienen, sowie kleine Betriebe des Beherbergungsgewerbes,
2.
sonstige Anlagen für soziale Zwecke sowie den Bedürfnissen der Bewohner des Gebiets dienende Anlagen für kirchliche, kulturelle, gesundheitliche und sportliche Zwecke.

(4) Zu den nach Absatz 2 sowie den §§ 2, 4 bis 7 zulässigen Wohngebäuden gehören auch solche, die ganz oder teilweise der Betreuung und Pflege ihrer Bewohner dienen.

(1) Im Geltungsbereich eines Bebauungsplans, der allein oder gemeinsam mit sonstigen baurechtlichen Vorschriften mindestens Festsetzungen über die Art und das Maß der baulichen Nutzung, die überbaubaren Grundstücksflächen und die örtlichen Verkehrsflächen enthält, ist ein Vorhaben zulässig, wenn es diesen Festsetzungen nicht widerspricht und die Erschließung gesichert ist.

(2) Im Geltungsbereich eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans nach § 12 ist ein Vorhaben zulässig, wenn es dem Bebauungsplan nicht widerspricht und die Erschließung gesichert ist.

(3) Im Geltungsbereich eines Bebauungsplans, der die Voraussetzungen des Absatzes 1 nicht erfüllt (einfacher Bebauungsplan), richtet sich die Zulässigkeit von Vorhaben im Übrigen nach § 34 oder § 35.

(1) Die in den §§ 2 bis 14 aufgeführten baulichen und sonstigen Anlagen sind im Einzelfall unzulässig, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widersprechen. Sie sind auch unzulässig, wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind, oder wenn sie solchen Belästigungen oder Störungen ausgesetzt werden.

(2) Die Anwendung des Absatzes 1 hat nach den städtebaulichen Zielen und Grundsätzen des § 1 Absatz 5 des Baugesetzbuchs zu erfolgen.

(3) Die Zulässigkeit der Anlagen in den Baugebieten ist nicht allein nach den verfahrensrechtlichen Einordnungen des Bundes-Immissionsschutzgesetzes und der auf seiner Grundlage erlassenen Verordnungen zu beurteilen.

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Tenor

Die Berufung der Beigeladenen zu 1) und 2) gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 14. April 2014 wird zurückgewiesen.

Die Beigeladenen zu 1) und 2) haben die Kosten des Verfahrens zu tragen, mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 3), die diese selbst trägt.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beigeladenen zu 1) und 2) dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der beizutreibenden Kosten abwenden, wenn nicht die jeweiligen Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Kläger wenden sich gegen die den Beigeladenen zu 1) und 2) erteilte Baugenehmigung zur Errichtung einer Dachterrasse auf dem Betonflachdach ihres Bungalows.

2

Sie sind Miteigentümer des Grundstücks A. Straße … (Flurstück-Nr. .../1) in M. Südlich daran grenzt das Grundstück A. Straße … (Flurstück-Nr. .../2) an, das im Miteigentum der Beigeladenen zu 1) und 2) steht und von diesen im Jahr 2010 erworben wurde. Beide Grundstücke sind jeweils mit einem Bungalow mit Flachdach bebaut und liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans „Mandelgraben“ der Beigeladenen zu 3), der in seiner Ursprungsfassung am 8. Oktober 1973 als Satzung beschlossen worden ist. Der Bebauungsplan „Mandelgraben“ setzt für das Gebiet, in dem auch die Wohngrundstücke der Kläger und der Beigeladenen zu 1) und 2) gelegen sind, ein reines Wohngebiet mit eingeschossiger, geschlossener Bebauung in Hausgruppen fest. Des Weiteren findet sich die Festsetzung „Gartenhofhäuser“ sowie die Festsetzung einer Grund- und einer Geschossflächenzahl von jeweils 0,6. Nach Ziffer 3.2 der Textfestsetzungen sind „Dachaufbauten (Dachgauben)“ nicht zulässig. Nach Ziffer 7.1 der Textfestsetzungen darf die Gesamthöhe der seitlichen und hinteren Einfriedungen das Maß von 1,0 m nicht überschreiten. Lediglich bei Gartenhofhäusern ist allseitig eine Sichtblende bis zu 2,00 m Höhe zugelassen (Ziffer 7.5 der Textfestsetzungen).

3

Mit dem am 15. Juni 1976 als Satzung beschlossenen Änderungsplan I wurde die ursprünglich für den Bereich westlich der Grundstücke der Kläger und der Beigeladenen zu 1) und 2) vorgesehene Festsetzung zur Zulässigkeit von vier- bzw. fünfgeschossigen Wohnhäusern zugunsten einer lediglich eingeschossigen Wohnhausbebauung abgeändert. Der Änderungsplan I wurde im Unterschied zum Ursprungsbebauungsplan nachträglich im April 1992 ausgefertigt und erneut öffentlich bekannt gemacht.

4

Mit dem am 14. Mai 1991 als Satzung beschlossenen Änderungsplan VII erfolgte eine weitere, die Anwesen der Kläger und der Beigeladenen zu 1) und 2) betreffende Änderung. Danach sind für eingeschossige Hausgruppen neben Flach- nunmehr auch Walmdächer zulässig, deren Firsthöhe aber auf 1,50 m ab OK-Rohdecke bis OK-Dachhaut beschränkt ist.

5

Im Januar 2012 beantragten die Beigeladenen zu 1) und 2) die Baugenehmigung zur Errichtung einer Dachterrasse, jenseits der Grenzgarage zum Grundstück der Kläger sowie der Errichtung einer Pergola im Eingangsbereich und einer weiteren Pergola im rückwärtigen Terrassenbereich. Die Dachterrasse soll durch ein 1 m hohes Geländer mit Lochblechfüllung eingefasst werden. Mit Bescheid vom 2. Februar 2012 wurde den Beigeladenen zu 1) und 2) die beantragte Baugenehmigung im vereinfachen Genehmigungsverfahren erteilt.

6

Der gegen die Genehmigung der Dachterrasse mit der Begründung, es handele sich dabei um einen unzulässigen Dachaufbau und einen Verstoß gegen die Gartenhofhaus-Festsetzung, eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 26. Juli 2013 zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Umwehrung der Dachterrasse keinen Dachaufbau im Rahmen einer Dachfläche darstelle. Die drohende Einsehbarkeit des Grundstücks der Kläger möge von diesen zwar als störend wahrgenommen werden, erweise sich jedoch nicht als rücksichtslos.

7

Zur Begründung ihrer dagegen erhobenen Klage haben die Kläger im Wesentlichen geltend gemacht, die Dachterrasse verstoße gegen die Festsetzung „Gartenhofhäuser“, die auch gerade dem Schutz der Nachbarschaft vor Einsehbarkeit zu dienen bestimmt sei. Dem ist der Beklagte im Wesentlichen mit der Begründung entgegengetreten, die Festsetzung „Gartenhofhäuser“ sei nicht nachbarschützend. Der Schutz vor Einblick habe bei dem ursprünglichen Bebauungsplan „Mandelgraben“ aus dem Jahre 1973 nicht im Vordergrund gestanden, was sich aus der Zulassung vier- bis fünfgeschossiger Bauweise in unmittelbarer Nachbarschaft ergebe.

8

Das Verwaltungsgericht hat der Klage mit Urteil vom 14. April 2014 stattgegeben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Genehmigung der Dachterrasse verstoße gegen nachbarschützende bauplanungsrechtliche Vorschriften. Zwar handele es sich nicht um einen Dachaufbau im Sinne des Bebauungsplans, da hiervon nur Dachgauben erfasst seien. Jedoch verstoße die Dachterrasse gegen die Festsetzung „Gartenhofhäuser“. Zwar habe diese Festsetzung nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aus sich heraus keine drittschützende Wirkung. Jedoch könne der Satzungsgeber dieser Festsetzung einen nachbarlichen Abwehranspruch beimessen. Dies sei hier der Fall. Zwar gebe der Bebauungsplan „Mandelgraben, Änderungsplan I“ zu der Frage, ob die dort getroffene Festsetzung „Gartenhofhäuser“ zumindest auch nachbarlichen Belangen dienen solle, keine näheren Anhaltspunkte. Allerdings sei in der städtebaulichen Begründung des Änderungsplans VII ausgeführt, dass die nunmehr zugelassene Walmdachform mit begrenzter Firsthöhe gerade auch „im Hinblick auf nachbarrechtliche Konflikte“ festgesetzt worden sei. Hieraus ergebe sich, dass bei der Festsetzung „Gartenhofhäuser“ der Wohnfrieden eine erhebliche Rolle gespielt habe. Dies lasse nur den Schluss zu, dass die Beigeladene zu 3) sowohl im Bebauungsplan „Mandelgraben, Änderungsplan I“ als auch im Änderungsplan VII innerhalb der Gartenhofhausgebiete „Wohnintimität gewährleisten“ wollte. Deshalb brauchten es die Kläger nicht hinzunehmen, dass aus dem Gartenhofhaus-Gebiet selbst Einsichtsmöglichkeiten in ihr Grundstück geschaffen würden. Überdies verstoße die genehmigte Dachterrasse wegen ihres Widerspruchs zur Eigenart des Baugebiets gegen das Gebot der Rücksichtnahme nach § 15 Abs. 1 BauNVO.

9

Zur Begründung der vom Senat zugelassenen Berufung tragen die Beigeladenen zu 1) und 2) im Wesentlichen vor: Das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht eine drittschützende Wirkung der Festsetzung „Gartenhofhäuser“ angenommen. Wenn es selbst Anhaltspunkte für eine nachbarschützende Funktion dieser Festsetzung im ursprünglichen Bebauungsplan verneine, sei es fehlerhaft, eine solche Drittschutzfunktion nachträglich aus dem Änderungsplan VII herzuleiten. Dies umso mehr, als sich die darin vorgenommene Änderung lediglich auf die Dachgestaltung bezogen habe. Die Aussage in der Begründung, man habe nachbarliche Konflikte vermeiden wollen, beziehe sich daher lediglich auf die nunmehr zugelassenen Walmdächer. Auch nachträgliche Äußerungen des Stadtplaners und eines ehemaligen Bürgermeisters könnten die erforderliche nachbarschützende Funktion nicht begründen.

10

Die Beigeladenen zu 1) und 2) beantragen,

11

das Urteil des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 14. April 2014 abzuändern und die Klage abzuweisen.

12

Die Kläger beantragen,

13

die Berufung zurückzuweisen.

14

Nach ihrer Auffassung habe das Verwaltungsgericht zu Recht eine nachbarschützende Funktion der Festsetzung „Gartenhofhäuser“ angenommen. Dies ergebe sich schon aus dem Begriff des Gartenhofhauses, wie er in den früheren Fassungen der Baunutzungsverordnung seinen Niederschlag gefunden habe. Gartenhofhäuser seien durch eine grenzständige Bebauung gekennzeichnet, die keine Einsichtsmöglichkeiten in den benachbarten Gartenhof ermögliche. Dass mit der Festsetzung „Gartenhofhäuser“ auch eine nachbarschützende, dem Wohnfrieden dienende Funktion verfolgt worden sei, werde durch die Stellungnahmen des damaligen Stadtplaners und des ehemaligen Bürgermeisters bestätigt.

15

Der Beklagte stellt keinen Antrag, teilt indessen die Auffassung der Beigeladenen zu 1) und 2), dass der Festsetzung „Gartenhofhäuser“ im Bebauungsplan „Mandelgraben“ keine drittschützende Funktion zukomme.

16

Die Beigeladene zu 3) erklärt, dass sowohl bei der Aufstellung des Bebauungsplanes „Mandelgraben-Änderungsplan I“ (u.a. Festsetzung der Areale für die Bebauung mit Gartenhofhäusern mit zugelassenen 2 m hohen Einfriedungen) als auch beim „Änderungsplan VII“ (Zulassung von flachgeneigten Walmdächern auf den Gartenhofhäusern mit maximal 1,50 m Firsthöhe) die Problematik des Nachbarschutzes wie Sichtschutz oder Einschränkung von Belichtung und Belüftung eines wesentliche Rolle gespielt habe. Die Wahrung nachbarschützender Belange sei immer Bestandteil der Planung und der Abwägung gewesen. Für die Quartiere der Gartenhofhäuser habe der Nachbarschutz eine besondere Bedeutung, da nachbarschützende Grenzabstände fehlten.

17

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie die beigezogenen Behördenakten, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

18

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

19

Das Verwaltungsgericht hat der Anfechtungsklage gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zur Errichtung einer Dachterrasse zu Recht stattgegeben. Denn diese Baugenehmigung ist objektiv rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten, weshalb sie nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufzuheben ist.

20

Die Genehmigung der Dachterrasse auf dem Wohnhaus der Beigeladenen in der beantragten Ausgestaltung ist objektiv rechtswidrig, weil sie gegen die Festsetzung „Gartenhofhäuser“ im Bebauungsplan „Mandelgraben“ der Beigeladenen zu 3) i.d.F. des Änderungsplans VII vom 14. Mai 1991 verstößt (§ 30 Abs. 1 BauGB). In der Planzeichnung findet sich für das Gebiet, dem die Grundstücke der Kläger und der Beigeladenen zu 1) und 2) angehören, neben der Festsetzung eines reinen Wohngebiets mit eingeschossiger und geschlossener Bebauung sowie einer Grund- und Geschossflächenzahl von 0,6 die Festsetzung „Gartenhofhäuser“, ohne dass dieser Begriff in der Zeichenerklärung oder den textlichen Festsetzungen näher erläutert wird. Der Sache nach handelt es sich um eine besondere Festsetzung zur Bauweise (§ 22 Abs. 4 BauNVO), die so schon im Ursprungsbebauungsplan „Mandelgraben“ vom 8. Oktober 1973 enthalten war. Mangels anderer Anhaltspunkte zum Begriffsinhalt liegt es nahe, zu dessen Verständnis auf die gesetzliche Definition abzustellen, die sich in den bis zum Inkrafttreten der Baunutzungsverordnung vom 23. Januar 1990 geltenden Fassungen der Baunutzungsordnung fand. So hieß es in der Regelung zu den Obergrenzen für das Maß der baulichen Nutzung in § 17 Abs. 2 BauNVO a.F. (1962, 1968, 1977):

21

„In Gebieten, die für eine Bebauung mit eingeschossigen Wohngebäuden mit fremder Sicht entzogenen Gartenhof, wie Gartenhof- und Atriumhäuser, vorgesehen sind, können im Bebauungsplan eine Grundflächenzahl und eine Geschossflächenzahl bis 0,6 festgesetzt werden.“

22

Da hier von dieser Ermächtigung zur Festsetzung der Grund- und Geschossflächenzahl bis 0,6 (statt der ansonsten für eine eingeschossige Bebauung im reinen Wohngebiet vorgesehenen Grund- und Geschossflächenzahl von 0,4) Gebrauch gemacht worden ist, kann die Festsetzung „Gartenhofhäuser“ nur als abgekürzte Bezeichnung für die Festsetzung „Bebauung mit eingeschossigen Wohngebäuden mit einem fremder Sicht entzogenen Gartenhof“ verstanden werden (ebenso: OVG Nds., Urteil vom 27. Juni 1984 - 6 A 68/82 -, BauR 1984, 619; BVerwG, Beschluss vom 20. September 1984 - 4 B 202.84 -, NVwZ 1985, 748 und juris, Rn. 6; auch: BVerwG, Beschluss vom 5. Mai 1994 - 4 NB 16.94 -, Buchholz 406.12 § 17 BauNVO Nr. 6 und juris, Rn. 3 - „… wird gewährleistet, dass die Einsicht unterbunden wird“ -). Entsprechend diesem Verständnis ist auch in den Folgejahren die tatsächliche Bebauung überwiegend erfolgt, nämlich mit eingeschossigen Flachdach-Bungalows, deren grenzständige Außenwände zu dem Gartenhof auf dem Nachbargrundstück keine Fenster aufweisen und dadurch das Ziel erreichen, die Einsicht in andere Gartenhöfe auszuschließen. Dass die Nichteinsehbarkeit der Gartenhöfe ein wesentliches Ziel der bauplanerischen Festsetzungen in den jeweils betroffenen Bereichen war, wird auch dadurch belegt, dass nach Ziffer 7.5 der textlichen Festsetzungen bei Gartenhofhäusern „allseitig eine Sichtblende bis zu 2,00 m Höhe zugelassen“ wird, abweichend von der ansonsten zugelassenen Einfriedungshöhe von 1,00 m (vgl. Textfestsetzung Nr. 7.1).

23

Die Errichtung der Dachterrasse in der genehmigten Form, lediglich mit einem 1 m hohen Geländer, verstößt gegen die Festsetzung von „Gartenhofhäusern“ mit dem oben beschriebenen Begriffsinhalt, weil durch deren Nutzung der Gartenhof auf dem benachbarten Grundstück nicht mehr „fremder Sicht entzogen“ ist. Zwar beginnt die Dachterrasse aus Sicht des Grundstücks der Kläger erst jenseits der Grenzgarage in einem Abstand von 3,80 m. Zwischen den Beteiligten ist indes unstreitig und durch die von den Klägern vorgelegten Skizzen (vgl. Bl. 64 der Gerichtsakte - GA -) belegt, dass der Garten- und Terrassenbereich des Anwesens der Kläger von der Dachterrasse des Nachbargebäudes einsehbar ist.

24

Die Kläger werden durch den Verstoß gegen die Festsetzung „Gartenhofhäuser“ auch in ihren Rechten verletzt, weil diese Festsetzung zu ihren Gunsten nachbarschützend ist.

25

Festsetzungen in einem Bebauungsplan sind nicht generell nachbarschützend, sondern nur, soweit sich aus dem Wortlaut der Festsetzung - gegebenenfalls unter Rückgriff auf die Planbegründung - ein entsprechender Wille des Satzungsgebers entnehmen lässt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. September 1984 - 4 B 202/84 -, NVwZ 1985, 748 und juris, Rn. 6; OVG RP, Urteil vom 14. Januar 2000 - 1 A 11751/99.OVG -, BauR 2000, 527; Beschluss vom 17. September 2008 - 8 A 10725/08.OVG -). Darauf, dass § 17 Abs. 2 BauNVO 1962, 1968 und 1977, d.h. die Ermächtigung zur Anhebung der Grund- und Geschossflächenzahl für Gartenhofhausgebiete, keine drittschützende Wirkung besitzt (so: BVerwG, Beschluss vom 5. Mai 1994, a.a.O., juris, Rn. 2; vgl. auch: BVerwG, Beschluss vom 20. September 1984, a.a.O., Rn. 6), kommt es nicht an. Ob die Festsetzung „Gartenhofhäuser“ im Bebauungsplan „Mandelgraben“ im Sinne einer „Bebauung mit eingeschossigen Wohngebäuden mit einem fremder Sicht entzogenen Gartenhof“ nachbarschützende Wirkung entfaltet, hängt allein von der Auslegung dieses konkreten Bebauungsplans ab (vgl. BVerwG, jeweils a.a.O.).

26

Dass die Festsetzung „Gartenhofhäuser“ im Bebauungsplan „Mandelgraben“ auch dem Schutz der Interessen der Nachbarschaft dienen sollte, ergibt sich bereits aus dem oben dargelegten Begriffsinhalt dieser Festsetzung, und zwar schon im Ursprungsbebauungsplan. Danach sollte mit dieser Festsetzung eine Bebauung erreicht werden, bei der die sich aus den Außenwänden des eigenen Gebäudes und der fensterlosen Grenzwand des Nachbarhauses ergebenden Gartenhöfe „fremder Sicht entzogen“ sein sollten. Mit dem Ausschluss der Einsehbarkeit von fremder Seite, insbesondere also von Seiten des Nachbarn, sollte nicht bloß ein baugestalterischer Zweck verfolgt, sondern gerade auch nachbarschützenden Interessen gedient werden (vgl. Fickert/Fieseler, BauNVO, 3. Aufl. 1971, § 17, Rn. 194; auch: VGH BW, Beschluss vom 22. Juli 1966 - I 131/65 -, ESVGH 17, 101 [107] - schutzwürdiges privates Interesse an der Vermeidung von Einsehbarkeit durch eine heranrückende Bebauung -). Es besteht ein Austauschverhältnis dergestalt, dass der Eigentümer eines Grundstücks zwar einerseits das Heranrücken des Nachbargebäudes bis auf die gemeinsame Grundstücksgrenze zu dulden hat, andererseits aber die Nichteinsehbarkeit seines Gartenhofs beanspruchen kann. Dass der Plangeber mit der Festsetzung von „Gartenhofhäusern“ im Interesse der jeweiligen Eigentümer einen abgeschirmten Bereich des Wohnens in einem „grünen Zimmer“ (vgl. OVG Nds., Urteil vom 27. Juni 1984, a.a.O.) ermöglichen wollte, wird auch durch die ergänzende Erlaubnis einer 2 m hohen Sichtblende an den nicht bebauten Seiten des Gartenhofes bestätigt.

27

Als ergänzender Beleg für die nachbarschützende Zweckrichtung der Festsetzung von „Gartenhofhäusern“ in dem Bebauungsplan „Mandelgraben“ kann schließlich die Erläuterung des Leiters des für die Bauleitplanung verantwortlichen Planungsbüros S., herangezogen werden. Nach der Stellungnahme von Dipl.-Ing. U. S. vom 20. September 2014 (Bl. 238 R der Gerichtsakte) sollte mit der Festsetzung „Gartenhofhäuser“ ein weitestgehend störungsfreies Wohnen durch einen aus der Nachbarschaft nicht einsehbaren Hof erreicht werden. Diese Zwecksetzung sei von Anfang an Grundlage der Planung gewesen.

28

Eine nachträgliche Bestätigung hierfür kann schließlich auch den Erwägungen im Zusammenhang mit der Änderungsplanung VII aus dem Jahr 1991 entnommen werden. Zwar hat der Änderungsplan VII vom 14. Mai 1991 für die Gartenhofhausgebiete lediglich eine Änderung der Festsetzung zu der erlaubten Dachform bewirkt, wonach statt der ursprünglich vorgesehenen Flachdächer nunmehr auch die Aufbringung von Walmdächern mit einer Firsthöhe von 1,50 m ab OK-Rohdecke bis OK-Dachhaut erlaubt wird; und nach ihrer städtebaulichen Begründung sollte mit dieser Planänderung lediglich die Möglichkeit zu einer gestalterischen Variante sowie einer anderen Form der Dachabdichtung des eingeschossigen Gartenhofhaustyps gegeben werden. Jedoch zeigt die Begründung auch, dass bei dieser Festsetzung auch Interessen des Nachbarschutzes abgewogen wurden. So heißt es wörtlich in der städtebaulichen Begründung:

29

„Die Walmdachform mit begrenzter Firsthöhe ist hierbei in Bezug auf Belüftung und Belichtung der Innenhöfe sowie im Hinblick auf nachbarliche Konflikte als die geeignete Dachform festgesetzt worden.“

30

Zwar ist den Beigeladenen zuzugestehen, dass nachbarschützende Erwägungen bei der Festsetzung der Dachform im Jahr 1991 nicht nachträglich eine nachbarschützende Funktion der bereits seit dem Ursprungsplan aus dem Jahr 1973 vorhandenen Festsetzung „Gartenhofhäuser“ begründen können. Wenn aber im Zusammenhang mit der geänderten Festsetzung zur Dachform mögliche Auswirkungen auf die Nichteinsehbarkeit der Gartenhöfe erwogen wurden, stellt dies jedoch einen zusätzlichen Beleg dafür dar, dass die Nichteinsehbarkeit der Gartenhöfe zwecks Vermeidung nachbarlicher Konflikte ein von Anfang an bestehender Grundzug der Gartenhofhaus-Festsetzung war. Hierfür spricht, dass der Rat der Beigeladenen zu 3) sich im Rahmen der Änderungsplanung VII auch mit weitergehenden Wünschen zur Schaffung von Nutzräumen unter den Dächern zu befassen hatte (vgl. das Protokoll zur Gemeinderatssitzung vom 27. November 1990), andererseits aber auch Einwender darauf hinwiesen, dass bei Errichtung von Walmdächern durch den Einbau von Dachflächenfenstern Einblicke in die Nachbargärten möglich würden, wodurch Grundzüge der Planung betroffen seien. Hierzu fasste der Gemeinderat der Beigeladenen zu 3) den Beschluss, dass mit der vorgesehenen Festsetzung (insbesondere der geringen Dachneigung durch die vorgegebene Firsthöhe von 1,50 m über Rohbaudecke) den privaten Belangen der Nachbarn weitgehend Rechnung getragen worden sei. Wörtlich heißt es:

31

„Den privaten Belangen der Eigentümer von Gartenhofhäusern selbst sowie deren Nachbarn wurde dahingehend Rechnung getragen, dass eine Dachneigung und Dachform gewählt wurde, die die geringstmögliche Beeinträchtigung von Nachbargrundstücken erwarten lässt.“ (vgl. Protokoll der Gemeinderatssitzung vom 14. Mai 1991 zu OZ 6).

32

Sofern der Beklagte und die Beigeladenen zu 1) und 2) schließlich darauf hinweisen, die Festsetzung „Gartenhofhäuser“ im Ursprungsbebauungsplan könne schon deshalb nicht das Ziel einer absoluten Nichteinsehbarkeit der Gartenhöfe bezweckt haben, weil der ursprüngliche Plan in unmittelbarer Nachbarschaft die Errichtung von mehrgeschossigen Wohnhäusern vorgesehen hatte, ist dem der Unterschied zwischen einer unmittelbaren Einsehbarkeit vom Nachbargrundstück und der Einsehbarkeit aus größerer Entfernung entgegenzuhalten. Selbst wenn eine Einsehbarkeit nicht gänzlich auszuschließen ist, stellt es doch ein legitimes Ziel des Plangebers dar, innerhalb eines Gartenhofhausgebietes die Einsehbarkeit von den Nachbargrundstücken zu unterbinden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 5. Mai 1994, a.a.O., juris, Rn. 3 - „innerhalb des Baugebiets … wird … gewährleistet, dass die Einsicht unterbunden wird.“ -).

33

Ist das Bauvorhaben der Beigeladenen in der genehmigten Ausgestaltung daher bereits wegen Verstoßes gegen die Festsetzung über „Gartenhofhäuser“ unzulässig, kann dahingestellt bleiben, ob ihm auch die Textfestsetzung Nr. 3.2 („Dachaufbauten [Dachgauben] sind nicht zulässig.“) entgegengehalten werden kann. Zwar dürfte einiges dafür sprechen, den Klammerzusatz „Dachgauben“ nur beispielhaft zu verstehen (vgl. so auch Dipl.-Ing. S. in seiner Stellungnahme vom 20. September 2014, Bl. 238 R der Gerichtsakte). Wäre ausschließlich die Untersagung von Dachgauben gewollt gewesen, hätte es nahegelegen, sich hierauf zu beschränken. Hinsichtlich des Verbots von Dachaufbauten sind indes keine Anhaltspunkte erkennbar, dass mit dieser Festsetzung neben baugestalterischen Absichten zur Gewährleistung einer „ruhigen Dachlandschaft“ auch drittschützende Wirkungen zugunsten der Nachbarschaft verfolgt wurden. Aus diesem Grund könnten sich die Kläger auf einen eventuellen objektiv-rechtlichen Verstoß gegen diese Festsetzung nicht berufen.

34

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Ein Ausspruch über die Erstattungsfähigkeit der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 3) ist deshalb unterblieben, weil sie mangels Antragstellung kein Kostenrisiko getragen hat (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO).

35

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

36

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.

Beschluss

37

Der Wert des Streitgegenstandes für das Berufungsverfahren wird auf 7.500,00 € festgesetzt (§§ 47, 52 GKG).

(1) Im Geltungsbereich eines Bebauungsplans, der allein oder gemeinsam mit sonstigen baurechtlichen Vorschriften mindestens Festsetzungen über die Art und das Maß der baulichen Nutzung, die überbaubaren Grundstücksflächen und die örtlichen Verkehrsflächen enthält, ist ein Vorhaben zulässig, wenn es diesen Festsetzungen nicht widerspricht und die Erschließung gesichert ist.

(2) Im Geltungsbereich eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans nach § 12 ist ein Vorhaben zulässig, wenn es dem Bebauungsplan nicht widerspricht und die Erschließung gesichert ist.

(3) Im Geltungsbereich eines Bebauungsplans, der die Voraussetzungen des Absatzes 1 nicht erfüllt (einfacher Bebauungsplan), richtet sich die Zulässigkeit von Vorhaben im Übrigen nach § 34 oder § 35.

(1) Die in den §§ 2 bis 14 aufgeführten baulichen und sonstigen Anlagen sind im Einzelfall unzulässig, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widersprechen. Sie sind auch unzulässig, wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind, oder wenn sie solchen Belästigungen oder Störungen ausgesetzt werden.

(2) Die Anwendung des Absatzes 1 hat nach den städtebaulichen Zielen und Grundsätzen des § 1 Absatz 5 des Baugesetzbuchs zu erfolgen.

(3) Die Zulässigkeit der Anlagen in den Baugebieten ist nicht allein nach den verfahrensrechtlichen Einordnungen des Bundes-Immissionsschutzgesetzes und der auf seiner Grundlage erlassenen Verordnungen zu beurteilen.

Tenor

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 22. Juni 2014 gegen die dem Beigeladenen am 30. April 2013 erteilte Baugenehmigung für den Neubau eines Dreifamilienwohnhauses auf dem Grundstück Flurstück-Nr. …. in Ludwigshafen, A-Straße … wird in Bezug auf das Garagengebäude unmittelbar an der Grenze zum Grundstück Flurstück-Nr. …… angeordnet.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.

Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird auf 3.750 € festgesetzt.

Gründe

1

Der Antrag, mit dem der Antragsteller die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs vom 22. Juni 2014 gegen die dem Beigeladenen am 30. April 2013 erteilte Baugenehmigung für den Neubau eines Dreifamilienwohnhauses und Garage auf dem Grundstück Flurstück-Nr. …. in Ludwigshafen, A-Straße … begehrt, ist zulässig (1.) und begründet (2.).

2

1. Der Antrag ist zulässig.

3

1.1. Er ist nach §§ 80a Abs. 3 Satz 2, 80 Abs. 5 Satz 1 1. Alt. VerwaltungsgerichtsordnungVwGO – i.V.m. § 212 a BaugesetzbuchBauGB – statthaft. Da sich der Antragsteller sowohl im Vorverfahren als auch in seiner Antragsschrift inhaltlich ausschließlich mit dem Bau des an der gemeinsamen Grenze geplanten Garagengebäudes auf dem Grundstück Flurstück-Nr. ….. auseinandergesetzt hat, versteht die Kammer sein Begehren so, dass er sich nicht insgesamt gegen die Baugenehmigung vom 30. April 2013 wendet, sondern nur die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die Baugenehmigung in Bezug auf das Garagengebäude angeordnet werden soll.

4

Zwar sind Baugenehmigungen in aller Regel nicht in dem Sinne teilbar, dass Verstöße gegen Nachbarrechte schützende öffentlich-rechtliche Vorschriften gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO („soweit“) nur zu einer Teilaufhebung führen könnten (s. z.B. BayVGH, Beschluss vom 26. Oktober 2009 – 2 CS 09.2121 –, NVwZ-RR 2010, 346). Betrifft eine einheitliche Baugenehmigung allerdings getrennt voneinander genehmigbare Bauteile, so ist sie insoweit teilbar und eine Teilanfechtung möglich (Bay. VGH, Beschluss vom 10. Februar 2014 – 2 CS 13.2472 –, juris; vgl. auch OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 19. Oktober 2004 – 1 B 11691/04.OVG – zur Verhältnismäßigkeit einer Baueinstellungsverfügung). Dies gilt ebenso, wenn ein Gesamtbauvorhaben, das genehmigungspflichtige und genehmigungsfreie Bauarbeiten betrifft und damit insgesamt genehmigungspflichtig ist (vgl. VG Neustadt, Beschluss vom 28. Februar 2013 – 4 L 44/13.NW –; juris; Lang in: Jeromin/Schmidt/Lang, LBauO RhPf, 3. Auflage 2012, § 80 Rn. 5), teilbar ist. Vorliegend könnte das bei getrennter Verwirklichung gemäß § 62 Abs. 1 Nr. 1 f) Landesbauordnung – LBauO – baugenehmigungsfreie Garagengebäude unabhängig von dem Wohngebäude auf dem Grundstück Flurstück-Nr. 2291 gebaut werden. Die Teilbarkeit wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass es sich bei der Garage des Beigeladenen um einen sog. notwendigen Stellplatz im Sinne des § 47 Abs. 1 Satz 1 LBauO handelt. Denn die Schaffung von notwendigen Stellplätzen kann lediglich, muss aber nicht durch Garagen erfolgen (s. § § 47 Abs. 1 Satz 3 LBauO).

5

1.2. Der Antragsteller ist nach § 42 Abs. 2 VwGO antragsbefugt.

6

1.2.1. Dem steht zunächst nicht entgegen, dass der Antragsteller offenbar „nur“ Wohnungseigentümer in dem Anwesen auf dem Grundstück Flurstück-Nr. ….. ist. Geht ein Wohnungseigentümer wegen Beeinträchtigung seines Sondereigentums gegen eine für das Nachbargrundstück erteilte Baugenehmigung vor, so kann er sich aus eigenem Recht (§ 13 Abs. 1 Halbsatz 2 Wohnungseigentumsgesetz – WEG –) auf die Vorschrift des § 42 Abs. 2 VwGO berufen (OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 20. November 2013 – 7 A 2341/11 –, BauR 2014, 252; Bay VGH, Beschluss vom 2. Oktober 2003 – 1 CS 03.1785 –, NVwZ-RR 2004, 248 und Urteil vom 12. Juli 2012 – 2 B 12.1211 –, juris).

7

Zu keinem anderen Ergebnis käme die Kammer im Übrigen, wenn der Antragsteller statt Wohnungseigentümer bloßer Bruchteilseigentümer des Grundstücks Flurstück-Nr. ……. wäre. Auch ein Miteigentümer eines Grundstücks ist gegen eine Baugenehmigung auf dem Nachbargrundstück antragsbefugt. Denn als Miteigentümer am Gemeinschaftseigentum ist der Betreffende gemäß § 1011 Bürgerliches GesetzbuchBGB – berechtigt, die Ansprüche aus dem Eigentum Dritten gegenüber in Ansehung der ganzen Sache geltend zu machen (OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 29. September 2004 – 8 A 10664/04.OVG –).

8

1.2.2. Der Antragsteller kann entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin im Rahmen der erforderlichen Antragsbefugnis nicht nur einen Verstoß gegen das hier in dem Begriff des „Einfügens“ in § 34 Abs. 1 BauGB enthaltene partiell drittschützende Gebot der Rücksichtnahme (s. z.B. BVerwG, Beschluss vom 20. April 2000 – 4 B 25/00 –, BauR 2001, 212 und OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 15. Januar 2010 – 8 A 11151/09.OVG –), sondern auch eine Verletzung des nachbarschützenden bauordnungsrechtlichen Abstandsflächengebots rügen. Zwar wurde die angegriffene Baugenehmigung vom 30. April 2014 formal im vereinfachten Genehmigungsverfahren erteilt, so dass gemäß § 66 Abs. 3 LBauO Vorschriften des Bauordnungsrechts nicht Prüfungsgegenstand waren. Eine im vereinfachten Genehmigungsverfahren erteilte Baugenehmigung hat nur Wirkung in Bezug auf öffentlich-rechtliche Vorschriften, die in diesem Verfahren zu überprüfen waren. Bezüglich der übrigen gesetzlichen Regelungen enthält die Genehmigung weder eine Feststellung noch eine Freigabe, so dass sie insoweit auch weder den Bauherrn begünstigt, indem sie die Übereinstimmung des Vorhabens mit allen Vorschriften des öffentlichen Rechts feststellt, noch den Nachbarn belasten kann. Dieser ist daher durch die Baugenehmigung hinsichtlich der nicht geprüften Vorschriften nicht in seinen Rechten betroffen im Sinne von § 42 Abs. 2 VwGO (OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 18. November 1991 – 8 B 11955/91 –, NVwZ-RR 1992, 289).

9

Etwas anderes gilt aber dann, wenn die Bauaufsichtsbehörde abweichend von ihrem gesetzlich vorgegebenen Prüfungsprogramm tatsächlich bestimmte bauordnungsrechtliche Vorschriften geprüft hat. Die Bauaufsichtsbehörde ist nicht daran gehindert, die – entsprechend dem eingeschränkten Prüfungsprogramm – beschränkte Feststellungswirkung einer Baugenehmigung um weitere Feststellungen zur Vereinbarkeit des Vorhabens auch mit bauordnungsrechtlichen Vorschriften zu ergänzen (OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 22. November 2011 – 8 A 10636/11 –, LKRZ 2012, 153). Für eine solche Verfahrensweise besteht insbesondere dann Anlass, wenn bereits im vereinfachten Genehmigungsverfahren Einwendungen des Nachbarn hinsichtlich der bauordnungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens vorliegen oder zu erwarten sind und die Behörde deshalb ohnehin gehalten ist, sich mit einem Begehren auf bauaufsichtsbehördliches Einschreiten zu befassen. Ist die Behörde zur isolierten Feststellung der bauordnungsrechtlichen Zulässigkeit befugt, bestehen keine Hinderungsgründe, diese Regelung mit der im vereinfachten Genehmigungsverfahren zu erteilenden „schlanken“ Baugenehmigung zu verbinden (OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 22. November 2011 – 8 A 10636/11 –, LKRZ 2012, 153).

10

Vorliegend hat die Antragsgegnerin in der Baugenehmigung vom 30. April 2013 unter der Nr. 1 der Nebenbestimmungen eine Festlegung der Geländeoberfläche nach der bauordnungsrechtlichen Vorschrift des § 2 Abs. 6 LBauO getroffen. Solche Festlegungen erfolgen u.a. wegen der Auswirkungen auf die nach § 8 LBauO einzuhaltenden Abstände im Interesse der Grundstücksnachbarn (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 2. April 2003 – 8 A 10936/02.OVG –, ESOVG). Ferner hat die Antragsgegnerin ausweislich des Genehmigungsstempels vom 30. April 2013 eine Prüfung der Abstandsflächenberechnung des Beigeladenen vorgenommen (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 27. Februar 1996 – 8 B 10341/96.OVG –). Schließlich hat sich die Antragsgegnerin auch in der „Verfügung“ vom 4. Juli 2014, mit der er den Antrag des Antragstellers auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung der Baugenehmigung nach § 80 a Abs. 1 Nr. 2 VwGO abgelehnt hat, mit den bauordnungsrechtlichen Vorschriften der §§ 2 Abs. 6 und 8 LBauO auseinandergesetzt. Hat aber eine faktische Prüfung der Abstandsflächen stattgefunden, ist ein Nachbar im Rahmen des § 42 Abs. 2 VwGO befugt, sich auf einen möglichen Verstoß gegen § 8 LBauO zu berufen (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Beschlüsse vom 24. Mai 1993 – 8 B 11124/93.OVG – und 28. Mai 1993 – 8 B 11148/93.OVG –; VG Neustadt, Beschluss vom 2. Juli 2014 – 4 L 553/14.NW –).

11

1.3. Dem Antrag fehlt auch nicht das notwendige Rechtsschutzbedürfnis.

12

1.3.1. Zwar hat der Antragsteller den Widerspruch vom 22. Juni 2014 im Namen der „Eigentümergemeinschaft …… A-Straße …“ eingelegt, ohne von den übrigen Wohnungseigentümern hierzu berechtigt worden zu sein. Eine Auslegung dieses Schreibens ergibt jedoch, dass der Antragsteller den Widerspruch jedenfalls auch im eigenen Namen einlegen wollte.

13

1.3.2. Der Antragsteller hat sein Widerspruchsrecht auch nicht verwirkt. Denn die Baugenehmigung vom 30. April 2013 war ihm zu keinem Zeitpunkt zugestellt worden, so dass eine Frist zunächst nicht zu laufen begann. Erfahren hat der Antragsteller von der Existenz der Baugenehmigung erst nach Aufnahme der Bauarbeiten am 20. Mai 2014, so dass der Widerspruch vom 22. Juni 2014 rechtzeitig einging.

14

2. Der Antrag ist darüber hinaus auch in der Sache begründet.

15

Für die nach § 80a Abs. 3 VwGO zu treffende Ermessensentscheidung des Gerichts sind die gegenläufigen Interessen des Antragstellers und des Beigeladenen für den Zeitraum bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren gegeneinander abzuwägen. Dabei ist die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs anzuordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Vereinbarkeit des Vorhabens mit nachbarschützenden Vorschriften bestehen. Demgegenüber ist der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abzulehnen, wenn die Baugenehmigung offensichtlich nicht gegen nachbarschützende Normen verstößt. Lässt sich auch nach intensiver Prüfung nicht feststellen, ob der Rechtsbehelf des Nachbarn wahrscheinlich zum Erfolg führen wird, sind die Erfolgsaussichten also offen, ist eine umfassende Interessenabwägung vorzunehmen, bei der der Einzelfallbezug gewahrt bleiben muss (vgl. BVerwG, Beschluss vom 14. April 2005 – 4 VR 1005/04 –, NVwZ 2005, 689).

16

In Anwendung dieser Grundsätze muss hier die Interessenabwägung zugunsten des Antragstellers ausfallen. Die gemäß §§ 70, 66 Abs. 1 Nr. 1 LBauO erteilte Baugenehmigung vom 30. April 2013 verstößt zum gegenwärtigen Zeitpunkt gegen von der Bauaufsichtsbehörde zu prüfende baurechtliche oder sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften, die auch dem Schutz des Antragstellers als Nachbarn zu dienen bestimmt sind.

17

2.1. Die Zweifel an der Vereinbarkeit des Vorhabens „Garagengebäude“ mit nachbarschützenden Vorschriften rühren daher, dass die vorgelegten und genehmigten Bauunterlagen hinsichtlich der nachbarrechtsrelevanten Baumaßnahmen so unbestimmt sind, dass sich eine Verletzung von Nachbarrechten nicht ausschließen lässt. Nach § 1 Landesverwaltungsverfahrensgesetz – LVwVfG – i.V.m. § 37 Abs. 1 Verwaltungsverfahrensgesetz – VwVfG – muss ein Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Das Bestimmtheitsgebot bezieht sich auf den verfügenden Teil des Verwaltungsakts einschließlich aller seiner Nebenbestimmungen (vgl. Stelkens: in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Auflage 2014, § 37 Rn. 3). Welches Maß an Konkretisierung notwendig ist, hängt von der Art des Verwaltungsakts, den Umständen seines Erlasses und seinem Zweck ab. Eine Genehmigung, deren Inhalt und Reichweite von der Genehmigungsbehörde festgelegt wird, ist hinreichend bestimmt, wenn sich der Umfang der genehmigten Anlage aus dem im Bescheid zum Ausdruck kommenden objektiven Willen der Genehmigungsbehörde unter Heranziehung der Genehmigungsunterlagen erkennen lässt (Bay. VGH, Beschluss vom 5. März 2012 – 2 CS 11.1997 –, juris). Soweit Dritte von einem Verwaltungsakt begünstigt oder belastet werden, muss dieser auch ihnen gegenüber bestimmt sein. Ein Nachbar kann die unzureichende inhaltliche Bestimmtheit einer Genehmigung geltend machen, soweit deswegen nicht sichergestellt ist, dass das genehmigte Vorhaben allen dem Nachbarschutz dienenden Vorschriften entspricht (Bay. VGH, Beschluss vom 5. März 2012 – 2 CS 11.1997 –, juris; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 5. Februar 2003 – 8 A 11423/02.OVG –).

18

Vorliegend ist trotz der Tatsache, dass das Gelände in dem betreffenden Bereich der A-Straße Höhenunterschiede von offenbar bis zu 2 m aufweist, in den der Genehmigung zugrunde gelegten Bauzeichnungen (Ansichten und Schnitte) weder der natürliche Geländeverlauf auf dem Grundstück Flurstück-Nr. …. vor Beginn der Bauarbeiten noch der Geländeverlauf nach Verwirklichung des Bauvorhabens eingezeichnet. Aber selbst wenn man aufgrund der vom Beigeladenen eingereichten Bauzeichnungen den Versuch unternimmt, das Ausmaß, insbesondere die Höhe des Bauvorhabens ausgehend von der bisherigen natürlichen Geländeoberfläche zu ermitteln, ergeben sich erhebliche Zweifel, ob das Vorhaben hinsichtlich seines Abstandes zur Grundstücksgrenze die bauordnungsrechtlichen Abstandsvorschriften einhält bzw. die gemäß § 34 Abs. 1 BauGB gebotene Rücksichtnahme wahrt.

19

2.2. Grundsätzlich sind nach § 8 Abs. 1 Satz 1 LBauO vor Außenwänden oberirdischer Gebäude Abstandsflächen einzuhalten, deren Tiefe mindestens 3 m beträgt (§ 8 Abs. 6 Satz 3 LBauO). Diesen Abstand hält die Garage des Beigeladenen nicht ein, da sie nach den eingereichten Bauplänen unmittelbar an der Grenze errichtet werden soll.

20

Es bestehen ernstliche Bedenken, ob das Garagengebäude gemäß § 8 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 LBauO privilegiert an der Grenze zulässig ist. Nach dieser Bestimmung sind Garagen ohne oder mit einer geringeren Tiefe der Abstandsfläche zulässig, wenn sie eine mittlere Wandhöhe von 3,20 m über der Geländeoberfläche nicht überschreiten, eine Länge von 12 m an einer Grundstücksgrenze und von insgesamt 18 m an allen Grundstücksgrenzen einhalten, ihre Dächer nicht mehr als 45 Grad zur Grundstücksgrenze geneigt sind und der Giebel nicht höher als 4 m ist. Die Tiefe der vor Außenwänden oberirdischer Gebäude einzuhaltenden Abstandsflächen bemisst sich nach der Höhe der Wand oder des Wandteils, die senkrecht zur Wand gemessen wird. Als Wandhöhe gilt das Maß von der Geländeoberfläche bis zur Schnittlinie der Wand mit der Dachhaut oder bis zum oberen Abschluss der Wand (§ 8 Abs. 4 Satz 1 und 2 LBauO). Maßgebend ist gemäß § 8 Abs. 4 Satz 4 LBauO die im Mittel gemessene Höhe der Wand oder des Wandteils. Die Wandhöhe ist als arithmetisches Mittel der jeweils gemessenen Wandhöhen zu bestimmen. Der untere Bezugspunkt ist gemäß § 8 Abs. 4 Satz 2 LBauO die Geländeoberfläche, d.h. die Fläche, die sich aus den Festsetzungen des Bebauungsplanes ergibt oder von der Bauaufsichtsbehörde festgelegt ist, im Übrigen die natürliche, an das Gebäude angrenzende Geländeoberfläche, § 2 Abs. 6 LBauO.

21

2.3. Vorliegend hat die Antragsgegnerin in der Nr. 1 der Nebenbestimmungen zu der Baugenehmigung vom 30. April 2013 eine Festlegung der Geländeoberfläche nach § 2 Abs. 6 LBauO getroffen. Darin heißt es:

22

Maßgebende Geländeoberfläche ist die Höhe der Gehweghinterkante, soweit nicht durch Bebauungsplan eine andere Regelung getroffen wird. Liegt die natürliche Geländeoberfläche mehr als 1 m tiefer als die Gehweghinterkante, gilt für Nebenanlagen (z.B. Garagen), die hinter der rückwärtig zulässigen Baugrenze eines Hauptgebäudes errichtet werden soll, die natürliche Geländeoberfläche als maßgebende Geländeoberfläche.“

23

Bei einer solchen Festlegung, die den Zweck hat, eine angemessene Bebauung des Grundstücks zu ermöglichen, handelt es sich um einen gesonderten Verwaltungsakt; sie betrifft die Festsetzung eines rechnerischen Höhenmesspunkts (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 2. April 2003 – 8 A 10936/02.OVG –, ESOVG; VG Trier, Urteil vom 12. Juli 2006 – 5 K 46/06.TR –; Jeromin in: Jeromin/Schmidt/Lang, a.a.O., § 2 Rn. 80). Damit wird ohne Rücksicht auf den tatsächlichen Geländeverlauf die für die Anwendung der baurechtlichen Vorschriften maßgebliche Höhenlage – abstrakt – festgelegt mit der Folge, dass z.B. bei der Anwendung des § 8 LBauO der untere Bezugspunkt für die Ermittlung der Wandhöhe dieser Höhenlage entspricht.

24

Eine Festlegung nach § 2 Abs. 6 LBauO ist in formeller Hinsicht nur wirksam, wenn sich die maßgebliche Größe aus der Regelung - gegebenenfalls zusammen mit den genehmigten Plänen - mit hinreichender Bestimmtheit ergibt; das kann z.B. durch die Festlegung einer Höhe über NN oder einer Höhe bezogen auf andere feste Größen, wie etwa die Straßenoberfläche an einem bestimmten Punkt, geschehen (OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 2. April 2003 – 8 A 10936/02.OVG –, ESOVG). Materiell ist die Festlegung der Geländeoberfläche nur zulässig, wenn ein Bedürfnis dafür besteht. Dies ist z.B. der Fall bei schwierigen topographischen Verhältnissen, wenn es die Sicherheit oder gestalterische Gesichtspunkte erfordern, die natürliche Geländeoberfläche aufgrund von Aufschüttungen bzw. großer Unregelmäßigkeiten und Schwankungen nicht mehr feststellbar ist, oder eine Harmonisierung des Geländes aus sonstigen Gründen unerlässlich ist (OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 27. Februar 1996 – 8 B 10341/96.OVG –; VG Trier, Urteil vom 12. Juli 2006 – 5 K 46/06.TR –; vgl. auch OVG Saarland, Beschluss vom 17. September 1979 – II W 1.204/79 –, BauR 1980, 158). Ferner sind die Auswirkungen einer Festlegung der Geländeoberfläche im Hinblick auf die Anwendung von nachbarschützenden Vorschriften zu beachten und abzuwägen (OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 2. April 2003 – 8 A 10936/02.OVG –, ESOVG). So würde die Festlegung der Geländeoberfläche nach einer Aufschüttung dazu führen, dass nachbarschützende Bestimmungen umgangen würden. Daher ist die Baugenehmigungsbehörde gehalten, nachbarschützende Vorschriften zu beachten und in ihre Entscheidung mit einzustellen. Die Abstandsflächenregelungen des § 8 LBauO stellen solche nachbarschützende Vorschriften dar. Sie dienen neben dem Brandschutz und der Gestaltung auch der Beleuchtung mit Tageslicht und der Lüftung sowie dem Schutz benachbarter Grundstücke vor Gefahren und unzumutbaren Belästigungen (Amtl. Begründung zum Entwurf der Landesbauordnung, Landtagsdrucksache 10/1344, Seite 76). Es muss deshalb gewährleistet werden, dass die Festlegung der Geländeoberfläche und die Errichtung etwaiger baulicher Anlagen mit dem Nachbarinteresse vereinbar sind; darauf hat der Grundstücksnachbar einen Anspruch (OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 23. August 1996 – 8 B 12041/96.OVG –). Eine abweichende Festlegung der Geländeoberfläche durch die Bauaufsichtsbehörde darf daher nicht dazu führen, dass die in Abhängigkeit von der Höhenlage getroffenen Festsetzungen generell unterlaufen werden. Dies würde ein Missbrauch der Festlegungsbefugnis darstellen, durch welche Verstöße gegen Bauvorschriften, die an die Höhe von Gebäudeteilen über der Geländeoberfläche anknüpfen, unrechtmäßig ausgeräumt würden.

25

Im vorliegenden Fall bedarf es zumindest der näheren Prüfung im Hauptsacheverfahren, ob die getroffene Festlegung der Grundstücksoberfläche die Belange des Antragstellers nicht unangemessen beeinträchtigt. Das Baugrundstück zeichnet sich – ebenso wie die Nachbargrundstücke – durch eine Hängigkeit zumindest von West nach Ost aus. Auf den in den Verwaltungsakten enthaltenen Lichtbildern ist zu erkennen, dass die südlich der A-Straße gelegenen Anliegergrundstücke mit den Hausnummern …, …, …, … und … im vorderen an die Straße angrenzenden Grundstücksbereich auf Straßenniveau aufgeschüttet worden sind. Dieses befindet sich auf ca. 96 m NN (s. Landschaftsinformationssystem der Naturschutzverwaltung von Rheinland-Pfalz, http://map1.naturschutz.rlp.de /mapserver_lanis/). Im weiteren Grundstücksverlauf fällt, soweit ersichtlich, das Gelände auf den genannten Grundstücken auf eine Höhe von rund 95 m NN im hinteren Grundstücksbereich ab. Genauere Daten stehen der Kammer momentan nicht zur Verfügung.

26

Es ist einsichtig, dass hängiges Gelände Probleme bei der (Grenz-)Bebauung verursacht. Es ist daher im Grundsatz nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin versucht hat, dem durch eine gesonderte Festlegung Rechnung zu tragen.

27

Aus der in Nr. 1 der Nebenbestimmungen zu der Baugenehmigung vom 30. April 2013 allgemein gehaltenen Regelung folgt für das streitgegenständliche Garagengebäude, dass die Gehweghinterkante der maßgebliche Bezugspunkt für die Bestimmung der Geländeoberfläche sein soll, denn ausweislich der Baupläne soll dieses vor der rückwärtig zulässigen Baugrenze des Hauptgebäudes errichtet werden. Nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag des Antragstellers und den im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens von dem Beigeladenen eingereichten Bauplänen geht die Kammer nach summarischer Prüfung davon aus, dass die natürliche Geländeoberfläche, d.h. die gewachsene und nicht die durch Aufschüttungen oder Abgrabungen veränderte Geländeoberfläche, an der gemeinsamen Grundstücksgrenze auf Höhe des geplanten Garagengebäudes des Beigeladenen um etwa 2 m unterhalb der Gehweghinterkante liegt. In den Baueingabeplänen sind, wie oben ausgeführt, bei der Darstellung der Schnitte und Ansichten weder die natürliche Geländeoberfläche vor Beginn der Bauarbeiten noch die (natürliche) Geländeoberfläche nach Verwirklichung des Bauvorhabens eingezeichnet. Dem Schnitt A-A ist lediglich zu entnehmen, dass der Fußboden des „Gartengeschosses“ etwa 1,80 m unterhalb der Gehweghinterkante – die Kammer setzt wegen fehlender Unterlagen diese mit der Straßenbegrenzungslinie gleich – liegt. Die Höhe der – nicht eingezeichneten und nicht als solche bezeichneten – Stützmauer an der Grenze dürfte nach der „Hofansicht“ rund 2 m betragen; sie läge damit offenbar auf der Höhe der Gehweghinterkante. Damit weicht die festgelegte Geländeoberfläche von der natürlichen Geländeoberfläche offenbar um 2 m ab. Hinzu kommt eine Höhe von ca. 2,70 m für das Garagengebäude als solches. Zusammen erhöht sich damit das aus Stützmauer und Garage bestehende Bauwerk um mindestens 4,70 m gegenüber dem bisherigen natürlichen Geländeniveau. Gegenüber der Regelung in § 8 Abs. 9 Nr. 1 LBauO, wonach Garagen an der Grundstücksgrenze zulässig sind, sofern sie u.a. eine mittlere Wandhöhe von 3,20 m nicht überschreiten, wäre die genehmigte Garage des Beigeladenen von der natürlichen Geländeoberfläche aus gemessen um 1,50 m höher.

28

Die Antragsgegnerin hat sich mit dieser Problematik bisher nicht hinreichend auseinandergesetzt. Bei der Abwägung zwischen dem Interesse des Beigeladenen als Eigentümer eines hängigen Grundstücks, dieses angemessen bebauen zu können und dem Interesse des Antragstellers als Nachbarn, von unzumutbaren Beeinträchtigungen des Bauwerks verschont zu bleiben, darf nach Auffassung der Kammer nicht außer Acht gelassen werden, dass die Antragsgegnerin für die vom Antragsteller bewohnte Souterrainwohnung in dem Anwesen A-Straße … am 26. Februar 1991 eine Tekturgenehmigung in Bezug auf das am 20. November 1989 genehmigte Wohnbauvorhaben erteilt hatte und beide Genehmigungen gerade keine Festlegungen der Geländeoberfläche enthielten. Es ist der Kammer auch nicht bekannt, ob bei der Erteilung der Baugenehmigungen für die Anwesen im näheren Umfeld in der A-Straße ebenfalls Festlegungen nach § 2 Abs. 6 LBauO erfolgt sind. Der Genehmigung vom 30. April 2013 kann jedenfalls nicht deutlich genug entnommen werden, warum in dem konkreten Fall ein Bedürfnis für die Festlegung der Geländeoberfläche auf das Niveau der Gehweghinterkante auf Höhe des Garagengebäudes besteht. Es versteht sich nicht von selbst, warum der Antragsteller künftig ein aus Stützmauer und Garage bestehendes Grenzbauwerk von mindestens 4,70 m hinnehmen muss.

29

Ein Bedürfnis für die Festlegung der Geländeoberfläche auf das Niveau der Gehweghinterkante ergibt sich im Übrigen auch nicht zwingend aus den Verwaltungsakten. Zwar befindet sich, worauf die Antragsgegnerin im gerichtlichen Eilverfahren hingewiesen hat, auf dem Anwesen A-Straße … an der südwestlichen Grenze eine ca. 12 m lange Garage, die offensichtlich vollständig auf Straßenniveau errichtet wurde. Jedoch steht bei dem Anwesen A-Straße … eine Doppelgarage im hinteren, tiefergelegenen Teil des Grundstücks mit einer Abfahrt vom Niveau der A-Straße bis zum Niveau des Gartens. Soweit die Antragsgegnerin in der der Antragserwiderung vom 25. Juli 2014 beigefügten Stellungnahme des Bereichs Bauaufsicht die Auffassung vertreten hat, die Errichtung der Garage wie beim Anwesen A-Straße … im hinteren Grundstücksbereich wäre mit dem Bau einer Rampe entlang der gesamten Grundstücksgrenze zum Antragssteller und damit entlang seiner Wohnungsfenster verbunden mit der Folge, dass der Antragsteller bei Benutzung einer derartigen Garage gerade auch in den Nachtstunden die Fahrbewegungen sicher als störend empfunden und kritisiert hätte, rechtfertigt dies nicht ohne Rücksprache mit dem Antragsteller die Festlegung der Geländeoberfläche auf das Niveau der Gehweghinterkante.

30

Bestehen nach dem Vorgesagten daher ernstliche Zweifel daran, dass das streitgegenständliche Garagengebäude nach § 8 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 LBauO privilegiert ist, so war dem vorläufigen Rechtsschutzgesuch des Antragstellers wegen Verstoßes gegen die nachbarschützende Bestimmung des § 8 Abs. 1 Satz 1 LBauO stattzugeben. Ob daneben auch ein Verstoß gegen das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme gegeben ist, bedarf im Hinblick auf das getroffene Ergebnis keiner Entscheidung mehr.

31

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 154 Abs. 3 VwGO. Mangels Antragstellung war der Beigeladene nicht an den Verfahrenskosten zu beteiligen.

32

Die Festsetzung des Wertes des Verfahrensgegenstandes beruht auf den §§ 52, 53 GKG.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Kosten sind die Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten einschließlich der Kosten des Vorverfahrens.

(2) Die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines Rechtsbeistands, in den in § 67 Absatz 2 Satz 2 Nummer 3 und 3a genannten Angelegenheiten auch einer der dort genannten Personen, sind stets erstattungsfähig. Soweit ein Vorverfahren geschwebt hat, sind Gebühren und Auslagen erstattungsfähig, wenn das Gericht die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig erklärt. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können an Stelle ihrer tatsächlichen notwendigen Aufwendungen für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen den in Nummer 7002 der Anlage 1 zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz bestimmten Höchstsatz der Pauschale fordern.

(3) Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nur erstattungsfähig, wenn sie das Gericht aus Billigkeit der unterliegenden Partei oder der Staatskasse auferlegt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.

(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.

(4) In Verfahren

1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro,
2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro,
3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und
4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
angenommen werden.

(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.

(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert

1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist,
2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
Maßgebend für die Berechnung ist das laufende Kalenderjahr. Bezügebestandteile, die vom Familienstand oder von Unterhaltsverpflichtungen abhängig sind, bleiben außer Betracht. Betrifft das Verfahren die Verleihung eines anderen Amts oder den Zeitpunkt einer Versetzung in den Ruhestand, ist Streitwert die Hälfte des sich nach den Sätzen 1 bis 3 ergebenden Betrags.

(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.

(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.

(1) Kosten sind die Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten einschließlich der Kosten des Vorverfahrens.

(2) Die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines Rechtsbeistands, in den in § 67 Absatz 2 Satz 2 Nummer 3 und 3a genannten Angelegenheiten auch einer der dort genannten Personen, sind stets erstattungsfähig. Soweit ein Vorverfahren geschwebt hat, sind Gebühren und Auslagen erstattungsfähig, wenn das Gericht die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig erklärt. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können an Stelle ihrer tatsächlichen notwendigen Aufwendungen für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen den in Nummer 7002 der Anlage 1 zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz bestimmten Höchstsatz der Pauschale fordern.

(3) Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nur erstattungsfähig, wenn sie das Gericht aus Billigkeit der unterliegenden Partei oder der Staatskasse auferlegt.