Verwaltungsgericht Magdeburg Beschluss, 11. Apr. 2013 - 9 B 140/13

ECLI:ECLI:DE:VGMAGDE:2013:0411.9B140.13.0A
bei uns veröffentlicht am11.04.2013

Gründe

1

Der Eilrechtsschutzantrag ist zulässig und begründet.

2

Der Antragsteller wendet sich mit seinem vorläufigen Rechtsschutzantrag nach § 123 VwGO gegen eine drohende Abschiebung nach Ungarn aufgrund der Bestimmungen nach der Dublin-II-Verordnung. Auch wenn diesbezüglich noch kein konkreter Verbringungstermin mitgeteilt wurde, ist dem Gericht aus anderen Fällen bekannt, dass der entsprechende von dem Dublin-Referat in Dortmund erstellte ablehnende Bescheid, dem Asylbewerber erst am Tage seiner Überstellung durch die für die Abschiebung zuständige Ausländerbehörde persönlich zugestellt bzw. ausgehändigt wird (vgl. VG Stuttgart, Beschluss v. 02.07.2012, A 7 K 1877/12; juris) oder auch dem bestellten Verfahrensbevollmächtigten erst auf Nachfrage überhaupt bekannt gegeben wird (vgl. VG Augsburg, Beschluss v. 05.07.2011, Au 6 S 11.30264; juris). Allein diese bekannte Verfahrensweise lässt faktisch keinen geordneten einstweiligen Rechtsschutz im Falle der Abschiebung zu und begegnet erheblichen rechtlichen Bedenken (so auch: VG Stuttgart, Beschluss v. 02.07.2012, A 7 K 1877/12; VG Gelsenkirchen, Beschluss v. 01.06.2011, 5a L 576/11.A; bereits früher: VG Hannover, Beschluss v. 10.12.2009, 13 B 6047/09; VG Schleswig, Beschluss v. 12.08.2009, 9 B 37/09; alle juris). Daher muss effektiver Eilrechtsschutz vorliegend auch schon vor Erlass eines Bescheides bzw. Mitteilung des konkreten Abschiebetermins möglich sein. Zudem soll vorliegend der der ablehnende Bescheid vom 18.03.2013 dem Prozessbevollmächtigten lediglich formlos übersandt worden sein (vgl. zum Ganzen bezüglich der Italien-Fälle, nur: VG Magdeburg, Beschluss v. 17.07.2012, 9 B 148/12; juris).

3

Der Zulässigkeit des Antrags steht § 34 a Abs. 2 des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG) nicht entgegen. Danach darf die Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat nicht im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes ausgesetzt werden. Die vorläufige Untersagung der Abschiebung kommt nach § 123 VwGO jedoch in Betracht, wenn eine die konkrete Schutzgewährung nach § 60 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) in Frage stellende Sachlage im für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat gegeben ist. Dies ergibt sich aus der gebotenen Verfassungskonformen Auslegung der Norm (vgl.: BVerfG, U. v. 14.05.1996, 2 BvR 1938, 2315 und Beschlüsse vom 08.09.2009, 2 BvQ 56/09, und vom 08.12.2009, 2 BvR 2780/09; VG Gelsenkirchen, B. v. 01.02.2011, 7 a L 85/11.A; juris).

4

Vorliegend bestehen im Sinne des vorläufigen Rechtsschutzes hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass diese Voraussetzungen auf Ungarn zutreffen könnten. Es ist öffentlichkeits- und gerichtsbekannt, dass einige Mitgliedsstaaten der Europäischen Union nicht hinnehmbare Probleme bei der Durchführung der tatsächlichen Asylantragsgewährung haben und nicht die Kernanforderungen des EU-Flüchtlingsrechts zur Durchführung von Asylverfahren gewährleisten. Dazu zählt neben Griechenland, Bulgarien (VG Magdeburg, GB v. 21.02.2012, 9 A 82/11; juris) und Italien (vgl. nur: VG Magdeburg, Beschluss v. 17.07.2012, 9 B 148/12; juris) auch Ungarn.

5

Nach Art. 3 Abs. 1 Dublin II-VO prüfen die Mitgliedsstaaten jeden Asylantrag, den ein Drittstaatangehöriger an der Grenze oder im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates stellt, wobei grundsätzlich Kap. III, Art. 10 der Dublin II-VO der Staat zuständig ist, dessen Grenze illegal überschritten wurde. Dies wäre wohl vorliegend Ungarn. Trotz dessen kann nach Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO ein Mitgliedsstaat einen im Inland gestellten Asylantrag prüfen. Ein insoweit bestehendes Ermessen ist jedenfalls dann auf null reduziert, wenn ein Verweisen auf den Staat der Einreise die Durchführung eines richtlinienkonformen Asylverfahrens nicht gewährleistet. Denn anderenfalls läge ein Verstoß gegen Art. 18 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vor. Nach Art. 18 der Charta wird das Recht auf Asyl nach Maßgabe des Genfer Abkommens vom 28.07.1951 und des Protokolls vom 31.01.1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge sowie gemäß den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft gewährleistet. Aus diesem Grund muss jeder Mitgliedsstaat das Asylverfahren selbst durchführen, wenn das in Richtlinien statuierte formelle oder materielle Asylrecht in einem Mitgliedsstaat nicht zur Anwendung gelangt (vgl. ausführlich: VG Magdeburg, GB v. 21.11.2011, 9 A 100/11; Urt. v. 26.07.2011, 9 A 346/10 MD mit Verweis auf VG Frankfurt, Urt. v. 08.07.2009, 7 K 4376/07; alle juris). Nichts anderes ergibt sich aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 21.12.2011 (C-411/10 und C-493/10; juris).

6

Das Gericht ist davon überzeugt, dass – zumindest derzeitig – ein rechtsstaatliches Asylverfahrens in Ungarn nicht gewährleistet ist. Das Schutzniveau, welches die Qualifikationsrichtlinie (Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004) insbesondere in Art. 28 (Sozialleistungen) und in Art. 31 (Zugang zu Wohnraum) festlegt, kann dort ebenso wenig gewährleistet werden wie ein richtlinienkonformes Asylverfahren nach der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.02.2003. Ferner wird gegen die Aufnahmerichtlinie (Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27.01.2011) zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern verstoßen. Weiter bestehen erhebliche Bedenken, ob ein Zurückschicken des Klägers nicht ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK darstellt. Dabei sind die derzeitigen augenblicklichen und tatsächlichen Verhältnisse des Mitgliedsstaates Ungarn zu bewerten.

7

Diese Bedenken des Gerichts werden von der überwiegenden verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung geteilt (vgl. nur: VG Ansbach, Beschluss v. 07.01.2013, AN 11 EE 13.30006; VG Stuttgart, Beschluss v. 14.08.2012, A 7 K 2589/12, jeweils m. w. Nachw.; alle juris). Insbesondere aus dem UNHCR Positionspapier vom April 2012 und dem Bericht von Pro Asyl vom 15.03.2012 ergibt sich, dass die Unterbringungsmöglichkeiten insbesondere bei Minderjährigen in Ungarn europäischen Standards nicht entsprechen. Misshandlungen in der Haft und Ruhigstellung renitenter Flüchtlinge mittels Medikamenten sei regelmäßig zu beobachten. Gerade nach der Dublin-II-Verordnung an Ungarn überstellte Asylbewerber müssten mit ihrer Inhaftierung und Abschiebung rechnen (vgl. VG Trier, Urteil v. 30.05.2012, 5 K 967/11.TR; juris; mit Verweis auf Stellungnahme des österreichischen Büros des UNHCR und Auskunft des AA vom 09.11.2011 an VG Regensburg sowie Bericht des ungarischen Helsinki-Komitees). Weitere derartige Auskünfte ergeben sich aus den im Internet zugänglichen Berichten der genannten Organisationen, wonach UNHCR Menschenrechtverletzungen im ungarischen Asylsystem belegt und über dramatische Situationen von Flüchtlingen in Ungarn berichtet.

8

An dieser Einschätzung ändert zur Überzeugung des Gerichts nichts, dass der ungarische Staat wohl seit Ende 2012/Anfang 2013 bemüht ist, durch gesetzliche Vorgaben diesen Missständen zu begegnen. Nach dem update (Dezember 2012) des UNHCR-Berichts vom Oktober und April 2012 (einzusehen über: Informationsverbund Asyl & Migration: www.asyl.net/) sollen nunmehr die Asylgründe von Asylsuchenden auch inhaltlich geprüft werden und die Praxis, Asylsuchende in Haft zu nehmen sei stark rückläufig und werde staatlich wie richterlich kontrolliert. Demnach haben sich erkennbar aktuell das Verwaltungsgericht Potsdam (Beschluss v. 26.02.2013, 6 L 50/13.A; juris) und das Verwaltungsgericht Trier (Beschluss v. 15.01.2013, 5 L 51/13.TR; juris) der Rechtsauffassung angeschlossen, dass – nunmehr- keine unionswidrige Asylpraxis in Ungarn mehr zu befürchten sei und daher die Voraussetzungen für das Selbsteintrittsrecht der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr vorlägen.

9

Dieser Rechtsauffassung schließt sich das erkennende Gericht mit dem Verwaltungsgericht Hannover (Beschluss v. 18.03.2013, 1 B 2448/13; einzusehen über www.asyl.net) nicht an. Denn – und darauf weist auch das VG Hannover hin – handelt es sich um einen Regelungsentwurf, wobei dem erkennenden Gericht nicht klar ist, ob dieser zwischenzeitlich vom ungarischen Parlament verabschiedet und umgesetzt wurde. Jedenfalls – und das ist entscheidend – ist nicht mit hinreichender Sicherheit nachgewiesen, dass dadurch tatsächlich eine Änderung in der Praxis eingetreten ist. Dies gilt es in dem Hauptsacheverfahren zu klären. Für das vorliegende Eilrechtsschutzverfahren gilt vielmehr, dass zum augenblicklichen Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung weiterhin von den eklatanten und erschreckenden nicht unionskonformen Verhältnissen bezüglich des Umgangs mit Asylbewerbern in Ungarn auszugehen ist. Denn diese Berichterstattung fällt noch drastischer aus als z. B. die zum Umgang mit Asylbewerbern in Italien.

10

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83 b Abs. 1 AsylVfG.


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(1) Auf Antrag kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, daß durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Ant

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(1) Auf Antrag kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, daß durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint.

(2) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen ist das Gericht der Hauptsache zuständig. Dies ist das Gericht des ersten Rechtszugs und, wenn die Hauptsache im Berufungsverfahren anhängig ist, das Berufungsgericht. § 80 Abs. 8 ist entsprechend anzuwenden.

(3) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen gelten §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939, 941 und 945 der Zivilprozeßordnung entsprechend.

(4) Das Gericht entscheidet durch Beschluß.

(5) Die Vorschriften der Absätze 1 bis 3 gelten nicht für die Fälle der §§ 80 und 80a.

Tenor

Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, Maßnahmen zum Vollzug der Verbringung der Antragsteller nach Italien vorläufig auszusetzen, von ihrem Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin-II-VO Gebrauch zu machen und die Asylverfahren der Antragsteller fortzusetzen.

Den Antragstellern wird Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und Rechtsanwalt ..., beigeordnet.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Gründe

 
I.
Die Antragsteller, nach ihren Angaben staatenlose Palästinenser aus Syrien, reisten nach ihren Angaben am 3.5. bzw. 9.6.2011 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten einen Asylantrag. Bei ihrer Anhörung vom 7.6.2011 gab die Antragstellerin zu 2 an, sie seien von Syrien über die Türkei nach Griechenland gereist. Dort hätten sie sich ca. 2 Wochen aufgehalten, bevor sie mit einem Boot nach Italien gefahren seien. In Italien seien sie von der Polizei aufgegriffen worden, die sie erkennungsdienstlich behandelt habe. Einen Asylantrag hätten sie nicht gestellt. Sie hätten einen Zettel bekommen mit der Aufforderung, so schnell wie möglich das Land zu verlassen. Sie hätten sich einen Tag in einem Asylbewerberheim aufgehalten. Eine Anhörung habe nicht stattgefunden. Der Antragsteller zu 1 gab bei seiner Anhörung am 23.8.2011 an, seine Familie habe Syrien am 1.4.2011 verlassen. Sie seien über die Türkei nach Griechenland gereist, wo sie sich ca. zwei Wochen aufgehalten hätten. Dort seien sie nicht gemeldet gewesen. Sie seien weiter mit einem Boot nach Italien gereist. Dort seien sie von der Polizei aufgegriffen, jedoch nicht angehört worden. Sie hätten eine Aufforderung erhalten, das Land zu verlassen. Sie hätten sich einen Tag in einem Lager aufgehalten. Danach seien sie nach Mailand gereist. Zunächst seien seine Frau und die Kinder ausgereist, ca. einen Monat später sei er ihnen gefolgt. Zu seinen Asylgründen gab er an, sie hätten als staatenlose Palästinenser in Syrien keinerlei Rechte gehabt. Außerdem habe er an Demonstrationen in Damaskus teilgenommen und sei dabei von Sicherheitskräften erkannt worden.
Die Antragsteller ließen in der Folgezeit weitere Unterlagen über ihren Prozessbevollmächtigten an die Antragsgegnerin überreichen. Unter anderem ließen sie von einem ihrer in Deutschland lebenden Verwandten schriftlich darlegen, dass sie am 20.4.2011 in Italien „festgehalten“ worden seien. Morgens seien ihnen Fingerabdrücke genommen worden. Sie hätten an dem Tag im Lager nur einmal zu essen bekommen. Danach seien sie abends mit einem Bus drei Stunden in eine andere Stadt gebracht worden. Ein Dolmetscher sei ihnen nicht zur Verfügung gestellt worden. Im Lager hätten sie ein kleines Zimmer mit einer anderen Familie teilen müssen. Ihnen hätten weder Platz zum Schlafen, noch Decken oder Kopfkissen zur Verfügung gestanden. Sie hätten nur auf dem Boden liegen können und nichts zu essen bekommen. Am nächsten Morgen hätten sie jemanden kennengelernt, der ihnen geholfen habe, nach Deutschland zu reisen.
Der Prozessbevollmächtigte der Antragsteller bat die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 29.5.2012 von einer Überstellung nach Italien abzusehen und von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen. Mit Schreiben vom 2.6.2012 bat er die Antragsgegnerin um Mitteilung, wie im Falle der Antragsteller weiter verfahren werden solle.
Am 11.6.2012 haben die Antragsteller einen Antrag auf Eilrechtsschutz und Gewährung von Prozesskostenhilfe stellen lassen. Zur Begründung führte der Prozessbevollmächtigte der Antragsteller aus, der Eilantrag sei geboten, nachdem er am 22.5.2012 bei einem Telefonat mit dem Bundesamt in Dortmund - Dublin-Referat - erfahren habe, dass ein Übernahmegesuch nach Italien gestellt worden sei und Italien der Übernahme am 6.3.2012 zugestimmt habe. Zudem sei ihm mitgeteilt worden, dass ein Rückführungsbescheid in den nächsten Wochen erlassen werde. Am 11.6.2012 habe er in einem Telefonat erfahren, dass ein Rückführungsbescheid noch nicht fertig gestellt sei. Ein Zusage, dass ihm der Bescheid zugeleitet werde und ein Rechtmittel rechtzeitig erhoben werde könne, sei ihm nicht gemacht worden. Hinsichtlich Italien bestünden Zweifel, dass Asylverfahren den vorgegebenen Standards der Genfer Flüchtlingskonvention, der Qualitätsrichtlinie bzw. der Richtlinie 2004/83 genügten. Diese seien nicht nur wegen der inzwischen allgemein bekannten Mängel im Asylverfahren begründet, sondern insbesondere durch die konkreten Erfahrungen der Antragsteller bei ihrer Aufnahme. Eine Familie mit drei kleinen Kindern bedürfe gefestigter Aufnahmebedingungen, damit sie keinen Schaden erleide.
Die Antragsteller beantragen sinngemäß,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, Maßnahmen zur Verbringung der Antragsteller nach Italien vorläufig auszusetzen, von ihrem Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin-II-VO Gebrauch zu machen und die Asylverfahren der Antragsteller fortzusetzen,
sowie den Antragstellern Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt F. H., K. Str. …, … K., zu bewilligen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
10 
Sie führt aus, vorläufiger Rechtsschutz sei vorliegend nicht zulässig. § 34 a Abs. 2 AsylVfG schließe vorläufigen Rechtsschutz gegen Entscheidungen des Bundesamtes nach § 27 a AsylVfG aus. Nur in Ausnahmefällen sei vorläufiger Rechtsschutz zulässig. Ein solcher liege hinsichtlich Italien nicht vor. Italien erfülle die Mindeststandards gegenüber Ausländern, die dort einen Asylantrag gestellt hätten. Dies belege der Bericht der schweizerischen Flüchtlingshilfe vom Mai 2011. Nach diesem Bericht stehe ebenfalls fest, dass Asylsuchende in Italien einen Anspruch auf freie staatliche Gesundheitsversorgung hätten. Der Bericht von Bethke/Bender über eine Recherchereise im Oktober 2010 sei demgegenüber weniger umfassend und befasse sich insbesondere nicht flächendeckend mit der Situation von Asylbewerbern und anerkannten Flüchtlingen in Italien. Auch wenn es vereinzelt zu Problemen bei der Unterbringung von Schutzsuchenden in Italien komme und die medizinische Versorgung nicht immer optimal sei, sei die Situation in Italien nach der überwiegenden Rechtsprechung nicht mit der in Griechenland vergleichbar. Alle im Rahmen des Dublin-Verfahrens nach Italien zurückgeführten Personen bekämen von der zuständigen Questura eine Unterkunft zugeteilt und erhielten eine Fahrkarte dorthin mit der Auflage, sich an der zugewiesenen Adresse zu melden. Es sei jedoch bekannt, dass eine Vielzahl dieser Aufforderung nicht Folge leiste. Sollte das Asylverfahren in Italien noch nicht abgeschlossen sein, werde der Asylbewerber in einer Aufnahmeeinrichtung untergebracht und das Asylverfahren fortgesetzt. Entsprechend erfolge eine Unterbringung in einem CARA oder in den Einrichtungen des SPRAR. Unterkunftsplätze stünden jedoch oftmals nur für einen befristeten Zeitraum zur Verfügung. In italienischen Aufnahmeeinrichtung seien IOM, UNHCR, Caritas und andere humanitäre Organisationen vor Ort, um sicher zu stellen, dass Flüchtlinge angemessen untergebracht, medizinisch versorgt und ihre Rechte gewahrt würden. Dem Bundesamt sei kein Mitgliedstaat bekannt, der derzeit die Dublin-Überstellungen nach Italien ausgesetzt oder eingeschränkt habe.
11 
Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte verwiesen.
II.
12 
Die Entscheidung ergeht gemäß § 76 Abs. 4 AsylVfG durch die Berichterstatterin als Einzelrichterin.
13 
Dem Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe war zu entsprechen, weil die Antragsteller die Kosten der Prozessführung nicht aus eigenen Mitteln aufbringen können und der Antrag aus nachfolgend genannten Gründen Aussicht auf Erfolg hat (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO).
14 
Der Antrag ist zulässig und begründet.
15 
Die Zulässigkeit des Antrags scheitert nicht daran, dass das Bundesamt über den Asylantrag der Antragsteller - soweit hier bekannt - noch nicht entschieden hat. Im Hinblick auf die gängige Praxis des Bundesamtes, dem Asylbewerber einen entsprechenden Bescheid erst am Tage seiner Überstellung durch die für die Abschiebung zuständige Ausländerbehörde persönlich zuzustellen, lässt faktisch keinen einstweiligen Rechtsschutz zu (vgl. hierzu UNHCR, Stellungnahme an das BVerfG zur Verfassungsbeschwerde - 2 BvR 2015/09 - vom Februar 2010, S. 38; VG Gelsenkirchen, B.v. 1.6.2011 - 5a L 576/11.A -, zit. nach juris; Bay VG Regensburg, B.v. 14.6.2011 -RN 7 E 11.30189 - zit. nach juris). Daher muss vorläufiger Rechtsschutz auch schon vor Erlass eines Bescheids möglich sein.
16 
Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, dass die Antragsgegnerin eine Rückführung der Antragsteller nach Italien beabsichtigt. Der Prozessbevollmächtigte der Antragsteller hat auf telefonische Nachfrage bei der Antragsgegnerin erfahren, dass eine Rückübernahmeersuchen an Italien gestellt wurde und Italien diesem Ersuchen zugestimmt hat. Zwar war nach telefonischer Auskunft des „Dublin-Referats“ der Antragsgegnerin ein Bescheid bei Antragstellung vor Gericht noch nicht ergangen. Aufgrund der aufgezeigten Sachlage ist es jedoch jederzeit möglich, dass die Antragsteller einen ablehnenden Bescheid mit einer Abschiebungsandrohung nach § 34 a AsylVfG erhalten und umgehend abgeschoben werden. Da es den Antragstellern bzw. ihrem Bevollmächtigten nicht zuzumuten ist, sich immer wieder bei der Antragsgegnerin nach dem Stand des Verfahrens zu erkundigen, um rechtzeitig einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz stellen zu können, besteht in diesen Fällen ein Rechtsschutzbedürfnis für Eilrechtsschutz.
17 
Der Zulässigkeit des Antrags steht auch nicht § 34 a Abs. 2 AsylVfG entgegen, wonach eine Abschiebungsanordnung in den Fällen des § 26 a AsylVfG und jenen des § 27 a AsylVfG nicht ausgesetzt werden darf.
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Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (U.v. 14.5.1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 -, BVerfGE 94, 49) kann ein Ausländer, der in einen sicheren Drittstaat zurückverbracht werden soll, den Schutz der Bundesrepublik Deutschland vor einer politischen Verfolgung oder sonstigen schwerwiegenden Beeinträchtigungen in seinem Herkunftsstaat zwar grundsätzlich nicht mit der Begründung einfordern, für ihn bestehe in dem betreffenden Drittstaat keine Sicherheit, weil dort die Verpflichtungen aus der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht erfüllt würden. Deswegen kommen für ihn entsprechend dem mit Art. 16 a Abs. 2 GG verfolgten „Konzept normativer Vergewisserung“ über die Sicherheit im Drittstaat auch die materiellen Rechtspositionen, auf die ein Ausländer sich sonst gegen seine Abschiebung stützen kann, nicht in Betracht. Vergleichbares gilt nach dem Willen des Gesetzgebers, wenn es um die Rückführung eines Ausländers in den für seinen Asylantrag zuständigen Staat im Sinne des § 27 a AsylVfG geht.
19 
Die Bundesrepublik Deutschland hat allerdings dann Schutz zu gewähren, wenn Abschiebungsverbote nach § 60 AufenthG durch Umstände begründet werden, die ihrer Eigenart nach nicht vorweg im Rahmen des „Konzepts normativer Vergewisserung“ durch Gesetz berücksichtigt werden können. Ausnahmen sind nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts u.a. dann geboten, wenn der Drittstaat gegenüber dem Schutzsuchenden selbst zu Maßnahmen politischer Verfolgung oder unmenschlicher Behandlung greift und dadurch zum Verfolgerstaat wird, und wenn offen zu Tage tritt, dass der Drittstaat sich von seinen Schutzverpflichtungen lösen und einem bestimmten Ausländer den Schutz dadurch verweigern wird, dass er sich seiner ohne jede Prüfung des Schutzgesuchs entledigen wird.
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Den vom Bundesverfassungsgericht angeführten Sonderfällen liegt die Zielsetzung zugrunde, dem Asylsuchenden den gebotenen Schutz nicht durch die Rückführung in den Drittstaat zu versagen. Ob dies auf einzelfallbezogenen Erwägungen beruht oder auf den allgemeinen Bedingungen in dem jeweiligen Staat, ist insoweit nicht von maßgeblicher Bedeutung. Mit Blick auf die Schutzbedürftigkeit des Betroffenen ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung auf der Grundlage einer verfassungskonformen Auslegung des § 34 a Abs. 2 AsylVfG dann möglich, wenn hinreichende Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der nach Art. 16 a Abs. 2 Satz 1 GG in dem Drittstaat europarechtlich zu gewährleistender Schutz tatsächlich nicht zumindest im Kern sichergestellt ist.
21 
Maßstab dafür, ob die Vollziehbarkeit der Abschiebungsanordnung nach § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG in den Fällen des § 26 a AsylVfG gegen den Willen des Gesetzgebers ausgesetzt werden kann, ist demnach die Frage, ob der Eintritt einer der vom Bundesverfassungsgericht genannten Fallgruppe konkret zu befürchten ist.
22 
Vorliegend dürften die Antragsteller bei einer Rückführung nach Italien einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt sein. Italien ist zwar als Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft gemäß § 26 a Abs. 2 AsylVfG ein sicherer Drittstaat und hat als solcher die Verpflichtungen nach der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Menschenrechtskonvention sowie der Charta der Grundrechte der europäischen Union anerkannt. Angesichts der aktuellen Situation von Flüchtlingen in Italien bestehen aber Anhaltspunkte dafür, dass die genannten Vorschriften derzeit nicht umfassend berücksichtigt werden. Es ist deshalb eine verfassungskonforme einschränkende Auslegung des § 34 a Abs. 2 AsylVfG geboten.
23 
Dies entspricht auch der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (U.v. 21.12.2011 - C-411/10 und C-492/10 -, juris, Rn. 80, 86). Danach gilt zunächst die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention steht. Ist dagegen ernsthaft zu befürchten, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesem Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber i.S. von Art. 4 der Grundrechtscharta implizieren, so wäre die Rücküberstellung von Asylbewerbern mit dieser Bestimmung unvereinbar.
24 
Vorliegend bestehen hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass Italien die von ihm eingegangenen Verpflichtungen nach der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union nicht erfüllt (vgl. OVG NRW, B.v. 1.3.2012 - 1 B 234/12.A -, juris; VG Darmstadt, B.v. 25.4.2012 - 4 L 488/12.DA.A -, juris; VG Regensburg, U.v. 27.3.2012 - RN 9 K 11.30441 -, juris; VG Karlsruhe, U.v. 6.3.2012 - A 3 K 3069/11 -, juris; VG Freiburg, B.v 2.2.2012 - A 4 K 2203/11 -, juris; VG Magdeburg, U.v. 21.11.2011 - 9 A 100/11 -, juris; VG Düsseldorf, , B.v. 29.7.2011 - 21 L 1127/11.A - zit. nach juris; Bay VG Regensburg, B.v. 14.6.2011 - RN 7 E 11.30189 - zit. nach juris; VG Gelsenkirchen, B.v. 1.6.2011 - 5a L 576/11.A -, zit. nach juris; VG Osnabrück, B.v. 23.5.2011 - 5 B 38/11 -, zit. nach juris; VG Darmstadt, B.v. 4.5.2011 - 2 L 382/11.DA.A - zit. nach juris; VG Wiesbaden, B.v. 12.4.2011 - 7 L 303/11.WI.A - zit. nach juris).
25 
Aus den dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Asylverfahren und Aufnahmebedingung in Italien, Bericht über die Situation von Asylsuchenden, Flüchtlingen und subsidiär oder humanitär aufgenommenen Personen, mit speziellem Fokus auf Dublin- Rückkehrende, vom Mai 2011; Antwort der Bundesregierung vom 18.4.2011 auf eine Kleine Anfrage, BT-Drs. 17/5579; Bethke und Bender, Zur Situation von Flüchtlingen in Italien, vom 28.2.2011; Schweizerische Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht, Nov. 2009, Rückschaffung in den „sicheren Drittstaat“ Italien; Bender, Warum Italien ein „Dublin-Thema“ ist, Asylmagazin 2012, S. 11 ff.) ergibt sich, dass die Aufnahmekapazitäten für Flüchtlinge in Italien völlig überlastet sind. Die große Mehrheit der Asylsuchenden muss ohne Obdach und ohne gesicherten Zugang zu Nahrung, Wasser und Elektrizität leben. Auch die Gesundheitsversorgung ist nicht ausreichend sichergestellt, da diese teilweise nur mit einer festen Wohnadresse beansprucht werden kann. Nach dem Stellen eines Asylgesuchs sollen Asylsuchende in Italien bis zu einem Asylentscheid an sich in einem CARA (Empfangszentrum für Asylsuchende) aufgenommen werden. Viele Asylsuchende finden keinen Aufnahmeplatz, insbesondere in Süditalien und in den großen Städten sind die Strukturen völlig überlastet. Nach der ersten Registrierungsphase ist vorgesehen, dass Asylsuchende in ein anderes Zentrum verlegt werden, das mehr auf Integration ausgerichtet ist. Diese Zentren sind Teil des SPRAR-Systems (Schutzsystem für Asylsuchende und Flüchtlinge). Hier soll den Flüchtlingen der Zugang zur Arbeit und zur Landessprache erleichtert werden. Landesweit bestehen aber nur 3.000 Plätze, die eine Aufnahme von jeweils maximal 6 Monaten ermöglicht. In Italien wurden im Jahr 2009 17.603 und im Jahr 2008 31.000 Asylsuchende verzeichnet. Die große Mehrheit der Asylsuchenden ist damit ungeschützt, ohne Obdach, Integrationshilfe und gesicherten Zugang zu Nahrung, Wasser und Elektrizität. Die Betroffenen übernachten in Parks, leerstehenden Häusern und überleben nur Dank der Hilfe karitativer Organisationen. In der kalten und feuchten Jahreszeit wird ihre Lage noch schwieriger. In Rom warten über 2.300 Personen auf einen SPRAR Platz, von denen es in Rom nur 200 gibt. Viele melden sich wegen der langen Warteliste gar nicht erst an (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Asylverfahren und Aufnahmebedingung in Italien, a.a.O.). „Dublin-Rückkehrer“ werden zwar in Bezug auf Aufnahmeplätze bevorzugt behandelt (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Asylverfahren und Aufnahmebedingung in Italien, a.a.O.). Wenn jedoch kein Platz vorhanden ist, werden auch sie lediglich auf eine Warteliste gesetzt, was dazu führt, dass die meisten nach Italien zurückgeführten Asylsuchenden obdachlos sind. Nach dem Bericht von Bethke und Bender (Zur Situation von Flüchtlingen in Italien, vom 28.2.2011) gibt es keine bevorzugte Behandlung von „Dublin-Rückkehrern“. Danach seien nach offiziellem Bericht des SPRAR lediglich 12 % der „Dublin-Rückkehrer“ in den Jahren 2008 und 2009 in ein SPRAR-Projekt vermittelt worden; 88% seien der Obdachlosigkeit überlassen worden. Im Jahr seien von insgesamt 1.308 Rückkehrern 148 in ein SPRAR-Projekt aufgenommen worden. Im Jahr 2009 hätten 315 Personen von 2.658 zurückgeführten Flüchtlingen einen Platz in einer Unterkunft erhalten. Auch für das Jahr 2010 gilt nichts anderes: Von 2739 aus anderen Dublin-Staaten zurückgeschobenen Personen haben 343, als ca 12%, einen SPRAR-Platz erhalten (vgl. Bender, Warum Italien ein „Dublin-Thema“ ist, Asylmagazin 2012, S. 11, 16/17, m.w.N.). Nach Schätzungen von Flüchtlingsorganisationen hat etwa die Hälfte der alleinstehenden männlichen Asylsuchenden und anerkannten Flüchtlingen keine Unterkunft (vgl. Schweizerische Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht, Nov. 2009, Rückschaffung in den „sicheren Drittstaat“ Italien).
26 
Soweit sich aus der Antwort der Bundesregierung zur Kleinen Anfrage (BT-Drs. 17/5579) ergibt, dass Asylbewerber in Italien einen gerichtlich durchsetzbaren Rechtsanspruch auf Unterkunft haben, ist dies jedoch schon dadurch relativiert, dass zugleich angegeben wird, das belastbare und detaillierte eigene Erkenntnisse über die Unterbringung von Asylbewerbern in Italien nicht vorliegen.
27 
Angesichts der durch die kriegerischen Auseinandersetzungen und der damit einhergehenden instabilen Verhältnisse in Nordafrika zu erwartenden weiteren Flüchtlingsströmen von Afrika nach Italien wird sich die Entwicklung in Italien in absehbarer Zeit voraussichtlich nicht verbessern, sondern eher noch verschlechtern. Nach einer Stellungnahme des UNHCR vom 16.8.2011 (Thousands still arriving on Italy’s shores from Libya and Tunisia - UN Agency, www.unhcr.org) seien seit den Unruhen in Nordafrika 52.000 Personen von Libyen und Tunesien nach Italien gekommen.
28 
Nach dieser Sachlage wären die Antragsteller gezwungen, ein Leben unterhalb des Existenzminimums zu führen. Auch aus ihrem eigenen Vortrag ergeben sich Anhaltspunkte dafür, dass die Durchführung eines Asylverfahrens in Italien nicht erwünscht und die Versorgung mangelhaft war. Die Antragstellerin zu 2 und der Antragsteller zu 1 berichteten bei ihren Anhörungen vor dem Bundesamt davon, sie seien in Italien nach einer erkennungsdienstlichen Behandlung aufgefordert worden, das Land zu verlassen. Zudem habe man sie in eine Unterkunft eingewiesen, wo sie weder Bett noch Decken erhalten hätten. Sie seien zusammen mit einer weiteren Familie in einem kleinem Zimmer untergebracht gewesen. Es habe auch nur einmal am Tag eine Mahlzeit gegeben.
29 
Darüber hinaus wären die Antragsteller nach dem oben Ausgeführten im Falle einer Abschiebung nach Italien mit hoher Wahrscheinlichkeit auch von Obdachlosigkeit bedroht. Bei einer Rückführung der Antragsteller nach Italien würde daher die Durchführung eines Hauptsacheverfahrens gegen einen noch zu erlassenden entsprechenden Bescheid des Bundesamts schon an ihrer mangelnden Erreichbarkeit in Italien scheitern (vgl. BVerfG, B.v. 8.9.2009 - 2 BvQ 56.09 -, juris; OVG NRW, B.v. 1.3.2012 - 1 B 234/12.A -, juris).
30 
Die Antragsteller dürften darüber hinaus einen Anspruch darauf haben, dass die Antragsgegnerin von ihrem sog. Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung Nr. 343/2003 vom 18.2.2003 (Dublin-II-VO) Gebrauch macht. Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO gibt den Antragstellern grundsätzlich nur ein Recht auf fehlerfreie Ermessensausübung (vgl. VG Frankfurt/M., B.v. 11.6.2012 - 1 L 1994/12.F.A. - juris; VG Würzburg, B.v. 24.5.2012 - W 3 E 12.30017 -, juris; VG Regensburg, U.v. 27.3.2012 - RN 9 K 11.30441 -, juris; VG Karlsruhe, U.v. 6.3.2012 - A 3 K 3069/11 -, juris; VG Magdeburg, U.v. 21.11.2011 - 9 A 100/11 -, juris). Der Prozessbevollmächtigte der Antragsteller hat die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 29.5.2012 gebeten, vom Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-OII-VO Gebrauch zu machen. Über diesen Antrag hat die Antragsgegnerin nach Kenntnis des Gerichts noch nicht entschieden. Nach den oben gemachten Ausführungen zur Lage in Italien ist das Gericht der Überzeugung, dass im Sinne der EuGH-Rechtsprechung (U.v. 21.12.2011 - C-411/10 und C-493/10 -, a.a.O.) ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe dafür vorliegen, dass die Antragsteller aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingung für Asylbewerber in Italien im Falle einer Überstellung in dieses Land Gefahr laufen würden, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung (Art. 3 EMRK, Art. 4 Europäische Grundrechtscharta) ausgesetzt zu werden und sich deshalb die Rücküberstellung als rechtswidrig darstellt. Diese schwerwiegenden Beeinträchtigung dürften zu der rechtlichen Schlussfolgerung führen, dass dem Anspruch der Antragsteller auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung durch die Antragsgegnerin nur dadurch genügt werden kann, im Hinblick auf die Verpflichtung der Antragsgegnerin zum Selbsteintritt nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO eine Ermessensreduzierung auf Null anzunehmen mit der Folge, dass die Asylverfahren der Antragsteller fortzusetzen sind (vgl. VG Regensburg, U.v. 27.3.2012 - RN 9 K 11.30441 -, juris, m.w.N.).
31 
Der einstweiligen Anordnung, mit der der Antragsgegnerin aufgegeben wird, von ihrem Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO Gebrauch zu machen, steht nicht entgegen, dass mit der einstweiligen Anordnung der Vorläufigkeit dieses Verfahrens entsprechend keine Vorwegnahme der Hauptsache erfolgen soll (vgl. Kopp/Schenke, 17. Aufl., 2011, § 123 Rn. 14). Das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache gilt im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Garantie effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) nämlich dann nicht, wenn eine bestimmte Regelung zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes schlechterdings notwendig ist, d.h., wenn die sonst zu erwartenden Nachteile für die Antragsteller unzumutbar und im Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen sind (vgl. Kopp/Schenke, a.a.O.). Dies trifft hier zu.
32 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83 b AsylVfG.
33 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).

Gründe

1

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Der Rechtssache kommt die von ihr geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung nicht zu (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Es erscheint bereits zweifelhaft, ob die Beschwerde den Darlegungsanforderungen genügt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), die verlangen, dass die Beschwerde eine konkrete verallgemeinerungsfähige Rechtsfrage formuliert, die grundsätzlicher Klärung in einem Revisionsverfahren bedarf (Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 26 S. 14). In jedem Fall fehlt es an der Klärungsbedürftigkeit bzw. Entscheidungserheblichkeit der in der Beschwerdebegründung angesprochenen Fragen.

2

Wie die Beschwerde selbst anerkennt, entspricht es ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass - anders als bei der Heranziehung zu einem endgültigen Erschließungsbeitrag - die Rechtmäßigkeit eines Vorausleistungsbescheides nicht davon abhängt, ob eine Anbaustraße bereits dem öffentlichen Verkehr gewidmet ist (Urteile vom 14. Juni 1968 - BVerwG 4 C 65.66 - Buchholz 406.11 § 127 BBauG Nr. 3 S. 7, vom 12. Dezember 1969 - BVerwG 4 C 100.68 - Buchholz 406.11 § 133 BBauG Nr. 34 S. 10 und vom 22. Februar 1985 - BVerwG 8 C 114.83 - Buchholz 406.11 § 133 BBauG Nr. 90 S. 49). Soweit die Beschwerde die Frage stellt, ob dies nicht nur beim völligen Fehlen eines Widmungsaktes gilt, sondern auch wenn ein ergangener Widmungsakt fälschlicherweise lediglich einen Teil der Wegeparzellen einer Erschließungsanlage erfasst, ergibt sich daraus kein Klärungsbedarf. Es ist ohne weiteres einsichtig, ohne dass es der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedürfte, dass die dargestellte Rechtsprechung auch bei einer lediglich in ihrem Umfang fehlerhaften Widmung Geltung beansprucht. Denn ist das Vorliegen einer Widmung nicht Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für die Erhebung einer Vorausleistung, kann es keinen Unterschied machen, ob die Widmung gänzlich fehlt oder ob sie lediglich in ihrem Umfang fehlerhaft ist (und die Gemeinde später die Widmung auf weitere Wegeparzellen erstreckt).

3

Soweit die Beschwerde die Frage aufwirft, "ob die Kommune berechtigt ist, durch die ggf. erforderliche Konkretisierung einer zunächst inhaltlich unbestimmten Widmung das endgültige Entstehen der Beitragspflicht stets aufs Neue hinauszuzögern", fehlt es an der Entscheidungserheblichkeit dieser Frage. Denn das Oberverwaltungsgericht geht davon aus, dass im Streitfall der zur Entstehung der sachlichen Beitragspflichten notwendige Grunderwerb erst am 17. September 2008 mit dem Eigentumserwerb der Wegeparzelle 21/3 durch die Beklagte abgeschlossen wurde (UA S. 6), mithin kurz vor der zweiten Widmungsverfügung vom 2. Februar 2009, auf die sich die Beschwerde mit der vorstehenden Frage bezieht. Im Übrigen geht die Beschwerde von einem Sachverhalt aus, nämlich dass die Beklagte das Entstehen der sachlichen Beitragspflichten "stets aufs Neue verzögert" hat, den das Oberverwaltungsgericht nicht festgestellt hat, und formuliert damit eine Rechtsfrage, die sich weder dem Oberverwaltungsgericht gestellt hat noch sich in dem angestrebten Revisionsverfahren stellen würde. Dem angefochtenen Urteil ist vielmehr zu entnehmen, dass das Oberverwaltungsgericht jedenfalls die Widmung vom 2. Februar 2009 für wirksam hält.

Gründe

1

Der Eilrechtsschutzantrag ist zulässig und begründet.

2

Dem Rechtsschutzbedürfnis der Antragsteller steht - ausnahmenweise - nicht entgegen, dass - soweit dem Gericht zum Zeitpunkt der Entscheidung bekannt - noch kein Bescheid des Bundesamtes über den Asylantrag der Antragsteller ergangen ist. Vielmehr wurde dem Prozessbevollmächtigten der Antragsteller unter dem 03.05.2012 mitgeteilt, dass die weitere Bearbeitung nunmehr im Referat 431 – Dublin-Referat – in Dortmund erfolge. Auch soweit die Antragsgegnerin dem Gericht unter dem 13.07.2012 mitteilte, dass noch keine Entscheidung getroffen sei und auch noch kein Entwurf vorliege, muss aufgrund der ständigen Entscheidungspraxis des Bundesamtes in den hier vorliegenden „Italien-Fällen“ nach der Dublin-II-Verordnung davon ausgegangen werden, dass der Asylantrag der Antragsteller als unzulässig abgelehnt und die Abschiebung nach Italien angeordnet wird. Denn es ist nicht erkennbar, dass das Bundesamt bzw. die politischen ministeriellen Entscheidungsträger, die nunmehr als herrschend zu bezeichnende, diesbezügliche der Entscheidungspraxis entgegenstehende Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte, umsetzt. Zudem ist dem Gericht bekannt, dass der entsprechende von dem Dublin-Referat in Dortmund erstellte ablehnende Bescheid, dem Asylbewerber erst am Tage seiner Überstellung durch die für die Abschiebung zuständige Ausländerbehörde persönlich zugestellt bzw. ausgehändigt wird (vgl. VG Stuttgart, Beschluss v. 02.07.2012, A 7 K 1877/12; juris) oder auch dem bestellten Verfahrensbevollmächtigten erst auf Nachfrage überhaupt bekannt gegeben wird (vgl. VG Augsburg, Beschluss v. 05.07.2011, Au 6 S 11.30264; juris). Allein diese bekannte Verfahrensweise lässt faktisch keinen geordneten einstweiligen Rechtsschutz im Falle der Abschiebung zu und begegnet erheblichen rechtlichen Bedenken (so auch: VG Stuttgart, Beschluss v. 02.07.2012, A 7 K 1877/12; VG Gelsenkirchen, Beschluss v. 01.06.2011, 5a L 576/11.A; bereits früher: VG Hannover, Beschluss v. 10.12.2009, 13 B 6047/09; VG Schleswig, Beschluss v. 12.08.2009, 9 B 37/09; alle juris). Daher muss effektiver Eilrechtsschutz vorliegend auch schon vor Erlass eines Bescheides möglich sein.

3

Der Zulässigkeit des Antrags steht § 34 a Abs. 2 des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG) nicht entgegen. Danach darf die Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat nicht im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes ausgesetzt werden. Die vorläufige Untersagung der Abschiebung kommt nach § 123 VwGO jedoch in Betracht, wenn eine die konkrete Schutzgewährung nach § 60 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) in Frage stellende Sachlage im für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat gegeben ist. Dies ergibt sich aus der gebotenen Verfassungskonformen Auslegung der Norm (vgl.: BVerfG, U. v. 14.05.1996, 2 BvR 1938, 2315 und Beschlüsse vom 08.09.2009, 2 BvQ 56/09, und vom 08.12.2009, 2 BvR 2780/09; VG Gelsenkirchen, B. v. 01.02.2011, 7 a L 85/11.A; juris.

4

Vorliegend bestehen im Sinne des vorläufigen Rechtsschutzes hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass diese Voraussetzungen auf Italien zutreffen könnten. Das Gericht nimmt in gefestigter ständiger Rechtsprechung an, dass Italien nicht die Kernanforderungen des EU-Flüchtlingsrechts zur Durchführung von Asylverfahren gewährleistet (vgl. nur: Urteil vom 21.11.2011, 9 A 100/11, m. w. Nachw.; juris). Es ist öffentlichkeits- und gerichtsbekannt, dass einige Mitgliedsstaaten der Europäischen Union nicht hinnehmbare Probleme bei der Durchführung der tatsächlichen Asylantragsgewährung haben. Dazu zählt neben Griechenland und Bulgarien auch Italien.

5

Die Kammer hat zuletzt in Entscheidungen aus dem Mai/Juni 2012 das Bundesamt zur Durchführung von Asylverfahren in Deutschland verpflichtet. In dem Gerichtsbescheid vom 07.05.2012 (9 A 63/12) führt das Gericht aus:

6

Nach Art. 3 Abs. 1 Dublin II-VO prüfen die Mitgliedsstaaten jeden Asylantrag, den ein Drittstaatangehöriger an der Grenze oder im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates stellt, wobei grundsätzlich Kap. III, Art. 10 der Dublin II-VO der Staat zuständig ist, dessen Grenze illegal überschritten wurde. Dies wäre wohl vorliegend Italien. Trotz dessen kann nach Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO ein Mitgliedsstaat einen im Inland gestellten Asylantrag prüfen. Ein insoweit bestehendes Ermessen ist jedenfalls dann auf null reduziert, wenn ein Verweisen auf den Staat der Einreise die Durchführung eines richtlinienkonformen Asylverfahrens nicht gewährleistet. Denn anderenfalls läge ein Verstoß gegen Art. 18 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vor. Nach Art. 18 der Charta wird das Recht auf Asyl nach Maßgabe des Genfer Abkommens vom 28.07.1951 und des Protokolls vom 31.01.1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge sowie gemäß den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft gewährleistet. Aus diesem Grund muss jeder Mitgliedsstaat das Asylverfahren selbst durchführen, wenn das in Richtlinien statuierte formelle oder materielle Asylrecht in einem Mitgliedsstaat nicht zur Anwendung gelangt (vgl. ausführlich: VG Magdeburg, GB v. 21.11.2011, 9 A 100/11; Urt. v. 26.07.2011, 9 A 346/10 MD mit Verweis auf VG Frankfurt, Urt. v. 08.07.2009, 7 K 4376/07; alle juris).

7

Das Gericht ist – wie bereits im Urteil der Kammer vom 26.07.2011 in anderer Besetzung – davon überzeugt, dass – zumindest derzeitig – ein rechtsstaatliches Asylverfahrens in Italien nicht gewährleistet ist. Das Schutzniveau, welches die Qualifikationsrichtlinie (Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004) insbesondere in Art. 28 (Sozialleistungen) und in Art. 31 (Zugang zu Wohnraum) festlegt, kann dort ebenso wenig gewährleistet werden wie ein richtlinienkonformes Asylverfahren nach der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.02.2003. Ferner wird gegen die Aufnahmerichtlinie (Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27.01.2011) zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern verstoßen. Weiter bestehen erhebliche Bedenken, ob ein Zurückschicken des Klägers nicht ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK darstellt. Dabei sind die derzeitigen augenblicklichen und tatsächlichen Verhältnisse des Mitgliedsstaates Italien zu bewerten.

8

Bereits in dem Beschluss vom 28.03.2011 (9 B 101/11 MD; juris) hat das Gericht im Zusammenhang mit der verfassungskonformen Auslegung des § 34 a Abs. 2 AsylVfG (ähnlich wie in dem Beschluss vom 15.03.2011, 9 B 83/11; [juris] zu Bulgarien) darauf hingewiesen, dass die „Schweizerische Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht“ (Internet) im November 2009 darüber berichtete, dass die Aufnahmekapazitäten für Asylbewerber in Italien völlig überlastet seien. Ebenso berichtete „CARITAS Rom“ über dramatische Zustände der Aufnahmelager in Rom. Das Gericht hat ausgeführt, dass es nicht der Einschätzung der 5. Kammer des Gerichts (vgl. Beschl. v. 31.01.2011, 5 B 40/11; juris) teile, wonach der Inhalt des Berichts „zwar erdrückend“ sei, gleichwohl daraus „keine unzumutbaren humanitären oder administrativen Zustände“ abgeleitet werden könnten. Erkennbar stellt die genannte Entscheidung der 5. Kammer auf die im dortigen Verfahren vertretenen Antragsteller ab und dass sie selbst davon ausgingen, in Italien „nicht menschenrechtswidrig“ behandelt worden zu sein. Auf eine derartige individuelle Sichtweise kann es aber nicht ankommen. Mittlerweile ist es aufgrund der gegenwärtigen politischen Veränderungen in Nordafrika bekannt, dass gerade Italien einen besonders hohen Ansturm von Asylbewerbern zu verzeichnen hat. Dies auch deswegen, weil das Abkommen mit Libyen und die daraus resultierende fast vollständige Blockade des Seeweges für Bootsflüchtlinge aus Libyen nicht mehr bestehen wird. Maria Bethke und Dominik Bender berichten für Proasyl in ihrem Bericht vom 28.02.2011 „Zur Situation von Flüchtlingen in Italien“ (Internet), dass Folge der Knappheit an Aufnahmeplätzen sei, dass auch schutzberechtigte ausländische Staatsangehörige in aller Regel sich selbst überlassen blieben, ebenso diejenigen, deren Asylverfahren nicht innerhalb von sechs Monaten abgeschlossen sei. Ein staatliches Sozialsystem, das zumindest Wohnraum und ein Existenzminimum garantieren würde, stehe ihnen nicht zur Verfügung. Den Betroffenen bleibe nur, sich selbst „durch das Leben zu schlagen“ (vgl. ausführlich: VG Magdeburg, Beschl. v. 28.03.2011, 9 B 101/11 MD; auch: VG Braunschweig, Beschl. v. 31.05.2011, 1 B 103/11 m. w. Nachw.; beide juris).

9

Dabei ist der Mangel an Unterkünften und die daraus resultierende fehlende Gewährleistung der Sicherung elementarer Lebensbedürfnisse besonders erschreckend. Hier stehen zur Überzeugung der Kammer Theorie und Praxis einer menschenwürdigen Behandlung der einem Staat anvertrauten Asylbewerbern in einem krassen Widerspruch. Theoretisch haben Asylsuchende auch in Italien einen rechtlich gesicherten Anspruch auf Unterkunft. Indes sieht die Praxis so aus, dass Asylsuchende – auch Rückkehrer – in der Obdachlosigkeit enden. So führt die Schweizerische Flüchtlingshilfe mit Verweis auf den Bericht einer EU-Kommission aus, dass dies an den viel zu geringen Aufnahmekapazitäten liege. So sind auch die Aufnahmekapazitäten der Sozialdienste der Gemeinden oder kirchlicher Organisationen äußerst beschränkt. Die Berichte beschreiben anschaulich, dass in der Folge viele Flüchtlinge in Kartonunterlagen schlafen, weder Toilette noch Wasser zur Verfügung hätten, ihre Habseligkeiten in Plastiksäcken mit sich trugen und in der ständigen Angst lebten, nachts ausgeraubt oder vergewaltigt zu werden. Der Bericht führt weiter aus, dass in jedem Fall ein Anspruch auf Unterkunft ohnehin nur bis zum erstinstanzlichen Bescheid bestehe; Menschen mit einem Schutzstatus hätten solche Ansprüche erst gar nicht. Nach der Einschätzung der Schweizerischen Flüchtlingshilfe würden Flüchtlinge und Asylsuchende in Italien Gefahr laufen, in extremer Armut zu leben und ihre grundlegenden Lebensbedürfnisse nicht decken zu können. Demnach bestünde eine ähnliche Lage wie in Belgien und Griechenland festgestellt worden sei und als Verstoß gegen Art. 3 EMRK gewertet worden sei. Auch werde den italienischen Behörden bescheinigt, sie ließen keine Bemühungen zur Verbesserung der Situation erkennen.

10

Der Bericht von Bethke und Bender zeichnet ein ebenso erschreckendes Bild von der Asylbewerberlage in Italien. 98 % der Dublin II-Rückkehrer seien der Obdachlosigkeit überlassen und seien insbesondere nächtlichen Überfällen und sexuellen Übergriffen schutzlos ausgeliefert. Der Bericht verweist auf umfangreiches Zahlenmaterial italienischer Stellen. Wieso der Bericht überholt sein soll, wovon das Bundesamt anscheinend ausgeht, ist nicht ersichtlich.

11

Auch aus einer Stellungnahme der Schweizerischen Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht vom November 2009 zur „Rückschaffung in den sicheren Drittstaat Italien“ gehen die tatsächlichen Verhältnisse in Italien hervor. Dort wird berichtet, dass die Zahl der Asylsuchenden das Zehnfache der Aufnahmekapazität überschreite.

12

Mit dem VG Gießen (Beschluss v. 10.03.2011, 1 L 468/11.GI.A; juris) erscheint auch die Qualität der Asylverfahren bedenklich. Das VG Gießen verweist auf das in Italien durchgeführte beschleunigte Verfahren und dortige Mängel bei der Bereitstellung von Rechtsbeiständen und Dolmetschern.

13

Dem erkennenden Gericht ist bewusst, dass die überwiegende Anzahl der Gerichte in Deutschland nicht von einem Selbsteintrittsrecht der Bundesrepublik Deutschland aufgrund der tatsächlichen Verhältnisse in Italien ausgeht. Diese Rechtsprechung setzt sich jedoch - zur Überzeugung des Gerichts - nicht hinreichend mit der Erkenntnislage auseinander und beachtet teilweise die anders lautende – und gerade vom erkennenden Gericht vertretene - Rechtsauffassung nicht einmal.

14

Das VG Düsseldorf führt in seinem Beschluss vom 12.09.2011 (6 L 866/11.A; juris) mit Verweis auf den zitierten Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe aus, dass diesbezüglich in Italien durchaus „prekäre“ Verhältnisse bestünden diese sich aber auf den dortigen Antragsteller nicht auswirken würden. Das VG München versucht in seinem Beschluss vom 17.08.2011 (M 16 E 11.30637; juris) die in Italien herrschende Asylverfahrenspraxis als grundsätzlich zulässig anzusehen und die Probleme vielmehr auf die in Booten über das Mittelmeer nach Italien gelangenden Asylbewerber zu beschränken. Deren Situation sei mit Asylsuchenden, die im Rahmen des Dublin II-Verfahrens in ein anderes EU-Land überstellt werden würden, nicht zu vergleichen. Eine Begründung für diese Unterscheidung ist jedoch nicht ersichtlich. Das Verwaltungsgericht des Saarlandes (Beschluss v. 22.08.2011, 5 L 744/11; juris) geht pauschal davon aus, dass eine Rückführung nach Italien trotz gewisser Mängel generell zulässig sei. Auch das Urteil des VG Saarlands vom 07.03.2012 (5 K 502/11; juris) hilft nicht weiter. Das Gericht verweist selbst darauf, dass es sich um die Einschätzung der Beklagten handele und führt aus, dass der Kläger keine Gegenargumente vorgetragen habe. Zudem handele es sich um ein „Paradebeispiel“ für das „Funktionieren des Verfahrens in Italien“. Zur Überzeugung des Gerichts vermögen derartige Fälle die systematischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in Italien nicht in Frage zu stellen.

15

Für das Gericht ist nicht erkennbar, dass sie diese Einschätzung hinsichtlich Italien geändert haben soll. Die gegenteilige Ansicht des Bundesamtes ist nicht überzeugend und setzt sich nicht mit der anderslautenden, vom erkennenden Gericht in ständiger Rechtsprechung wiederholt geäußerten und bekannten Rechtsprechung auseinander. Zuletzt hat das VG Freibug mit Beschluss vom 02.02.2012 (A 4 K 2203/11; juris) aufgrund der „aktuellen Auskunftslage“ Zweifel daran geäußert, dass Italien gegenwärtig seinen Verpflichtungen nachkommt. Dabei weist das VG Freiburg auch darauf hin, dass anders als bei Griechenland im Falle Italien keine Empfehlung des UNHCR vorliegt, dies aber allein nicht ausschlaggebend sein kann. Auch das VG Freibug stellt darauf ab, dass sich das Bundesamt nicht mit den konkreten Hinweisen auf die erhebliche Diskrepanz zwischen den von Italien eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtungen und der Umsetzung in der Praxis auseinandersetzt. Das erkennende Gericht verweist ausdrücklich auf diese jüngste und ausführliche Zusammenfassung der Rechtsprechung und der diesbezüglichen Argumentation der Freiburger Entscheidung, welcher sich das Gericht anschließt.“

16

Diese Rechtsauffassung vertritt die Kammer nach wie vor. Schließlich hat das OVG NRW mit Beschluss vom 01.03.2012 (1 B 234/12.A; juris) die Abschiebung nach Italien unter ausdrücklichem Verweis auf die Rechtsprechung der 9. Kammer des VG Magdeburg untersagt. Diese nunmehr als herrschend zu bezeichnende Rechtsprechung ignoriert das Bundesamt beharrlich und setzt sich nicht damit auseinander.

17

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83 b Abs. 1 AsylVfG.


(1) Auf Antrag kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, daß durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint.

(2) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen ist das Gericht der Hauptsache zuständig. Dies ist das Gericht des ersten Rechtszugs und, wenn die Hauptsache im Berufungsverfahren anhängig ist, das Berufungsgericht. § 80 Abs. 8 ist entsprechend anzuwenden.

(3) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen gelten §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939, 941 und 945 der Zivilprozeßordnung entsprechend.

(4) Das Gericht entscheidet durch Beschluß.

(5) Die Vorschriften der Absätze 1 bis 3 gelten nicht für die Fälle der §§ 80 und 80a.

Gründe

1

Der Antrag der Beklagten vom 18.04.2012 auf Entscheidung des Gerichts (§§ 165, 151 VwGO; §§ 33, 56 RVG) gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 17.04.2012 hat Erfolg. Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle ist bei seiner Festsetzung fehlerhaft von einem Gegenstandswert in Höhe von 3.000,00 Euro ausgegangen. Richtig ist ein Gegenstandswert von 1.500,00 Euro anzusetzen.

2

Nach § 30 Satz 1 HS 1 RVG ist ein Gegenstandswert in Höhe von 3.000,00 Euro bei Klageverfahren, die die Asylanerkennung einschließlich der Feststellung der Voraussetzungen nach § 60 Abs. 1 AufenthG und die Feststellung von sonstigen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG betreffen anzunehmen. In sonstigen Klageverfahren erfolgt eine Bewertung gemäß § 30 Satz 1 HS 2 RVG in Höhe von 1.500,00 Euro.

3

Das Gericht folgt der Auffassung des Bundesamtes, dass in dem vorliegenden Fall, ein „sonstiges Klageverfahren“ im Sinne von § 30 Satz 1 HS 2 RVG mit der Folge eines Gegenstandswertes in Höhe von 1.500,00 Euro vorliegt. Streitgegenstand des Klageverfahrens war die Verpflichtung der Beklagten, über den Asylantrag des Klägers in eigener Zuständigkeit zu entscheiden und ein Asylverfahren in Deutschland durchzuführen. Das Klagebegehren zielte dahin, überhaupt die Prüfung des klägerischen Asylantrages in Deutschland, mithin das Selbsteintrittsrecht nach der Dublin-II-Verordnung, gerichtlich durchzusetzen. Demnach lag dem Streitverfahren von Beginn an zwar der Asylantrag des Klägers zugrunde. Über den (endgültigen) materiell-rechtlichen Asylanspruch und/oder Bleiberechte des Klägers hat das Gericht aber gerade (noch) nicht entschieden. Vielmehr ist der Asylantrag des Klägers aufgrund der gerichtlichen Entscheidung weiter beim Bundesamt anhängig und über den Antrag muss in einem geordneten Asylverfahren vom Bundesamt entschieden werden. Erst wenn dieses Verfahren mit einem rechtmittelfähigen Bescheid abgeschlossen ist und der Kläger gegen eine ihn belastende Entscheidung gerichtlich vorgeht, kann von einem asylrechtlichen Verfahren im Sinne des § 30 Satz 1 HS 1 RVG ausgegangen werden.

4

Demnach weist das Bundesamt zutreffend darauf hin, dass das Gericht in dem vorliegenden Fall der Überprüfung des Selbsteintrittsrechts der Beklagten nach der Dublin-II-Verordnung gerade keine Spruchreife herstellen und etwa über den Asylantrag „durchentscheiden“ darf.

5

Die von der Beklagten zitierte Rechtsprechung hilft indes wenig weiter. Denn soweit diese veröffentlicht sind und von einem Gegenstandswert in Höhe von 1.500,00 Euro ausgehen, ist mangels Nennung der Rechtsgrundlage nicht erkennbar, ob sich dieser aufgrund der Regelung in § 30 Satz 1 HS 2 RVG ergibt. Da es sich bei den zitierten Entscheidungen überwiegend um Beschlüsse im vorläufigen Rechtsschutz handelt, ist ebenso anzunehmen, dass sich der Wert aufgrund der nach dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vorgesehenen Halbierung im Eilrechtsschutz ergibt. Die im vorläufigen Rechtsschutz ergangenen Beschlüsse des VG Ansbach vom 20.01.2011 (AN 9 E 10.30523; juris) und vom VG Neustadt/Weinstraße vom 16.02.2010 (1 L 136/10.NW; juris) verwiesen nur auf § 30 RVG ohne weitere Nennung. Dem Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshof vom 09.09.2011 (13a B 10.30408; juris) lag nur die Abschiebungsanordnung streitgegenständlich zugrunde. Der Beschluss des VG Minden von 01.06.2011 (10 K 2493/09.A; juris) ist insoweit widersprüchlich, als das der verminderte Wert auch bei einer Klageänderung auf Asylentscheidung, gelten soll.

6

Eine Kostenentscheidung im Erinnerungsverfahren ist nicht veranlasst. Kosten werden nicht erstattet (§§ 33 Abs. 9 Satz 2, 56 Abs. 2 Satz 3 RVG) und das Verfahren ist gebührenfrei (§§ 33 Abs. 9 Satz 1, § 56 Abs. 2 Satz 2 RVG).


Gründe

1

Der Eilrechtsschutzantrag ist zulässig und begründet.

2

Dem Rechtsschutzbedürfnis der Antragsteller steht - ausnahmenweise - nicht entgegen, dass - soweit dem Gericht zum Zeitpunkt der Entscheidung bekannt - noch kein Bescheid des Bundesamtes über den Asylantrag der Antragsteller ergangen ist. Vielmehr wurde dem Prozessbevollmächtigten der Antragsteller unter dem 03.05.2012 mitgeteilt, dass die weitere Bearbeitung nunmehr im Referat 431 – Dublin-Referat – in Dortmund erfolge. Auch soweit die Antragsgegnerin dem Gericht unter dem 13.07.2012 mitteilte, dass noch keine Entscheidung getroffen sei und auch noch kein Entwurf vorliege, muss aufgrund der ständigen Entscheidungspraxis des Bundesamtes in den hier vorliegenden „Italien-Fällen“ nach der Dublin-II-Verordnung davon ausgegangen werden, dass der Asylantrag der Antragsteller als unzulässig abgelehnt und die Abschiebung nach Italien angeordnet wird. Denn es ist nicht erkennbar, dass das Bundesamt bzw. die politischen ministeriellen Entscheidungsträger, die nunmehr als herrschend zu bezeichnende, diesbezügliche der Entscheidungspraxis entgegenstehende Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte, umsetzt. Zudem ist dem Gericht bekannt, dass der entsprechende von dem Dublin-Referat in Dortmund erstellte ablehnende Bescheid, dem Asylbewerber erst am Tage seiner Überstellung durch die für die Abschiebung zuständige Ausländerbehörde persönlich zugestellt bzw. ausgehändigt wird (vgl. VG Stuttgart, Beschluss v. 02.07.2012, A 7 K 1877/12; juris) oder auch dem bestellten Verfahrensbevollmächtigten erst auf Nachfrage überhaupt bekannt gegeben wird (vgl. VG Augsburg, Beschluss v. 05.07.2011, Au 6 S 11.30264; juris). Allein diese bekannte Verfahrensweise lässt faktisch keinen geordneten einstweiligen Rechtsschutz im Falle der Abschiebung zu und begegnet erheblichen rechtlichen Bedenken (so auch: VG Stuttgart, Beschluss v. 02.07.2012, A 7 K 1877/12; VG Gelsenkirchen, Beschluss v. 01.06.2011, 5a L 576/11.A; bereits früher: VG Hannover, Beschluss v. 10.12.2009, 13 B 6047/09; VG Schleswig, Beschluss v. 12.08.2009, 9 B 37/09; alle juris). Daher muss effektiver Eilrechtsschutz vorliegend auch schon vor Erlass eines Bescheides möglich sein.

3

Der Zulässigkeit des Antrags steht § 34 a Abs. 2 des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG) nicht entgegen. Danach darf die Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat nicht im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes ausgesetzt werden. Die vorläufige Untersagung der Abschiebung kommt nach § 123 VwGO jedoch in Betracht, wenn eine die konkrete Schutzgewährung nach § 60 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) in Frage stellende Sachlage im für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat gegeben ist. Dies ergibt sich aus der gebotenen Verfassungskonformen Auslegung der Norm (vgl.: BVerfG, U. v. 14.05.1996, 2 BvR 1938, 2315 und Beschlüsse vom 08.09.2009, 2 BvQ 56/09, und vom 08.12.2009, 2 BvR 2780/09; VG Gelsenkirchen, B. v. 01.02.2011, 7 a L 85/11.A; juris.

4

Vorliegend bestehen im Sinne des vorläufigen Rechtsschutzes hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass diese Voraussetzungen auf Italien zutreffen könnten. Das Gericht nimmt in gefestigter ständiger Rechtsprechung an, dass Italien nicht die Kernanforderungen des EU-Flüchtlingsrechts zur Durchführung von Asylverfahren gewährleistet (vgl. nur: Urteil vom 21.11.2011, 9 A 100/11, m. w. Nachw.; juris). Es ist öffentlichkeits- und gerichtsbekannt, dass einige Mitgliedsstaaten der Europäischen Union nicht hinnehmbare Probleme bei der Durchführung der tatsächlichen Asylantragsgewährung haben. Dazu zählt neben Griechenland und Bulgarien auch Italien.

5

Die Kammer hat zuletzt in Entscheidungen aus dem Mai/Juni 2012 das Bundesamt zur Durchführung von Asylverfahren in Deutschland verpflichtet. In dem Gerichtsbescheid vom 07.05.2012 (9 A 63/12) führt das Gericht aus:

6

Nach Art. 3 Abs. 1 Dublin II-VO prüfen die Mitgliedsstaaten jeden Asylantrag, den ein Drittstaatangehöriger an der Grenze oder im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates stellt, wobei grundsätzlich Kap. III, Art. 10 der Dublin II-VO der Staat zuständig ist, dessen Grenze illegal überschritten wurde. Dies wäre wohl vorliegend Italien. Trotz dessen kann nach Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO ein Mitgliedsstaat einen im Inland gestellten Asylantrag prüfen. Ein insoweit bestehendes Ermessen ist jedenfalls dann auf null reduziert, wenn ein Verweisen auf den Staat der Einreise die Durchführung eines richtlinienkonformen Asylverfahrens nicht gewährleistet. Denn anderenfalls läge ein Verstoß gegen Art. 18 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vor. Nach Art. 18 der Charta wird das Recht auf Asyl nach Maßgabe des Genfer Abkommens vom 28.07.1951 und des Protokolls vom 31.01.1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge sowie gemäß den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft gewährleistet. Aus diesem Grund muss jeder Mitgliedsstaat das Asylverfahren selbst durchführen, wenn das in Richtlinien statuierte formelle oder materielle Asylrecht in einem Mitgliedsstaat nicht zur Anwendung gelangt (vgl. ausführlich: VG Magdeburg, GB v. 21.11.2011, 9 A 100/11; Urt. v. 26.07.2011, 9 A 346/10 MD mit Verweis auf VG Frankfurt, Urt. v. 08.07.2009, 7 K 4376/07; alle juris).

7

Das Gericht ist – wie bereits im Urteil der Kammer vom 26.07.2011 in anderer Besetzung – davon überzeugt, dass – zumindest derzeitig – ein rechtsstaatliches Asylverfahrens in Italien nicht gewährleistet ist. Das Schutzniveau, welches die Qualifikationsrichtlinie (Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004) insbesondere in Art. 28 (Sozialleistungen) und in Art. 31 (Zugang zu Wohnraum) festlegt, kann dort ebenso wenig gewährleistet werden wie ein richtlinienkonformes Asylverfahren nach der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.02.2003. Ferner wird gegen die Aufnahmerichtlinie (Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27.01.2011) zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern verstoßen. Weiter bestehen erhebliche Bedenken, ob ein Zurückschicken des Klägers nicht ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK darstellt. Dabei sind die derzeitigen augenblicklichen und tatsächlichen Verhältnisse des Mitgliedsstaates Italien zu bewerten.

8

Bereits in dem Beschluss vom 28.03.2011 (9 B 101/11 MD; juris) hat das Gericht im Zusammenhang mit der verfassungskonformen Auslegung des § 34 a Abs. 2 AsylVfG (ähnlich wie in dem Beschluss vom 15.03.2011, 9 B 83/11; [juris] zu Bulgarien) darauf hingewiesen, dass die „Schweizerische Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht“ (Internet) im November 2009 darüber berichtete, dass die Aufnahmekapazitäten für Asylbewerber in Italien völlig überlastet seien. Ebenso berichtete „CARITAS Rom“ über dramatische Zustände der Aufnahmelager in Rom. Das Gericht hat ausgeführt, dass es nicht der Einschätzung der 5. Kammer des Gerichts (vgl. Beschl. v. 31.01.2011, 5 B 40/11; juris) teile, wonach der Inhalt des Berichts „zwar erdrückend“ sei, gleichwohl daraus „keine unzumutbaren humanitären oder administrativen Zustände“ abgeleitet werden könnten. Erkennbar stellt die genannte Entscheidung der 5. Kammer auf die im dortigen Verfahren vertretenen Antragsteller ab und dass sie selbst davon ausgingen, in Italien „nicht menschenrechtswidrig“ behandelt worden zu sein. Auf eine derartige individuelle Sichtweise kann es aber nicht ankommen. Mittlerweile ist es aufgrund der gegenwärtigen politischen Veränderungen in Nordafrika bekannt, dass gerade Italien einen besonders hohen Ansturm von Asylbewerbern zu verzeichnen hat. Dies auch deswegen, weil das Abkommen mit Libyen und die daraus resultierende fast vollständige Blockade des Seeweges für Bootsflüchtlinge aus Libyen nicht mehr bestehen wird. Maria Bethke und Dominik Bender berichten für Proasyl in ihrem Bericht vom 28.02.2011 „Zur Situation von Flüchtlingen in Italien“ (Internet), dass Folge der Knappheit an Aufnahmeplätzen sei, dass auch schutzberechtigte ausländische Staatsangehörige in aller Regel sich selbst überlassen blieben, ebenso diejenigen, deren Asylverfahren nicht innerhalb von sechs Monaten abgeschlossen sei. Ein staatliches Sozialsystem, das zumindest Wohnraum und ein Existenzminimum garantieren würde, stehe ihnen nicht zur Verfügung. Den Betroffenen bleibe nur, sich selbst „durch das Leben zu schlagen“ (vgl. ausführlich: VG Magdeburg, Beschl. v. 28.03.2011, 9 B 101/11 MD; auch: VG Braunschweig, Beschl. v. 31.05.2011, 1 B 103/11 m. w. Nachw.; beide juris).

9

Dabei ist der Mangel an Unterkünften und die daraus resultierende fehlende Gewährleistung der Sicherung elementarer Lebensbedürfnisse besonders erschreckend. Hier stehen zur Überzeugung der Kammer Theorie und Praxis einer menschenwürdigen Behandlung der einem Staat anvertrauten Asylbewerbern in einem krassen Widerspruch. Theoretisch haben Asylsuchende auch in Italien einen rechtlich gesicherten Anspruch auf Unterkunft. Indes sieht die Praxis so aus, dass Asylsuchende – auch Rückkehrer – in der Obdachlosigkeit enden. So führt die Schweizerische Flüchtlingshilfe mit Verweis auf den Bericht einer EU-Kommission aus, dass dies an den viel zu geringen Aufnahmekapazitäten liege. So sind auch die Aufnahmekapazitäten der Sozialdienste der Gemeinden oder kirchlicher Organisationen äußerst beschränkt. Die Berichte beschreiben anschaulich, dass in der Folge viele Flüchtlinge in Kartonunterlagen schlafen, weder Toilette noch Wasser zur Verfügung hätten, ihre Habseligkeiten in Plastiksäcken mit sich trugen und in der ständigen Angst lebten, nachts ausgeraubt oder vergewaltigt zu werden. Der Bericht führt weiter aus, dass in jedem Fall ein Anspruch auf Unterkunft ohnehin nur bis zum erstinstanzlichen Bescheid bestehe; Menschen mit einem Schutzstatus hätten solche Ansprüche erst gar nicht. Nach der Einschätzung der Schweizerischen Flüchtlingshilfe würden Flüchtlinge und Asylsuchende in Italien Gefahr laufen, in extremer Armut zu leben und ihre grundlegenden Lebensbedürfnisse nicht decken zu können. Demnach bestünde eine ähnliche Lage wie in Belgien und Griechenland festgestellt worden sei und als Verstoß gegen Art. 3 EMRK gewertet worden sei. Auch werde den italienischen Behörden bescheinigt, sie ließen keine Bemühungen zur Verbesserung der Situation erkennen.

10

Der Bericht von Bethke und Bender zeichnet ein ebenso erschreckendes Bild von der Asylbewerberlage in Italien. 98 % der Dublin II-Rückkehrer seien der Obdachlosigkeit überlassen und seien insbesondere nächtlichen Überfällen und sexuellen Übergriffen schutzlos ausgeliefert. Der Bericht verweist auf umfangreiches Zahlenmaterial italienischer Stellen. Wieso der Bericht überholt sein soll, wovon das Bundesamt anscheinend ausgeht, ist nicht ersichtlich.

11

Auch aus einer Stellungnahme der Schweizerischen Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht vom November 2009 zur „Rückschaffung in den sicheren Drittstaat Italien“ gehen die tatsächlichen Verhältnisse in Italien hervor. Dort wird berichtet, dass die Zahl der Asylsuchenden das Zehnfache der Aufnahmekapazität überschreite.

12

Mit dem VG Gießen (Beschluss v. 10.03.2011, 1 L 468/11.GI.A; juris) erscheint auch die Qualität der Asylverfahren bedenklich. Das VG Gießen verweist auf das in Italien durchgeführte beschleunigte Verfahren und dortige Mängel bei der Bereitstellung von Rechtsbeiständen und Dolmetschern.

13

Dem erkennenden Gericht ist bewusst, dass die überwiegende Anzahl der Gerichte in Deutschland nicht von einem Selbsteintrittsrecht der Bundesrepublik Deutschland aufgrund der tatsächlichen Verhältnisse in Italien ausgeht. Diese Rechtsprechung setzt sich jedoch - zur Überzeugung des Gerichts - nicht hinreichend mit der Erkenntnislage auseinander und beachtet teilweise die anders lautende – und gerade vom erkennenden Gericht vertretene - Rechtsauffassung nicht einmal.

14

Das VG Düsseldorf führt in seinem Beschluss vom 12.09.2011 (6 L 866/11.A; juris) mit Verweis auf den zitierten Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe aus, dass diesbezüglich in Italien durchaus „prekäre“ Verhältnisse bestünden diese sich aber auf den dortigen Antragsteller nicht auswirken würden. Das VG München versucht in seinem Beschluss vom 17.08.2011 (M 16 E 11.30637; juris) die in Italien herrschende Asylverfahrenspraxis als grundsätzlich zulässig anzusehen und die Probleme vielmehr auf die in Booten über das Mittelmeer nach Italien gelangenden Asylbewerber zu beschränken. Deren Situation sei mit Asylsuchenden, die im Rahmen des Dublin II-Verfahrens in ein anderes EU-Land überstellt werden würden, nicht zu vergleichen. Eine Begründung für diese Unterscheidung ist jedoch nicht ersichtlich. Das Verwaltungsgericht des Saarlandes (Beschluss v. 22.08.2011, 5 L 744/11; juris) geht pauschal davon aus, dass eine Rückführung nach Italien trotz gewisser Mängel generell zulässig sei. Auch das Urteil des VG Saarlands vom 07.03.2012 (5 K 502/11; juris) hilft nicht weiter. Das Gericht verweist selbst darauf, dass es sich um die Einschätzung der Beklagten handele und führt aus, dass der Kläger keine Gegenargumente vorgetragen habe. Zudem handele es sich um ein „Paradebeispiel“ für das „Funktionieren des Verfahrens in Italien“. Zur Überzeugung des Gerichts vermögen derartige Fälle die systematischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in Italien nicht in Frage zu stellen.

15

Für das Gericht ist nicht erkennbar, dass sie diese Einschätzung hinsichtlich Italien geändert haben soll. Die gegenteilige Ansicht des Bundesamtes ist nicht überzeugend und setzt sich nicht mit der anderslautenden, vom erkennenden Gericht in ständiger Rechtsprechung wiederholt geäußerten und bekannten Rechtsprechung auseinander. Zuletzt hat das VG Freibug mit Beschluss vom 02.02.2012 (A 4 K 2203/11; juris) aufgrund der „aktuellen Auskunftslage“ Zweifel daran geäußert, dass Italien gegenwärtig seinen Verpflichtungen nachkommt. Dabei weist das VG Freiburg auch darauf hin, dass anders als bei Griechenland im Falle Italien keine Empfehlung des UNHCR vorliegt, dies aber allein nicht ausschlaggebend sein kann. Auch das VG Freibug stellt darauf ab, dass sich das Bundesamt nicht mit den konkreten Hinweisen auf die erhebliche Diskrepanz zwischen den von Italien eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtungen und der Umsetzung in der Praxis auseinandersetzt. Das erkennende Gericht verweist ausdrücklich auf diese jüngste und ausführliche Zusammenfassung der Rechtsprechung und der diesbezüglichen Argumentation der Freiburger Entscheidung, welcher sich das Gericht anschließt.“

16

Diese Rechtsauffassung vertritt die Kammer nach wie vor. Schließlich hat das OVG NRW mit Beschluss vom 01.03.2012 (1 B 234/12.A; juris) die Abschiebung nach Italien unter ausdrücklichem Verweis auf die Rechtsprechung der 9. Kammer des VG Magdeburg untersagt. Diese nunmehr als herrschend zu bezeichnende Rechtsprechung ignoriert das Bundesamt beharrlich und setzt sich nicht damit auseinander.

17

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83 b Abs. 1 AsylVfG.


Tenor

Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 5.7.2012 wird angeordnet. Die Abschiebung des Antragstellers nach Ungarn ist unzulässig. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

Die Antragsgegnerin zu 1 trägt die außergerichtlichen Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Antragsgegners zu 2, die der Antragsteller trägt.

Gründe

 
I.
Der Antragsteller, ein nach seinen Angaben in Beirut geborener Palästinenser aus dem Libanon, reiste nach seinen Angaben am 25.7.2011 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Er stellte am 14.9.2011 einen Asylantrag und wurde am 10.10.2011 zu seinen persönlichen Daten und seinem Reiseweg nach Deutschland angehört. Dabei gab er an, in einem fremden Land für zwei Wochen inhaftiert worden zu sein. Dann habe man ihn einfach so wieder freigelassen. Danach habe er sich dort noch zwei bis drei Wochen aufgehalten. Er habe im Freien übernachtet. Durch einen Schleuser sei er dann nach Deutschland gebracht worden. Er habe nirgendwo anders einen Asylantrag gestellt. Auf Vorhalt, dass dem Bundesamt Erkenntnisse vorlägen, der Antragsteller habe bereits in Ungarn um Asyl nachgesucht, antwortete der Antragsteller, er werde in so einem Land, in dem er erniedrigt und geschlagen worden sei, niemals einen Asylantrag stellen. In diesem Land seien ihm Fingerabdrücke genommen worden. Er habe in diesem Land keine richtigen Personalien angegeben, da er Angst gehabt habe, abgeschoben zu werden.
Mit Bescheid vom 5.7.2012 wurde der Asylantrag des Antragstellers als unzulässig abgelehnt und die Abschiebung nach Ungarn angeordnet. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Antragsteller habe laut Eurodac-Datenbank bereits am 22.6.2011 in Ungarn Asyl beantragt. Auf das Übernahmeersuchen des Bundesamts vom 19.6.2012 hätten die ungarischen Behörden mit Schreiben vom 22.6.2012 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags gemäß Art. 16 Abs. 1 c Dublin-Verordnung erklärt. Daher werde der Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland nicht materiell geprüft.
Der Bescheid wurde dem Antragsteller als Anlage zum Schreiben des Antragsgegners zu 2 vom 30.7.2012 am 2.8.2012 zugestellt.
Der Antragsteller hat am 6.8.2012 Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners zu 1 erhoben, mit der er neben der Aufhebung des Bescheids vom 5.7.2012 die Verpflichtung der Antragsgegnerin zu 1 begehrt, ein Asylverfahren durchzuführen und über seinen Asylantrag zu entscheiden (A 7 K 2588/12).
Zugleich hat er einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gestellt. Weder die Klage noch der Antrag ist begründet worden.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
die aufschiebende Wirkung der Klage vom 6.8.2012 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin zu 1 vom 5.7.2012 anzuordnen
sowie dem Antragsgegner zu 2 zu untersagen, ihn vor Entscheidung über seine Klage vom 6.8.2012 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin zu 1 vom 5.7.2012 nach Ungarn abzuschieben.
Die Antragsgegnerin zu 1 beantragt,
den Antrag abzulehnen.
10 
Zur Begründung führt sie aus, einem Antrag nach § 80 oder § 123 VwGO stehe schon § 34 a Abs. 2 AsylVfG entgegen, wonach eine nach § 34 a Abs. 1 AsylVfG angeordnete Abschiebung in einen sicheren Drittstaat im Sinne des § 36 a AsylVfG nicht ausgesetzt werden dürfe. Aus dem Konzept der normativen Vergewisserung folge, dass Belgien (gemeint ist wohl Ungarn) als sicherer Drittstaat einem Flüchtling, der sein Gebiet erreicht habe, nach der Genfer Flüchtlingskonvention und der Konvention zum Schutz der Menschenrecht und Grundfreiheiten Schutz vor politischer Verfolgung anderen im Herkunftsstaat drohenden schwerwiegenden Beeinträchtigungen seines Lebens, seiner Gesundheit und Freiheit gewähre. Nur wenn im Einzelfall Umstände vorlägen, die ihrer Eigenart nach nicht vorweg im Rahmen des Konzepts normativer Vergewisserung von Verfassung oder Gesetz berücksichtigt werden könnten, habe die Bundesrepublik Deutschland Schutz zu gewähren. Ein solcher Ausnahmefall liege hier nicht vor. Anhaltspunkte dafür, dass Belgien (gemeint ist wohl Ungarn) bei Dublin-Rückkehrern gegen das Non-Refoulement-Gebot verstoße, seien nicht ersichtlich. Es sei ebenfalls nicht ersichtlich, dass der Antragsteller bei einer Rückschiebung nach Ungarn Gefahr laufe, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 Grundrechtscharta ausgesetzt zu werden. Es bestehe lediglich die Gefahr, dass gegen den Antragsteller nach einer Überstellung nach Ungarn ein Ausweisungsbescheid ergehe und er infolge dessen in Haft genommen werde. Der Erlass eines derartigen Ausweisungsbescheids sowie die Unterbringung in einer Haftanstalt stellten jedoch keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 Grundrechtscharta dar, da jedenfalls das Asylgesuch des Antragstellers vor einer Abschiebung aus Ungarn in vollem Umfang geprüft werde. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-Verordnung durch die Bundesrepublik Deutschland erforderlich machen könnten, seien nicht geltend gemacht und auch nicht erkennbar.
11 
Der Antragsgegner hat unter Hinweis auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 31.5.2011 (A 11 S 1523/11) darauf hingewiesen, dass er nicht Antragsgegner sein könne, da er für die Prüfung auch nicht zielstaatsbezogener Abschiebungshindernisse nicht zuständig sei.
12 
Mit Schriftsatz per Fax vom 14.8.2012 hat sich der Prozessbevollmächtigte für den Antragsteller bestellt. Er gibt an, der Antragsteller habe seinen Asylantrag mit Schreiben vom 14.8.2012 zurückgenommen und verweist auf entsprechende Belege, die dem Fax nicht beigefügt waren. Der Antragsteller beantrage nunmehr nur noch subsidiären Schutz nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG. Der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers verwies diesbezüglich auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 29.6.2012 (A 2 K 1958/12).
13 
Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte des vorliegenden Verfahren und des Verfahrens in der Hauptsache (A 7 K 2588/12) sowie die Akten des Antragsgegners zu 2 verwiesen. Der Antragsgegner zu 1 hat keine Akten vorgelegt.
II.
14 
Die Entscheidung ergeht gemäß § 76 Abs. 4 AsylVfG durch die Berichterstatterin als Einzelrichterin.
15 
Der Antrag gegen den Antragsgegner zu 1 ist als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 VwGO statthaft, nachdem das Bundesamt am 5.7.2012 einen Bescheid erlassen hat, mit welchem der Asylantrag des Antragsstellers als unzulässig zurückgewiesen und die Abschiebung nach Ungarn angeordnet wurde, und dieser dem Antragsteller mit Schreiben des Antragsgegners zu 2 vom 30.7.2012 zugesandt wurde. Die am 6.8.2012 erhobene Anfechtungsklage gegen diesen Bescheid hat kraft Gesetzes keine aufschiebende Wirkung (§ 75 Satz 1 VwGO).
16 
Der so verstandene Antrag gegen den Antragsgegner zu 1 ist zulässig und begründet.
17 
Der Antrag ist fristgerecht erhoben. Die Wochenfrist des § 36 AsylVfG findet auf den vorliegenden Fall keine Anwendung (vgl. ausführlich hierzu VG Gießen, B.v. 10.3.2011 - 1 L 468/11.GI.A -, zit. nach juris). Durch Klageerhebung am 6.8.2012 ist jedenfalls die Zweiwochenfrist (§ 74 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) eingehalten worden. Der Bescheid wurde dem Antragsteller mit Schreiben des Antragsgegners vom 30.7.3012 am 2.8.2012 zugestellt.
18 
Der Zulässigkeit des Antrags steht auch nicht § 34 a Abs. 2 AsylVfG entgegen, wonach eine Abschiebungsanordnung in den Fällen des § 26 a AsylVfG und jenen des § 27 a AsylVfG nicht ausgesetzt werden darf.
19 
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (U.v. 14.5.1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 -, BVerfGE 94, 49) kann ein Ausländer, der in einen sicheren Drittstaat zurückverbracht werden soll, den Schutz der Bundesrepublik Deutschland vor einer politischen Verfolgung oder sonstigen schwerwiegenden Beeinträchtigungen in seinem Herkunftsstaat zwar grundsätzlich nicht mit der Begründung einfordern, für ihn bestehe in dem betreffenden Drittstaat keine Sicherheit, weil dort die Verpflichtungen aus der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht erfüllt würden. Deswegen kommen für ihn entsprechend dem mit Art. 16 a Abs. 2 GG verfolgten „Konzept normativer Vergewisserung“ über die Sicherheit im Drittstaat auch die materiellen Rechtspositionen, auf die ein Ausländer sich sonst gegen seine Abschiebung stützen kann, nicht in Betracht. Vergleichbares gilt nach dem Willen des Gesetzgebers, wenn es um die Rückführung eines Ausländers in den für seinen Asylantrag zuständigen Staat im Sinne des § 27 a AsylVfG geht.
20 
Die Bundesrepublik Deutschland hat allerdings dann Schutz zu gewähren, wenn Abschiebungsverbote nach § 60 AufenthG durch Umstände begründet werden, die ihrer Eigenart nach nicht vorweg im Rahmen des „Konzepts normativer Vergewisserung“ durch Gesetz berücksichtigt werden können. Ausnahmen sind nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts u.a. dann geboten, wenn der Drittstaat gegenüber dem Schutzsuchenden selbst zu Maßnahmen politischer Verfolgung oder unmenschlicher Behandlung greift und dadurch zum Verfolgerstaat wird, und wenn offen zu Tage tritt, dass der Drittstaat sich von seinen Schutzverpflichtungen lösen und einem bestimmten Ausländer den Schutz dadurch verweigern wird, dass er sich seiner ohne jede Prüfung des Schutzgesuchs entledigen wird.
21 
Den vom Bundesverfassungsgericht angeführten Sonderfällen liegt die Zielsetzung zugrunde, dem Asylsuchenden den gebotenen Schutz nicht durch die Rückführung in den Drittstaat zu versagen. Ob dies auf einzelfallbezogenen Erwägungen beruht oder auf den allgemeinen Bedingungen in dem jeweiligen Staat, ist insoweit nicht von maßgeblicher Bedeutung. Mit Blick auf die Schutzbedürftigkeit des Betroffenen ist vorläufiger Rechtsschutz auf der Grundlage einer verfassungskonformen Auslegung des § 34 a Abs. 2 AsylVfG dann möglich, wenn hinreichende Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der nach Art. 16 a Abs. 2 Satz 1 GG in dem Drittstaat europarechtlich zu gewährleistende Schutz tatsächlich nicht zumindest im Kern sichergestellt ist. Ob dies tatsächlich der Fall ist und welche Folgen dies für das Asylbegehren des Betroffenen in Deutschland hat, gilt es im Hauptsacheverfahren zu klären.
22 
Ungarn ist als Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft gemäß § 26 a Abs. 2 AsylVfG ein sicherer Drittstaat und Art 16 a Abs. 2 GG geht grundsätzlich davon aus, dass als Mitgliedstaaten der Europäischen Union die von ihnen eingegangenen Verpflichtungen nach der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention erfüllen. Angesichts der aktuellen Auskunftslage bestehen aber Anhaltspunkte dafür, dass dies beim Aufnahmestaat Ungarn nicht zutrifft (vgl. VG Sigmaringen, B.v. 29.6.2012 - A 2 K 1958/12 -, www.asyl.net; VG Magdeburg, B.v. 20.5.2012 - 5 B 1236/12 MD -, www.fluechtlingsrat-Isa.de/?= Ungarn; VG Trier, U.v.30.5.2012 - 5 K 967/11.TR -, juris). Es ist deshalb eine verfassungskonforme einschränkende Auslegung des § 34 a Abs. 2 AsylVfG geboten.
23 
Dies entspricht auch der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (U.v. 21.12.2011 - C-411/10 und C-492/10 -, juris, Rn. 80, 86). Danach gilt zunächst die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention steht. Ist dagegen ernsthaft zu befürchten, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesem Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber i.S. von Art. 4 der Grundrechtscharta implizieren, so wäre die Rücküberstellung von Asylbewerbern mit dieser Bestimmung unvereinbar.
24 
Nach den vorliegenden Erkenntnissen (UNHCR vom April 2012, Ungarn als Asylland, Bericht zur Situation für Asylsuchende und Flüchtlinge in Ungarn; UNHCR-Büro Wien vom 3.2.2012, Stellungnahme an den Asylgerichtshof zur Situation von Asylsuchenden in Ungarn; Pro Asyl vom März 2012, Ungarn: Flüchtlinge zwischen Haft und Obdachlosigkeit, Bericht einer einjährigen Recherche bis Februar 2012; Ungarisches Helsinki-Komitee vom Dezember 2011, Zugang zu Schutz in Gefahr, Bericht über die Behandlung von Dublin-Rückkehrern in Ungarn; Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan van Aken, Christine Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE - vom 2.3.2012, BT-Drs. 17/8836) liegt in Bezug auf Ungarn mindestens ein schwerwiegender systemischer Mangel bezüglich der Durchführung des Asylverfahrens vor. Aus den genannten Auskünften ergibt sich, dass Asylsuchende, die aufgrund der Dublin-II-Verordnung rücküberstellt werden, für die ungarischen Behörden nicht automatisch als Asylsuchende gelten. Sie müssen nach ihrer Überstellung nach Ungarn erneut Asyl beantragen, auch wenn sie zuvor in einem anderen europäischen Staat um Schutz nachgesucht haben (UNHCR vom April 2012, a.a.O.). Auch Asylbewerber, die zuvor in Ungarn einen Asylantrag gestellt haben, können ihr unterbrochenes Asylverfahren nicht fortsetzen (Pro Asyl vom Februar 2012, a.a.O.). Diese Anträge werden als Folgeanträge angesehen. Folgeanträge, bei denen kein neuer Sachvortrag vorliegt, werden bereits in der ersten Stufe der Prüfung im Asylverfahren abgelehnt mit der Folge, dass der Asylantrag inhaltlich nicht geprüft wird. Das Asylverfahren in Ungarn gliedert sich in zwei Verfahrensschritte. Im sog. Vorverfahren, das auch eine erste Anhörung beinhaltet, wird nach einer ersten Anhörung geprüft, ob der Asylantrag unzulässig, offensichtlich unbegründet oder aber aufgrund der Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats nach der Dublin-II-Verordnung eingestellt wird. In der zweiten Stufe des Verfahrens erfolgt eine zweite detaillierte ausführlichere Anhörung durch die Asylbehörde, der dann eine Entscheidung folgt. Das bedeutet jedoch für diejenigen Asylbewerber, die bislang kein Verfahren in Ungarn durchgeführt haben oder deren Verfahren mangels Mitwirkung, da sie z.B. weitergereist sind, eingestellt wurde, dass ihr Asylbegehren nicht inhaltlich geprüft wird. Dies widerspricht jedoch Art. 16 Abs. 1 a) und b) der Dublin-II-Verordnung. Danach ist der für das Asylverfahren zuständige Mitgliedstaat nicht nur verpflichtet, Asylsuchende zurückzunehmen, sondern auch gehalten, die Prüfung des Asylantrags abzuschließen. Dies ist jedoch nach dem vorstehenden nicht gewährleistet. Zudem ist der antragstellenden Person der Verbleib im Land bis zu einer Entscheidung der zuständigen Behörde über ihren Antrag zu gestatten (Art. 7 der Asylverfahrensrichtlinie - RL 2005/85/EG) und sicherzustellen, dass sie ein Dokument erhält, das ihren Statur als asylsuchend bestätigt oder aus dem hervorgeht, dass sie zum Verbleib im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats berechtigt ist, solange ihr Asylverfahren anhängig ist bzw. ihr Antrag geprüft wird (Art. 6 Abs. 1 der Aufnahmerichtlinie - RL 2003/9/EG). Auch hier liegen Mängel vor.
25 
Hinzu kommt, dass in den meisten Fällen Rückkehrer nach der Dublin-II-Verordnung inhaftiert werden. Denn es handelt sich häufig um Personen, die bereits in Ungarn erfolglos einen Asylantrag gestellt oder die sich illegal in Ungarn aufgehalten haben. Für beide Personenkreise gilt in der Regel, dass vollziehbare Ausreiseaufforderungen vorliegen. Dies bedeutet für den Fall von Überstellungen, dass die für den Vollzug der Ausweisung zuständigen Institutionen verpflichtet sind, zur Sicherstellung der Ausweisung Haft anzuordnen (Antwort der Bundesregierung vom 2.3.2012, a.a.O.). Hieran ändert sich auch nichts, wenn der rücküberstellte Asylbewerber aus der Haft einen Folgeantrag stellt. Dieser wird, wie oben gezeigt, als Folgeantrag gewertet. Die Stellung eines Folgeantrags hat jedoch keine aufschiebende Wirkung, selbst wenn dieser beachtlich sein sollte. Daher spricht viel dafür, dass Ungarn jedenfalls teilweise auch Art. 18 der Richtlinie 2005/85/EG nicht beachtet, wonach Mitgliedstaaten eine Person nicht allein deshalb in Gewahrsam nehmen dürfen, weil sie ein Asylbewerber ist.
26 
Darüber hinaus dürfte die Behandlung der Asylbewerber in Haft weder im Einklang mit den vom EGMR in der Rechtssache S. gegen Vereinigtes Königreich (U.v. 29.1.2008 - 13229/03 -, juris) formulierten Standards noch mit dem Erwägungsgrund 9 der EU-Rückführungsrichtlinie (Richtlinie 2008/115/EG) stehen, da sie der von mutmaßlichen Straftätern gleichkommt. Ausweislich des Berichts des UNHCR vom April 2012 wird in dauerhaft bestehenden Hafteinrichtungen ein strenges Gefängnisregime angewendet, selbst wenn die Insassen nur die kleineren Vergehen der irregulären Einreise oder des irregulären Aufenthalts begangen haben. Asylbewerber werden bei der Vorführung vor Gericht oder bei Erledigungen außerhalb der Einrichtungen - etwa zur Bank oder zum Postamt - mit Handschellen gefesselt. Zudem werden sie an Leinen geführt, die normalerweise für Angeklagte in Strafverfahren verwendet werden. Der EGMR hat indessen in seiner Entscheidung unter anderem ausgeführt, dass Haftort und Haftbedingungen angemessen und von der Überlegung geleitet sein sollten, dass die Maßnahme nicht auf Straftäter sondern auf Ausländer angewendet wird, die oft aus Angst um ihr Leben aus ihrem eigenen Land geflüchtet sind. Nach dem Erwägungsgrund 9 der Rückführungsrichtlinie sollten Drittstaatsangehörige, die in einem Mitgliedstaat Asyl beantragt haben, so lange nicht als illegal im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats aufhältige Person gelten, bis eine abschlägige Entscheidung über den Antrag oder eine Entscheidung, mit der sein Aufenthaltsrecht als Asylbewerber beendet wird, bestandskräftig geworden ist.
27 
Des Weiteren haben UNHCR (Bericht vom April 2012) und Pro Asyl (Bericht vom März 2012) die Aufnahmebedingungen für Asylsuchende in Ungarn als nicht dem internationalen und EU-Standard entsprechend kritisiert.
28 
Nach dieser Sachlage würde dem Antragsteller bei einer Rücküberstellung nach Ungarn mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Inhaftierung drohen und es besteht die konkrete Gefahr, dass sein Asylbegehren aufgrund der aufgezeigten Verfahrensweise inhaltlich nicht geprüft wird und er in seinen Heimatstaat bzw. in ein anderes zur Aufnahme bereites Land abgeschoben wird. Daher bestehen hier hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass der nach Art. 16 a Abs. 2 Satz 1 GG in einem Drittstaat europarechtlich zu gewährleistende Schutz tatsächlich nicht zumindest im Kern sichergestellt ist, so dass vorliegend die Ausschlusswirkung des § 34 a Abs. 2 AsylVfG nach verfassungskonformer Auslegung nicht greift.
29 
Nach alldem ist der Antrag gegen den Antragsgegner zu 1 auch begründet. Denn es bestehen nach dem oben Ausgeführten ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Ablehnung des Asylantrags des Antragstellers als unzulässig gemäß § 27 a AsylVfG und der Anordnung der Abschiebung nach Italien.
30 
Daher fällt auch die im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO zu treffende Interessenabwägung zugunsten des Antragstellers aus. Abzuwägen sind das private Interesse an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs und das gesetzlich vermutete besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes. Das Gewicht dieser gegenläufigen Interessen wird vor allem durch die summarisch zu prüfenden Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache, aber auch durch die voraussichtlichen Folgen des Suspensiveffekts einerseits und der sofortigen Vollziehung andererseits bestimmt. Bei der Abwägung auf Grund summarischer Erfolgsprüfung gilt nach ständiger Rechtsprechung, dass das Suspensivinteresse umso größeres Gewicht hat, je mehr der Rechtsbehelf Aussicht auf Erfolg hat, und dass umgekehrt das Vollzugsinteresse umso mehr Gewicht hat, je weniger Aussicht auf Erfolg der Rechtsbehelf hat (vgl. BVerwG, B.v. 12.11.1992, DÖV 1993, S. 432; s.a. VGH BW, B.v. 13.3.1997, VBlBW 1997, S. 390).
31 
Die Nachteile für den Antragsteller, der im Falle einer Abschiebung in Ungarn mit hoher Wahrscheinlichkeit keine Unterkunft erhalten würde und Rechtsschutz gegen den Bescheid des Bundesamts nicht mehr erreichen könnte, wiegen schwerer als diejenigen, die durch die Anordnung der aufschiebenden Wirkung und damit die Aussetzung der Abschiebung entstehen.
32 
Der Antrag gegen den Antragsgegner zu 2 auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat keinen Erfolg. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (B.v. 31.5.2011 - A 11 S 1523/11 -, juris) hat das Bundesamt vor Erlass einer Abschiebungsanordnung nach § 34 a AsylVfG auch zu prüfen, ob Abschiebungshindernisse bzw. -verbote oder Duldungsgründe vorliegen. Anders als bei der Entscheidung über Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, 3, 5 und 7 AufenthG im Zusammenhang mit dem Erlass einer Abschiebungsandrohung ist es nicht auf die Prüfung von sog. „zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten“, hier also solchen bezüglich Ungarns, beschränkt. § 34 a AsylVfG bestimmt ausdrücklich, dass das Bundesamt die Abschiebung anordnet, „sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann“. Das Bundesamt hat danach auch zu prüfen, ob die Abschiebung in den Drittstaat aus subjektiven, in der Person des Ausländers liegenden Gründen rechtlich oder tatsächlich möglich ist. Es hat demnach die umfassende Prüfungs- und Entscheidungskompetenz bezüglich der Zulässigkeit der Abschiebung nach Ungarn; eine Prüfung von Abschiebungshindernissen durch die Ausländerbehörde scheidet aus. Dies hat zur Folge, dass der Antragsgegner zu 2 nicht passivlegitimiert ist.
33 
Soweit der Prozessbevollmächtigte mit Fax vom 14.8.2012 mitteilt, dass der Asylantrag zurückgenommen wurde, lagen zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts die entsprechenden Nachweise hierfür nicht vor. Das Gericht war daher nicht veranlasst zu der Frage Stellung zu nehmen, ob die Rücknahme des Asylantrags zur Folge hat, dass die Bundesrepublik Deutschland zur Prüfung des subsidiären Schutzanspruchs gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG zuständig ist (vgl. hierzu VG Sigmaringen, B.v. 29.6.2012 - A 2 K 1958/12 -, a.a.O., m.w.N.).
34 
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 83 b AsylVfG.
35 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).

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Tenor

1. Die Beklagte wird verpflichtet, im Asylverfahren des Klägers das ihr durch Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin II VO eröffnete Selbsteintrittsrechts auszuüben und das Asylverfahren durchzuführen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens haben der Kläger und die Beklagte jeweils zur Hälfte zu tragen.

3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckungsfähigen Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen einen ihm noch nicht bekannt gegebenen Bescheid der Beklagten über die Unzulässigkeit des von ihm gestellten Asylantrags und erstrebt seine Asylanerkennung sowie die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zumindest aber die sachliche Bearbeitung seines Asylantrags.

2

Am 25. August 2010 stellte der Kläger bei der Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge in Trier (Bundesamt) einen Asylantrag, nachdem er am 5. August 2010 bei der hessischen Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge in Gießen als Asylbewerber erfasst worden war.

3

Bei der Asylbeantragung gab er an, somalischer Staatsangehörigkeit und am ... in ... geboren zu sein, wo er auch gelebt habe; er gehöre der Volksgruppe der ... an und sei islamischer Religionszugehörigkeit. Er habe einen Reisepass besessen, wisse aber aufgrund des Krieges nicht, wo dieser sich befinde. Am ... habe er religiös die Ehe geschlossen, wisse aber nicht, wo sich seine Ehefrau aufhalte. Er sei Vater eines ... geborenen Sohnes, der bei der Mutter lebe. Er habe 8 Jahre lang die Schule besucht und den Beruf eines Technikers erlernt. In diesem Beruf habe er auch gearbeitet. Insoweit legte er einen Dienstausweis von ... vor.

4

Bei der persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 15. September 2010 trug der Kläger vor, dass er am 16. Juli 2010 Mogadischu verlassen habe und in einem Kraftfahrzeug Richtung Nairobi gefahren sei, wo er am 25. Juli 2010 angekommen sei. Von dort sei er mit Emirate Airline über Dubai nach Frankfurt geflogen, wo er am 5. August 2010 morgens gegen 6 Uhr angekommen sei. Auf Nachfrage, wieso im Dezember 2009 seine Fingerabdrücke in Ungarn aufgenommen worden seien, erklärte der Kläger dann, dass er Mogadischu am 25. Oktober 2010 mit einem LKW verlassen habe, sieben Tags unterwegs gewesen sei und am 20. November 2011 mit einer türkischen Fluggesellschaft nach Rumänien geflogen sei. Von dort sei er zu Fuß nach Ungarn gelangt, wo er sich ca. sieben Monate aufgehalten habe. Er habe dort einen Asylantrag gestellt und Dokumente, aber keine Unterkunft und keine Unterstützung erhalten. Er habe nicht arbeiten können und auf der Straße gelebt. In Ungarn sei er mit einer Eisenstange auf den Kopf geschlagen worden. Unterlagen über den Aufenthalt in Ungarn besitze er nicht. Schließlich sei er mit einem Bus nach Gießen gefahren, wo er am 5. August angekommen sei. Er sei Radiotechniker und habe bei einem für Mogadischu und Umgebung zuständigen Sender gearbeitet. Sein Vater habe als Soldat für ... gearbeitet und sei im Januar 2009 von Al-Shabab-Leuten umgebracht worden. Außerdem seien Mitarbeiter seines Senders ermordet worden, so dass er große Angst gehabt habe, ebenfalls umgebracht zu werden. Als er zusammen mit anderen Personen vor den Al-Shabab-Leuten weggelaufen sei, sei er gefallen und habe sich eine Verletzung zugezogen, die mit drei Stichen habe genäht werden müssen. Er sei telefonisch bedroht worden. Deshalb habe er Somalia verlassen.

5

Mit Anwaltsschriftsatz vom 7. Oktober 2010 machte der Kläger dann geltend, dass Deutschland verpflichtet sei, den Selbsteintritt zu erklären und das Asylverfahren sachlich durchzuführen Der Kläger sei psychisch schwer krank, seitdem er in Ungarn mit einer Eisenstange auf den Kopf geschlagen worden sei, sei er traumatisiert. Ferner reichte er ein Attest des Univ.-Prof. Dr. med. ... vom 16. Dezember 2010 zu den Akten, in dem es heißt, dass der sehr ängstlich wirkende Kläger an einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) leide. Außerdem reichte der Kläger ein Schriftstück der Organisation Reporter ohne Grenzen vom 8. März 2011 zu den Akten, in dem es heißt, dass der vom Kläger genannter Sender 2009 vier Mitarbeiter, darunter den ehemaligen Direktor, durch Morde der islamistischen Gruppe Al Shabaab verloren habe. Ferner legte er eine ärztliche Stellungnahme des Vereins zur Unterstützung traumatisierter Patienten vom 15. April 2011 vor, die ebenfalls eine PTBS attestiert.

6

Auf entsprechendes Übernahmeersuchen der Beklagten stimmte Ungarn unter dem 25 Mai 2011 einer Überstellung des Klägers nach Ungarn zu und führte aus, dass der am 18. Dezember 2009 gestellte Asylantrag des Klägers zwar abgelehnt, ihm aber vorübergehender Schutz (beneficiary of temporary protection) zugebilligt worden sei.

7

Mit bislang allerdings nicht an den Kläger übermitteltem Bescheid vom 26. Mai 2011 entschied die Beklagte alsdann, dass der Asylantrag des Klägers unzulässig sei. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Beklagte veranlassen könnten, von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen, seien nicht ersichtlich. Insoweit müsse Ungarn die vom Kläger geltend gemachten psychischen Probleme prüfen, zumal es dem Kläger bereits subsidiären Rechtsschutz gewährt habe. Außerdem heißt es in dem bislang nicht bekannt gegeben Bescheid, dass die Abschiebung des Klägers nach Ungarn angeordnet werde.

8

Am 14. Juli 2011 hat der Kläger alsdann Klage erhoben und darauf hingewiesen, dass er sich bis auf weiteres wegen einer PTBS in stationärer Behandlung im Pfalzklinikum Klingenmünster aufhalte und nicht reisefähig sei. Insoweit verwies er auf eine fachärztliche Bescheinigung der genannten Klinik.

9

Mit Beschluss vom 19. Juli 2011 - 5 L 971/11.TR - untersagte die erkennende Kammer der Beklagten auf Antrag des Klägers alsdann, einstweilen seine Rücküberstellung nach Ungarn zu betreiben. Zur Begründung des Beschlusses ist ausgeführt, dass der Kläger sich aufgrund der ärztlich attestierten Reise- und Transportunfähigkeit auf ein im vorliegenden Verfahren zu berücksichtigendes inlandsbezogenen Abschiebungshindernis berufen könne.

10

Zur weiteren Klagebegründung macht der Kläger geltend, dass er ungeachtet dessen, dass er zwischenzeitlich aus der Klinik entlassen worden sei, weiterhin reise- und transportunfähig sei. Wegen der PTBS sei er zwischenzeitlich in Behandlung einer psychotherapeutischen Praxis; insoweit verweist er auf ein Attest des Dr. phil. ... vom 9. Dezember 2011. Des Weiteren verweist er auf eine nervenärztliche Stellungnahme der Dr. med. ... vom 2. Mai 2012. Ferner trägt der Kläger vor, dass das Übernahmeersuchen nach Ungarn nicht innerhalb von drei Monaten und damit verspätet gestellt worden sei und die Beklagte deshalb zu einem Selbsteintritt verpflichtet sei.

11

Ferner macht der Kläger geltend, dass berücksichtigt werden müsse, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Überstellung aus Österreich nach Ungarn gestoppt habe, weil Flüchtlinge dort nach Rückkehr bis zu einem Jahr inhaftiert würden. Von daher habe er einen Anspruch aus Ausübung des Selbsteintrittsrechts durch die Beklagte. Als Sachverständige zu den gravierenden Mängeln im Asylverfahren in Ungarn solle Frau Marion Bayer gehört werden, die unter dem Titel "Ungarn: Flüchtlinge zwischen Haft und Obdachlosigkeit" für ProAsyl einen umfangreichen Bericht zu den dortigen Verhältnissen erstellt habe, den er zu den Akten reichte. Im Übrigen habe der UNHCR in einem Bericht vom 24. April 2012 erhebliche Kritik an der Behandlung von Asylbewerbern in Ungarn geübt.

12

Im Hinblick auf das geltend gemachte Asylbergehren beruft der Kläger sich auf eine weitere zu den Akten gereichte Stellungnahme des Vereins Reporter ohne Grenzen vom 10. Oktober 2011, in der ausgeführt wird, dass die Situation in Somalia für den Kläger als ehemaligen Mitarbeiter der Radiostation ... sehr kritisch sei.

13

In der mündlichen Verhandlung vor Gericht hat der Kläger die ihm eingeräumte Möglichkeit, sich ergänzend zum Klagebegehren zu äußern, genutzt und ausführliche Angaben zur Sache gemacht. Hinsichtlich der Einzelheiten dieser Angaben wird Bezug genommen auf die Sitzungsniederschrift.

14

Der Kläger beantragt,

15

die Beklagte unter Aufhebung des bislang nicht zugestellten Bescheides vom 26. Mai 2011 zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen, die Flüchtlingseigenschaft festzustellen und festzustellen, dass im Hinblick auf seine Person in Bezug auf eine Abschiebung nach Somalia die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 bis Abs. 5 bzw. Abs. 7 des Aufenthaltsgesetzes vorliegen,

16

hilfsweise,

17

die Beklagte zu verpflichten, von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen.

18

Die in der mündlichen Verhandlung trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht vertretene Beklagte ist dem Vorbringen des Klägers schriftsätzlich entgegengetreten und bittet,

19

die Klage abzuweisen.

20

Sie ist der Auffassung, dass eine Überstellung des Klägers nach Ungarn aufgrund der Bestimmungen der Art. 16 Abs. 1e, 20 der Dublin-II-VO nicht fristgebunden sei. Im Übrigen korrespondiere das Selbsteintrittsrecht eines EU-Mitgliedstaates nach Art. 3 Abs. 2 der Dublin-II-VO nicht mit subjektiven Rechten eines Asylbewerbers. Außerdem erfülle Ungarn gegenüber asylbeantragenden Ausländern die europarechtlich vorgegebenen Mindeststandards. Diese Einschätzung widerspreche nicht dem Urteil des EUGH vom 21. Dezember 2011 - C-441/10.N.S. -, denn vereinzelte Ausreißer in der Behandlung einzelner Asylbewerber könnten kein allgemeines Selbsteintrittsrecht begründen. Insoweit müsse auch gesehen werden, dass der österreichische Asylgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 13. Januar 2012 - S21 432260-1/2011 - ausgeführt habe, dass eine Überstellung von Asylbewerbern nach Ungarn möglich sei.

21

Die Kammer hat mit Beschluss vom 17. Oktober 2011 den Rechtsstreit dem Einzelrichter übertragen.

22

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 30. Juni 2012. Die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die auf Blatt 178 ff. der Prozessakte aufgelisteten Unterlagen zu den Verhältnissen in Somalia lagen vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Auf ihren Inhalt wird ebenfalls verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.

23

Die Klage, über die das Gericht trotz des Ausbleibens der Beklagten in der mündlichen Verhandlung gemäß § 102 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - entscheiden kann, ist unzulässig, soweit der Kläger eine Aufhebung des bislang noch nicht bekanntgegebenen Bescheids vom 26. Mai 2011 erstrebt, denn dieser lediglich bei den Verwaltungsakten befindliche Bescheid ist gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 41 Abs. 1 und 5 Verwaltungsverfahrensgesetz - VwVfG - bislang nicht wirksam geworden, weil er dem Kläger (noch) nicht bekannt gegeben worden ist. Soll ein Asylantrag - wie hier - nach § 27 a AsylVfG abgelehnt werden, erfolgt die Bekanntgabe der Entscheidung zusammen mit der Abschiebungsanordnung nach § 34 a AsylVfG durch Zustellung an den Ausländer selbst, § 31 Abs. 1 Satz 4 AsylVfG. Wird der Ausländer durch einen Bevollmächtigten vertreten, soll diesem ein Abdruck der Entscheidung zugeleitet werden. Vorliegend fehlt es bislang an einer derartigen Bekanntgabe des Bescheides der Beklagten an den Kläger. Dass diesem der in den Verwaltungsvorgängen der Beklagten enthaltene Bescheid auf dem Wege der Akteneinsicht seines Prozessbevollmächtigten in die Verwaltungsvorgänge bekannt geworden sind, stellt keine wirksame Bekanntgabe im Sinne der vorgenannten Vorschriften dar, da es schon an der erforderlichen Zustellung gegenüber dem Kläger selbst fehlt. Dieser Mangel wird auch nicht etwa durch § 8 des Verwaltungszustellungsgesetzes - VwZG - geheilt, da die Anwendung dieser Vorschrift voraussetzt, dass die Behörde eine Zustellung vornehmen wollte (vgl. VG Frankfurt, Beschluss vom 6. Januar 2010 - 7 L 319/09.A -, juris, mit weiteren Nachweisen). Ein solcher Zustellungs-/Bekanntgabewille der Beklagten ist hier nicht erkennbar, so dass der bei den Verwaltungsakten befindliche Bescheid allenfalls als noch unverbindlicher Entwurf eines Bescheides angesehen werden kann und daher für eine Aufhebung durch das Gericht kein Raum ist.

II.

24

Soweit die Klage im Hauptantrag des Weiteren auf Asylanerkennung sowie die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft bzw. von Abschiebungsverboten gerichtet ist, ist sie unter Berücksichtigung des § 75 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - als Verpflichtungsklage in der Form der so genannten Untätigkeitsklage zulässig, denn der Kläger kann im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO geltend machen, möglicherweise einen Anspruch auf gerichtliche Verpflichtung der Beklagten zum Erlass der begehrten Entscheidungen zu haben.

25

Die Klage ist indessen bereits deshalb nicht begründet, weil für einen gerichtlichen Verpflichtungsausspruch vorliegend unter Berücksichtigung der asylrechtlichen Besonderheiten kein Raum ist. Die besondere - auf Beschleunigung und Konzentration auf eine Behörde gerichtete - Ausgestaltung des Asylverfahrens durch das Asylverfahrensgesetz steht nämlich der Annahme entgegen, dass das Verwaltungsgericht die Sache durch Ermittlung des gesamten für eine Sachentscheidung über den Asylantrag erforderlichen Sachverhalts spruchreif zu machen hätte, solange - wie vorliegend - noch keine Verwaltungsentscheidung über den Asylantrag ergangen ist.

26

Zwar sind auch im Bereich des Asylrechts die Verwaltungsgerichte bei einer Verpflichtungsklage grundsätzlich gehalten, die Sache spruchreif zu machen und das Verfahren nicht an die Behörde zurückzuverweisen (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Juli 1998 - 9 C 45/97 -, juris). Dies gilt indessen in den Fällen, in denen ein Asylbewerber erstmals einen Asylantrag gestellt hat, nur dann, wenn bereits eine behördliche Entscheidung über das Asylbegehren ergangen ist. Ist hingegen noch keine behördliche Entscheidung ergangen, so würde eine Verpflichtung des Gerichts zur Spruchreifmachung der Sache und zum Durchentscheiden die vom Gesetzgeber im Bemühen um Verfahrensbeschleunigung dem Bundesamt zugewiesenen Gestaltungsmöglichkeiten unterlaufen. Gelangt das Bundesamt nämlich nach sachlicher Prüfung des Asylbegehrens zu dem Ergebnis, das Begehren sei gemäß §§ 29 a und 30 AsylVfG offensichtlich unbegründet, so bestimmt § 36 AsylVfG das weitere Verfahren und sieht eine starke Beschleunigung der gerichtlichen Kontrolle der Bundesamtsentscheidung und gegebenenfalls eine kurzfristige Beendigung des Aufenthalts des Antragstellers vor. Eine vergleichbare Möglichkeit steht dem Gericht nicht zu, denn es kann eine Abschiebungsandrohung gemäß § 34 AsylVfG unter Fristsetzung (§ 36 Abs. 1 AsylVfG) nicht aussprechen. Stellt sich nämlich das Asylbegehren nach Ansicht des Verwaltungsgerichts als schlicht unbegründet dar, bemisst § 38 Abs. 1 AsylVfG die Ausreisefrist auf 30 Tage. Allerdings müsste sie, da sie nicht vom Gericht ausgesprochen werden kann, nachträglich von der Behörde festgesetzt werden, was dem Beschleunigungsgedanken des Asylverfahrensgesetzes völlig widerspricht (vgl. zu alledem: BVerwG, Urteil vom 7. März 1995 - 9 C 264/94 -, juris). Von daher kommt ein Durchentscheiden des Verwaltungsgerichts bei einer Asylverpflichtungsklage nur in Betracht, wenn der Kläger mit seinem erstmals in Deutschland gestellten Asylantrag beim Bundesamt erfolglos gebliebenen ist (vgl. insoweit auch BVerwG, Urteil vom 6. Juli 1998 - 9 C 45/97 -, a.a.O.).

27

Demnach ist - anders als im Falle eines Asylfolgeantrags im Sinne des § 71 AsylVfG (vgl. insoweit BVerwG, Beschluss vom 8. Dezember 2000 - 9 B 426/00 -, juris) - in den Fällen der Nichtbescheidung eines ersten Asylantrags eines Asylbewerbers kein Raum für eine Untätigkeitsklage dahingehend, dass die Beklagte zur Asylanerkennung sowie Feststellung der Flüchtlingseigenschaft oder von Abschiebungsverboten verpflichtet werden könnte (vgl. zur diesbezüglichen Problematik auch VG Osnabrück, Urteil vom 23. Januar 2012 - 5 A 212/11 -, juris).

28

Demnach kann die Klage hinsichtlich des Hauptantrags keinen Erfolg haben.

III.

29

Der Hilfsantrag des Klägers, die Beklagte zu verpflichten, ihr so genanntes Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 - Dublin II-VO - auszuüben, ist zulässig.

30

Dabei kann der Kläger sein diesbezügliches Begehren als Verpflichtungsklage in der Form der Untätigkeitsklage geltend machen, denn die Entscheidung über die Ausübung des Selbsteintrittsrechts stellt einen Verwaltungsakt dar. Insoweit macht sich die Kammer die nachfolgenden Ausführungen des VG Osnabrück in dessen Urteil vom 23. Januar 2012 - 5 A 212/11 -, juris zu Eigen, in denen es heißt:

31

"Die Kammer geht davon aus, dass eine Entscheidung über die Ausübung des Selbsteintrittsrechts gem. Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin II VO gegenüber dem von ihr betroffenen Asylbewerber Regelungswirkung im Sinne des § 35 Satz 1 VwVfG entfaltet. Zwar geht die Kammer mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 16. Juli 1965, - BVerwG IV C 82.63 -, BVerwGE 21, 352 [353]) davon aus, dass die von einer höheren Behörde (heute in dem Rahmen des § 3 Abs. 2 VwVfG) getroffene Auswahl einer von mehreren zuständigen nachgeordneten Behörden für eine gewisse Angelegenheit deswegen nicht als Regelung anzusehen ist, weil sie nicht unmittelbar gegen den Bürger gerichtet ist, sondern sich innerhalb des Behördenaufbaus hält (anderer Ansicht Klappstein, in: Knack, VwVfG, 6. Auflage, § 3 Tz. 4.2) und eine derartige Zuständigkeitsbestimmung deshalb (heute) gemäß § 44 a VwGO weder einer isolierten Anfechtung noch einer isolierten Verpflichtung zugänglich ist. Anders ist dies nach Auffassung der Kammer jedoch dann, wenn in einem transnationalen Verhältnis eine gemeinsame Fachaufsichtsbehörde zu einer Bestimmung der zuständigen Behörde fehlt. In einem solchen Fall folgt die Regelungswirkung im Sinne des § 35 Satz 1 VwVfG für den Kläger aus der selbständigen Bedeutung der Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaates der Europäischen Union neben dem eigentlichen Verwaltungsverfahren der Asylanerkennung. Die vorliegend streitige Bestimmung des für das Asylverfahren zuständigen Mitgliedsstaates der Europäischen Union unterwirft den Asylsuchenden der institutionellen- und Verfahrensautonomie des jeweiligen Mitgliedsstaates: Die Bestimmung der zuständigen Gerichte und die Ausgestaltung von Verfahren, die den Schutz der dem Bürger aus der unmittelbaren Wirkung des Unionsrechts - hier der Richtlinie 2004/83/EG des Rates über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (vom 29. April 2004, Abl. Nr. L 204, Seite 12; berichtigt ABl. 2005 Nr. L 204 Seite 25) - erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, sind mangels einer unionsrechtlichen Regelung auf diesem Gebiet Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung der einzelnen Mitgliedstaaten (EuGH, Urteil vom 14. Dezember 1995, Rs. C-312/93 [Peterbroeck, Van Campenhout & Cie SCS gegen Belgischer Staat], Slg. 1995, I- 4599 [Randnummer 12]; EuGH, Urteil vom 11. September 2003, Rs. C-13/01 [Safalero Srl gegen Prefetto di Genova], Slg. 2003, I-8679, [Randnummer 49]). Unterschiedlich ausgestaltete nationale Verfahrensordnungen vermögen daher auch zu einer unterschiedlichen Rechtsdurchsetzung des Unionsrechts zu führen; dies rechtfertigt es, der Bestimmung eines anderen Mitgliedsstaates der Union gegenüber dem Asylsuchenden auch eine Regelungswirkung zuzuerkennen.

32

Der Statthaftigkeit der Verpflichtungsklage beziehungsweise dem Rechtsschutzbedürfnis des Klägers steht § 44 a VwGO nicht entgegen. § 44 a Satz 2 VwGO lässt selbständige Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen zu, die vollstreckt werden können. Der Begriff der Vollstreckung ist hierbei weit auszulegen (Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 23. Februar 2010, - 5 LB 20/09 -, Juris). Unzweifelhaft ist die Bestimmung Italiens als für das Asylverfahren zuständigem Staat in Verbindung mit der Abschiebungsandrohung einer Vollstreckungshandlung fähig; eine solche war bereits für den 23.08.2010 vorgesehen gewesen."

33

Diese Ausführungen sind zur Überzeugung des Gerichts auf das vorliegende Verfahren, in dem eine Überstellung des Klägers nach Ungarn im Raum steht, übertragbar.

34

Des Weiteren kann der Kläger geltend machen, möglicherweise durch eine Nichtausübung des Selbsteintrittsrechts in eigenen Rechten im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO zu sein.

35

Gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO kann jeder Mitgliedstaat abweichend von Absatz 1 der Norm einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Vorliegend ist die Beklagte ohne Ausübung dieses Selbsteintrittsrechts für die Prüfung des Asylantrags des Klägers nicht zuständig, denn aus Art. 3 Abs. 1 Dublin II-VO ergibt sich eine Zuständigkeit Ungarns für die Prüfung des Asylantrags. Nach Art. 5 Abs. 2 Dublin II-VO ist nämlich für die Bestimmung des für den Asylantrag zuständigen Mitgliedstaats von der Situation auszugehen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union gestellt hat. Da der Kläger eigenen Bekundungen zufolge jedoch im Bereich der Europäischen Union erstmals einen Asylantrag in Ungarn gestellt und Ungarn dies unter dem 25 Mai 2011 auch bestätigt und seine Zuständigkeit bejaht hat, ist Deutschland für die Bearbeitung des vom Kläger gestellten Asylantrags bislang nicht zuständig.

36

Die Beklagte ist auch nicht nach den Bestimmungen des Kapitels III der Dublin II-VO zuständig geworden. Dies bedarf keiner weitergehenden Erörterung, denn es ist nicht ansatzweise ersichtlich, dass sich im Falle des Klägers aus einem Artikel dieses Kapitels der genannten Verordnung eine Zuständigkeit der Beklagten ergeben könnte.

37

Demnach ist Ungarn gemäß Art. 16 Abs. 1 e Dublin II-VO gehalten, den Kläger wieder aufzunehmen, nachdem es den Asylantrag des Klägers abgelehnt hat und dieser sich unerlaubt in Deutschland und damit im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält. Dabei hat gemäß Art. 20 Abs. 1 d Dublin II-VO die Überstellung des Klägers nach Ungarn nach den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften des ersuchenden Mitgliedstaats nach Abstimmung zwischen den beteiligten Mitgliedstaaten zu erfolgen, sobald dies materiell möglich ist und spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Antrags auf Wiederaufnahme durch einen anderen Mitgliedstaat oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. Vorliegend sind zwar seit der Übernahmeerklärung Ungarns mehr als sechs Monate verstrichen. Da die Kammer indessen in ihrem Beschluss vom 19. Juli 2011 - 5 L 971/11.TR - der Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO einstweilen eine Überstellung des Klägers nach Ungarn untersagt hat, was faktisch einer aufschiebenden Wirkung im Sinne einer Vollzugshinderung gleichkommt, hat derzeit eine sich aus dieser Bestimmung ergebende Überstellungsfrist noch nicht zu laufen begonnen (vgl. hierzu Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 29. Januar 2009- C 19/08 - und Beschluss des Hessischen VGH vom 23. August 2011 - 2 A 1863/10.Z.A -, beide veröffentlicht bei juris), so dass Deutschland auch nicht infolge Fristablaufs zuständiger Staat für die Bearbeitung des Asylantrags des Klägers geworden ist.

38

Von daher liegt ein Asylverfahren vor, auf das grundsätzlich das Selbsteintrittsrecht des Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO Anwendung finden kann.

39

Dabei kann der Kläger auch geltend machen, durch eine Nichtausübung des Selbsteintrittsrechts möglicherweise in eigenen Rechten verletzt zu sein.

40

Zwar richten sich die Vorschriften der Dublin II-VO als zwischenstaatliche Regeln vorrangig an die Mitgliedstaaten und begründen regelmäßig keine subjektiven Rechte von Asylbewerbern (vgl. Hailbronner, Kommentar zum Ausländerrecht, Bd. 3, B2, § 27a Rdnr. 26, Gemeinschaftskommentar zum AsylVfG, Bd. 2, I, § 27a Rdnr. 25). Insoweit kann auch Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO grundsätzlich nicht als Öffnungsklausel zur Durchsetzung individueller Ansprüche interpretiert werden (vgl. Hailbronner, a.a.O. Rdnrn. 60 ff.).

41

Allerdings ist das Gericht der Überzeugung, dass Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO dann subjektiv-rechtlichen Charakter haben und einen Anspruch des Klägers begründen kann, wenn in dem für das Verfahren zuständigen Mitgliedstaat die Durchführung eines den Geboten der Rechtsstaatlichkeit im Sinne von Art. 2 EUV und der Charta der Grundrechte im Sinne von Art. 6 Abs. 1 EUV in Verbindung mit Art. 18 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (vom 12. Dezember 2007, ABl. Nr. C 303 Seite 1) genügenden Asylverfahrens nicht hinreichend gewährleistet ist (vgl. Vorlagebeschluss des OVG Nordrhein-Westfalen an den Europäischen Gerichtshof vom 19. Dezember 2011 - 14 A 1943/11.A -, juris und VG Osnabrück, Urteil vom 23. Januar 2012 - 5 A 212/11 -, juris; s.a. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts der Schweiz vom 18. Mai 2012 - D-6664/2011 -, http://www.bvger.ch/publiws/pub/search.jsf).

42

Da Letzteres bei überschlägiger Prüfung in Bezug auf Ungarn nicht von vornherein ausgeschlossen ist, sind die Voraussetzungen des § 42 Abs. 2 VwGO erfüllt, so dass die Klage hinsichtlich des Hilfsantrags auf Verpflichtung der Beklagten zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts zulässig ist.

43

Ferner ist ein zureichender Grund für die Nichtbescheidung des im Verwaltungsverfahren mit Schriftsatz vom 7. Oktober 2010 gestellten Antrags auf Ausübung eines Selbsteintrittsrechts nicht erkennbar und die Dreimonatsfrist des § 75 VwGO verstrichen, so dass die Klage hinsichtlich des Hilfsantrags zulässig ist.

44

Sie ist auch in der Sache begründet; der Kläger hat einen Anspruch dahingehend, dass die Beklagte verpflichtet ist, das ihr durch Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin II VO eröffnete Selbsteintrittsrechts auszuüben, so dass sie gemäß Satz 2 dieser Vorschrift zu dem zuständigen Mitgliedstaat im Sinne dieser Verordnung wird und die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen übernimmt.

45

Zwar liegt die Entscheidung über die Ausübung des Selbsteintrittsrechts, wie sich aus dem Wort "kann" ergibt, grundsätzlich im Ermessen des jeweiligen Mitgliedstaats. Dieses Ermessen ist indessen zur Überzeugung des Gerichts vorliegend auf Null dahingehend reduziert, dass die Beklagte verpflichtet ist, das Selbsteintrittsrecht auszuüben, weil der Kläger in Ungarn - dem für sein Asylverfahren grundsätzlich zuständigen Mitgliedstaat - kein ordnungsgemäßes Verfahren zu erwarten hat.

46

Der Europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 21. Dezember.2011 - C-411/10 und C-493/10 -, juris, ausgeführt, dass Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen ist, dass es den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte obliegt, einen Asylbewerber nicht an den "zuständigen Mitgliedstaat" im Sinne der Verordnung Nr. 343/2003 zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne dieser Bestimmung ausgesetzt zu werden. Im Einzelnen heißt es in diesem Urteil:

47

"75. Das Gemeinsame Europäische Asylsystem stützt sich auf die uneingeschränkte und umfassende Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention und die Versicherung, dass niemand dorthin zurückgeschickt wird, wo er Verfolgung ausgesetzt ist. Die Beachtung der Genfer Flüchtlingskonvention und des Protokolls von 1967 ist in Art. 18 der Charta und in Art. 78 AEUV geregelt (vgl. Urteile vom 2. März 2010, Salahadin Abdulla u. a., C-175/08, C-176/08, C-178/08 und C-179/08, Slg. 2010, I-1493, Randnr. 53, und vom 17. Juni 2010, Bolbol, C-31/09, Slg. 2010, I-0000, Randnr. 38).

48

76. Wie oben in Randnr. 15 ausgeführt, heißt es in den einzelnen Verordnungen und Richtlinien, die für die Ausgangsverfahren einschlägig sind, dass sie die Grundrechte und die mit der Charta anerkannten Grundsätze achten.

49

77. Nach gefestigter Rechtsprechung haben überdies die Mitgliedstaaten nicht nur ihr nationales Recht unionsrechtskonform auszulegen, sondern auch darauf zu achten, dass sie sich nicht auf eine Auslegung einer Vorschrift des abgeleiteten Rechts stützen, die mit den durch die Unionsrechtsordnung geschützten Grundrechten oder den anderen allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts kollidiert (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 6. November 2003, Lindqvist, C-101/01, Slg. 2003, I-12971, Randnr. 87, und vom 26. Juni 2007, Ordre des barreaux francophones et germanophone u. a., C-305/05, Slg. 2007, I-5305, Randnr. 28).

50

78. Die Prüfung der Rechtstexte, die das Gemeinsame Europäische Asylsystem bilden, ergibt, dass dieses in einem Kontext entworfen wurde, der die Annahme zulässt, dass alle daran beteiligten Staaten, ob Mitgliedstaaten oder Drittstaaten, die Grundrechte beachten, einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 sowie in der EMRK finden, und dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen dürfen.

51

79. Gerade aufgrund dieses Prinzips des gegenseitigen Vertrauens hat der Unionsgesetzgeber die Verordnung Nr. 343/2003 erlassen und die oben in den Randnrn. 24 bis 26 genannten Übereinkommen und Abkommen geschlossen, um die Behandlung der Asylanträge zu rationalisieren und zu verhindern, dass das System dadurch stockt, dass die staatlichen Behörden mehrere Anträge desselben Antragstellers bearbeiten müssen, und um die Rechtssicherheit hinsichtlich der Bestimmung des für die Behandlung des Asylantrags zuständigen Staates zu erhöhen und damit dem "forum shopping" zuvorzukommen, wobei all dies hauptsächlich bezweckt, die Bearbeitung der Anträge im Interesse sowohl der Asylbewerber als auch der teilnehmenden Staaten zu beschleunigen.

52

80. Unter diesen Bedingungen muss die Vermutung gelten, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK steht.

53

81. Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass dieses System in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stößt, so dass eine ernstzunehmende Gefahr besteht, dass Asylbewerber bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt werden, die mit ihren Grundrechten unvereinbar ist.

54

82. Dennoch kann daraus nicht geschlossen werden, dass jede Verletzung eines Grundrechts durch den zuständigen Mitgliedstaat die Verpflichtungen der übrigen Mitgliedstaaten zur Beachtung der Bestimmungen der Verordnung Nr. 343/2003 berühren würde.

55

83. Auf dem Spiel stehen nämlich der Daseinsgrund der Union und die Verwirklichung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, konkret des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, das auf gegenseitigem Vertrauen und einer Vermutung der Beachtung des Unionsrechts, genauer der Grundrechte, durch die anderen Mitgliedstaaten gründet.

56

84. Es wäre auch nicht mit den Zielen und dem System der Verordnung Nr. 343/2003 vereinbar, wenn der geringste Verstoß gegen die Richtlinien 2003/9, 2004/83 oder 2005/85 genügen würde, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln. Mit der Verordnung Nr. 343/2003 soll nämlich, ausgehend von der Vermutung, dass die Grundrechte des Asylbewerbers in dem normalerweise für die Entscheidung über seinen Antrag zuständigen Mitgliedstaat beachtet werden, wie in den Nrn. 124 und 125 der Schlussanträge in der Rechtssache C-411/10 ausgeführt worden ist, eine klare und praktikable Methode eingerichtet werden, mit der rasch bestimmt werden kann, welcher Mitgliedstaat für die Entscheidung über einen Asylantrag zuständig ist. Zu diesem Zweck sieht die Verordnung Nr. 343/2003 vor, dass für die Entscheidung über in einem Land der Union gestellte Asylanträge nur ein Mitgliedstaat zuständig ist, der auf der Grundlage objektiver Kriterien bestimmt wird.

57

85. Wenn aber jeder Verstoß des zuständigen Mitgliedstaats gegen einzelne Bestimmungen der Richtlinien 2003/9, 2004/83 oder 2005/85 zur Folge hätte, dass der Mitgliedstaat, in dem ein Asylantrag eingereicht wurde, daran gehindert wäre, den Antragsteller an den erstgenannten Staat zu überstellen, würde damit den in Kapitel III der Verordnung Nr. 343/2003 genannten Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats ein zusätzliches Ausschlusskriterium hinzugefügt, nach dem geringfügige Verstöße gegen die Vorschriften dieser Richtlinien in einem bestimmten Mitgliedstaat dazu führen könnten, dass er von den in dieser Verordnung vorgesehenen Verpflichtungen entbunden wäre. Dies würde die betreffenden Verpflichtungen in ihrem Kern aushöhlen und die Verwirklichung des Ziels gefährden, rasch den Mitgliedstaat zu bestimmen, der für die Entscheidung über einen in der Union gestellten Asylantrag zuständig ist.

58

86. Falls dagegen ernsthaft zu befürchten wäre, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 der Charta implizieren, so wäre die Überstellung mit dieser Bestimmung unvereinbar."

59

Unter Zugrundelegung dieser grundsätzlichen Anforderungen zur Verpflichtung zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts ist das Gericht der Überzeugung, dass im Fall des Klägers die im Urteil des Europäische Gerichtshofs dargelegte Vermutung widerlegt ist, wonach in Ungarn grundsätzlich ein ordnungsgemäßes Verfahren gewährleistet ist, weil mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten ist, dass seine weitere Behandlung nach einer Überstellung nach Ungarn dort nicht in Einklang mit den Erfordernissen der Charta sowie der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK steht.

60

Dies folgt zwar nicht aus dem vom Kläger zitierten Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 20. September 2011 (Beschwerde-Nr. 10816/10 -, http://cmiskp.echr.coe.int/tkp197/viewhbkm.asp?sessionId=78728660&skin=hudoc-en&action=html&table=F69A27FD8FB86142BF01C1166DEA398649&key=92442&highlight=lokpo), denn dieses Urteil betrifft einen anderen Sachverhalt und ist von daher nicht einschlägig. In dem Urteil hat der Gerichtshof entschieden, dass Ungarn durch eine mehrmonatige Inhaftierung zweier Asylbewerber gegen Art. 5 Abs. 1, Buchstabe f der Europäischen Menschenrechtskonvention verstoßen hat, wonach jede Person das Recht auf Freiheit und Sicherheit hat und "die Freiheit nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden darf bei rechtmäßige Festnahme oder rechtmäßiger Freiheitsentziehung zur Verhinderung der unerlaubten Einreise sowie bei Personen, gegen die ein Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren im Gange ist". Allerdings betrifft die Entscheidung zwei Fälle von Asylbewerbern, die in Ungarn während der laufenden (ersten) Asylverfahren inhaftiert waren. Von daher enthält das Urteil keine Aussage dazu, wie Personen, denen - wie dem Kläger, s. insoweit die Mitteilung der ungarischen Behörde [Blatt 116 der Verwaltungsakte]) - nach Abschluss des in Ungarn betriebenen Asylverfahrens ein Status "beneficiary of temporary protection" (menedékes) (vgl. hierzu http://www.miracle-comenius.org/fileadmin/miracle-project/Minority_Hungary.pdf) zuerkannt wurde, im Falle einer Rückkehr nach Ungarn behandelt werden.

61

Allerdings ist das Gericht unter Berücksichtigung der ihm ansonsten vorliegenden übrigen Erkenntnisquellen der Überzeugung, dass dem schwerkranken Kläger bei einer Überstellung nach Ungarn im Rahmen des Dublin II-Verfahrens eine unmenschliche bzw. erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta drohen wird und in seinem Fall die dargestellte Vermutungsregelung wiederlegt ist.

62

Der Leiter des österreichischen Büros des UNHCR, dem als namhafter UN-Organisation bei der Lagebeurteilung erhebliches Gewicht zukommt, hat in einer Stellungnahme vom 3. Februar 2012 an den österreichischen Asylgerichtshof ausgeführt, dass Asylsuchende, die - wie der Kläger - aufgrund der Dublin II-Verordnung nach Ungarn rücküberstellt werden, unmittelbar nach ihrer Überstellung nach Ungarn regelmäßig eine Abschiebungsverfügung erhalten und darauf basierend in der Regel inhaftiert werden (vgl. http://www.ecoi.net/file_upload/90_1328611178_unhcr-2012-02-03-coi-hu-update.pdf; s. auch österreichischer Asylgerichtshof, Beschluss vom 27. Oktober 2011 - S4 422020-1/2011 -, http://www.ris.bka.gv.at/Dokument.wxe?Abfrage=AsylGH&Dokumentnummer=ASYLGHT_20111027_S4_422_020_1_2011_00), so dass viel dafür spricht, dass Ungarn Art. 18 der Richtlinie 2005/85/EG nicht beachtet, der bestimmt, dass die Mitgliedstaaten eine Person nicht allein deshalb in Gewahrsam nehmen, weil sie ein Asylbewerber ist.

63

Eine derartige Praxis wird letztlich auch durch eine Stellungnahme des Auswärtigen Amtes vom 9. November 2011 - 508-9-516.80/46875 - an das Verwaltungsgericht Regensburg im dortigen Verfahren RO 4 K 11.30204 bestätigt. Dort ist nämlich ausgeführt, dass der dortige Kläger nach seiner Rücküberstellung nach Ungarn im Dublin-II-Verfahren zunächst in Györ und anschließend in Nyírbátor in Gewahrsam genommen worden sei und sich Asylbewerber in der zuletzt genannten Gewahrsamseinrichtung täglich (nur) eine Stunde frei bewegen könnten.

64

Derartige Praktiken werden außerdem in dem vom Kläger vorgelegten Bericht "Flüchtlinge in Ungarn: zwischen Obdachlosigkeit und Haft" (vgl. http://www.proasyl.de/fileadmin/fm-dam/q_PUBLIKATIONEN/2012/Ungarnbericht_3_2012_Web.pdf) und dem von ihm ebenfalls vorgelegten Bericht des ungarischen Helsinki-Komitee (HHC) bestätigt. Insoweit hat die Kammer keine Zweifel, dass die Angaben in den Berichten glaubhaft sind, so dass keine Veranlassung bestand, insoweit in eine Beweisaufnahme einzutreten. Soweit das Auswärtige Amt in der bereits zitierten Auskunft vom 9. November 2011 angibt, aus eigener Kenntnis keine Aussage über die Glaubwürdigkeit des Berichts des HHC treffen zu können, ist diese Angabe nicht geeignet, die Glaubhaftigkeit der in dem Bericht enthaltenen Ausführungen zu widerlegen, zumal das Auswärtige Amt in dieser Auskunft darlegt, dass Asylbewerber in Hafteinrichtungen untergebracht wurden und Anwälte des HCC Zugang zu Anstalten haben, in denen Asylbewerber untergebracht sind, und damit letztlich die Ausführungen des Berichts bestätigt.

65

Ferner berücksichtigt die Kammer, dass der UNHCR in seinem neuesten Bericht zur Situation von Asylsuchenden in Ungarn vom 24. April 2012 (vgl. http://www.unhcr.de/home/artikel/fb7213ec516ae34a4677150a85e35ed3/bericht-zur-situation-von-asylsuchenden-in-ungarn.html) unter Darlegung von Einzelheiten von Besorgnis erregenden Entwicklungen spricht und Verbesserungen als dringend erforderlich ansieht. Wenn er in diesem Bericht zwar abschließend die Schritte Ungarns zur Verbesserung der Situation begrüßt, so rechtfertigt dies angesichts seiner vorherigen Ausführungen gleichwohl nicht die Schlussfolgerung, dass die aufgezeigten Missstände beseitigt und in Zukunft nicht mehr zu befürchten seien.

66

Von daher ist das Gericht der Überzeugung, dass dem Kläger im Falle einer Überstellung nach Ungarn eine längerfristige Inhaftierung droht, die für ihn jedenfalls deshalb eine unmenschliche Behandlung darstellt, weil er zur Überzeugung des Gerichts, wie durch zahlreiche medizinische und psychologische Stellungnahmen belegt wird, an erheblichen gesundheitlichen, insbesondere psychischen Beeinträchtigungen leidet, die im Übrigen auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor Gericht deutlich erkennbar waren (vgl. zu Rückkehrgefahren bei derartigen Personen auch Urteil des Bundesverwaltungsgerichts der Schweiz vom 18. Mai 2012 - D-6664/2011 -, http://www.bvger.ch/publiws/pub/search.jsf unter der dortigen Nr. 5.3 auf Seite 13 ff.).

67

Soweit die Beklagte unter Hinweis auf die Entscheidung des österreichischen Asylgerichtshofs vom 13. Januar 2012 - S21 432260-1/2011 - die Auffassung vertritt, dass eine Überstellung des Klägers nach Ungarn zumutbar sei, vermag sich das Gericht dem nicht anzuschließen. Der Asylgerichtshof hat in seiner Entscheidung nämlich ausgeführt, dass bei dem dortigen Beschwerdeführer keine konkreten auf ihn bezogenen Umstände vorlägen, die gerade in seinem Fall eine Bedrohung oder Gefährdung im Falle seiner Abschiebung als wahrscheinlich erscheinen ließen. Von daher ist die Entscheidung auf das Verfahren des Klägers nicht übertragbar, da bei ihm aufgrund seiner massiven gesundheitlichen Beeinträchtigungen besondere Umstände vorliegen.

68

Besteht aber somit eine beachtliche Wahrscheinlichkeit dahingehend, dass der Kläger bei einer Überstellung nach Ungarn eine unmenschliche Behandlung erfahren wird, so hat er einen Anspruch auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts durch die Beklagte, so dass die Klage insoweit Erfolg hat.

69

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO; Gerichtskosten werden gemäß § 83 b AsylVfG nicht erhoben.

70

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils hinsichtlich der Kosten findet ihre Rechtsgrundlage in §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung - ZPO -.

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Tenor

Die Anträge des Antragstellers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 25. Oktober 2012 und auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das vorläufige Rechtsschutzverfahren werden abgelehnt.

Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

1

Der Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seiner unter dem Aktenzeichen 5 K 50/13.TR geführten Klage gegen die im Bescheid der Antragsgegnerin vom 25. Oktober 2012 enthaltene Abschiebungsanordnung nach Ungarn anzuordnen, ist nicht statthaft, denn gemäß § 34 a Abs. 2 Asylverfahrensgesetz – AsylVfG – darf die auf Abs. 1 der Bestimmung gestützte Abschiebung nicht ausgesetzt werden. Diese Verfahrenskonstellation ist vorliegend gegeben.

2

Soweit der Antragsteller der Auffassung ist, dass ihm in Ungarn kein hinreichender Rechtsschutz gewährt werde und deshalb ein Ausnahmefall im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Urteile vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1938/93 und 2 BvR 2315/93 -) vorliege, in dem ihm trotz der gesetzlichen Vorgaben Rechtsschutz in Deutschland gewährt werden müsse, vermag sich das Gericht dem nicht anzuschließen.

3

Nach Art. 3 Abs. 1 Dublin-II-VO prüfen die Mitgliedsstaaten jeden Asylantrag, den ein Drittstaatsangehöriger im Hoheitsgebiet des Mitgliedsstaates stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedsstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt ist. Wenn auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien festgestellt wird, dass ein Asylbewerber aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedsstaates illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedsstaat für die Prüfung des Asylantrages zuständig (Art. 10 Abs. 1 Dublin-II-VO). Abweichend von Art. 3 Abs. 1 kann jeder Mitgliedsstaat einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den auf dieser Verordnung festgestellten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist (Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO).

4

Der Antragsteller hat allerdings keinen Anspruch auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 der Dublin-II-VO glaubhaft gemacht. Dabei kann dahinstehen, ob bzw. inwieweit die Selbsteintrittskompetenz eines EU-Mitgliedsstaates nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO überhaupt ein subjektives Recht eines Asylbewerbers zu begründen vermag oder ob es sich dabei um ein bloßes Recht des einzelnen Unterzeichnerstaates des Dubliner Übereinkommens im Verhältnis zu den anderen Unterzeichnerstaaten handelt, denn jedenfalls sind Gründe, die die Antragsgegnerin verpflichten könnten, im Falle des Antragstellers von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen, im vorliegenden Fall nicht glaubhaft gemacht.

5

Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 21. Dezember 2011 (C 411/10 und C 493/10 - juris) „muss die Vermutung gelten, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedsstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK steht (RdNr. 80). Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass dieses System in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stößt, so dass eine ernstzunehmende Gefahr besteht, dass Asylbewerber bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt werden, die mit ihren Grundrechten unvereinbar ist. Dennoch kann daraus nicht geschlossen werden, dass jede Verletzung eines Grundrechts durch den zuständigen Mitgliedstaat die Verpflichtungen der übrigen Mitgliedstaaten zur Beachtung der Bestimmungen der Verordnung Nr. 343/2003 berühren würde (RdNrn. 81, 82). Falls dagegen ernsthaft zu befürchten wäre, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 der Charta implizieren, so wäre die Überstellung mit dieser Bestimmung unvereinbar (RdNr. 86).“

6

Soweit der Antragsteller die Auffassung vertritt, dass angesichts der Verhältnisse in Ungarn eine Überstellung dorthin nicht zulässig sei, vermag sich das Gericht dem nicht anzuschließen.

7

Zwar hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mit Urteil vom 20. September 2011 (Beschwerde-Nr. 10816/10, http://cmiskp.echr.coe.int/tkp197/viewhbkm.asp?sessionId=78728660&skin=hudoc-en&action=html&table=F69A27FD8FB86142BF01C1166DEA398649&key=92442&highlight=lokpo) entschieden, dass Ungarn durch eine mehrmonatige Inhaftierung zweier Asylbewerber gegen Art. 5 Abs. 1, Buchstabe f der Europäischen Menschenrechtskonvention verstoßen hat, wonach jede Person das Recht auf Freiheit und Sicherheit hat und „die Freiheit nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden darf bei rechtmäßige Festnahme oder rechtmäßiger Freiheitsentziehung zur Verhinderung der unerlaubten Einreise sowie bei Personen, gegen die ein Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren im Gange ist“. Auch hat der Leiter des österreichischen Büros des UNHCR in einer Stellungnahme vom 3. Februar 2012 an den österreichischen Asylgerichtshof ausgeführt, dass Asylsuchende, die – wie der Antragsteller – aufgrund der Dublin II-Verordnung nach Ungarn rücküberstellt werden, unmittelbar nach ihrer Überstellung nach Ungarn regelmäßig eine Abschiebungsverfügung erhalten und darauf basierend in der Regel inhaftiert werden (vgl. http://www.ecoi.net/file_upload/90_1328611178_unhcr-2012-02-03-coi-hu-update.pdf; s. auch österreichischer Asylgerichtshof, Beschluss vom 27. Oktober 2011 - S4 422020-1/2011 -, http://www.ris.bka.gv.at/Dokument.wxe?Abfrage=AsylGH&Dokumentnummer=ASYLGHT_20111027_S4_422_020_1_2011_00), so dass fraglich erscheint, ob Ungarn in der Vergangenheit Art. 18 der Richtlinie 2005/85/EG beachtet hat, der bestimmt, dass die Mitgliedstaaten eine Person nicht allein deshalb in Gewahrsam nehmen, weil sie ein Asylbewerber ist.

8

Indessen ist weiter zu berücksichtigten, dass der UNHCR in seinem Bericht zur Situation von Asylsuchenden in Ungarn vom 24. April 2012 (vgl. http://www.unhcr.de/home/artikel/fb7213ec516ae34a4677150a85e35ed3/bericht-zur-situation-von-asylsuchenden-in-ungarn.html) unter Darlegung von Einzelheiten zwar von Besorgnis erregenden Entwicklungen spricht und Verbesserungen als dringend erforderlich ansieht. Allerdings begrüßt der UNHCR in diesem Bericht abschließend die Schritte Ungarns zur Verbesserung der Situation.

9

In einem weiteren Bericht vom Dezember 2012 (vgl. http://www.unhcr.org/cgi-bin/texis/vtx/refworld/rwmain?page=search&docid=50d1d13e2&skip=0&query=note) führt der UNHCR dann aus, dass das ungarische Parlament im November 2012 umfassende Gesetzesänderungen verabschiedet hat, denen zufolge Asylbewerber nicht ohne sachliche Prüfung des Asylantrags nach Serbien oder in die Ukraine zurückgeschoben und nicht inhaftiert werden, wenn sie den Asylantrag unverzüglich nach der Einreise einreichen. Dublin-Rückkehrer werden nicht inhaftiert und erhalten die Möglichkeit, ein noch nicht in der Sache geprüftes Asylverfahren zu Ende zu bringen.

10

Ausgehend von dieser abschließenden Äußerung des UNHCR vermag die Kammer nicht zu erkennen, dass derzeit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten steht, dass nach Ungarn überstellte Asylbewerber dort stets kein ordnungsgemäßes Verfahren zu erwarten haben, zumal in letzter Zeit – soweit ersichtlich – weder in der Presse noch in sonstigen Quellen über neuerliche Missstände in Bezug auf die Durchführung von Asylverfahren in Ungarn berichtet wurde.

11

Soweit die Kammer in einem Einzelfall aufgrund der dort gegebenen schwerwiegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Asylbewerbers (vgl. rechtskräftiger Urteil der Kammer vom 30. Mai 2012 - 5 K 967/11.TR –) die Auffassung vertreten hat, dass eine Überstellung nach Ungarn nicht zulässig ist, kann der Antragsteller hieraus keine Rechte herleiten, da bei ihm nichts dafür ersichtlich ist, dass bei ihm ein derartiger Sonderfall vorliegen könnte (vgl. zu Sonderfällen auch eine Entscheidung des österreichischen Asylgerichtshofs vom 13. Januar 2012 – S21 432260-1/2011 – und ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts der Schweiz vom 18. Mai 2012 – D-6664/2011 -, http://www.bvger.ch/publiws/pub/search.jsf unter der dortigen Nr. 5.3 auf Seite 13 ff.).

12

Von daher sieht die Kammer keine Veranlassung, die Auffassung des Antragstellers zu teilen, dass bei ihm eine Überstellung nach Ungarn unzumutbar wäre und ihm deshalb vorläufiger Rechtsschutz gewährt werden müsse.

13

Demnach kann der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes keinen Erfolg haben, so dass dem Antragsteller für das vorliegende Verfahren auch keine Prozesskostenhilfe bewilligt werden kann, weil es an der nach §§ 166 VwGO, 114 ff. ZPO für eine Prozesskostenhilfebewilligung erforderlichen hinreichenden Erfolgsaussicht des Begehrens fehlt.

14

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83 b AsylVfG nicht erhoben.

15

Der Beschluss ist gemäß § 80 AsylVfG unanfechtbar.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.