Verwaltungsgericht Magdeburg Beschluss, 03. Aug. 2017 - 8 B 345/17
Gericht
Gründe
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Der Antragsteller wendet sich gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 24.10.2016, mit welchem der Asylantrag des Antragstellers gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG wegen der in Italien zuerkannten Flüchtlingseigenschaft als unzulässig abgelehnt und die Abschiebung nach Italien angedroht wurde.
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Nach den Schreiben des Psychologischen Zentrums für Migranten vom 10.07.2015 und 20.09.2016 seien bei dem Antragsteller deutliche klinische Hinweise auf eine behandlungsbedürftige Erkrankung nach Traumatisierung sowohl im Heimatland Eritrea sowie auch auf dem Fluchtweg gegeben. Er sei dringend behandlungsbedürftig und erhalte in dem Zentrum regelmäßig Termine.
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Mit Beschluss vom 15.12.2016 (8 B 740/16 MD) hat das erkennende Gericht unter Abänderung nach § 80 Abs. 7 VwGO den zunächst unter dem 14.11.2016 ergangenen Eilrechtsbeschluss nach § 80 Abs. 5 VwGO (8 B 709/16 MD) abgeändert und die Anordnung der aufschiebenden Wirkung mit dem Verweis auf die medizinischen Behandlungsmöglichkeiten in Italien abgelehnt.
II.
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Der Antrag des Antragstellers nach § 80 Abs. 7 VwGO auf Abänderung des zuletzt ergangenen gerichtlichen Eilbeschlusses vom 15.12.2016 (8 B 740/16 MD) hat Erfolg. An der dortigen Einschätzung zur Situation anerkannter Flüchtlinge als sogenannte Rückkehrer nach Italien hält das Gericht aufgrund der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vom 08.05.2017 (2 BvR 157/17; juris) in Bezug auf besonders schutzbedürftige Personen nicht mehr fest.
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1.) In der nunmehr vorgelegten psychologischen Stellungnahme des psychologischen Zentrums für Migrantinnen und Migranten in Sachsen-Anhalt vom 31.01.2017 heißt es:
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"Bei dem Klienten liegt eine behandlungsbedürftige psychische Erkrankung nach Traumatisierung sowohl im Heimatland Eritrea sowie auch auf dem Fluchtweg vor. Die dazugehörige Diagnose nach ICD-10 der WHO lautet Posttraumatische Belastungsstörung (F.43.1). Die oben dargestellten durch die Therapeutin wahrnehmbaren Hinweisreize, die Erkenntnisse externer Behandler (siehe Arztbrief des Uniklinikums A-Stadt, J… F…, 04.02.2016) und die Schilderungen des Klienten selbst über seine Symptome ergeben ein kohärentes und eindeutiges Bild. Aus psychologisch-psychotherapeutischer Sicht ist der Flüchtling glaubhaft traumatisiert und dringend therapiebedürftig.
- 7
[…]
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Eine Rückführung des Klienten nach Italien würde seine Bewältigungsmöglichkeiten höchstwahrscheinlich überfordern und mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer fundamentalen psychischen Destabilisierung führen. Im Fall einer erzwungenen Rückkehr nach Italien sind suizidale Impulshandlungen sehr wahrscheinlich."
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Zudem ist bei dem Kläger ein Pterygium, eine gefäßhaltige Gewebewucherung der Bindehaut, die bei dem Kläger auf die Hornhaut übergreift, diagnostiziert worden und muss operativ behandelt werden.
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Demnach ist das Gericht nunmehr davon überzeugt, dass der Antragsteller aufgrund seiner diagnostizierten und nachgewiesenen psychischen Erkrankung zu einem besonders schützenswerten Personenkreis gehört, welcher ohne vorherigen Nachweis der italienischen Behörden zur Unterbringungs- und Versorgungssituation nicht nach Italien verbracht werden darf. Dieser Nachweis liegt indes nicht vor.
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Nach der nur auszugsweise wiedergegebenen fachpsychologischen Stellungnahme ist das Krankheitsbild des Antragstellers hinreichend diagnostiziert. Danach liegt bei ihm eine posttraumatische Belastungsstörung (F 43.1) gesichert vor.
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Zur Überzeugung des Gerichts gebieten diese glaubhaften, fachpsychologisch bescheinigten und nachvollziehbaren Besonderheiten hinsichtlich des Gesundheitszustands der Antragstellerin die Feststellung von Abschiebungshindernissen. Im Falle einer unfreiwilligen Rückführung würden die Bewältigungsmöglichkeiten des Flüchtlings höchstwahrscheinlich überfordert und mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer fundamentalen psychischen Destabilisierung führen sowie suizidale Impulshandlungen sehr wahrscheinlich auslösen. Das Gericht ist nicht der Auffassung der Antragsgegnerin, dass das "Schreiben" des Psychologischen Zentrums nicht hinreichend als Erkenntnisquelle geeignet sei. Soweit die Antragsgegnerin auf den Beschluss der 3. Kammer des VG Magdeburg vom 23.01.2015 (3 B 1150/14 MD) verweist, ist die vorliegende "Psychologische Stellungnahme" nicht mit der vergleichbar, welche der dortigen Entscheidung zugrunde lag. Mögen im "Gutachten" verwandte Formulierungen und Umstände die Kammer veranlasst haben, dem "Gutachten" keinen Glauben schenken zu können, kann dies vorliegend nicht angenommen werden. Zum einen handelt es sich nicht nur um ein "Schreiben" sondern um eine "Psychologische Stellungnahme" und ist von einer Psychologin unterzeichnet. Zum anderen sind die Ausführungen schlüssig und widerspruchsfrei. Ein besonderes "Eigeninteresse" an einer Behandlung und damit der Gewinnung des Antragstellers als Patienten kann der Psychologin nicht unterstellt werden. Ein "Gefälligkeitsgutachten" ist nicht ersichtlich.
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Das Gericht folgt im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung nicht der Auffassung des Bundesamtes, dass im vorliegenden Fall die italienischen Behörden auf die individuelle gesundheitliche Situation der Antragstellerin angemessen reagieren können. Im Übrigen fehlt es auch in der aufgrund der richterlichen Verfügungen erbetenen Stellungnahme des Bundesamtes vom 02.08.2017 an Ausführungen zu der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss v. 08.05.2017, 2 BvR 157/17; juris), wonach den Rückkehrern "zumindest in der ersten Zeit nach ihrer Ankunft der Zugang zu Obdach, Nahrungsmitteln und sanitären Einrichtungen sichergestellt wird".
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2.) Daraus resultiert nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand Überwiegendes dafür, dass im Falle des Antragstellers ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG in Bezug auf Italien vorliegt.
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a.) Die hinsichtlich der allgemeinen Lebensverhältnisse von international Schutzberechtigen bestehenden Gewährleistungspflichten hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) im Einzelnen konkretisiert. Demnach kann die Verantwortlichkeit eines Staates aus Art. 3 EMRK begründet sein, wenn der Betroffene vollständig von staatlicher Unterstützung abhängig ist und behördlicher Gleichgültigkeit gegenübersteht, obwohl er sich in so ernsthafter Armut und Bedürftigkeit befindet, dass dies mit der Menschenwürde unvereinbar ist (vgl. EGMR, Urteil vom 4. November 2014 - 29217/12 (Tarakhel/Schweiz) -, juris, Rdn. 98 m.w.N.; Urteil vom 21. Januar 2011 - 30696/09 (M.S.S. / Belgien u. Griechenland) -, juris, Rdn. 253.
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Hingegen verpflichtet Art. 3 EMRK die Vertragsstaaten nicht, jedermann in ihrem Hoheitsgebiet mit einer Wohnung zu versorgen. Art. 3 EMRK begründet auch keine allgemeine Verpflichtung, Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu gewähren oder ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen (vgl. EGMR, Urteile vom 30. Juni 2015 - 39350/13 - (A.S. / Schweiz) -, juris, Rdn. 27, vom 21. Januar 2011 - 30696/09 (M.S.S. / Belgien u. Griechenland) -, juris, Rdn. 249, m.w.N., und Beschluss vom 2. April 2013 - 27725/10 (Mohammed Hussein u.a. / Niederlande u. Italien) -, juris, Rdn. 70; vgl. auch OVG NRW, Urteile v. 19.05.2016, 13 A 1490/13.A; v. 07.03.2014, 1 A 21/12.A) beide juris). Es verstößt demnach grundsätzlich nicht gegen Art. 3 EMRK, wenn international Schutzberechtigte den eigenen Staatsangehörigen gleichgestellt sind und von ihnen erwartet wird, dass sie selbst für ihre Unterbringung und ihren Lebensunterhalt sorgen (vgl. OVG NRW, Urteil v. 19.05.2016, 13 A 1490/13.A; juris).
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Art. 3 EMRK gewährt von einer Überstellung betroffenen Ausländern grundsätzlich auch keinen Anspruch auf Verbleib in einem Mitgliedstaat, um dort weiterhin von medizinischer, sozialer oder anderweitiger Unterstützung oder Leistung zu profitieren. Sofern keine außergewöhnlich zwingenden humanitären Gründe vorliegen, die gegen eine Überstellung sprechen, ist allein die Tatsache, dass sich die wirtschaftlichen und sozialen Lebensverhältnisse nach einer Überstellung erheblich verschlechtern würden, nicht ausreichend, um einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK zu begründen (vgl. EGMR, Beschluss vom 2. April 2013 - 27725/10 - (Mohammed Hussein u.a. / Niederlande u. Italien), juris, Rdn. 71; vgl. auch OVG NRW a. a. O.).
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Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 08.05.2017 (2 BvR 157/17; juris) ausgeführt, dass eine Rückführung anerkannter Schutzberechtigter in einen anderen Konventionsstaat eine Verletzung des Art. 3 EMRK durch den rückführenden Staat darstellen kann, wenn den Behörden bekannt ist oder bekannt sein muss, dass dort mit Art. 3 EMRK unvereinbare Bedingungen herrschen – etwa dann, wenn ein Flüchtling völlig auf sich allein gestellt ist und er über einen langen Zeitraum gezwungen sein wird, auf der Straße zu leben, ohne Zugang zu sanitären Einrichtungen oder Nahrungsmitteln. Das Bundesverfassungsgericht nimmt ausdrücklich auf seine frühere Rechtsprechung und auch auf diejenige des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Bezug und betont die verfassungsrechtliche Bedeutung der Aufklärungspflicht der Gerichte hinsichtlich der Aufnahmebedingungen im Zielstaat. Hierbei bedarf es sowohl einer Auseinandersetzung mit der Einschätzung, anerkannt Schutzberechtigte seien als besonders verletzliche Gruppe zumindest für eine Übergangszeit auf staatliche Hilfe bei der Integration angewiesen, als auch mit dem etwaigen Fehlen der von Art. 34 RL 2011/95/EU geforderten, über die Inländergleichbehandlung hinausgehenden Integrationsmaßnahmen im Zielstaat (vgl. auch: Hessischer VGH, Urteil v. 04.11.2016, 3 A 1322/16.A; VGH Baden-Württemberg, Beschluss v. 15.03.2017, A 11 S 2151/16; alle juris).
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b.) Die Kammer geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die Situation – auch anerkannter Flüchtlinge oder Schutzberechtigter, die nach Italien zurückkehren -, in Anlehnung an die Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (vgl. Urteil v. 24.08.2016; 13 A 63/16.A; v. 19.05.2016, 13 A 1490/13.A; beide juris) jedenfalls für nicht besonders schutzbedürftige Personen wie folgt zu beschreiben ist (vgl. zuletzt: Beschl. v. 29.07.2017, 8 B 329/17 MD):
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"Nach der Rechtsprechung des Senats stellen sich die Lebensverhältnisse anerkannter Flüchtlinge in Italien nicht allgemein als unmenschlich oder erniedrigend im Sinne von Art. 3 EMRK dar. Vielmehr ist davon auszugehen, dass anerkannte Flüchtlinge in Italien grundsätzlich italienischen Staatsbürgern gleichgestellt sind und erforderlichenfalls staatliche Hilfen in Anspruch nehmen können, um jedenfalls ihre Grundbedürfnisse zu decken. Gelingt dies nicht sogleich bzw. vollständig, können sie die Hilfe caritativer Organisationen erhalten. […] Nach den dem Senat vorliegenden Erkenntnissen sind in Italien Ausländer, die dort als Flüchtlinge anerkannt worden sind, italienischen Staatsangehörigen gleichgestellt, d. h., es wird grundsätzlich von ihnen erwartet, dass sie selbst für ihre Unterbringung und ihren Lebensunterhalt sorgen. […] Dies ist nicht menschenrechtswidrig. Art. 3 EMRK verpflichtet die Vertragsstaaten nicht, jedermann in ihrem Hoheitsgebiet mit einer Wohnung zu versorgen. Auch begründet Art. 3 EMRK keine allgemeine Verpflichtung, Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu gewähren oder ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen. […] Die drohende Zurückweisung in ein Land, in dem die eigene wirtschaftliche Situation schlechter sein wird als in dem ausweisenden Vertragsstaat, reicht ebenfalls nicht aus, die Schwelle der unmenschlichen Behandlung, wie sie von Art. 3 EMRK verboten wird, zu überschreiten. Dies entspricht im Übrigen auch den Vorgaben der Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie), die die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass international Schutzberechtigte im Hinblick auf den Zugang zu Sozialhilfeleistungen (Art. 29), medizinischer Versorgung (Art. 30) und Wohnung (Art. 32) nicht anders als die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats behandelt werden. Dies gilt ungeachtet des Umstands, dass anerkannte Flüchtlinge - anders als die Staatsangehörigen des Mitgliedstaats - regelmäßig weder über die erforderlichen Sprachkenntnisse verfügen noch auf die Unterstützung von Familienangehörigen zurückgreifen können. Italien hat inzwischen die Qualifikationsrichtlinie 2011/95/EU in nationales Recht umgesetzt. […] Es ist deshalb davon auszugehen, dass anerkannte Flüchtlinge in Italien in den Genuss der in den Art. 20 bis Art. 35 der Qualifikationsrichtlinie genannten Rechte kommen. Die zurückkehrenden Flüchtlinge sind zudem nicht gänzlich sich selbst überlassen. Kehren anerkannte Flüchtlinge aus dem Ausland zurück, können sie sich etwa am Flughafen in Rom von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) beraten lassen. […] Dort erfahren sie auch, welche Questura für sie zuständig ist. Diese wird informiert und der Flüchtling erhält ein Bahnticket, um dorthin zu gelangen. […] Für anerkannte Flüchtlinge ist die Behörde der Gemeinde zuständig, in der sie ihren Asylantrag gestellt haben. […] Anerkannte Flüchtlinge erhalten eine Aufenthaltsbewilligung, die fünf Jahre gültig ist und bei Ablauf verlängerbar bzw. erneuerbar ist. […] Die Versorgung von Flüchtlingen mit Wohnraum war und ist von Ort zu Ort unterschiedlich. Ein Teil kann auch nach der Anerkennung als Flüchtling in einer Einrichtung der SPRAR (Sistema di protezione per richiedenti asilo e refugati) für begrenzte Zeit Aufnahme finden. Auch caritative Einrichtungen stellen Unterkünfte zur Verfügung. […] In großen Städten konnten Flüchtlinge zwar vor Jahren teilweise nur in besetzten Häusern, mit zum Teil hunderten von Bewohnern, ohne ausreichende Versorgung mit Trinkwasser und Elektrizität unterkommen. […] Inzwischen hat sich die Situation aber verbessert. Das Auswärtige Amt hat schon im August 2013 und gegenüber dem erkennenden Gericht unter dem 23. Februar 2016 mitgeteilt, im Ergebnis könne davon ausgegangen werden, dass für die anerkannten Flüchtlinge in Italien landesweit ausreichend staatliche bzw. öffentliche oder caritative Unterkunftsmöglichkeiten (bei teilweiser lokaler Überbelegung) zur Verfügung stehen. […] In Italien gibt es kein allgemeines System der Sozialhilfe. Etwaige gemeindliche Unterstützungsleistungen sind an den offiziellen Wohnsitz in der Gemeinde geknüpft. […] Es gibt aber öffentliche Fürsorgeleistungen für gemeldete Flüchtlinge, wenn sie bereit sind, an Maßnahmen zur Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Lage, z. B. speziellen beruflichen Lehrgängen, teilzunehmen. […] Lokale Behörden, Stiftungen, Gewerkschaften, Hilfsorganisationen oder NGOs unterhalten Integrationsprogramme und arbeiten dabei teilweise zusammen. […] Soweit solche Leistungen nicht greifen oder ausreichen, können Flüchtlinge, wenn sie - wie viele Italiener auch - arbeitslos sind, auf Spenden caritativer Organisationen zurückgreifen. […] Der Arbeitsmarkt ist zwar schwierig. Viele Flüchtlinge, insbesondere junge Männer, die mit gleichaltrigen italienischen Arbeitslosen auf dem Arbeitsmarkt konkurrieren, kommen häufig nur als Saisonarbeiter in der Landwirtschaft unter. […] Daraus kann allerdings nicht auf eine Verletzung des Art. 3 EMRK geschlossen werden. […] Bei der Gesundheitsversorgung werden Flüchtlinge in Italien wie italienische Bürger behandelt. Der kostenlose Zugang zur Notfallversorgung steht ihnen immer zur Verfügung."
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Mit Urteil vom 27.04.2017 (8 A 674/16 juris) hat die Kammer zu der Entwicklung der Lage in Italien ausgeführt:
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"Dabei sieht das Gericht die aktuelle Situation durchaus als kritisch und grenzwertig an. Allein an Ostern 2017 sind in Sizilien und Kalabrien rund 8.000 bis 8.500 Flüchtlinge angelandet. Seit Jahresbeginn 2017 sind offiziellen Angaben zufolge etwa 35.000 Migranten angekommen – deutlich mehr, rund 40 %, als im Rekordjahr 2016, als Italien insgesamt 181.000 Flüchtlinge aufnahm. In den vergangenen Monaten sind in Italien im Schnitt jeden Tag 500 Migranten gelandet (derStandard.at/tFluechtlinge-Rekordzahl; 20.04.2017; FOCUS Online; Flüchtlingskrise kehrt fast unbemerkt zurück, 20.04.2017). Nach Regierungsangaben sind derzeit 175.385 Asylsuchende in Italien in Aufnahmezentren untergebracht. 136.706 von ihnen kamen in sogenannten „temporären außerordentlichen“ Zentren unter, während nur 25.563 in besser eingerichteten Zentren leben (Pro Asyl; Die schwierige Situation von Flüchtlingen in Italien; 06.04.2017). Der Umverteilungsplan der EU für 160.000 Flüchtlinge aus Griechenland und Italien wird von vielen Mitgliedstaaten schlicht ignoriert (tagesspiegel.de; mehr Flüchtlinge aus Afrika, 03.04.2017). 3.000 Flüchtlinge möchte die EU jeden Monat von Griechenland und Italien auf andere EU-Länder verteilen. Tatsächlich liegt die Übernahmequote aber nur bei 1.682 schutzbedürftigen Menschen; im Februar 2017 waren nur ca. 12.000 Flüchtlinge statt der versprochenen 160.000 umverteilt worden (Handelsblatt; Kaum Solidarität mit Italien und Griechenland, 08.02.2017; Internet). In Sizilien ist immer wieder zu beobachten, dass Menschen aus den Unterkünften fliehen, da die Geflüchteten nach der langen Wartezeit nicht mehr an eine Umverteilung (Relocation) glauben. Auch der Europarat konstatiert, dass das Relocation-Programm nicht funktioniert und die Normen, die für die Aufnahmezentren gelten, seien stark zu verbessern, da sie nicht an die Bedürfnisse der Asylsuchenden angepasst sind. Weitere Kritik gilt der Unterbringung von minderjährigen Flüchtlingen (PRO ASYL; Die schwierige Situation von Flüchtlingen in Italien; 06.04.2017, Internet). Trotz dieser bekannten unsolidarischen Haltung einzelner EU-Staaten sowie der zweifellos erschreckenden - aktuellen - Zahlen und in Anbetracht der Tatsache, dass die Flüchtlingsströme über das Mittelmeer aufgrund des besseren Wetters eher ansteigen werden, kann gegenwärtig nicht davon ausgegangen werden, dass Italien seinen solidarischen Verpflichtungen innerhalb der EU nicht nachkommt und quasi die „Hände in den Schoß legt“, so dass das Asyl- und Unterbringungssystem - erneut - zu kollabieren droht. Denn PRO ASYL berichtet davon, dass die italienische Regierung neben der - bedenklichen - verstärkten Maßnahme von Abschiebungen, der Beschneidung des Rechtschutzes und der finanziellen Unterstützung auch und gerade das Unterbringungssystem neu regeln will. Seit Anfang 2017 sind 6.000 Unterbringungsplätze mehr in den Kommunen geschaffen worden. Ca. 200 Bürgermeister haben sich bereit erklärt, Erstaufnahmezentren in SPRAR-Zentren (Zweitaufnahme) umzuwandeln. Der neue Unterbringungsplan der Regierung sieht eine genau ausgearbeitete Unterbringung in den einzelnen Regionen und Kommunen abhängig von den Einwohnerzahlen vor. Am 22.03.2017 erklärte der italienische Innenminister, dass durch die Zusage Deutschlands, jeden Monat 500 Flüchtlinge aufzunehmen, sich die Lage deutlich entspannt hat, zudem auch Österreich und die Schweiz erklärten, sich an der Relocation zu beteiligen (PRO ASYL; Die schwierige Situation von Flüchtlingen in Italien; 06.04.2017; Internet). Das Gericht wird die Lage in Italien weiter im Blick behalten."
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c.) Weiter geht die Kammer mit der herrschen Meinung in ständiger Rechtsprechung (vgl. nur: Urteil v. 17.02.2016, 8 A 51/16; juris) davon aus, dass in Italien nur die Asylbewerber einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt sind, wenn sie, weil ausschließlich auf staatliche Hilfe angewiesen, sich in einer besonderen Situation befinden (vgl. EGMR, Urteil vom 04.11.2014 - 29217/12 (Tarakhel/Schweiz) -, HUDOC Rn. 98; BVerfG, Beschluss vom 17.09.2014 - 2 BvR 732/14 -, juris; s. a. BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 – juris, United Kingdom Supreme Court, Urteil vom 19.02.2014 - EM (Eritrea) and others of the Secretary of the State for the Home Department, [2014] UKSC 12 - Rn. 62.). Dies gilt insbesondere im Fall der Betroffenheit von Kindern. Hierbei ist entscheidend auf ihre besondere Verletzlichkeit abzustellen, der der Vorrang gegenüber dem Gesichtspunkt ihres Status als illegaler Einwanderer einzuräumen ist (EGMR, Urteil vom 4. November 2014 - 29217/12 (Tarakhel/Schweiz) -, HUDOC Rn. 99).
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d.) Zur Überzeugung des Gerichts sind diese - für die dem Dublin-System unterworfenen besonders schutzwürdigen Asylbewerber - bedeutsamen Feststellungen auch auf die in Italien als Flüchtlinge oder mit Schutzstatus ausgestattete, sogenannte Rückkehrer anzuwenden, welche einem besonders schutzwürdigen Personenkreis angehören.Anerkannte Schutzberechtigte sind den italienischen Staatsangehörigen in Bezug auf die hier interessierenden Fragen der Befriedigung der allgemeinen Lebensbedürfnisse - Unterkunft, Geldmittel, Lebensmittel, Gesundheitsversorgung usw. - gleichgestellt, unterliegen jedoch dem Nachteil, dass sie im Gegensatz zu den Italienern überwiegend nicht über italienische Sprachkenntnisse sowie über ein soziales und insbesondere familiäres Netzwerk verfügen, dass in der dort gegebenen herausfordernden Situation aushelfen kann.
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Bei der Prüfung der unmenschlichen Behandlung genügt dabei der Verweis auf eine Inländergleichbehandlung nicht, um eine unmenschliche Behandlung auszuschließen. Zum einen berücksichtigt das Gebot der Inländergleichbehandlung nicht, dass eine Inländer und Ausländer gleichermaßen unmenschlich treffende Behandlung eben eine unmenschliche Behandlung ist. Zum anderen kann ein und dieselbe Behandlung für einen Inländer nicht unmenschlich, für einen besonders schutzbedürftigen Ausländer aber sehr wohl unmenschlich sein, wenn die Gleichbehandlung dessen besonderes Schutzbedürfnis unzureichend berücksichtigen sollte. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bedarf es daher einer Auseinandersetzung mit der Einschätzung, dass es sich bei anerkannt Schutzberechtigten um eine besonders verletzliche Gruppe handelt, die zumindest für eine Übergangszeit auf staatliche Hilfe bei der Integration in den Aufnahmestaat angewiesen ist. Danach handelt es sich bei Personen, denen in einem anderen Staat bereits internationaler Schutz zuerkannt wurde, typischerweise um verletzliche und entwurzelte Menschen, die nicht ohne weiteres in der Lage sein werden, ihr Recht auf menschliche Behandlung in all seinen Ausprägungen effektiv in Anspruch zu nehmen. Zusätzlich zur Inländergleichbehandlung ist daher ein „spezifisch kompensatorisches“ Element erforderlich (VGH Baden-Württemberg, a. a. O.). Um eine unmenschliche Behandlung besonders schutzbedürftiger Ausländer auszuschließen, bedarf es daher Feststellungen dazu, ob bei deren Rückführung zumindest „in der ersten Zeit“ nach der Ankunft „der Zugang zu Obdach, Nahrungsmitteln und sanitären Einrichtungen sichergestellt“ wird (BVerfG, a. a. O).
- 26
Diese Kompensationsmöglichkeiten für besonders Schutzbedürftige sind in Italien nicht erkennbar. Rückkehrer werden in besonderer Weise davon betroffen, dass es in Italien kein allgemeines System der Sozialhilfe gibt und sie eben keinen Anspruch mehr auf staatliche (Asyl-)Leistungen haben. Ohne Zusage ist nicht sichergestellt, dass die Rückkehrer, zumindest in der ersten Zeit nach ihrer Ankunft, Zugang zu Obdach, Nahrungsmitteln und sanitären Einrichtungen haben. Nach ihrer Rückkehr können sie sich etwa am Flughafen in Rom von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) beraten lassen (vgl. AA, a.a.O., S. 5; SFH, a.a.O., S. 33). Dort erfahren sie auch, welche Questura für sie zuständig ist. Bei dieser können sie dann einen Antrag auf Unterkunft stellen (vgl. AA, a.a.O., S. 5). Allerdings ist nicht gewährleistet, dass ihnen auf diesen Antrag zeitnah eine Unterkunft zur Verfügung gestellt wird. Da die Erstaufnahmeeinrichtungen für Asylsuchende bestimmt sind und nach Zuerkennung des internationalen Schutzes – abhängig von der jeweiligen örtlichen Praxis – innerhalb kurzer Zeit verlassen werden müssen (vgl. Aida, a.a.O., S. 111), kann nicht davon ausgegangen werden, dass dort Plätze für zurückkehrende Schutzberechtigte zur Verfügung stehen.
- 27
Hinsichtlich der Zweitaufnahmeeinrichtungen des SPRAR-Netzwerkes sind anerkannt Schutzberechtigte nach den entsprechenden internen Richtlinien des Italienischen Innenministeriums zwar berechtigt, ab Zuerkennung des Schutzstatus für sechs Monate untergebracht zu werden. Da die dort verfügbaren Plätze – wie oben dargelegt – aber nicht ausreichen, erscheint es zumindest wahrscheinlich, dass anerkannt Schutzberechtigte dort in der ersten Zeit nach ihrer Rückkehr keine Unterkunft erhalten. Sie werden daher jedenfalls in dieser Zeit darauf angewiesen sein, einen Schlafplatz in von caritativen Einrichtungen oder Gemeinden zur Verfügung gestellten Notunterkünften zu erhalten (vgl. SFH, a.a.O., S. 41 ff.). Dabei lässt sich den aktuellen Erkenntnissen nicht entnehmen, dass die außerhalb des staatlichen Aufnahmesystems für Flüchtlinge bestehenden Notunterkünfte, die zumindest teilweise auch einheimischen Obdachlosen offen stehen, zur Deckung des Bedarfs ausreichen. Überdies müssen sich anerkannt Schutzberechtigte nach ihrer Rückkehr selbständig um einen solchen Platz bemühen. Ob es ihnen in der ersten Zeit nach ihrer Rückkehr stets gelingen wird, einen gegebenenfalls verfügbaren Schlafplatz ausfindig zu machen und zu diesem zu gelangen, erscheint ungewiss. Zumal sie sich in dieser Zeit auch hinsichtlich der Versorgung mit Nahrung und Hygiene aktiv um die Unterstützung caritativer Organisationen bemühen müssen (vgl. dazu: VG Berlin, Beschluss v. 02.06.2017, 33 L 365.17 A; juris).
- 28
Das Gericht ist weiterhin der Überzeugung, dass diese allgemeinen (Lebens-)Herausforderungen für einen alleinstehenden jungen gesunden Mann zu bewältigen sind. Die gegenteilige von mehreren Kammern des Verwaltungsgerichts Berlin (vgl. Beschluss v. 20.07.2017, 28 L 282.17 A; Beschluss v. 02.06.2017, 33 L 365.17 A; beide juris) vertretene Auffassung, wonach jedwedem anerkannten Schutzberechtigten in Italien aufgrund der fehlenden Kapazitäten eine Verletzung der Rechte aus Art. 3 EMRK droht, teilt die Kammer nicht. Die Kammer ist aber der Überzeugung, dass die Bewerkstelligung der allgemeinen Lebensverhältnisse in Italien jedenfalls nicht von solchen Personen erwartet werden darf, die einem besonders schutzwürdigen Personenkreis angehören. Dazu gehört der Antragsteller aufgrund seiner Erkrankung.
- 29
Demnach bedarf es einer besonderen staatlichen Zusicherung hinsichtlich der Aufnahme und (Kranken-)Versorgung des Antragtellers, was vorliegend nicht gegeben ist und der Eilantrag sowie der Prozesskostenhilfeantrag Erfolg haben. Der Antragsteller muss die Sicherheit haben, nicht mit seiner Abschiebung rechnen zu müssen, damit sich sein Gesundheitszustand nicht verschlechtert und er die Chance auf eine effektive Behandlungsmöglichkeit hat, was nach den faktischen Verhältnisse wiederum nur in Deutschland der Fall sein dürfte (vgl. auch: VG Magdeburg, Beschluss v. 09.03.2017, 8 B 127/17 MD).
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Diese Überzeugung führt dazu, dass bereits im vorliegend gerichtlichen Eilverfahren aufgrund der zu befürchtenden Gesundheitsgefahren das Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG abschließend anzunehmen ist (vgl. VG Düsseldorf, Beschluss v. 07.04.2017, 22 L 670/17.A; juris). Einer abschließenden Klärung im anhängigen Hauptsacheverfahren bedarf es nicht, was das VG Düsseldorf übersieht. Denn nach § 37 Abs. 1 Satz 1 AsylG werden die Entscheidung des Bundeamtes über die Unzulässigkeit nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 und die Abschiebungsandrohung unwirksam, wenn das Verwaltungsgericht dem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO entspricht. Das Bundesamt hat vielmehr das Asylverfahren fortzuführen (§ 37 Abs. 1 Satz 2 AsylG).
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3.) Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylG.
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Annotations
(1) Ein Asylantrag ist unzulässig, wenn
- 1.
ein anderer Staat - a)
nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 oder - b)
auf Grund von anderen Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages
- 2.
ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Absatz 1 Nummer 2 gewährt hat, - 3.
ein Staat, der bereit ist, den Ausländer wieder aufzunehmen, als für den Ausländer sicherer Drittstaat gemäß § 26a betrachtet wird, - 4.
ein Staat, der kein Mitgliedstaat der Europäischen Union und bereit ist, den Ausländer wieder aufzunehmen, als sonstiger Drittstaat gemäß § 27 betrachtet wird oder - 5.
im Falle eines Folgeantrags nach § 71 oder eines Zweitantrags nach § 71a ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen ist.
(2) Das Bundesamt hört den Ausländer zu den Gründen nach Absatz 1 Nummer 1 Buchstabe b bis Nummer 4 persönlich an, bevor es über die Zulässigkeit eines Asylantrags entscheidet. Zu den Gründen nach Absatz 1 Nummer 5 gibt es dem Ausländer Gelegenheit zur Stellungnahme nach § 71 Absatz 3.
(3) Erscheint der Ausländer nicht zur Anhörung über die Zulässigkeit, entscheidet das Bundesamt nach Aktenlage. Dies gilt nicht, wenn der Ausländer unverzüglich nachweist, dass das in Satz 1 genannte Versäumnis auf Umstände zurückzuführen war, auf die er keinen Einfluss hatte. Führt der Ausländer diesen Nachweis, ist das Verfahren fortzuführen.
(4) Die Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrags kann gemäß § 24 Absatz 1a dafür geschulten Bediensteten anderer Behörden übertragen werden.
(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).
(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur
- 1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten, - 2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten, - 3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen, - 3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen, - 4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.
(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.
(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn
- 1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder - 2.
eine Vollstreckung droht.
(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.
(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.
(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.
(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.
(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.
(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.
(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.
(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.
(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.
(11) (weggefallen)
(1) Die Entscheidung des Bundesamtes über die Unzulässigkeit nach § 29 Absatz 1 Nummer 4 des Antrags und die Abschiebungsandrohung werden unwirksam, wenn das Verwaltungsgericht dem Antrag nach § 80 Absatz 5 der Verwaltungsgerichtsordnung entspricht. Das Bundesamt hat das Asylverfahren fortzuführen.
(2) Entspricht das Verwaltungsgericht im Falle eines als offensichtlich unbegründet abgelehnten Asylantrags dem Antrag nach § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung, endet die Ausreisefrist 30 Tage nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens.
(3) Die Absätze 1 und 2 gelten nicht, wenn auf Grund der Entscheidung des Verwaltungsgerichts die Abschiebung in einen der in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Staaten vollziehbar wird.
(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).
(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur
- 1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten, - 2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten, - 3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen, - 3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen, - 4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.
(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.
(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn
- 1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder - 2.
eine Vollstreckung droht.
(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.
(1) Die Entscheidung des Bundesamtes über die Unzulässigkeit nach § 29 Absatz 1 Nummer 4 des Antrags und die Abschiebungsandrohung werden unwirksam, wenn das Verwaltungsgericht dem Antrag nach § 80 Absatz 5 der Verwaltungsgerichtsordnung entspricht. Das Bundesamt hat das Asylverfahren fortzuführen.
(2) Entspricht das Verwaltungsgericht im Falle eines als offensichtlich unbegründet abgelehnten Asylantrags dem Antrag nach § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung, endet die Ausreisefrist 30 Tage nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens.
(3) Die Absätze 1 und 2 gelten nicht, wenn auf Grund der Entscheidung des Verwaltungsgerichts die Abschiebung in einen der in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Staaten vollziehbar wird.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.