Verwaltungsgericht Magdeburg Urteil, 05. Juni 2013 - 8 A 11/12

ECLI:ECLI:DE:VGMAGDE:2013:0605.8A11.12.0A
bei uns veröffentlicht am05.06.2013

Tatbestand

1

Die Klägerin führt die Disziplinarklage gegen den beklagten Polizeivollzugsbeamten im Rang eines Polizeihauptmeisters mit dem Ziel seiner Entfernung aus dem Beamtenverhältnis.

2

Der 1955 geborene Beamte erlernte nach dem Besuch der zehnklassigen Polytechnischen Oberschule den Beruf eines Instandhaltungsmechanikers. Danach leistete er von 1974 bis 1976 seinen Grundwehrdienst. Im Anschluss daran war er als Schlosser tätig. Seit 1982 befindet er sich im Polizeidienst. 1991 erfolgte die Ernennung zum Polizeihauptwachtmeister z. A. und 1992 die Ernennung zum Polizeiobermeister. Nach der Verbeamtung auf Lebenszeit im Jahre 1994 erfolgte 1996 die Beförderung zum Polizeihauptmeister.

3

Seit dem Jahr 2000 war der Beamte im Bundesautobahn-Polizeirevier D. auf dem Dienstposten eines Sachbearbeiters Streifendienst tätig.

4

Die letzte dem Beamten erstellte dienstliche Beurteilung aus dem Jahre 2005 schloss mit der Gesamtnote „befriedigend“ bei 257 Punkten.

5

Der Beamte ist verheiratet und hat drei erwachsene Kinder. Bis zu den hier einschlägigen Geschehnissen war der Beklagte weder straf- noch disziplinarrechtlich vorbelastet.

6

Seit dem 14.11.2008 ist der Beamte bei gleichzeitiger Kürzung der Dienstbezüge in Höhe von 5. v. H. vorläufig des Dienstes enthoben.

7

Mit der Disziplinarklage vom 19.04.2012 schuldigt die Klägerin den Beklagten an, ein schweres Dienstvergehen gem. § 47 Abs. 1 Satz 1 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) begangen zu haben, in dem er

8

während der Dienstzeit einen gemeinschaftlichen Diebstahl mit Waffen begangen habe.

9

Hinsichtlich des Tatgeschehens wird auf die Feststellungen in dem Urteil des Landgerichts ... vom 19.05.2011 (…) und des Landgerichts A-Stadt vom 04.11.2010 (…) Bezug genommen, in welchem es heißt:

10

„Am 30.06.2008 ereignete sich gegen 18.00 Uhr auf der Bundesautobahn 9 in Höhe des Kilometers 84 (Fahrtrichtung München) ein Verkehrsunfall, an dem zwei Lastwagen beteiligt waren. Hierbei prallte ein mit Wasch- und Reinigungsmitteln der Firma ... Wasch- und Reinigungsmittel GmbH beladener Lkw Mercedes Benz, amtliches Kennzeichen … gegen einen mit Schrottteilen beladenen Lkw MAN, amtliches Kennzeichen …. Der auffahrende Lkw Mercedes Benz erlitt hierbei erhebliche Beschädigungen und kam mit abgeknicktem Fahrerhaus quer zur Fahrbahn zum Stehen. Die Abdeckplanen des Aufliegers wurden beschädigt, erhebliche Teile der geladenen Waren fielen über die gesamte Fahrbahnbreite aus dem Auflieger heraus auf die Fahrbahn; die auf dem Auflieger verbliebene Restladung verschob sich ....

11

Während ihres Einsatzes im Bereich der Unfallstelle auf der Autobahn beluden die Angeklagten, einvernehmlich handelnd und die Handlungen des jeweils anderen billigend, den Kofferraum des Dienstwagen Mercedes E-Klasse Kombi mit aus dem Unfallereignis herrührenden Reinigungs- und Waschmittelprodukten, um diese für sich bzw. ihre Kollegen zu verwenden. Der Angeklagte B. ließ sich herbei von dem Zeugen G. R. zwei 5-Liter-Kanister aus einer auf dem Auflieger befindlichen, bereits mit Spanngurten festgezurrten Warenpalette herausholen, um diese zur eigenen Verwendung mitzunehmen. Zu einem späteren Zeitpunkt, nach Verbringung des Aufliegers auf den Hof des Bergeunternehmens, begab sich der Angeklagte B. auf die Ladefläche des Aufliegers, um von dort mehrere Pakete Waschpulver zu entnehmen und gleichfalls in den Dienstwagen zum Abtransport zu verbringen.

12

Insgesamt befanden sich in dem Dienstwagen mindestens die folgenden Waschmittel- und Reinigungsprodukte:

13

Aufzählung 46 Anstriche z. B. mit Pril, Vernel, Weißer Riese, Somat, Persil, Fleckenspray, WC-frisch Reinigungswürfel etc. in unterschiedlichen Mengen (S. 5-6 Urteil LG … vom 16.08.2011).

14

Die eingepackten Kartons mit Persil Waschmittel Tabs, Somat Geschirrspülreiniger Tabs, WC-Ente, Pril, Spüli, Vernel Weichspüler und Sil Fleckenspray wiesen keine maßgeblichen erkennbaren äußeren Beschädigungen auf und waren weder aufgeweicht noch verklebt. Die Angeklagten handelten in dem Bewusstsein, dass es sich bei den von ihnen eingeladenen Haushaltschemikalien nicht um ungebrauchte Ware handelte, sondern allenfalls um marginal angedrückte bzw. beschmutzte Ladungsbestandteile, deren Verwertbarkeit nicht eingeschränkt war.

15

Die Angeklagten verbrachten diese Gegenstände sodann zu ihrer Dienststelle, lagerten sie in einer dort befindlichen Garage ab und kehrten zum Einsatz zurück. Zum Schichtende erfolgte die Aufteilung zumindest dieser zu späterem Zeitpunkt zurückgegebener Reinigungsmittel an die Angeklagten und drei weitere Beamte der Schicht, die diese in ihren Privat-PKW abtransportierten.

16

Der Verkaufswert vergleichbarer unbeschädigter Ware beläuft sich auf 677,-- €.

17

Während ihres Diensteinsatzes trugen die Angeklagten ihre geladenen und schussbereiten Dienstwaffen - Sig Sauer P 225 - im Halfter bei sich. Deren Einsatz erfolgte am Tatabend nicht; eine den Einsatz naheliegende Situation bestand zu keinem Zeitpunkt.“

18

Zur inneren Tatseite trifft das Urteil folgende Feststellungen:

19

„...Die ergänzenden Feststellungen zur inneren Tatseite haben ergeben, dass beide Angeklagte erfahrene Autobahnpolizisten sind. Der Angeklagte B. ist seit 1982 im Polizeidienst und im Tatzeitpunkt seit acht Jahren bei der Bundesautobahnpolizei, der Angeklagte N. seit 1986 im Polizeidienst und seit 1996 bei der Bundesautobahnpolizei gewesen. In diesem Rahmen waren beide öfter bei Unfällen eingesetzt, bei denen es Todesopfer gegeben hat. Bei Dienstantritt am Tattag hatten beide Angeklagte keine persönlichen Sorgen oder Probleme. Für den Angeklagten B. war der Nachtdienst am Tattag der letzte Arbeitstag. Er plante am kommenden Montag eine Urlaubsfahrt nach Bayern anzutreten und hat dies auch umgesetzt. Der Einsatz am Tattag brachte zwar für beide wegen der Notwendigkeit die Autobahn zügig freizuräumen, gewissen psychischen Druck mit sich, unterschied sich jedoch nicht von regelmäßig anfallenden normalen Einsätzen der Bundesautobahnpolizei. Zudem waren die dringendsten Unfallaufnahme- und Sicherungsmaßnahmen des schon gegen 18 Uhr geschehenen Unfalls bereits durch die Polizeibeamten J. und S. und danach ab 19.30 Uhr von den Kollegen der LKW-Kontrollgruppe vorgenommenen worden, als die Angeklagten gegen 22.00 Uhr - etwa vier Stunden nach dem Unfall - am Unfallort erschienen. Besonders belastende Umstände wie schwere Verletzungen oder Todesfällen von Personen sind nicht aufgetreten....

20

Die Feststellungen der Kammer beruhen auf den Einlassungen der Angeklagten in der neuen Berufungsverhandlung, soweit ihnen geglaubt werden kann, den gemäß § 325 StPO verlesenen Bekundungen der Zeugen J. und B. vor dem Amtsgericht B. vom 26. April 2010 und den Auskünften des Bundesamtes für Justiz vom 22. Juni 2011.

21

Zwar haben beide Angeklagten angegeben, sich des Tragens der Dienstwaffen am Tatabend nicht bewusst gewesen zu sein. Sie haben ferner versucht, ihren Einsatz am Tatabend als stressig und psychisch belastend darzustellen. Für besonderen psychischen Druck der Angeklagten bei jenem Einsatz lag angesichts ihrer langjährigen Diensterfahrung und des Fehlens besonderer belastender Umstände kein Grund vor.

22

Hierdurch haben sich die Angeklagten des gemeinschaftlichen Diebstahls mit Waffen, strafbar nach den §§ 242 Abs. 1, 244 Abs. 1 Nr. 1a, 25 Abs. 2 StGB, schuldig gemacht. Sie waren sich am Tattag jedenfalls in der Form des dolus eventualis des Beisichführens und der Verfügbarkeit ihrer Dienstwaffen bewusst...“

23

Der Beamte ist wegen gemeinschaftlichen Diebstahls zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen verurteilt worden, wobei die Höhe eines Tagessatzes auf 60 Euro bemessen wurde. Diese tatsächlichen Feststellungen des rechtskräftigen Urteils, seien im Disziplinarverfahren entsprechend § 23 Abs. 1 Disziplinargesetz Sachsen-Anhalt (DG LSA) bindend.

24

Der Beklagte habe vorsätzlich gegen seine in § 54 Satz 3 Beamtengesetz Sachsen-Anhalt (BG LSA) bzw. § 34 Satz 3 BeamtStG normierte Pflicht, sich so zu verhalten, dass er der Achtung und dem Vertrauen gerecht werde, die sein Beruf erfordere (Wohlverhaltenspflicht) und die Pflicht zur uneigennützigen Amtsführung nach § 54 Satz 2 BG LSA bzw. § 34 Satz 2 BeamtStG verstoßen. Aufgrund der gemäß § 13 Abs. 2 DG LSA vorzunehmenden Gesamtbewertung sei ein endgültiger Vertrauensverlust sowohl des Dienstherrn als auch der Allgemeinheit gegeben. Der Beklagte habe im Kernbereich seiner dienstlichen Pflichten versagt. Zu seinen zentralen Dienstpflichten als Polizeibeamter gehöre es, Straftaten zu verhindern, aufzuklären und zu verfolgen. Durch die Begehung eines Eigentumsdelikts mit der Dienstwaffe habe der Beamte nicht nur in besonders schwerwiegender Weise gegen seine Pflichten als Polizeibeamter verstoßen, sondern zugleich dem Ansehen der Vollzugsbeamten einen ganz erheblichen Schaden zugefügt. Zu den dienstlichen Aufgaben gehöre es u. a. das Eigentum der Bürger zu schützen, der Beklagte hätte genau das verhindern sollen, was er getan habe. Er habe einen Diebstahl zum Nachteil Dritter unter Ausnutzung dienstlich veranlasster Möglichkeiten, d. h. unter Missbrauch der ihm übertragenen Überwachungsfunktion begangen. Unter Ausnutzung hoheitlicher Befugnisse habe der Beamte einen Dritten veranlasst, Ware vom Lkw herauszugeben, um diese letztendlich mit dem Dienstfahrzeug abzutransportieren.

25

Erschwerend sei zu berücksichtigen, dass der Beamte keine Reue zeige. Nicht nur unmittelbar auf der Autobahn, sondern auch auf dem Bergehof habe der Beamte sich die Gegenstände der verunfallten Ladung angeeignet. Zudem sei der gesamte Vorgang von der Öffentlichkeit wahrgenommen worden, denn an der Unfallstelle vorbeigekommene Fahrzeuginsassen hätten die Verladung der Waschmittel angezeigt und fotografisch festgehalten. Durchgreifende Entlastungs- oder Milderungsgründe seien nicht festzustellen. Der Beamte zeige keine Reue. Eine freiwillige Wiedergutmachung vor Tatentdeckung sei nicht geschehen. Die Rückgabe der Wasch- und Reinigungsmittel im Rahmen des Strafverfahrens sei aufgrund gesetzlicher Verpflichtung geschehen.

26

Die Klägerin beantragt,

27

den Beklagten aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen.

28

Der Beklagte beantragt,

29

die Disziplinarklage abzuweisen

30

hilfsweise

31

auf eine mildere Disziplinarmaßnahme zu erkennen

32

und ist der Auffassung, dass bereits kein schweres Dienstvergehen vorliege. Zweifel hinsichtlich der tatbestandlichen Feststellungen im Strafurteil bestünden hinsichtlich der Schadenshöhe. Die Ware sei nicht mehr für den Verkauf vorgesehen, sodass ein wesentlich geringerer Wert anzunehmen sei. Es handele sich um einen einmaligen Pflichtenverstoß. Neben den Polizeibeamten hätten sich auch andere Personen am Unfalltag Waren mitgenommen. Der Beklagte sei davon ausgegangen, dass er zur Mitnahme der Waren berechtigt gewesen sei. Diese Fehleinschätzung des Beamten sei erst später durch entsprechende Schulungen aufgeklärt worden. Zu berücksichtigen sei auch, dass der Beamte die verunfallte Ladung nicht für sich allein verwenden wollte, sondern diese mit zur Dienststelle zur dortigen Verteilung genommen habe. Ein derartiger Sachverhalt sei atypisch für einen Diebstahl. Daher sei allenfalls ein fahrlässiges Verhalten anzunehmen. Allein der Umstand, dass Polizeibeamte verunfallte Ladung in das Polizeifahrzeug verladen, stelle für an der Unfallstelle vorbeifahrende Personen keine Ansehensschädigung der Berufsgruppe der Polizeibeamten dar. Aufgrund der fehlerhaften Annahme, dass er zur Mitnahme der verunfallten Ladung berechtigt gewesen sei, habe er auch diese vor Entdeckung nicht herausgeben können. Ein endgültiger Vertrauensverlust des Dienstherrn oder der Allgemeinheit könne nicht angenommen werden. Der vorliegende Sachverhalt sei kein typischer - mit den sonstigen disziplinarrechtlich bedeutsamen Zugriffsdelikten vergleichbarer - Sachverhalt, sondern weise zahlreiche Besonderheiten bei der Tatbegehung über das Verteilungsverfahren bis zum Nachtatverhalten auf. All dies müsse mildernd berücksichtigt werden.

33

Die Klägerin erwidert:

34

Ein anderer als im Strafverfahren ermittelter Warenwert könne nur dann disziplinarrechtlich berücksichtigt werden, wenn die Schwelle der Geringwertigkeit einschlägig wäre. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Aufgrund der strafrichterlichen Feststellungen habe der Zeuge T. R. (Havariekommissar) dies die Waren nicht freigegeben. Der Beamte habe daher im Bewusstsein der Rechtswidrigkeit auch ohne Irrtum gehandelt. Auch gegen einen Mitarbeiter des Bergeunternehmens sei ermittelt worden. Im Übrigen rechtfertige dies nicht den Diebstahl durch Polizeibeamte. Hinsichtlich der Schwere des Dienstvergehens sei zu berücksichtigen, dass die Beamten nur aufgrund ihrer hoheitlichen Befugnisse sich die Ware beschaffen und herausgeben lassen konnten.

35

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte dieses Verfahrens sowie die des Parallelverfahrens 8 A 12/12 und die beigezogenen Verwaltungs- und Ermittlungsvorgänge verwiesen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

36

Die zulässige Disziplinarklage ist begründet. Der Beklagte hat ein Dienstvergehen gem. § 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG begangen, welches die Disziplinarmaßnahme der Kürzung der Dienstbezüge (§ 8 DG LSA) nach sich zieht.

37

Beamte begehen ein Dienstvergehen, wenn sie schuldhaft die ihnen obliegenden Pflichten verletzen (§ 47 Abs. 1 Satz BeamtStG). Die dem Beamten zur Last gelegten Pflichtenverstöße sind als ein innerdienstliches Dienstvergehen zu bewerten. Denn sie sind in Ausübung des Dienstes verwirklicht worden (vgl. zur Abgrenzung nur: VG Magdeburg, U. v. 29.01.2013, 8 A 22/12 MD, m. w. Nachw.; juris).

38

1.) Der disziplinarrechtlich zu bewertende Sachverhalt, welcher zur Verurteilung wegen gemeinschaftlichen Diebstahls mit Waffen führte, ergibt sich aus den tatsächlichen Feststellungen in dem rechtskräftigen Strafurteil des Landgerichts ... vom 16.08.2011, welche wiederum auf der Bindungswirkung aus dem Urteil des Landgerichts A-Stadt vom 04.11.2010 beruhen. Nach § 54 Abs. 1 Satz 1 DG LSA ist das Disziplinargericht an diese tatsächlichen Feststellungen gebunden. Die Bindung der Disziplinargerichte an tatsächlichen Feststellungen in Urteilen, die in einem sachgleichen Strafverfahren ergangen sind, ist eine die Nutzung besserer Ermittlungsmöglichkeiten der Strafverfolgungsbehörden sichernde und zugleich das Auseinanderfallen von Entscheidungen verschiedener Gerichtsbarkeiten in ein und derselben Sache zu hindern, bestimmte Ausnahme von der grundsätzlichen Freiheit der Gerichte bei der Feststellung des von ihnen unter bestimmten rechtlichen Gesichtspunkten zu beurteilenden Sachverhalts (BVerwG, U. v. 08.04.1986, 1 D 145.85; juris).

39

Eine rechtliche Möglichkeit zur Lösung von diesen tatsächlichen Feststellungen des Strafurteils nach § 54 Abs. 1 Satz 2 DG LSA sieht das Gericht nicht. Es ist in der disziplinarrechtlichen Rechtsprechung anerkannt, dass eine Lösung von den tatsächlichen Feststellungen eines Strafurteils nur ausnahmsweise und unter eng begrenzten Voraussetzungen möglich ist. Die Disziplinargerichte dürfen die eigene Entscheidungsfreiheit nicht an die Stelle der Entscheidung des Strafgerichtes setzen. Strafgerichtliche Feststellungen, die auf einer nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungswerte verstoßenden Beweiswürdigung beruhen, sind daher auch dann für die Disziplinargerichte bindend, wenn diese aufgrund eigener Würdigung abweichende Feststellungen für möglich halten. Nur erhebliche Zweifel sind daher geeignet, eine nochmalige Prüfung zu veranlassen. Die Disziplinargericht haben auch nicht die Richtigkeit der Beweiswürdigung der Strafgerichte zu überprüfen, insbesondere nicht festzustellen, ob etwa Zeugen die Wahrheit gesagt haben oder nicht, sondern lediglich zu prüfen, ob dem Strafgericht bei dem Vorgang der Überzeugungsbildung elementare Fehler unterlaufen sind. Dies lässt es zu, dass andere Wertungen denkbar sind und zu einem anderen Ergebnis führen können. Die bloße Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufs reicht für einen entsprechenden Lösungsbeschluss grundsätzlich nicht aus (vgl. BVerwG, U. v. 05.09.1990, 1 D 78.89; v. 07.10.1986, 1 D 46.86; OVG NRW, U. v. 29.10.1991, 1 V 10/89; VGH Baden-Württemberg, U. v. 18.06.2001, D 17 S 2/01; VG Regensburg, U. v. 09.12.2009, RO 10A DK 09.1074; VG Meiningen, U. v. 19.04.2010, 6 D 60014/09 Me; zuletzt: BVerwG, Beschluss v. 15.05.2013, 2 B 22/12; VG Magdeburg, Urteil v. 29.01.2013, 8 A 22/12; alle juris).

40

Die Bindungswirkung erstreckt sich auf den inneren und äußeren Tatbestand der Straftat, also auch auf Vorsatz sowie die Schuldfähigkeit (vgl. zuletzt OVG Lüneburg, U. v. 05.12.2012, 19 LD 3/12; juris).

41

Unter Zugrundelegung dieser Rechtsprechung hat die Disziplinarkammer keine Zweifel an der Richtigkeit der strafrichterlichen Feststellungen zu dem Tathergang. Ausgehend von der Bindungswirkung bestreitet dies der Beamte auch nicht, sondern zieht nur andere disziplinarrechtliche Schlussfolgerungen als die Klägerin daraus, die auch das Disziplinargericht teilt.

42

2.) Aufgrund des festgestellten Sachverhalts hat der Beklagte seine Dienstpflichten zur uneigennützigen Amtsführung (§ 34 Satz 2 BeamtStG) und zum achtungs- und vertrauenswürdigen Verhalten innerhalb und außerhalb des Dienstes (§ 34 Satz 3 BeamtStG) durch sein Verhalten verletzt. Die Verwirklichung der Tatbestände dieser Dienstpflichtverletzungen liegt aufgrund der tatbestandlichen Feststellungen des Strafgerichts und der Verurteilung auf der Hand. Unabhängig von der strafrechtlichen Einstufung der Tat des Beamten als (einfacher) Diebstahl nach § 242 StGB oder ein solcher mit Waffen (§ 244 Abs. 1 Nr. 1a StGB) hat der Beamte durch sein Verhalten ein sog. disziplinarrechtliches Zugriffsdelikt bzw. ein hinsichtlich der Schwere vergleichbares Delikt vorsätzlich und schuldhaft begangen, welches grundsätzlich den Ausspruch der disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahme rechtfertigt. Auch wenn es an der von einem Teil der disziplinarrechtlichen Rechtsprechung geforderten unmittelbaren Verminderung des Vermögensbestandes des Dienstherrn (3. b.) fehlt, ist gleichwohl wegen der generellen Schwere der Pflichtverletzung die Gleichstellung mit einem Zugriffsdelikt vorzunehmen. Die Besonderheiten des Einzelfalls gebieten es zur Überzeugung des Disziplinargerichts aber, eine geringere Schwere des Dienstvergehens (3.) und gewichtige Milderungsgründe (5.) anzunehmen, sodass die von der Disziplinarkammer unter angemessener Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten vorzunehmende Prognoseentscheidung die tenorierte Disziplinarmaßnahme rechtfertigt.

43

3.) Hinsichtlich der auszusprechenden Disziplinarmaßnahme ist die Schwere des Dienstvergehens unter angemessener Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten richtungsweisend (vgl. § 13 DG LSA). Die Schwere beurteilt sich nach objektiven Handlungsmerkmalen wie Eigenart und Bedeutung der Dienstpflichtverletzungen, den besonderen Umständen der Tatbegehung sowie Häufigkeit und Dauer eines wiederholten Fehlverhaltens, nach subjektiven Handlungsmerkmalen wie Form und Gewicht des Verschuldens des Beamten, den Beweggründen für sein Verhalten sowie nach den unmittelbaren Folgen für den dienstlichen Bereich und für Dritte. Davon ausgehend kommt es darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung im Einzelfall derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die durch die Schwere des Dienstvergehens indizierte Maßnahme geboten ist. Eine vollständige und richtige Gesamtwürdigung setzt voraus, dass die Disziplinarkammer die im Einzelfall bemessungsrelevanten, d. h. die für die Schwere des Dienstvergehens und das Persönlichkeitsbild bedeutsamen Tatsachen ermittelt und mit dem ihnen zukommenden Gewicht in die Gesamtbewertung einbezieht. Dies entspricht dem Zweck der Disziplinarbefugnis des Disziplinargerichts als einem Mittel der Funktionssicherheit des öffentlichen Dienstes. Dabei findet der Grundsatz „in dubio pro reo“ Anwendung. Die Disziplinargerichte dürfen nur solche belastenden Tatsachen in die Gesamtwürdigung einstellen, die zur Überzeugung des Gerichts feststehen. Demgegenüber müssen entlastende (mildernde) Umstände schon dann zu Gunsten des Beamten berücksichtigt werden, wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für ihr Vorliegen gegeben sind und eine weitere Sachverhaltsaufklärung nicht möglich ist (vgl. nur: VG Magdeburg, Urteil v. 29.11.2012, 8 A 12/11 und Urteil v. 27.10.2011, 8 A 2/11 mit Verweis auf BVerwG, U. v. 27.01.2011, 2 A 5.09; jüngst BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11/10, OVG Lüneburg, Urteil v. 14.11.2012, 19 LD 4/11; zuletzt ausführlich; VG Magdeburg, Urteil v. 29.11.2012, 8 A 12/11; alle juris).

44

Ein endgültiger Verlust des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit im Sinne von § 13 Abs. 2 Satz 1 DG LSA ist anzunehmen, wenn aufgrund der prognostischen Gesamtwürdigung auf der Grundlage aller im Einzelfall bedeutsamen be- und entlastenden Gesichtspunkte der Schluss gezogen werden muss, der Beamte werde auch künftig in erheblicher Weise gegen seine Dienstpflichten verstoßen oder die durch sein Fehlverhalten herbeigeführte Schädigung des Ansehens des Berufsbeamtentums sei bei einer Fortsetzung des Beamtenverhältnisses nicht wiedergutzumachen. Unter diesen Voraussetzungen muss das Beamtenverhältnis im Interesse der Leistungsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und der Integrität des Berufsbeamtentums beendet werden (BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11.10 mit Verweis auf Urteile v. 20.10.2005, 2 C 12.04, v. 03.05.2007, 2 C 9.06 und v. 29.05.2008, 2 C 59.07; alle juris).

45

Die Feststellung dieser für das berufliche Schicksal des Beamten und die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes in gleicher Weise bedeutsamen Voraussetzungen hat der Gesetzgeber in die Hand der Disziplinargerichte gelegt. Sie haben auf der Grundlage ihrer im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung aus einem umfassend aufgeklärten Sachverhalt zu bildenden Überzeugung eine Prognose über die weitere Vertrauenswürdigkeit des Beamten abzugeben. Fällt diese negativ aus, ist der Beamte aus dem Dienst zu entfernen, denn anders als bei den übrigen Disziplinarmaßnahmen besteht insoweit kein Ermessen.

46

a.) Das Verhalten des Beamten ist disziplinarrechtlich als Verstoß gegen die Uneigennützigkeit der Dienstausübung zu werten. Diese Dienstvergehen werden in der Rechtsprechung der Disziplinargerichte seit jeher als sehr schwerwiegend eingestuft, sodass der Ausspruch der Höchstmaßnahme Ausgangspunkt der disziplinarrechtlichen Überlegungen sein muss. Denn die uneigennützige, nicht auf den privaten Vorteil bedachte Führung der Dienstgeschäfte stellt eine wesentliche Grundlage des Berufsbeamtentums dar. Im Hinblick darauf ist die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis jedenfalls dann Richtschnur für die Bestimmung der angemessenen Disziplinarmaßnahme, wenn erhebliche Geldzahlungen geflossen (etwa bei Bestechlichkeit/Vorteilsnahme) oder verschoben (etwa bei Diebstahl/Unterschlagung/Betrug) wurden (vgl. zusammenfassend: BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11.10; juris). Zudem ist disziplinarrechtlich entscheidend, ob der Verstoß gegen die Uneigennützigkeit aufgrund einer besonderen Vertrauensstellung des Beamten beruht, das heißt, ob etwa ein Zugriff auf dienstlich anvertraute Gelder oder ein nicht unter Ausnutzung der dienstlichen Vertrauensstellung verübtes (Betrugs-)Delikt vorliegt (BVerwG, Beschluss v. 20.12.2011, 2 B 64.11, juris).

47

b.) Die disziplinarrechtliche Einstufung als Zugriffsdelikt knüpft nicht an die strafrechtliche Beurteilung des Tatgeschehens an. Es kommt nicht darauf an, ob ein Beamter dienstliche Gelder oder Güter z. B. durch Betrug, Diebstahl, Untreue oder Unterschlagung erlangt hat. Ein Zugriffsdelikt liegt vielmehr dann vor, wenn der Beamte dienstlich anvertraute Gelder und Güter veruntreut hat, wozu auch die Gebührenüberhebung, die Fundunterschlagung und der sogenannte Kollegendiebstahl zählen. Für die Bewertung als Zugriffsdelikt ist entscheidend, dass einem Beamten Gelder oder gleichgestellte Werte dienstlich anvertraut oder dienstlich zugänglich sind (BVerwG: stRspr; vgl. Urteil v. 08.04.2003, 1 D 27.02; Beschluss v. 20.12.2011, 2 B 64.11; alle juris). Ein Beamter, der sich bei der Ausübung seiner dienstlichen Tätigkeit an Vermögenswerten vergreift, die seinem Gewahrsam unterliegen, zerstört damit in aller Regel das für die Fortdauer des Beamtenverhältnisses notwendige Vertrauen in seine Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit, wenn die Beträge insgesamt die Schwelle der Geringwertigkeit deutlich überschreiten. Denn die Verwaltung ist auf die Redlichkeit und Zuverlässigkeit ihrer Bediensteten beim Umgang mit solchen Geldern und Gütern in hohem Maße angewiesen. Eine ständige und lückenlose Kontrolle eines jeden Mitarbeiters ist unmöglich und muss deshalb weitgehend durch Vertrauen ersetzt werden. Wer diese für das Funktionieren des öffentlichen Dienstes unabdingbare Vertrauensgrundlage zerstört, muss grundsätzlich mit der Auflösung des Beamtenverhältnisses rechnen (BVerwG, Urteile v. 20.10.2005, 2 C 12.04, v. 03.05.2007, 2 C 9.06, v. 25.10.2007, 2 C 43.07, v. 29.05.2008, 2 C 59.07; zuletzt VG Magdeburg, Urteil v. 29.01.2013, 8 A 5/11; Urteil v. 28.02.2013, 8 A 13/12; alle juris).

48

Dies gilt nach ständiger Rechtsprechung jedenfalls oberhalb einer Bagatellgrenze von derzeit 50 Euro (BVerwG, Urteil v. 28.03.1984, 1 D 63.83, Nds. OVG, U. v. 12.04.2007, 19 LD 4/06 und vom 08.02.2011, 6 LD 4/08; Bayr. VGH, U. v. 27.10.2010, 16 aD 09.2470; zusammenfassend vergleiche nur: VG Magdeburg, U. v. 17.06.2008, 8 A 2/08 MD und U. v. 31.03.2011, 8 A 2/10 und U. v. 29.03.2012, 8 A 3/11; auch OVG LSA, U. v. 24.08.2011, 10 L 3/11; alle juris). Ähnlich ist hier die Bagatellgrenze bei einem vom Strafgericht ermittelten anzunehmenden Warenwert von ca. 677 Euro weit überschritten. Auf die vom Beklagten gerügte Wertberechnung kommt es bereits wegen der Vielzahl der entwendeten Gegenstände und der damit unzweifelhaft überschrittenen Wertgrenze nicht an.

49

c.) Die Beurteilung des vorliegenden Einzelfalls gebietet es aber, die Besonderheiten zu berücksichtigen, die darin begründet liegen, dass es sich um Waren aus einer verunfallten Ladung, also Havariegut handelte, welches zudem später tatsächlich der Vernichtung verfiel. Ohne Zweifel waren die Beamten Kraft und Pflicht ihres Amtes aufgefordert, die Waren vor dem unbefugten Zugriff Fremder, wozu auch der Zugriff zu privaten Zwecken durch sie selbst zählt, zu schützen. Der Vorhalt des Dienstherrn, dass sie genau das getan haben, was sie hätten dienstlich verhindern müssen, trifft durchaus zu. Der strafrechtliche Diebstahlstatbestand ist gegeben. Denn es handelte sich mangels Freigabe durch den Havariekommissar nicht um herrenlose Gegenstände nach § 959 BGB.

50

Gleichwohl begingen die Beamten vorliegend kein „klassisches“ Zugriffsdelikt im Sinne der oben dargestellten disziplinarrechtlichen Rechtsprechung. Denn im Regelfall wird es aufgrund der besonderen dem Beamten eingeräumten Vertrauensstellung auch zu einem Vermögensschaden bei dem Dienstherrn kommen, weshalb ein Teil der disziplinarischen Rechtsprechung ausdrücklich die unmittelbare Verminderung des Vermögensbestandes zu Lasten des Dienstherrn verlangt (BVerwG, Urteil v. 21.07.1998, 1 D 51.97; Urteil v. 06.02.2001, 1 D 67.99; Urteil v. 23.02.2012, 2 C 38.10; alle juris). Wird diese „Schädigung des Dienstherrn“ bei unmittelbar gegen das Vermögen oder Eigentum des Dienstherrn aufgrund der eingeräumten Vertrauensstellung gerichteten Zugriffen, wie es die klassische Veruntreuung von polizeilichen Verwarngeldern darstellt, gegeben sein, so fehlt diese Voraussetzung doch in den Fällen, in denen es sich auch für den Dienstherrn um fremde Werte handelt. Bei vergleichbaren schweren Delikten nimmt die disziplinarrechtliche Rechtsprechung dann jedenfalls die Gleichstellung mit einem Zugriffsdelikt an (vgl. zu einem Diebstahl eines Polizeibeamten bei einer Anzeigenaufnahme: BVerwG, Urteil v. 23.02.2012, 2 C 38.10; zum Kollegendiebstahl; BVerwG, Urteil v. 29.05.2008, 2 C 59.07; Urteil v. 29.09.1998, 1 D 82.97; Beschluss v. 02.03.2012, 2 B 8.11; alle juris). Somit mag dem Beamten hier zwar das Havariegut dienstlich zugänglich gewesen sein, den Vermögensbestand des Dienstherrn hat er jedoch nicht unmittelbar gemindert. Geht man davon aus, dass das Havariegut später tatsächlich insgesamt frei gegeben, dass heißt der Vernichtung zugeführt wurde, ist gegenüber dem Dienstherrn auch kein irgendwie gearteter Schadensersatz- oder Regressanspruch entstanden.

51

Der eigentumsrechtliche Schutz der verunfallten Ladung war auch nicht der alleinige oder gar vordringliche Grund des dienstlichen Einsatzes der Beamten. Vorliegend standen die umfangreichen polizeilichen Sicherungs- und Bergungstätigkeiten an den Fahrzeugen und an der Unfallstelle im Vordergrund ihrer dienstlichen Tätigkeit. Die Kontrolle, das heißt, die Aufmerksamkeit über die verunfallte und zudem auf und entlang der Autobahn verstreute Ladung, geschah eher beiläufig, weil dieser von den Beamten von vornherein kein nennenswerter und damit eigentumsrechtlich relevanter Wert mehr beigemessen wurde. Denn nach übereinstimmender und stetiger Aussage der Beamten, welche sie auch während ihrer Befragung in der mündlichen Verhandlung vor dem Disziplinargericht glaubhaft wiederholten, gingen sie davon aus, dass die verunfallte Ladung für den weiteren Verkauf verloren war. In dieser Annahme waren sie durch frühere Vorkommnisse bestärkt. Auch wenn es sich bei früherem Havariegut um verderbliche Lebensmitteltransporte (Getränke- und Gemüselaster) gehandelt haben sollte, welche aufgrund hygienischer und lebensmittelrechtlicher Bestimmungen von vornherein nach einem nicht bestimmungsgemäßen Gebrauch, sprich einer Havarie, zum Weiterverkauf ungeeignet erschienen, mag sich bei den Beamten eine gewisse Vorstellung eingeschlichen haben, dass verunfallte Ladung generell entsorgt wird. Dies auch deswegen, weil frühere Havariekommissare derartige Ladung generell frei gegeben hätten. So spricht auch der Umstand, welcher von der Klägerin nicht bestritten wurde und im Strafurteil zugrunde gelegt wird, dass die Waren in der Folgezeit tatsächlich vernichtet wurden, für diesen generellen Umgang mit vergleichbaren Havariegütern. Dem strafgerichtlichen Urteil ist auch zu entnehmen, dass der Zeuge R. als Havariekommissar bestätigt habe, dass es gelegentlich vorkomme, dass Hilfskräfte, z. B. die Feuerwehr, für ihre Tätigkeiten einen Kasten Getränke mitnehmen durften. Sicherlich muss auch ein Unterschied bezüglich der Art und der offensichtlichen Werthaltigkeit der verunfallten Gegenstände gemacht werden. Schließt die bereits erwähnte verunfallte Ladung von Gemüsepaletten den Weiterverkauf offensichtlich aus, wird dies bei hochwertigen und zudem gut verpackten z. B. Elektro- und Elektronikgeräten, wie etwa Handys, nicht der Fall sein. Die Mitnahme derartiger offensichtlich hochwertiger Gegenstände ist von vornherein auch disziplinarrechtlich in einem anderen Lichte zu betrachten.

52

Daran gemessen waren die Gegenstände nicht etwa herrenlos und nach den tatbestandlichen Feststellungen des Strafgerichts erfolgte gerade keine Freigabe durch den Havariekommissar, sodass die Beamten nicht „auf der sicheren Seite“ bei der Mitnahme der Reinigungsmittel waren. Gerade die im Einzelfall komplizierten und rechtlich nicht eindeutig zu beantwortenden Fragen zur Herrenlosigkeit oder Abfalleigenschaft einer verunfallten Ware sollen sich die Polizeibeamten bei der Dienstausübung nicht stellen, um sich nicht dem Vorwurf der uneigennützigen Dienstausübung auszusetzen (VG Magdeburg, Urteil v. 23.03.2010, 8 A 27/09; bestätigt durch OVG LSA, Beschluss v. 17.06.2010, 10 L 5/10; beide juris). Dies auch weil bereits Zweifel daran bestehen, ob der Havariekommissar als Organ der Versicherungswirtschaft (vgl. Wikipedia) überhaupt die Kompetenz hatte, außer der rein versicherungsrechtlichen „Freigabe“ zugleich über die eigentumsrechtliche Position an des Hauhaltschemikalien zu verfügen (OVG LSA, Beschluss v. 17.06.2010, 10 L 5/10; juris).

53

Zwar geht auch das Disziplinargericht mit den tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts davon aus, dass kein rechtlich relevanter unvermeidbarer Tatbestands- oder Verbotsirrtum bei den Beamten vorlag. Gleichwohl darf das Disziplinargericht diese tatbestandliche Feststellung des Strafgerichts hinsichtlich der Schwere der Pflichtverletzung disziplinarrechtlich weiter bewerten, ohne sich von dieser bindenden Feststellung zu entfernen. Denn der disziplinarrechtlich relevante Lebenssachverhalt ist allein mit dieser strafrichterlichen Feststellung, welche zur Verurteilung führte, nicht abschließend bewertet. Das Landgericht hat nämlich auch festgestellt, dass niemand der an der Bergung Beteiligten und vor allem nicht der Havariekommissar eingeschritten sind, obwohl sie die Wegnahme der Waren durch die Beamten bemerkten und der Havariekommissar „sehr verwundert“ gewesen und ihm „Entsprechendes zuvor noch nicht vorgekommen“ sei. Mag dies auch aus einer gewissen Obrigkeitshörigkeit den Beamten als Uniformträgern gegenüber bedingt gewesen sein, so zeigt es aber auch, dass der Havariekommissar als Sachwalter der Eigentümer keinen Wert auf die Vollzähligkeit der Waren legte.

54

Der vorliegende Fall ist auch nicht mit dem Zugriff auf Vermögenswerte von im polizeilichen Gewahrsam befindlichen Personen oder während einer Hausdurchsuchung oder sonstigen polizeilichen Ermittlungen vergleichbar. In diesen Fällen nimmt die disziplinarrechtliche Rechtsprechung wegen der Schwere der Tat eine den Zugriffsdelikten vergleichbare Schwere an (vgl. BVerwG, Urteil v. 23.02.2012, 2 C 38.10; VG Berlin, Urteil v. 22.02.2011, 80 K 33.10 OL; VG Meiningen, Urteil v. 08.05.2006, 6 D 600011/02.Me; alle juris). Der Polizeibeamte der anlässlich einer Hausdurchsuchung etwa Bargeld oder Schmuck mitnimmt oder einer in Gewahrsam befindlichen Person Wertgegenstände abnimmt oder eine Fundunterschlagung begeht, weiß um die Fremdheit und die wertmäßige Beständigkeit der zugeeigneten Gegenstände. Denn diese sollen gerade nicht wie Havariegut vernichtet werden, was z. B. bei Bargeld unmissverständlich ist.

55

Zur Überzeugung der Disziplinarkammer haben diese Besonderheiten die beamtenrechtliche Pflichtverletzung jedenfalls begünstigt. Dass sich die Beamten unter diesen Voraussetzungen gerade die unversehrten Waschmittel- und Reinigungsprodukte herausgesucht haben, erscheint jedenfalls nicht erschwerend. Denn nur nicht beschädigte Behältnisse und Verpackungen eignen sich zum Transport. Entgegen der Wertung durch das Strafgericht und die Klägerin, dass die Vorgehensweise der Beamten besonders dreist sei, kann man die Tat daher auch als besonders naives Vorgehen bezüglich der Tatumstände ansehen. Die Schwere der Tat kann nach Auffassung der Disziplinarkammer auch nicht pauschalisierend mit dem „fehlenden Unrechtsbewusstsein“ der Beamten begründet werden. Denn den erfahrenen und unbescholtenen Polizeivollzugsbeamten darf unterstellt werden, dass sie Recht und Unrecht unterscheiden können aber hier aufgrund ihres fehlerhaften Vorstellungsbildes für sie ein besonderer Fall vorlag. Dies auch deswegen, weil sie den Großteil der Reinigungsmittel nicht etwa für sich verwenden wollten, sondern zur Weiterverteilung unter den Kollegen mit zur Wache nahmen und somit eine Vielzahl von Mittätern und Mitwissern in den Vorgang einweihten.

56

Abweichend von dem strafrechtlichen Ansatz sieht das Disziplinargericht in der Tatsache, dass die Beamten ihre schussbereiten Dienstwaffen bei der Tatbegehung bei sich führten und sich dessen auch bewusst waren, so dass der Straftatbestand des Diebstahl mit Waffen erfüllt ist, jedenfalls in dem hier zu beurteilenden Einzelfall keine disziplinarrechtlich bedeutsame Verschärfung des Pflichtenverstoßes. Disziplinarrechtlich einschlägig sind der Pflichtenverstoß gegen die Wohlverhaltenspflicht und die Uneigennützigkeit durch den im Dienst begangenen Diebstahl. Dass die Beamten dabei die Waffe quasi als Teil der Uniform bei sich führten, ohne diese einzusetzen, verschärft die beamtenrechtlichen Pflichtenverstöße - anders als die strafrechtliche Deliktbegehung - in diesem Fall nicht.

57

Zwar dürfte die erfolgte Berichterstattung in den Medien dazu beigetragen haben, dass die Tat in der Öffentlichkeit bekannt wurde und zu einer Ansehensschädigung der Berufsgruppe der Polizeibeamten geeignet erscheint (vgl. zur disziplinarrechtlichen Zurechenbarkeit von Medienveröffentlichungen: BVerwG, Urteil v. 30.10.2012, 2 WD 28.11; juris). Die Beobachtung der Tat durch vorbeifahrende Kraftfahrzeuginsassen sieht das Disziplinargericht aber als weniger bedeutsam an. Auch soweit diese das Geschehen fotografiert oder gefilmt haben dürften, wird dies eher aus einem allgemeinen Interesse an dem Unfallgeschehen (Gaffer) und nicht der Dokumentation rechtswidriger Handlungen durch Polizeibeamte geschuldet gewesen sein. Dabei mag die Art der Handlungen, das heißt das mehrmalige Bücken nach den Reinigungsmitteln und deren Transportieren durch zahlreiches Herumlaufen auf der Autobahn und Verbringung in den Streifenwagen unter körperlicher Anstrengung dem unbeteiligten Beobachter eher der Belustigung dienen als der Gewissheit, Augenzeuge einer Straftat durch Polizeibeamte zu sein. Nach lebensnaher Auslegung werden vorbeifahrende Personen das Handeln der Beamten eher als eine Sicherstellung und nicht als eine Diebstahltat interpretiert haben.

58

4.) Wie sich bereits aus den bindenden Feststellungen des Strafgerichts zur inneren Tatseite ergibt, handelten die Beamten nicht nur fahrlässig, sondern vorsätzlich und schuldhaft. Hinsichtlich des Verschuldensgrades handelten die Beamten strafrechtlich wie disziplinarrechtlich vorsätzlich. Insoweit schließt sich das Disziplinargericht nicht den Ausführungen des Beamten N. an, wonach – disziplinarrechtlich – nur ein fahrlässiges Verhalten anzunehmen sei. Zwar bezieht sich der disziplinarrechtliche Schuldvorwurf auf die Dienstpflichtverletzung (vgl. § 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG), wogegen der strafrechtliche Schuldansatz auf der Verletzung der Strafvorschrift beruht. So mag es Fälle geben, wo straf- und disziplinarrechtlicher Schuldvorwurf auseinanderfallen können. Jedoch gilt dies vorliegend nicht. Denn die vorsätzliche Begehung der Diebstahlsstraftat geht einher mit der vorsätzlichen Begehung des dienstrechtlichen Pflichtenverstoßes gegen die beamtenrechtliche Wohlverhaltenspflicht und die Uneigennützigkeit. Insoweit sind beide Schuldvorwürfe identisch. Polizeibeamte haben Straftaten zu verhindern und nicht zu begehen. Die Evidenz und damit das Bewusstsein der Pflichtwidrigkeit ist besonders dort eindeutig, wo schon die allgemein gültige und bekannte Rechtsordnung, wie etwa im Strafrecht, Verhaltensnormen setzt (vgl. nur: Hummel/Köhler/Mayer, BDG 4. Auflage 2009, A. I. 4, Rz. 31, 33). Insoweit wiegt der Verstoß gegen leicht und einfach einzusehende Dienstpflichten besonders schwer (vgl. zuletzt bei Vorliegen der beamtenrechtlichen Ungeeignetheit: VG Magdeburg, Urteil v. 30.04.2013, 8 A 18/12; juris).

59

5.) Aufgrund der dargestellten Besonderheiten bei der Begehung der Pflichtenverstöße, sieht das Disziplinargericht bereits eine im Vergleich zu den klassischen Zugriffsdelikten abgemilderte Schwere des Dienstvergehens. Im Zusammenhang mit den nach jüngster Disziplinarrechtsprechung stets und ausführlich zu prüfenden Entlastungsgründen (Milderungsgründe), ist das Disziplinargericht bei der von ihm und nicht vom Dienstherrn vorzunehmenden Prognoseentscheidung der Überzeugung, dass das dem Beamten vom Dienstherrn und der Allgemeinheit entgegengebrachte Vertrauen noch nicht als endgültig verloren anzusehen ist.

60

Die prognostische Frage nach dem Umfang der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit (§ 13 DG LSA) betrifft die Erwartung, dass sich der Beamte aus der Sicht des Dienstherrn und der Allgemeinheit so verhält, wie es von ihm im Hinblick auf seine Dienstpflichten als berufserforderlich erwartet wird. Das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit in die Person des Beamten bezieht sich in erster Linie auf dessen allgemeinen Status als Beamter (vgl. BVerwG, Urteil v. 20.01.2004, 1 D 33.02; juris), daneben aber auch auf dessen konkreten Tätigkeitsbereich innerhalb der Verwaltung und auf dessen konkret ausgeübte Funktion, z. B. als Vorgesetzter. Ob und gegebenenfalls inwieweit eine Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn vorliegt, ist nach objektiven Gesichtspunkten zu beurteilen. Entscheidend ist nicht die subjektive Einschätzung des jeweiligen Dienstvorgesetzten, sondern die Frage, inwieweit der Dienstherr bei objektiver Gewichtung des Dienstvergehens auf der Basis der festgestellten belastenden und entlastenden Umstände noch darauf vertrauen kann, dass der Beamte in Zukunft seinen Dienstpflichten ordnungsgemäß nachkommen wird. Entscheidungsmaßstab ist insoweit, in welchem Umfang die Allgemeinheit dem Beamten noch Vertrauen in eine zukünftig pflichtgemäße Amtsausübung entgegenbringen würde. Dies unterliegt uneingeschränkter verwaltungsgerichtlicher Nachprüfung (vgl. zum Ganzen: BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11.10 mit Verweis auf Urteile v. 20.10.2005, 2 C 12.04, v. 03.05.2007, 2 C 9.06 und v. 29.05.2008, 2 C 59.07; zuletzt: VG Magdeburg, Urteil v. 30.04.2013, 8 A 18/12; alle juris).

61

Entlastungsgründe stellen zum einen die von der Rechtsprechung bezüglich der sog. Zugriffsdelikte entwickelten und anerkannten Milderungsgründe dar, die besondere menschliche Konfliktsituationen beschreiben. Hierzu zählen etwa das Handeln in einer existenziellen wirtschaftlichen Notlage oder einer körperlichen oder psychischen Ausnahmesituation oder besonderen Versuchssituationen oder eine persönlichkeitsfremde Einzelverfehlung des Beamten wie auch „Entgleisungen“ während einer negativen, inzwischen überwundenen, durch Alkohol, Drogen oder Schicksalsschlägen bedingte Lebensphase. Der Milderungsgrund der Geringwertigkeit eines verursachten Schadens oder des geldlichen Vorteils der Handlung wird bei etwa 50,00 Euro gezogen. Auch besondere, die Dienstpflichtverletzung begünstigende Handlungen und mangelnde Kontrollen des Dienstherrn können im Einzelfall wie ein besonderes Nachtatverhalten die Schwere der Verfehlung mildern. Zeitlich überlange Disziplinarverfahren können wegen des disziplinarrechtlichen Beschleunigungsgebotes und der mit dem Disziplinarverfahren verbundenen persönlichen Belastungen jedenfalls bei Maßnahmen der Pflichtenmahnung berücksichtigt werden. Entlastungsgründe können sich aber zum anderen auch aus allen Besonderheiten ergeben, die es im Einzelfall wegen der persönlichkeitsbedingten an § 13 DG LSA zu orientierenden Prognoseentscheidung gebieten, von der disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahmen Abstand zu nehmen. Die entlastenden Gründe sind nicht (mehr) allein auf den in der Rechtsprechung entwickelten Kanon der anerkannten Milderungsgründe beschränkt (BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11.10, m. w. Nachw.; juris). Diese Besonderheiten müssen aber in ihrer Gesamtheit geeignet sein, die Schwere des Pflichtenverstoßes erheblich herabzusetzen. Generell gilt, dass das Gewicht der Entlastungsgründe umso größer sein muss, je schwerer das Delikt aufgrund der Schadenshöhe sowie der Tatumstände, wie Anzahl, Häufigkeit, Zeitraum, Verschiedenartigkeit und Tatausführung wiegt (im Ganzen ausführlich: VG Magdeburg, Urt. v. 29.11.2012, 8 A 12/11, v. 31.03.2011, 8 A 2/10 MD und v. 27.10.2011, 8 A 2/11, mit Verweis auf BVerwG, Urt. v. 24.05.2007, 2 C 28.06, Urt. v. 06.06.2007, 1 D 2.06, Urt. v. 29.05.2008, 2 C 59.07; Bayr. VGH, Urt. v. 27.10.2010, 16 aD 09.2470; OVG Lüneburg, Urt. v. 08.02.2011, 6 LD 4/08; alle juris). Auch eine dienstliche Überlastung kann einen Milderungsgrund darstellen (VG Magdeburg, Urteil v. 29.01.2013, 8 A 5/11; juris).

62

Unstreitig sind die Beamten über den Umgang mit Havariegut nicht belehrt worden. In der Presse wurde berichtet, dass erst diese Vorfälle Anlass für den Dienstherrn waren, entsprechende Regelungen zu erlassen und klar zu stellen, dass auch verworfene Ware nicht mitgenommen werden darf (Pressespiegel, 04.10.201; Bl. 276 Beiakte B). Lässt das Disziplinargericht aufgrund der Ausführungen zur Schwere des Dienstvergehens auch keinen Zweifel daran, dass den Beamten aufgrund ihrer Dienst- und allgemeinen Lebenserfahrung die Pflichtwidrigkeit ihres Handels hätte bewusst sein müssen, so ist die fehlende Erlasslage doch geeignet, den Vorfall in einem milderen Licht erscheinen zu lassen. Dabei geht es weniger darum, Polizeibeamte über jede verbotene und sich zudem als solche aufdrängende Handlung zu belehren, wie es die Klägerin meint. Jedem Polizeibeamten werden die gesetzlichen und erlassmäßigen Regelungen, die sein polizeiliches Handeln bestimmen, bekannt sein. Es ist jedoch feststellbar, dass anscheinend eine gesamte Dienststelle mit mehreren handelnden Beamten bis hin zum Vorgesetzten und Dienstgruppenleiter den Umgang mit dem Havariegut in der hier vorzuhaltenden Art und Weise pflegten. Diese Tatsache kann nicht einfach mit der Kriminalisierung der gesamten Dienststelle abgetan werden, sondern erklärt sich eben auch aufgrund der Erfahrungen aus dem Umgang mit der verunfallten Ladung in der Vergangenheit. Eine derartige „Grauzone“ ist nunmehr durch die Weisung erschöpfend geklärt, dass sogar freigegebene Ware nicht mitgenommen werden darf.

63

Zur Überzeugung der Disziplinarkammer ist davon auszugehen, dass die lange Verfahrensdauer, die Suspendierung mit Gehaltskürzung und wirtschaftlichen Einbußen, die über mehrere Instanzen geführten Strafverfahren aber auch die für die Beamten makelbehaftete Berichterstattung und letztendlich das durchgeführte Disziplinarverfahren bei dem Beamten die gehörige Wirkung hinterlassen haben und die Gewähr dafür bieten, dass er in Zukunft derartige Pflichtversäumnisse nicht begehen wird (vgl. zu diesen Voraussetzungen: BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11/10; zuletzt: VG Magdeburg, Urteil v. 29.01.2013, 8 A 5/11; alle juris). Die Tat war einmalig und der Beamte war bislang straf- wie disziplinarrechtlich unbescholten. Auch die bisherige Unbescholtenheit kann disziplinarrechtlich bei Maßnahmen der Pflichtenmahnung Berücksichtigung finden (VG Magdeburg, Urteil v. 30.04.2013, 8 A 18/12; juris).

64

6.) Unter Beachtung der vorstehend dargestellten Besonderheiten geht das Disziplinargericht bei der der nach § 13 DG LSA notwendigen Gesamtbewertung der Pflichtenverstöße unter Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten davon aus, dass dem Beklagten noch ein Restvertrauen in der Weise entgegengebracht werden kann, was das Absehen von den beiden disziplinarrechtlich als Höchstmaßnahmen bezeichneten Disziplinarmaßnahmen rechtfertigt. Gleichwohl hält die Disziplinarkammer nach § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 DG LSA den Ausspruch der nächst schärfsten Disziplinarmaßnahme in Form der gehörigen Kürzung der Dienstbezüge nach § 8 DG LSA - und hier unter Ausnutzung der Höchstkürzung von einem Fünftel auf längstens drei Jahre – zur Pflichtenmahnung für angemessen und erforderlich. Dies auch deswegen, um eine verhältnismäßige Abstufung zu den weiteren dem Disziplinargericht bekannten Disziplinarmaßnahmen gegenüber den beteiligten Beamten herzustellen. So wurde der Kollege, welcher die von den Beamten auf der Autobahn mitgenommenen Reinigungsmittel in der Dienstgarage mitnahm, mit einer Geldbuße in Höhe von 150 Euro (VG Magdeburg, U. v. 23.03.2010, 8 A 27/09 MD; bestätigt durch OVG LSA, B. v. 17.06.2010, 10 L 6/10; beide juris) und der Dienstgruppenleiter mit einer Gehaltskürzung belegt.

65

7.) Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 72 Abs. 1 Satz 1, 73 Abs. 1 DG LSA. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


ra.de-Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht Magdeburg Urteil, 05. Juni 2013 - 8 A 11/12

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Verwaltungsgericht Magdeburg Urteil, 05. Juni 2013 - 8 A 11/12

Referenzen - Gesetze

Verwaltungsgericht Magdeburg Urteil, 05. Juni 2013 - 8 A 11/12 zitiert 11 §§.

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Zivilprozessordnung - ZPO | § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung


Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:1.Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;2.Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;3.Urteile, dur

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 167


(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs. (2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungskl

Strafgesetzbuch - StGB | § 242 Diebstahl


(1) Wer eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar.

Beamtenstatusgesetz - BeamtStG | § 34 Wahrnehmung der Aufgaben, Verhalten und Erscheinungsbild


(1) Beamtinnen und Beamte haben sich mit vollem persönlichem Einsatz ihrem Beruf zu widmen. Sie haben die übertragenen Aufgaben uneigennützig nach bestem Gewissen wahrzunehmen. Ihr Verhalten innerhalb und außerhalb des Dienstes muss der Achtung und d

Beamtenstatusgesetz - BeamtStG | § 47 Nichterfüllung von Pflichten


(1) Beamtinnen und Beamte begehen ein Dienstvergehen, wenn sie schuldhaft die ihnen obliegenden Pflichten verletzen. Ein Verhalten außerhalb des Dienstes ist nur dann ein Dienstvergehen, wenn es nach den Umständen des Einzelfalls in besonderem Maße g

Strafgesetzbuch - StGB | § 244 Diebstahl mit Waffen; Bandendiebstahl; Wohnungseinbruchdiebstahl


(1) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer 1. einen Diebstahl begeht, bei dem er oder ein anderer Beteiligter a) eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt,b) sonst ein Werkzeug oder Mittel b

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 959 Aufgabe des Eigentums


Eine bewegliche Sache wird herrenlos, wenn der Eigentümer in der Absicht, auf das Eigentum zu verzichten, den Besitz der Sache aufgibt.

Strafprozeßordnung - StPO | § 325 Verlesung von Urkunden


Bei der Berichterstattung und der Beweisaufnahme können Urkunden verlesen werden; Protokolle über Aussagen der in der Hauptverhandlung des ersten Rechtszuges vernommenen Zeugen und Sachverständigen dürfen, abgesehen von den Fällen der §§ 251 und 253,

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Verwaltungsgericht Magdeburg Urteil, 05. Juni 2013 - 8 A 11/12 zitiert oder wird zitiert von 11 Urteil(en).

Verwaltungsgericht Magdeburg Urteil, 05. Juni 2013 - 8 A 11/12 zitiert 10 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Verwaltungsgericht Magdeburg Urteil, 05. Juni 2013 - 8 A 12/12

bei uns veröffentlicht am 05.06.2013

Tatbestand 1 Die Klägerin führt die Disziplinarklage gegen den Polizeivollzugsbeamten im Rang eines Polizeiobermeisters mit dem Ziel seiner Entfernung aus dem Beamtenverhältnis. 2 Der 1963 geborene Beamte erlernte nach dem Beruf der zehnklassige

Verwaltungsgericht Magdeburg Urteil, 30. Apr. 2013 - 8 A 18/12

bei uns veröffentlicht am 30.04.2013

Tatbestand 1 Der Kläger führt die Disziplinarklage gegen den beklagten Beamten im Rang eines Obersekretärs im Justizvollzugsdienst (BesGr. A 7 BBesO) mit dem Ziel seiner Entfernung aus dem Dienst. Der Beklagte ist Beamter des allgemeinen Vollzugs-

Bundesverwaltungsgericht Beschluss, 15. März 2013 - 2 B 22/12

bei uns veröffentlicht am 15.03.2013

Gründe 1 Die Beschwerde des Beklagten hat mit der Maßgabe Erfolg, dass der Rechtsstreit gemäß § 70 des Landesdisziplinargesetzes Brandenburg - LDG - i.V.m. § 133 Abs. 6

Verwaltungsgericht Magdeburg Urteil, 28. Feb. 2013 - 8 A 13/12

bei uns veröffentlicht am 28.02.2013

Tatbestand 1 Die Klägerin betreibt die Disziplinarklage gegen den im Rang eines Polizeiobermeisters (BesGr. A 8 BesO) stehenden beklagten Polizeivollzugsbeamten mit dem Ziel seiner Entfernung aus dem Dienst. 2 Der 1963 geborene Polizeibeamte

Verwaltungsgericht Magdeburg Urteil, 29. Jan. 2013 - 8 A 22/12

bei uns veröffentlicht am 29.01.2013

Gründe I. 1 Der 1967 in A. geborene Polizeimeister besuchte die Polytechnische Oberschule R. und absolvierte anschließend bis 1987 eine Ausbildung zum Instandhaltungsmechaniker, welche er mit dem Facharbeiterabschluss abschloss. Von 1987 bis 19

Verwaltungsgericht Magdeburg Urteil, 29. Jan. 2013 - 8 A 5/11

bei uns veröffentlicht am 29.01.2013

Tatbestand 1 Der Kläger führt die Disziplinarklage gegen die beklagte verbeamtete Gerichtsvollzieherin mit dem Ziel ihrer Entfernung aus dem Dienst. 2 Die 1976 geborene Beamtin beendete 1994 ihre Schulausbildung mit der Ablegung des Abiturs. Ans

Verwaltungsgericht Magdeburg Urteil, 29. Nov. 2012 - 8 A 12/11

bei uns veröffentlicht am 29.11.2012

Tatbestand 1 Die Klägerin führt die Disziplinarklage gegen den verbeamteten Beklagten mit dem Ziel der Entfernung des Beamten aus dem Beamtenverhältnis. 2 Der 1959 geborene Beamte ist im Rang eines Polizeihauptmeisters (BesGr. A 9 LBesO) bei der

Bundesverwaltungsgericht Urteil, 29. März 2012 - 2 A 11/10

bei uns veröffentlicht am 29.03.2012

Tatbestand 1 Der 19.. geborene Beklagte schloss im Jahr 19.. die Ausbildung zum Diplom-Verwaltungswirt (FH) ab. 19.. trat er als Angestellter in den Dienst des Bundesnac

Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt Beschluss, 17. Juni 2010 - 10 L 5/10

bei uns veröffentlicht am 17.06.2010

Gründe 1 Soweit sich der Kläger in seinem die Antragsbegründung einleitenden Satz ohne Differenzierung auf die Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils, der wohl besonderen rechtlichen Schwierigkeiten s

Verwaltungsgericht Magdeburg Urteil, 23. März 2010 - 8 A 27/09

bei uns veröffentlicht am 23.03.2010

Tatbestand 1 Der Kläger ist Polizeivollzugsbeamter im Land Sachsen-Anhalt im Rang eines Polizeimeisters und wendet sich gegen eine disziplinarrechtliche Geldbuße in Höhe von 150 Euro durch Bescheid vom 30.07.2009. 2 Die Disziplinarverfügung führ
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Verwaltungsgericht Magdeburg Urteil, 05. Juni 2013 - 8 A 11/12.

Verwaltungsgericht Magdeburg Urteil, 05. Juni 2013 - 8 A 12/12

bei uns veröffentlicht am 05.06.2013

Tatbestand 1 Die Klägerin führt die Disziplinarklage gegen den Polizeivollzugsbeamten im Rang eines Polizeiobermeisters mit dem Ziel seiner Entfernung aus dem Beamtenverhältnis. 2 Der 1963 geborene Beamte erlernte nach dem Beruf der zehnklassige

Referenzen

Bei der Berichterstattung und der Beweisaufnahme können Urkunden verlesen werden; Protokolle über Aussagen der in der Hauptverhandlung des ersten Rechtszuges vernommenen Zeugen und Sachverständigen dürfen, abgesehen von den Fällen der §§ 251 und 253, ohne die Zustimmung der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten nicht verlesen werden, wenn die wiederholte Vorladung der Zeugen oder Sachverständigen erfolgt ist oder von dem Angeklagten rechtzeitig vor der Hauptverhandlung beantragt worden war.

(1) Wer eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(1) Beamtinnen und Beamte haben sich mit vollem persönlichem Einsatz ihrem Beruf zu widmen. Sie haben die übertragenen Aufgaben uneigennützig nach bestem Gewissen wahrzunehmen. Ihr Verhalten innerhalb und außerhalb des Dienstes muss der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden, die ihr Beruf erfordern.

(2) Beamtinnen und Beamte haben bei der Ausübung des Dienstes oder bei einer Tätigkeit mit unmittelbarem Dienstbezug auch hinsichtlich ihres Erscheinungsbilds Rücksicht auf das ihrem Amt entgegengebrachte Vertrauen zu nehmen. Insbesondere das Tragen von bestimmten Kleidungsstücken, Schmuck, Symbolen und Tätowierungen im sichtbaren Bereich sowie die Art der Haar- und Barttracht können eingeschränkt oder untersagt werden, soweit die Funktionsfähigkeit der Verwaltung oder die Pflicht zum achtungs- und vertrauenswürdigen Verhalten dies erfordert. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn Merkmale des Erscheinungsbilds nach Satz 2 durch ihre über das übliche Maß hinausgehende besonders individualisierende Art geeignet sind, die amtliche Funktion der Beamtin oder des Beamten in den Hintergrund zu drängen. Religiös oder weltanschaulich konnotierte Merkmale des Erscheinungsbilds nach Satz 2 können nur dann eingeschränkt oder untersagt werden, wenn sie objektiv geeignet sind, das Vertrauen in die neutrale Amtsführung der Beamtin oder des Beamten zu beeinträchtigen. Die Einzelheiten nach den Sätzen 2 bis 4 können durch Landesrecht bestimmt werden. Die Verhüllung des Gesichts bei der Ausübung des Dienstes oder bei einer Tätigkeit mit unmittelbarem Dienstbezug ist stets unzulässig, es sei denn, dienstliche oder gesundheitliche Gründe erfordern dies.

Tatbestand

1

Die Klägerin führt die Disziplinarklage gegen den Polizeivollzugsbeamten im Rang eines Polizeiobermeisters mit dem Ziel seiner Entfernung aus dem Beamtenverhältnis.

2

Der 1963 geborene Beamte erlernte nach dem Beruf der zehnklassigen Polytechnischen Oberschule 1979 den Beruf eines Heizungsinstallateurs. Danach leistete er zwischen 1981 und 1984 seinen Wehrdienst ab. Im Anschluss daran war er in der Firma … beschäftigt. Seit 1986 befindet er sich im Polizeidienst. 1991 erfolgte unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe seine Ernennung zum Polizeihauptwachtmeister z. A. und 1992 die Ernennung zum Polizeimeister. Die Verbeamtung auf Lebenszeit erfolgte 1994 und 1995 wurde der Beamte zum Polizeiobermeister befördert. Seit 1996 ist der Beamte beim Bundesautobahn-Polizeirevier A-Stadt beschäftigt.

3

Die letzte dem Beamten erstellte dienstliche Beurteilung aus dem Jahr 2007 schließt mit der Gesamtnote „befriedigend“ bei 263 Gesamtpunkten.

4

Der Beamte ist seit dem 14.11.2008 vorläufig des Dienstes enthoben bei einer Kürzung seiner Dienstbezüge von 5. v. H.. Der Beamte ist bis zu den hier einschlägigen Geschehnissen weder straf- noch disziplinarrechtlich vorbelastet.

5

Der Beamte ist geschieden und hat ein Kind.

6

Mit der Disziplinarklage vom 19.04.2012 schuldigt die Klägerin den Beklagten an, ein schweres Dienstvergehen gem. § 47 Abs. 1 Satz 1 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) begangen zu haben, in dem er

7

während der Dienstzeit einen gemeinschaftlichen Diebstahl mit Waffen begangen habe.

8

Hinsichtlich des Tatgeschehens wird auf die Feststellungen in dem Urteil des Landgerichts … vom 19.05.2011 (…) und des Landgerichts A-Stadt vom 04.11.2010 (…) Bezug genommen, in welchem es heißt:

9

„Am 30.06.2008 ereignete sich gegen 18.00 Uhr auf der Bundesautobahn 9 in Höhe des Kilometers 84 (Fahrtrichtung München) ein Verkehrsunfall, an dem zwei Lastwagen beteiligt waren. Hierbei prallte ein mit Wasch- und Reinigungsmitteln der Firma ... Wasch- und Reinigungsmittel GmbH beladener Lkw Mercedes Benz, amtliches Kennzeichen … gegen einen mit Schrottteilen beladenen Lkw MAN, amtliches Kennzeichen …. Der auffahrende Lkw Mercedes Benz erlitt hierbei erhebliche Beschädigungen und kam mit abgeknicktem Fahrerhaus quer zur Fahrbahn zum Stehen. Die Abdeckplanen des Aufliegers wurden beschädigt, erhebliche Teile der geladenen Waren fielen über die gesamte Fahrbahnbreite aus dem Auflieger heraus auf die Fahrbahn; die auf dem Auflieger verbliebene Restladung verschob sich ....

10

Während ihres Einsatzes im Bereich der Unfallstelle auf der Autobahn beluden die Angeklagten, einvernehmlich handelnd und die Handlungen des jeweils anderen billigend, den Kofferraum des Dienstwagen Mercedes E-Klasse Kombi mit aus dem Unfallereignis herrührenden Reinigungs- und Waschmittelprodukten, um diese für sich bzw. ihre Kollegen zu verwenden. Der Angeklagte L. ließ sich herbei von dem Zeugen G. R. zwei 5-Liter-Kanister aus einer auf dem Auflieger befindlichen, bereits mit Spanngurten festgezurrten Warenpalette herausholen, um diese zur eigenen Verwendung mitzunehmen. Zu einem späteren Zeitpunkt, nach Verbringung des Aufliegers auf den Hof des Bergeunternehmens, begab sich der Angeklagte L. auf die Ladefläche des Aufliegers, um von dort mehrere Pakete Waschpulver zu entnehmen und gleichfalls in den Dienstwagen zum Abtransport zu verbringen.

11

Insgesamt befanden sich in dem Dienstwagen mindestens die folgenden Waschmittel- und Reinigungsprodukte:

12

Aufzählung 46 Anstriche z. B. mit Pril, Vernel, Weißer Riese, Somat, Persil, Fleckenspray, WC-frisch Reinigungswürfel etc. in unterschiedlichen Mengen (S. 5-6 Urteil LG … vom 16.08.2011).

13

Die eingepackten Kartons mit Persil Waschmittel Tabs, Somat Geschirrspülreiniger Tabs, WC-Ente, Pril, Spüli, Vernel Weichspüler und Sil Fleckenspray wiesen keine maßgeblichen erkennbaren äußeren Beschädigungen auf und waren weder aufgeweicht noch verklebt. Die Angeklagten handelten in dem Bewusstsein, dass es sich bei den von ihnen eingeladenen Haushaltschemikalien nicht um ungebrauchte Ware handelte, sondern allenfalls um marginal angedrückte bzw. beschmutzte Ladungsbestandteile, deren Verwertbarkeit nicht eingeschränkt war.

14

Die Angeklagten verbrachten diese Gegenstände sodann zu ihrer Dienststelle, lagerten sie in einer dort befindlichen Garage ab und kehrten zum Einsatz zurück. Zum Schichtende erfolgte die Aufteilung zumindest dieser zu späterem Zeitpunkt zurückgegebener Reinigungsmittel an die Angeklagten und drei weitere Beamte der Schicht, die diese in ihren Privat-PKW abtransportierten.

15

Der Verkaufswert vergleichbarer unbeschädigter Ware beläuft sich auf 677,-- €.

16

Während ihres Diensteinsatzes trugen die Angeklagten ihre geladenen und schussbereiten Dienstwaffen - Sig Sauer P 225 - im Halfter bei sich. Deren Einsatz erfolgte am Tatabend nicht; eine den Einsatz naheliegende Situation bestand zu keinem Zeitpunkt.“

17

Zur inneren Tatseite trifft das Urteil folgende Feststellungen:

18

„...Die ergänzenden Feststellungen zur inneren Tatseite haben ergeben, dass beide Angeklagte erfahrene Autobahnpolizisten sind. Der Angeklagte L. ist seit 1982 im Polizeidienst und im Tatzeitpunkt seit acht Jahren bei der Bundesautobahnpolizei, der Angeklagte B. seit 1986 im Polizeidienst und seit 1996 bei der Bundesautobahnpolizei gewesen. In diesem Rahmen waren beide öfter bei Unfällen eingesetzt, bei denen es Todesopfer gegeben hat. Bei Dienstantritt am Tattag hatten beide Angeklagte keine persönlichen Sorgen oder Probleme. Für den Angeklagten L. war der Nachtdienst am Tattag der letzte Arbeitstag. Er plante am kommenden Montag eine Urlaubsfahrt nach Bayern anzutreten und hat dies auch umgesetzt. Der Einsatz am Tattag brachte zwar für beide wegen der Notwendigkeit die Autobahn zügig freizuräumen, gewissen psychischen Druck mit sich, unterschied sich jedoch nicht von regelmäßig anfallenden normalen Einsätzen der Bundesautobahnpolizei. Zudem waren die dringendsten Unfallaufnahme- und Sicherungsmaßnahmen des schon gegen 18 Uhr geschehenen Unfalls bereits durch die Polizeibeamten J. und S. und danach ab 19.30 Uhr von den Kollegen der LKW-Kontrollgruppe vorgenommenen worden, als die Angeklagten gegen 22.00 Uhr - etwa vier Stunden nach dem Unfall - am Unfallort erschienen. Besonders belastende Umstände wie schwere Verletzungen oder Todesfällen von Personen sind nicht aufgetreten....

19

Die Feststellungen der Kammer beruhen auf den Einlassungen der Angeklagten in der neuen Berufungsverhandlung, soweit ihnen geglaubt werden kann, den gemäß § 325 StPO verlesenen Bekundungen der Zeugen J. und B. vor dem Amtsgericht B. vom 26. April 2010 und den Auskünften des Bundesamtes für Justiz vom 22. Juni 2011.

20

Zwar haben beide Angeklagten angegeben, sich des Tragens der Dienstwaffen am Tatabend nicht bewusst gewesen zu sein. Sie haben ferner versucht, ihren Einsatz am Tatabend als stressig und psychisch belastend darzustellen. Für besonderen psychischen Druck der Angeklagten bei jenem Einsatz lag angesichts ihrer langjährigen Diensterfahrung und des Fehlens besonderer belastender Umstände kein Grund vor.

21

Hierdurch haben sich die Angeklagten des gemeinschaftlichen Diebstahls mit Waffen, strafbar nach den §§ 242 Abs. 1, 244 Abs. 1 Nr. 1a, 25 Abs. 2 StGB, schuldig gemacht. Sie waren sich am Tattag jedenfalls in der Form des dolus eventualis des Beisichführens und der Verfügbarkeit ihrer Dienstwaffen bewusst...“

22

Der Beamte ist wegen gemeinschaftlichen Diebstahls zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen verurteilt worden, wobei die Höhe eines Tagessatzes auf 70 Euro bemessen wurde. Diese tatsächlichen Feststellungen des rechtskräftigen Urteils, seien im Disziplinarverfahren entsprechend § 23 Abs. 1 Disziplinargesetz Sachsen-Anhalt (DG LSA) bindend.

23

Der Beklagte habe vorsätzlich gegen seine in § 54 Satz 3 Beamtengesetz Sachsen-Anhalt (BG LSA) bzw. § 34 Satz 3 BeamtStG normierte Pflicht, sich so zu verhalten, dass er der Achtung und dem Vertrauen gerecht werde, die sein Beruf erfordere (Wohlverhaltenspflicht) und die Pflicht zur uneigennützigen Amtsführung nach § 54 Satz 2 BG LSA bzw. § 34 Satz 2 BeamtStG verstoßen. Aufgrund der gemäß § 13 Abs. 2 DG LSA vorzunehmenden Gesamtbewertung sei ein endgültiger Vertrauensverlust sowohl des Dienstherrn als auch der Allgemeinheit gegeben. Der Beklagte habe im Kernbereich seiner dienstlichen Pflichten versagt. Zu seinen zentralen Dienstpflichten als Polizeibeamter gehöre es, Straftaten zu verhindern, aufzuklären und zu verfolgen. Durch die Begehung eines Eigentumsdelikts mit der Dienstwaffe habe der Beamte nicht nur in besonders schwerwiegender Weise gegen seine Pflichten als Polizeibeamter verstoßen, sondern zugleich dem Ansehen der Vollzugsbeamten einen ganz erheblichen Schaden zugefügt. Zu den dienstlichen Aufgaben gehöre es u. a. das Eigentum der Bürger zu schützen, der Beklagte hätte genau das verhindern sollen, was er getan habe. Er habe einen Diebstahl zum Nachteil Dritter unter Ausnutzung dienstlich veranlasster Möglichkeiten, d. h. unter Missbrauch der ihm übertragenen Überwachungsfunktion begangen. Unter Ausnutzung hoheitlicher Befugnisse habe der Kollege L. den Zeugen R. veranlasst, Ware vom Lkw herauszugeben, um diese letztendlich mit dem Dienstfahrzeug abzutransportieren. Der Beklagte sei dagegen nicht eingeschritten. Erschwerend sei zu berücksichtigen, dass der Beamte keine Reue zeige. Zudem sei der gesamte Vorgang von der Öffentlichkeit wahrgenommen worden, denn an der Unfallstelle vorbeigekommene Fahrzeuginsassen hätten die Verladung der Waschmittel angezeigt und fotografisch festgehalten.

24

Durchgreifende Entlastungs- oder Milderungsgründe seien nicht festzustellen. Eine freiwillige Wiedergutmachung vor Tatentdeckung sei nicht geschehen. Die Rückgabe der Wasch- und Reinigungsmittel im Rahmen des Strafverfahrens sei aufgrund gesetzlicher Verpflichtung geschehen.

25

Die Klägerin beantragt,

26

den Beklagten aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen.

27

Der Beklagte beantragt,

28

die Disziplinarklage abzuweisen

29

hilfsweise

30

auf eine mildere Disziplinarmaßnahme zu erkennen

31

und ist der Auffassung, dass bereits kein schweres Dienstvergehen vorliege. Zweifel hinsichtlich der tatbestandlichen Feststellungen im Strafurteil bestünden hinsichtlich der Schadenshöhe. Die Ware sei nicht mehr für den Verkauf vorgesehen, sodass ein wesentlich geringerer Wert anzunehmen sei. Es handele sich um einen einmaligen Pflichtenverstoß. Neben den Polizeibeamten hätten sich auch andere Personen am Unfalltag Waren mitgenommen. Der Beklagte sei davon ausgegangen, dass er zur Mitnahme der Waren berechtigt gewesen sei. Diese Fehleinschätzung des Beamten sei erst später durch entsprechende Schulungen aufgeklärt worden. Zu berücksichtigen sei auch, dass der Beamte die verunfallte Ladung nicht für sich allein verwenden wollte, sondern diese mit zur Dienststelle zur dortigen Verteilung genommen habe. Ein derartiger Sachverhalt sei atypisch für einen Diebstahl. Daher sei allenfalls ein fahrlässiges Verhalten anzunehmen. Allein der Umstand, dass Polizeibeamte verunfallte Ladung in das Polizeifahrzeug verladen, stelle für an der Unfallstelle vorbeifahrende Personen keine Ansehensschädigung der Berufsgruppe der Polizeibeamten dar. Aufgrund der fehlerhaften Annahme, dass er zur Mitnahme der verunfallten Ladung berechtigt gewesen sei, habe er auch diese vor Entdeckung nicht herausgeben können. Ein endgültiger Vertrauensverlust des Dienstherrn oder der Allgemeinheit könne nicht angenommen werden. Der vorliegende Sachverhalt sei kein typischer - mit den sonstigen disziplinarrechtlich bedeutsamen Zugriffsdelikten vergleichbarer - Sachverhalt, sondern weise zahlreiche Besonderheiten bei der Tatbegehung über das Verteilungsverfahren bis zum Nachtatverhalten auf. All dies müsse mildernd berücksichtigt werden.

32

Die Klägerin erwidert:

33

Ein anderer als im Strafverfahren ermittelter Warenwert könne nur dann disziplinarrechtlich berücksichtigt werden, wenn die Schwelle der Geringwertigkeit einschlägig wäre. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Aufgrund der strafrichterlichen Feststellungen habe der Zeuge T. R. (Havariekommissar) die die Waren nicht freigegeben. Der Beamte habe daher im Bewusstsein der Rechtswidrigkeit auch ohne Irrtum gehandelt. Auch gegen einen Mitarbeiter des Bergeunternehmens sei ermittelt worden. Im Übrigen rechtfertige dies nicht den Diebstahl durch Polizeibeamte. Hinsichtlich der Schwere des Dienstvergehens sei zu berücksichtigen, dass die Beamten nur aufgrund ihrer hoheitlichen Befugnisse sich die Ware beschaffen und herausgeben lassen konnten.

34

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte dieses Verfahrens sowie die des Parallelverfahrens 8 A 11/12 und die beigezogenen Verwaltungs- und Ermittlungsvorgänge verwiesen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

35

Die zulässige Disziplinarklage ist begründet. Der Beklagte hat ein Dienstvergehen gem. § 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG begangen, welches die Disziplinarmaßnahme der Kürzung der Dienstbezüge (§ 8 DG LSA) nach sich zieht.

36

Beamte begehen ein Dienstvergehen, wenn sie schuldhaft die ihnen obliegenden Pflichten verletzen (§ 47 Abs. 1 Satz BeamtStG). Die dem Beamten zur Last gelegten Pflichtenverstöße sind als ein innerdienstliches Dienstvergehen zu bewerten. Denn sie sind in Ausübung des Dienstes verwirklicht worden (vgl. zur Abgrenzung nur: VG Magdeburg, U. v. 29.01.2013, 8 A 22/12 MD, m. w. Nachw.; juris).

37

1.) Der disziplinarrechtlich zu bewertende Sachverhalt, welcher zur Verurteilung wegen gemeinschaftlichen Diebstahls mit Waffen führte, ergibt sich aus den tatsächlichen Feststellungen in dem rechtskräftigen Strafurteil des Landgerichts … vom 16.08.2011, welche wiederum auf der Bindungswirkung aus dem Urteil des Landgerichts A-Stadt vom 04.11.2010 beruhen. Nach § 54 Abs. 1 Satz 1 DG LSA ist das Disziplinargericht an diese tatsächlichen Feststellungen gebunden. Die Bindung der Disziplinargerichte an tatsächlichen Feststellungen in Urteilen, die in einem sachgleichen Strafverfahren ergangen sind, ist eine die Nutzung besserer Ermittlungsmöglichkeiten der Strafverfolgungsbehörden sichernde und zugleich das Auseinanderfallen von Entscheidungen verschiedener Gerichtsbarkeiten in ein und derselben Sache zu hindern, bestimmte Ausnahme von der grundsätzlichen Freiheit der Gerichte bei der Feststellung des von ihnen unter bestimmten rechtlichen Gesichtspunkten zu beurteilenden Sachverhalts (BVerwG, U. v. 08.04.1986, 1 D 145.85; juris).

38

Eine rechtliche Möglichkeit zur Lösung von diesen tatsächlichen Feststellungen des Strafurteils nach § 54 Abs. 1 Satz 2 DG LSA sieht das Gericht nicht. Es ist in der disziplinarrechtlichen Rechtsprechung anerkannt, dass eine Lösung von den tatsächlichen Feststellungen eines Strafurteils nur ausnahmsweise und unter eng begrenzten Voraussetzungen möglich ist. Die Disziplinargerichte dürfen die eigene Entscheidungsfreiheit nicht an die Stelle der Entscheidung des Strafgerichtes setzen. Strafgerichtliche Feststellungen, die auf einer nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungswerte verstoßenden Beweiswürdigung beruhen, sind daher auch dann für die Disziplinargerichte bindend, wenn diese aufgrund eigener Würdigung abweichende Feststellungen für möglich halten. Nur erhebliche Zweifel sind daher geeignet, eine nochmalige Prüfung zu veranlassen. Die Disziplinargericht haben auch nicht die Richtigkeit der Beweiswürdigung der Strafgerichte zu überprüfen, insbesondere nicht festzustellen, ob etwa Zeugen die Wahrheit gesagt haben oder nicht, sondern lediglich zu prüfen, ob dem Strafgericht bei dem Vorgang der Überzeugungsbildung elementare Fehler unterlaufen sind. Dies lässt es zu, dass andere Wertungen denkbar sind und zu einem anderen Ergebnis führen können. Die bloße Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufs reicht für einen entsprechenden Lösungsbeschluss grundsätzlich nicht aus (vgl. BVerwG, U. v. 05.09.1990, 1 D 78.89; v. 07.10.1986, 1 D 46.86; OVG NRW, U. v. 29.10.1991, 1 V 10/89; VGH Baden-Württemberg, U. v. 18.06.2001, D 17 S 2/01; VG Regensburg, U. v. 09.12.2009, RO 10A DK 09.1074; VG Meiningen, U. v. 19.04.2010, 6 D 60014/09 Me; zuletzt: BVerwG, Beschluss v. 15.05.2013, 2 B 22/12; VG Magdeburg, Urteil v. 29.01.2013, 8 A 22/12; alle juris).

39

Die Bindungswirkung erstreckt sich auf den inneren und äußeren Tatbestand der Straftat, also auch auf Vorsatz sowie die Schuldfähigkeit (vgl. zuletzt OVG Lüneburg, U. v. 05.12.2012, 19 LD 3/12; juris).

40

Unter Zugrundelegung dieser Rechtsprechung hat die Disziplinarkammer keine Zweifel an der Richtigkeit der strafrichterlichen Feststellungen zu dem Tathergang. Ausgehend von der Bindungswirkung bestreitet dies der Beamte auch nicht, sondern zieht nur andere disziplinarrechtliche Schlussfolgerungen als die Klägerin daraus, die auch das Disziplinargericht teilt.

41

2.) Aufgrund des festgestellten Sachverhalts hat der Beklagte seine Dienstpflichten zur uneigennützigen Amtsführung (§ 34 Satz 2 BeamtStG) und zum achtungs- und vertrauenswürdigen Verhalten innerhalb und außerhalb des Dienstes (§ 34 Satz 3 BeamtStG) durch sein Verhalten verletzt. Die Verwirklichung der Tatbestände dieser Dienstpflichtverletzungen liegt aufgrund der tatbestandlichen Feststellungen des Strafgerichts und der Verurteilung auf der Hand. Unabhängig von der strafrechtlichen Einstufung der Tat des Beamten als (einfacher) Diebstahl nach § 242 StGB oder ein solcher mit Waffen (§ 244 Abs. 1 Nr. 1a StGB) hat der Beamte durch sein Verhalten ein sog. disziplinarrechtliches Zugriffsdelikt bzw. ein hinsichtlich der Schwere vergleichbares Delikt vorsätzlich und schuldhaft begangen, welches grundsätzlich den Ausspruch der disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahme rechtfertigt. Auch wenn es an der von einem Teil der disziplinarrechtlichen Rechtsprechung geforderten unmittelbaren Verminderung des Vermögensbestandes des Dienstherrn (3. b.) fehlt, ist gleichwohl wegen der generellen Schwere der Pflichtverletzung die Gleichstellung mit einem Zugriffsdelikt vorzunehmen. Die Besonderheiten des Einzelfalls gebieten es zur Überzeugung des Disziplinargerichts aber, eine geringere Schwere des Dienstvergehens (3.) und gewichtige Milderungsgründe (5.) anzunehmen, sodass die von der Disziplinarkammer unter angemessener Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten vorzunehmende Prognoseentscheidung die tenorierte Disziplinarmaßnahme rechtfertigt.

42

3.) Hinsichtlich der auszusprechenden Disziplinarmaßnahme ist die Schwere des Dienstvergehens unter angemessener Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten richtungsweisend (vgl. § 13 DG LSA). Die Schwere beurteilt sich nach objektiven Handlungsmerkmalen wie Eigenart und Bedeutung der Dienstpflichtverletzungen, den besonderen Umständen der Tatbegehung sowie Häufigkeit und Dauer eines wiederholten Fehlverhaltens, nach subjektiven Handlungsmerkmalen wie Form und Gewicht des Verschuldens des Beamten, den Beweggründen für sein Verhalten sowie nach den unmittelbaren Folgen für den dienstlichen Bereich und für Dritte. Davon ausgehend kommt es darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung im Einzelfall derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die durch die Schwere des Dienstvergehens indizierte Maßnahme geboten ist. Eine vollständige und richtige Gesamtwürdigung setzt voraus, dass die Disziplinarkammer die im Einzelfall bemessungsrelevanten, d. h. die für die Schwere des Dienstvergehens und das Persönlichkeitsbild bedeutsamen Tatsachen ermittelt und mit dem ihnen zukommenden Gewicht in die Gesamtbewertung einbezieht. Dies entspricht dem Zweck der Disziplinarbefugnis des Disziplinargerichts als einem Mittel der Funktionssicherheit des öffentlichen Dienstes. Dabei findet der Grundsatz „in dubio pro reo“ Anwendung. Die Disziplinargerichte dürfen nur solche belastenden Tatsachen in die Gesamtwürdigung einstellen, die zur Überzeugung des Gerichts feststehen. Demgegenüber müssen entlastende (mildernde) Umstände schon dann zu Gunsten des Beamten berücksichtigt werden, wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für ihr Vorliegen gegeben sind und eine weitere Sachverhaltsaufklärung nicht möglich ist (vgl. nur: VG Magdeburg, Urteil v. 29.11.2012, 8 A 12/11 und Urteil v. 27.10.2011, 8 A 2/11 mit Verweis auf BVerwG, U. v. 27.01.2011, 2 A 5.09; jüngst BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11/10, OVG Lüneburg, Urteil v. 14.11.2012, 19 LD 4/11; zuletzt ausführlich; VG Magdeburg, Urteil v. 29.11.2012, 8 A 12/11; alle juris).

43

Ein endgültiger Verlust des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit im Sinne von § 13 Abs. 2 Satz 1 DG LSA ist anzunehmen, wenn aufgrund der prognostischen Gesamtwürdigung auf der Grundlage aller im Einzelfall bedeutsamen be- und entlastenden Gesichtspunkte der Schluss gezogen werden muss, der Beamte werde auch künftig in erheblicher Weise gegen seine Dienstpflichten verstoßen oder die durch sein Fehlverhalten herbeigeführte Schädigung des Ansehens des Berufsbeamtentums sei bei einer Fortsetzung des Beamtenverhältnisses nicht wiedergutzumachen. Unter diesen Voraussetzungen muss das Beamtenverhältnis im Interesse der Leistungsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und der Integrität des Berufsbeamtentums beendet werden (BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11.10 mit Verweis auf Urteile v. 20.10.2005, 2 C 12.04, v. 03.05.2007, 2 C 9.06 und v. 29.05.2008, 2 C 59.07; alle juris).

44

Die Feststellung dieser für das berufliche Schicksal des Beamten und die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes in gleicher Weise bedeutsamen Voraussetzungen hat der Gesetzgeber in die Hand der Disziplinargerichte gelegt. Sie haben auf der Grundlage ihrer im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung aus einem umfassend aufgeklärten Sachverhalt zu bildenden Überzeugung eine Prognose über die weitere Vertrauenswürdigkeit des Beamten abzugeben. Fällt diese negativ aus, ist der Beamte aus dem Dienst zu entfernen, denn anders als bei den übrigen Disziplinarmaßnahmen besteht insoweit kein Ermessen.

45

a.) Das Verhalten des Beamten ist disziplinarrechtlich als Verstoß gegen die Uneigennützigkeit der Dienstausübung zu werten. Diese Dienstvergehen werden in der Rechtsprechung der Disziplinargerichte seit jeher als sehr schwerwiegend eingestuft, sodass der Ausspruch der Höchstmaßnahme Ausgangspunkt der disziplinarrechtlichen Überlegungen sein muss. Denn die uneigennützige, nicht auf den privaten Vorteil bedachte Führung der Dienstgeschäfte stellt eine wesentliche Grundlage des Berufsbeamtentums dar. Im Hinblick darauf ist die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis jedenfalls dann Richtschnur für die Bestimmung der angemessenen Disziplinarmaßnahme, wenn erhebliche Geldzahlungen geflossen (etwa bei Bestechlichkeit/Vorteilsnahme) oder verschoben (etwa bei Diebstahl/Unterschlagung/

46

Betrug) wurden (vgl. zusammenfassend: BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11.10; juris). Zudem ist disziplinarrechtlich entscheidend, ob der Verstoß gegen die Uneigennützigkeit aufgrund einer besonderen Vertrauensstellung des Beamten beruht, das heißt, ob etwa ein Zugriff auf dienstlich anvertraute Gelder oder ein nicht unter Ausnutzung der dienstlichen Vertrauensstellung verübtes (Betrugs-)Delikt vorliegt (BVerwG, Beschluss v. 20.12.2011, 2 B 64.11, juris).

47

b.) Die disziplinarrechtliche Einstufung als Zugriffsdelikt knüpft nicht an die strafrechtliche Beurteilung des Tatgeschehens an. Es kommt nicht darauf an, ob ein Beamter dienstliche Gelder oder Güter z. B. durch Betrug, Diebstahl, Untreue oder Unterschlagung erlangt hat. Ein Zugriffsdelikt liegt vielmehr dann vor, wenn der Beamte dienstlich anvertraute Gelder und Güter veruntreut hat, wozu auch die Gebührenüberhebung, die Fundunterschlagung und der sogenannte Kollegendiebstahl zählen. Für die Bewertung als Zugriffsdelikt ist entscheidend, dass einem Beamten Gelder oder gleichgestellte Werte dienstlich anvertraut oder dienstlich zugänglich sind (BVerwG: stRspr; vgl. Urteil v. 08.04.2003, 1 D 27.02; Beschluss v. 20.12.2011, 2 B 64.11; alle juris). Ein Beamter, der sich bei der Ausübung seiner dienstlichen Tätigkeit an Vermögenswerten vergreift, die seinem Gewahrsam unterliegen, zerstört damit in aller Regel das für die Fortdauer des Beamtenverhältnisses notwendige Vertrauen in seine Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit, wenn die Beträge insgesamt die Schwelle der Geringwertigkeit deutlich überschreiten. Denn die Verwaltung ist auf die Redlichkeit und Zuverlässigkeit ihrer Bediensteten beim Umgang mit solchen Geldern und Gütern in hohem Maße angewiesen. Eine ständige und lückenlose Kontrolle eines jeden Mitarbeiters ist unmöglich und muss deshalb weitgehend durch Vertrauen ersetzt werden. Wer diese für das Funktionieren des öffentlichen Dienstes unabdingbare Vertrauensgrundlage zerstört, muss grundsätzlich mit der Auflösung des Beamtenverhältnisses rechnen (BVerwG, Urteile v. 20.10.2005, 2 C 12.04, v. 03.05.2007, 2 C 9.06, v. 25.10.2007, 2 C 43.07, v. 29.05.2008, 2 C 59.07; zuletzt VG Magdeburg, Urteil v. 29.01.2013, 8 A 5/11; Urteil v. 28.02.2013, 8 A 13/12; alle juris).

48

Dies gilt nach ständiger Rechtsprechung jedenfalls oberhalb einer Bagatellgrenze von derzeit 50 Euro (BVerwG, Urteil v. 28.03.1984, 1 D 63.83, Nds. OVG, U. v. 12.04.2007, 19 LD 4/06 und vom 08.02.2011, 6 LD 4/08; Bayr. VGH, U. v. 27.10.2010, 16 aD 09.2470; zusammenfassend vergleiche nur: VG Magdeburg, U. v. 17.06.2008, 8 A 2/08 MD und U. v. 31.03.2011, 8 A 2/10 und U. v. 29.03.2012, 8 A 3/11; auch OVG LSA, U. v. 24.08.2011, 10 L 3/11; alle juris). Ähnlich ist hier die Bagatellgrenze bei einem vom Strafgericht ermittelten anzunehmenden Warenwert von ca. 677 Euro weit überschritten. Auf die vom Beklagten gerügte Wertberechnung kommt es bereits wegen der Vielzahl der entwendeten Gegenstände und der damit unzweifelhaft überschrittenen Wertgrenze nicht an.

49

c.) Die Beurteilung des vorliegenden Einzelfalls gebietet es aber, die Besonderheiten zu berücksichtigen, die darin begründet liegen, dass es sich um Waren aus einer verunfallten Ladung, also Havariegut handelte, welches zudem später tatsächlich der Vernichtung verfiel. Ohne Zweifel waren die Beamten Kraft und Pflicht ihres Amtes aufgefordert, die Waren vor dem unbefugten Zugriff Fremder, wozu auch der Zugriff zu privaten Zwecken durch sie selbst zählt, zu schützen. Der Vorhalt des Dienstherrn, dass sie genau das getan haben, was sie hätten dienstlich verhindern müssen, trifft durchaus zu. Der strafrechtliche Diebstahlstatbestand ist gegeben. Denn es handelte sich mangels Freigabe durch den Havariekommissar nicht um herrenlose Gegenstände nach § 959 BGB.

50

Gleichwohl begingen die Beamten vorliegend kein „klassisches“ Zugriffsdelikt im Sinne der oben dargestellten disziplinarrechtlichen Rechtsprechung. Denn im Regelfall wird es aufgrund der besonderen dem Beamten eingeräumten Vertrauensstellung auch zu einem Vermögensschaden bei dem Dienstherrn kommen, weshalb ein Teil der disziplinarischen Rechtsprechung ausdrücklich die unmittelbare Verminderung des Vermögensbestandes zu Lasten des Dienstherrn verlangt (BVerwG, Urteil v. 21.07.1998, 1 D 51.97; Urteil v. 06.02.2001, 1 D 67.99; Urteil v. 23.02.2012, 2 C 38.10; alle juris). Wird diese „Schädigung des Dienstherrn“ bei unmittelbar gegen das Vermögen oder Eigentum des Dienstherrn aufgrund der eingeräumten Vertrauensstellung gerichteten Zugriffen, wie es die klassische Veruntreuung von polizeilichen Verwarngeldern darstellt, gegeben sein, so fehlt diese Voraussetzung doch in den Fällen, in denen es sich auch für den Dienstherrn um fremde Werte handelt. Bei vergleichbaren schweren Delikten nimmt die disziplinarrechtliche Rechtsprechung dann jedenfalls die Gleichstellung mit einem Zugriffsdelikt an (vgl. zu einem Diebstahl eines Polizeibeamten bei einer Anzeigenaufnahme: BVerwG, Urteil v. 23.02.2012, 2 C 38.10; zum Kollegendiebstahl; BVerwG, Urteil v. 29.05.2008, 2 C 59.07; Urteil v. 29.09.1998, 1 D 82.97; Beschluss v. 02.03.2012, 2 B 8.11; alle juris). Somit mag dem Beamten hier zwar das Havariegut dienstlich zugänglich gewesen sein, den Vermögensbestand des Dienstherrn hat er jedoch nicht unmittelbar gemindert. Geht man davon aus, dass das Havariegut später tatsächlich insgesamt frei gegeben, dass heißt der Vernichtung zugeführt wurde, ist gegenüber dem Dienstherrn auch kein irgendwie gearteter Schadensersatz- oder Regressanspruch entstanden.

51

Der eigentumsrechtliche Schutz der verunfallten Ladung war auch nicht der alleinige oder gar vordringliche Grund des dienstlichen Einsatzes der Beamten. Vorliegend standen die umfangreichen polizeilichen Sicherungs- und Bergungstätigkeiten an den Fahrzeugen und an der Unfallstelle im Vordergrund ihrer dienstlichen Tätigkeit. Die Kontrolle, das heißt, die Aufmerksamkeit über die verunfallte und zudem auf und entlang der Autobahn verstreute Ladung, geschah eher beiläufig, weil dieser von den Beamten von vornherein kein nennenswerter und damit eigentumsrechtlich relevanter Wert mehr beigemessen wurde. Denn nach übereinstimmender und stetiger Aussage der Beamten, welche sie auch während ihrer Befragung in der mündlichen Verhandlung vor dem Disziplinargericht glaubhaft wiederholten, gingen sie davon aus, dass die verunfallte Ladung für den weiteren Verkauf verloren war. In dieser Annahme waren sie durch frühere Vorkommnisse bestärkt. Auch wenn es sich bei früherem Havariegut um verderbliche Lebensmitteltransporte (Getränke- und Gemüselaster) gehandelt haben sollte, welche aufgrund hygienischer und lebensmittelrechtlicher Bestimmungen von vornherein nach einem nicht bestimmungsgemäßen Gebrauch, sprich einer Havarie, zum Weiterverkauf ungeeignet erschienen, mag sich bei den Beamten eine gewisse Vorstellung eingeschlichen haben, dass verunfallte Ladung generell entsorgt wird. Dies auch deswegen, weil frühere Havariekommissare derartige Ladung generell frei gegeben hätten. So spricht auch der Umstand, welcher von der Klägerin nicht bestritten wurde und im Strafurteil zugrunde gelegt wird, dass die Waren in der Folgezeit tatsächlich vernichtet wurden, für diesen generellen Umgang mit vergleichbaren Havariegütern. Dem strafgerichtlichen Urteil ist auch zu entnehmen, dass der Zeuge Re. als Havariekommissar bestätigt habe, dass es gelegentlich vorkomme, dass Hilfskräfte, z. B. die Feuerwehr, für ihre Tätigkeiten einen Kasten Getränke mitnehmen durften. Sicherlich muss auch ein Unterschied bezüglich der Art und der offensichtlichen Werthaltigkeit der verunfallten Gegenstände gemacht werden. Schließt die bereits erwähnte verunfallte Ladung von Gemüsepaletten den Weiterverkauf offensichtlich aus, wird dies bei hochwertigen und zudem gut verpackten z. B. Elektro- und Elektronikgeräten, wie etwa Handys, nicht der Fall sein. Die Mitnahme derartiger offensichtlich hochwertiger Gegenstände ist von vornherein auch disziplinarrechtlich in einem anderen Lichte zu betrachten.

52

Daran gemessen waren die Gegenstände nicht etwa herrenlos und nach den tatbestandlichen Feststellungen des Strafgerichts erfolgte gerade keine Freigabe durch den Havariekommissar, sodass die Beamten nicht „auf der sicheren Seite“ bei der Mitnahme der Reinigungsmittel waren. Gerade die im Einzelfall komplizierten und rechtlich nicht eindeutig zu beantwortenden Fragen zur Herrenlosigkeit oder Abfalleigenschaft einer verunfallten Ware sollen sich die Polizeibeamten bei der Dienstausübung nicht stellen, um sich nicht dem Vorwurf der uneigennützigen Dienstausübung auszusetzen (VG Magdeburg, Urteil v. 23.03.2010, 8 A 27/09; bestätigt durch OVG LSA, Beschluss v. 17.06.2010, 10 L 5/10; beide juris). Dies auch weil bereits Zweifel daran bestehen, ob der Havariekommissar als Organ der Versicherungswirtschaft (vgl. Wikipedia) überhaupt die Kompetenz hatte, außer der rein versicherungsrechtlichen „Freigabe“ zugleich über die eigentumsrechtliche Position an des Hauhaltschemikalien zu verfügen (OVG LSA, Beschluss v. 17.06.2010, 10 L 5/10; juris).

53

Zwar geht auch das Disziplinargericht mit den tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts davon aus, dass kein rechtlich relevanter unvermeidbarer Tatbestands- oder Verbotsirrtum bei den Beamten vorlag. Gleichwohl darf das Disziplinargericht diese tatbestandliche Feststellung des Strafgerichts hinsichtlich der Schwere der Pflichtverletzung disziplinarrechtlich weiter bewerten, ohne sich von dieser bindenden Feststellung zu entfernen. Denn der disziplinarrechtlich relevante Lebenssachverhalt ist allein mit dieser strafrichterlichen Feststellung, welche zur Verurteilung führte, nicht abschließend bewertet. Das Landgericht hat nämlich auch festgestellt, dass niemand der an der Bergung Beteiligten und vor allem nicht der Havariekommissar eingeschritten sind, obwohl sie die Wegnahme der Waren durch die Beamten bemerkten und der Havariekommissar „sehr verwundert“ gewesen und ihm „Entsprechendes zuvor noch nicht vorgekommen“ sei. Mag dies auch aus einer gewissen Obrigkeitshörigkeit den Beamten als Uniformträgern gegenüber bedingt gewesen sein, so zeigt es aber auch, dass der Havariekommissar als Sachwalter der Eigentümer keinen Wert auf die Vollzähligkeit der Waren legte.

54

Der vorliegende Fall ist auch nicht mit dem Zugriff auf Vermögenswerte von im polizeilichen Gewahrsam befindlichen Personen oder während einer Hausdurchsuchung oder sonstigen polizeilichen Ermittlungen vergleichbar. In diesen Fällen nimmt die disziplinarrechtliche Rechtsprechung wegen der Schwere der Tat eine den Zugriffsdelikten vergleichbare Schwere an (vgl. BVerwG, Urteil v. 23.02.2012, 2 C 38.10; VG Berlin, Urteil v. 22.02.2011, 80 K 33.10 OL; VG Meiningen, Urteil v. 08.05.2006, 6 D 600011/02.Me; alle juris). Der Polizeibeamte der anlässlich einer Hausdurchsuchung etwa Bargeld oder Schmuck mitnimmt oder einer in Gewahrsam befindlichen Person Wertgegenstände abnimmt oder eine Fundunterschlagung begeht, weiß um die Fremdheit und die wertmäßige Beständigkeit der zugeeigneten Gegenstände. Denn diese sollen gerade nicht wie Havariegut vernichtet werden, was z. B. bei Bargeld unmissverständlich ist.

55

Zur Überzeugung der Disziplinarkammer haben diese Besonderheiten die beamtenrechtliche Pflichtverletzung jedenfalls begünstigt. Dass sich die Beamten unter diesen Voraussetzungen gerade die unversehrten Waschmittel- und Reinigungsprodukte herausgesucht haben, erscheint jedenfalls nicht erschwerend. Denn nur nicht beschädigte Behältnisse und Verpackungen eignen sich zum Transport. Entgegen der Wertung durch das Strafgericht und die Klägerin, dass die Vorgehensweise der Beamten besonders dreist sei, kann man die Tat daher auch als besonders naives Vorgehen bezüglich der Tatumstände ansehen. Die Schwere der Tat kann nach Auffassung der Disziplinarkammer auch nicht pauschalisierend mit dem „fehlenden Unrechtsbewusstsein“ der Beamten begründet werden. Denn den erfahrenen und unbescholtenen Polizeivollzugsbeamten darf unterstellt werden, dass sie Recht und Unrecht unterscheiden können aber hier aufgrund ihres fehlerhaften Vorstellungsbildes für sie ein besonderer Fall vorlag. Dies auch deswegen, weil sie den Großteil der Reinigungsmittel nicht etwa für sich verwenden wollten, sondern zur Weiterverteilung unter den Kollegen mit zur Wache nahmen und somit eine Vielzahl von Mittätern und Mitwissern in den Vorgang einweihten.

56

Abweichend von dem strafrechtlichen Ansatz sieht das Disziplinargericht in der Tatsache, dass die Beamten ihre schussbereiten Dienstwaffen bei der Tatbegehung bei sich führten und sich dessen auch bewusst waren, so dass der Straftatbestand des Diebstahl mit Waffen erfüllt ist, jedenfalls in dem hier zu beurteilenden Einzelfall keine disziplinarrechtlich bedeutsame Verschärfung des Pflichtenverstoßes. Disziplinarrechtlich einschlägig sind der Pflichtenverstoß gegen die Wohlverhaltenspflicht und die Uneigennützigkeit durch den im Dienst begangenen Diebstahl. Dass die Beamten dabei die Waffe quasi als Teil der Uniform bei sich führten, ohne diese einzusetzen, verschärft die beamtenrechtlichen Pflichtenverstöße - anders als die strafrechtliche Deliktbegehung - in diesem Fall nicht.

57

Zwar dürfte die erfolgte Berichterstattung in den Medien dazu beigetragen haben, dass die Tat in der Öffentlichkeit bekannt wurde und zu einer Ansehensschädigung der Berufsgruppe der Polizeibeamten geeignet erscheint (vgl. zur disziplinarrechtlichen Zurechenbarkeit von Medienveröffentlichungen: BVerwG, Urteil v. 30.10.2012, 2 WD 28.11; juris). Die Beobachtung der Tat durch vorbeifahrende Kraftfahrzeuginsassen sieht das Disziplinargericht aber als weniger bedeutsam an. Auch soweit diese das Geschehen fotografiert oder gefilmt haben dürften, wird dies eher aus einem allgemeinen Interesse an dem Unfallgeschehen (Gaffer) und nicht der Dokumentation rechtswidriger Handlungen durch Polizeibeamte geschuldet gewesen sein. Dabei mag die Art der Handlungen, das heißt das mehrmalige Bücken nach den Reinigungsmitteln und deren Transportieren durch zahlreiches Herumlaufen auf der Autobahn und Verbringung in den Streifenwagen unter körperlicher Anstrengung dem unbeteiligten Beobachter eher der Belustigung dienen als der Gewissheit, Augenzeuge einer Straftat durch Polizeibeamte zu sein. Nach lebensnaher Auslegung werden vorbeifahrende Personen das Handeln der Beamten eher als eine Sicherstellung und nicht als eine Diebstahltat interpretiert haben.

58

4.) Wie sich bereits aus den bindenden Feststellungen des Strafgerichts zur inneren Tatseite ergibt, handelten die Beamten nicht nur fahrlässig, sondern vorsätzlich und schuldhaft. Hinsichtlich des Verschuldensgrades handelten die Beamten strafrechtlich wie disziplinarrechtlich vorsätzlich. Insoweit schließt sich das Disziplinargericht nicht den Ausführungen des Beamten B. an, wonach – disziplinarrechtlich – nur ein fahrlässiges Verhalten anzunehmen sei. Zwar bezieht sich der disziplinarrechtliche Schuldvorwurf auf die Dienstpflichtverletzung (vgl. § 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG), wogegen der strafrechtliche Schuldansatz auf der Verletzung der Strafvorschrift beruht. So mag es Fälle geben, wo straf- und disziplinarrechtlicher Schuldvorwurf auseinanderfallen können. Jedoch gilt dies vorliegend nicht. Denn die vorsätzliche Begehung der Diebstahlsstraftat geht einher mit der vorsätzlichen Begehung des dienstrechtlichen Pflichtenverstoßes gegen die beamtenrechtliche Wohlverhaltenspflicht und die Uneigennützigkeit. Insoweit sind beide Schuldvorwürfe identisch. Polizeibeamte haben Straftaten zu verhindern und nicht zu begehen. Die Evidenz und damit das Bewusstsein der Pflichtwidrigkeit ist besonders dort eindeutig, wo schon die allgemein gültige und bekannte Rechtsordnung, wie etwa im Strafrecht, Verhaltensnormen setzt (vgl. nur: Hummel/Köhler/Mayer, BDG 4. Auflage 2009, A. I. 4, Rz. 31, 33). Insoweit wiegt der Verstoß gegen leicht und einfach einzusehende Dienstpflichten besonders schwer (vgl. zuletzt bei Vorliegen der beamtenrechtlichen Ungeeignetheit: VG Magdeburg, Urteil v. 30.04.2013, 8 A 18/12; juris).

59

5.) Aufgrund der dargestellten Besonderheiten bei der Begehung der Pflichtenverstöße, sieht das Disziplinargericht bereits eine im Vergleich zu den klassischen Zugriffsdelikten abgemilderte Schwere des Dienstvergehens. Im Zusammenhang mit den nach jüngster Disziplinarrechtsprechung stets und ausführlich zu prüfenden Entlastungsgründen (Milderungsgründe), ist das Disziplinargericht bei der von ihm und nicht vom Dienstherrn vorzunehmenden Prognoseentscheidung der Überzeugung, dass das dem Beamten vom Dienstherrn und der Allgemeinheit entgegengebrachte Vertrauen noch nicht als endgültig verloren anzusehen ist.

60

Die prognostische Frage nach dem Umfang der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit (§ 13 DG LSA) betrifft die Erwartung, dass sich der Beamte aus der Sicht des Dienstherrn und der Allgemeinheit so verhält, wie es von ihm im Hinblick auf seine Dienstpflichten als berufserforderlich erwartet wird. Das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit in die Person des Beamten bezieht sich in erster Linie auf dessen allgemeinen Status als Beamter (vgl. BVerwG, Urteil v. 20.01.2004, 1 D 33.02; juris), daneben aber auch auf dessen konkreten Tätigkeitsbereich innerhalb der Verwaltung und auf dessen konkret ausgeübte Funktion, z. B. als Vorgesetzter. Ob und gegebenenfalls inwieweit eine Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn vorliegt, ist nach objektiven Gesichtspunkten zu beurteilen. Entscheidend ist nicht die subjektive Einschätzung des jeweiligen Dienstvorgesetzten, sondern die Frage, inwieweit der Dienstherr bei objektiver Gewichtung des Dienstvergehens auf der Basis der festgestellten belastenden und entlastenden Umstände noch darauf vertrauen kann, dass der Beamte in Zukunft seinen Dienstpflichten ordnungsgemäß nachkommen wird. Entscheidungsmaßstab ist insoweit, in welchem Umfang die Allgemeinheit dem Beamten noch Vertrauen in eine zukünftig pflichtgemäße Amtsausübung entgegenbringen würde. Dies unterliegt uneingeschränkter verwaltungsgerichtlicher Nachprüfung (vgl. zum Ganzen: BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11.10 mit Verweis auf Urteile v. 20.10.2005, 2 C 12.04, v. 03.05.2007, 2 C 9.06 und v. 29.05.2008, 2 C 59.07; zuletzt: VG Magdeburg, Urteil v. 30.04.2013, 8 A 18/12; alle juris).

61

Entlastungsgründe stellen zum einen die von der Rechtsprechung bezüglich der sog. Zugriffsdelikte entwickelten und anerkannten Milderungsgründe dar, die besondere menschliche Konfliktsituationen beschreiben. Hierzu zählen etwa das Handeln in einer existenziellen wirtschaftlichen Notlage oder einer körperlichen oder psychischen Ausnahmesituation oder besonderen Versuchssituationen oder eine persönlichkeitsfremde Einzelverfehlung des Beamten wie auch „Entgleisungen“ während einer negativen, inzwischen überwundenen, durch Alkohol, Drogen oder Schicksalsschlägen bedingte Lebensphase. Der Milderungsgrund der Geringwertigkeit eines verursachten Schadens oder des geldlichen Vorteils der Handlung wird bei etwa 50,00 Euro gezogen. Auch besondere, die Dienstpflichtverletzung begünstigende Handlungen und mangelnde Kontrollen des Dienstherrn können im Einzelfall wie ein besonderes Nachtatverhalten die Schwere der Verfehlung mildern. Zeitlich überlange Disziplinarverfahren können wegen des disziplinarrechtlichen Beschleunigungsgebotes und der mit dem Disziplinarverfahren verbundenen persönlichen Belastungen jedenfalls bei Maßnahmen der Pflichtenmahnung berücksichtigt werden. Entlastungsgründe können sich aber zum anderen auch aus allen Besonderheiten ergeben, die es im Einzelfall wegen der persönlichkeitsbedingten an § 13 DG LSA zu orientierenden Prognoseentscheidung gebieten, von der disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahmen Abstand zu nehmen. Die entlastenden Gründe sind nicht (mehr) allein auf den in der Rechtsprechung entwickelten Kanon der anerkannten Milderungsgründe beschränkt (BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11.10, m. w. Nachw.; juris). Diese Besonderheiten müssen aber in ihrer Gesamtheit geeignet sein, die Schwere des Pflichtenverstoßes erheblich herabzusetzen. Generell gilt, dass das Gewicht der Entlastungsgründe umso größer sein muss, je schwerer das Delikt aufgrund der Schadenshöhe sowie der Tatumstände, wie Anzahl, Häufigkeit, Zeitraum, Verschiedenartigkeit und Tatausführung wiegt (im Ganzen ausführlich: VG Magdeburg, Urt. v. 29.11.2012, 8 A 12/11, v. 31.03.2011, 8 A 2/10 MD und v. 27.10.2011, 8 A 2/11, mit Verweis auf BVerwG, Urt. v. 24.05.2007, 2 C 28.06, Urt. v. 06.06.2007, 1 D 2.06, Urt. v. 29.05.2008, 2 C 59.07; Bayr. VGH, Urt. v. 27.10.2010, 16 aD 09.2470; OVG Lüneburg, Urt. v. 08.02.2011, 6 LD 4/08; alle juris). Auch eine dienstliche Überlastung kann einen Milderungsgrund darstellen (VG Magdeburg, Urteil v. 29.01.2013, 8 A 5/11; juris).

62

Unstreitig sind die Beamten über den Umgang mit Havariegut nicht belehrt worden. In der Presse wurde berichtet, dass erst diese Vorfälle Anlass für den Dienstherrn waren, entsprechende Regelungen zu erlassen und klar zu stellen, dass auch verworfene Ware nicht mitgenommen werden darf (Pressespiegel, 04.10.201; Bl. 276 Beiakte B). Lässt das Disziplinargericht aufgrund der Ausführungen zur Schwere des Dienstvergehens auch keinen Zweifel daran, dass den Beamten aufgrund ihrer Dienst- und allgemeinen Lebenserfahrung die Pflichtwidrigkeit ihres Handels hätte bewusst sein müssen, so ist die fehlende Erlasslage doch geeignet, den Vorfall in einem milderen Licht erscheinen zu lassen. Dabei geht es weniger darum, Polizeibeamte über jede verbotene und sich zudem als solche aufdrängende Handlung zu belehren, wie es die Klägerin meint. Jedem Polizeibeamten werden die gesetzlichen und erlassmäßigen Regelungen, die sein polizeiliches Handeln bestimmen, bekannt sein. Es ist jedoch feststellbar, dass anscheinend eine gesamte Dienststelle mit mehreren handelnden Beamten bis hin zum Vorgesetzten und Dienstgruppenleiter den Umgang mit dem Havariegut in der hier vorzuhaltenden Art und Weise pflegten. Diese Tatsache kann nicht einfach mit der Kriminalisierung der gesamten Dienststelle abgetan werden, sondern erklärt sich eben auch aufgrund der Erfahrungen aus dem Umgang mit der verunfallten Ladung in der Vergangenheit. Eine derartige „Grauzone“ ist nunmehr durch die Weisung erschöpfend geklärt, dass sogar freigegebene Ware nicht mitgenommen werden darf.

63

Zur Überzeugung der Disziplinarkammer ist davon auszugehen, dass die lange Verfahrensdauer, die Suspendierung mit Gehaltskürzung und wirtschaftlichen Einbußen, die über mehrere Instanzen geführten Strafverfahren aber auch die für die Beamten makelbehaftete Berichterstattung und letztendlich das durchgeführte Disziplinarverfahren bei dem Beamten die gehörige Wirkung hinterlassen haben und die Gewähr dafür bieten, dass er in Zukunft derartige Pflichtversäumnisse nicht begehen wird (vgl. zu diesen Voraussetzungen: BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11/10; zuletzt: VG Magdeburg, Urteil v. 29.01.2013, 8 A 5/11; alle juris). Die Tat war einmalig und der Beamte war bislang straf- wie disziplinarrechtlich unbescholten. Auch die bisherige Unbescholtenheit kann disziplinarrechtlich bei Maßnahmen der Pflichtenmahnung Berücksichtigung finden (VG Magdeburg, Urteil v. 30.04.2013, 8 A 18/12; juris).

64

6.) Unter Beachtung der vorstehend dargestellten Besonderheiten geht das Disziplinargericht bei der der nach § 13 DG LSA notwendigen Gesamtbewertung der Pflichtenverstöße unter Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten davon aus, dass dem Beklagten noch ein Restvertrauen in der Weise entgegengebracht werden kann, was das Absehen von den beiden disziplinarrechtlich als Höchstmaßnahmen bezeichneten Disziplinarmaßnahmen rechtfertigt. Gleichwohl hält die Disziplinarkammer nach § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 DG LSA den Ausspruch der nächst schärfsten Disziplinarmaßnahme in Form der gehörigen Kürzung der Dienstbezüge nach § 8 DG LSA - und hier unter Ausnutzung der Höchstkürzung von einem Fünftel auf längstens drei Jahre – zur Pflichtenmahnung für angemessen und erforderlich. Dies auch deswegen, um eine verhältnismäßige Abstufung zu den weiteren dem Disziplinargericht bekannten Disziplinarmaßnahmen gegenüber den beteiligten Beamten herzustellen. So wurde der Kollege, welcher die von den Beamten auf der Autobahn mitgenommenen Reinigungsmittel in der Dienstgarage mitnahm, mit einer Geldbuße in Höhe von 150 Euro (VG Magdeburg, U. v. 23.03.2010, 8 A 27/09 MD; bestätigt durch OVG LSA, B. v. 17.06.2010, 10 L 6/10; beide juris) und der Dienstgruppenleiter mit einer Gehaltskürzung belegt.

65

7.) Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 72 Abs. 1 Satz 1, 73 Abs. 1 DG LSA. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


(1) Beamtinnen und Beamte begehen ein Dienstvergehen, wenn sie schuldhaft die ihnen obliegenden Pflichten verletzen. Ein Verhalten außerhalb des Dienstes ist nur dann ein Dienstvergehen, wenn es nach den Umständen des Einzelfalls in besonderem Maße geeignet ist, das Vertrauen in einer für ihr Amt bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen.

(2) Bei Ruhestandsbeamtinnen und Ruhestandsbeamten oder früheren Beamtinnen mit Versorgungsbezügen und früheren Beamten mit Versorgungsbezügen gilt es als Dienstvergehen, wenn sie sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes betätigen oder an Bestrebungen teilnehmen, die darauf abzielen, den Bestand oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland zu beeinträchtigen, oder wenn sie schuldhaft gegen die in den §§ 37, 41 und 42 bestimmten Pflichten verstoßen. Bei sonstigen früheren Beamtinnen und früheren Beamten gilt es als Dienstvergehen, wenn sie schuldhaft gegen die in den §§ 37, 41 und 42 bestimmten Pflichten verstoßen. Für Beamtinnen und Beamte nach den Sätzen 1 und 2 können durch Landesrecht weitere Handlungen festgelegt werden, die als Dienstvergehen gelten.

(3) Das Nähere über die Verfolgung von Dienstvergehen regeln die Disziplinargesetze.

Gründe

1

Die Beschwerde des Beklagten hat mit der Maßgabe Erfolg, dass der Rechtsstreit gemäß § 70 des Landesdisziplinargesetzes Brandenburg - LDG - i.V.m. § 133 Abs. 6 VwGO zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen ist. Die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO liegen vor, weil das Berufungsurteil auf der vom Beklagten geltend gemachten fehlerhaften Ablehnung der in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträge (§ 3, § 59 Abs. 1 und § 66 Abs. 1 LDG sowie § 86 Abs. 2 VwGO) und damit auf einer Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) sowie der gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) beruhen kann.

2

1. Der Beklagte steht als Polizeiobermeister im Dienst des klagenden Landes. Im Mai 2006 verurteilte ihn das Amtsgericht wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in einem Fall zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Das Urteil wurde sofort rechtskräftig, weil der Beklagte auf Rechtsmittel verzichtete. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Strafurteils fasste der Beklagte der Tochter seiner damaligen Ehefrau in den Sommerferien des Jahres 1996 oder 1997 in den Schambereich. Trotz des erheblichen Zeitablaufs habe die Tat hinreichend präzise eingeordnet werden können, weil der jüngste Sohn des Beklagten das Zimmer betreten und das Tatopfer sich an diesen Ablauf genau erinnert habe.

3

Einen auf eine eidesstattliche Versicherung des jüngsten Sohn des Beklagten gestützten Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 359 Nr. 5 StPO lehnte das Amtsgericht durch Beschluss ab; die hiergegen erhobene sofortige Beschwerde verwarf das Landgericht mit Beschluss vom 7. Januar 2009. Zwar liege ein neues Beweismittel vor, das aber nicht die Wiederaufnahme des Strafverfahrens rechtfertige. Bereits das Strafurteil habe offen gelassen, ob der Zeuge angesichts seines geringen Alters den Vorgang verstanden hatte. Demgemäß sei naheliegend, dass er sich nunmehr auch nicht mehr an die Situation erinnere. Die neue Aussage sei nicht geeignet, die Glaubhaftigkeit der vom Opfer gemachten Angaben und damit die den Schuldspruch tragenden Feststellungen zu erschüttern.

4

Im sachgleichen Disziplinarverfahren hat das Verwaltungsgericht den Beklagten wegen eines schweren außerdienstlichen Dienstvergehens aus dem Beamtenverhältnis entfernt. Die Berufung des Beklagten blieb ohne Erfolg. Das Berufungsgericht hat die tatsächlichen Feststellungen aus dem Strafurteil zugrunde gelegt und den Antrag auf Vernehmung des jüngsten Sohn des Beklagten als Zeugen ebenso abgelehnt wie einen auf das Zustandekommen des Rechtsmittelverzichtes gerichtetes Beweisgesuch.

5

2. Die Beschwerde des Beklagten rügt zu Recht, dass die Ablehnung der vom Beklagten beantragten Zeugenvernehmung seines jüngsten Sohnes im Prozessrecht keine tragfähige Grundlage findet.

6

Gemäß § 59 Abs. 1 LDG erhebt das Gericht die erforderlichen Beweise. Demnach hat es grundsätzlich selbst diejenigen Tatsachen festzustellen, die für den Nachweis des Dienstvergehens und die Bemessung der Disziplinarmaßnahme von Bedeutung sind (vgl. auch BTDrucks 14/4659, S. 49 zu § 58 BDG). Entsprechend § 86 Abs. 1 VwGO folgt daraus die Verpflichtung, diejenigen Maßnahmen der Sachaufklärung zu ergreifen, die sich nach Lage der Dinge aufdrängen. Dies gilt gemäß § 66 Abs. 1 Satz 1 LDG auch für die Berufungsinstanz.

7

Diese Aufklärungspflicht wird durch § 58 Abs. 1 Satz 1 LDG eingeschränkt. Danach sind die tatsächlichen Feststellungen eines rechtskräftigen Urteils im Strafverfahren im Disziplinarverfahren, das denselben Sachverhalt zum Gegenstand hat, für das Gericht bindend. Nach Satz 2 hat das Gericht jedoch die erneute Prüfung solcher Feststellungen zu beschließen, die offenkundig unrichtig sind. Die gesetzliche Bindungswirkung dient der Rechtssicherheit. Sie soll verhindern, dass zu ein- und demselben Geschehensablauf unterschiedliche Tatsachenfeststellungen getroffen werden. Daher sind die Verwaltungsgerichte nur dann berechtigt und verpflichtet, sich von den Tatsachenfeststellungen eines rechtskräftigen Strafurteils zu lösen und den disziplinarrechtlich bedeutsamen Sachverhalt eigenverantwortlich zu ermitteln, wenn sie ansonsten "sehenden Auges" auf der Grundlage eines unrichtigen oder aus rechtstaatlichen Gründen unverwertbaren Sachverhalts entscheiden müssten. Dies ist etwa der Fall, wenn die Feststellungen in einem entscheidungserheblichen Punkt unter offenkundiger Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften zustande gekommen sind. Hierunter fällt auch, dass das Strafurteil auf einer Urteilsabsprache beruht, die den rechtlichen Anforderungen nicht genügt. Darüber hinaus entfällt die Bindungswirkung, wenn Beweismittel eingeführt werden, die dem Strafgericht nicht zur Verfügung standen und nach denen seine Tatsachenfeststellungen zumindest auf erhebliche Zweifel stoßen (vgl. Urteile vom 29. November 2000 - BVerwG 1 D 13.99 - BVerwGE 112, 243 <245> = Buchholz 235 § 18 BDO Nr. 2 S. 5 f. und vom 16. März 2004 - BVerwG 1 D 15.03 - Buchholz 232 § 54 Satz 3 BBG Nr. 36 S. 81 f.; Beschlüsse vom 24. Juli 2007 - BVerwG 2 B 65.07 - Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 4 Rn. 11 sowie vom 26. August 2010 - BVerwG 2 B 43.10 - Buchholz 235.1 § 57 BDG Nr. 3 Rn. 5).

8

Mit der eidesstattlichen Versicherung seines Sohnes hat der Beklagte tatsächliche Umstände dargetan, aus denen sich die Notwendigkeit einer erneuten Prüfung der strafgerichtlichen Feststellungen ergeben kann. Durch die Zeugenaussage liegt ein neues Beweismittel vor, das geeignet ist, eine andere Entscheidung zu begründen (vgl. § 72 Abs. 2 Satz 1 LDG). Hiervon ist auch das Berufungsgericht ausgegangen. Es hat jedoch die Ablehnung der Zeugenvernehmung des jüngsten Sohnes des Beklagten damit begründet, die Zeugenaussage könne als wahr unterstellt werden. Soweit unter Beweis gestellt werde, ein solcher Vorfall habe nicht stattgefunden, sei der Zeuge im Übrigen ein untaugliches Beweismittel. In den Urteilsgründen führt das Oberverwaltungsgericht weiter aus, die Zeugenaussage sei nicht geeignet, die Glaubwürdigkeit der Opferzeugin wesentlich zu erschüttern. Dass der Zeuge keine eigene Wahrnehmung über einen solchen Vorfall bekunden könne, bedeute nicht, dass es den Vorfall nicht gegeben habe. Auch wenn der zur Tatzeit nur acht- oder neunjährige Zeuge sich heute nicht mehr erinnere, könne dies die Überzeugung des Strafgerichts, dass sich die Opferzeugin deshalb genau habe erinnern können, weil dies die einzige Tat gewesen sei, zu der ein Dritter hinzukam, nicht zu erschüttern. Da die Überzeugungsbildung des Strafgerichts nicht auf ein vom Zeugen beobachtetes Geschehen Bezug genommen habe, begründeten die nunmehrigen Angaben auch keine erheblichen Zweifel an den tatsächlichen Feststellungen.

9

Diese Begründungserwägungen nehmen die Beweiswürdigung unzulässig vorweg.

10

Zwar war das strafgerichtliche Urteil nicht auf die Annahme gestützt, der Zeuge habe entsprechende Vorfälle gesehen, so dass die neue Aussage den getroffenen Feststellungen nicht zwingend entgegensteht. Die unter Beweis gestellte Zeugenaussage entspricht aber dennoch nicht den von der Belastungszeugin gemachten Angaben zum Geschehensablauf. Dies könnte entweder auf dem fehlenden Erinnerungsvermögen des benannten Zeugen liegen, sie könnte aber auch gegen die Glaubhaftigkeit der Schilderung des Tatopfers sprechen. Die neue Zeugenaussage macht daher eine Würdigung der belastenden Angaben des Tatopfers auch und gerade im Hinblick auf den neuen Vortrag erforderlich.

11

Diese Würdigung hat das Oberverwaltungsgericht mit seinem Ablehnungsbeschluss vorweggenommen, ohne die Zeugen selbst gehört zu haben. Es hat mit der abgelehnten Beweisaufnahme nicht nur die Angaben des Zeugen als wahr unterstellt, sondern zugleich entschieden, dass hieraus keine Schlüsse für die Glaubhaftigkeit der Angaben des Tatopfers folgen. Dies kann zwar das mögliche Ergebnis einer durchgeführten Beweisaufnahme sein, die prognostizierte Wahrscheinlichkeit eines Beweisergebnisses rechtfertigt indes nicht deren Unterlassung (vgl. etwa Beschluss vom 4. Dezember 1998 - BVerwG 8 B 184.98 - NVwZ-RR 1999, 336 m.w.N.). Das Absehen von einer weiteren Sachaufklärung mit der Begründung, etwa in Betracht kommende Beweismittel würden voraussichtlich nicht den gewünschten Aufschluss erbringen, stellt eine unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung und damit eine Verletzung der Verpflichtung des Gerichts dar, den Sachverhalt zu erforschen (Beschluss vom 4. September 2008 - BVerwG 2 B 61.07 - Buchholz 235.1 § 58 BDG Nr. 4 Rn. 10 m.w.N.). Von Zeugen hat sich das Gericht grundsätzlich selbst in der mündlichen Verhandlung einen unmittelbaren persönlichen Eindruck zu verschaffen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Glaubwürdigkeit des vernommenen Zeugen und der Glaubhaftigkeit seiner Aussagen vorliegen und der persönliche Eindruck daher unverzichtbar ist (vgl. etwa Beschlüsse vom 26. Oktober 2011 - BVerwG 2 B 69.10 - juris Rn. 13 und 21, vom 1. Juni 2007 - BVerwG 8 B 85.06 - juris Rn. 11 und vom 12. Juli 1985 - BVerwG 9 CB 104.84 - Buchholz 310 § 103 VwGO Nr. 8 jeweils m.w.N.).

12

Hierauf beruht die angegriffene Entscheidung auch. Die Ablehnung des Beweisantrags erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO). Weder kann sie auf eine Bindungswirkung der Beschlüsse der Strafgerichte im Verfahren nach § 359 Nr. 5 StPO gestützt werden noch kommt diesen Beschlüssen für das Disziplinarverfahren vorliegend eine Indizwirkung zu.

13

Zwar sind die Prüfungsgegenstände einer strafgerichtlichen Wiederaufnahmeentscheidung nach § 359 Nr. 5 StPO und eines Lösungsbeschlusses nach § 58 Abs. 1 Satz 2 LDG weitgehend identisch (vgl. Weiß, in: Fürst, GKÖD Bd. II, M § 57 Rn. 15). In beiden Fällen geht es um die Frage, ob angesichts neuer Beweismittel eine erneute Prüfung der tatsächlichen Feststellungen eines rechtskräftigen Strafurteils veranlasst ist. Eine entsprechende Bindungswirkung misst § 58 Abs. 1 Satz 1 LDG indes nur den im Urteilsverfahren zustande gekommenen Feststellungen bei. Hintergrund hierfür sind die hohen Standards für eine nach den Prozessregeln der strafgerichtlichen Hauptverhandlung durchgeführte Beweisaufnahme und Tatsachenfeststellung (vgl. etwa Urteil vom 16. März 2004 - BVerwG 1 D 15.03 - Buchholz 232 § 54 Satz 3 BBG Nr. 36 Rn. 15). Im summarischen Verfahren eines Strafbefehls oder anderer Beschlussformen getroffene Feststellungen lösen die Bindungswirkung dagegen nicht aus (Urteil vom 16. Juni 1992 - BVerwG 1 D 11.91 - BVerwGE 93, 255 <259>).

14

Dem im Rahmen eines strafgerichtlichen Wiederaufnahmeverfahrens nach § 359 Nr. 5 StPO getroffenen Beschluss kann aber entsprechend § 58 Abs. 2 LDG eine Indizwirkung zukommen, die nur entfällt, wenn die strafgerichtliche Würdigung im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten substantiiert angegriffen worden ist (vgl. Beschluss vom 27. Oktober 2008 - BVerwG 2 B 48.08 - juris Rn. 3). Auch hiermit wird dem Anliegen, divergierende Entscheidungen von Straf- und Disziplinargerichten über dieselbe Tatsachengrundlage nach Möglichkeit zu vermeiden, Rechnung getragen. Der Beklagte ist der Würdigung der Strafgerichte vorliegend jedoch im Disziplinarklageverfahren substantiiert entgegengetreten.

15

3. Die hinsichtlich des zweiten Beweisantrags erhobene Verfahrensrüge dagegen ist unbegründet. Es ist nicht zu beanstanden, dass das Oberverwaltungsgericht keinen Beweis über die behauptete Tatsache erhoben hat, die Staatsanwältin habe im Rahmen der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht bekundet, gemäß Rücksprache mit dem Dienstherrn des Beklagten werde dieser als Beamter im Polizeidienst verbleiben und eine auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis gerichtete Disziplinarklage werde nicht erhoben, wenn er zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt und diese zur Bewährung ausgesetzt werde.

16

Soweit dieser Beweisantrag auf die Maßnahmebemessung zielte, war er unerheblich. Denn in Disziplinarklageverfahren muss der Dienstherr keinen Antrag auf Festsetzung einer bestimmten Disziplinarmaßnahme stellen und ein derartiger Antrag ist auch für die Verwaltungsgerichte unverbindlich. Die Disziplinarbefugnis ist nach § 61 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 LDG (§ 60 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 BDG) den Verwaltungsgerichten zugewiesen. Gelangen diese zu der Überzeugung, dass ein Dienstvergehen vorliegt, bestimmen sie die erforderliche Disziplinarmaßnahme aufgrund einer eigenen Bemessungsentscheidung, ohne in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht an die Wertungen des Dienstherrn gebunden zu sein (stRspr. Urteil vom 28. Juli 2011 - BVerwG 2 C 16.10 - BVerwGE 140, 185 = Buchholz 235.2 DisziplinarG Nr. 18 jeweils Rn. 18 m.w.N.).

17

Soweit mit dem Beweisantrag ein unechter Deal, der zur Lösung von den strafgerichtlichen Feststellungen führen könnte, geltend gemacht wurde, ist dessen Ablehnung im Ergebnis nicht zu beanstanden.

18

Allerdings ist die ausweislich der Sitzungsniederschrift der mündlichen Verhandlung zur Ablehnung des Antrags gegebene Begründung unzutreffend, soweit darin ausgeführt wurde, es handele sich um eine in diesem Termin erstmals aufgestellte Behauptung. Wie mit der Beschwerde dargelegt, war vielmehr bereits in der Berufungsbegründungsschrift (S. 6) vorgetragen, die Erklärung habe nicht nur einen Hinweis auf das Fehlen zwingender Entfernungsgründe enthalten, sondern sich darauf bezogen, dass der Beklagte tatsächlich im Beamtenverhältnis verbleiben könne, eine auf die Entfernung aus diesem gerichtete Disziplinarklage also nicht erhoben werde.

19

Die Einschätzung des Oberverwaltungsgerichts, es handele sich um eine "ins Blaue hinein" aufgestellte Behauptung, für die es weder im bisherigen Vorbringen des Beklagten noch nach dem übrigen Akteninhalt tatsächliche Anknüpfungstatsachen gebe, ist gleichwohl nicht zu beanstanden. Weder in der benannten Passage der Berufungsbegründung noch im Beweisantrag selbst sind Anhaltspunkte für die unter Beweis gestellte Tatsache vorgetragen. Vielmehr hat die ehemalige Strafverteidigerin in ihrem Schreiben vom 24. Februar 2009, das allein tatsächliche Hinweise zu dem fraglichen Gespräch vor dem Amtsgericht enthält, ausgeführt, der Arbeitgeber habe im Rahmen der Rücksprache mitgeteilt, bei dieser Verurteilung könnte der Beklagte weiterhin im Polizeidienst tätig sein. Woraus sich die im Verhandlungstermin vor dem Oberverwaltungsgericht unter Beweis gestellte Behauptung, der Dienstherr habe ausweislich der Mitteilung der Staatsanwältin ausdrücklich klargestellt, dass eine Disziplinarklage nicht erhoben und der Beklagte tatsächlich im Polizeidienst verbleiben werde, ergeben sollte, ist damit weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Sie lässt sich insbesondere nicht aus der Erklärung der ehemaligen Strafverteidigerin entnehmen. Zu Recht hat das Oberverwaltungsgericht vielmehr darauf verwiesen, dass der Beklagte selbst derartiges im nachfolgend eingeleiteten Disziplinarverfahren nie vorgetragen und auch nicht gegen die vorläufige Dienstenthebung eingewandt hatte. Die unterlassene Rüge hat der Beklagte nach Eröffnung des Ablehnungsbeschlusses aber weder in Abrede gestellt noch zu erklären gesucht. Entsprechendes findet sich auch in der Beschwerdebegründung nicht. Eine auf den behaupteten Disziplinarklageverzicht bezogene Beweiserhebung war damit nicht veranlasst. Dies gilt umso mehr, als das Disziplinarverfahren eine Verwirkung nicht kennt (vgl. zuletzt Beschluss vom 16. Mai 2012 - BVerwG 2 B 3.12 - NVwZ-RR 2012, 609 m.w.N.).

Gründe

I.

1

Der 1967 in A. geborene Polizeimeister besuchte die Polytechnische Oberschule R. und absolvierte anschließend bis 1987 eine Ausbildung zum Instandhaltungsmechaniker, welche er mit dem Facharbeiterabschluss abschloss. Von 1987 bis 1991 war er als Schlosser im … tätig. Anschließend fand eine Umschulung zum Metallbauer statt. Am 01.09.1992 trat der Beamte in den Vorbereitungsdienst der Schutzpolizei ein und wurde zum Polizeihauptwachtmeister-Anwärter ernannt. Zum 01.09.1996 erfolgte die Ernennung zum Polizeimeister unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit. Zuletzt war er seit dem 15.11.1999 in dem Polizeirevier A. als Sachbearbeiter Streifen- und Ermittlungsdienst eingesetzt. Die letzte dienstliche Beurteilung des Beamten schloss mit 265 Punkten im oberen Bereich der Bewertungsskala für „befriedigend“, die von 200 bis 265 Punkten reicht.

2

Der Beamte ist verheiratet und hat drei Kinder, welche im Zeitpunkt der Anschuldigungsschrift 18, 14 und 9 Jahre alt waren. Der Beamte lebte zur Zeit der Anschuldigungsschrift von seiner Ehefrau getrennt; mittlerweile ist er geschieden. Seine monatlichen Nettodienstbezüge belaufen sich unter Berücksichtigung des Einbehaltungssatzes von 10 % auf 2.015 Euro.

3

Mit Verfügung vom 25.08.2005 wurde dem Beamten die Führung der Dienstgeschäfte entsprechend § 60 Abs. 1 Beamtengesetz Sachsen-Ahnalt (BG LSA) untersagt. Die vorläufige Dienstenthebung nach § 78 Disziplinarordnung Sachsen-Anhalt (DO LSA) erfolgte unter dem 10.10.2005. Gem. § 79 Abs. 1 DO LSA i. V. m. § 81 Abs. 4 Disziplinargesetz Sachsen-Anhalt (DG LSA) wurden mit Verfügung vom 22.07.2008 die Dienstbezüge des Beamten um 10 % gekürzt.

4

Der Beamte ist bis zu dem Vorfall, der zur Disziplinarklage führte, weder disziplinarrechtlich noch strafrechtlich vorbelastet.

II.

5

Mit der Anschuldigungsschrift vom 05.01.2009 wird der Beamte angeschuldigt, dadurch ein Dienstvergehen nach § 77 Abs. 1 BG LSA begangen zu haben, weil er

6

am 19.05.2005, gegen 21.00 Uhr in A. eine andere Person mit Gewaltgenötigt hat, sexuelle Handlungen an sich zu dulden

7

und somit ein Verbrechen, strafbar nach § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB begangen hat.

8

Aufgrund der Berufung des Beamten gegen das Urteil des Amtsgerichts A. ist er mit rechtskräftigem Urteil des Landgerichts Dessau vom 21.08.2006 zu einer Freiheitsstrafe von 11 Monaten wegen sexueller Nötigung in einem minder schweren Fall verurteilt worden. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt.

9

Das Strafurteil führt zum Tatvorwurf aus:

10

„Am 19.05.2005 hatten der Angeklagte und sein Kollege als Beamte des Polizeireviers A. zwei Einsätze in der Straße V. in A., nachdem die dort wohnende Nebenklägerin telefonisch zweimal Anzeige wegen ruhestörenden Lärms erstattet hatte. Spätestens beim zweiten Einsatz, in dessen Verlauf der Angeklagte - im Streifenwagen - die ihm sympathisch erscheinende Nebenklägerin auf deren (versehentlich) offenen „Hosenstall“ hinwies, entschloss sich der Angeklagte zu dem Versuch, eine - auch sexuelle - Beziehung zu der Nebenklägerin aufzubauen. Er hoffte auf eine erste entsprechende Gelegenheit hierzu, als er zwischen 20.43 Uhr und 21.18 Uhr die Wohnung der Nebenklägerin - diesmal allein - aufsuchte, um sich von ihr die auf dem Revier zwischenzeitlich geschriebene Anzeige durch Unterschrift bestätigen zu lassen. Das Angebot seines Kollegen, ihn auch auf dieser Fahrt zur Wohnung der Nebenklägerin zu begleiten, hatte der Angeklagte zuvor abgelehnt.

11

Nachdem die Nebenklägerin den Angeklagten in ihre Wohnung hereingelassen und ihm einen Kaffee angeboten hatte, kam es in der Küche dazu, dass der Angeklagte die ihm gegenüberstehende Nebenklägerin plötzlich und unvermittelt an den Armen ergriff, sie zu sich herzog und ihr einen Kuss auf den Mund gab, den - als solchen - die völlig überraschte Nebenklägerin nicht verhindern konnte. Den vom Angeklagten unternommenen Versuch, auch seine Zunge in den Mund der Nebenklägerin einzuführen, konnte diese jedoch erfolgreich abwehren, indem sie sich losriss und sich ins Wohnzimmer begab, wo ihre damals 7 Jahre alte Tochter ... noch spielte.

12

Von hier aus stellte die Nebenklägerin fest, dass der Angeklagte nunmehr das Kinderzimmer betrat, und folgte ihm, weil sie darüber empört war. Sie fragte den Angeklagten, was er hier zu suchen habe, woraufhin der Angeklagte - wortlos - die Nebenklägerin erneut ergriff, sie dergestalt an sich zog, dass sie mit dem Rücken vor seinem Bauch zu stehen kam und der Angeklagte nach Loslassen beider Arme die Nebenklägerin dieser von hinten mit beiden Händen unter dem T-Shirt die Brüste über dem BH berührte, was der Nebenklägerin Schmerzen bereitete. Als sie nach der Tochter rief, die jedoch nicht reagierte, fasste der Angeklagte noch kräftiger zu. Erst als er erneut - vergeblich - versuchte, die Nebenklägerin zu küssen, gelang es dieser, den Angeklagten wegzustoßen und das Kinderzimmer zu verlassen.

13

Ihrer Aufforderung, nunmehr sofort ihre Wohnung zu verlassen, folgte der Angeklagte, wobei er sich noch für den ihm angebotenen Kaffee bedankte.“

14

Mit Beschluss des Oberlandesgerichts Naumburg vom 01.04.2008 wurde die Revision gegen das Urteil des Landgerichts Dessau vom 21.08.2006 als unbegründet verworfen.

15

Das Disziplinargericht hat mit Beschluss vom 14.09.2009 das gerichtliche Disziplinarverfahren ausgesetzt. Denn gegen den in dem Verfahren gegen den Beamten mitwirkenden Vorsitzenden Richter am Landgericht wurde als Mitglied der 3. kleinen Strafkammer Anklage wegen Urkundenfälschung und Rechtsbeugung erhoben. Mit Beschluss vom 17.10.2012 hat die Kammer das Verfahren wieder aufgenommen. Der Richter ist durch Urteil vom 10.10.2012 freigesprochen worden. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

16

Die Einleitungsbehörde führt aus, dass die tatsächlichen Feststellungen des rechtskräftigen Urteils nach § 17 Abs. 1 Satz 1 DO LSA für das Disziplinarverfahren bindend seien. Der Beamte habe zudem eingeräumt, Anrufe und SMS-Nachrichten gegenüber der Geschädigten getätigt zu haben. Allerdings habe er nicht bemerkt, dass sich die Geschädigte dadurch belästigt gefühlt habe. Der Beamte verteidigte sich damit, dass sich die Geschädigte und er am 19.05.2005 gegenseitig umarmt und geküsst hätten, er dann das Haus verlassen habe. Der Beamte ließ sich weiter dahingehend ein, der Geschädigten am Samstag und Sonntag noch einmal eine SMS oder zwei geschickt zu haben, dass sie sich mal bei ihm melden solle. Er betonte, dass „das Ganze von Beiden ausging“.

17

Danach habe der Beamte schuldhaft ein Dienstvergehen im Sinne des § 77 Abs. 1 BG LSA begangen. Er habe die ihm in § 54 Satz 1 BG LSA normierte Pflicht, sich mit voller Hingabe seinem Beruf zu widmen sowie seine Pflicht zum achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten innerhalb des Dienstes nach § 54 Satz 3 BG LSA schuldhaft verletzt.

III.

18

Bei Gesamtwürdigung der tatsächlichen Feststellungen, der Bewertung des Aktenmaterials sowie der Einlassung des Beamten und der durchgeführten Hauptverhandlung kommt die Disziplinarkammer zu der Überzeugung, dass der Beamte vorsätzlich und schuldhaft gegen seine beamtenrechtlichen Pflichten aus 54 BG LSA; § 34 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) verstoßen hat. Danach hat er sich mit voller Hingabe seinem Beruf zu widmen und sein Verhalten muss innerhalb und außerhalb des Dienstes der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden, die sein Beruf erfordert. Der Beamte hat ein solch schweres innerdienstliches Dienstvergehen (§ 77 Abs. 1 Satz 1 BG LSA; § 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG) begangen, dass seine Weiterbeschäftigung für den Dienstherrn, aber auch für die Öffentlichkeit untragbar geworden ist. Das Vertrauensverhältnis zwischen Dienstherrn und Beamten ist unwiderruflich zerstört. Zudem ist das Verhalten des Beamten geeignet, einen erheblichen Ansehensverlust in der Öffentlichkeit herbeizuführen. Demnach kommt nur die Entfernung aus dem Dienst in Betracht (§ 5 Abs. 1 Nr. 5, § 11 DO LSA; § 5 Abs. 1 Nr. 5; § 10 DG LSA).

IV.

19

Das Disziplinarverfahren ist nach bisherigem Recht, d. h. nach der DO LSA fortzuführen (§ 81 Abs. 4 und 6 DG LSA). Denn die Einleitungsverfügung für das förmliche Disziplinarverfahren ist vor dem Inkrafttreten des Disziplinargesetzes Sachsen-Anhalt (DG LSA) ergangen.

20

1.) Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 DO LSA ist die Disziplinarkammer an die tatsächlichen Feststellungen in dem rechtskräftigen Urteil des Landgerichts Dessau vom 21.08.2006 gebunden. Die Bindung der Disziplinargerichte an tatsächlichen Feststellungen in Urteilen, die in einem sachgleichen Strafverfahren ergangen sind, ist eine die Nutzung besserer Ermittlungsmöglichkeiten der Strafverfolgungsbehörden sichernde und zugleich das Auseinanderfallen von Entscheidungen verschiedener Gerichtsbarkeiten in ein und derselben Sache zu hindern, bestimmte Ausnahme von der grundsätzlichen Freiheit der Gerichte bei der Feststellung des von ihnen unter bestimmten rechtlichen Gesichtspunkten zu beurteilenden Sachverhalts (BVerwG, U. v. 08.04.1986, 1 D 145.85; juris).

21

Eine Lösung von den tatsächlichen Feststellungen des Strafurteils ist nur ausnahmsweise, unter eng begrenzten Voraussetzungen möglich. Die Disziplinargerichte dürfen die eigene Entscheidungsfreiheit nicht an die Stelle der Entscheidung des Strafgerichtes setzen. Strafgerichtliche Feststellungen, die auf einer nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungswerte verstoßenden Beweiswürdigung beruhen, sind daher auch dann für die Disziplinargerichte bindend, wenn diese aufgrund eigener Würdigung abweichende Feststellungen für möglich halten. Nur erhebliche Zweifel können daher zu einer nochmaligen Prüfung veranlassen (vgl. BVerwG, U. v. 05.09.1990, 1 D 78.89; v. 07.10.1986, 1 D 46.86; OVG NRW, U. v. 29.10.1991, 1 V 10/89; VGH Baden-Württemberg, U. v. 18.06.2001, D 17 S 2/01; VG Regensburg, U. v. 09.12.2009, RO 10A DK 09.1074; VG Meiningen, U. v. 19.04.2010, 6 D 60014/09 Me; alle juris).

22

Unter Zugrundelegung dieser Rechtsprechung hat die Disziplinarkammer keine Zweifel an der Richtigkeit der strafrichterlichen Feststellungen zum Tathergang. Allein das Bestreiten des Beamten und der aus seiner Sicht andere Tathergang reichen nicht aus um einen Lösungsbeschluss nach § 17 Abs. 1 Satz 2 DO LSA herbeizuführen. Es ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass die strafgerichtlichen Feststellung auf einer gegen Denkgesetze und Erfahrungswerte verstoßenden Beweiswürdigung beruhen, zumal der Beamte die ihm zur Last gelegten objektiven Verhaltensweisen im Kern einräumt, jedoch andere rechtliche Schlüsse daraus zieht, nämlich der einvernehmlichen sexuellen Betätigung. Auch die schriftsätzlich angebotene Zeugin F., die aussagen soll, dass die Geschädigte Küster einen „leichten Lebenswandel“ geführt habe und sie dafür bekannt sei, dass sie eine emotionale Betroffenheit spielen könne, reicht dazu nicht aus. Letzteres hat das Landgericht Dessau im Urteil innerhalb der Beweiswürdigung hinsichtlich der Geschädigten verneint. Auch allein ein „leichter Lebenswandel“ spricht weder zwingend gegen die Feststellung des Landgerichts Dessau noch lässt er die Taten rechtfertigen.

23

Schließlich rechtfertigt das gegen den im Strafverfahren des Beamten mitwirkenden Vorsitzenden Richters, geführte Strafverfahren nicht die Lösung von den tatsächlichen Feststellungen. Auf die Ausführungen des Disziplinargerichts in dem Beschluss vom 17.10.2012 zur Wiederaufnahme des Verfahrens wird verwiesen.

24

2.) Die vom Beamten begangene Straftat der sexuellen Nötigung ist als innerdienstliche Pflichtenverletzung anzusehen. Nach der gebotenen materiellen Betrachtung richtet sich die Bewertung eines Verhaltens als inner- oder außerdienstlich danach, ob es dem dienstlichen Aufgabenbereich des Beamten oder dem Bereich privater Lebensgestaltung zuzuordnen ist. Außerdienstlich ist ein Verhalten, das sich als dasjenige einer Privatperson darstellt (BVerwG, Beschluss v. 20.11.2012, 2 B 56.12; Urteil v. 20.02.2001, 1 D 55.99; VG Regensburg, Urteil v. 15.10.2009, RN 10A DK 09.00797; alle juris). Der Beamte hat die Straftat während seiner Dienstzeit in Uniform und unter dem Vorwand einer dienstlichen Handlung begangen. Damit ist der kausale und funktionale Zusammenhang mit dem Dienst begründet.

25

3.) Welche Disziplinarmaßnahme im Einzelfall angemessen ist, richtet sich nach der Schwere des Dienstvergehens, dem Persönlichkeitsbild des Beamten sowie dem Umfang der durch das Dienstvergehen herbeigeführten Vertrauensbeeinträchtigung. Die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis ist dann auszusprechen, wenn der Beamte durch ein schweres Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren hat (vgl. § 13 DG LSA). Dabei weist das Disziplinargericht darauf hin, dass, obwohl die DO LSA anders als das DG LSA diese Grundsätze nicht ausdrücklich normierte, diese Bemessungsregelungen stets Ausgangspunkt der disziplinarrechtlichen Rechtsprechung war und ist. Denn im Bundesdisziplinargesetz war diese prognostische Gesamtbewertung stets in § 13 geregelt (vgl. nur: BVerwG, Urteil v. 20.10.2005, 2 C 12.04).

26

a.) Die Schwere des Dienstvergehens beurteilt sich nach objektiven Handlungsmerkmalen wie Eigenart und Bedeutung der Dienstpflichtverletzung, den besonderen Umständen der Tatbegehung sowie Häufigkeit und Dauer eines wiederholten Fehlverhaltens, nach subjektiven Handlungsmerkmalen wie Form und Gewicht des Verschuldens des Beamten, den Beweggründen für sein Verhalten sowie nach den unmittelbaren Folgen für den dienstlichen Bereich und für Dritte. Davon ausgehend kommt es darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung im Einzelfall derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die durch die Schwere des Dienstvergehens indizierte Maßnahme geboten ist. Eine vollständige und richtige Gesamtwürdigung setzt voraus, dass die Disziplinarkammer die im Einzelfall bemessungsrelevanten, d. h. die für die Schwere des Dienstvergehens und das Persönlichkeitsbild bedeutsamen Tatsachen ermittelt und mit dem ihnen zukommenden Gewicht in die Gesamtbewertung einbezieht. Dies entspricht dem Zweck der Disziplinarbefugnis des Disziplinargerichts als einem Mittel der Funktionssicherheit des öffentlichen Dienstes. Dabei findet der Grundsatz „in dubio pro reo“ Anwendung. Die Disziplinargerichte dürfen nur solche belastenden Tatsachen in die Gesamtwürdigung einstellen, die zur Überzeugung des Gerichts feststehen. Demgegenüber müssen entlastende (mildernde) Umstände schon dann zu Gunsten des Beamten berücksichtigt werden, wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für ihr Vorliegen gegeben sind und eine weitere Sachverhaltsaufklärung nicht möglich ist (vgl. nur: VG Magdeburg, Urteil v. 27.10.2011, 8 A 2/11 mit Verweis auf BVerwG, U. v. 27.01.2011, 2 A 5.09; jüngst BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11/10, OVG Lüneburg, Urteil v. 14.11.2012, 19 LD 4/11; zuletzt ausführlich; VG Magdeburg, Urteil v. 29.11.2012, 8 A 12/11; alle juris).

27

Ein endgültiger Verlust des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit (vgl. § 13 Abs. 2 Satz 1 DG LSA) ist anzunehmen, wenn aufgrund der prognostischen Gesamtwürdigung auf der Grundlage aller im Einzelfall bedeutsamen be- und entlastenden Gesichtspunkte der Schluss gezogen werden muss, der Beamte werde auch künftig in erheblicher Weise gegen seine Dienstpflichten verstoßen oder die durch sein Fehlverhalten herbeigeführte Schädigung des Ansehens des Berufsbeamtentums sei bei einer Fortsetzung des Beamtenverhältnisses nicht wieder gutzumachen. Unter diesen Voraussetzungen muss das Beamtenverhältnis im Interesse der Leistungsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und der Integrität des Berufsbeamtentums beendet werden (BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11.10 mit Verweis auf Urteile v. 20.10.2005, 2 C 12.04, v. 03.05.2007, 2 C 9.06 und v. 29.05.2008, 2 C 59.07; alle juris).

28

Die Feststellung dieser für das berufliche Schicksal des Beamten und die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes in gleicher Weise bedeutsamen Voraussetzungen hat der Gesetzgeber in die Hand der Disziplinargerichte gelegt. Sie haben auf der Grundlage ihrer im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung aus einem umfassend aufgeklärten Sachverhalt zu bildenden Überzeugung eine Prognose über die weitere Vertrauenswürdigkeit des Beamten abzugeben. Fällt diese negativ aus, ist der Beamte aus dem Dienst zu entfernen, denn anders als bei den übrigen Disziplinarmaßnahmen besteht insoweit kein Ermessen.

29

b.) Für das danach zu findende Disziplinarmaß können die vom Disziplinarsenat des Bundesverwaltungsgerichts für bestimmte Fallgruppen herausgearbeiteten Regeleinstufungen von Bedeutung sein (BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11/10 mit Verweis auf Urteile v. 20.10.2005, 2 C 12.04 und v. 03.05.2007, 2 C 9.06, alle juris).

30

a. a.) Im Bezug auf strafbares außerdienstliches Verhalten betont das Bundesverwaltungsgericht die Bedeutung der gesetzlichen Strafandrohung für die Maßnahmebemessung (BVerwG, U. v. 19.08.2010, 2 C 5.10 und 2 C 13.10, B. v. 21.12.2010, 2 B 29.10; juris). Die Anknüpfung an den Strafrahmen gewährleistet eine nachvollziehbare und gleichmäßige disziplinarrechtliche Ahndung von Dienstvergehen. Dabei hat das Bundesverwaltungsgericht bei einem Strafrahmen von bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe bei Fehlen jeglichen Dienstbezuges allenfalls eine Disziplinarmaßnahme im unteren Bereich für angemessen erachtet und bei einem Strafrahmen von bis zu zwei Jahren die Zurückstufung als Orientierungsrahmen angesehen. Kommt ein Dienstbezug hinzu, so kann der Orientierungsrahmen bei einem Strafrahmen bis zu einem Jahr ebenfalls die Zurückstufung, bei einem Strafrahmen bis zu zwei Jahren, sogar die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis sein.

31

Vorliegend beträgt der Strafrahmen nach § 177 Abs. 5 StGB auch in einem minder schweren Fall bis zu fünf Jahre, was sogar bei einem außerdienstlichen Fehlverhalten die Entfernung rechtfertigen würde.

32

b. b.) Hinsichtlich der disziplinarrechtlichen Bewertung des dem Beamten zur Last gelegten Strafdelikts der sexuellen Nötigung (§ 177 StGB) hat die disziplinarrechtlichen Rechtsprechungkeine Regeleinstufung als sog. „Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen“ entwickelt. Die Variationsbreite, in der solche Dienstvergehen denkbar sind, ist zu groß, als dass sie einheitlichen Regeln unterliegen und in ihren Auswirkungen auf das Vertrauen gleichermaßen eingestuft werden können. Stets sind die besonderen Umstände des Einzelfalls maßgebend (VG Münster, Urteil v. 03.11.2010, 13 K 871/10.O; juris).

33

a. a. a.) In einer Entscheidung des Wehrdienstsenates des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.07.2010 (2 WD 5.09; juris) wird ausgeführt, dass es der Rechtsprechung des Senates entspreche, dass beim sexuellen Missbrauch eines Kindes oder der sexuellen Nötigung eines Jugendlichen ein Soldat für die Bundeswehr im Grundsatz untragbar geworden ist (Verweis auf die Urteile vom 18.07.2001, 2 WD 51.00 und vom 29.01.1991, 2 WD 18.90; juris). Nur in minderschweren Fällen oder bei Vorliegen besonderer Milderungsgründe könne der Soldat im Dienstverhältnis verbleiben. Diese Gleichstellung der Deliktschwere des sexuellen Missbrauchs eines Kindes mit der sexuellen Nötigung eines Jugendlichen hält das Gericht jedoch mit dem vorliegenden Fall der sexuellen Nötigung eines Erwachsenen für nicht vergleichbar. Denn die Gleichstellung und der damit verbundene Grad der Vertrauensbeeinträchtigung wird mit dem Einfluss auf die sittliche Entwicklung eines jungen Menschen zur harmonischen Entwicklung zur Gesamtpersönlichkeit begründet. Diese schutzwürdige Sichtweise ist vorliegend bei einem Erwachsenen nicht gegeben. Dementsprechend hat der Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in einem anderen Fall (Urteil vom 01.03.2007, 2 WD 4.06; juris) bei der zur Last gelegten (bloßen) sexuellen Belästigung (also kein Straftatbestand der sexuellen Nötigung) durch einen vorgesetzten Soldaten auch wegen der Einstellung der strafrechtlichen Ermittlungen wegen sexueller Nötigung die Disziplinarmaßnahme der Kürzung der Dienstbezüge als geboten angesehen.

34

b. b. b.) Dem Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 09.12.2009 (RO 10 A DK 09.1074; juris) ist die Disziplinarmaßnahme der Zurückstufung zu entnehmen. Dort wurden dem Polizeibeamten mehrere sexuelle Pflichtverletzungen zur Last gelegt (Weitergabe von Informationen aus dem Polizeicomputer; Versendung einer Nacktaufnahme, die ihn nackt auf einem Ecksofa sitzend mit erigiertem Penis zeigt; Körperverletzung und sexuelle Nötigung einer Frau gegenüber). Der Beamte wurde zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt. Dort setzt sich das Gericht mit der im Einzelfall notwendigen Bewertung der zur sexuellen Nötigung geführten Tatumstände auseinander, wie Intensität und Dauer der Handlung und hier die Besonderheit, dass die Geschädigte trotz Übersendung der Nacktbilder den Beamten später traf. Darüber hinaus stellte dies ein außerdienstliches Verhalten dar.

35

c. c. c.) Der Verwaltungsgerichtshof Baden Württemberg (U. v. 18.06.2001, D 17 S 2/01; juris) sprach einem im Ruhestand befindlichen Lehrer das Ruhegehalt ab, weil er sich zu Zeiten seines aktiven Dienstes der sexuellen Nötigung seiner minderjährigen Tochter strafbar gemacht hat. Auch dort wurde der Beamte zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt. Der VGH geht hier von der disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahme aus. Denn auch die Entfernung aus dem Dienst sei gerechtfertigt gewesen. Das Gericht führt aus, dass die Disziplinargerichte bei der Frage nach der angemessenen disziplinarrechtlichen Reaktion auf das Dienstvergehen nicht an die strafrechtlichen Zumessungserwägungen gebunden seien bzw. sich auch nicht daran zu orientieren hätten.

36

d. d. d.) Das Verwaltungsgericht Karlsruhe führt in einem Urteil vom 07.12.2009 (DL 13 K 598/09; juris) im Fall einer vorläufigen Dienstenthebung (nach der dortigen Gesetzeslage als Klage ausgestaltet) aus, dass voraussichtlich eine Entfernung angebracht sei, weil der verbeamtete Lehrer Fotos von Schülern fertigte und ins Internet stellte. Zudem sprach er Schülerinnen direkt an um Fotoaufnahmen und Videoclips zu drehen. Infolgedessen kam es auch zu beleidigenden sexuellen Übergriffen. Auch dort ist entscheidend, dass es sich um einen Pädagogen handelte, der auf den Entwicklungs- und Reifeprozess seiner Schüler Einfluss nahm und daher auch nicht mit dem hier uns zu behandelnden Fall eines Erwachsenen zu vergleichen ist.

37

e. e. e.) Von der Höchstmaßnahme geht auch das Verwaltungsgericht Berlin in einer jüngeren Entscheidung vom 28.08.2012 (80 K 2.12 OL; juris) aus. Dort handelte es sich um einen Polizeibeamten, der mehrere Pflichtverletzungen begangen hat (unberechtigte Polizeiabfragen; Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung).

38

c.) Für die hier im Einzelfall vorzunehmende disziplinarrechtliche Bewertung ist für das erkennende Gericht bedeutsam, dass der Beamte die Straftat unter Ausnutzung seiner dienstlichen Tätigkeit und der in der Person eines Polizeibeamten begründeten Vertrauensstellung beging. Unter dem Vorwand einer Diensthandlung verschaffte er sich so den Zutritt zur Wohnung der Geschädigten und zwang sie in ihrer Wohnung und damit innerhalb des von ihr als geschützt angesehenen Raumes in Gegenwart eines Kindes zu den sexuellen Handlungen. Weiter spricht gegen den Beamten, dass er nach den tatbestandlichen strafrichterlichen Feststellungen, die Geschädigte zweimal durch sexuelle Übergriffe genötigt hat. Handelt es sich dabei auch straf- wie disziplinarrechtlich „nur“ um eine Handlung im Rechtssinne, so ist es disziplinarrechtlich doch beachtlich, dass er als offensichtlich erkennbarer Polizeibeamter der Geschädigte in deren Wohnung nach dem ersten erzwungenen Kuss noch nachstellte, sie an sich riss, ihre Brüste berührte und ihr somit Schmerzen zufügte. Ein solches verfehltes dienstliches Verhalten eines Polizeibeamten ist im höchsten Maße für das öffentliche Ansehen der Berufsgruppe der Polizei schädigend. Polizeibeamte haben Straftaten zu verhindern, aufzuklären und nicht zu begehen. Dabei ist das Disziplinargericht bei dieser von ihm eigens zur Festlegung der notwendigen Disziplinarmaßnahme anzustellenden Gesamtbetrachtung der Schwere des Pflichtverletzung nicht an die strafrichterliche Feststellung eines minder schweren Falls (§ 177 Abs. 5 StGB) gebunden. Die bereits eingangs beschriebene disziplinarrechtliche Bindungswirkung nach § 17 Abs. 1 Satz 1 DO LSA betrifft nur die tatsächlichen Feststellungen des Strafurteils, nicht aber die strafrichterliche Wertung zum „Maß der Gewaltanwendung“. Anknüpfungspunkt für die zu verhängende Disziplinarmaßnahme ist – auch wenn insoweit abweichend vom strafrechtlichen Ansatz – allein die Sichtweise des Dienstrechts, für die auf das Gewicht und die Schwere der Verletzung der Dienstpflicht abzustellen ist (VGH Baden-Württemberg, Urteil v. 18.06.2001, D 17 S 2/01; juris).

39

d.) Von der aufgrund der Schwere des Dienstvergehens auszusprechenden disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahme ist dann Abstand zu nehmen, wenn zu Gunsten des Beamten gewichtige Entlastungsgründe (Milderungsgründe) zu berücksichtigen sind, die den Schluss rechtfertigen, dass das dem Beamten vom Dienstherrn und der Allgemeinheit entgegengebrachte Vertrauen noch nicht endgültig verloren ist. Solche Gründe stellen zum einen die von der Rechtsprechung bezüglich der sog. Zugriffsdelikte entwickelten und anerkannten Milderungsgründe dar, die besondere menschliche Konfliktsituationen beschreiben. Hierzu zählen etwa das Handeln in einer existenziellen wirtschaftlichen Notlage oder einer körperlichen oder psychischen Ausnahmesituation oder besonderen Versuchssituationen oder eine persönlichkeitsfremde Einzelverfehlung des Beamten wie auch „Entgleisungen“ während einer negativen, inzwischen überwundenen, durch Alkohol, Drogen oder Schicksalsschlägen bedingte Lebensphase. Der Milderungsgrund der Geringwertigkeit eines verursachten Schadens oder des geldlichen Vorteils der Handlung wird bei etwa 50,00 Euro gezogen. Auch besondere die Dienstpflichtverletzung begünstigende Handlungen und mangelnde Kontrollen des Dienstherrn können im Einzelfall wie ein besonderes Nachtatverhalten die Schwere der Verfehlung mildern. Zeitlich überlange Disziplinarverfahren können wegen des disziplinarrechtlichen Beschleunigungsgebotes und der mit dem Disziplinarverfahren verbundenen persönlichen Belastungen jedenfalls bei Maßnahmen der Pflichtenmahnung berücksichtigt werden. Entlastungsgründe können sich aber zum anderen auch aus allen Besonderheiten ergeben, die es im Einzelfall wegen der persönlichkeitsbedingten an § 13 DG LSA zu orientierenden Prognoseentscheidung gebieten, von der disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahmen Abstand zu nehmen. Die entlastenden Gründe sind nicht (mehr) allein auf den in der Rechtsprechung entwickelten Kanon der anerkannten Milderungsgründe beschränkt (BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11.10, m. w. Nachw.; juris). Diese Besonderheiten müssen aber in ihrer Gesamtheit geeignet sein, die Schwere des Pflichtenverstoßes erheblich herabzusetzen. Generell gilt, dass das Gewicht der Entlastungsgründe umso größer sein muss, je schwerer das Delikt aufgrund der Schadenshöhe sowie der Tatumstände, wie Anzahl, Häufigkeit, Zeitraum, Verschiedenartigkeit und Tatausführung wiegt (im Ganzen ausführlich: VG Magdeburg, Urt. v. 31.03.2011, 8 A 2/10 MD und v. 27.10.2011, 8 A 2/11, mit Verweis auf BVerwG, Urt. v. 24.05.2007, 2 C 28.06, Urt. v. 06.06.2007, 1 D 2.06, Urt. v. 29.05.2008, 2 C 59.07; Bayr. VGH, Urt. v. 27.10.2010, 16 aD 09.2470; OVG Lüneburg, Urt. v. 08.02.2011, 6 LD 4/08; zuletzt ausführlich; VG Magdeburg, Urteil v. 29.11.2012, 8 A 12/11; alle juris).

40

Soweit das Strafgericht ausführt, dass objektive Umstände im Vorfeld der Tat (wie z. B. „offener Hosenstall der Nebenklägerin“) die Begehung der Tat begünstigt haben könnten, ändert dies nichts an der festzustellenden Ansehensschädigung der Berufsgruppe der Polizei. Andere greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen geeigneter Entlastungsgründe sind nicht ersichtlich und werden auch nicht vorgetragen.

41

e.) Die nach alledem notwendige Entfernung aus dem Dienst verstößt auch nicht gegen das Verhältnismäßigkeitsgebot. Denn diese disziplinarrechtliche Maßnahme ist die einzige Möglichkeit, dass durch den Dienstherrn sonst nicht lösbare Dienstverhältnis einseitig zu beenden. Die darin liegende Härte ist für den Betroffenen nicht unverhältnismäßig. Sie beruht vielmehr auf ein von ihm zurechenbares Verhalten (BVerwG, U. v. 21.06.2000, 1 D 49.99; juris).

42

4.) Das Gericht macht von der Möglichkeit des § 63 Abs. 1 DO LSA Gebrauch und hält die Bewilligung von 50. v. H. des erdienten Ruhegehaltes für einen Zeitraum von 6 Monaten für vertretbar.

43

5.) Die Kostenentscheidung folgt aus § 100 Abs. 1 Satz 1 HS 1 DO LSA; das Verfahren ist gemäß § 98 Abs. 1 DO LSA gerichtsgebührenfrei.


(1) Beamtinnen und Beamte haben sich mit vollem persönlichem Einsatz ihrem Beruf zu widmen. Sie haben die übertragenen Aufgaben uneigennützig nach bestem Gewissen wahrzunehmen. Ihr Verhalten innerhalb und außerhalb des Dienstes muss der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden, die ihr Beruf erfordern.

(2) Beamtinnen und Beamte haben bei der Ausübung des Dienstes oder bei einer Tätigkeit mit unmittelbarem Dienstbezug auch hinsichtlich ihres Erscheinungsbilds Rücksicht auf das ihrem Amt entgegengebrachte Vertrauen zu nehmen. Insbesondere das Tragen von bestimmten Kleidungsstücken, Schmuck, Symbolen und Tätowierungen im sichtbaren Bereich sowie die Art der Haar- und Barttracht können eingeschränkt oder untersagt werden, soweit die Funktionsfähigkeit der Verwaltung oder die Pflicht zum achtungs- und vertrauenswürdigen Verhalten dies erfordert. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn Merkmale des Erscheinungsbilds nach Satz 2 durch ihre über das übliche Maß hinausgehende besonders individualisierende Art geeignet sind, die amtliche Funktion der Beamtin oder des Beamten in den Hintergrund zu drängen. Religiös oder weltanschaulich konnotierte Merkmale des Erscheinungsbilds nach Satz 2 können nur dann eingeschränkt oder untersagt werden, wenn sie objektiv geeignet sind, das Vertrauen in die neutrale Amtsführung der Beamtin oder des Beamten zu beeinträchtigen. Die Einzelheiten nach den Sätzen 2 bis 4 können durch Landesrecht bestimmt werden. Die Verhüllung des Gesichts bei der Ausübung des Dienstes oder bei einer Tätigkeit mit unmittelbarem Dienstbezug ist stets unzulässig, es sei denn, dienstliche oder gesundheitliche Gründe erfordern dies.

(1) Wer eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(1) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer

1.
einen Diebstahl begeht, bei dem er oder ein anderer Beteiligter
a)
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt,
b)
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden,
2.
als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Raub oder Diebstahl verbunden hat, unter Mitwirkung eines anderen Bandenmitglieds stiehlt oder
3.
einen Diebstahl begeht, bei dem er zur Ausführung der Tat in eine Wohnung einbricht, einsteigt, mit einem falschen Schlüssel oder einem anderen nicht zur ordnungsmäßigen Öffnung bestimmten Werkzeug eindringt oder sich in der Wohnung verborgen hält.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 bis 3 ist die Strafe Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren.

(4) Betrifft der Wohnungseinbruchdiebstahl nach Absatz 1 Nummer 3 eine dauerhaft genutzte Privatwohnung, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.

Tatbestand

1

Die Klägerin führt die Disziplinarklage gegen den verbeamteten Beklagten mit dem Ziel der Entfernung des Beamten aus dem Beamtenverhältnis.

2

Der 1959 geborene Beamte ist im Rang eines Polizeihauptmeisters (BesGr. A 9 LBesO) bei der A. und dort im entscheidungserheblichen Zeitraum als stellvertretender Leiter der Kraftfahrzeugwerkstatt beschäftigt.

3

Nach dem Besuch der zehnklassigen Polytechnischen Oberschule im Jahre 1976 erlernte der Beklagte den Beruf des Facharbeiters für geologische Bohrungen. 1978 trat er in den Polizeidienst der ehemaligen DDR ein und wurde als Sachbearbeiter für Treib- und Schmierstoffe sowie als Instandsetzer und Lagerverwalter für Kraftfahrzeugersatzteile eingesetzt. Im Jahre 1982 erwarb er den Facharbeiterlehrabschluss für Berufskraftfahrer und 1990 die Qualifikation als Meister in der Fachrichtung Transportbetriebstechnik. Es folgte 1991 die Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe zum Polizeiobermeister und 1994 die Beförderung zum Polizeihauptmeister als Beamter auf Lebenszeit. Es folgten mehrere Dienstposten im Bereich Technik und Kraftfahrangelegenheiten und seit 1994 ist der Beamte auf dem Dienstposten „Sachbearbeiter Technik; stellvertretender Werkstattleiter“ eingesetzt. Den Dienposten „Sachbearbeiter Kraftfahrangelegenheiten“ bekleidete er seit 2005 und zusätzlich weiterhin die Tätigkeit als stellvertretender Werkstattleiter.

4

Der Beklagte ist verheiratet und hat zwei erwachsene Töchter. Die dem Beamten erstellte letzte dienstliche Beurteilung aus dem Jahr 2005 lautet in der Gesamtbewertung auf „befriedigend“. Der Beamte ist disziplinar- und strafrechtlich bislang nicht Erscheinung getreten.

5

Im Jahr 2008 wurde gegen den Leiter der Kraftfahrzeugwerkstatt der A., gegen den die Disziplinarklage 8 A 9/11 MD geführt wurde, wegen des Verdachts der schuldhaften Verletzung von Dienstpflichten ein Disziplinarverfahren eingeleitet und zudem strafrechtlich ermittelt. Es bestand der hinreichende Verdacht, dass der Beamte bei privaten Bestellvorgängen von Kraftfahrzeugersatzteilen diese unter rechtswidriger Inanspruchnahme der nur dem Land Sachsen-Anhalt eingeräumten Rabatte erworben zu haben. Zudem war dieser Beamte hinreichend verdächtigt, private Autoreparaturleistungen durchzuführen. In Kenntnis dieser gegen den Leiter der Kraftfahrzeugwerkstatt erhobenen Vorwürfe offenbarte sich der Beklagte als stellvertretender Leiter der Kraftfahrzeugwerkstatt am 12.08.2008 seinem Dienstherrn und teilte mit, „reinen Tisch zu machen“. Der Beamte übergab Bargeld in Höhe von 220,00 Euro, einen Jahreskalender mit persönlichen Aufzeichnungen sowie einen Ordner mit dienstlichen Unterlagen. Er teilte mit, dass das Geld vom Verkauf abgeschriebener Reifen von Polizeifahrzeugen durch seinen Vorgesetzten, dem Leiter der Kraftfahrzeugwerkstatt F., stamme.

6

Am 25.08.2008 wurde gegen den Beklagten ein Disziplinarverfahren eingeleitet, welches bis zum Abschluss des strafrechtlichen Verfahrens ausgesetzt wurde. Mit Verfügung vom 01.07.2011 wurde das Disziplinarverfahren nach Abschluss der strafrechtlichen Ermittlungen fortgeführt. Aufgrund der umfangreichen strafrechtlichen Ermittlungen wurde im behördlichen Disziplinarverfahren auf weitere Ermittlungen gemäß §§ 21 Abs. 2, 24 Abs. 2 DG LSA verzichtet. Mit Verfügung vom 01.07.2011 wurde dem Rechtsbeistand des Beklagten mit Verweis auf § 30 DOG LSA Gelegenheit zur Äußerung gegeben, wovon der Beklagte unter dem 04.08.2011 Gebrauch machte.

7

Aufgrund der disziplinarrechtlichen Vorwürfe ist der Beklagte seit dem 25.09.2008 mit einer Gehaltskürzung von 20 % vorläufig des Dienstes enthoben.

8

Mit Strafbefehl des Amtsgerichts A-Stadt vom 08.12.2009 (Cs 822 Js 78744/08) wurde gegen den Beklagten wegen Betruges und Vorteilsannahme eine Gesamtgeldstrafe von 110 Tagessätzen verhängt. Dem lagen im Zeitraum vom 05.02.2004 bis in das Jahr 2007 reichende 12 Straftaten zugrunde, wonach der Beamte unter Inanspruchnahme des dem Land Sachsen-Anhalt gewährten Rabattes verschiedene Fahrzeugteile bestellt und für sich oder außen stehende Dritte verwendet habe, ohne dazu berechtigt gewesen zu sein, um so die Differenz zwischen dem Rabattpreis und dem für Privatkunden geltenden Verkaufspreisen zum Schaden der Fahrzeugteile-Firma einzusparen. Weiter habe der Beamte eine Bargeldsumme in Höhe von 50,00 Euro im Jahre 2007 von dem Reifenhändler T. unberechtigt entgegengenommen. Der Strafbefehl wurde durch Urteil des Amtsgerichts A-Stadt aufgrund der letzten Hauptverhandlung vom 14.10.2010 bestätigt. Letztendlich wurde das gegen den Beamten geführte Strafverfahren mit Beschluss des Landgerichts A-Stadt vom 13.04.2011 nach § 153 a StPO endgültig eingestellt.

9

Mit der Disziplinarklage vom 27.09.2011 (Eingang: 28.09.2011) wird der Beamte angeschuldigt, ein Dienstvergehen nach § 47 Abs. 1 Satz 1 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) begangen zu haben, indem ihm folgende Dienstpflichtverletzungen zur Last gelegt werden:

10

„1. In der Eigenschaft als Polizeibeamter und stellvertretender Leiter der Kfz-Werkstatt der A. nahm der Beklagte von dem gesondert verfolgten selbständigen Reifenhändler U. T. im Zusammenhang mit der Aussonderung und Entsorgung sowie Verladung von Altreifen der Kraftfahrzeuge der A. an einem konkret nicht feststellbaren Tag im Jahre 2007 eine Bargeldsumme in Höhe von 50,00 Euro an, obwohl der Beamte wusste, dass er dazu nicht berechtigt war, insbesondere, weil keine Genehmigung der zuständigen Behörde vorlag.

11

2. Im Ergebnis der gegen den Beklagten geführten strafrechtlichen Ermittlungen sowie nach Sichtung der Rechnungsunterlagen der Ermittlungsakten im behördlichen Disziplinarverfahren besteht hinreichend der Verdacht, dass der Beklagte im Rahmen der Tätigkeit als stellvertretender Leiter der Kfz-Werkstatt der A., zu der u. a. die Bestellung von Ersatzteilen für polizeieigene Fahrzeuge gehört, im Namen der A. bei der Firma a. A. A. GmbH, K.-H.-Str. 43, A-Stadt, während des Dienstes unter Ausnutzung seiner dienstlichen Stellung verschiedene Fahrzeugteile für sich oder Dritte privat käuflich erwarb. Nachfolgende Rechnungen weisen keinen dienstlichen Bezug auf, sind an den Beklagten adressiert oder mit einem entsprechenden Adressaten-Hinweis versehen. Da die Rechnungen die Kundenummer der A. enthalten, erfolgte durch die Firma a. A. A. GmbH ein ausschließlich für die A. gewährter Rabatt zwischen 15 und 45 %.

12

Den Erhalt der Ware bestätigte der Beklagte mit seiner Unterschrift auf zwei Rechnungen, was auch durch den Rechtsbeistand des Beklagten mit dem Hinweis, dass es sich dabei nicht um die Originalrechnungen handelt, insofern bestätigt wurde.

13

Beweis:

14

Rechnung Nr. 7714 vom 04.08.2003 - Hängerkupplung mit Elektrosatz für 262,59 €
(Ordner 4 der Disziplinarakte, Beweismittelband 2, Blatt Nr. 012)

15

Rechnung Nr. 7951 vom 02.09.2003-Felgen für 131,40 €
(Ordner 4 der Disziplinarakte, Beweismittelband 2, Blatt Nr. 014)

16

Äußerung des Rechtsbeistandes des Beklagten vom 04.08.2011
(Disziplinarakte B., Blatt Nr. 027/16, Ziffer I.2)

17

Nachfolgende Rechnungen weisen ebenfalls keinen dienstlichen Bezug, sind an den Beklagten adressiert bzw. an ihn gerichtet und tragen die Kundennummer der LBP LSA (105685):

18

Beweis:

19

Rechnung Nr. 6285 vom 17.02.2003 - Leichtmetallfelgen für 264,48 €
(Ordner 4 der Disziplinarakte, Beweismittelband 2, Blatt Nr. 003)

20

Rechnung Nr. 6497 vom 13.03.2003 - Luftfilter für 54,15 €
(Ordner 4 der Disziplinarakte, Beweismittelband 2, Blatt Nr. 004)

21

Rechnung Nr. 25904 vom 24.04.2003 - Reifen für 69,02 €
(Ordner 4 der Disziplinarakte, Beweismittelband 2, Blatt Nr. 006)

22

Rechnung Nr. 7946 vom 02.09.2003 - Reifen für 139,20 €
(Ordner 4 der Disziplinarakte, Beweismittelband 2, Blatt Nr. 013)

23

Rechnung Nr. 52494 vom 10.09.2003 - Reifen für 183,74 €
(Ordner 4 der Disziplinarakte, Beweismittelband 2, Blatt Nr. 016)

24

Rechnung Nr. 8470 vom 27.10.2003 - Kupplungssatz für 80,26 €
(Ordner 4 der Disziplinarakte, Beweismittelband 2, Blatt Nr. 022)

25

Rechnung Nr. 84524 vom 05.02.2004 - Luftmassenmesser für 173,42 €
(Ordner 4 der Disziplinarakte, Beweismittelband 2, Blatt Nr. 027)

26

Rechnung Nr. 9781 vom 17.04.2004-Heckträger für 200,63 €
(Ordner 4 der Disziplinarakte, Beweismittelband 2, Blatt Nr. 032)

27

Rechnung Nr. 10387 vom 15.06.2004 - Radblende für 29,35 €
(Ordner 4 der Disziplinarakte, Beweismittelband 2, Blatt Nr. 036)

28

Rechnung Nr. 11582 vom 08.10.2004 - Nylon-Vollgarage für 18,50 €
(Ordner 4 der Disziplinarakte, Beweismittelband 2, Blatt Nr. 042)

29

Rechnung Nr. 42127 vom 14.10.2004 - Nylonhalbgarage für 6,58 €
(Ordner 4 der Disziplinarakte, Beweismittelband 2, Blatt Nr. 044)

30

Rechnung Nr. 49703 vom 15.11.2004 - Reifen für 118,92 €
(Ordner 4 der Disziplinarakte, Beweismittelband 2, Blatt Nr. 051)

31

Rechnung Nr. 13935 vom 20.05.2005 - Zierleisten für 14,82 €
(Ordner 4 der Disziplinarakte, Beweismittelband 2, Blatt Nr. 069)

32

Rechnung Nr. 99151 vom 26.05.2005 - Blinkleuchten für 32,04 €
(Ordner 4 der Disziplinarakte, Beweismittelband 2, Blatt Nr. 070)

33

Rechnung Nr. 5546 vom 08.07.2005 - Heckblech und Zündschalter für 51,16 €
(Ordner 4 der Disziplinarakte, Beweismittelband 2, Blatt Nr. 073)

34

Rechnung Nr. 171362 vom 04.01.2006 - Batterie für 28,00 €
(Ordner 4 der Disziplinarakte, Beweismittel band 2, Blatt Nr. 076)

35

Rechnung Nr. 431467 vom 28.09.2006 - Heckleuchte Opel Corsa für 34,22 €,
(Ordner 4 der Disziplinarakte, Beweismittelband 2, Blatt Nr. 081).“

36

Polizeihauptkommissar H. habe in glaubhafter Weise als Zeuge vor dem Amtsgericht A-Stadt ausgesagt, dass eine Nylon-Voll- bzw. -Halbgarage (Rechnung Nr. 42127 vom 14.10.2004) nicht im Gebrauch der A. sei. Die Bestellvorgänge würden keinen dienstlichen Bezug aufweisen, da Dienstfahrzeuge in Garagen stünden. Auch ein Opel Corsa sei nicht im Bestand der A.. Der Zeuge habe ebenso ausgesagt, dass ihm Rechnungen mit privaten Anschriften nicht bekannt seien. Der Außendienstmitarbeiter der Firma a. A. A. GmbH, E., habe ausgesagt, dass nur Mitarbeiter der Firma das Adressatenfeld ändern könnten. Herr E. habe auch darauf hingewiesen, dass Werkstattrabatte gegenüber einem Endverbraucher unterschiedlich seien. Der Prokurist der Firma a. A. A. GmbH, Herr P., habe als Zeuge im Strafverfahren ausgesagt, dass der Besteller die Kundennummer und den Namen nennen müsse. Der Zeuge Polizeiobermeister S. habe zugegeben, vom Beklagten gegen Rechnung im Jahre 2008 eine Batterie für einen Rasentraktor gekauft zu haben.

37

Die Rechnungen vom 04.08.2003 und 02.09.2003 seien vom Beklagten unterschrieben.

38

Weiter lautet der Anklagesatz:

39

„3. Der Beklagte unterließ es, verdachtsrelevante Sachverhalte an seine Vorgesetzten weiterzumelden. Bereits im Jahr 2006 wurde der Beklagte nach seiner Aussage durch Polizeimeister F. darüber informiert, dass dieser beabsichtige, ausgesonderte Reifen von Landesfahrzeugen mit einer Profiltiefe von mehr als 3 mm an Privatpersonen bzw. an die Firma T. Reifenentsorgung weiterzuverkaufen. Diese Reifen hätten nach Aussage des Beklagten für das Fahrsicherheitstraining noch verwendet werden können. Seinen Aussagen zufolge habe er Polizeihauptmeister F. davor gewarnt, unrechtmäßige Handlungen, insbesondere mit dienstlichem Eigentum, vorzunehmen. Auch als der Beklagte in Kenntnis der unrechtmäßigen Reifenverkäufe durch Polizeihauptmeister F. im Jahr 2007 Bargeld zur Aufbewahrung überreicht bekam, meldete er diesen Sachverhalt nicht weiter, obwohl er dazu verpflichtet gewesen wäre.

40

Erschwert pflichtwidrig handelte der Beklagte, indem er trotz des Verbotes der Annahme von Belohnungen und Geschenken sowie der Bekämpfung der Korruption im Jahr 2007 von Herrn T. 50,00 Euro Geldzuwendung entgegennahm und von weiteren Geldzuwendungen zwischen Herrn T. und Polizeihauptmeister F. wusste.

41

Zu einer Einnahmeanweisung von 80 Stück Reifen vom 20.02.2008 bemerkte der Beklagte, dass sich unter diesen Reifen auch Reifen mit mehr als 3 mm Profiltiefe befanden, die in einer Garage im Objekt der A. eingelagert waren. Zu einem nicht benannten Zeitpunkt stellte der Beklagte das Verschwinden dieser Reifen fest. Konfrontiert mit dieser Feststellung habe Polizeihauptmeister F. geäußert, dass er diesen Reifen an Kollegen aus der Landesbereitschaftspolizei weiterverkauft habe. Auch diesen Sachverhalt meldete der Beklagte nicht weiter.

42

Nach Aussage des Beklagten habe er beobachtet, wie Polizeihauptmeister F. im Bereich der Kraftfahrzeugwerkstatt Reifen und Kraftfahrzeugteile, die er bei Autoteile-Zulieferern bestellt, bei denen er ein persönliches Kundenkonto besitzt und so zu günstigen Konditionen, als eine andere Privatperson einkaufen kann, an Bedienstete der A. weiter veräußert hat. Nach Aussage des Beklagten sah dieser selbst, dass Polizeihauptmeister F. bei der Übergabe der Ersatzteile Geld bekommen hat.

43

4. Nach Aussage des Beklagten übergab dieser im Jahr 2003 an Polizeihauptmeister F. ein Funktelefon der Marke Siemens, Typ ME 45, welches im Werkstattbereich der A. durch einen unbekannten Polizeibeamten aufgefunden wurde. In Kenntnis des Beklagten verwahrte Polizeihauptmeister F. widerrechtlich das Handy in seinem Schreibtisch, wobei der Beklagte selbst das Handy unter Verwendung einer privaten SIM-Karte ab dem Jahr 2006 privat nutzte. Das Handy einschließlich einer schwarzen Handytasche wurde erst im Rahmen der kriminalpolizeilichen Ermittlungen gegen den Beklagten am 14.08.2008 übergeben.

44

5. Gemäß der Dienstpostenbeschreibung als Stellvertreter der Kfz-Werkstatt war der Beklagte für Werkzeuge und die Vernichtung ausgesonderter Werkzeuge verantwortlich. Hinsichtlich eines in Verlust geratenen Excenter-Schleifers wurde festgestellt, dass am 24.06.2005 bei der Firma Würth ein neuer Druckluft-Excenter-Schleifer der Marke Master angeschafft wurde. Bei der Kontrolle wurde dieses Gerät nicht aufgefunden. Am 12.04.2007 bat Polizeihauptmeister F. um Abschreibung eines Excenter-Schleifers. Der Beklagte setzte das Gerät mit Unterschrift und Datum vom 13.04.2007 als Verantwortlicher ab. Bei der Kontrolle wurde der abgesetzte Excenter-Schleifer Marke Mirka 891 vorgelegt.

45

6. Ohne Genehmigung hat er einen Schrank der Deutschen BP AG zur Lagerung von Ölgebinden entgegengenommen.

46

7. Der Beklagte oder der Polizeihauptmeister F. haben von der Firma a. A. A. GmbH gelieferte Artikel, nämlich

47

- zwei Stück Purflux-Set Handtuch,
- T-Shirt,
- zwei Stück MP3-Player Digital 256 MB und,
- drei Fl. Wurzelpeter 0,7 l.

48

entgegengenommen. Dabei hat es sich um Zugaben zu bestellten Kfz-Teilen gehandelt.“

49

Der Beamte habe gegen seine Dienstpflichten zur uneigennützigen Amtsführung (§ 34 Satz 2 BeamtStG), der Wohlverhaltenspflicht (§ 34 Satz 3 BeamtStG) sowie gegen die Pflicht, dienstliche Anordnungen auszuführen und deren allgemeine Richtlinien zu befolgen (§ 35 Satz 2 BeamtStG) verstoßen. Disziplinarrechtlicher Schwerpunkt sei dabei das Verhalten im Dienstvergehenskomplex des korruptiven Fehlverhaltens und damit der Pflicht zur Uneigennützigkeit. Entgegen § 42 BeamtStG, wonach keine Belohnungen oder Geschenke in Bezug auf sein Amt angenommen werden dürfen, habe der Beamte pflichtwidrig gehandelt.

50

Der Beamte habe ein schwerwiegendes Dienstvergehen begangen, welches die Entfernung aus dem Dienst rechtfertige. Das Vertrauensverhältnis sei endgültig zerstört.

51

Der Kläger beantragt,

52

den Beamten aus dem Dienst zu entfernen.

53

Der Beklagte beantragt,

54

die Disziplinarklage abzuweisen

55

und sieht bereits formelle Mängel der Disziplinarklage. So sei kein Ermittlungsführer bestellt worden und es fehle an einer förmlichen, aktenkundig zu machenden Ausdehnungsentscheidung. Es fehle die Mitwirkung der Personalvertretung und eines Hinweises auf deren Unterrichtung. Die Befugnis des Klägers zur Erhebung der Disziplinarklage wird bestritten.

56

Bezüglich des Vorhaltes zu Nr. 1 heißt es, dass die Geldhingabe für das Helfen des Beklagten beim Aufladen der Reifen erfolgt sei. Demnach liege darin keine Vorteilsannahme. Es habe sich um eine reine private Gefälligkeit gehandelt.

57

Zu 2.: Die Zeugen P., E., P. und G. bekundeten vor dem Strafgericht, dass Rechnungen auf Kundenwunsch generell abgeändert werden könnten. Hierzu müsse sich der Anrufer bzw. Besteller nicht durch Passwort oder etwa elektronischer Signatur ausweisen. Demnach sei nicht bewiesen, dass der Beamte tatsächlich die Bestellvorgänge ausgelöst habe. Den Zeugenaussagen zufolge hätte der Beamte ebenso einen Personalrabatt erhalten. Bei dem Kauf der Rasentraktorbatterie über den Beklagten sei es zu keiner Rabattgewährung gekommen. Generell habe die Klägerin kein Verbot ausgesprochen, dass Bedienstete privat Bestellvorgänge auslösen durften. Darüber hinaus sei der Tatbestand des Betruges nicht erfüllt worden. Bei den Rechnungen vom 04.08.2003 und 02.09.2003 handele es nicht um die Originale, sodass nicht festgestellt werden könnte, ob der Beklagte tatsächlich unterschrieben habe.

58

Zu 3.: Generell treffe den Beklagten keine Dienstpflicht etwaige Versäumnisse seines Vorgesetzten, des Polizeihauptmeisters F., anzuzeigen.

59

Zu 4.: Der Handy-Fund sei seinerzeit dem für Fundsachen zuständigen Sachgebiet 11 gemeldet worden. Dort sei die Übergabe des Handys nicht verlangt worden. Die Nutzung des gefundenen Handys mit der privaten SIM-Karte sei unbeachtlich.

60

Zu 5.: Der alte Schleifer sei noch nicht weggeworfen worden, da er für die übliche Überprüfung des Vorgangs durch die Verwaltung bereitgehalten worden sei. Ob ein neuer Exzenterschleifer angeschafft worden sei und zu dessen Verbleib könne er keine Aussage machen.

61

Zu 6.: Mit der Anlieferung und Bestellung eines Schrankes habe der Beklagte nichts zu tun.

62

Zu 7.: Zu den aufgeführten Gegenständen könne der Beklagte keine Angaben machen.

63

Die Klägerin erwidert: Der Beklagte habe selbst in seiner kriminalpolizeilichen Vernehmung vom 13.08.2008 geäußert, dass er bereits Ende 2006 durch Polizeihauptmeister F. über den Verkauf der ausgesonderten Reifen informiert worden sei. In seiner Vernehmung vom 14.08.2008 habe der Beklagte geäußert, dass er 50,00 Euro als Gegenleistung für die ausgesonderten Autoreifen von der Firma T. angenommen habe.

64

Auch die in den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren getroffenen tatsächlichen Feststellungen seien für die Entscheidung im Disziplinarverfahren ohne nochmalige Prüfung nach § 23 Abs. 2 DOG LSA zugrunde zu legen. Insoweit komme auch einem Strafbefehl erhebliche Indizwirkung zu.

65

Auch im Zusammenhang mit den Vorwürfen gegen den gesondert verfolgten Beamten F. sei daher davon auszugehen und es sei nicht ausgeschlossen, dass auch der Beklagte während des Dienstes unter Ausnutzung seiner dienstlichen Stellung private Dienstverrichtungen ausführte und auch Bestellvorgänge vornahm.

66

Der Beklagte erwidert: Die Disziplinarklage äußere überwiegend Vermutungen. Die Klägerin müsse dem Beklagten jedoch die einzelnen Pflichtenverstoße nachweisen.

67

Das Disziplinargericht hat mit Beschluss vom 23.10.2012 das Disziplinarverfahren gemäß § 53 Satz 1 DG LSA auf die in der Disziplinarklage vorgehaltenen Pflichtenverstöße zu 1 und 2 beschränkt.

68

In der mündlichen Verhandlung hat das Gericht Beweis über die Vorkommnisse hinsichtlich der Bestellvorgänge und der vorgehaltenen Vorteilsannahme durch Vernehmung der Zeugen F. und E. erhoben. Zum Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.

69

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungs- und Ermittlungsvorgänge verwiesen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

70

Das Gericht konnte in Abwesenheit des Beklagten verhandeln und entscheiden. Denn er bzw. sein erschienener Prozessbevollmächtigter war ordnungsgemäß geladen und es wurde darauf hingewiesen, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten ohne ihn Beweis erhoben, verhandelt und entschieden werden kann (§ 3 DG LSA; § 102 Abs. 2 VwGO).

71

1.) Die Disziplinarklage ist zulässig. Die vom Beklagten als wesentliche Mängel des behördlichen Disziplinarverfahrens gerügten Formfehler liegen nicht vor. Der Begriff des wesentlichen Mangels im Sinne von § 52 DG LSA erfasst Verletzungen von Verfahrensregeln, die im behördlichen Disziplinarverfahren von Bedeutung sind (BVerwG zum gleichlautenden § 55 BDG; Urteil v. 29.07.2010, 2 A 4.09 mit Verweis auf Urteil v. 20.10.2005, 2 C 12.04; beide juris). Hierunter fallen Verstöße gegen verfahrensrechtliche Vorschriften und Rechtsgrundsätze, die den äußern Ablauf des behördlichen Disziplinarverfahrens bis zur abschließenden behördlichen Entscheidung, also bis zur Erhebung der Disziplinarklage oder bis zu dem Erlass einer Disziplinarverfügung, betreffen (BVerwG, Urteil v. 29.07.2010, 2 A 4.09 mit Verweis auf Beschluss v. 18.11.2008, 2 B 63.08; beide juris).

72

Unter dem 01.07.2011 (Beiakte F, Bd. 1, Bl. 27/3) wurde dem Bevollmächtigten des Beklagten die Fortführung des Disziplinarverfahrens unter Benennung auch der erweiterten Pflichtenverstöße aktenkundig (§ 19 Abs. 1 Satz 2 DG LSA) mitgeteilt (§ 20 Abs. 1 DG LSA) und ihm Gelegenheit zur Äußerung (§ 30 DG LSA) gegeben. Aufgrund des durchgeführten Strafverfahrens und der ausführlichen kriminalpolizeilichen Ermittlungen und Zeugenvernehmungen, ist die Entscheidung im Disziplinarverfahren von weiteren Ermittlungen abzusehen, jedenfalls nicht ermessenfehlerhaft (§ 21 Abs. 2 Satz 2 DG LSA). Die Klägerin hat unter dem 07.04.2011 einen umfassenden Ermittlungsbericht erstellt (Beiakte F, TB 4). Von der im Ermessen stehenden Bestellung eines Ermittlungsführers konnte demnach ebenso ermessensfehlerfrei abgesehen werden (§ 21 Abs. 1 Satz 2 DG LSA). Das Landespersonalvertretungsgesetz Sachsen-Anhalt (LPersVG LSA) enthält keine § 78 Abs. 1 Nr. 3 Bundespersonalvertretungsgesetz (BPersVG) vergleichbare Beteiligungsregelung des Personalrates vor der Erhebung der Disziplinarklage.

73

2.) Die Disziplinarklage ist begründet. Der Beklagte hat ein schwerwiegendes Dienstvergehen gemäß § 47 Abs. 1 BeamtStG begangen, welches die Zurückstufung (§ 9 DG LSA), das heißt, die Versetzung des Beamten in ein um zwei Stufen geringeres Amt derselben Laufbahn mit geringerem Endgrundgehalt, nach sich zieht.

74

Beamte begehen ein Dienstvergehen, wenn sie schuldhaft die ihnen obliegenden Pflichten verletzten (§ 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG). Die dem Beamten zur Last gelegten Pflichtenverstöße stellen ein sogenanntes innerdienstliches Dienstvergehen dar. Denn sie sind in Ausübung des Dienstes verwirklicht worden.

75

Nach § 13 Abs. 1 DG LSA ist die Disziplinarmaßnahme nach der Schwere des Dienstvergehens zu bemessen und erfordert eine angemessene Berücksichtigung des Persönlichkeitsbildes des Beamten. Der Vertrauensverlust des Dienstherrn oder der Allgemeinheit soll berücksichtigt werden.

76

3.) Die Disziplinarkammer ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass der Beklagte die ihm unter Ziffer 1 (Vorteilsnahme) und 2 (betrügerische private Bestellvorgänge) der Disziplinarklage zur Last gelegten und vom Gericht nach § 53 Satz 1 DG LSA darauf beschränkten Pflichtenverstöße begangen hat. Dadurch hat er gegen seine dienstlichen Pflichten zur uneigennützigen und gerechten Dienstausübung verstoßen und ist nicht der Achtung und dem Vertrauen gerecht geworden, die sein Beruf erfordert und es verbietet, gegen Strafgesetze zu verstoßen (§§ 33, 34 BeamtStG). Die Pflichtverletzungen sind als sogenanntes einheitliches Dienstvergehen zu sehen und zu ahnden.

77

a.) Der Beklagte hat durch die Annahme der 50,00 Euro im Jahre 2007 von dem Reifenhändler T. eine Vorteilsnahme im Sinne des § 331 Abs. 1 StGB begangen. Danach wird unter anderem ein Amtsträger, der für die Dienstausübung einen Vorteil für sich oder einen Dritten unter anderem annimmt, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Aufgrund der Entscheidungsbefugnis des Disziplinargerichts kann die Disziplinarkammer diese strafrechtliche Bewertung des vorgehaltenen Lebenssachverhaltes unabhängig von der strafgerichtlichen Bewertung vornehmen. Mangels rechtskräftiger strafgerichtlicher Entscheidungen liegt eine Bindungswirkung im Sinne des § 23 DG LSA nicht vor und zudem hat die vor dem Disziplinargericht durchgeführte Beweisaufnahme einen von der bisherigen strafgerichtlichen Bewertung abweichenden Lebenssachverhalt festgestellt.

78

Die Annahme von 50,00 Euro durch den Beklagten erfolgte im Rahmen seiner Dienstausübung. Denn die in der mündlichen Verhandlung durchgeführte Vernehmung des Zeugen F. hat ergeben, dass entgegen der bisherigen Annahme, der Beklagte und nicht der Zeuge F. für die Tätigkeiten um die Altreifen, also Lagerung, Aussonderung und Entsorgung der Altreifen verantwortlich war. Der Zeuge hat bekundet, dass intern abgesprochen war, dass er – der Zeuge – als Leiter der Werkstatt für den Reparaturbereich und der Beklagte unter anderem für die Angelegenheiten der Altreifen verantwortlich war. Das Gericht hat keinen vernünftigen Anlass, an der Glaubhaftigkeit dieser Aussage und an der Glaubwürdigkeit des Zeugen zu zweifeln. Ging dies bislang aus den umfangreichen disziplinarbehördlichen, staats- und strafrechtlichen Ermittlungen so nicht hervor, so mag dies daran liegen, dass es keine verbindliche Dienstpostenbeschreibung der Tätigkeiten des Leiters und des stellvertretenden Leiters der Kraftfahrzeugwerkstatt gab. Die in den Akten (Beiakte B; TB 9; Bl. 6) befindliche Tätigkeitsbeschreibung des Leiters Kfz-Technik vom 14.03.2005 stammt von ihm selbst und führt die Tätigkeiten um die Altreifen gerade nicht auf. Daher ist es nachvollziehbar, dass die in der Werkstatt anfallenden Tätigkeiten unter dem Leiter und dem Stellvertreter intern und unbürokratisch aufgeteilt wurden. Darüber hinaus drängt sich dem Disziplinargericht der Eindruck auf, dass die Ermittlungen und Ergebnisse darauf konzentriert waren, dass die dem Beklagten und dem Werkstattleiter F. zur Last gelegte Vorteilsnahme auf die Machenschaften des F. bei einem Verkauf der noch brauchbaren Altreifen an den T. zurückzuführen waren. Darauf kommt es aber nicht an. Denn wenn der Beklagte für die Angelegenheiten um die Altreifen, also Anlieferung, Lagerung, Sortierung, Verwendung für das Fahrsicherheitstraining, Aussortierung der unbrauchbaren, weil abgefahrenen aber auch der nicht brauchbaren, weil nicht passenden Reifen verantwortlich war, oblagen diese Tätigkeiten grundsätzlich seiner Dienstausübung im Sinne des § 331 Abs. 1 StGB. Dies gilt im Übrigen auch, wenn der Beklagte neben F. nur mitverantwortlich für die Reifenangelegenheiten war, also die Tätigkeit gemeinschaftlich vorgenommen wurde. Denn grundsätzlich ist davon auszugehen, dass dem Leiter wie auch dem Stellvertreter die gesamten Angelegenheiten in der Werkstatt als Amtsgeschäfte obliegen. Denn die Zuweisung der konkret-funktionellen Tätigkeiten geschieht durch den Dienstherrn und nicht aufgrund Absprache der beteiligten Beamten untereinander. Ein Rückgriff bzw. die mögliche Einflussnahme des Beklagten auf die Amtsgeschäfte des F., wie es das Amtsgericht annahm, muss daher nicht konstruiert werden. „Dienstausübung“ meint die dienstliche Tätigkeit im Allgemeinen. Damit sind alle Handlungen gemeint, die zu den „Obliegenheiten“ des Amtsträgers gehören. Dazu können auch bloß vorbereitende oder unterstützende Tätigkeiten zählen (vgl. zum Ganzen nur: Tröndle/Fischer; StGB, 52. Auflage, § 331, Rz. 6 ff, 18 ff).

79

Der Lebenssachverhalt, der zur Annahme der 50,00 Euro führte, ist nicht losgelöst von der Dienstausübung des Beklagten in Bezug auf die unzweifelhaft zu den Werkstattangelegenheiten gehörenden Altreifen zu sehen. Die Hilfe beim Aufladen der Reifen war gerade nicht nur „privater“ Natur im Sinne einer reinen menschlich-sozialen Gefälligkeit, sondern stand in einem unmittelbaren zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit der Dienstausübung des Beklagten um die Aussonderung und Bereitstellung der Altreifen. Das Aussortieren, Bereitstellen und Verladen der Altreifen ist nach allgemeiner Lebensanschauung als ein einheitlicher Dienstvorgang zu sehen und fand auf dem Gelände der A. statt. Dies hat im Übrigen auch der Beklagte nicht anders gesehen, wie sein anfängliches Zögern bei der Annahme des Geldes belegt.

80

b.) Unabhängig von der strafrechtlichen Bewertung hat der Beamte durch die Annahme der 50,00 Euro gegen seine Pflicht zur Uneigennützigkeit nach § 34 Satz 2 BeamtStG in Verbindung mit dem Verbot der Annahme von Belohnungen, Geschenken und sonstigen Vorteilen nach § 42 BeamtStG verstoßen. Dabei ist diese - beamtenrechtliche - Pflicht bereits weiter zu fassen als die nach § 331 StGB strafbedrohte Vorteilsnahme. Denn auch die durch das Strafrecht nicht erfassten Verhaltensweisen, welche sich als pflichtwidrige Fehlsteuerung des Verwaltungshandelns aus Eigennutz darstellen, sind als Dienstpflichtverletzungen zu werten. Nach § 42 BeamtStG dürfen Beamte keine Belohnungen, Geschenke oder sonstigen Vorteile für sich oder eine dritte Person in Bezug auf das Amt annehmen. „Belohnungen“ oder „Geschenke“ oder „sonstige Vorteile" im Sinne des § 42 BeamtStG sind alle Zuwendungen einschließlich Dienstleistungen, auf die kein Anspruch besteht und die objektiv eine materielle oder immaterielle Besserstellung zum Inhalt haben (Vorteil). Auch die Weitergabe von Vorteilen an Dritte, z. B. andere Bedienstete, rechtfertigt nicht deren Annahme. "In Bezug auf das Amt" im Sinne des § 42 BeamtStG ist ein Vorteil immer dann gewährt, wenn die zuwendende Person sich davon leiten lässt, dass der Beamte ein bestimmtes Amt bekleidet oder bekleidet hat. Ein Bezug zu einer bestimmten Amtshandlung ist nicht erforderlich. Vorteile, die ausschließlich mit Rücksicht auf Beziehungen innerhalb der privaten Sphäre des Beamten gewährt werden, sind nicht "in Bezug auf das Amt" gewährt. Derartige Beziehungen dürfen nicht mit Erwartungen in Bezug auf die dienstliche Tätigkeit des Beamten verknüpft sein. Erkennt der Beamte, dass an den persönlichen Umgang derartige Erwartungen geknüpft werden, dürfen weitere Vorteile nicht mehr angenommen werden (vgl. nur: Korruptionsprävention in der öffentlichen Verwaltung; VV der Landesregierung Rheinland-Pfalz v. 07.11.2000; FM-O 1559 A-411; juris).

81

Zweck der beamtenrechtlichen Pflicht zur Uneigennützigkeit nach § 42 BeamtStG ist es, bereits den bloßen Anschein zu vermeiden, dienstliche Handlungen seien durch Gefälligkeiten beeinflussbar und Amtshandlungen seien käuflich (BVerwG zu § 70 Satz 1 BBG a. F.; Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11.10 mit Verweis auf Urteile v. 14.12.1995, 2 C 27.94, v. 22.10.1996, 1 D 76.95 und v. 23.11.2006, 1 D 1.06; alle juris). Es ist im Interesse einer gesetzmäßigen Verwaltung und im Interesse des allgemeinen Vertrauens in ein rechtsstaatliches Handeln der Verwaltung nicht hinzunehmen, wenn ein Beamter den Eindruck erweckt, er lasse sich in Bezug auf seine dienstliche Tätigkeit durch ihm oder Dritten gewährte Vorteile beeinflussen. Unerheblich ist, ob es zu der in Aussicht gestellten Amtshandlung gekommen ist. Anknüpfungspunkt der Pflicht ist nicht das enge Gebiet der Amtshandlungen des Beamten, sondern das Amt im abstrakt- oder konkret-funktionellen und im statusrechtlichen Sinne (BVerwG, Urteil v. 20.02.2002, 1 D 19.01; juris). Danach besteht der geforderte Amtsbezug bereits dann, wenn nach den Umständen des Einzelfalls sich der Geber davon leiten lässt, dass der Bedienstete dienstlich tätig wird oder geworden ist. Es reicht aus, wenn nach den erkennbaren Vorstellungen und Motiven des Gebers der Gesichtspunkt der Anstellung oder dienstlichen Tätigkeit des Beamten zumindest mitkausal ist (BVerwG, Urteile v. 14.12.1995, 2 C 27.94 und v. 20.02.2002, 1 D 19.01; alle juris). Auch dann, wenn der Beamte unter Hinweis auf seine Dienststellenzugehörigkeit beim Zuwender lediglich den wahrheitswidrigen Anschein erweckt hat, auf die begehrte Entscheidung der Dienststelle in irgendeiner Weise Einfluss nehmen zu können, ist der Bezug zum Amt gegeben (BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11.10; juris).

82

Die Disziplinarkammer hat keine Zweifel daran, dass dem Reifenhändler T. als Zuwender der 50,00 Euro die dienstliche Stellung und das dienstliche Tätigwerden des Beklagten bewusst waren. Daran ändert nichts die Einstellung der strafrechtlichen Verfahren gegen T. und dass dieser angab, gar nicht gewusst zu haben, dass B. und F. Polizeibeamte gewesen seien. Mögen die Beamten aufgrund ihrer Werkstatttätigkeit bei der Übergabe der Reifen auch nicht in Polizeiuniform gekleidet gewesen sein, so war dem T. bewusst, dass er sich auf dem Gelände der A. befindet und die Aussonderung und Bereitstellung der Reifen eine dienstliche Tätigkeit darstellen. Zudem ist den Akten zu entnehmen, dass der T. auf Vermittlung des Beklagten die Altreifenentsorgung übernahm. T. wollte – zumindest mitkausal – im Sinne der soeben dargestellten disziplinarrechtlichen Rechtsprechung mit der Geldleistung die Beschäftigten und damit auch den Beklagten hinsichtlich der Aussortierung der Altreifen in dem Sinne beeinflussen, dass ihm auch die besseren Reifen überlassen werden. Dabei ist egal, ob diese sogar gesondert durch einen der Beschäftigten an T. verkauft wurden oder sie Teil des Aussonderungsvorgangs waren. Denn in jedem Fall hatte T. wegen der Weiterverwendungsmöglichkeiten ein gesteigertes Interesse an diesen Reifen. Dies beweist bereits die Tatsache, dass T. in den Jahren 2000 bis 2005 die Altreifenentsorgung sogar kostenlos übernahm. Ohne die „Hilfsbereitschaft“ der Werkstattmitarbeiter bei der Aussonderung, hätte sich die Entsorgung für T. demnach wirtschaftlich nicht bzw. weniger gelohnt.

83

Dass nach dieser Lebenssachverhaltsauslegung die Zahlung der 50,00 Euro mit den Amtsgeschäften des Beklagten im Zusammenhang stand und gerade nicht nur für die Hilfe bei Aufladen der Reifen geleistet wurde, war bzw. hätte auch dem Beklagten bei gehöriger Gewissensanstrengung bewusst sein müssen. Es gilt das oben zur strafrechtlichen Vorteilsnahme Festgestellte.

84

c.) Zur Überzeugung der Disziplinarkammer steht weiter fest, dass der Beklagte die ihm zur Last gelegten privaten Bestellungen von Kfz-Ersatzteilen unter Ausnutzung der nur dem Land eingeräumten Rabatte vorgenommen und damit einen Betrug nach § 263 Abs. 1 StGB gegenüber der Firma a. A. A. GmbH begannen hat. Bei den Mitarbeitern der Firma a. A. wurde aufgrund der Nennung der Kundenummer der A. der Irrtum erregt, dass es sich um eine amtliche Bestellung der A. handelt. Dadurch wurden sie getäuscht und der Gewinn der Firma geschmälert. Es bedarf keiner Feststellungen, dass ein Beamter der strafbare Handlungen begeht zugleich gegen die beamtenrechtliche Wohlverhaltenspflicht nach § 34 BeamtStG verstößt.

85

Aber auch ohne Zugrundelegung der tatbestandlichen Verwirklichung eines Betruges nach § 263 StGB (vgl. Bay. VGH, Urteil v. 28.06.2006, 16a D 05.177; juris; der in einem ähnlichen Fall die strafrechtliche Relevanz verneint) hat der Beklagte eine disziplinarrechtlich zu ahndende Pflichtverletzung nach § 34 BeamtStG begangen. Denn er hat unter Ausnutzung der ihm vom Dienstherrn eingeräumten Vertrauensposition, die ihm erlaubte amtliche Bestellungen vorzunehmen unter Verwendung der ihm zur Verfügung gesellten Mittel (Telefon; PC) und Kenntnisse (Kundennummer) die privaten Bestellungen zum eigenen Vorteil vorgenommen.

86

Der Zeuge F. hat in seiner Zeugenvernehmung vor der Disziplinarkammer bekundet, dass er wisse, dass der Beklagte zumindest einmal zu einem ihm nicht mehr erinnerlichen Zeitpunkt einen privaten Bestellvorgang ausgelöst hat. Steht diese Aussage des Zeugen auch im Widerspruch zu seiner Aussage vor dem Amtsgericht in dem Strafverfahren gegen den Beklagten am 10.09.2010, hat das Disziplinargericht keine durchgreifenden Zweifel an dem Wahrheitsgehalt der jetzigen Aussage des Zeugen. Denn diese Aussage wird durch weitere Unterlagen belegt.

87

So ist das Disziplinargericht davon überzeugt, dass der Beklagte die Bestellvorgänge die den Rechnungen vom 04.08.2003 und 02.09.2003 (Beiakte D; BwB 2 Bl. 12, 14) zugrundeliegen, vorgenommen und den Erhalt der Ware auf den Rechnungen durch Unterschrift bestätigt hat. Dabei ist zunächst festzustellen, dass die Änderung des Adressatenfeldes bzw. die Angabe einer Person zu dessen Händen zu liefern ist, auf die Angabe des Bestellers zurückzuführen ist und sich somit von dem üblichen Bestellvorgang der A. unterscheidet. Dies hat der Zeuge F. mit Verweis auf die von ihm durchgeführten und zur rechtskräftigen Verurteilung durch Strafbefehl geführten Bestellvorgänge ausgesagt, was sich mit den übrigen Feststellungen deckt. Auch der Zeuge E. hat dies nicht nur vor dem Disziplinargericht, sondern auch vor dem Amtsgericht und anlässlich seiner behördlichen Vernehmung ausgesagt. Dies deckt sich mit den Aussagen der übrigen Mitarbeiter der Firma a. A. vor dem Amtsgericht, wie die des zwischenzeitlich verstorbenen Zeugen P. sowie der Angestellten P.. Zudem erfolgte die Lieferung bei den dienstlich veranlassten Bestellvorgängen gegen Lieferschein und nicht gegen Rechnung. Die Rechnungen gingen auf dem Postwege bei der Klägerin zur unbaren Begleichung der Rechnungssumme ein.

88

Demnach hat die Disziplinarkammer keine durchgreifenden Zweifel daran, dass der Beklagte neben diesen durch seine Unterschrift belegten Bestellvorgängen aus dem Jahr 2003 auch die weiteren ihm in der Disziplinarklage vorgehaltenen Bestellvorgänge bis in das Jahr 2006 getätigt hat. Denn auch die dazu ergangenen Rechnungen tragen jeweils die Besonderheit, dass der Beklagte dort namentlich erwähnt ist. Die Disziplinarkammer teilt nicht die Auffassung des Beklagten, dass die Namensnennung dadurch zu erklären sei, dass eine unbekannte Person auf den Namen des Beklagten bestellt habe. Ist dies nach den tatsächlichen Feststellungen der Kammer zwar grundsätzlich möglich, weil neben der Angabe der im Werkstattbereich bekannten Kundenummer der A. keinerlei Identifikationsvoraussetzungen wie PIN oder Code erforderlich waren, ergibt ein derartiges Vorgehen eines Dritten aber keinen Sinn. Denn die Unterlagen und die darauf gestützten Feststellungen ergeben, dass neben dem Werkstattleiter F. und dem Stellvertreter B. auch die nicht verbeamteten Werkstattmitarbeiter S., R., K. und J. private Bestellungen unter ihrem Namen vorgenommen haben. Da aber auch in diesen Fällen stets die zutreffende Namensnennung des Bestellers erfolgte, gab es keinerlei Anlass für einen der Werkstattmitarbeiter, den Namen des Beklagten anstelle des eigenen zu nennen. Denn darüber hinaus war neben der Bestellung auch die Annahme der Ware vor Ort durch den Besteller notwendig. Somit wäre es bei der Häufigkeit der dem Beklagten vorgehaltenen Bestellungen im Werkstattbereich aufgefallen, wenn eine andere Person als der vermeintliche Besteller B. die Waren in Empfang genommen hätte. Die umfangreiche auf 67 Bestellvorgänge aus den Jahren 2003 bis 2007 aufgelistete Zusammenschau der Klägerin zu den nicht im Zahlungssystem zu verzeichnenden Bestellungen belegt neben den bekannten Namen nur eine Rechnung über zwei Dichtungen zum Preis von 1,97 € mit Namensnennung M., wobei ein Werkstattmitarbeiter mit diesem Namen nicht bekannt sei (Beiakte B, Bl. 238 ff, 242 Fußnote 16). Fällt hier schon der Preis nicht in das Gewicht, ist entscheidend, dass – wenn überhaupt – ein Fantasiename gewählt wurde und eben nicht der des Beklagten. Darüber hinaus fehlt es an jedem plausiblen Vortrag, wieso etwa ein Kollege, etwa um dem Beklagten zu schaden, derart hätte vorgehen sollen. Demnach scheidet auch die Bestellung durch einen nicht dem Werkstattbereich oder der Klägerin zuzurechnenden Dritten aus.

89

Schließlich belegen auch die vom Beklagten vorgenommenen und von ihm eingeräumten Bestellungen für die Kollegen P. und S., dass er durchaus private Bestellungen vorgenommen hat. Wenngleich dies aus kollegialer Verbundenheit und aufgrund seines technischen Sachverstandes sowie bei anderen Firmen und nicht unter Ausnutzung der Rabattierung geschehen ist. Soweit der Beklagte den Hinweis der Klägerin darauf, dass die den vorgehaltenen Rechnungen zugrundeliegenden Waren bei der A. wegen des andersartigen Fuhrparks keine Verwendung hätten finden können damit begegnet, dass dies auch auf ihn zutreffe, mag die Bestellung für Freunde, Bekannte, Verwandte etc. eine gewisse Erklärung liefern. Zudem enthalten die dem Beklagten vorgehaltenen Warenbestellungen eine erheblich geringere Anzahl als dies etwa bei dem Zeugen F. der Fall war, der die Ersatzteile ersichtlich für seine ebenfalls angeschuldigte Nebenbeschäftigung benötigte.

90

4.) Der Beklagte hat die in einem inneren zeitlichen und sachlichen Zusammenhang stehenden Pflichtverletzungen im Sinne eines einheitlich zu bewertenden innerdienstlichen Dienstvergehens (vgl. zur Einheit des Dienstvergehens nur: VG Magdeburg, Urteil v. 04.11.2009, 8 A 19/08 m. w. Nachw.; juris) vorsätzlich und schuldhaft begangen.

91

5.) Hinsichtlich der auszusprechenden Disziplinarmaßnahme ist die Schwere des Dienstvergehens unter angemessener Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten richtungsweisend (vgl. § 13 DG LSA). Die Schwere beurteilt sich nach objektiven Handlungsmerkmalen wie Eigenart und Bedeutung der Dienstpflichtverletzungen, den besonderen Umständen der Tatbegehung sowie Häufigkeit und Dauer eines wiederholten Fehlverhaltens, nach subjektiven Handlungsmerkmalen wie Form und Gewicht des Verschuldens des Beamten, den Beweggründen für sein Verhalten sowie nach den unmittelbaren Folgen für den dienstlichen Bereich und für Dritte. Davon ausgehend kommt es darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung im Einzelfall derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die durch die Schwere des Dienstvergehens indizierte Maßnahme geboten ist. Eine vollständige und richtige Gesamtwürdigung setzt voraus, dass die Disziplinarkammer die im Einzelfall bemessungsrelevanten, d. h. die für die Schwere des Dienstvergehens und das Persönlichkeitsbild bedeutsamen Tatsachen ermittelt und mit dem ihnen zukommenden Gewicht in die Gesamtbewertung einbezieht. Dies entspricht dem Zweck der Disziplinarbefugnis des Disziplinargerichts als einem Mittel der Funktionssicherheit des öffentlichen Dienstes. Dabei findet der Grundsatz „in dubio pro reo“ Anwendung. Die Disziplinargerichte dürfen nur solche belastenden Tatsachen in die Gesamtwürdigung einstellen, die zur Überzeugung des Gerichts feststehen. Demgegenüber müssen entlastende (mildernde) Umstände schon dann zu Gunsten des Beamten berücksichtigt werden, wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für ihr Vorliegen gegeben sind und eine weitere Sachverhaltsaufklärung nicht möglich ist (vgl. nur: VG Magdeburg, Urteil v. 27.10.2011, 8 A 2/11 mit Verweis auf BVerwG, U. v. 27.01.2011, 2 A 5.09; jüngst BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11/10, OVG Lüneburg, Urteil v. 14.11.2012, 19 LD 4/11; alle juris).

92

Für das danach zu findende Disziplinarmaß können die vom Disziplinarsenat des Bundesverwaltungsgerichts für bestimmte Fallgruppen herausgearbeiteten Regeleinstufungen von Bedeutung sein. Davon ausgehend kommt es für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung im Einzelfall derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die durch die Schwere des Dienstvergehens indizierte Disziplinarmaßnahme geboten ist (BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11/10 mit Verweis auf Urteile v. 20.10.2005, 2 C 12.04 und v. 03.05.2007, 2 C 9.06, alle juris).

93

Ein endgültiger Verlust des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit im Sinne von § 13 Abs. 2 Satz 1 DG LSA ist anzunehmen, wenn aufgrund der prognostischen Gesamtwürdigung auf der Grundlage aller im Einzelfall bedeutsamen be- und entlastenden Gesichtspunkte der Schluss gezogen werden muss, der Beamte werde auch künftig in erheblicher Weise gegen seine Dienstpflichten verstoßen oder die durch sein Fehlverhalten herbeigeführte Schädigung des Ansehens des Berufsbeamtentums sei bei einer Fortsetzung des Beamtenverhältnisses nicht wiedergutzumachen. Unter diesen Voraussetzungen muss das Beamtenverhältnis im Interesse der Leistungsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und der Integrität des Berufsbeamtentums beendet werden (BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11.10 mit Verweis auf Urteile v. 20.10.2005, 2 C 12.04, v. 03.05.2007, 2 C 9.06 und v. 29.05.2008, 2 C 59.07; alle juris).

94

6.) Setzt sich das (einheitliche) Dienstvergehen aus mehreren Dienstpflichtverletzungen zusammen, bestimmt sich die zu verhängende Disziplinarmaßnahme in erster Linie nach der schwersten Verfehlung (BVerwG, Urteil v. 23.02.2005, 1 D 1.04; juris).

95

a.) Verstöße gegen die Uneigennützigkeit werden in der Rechtsprechung der Disziplinargerichte seit jeher als sehr schwerwiegend eingestuft. Denn die uneigennützige, nicht auf den privaten Vorteil bedachte Führung der Dienstgeschäfte stellt eine wesentliche Grundlage des Berufsbeamtentums dar. Im Hinblick darauf ist die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis jedenfalls dann Richtschnur für die Bestimmung der angemessenen Disziplinarmaßnahme, wenn erhebliche Geldzahlungen geflossen sind (vgl. zusammenfassend: BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11.10; juris).

96

b.) Bei einem „klassischen“ innerdienstlichen Betrug vergreift sich der Beamte an Gelder oder gleichgestellte Werte des Dienstherrn, die dem Beamten jedoch nicht dienstlich anvertraut oder sonst dienstlich zugänglich sind. In der mangelnden „Anvertrauung“ liegt der bedeutsame Unterschied zu den innerdienstlichen Zugriffsdelikten begründet, wonach der Betrug zu Lasten des Dienstherrn grundsätzlich ein geringeres disziplinarrechtliches Gewicht hat als der die Entfernung rechtfertigende Zugriff des Beamten auf ihm anvertraute Gelder oder Güter (BVerwG, Beschluss v. 20.12.2011, 2 B 64.11 mit Verweis auf Urteile v. 24.01.2001, 1 D 57.99 und v. 30.08.2000, 1 D 26.99; alle juris). Die Variationsbreite, in der Pflichtverletzungen dieser Art denkbar sind, erfordert die Würdigung der jeweiligen besonderen Einzelfallumstände. Deshalb wird bei den innerdienstlichen Betrugsfällen gerade keine Bagatellschwelle angenommen. Eine Entfernung steht dann an, wenn im Einzelfall Erschwernisgründe vorliegen, ohne dass ihnen erhebliche Milderungsgründe gegenüberstehen. Erschwernisgründe können sich z. B aus Anzahl und Häufigkeit der Betrugshandlungen, der Höhe des Gesamtschadens, der missbräuchlichen Ausnutzung der dienstlichen Stellung oder dienstlich erworbener Kenntnisse sowie daraus ergeben, dass die Betrugshandlungen im Zusammenhang mit weitren Verfehlungen, wie Urkundefälschungen stehen (BVerwG, Beschluss v. 20.12.2011, 2 B 64.11 mit Verweis auf Urteile v. 28.11.2000, 1 D 56.99, v. 26.09.2001, 1 D 32.00, v. 22.02.2005, 1 D 30.03 und Beschlüsse v. 14.06.2005, 2 B 108.04 und v. 10.09.2010, 2 B 97.09; alle juris).

97

c.) Das Disziplinargericht weist demnach entschieden darauf hin, dass der Beklagte schwerwiegende Dienstpflichtverletzungen begangen hat, die jeweils im Einzelfall aber auch bei der einheitlichen Bewertung zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis als disziplinarrechtliche Höchstmaßnahme führen könnten.

98

Gleichwohl sieht die Disziplinarkammer vorliegend Besonderheiten und Entlastungsgründe des Einzelfalls, die es rechtfertigen, die von der Schwere des Dienstvergehens ausgehende Indizwirkung abzumildern. Dies ist dann der Fall, wenn zu Gunsten des Beamten gewichtige Entlastungsgründe (Milderungsgründe) zu berücksichtigen sind, die den Schluss rechtfertigen, dass das dem Beamten vom Dienstherrn und der Allgemeinheit entgegengebrachte Vertrauen noch nicht endgültig verloren ist. Solche Gründe stellen zum einen die von der Rechtsprechung bezüglich der sog. Zugriffsdelikte entwickelten und anerkannten Milderungsgründe dar, die besondere menschliche Konfliktsituationen beschreiben. Hierzu zählen etwa das Handeln in einer existenziellen wirtschaftlichen Notlage oder einer körperlichen oder psychischen Ausnahmesituation oder besonderen Versuchssituationen oder eine persönlichkeitsfremde Einzelverfehlung des Beamten wie auch „Entgleisungen“ während einer negativen, inzwischen überwundenen, durch Alkohol, Drogen oder Schicksalsschlägen bedingte Lebensphase. Der Milderungsgrund der Geringwertigkeit eines verursachten Schadens oder des geldlichen Vorteils der Handlung wird bei etwa 50,00 Euro gezogen. Auch besondere die Dienstpflichtverletzung begünstigende Handlungen und mangelnde Kontrollen des Dienstherrn können im Einzelfall wie ein besonderes Nachtatverhalten die Schwere der Verfehlung mildern. Zeitlich überlange Disziplinarverfahren können wegen des disziplinarrechtlichen Beschleunigungsgebotes und der mit dem Disziplinarverfahren verbundenen persönlichen Belastungen jedenfalls bei Maßnahmen der Pflichtenmahnung berücksichtigt werden. Entlastungsgründe können sich aber zum anderen auch aus allen Besonderheiten ergeben, die es im Einzelfall wegen der persönlichkeitsbedingten an § 13 DG LSA zu orientierenden Prognoseentscheidung gebieten, von der disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahmen Abstand zu nehmen. Die entlastenden Gründe sind nicht (mehr) allein auf den in der Rechtsprechung entwickelten Kanon der anerkannten Milderungsgründe beschränkt (BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11.10, m. w. Nachw.; juris). Diese Besonderheiten müssen aber in ihrer Gesamtheit geeignet sein, die Schwere des Pflichtenverstoßes erheblich herabzusetzen. Generell gilt, dass das Gewicht der Entlastungsgründe umso größer sein muss, je schwerer das Delikt aufgrund der Schadenshöhe sowie der Tatumstände, wie Anzahl, Häufigkeit, Zeitraum, Verschiedenartigkeit und Tatausführung wiegt (im Ganzen ausführlich: VG Magdeburg, Urt. v. 31.03.2011, 8 A 2/10 MD und v. 27.10.2011, 8 A 2/11, mit Verweis auf BVerwG, Urt. v. 24.05.2007, 2 C 28.06, Urt. v. 06.06.2007, 1 D 2.06, Urt. v. 29.05.2008, 2 C 59.07; Bayr. VGH, Urt. v. 27.10.2010, 16 aD 09.2470; OVG Lüneburg, Urt. v. 08.02.2011, 6 LD 4/08; alle juris).

99

Hinsichtlich des Verstoßes gegen die Pflicht zur Uneigennützigkeit aufgrund Vorteilsnahme sind die näheren Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. So ist festzuhalten, dass der Beklagte - nach unwiderlegbarer Aussage - die 50,00 Euro von dem Reifenhändler T. nicht gefordert, sondern wie von F. verlangt „für die Kaffeekasse“, erhalten hat. Er wolle auch dem Beklagten mal was zukommen lassen, so T.. Damit ist diese Geldzahlung im Zusammenhang mit der Forderung des F. und der wiederholten Zahlung an ihn durch T. zu sehen. Zudem liegt die Besonderheit des Falls vorliegend darin, dass neben der Amtsbezogenheit der Reifenaussonderung tatsächlich der gefällige Verladevorgang der Reifen stattfand und T. nach seiner Aussage froh gewesen sei, dass die Arbeiter in der Werkstatt ihm jedes Mal beim Aufladen der Altreifen geholfen hätten. Die stetige Hilfsbereitschaft des Werkstattpersonals wurde auch von dem Zeugen F. anlässlich seiner Zeugenvernehmung vor der Kammer bestätigt. Zudem ist das Geld an den Beklagten unbestritten nicht bei jedem Entsorgungsvorgang geflossen, sondern beschränkt sich auf einen einmaligen Vorfall. Bedenkt man die Vielzahl der Vorgänge, relativiert sich die einmalige Zahlung von 50,00 Euro an den Beklagten in Bezug auf alle Vorgänge. Und erscheint unter der bei 50,00 Euro zu zeihenden Bagatell- oder Geringwertigkeitsgrenze (vgl. zur Geringwertigkeit: OVG Lüneburg, Urteil v. 14.11.2012, 19 LD 4/11; LAG Thüringen, Urteil v. 16.12.2010, 3 Sa 325/09; beide m. w. Nachw.; beide juris). Unterstellt man weiter, dass der Beklagte nach seiner unwiderlegbaren Aussage selbst erstaunt war über die Zahlung und sie zunächst ablehnte, kann unter diesen Umständen die Vorteilsnahme als Gelegenheitstat im Sinne eines Augenblicksversagens gesehen werden. Schließlich hat der Beklagte die Annahme des Geldes frühzeitig, wenn auch aufgrund der Ermittlungen gegen F., zugegeben und zur weiteren Tataufklärung beigetragen. Unter Beachtung dieser besonderen Tatumstände unterscheidet sich der Fall von den zahlreichen in der Rechtsprechung der Disziplinargerichte zu findenden hinsichtlich des mit der Höchstmaßnahme disziplinarrechtlich zu ahndenden Unrechtsgehalts einer Vorteilsnahme (vgl.: BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11.10; Urteil v. 23.11.2006, 1 D 1.06; Urteil v. 19.02.2003, 1 D 14.02; Urteil v. 27.01.1998, 1 D 63.96; Urteil v. 08.06.2005, 1 D 3.04; LAG Thüringen, Urteil v. 16.12.2010, 3 Sa 325/09; OVG Lüneburg, Urteil v. 14.11.2012, 19 LD 4/11; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 10.09.2007, 3 A 10390/07; Bay. VGH, Urteil v. 28.06.2006, 16a D 05.177; alle juris). Denn diesen ist gemein, dass die Pflicht zur Uneigennützigkeit durch zahlreiche über einen längeren Zeitraum geschehene und/oder hohe bzw. hochwertige Vorteilsannahmen verletzt wurde.

100

Ähnliches gilt für die dem Beklagten vorgehaltenen und durch Rechnungen belegten Betrügereien gegenüber der Firma a. A. GmbH. Die Kammer sieht durchaus, dass es sich dabei hinsichtlich der Anzahl von 19 Fällen und der Häufigkeit in dem Zeitraum von 2003 bis 2006 nicht mehr um als gering zu bezeichnende Fälle handelt. Zwar ist bei der Vertrauensschädigung des Dienstherrn seine tatsächliche materielle Schädigung wenig bedeutend. Gleichwohl ist zu bedenken, dass der finanzielle Schaden nicht bei dem Dienstherrn eingetreten und als verhältnismäßig gering anzusehen ist. Denn er besteht „nur“ in der jeweiligen überhöhten Rabattgewährung und gegenüber der Firma a. A. GmbH. Denn die Firma hätte den Werkstattmitarbeitern auch Rabatte, allerdings in geringerer Höhe eingeräumt. Sieht die disziplinarrechtliche Rechtsprechung bereits bei dem „klassischen“ innerdienstlichen Betrug gegenüber dem Dienstherrn einen disziplinarrechtlich zu ahndenden geringeren Unrechtsgehalt als bei „klassischen“ Zugriffsdelikten, muss dies im vorliegenden Fall besonders gelten. Denn der Betrug zu Lasten der Firma a. A. wird nur dadurch zu einem verschärfenden innerdienstlichen Dienstvergehen, weil er im Dienst und unter Ausnutzung der dienstlichen Mittel und Möglichkeiten geschah. Ansonsten würde es sich von vornherein um einen milder zu bewertenden außerdienstlichen Pflichtenverstoß handeln (vgl. Bay. VGH, Urteil v. 28.06.2006, 16a D 05.177; juris; der in einem ähnlichen Fall die strafrechtliche Relevanz verneint).

101

Zudem wird aufgrund der Tatsache, dass neben dem Beklagten zahlreiche weitere Mitarbeiter der Werkstatt der A. die privaten Bestellvorgänge und über längere Zeiträume vornehmen konnten sowie die Aufdeckung dieser Missstände nur durch einen Zufallsfund und eben nicht aufgrund der Überprüfung durch die A. gelang, deutlich, dass hier eine Vernachlässigung der Ordnungs- und Überwachungspflicht des Dienstherrn die Taten zumindest begünstigte. Zwar ist der Klägerin zuzugeben, dass Beamten nicht ständig überwacht und kontrolliert werden können bzw. müssen und der Dienstherr auf die Zuverlässigkeit seiner Mitarbeiter angewiesen ist. Gleichwohl kann das Disziplinargericht bei der Feststellung, ob der Vertrauensverlust endgültig eingetreten ist, innerdienstliche Organisationsformen und das Controlling berücksichtigen. Vorliegend scheint es so, dass sich die Vornahme der Bestellungen aus Eigennutz unter den Werkstattmitarbeitern eingeschlichen hat. Dafür spricht auch, dass eine besondere Tarnung oder eine sonst wie geartete Verschleierung oder ein geschicktes Tatverhalten nicht erforderlich war (vgl. dazu: OVG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 10.09.2007, 3 A 10390/07; Bay. VGH, Urteil v. 28.06.2006, 16a D 05.177; beide juris). So wurde auch im Innenverhältnis die Behörde nicht etwa durch weitere Verdeckungshandlungen getäuscht. Es war jedweder Person bei Kenntnis der nicht unter Verschluss oder sonst wie besonders gesicherte Kundennummer der A. möglich, die Bestellvorgänge auszulösen. Es fanden weder weitere Identifikationsverfahren wie die PIN- oder Code-Eingabe statt noch durften etwa die Bestellvorgänge nur im Beisein eines weiteren Mitarbeiters vorgenommen werden. Erst die hier behandelten Disziplinarverfahren hat die Klägerin zum Anlass genommen, ablauforganisatorische Änderungen vorzunehmen, die auf eine Stärkung des Vier-Augen-Prinzips und Kontrolle der Beschaffungsvorgänge ausgerichtet sind (vgl. Schriftsatz der Klägerin vom 02.11.2012). Zudem ist ebenso der Firma a. A. der allzu sorglose Umgang hinsichtlich der tatsächlich möglichen privaten Bestellvorgänge unter Gewährung des Landesrabattes vorzuhalten.

102

7.) Unter Beachtung der vorstehend dargestellten Besonderheiten geht das Disziplinargericht bei der der nach § 13 DG LSA notwendigen Gesamtbewertung der Pflichtenverstöße unter Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten davon aus, dass dem Beklagten noch ein gewisses Restvertrauen entgegengebracht werden kann, was das Absehen von der Höchstmaßnahme rechtfertigt. Gleichwohl hält die Disziplinarkammer nach § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 DG LSA den Ausspruch der zweitschärfsten Disziplinarmaßnahme in Form der Zurückstufung nach § 9 DG LSA - und hier um zwei Stufen in das Eingangsamt - für angemessen und erforderlich.

103

8.) Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 72 Abs. 1 Satz 1, 73 Abs. 1 DG LSA. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


Tatbestand

1

Der 19.. geborene Beklagte schloss im Jahr 19.. die Ausbildung zum Diplom-Verwaltungswirt (FH) ab. 19.. trat er als Angestellter in den Dienst des Bundesnachrichtendienstes (BND) ein. Im Oktober 19.. ernannte ihn die Klägerin zum Beamten auf Lebenszeit. Zuletzt hatte er das Amt eines Regierungsamtmanns (Besoldungsgruppe A 11) inne. Er ist verheiratet und hat zwei minderjährige Kinder. Im BND war der Beklagte zunächst operativ tätig, insbesondere im Bereich "...". Aufgrund seiner Sprachkenntnisse und guter Beurteilungen wurde er für eine Auslandsverwendung vorgeschlagen. Von August 2001 bis Juli 2005 war der Beklagte bei der BND-Residentur an der Deutschen Botschaft in B./K. tätig. Seitdem wird er wieder im Inland im Bereich Auswertung eingesetzt. Im Oktober 2009 erhielt er eine Leistungsprämie für vorbildlichen Einsatz in Höhe von 750 €.

2

Im Frühjahr 2006 erreichten den BND Informationen, nach denen sich der Beklagte zum Ende seines Einsatzes in K. gegenüber k. Staatsangehörigen als "deutscher Vizekonsul" bezeichnet und diesen gegenüber den Eindruck erweckt haben soll, Einfluss auf die Visa-Erteilung durch die deutsche Botschaft nehmen zu können.

3

Hierzu sagte der Beklagte in einem "Sicherheitsgespräch" vom 30. März 2006 gegenüber Mitarbeitern des BND aus, er sei von einem Mittelsmann gegen seinen Willen gegenüber k. Staatsangehörigen als Konsul oder als Mitarbeiter der Konsularabteilung vorgestellt worden. Der Beklagte bestritt, jemals finanzielle Zuwendungen oder andere Vorteile erhalten oder auf die Vergabe von Visa Einfluss genommen zu haben. Er räumte lediglich ein, bis zu 40 Visa-Anträge auf "formale Richtigkeit" hin geprüft zu haben.

4

Am 8. Juni 2006 wandte sich der BND an die Staatsanwaltschaft Be. und teilte dieser unter Vorlage eines Berichts über die damaligen Erkenntnisse mit, es bestehe der Verdacht, der Beklagte habe sich im Zusammenhang mit der Erteilung von Visa eines Betrugs zum Nachteil ausländischer Staatsbürger schuldig gemacht. Daraufhin eröffnete die Staatsanwaltschaft Be. gegen den Beklagten ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Bestechlichkeit. Unter dem 6. November 2006 leitete der Präsident des BND gegen den Beklagten das Disziplinarverfahren ein. Der Beklagte wurde weder über die Eröffnung des Strafverfahrens noch über die des Disziplinarverfahrens in Kenntnis gesetzt.

5

Am 3. Januar 2007 erteilte die Staatsanwaltschaft Be. die Freigabe für das weitere behördliche Disziplinarverfahren, nachdem sie das Büro des Beklagten beim BND und dessen Privatwohnung durchsucht und dabei dem Beklagten auch den strafrechtlichen Vorwurf eröffnet hatte. Der Beklagte wurde am 8. Januar 2007 vom BND über die Einleitung des Disziplinarverfahrens unterrichtet. Der Beklagte gab zunächst keine Stellungnahme ab. Mit Schreiben vom 9. Mai 2007 dehnte der Präsident des BND das Disziplinarverfahren auf den Vorwurf aus, der Beklagte habe im Jahr 2005 eine offene dienstliche E-Mail-Adresse privat genutzt. Das Disziplinarverfahren wurde im Juli 2007 im Hinblick auf das anhängige Strafverfahren ausgesetzt.

6

In Bezug auf den Vorwurf des Titelmissbrauchs (§ 132a StGB) beschränkte die Staatsanwaltschaft Be. die Strafverfolgung nach § 154a Abs. 1 StPO auf den Vorwurf des Betrugs. Hinsichtlich des Vorwurfs der Bestechlichkeit stellte sie das Verfahren gemäß § 170 Abs. 2 StPO ein. Da der Beklagte in der Botschaft in B. nicht für die Erteilung der Visa zuständig gewesen sei, fehle es am Tatbestandsmerkmal der pflichtwidrigen Diensthandlung.

7

Ende Januar 2009 erließ das Amtsgericht T. gegen den Beklagten einen Strafbefehl wegen des Vorwurfs, gemeinschaftlich mit B. zum Nachteil zweier k. Staatsangehöriger einen Betrug begangen zu haben. Der Beklagte habe sich gegenüber den Geschädigten als Konsul der Deutschen Botschaft ausgegeben und diesen gegen eine Zahlung von jeweils 1900 € die Erteilung von Schengen-Visa zugesagt. Tatsächlich habe er jedoch weder die Möglichkeit gehabt, auf die Erteilung der Visa Einfluss zu nehmen, noch habe er die Absicht gehabt, den Geschädigten die Visa zu verschaffen. Gegen diesen Strafbefehl erhob der Beklagte unbeschränkten Einspruch.

8

In der Verhandlung vor dem Amtsgericht T. am 19. Mai 2009 machte der Beklagte nach Belehrung Angaben zur Sache. Nachdem das Amtsgericht die Kriminalhauptkommissarin U. als Zeugin zur Sache vernommen hatte, beschränkte der Beklagte seinen Einspruch gegen den Strafbefehl auf das Strafmaß. Auf der Grundlage des im Schuldspruch rechtskräftigen Strafbefehls wurde der Beklagte wegen Betrugs zu einer Geldstrafe verurteilt.

9

Nach Eintritt der Rechtskraft des Strafurteils setzte der BND das Disziplinarverfahren fort. Der Beklagte wurde hiervon unterrichtet. Im März 2010 billigte der Präsident des BND den Vorschlag, gegen den Beklagten Disziplinarklage mit dem Ziel der Entfernung aus dem Dienst zu erheben. Hiergegen erhob die Gruppe der Beamten im Personalrat des BND mit der Begründung Einwendungen, es sei zweifelhaft, ob der Beklagte das ihm zur Last gelegte Dienstvergehen tatsächlich begangen habe. Da der Präsident des BND am Ziel der Entfernung des Beklagten aus dem Beamtenverhältnis festhielt, beantragte der Personalrat eine Entscheidung des Bundeskanzleramtes. Im Hinblick hierauf sagte der Präsident des BND dem Personalrat zu, den Klageantrag dahingehend umzustellen, dass kein bestimmter Antrag erhoben werde, sondern die Disziplinarmaßnahme stattdessen in das Ermessen des Gerichts gestellt werde. Zudem würden die Einbehaltung von 10 % der Bezüge des Beklagten und seine vorläufige Dienstenthebung zurückgestellt. Im Hinblick hierauf nahm der Personalrat seinen gegenüber dem Bundeskanzleramt gestellten Antrag auf Entscheidung zurück.

10

Am 27. Oktober 2010 hat der Präsident des BND Disziplinarklage erhoben. Dem Beklagten wird entsprechend der im Strafbefehl getroffenen Feststellungen vorgeworfen, Geld als Gegenleistung für die Verschaffung von Visa angenommen zu haben. Dabei müsse davon ausgegangen werden, dass die tatsächliche Zahl der Geschädigten sowie die gezahlten Beträge wesentlich höher seien als nach den Feststellungen im Strafbefehl, der nur von zwei geschädigten k. Staatsangehörigen und einem Schaden von 3 800 € ausgehe. Da bei den beiden k. Staatsangehörigen kein Motiv für eine Falschaussage erkennbar sei, sei von der Richtigkeit ihrer Aussagen auszugehen. Demgegenüber habe der Beklagte wegen seiner angespannten finanziellen Situation ein Motiv gehabt. Gegen den Beklagten spreche auch, dass er eingeräumt habe, Visa-Unterlagen von bis zu zwölf k. Staatsangehörigen entgegengenommen zu haben. Denn als Sachbearbeiter der Residentur B. habe er mit der Bearbeitung von Visa-Anträgen nichts zu tun gehabt. Gerade deshalb sei von der Staatsanwaltschaft auch der Vorwurf der Bestechlichkeit fallengelassen worden. Das Vorbringen, er habe die Visa-Formulare geprüft, um Interessenten für illegale Visa oder Einreisen weitermelden zu können, sei unglaubhaft. In den Jahren 2004 und 2005 habe die Residentur keine Meldung zum Thema "illegale Visa/Einreise" übermittelt. Aus der Schuldenerklärung aus dem Jahr 2006 ergebe sich, dass sich der Beklagte damals ungeachtet der höheren Auslandsbezüge in einer finanziell schwierigen Situation befunden und deshalb ein Motiv gehabt habe. Der Beklagte müsse eine dienstliche E-Mail-Anschrift an eine private Bekannte weitergegeben haben. Hierdurch habe er die Gehorsamspflicht verletzt. Das Versagen des Beklagten und die damit verbundene Schädigung des Ansehens der Bundesrepublik insbesondere im Ausland wögen schwer. Bereits der Anschein, die Ausstellung von Schengen-Visa könne bei einer deutschen Auslandsvertretung erkauft werden, sei geeignet, die Interessen des Bundes erheblich zu beschädigen. Gerade der BND müsse sich als Sicherheitsbehörde auf die korrekte und gewissenhafte Erfüllung der Dienstpflichten durch seine Mitarbeiter verlassen können. Bei einer Auslandsverwendung seien die Kontrollmöglichkeiten zudem erheblich eingeschränkt. Die Beschädigung der Integrität der Amtsführung sei so gravierend, dass das Vertrauensverhältnis irreparabel und nachhaltig zerstört sei. Unerheblich sei, dass das dienstliche Verhalten des Beklagten seit seiner Rückkehr nach Deutschland unauffällig und ob eine Wiederholung des Fehlverhaltens zu erwarten sei. Allein durch die in seinem Verhalten zu Tage tretende kriminelle Energie sei der Beklagte als Beamter nicht länger tragbar. Zwar liege das Fehlverhalten bereits mehr als sechs Jahre zurück und der Beklagte habe zwei minderjährige Kinder. Diese Milderungsgründe könnten nicht berücksichtigt werden, weil die Schwere des Fehlverhaltens keinen weiteren Bemessungsspielraum erlaube. Die lange Verfahrensdauer sei dem BND nicht anzulasten. Zudem stehe eine lange Verfahrensdauer der Verhängung der Höchstmaßnahme nicht entgegen. Unerheblich sei auch, dass der Beklagte nicht vorläufig seines Dienstes enthoben worden und er seit der Rückkehr nach Deutschland seinen dienstlichen Pflichten in lobenswerter Weise nachgekommen sei. Das angeschuldigte Dienstvergehen offenbare schwerwiegende charakterliche Defizite des Beklagten. Die mit den Vorkommnissen verbundene Schädigung des Ansehens des BND stehe einer weiteren vertrauensvollen Zusammenarbeit im Wege.

11

Die Klägerin stellt keinen Antrag.

12

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

13

Die ihm im Zusammenhang mit der Beantragung von Visa vorgeworfene Tat habe er nicht begangen. Er habe sich nicht als deutscher Konsul oder Vizekonsul ausgegeben. Auch habe er keine Geldbeträge erhalten, um auf die Erteilung von Visa Einfluss zu nehmen. Ferner habe er nicht behauptet, auf die Erteilung von Visa Einfluss nehmen zu können. Dass Zeugen ihn auf Fotos erkannt hätten, könne auch darauf zurückgeführt werden, dass die Zeugen ihn zusammen mit Herrn B. gesehen hätten oder dieser den Zeugen Fotos von ihm gezeigt habe, um seine eigenen Einflussmöglichkeiten gegenüber den Visa-Interessenten glaubhaft zu machen. Er habe Herrn B. lediglich angeboten, die Visa-Anträge wie ein privater Visa-Dienst zu prüfen. Dabei sei es ihm um die Möglichkeit gegangen, mögliche Interessenten für illegale Visa oder Einreisen zu ermitteln und die so gewonnenen Informationen weiterzumelden. Herr B. sei eine interessante dienstlich nutzbare Quelle gewesen, weil dieser mitgeteilt habe, Informationen über Rauschgiftkuriere oder Schmuggler beschaffen zu können. Das Motiv für eine Falschaussage der Zeugen Q. und R. bestehe offensichtlich darin, dass ihre Chancen, die von ihnen bezahlten 3 800 € zurückzuerhalten, stiegen, wenn der Täterkreis auf den Beklagten erweitert werde. Denn dann bestehe die Möglichkeit, dass entweder der Beklagte oder die Botschaft zahle. Angesichts der ihn wirtschaftlich schwer belastenden Verurteilung zu einer Geldstrafe bestehe auch kein Bedürfnis nach einer zusätzlichen Pflichtenmahnung im Disziplinarverfahren. Sowohl die Klägerin als auch das Gericht seien angesichts der nicht vollständig abgeschlossenen Beweisaufnahme im strafgerichtlichen Verfahren und der lediglich aus Kostengründen erklärten Beschränkung des Einspruchs gegen den Strafbefehl auf das Strafmaß nicht an die Feststellungen des Strafgerichts gebunden. Zudem sei die einzige im Strafverfahren gehörte Zeugin lediglich eine Zeugin vom Hörensagen, weil sie lediglich an der Vernehmung von vermeintlichen Tatzeugen beteiligt gewesen sei. Während seiner Tätigkeit in K. habe der Beklagte wegen des Auslandsverwendungszuschlags ein höheres Einkommen gehabt. Deshalb habe bei ihm kein beachtliches Motiv zur Tatbegehung bestanden. Im Übrigen stehe ihm inzwischen ein höherer Nettobetrag zur Verfügung; eine Überschuldung sei nicht gegeben. Zwar kenne der Beklagte die Frau, die ihm zwei E-Mails geschickt habe, privat. Er könne sich aber nicht erklären, wie diese Frau an die Adresse gekommen sei. Es könne sein, dass diese "offene" Adresse auf der dienstlichen Visitenkarte angegeben gewesen sei. Die Zusendung von privaten E-Mails auf dienstliche E-Mail-Konten stelle kein Dienstvergehen dar. Jedenfalls habe er das E-Mail-Konto nicht aktiv privat genutzt. Da der von den Visa-Antragstellern mit 3 800 € behauptete Schaden unter 5 000 € liege, scheide die Höchstmaßnahme aus, weil diese bei Vermögensdelikten erst ab einem Betrag von 5 000 € in Betracht komme. Die von der Klägerin behauptete Zerstörung des Vertrauensverhältnisses sei nicht nachvollziehbar. Er sei während des gesamten Verfahrens nicht vorläufig seines Amtes enthoben worden, habe seine dienstlichen Pflichten vorbildlich erfüllt und habe eine Leistungsprämie von 750 € erhalten. Er sei auch weiterhin in einem sensiblen Bereich beschäftigt.

14

In der mündlichen Verhandlung hat der Senat gemäß § 56 Satz 1 BDG den gegen den Beklagten in der Klageschrift erhobenen Vorwurf aus dem Disziplinarverfahren ausgeschieden, er habe vor dem 4. Oktober 2005 eine vom BND für die Residentur in B. eingerichtete E-Mail-Adresse an Dritte zur Übersendung privater Nachrichten weitergegeben.

15

Aufgrund des Beschlusses vom 28. Februar 2012 und des Beweisbeschlusses vom 8. März 2012 ist D. S. vom beauftragten Richter als Zeuge zu dem Beweisthema vernommen worden, welche Aussagen die k. Staatsangehörigen R. und Q. sowie der l. Staatsangehörige B. zum Verhalten des Beklagten im Zusammenhang mit der Beantragung von Visa bei der Deutschen Botschaft in B./K. im Frühjahr 2005 gemacht haben. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der Zeugenvernehmung vom 12. März 2012 verwiesen.

16

In der mündlichen Verhandlung hat der Senat aufgrund des dort verkündeten Beschlusses durch Vernehmung der Zeugen D., U., Dr. und P. zum Verhalten des Beklagten im Zusammenhang mit der Beantragung von Visa durch die k. Staatsangehörigen Q. und R. bei der Deutschen Botschaft in B./K. im Frühjahr 2005 Beweis erhoben. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

17

Die von der Klägerin vorgelegten Personal- und Disziplinarakten des Beklagten sowie die beigezogene Strafakte einschließlich der Unterlagen des Rechtshilfeersuchens der Staatsanwaltschaft Be. sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen. Auf ihren sowie auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

18

Der Senat entscheidet über die Disziplinarklage in erster und letzter Instanz (§ 50 Abs. 1 Nr. 4 VwGO, § 45 Satz 5 BDG). Sie führt zu der Entfernung des Beklagten aus dem Beamtenverhältnis (§ 60 Abs. 2 Satz 1 und 2 Nr. 1, § 5 Abs. 1 Nr. 5 sowie §§ 10 und 13 Abs. 2 Satz 1 BDG).

19

1. Dem behördlichen Disziplinarverfahren haften keine wesentlichen Mängel i.S.d. § 55 BDG an.

20

a) Die Einleitung des Disziplinarverfahrens gegenüber dem Beklagten erst am 6. November 2006 entspricht nicht der Vorgabe des § 17 Abs. 1 Satz 1 BDG. Danach hat der Dienstvorgesetzte die Dienstpflicht, ein Disziplinarverfahren einzuleiten, wenn zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, die den Verdacht eines Dienstvergehens rechtfertigen. Zweck der Vorschrift ist der Schutz des Beamten. Die disziplinarischen Ermittlungen sollen so früh wie möglich im Rahmen des gesetzlich geordneten Verfahrens mit seinen rechtsstaatlichen Sicherungen zu Gunsten des Beamten, insbesondere dem Recht auf Beweisteilhabe nach § 24 Abs. 4 BDG, geführt werden. Der Dienstvorgesetzte darf, wenn die Voraussetzungen zur Einleitung vorliegen, nicht abwarten und weiteres Belastungsmaterial sammeln. Verzögert der Dienstvorgesetzte entgegen § 17 Abs. 1 Satz 1 BDG die Einleitung des Disziplinarverfahrens, so kann dies bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme (§ 13 BDG) als mildernder Umstand berücksichtigt werden, wenn die verzögerte Einleitung für das weitere Fehlverhalten des Beamten ursächlich war (Beschluss vom 18. November 2008 - BVerwG 2 B 63.08 - Buchholz 235.1 § 17 BDG Nr. 1 Rn. 13 ff.).

21

Zwar darf der Dienstherr auch Verwaltungsermittlungen durchführen, weil ein Disziplinarverfahren wegen seiner stigmatisierenden Wirkung nicht vorschnell eingeleitet werden darf (Weiß, in: GKÖD, Bd. II, Disziplinarrecht des Bundes und der Länder, Teil 4 BDG, M § 17 Rn. 32). Verwaltungsermittlungen müssen aber wegen der Schutzwirkung der Verfahrensvorschriften in disziplinarrechtlich geführte Ermittlungen umschlagen, wenn der Dienstvorgesetzte Kenntnis von Tatsachen erlangt, aufgrund derer die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Beamte schuldhaft seine Dienstpflichten in disziplinarrechtlich relevanter Weise verletzt hat. Diese Voraussetzungen waren spätestens am 6. Juni 2006 erfüllt. Denn zu diesem Zeitpunkt hatte die Innenrevision des BND die gegen den Beklagten letztendlich erhobenen Vorwürfe schriftlich zusammengefasst, um sie der Staatsanwaltschaft Be. mit dem Ziel der Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens vorzulegen. Grundlage dieser Zusammenfassung waren vor allem detaillierte Berichte des Leiters der BND-Residentur P. an die BND-Zentrale über den weiteren Fortgang seiner Ermittlungen, insbesondere über die in B. geführten Gespräche mit dem "Vermittler" B.

22

Ein Verstoß gegen die aus § 17 Abs. 1 Satz 1 BDG folgende Pflicht zur rechtzeitigen Einleitung des behördlichen Disziplinarverfahrens stellt einen Mangel i.S.v. § 55 Abs. 1 BDG dar. Der Begriff des Mangels i.S.v. § 55 Abs. 1 BDG erfasst Verletzungen von Verfahrensregeln, die im behördlichen Disziplinarverfahren von Bedeutung sind (Urteil vom 20. Oktober 2005 - BVerwG 2 C 12.04 - BVerwGE 124, 252 <254> = Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 1). Hierunter fallen Verstöße gegen verfahrensrechtliche Vorschriften und Rechtsgrundsätze, die den äußeren Ablauf des behördlichen Disziplinarverfahrens bis zur abschließenden behördlichen Entscheidung, also bis zur Erhebung der Disziplinarklage oder bis zu dem Erlass einer Disziplinarverfügung, betreffen (vgl. Beschluss vom 18. November 2008 a.a.O. Rn. 14).

23

Dieser Mangel des behördlichen Disziplinarverfahrens ist aber nicht wesentlich i.S.d. § 55 BDG. Es lässt sich mit hinreichender Sicherheit ausschließen, dass er sich auf das Ergebnis des Disziplinarverfahrens ausgewirkt haben kann (Urteil vom 24. Juni 2010 - BVerwG 2 C 15.09 - BVerwGE 137, 192 = Buchholz 235.1 § 55 BDG Nr. 6, jeweils Rn. 19). Hätte die Klägerin das Disziplinarverfahren entsprechend ihrer Verpflichtung aus § 17 Abs. 1 Satz 1 BDG im Zeitraum zwischen dem Sicherheitsgespräch vom 30. März 2006 und der Erstellung des zusammenfassenden Berichts vom 6. Juni 2006 eingeleitet, so wäre der Beklagte hiervon in rechtlich nicht zu beanstandender Weise nicht unterrichtet worden. Die Vorgehensweise der Klägerin, den Beklagten über die Einleitung des Disziplinarverfahrens bis zum Abschluss der Durchsuchungen seines Büros und seiner Privatwohnung im Rahmen des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens nicht zu informieren, ist durch § 20 Abs. 1 Satz 1 BDG gedeckt. Durch eine Unterrichtung des Beklagten über die Einleitung des Disziplinarverfahrens wäre die Aufklärung des disziplinarrechtlich relevanten Sachverhalts gefährdet gewesen. Bei einer früheren Unterrichtung bestand die Gefahr, dass der Beklagte private Unterlagen über seine Kontakte zum "Vermittler" B. und den geschädigten k. Visa-Antragstellern beseitigt oder mit diesen Kontakt aufnimmt.

24

b) Das Anschreiben vom 8. Januar 2007, mit dem die Klägerin den Beklagten über die Einleitung des Disziplinarverfahrens unterrichtet hat, genügt den formellen Anforderungen des § 20 Abs. 1 Satz 2 und 3 BDG. Es lässt erkennen, welches Dienstvergehen dem Beklagten zur Last gelegt wird, und weist diesen auf die ihm im Verfahren zustehenden Rechte hin. Der Personalrat ist auf Antrag des Beklagten beteiligt worden.

25

c) Die Zuständigkeit des Präsidenten des BND zur Erhebung der Disziplinarklage folgt aus § 34 Abs. 2 Satz 2 BDG i.V.m. Nr. 3 der Anordnung zur Übertragung disziplinarrechtlicher Zuständigkeiten und Befugnisse im Bereich des BND vom 28. Januar 2002 (BGBl I S. 560).

26

2. Im Ergebnis weist auch die Klageschrift keine wesentlichen Mängel auf.

27

a) In Bezug auf das Verhalten des Beklagten im Zusammenhang mit der Beantragung von Schengen-Visa bei der Deutschen Botschaft in B. genügt die Disziplinarklageschrift allerdings nur mit einer vom Vertreter der Klägerin in der mündlichen Verhandlung auf Anregung des Senats erklärten Einschränkung den Anforderungen des § 52 Abs. 1 Satz 2 BDG.

28

Nach § 52 Abs. 1 Satz 2 BDG muss die Klageschrift den persönlichen und beruflichen Werdegang des Beamten, den bisherigen Gang des Disziplinarverfahrens, die Tatsachen, in denen ein Dienstvergehen gesehen wird, und die anderen Tatsachen und Beweismittel, die für die Entscheidung bedeutsam sind, geordnet darstellen. Die Sachverhalte, aus denen das Dienstvergehen hergeleitet wird, müssen aus sich heraus verständlich geschildert werden. Ort und Zeit der einzelnen Handlungen müssen möglichst genau angegeben, die Geschehensabläufe nachvollziehbar beschrieben werden. Hierdurch soll gewährleistet werden, dass sich der Beamte gegen die gegen ihn erhobenen disziplinarischen Vorwürfe sachgerecht verteidigen kann. Zugleich werden durch eine den Anforderungen des § 52 Abs. 1 Satz 2 BDG genügende Klageschrift Umfang und Grenzen der gerichtlichen Disziplinarbefugnis festgelegt. Denn nach § 60 Abs. 2 Satz 1 BDG dürfen nur Handlungen zum Gegenstand der Urteilsfindung gemacht werden, die dem Beamten in der Klage oder einer Nachtragsdisziplinarklage als Dienstvergehen zur Last gelegt worden sind (Urteile vom 25. Januar 2007 - BVerwG 2 A 3.05 - Buchholz 235.1 § 52 BDG Nr. 4 Rn. 27 f. und vom 29. Juli 2010 - BVerwG 2 A 4.09 - juris Rn. 146 f.; Beschluss vom 26. Oktober 2011 - BVerwG 2 B 69.10 - juris Rn. 6). Zwar ist es nicht erforderlich, dass die Klageschrift die angeschuldigten Sachverhalte disziplinarrechtlich zutreffend würdigt. Aufgrund des doppelten Zwecks der Disziplinarklageschrift muss der Dienstherr aber erkennen lassen, gegen welche Dienstpflichten das angeschuldigte Verhalten des Beamten verstoßen soll und ob dem Beamten Vorsatz oder Fahrlässigkeit zur Last gelegt wird (Beschluss vom 28. März 2011 - BVerwG 2 B 59.10 - IÖD 2011, 143, juris Rn. 5).

29

Die Disziplinarklage des BND stellt den persönlichen und beruflichen Werdegang des Beklagten und auch den bisherigen Gang des Verfahrens ausreichend dar. Soweit sich die Disziplinarklageschrift inhaltlich am Gegenstand des Strafbefehls des Amtsgerichts T. vom 29. Januar 2009 orientiert, sind die Anforderungen des § 52 Abs. 1 Satz 2 BDG auch hinsichtlich der Bestimmung des Dienstvergehens erfüllt. Es werden die dem Beklagten vorgeworfenen konkreten Verhaltensweisen, die konkret geschädigten Personen (Q. und R.) sowie der diesen durch das vorgeworfene Verhalten entstandene finanzielle Schaden dargelegt. Die Disziplinarklage enthält die Beweismittel, insbesondere den wesentlichen Inhalt der Zeugenaussagen, würdigt den als erwiesen angesehenen Tatvorwurf und stellt auch die vorsätzliche Begehung des Dienstvergehens fest.

30

Soweit aber in der Klageschrift ausgeführt wird, die tatsächliche Zahl der Geschädigten sowie die gezahlten Beträge lägen erheblich über den Feststellungen im strafrechtlichen Verfahren zum Verhalten des Beklagten gegenüber Q. und R., fehlt es an einer Darstellung i.S.v. § 52 Abs. 1 Satz 2 BDG. Der Vertreter der Klägerin hat aber in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass diese Umstände nicht Gegenstand der Disziplinarklage sein sollen.

31

b) Die formellen Mängel der Klageschrift im Hinblick auf den gegen den Beklagten erhobenen Vorwurf, eine dienstliche E-Mail-Adresse privat genutzt zu haben, sind unerheblich. Diese Handlungen sind vom Senat nach § 56 BDG ausgeschieden und nicht wieder in das Disziplinarverfahren einbezogen worden.

32

c) Unerheblich ist, dass die Klägerin in der Disziplinarklageschrift keinen bestimmten Antrag gestellt hat. § 52 Abs. 1 Satz 2 BDG schreibt dies im Gegensatz zu § 82 Abs. 1 Satz 2 VwGO nicht vor. Es bedarf keines Antrags des Dienstherrn, weil nach § 60 Abs. 2 Satz 2 BDG die Gerichte die erforderliche Disziplinarmaßnahme bestimmen (Urteile vom 20. Oktober 2005 a.a.O. S. 255 f. bzw. Rn. 16 und vom 3. Mai 2007 - BVerwG 2 C 9.06 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 3 Rn. 26).

33

Aufgrund der Beweisaufnahme sieht der Senat folgenden Sachverhalt als erwiesen an:

34

Am 2. März 2005 sprachen die beiden k. Staatsangehörigen Q. und R. aus M. bei der Deutschen Botschaft in B. vor, um in Erfahrung zu bringen, welche Voraussetzungen für ein Visum für die Bundesrepublik Deutschland erfüllt und welche Unterlagen vorgelegt werden müssen. In der Warteschlange wurden die beiden Interessenten vom l. Staatsangehörigen B. angesprochen, der ihnen gegen Geld seine Hilfe bei der Beschaffung der Visa anbot und auch darauf verwies, dass er die Kontaktperson zum Vizekonsul sei, der bei der Deutschen Botschaft für die Erteilung der Visa zuständig sei. Die beiden Interessenten nahmen das Hilfsangebot an und überwiesen, nachdem sie den "Vermittler" B. überprüft hatten, in der Folgezeit auf dessen Konto insgesamt ca. 12 Mio. COP (Peso Colombiano; ca. 3 800 €); außerdem übersandten sie ihm die für die Erteilung der Visa erforderlichen Unterlagen, darunter den Pass, ein Führungszeugnis und eine Kopie des Personalausweises. Als die beiden Interessenten insgesamt ca. 8 Mio. COP überwiesen hatten, bestellte sie Herr B. zur Übergabe der Visa nach B. Beim Treffen am 23. März 2005 bei einem Hotel in der Nähe der Deutschen Botschaft in B. konnte der "Vermittler" B. den Interessenten die zugesagten Visa nicht übergeben. Zur Beruhigung der beiden Interessenten zog Herr B. den Beklagten zu diesem Gespräch hinzu. Herr B. stellte den beiden Interessenten den Beklagten ohne Namensnennung als Mitarbeiter der Botschaft vor. Die beiden Interessenten, der "Vermittler" B. und der Beklagte begaben sich in eine in der Nähe der Botschaft gelegene Ladenpassage. Bei diesem Gespräch bezeichnete sich der Beklagte selbst als Vizekonsul und als der für die Erteilung der Visa zuständige Mitarbeiter der Botschaft. Der Beklagte sagte ferner, dass er die Visa bereits genehmigt habe und dass man nur auf die Freigabe zur Aushändigung aus Deutschland innerhalb von 15 Tagen warte. Bei dieser Aussage war dem Beklagten bewusst, dass die beiden Interessenten an Herrn B. Geld gezahlt hatten, damit dieser ihnen abredegemäß Visa beschafft. Am 24. März 2005 überwies Q. auf das Konto des Herrn B. weitere, von diesem für die Beschaffung der beiden Visa geforderte 1,7 Mio. COP. 15 Tage später rief Herr B. Q. an und bestellte die beiden Interessenten zur Übergabe der Visa in die Nähe der Deutschen Botschaft. Der "Vermittler" B. erschien aber nicht am vereinbarten Treffpunkt und war für die Interessenten auch telefonisch nicht zu erreichen. Die Interessenten warteten daraufhin mehrere Stunden vor der Deutschen Botschaft. Als der Beklagte das Botschaftsgebäude verließ, lehnte er jedes Gespräch mit ihnen über die Visa ab und verwies sie an den "Vermittler" B. Q. und R. wurden auch in der Folgezeit keine Visa erteilt.

35

1. Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich nicht bereits nach § 57 Abs. 1 Satz 1 BDG aus dem Urteil des Amtsgerichts T. vom 19. Mai 2009. Dieses Urteil ist für das gerichtliche Disziplinarverfahren nicht bindend, weil es zum tatsächlichen Geschehen keine Feststellungen trifft.

36

Gegenstand des Urteils vom 19. Mai 2009 ist nur das Strafmaß, nachdem der Beklagte seinen ursprünglich unbeschränkt erhobenen Einspruch gegen den Strafbefehl vom 29. Januar 2009 in der Hauptverhandlung nach § 410 Abs. 2 StPO auf das Strafmaß beschränkt hatte. Die Feststellungen zum Tatgeschehen beruhen lediglich auf dem im Schuldspruch rechtskräftigen Strafbefehl vom 29. Januar 2009.

37

Feststellungen in einem rechtskräftigen Strafbefehl kommt trotz seiner strafprozessualen Gleichstellung mit einem rechtskräftigen Urteil (§ 410 Abs. 3 StPO) keine Bindungswirkung i.S.v. § 23 Abs. 1 und § 57 Abs. 1 Satz 1 BDG zu. Dies ist in der Rechtsprechung zu § 18 BDO allgemein anerkannt (Urteil vom 16. Juni 1992 - BVerwG 1 D 11.91 - BVerwGE 93, 255 <258>). Hintergrund hierfür ist die Überlegung, dass nur solche tatsächlichen Feststellungen eine sichere Entscheidungsgrundlage für ein Disziplinarverfahren liefern können, die aufgrund der Sachverhaltsfeststellungen in einer Hauptverhandlung vor Gericht und nach richterlicher Beweiswürdigung getroffen worden sind. Demgegenüber liegt einem Strafbefehl lediglich eine in einem besonders geregelten summarischen Verfahren getroffene richterliche Entscheidung zugrunde. Er ergeht ohne Hauptverhandlung und gerichtliche Beweisaufnahme und bietet damit nicht das Maß an Ergebnissicherheit, das Voraussetzung für eine Bindungswirkung ist. Die in § 410 Abs. 3 StPO ausgesprochene Gleichstellung bestimmt lediglich den Umfang der Rechtskraft eines Strafbefehls (BTDrucks 10/1313, S. 38) und dient insoweit der prozessrechtlichen Klarstellung (Urteil vom 8. Juni 2000 - BVerwG 2 C 20.99 - Buchholz 237.7 § 51 NWLBG Nr. 1).

38

Aus der Entstehungsgeschichte der §§ 23 und 57 BDG (Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Bundesdisziplinarrechts, BTDrucks 14/4659, S. 41 f. und 49) ist zu schließen, dass der Gesetzgeber in Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtsprechung den rechtskräftigen Strafbefehl hinsichtlich der Bindungswirkung nicht einem rechtskräftigen Strafurteil gleichgestellt hat (Gansen, Disziplinarrecht in Bund und Ländern, § 23 Rn. 4; Weiß, a.a.O. § 23 Rn. 24; Hummel/Köhler/Mayer, BDG, 5. Aufl., § 23 Rn. 2). Denn der Bundesgesetzgeber ist einem entsprechenden Vorschlag des Bundesrates im Gesetzgebungsverfahren nicht gefolgt (BTDrucks 14/4659, S. 59 f.; vgl. dazu Gegenäußerung der Bundesregierung, BTDrucks 14/4659, S. 64).

39

Auch die Anwendung des § 57 Abs. 2 BDG ist ausgeschlossen, wonach die in einem anderen gesetzlich geordneten Verfahren getroffenen tatsächlichen Feststellungen nicht bindend sind, aber der Entscheidung ohne erneute Prüfung zugrunde gelegt werden können. Denn der Beklagte bestreitet substantiiert die im Strafbefehl vom 29. Januar 2009 getroffenen Feststellungen zu seinem Verhalten im Zusammenhang mit der Beantragung von Schengen-Visa durch Q. und R. im März 2005. Wegen des im Wortlaut angelegten Regel-Ausnahme-Verhältnisses und des systematischen Zusammenhangs mit der in § 58 Abs. 1 BDG geregelten gerichtlichen Aufklärungspflicht ist für die Anwendung des § 57 Abs. 2 BDG nur Raum, wenn die Richtigkeit der anderweitig festgestellten Tatsachen vom betroffenen Beamten im gerichtlichen Disziplinarverfahren nicht substantiiert angezweifelt wird (Beschluss vom 4. September 2008 - BVerwG 2 B 61.07 - Buchholz 235.1 § 58 BDG Nr. 4 Rn. 8 m.w.N.).

40

2. a) Die tatsächlichen Feststellungen beruhen vorrangig auf den konsularischen Vernehmungen der k. Staatsangehörigen Q. und R. durch den Zeugen S. vom 26. Februar 2007 und des l. Staatsangehörigen B. durch den Zeugen Dr. vom 13. April 2007. Wie in der mündlichen Verhandlung festgestellt, befinden sich in der vom Senat beigezogenen Strafakte die von den vernommenen Personen eigenhändig unterschriebenen und in spanischer Sprache abgefassten Originale der Niederschriften über die in Spanisch geführten Vernehmungen. Bei den Vernehmungen haben die Zeugen S. und Dr. die für ihre Amtstätigkeit als Konsularbeamte geltenden Schranken nach § 4 KonsG beachtet. Das Wiener Übereinkommen vom 24. April 1963 über konsularische Beziehungen (BGBl II 1969 S. 1585), das in seinem Art. 5 die von einer konsularischen Vertretung im Empfangsstaat wahrzunehmenden konsularischen Aufgaben aufführt, ist nach seinem Art. 77 Abs. 2 für K. am 6. Oktober 1972 in Kraft getreten (Bekanntmachung über den Geltungsbereich des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen vom 15. Februar 1973, BGBl II S. 166). Nach § 15 Abs. 4 KonsG stehen die Vernehmungen und die über sie aufgenommenen Niederschriften den Vernehmungen sowie den darüber aufgenommenen Niederschriften inländischer Gerichte und Behörden gleich.

41

Die Zeugen S. und Dr. haben den Inhalt der Vernehmungen gegenüber dem erkennenden Gericht überzeugend wiedergegeben. Der Senat hält die Bekundungen der k. Staatsangehörigen Q. und R. für glaubhaft, diejenigen des l. Staatsangehörigen B. allerdings nur im Kern insoweit, als er eine Zusammenarbeit mit dem Beklagten angegeben und die Überweisung der geforderten 12 Mio. COP auf sein Konto bestätigt hat.

42

Das Ergebnis der konsularischen Vernehmungen ist durch die Bekundungen der vom Senat vernommenen Zeugen U. und P. über den Inhalt im Frühjahr 2006 geführter informatorischer Gespräche mit den beiden k. Staatsangehörigen Q. und R., dem l. Staatsangehörigen B. und der bei der k. Generalstaatsanwaltschaft zuständigen Sachbearbeiterin bestätigt worden. Kopien der Belege für die Überweisungen der Geschädigten an den "Vermittler" B. befinden sich in der Akte des Rechtshilfeersuchens. Bestandteil der beigezogenen Strafakten der Staatsanwaltschaft Be. sind auch die Unterlagen des an die Republik K. gerichteten Rechtshilfeersuchens der Staatsanwaltschaft Be. vom 15. Juni 2007. Zudem haben die beiden Zeugen U. und P. inhaltlich übereinstimmend glaubhaft ausgesagt, dass Q. und R. im Rahmen ihres Gesprächs in einem Café in M. am 16. Mai 2006 den Beklagten anhand von sechs Fotos als denjenigen Mitarbeiter der Botschaft identifiziert haben, der sich ihnen gegenüber am 23. März 2005 als Vizekonsul bezeichnet und ihnen zugleich versichert hat, die von ihnen beantragten Visa seien bereits bewilligt und könnten in ungefähr zwei Wochen ausgehändigt werden. Auch im Rahmen ihrer konsularischen Vernehmungen haben die beiden k. Staatsangehörigen den Beklagten auf den insgesamt sechs Fotos wiedererkannt.

43

Bei der Würdigung des Umstands, dass Q. und R. jeweils im Mai 2006 und im Februar 2007 den Beklagten auf den ihnen vorgelegten Bildern erkannt haben, berücksichtigt der Senat, dass einem Zeugen bei einer Wahllichtbildvorlage nacheinander Lichtbilder von wenigstens acht Personen vorgelegt werden sollen. Denn ein Zeuge kann bei dieser größeren Vergleichszahl etwaige Unsicherheiten in seiner Beurteilung besser erkennen und dementsprechend offen legen, so dass eine Wiedererkennung unter (mindestens) acht Vergleichspersonen einen höheren Beweiswert gewinnen kann (BGH, Beschluss vom 9. November 2011 - 1 StR 524/11 - NJW 2012, 791, Rn. 6 f. m.w.N.). Dies schließt es aber nicht aus, das Ergebnis einer Wiedererkennung im Rahmen einer auf fünf vergleichbare Porträtfotos beschränkten Wahllichtbildvorlage in die Gesamtwürdigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme einzubeziehen. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die beiden Geschädigten, die dem Beklagten nicht nur am 23. März 2005 persönlich begegnet sind, sondern diesen auch ca. zwei Wochen später nach mehrstündigem Warten vor dem Gebäude der Deutschen Botschaft wiedererkannt und von sich aus auf den Verbleib der ihnen zugesagten Visa angesprochen haben, diesen auf einem Gruppenfoto der Beschäftigten der Deutschen Botschaft - unter ca. 35 Personen - wiedererkannt haben.

44

Die Angaben der Zeugen S., U. und P. zum Inhalt der Äußerungen des unmittelbar geschädigten Q. zum Verhalten des Beklagten sowie des "Vermittlers" B. decken sich zudem mit dessen Schilderungen gegenüber der k. Staatsanwaltschaft im Rahmen des dort gegen den "Vermittler" B. wegen des Verdachts des Betrugs geführten Ermittlungsverfahrens. In der eigentlichen Anzeige vom 3. Mai 2005 sowie in seiner weiteren Vernehmung vom 25. Juli 2006 aus Anlass des Scheiterns der zwischen dem "Vermittler" B. und der k. Staatsanwaltschaft getroffenen Gütevereinbarung hat der Geschädigte Q. den Sachverhalt übereinstimmend dargestellt. Dort hat dieser auch geschildert, dass sich Herr B. bereits beim ersten Zusammentreffen am 2. März 2005 berühmt hatte, die Kontaktperson zu dem in der Deutschen Botschaft für die Erteilung von Visa zuständigen Bediensteten zu sein. Inhaltlich im Wesentlichen übereinstimmend sind auch die verschiedenen Angaben des Herrn Q. zu den in der Nähe der Deutschen Botschaft gelegenen Örtlichkeiten der Zusammentreffen mit dem "Vermittler" B. und mit dem Beklagten am 23. März 2005.

45

b) Aus seinen Angaben im zweiten Teil des mit Mitarbeitern des BND geführten Sicherheitsgesprächs vom 30. März 2006 sowie in der Beschuldigtenvernehmung vom 20. September 2007 ergibt sich, dass dem Beklagten seit November 2004 bekannt war, dass sein Bekannter B. für seine "Vermittlungstätigkeit" von den Visa-Antragstellern Geldzahlungen erhielt. Die vom Beklagten unterschriebene Niederschrift über das Sicherheitsgespräch ist im Disziplinarverfahren verwertbar.

46

§ 54 Satz 3 BBG a.F. (in der Fassung der Bekanntmachung vom 31. März 1999, BGBl I S. 675) sieht vor, dass das Verhalten eines Beamten der Klägerin innerhalb und außerhalb des Dienstes der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden muss, die sein Beruf erfordert. Nach § 55 Satz 1 BBG a.F. hat ein Beamter seine Vorgesetzten zu beraten und zu unterstützen. Hieraus folgt, dass der Beamte in dienstlichen Angelegenheiten wahrheitsgemäß und vollständig zu berichten hat (Urteil vom 27. August 1997 - BVerwG 1 D 49.96 - BVerwGE 113, 118 <126 f.> = Buchholz 232 § 52 BBG Nr. 9). Über diese Pflicht ist der Beklagte von Mitarbeitern des BND zu Beginn des Gesprächs und unmittelbar vor der Korrektur seiner bisherigen Aussage zu seinen Kontakten zum "Vermittler" B. auch noch nach seiner Rückversetzung in das Inland zutreffend belehrt worden. Die Bediensteten des BND haben den Beklagten auch auf das ihm zustehende Recht hingewiesen, die Aussage zu verweigern, wenn er sich dabei strafrechtlich belasten würde. Vor dem Abschluss des Sicherheitsgesprächs bestand auch noch keine Dienstpflicht zur Einleitung eines Disziplinarverfahrens i.S.v. § 17 Abs. 1 Satz 1 BDG mit der Folge, dass der Beklagte nach § 20 Abs. 1 Satz 3 BDG darauf hinzuweisen gewesen wäre, dass es ihm freistehe, sich schriftlich zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen und sich jederzeit eines Bevollmächtigten oder Beistands zu bedienen. Die Einleitung des Disziplinarverfahrens kam frühestens im Anschluss an dieses Gespräch in Betracht. Denn erst aufgrund der Angaben des Beklagten im Gespräch vom 30. März 2006 hatte der Dienstvorgesetzte von solchen Tatsachen Kenntnis erlangt, aufgrund derer die hinreichende Wahrscheinlichkeit bestand, dass der Beklagte schuldhaft seine Dienstpflichten in disziplinarrechtlich relevanter Weise verletzt hatte.

47

c) Der Beklagte ist in der mündlichen Verhandlung zu den Ereignissen in K. sowie zu den Aussagen der Zeugen in Bezug auf die Angaben der Geschädigten Q. und R. zu seinem Verhalten und zu dem des "Vermittlers" B. im Zusammenhang mit der Beantragung von Visa im Frühjahr 2005 angehört worden. Seine Äußerungen beschränkten sich im Wesentlichen auf Ausflüchte oder auf die Geltendmachung von Erinnerungslücken. Ihn belastende Angaben im Sicherheitsgespräch oder Unterschiede zwischen diesen Angaben und seinen Äußerungen in der mündlichen Verhandlung hat er nicht plausibel zu erklären vermocht.

48

In der zweiten Hälfte des Sicherheitsgesprächs vom März 2006 hatte es der Beklagte zumindest nicht ausgeschlossen, dass er sich im Verlauf eines von seinem Bekannten B. initiierten Telefongesprächs, in dem es um Visa-Anträge und Geldüberweisungen an Herrn B. ging, gegenüber dem ihm unbekannten Gesprächspartner des Herrn B. selbst als Konsul vorgestellt hat. Bei seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung ist ihm diese Aussage vorgehalten worden; er hat dann aber nachdrücklich bestritten, sich jemals so vorgestellt zu haben. Diese gravierende Abweichung konnte der Beklagte nicht erklären.

49

Wenig überzeugend sind auch die Reaktionen des Beklagten auf andere Vorhalte aus der Niederschrift über das Sicherheitsgespräch vom 30. März 2006 gewesen. Dies gilt insbesondere für seine Schilderung im Sicherheitsgespräch, eine ihm unbekannte Person per Telefon aufgefordert zu haben, eine Überweisung zu veranlassen, damit Anträge für Visa positiv beschieden werden können. Im Sicherheitsgespräch vom März 2006 hatte der Beklagte noch ausgesagt, im Januar 2006 habe ihm sein Bekannter B. telefonisch mitgeteilt, Visa-Antragsteller, die Geld auf dessen Konto eingezahlt hätten, ohne dass die Visa erteilt worden seien, hätten bei der Staatsanwaltschaft Anzeige erstattet. In der mündlichen Verhandlung konnte sich der Beklagte an dieses Telefonat und seinen ihn belastenden Inhalt nicht mehr erinnern.

50

Unglaubhaft ist auch die Angabe des Beklagten, er habe sich deshalb bereit erklärt, ihm vom "Vermittler" B. übergebene Visa-Anträge auf "formale" Richtigkeit zu überprüfen, um diesen als nachrichtendienstliche Verbindung zu halten und um damit an für den BND bedeutsame nachrichtendienstliche Informationen zu gelangen. Denn da nach den Vorgaben des BND Mitarbeiter einer BND-Residentur dienstlich gerade nicht mit der Erteilung von Visa befasst sind, hätte es sich aus Sicht eines Mitarbeiters einer BND-Residentur geradezu aufgedrängt, die - angeblich - im Rahmen einer nachrichtendienstlichen Zusammenarbeit mit Herrn B. vorgenommene Kontrolle von Visa-Anträgen dem unmittelbaren Dienstvorgesetzten mitzuteilen. Die Brisanz seiner Befassung mit Visa-Angelegenheiten im Rahmen seines Kontakts zu der nachrichtendienstlichen Quelle B. als Mitarbeiter des BND an der Deutschen Botschaft war dem Beklagten durchaus bewusst. Denn er hat diese Tätigkeit in der mündlichen Verhandlung selbst als "heikle Angelegenheit" bezeichnet. Der Zeuge P. hat aber in Übereinstimmung mit dem Beklagten ausgesagt, dass er von dieser Tätigkeit des Beklagten keine Kenntnis hatte.

51

d) Der Umstand, dass der "Vermittler" B. mit den beiden Interessenten Anfang April 2005 telefonisch einen bestimmten Termin zur Aushändigung der Visa vereinbart hat, obwohl er die versprochene Gegenleistung tatsächlich nicht erbringen konnte, steht den Feststellungen nicht entgegen. Aus dem schriftlichen Bericht des Zeugen P. über das Treffen mit Q. und R. am 16. Mai 2006, der Teil der Strafakte ist, ergibt sich, dass der "Vermittler" B. häufig und regelmäßig mit diesen telefonisch in Kontakt getreten ist, so dass sie dies als Ausdruck seines hohen Interesses und Engagements gewertet haben. Auch vor dem Zusammentreffen vom 23. März 2005, an dem Herr B. die versprochenen Visa nicht aushändigen konnte und zur Beruhigung der Interessenten den Beklagten als den Garanten der Erteilung der Visa präsentiert hatte, hatte der "Vermittler" B. Q. und R. telefonisch nach B. bestellt.

52

e) Angesichts der aufgeführten Beweismittel bedurfte es zur Feststellung des Verhaltens des Beklagten im Zusammenhang mit der Zusage der Erteilung von Visa an Q. und R. im Frühjahr 2005 nicht der unmittelbaren Vernehmung der im Ausland zu ladenden Zeugen R., Q. und B.

53

3. Nach der im Verwaltungsprozess entsprechend anwendbaren Bestimmung des § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO kann ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre, abgelehnt werden, wenn er nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die das Bundesverfassungsgericht gebilligt hat (Kammerbeschluss vom 21. August 1996 - 2 BvR 1304/96 - NJW 1997, 999 f.), ist für die Anwendung des § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO maßgebend, ob die Erhebung des beantragten Beweises ein Gebot der Aufklärungspflicht ist (BGH, Urteil vom 18. Januar 1994 - 1 StR 745/93 - BGHSt 40, 60 <62> = NJW 1994, 1484 f., Beschluss vom 5. September 2000 - 1 StR 325/00 - NJW 2001, 695 f.). Es ist dem Richter erlaubt und aufgegeben, das bisherige Ergebnis der Beweisaufnahme zugrunde zu legen. Das sonst im Beweisantragsrecht weitgehend herrschende Verbot einer Beweisantizipation gilt nicht. Die Entscheidung über den Beweisantrag darf davon abhängig gemacht werden, welche Ergebnisse von der Beweisaufnahme zu erwarten sind und wie diese zu erwartenden Ergebnisse zu würdigen wären (Beschluss vom 20. Mai 1998 - BVerwG 7 B 440.97 - Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 153).

54

a) Nach diesen Grundsätzen hat der Senat den Antrag des Beklagten abgelehnt, die in K. zu ladenden Q. und R. als Zeugen in der mündlichen Verhandlung dazu zu vernehmen, ob sie mit dem Beklagten zusammengetroffen sind und was der Beklagte mit ihnen beredet hat. Der Vertreter des Beklagten hat den in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag in Übereinstimmung mit seinem schriftlichen Antrag vom 27. März 2012 damit begründet, die Glaubwürdigkeit von Q. und R. sei zweifelhaft und müsse durch eine Vernehmung durch den Senat geklärt werden.

55

Die Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts (§ 58 Abs. 1 BDG, § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO) gebietet hier die Vernehmung der beiden k. Staatsangehörigen durch den Senat zur Klärung ihrer Glaubwürdigkeit nicht. Gemäß § 58 Abs. 1 BDG erhebt das Gericht die erforderlichen Beweise. Demnach hat es grundsätzlich selbst diejenigen Tatsachen festzustellen, die für den Nachweis des Dienstvergehens und die Bemessung der Disziplinarmaßnahme von Bedeutung sind (BTDrucks 14/4659, S. 49 zu § 58 BDG). Entsprechend § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO folgt daraus grundsätzlich die Verpflichtung, diejenigen Maßnahmen zur Sachaufklärung zu ergreifen, die sich nach Lage der Dinge aufdrängen. Aufgrund der beigezogenen Akten und der Aussagen der Zeugen in der mündlichen Verhandlung ist der Senat von der Glaubwürdigkeit der beiden k. Staatsangehörigen überzeugt, so dass die gerichtliche Aufklärungspflicht nicht die persönliche Befragung der Zeugen durch den Senat erfordert.

56

Für die Glaubwürdigkeit des Geschädigten Q. spricht insbesondere, dass er den Sachverhalt und das Verhalten des Beklagten anlässlich der beiden Zusammentreffen am 23. März 2005 und Anfang April 2005 viermal geschildert hat, ohne sich in Widersprüche zu verwickeln oder seine Darstellung zum Nachteil des Beklagten auszuschmücken oder zu steigern. Die jeweiligen Angaben des Herrn Q. stehen aufgrund der Beweisaufnahme fest. Der Inhalt seiner Aussage anlässlich der Erstattung der Anzeige bei der k. Staatsanwaltschaft vom 3. Mai 2005 sowie seine Äußerung gegenüber dieser Staatsanwaltschaft vom 25. Juli 2006 nach dem Scheitern der Gütevereinbarung ergeben sich aus der Antwort auf das Rechtshilfeersuchen der Staatsanwaltschaft Be. Über die nach Belehrung von Herrn Q. gemachten Angaben beim Zusammentreffen mit den Mitarbeitern der Deutschen Botschaft in B. U. und P. in einem Café in M. am 16. Mai 2006 sind diese in der mündlichen Verhandlung als unmittelbare Zeugen vernommen worden. Der Inhalt der Aussage des Zeugen Q. bei seiner k. Vernehmung durch den Zeugen S. am 26. Februar 2007 ergibt sich zum einen aus der von ihm eigenhändig unterschriebenen Niederschrift über diese Vernehmung sowie aus den Angaben des Zeugen S. in dessen Vernehmung durch den beauftragten Richter vom 12. März 2012.

57

Auch Frau R. hat Verhalten und Aussagen des Beklagten mehrfach geschildert, ohne ihre Darstellung abzuändern oder sich in Widersprüche zu verwickeln. Gemeinsam mit Herrn Q. hatte sie sich mit den Zeugen U. und P. am 16. Mai 2006 in einem Café in M. getroffen und nach einer Belehrung über ihre Pflicht zur vollständigen und wahrheitsgemäßen Aussage über Angaben und Verhalten des Beklagten am 23. März 2005 und Anfang April 2005 berichtet. Auch Frau R. ist vom Zeugen S. am 26. Februar 2007 in der Deutschen Botschaft konsularisch vernommen worden und hat die in Spanisch abgefasste Niederschrift über diese Vernehmung eigenhändig unterschrieben.

58

Für die Glaubwürdigkeit der beiden geschädigten k. Staatsangehörigen spricht ferner, dass sie gegenüber den Zeugen U. und P. anlässlich des Treffens in einem Café in M. am 16. Mai 2006 freimütig eingeräumt haben, gegenüber der k. Staatsanwaltschaft die Angaben über ihre Zahlungen an Herrn B. um ca. 5 Mio. COP erhöht zu haben, um auf diese Weise die ihnen entstandenen Unkosten für die Reisen von ihrem Heimatort M. nach B. auszugleichen. Ihre Glaubwürdigkeit ergibt sich auch aus ihrem Eingeständnis gewusst zu haben, dass die Erlangung von Schengen-Visa auf dem vom "Vermittler" B. vorgeschlagenen Weg nicht legal war. Herrn Q. war nach seinen Angaben bei der konsularischen Vernehmung zudem bewusst, dass er nicht über die erforderlichen finanziellen Mittel verfügte, um im vorgeschriebenen Verfahren ein Visum zu erhalten.

59

Die Zeugen U. und P., die insoweit unmittelbare Zeugen und nicht nur Zeugen vom Hörensagen sind, haben das Verhalten der Frau R. sowie des Herrn Q. anlässlich ihres Treffens in M. am 16. Mai 2006 eingehend geschildert. Das geschilderte Verhalten spricht für die Glaubwürdigkeit der Geschädigten und die Glaubhaftigkeit ihrer Angaben zum Verhalten des Beklagten. Die von den Zeugen U. und P. übereinstimmend geschilderte anfängliche Zurückhaltung der beiden k. Staatsangehörigen gegenüber den Mitarbeitern der Deutschen Botschaft ist von den beiden Geschädigten nachvollziehbar begründet worden. Die beiden K. gingen zunächst davon aus, ihnen drohten durch die beiden Mitarbeiter der Botschaft seitens der Botschaft oder seitens des Herrn B. Repressalien. Die Geschädigten hatten sich vor dem Gespräch mit den Zeugen U. und P. bei der k. Staatsanwaltschaft nach dem Hintergrund der Kontaktaufnahme durch Mitarbeiter der Deutschen Botschaft erkundigt und haben ihre anfängliche Zurückhaltung im Gespräch vom 16. Mai 2006 erst nach der Klarstellung durch die Zeugen U. und P. aufgegeben, dass das Gespräch ausschließlich dazu diene, das Verhalten eines Mitarbeiters der Botschaft im Zusammenhang mit ihren Visa-Anträgen aufzuklären. Im Anschluss hieran haben die beiden Geschädigten den Sachverhalt inhaltlich übereinstimmend berichtet und dabei auch freimütig eigenes Fehlverhalten, d.h. das "Aufschlagen" von ca. 5 Mio. COP auf die an Herrn B. tatsächlich gezahlte Gesamtsumme von 12 Mio. COP zur Abdeckung der ihnen entstandenen Reisekosten, eingeräumt. Die Angaben des Zeugen P. in der mündlichen Verhandlung zu Auftreten und Äußerungen der beiden Geschädigten anlässlich des Gesprächs vom 16. Mai 2006 decken sich mit seinem detaillierten, an die Zentrale des BND gerichteten Bericht vom 17. Mai 2006, der Bestandteil der Strafakte ist.

60

Die Zeugin U., eine erfahrene Kriminalbeamtin, hat die beiden Geschädigten aufgrund ihres Verhaltens anlässlich des Zusammentreffens in M. am 16. Mai 2006 als glaubwürdig angesehen. Für diese Einschätzung spricht nach Auffassung des Senats insbesondere, dass die beiden Geschädigten nach den deckungsgleichen Aussagen der Zeugen U. und P. ihre Antworten im Gespräch vom 16. Mai 2006 nicht bedenken mussten, sondern spontan und inhaltlich übereinstimmend ausgesagt haben. Ferner haben sie sich auch auf Nachfragen der beiden Mitarbeiter der Botschaft nicht in Widersprüche verwickelt. Nach den Bekundungen der Zeugen U. und P. haben die beiden Geschädigten den Sachverhalt und das Verhalten des Beklagten am 16. Mai 2006 ohne größere Emotionen oder Ärger geschildert. Dies deckt sich mit der Beurteilung des Verhaltens der Geschädigten durch die Zeugin D.. Diese hat in der mündlichen Verhandlung ausgesagt, die beiden k. Staatsangehörigen hätten bei ihren konsularischen Vernehmungen am 26. Februar 2007 einen ruhigen Eindruck gemacht. Sie hätten die ihnen gestellten Fragen flüssig und ohne sichtliche Emotionen gegenüber dem Beklagten beantwortet. Triebfeder für das Vorgehen der Geschädigten Q. und R. ausschließlich gegen den "Vermittler" B. war der Umstand, dass sie an diesen ganz erhebliche Geldzahlungen geleistet hatten, ohne die ihnen von diesem zugesagte Gegenleistung zu erhalten.

61

b) Die Geschädigten wären unglaubwürdig, wenn sich Anhaltspunkte für die These finden ließen, sie hätten den Beklagten als Mitarbeiter der Deutschen Botschaft nur deshalb der Mitwirkung bei ihrem Versuch der illegalen Erlangung von Visa bezichtigt, um diesen persönlich oder mittelbar die deutsche Botschaft unter Hinweis auf eine drohende Veröffentlichung zur Rückzahlung der von ihnen an den "Vermittler" B. gezahlten Gesamtsumme von 12 Mio. COP drängen zu können. Für diese "Komplotttheorie" oder die Tendenz der Geschädigten, den Beklagten durch unrichtige Angaben zu belasten, fehlt jedoch jeglicher Anhalt.

62

Wie die beiden Geschädigten bei ihren konsularischen Vernehmungen übereinstimmend ausgesagt haben, ging es ihnen zwar darum, die ganz erhebliche Summe von 12 Mio. COP, die sie sich darlehnsweise beschafft und als Gegenleistung für die zugesagte Beschaffung der beiden Visa an Herrn B. auf dessen Konten überwiesen hatten, zurückzuerhalten. Die Ernsthaftigkeit dieses Bestrebens ist durch den Umstand belegt, dass Herr Q. den "Vermittler" B. bereits am 3. Mai 2005, d.h. nur kurze Zeit nach der ausgebliebenen Aushändigung der Visa, bei der Staatsanwaltschaft wegen Betrugs angezeigt hat. Wäre es dem Geschädigten darum gegangen, einen Mitarbeiter der Botschaft zu Unrecht einer Mitwirkung zu bezichtigen, um einen weiteren, auch solventen Schuldner ihres Anspruchs auf Rückerstattung zu "konstruieren", so hätte es sich aufgedrängt, zeitgleich mit der Erstattung der Strafanzeige gegen Herrn B. bei der Deutschen Botschaft vorstellig zu werden, um den Beschäftigten oder die Deutsche Botschaft, z.B. durch die Drohung einer Veröffentlichung von Einzelheiten, zur Zahlung zu bewegen. Tatsächlich haben jedoch die Geschädigten von sich aus jeden Kontakt zum Beklagten oder der Deutschen Botschaft gemieden. Nicht die Geschädigten, sondern der "Vermittler" B. ist an die Botschaft herangetreten und hat diese vor dem Hintergrund des Ablaufs der in der Gütevereinbarung festgesetzten Frist zur Rückzahlung durch die Androhung der Veröffentlichung "unangenehmer Details" zur Zahlung der Gesamtsumme von 12 Mio. COP gedrängt. Zwar war Herrn Q. zum Zeitpunkt der Erstattung seiner Anzeige am 3. Mai 2005 der Name des Beklagten noch nicht bekannt. Nach seiner konsularischen Vernehmung hat er diesen aber im Verlauf des gegen Herrn B. bei der Staatsanwaltschaft geführten Verfahrens erfahren. Obwohl die Geschädigten den Mitarbeiter der Botschaft später namentlich benennen und zudem dessen auffällige Erscheinung bereits zum Zeitpunkt der Anzeigeerstattung detailliert beschreiben konnten, haben sie sich ausschließlich an den "Vermittler" B. als denjenigen gehalten, an den sie die verschiedenen Zahlungen geleistet hatten.

63

Dieser Zurückhaltung der Geschädigten gegenüber der Deutschen Botschaft und ihren Mitarbeitern widerspricht auch nicht der Umstand, dass die beiden k. Staatsangehörigen Anfang April 2005 vor dem Gebäude der Deutschen Botschaft mehrere Stunden auf das Erscheinen des Beklagten gewartet haben, um diesen nach dem Verbleib der ihnen vom "Vermittler" B. für diesen Tag zugesagten Visa zu fragen. Denn für die beiden Geschädigten war der Beklagte an diesem Tag, an dem sie ausschließlich wegen der angekündigten Erteilung der Visa von M. nach B. geflogen waren, die einzige Person, die ihnen nach dem Ausbleiben des Herrn B. vor Ort Auskunft hätte geben können.

64

1. Durch das festgestellte Verhalten hat der Beklagte die ihm nach § 54 Satz 2 und 3 sowie § 70 Satz 1 BBG a.F. obliegenden Pflichten vorsätzlich, rechtswidrig und schuldhaft verletzt. Er hat gegen die Pflicht verstoßen, sein Amt uneigennützig nach bestem Gewissen zu verwalten, gegen die Pflicht zum achtungs- und vertrauenswürdigen Verhalten sowie gegen das Verbot, in Bezug auf das Amt geldwerte Vorteile anzunehmen. Damit hat der Beklagte ein Dienstvergehen i.S.v. § 77 Abs. 1 Satz 1 BBG a.F. begangen.

65

Im Hinblick auf den Verstoß gegen § 70 Satz 1 BBG a.F. ist es unerheblich, dass der Beklagte nach der Aufgabenverteilung in der Deutschen Botschaft in B. mit der Erteilung von Visa dienstlich nicht befasst war und die Geschädigten Q. und R. die geforderten Zahlungen an den "Vermittler" B. geleistet haben. Denn der Tatbestand des § 70 Satz 1 BBG a.F. ist bereits dadurch erfüllt, dass Q. an den "Vermittler" B. nach dem Zusammentreffen mit dem Beklagten am 23. März 2005 Geld für die Beschaffung von Visa überwiesen hat und der Beklagte im Zusammenwirken mit dem "Vermittler" B. gegenüber den Geschädigten wahrheitswidrig den Eindruck erweckt hat, er werde ihnen im Hinblick auf die an B. geleisteten Zahlungen die von diesem als Gegenleistung versprochenen Visa verschaffen.

66

Zweck des Verbots nach § 70 Satz 1 BBG a.F. ist es, bereits den bloßen Anschein zu vermeiden, dienstliche Handlungen seien durch Gefälligkeiten beeinflussbar und Amtshandlungen seien käuflich (Urteile vom 14. Dezember 1995 - BVerwG 2 C 27.94 - BVerwGE 100, 172 <176 f.> = Buchholz 236.1 § 19 SG Nr. 1 S. 5, vom 22. Oktober 1996 - BVerwG 1 D 76.95 - BVerwGE 113, 4 <5 f.> = Buchholz 232 § 70 BBG Nr. 4 und vom 23. November 2006 - BVerwG 1 D 1.06 - Buchholz 232 § 70 BBG Nr. 12 Rn. 29). Anknüpfungspunkt des gesetzlichen Verbots ist nicht das enge Gebiet der Amtshandlungen des Beamten, sondern nach dem Wortlaut sowohl das Amt im abstrakt- oder konkret-funktionellen Sinn als auch das Amt im statusrechtlichen Sinn (Urteil vom 20. Februar 2002 - BVerwG 1 D 19.01 - Buchholz 232 § 70 BBG Nr. 11 S. 18 f.). Danach besteht der in § 70 Satz 1 BBG a.F. geforderte Bezug zum Amt bereits dann, wenn nach den Umständen des Einzelfalls sich der Geber davon leiten lässt, dass der Bedienstete dienstlich tätig wird oder geworden ist. Es reicht aus, wenn, wie hier, nach den erkennbaren Vorstellungen und Motiven des Gebers der Gesichtspunkt der Anstellung oder dienstlichen Tätigkeit des Beamten zumindest mitkausal ist (Urteile vom 14. Dezember 1995 a.a.O. S. 176 bzw. S. 5 und vom 20. Februar 2002 a.a.O. S. 19). Auch dann, wenn der Beamte unter Hinweis auf seine Dienststellenzugehörigkeit beim Zuwender lediglich den wahrheitswidrigen Anschein erweckt hat, auf die begehrte Entscheidung der Dienststelle in irgendeiner Weise Einfluss nehmen zu können, ist der Bezug zum Amt gegeben.

67

Entsprechend dem Zweck des § 70 Satz 1 BBG a.F., bereits den Anschein der Käuflichkeit von Diensthandlungen zu vermeiden, werden von dem Verbot auch solche Belohnungen und Geschenke erfasst, die nicht dem Beamten persönlich, sondern einem Dritten zufließen, bei denen aber nicht der Dritte, sondern der Beamte wegen seiner dienstlichen Stellung oder seiner dienstlichen Handlungen den Grund für die Zuwendung bildet (Urteil vom 20. Februar 2002 a.a.O.; Plog/Wiedow, BBG alt, § 70 Rn. 3; Zängl, in: GKÖD, Bd. I, BBG, K § 70 Rn. 22; Schütz/Maiwald, Beamtenrecht des Bundes und der Länder, § 76 LBG NRW a.F. Rn. 24). Diese Voraussetzung ist hier erfüllt, weil Herr Q. dem "Vermittler" B. - erneut - Geld zur Erlangung der Visa überwiesen hat, nachdem die Interessenten mit dem Beklagten am 23. März 2005 zusammengetroffen waren und dieser ihnen die Erteilung der Visa zugesichert hatte. Auch der Gesetzgeber geht offenkundig davon aus, dass das Verbot der Annahme von Belohnungen oder Geschenken auch Zuwendungen an Dritte erfasst, wenn Motiv für die Gewährung des Vorteils die dienstliche Stellung des Beamten oder seine dienstlichen Handlungen sind. Denn in § 71 Abs. 1 Satz 1 BBG in der Fassung des Dienstrechtsneuordnungsgesetzes vom 5. Februar 2009 (BGBl I S. 160) ist nunmehr ausdrücklich bestimmt, dass Beamtinnen und Beamte keine Belohnungen, Geschenke oder sonstige Vorteile für sich oder einen Dritten in Bezug auf ihr Amt fordern, sich versprechen lassen oder annehmen dürfen. Inhaltlich ist aber mit der Neufassung der Vorschrift keine Änderung gegenüber der Vorgängerreglung des § 70 BBG a.F. verbunden (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BTDrucks 16/7076, S. 117).

68

Auf die dem § 54 Satz 2 und 3 sowie § 70 Satz 1 BBG a.F. entsprechenden Regelungen des § 61 Abs. 1 Satz 2 und 3 BBG n.F. und § 71 Abs. 1 Satz 1 BBG n.F. ist nicht abzustellen, weil die Vorschriften mit Ausnahme der redaktionellen Anpassung an die geschlechtergerechte Sprache mit den Vorgängerregelungen übereinstimmen und damit für den Beklagten gegenüber der zum Tatzeitpunkt geltenden Rechtslage keine günstigere Regelung geschaffen haben, auf die er sich nach dem Rechtsgedanken des § 2 Abs. 3 StGB im Disziplinarverfahren berufen könnte (vgl. Urteile vom 25. August 2009 - BVerwG 1 D 1.08 - Buchholz 232.0 § 77 BBG 2009 Nr. 1 Rn. 33, vom 25. März 2010 - BVerwG 2 C 83.08 - BVerwGE 136, 173 = Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 11 jeweils Rn. 17 und vom 19. August 2010 - BVerwG 2 C 5.10 - Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 12 Rn. 11).

69

2. Das Dienstvergehen hat der Beklagte innerdienstlich begangen. Das pflichtwidrige Verhalten war in sein Amt und die damit verbundene dienstliche Tätigkeit eingebunden (Urteile vom 25. August 2009 Rn. 54, insoweit in Buchholz 232.0 § 77 BBG 2009 Nr. 1 nicht abgedruckt, und vom 29. Juli 2010 - BVerwG 2 A 4.09 - juris Rn. 194). Das Auftreten als Vizekonsul der Deutschen Botschaft gegenüber den Interessenten sowie das Inaussichtstellen von Visa war dem Beklagten allein aufgrund seiner dienstlichen Stellung als Mitarbeiter der Deutschen Botschaft möglich.

70

Den Verwaltungsgerichten ist durch § 60 Abs. 2 Satz 2 BDG die Disziplinarbefugnis in den durch die Disziplinarklage gezogenen Grenzen übertragen. Daher bestimmen sie die erforderliche Disziplinarmaßnahme aufgrund einer eigenen Bemessungsentscheidung nach Maßgabe des § 13 Abs. 1 und 2 BDG, wenn und soweit sie den Nachweis des dem Beamten zur Last gelegten Dienstvergehens für erbracht halten. An die Wertungen des klagenden Dienstherrn sind sie nicht gebunden (Urteil vom 3. Mai 2007 - BVerwG 2 C 9.06 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 3 Rn. 11).

71

Welche Disziplinarmaßnahme erforderlich ist, richtet sich gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG nach der Schwere des Dienstvergehens unter angemessener Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten. Aus den gesetzlichen Vorgaben folgt die Verpflichtung der Verwaltungsgerichte, die Disziplinarmaßnahme aufgrund einer prognostischen Gesamtwürdigung unter Berücksichtigung aller im Einzelfall belastenden und entlastenden Gesichtspunkte zu bestimmen. Dies entspricht dem Zweck der Disziplinarbefugnis als einem Mittel der Funktionssicherung des öffentlichen Dienstes. Danach ist Gegenstand der disziplinarrechtlichen Betrachtung und Wertung die Frage, welche Disziplinarmaßnahme in Ansehung der Persönlichkeit des Beamten geboten ist, um die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und die Integrität des Berufsbeamtentums möglichst ungeschmälert aufrechtzuerhalten (Urteil vom 3. Mai 2007 a.a.O. Rn. 16; Beschluss vom 13. Oktober 2005 - BVerwG 2 B 19.05 - Buchholz 235.1 § 15 BDG Nr. 2 Rn. 5).

72

Bei der Gesamtwürdigung haben die Verwaltungsgerichte die im Einzelfall bemessungsrelevanten Tatsachen nach Maßgabe des § 58 Abs. 1 BDG zu ermitteln und mit dem ihnen zukommenden Gewicht in die Bewertung einzubeziehen. Hier findet der Grundsatz "in dubio pro reo" Anwendung: Insbesondere bei der Bestimmung der Schwere des Dienstvergehens dürfen nur solche belastenden Tatsachen berücksichtigt werden, die zur Überzeugung des Gerichts feststehen. Demgegenüber sind entlastende Umstände schon dann beachtlich, wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für ihr Vorliegen gegeben sind und eine weitere Sachverhaltsaufklärung nicht möglich ist (Urteile vom 20. Oktober 2005 - BVerwG 2 C 12.04 - BVerwGE 124, 252 <258 f.> = Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 1 Rn. 22 und vom 3. Mai 2007 a.a.O. Rn. 17).

73

Als maßgebendes Bemessungskriterium ist die Schwere des Dienstvergehens gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 BDG richtungweisend für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme. Dies bedeutet, dass das festgestellte Dienstvergehen nach seiner Schwere einer der im Katalog des § 5 BDG aufgeführten Disziplinarmaßnahme zuzuordnen ist. Dabei können die vom Disziplinarsenat des Bundesverwaltungsgerichts für bestimmte Fallgruppen herausgearbeiteten Regeleinstufungen von Bedeutung sein (vgl. zur Vorteilsannahme Urteil vom 23. November 2006 - BVerwG 1 D 1.06 - Buchholz 232 § 70 BBG Nr. 12). Davon ausgehend kommt es für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung im Einzelfall derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die durch die Schwere des Dienstvergehens indizierte Disziplinarmaßnahme geboten ist (Urteile vom 20. Oktober 2005 a.a.O. S. 259 f. bzw. Rn. 24 ff. und vom 3. Mai 2007 a.a.O. Rn. 20).

74

Ein endgültiger Verlust des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit i.S.v. § 13 Abs. 2 Satz 1 BGB ist anzunehmen, wenn aufgrund der prognostischen Gesamtwürdigung auf der Grundlage aller im Einzelfall bedeutsamen be- und entlastenden Gesichtspunkte der Schluss gezogen werden muss, der Beamte werde auch künftig in erheblicher Weise gegen seine Dienstpflichten verstoßen oder die durch sein Fehlverhalten herbeigeführte Schädigung des Ansehens des Berufsbeamtentums sei bei einer Fortsetzung des Beamtenverhältnisses nicht wiedergutzumachen. Unter diesen Voraussetzungen muss das Beamtenverhältnis im Interesse der Leistungsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und der Integrität des Berufsbeamtentums beendet werden (Urteile vom 20. Oktober 2005 a.a.O. S. 260 f. bzw. Rn. 26 f., vom 3. Mai 2007 a.a.O. Rn. 18 und vom 29. Mai 2008 - BVerwG 2 C 59.07 - juris Rn. 17 ff., insoweit in Buchholz 235.1 § 70 BDG Nr. 3 nicht abgedruckt).

75

Bei der Bestimmung der Schwere des Dienstvergehens ist entgegen dem Vorbringen des Beklagten nicht die Höhe der Zahlungen der geschädigten k. Staatsangehörigen an den "Vermittler" B. maßgebend. Im Vordergrund steht der vom Beklagten erweckte Anschein, die Erteilung von Visa, eine für Ausländer besonders bedeutsame Amtshandlung eines deutschen Beamten, sei durch Geldzahlungen zu beeinflussen. Die Bedeutung dieser Diensthandlung beschränkte sich nicht nur auf das Bundesgebiet, sondern betraf auch noch andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Nach dem zum Tatzeitpunkt geltenden Schengener Durchführungsübereinkommen (Art. 21 SDÜ) können sich Drittausländer aufgrund eines von einer deutschen Behörde erteilten Visums bis zu drei Monaten auch in den sonstigen Vertragsstaaten dieses Abkommens aufhalten.

76

Verstöße gegen § 70 Satz 1 und § 54 Satz 2 BBG a.F. sind in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts seit jeher als sehr schwerwiegend eingestuft worden. Die uneigennützige, nicht auf den privaten Vorteil bedachte Führung der Dienstgeschäfte stellt eine wesentliche Grundlage des Berufsbeamtentums dar. Es ist Zweck der Vorschriften, bereits den Anschein zu vermeiden, ein Beamter könne sich bei Wahrnehmung seiner dienstlichen Aufgaben aus Eigennutz durch sachwidrige Erwägungen beeinflussen lassen und für Amtshandlungen allgemein käuflich sein. Es kann im Interesse einer gesetzmäßigen Verwaltung und im Interesse des allgemeinen Vertrauens in ein rechtsstaatliches Handeln der Verwaltung nicht hingenommen werden, wenn ein Beamter den Eindruck erweckt, er lasse sich in Bezug auf seine dienstliche Tätigkeit durch ihm oder Dritten gewährte oder zugesagte Vorteile beeinflussen. Unerheblich ist, ob es zu der in Aussicht gestellten Amtshandlung gekommen ist. Im Hinblick hierauf ist bei einem Verstoß gegen § 70 Satz 1 und § 54 Satz 2 BBG a.F. die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis jedenfalls dann Richtschnur für die Bestimmung der angemessenen Disziplinarmaßnahme, wenn erhebliche Geldzahlungen in Bezug auf die Diensthandlung geleistet worden sind. Dies gilt auch dann, wenn der Beamte keine pflichtwidrigen Amtshandlungen als Gegenleistungen erbracht hat. Das Inaussichtstellen einer konkreten Diensthandlung im Hinblick auf bereits an den Beamten oder einen Dritten geleistete oder diesen zugesagte Geldzahlungen offenbart ein besonders hohes Maß an Pflichtvergessenheit, weil jedem Beamten klar sein muss, dass er durch ein solches Verhalten die Grenze der Sozialadäquanz eindeutig überschreitet und den Anschein der Käuflichkeit erweckt. Die von der Schwere des Pflichtenverstoßes ausgehende Indizwirkung kann nur entfallen, wenn mildernde Umstände von erheblichem Gewicht vorliegen, so dass eine fallbezogene Gesamtbetrachtung den Schluss rechtfertigt, es sei noch kein endgültiger Vertrauensverlust eingetreten (Urteile vom 20. Februar 2002 - BVerwG 1 D 19.01 - juris Rn. 29 f., insoweit in Buchholz 232 § 70 BBG Nr. 11 nicht abgedruckt, und vom 23. November 2006 a.a.O. Rn. 29 f. m.w.N.).

77

Danach ist hier von der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (§ 10 BDG) als Richtschnur auszugehen. Der Beklagte hat in dem für die Bundesrepublik Deutschland, aber auch für andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union sensiblen Bereich der Erteilung von Visa den Anschein erweckt, diese Diensthandlung sei käuflich oder sei zumindest durch Geldzahlungen zu beeinflussen. In Kenntnis der bereits an den "Vermittler" B. für die Beschaffung von Visa geleisteten Zahlungen hat er die geschädigten k. Staatsangehörigen durch sein Auftreten und seine Zusicherung, er habe die Visa bereits genehmigt, in der Annahme bestärkt, auf diese Weise die begehrten Visa erhalten zu können, und zu weiteren Zahlungen an den "Vermittler" B. veranlasst.

78

Der Gesamtbetrag von 12 Mio. COP (ungefähr 3 800 €), den Q. und R. an Herrn B. für die Vermittlung der Visa im Hinblick auf dessen Versicherung, Kontaktperson des bei der Deutschen Botschaft für die Genehmigung der Visa zuständigen Vizekonsuls zu sein, und den Äußerungen des Beklagten anlässlich des Zusammentreffens vom 23. März 2005 gezahlt haben, kann nicht als "Bagatellsumme" (100 DM/50 €; vgl. dazu Urteile vom 11. Juni 2002 - BVerwG 1 D 31.01 - BVerwGE 116, 308 <310 f.> = Buchholz 232 § 54 Satz 2 BBG Nr. 28 S. 26 und vom 14. November 2007 - BVerwG 1 D 6.06 - Rn. 48, insoweit nicht in Buchholz 235 § 4 BDO Nr. 3 abgedruckt) eingestuft werden, die von vornherein eine mildere Einstufung des Fehlverhaltens zulassen würde.

79

Der Vortrag des Vertreters der Klägerin in der mündlichen Verhandlung zur Bemessungsentscheidung gibt Anlass zu dem Hinweis, dass sich die vom Gericht nach § 13 BDG zu treffende Bemessungsentscheidung nicht daran auszurichten hat, das Ansehen des BND im Verhältnis zu anderen Behörden, wie insbesondere dem Auswärtigen Amt, zu wahren. Unerheblich ist insoweit auch die Vorliebe eines Beamten für teure Autos, Schmuck oder wertvolle Uhren. Ein im Verhältnis zur tatsächlich gezahlten Besoldung gehobener Lebensstil eines Beamten ist kein Anlass für Zweifel an der "Korrektheit seiner Grundeinstellung" und ist nicht im Rahmen des § 13 BDG zu dessen Nachteil zu werten.

80

Milderungsgründe von Gewicht, die es rechtfertigen könnten, von der durch die Schwere des Dienstvergehens indizierten Höchstmaßnahme abzusehen, liegen nicht vor. Unter Geltung der Bemessungsvorgaben des § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG sind entlastende Umstände nicht auf den in der Rechtsprechung entwickelten Kanon der anerkannten Milderungsgründe beschränkt (Urteile vom 20. Oktober 2005 a.a.O. S. 260 ff. bzw. Rn. 26 ff. und vom 29. Mai 2008 - BVerwG 2 C 59.07 - juris Rn. 23 m.w.N., insoweit in Buchholz 235.1 § 70 BDG Nr. 3 nicht abgedruckt).

81

Auf eine existenzielle wirtschaftliche Notlage oder eine körperliche oder psychische Ausnahmesituation, in denen ein an normalen Maßstäben orientiertes Verhalten nicht mehr erwartet und deshalb nicht mehr vorausgesetzt werden kann, hat sich der Beklagte trotz des Hinweises des Senats, bei der Bemessungsentscheidung seien sämtliche entlastenden Umstände zu berücksichtigen und es sei auch Sache des betroffenen Beamten, entsprechende tatsächliche Anhaltspunkte vorzutragen, nicht berufen.

82

Dass der Beklagte bis zum Jahr 2005 straf- und disziplinarrechtlich nicht in Erscheinung getreten war, über lange Zeit sehr gute dienstliche Leistungen erbracht und bei der Dienstausübung großes Engagement gezeigt hat, fällt angesichts der Schwere der Verfehlung nicht ausschlaggebend ins Gewicht. Jeder Beamte ist verpflichtet, bestmögliche Leistungen bei vollem Einsatz seiner Arbeitskraft zu erbringen und sich innerhalb und außerhalb des Dienstes achtungs- und vertrauenswürdig zu verhalten (§ 54 Satz 1 und 3 BBG a.F.).

83

Der Umstand, dass der Beklagte nach der Aufdeckung der Verfehlung weiterbeschäftigt worden ist, an einem Sprachkurs teilgenommen und sich in seinem derzeitigen Tätigkeitsbereich bewährt hat, ist nicht geeignet, eine mildere Disziplinarmaßnahme zu rechtfertigen. Die Entscheidung über die Fortsetzung des Beamtenverhältnisses obliegt den Verwaltungsgerichten unter Beachtung des Grundsatzes der Gleichbehandlung. Sie haben ohne Bindung an die Auffassung des Dienstherrn zu beurteilen, ob ein endgültiger Vertrauensverlust eingetreten ist. Ist dies der Fall, so vermag daran auch eine vorübergehende Weiterbeschäftigung auf einem anderen Dienstposten während des Disziplinarverfahrens nichts zu ändern. Denn das Vertrauen bezieht sich auf das Amt im statusrechtlichen Sinne (Urteile vom 20. Januar 2004 - BVerwG 1 D 33.02 - BVerwGE 120, 33 <53> = Buchholz 232 § 54 Satz 3 BBG Nr. 35 S. 79 und vom 8. Juni 2005 - BVerwG 1 D 3.04 - juris Rn. 26 sowie Beschluss vom 1. März 2012 - BVerwG 2 B 140.11 - juris Rn. 7, stRspr). Zudem kann die Weiterbeschäftigung auf finanziellen Gesichtspunkten beruhen, die für die Disziplinarentscheidung ohne Bedeutung sind. Schließlich entspricht die Weiterbeschäftigung des Beklagten der zwischen dem Präsidenten des BND und dem Personalrat getroffenen Vereinbarung.

84

Weder die lange Dauer des Verfahrens noch das lange Zurückliegen des Dienstvergehens rechtfertigen es, von der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis abzusehen, wenn diese Maßnahme geboten ist. Zwar kann eine pflichtenmahnende Disziplinarmaßnahme (z.B. Zurückstufung nach § 9 BDG) in diesen Fällen unvereinbar mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit werden. Bei Fortbestand des Beamtenverhältnisses kann das durch ein Dienstvergehen ausgelöste Sanktionsbedürfnis gemindert werden oder sogar entfallen, weil die mit dem Disziplinarverfahren verbundenen wirtschaftlichen und dienstlichen Nachteile positiv auf den Beamten eingewirkt haben, so dass sie eine günstigere Persönlichkeitsprognose ermöglichen. Demgegenüber geht es bei der Dienstentfernung darum, das Beamtenverhältnis in Fällen besonders schwerwiegender Dienstvergehen zu beenden, weil der Beamte im öffentlichen Dienst untragbar geworden ist. An dem endgültigen Vertrauensverlust (§ 13 Abs. 2 Satz 1 BDG), den er durch sein Fehlverhalten herbeigeführt hat, vermögen eine lange Verfahrensdauer oder ein langes Zurückliegen des Dienstvergehens nichts zu ändern. Das verlorene Vertrauen kann nicht durch Zeitablauf wiederhergestellt werden (BVerfG, Beschluss vom 4. Oktober 1977 - 2 BvR 80/77 - BVerfGE 46, 17 <28 f.>; Kammerbeschluss vom 9. August 2006 - 2 BvR 1003/05 - DVBl 2006, 1372 >1373>; BVerwG, Urteile vom 22. Februar 2005 - BVerwG 1 D 30.03 - juris Rn. 80, vom 8. Juni 2005 - BVerwG 1 D 3.04 - juris Rn. 27 und vom 7. Februar 2008 - BVerwG 1 D 4.07 - juris Rn. 29, insoweit in Buchholz 235 § 77 BDO Nr. 13 nicht abgedruckt; Beschlüsse vom 13. Oktober 2005 - BVerwG 2 B 19.05 - Buchholz 235.1 § 15 BDG Nr. 2 Rn. 8 und vom 26. August 2009 - BVerwG 2 B 66.09 - juris Rn. 11). Diesen Unterschied hat der Gesetzgeber dadurch zum Ausdruck gebracht, dass er in § 15 BDG die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis im Gegensatz zu allen anderen Disziplinarmaßnahmen vom Maßnahmeverbot wegen Zeitablaufs ausgenommen hat.

85

Auch die Vorschriften des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24. November 2011 (BGBl I S. 2302) haben hieran nichts geändert. Der Verweis in § 3 BDG auf die Verwaltungsgerichtsordnung erfasst auch § 173 Satz 2 VwGO in der Fassung dieses Gesetzes, der wiederum die Vorschriften des Siebzehnten Titels des Gerichtsverfassungsgesetzes (§§ 198 ff.) mit Maßgaben für anwendbar erklärt. Der Gesetzgeber hat dem betroffenen Verfahrensbeteiligten in den §§ 198 ff. GVG für den Fall der gerügten unangemessenen Dauer eines Gerichtsverfahrens für dadurch verursachte Vermögensnachteile und immaterielle Folgen grundsätzlich einen Anspruch auf angemessene Entschädigung eingeräumt. Nach § 198 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 4 GVG geht die Wiedergutmachung des Verstoßes gegen das Gebot des gerichtlichen Rechtsschutzes in angemessener Zeit auf andere Weise dem Entschädigungsanspruch vor, der die durch die verzögerte gerichtliche Entscheidung bestimmte Rechtslage unberührt lässt. Der Gesetzgeber hat aber davon abgesehen, in den §§ 198 ff. GVG die Formen einer solchen Wiedergutmachung abschließend festzulegen (BTDrucks 17/3802, S. 16 und 19). Er hat aber auch nicht vorgesehen, dass die Wiedergutmachung in der Weise zu erfolgen hat, dass dem Betroffenen als Ausgleich für die Verzögerung des gerichtlichen Verfahrens die den Gegenstand des Rechtsstreits bildende Rechtsposition einzuräumen ist, deren materiell-rechtliche Voraussetzungen der Betroffene nicht erfüllt. Für andere als strafgerichtliche Verfahren (§ 199 Abs. 3 GVG) hat der Gesetzgeber in den §§ 198 ff. GVG als Form der Wiedergutmachung auf andere Weise lediglich die Möglichkeit einer Feststellung der überlangen Verfahrensdauer durch das Entschädigungsgericht bei gleichzeitiger Freistellung des Klägers von den Kosten des Entschädigungsrechtsstreits geregelt (BTDrucks 17/3802, S. 16). Ob im Übrigen eine dem Entschädigungsanspruch vorgehende Wiedergutmachung auf andere Weise möglich ist, richtet sich nach den jeweiligen formellen und materiell-rechtlichen Bestimmungen. Die für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme maßgeblichen Vorschriften schließen aber, wie dargelegt, die Wiederherstellung des verlorenen Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit allein durch eine unangemessene Dauer des Disziplinarverfahrens aus.

86

Etwas anderes folgt auch nicht aus Art. 6 EMRK. Art. 6 Abs. 1 EMRK gewährleistet das Recht auf ein faires Verfahren, insbesondere auf eine Entscheidung innerhalb angemessener Zeit. Zwar geht der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte davon aus, dass Art. 6 EMRK in seiner zivilrechtlichen Bedeutung auf ein Disziplinarverfahren, in dem der Beamte wegen eines Dienstvergehens aus dem Dienst entfernt worden ist, anwendbar ist (EGMR, Urteil vom 16. Juli 2009 - 8453/04 - NVwZ 2010, 1015 Rn. 39 m.w.N.). Haben Gerichte gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK verstoßen - bei einem Disziplinarverfahren ist die Zeitspanne zwischen der Entscheidung über seine Einleitung bis zur letzten gerichtlichen Entscheidung maßgeblich -, so hat das entsprechende Urteil des Gerichtshofs, wie sich aus Art. 41 EMRK ergibt, lediglich Feststellungswirkung. Auch Art. 46 Abs. 1 EMRK, wonach der Vertragsstaat verpflichtet ist, das endgültige Urteil des Gerichtshofs zu befolgen, führt nicht dazu, dass der Vertragsstaat dem Betroffenen allein wegen der überlangen Dauer des Verfahrens eine Rechtsstellung einräumen muss, die diesem nach dem maßgeblichen innerstaatlichen materiellen Recht nicht zusteht; der Gerichtshof spricht vielmehr eine gerechte Entschädigung als Ersatz für immaterielle Schäden zu (Meyer-Ladewig, EMRK, 3. Aufl., Art. 41 Rn. 21). Die vom Gerichtshof der verletzten Person nach Art. 41 EMRK zuzusprechende gerechte Entschädigung, die den materiellen wie auch den immateriellen Schaden erfassen kann (EGMR, Urteil vom 16. Juli 2009 a.a.O. Rn. 59 ff.), lässt die sich nach dem innerstaatlichen Recht bestimmende materiell-rechtliche Rechtslage unberührt.

87

Aufgrund der vorliegenden Akten und der Erklärungen des Beklagten im gerichtlichen Verfahren besteht keine Veranlassung, von der gesetzlichen Regelung für den Unterhaltsbeitrag (§ 10 Abs. 3 BDG) abzuweichen.

88

Die Kostenentscheidung folgt aus § 77 Abs. 1 BDG und § 154 Abs. 1 VwGO. Einer Festsetzung des Streitwerts für das gerichtliche Verfahren bedarf es nach § 78 Satz 1 BDG nicht, weil Gerichtsgebühren für das nach dem 31. Dezember 2009 anhängig gewordene gerichtliche Verfahren nach dem Gebührenverzeichnis der Anlage zu § 78 BDG erhoben werden (§ 85 Abs. 12 BDG). Hierbei ist von einer Disziplinarklage mit dem Ziel der Entfernung aus dem Dienst auszugehen.

Tatbestand

1

Die Klägerin führt die Disziplinarklage gegen den verbeamteten Beklagten mit dem Ziel der Entfernung des Beamten aus dem Beamtenverhältnis.

2

Der 1959 geborene Beamte ist im Rang eines Polizeihauptmeisters (BesGr. A 9 LBesO) bei der A. und dort im entscheidungserheblichen Zeitraum als stellvertretender Leiter der Kraftfahrzeugwerkstatt beschäftigt.

3

Nach dem Besuch der zehnklassigen Polytechnischen Oberschule im Jahre 1976 erlernte der Beklagte den Beruf des Facharbeiters für geologische Bohrungen. 1978 trat er in den Polizeidienst der ehemaligen DDR ein und wurde als Sachbearbeiter für Treib- und Schmierstoffe sowie als Instandsetzer und Lagerverwalter für Kraftfahrzeugersatzteile eingesetzt. Im Jahre 1982 erwarb er den Facharbeiterlehrabschluss für Berufskraftfahrer und 1990 die Qualifikation als Meister in der Fachrichtung Transportbetriebstechnik. Es folgte 1991 die Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe zum Polizeiobermeister und 1994 die Beförderung zum Polizeihauptmeister als Beamter auf Lebenszeit. Es folgten mehrere Dienstposten im Bereich Technik und Kraftfahrangelegenheiten und seit 1994 ist der Beamte auf dem Dienstposten „Sachbearbeiter Technik; stellvertretender Werkstattleiter“ eingesetzt. Den Dienposten „Sachbearbeiter Kraftfahrangelegenheiten“ bekleidete er seit 2005 und zusätzlich weiterhin die Tätigkeit als stellvertretender Werkstattleiter.

4

Der Beklagte ist verheiratet und hat zwei erwachsene Töchter. Die dem Beamten erstellte letzte dienstliche Beurteilung aus dem Jahr 2005 lautet in der Gesamtbewertung auf „befriedigend“. Der Beamte ist disziplinar- und strafrechtlich bislang nicht Erscheinung getreten.

5

Im Jahr 2008 wurde gegen den Leiter der Kraftfahrzeugwerkstatt der A., gegen den die Disziplinarklage 8 A 9/11 MD geführt wurde, wegen des Verdachts der schuldhaften Verletzung von Dienstpflichten ein Disziplinarverfahren eingeleitet und zudem strafrechtlich ermittelt. Es bestand der hinreichende Verdacht, dass der Beamte bei privaten Bestellvorgängen von Kraftfahrzeugersatzteilen diese unter rechtswidriger Inanspruchnahme der nur dem Land Sachsen-Anhalt eingeräumten Rabatte erworben zu haben. Zudem war dieser Beamte hinreichend verdächtigt, private Autoreparaturleistungen durchzuführen. In Kenntnis dieser gegen den Leiter der Kraftfahrzeugwerkstatt erhobenen Vorwürfe offenbarte sich der Beklagte als stellvertretender Leiter der Kraftfahrzeugwerkstatt am 12.08.2008 seinem Dienstherrn und teilte mit, „reinen Tisch zu machen“. Der Beamte übergab Bargeld in Höhe von 220,00 Euro, einen Jahreskalender mit persönlichen Aufzeichnungen sowie einen Ordner mit dienstlichen Unterlagen. Er teilte mit, dass das Geld vom Verkauf abgeschriebener Reifen von Polizeifahrzeugen durch seinen Vorgesetzten, dem Leiter der Kraftfahrzeugwerkstatt F., stamme.

6

Am 25.08.2008 wurde gegen den Beklagten ein Disziplinarverfahren eingeleitet, welches bis zum Abschluss des strafrechtlichen Verfahrens ausgesetzt wurde. Mit Verfügung vom 01.07.2011 wurde das Disziplinarverfahren nach Abschluss der strafrechtlichen Ermittlungen fortgeführt. Aufgrund der umfangreichen strafrechtlichen Ermittlungen wurde im behördlichen Disziplinarverfahren auf weitere Ermittlungen gemäß §§ 21 Abs. 2, 24 Abs. 2 DG LSA verzichtet. Mit Verfügung vom 01.07.2011 wurde dem Rechtsbeistand des Beklagten mit Verweis auf § 30 DOG LSA Gelegenheit zur Äußerung gegeben, wovon der Beklagte unter dem 04.08.2011 Gebrauch machte.

7

Aufgrund der disziplinarrechtlichen Vorwürfe ist der Beklagte seit dem 25.09.2008 mit einer Gehaltskürzung von 20 % vorläufig des Dienstes enthoben.

8

Mit Strafbefehl des Amtsgerichts A-Stadt vom 08.12.2009 (Cs 822 Js 78744/08) wurde gegen den Beklagten wegen Betruges und Vorteilsannahme eine Gesamtgeldstrafe von 110 Tagessätzen verhängt. Dem lagen im Zeitraum vom 05.02.2004 bis in das Jahr 2007 reichende 12 Straftaten zugrunde, wonach der Beamte unter Inanspruchnahme des dem Land Sachsen-Anhalt gewährten Rabattes verschiedene Fahrzeugteile bestellt und für sich oder außen stehende Dritte verwendet habe, ohne dazu berechtigt gewesen zu sein, um so die Differenz zwischen dem Rabattpreis und dem für Privatkunden geltenden Verkaufspreisen zum Schaden der Fahrzeugteile-Firma einzusparen. Weiter habe der Beamte eine Bargeldsumme in Höhe von 50,00 Euro im Jahre 2007 von dem Reifenhändler T. unberechtigt entgegengenommen. Der Strafbefehl wurde durch Urteil des Amtsgerichts A-Stadt aufgrund der letzten Hauptverhandlung vom 14.10.2010 bestätigt. Letztendlich wurde das gegen den Beamten geführte Strafverfahren mit Beschluss des Landgerichts A-Stadt vom 13.04.2011 nach § 153 a StPO endgültig eingestellt.

9

Mit der Disziplinarklage vom 27.09.2011 (Eingang: 28.09.2011) wird der Beamte angeschuldigt, ein Dienstvergehen nach § 47 Abs. 1 Satz 1 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) begangen zu haben, indem ihm folgende Dienstpflichtverletzungen zur Last gelegt werden:

10

„1. In der Eigenschaft als Polizeibeamter und stellvertretender Leiter der Kfz-Werkstatt der A. nahm der Beklagte von dem gesondert verfolgten selbständigen Reifenhändler U. T. im Zusammenhang mit der Aussonderung und Entsorgung sowie Verladung von Altreifen der Kraftfahrzeuge der A. an einem konkret nicht feststellbaren Tag im Jahre 2007 eine Bargeldsumme in Höhe von 50,00 Euro an, obwohl der Beamte wusste, dass er dazu nicht berechtigt war, insbesondere, weil keine Genehmigung der zuständigen Behörde vorlag.

11

2. Im Ergebnis der gegen den Beklagten geführten strafrechtlichen Ermittlungen sowie nach Sichtung der Rechnungsunterlagen der Ermittlungsakten im behördlichen Disziplinarverfahren besteht hinreichend der Verdacht, dass der Beklagte im Rahmen der Tätigkeit als stellvertretender Leiter der Kfz-Werkstatt der A., zu der u. a. die Bestellung von Ersatzteilen für polizeieigene Fahrzeuge gehört, im Namen der A. bei der Firma a. A. A. GmbH, K.-H.-Str. 43, A-Stadt, während des Dienstes unter Ausnutzung seiner dienstlichen Stellung verschiedene Fahrzeugteile für sich oder Dritte privat käuflich erwarb. Nachfolgende Rechnungen weisen keinen dienstlichen Bezug auf, sind an den Beklagten adressiert oder mit einem entsprechenden Adressaten-Hinweis versehen. Da die Rechnungen die Kundenummer der A. enthalten, erfolgte durch die Firma a. A. A. GmbH ein ausschließlich für die A. gewährter Rabatt zwischen 15 und 45 %.

12

Den Erhalt der Ware bestätigte der Beklagte mit seiner Unterschrift auf zwei Rechnungen, was auch durch den Rechtsbeistand des Beklagten mit dem Hinweis, dass es sich dabei nicht um die Originalrechnungen handelt, insofern bestätigt wurde.

13

Beweis:

14

Rechnung Nr. 7714 vom 04.08.2003 - Hängerkupplung mit Elektrosatz für 262,59 €
(Ordner 4 der Disziplinarakte, Beweismittelband 2, Blatt Nr. 012)

15

Rechnung Nr. 7951 vom 02.09.2003-Felgen für 131,40 €
(Ordner 4 der Disziplinarakte, Beweismittelband 2, Blatt Nr. 014)

16

Äußerung des Rechtsbeistandes des Beklagten vom 04.08.2011
(Disziplinarakte B., Blatt Nr. 027/16, Ziffer I.2)

17

Nachfolgende Rechnungen weisen ebenfalls keinen dienstlichen Bezug, sind an den Beklagten adressiert bzw. an ihn gerichtet und tragen die Kundennummer der LBP LSA (105685):

18

Beweis:

19

Rechnung Nr. 6285 vom 17.02.2003 - Leichtmetallfelgen für 264,48 €
(Ordner 4 der Disziplinarakte, Beweismittelband 2, Blatt Nr. 003)

20

Rechnung Nr. 6497 vom 13.03.2003 - Luftfilter für 54,15 €
(Ordner 4 der Disziplinarakte, Beweismittelband 2, Blatt Nr. 004)

21

Rechnung Nr. 25904 vom 24.04.2003 - Reifen für 69,02 €
(Ordner 4 der Disziplinarakte, Beweismittelband 2, Blatt Nr. 006)

22

Rechnung Nr. 7946 vom 02.09.2003 - Reifen für 139,20 €
(Ordner 4 der Disziplinarakte, Beweismittelband 2, Blatt Nr. 013)

23

Rechnung Nr. 52494 vom 10.09.2003 - Reifen für 183,74 €
(Ordner 4 der Disziplinarakte, Beweismittelband 2, Blatt Nr. 016)

24

Rechnung Nr. 8470 vom 27.10.2003 - Kupplungssatz für 80,26 €
(Ordner 4 der Disziplinarakte, Beweismittelband 2, Blatt Nr. 022)

25

Rechnung Nr. 84524 vom 05.02.2004 - Luftmassenmesser für 173,42 €
(Ordner 4 der Disziplinarakte, Beweismittelband 2, Blatt Nr. 027)

26

Rechnung Nr. 9781 vom 17.04.2004-Heckträger für 200,63 €
(Ordner 4 der Disziplinarakte, Beweismittelband 2, Blatt Nr. 032)

27

Rechnung Nr. 10387 vom 15.06.2004 - Radblende für 29,35 €
(Ordner 4 der Disziplinarakte, Beweismittelband 2, Blatt Nr. 036)

28

Rechnung Nr. 11582 vom 08.10.2004 - Nylon-Vollgarage für 18,50 €
(Ordner 4 der Disziplinarakte, Beweismittelband 2, Blatt Nr. 042)

29

Rechnung Nr. 42127 vom 14.10.2004 - Nylonhalbgarage für 6,58 €
(Ordner 4 der Disziplinarakte, Beweismittelband 2, Blatt Nr. 044)

30

Rechnung Nr. 49703 vom 15.11.2004 - Reifen für 118,92 €
(Ordner 4 der Disziplinarakte, Beweismittelband 2, Blatt Nr. 051)

31

Rechnung Nr. 13935 vom 20.05.2005 - Zierleisten für 14,82 €
(Ordner 4 der Disziplinarakte, Beweismittelband 2, Blatt Nr. 069)

32

Rechnung Nr. 99151 vom 26.05.2005 - Blinkleuchten für 32,04 €
(Ordner 4 der Disziplinarakte, Beweismittelband 2, Blatt Nr. 070)

33

Rechnung Nr. 5546 vom 08.07.2005 - Heckblech und Zündschalter für 51,16 €
(Ordner 4 der Disziplinarakte, Beweismittelband 2, Blatt Nr. 073)

34

Rechnung Nr. 171362 vom 04.01.2006 - Batterie für 28,00 €
(Ordner 4 der Disziplinarakte, Beweismittel band 2, Blatt Nr. 076)

35

Rechnung Nr. 431467 vom 28.09.2006 - Heckleuchte Opel Corsa für 34,22 €,
(Ordner 4 der Disziplinarakte, Beweismittelband 2, Blatt Nr. 081).“

36

Polizeihauptkommissar H. habe in glaubhafter Weise als Zeuge vor dem Amtsgericht A-Stadt ausgesagt, dass eine Nylon-Voll- bzw. -Halbgarage (Rechnung Nr. 42127 vom 14.10.2004) nicht im Gebrauch der A. sei. Die Bestellvorgänge würden keinen dienstlichen Bezug aufweisen, da Dienstfahrzeuge in Garagen stünden. Auch ein Opel Corsa sei nicht im Bestand der A.. Der Zeuge habe ebenso ausgesagt, dass ihm Rechnungen mit privaten Anschriften nicht bekannt seien. Der Außendienstmitarbeiter der Firma a. A. A. GmbH, E., habe ausgesagt, dass nur Mitarbeiter der Firma das Adressatenfeld ändern könnten. Herr E. habe auch darauf hingewiesen, dass Werkstattrabatte gegenüber einem Endverbraucher unterschiedlich seien. Der Prokurist der Firma a. A. A. GmbH, Herr P., habe als Zeuge im Strafverfahren ausgesagt, dass der Besteller die Kundennummer und den Namen nennen müsse. Der Zeuge Polizeiobermeister S. habe zugegeben, vom Beklagten gegen Rechnung im Jahre 2008 eine Batterie für einen Rasentraktor gekauft zu haben.

37

Die Rechnungen vom 04.08.2003 und 02.09.2003 seien vom Beklagten unterschrieben.

38

Weiter lautet der Anklagesatz:

39

„3. Der Beklagte unterließ es, verdachtsrelevante Sachverhalte an seine Vorgesetzten weiterzumelden. Bereits im Jahr 2006 wurde der Beklagte nach seiner Aussage durch Polizeimeister F. darüber informiert, dass dieser beabsichtige, ausgesonderte Reifen von Landesfahrzeugen mit einer Profiltiefe von mehr als 3 mm an Privatpersonen bzw. an die Firma T. Reifenentsorgung weiterzuverkaufen. Diese Reifen hätten nach Aussage des Beklagten für das Fahrsicherheitstraining noch verwendet werden können. Seinen Aussagen zufolge habe er Polizeihauptmeister F. davor gewarnt, unrechtmäßige Handlungen, insbesondere mit dienstlichem Eigentum, vorzunehmen. Auch als der Beklagte in Kenntnis der unrechtmäßigen Reifenverkäufe durch Polizeihauptmeister F. im Jahr 2007 Bargeld zur Aufbewahrung überreicht bekam, meldete er diesen Sachverhalt nicht weiter, obwohl er dazu verpflichtet gewesen wäre.

40

Erschwert pflichtwidrig handelte der Beklagte, indem er trotz des Verbotes der Annahme von Belohnungen und Geschenken sowie der Bekämpfung der Korruption im Jahr 2007 von Herrn T. 50,00 Euro Geldzuwendung entgegennahm und von weiteren Geldzuwendungen zwischen Herrn T. und Polizeihauptmeister F. wusste.

41

Zu einer Einnahmeanweisung von 80 Stück Reifen vom 20.02.2008 bemerkte der Beklagte, dass sich unter diesen Reifen auch Reifen mit mehr als 3 mm Profiltiefe befanden, die in einer Garage im Objekt der A. eingelagert waren. Zu einem nicht benannten Zeitpunkt stellte der Beklagte das Verschwinden dieser Reifen fest. Konfrontiert mit dieser Feststellung habe Polizeihauptmeister F. geäußert, dass er diesen Reifen an Kollegen aus der Landesbereitschaftspolizei weiterverkauft habe. Auch diesen Sachverhalt meldete der Beklagte nicht weiter.

42

Nach Aussage des Beklagten habe er beobachtet, wie Polizeihauptmeister F. im Bereich der Kraftfahrzeugwerkstatt Reifen und Kraftfahrzeugteile, die er bei Autoteile-Zulieferern bestellt, bei denen er ein persönliches Kundenkonto besitzt und so zu günstigen Konditionen, als eine andere Privatperson einkaufen kann, an Bedienstete der A. weiter veräußert hat. Nach Aussage des Beklagten sah dieser selbst, dass Polizeihauptmeister F. bei der Übergabe der Ersatzteile Geld bekommen hat.

43

4. Nach Aussage des Beklagten übergab dieser im Jahr 2003 an Polizeihauptmeister F. ein Funktelefon der Marke Siemens, Typ ME 45, welches im Werkstattbereich der A. durch einen unbekannten Polizeibeamten aufgefunden wurde. In Kenntnis des Beklagten verwahrte Polizeihauptmeister F. widerrechtlich das Handy in seinem Schreibtisch, wobei der Beklagte selbst das Handy unter Verwendung einer privaten SIM-Karte ab dem Jahr 2006 privat nutzte. Das Handy einschließlich einer schwarzen Handytasche wurde erst im Rahmen der kriminalpolizeilichen Ermittlungen gegen den Beklagten am 14.08.2008 übergeben.

44

5. Gemäß der Dienstpostenbeschreibung als Stellvertreter der Kfz-Werkstatt war der Beklagte für Werkzeuge und die Vernichtung ausgesonderter Werkzeuge verantwortlich. Hinsichtlich eines in Verlust geratenen Excenter-Schleifers wurde festgestellt, dass am 24.06.2005 bei der Firma Würth ein neuer Druckluft-Excenter-Schleifer der Marke Master angeschafft wurde. Bei der Kontrolle wurde dieses Gerät nicht aufgefunden. Am 12.04.2007 bat Polizeihauptmeister F. um Abschreibung eines Excenter-Schleifers. Der Beklagte setzte das Gerät mit Unterschrift und Datum vom 13.04.2007 als Verantwortlicher ab. Bei der Kontrolle wurde der abgesetzte Excenter-Schleifer Marke Mirka 891 vorgelegt.

45

6. Ohne Genehmigung hat er einen Schrank der Deutschen BP AG zur Lagerung von Ölgebinden entgegengenommen.

46

7. Der Beklagte oder der Polizeihauptmeister F. haben von der Firma a. A. A. GmbH gelieferte Artikel, nämlich

47

- zwei Stück Purflux-Set Handtuch,
- T-Shirt,
- zwei Stück MP3-Player Digital 256 MB und,
- drei Fl. Wurzelpeter 0,7 l.

48

entgegengenommen. Dabei hat es sich um Zugaben zu bestellten Kfz-Teilen gehandelt.“

49

Der Beamte habe gegen seine Dienstpflichten zur uneigennützigen Amtsführung (§ 34 Satz 2 BeamtStG), der Wohlverhaltenspflicht (§ 34 Satz 3 BeamtStG) sowie gegen die Pflicht, dienstliche Anordnungen auszuführen und deren allgemeine Richtlinien zu befolgen (§ 35 Satz 2 BeamtStG) verstoßen. Disziplinarrechtlicher Schwerpunkt sei dabei das Verhalten im Dienstvergehenskomplex des korruptiven Fehlverhaltens und damit der Pflicht zur Uneigennützigkeit. Entgegen § 42 BeamtStG, wonach keine Belohnungen oder Geschenke in Bezug auf sein Amt angenommen werden dürfen, habe der Beamte pflichtwidrig gehandelt.

50

Der Beamte habe ein schwerwiegendes Dienstvergehen begangen, welches die Entfernung aus dem Dienst rechtfertige. Das Vertrauensverhältnis sei endgültig zerstört.

51

Der Kläger beantragt,

52

den Beamten aus dem Dienst zu entfernen.

53

Der Beklagte beantragt,

54

die Disziplinarklage abzuweisen

55

und sieht bereits formelle Mängel der Disziplinarklage. So sei kein Ermittlungsführer bestellt worden und es fehle an einer förmlichen, aktenkundig zu machenden Ausdehnungsentscheidung. Es fehle die Mitwirkung der Personalvertretung und eines Hinweises auf deren Unterrichtung. Die Befugnis des Klägers zur Erhebung der Disziplinarklage wird bestritten.

56

Bezüglich des Vorhaltes zu Nr. 1 heißt es, dass die Geldhingabe für das Helfen des Beklagten beim Aufladen der Reifen erfolgt sei. Demnach liege darin keine Vorteilsannahme. Es habe sich um eine reine private Gefälligkeit gehandelt.

57

Zu 2.: Die Zeugen P., E., P. und G. bekundeten vor dem Strafgericht, dass Rechnungen auf Kundenwunsch generell abgeändert werden könnten. Hierzu müsse sich der Anrufer bzw. Besteller nicht durch Passwort oder etwa elektronischer Signatur ausweisen. Demnach sei nicht bewiesen, dass der Beamte tatsächlich die Bestellvorgänge ausgelöst habe. Den Zeugenaussagen zufolge hätte der Beamte ebenso einen Personalrabatt erhalten. Bei dem Kauf der Rasentraktorbatterie über den Beklagten sei es zu keiner Rabattgewährung gekommen. Generell habe die Klägerin kein Verbot ausgesprochen, dass Bedienstete privat Bestellvorgänge auslösen durften. Darüber hinaus sei der Tatbestand des Betruges nicht erfüllt worden. Bei den Rechnungen vom 04.08.2003 und 02.09.2003 handele es nicht um die Originale, sodass nicht festgestellt werden könnte, ob der Beklagte tatsächlich unterschrieben habe.

58

Zu 3.: Generell treffe den Beklagten keine Dienstpflicht etwaige Versäumnisse seines Vorgesetzten, des Polizeihauptmeisters F., anzuzeigen.

59

Zu 4.: Der Handy-Fund sei seinerzeit dem für Fundsachen zuständigen Sachgebiet 11 gemeldet worden. Dort sei die Übergabe des Handys nicht verlangt worden. Die Nutzung des gefundenen Handys mit der privaten SIM-Karte sei unbeachtlich.

60

Zu 5.: Der alte Schleifer sei noch nicht weggeworfen worden, da er für die übliche Überprüfung des Vorgangs durch die Verwaltung bereitgehalten worden sei. Ob ein neuer Exzenterschleifer angeschafft worden sei und zu dessen Verbleib könne er keine Aussage machen.

61

Zu 6.: Mit der Anlieferung und Bestellung eines Schrankes habe der Beklagte nichts zu tun.

62

Zu 7.: Zu den aufgeführten Gegenständen könne der Beklagte keine Angaben machen.

63

Die Klägerin erwidert: Der Beklagte habe selbst in seiner kriminalpolizeilichen Vernehmung vom 13.08.2008 geäußert, dass er bereits Ende 2006 durch Polizeihauptmeister F. über den Verkauf der ausgesonderten Reifen informiert worden sei. In seiner Vernehmung vom 14.08.2008 habe der Beklagte geäußert, dass er 50,00 Euro als Gegenleistung für die ausgesonderten Autoreifen von der Firma T. angenommen habe.

64

Auch die in den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren getroffenen tatsächlichen Feststellungen seien für die Entscheidung im Disziplinarverfahren ohne nochmalige Prüfung nach § 23 Abs. 2 DOG LSA zugrunde zu legen. Insoweit komme auch einem Strafbefehl erhebliche Indizwirkung zu.

65

Auch im Zusammenhang mit den Vorwürfen gegen den gesondert verfolgten Beamten F. sei daher davon auszugehen und es sei nicht ausgeschlossen, dass auch der Beklagte während des Dienstes unter Ausnutzung seiner dienstlichen Stellung private Dienstverrichtungen ausführte und auch Bestellvorgänge vornahm.

66

Der Beklagte erwidert: Die Disziplinarklage äußere überwiegend Vermutungen. Die Klägerin müsse dem Beklagten jedoch die einzelnen Pflichtenverstoße nachweisen.

67

Das Disziplinargericht hat mit Beschluss vom 23.10.2012 das Disziplinarverfahren gemäß § 53 Satz 1 DG LSA auf die in der Disziplinarklage vorgehaltenen Pflichtenverstöße zu 1 und 2 beschränkt.

68

In der mündlichen Verhandlung hat das Gericht Beweis über die Vorkommnisse hinsichtlich der Bestellvorgänge und der vorgehaltenen Vorteilsannahme durch Vernehmung der Zeugen F. und E. erhoben. Zum Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.

69

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungs- und Ermittlungsvorgänge verwiesen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

70

Das Gericht konnte in Abwesenheit des Beklagten verhandeln und entscheiden. Denn er bzw. sein erschienener Prozessbevollmächtigter war ordnungsgemäß geladen und es wurde darauf hingewiesen, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten ohne ihn Beweis erhoben, verhandelt und entschieden werden kann (§ 3 DG LSA; § 102 Abs. 2 VwGO).

71

1.) Die Disziplinarklage ist zulässig. Die vom Beklagten als wesentliche Mängel des behördlichen Disziplinarverfahrens gerügten Formfehler liegen nicht vor. Der Begriff des wesentlichen Mangels im Sinne von § 52 DG LSA erfasst Verletzungen von Verfahrensregeln, die im behördlichen Disziplinarverfahren von Bedeutung sind (BVerwG zum gleichlautenden § 55 BDG; Urteil v. 29.07.2010, 2 A 4.09 mit Verweis auf Urteil v. 20.10.2005, 2 C 12.04; beide juris). Hierunter fallen Verstöße gegen verfahrensrechtliche Vorschriften und Rechtsgrundsätze, die den äußern Ablauf des behördlichen Disziplinarverfahrens bis zur abschließenden behördlichen Entscheidung, also bis zur Erhebung der Disziplinarklage oder bis zu dem Erlass einer Disziplinarverfügung, betreffen (BVerwG, Urteil v. 29.07.2010, 2 A 4.09 mit Verweis auf Beschluss v. 18.11.2008, 2 B 63.08; beide juris).

72

Unter dem 01.07.2011 (Beiakte F, Bd. 1, Bl. 27/3) wurde dem Bevollmächtigten des Beklagten die Fortführung des Disziplinarverfahrens unter Benennung auch der erweiterten Pflichtenverstöße aktenkundig (§ 19 Abs. 1 Satz 2 DG LSA) mitgeteilt (§ 20 Abs. 1 DG LSA) und ihm Gelegenheit zur Äußerung (§ 30 DG LSA) gegeben. Aufgrund des durchgeführten Strafverfahrens und der ausführlichen kriminalpolizeilichen Ermittlungen und Zeugenvernehmungen, ist die Entscheidung im Disziplinarverfahren von weiteren Ermittlungen abzusehen, jedenfalls nicht ermessenfehlerhaft (§ 21 Abs. 2 Satz 2 DG LSA). Die Klägerin hat unter dem 07.04.2011 einen umfassenden Ermittlungsbericht erstellt (Beiakte F, TB 4). Von der im Ermessen stehenden Bestellung eines Ermittlungsführers konnte demnach ebenso ermessensfehlerfrei abgesehen werden (§ 21 Abs. 1 Satz 2 DG LSA). Das Landespersonalvertretungsgesetz Sachsen-Anhalt (LPersVG LSA) enthält keine § 78 Abs. 1 Nr. 3 Bundespersonalvertretungsgesetz (BPersVG) vergleichbare Beteiligungsregelung des Personalrates vor der Erhebung der Disziplinarklage.

73

2.) Die Disziplinarklage ist begründet. Der Beklagte hat ein schwerwiegendes Dienstvergehen gemäß § 47 Abs. 1 BeamtStG begangen, welches die Zurückstufung (§ 9 DG LSA), das heißt, die Versetzung des Beamten in ein um zwei Stufen geringeres Amt derselben Laufbahn mit geringerem Endgrundgehalt, nach sich zieht.

74

Beamte begehen ein Dienstvergehen, wenn sie schuldhaft die ihnen obliegenden Pflichten verletzten (§ 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG). Die dem Beamten zur Last gelegten Pflichtenverstöße stellen ein sogenanntes innerdienstliches Dienstvergehen dar. Denn sie sind in Ausübung des Dienstes verwirklicht worden.

75

Nach § 13 Abs. 1 DG LSA ist die Disziplinarmaßnahme nach der Schwere des Dienstvergehens zu bemessen und erfordert eine angemessene Berücksichtigung des Persönlichkeitsbildes des Beamten. Der Vertrauensverlust des Dienstherrn oder der Allgemeinheit soll berücksichtigt werden.

76

3.) Die Disziplinarkammer ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass der Beklagte die ihm unter Ziffer 1 (Vorteilsnahme) und 2 (betrügerische private Bestellvorgänge) der Disziplinarklage zur Last gelegten und vom Gericht nach § 53 Satz 1 DG LSA darauf beschränkten Pflichtenverstöße begangen hat. Dadurch hat er gegen seine dienstlichen Pflichten zur uneigennützigen und gerechten Dienstausübung verstoßen und ist nicht der Achtung und dem Vertrauen gerecht geworden, die sein Beruf erfordert und es verbietet, gegen Strafgesetze zu verstoßen (§§ 33, 34 BeamtStG). Die Pflichtverletzungen sind als sogenanntes einheitliches Dienstvergehen zu sehen und zu ahnden.

77

a.) Der Beklagte hat durch die Annahme der 50,00 Euro im Jahre 2007 von dem Reifenhändler T. eine Vorteilsnahme im Sinne des § 331 Abs. 1 StGB begangen. Danach wird unter anderem ein Amtsträger, der für die Dienstausübung einen Vorteil für sich oder einen Dritten unter anderem annimmt, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Aufgrund der Entscheidungsbefugnis des Disziplinargerichts kann die Disziplinarkammer diese strafrechtliche Bewertung des vorgehaltenen Lebenssachverhaltes unabhängig von der strafgerichtlichen Bewertung vornehmen. Mangels rechtskräftiger strafgerichtlicher Entscheidungen liegt eine Bindungswirkung im Sinne des § 23 DG LSA nicht vor und zudem hat die vor dem Disziplinargericht durchgeführte Beweisaufnahme einen von der bisherigen strafgerichtlichen Bewertung abweichenden Lebenssachverhalt festgestellt.

78

Die Annahme von 50,00 Euro durch den Beklagten erfolgte im Rahmen seiner Dienstausübung. Denn die in der mündlichen Verhandlung durchgeführte Vernehmung des Zeugen F. hat ergeben, dass entgegen der bisherigen Annahme, der Beklagte und nicht der Zeuge F. für die Tätigkeiten um die Altreifen, also Lagerung, Aussonderung und Entsorgung der Altreifen verantwortlich war. Der Zeuge hat bekundet, dass intern abgesprochen war, dass er – der Zeuge – als Leiter der Werkstatt für den Reparaturbereich und der Beklagte unter anderem für die Angelegenheiten der Altreifen verantwortlich war. Das Gericht hat keinen vernünftigen Anlass, an der Glaubhaftigkeit dieser Aussage und an der Glaubwürdigkeit des Zeugen zu zweifeln. Ging dies bislang aus den umfangreichen disziplinarbehördlichen, staats- und strafrechtlichen Ermittlungen so nicht hervor, so mag dies daran liegen, dass es keine verbindliche Dienstpostenbeschreibung der Tätigkeiten des Leiters und des stellvertretenden Leiters der Kraftfahrzeugwerkstatt gab. Die in den Akten (Beiakte B; TB 9; Bl. 6) befindliche Tätigkeitsbeschreibung des Leiters Kfz-Technik vom 14.03.2005 stammt von ihm selbst und führt die Tätigkeiten um die Altreifen gerade nicht auf. Daher ist es nachvollziehbar, dass die in der Werkstatt anfallenden Tätigkeiten unter dem Leiter und dem Stellvertreter intern und unbürokratisch aufgeteilt wurden. Darüber hinaus drängt sich dem Disziplinargericht der Eindruck auf, dass die Ermittlungen und Ergebnisse darauf konzentriert waren, dass die dem Beklagten und dem Werkstattleiter F. zur Last gelegte Vorteilsnahme auf die Machenschaften des F. bei einem Verkauf der noch brauchbaren Altreifen an den T. zurückzuführen waren. Darauf kommt es aber nicht an. Denn wenn der Beklagte für die Angelegenheiten um die Altreifen, also Anlieferung, Lagerung, Sortierung, Verwendung für das Fahrsicherheitstraining, Aussortierung der unbrauchbaren, weil abgefahrenen aber auch der nicht brauchbaren, weil nicht passenden Reifen verantwortlich war, oblagen diese Tätigkeiten grundsätzlich seiner Dienstausübung im Sinne des § 331 Abs. 1 StGB. Dies gilt im Übrigen auch, wenn der Beklagte neben F. nur mitverantwortlich für die Reifenangelegenheiten war, also die Tätigkeit gemeinschaftlich vorgenommen wurde. Denn grundsätzlich ist davon auszugehen, dass dem Leiter wie auch dem Stellvertreter die gesamten Angelegenheiten in der Werkstatt als Amtsgeschäfte obliegen. Denn die Zuweisung der konkret-funktionellen Tätigkeiten geschieht durch den Dienstherrn und nicht aufgrund Absprache der beteiligten Beamten untereinander. Ein Rückgriff bzw. die mögliche Einflussnahme des Beklagten auf die Amtsgeschäfte des F., wie es das Amtsgericht annahm, muss daher nicht konstruiert werden. „Dienstausübung“ meint die dienstliche Tätigkeit im Allgemeinen. Damit sind alle Handlungen gemeint, die zu den „Obliegenheiten“ des Amtsträgers gehören. Dazu können auch bloß vorbereitende oder unterstützende Tätigkeiten zählen (vgl. zum Ganzen nur: Tröndle/Fischer; StGB, 52. Auflage, § 331, Rz. 6 ff, 18 ff).

79

Der Lebenssachverhalt, der zur Annahme der 50,00 Euro führte, ist nicht losgelöst von der Dienstausübung des Beklagten in Bezug auf die unzweifelhaft zu den Werkstattangelegenheiten gehörenden Altreifen zu sehen. Die Hilfe beim Aufladen der Reifen war gerade nicht nur „privater“ Natur im Sinne einer reinen menschlich-sozialen Gefälligkeit, sondern stand in einem unmittelbaren zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit der Dienstausübung des Beklagten um die Aussonderung und Bereitstellung der Altreifen. Das Aussortieren, Bereitstellen und Verladen der Altreifen ist nach allgemeiner Lebensanschauung als ein einheitlicher Dienstvorgang zu sehen und fand auf dem Gelände der A. statt. Dies hat im Übrigen auch der Beklagte nicht anders gesehen, wie sein anfängliches Zögern bei der Annahme des Geldes belegt.

80

b.) Unabhängig von der strafrechtlichen Bewertung hat der Beamte durch die Annahme der 50,00 Euro gegen seine Pflicht zur Uneigennützigkeit nach § 34 Satz 2 BeamtStG in Verbindung mit dem Verbot der Annahme von Belohnungen, Geschenken und sonstigen Vorteilen nach § 42 BeamtStG verstoßen. Dabei ist diese - beamtenrechtliche - Pflicht bereits weiter zu fassen als die nach § 331 StGB strafbedrohte Vorteilsnahme. Denn auch die durch das Strafrecht nicht erfassten Verhaltensweisen, welche sich als pflichtwidrige Fehlsteuerung des Verwaltungshandelns aus Eigennutz darstellen, sind als Dienstpflichtverletzungen zu werten. Nach § 42 BeamtStG dürfen Beamte keine Belohnungen, Geschenke oder sonstigen Vorteile für sich oder eine dritte Person in Bezug auf das Amt annehmen. „Belohnungen“ oder „Geschenke“ oder „sonstige Vorteile" im Sinne des § 42 BeamtStG sind alle Zuwendungen einschließlich Dienstleistungen, auf die kein Anspruch besteht und die objektiv eine materielle oder immaterielle Besserstellung zum Inhalt haben (Vorteil). Auch die Weitergabe von Vorteilen an Dritte, z. B. andere Bedienstete, rechtfertigt nicht deren Annahme. "In Bezug auf das Amt" im Sinne des § 42 BeamtStG ist ein Vorteil immer dann gewährt, wenn die zuwendende Person sich davon leiten lässt, dass der Beamte ein bestimmtes Amt bekleidet oder bekleidet hat. Ein Bezug zu einer bestimmten Amtshandlung ist nicht erforderlich. Vorteile, die ausschließlich mit Rücksicht auf Beziehungen innerhalb der privaten Sphäre des Beamten gewährt werden, sind nicht "in Bezug auf das Amt" gewährt. Derartige Beziehungen dürfen nicht mit Erwartungen in Bezug auf die dienstliche Tätigkeit des Beamten verknüpft sein. Erkennt der Beamte, dass an den persönlichen Umgang derartige Erwartungen geknüpft werden, dürfen weitere Vorteile nicht mehr angenommen werden (vgl. nur: Korruptionsprävention in der öffentlichen Verwaltung; VV der Landesregierung Rheinland-Pfalz v. 07.11.2000; FM-O 1559 A-411; juris).

81

Zweck der beamtenrechtlichen Pflicht zur Uneigennützigkeit nach § 42 BeamtStG ist es, bereits den bloßen Anschein zu vermeiden, dienstliche Handlungen seien durch Gefälligkeiten beeinflussbar und Amtshandlungen seien käuflich (BVerwG zu § 70 Satz 1 BBG a. F.; Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11.10 mit Verweis auf Urteile v. 14.12.1995, 2 C 27.94, v. 22.10.1996, 1 D 76.95 und v. 23.11.2006, 1 D 1.06; alle juris). Es ist im Interesse einer gesetzmäßigen Verwaltung und im Interesse des allgemeinen Vertrauens in ein rechtsstaatliches Handeln der Verwaltung nicht hinzunehmen, wenn ein Beamter den Eindruck erweckt, er lasse sich in Bezug auf seine dienstliche Tätigkeit durch ihm oder Dritten gewährte Vorteile beeinflussen. Unerheblich ist, ob es zu der in Aussicht gestellten Amtshandlung gekommen ist. Anknüpfungspunkt der Pflicht ist nicht das enge Gebiet der Amtshandlungen des Beamten, sondern das Amt im abstrakt- oder konkret-funktionellen und im statusrechtlichen Sinne (BVerwG, Urteil v. 20.02.2002, 1 D 19.01; juris). Danach besteht der geforderte Amtsbezug bereits dann, wenn nach den Umständen des Einzelfalls sich der Geber davon leiten lässt, dass der Bedienstete dienstlich tätig wird oder geworden ist. Es reicht aus, wenn nach den erkennbaren Vorstellungen und Motiven des Gebers der Gesichtspunkt der Anstellung oder dienstlichen Tätigkeit des Beamten zumindest mitkausal ist (BVerwG, Urteile v. 14.12.1995, 2 C 27.94 und v. 20.02.2002, 1 D 19.01; alle juris). Auch dann, wenn der Beamte unter Hinweis auf seine Dienststellenzugehörigkeit beim Zuwender lediglich den wahrheitswidrigen Anschein erweckt hat, auf die begehrte Entscheidung der Dienststelle in irgendeiner Weise Einfluss nehmen zu können, ist der Bezug zum Amt gegeben (BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11.10; juris).

82

Die Disziplinarkammer hat keine Zweifel daran, dass dem Reifenhändler T. als Zuwender der 50,00 Euro die dienstliche Stellung und das dienstliche Tätigwerden des Beklagten bewusst waren. Daran ändert nichts die Einstellung der strafrechtlichen Verfahren gegen T. und dass dieser angab, gar nicht gewusst zu haben, dass B. und F. Polizeibeamte gewesen seien. Mögen die Beamten aufgrund ihrer Werkstatttätigkeit bei der Übergabe der Reifen auch nicht in Polizeiuniform gekleidet gewesen sein, so war dem T. bewusst, dass er sich auf dem Gelände der A. befindet und die Aussonderung und Bereitstellung der Reifen eine dienstliche Tätigkeit darstellen. Zudem ist den Akten zu entnehmen, dass der T. auf Vermittlung des Beklagten die Altreifenentsorgung übernahm. T. wollte – zumindest mitkausal – im Sinne der soeben dargestellten disziplinarrechtlichen Rechtsprechung mit der Geldleistung die Beschäftigten und damit auch den Beklagten hinsichtlich der Aussortierung der Altreifen in dem Sinne beeinflussen, dass ihm auch die besseren Reifen überlassen werden. Dabei ist egal, ob diese sogar gesondert durch einen der Beschäftigten an T. verkauft wurden oder sie Teil des Aussonderungsvorgangs waren. Denn in jedem Fall hatte T. wegen der Weiterverwendungsmöglichkeiten ein gesteigertes Interesse an diesen Reifen. Dies beweist bereits die Tatsache, dass T. in den Jahren 2000 bis 2005 die Altreifenentsorgung sogar kostenlos übernahm. Ohne die „Hilfsbereitschaft“ der Werkstattmitarbeiter bei der Aussonderung, hätte sich die Entsorgung für T. demnach wirtschaftlich nicht bzw. weniger gelohnt.

83

Dass nach dieser Lebenssachverhaltsauslegung die Zahlung der 50,00 Euro mit den Amtsgeschäften des Beklagten im Zusammenhang stand und gerade nicht nur für die Hilfe bei Aufladen der Reifen geleistet wurde, war bzw. hätte auch dem Beklagten bei gehöriger Gewissensanstrengung bewusst sein müssen. Es gilt das oben zur strafrechtlichen Vorteilsnahme Festgestellte.

84

c.) Zur Überzeugung der Disziplinarkammer steht weiter fest, dass der Beklagte die ihm zur Last gelegten privaten Bestellungen von Kfz-Ersatzteilen unter Ausnutzung der nur dem Land eingeräumten Rabatte vorgenommen und damit einen Betrug nach § 263 Abs. 1 StGB gegenüber der Firma a. A. A. GmbH begannen hat. Bei den Mitarbeitern der Firma a. A. wurde aufgrund der Nennung der Kundenummer der A. der Irrtum erregt, dass es sich um eine amtliche Bestellung der A. handelt. Dadurch wurden sie getäuscht und der Gewinn der Firma geschmälert. Es bedarf keiner Feststellungen, dass ein Beamter der strafbare Handlungen begeht zugleich gegen die beamtenrechtliche Wohlverhaltenspflicht nach § 34 BeamtStG verstößt.

85

Aber auch ohne Zugrundelegung der tatbestandlichen Verwirklichung eines Betruges nach § 263 StGB (vgl. Bay. VGH, Urteil v. 28.06.2006, 16a D 05.177; juris; der in einem ähnlichen Fall die strafrechtliche Relevanz verneint) hat der Beklagte eine disziplinarrechtlich zu ahndende Pflichtverletzung nach § 34 BeamtStG begangen. Denn er hat unter Ausnutzung der ihm vom Dienstherrn eingeräumten Vertrauensposition, die ihm erlaubte amtliche Bestellungen vorzunehmen unter Verwendung der ihm zur Verfügung gesellten Mittel (Telefon; PC) und Kenntnisse (Kundennummer) die privaten Bestellungen zum eigenen Vorteil vorgenommen.

86

Der Zeuge F. hat in seiner Zeugenvernehmung vor der Disziplinarkammer bekundet, dass er wisse, dass der Beklagte zumindest einmal zu einem ihm nicht mehr erinnerlichen Zeitpunkt einen privaten Bestellvorgang ausgelöst hat. Steht diese Aussage des Zeugen auch im Widerspruch zu seiner Aussage vor dem Amtsgericht in dem Strafverfahren gegen den Beklagten am 10.09.2010, hat das Disziplinargericht keine durchgreifenden Zweifel an dem Wahrheitsgehalt der jetzigen Aussage des Zeugen. Denn diese Aussage wird durch weitere Unterlagen belegt.

87

So ist das Disziplinargericht davon überzeugt, dass der Beklagte die Bestellvorgänge die den Rechnungen vom 04.08.2003 und 02.09.2003 (Beiakte D; BwB 2 Bl. 12, 14) zugrundeliegen, vorgenommen und den Erhalt der Ware auf den Rechnungen durch Unterschrift bestätigt hat. Dabei ist zunächst festzustellen, dass die Änderung des Adressatenfeldes bzw. die Angabe einer Person zu dessen Händen zu liefern ist, auf die Angabe des Bestellers zurückzuführen ist und sich somit von dem üblichen Bestellvorgang der A. unterscheidet. Dies hat der Zeuge F. mit Verweis auf die von ihm durchgeführten und zur rechtskräftigen Verurteilung durch Strafbefehl geführten Bestellvorgänge ausgesagt, was sich mit den übrigen Feststellungen deckt. Auch der Zeuge E. hat dies nicht nur vor dem Disziplinargericht, sondern auch vor dem Amtsgericht und anlässlich seiner behördlichen Vernehmung ausgesagt. Dies deckt sich mit den Aussagen der übrigen Mitarbeiter der Firma a. A. vor dem Amtsgericht, wie die des zwischenzeitlich verstorbenen Zeugen P. sowie der Angestellten P.. Zudem erfolgte die Lieferung bei den dienstlich veranlassten Bestellvorgängen gegen Lieferschein und nicht gegen Rechnung. Die Rechnungen gingen auf dem Postwege bei der Klägerin zur unbaren Begleichung der Rechnungssumme ein.

88

Demnach hat die Disziplinarkammer keine durchgreifenden Zweifel daran, dass der Beklagte neben diesen durch seine Unterschrift belegten Bestellvorgängen aus dem Jahr 2003 auch die weiteren ihm in der Disziplinarklage vorgehaltenen Bestellvorgänge bis in das Jahr 2006 getätigt hat. Denn auch die dazu ergangenen Rechnungen tragen jeweils die Besonderheit, dass der Beklagte dort namentlich erwähnt ist. Die Disziplinarkammer teilt nicht die Auffassung des Beklagten, dass die Namensnennung dadurch zu erklären sei, dass eine unbekannte Person auf den Namen des Beklagten bestellt habe. Ist dies nach den tatsächlichen Feststellungen der Kammer zwar grundsätzlich möglich, weil neben der Angabe der im Werkstattbereich bekannten Kundenummer der A. keinerlei Identifikationsvoraussetzungen wie PIN oder Code erforderlich waren, ergibt ein derartiges Vorgehen eines Dritten aber keinen Sinn. Denn die Unterlagen und die darauf gestützten Feststellungen ergeben, dass neben dem Werkstattleiter F. und dem Stellvertreter B. auch die nicht verbeamteten Werkstattmitarbeiter S., R., K. und J. private Bestellungen unter ihrem Namen vorgenommen haben. Da aber auch in diesen Fällen stets die zutreffende Namensnennung des Bestellers erfolgte, gab es keinerlei Anlass für einen der Werkstattmitarbeiter, den Namen des Beklagten anstelle des eigenen zu nennen. Denn darüber hinaus war neben der Bestellung auch die Annahme der Ware vor Ort durch den Besteller notwendig. Somit wäre es bei der Häufigkeit der dem Beklagten vorgehaltenen Bestellungen im Werkstattbereich aufgefallen, wenn eine andere Person als der vermeintliche Besteller B. die Waren in Empfang genommen hätte. Die umfangreiche auf 67 Bestellvorgänge aus den Jahren 2003 bis 2007 aufgelistete Zusammenschau der Klägerin zu den nicht im Zahlungssystem zu verzeichnenden Bestellungen belegt neben den bekannten Namen nur eine Rechnung über zwei Dichtungen zum Preis von 1,97 € mit Namensnennung M., wobei ein Werkstattmitarbeiter mit diesem Namen nicht bekannt sei (Beiakte B, Bl. 238 ff, 242 Fußnote 16). Fällt hier schon der Preis nicht in das Gewicht, ist entscheidend, dass – wenn überhaupt – ein Fantasiename gewählt wurde und eben nicht der des Beklagten. Darüber hinaus fehlt es an jedem plausiblen Vortrag, wieso etwa ein Kollege, etwa um dem Beklagten zu schaden, derart hätte vorgehen sollen. Demnach scheidet auch die Bestellung durch einen nicht dem Werkstattbereich oder der Klägerin zuzurechnenden Dritten aus.

89

Schließlich belegen auch die vom Beklagten vorgenommenen und von ihm eingeräumten Bestellungen für die Kollegen P. und S., dass er durchaus private Bestellungen vorgenommen hat. Wenngleich dies aus kollegialer Verbundenheit und aufgrund seines technischen Sachverstandes sowie bei anderen Firmen und nicht unter Ausnutzung der Rabattierung geschehen ist. Soweit der Beklagte den Hinweis der Klägerin darauf, dass die den vorgehaltenen Rechnungen zugrundeliegenden Waren bei der A. wegen des andersartigen Fuhrparks keine Verwendung hätten finden können damit begegnet, dass dies auch auf ihn zutreffe, mag die Bestellung für Freunde, Bekannte, Verwandte etc. eine gewisse Erklärung liefern. Zudem enthalten die dem Beklagten vorgehaltenen Warenbestellungen eine erheblich geringere Anzahl als dies etwa bei dem Zeugen F. der Fall war, der die Ersatzteile ersichtlich für seine ebenfalls angeschuldigte Nebenbeschäftigung benötigte.

90

4.) Der Beklagte hat die in einem inneren zeitlichen und sachlichen Zusammenhang stehenden Pflichtverletzungen im Sinne eines einheitlich zu bewertenden innerdienstlichen Dienstvergehens (vgl. zur Einheit des Dienstvergehens nur: VG Magdeburg, Urteil v. 04.11.2009, 8 A 19/08 m. w. Nachw.; juris) vorsätzlich und schuldhaft begangen.

91

5.) Hinsichtlich der auszusprechenden Disziplinarmaßnahme ist die Schwere des Dienstvergehens unter angemessener Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten richtungsweisend (vgl. § 13 DG LSA). Die Schwere beurteilt sich nach objektiven Handlungsmerkmalen wie Eigenart und Bedeutung der Dienstpflichtverletzungen, den besonderen Umständen der Tatbegehung sowie Häufigkeit und Dauer eines wiederholten Fehlverhaltens, nach subjektiven Handlungsmerkmalen wie Form und Gewicht des Verschuldens des Beamten, den Beweggründen für sein Verhalten sowie nach den unmittelbaren Folgen für den dienstlichen Bereich und für Dritte. Davon ausgehend kommt es darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung im Einzelfall derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die durch die Schwere des Dienstvergehens indizierte Maßnahme geboten ist. Eine vollständige und richtige Gesamtwürdigung setzt voraus, dass die Disziplinarkammer die im Einzelfall bemessungsrelevanten, d. h. die für die Schwere des Dienstvergehens und das Persönlichkeitsbild bedeutsamen Tatsachen ermittelt und mit dem ihnen zukommenden Gewicht in die Gesamtbewertung einbezieht. Dies entspricht dem Zweck der Disziplinarbefugnis des Disziplinargerichts als einem Mittel der Funktionssicherheit des öffentlichen Dienstes. Dabei findet der Grundsatz „in dubio pro reo“ Anwendung. Die Disziplinargerichte dürfen nur solche belastenden Tatsachen in die Gesamtwürdigung einstellen, die zur Überzeugung des Gerichts feststehen. Demgegenüber müssen entlastende (mildernde) Umstände schon dann zu Gunsten des Beamten berücksichtigt werden, wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für ihr Vorliegen gegeben sind und eine weitere Sachverhaltsaufklärung nicht möglich ist (vgl. nur: VG Magdeburg, Urteil v. 27.10.2011, 8 A 2/11 mit Verweis auf BVerwG, U. v. 27.01.2011, 2 A 5.09; jüngst BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11/10, OVG Lüneburg, Urteil v. 14.11.2012, 19 LD 4/11; alle juris).

92

Für das danach zu findende Disziplinarmaß können die vom Disziplinarsenat des Bundesverwaltungsgerichts für bestimmte Fallgruppen herausgearbeiteten Regeleinstufungen von Bedeutung sein. Davon ausgehend kommt es für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung im Einzelfall derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die durch die Schwere des Dienstvergehens indizierte Disziplinarmaßnahme geboten ist (BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11/10 mit Verweis auf Urteile v. 20.10.2005, 2 C 12.04 und v. 03.05.2007, 2 C 9.06, alle juris).

93

Ein endgültiger Verlust des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit im Sinne von § 13 Abs. 2 Satz 1 DG LSA ist anzunehmen, wenn aufgrund der prognostischen Gesamtwürdigung auf der Grundlage aller im Einzelfall bedeutsamen be- und entlastenden Gesichtspunkte der Schluss gezogen werden muss, der Beamte werde auch künftig in erheblicher Weise gegen seine Dienstpflichten verstoßen oder die durch sein Fehlverhalten herbeigeführte Schädigung des Ansehens des Berufsbeamtentums sei bei einer Fortsetzung des Beamtenverhältnisses nicht wiedergutzumachen. Unter diesen Voraussetzungen muss das Beamtenverhältnis im Interesse der Leistungsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und der Integrität des Berufsbeamtentums beendet werden (BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11.10 mit Verweis auf Urteile v. 20.10.2005, 2 C 12.04, v. 03.05.2007, 2 C 9.06 und v. 29.05.2008, 2 C 59.07; alle juris).

94

6.) Setzt sich das (einheitliche) Dienstvergehen aus mehreren Dienstpflichtverletzungen zusammen, bestimmt sich die zu verhängende Disziplinarmaßnahme in erster Linie nach der schwersten Verfehlung (BVerwG, Urteil v. 23.02.2005, 1 D 1.04; juris).

95

a.) Verstöße gegen die Uneigennützigkeit werden in der Rechtsprechung der Disziplinargerichte seit jeher als sehr schwerwiegend eingestuft. Denn die uneigennützige, nicht auf den privaten Vorteil bedachte Führung der Dienstgeschäfte stellt eine wesentliche Grundlage des Berufsbeamtentums dar. Im Hinblick darauf ist die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis jedenfalls dann Richtschnur für die Bestimmung der angemessenen Disziplinarmaßnahme, wenn erhebliche Geldzahlungen geflossen sind (vgl. zusammenfassend: BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11.10; juris).

96

b.) Bei einem „klassischen“ innerdienstlichen Betrug vergreift sich der Beamte an Gelder oder gleichgestellte Werte des Dienstherrn, die dem Beamten jedoch nicht dienstlich anvertraut oder sonst dienstlich zugänglich sind. In der mangelnden „Anvertrauung“ liegt der bedeutsame Unterschied zu den innerdienstlichen Zugriffsdelikten begründet, wonach der Betrug zu Lasten des Dienstherrn grundsätzlich ein geringeres disziplinarrechtliches Gewicht hat als der die Entfernung rechtfertigende Zugriff des Beamten auf ihm anvertraute Gelder oder Güter (BVerwG, Beschluss v. 20.12.2011, 2 B 64.11 mit Verweis auf Urteile v. 24.01.2001, 1 D 57.99 und v. 30.08.2000, 1 D 26.99; alle juris). Die Variationsbreite, in der Pflichtverletzungen dieser Art denkbar sind, erfordert die Würdigung der jeweiligen besonderen Einzelfallumstände. Deshalb wird bei den innerdienstlichen Betrugsfällen gerade keine Bagatellschwelle angenommen. Eine Entfernung steht dann an, wenn im Einzelfall Erschwernisgründe vorliegen, ohne dass ihnen erhebliche Milderungsgründe gegenüberstehen. Erschwernisgründe können sich z. B aus Anzahl und Häufigkeit der Betrugshandlungen, der Höhe des Gesamtschadens, der missbräuchlichen Ausnutzung der dienstlichen Stellung oder dienstlich erworbener Kenntnisse sowie daraus ergeben, dass die Betrugshandlungen im Zusammenhang mit weitren Verfehlungen, wie Urkundefälschungen stehen (BVerwG, Beschluss v. 20.12.2011, 2 B 64.11 mit Verweis auf Urteile v. 28.11.2000, 1 D 56.99, v. 26.09.2001, 1 D 32.00, v. 22.02.2005, 1 D 30.03 und Beschlüsse v. 14.06.2005, 2 B 108.04 und v. 10.09.2010, 2 B 97.09; alle juris).

97

c.) Das Disziplinargericht weist demnach entschieden darauf hin, dass der Beklagte schwerwiegende Dienstpflichtverletzungen begangen hat, die jeweils im Einzelfall aber auch bei der einheitlichen Bewertung zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis als disziplinarrechtliche Höchstmaßnahme führen könnten.

98

Gleichwohl sieht die Disziplinarkammer vorliegend Besonderheiten und Entlastungsgründe des Einzelfalls, die es rechtfertigen, die von der Schwere des Dienstvergehens ausgehende Indizwirkung abzumildern. Dies ist dann der Fall, wenn zu Gunsten des Beamten gewichtige Entlastungsgründe (Milderungsgründe) zu berücksichtigen sind, die den Schluss rechtfertigen, dass das dem Beamten vom Dienstherrn und der Allgemeinheit entgegengebrachte Vertrauen noch nicht endgültig verloren ist. Solche Gründe stellen zum einen die von der Rechtsprechung bezüglich der sog. Zugriffsdelikte entwickelten und anerkannten Milderungsgründe dar, die besondere menschliche Konfliktsituationen beschreiben. Hierzu zählen etwa das Handeln in einer existenziellen wirtschaftlichen Notlage oder einer körperlichen oder psychischen Ausnahmesituation oder besonderen Versuchssituationen oder eine persönlichkeitsfremde Einzelverfehlung des Beamten wie auch „Entgleisungen“ während einer negativen, inzwischen überwundenen, durch Alkohol, Drogen oder Schicksalsschlägen bedingte Lebensphase. Der Milderungsgrund der Geringwertigkeit eines verursachten Schadens oder des geldlichen Vorteils der Handlung wird bei etwa 50,00 Euro gezogen. Auch besondere die Dienstpflichtverletzung begünstigende Handlungen und mangelnde Kontrollen des Dienstherrn können im Einzelfall wie ein besonderes Nachtatverhalten die Schwere der Verfehlung mildern. Zeitlich überlange Disziplinarverfahren können wegen des disziplinarrechtlichen Beschleunigungsgebotes und der mit dem Disziplinarverfahren verbundenen persönlichen Belastungen jedenfalls bei Maßnahmen der Pflichtenmahnung berücksichtigt werden. Entlastungsgründe können sich aber zum anderen auch aus allen Besonderheiten ergeben, die es im Einzelfall wegen der persönlichkeitsbedingten an § 13 DG LSA zu orientierenden Prognoseentscheidung gebieten, von der disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahmen Abstand zu nehmen. Die entlastenden Gründe sind nicht (mehr) allein auf den in der Rechtsprechung entwickelten Kanon der anerkannten Milderungsgründe beschränkt (BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11.10, m. w. Nachw.; juris). Diese Besonderheiten müssen aber in ihrer Gesamtheit geeignet sein, die Schwere des Pflichtenverstoßes erheblich herabzusetzen. Generell gilt, dass das Gewicht der Entlastungsgründe umso größer sein muss, je schwerer das Delikt aufgrund der Schadenshöhe sowie der Tatumstände, wie Anzahl, Häufigkeit, Zeitraum, Verschiedenartigkeit und Tatausführung wiegt (im Ganzen ausführlich: VG Magdeburg, Urt. v. 31.03.2011, 8 A 2/10 MD und v. 27.10.2011, 8 A 2/11, mit Verweis auf BVerwG, Urt. v. 24.05.2007, 2 C 28.06, Urt. v. 06.06.2007, 1 D 2.06, Urt. v. 29.05.2008, 2 C 59.07; Bayr. VGH, Urt. v. 27.10.2010, 16 aD 09.2470; OVG Lüneburg, Urt. v. 08.02.2011, 6 LD 4/08; alle juris).

99

Hinsichtlich des Verstoßes gegen die Pflicht zur Uneigennützigkeit aufgrund Vorteilsnahme sind die näheren Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. So ist festzuhalten, dass der Beklagte - nach unwiderlegbarer Aussage - die 50,00 Euro von dem Reifenhändler T. nicht gefordert, sondern wie von F. verlangt „für die Kaffeekasse“, erhalten hat. Er wolle auch dem Beklagten mal was zukommen lassen, so T.. Damit ist diese Geldzahlung im Zusammenhang mit der Forderung des F. und der wiederholten Zahlung an ihn durch T. zu sehen. Zudem liegt die Besonderheit des Falls vorliegend darin, dass neben der Amtsbezogenheit der Reifenaussonderung tatsächlich der gefällige Verladevorgang der Reifen stattfand und T. nach seiner Aussage froh gewesen sei, dass die Arbeiter in der Werkstatt ihm jedes Mal beim Aufladen der Altreifen geholfen hätten. Die stetige Hilfsbereitschaft des Werkstattpersonals wurde auch von dem Zeugen F. anlässlich seiner Zeugenvernehmung vor der Kammer bestätigt. Zudem ist das Geld an den Beklagten unbestritten nicht bei jedem Entsorgungsvorgang geflossen, sondern beschränkt sich auf einen einmaligen Vorfall. Bedenkt man die Vielzahl der Vorgänge, relativiert sich die einmalige Zahlung von 50,00 Euro an den Beklagten in Bezug auf alle Vorgänge. Und erscheint unter der bei 50,00 Euro zu zeihenden Bagatell- oder Geringwertigkeitsgrenze (vgl. zur Geringwertigkeit: OVG Lüneburg, Urteil v. 14.11.2012, 19 LD 4/11; LAG Thüringen, Urteil v. 16.12.2010, 3 Sa 325/09; beide m. w. Nachw.; beide juris). Unterstellt man weiter, dass der Beklagte nach seiner unwiderlegbaren Aussage selbst erstaunt war über die Zahlung und sie zunächst ablehnte, kann unter diesen Umständen die Vorteilsnahme als Gelegenheitstat im Sinne eines Augenblicksversagens gesehen werden. Schließlich hat der Beklagte die Annahme des Geldes frühzeitig, wenn auch aufgrund der Ermittlungen gegen F., zugegeben und zur weiteren Tataufklärung beigetragen. Unter Beachtung dieser besonderen Tatumstände unterscheidet sich der Fall von den zahlreichen in der Rechtsprechung der Disziplinargerichte zu findenden hinsichtlich des mit der Höchstmaßnahme disziplinarrechtlich zu ahndenden Unrechtsgehalts einer Vorteilsnahme (vgl.: BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11.10; Urteil v. 23.11.2006, 1 D 1.06; Urteil v. 19.02.2003, 1 D 14.02; Urteil v. 27.01.1998, 1 D 63.96; Urteil v. 08.06.2005, 1 D 3.04; LAG Thüringen, Urteil v. 16.12.2010, 3 Sa 325/09; OVG Lüneburg, Urteil v. 14.11.2012, 19 LD 4/11; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 10.09.2007, 3 A 10390/07; Bay. VGH, Urteil v. 28.06.2006, 16a D 05.177; alle juris). Denn diesen ist gemein, dass die Pflicht zur Uneigennützigkeit durch zahlreiche über einen längeren Zeitraum geschehene und/oder hohe bzw. hochwertige Vorteilsannahmen verletzt wurde.

100

Ähnliches gilt für die dem Beklagten vorgehaltenen und durch Rechnungen belegten Betrügereien gegenüber der Firma a. A. GmbH. Die Kammer sieht durchaus, dass es sich dabei hinsichtlich der Anzahl von 19 Fällen und der Häufigkeit in dem Zeitraum von 2003 bis 2006 nicht mehr um als gering zu bezeichnende Fälle handelt. Zwar ist bei der Vertrauensschädigung des Dienstherrn seine tatsächliche materielle Schädigung wenig bedeutend. Gleichwohl ist zu bedenken, dass der finanzielle Schaden nicht bei dem Dienstherrn eingetreten und als verhältnismäßig gering anzusehen ist. Denn er besteht „nur“ in der jeweiligen überhöhten Rabattgewährung und gegenüber der Firma a. A. GmbH. Denn die Firma hätte den Werkstattmitarbeitern auch Rabatte, allerdings in geringerer Höhe eingeräumt. Sieht die disziplinarrechtliche Rechtsprechung bereits bei dem „klassischen“ innerdienstlichen Betrug gegenüber dem Dienstherrn einen disziplinarrechtlich zu ahndenden geringeren Unrechtsgehalt als bei „klassischen“ Zugriffsdelikten, muss dies im vorliegenden Fall besonders gelten. Denn der Betrug zu Lasten der Firma a. A. wird nur dadurch zu einem verschärfenden innerdienstlichen Dienstvergehen, weil er im Dienst und unter Ausnutzung der dienstlichen Mittel und Möglichkeiten geschah. Ansonsten würde es sich von vornherein um einen milder zu bewertenden außerdienstlichen Pflichtenverstoß handeln (vgl. Bay. VGH, Urteil v. 28.06.2006, 16a D 05.177; juris; der in einem ähnlichen Fall die strafrechtliche Relevanz verneint).

101

Zudem wird aufgrund der Tatsache, dass neben dem Beklagten zahlreiche weitere Mitarbeiter der Werkstatt der A. die privaten Bestellvorgänge und über längere Zeiträume vornehmen konnten sowie die Aufdeckung dieser Missstände nur durch einen Zufallsfund und eben nicht aufgrund der Überprüfung durch die A. gelang, deutlich, dass hier eine Vernachlässigung der Ordnungs- und Überwachungspflicht des Dienstherrn die Taten zumindest begünstigte. Zwar ist der Klägerin zuzugeben, dass Beamten nicht ständig überwacht und kontrolliert werden können bzw. müssen und der Dienstherr auf die Zuverlässigkeit seiner Mitarbeiter angewiesen ist. Gleichwohl kann das Disziplinargericht bei der Feststellung, ob der Vertrauensverlust endgültig eingetreten ist, innerdienstliche Organisationsformen und das Controlling berücksichtigen. Vorliegend scheint es so, dass sich die Vornahme der Bestellungen aus Eigennutz unter den Werkstattmitarbeitern eingeschlichen hat. Dafür spricht auch, dass eine besondere Tarnung oder eine sonst wie geartete Verschleierung oder ein geschicktes Tatverhalten nicht erforderlich war (vgl. dazu: OVG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 10.09.2007, 3 A 10390/07; Bay. VGH, Urteil v. 28.06.2006, 16a D 05.177; beide juris). So wurde auch im Innenverhältnis die Behörde nicht etwa durch weitere Verdeckungshandlungen getäuscht. Es war jedweder Person bei Kenntnis der nicht unter Verschluss oder sonst wie besonders gesicherte Kundennummer der A. möglich, die Bestellvorgänge auszulösen. Es fanden weder weitere Identifikationsverfahren wie die PIN- oder Code-Eingabe statt noch durften etwa die Bestellvorgänge nur im Beisein eines weiteren Mitarbeiters vorgenommen werden. Erst die hier behandelten Disziplinarverfahren hat die Klägerin zum Anlass genommen, ablauforganisatorische Änderungen vorzunehmen, die auf eine Stärkung des Vier-Augen-Prinzips und Kontrolle der Beschaffungsvorgänge ausgerichtet sind (vgl. Schriftsatz der Klägerin vom 02.11.2012). Zudem ist ebenso der Firma a. A. der allzu sorglose Umgang hinsichtlich der tatsächlich möglichen privaten Bestellvorgänge unter Gewährung des Landesrabattes vorzuhalten.

102

7.) Unter Beachtung der vorstehend dargestellten Besonderheiten geht das Disziplinargericht bei der der nach § 13 DG LSA notwendigen Gesamtbewertung der Pflichtenverstöße unter Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten davon aus, dass dem Beklagten noch ein gewisses Restvertrauen entgegengebracht werden kann, was das Absehen von der Höchstmaßnahme rechtfertigt. Gleichwohl hält die Disziplinarkammer nach § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 DG LSA den Ausspruch der zweitschärfsten Disziplinarmaßnahme in Form der Zurückstufung nach § 9 DG LSA - und hier um zwei Stufen in das Eingangsamt - für angemessen und erforderlich.

103

8.) Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 72 Abs. 1 Satz 1, 73 Abs. 1 DG LSA. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


Tatbestand

1

Der Kläger führt die Disziplinarklage gegen die beklagte verbeamtete Gerichtsvollzieherin mit dem Ziel ihrer Entfernung aus dem Dienst.

2

Die 1976 geborene Beamtin beendete 1994 ihre Schulausbildung mit der Ablegung des Abiturs. Anschließend wurde sie zum Vorbereitungsdienst für den mittleren Justizdienst zugelassen und zur Justizsekretäranwärterin ernannt. 1996 wurde die Beamtin zur Ausbildung für die Sonderlaufbahn Gerichtsvollzieher zugelassen und zur Justizsekretärin zur Anstellung ernannt. Nach Absolvierung der Gerichtsvollzieherprüfung mit „ausreichend“ (Note 3,6) wurde die Beamtin 1998 zur Justizsekretärin ernannt. In der Folgezeit wurde die Beamtin bei dem Amtsgericht D. und dem Amtsgericht K. verwandt. Im Jahr 2001 wurde sie zur Gerichtsvollzieherin ernannt und im Jahre 2003 erfolgte die Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit. Zum 01.05.2006 wurde die Beklagte zur Verwendung im mittleren Dienst an das Amtsgericht D. abgeordnet. Seit dem ist sie nicht mehr als Gerichtsvollzieherin tätig.

3

Die Beamtin ist verheiratet und hat eine im Jahr 2005 geborene Tochter. Nach Auskunft der Bezügestelle vom 31.03.2011 erhielt die Beamtin zum Zeitpunkt der Einreichung der Disziplinarklageschrift 1.341,18 Euro zuzüglich 368,00 Euro Kindergeld ausgezahlt.

4

Die Beklagte ist disziplinarrechtlich vorbelastet. Ihr wurde mit Verfügung vom 08.12.2003 wegen verzögerter Sachbearbeitung sowie Verstoßes gegen § 65 Nr. 6 GVO und § 185 g GVGA ein Verweis erteilt.

5

Mit Verfügung vom 16.11.2006 wurde die Beamtin wegen der Vorwürfe in der Disziplinarklage vom Dienst suspendiert. Das Verwaltungsgericht Magdeburg - Disziplinarkammer – hat mit Beschluss vom 19.02.2007 die vorläufige Dienstenthebung aufgehoben. Auf die Beschwerde des Klägers hat das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt - Disziplinarsenat - den Antrag unter Aufhebung des Beschlusses abgelehnt. Den unter dem 30.06.2010 von der Beamtin erneut gestellte Antrag auf Aufhebung der vorläufigen Dienstenthebung hat das Verwaltungsgericht Magdeburg - Disziplinarkammer - mit Beschluss vom 24.01.2011 abgelehnt. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Beamtin hat das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt - Disziplinarsenat - mit Beschluss vom 04.11.2011 zurückgewiesen.

6

Wegen der disziplinarrechtlichen Vorwürfe der fehlerhaften Wegegelderabrechnungen hat das Amtsgericht K. unter dem 23.05.2007 einen Strafbefehl erlassen, worin der Beamtin vorgeworfen worden war, insgesamt 201 Straftaten (Gebührenüberhebung in 193 Fällen und Betrug in 8 Fällen) begangen zu haben. Durch Urteil des Amtsgerichts K. vom 07.07.2008 (2 Cs 183/07) war die Beamtin der Gebührenüberhebung in 181 Fällen und des Betruges in 8 Fällen schuldig gesprochen worden; in 12 Fällen war sie von dem im Strafbefehl erhobenen Vorwurf der Gebührenüberhebung freigesprochen worden. Mit Urteil vom 29.10.2009 (7 Ns 161/08) hat das Landgericht Dessau-Roßlau die Beamtin in der Berufung wegen der Gebührenüberhebung in 158 Fällen (überhöhte Wegegelder) und wegen Betruges in 8 Fällen schuldig- und im Übrigen freigesprochen (23 Fälle der Abrechnung von nicht entstandenen Wegegeldern). Auf die Revision der Beamtin hat das Oberlandesgericht A-Stadt das Verfahren mit Beschluss vom 10.05.2010 (1 Ss 13/10) eingestellt, soweit die Beamtin nicht bereits rechtskräftig vom AG K. freigesprochen worden war. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Strafbefehl bezüglich der Darstellung des Tatvorwurfs der falschen Wegegeldabrechnung nicht dem strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz entspreche. Unter dem 25.01.2011 hat die Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau das Ermittlungsverfahren gegen die Beamtin gem. § 153 StPO eingestellt.

7

Mit der Disziplinarklage vom 27.04.2011 wird die Beamtin angeschuldigt, ein Dienstvergehen gem. §§ 54, 55, 77 Abs. 1 Satz 1 Beamtengesetz Sachsen-Anhalt (BG LSA) begangen zu haben. Sie habe u. a.

8

- Gebühren und Auslagen zum eigenen Vorteil zu Unrecht erhoben und entnommen;

9

- unzulässig Verhaftungen zum Zwecke der Erzwingung der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung vorgenommen sowie

10

- in erheblichem Maße gegen Vorschriften der Gerichtsvollzieherordnung und der Gerichtsvollziehergeschäftsanweisung verstoßen.

11

Ihr werden 10 Pflichtenverstöße zur Last gelegt:

12

1. Die Beamtin habe gegen die sich aus § 55 BG LSA ergebene Pflicht, Anordnungen des Dienstvorgesetzten auszuführen und die allgemeinen Richtlinien zu befolgen, erheblich verstoßen.

13

Am 28.09.2004 habe die Direktorin des Amtsgerichts K. der Gerichtsvollzieherin das Protokoll über die Geschäftsprüfung vom 11.08.2004 bis 28.08.2004 mit der Aufforderung übersandt, zu den einzelnen Beanstandungen binnen eines Monats Stellung zu nehmen. Die Stellungnahme der Gerichtsvollzieherin sei erst auf wiederholte und nachdrückliche Aufforderung der Direktorin des Amtsgerichts K. am 27.01.2005 eingegangen.

14

2. Die Beamtin habe in den nachfolgenden Fällen gegen § 106 Nr. 6 Satz 1 Geschäftsanweisung für Gerichtsvollzieher (GVGA) verstoßen.

15

a) Die Beamtin habe in nachfolgend aufgeführten 32 Fällen ohne anders lautende Bestimmung der Gläubiger und trotz wiederholter Beanstandung in den Vorprüfungen Leistungen verspätet an die Gläubiger abgeführt. Dabei handelt es sich um Differenztage zwischen dem Tag der Zahlung, Tag der Buchung und Tag der Überweisung von wenigstens drei Tagen bis zu einmalig höchstens 45 Tagen. Auf diese Tabelle in der Disziplinarklage wird verwiesen. Die Disziplinarklage führt aus, dass das zwischen dem Tag der Einnahme und dem Tag der Auszahlung im Durchschnitt dieser Fälle 17 Tage gelegen hätten.

16

b) In den Verfahren DR II 2256/03; 2243/02; 1958/03; 252/04; 2333/03 und 1978/03 am 19.03.2004 erzielte Versteigerungserlös sei am 18.08.2004 noch nicht an die Gläubiger abgeführt worden.

17

c) Obwohl der Verstoß gegen § 106 Nr. 6 Satz 1 GVGA bereits Gegenstand des am 28.02.2005 eingeleiteten Vorermittlungsverfahren gewesen sei, habe die Gerichtsvollzieherin weiterhin Leistungen verspätet an die Gläubiger abgeführt. Dabei habe die Überweisungsfrist zwischen 7 und 11 Tagen gelegen.

18

3. Die Gerichtsvollzieherin habe gegen § 57 Abs. 2 Satz 5 GVO und § 65 GVGA verstoßen:

19

a) Sie habe Sachstandsanfragen von Gläubigern pauschal, ohne Bezug auf den tatsächlichen Sachstand und teilweise völlig irreführend beantwortet und dazu einen vorformulierten Text benutz, welcher lautete:

20

„In der Zwangsvollstreckungssache ... teile ich mit, dass der o. g. Auftrag eingegangen ist und bei mir unter DR II Nr. ... registriert wurde. Da ich zurzeit stark überlastet bin, ist es mir zurzeit nicht möglich, die Monatsfrist für die Erledigung einzuhalten. Ich werde mich trotzdem bemühen, den Auftrag zügig zu erledigen.

21

Es wird gebeten, die nächsten zwei Monate von Sachstandsanfragen abzusehen.“

22

Dies sei in folgenden Verfahren geschehen:

23

DR II 42/04:
Die Angelegenheit sei bereits erledigt gewesen, weil der Schuldner unbekannt verzogen war.

24

DR II 64/04:
Der Auftrag sei bereits durch Pfandabstand erledigt gewesen.

25

DR II 76/04:
Die Sache sei erledigt gewesen, weil bereits ein letzter Vollstreckungsversuch durchgeführt worden sei.

26

DR II 8/04:
Auch hier sei Erledigung eingetreten gewesen.

27

DR II 21/04:
Der Zwangsvollstreckungsauftrag sei durch Nichtermittlung des Schuldners erledigt gewesen.

28

b) Die Gerichtsvollzieherin habe in den oben unter a) bezeichneten Verfahren die Gläubiger über den tatsächlichen Verfahrensstand getäuscht. Sie habe damit sowohl gegen das Informationsrecht des Gläubigers gem. § 65 a GVGA, als auch gegen die Pflicht zur sorgfältigen und vollständigen Aktenführung (§ 57 Nr. 2 Satz 5 GVO) verstoßen.

29

4. Die Gerichtsvollzieherin habe gegen § 816 Abs. 4 ZPO, §§ 156, 1239 Abs. 2 BGB, §145 Nr. 2 b GVGA verstoßen. In mehreren Zwangsvollstreckungsverfahren gegen den Schuldner H. F. wurde die Versteigerung gepfändeter Gegenstände am 19.03.2004 durchgeführt. Der gepfändete PKW Mercedes Benz 320 cdi, sei mit 39.000,00 Euro und das Motorrad Suzuki mit 1.200,00 Euro angesetzt worden. Bei der Versteigerung sei der Schuldner anwesend gewesen und habe mitgeboten. Die Gerichtsvollzieherin habe das Gebot des Schuldners in Höhe von 35.000,00 Euro zugelassen und ihm den Zuschlag erteilt, wodurch das bisherige Meistgebot in Höhe von 33.000,00 Euro eines anderen Bieters erlosch. Nachdem die Gerichtsvollzieherin festgestellt habe, dass dem Schuldner eine Barzahlung nicht möglich gewesen sei, sei der PKW nochmals ausgeboten worden, wobei nur noch das Mindestgebot von 20.000,00 Euro als Versteigerungserlös erzielt worden sei.

30

In dem diesbezüglichen Vermerk der Gerichtsvollzieherin in der Sonderakte DR II 2256/03 heißt es:

31

„Es waren genügend Kaufgeneigte erschienen. Es wurde bis zu einem Betrag von 33.000,00 Euro sehr zügig geboten. Bei einem Gebot von 35.000,00 Euro erhielt der Schuldner den Zuschlag. Viele Bieter entfernten sich daraufhin. Ich forderte Herrn F. zur Zahlung auf. Als Herr F. das Büro im Versteigerungslokal betrat, teilte er mir mit, dass er einen bankbestätigten Scheck habe. Ich forderte wie zuvor auch in den wörtlich vorgelesenen Versteigerungsbedingungen bekannt gegeben, Herrn F. zur Barzahlung auf. Dieser erklärte, dass er kein Bargeld bei sich habe. Ich wollte den Scheck sicherstellen. Herr F. gab an, den Scheck in seinem Fahrzeug zu haben. Ich begab mich mit Herrn F. zu seinem Kfz. Den Scheck konnte er nicht vorlegen. ...“

32

Diese Verfahrensweise stelle eine falsche Sachbehandlung dar und verstoße gegen die vorgenannten gesetzlichen Regelungen. Bei richtiger Sachbehandlung hätte im ersten Versteigerungsversuch der Erlös bei 33.000,00 Euro und nicht später nur noch bei 20.000,00 Euro gelegen. In Höhe der Differenz von 13.000,00 Euro sei ein Vermögensschaden eingetreten.

33

5. Die Gerichtsvollzieherin habe in den Verfahren DR II 505/05, 506/05 und 556/05 gegen § 186 Nr. 5 GVGA und die Weisung des Erlasses des MJ LSA vom 21.06.2004 (2344-202.103) verstoßen.

34

In den Verfahren DR II 529/05, 586/05, 596/05, 603/05 und 595/05 habe die Gerichtsvollzieherin darüber hinaus § 3 GvKostG nicht beachtet und auch dadurch zusätzlich überhöhte Kosten erhoben.

35

Im Verfahren DR II 505/05 habe ein Verhaftungsauftrag vom 24.03.2005 vorgelegen. Am 11.04.2005 habe die Beamtin einen erfolglosen Verhaftungsversuch unternommen. Am 12.04.2005 sei die Schuldnerin in ihrer Wohnung angetroffen worden. Laut Protokoll habe die Schuldnerin das Vermögensverzeichnis und die Eidesstattliche Versicherung nach Verhaftung im Dienstzimmer der Gerichtsvollzieherin abgegeben. Aus den Protokollen sei nicht ersichtlich, dass die Schuldnerin gem. § 186 Nr. 5 GVGA vor der Verhaftung aufgefordert worden sei, die titulierte Forderung zu begleichen und befragt worden sei, ob sie freiwillig die geforderte Eidesstattliche Versicherung abgebe. Nach dem Inhalt des Protokolls ist davon auszugehen, dass die Schuldnerin noch im Verhaftungstermin mitwirkungsbereit gewesen sei und die Eidesstattliche Versicherung habe abgeben wollen. Die Verhaftung stelle einen Verstoß gegen das in § 901 ZPO postulierte Verhältnismäßigkeitsprinzip dar.

36

Für diese falsche Sachbehandlung habe die Gerichtsvollzieherin demnach aufgrund der Verhaftung überhöhte Kosten in Höhe von 19,00 Euro erhoben.

37

Ebenso habe die Klägerin in den anderen genannten Verfahren überhöhte Gebühren und Auslagen eingezogen.

38

Die Gerichtsvollzieherin habe dadurch die Schuldner in ihren Grundrechten aus Art. 1 und 2 GG verletzt.

39

In den Verfahren DR II 529/05, 586/05, 595/05, 596/05 und 603/05 habe die Gerichtsvollzieherin neben der nicht gebotenen Verhaftung letztlich nicht beachtet, dass es sich hinsichtlich der Abnahme der Eidesstattlichen Versicherung nur um einen Auftrag gehandelt habe, wenn die Fortsetzung des EV-Termins innerhalb der in § 3 Abs. 4 GvKostG genannten Frist von drei Monaten beantragt werde. Vorliegend war die Gerichtsvollzieherin bereits im Vollstreckungsauftrag beauftragt worden, den notwendigen Haftbefehl zu beantragen. Die EV-Verfahren seien also lediglich fortzusetzen gewesen und bereits entstandene Kosten anzurechnen. Somit seien in den zuletzt genannten Verfahren überhöhte Kosten in Höhe von insgesamt 34,00 Euro zu viel erhoben worden.

40

6. Die Gerichtsvollzieherin habe in mindestens 57 Fällen in erheblicher Weise gegen die §§ 64, 185 j GVGA und ihre Pflicht zur unverzögernden Bearbeitung der Verfahren verstoßen.

41

In den aufgeführten 57 Fällen habe die Beamtin erst nach bis zu vier Monaten nach dem Nichterscheinen des Schuldners die Akten dem Vollstreckungsgericht vorgelegt. Dazu zählt die Disziplinarklage 57 Fälle mit Aktenzeichen auf, welche damit beginnen, dass der e.V.-Termin vom 11.01.2005 in sieben Fällen erst am 14.03.2005 beim Vollstreckungsgericht einging; die folgenden 50 Fälle beinhalten e.V.-Termine vom 16.11.2004, 23.11.2004, 07.12.2004, 11.01.2005, 10.08.2004 und 23.11.2004, die alle samt am 15.03.2005 beim Vollstreckungsgericht eingingen.

42

7. Die Gerichtsvollzieherin habe Zustellauslagen in Höhe von 5,60 Euro für Zustellungen durch die Deutsche Post AG in Ansatz gebracht, obwohl die Zustellung tatsächlich durch die Firma W. S. zum Preis von 4,47 Euro durchgeführt worden sei. Damit habe sie gegen § 15 GVO und GvKostG KV 701 verstoßen.

43

Danach darf der Gerichtsvollzieher Zustellauslagen nur in tatsächlich entstandener Höhe ansetzen. Bereits im Prüfungsbericht vom 10.09.2004 sei die Gerichtsvollzieherin auf die Einhaltung der Vorschriften hingewiesen worden.

44

Dies ergebe sich aus acht in der Disziplinarklage genannten Verfahren. Auf diese Verfahren wird zur weiteren Darstellung verwiesen.

45

In diesen Verfahren habe die Gerichtsvollzieherin trotz ausdrücklicher Belehrung durch den Prüfungsbeamten und ihrer Zusicherung vom 25.01.2005 Auslagen nicht in tatsächlicher Höhe erhoben.

46

8. Die Gerichtsvollzieherin habe entgegen der Weisung des Prüfungsbeamten weiterhin Zahlungsprotokolle bei Vollzahlung oder Schlussrate an den Schuldner erteil und Dokumentenpauschalen gemäß Nr. 700 KV GvKostG erhoben, obwohl es hierfür keine gesetzliche Grundlage gebe.

47

Bereits sei dem Jahre 2002 sei die Gerichtsvollzieherin in jedem Prüfungsprotokoll von dem Prüfungsbeamten auf die falsche Sachbehandlung und Kostenberechnung der Dokumentenpauschale hingewiesen worden.

48

Allein in den Monaten Januar bis August 2004 habe die Gerichtsvollzieherin in den in der Anlage 1 aufgelisteten 246 Fällen unberechtigt eine Dokumentenpauschale erhoben und damit einen Betrag von 432,00 Euro zu Unrecht eingenommen.

49

Der Weisung des Prüfbeamten vom 10.09.2004 die Kostenrechnungen zu berichtigen und den jeweils überhöhten Betrag an die Landeskasse abzuführen, ist die Gerichtsvollzieherin erst nach mehrfacher Mahnung am 13.02.2006, mithin nach 17 Monaten nachgekommen.

50

9. Die Gerichtsvollzieherin habe im folgenden Verfahren gegen § 57 Abs. 2 Satz 5 GVO, §§ 64, 105, 107, 132, 135, 140 und 142 GVGA sowie §§ 758, 762 und 803 ZPO verstoßen.

51

Dem Verfahren DR II 617/04 liege ein Auftrag der Kreissparkasse K. zur Sachpfändung zugrunde. Mangels Protokollierung bleibt offen, ob, wann und wo die Gerichtsvollzieherin gepfändet hat. Die Gerichtsvollzieherin habe damit gegen das bei einer Pfändung zu beachtende Verfahren und gegen ihre Pflicht, alle Amtshandlungen zu Protokoll zu nehmen verstoßen (§ 762 ZPO). Ebenso fehlt die Aufnahme der Pfandstücke sowie Tag und Ort der Versteigerung im Protokoll. Bis zum 30.04.2004 hätte die Versteigerung stattfinden müssen. Erst durch ihren Dezernatsnachfolger sei am 16.09.2005 ein Versteigerungstermin bestimmt worden.

52

Allein aufgrund des Umfangs des Pfandgutes anhand des Lagerverzeichnisses sei mit hohen Lagerkosten zu rechnen gewesen. Die Gerichtsvollzieherin habe durch ihre Handlungsweise gegen die Pflicht, die durch Einschaffung und Verwahrung des Pfandgutes anfallende Kosten auf das angemessene und unbedingt notwendige Maß zu beschränken, verstoßen (§ 140 Nr. 1 GVGA). Nach erfolgter Schätzung des Verkehrswertes des Pfandgutes hätte die Gerichtsvollzieherin erkennen können, dass die Kosten der Pfändung und Verwertung weitaus höher sind, als der zu erzielende Erlös und somit ein Pfändungsverbot gem. § 803 Abs. 2 ZPO bestanden habe. Darüber hinaus sei sie ihrer Kostensicherungspflicht nach § 4 GvKostG nicht nachgekommen, da sie Kosten für die Einschaffung und Lagerung des Pfändungsgutes in unverhältnismäßiger Höhe verursachte, ohne einen ausreichenden Vorschuss von der Gläubigerin angefordert zu haben.

53

Am 25.04.2006 habe der Präsident des Landgerichts Dessau die - zum Verwertungserlös in Höhe von 600,00 Euro zu keinem Verhältnis stehende - Restforderung des Spediteurs für die Einlagerung des Pfandgutes in Höhe von 7.531,30 Euro als Amtshaftungsanspruch anerkannt und habe diesen Betrag ausgezahlt. Mit Beschluss des Amtsgerichts K. vom 28.07.2006 seien die weiteren Vollstreckungskosten gegenüber der Kreissparkasse K. in Höhe von 7.571,30 Euro niedergeschlagen worden. Nachdem die Kreissparkasse K. wegen ihres geleisteten Kostenvorschusses in Höhe von 3.642,91 Euro abzüglich der bei einer Versteigerung bis zum 30.04.2004 entstandenen Kosten in Höhe von 2.269,22 Euro gegen das Land Sachsen-Anhalt eine Schadensersatzforderung in Höhe von 1.373,59 Euro geltend gemacht habe, erkannte der Präsident des Landgerichts Dessau einen entsprechenden Amtshaftungsanspruch an und zahlte den Betrag am 06.02.2007 aus. Am 12.09.2007 habe das Landgericht Dessau mit Regressprozess gegen die Gerichtsvollzieherin ein Versäumnisurteil über einen Gesamtbetrag in Höhe von 8.904,99 Euro erlassen, welches mit am 12.12.2007 verkündeten Urteil bestätigt wurde. Auf die Berufung der Gerichtsvollzieherin änderte das OLG A-Stadt mit am 25.06.2008 verkündeten Urteil (6 U 163/07) das erstinstanzliche Urteil dahingehend ab, dass die Gerichtsvollzieherin verurteilt worden sei, an das Land Sachsen-Anhalt einen Betrag in Höhe von 1.373,69 Euro zu zahlen; hinsichtlich des weiteren, an den Spediteur gezahlten Betrages in Höhe von 7.531,30 Euro wurde die Klage abgewiesen.

54

10. Die Prüfung der Sonderakten DR II aus den Jahren 2001 bis 2005 habe ergeben, dass die Gerichtsvollzieherin im Zeitraum Oktober 2001 bis Juli 2005 (DR II 2756/01 - 932/05) in 2.436 Verfahren Wegegelder in Höhe von 7.146,59 Euro erhoben habe, die nicht oder nicht in der angesetzten Höhe angefallen seien.

55

Soweit das OLG A-Stadt hinsichtlich der strafrechtlichen Bestimmtheitserfordernisse gerügt habe, dürfte dies nunmehr mit der in Anlage 3 zur Disziplinarklage eingereichten tabellarischen Aufstellung hinreichend nachgewiesen seien. An den Bestimmtheitsgrundsatz dürften keine übertriebenen Anforderungen gestellt werden, welche im Disziplinarrecht nicht weiter reichen dürften als im Strafrecht. Bei einer Vielzahl gleichartiger Taten reiche es aus, wenn über die Angabe der Zahl der Taten, des Gesamtschadens und des gesamten Tatzeitraumes hinaus die gleichartigen Taten gruppiert bezeichnet, der gruppenspezifische Modus Operandi dargestellt und die Einzelheiten detailliert tabellarisch aufgelistet würden, weil hierdurch sowohl der Umgrenzungs- als auch der Informationsfunktion hinreichend genüge getan werde.

56

An die Grundlagen der Wegegeldberechnung habe sich die Gerichtsvollzieherin in einer Vielzahl von Fällen nicht gehalten. Im Jahre 2001 habe sie in 390 Fällen Wegegelder abgerechnet, obwohl entweder ein geringeres Wegegeld oder mangels Zurücklegung eines Weges überhaupt kein Wegegeld angefallen wäre.

57

In den Jahren 2002 bis 2005 habe sie dann in weiteren 2.046 Fällen ebenfalls nicht oder nicht in angesetzter Höhe angefallene Wegegelder berechnet.

58

Die Beamtin habe die fehlerhafte Abrechnung nicht bestritten.

59

Die tabellarische Aufstellung enthalte keinen der Fälle mehr, in denen die Gerichtsvollzieherin vom Amtsgericht K. rechtskräftig freigesprochen wurde. Die Beamtin habe bei der Wegegeldabrechnung auch hinsichtlich der Fälle, wo überhaupt kein Weg zurückgelegt worden sei, mit direktem Vorsatz gehandelt. In den Fällen, in denen ein Wegegeld tatsächlich entstanden sei, aber überhöht abgerechnet worden sei, liege ebenfalls direkter Vorsatz vor. Denn die Bestimmung der Wegegeldzone stelle keinen komplexen und dementsprechend fehleranfälligen Vorgang dar. Vielmehr sei einfach die Luftlinie auf der Karte zu messen. Hinzu komme, dass die Gerichtsvollzieher mit ihren Bezirken und den dortigen Entfernungen sehr gut vertraut seien. Würde hier ein grundsätzliches Versehen vorliegen, müssten die betreffenden Orte auch immer gleichermaßen falsch abgerechnet worden sein, was aber nicht der Fall gewesen sei. Zudem falle bei der Durchsicht der tabellarischen Aufstellung auf, dass Wegegelder oft doppelt erhoben worden seien, und dass in einer Vielzahl von Fällen nicht nur die nächst höhere Stufe abgerechnet worden sei, sondern gleich mehrere Stufen übersprungen worden seien, was bei der irrtümlichen Annahme, sich bereits in der nächst höheren Zone zu befinden, nicht hätte passieren können. Besonders deutlich werde das Fehlen eines Versehens auch, soweit beispielsweise für Großpaschleben Gebührenzone II (10 bis 20 km) statt I (bis 10 km) abgerechnet werde, da G. unmittelbar an der Stadtgrenze zu K. liege. Hinzu komme, dass die falsche Wegegeldabrechnung über die Jahre hinweg kontinuierlich zugenommen habe (2002: 907,50 Euro, 2003: 2.355,00 Euro, 2004: 2.767,50 Euro). Die Gerichtsvollzieherin habe also nachdem die zunächst geringer ausfallenden Wegegeldüberhebungen im Rahmen der Geschäftsprüfungen nur sporadisch beanstandet worden seien, systematisch in immer größrem Umfang überhöhte Wegegelder geltend gemacht und dadurch im Jahre 2004 schließlich ein zusätzliches monatliches Einkommen in Höhe von knapp 230,00 Euro erzielt.“

60

Nach dem Ergebnis der Ermittlungen habe die Gerichtsvollzieherin über einen sehr langen Zeitraum die Kernpflichten des Beamtenverhältnisses grundlegend verletzt. Sie habe in einer Vielzahl von Fällen gesetzliche Bestimmungen grob missachtet, dienstliche Weisungen nachhaltig ignoriert, grob fehlerhaft und äußerst nachlässig gearbeitet und damit nicht annähernd das berufserforderliche Verhalten bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben gezeigt. Erschwerend komme hinzu, dass die Beamtin bereits am 08.12.2003 wegen fehlerhafter und nachlässiger Arbeitsweise einen disziplinarrechtlichen Verweis erhalten habe. Durch die vorsätzliche finanzielle Schädigung der Gebührenschuldner habe die Beamtin das Vertrauen in die Redlichkeit und Ehrlichkeit von Beamten grundlegend erschüttert und das Ansehen der Justiz in der Öffentlichkeit nachhaltig geschädigt.

61

Der Entschuldigung der Beamtin mit Verweis auf einen außerordentlich hohen Geschäftsanfall könne nicht gefolgt werden. Denn Feststellungen des Prüfungsbeamten und der Direktorin des Amtsgerichts K. habe die Beamtin im Jahre 2004 hinsichtlich 1.088 Verfahren und im Jahre 2003 bezüglich 1.346 Verfahren falsche Angaben gemacht. Tatsächlich seien die gesamten monatlichen Eingänge lediglich bei durchschnittlich 235 Aufträgen im Jahre 2003 und 245 Aufträgen im Jahre 2004 anzusetzen.

62

Die Schwere des Dienstvergehens rechtfertige die Entfernung der Beklagten aus dem Beamtenverhältnis.

63

Der Kläger beantragt,

64

auf die erforderliche Disziplinarmaßnahme zu erkennen.

65

Die Beklagte beantragt,

66

die Disziplinarklage abzuweisen,

67

widerspricht den behaupteten Dienstpflichtverletzungen und erwidert:

68

Es fehle an einer hinreichenden Sachaufklärung, die Beamtin sei nicht angehört, Zeugen seien nicht vernommen worden. Die Disziplinarklage sei bereits wegen Zeitablaufs unzulässig. Denn das disziplinarrechtliche Gebot der Beschleunigung sei in außerordentlichem Maße verletzt worden.

69

Zu III., 1.

70

Der Vorwurf, eine Stellungnahmefrist versäumt zu haben, werde bestritten. Er könne schon aufgrund des Zeitablaufs nicht nachvollzogen werden. Die Beamtin dürfte innerhalb einer angemessenen Frist in Abstimmung mit der Frau Direktorin geantwortet haben.

71

Zu III., 2a

72

Kein einziger Gläubiger habe eine verspätete Leistung gerügt oder behauptet. Die Disziplinarklage verhalte sich nicht zu der Auslegung des Rechtsbegriffes „unverzüglich“, bestimme weder ein schuldhaftes Zögern der Beklagten noch ob andere Bestimmungen mit den Gläubigern getroffen worden seien. Die Disziplinarklage übersehe permanent die außerordentliche Belastung der Gerichtsvollzieherin. Dies sei beispielsweise im Prüfbericht vom 25.07.2002 ausgeführt und durch die Aussage des Zeugen S. vor dem Amtsgericht K. und dem Landgericht Dessau-Roßlau bestätigt. Danach habe die Belastung der Beklagten in den Jahren 2001 und 2002 bei rund 230 %, im Jahre 2003 bei 166 % und im Jahre 2004 bei 192 % gelegen. Die durchschnittliche Belastung eines Gerichtsvollziehers im Land Sachsen-Anhalt in den Jahren 2001 bis 2003 habe bei 140 % und in den Jahren 2004 und 2005 bei 130 bzw. 120 % gelegen.

73

Das Landgericht Dessau-Roßlau habe in seinem Urteil zur Aussage des Zeugen S. ausgeführt:

74

„Im Lande seien die Gerichtsvollzieher über Jahre in verantwortungsloser Weise jahrelang, gerade auch 2004, hoffnungslos mit Pensen von 1,4 bis 3,0 überlastet gewesen. Daher habe oftmals auch bei der Angeklagten die Aktenführung gelitten und es sei dort an sich zu beanstandungswürdigen Fehlern gekommen.“

75

Die außergewöhnliche Belastung der Beklagten hätten auch die Zeugen K. und die Direktorin des Amtsgerichts K. im Strafverfahren bestätigt.

76

Die in der Disziplinarklage vorgenommene Durchschnittsberechnung der Differenztage sei untunlich. Es sei jeder einzelne Fall für sich zu betrachten und zu einem schuldhaften Zögern vorzutragen.

77

Weiter sei auf die hohen Beitreibungsergebnisse der Beamtin abzustellen. Hohe Beitreibungsergebnisse implizierten einen hohen Zeitaufwand einerseits und viele Buchungs- und Überweisungsvorgänge andererseits.

78

Zu III., 3.

79

Die Gerichtsvollzieherin habe nicht stets einen Textbaustein verwandt. Aufgrund der Überlastung habe sie sich behelfen müssen. Eine Irreführung der Gläubiger sei nicht geschehen. Schließlich sei auch zu beachten, dass die Schreiben die Mitarbeiterin der Beklagten, die Zeugin G. auf den Weg gebracht habe. Dabei mögen der Mitarbeiterin Fehler passiert sein, dass sie entgegen der Büroanweisung keine Rücksprachen mit der Beamtin gehalten habe.

80

Zu III., 4.

81

Amtshaftungsansprüche in Höhe von 13.000 Euro seien nicht entstanden. Diese Behauptung sei falsch. Es fehle bereits an einer Pflichtverletzung. Der Vortrag sei nach wie vor ohne hinreichende Substanz. Die Gerichtsvollzieherin habe vor der Versteigerung die Versteigerungsbedingungen vorgelesen. Es seien 30 bis 50 Bieter anwesend gewesen. Es habe sich um eine umfangreiche Versteigerung gehandelt. Deswegen habe die Beklagte auch ihren Kollegen, den Gerichtsvollzieher H. um Unterstützung gebeten. Dem Kollegen H. sei der Schuldner ebenfalls bekannt gewesen. Der Beklagten sei der Schuldner zunächst gar nicht aufgefallen. Der Kollege H. habe die Beklagte dann aber auf den Schuldner F. aufmerksam gemacht. Die Beklagte habe nicht gewusst, ob der Schuldner F. mit bieten würde oder nicht. Sie habe in diesem Falle vorgehabt, die Versteigerung sogleich zu unterbrechen, um den Schuldner in das Büro zu bitten, um dessen Zahlungsfähigkeit festzustellen und ggf. eine Taschenpfändung durchzuführen. Nach dem Gebot des Schuldners in Höhe von 33.000,00 Euro (muss wohl richtig lauten: 35.000,00 Euro) habe die Beklagte die Versteigerung sofort unterbrochen. Sie sei mit dem Zeugen H. und dem Schuldner in das Büro gegangen. Dort habe sich herausgestellt, dass der Schuldner über kein Geld verfüge. Daraufhin habe die Beklagte mitgeteilt, dass sie die Sache neu ausbieten müsse. Ein Teil des Publikums hatte sich bereits entfernt. Die Versteigerung sei alles andere als „alltäglich“ gewesen.

82

Zu III., 5.

83

Allein aus einer möglicherweise nicht hinreichenden Protokollierung könne nicht der Schluss gezogen werden, die Schuldner seien vor der Verhaftung nicht gefragt worden, ob sie freiwillig leisten bzw. die Eidesstattliche Versicherung abgeben wollten. Selbstverständlich habe die Beklagte so verfahren. Dessen ungeachtet habe die Beklagte - ohne Anerkennung einer Rechtspflicht - die Beträge aber sogleich erstattet.

84

Zu III., 6.

85

Hier werde die außerordentliche Belastung der Beklagten nicht berücksichtigt. Die Fürsorgepflicht des Dienstherrn sei verletzt. Anders als ihre Kollegen habe die Beklagte häufig Versteigerungen durchgeführt. Versteigerungen seien aufgrund des damit verbundenen Zeit- und Arbeitsaufwandes von den Kollegen gemieden worden. Ungeachtet dessen habe die Beklagte bis in das Jahr 2005 hinein, als sie schwanger gewesen sei, keine Entlastung erfahren.

86

Zu III., 7.

87

Erhöhte Zustellkosten seien in früheren Prüfberichten nicht gerügt worden. Es habe keine Belehrung stattgefunden. Die Zustellungen rührten aus der Zeit der Beschäftigung der Mitarbeiterin W.. Die Beklagte habe die Mitarbeiterin ausdrücklich dazu angehalten, zwischen Zustellungen mit „grüner Post“ und solchen mit der „gelben Post“ zu unterscheiden. Die Mitarbeiterin habe in Einzelfällen möglicherweise fehlerhafte Zuordnungen getroffen.

88

Der Vorwurf im Prüfbericht vom 10.09.2004 sei ein nicht vergleichbarer Fall gewesen.

89

Ziff. III., 8.

90

In der Vergangenheit sei die Dokumentenpauschale als unproblematisch betrachtet worden. Es werde bestritten, dass eine Dokumentenpauschale nicht in Ansatz gebracht werden durfte. Die Beklagte sei erstmals in der Schlussbesprechung vom 10.09.2004 angewiesen worden, entsprechende Erhebungen zukünftig zu unterlassen. Der Prüfbeamte habe ausgeführt, dass die Rechtslage unklar sei und Erstattungen für die Vergangenheit nicht vorzunehmen seien. Zwei Wochen später habe man doch auf Rückzahlungen gepocht. Deshalb sei die Beklagte irritiert. Um die Streitfrage beizulegen habe die Beklagte die Pauschalen schließlich erstattet.

91

Zu III., 9.

92

Die Beamtin sei vom OLG A-Stadt letztlich zur Zahlung eines Betrages in Höhe von 1.373,69 Euro an das Land Sachsen-Anhalt verurteilt worden. Jedoch sei die Klage überwiegend abgewiesen worden. Das OLG habe zwar Fehler der Beklagten beschrieben. In Höhe eines Betrages in Höhe von 7.531,30 Euro sei der Beklagten aber ein Vorwurf grobfahrlässigen Verhaltens nicht zu machen. Soweit das OLG hinsichtlich eines Betrages in Höhe von 1.373,59 Euro auf grobe Fahrlässigkeit erkannt habe, sei nicht hinreichend berücksichtigt worden, dass die Kreissparkasse K. selbst den Vollstreckungstitel zurückverlangt, die Einlagerungskosten gekannt und darum gewusst habe, dass die Beklagte, die den Titel schnellstmöglich zurückverlangt habe, auf den Titel gewartete habe, um weiter vollstrecken zu können.

93

Zu Ziff. III., 10.

94

Die Beklagte habe in keinem Fall Wegegelder erhoben, obwohl Wege nicht angefallen seien. Sie habe Wegegelder nicht doppelt abgerechnet oder Wegegeldstufen mehrfach übersprungen. Es sei wiederholt vorgetragen worden, dass die Beklagte Schuldner mehrfach aufgesucht und deshalb (mehrere) Wegegelder, etwa bei der Abholung von Raten, zu berücksichtigen gewesen seien. Gleichzeitig habe sich im Jahre 2001 das Gebührenrecht geändert und die Wegegeldzonen seien neu festgelegt. Sie habe daraufhin auf Anraten des damaligen Obergerichtsvollziehers S. eine Tabelle erstellt und diese zu den General- und Sammelakten gegeben. Beanstandungen hinsichtlich der Wegegeldabrechnungen habe es nie gegeben. Dabei sei der Gerichtsvollzieherprüfungsbeamte verpflichtet, Akten gerade auch wegen erhobener Wegegelder zu prüfen. Schließlich seien aufgrund des Disziplinarverfahrens gegen die Beamtin den Gerichtsvollziehern Abrechnungstabellen vorgegeben worden.

95

Zusammenfassend führt die Beklagte aus:

96

Die Beklagte sei als junge Gerichtsvollzieherin seit dem Jahre 2001 stets überlastet gewesen. Ihr seien zusätzliche Bezirke übertragen worden, die „brannten“. Dies sei der Dienstaufsicht bekannt gewesen. Der Vorwurf, das Ansehen der Justiz beschädigt zu haben, sei aufgrund der bewusst veranlassten Überlastung der Beklagten paradox. Die hohen Beitreibungsergebnisse der Gerichtsvollzieherin hätten das Ansehen der Justiz gestärkt.

97

Von einem endgültigen Vertrauensverlust könne noch nicht ausgegangen werden. Denn der Kläger habe die Beklagte trotz Abschluss der Ermittlungen über viele Monate in den Innendienst versetzt und beschäftigt. Dort habe die Beklagte beanstandungsfrei gearbeitet.

98

Der Kläger erwidert:

99

Der lange Zeitraum des Disziplinarverfahrens sei den umfangreichen Ermittlungen geschuldet gewesen.

100

Zur angeblichen Überlastung werde auf den Beschluss des OVG LSA - Disziplinarsenat - vom 19.07.2007 (10 M 1/07) verwiesen, wo es heiße, dass „die von der Antragstellerin im wesentlichen eingeräumten zahlreichen Verstöße gegen die einer Gerichtsvollzieherin obliegenden Dienstpflichten bereits für sich genommen ein Versagen im Kernbereich begründen, ohne dass dieses allein mit dem Hinweis auf die dienstliche Belastung zu rechtfertigen sein wird“ und dass eine dienstliche Überlastung „weder eine beharrliche Verletzung von dienstlichen Kernpflichten, noch gar ein damit im Zusammenhang stehendes strafrechtliches Verhalten“ rechtfertige. Zudem seien die angegebenen Überlastungszahlen in den Jahren 2001 und 2002 nicht nachvollziehbar und die Vorgänge aus den Jahren 2004 und 2005 auch ohne Belang. Die von der Beklagten für die Jahre 2003 und 2004 genannten Werte von 166 % und 192 % entsprechen zwar den Feststellungen des Prüfbeamten in den Prüfberichten vom 10.9.2004 und 16.03.2005, beruhten allein aber auf den eigenen Jahresübersichten der Beklagten. Das Dienstregister zähle weitaus weniger Verfahren.

101

Zu III. 3.

102

Es sei festzustellen, dass Sachstandsanfragen durch eine Angestellte ohne konkreten Bezug zu dem nur aus der Akte ersichtlichen letzten Stand der Dinge beantwortet seien. Insoweit sei auch eine fehlerhafte Büroorganisation festzustellen.

103

Zu III. 4.

104

Der Vortrag ändere nichts daran, dass dem Schuldner der Zuschlag nicht hätte erteilt werden dürfen, ohne sich zuvor davon zu überzeugen, dass dieser den Betrag in Bar hinterlegt habe.

105

Zu III. 5.

106

Aus der fehlenden Protokollierung könne selbstverständlich die Nichtbefragung des Schuldners geschlossen werden. Im Übrigen hänge bei lebensnaher Betrachtung allein von der Fragestellung des Gerichtsvollziehers ab, ob der Schuldner die Eidesstattliche Versicherung abgeben wolle oder nicht. Denn soweit sogleich mit der Verhaftung gedroht werde, werde der Schuldner die Eidesstattliche Versicherung abgeben, weil er die Verhaftung vermeiden will. Dann fielen sogleich 51,00 Euro an Gebühren an. Fragt der Gerichtsvollzieher hingegen nur, ob die Eidesstattliche Versicherung jetzt abgegeben werde und führt nach Verneinung der Frage die Verhaftung durch, seien insgesamt 70,00 Euro an Gebühren angefallen. Die Verfahrensweise der Beklagten sei dementsprechend allein dadurch motiviert gewesen, jeweils zusätzliche 19,00 Euro zu verdienen.

107

Zu III.6.

108

Gerügt sei die schlichte Nicht-Weiterleitung von Akten an das Vollstreckungsgericht. Soweit die Beklagte auf ihre hohen Beitreibungsergebnisse und das insoweit hervorgehobene „besondere Engagement“ verweise, erkläre sich dies damit, dass die Einnahmen der Gerichtsvollzieher damals wegen der Bürokostenentschädigung noch deutlicher erfolgsabhängiger gewesen seien als heute. Vor diesem Hintergrund fühlten sich die Gerichtsvollzieher damals mit einem Pensum von 1,3 bis 1,4 keineswegs überfordert, sondern wünschten eine deutlich über 1,0 Pensen liegende Belastung. Dementsprechend seien auch keine Überlastungsanzeigen erstattet worden. Bei dieser allen Beteiligten bestens bekannten Sachlage davon zu sprechen, es sei ein „Ausdruck grober Treuwidrigkeit, einen Gerichtsvollzieher zu überlasten“ werde den tatsächlichen Zusammenhängen nicht gerecht.

109

Zu III. 7.

110

Auch die Entlastung aufgrund Tätigkeiten durch die Mitarbeiterin W. könne nicht greifen. Denn insoweit liege auch hier ein Überwachungsverschulden vor.

111

Zu III. 8.

112

Auf die fehlerhafte Erhebung von Dokumentenpauschalen sei die Beklagte sei dem Jahr 2002 in jedem Prüfbericht hingewiesen worden. Zudem handele es sich um eine von der Beamtin selbst zu beantwortende Rechtsfrage. Hier zeige sich die beachtliche Kreativität der Beklagten in der Schaffung gesetzlich nicht vorgesehener Einnahmequellen.

113

Zu III. 9.

114

Der das Disziplinarverfahren bearbeitende Richter am OLG Dr. O. sei zum Zeitpunkt der Urteilsfindung nicht mit Disziplinarsachen befasst gewesen.

115

Zu III. 10.

116

Dass es an umfassenden Beanstandungen in den Geschäftsprüfungen bezüglich der Wegegelder fehle, beruhe darauf, dass die Wegegeldberechnung im Rahmen der Geschäftsprüfung eine völlig untergeordnete Rolle spiele.

117

Die Beklagte erwidert:

118

Soweit die Klägerin nunmehr hinsichtlich der Vorwürfe zu III. 3. und III. 7. auf ein Büro- und Organisationsverschulden der Beklagten verweist, handele es sich um einen neuen, von der Disziplinarklage nicht umfassten Vortrag. Der Vorhalt zu III. 5. bezüglich der Verhaftungen sei konstruiert und ehrenrührig. Hinsichtlich der zu III. 6. vorgetragenen Überlastungsproblematik verkenne der Kläger, dass die Überlastungen nicht jeweils mit dem Ablauf des Jahres enden. Selbstverständlich gebe es Überhänge. Es sei falsch, dass Überlastungen aus wirtschaftlichen Gründen bei den Gerichtsvollziehern gewünscht gewesen seien. Die Beklagte habe ihre Überlastung wiederholt thematisiert, insbesondere gegenüber ihrer Direktorin, gegenüber dem Prüfungsbeamten und gegenüber dem Mitarbeiter der „T.-F.“ S.. Die Beklagte könne ihrer Direktorin nichts anzeigen, was diese nicht schon gewusst habe.

119

Abschließend verweist die Klägerin erneut auf die Notwendigkeit individueller Überlastungsanzeigen. Diese Frage müsse individuell nach Ausbildungsstand, Befähigung, praktischer Erfahrung und Übung, Gesundheitszustand und Alter des Beamten geprüft werden.

120

Mit Beschluss vom 20.09.2012 hat das Disziplinargericht den Kläger aufgefordert, die in der Disziplinarklage unter Punkt 10 und der Anlage III aufgeführten 2.436 Akten dem Disziplinargericht in der Reihenfolge der Darstellung in der Anlage III bis zum 22.10.2012 vorzulegen und die Verfahren, welche Gegenstand der Verurteilung der Beamtin im Urteil des LG Dessau-Roßlau vom 29.10.2009 zum Tatkomplex Wegegelder waren, in der Anlage III kenntlich zu machen. Auf den daraufhin vom Kläger abgegebenen Schriftsatz vom 02.10.2012 (GA, Bl. 208) und 18.10.2012 (GA, Bl. 271) mit der dazugehörigen Tabelle (GA, Bl. 209 – 334) wird verwiesen.

121

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie die der Verfahren 8 B 12/10 MD und 8 B 22/06 MD sowie die beigezogenen Verwaltungs-, Ermittlungs- und Zwangsvollstreckungsvorgänge verwiesen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

122

I.) Die Disziplinarklage ist zulässig.

123

Das behördliche Disziplinarverfahren oder die Klageschrift leiden nicht unter einem wesentlichen Mangel im Sinne von § 52 DG LSA oder einem sonstigen beachtlichen Verfahrensfehler.

124

1.) Der Kläger ist klagebefugt. Die oberste Dienstbehörde kann ihre Befugnisse nach § 34 Abs. 2 Satz 1 DG LSA durch allgemeine Anordnung ganz oder teilweise auf die ihr unmittelbar nachgeordneten Dienstvorgesetzten für deren Aufgabenbereich übertragen; die Anordnung ist zu veröffentlichen (§ 34 Abs. 2 Satz 2 DG LSA). Dies ist durch die allgemeine Anordnung des MJ vom 23.05.2006, Abschn. I, Ziff. 1 - 2030/01-101.8 - (MBl. LSA v. 19.06.2006) geschehen. Danach obliegt es dem Präsidenten des OLG die Disziplinarklagen gegen Beamte des einfachen, mittleren und gehobenen Dienstes einschließlich des Gerichtsvollzieherdienstes zu erheben. Die Beteiligung der obersten Dienstbehörde nach § 35 DG LSA ist geschehen. Nachdem das Ministerium der Justiz des Landes Sachsen-Anhalt den Disziplinarklageentwürfen unter dem 13.02.2007 und 14.07.2010 nicht zugestimmt hat, wurde dem Entwurf der Disziplinarklage vom 31.03.2011 mit Verfügung des MJ vom 19.04.2011 vorbehaltlich geringfügiger Änderungen zugestimmt.

125

2.) Der Begriff des wesentlichen Mangels im Sinne von § 52 DG LSA erfasst Verletzungen von Verfahrensregeln, die im behördlichen Disziplinarverfahren von Bedeutung sind (BVerwG zum gleichlautenden § 55 BDG; Urteil v. 29.07.2010, 2 A 4.09 mit Verweis auf Urteil v. 20.10.2005, 2 C 12.04; beide juris). Hierunter fallen Verstöße gegen verfahrensrechtliche Vorschriften und Rechtsgrundsätze, die den äußern Ablauf des behördlichen Disziplinarverfahrens bis zur abschließenden behördlichen Entscheidung, also bis zur Erhebung der Disziplinarklage oder bis zu dem Erlass einer Disziplinarverfügung, betreffen (BVerwG, Beschluss v. 31.01.2012, 2 WD 4.11; Urteil v. 29.07.2010, 2 A 4.09 mit Verweis auf Beschluss v. 18.11.2008, 2 B 63.08; zuletzt: VG Magdeburg, Urteil v. 29.11.2012, 8 A 12/11 und Urteil v. 13.12.2012, 8 A 7/11; alle juris).

126

Vorliegend rügt die Beklagte innerhalb der Frist nach § 52 Abs. 1 DG LSA, dass keine ausreichende Sachaufklärung erfolgt sei, die Beamtin nach Abschluss des Verfahrens nicht hinreichend angehört und von ihr benannte Zeugen nicht vernommen worden seien.

127

a.) Nach § 21 Abs. 1 Satz 1 DG LSA sind die zur Aufklärung des Sachverhaltes erforderlichen Ermittlungen durchzuführen. Es sind die belastenden wie die entlastenden Umstände zu ermitteln, die für die Bemessung einer Disziplinarmaßnahme bedeutsam sind (§ 21 Abs. 1 Satz 3 DG LSA). Die Aufklärungspflicht aller tatsächlicher Umstände von disziplinarrechtlicher Bedeutung orientiert sich an den Bemessungsregeln und -maßstäben im Sinne des § 13 DG LSA (vgl. BVerwG zu § 13 BDG, Urteil v. 27.01.2011, 2 A 5.09; juris).

128

Das Vorgehen des Klägers genügt diesen Anforderungen. Dabei rügt die Beklagte bereits nicht substantiiert, welche konkreten Ermittlungen sie bei der Aufklärung des Sachverhaltes vermisst. Soweit sie meint, dass ihre persönliche Situation, ihre stetige vom Dienstherrn billigend in Kauf genommene berufliche Überlastung und ihre hohen Erledigungsleistungen nicht hinreichend berücksichtigt worden seien, ist dies keine Frage der Sachverhaltsaufklärung sondern der rechtlichen Bewertung und hier insbesondere einer möglichen Milderung. Die disziplinarbehördlichen Ermittlungen haben sich nicht nur darauf beschränkt, die Tathandlungen der Beklagten festzustellen, sondern ziehen aus den von der Beklagten vorgetragenen Entlastungsgründen andere rechtliche Konsequenzen. Insoweit ist der vorliegende Fall nicht mit dem Sachverhalt zu vergleichen, welcher der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.01.2011 zugrunde lag (2 A 5.09; juris).

129

b.) Dem Anhörungsrecht nach § 30 DG LSA ist hinreichend genüge getan worden. Danach ist „nach Beendigung der Ermittlungen“ dem Beamten „Gelegenheit zu geben, sich abschließend mündlich oder schriftlich zu äußern“; § 20 Abs. 2 DG LSA gilt entsprechend. Die Anhörung kann (nur) unterbleiben, wenn das Disziplinarverfahren eingestellt werden soll. Letzteres ist vorliegend nicht geschehen.

130

Eine Verletzung der in § 30 Abs. 1 DG LSA (gleichlautend mit § 30 Satz 1 BDG) geregelten Pflicht zur abschließenden Anhörung ist als ein wesentlicher Verfahrensmangel anzusehen. § 30 Satz 1 DG LSA sichert den Anspruch des Beamten auf rechtliches Gehör im Sinne eines Rechts auf Information, Äußerung und Berücksichtigung. Er ist zudem Ausprägung des Grundsatzes, dass der Beamte nicht zum bloßen Objekt des Disziplinarverfahrens gemacht werden darf. Dieses Verständnis des Anspruchs auf rechtliches Gehör indiziert, dass sich die Anhörung des Beamten auf das weitere Disziplinarverfahren auswirken und für dieses von Bedeutung sein kann. Entsprechend hat der Gesetzgeber die Pflicht zur abschließenden Anhörung als zwingende Verfahrensvorschrift ausgestaltet, die leerlaufen würde, wenn das Gericht die Verletzung dieser Pflicht als für das Ergebnis des gerichtlichen Disziplinarverfahrens nicht relevant einstufen würde (BVerwG, U. v. 08.12.2010, 2 WD 24.09; OVG Bremen, B. v. 07.02.2012, DB A 78/10; beide juris).

131

Den behördlichen Disziplinarvorgängen kann nicht entnommen werden, dass der Beamtin oder ihrem Prozessbevollmächtigten ein dementsprechendes abschließendes Anhörungsrecht nach Beendigung der Ermittlungen ausdrücklich eingeräumt wurde. Dies scheint aber den Besonderheiten des Ermittlungsverfahrens hinsichtlich der gesetzlichen Veränderungen und dem Umfang der behördlichen Ermittlungen und Verfahren, die auch zur vorläufigen Dienstenthebung geführt haben, geschuldet gewesen zu sein.

132

Vorliegend ist das Disziplinarverfahren noch unter der Geltung der Disziplinarordnung Sachsen-Anhalt (DO LSA) mit Verfügung vom 28.02.2005 eingeleitet worden. Mit Verfügung vom 23.06.2005 wurde der Beamtin das Ergebnis der Ermittlungen mitgeteilt. Mit Disziplinarverfügung vom 08.09.2005 wurde ein disziplinarrechtlicher Verweis gegen die Beamtin erteilt. Dieser Verweis beinhaltete die Vorwürfe zu 2. (verspätete Auskehr), 3. (Sonderaktenführung; Textbausteine); 4. (Versteigerung F.). Wegen weiterer sich herausstellender Verdachtsmomente wurde dieser Verweis unter dem 05.10.2005 wieder aufgehoben und die Vorermittlungen entsprechend der neuerlichen Feststellungen im Prüfungsbericht vom 30.09.2005 (Gebührenüberhebung wegen Verhaftungsgebühr; Entnahme von Fremdgeldern {später nicht verfolgt}, Wegegelder, Zustellkosten, Dokumentenpauschalen; Verschleppung des Verfahrens {Sparkasse}) wurden erweitert. Am 17.03.2006 und 31.03.2006 wurden die disziplinarrechtlichen Vorermittlungen erneut erweitert. Das wesentliche Ergebnis der Vorermittlungen ist den Berichten vom 02.06.2006 und 03.07.2006 zu entnehmen und wurde der Beamtin taggleich mitgeteilt. Unter dem 23.06.2006 wurden die Vorermittlungen gemäß § 26 Abs. 4 DO LSA abgebrochen. Es wurde festgestellt, dass das förmliche Disziplinarverfahren einzuleiten ist. Der Beamtin und ihrem Prozessbevollmächtigten wurde unter dem 07.07.2006 mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, gemäß § 34 DG LSA Disziplinarklage zu erheben und sie Gelegenheit zur Stellungnahme erhalte.

133

Zu Recht wurde das im Jahr 2005 eingeleitete Disziplinarverfahren unter dem Regime des Disziplinargesetzes LSA nach dem 01.07.2006 fortgeführt (§ 81 Satz 3 DG LSA). Denn die Übergangsregelung in § 81 Abs. 4 Satz 1 DG LSA ist nicht einschlägig. Zwar hat die Disziplinarbehörde wenige Tage vor dem Inkrafttreten des Disziplinargesetzes, nämlich am 23.06.2006 festgestellt, dass ein förmliches Disziplinarverfahren - wie es nach der Disziplinarordnung LSA hieß - eingeleitet werden muss (vgl. § 26 Abs. 4 DO LSA). Nach § 33 DO LSA wird das förmliche Disziplinarverfahren durch schriftliche Verfügung der Einleitungsbehörde eingeleitet. Die Verfügung wird dem Beamten zugestellt. Die Einleitung wird mit der Zustellung an den Beamten wirksam (§ 33 Satz 4 DO LSA). Letzteres, also die Zustellung an die Beamtin ist jedenfalls nicht vor dem 01.07.2006 geschehen. Demnach sind seit dem 01.07.2006 die Regelungen des DG LSA anwendbar.

134

Wurde damit das „wesentliche Ergebnis der Ermittlungen“, welches dazu führte, das man ein förmliches Disziplinarverfahren nach der DO LSA einleiten wollte, der Beamtin mitgeteilt, sind den Erfordernissen des abschließenden Anhörungsrechts nach § 30 DG LSA genüge getan worden. Denn die Ermittlungen waren abgeschlossen. In der Folgezeit nahm der Prozessbevollmächtigte Akteneinsicht (August 2006) und der Bezirkspersonalrat wurde angehört (August 2006). Sodann wurde unter dem 14.11.2006 eine erste Disziplinarklage dem MJ LSA zur Zustimmung nach § 35 Abs. 1 Satz 1 DG LSA vorgelegt worden. Diese Disziplinarklage wurde vom MJ LSA unter dem 13.02.2007 bemängelt und zur Überarbeitung zurückgegeben. Ebenso die zweite Disziplinarklage vom 20.04.2007. Nachdem das Disziplinarverfahren gem. § 22 DG LSA wegen des anhängigen Strafverfahrens ausgesetzt wurde, vermochte das MJ LSA auch nach Fortsetzung des Verfahrens unter dem 14.07.2010 den Entwurf der Disziplinarklage immer noch nicht zuzustimmen. Das MJ LSA bemängelte insbesondere, dass die strafrechtliche Historie und die letztendlich durch das OLG A-Stadt erfolgte Einstellung des Strafverfahrens in der Disziplinarklage nicht hinreichend zum Ausdruck kommen. Schließlich wurde die nunmehr vorliegende Disziplinarklage vom 20.04.2011 unter dem 19.04.2011 vom MJ LSA gebilligt.

135

Eine erneute, allein wegen dieser zeitlichen Komponente ausdrückliche Anhörung nach § 30 DG LSA musste nicht durchgeführt werden. Nach der Gesetzesbegründung zu § 30 DG LSA bedingt die Durchführung der Anhörung eine „Mitteilung des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen“, was nach den allgemeinen Regeln des Verwaltungsverfahrensrechts selbstverständlich sei und deshalb im Gesetz nicht ausdrücklich erwähnt werde. Aufgrund des Gesamtzusammenhangs ist davon auszugehen, dass die in Kap. 2 Teil 3 (behördliches Disziplinarverfahren) genannten Handlungen, die die Durchführung des behördlichen Disziplinarverfahrens regeln, wie z. B. Beweiserhebung durchgeführt sein müssen. Demnach ist davon auszugehen, dass, wenn diese Handlungen durchgeführt sind, in der Regel die Erstellung des „wesentlichen Ergebnisses“ der Ermittlungen erfolgt und in einer in Kap. 3 genannten Abschlussentscheidung münden (Einstellung, Disziplinarverfügung, Disziplinarklage). Auch nach Zurückweisung der Disziplinarklage nach § 35 Abs. 1 DG LSA durch das MJ LSA fanden durch die Disziplinarbehörde keineneuen in Kap. 2 zur Durchführung des Disziplinarverfahrens genannten Maßnahmen statt, so dass der jeweiligen Überarbeitung der Disziplinarklage, § 30 DG LSA nicht im Wege steht. Daher ist entscheidend aber auch ausreichend, dass der Ermittlungsbericht des Ermittlungsführers der Beamtin oder ihrem Prozessbevollmächtigten zugegangen ist. Dies ist der Fall. Denn § 30 DG LSA setzt nicht etwa voraus, dass die fertige Disziplinarklage den Beamten vor Erhebung zur Kenntnis gegeben werden muss. Zudem waren die wesentlichen Disziplinarvorwürfe der Beamtin aufgrund der Verfahren bezüglich der vorläufigen Dienstenthebung bekannt. Denn diese waren auch Gegenstand des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Magdeburg - Disziplinarkammer - vom 24.01.2011 (8 B 12/10 MD).

136

c.) Dem disziplinarrechtlichen Schriftverkehr sind keine Beweisangebote oder Beweisanträge seitens der Beklagten zu entnehmen, so dass diesbezüglich auch keine Verletzung durch Nichtberücksichtigung vorliegen kann.

137

d.) Schließlich genügt die Disziplinarklage dem Bestimmtheitsgebot. Der diesbezügliche strafprozessuale Vorhalt, der zur prozessualen Aufhebung der Verurteilung durch das Oberlandesgericht A-Stadt führte, ist zur Überzeugung des Disziplinargerichts in der Disziplinarklage geheilt. Dabei muss aus der Klageschrift unmissverständlich hervorgehen, welche Sachverhalte angeschuldigt werden. Es ist erforderlich, aber auch ausreichend, wenn bei verständiger Lektüre aus der Klageschrift eindeutig hervorgehet, welche konkreten Handlungen den Beamten als Dienstvergehen zur Last gelegt werden (vgl. zum Ganzen: BVerwG, B. v. 20.12.2011, 2 B 59.11 m. w. Nachw.; juris). Die der Disziplinarklage beigefügte Tabelle zu dem Pflichtenverstoß Nr. 10 (Wegegelder) genügt der hinreichenden Konkretisierung. Denn es ist verständlich und nachvollziehbar, was damit gesagt und belegt werden soll. Zudem hat der Kläger nach Aufforderung durch das Disziplinargericht die Anlage III dahingehend weiter konkretisiert, dass er die dem Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau vom 29.10.2009 zugrunde gelegten Verfahren bezeichnet und im Übrigen dem Disziplinargericht vorgelegt hat.

138

II.) Die Disziplinarklage ist begründet. Die Beklagte hat ein schwerwiegendes innerdienstliches Dienstvergehen gemäß § 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG begangen, welches die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis nach sich zieht.

139

Beamte begehen ein Dienstvergehen, wenn sie schuldhaft die ihnen obliegenden Dienstpflichten verletzen (§ 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG). Die Disziplinarkammer ist davon überzeugt, dass die Beklagte die ihr unter Ziffern 2. b., 6, 7, 9 und 10 der Disziplinarklage zur Last gelegten Pflichtenverstöße begangen hat. Dadurch hat sie gegen ihre dienstlichen Pflichten zur uneigennützigen und gerechten Dienstausübung verstoßen und ist nicht der Achtung dem Vertrauen gerecht geworden die ihr Beruf erfordert (§§ 33, 34 BeamtStG). Dabei wiegt der Vorwurf unter Ziffer 10 (Wegegeldabrechnungen) schwer und dominierend. Die Pflichtverletzungen sind als sogenanntes einheitliches Dienstvergehen zu sehen und zu ahnden. Hinsichtlich der vorgehaltenen Pflichtenverstöße zu Ziffern 1, 2. a. und c., 3, 4, 5 und 8 der Disziplinarklage ist die Beamtin freizusprechen.

140

1.) Der unter 1. in der Disziplinarklage genannte Vorwurf der verspäteten Abgabe einer Stellungnahme zur Geschäftsprüfung im Prüfbericht vom 10.09.2004 trägt nicht. Zum einen kann bereits in der Akte nicht die in der Disziplinarklage genannte Aufforderung vom 28.09.2004 durch die Direktorin des Amtsgerichts K. aufgefunden werden und zum anderen hat die Beamtin unter dem 27.01.2005 (Beiakte F, Bl. 90) umfassend zu dem Prüfbericht Stellung genommen. Wenn überhaupt, dann handelt es sich um eine Verzögerung von ca. 4 Monaten. Dies kann nicht als disziplinarrechtlich relevanter Gehorsamsverstoß angesehen werden. Der Beamtin mag vorzuwerfen sein, dass sie nicht hinreichend mit der Dienstaufsicht kooperiert. Dies ist aber auch der Vielzahl der im Prüfbericht festgestellten Vorwürfe zurechenbar. Dementsprechend mag auch die Fristsetzung von einem Monat für die Stellungnahme zu den umfangreichen Vorwürfen als zu kurz bemessen anzusehen sein. Auch die in der Disziplinarverfügung genannten wiederholten und ausdrücklichen Aufforderungen durch die Direktorin des Amtsgerichts sind den Akten nicht zu entnehmen.

141

2.) Bezüglich des unter 2. in der Disziplinarklage erhobenen Pflichtenverstoßes ist zu unterscheiden. Bereits fraglich ist, was unter verspäteter Abführung an die Gläubiger zu verstehen ist. § 106 Nr. 1 GVGA lautet:

142

„Die empfangenen Leistungen liefert der Gerichtsvollzieher unverzüglich an den Gläubiger ab, sofern dieser nichts anderes bestimmt hat.“

143

„Unverzüglich“ bedeutet grundsätzlich „ohne schuldhaftes Zögern“. Dabei ist auf den Einzelfall abzustellen. In der Disziplinarklage werden 32 Fälle aus dem Jahre 2004 benannt. Dabei gehen die Differenztage von wenigstens 3 bis in einem Fall längstens 45 Tagen; weitere Fälle von 38, 35 und 31 Tagen. Die vom Kläger gebildete Durchschnittsüberschreitung von 17 Tagen kann bereits nicht Maßstab für die Fristenüberschreitung sein. Insoweit müsste jeder Einzelfall beleuchtet werden. Im Übrigen stammt dieser Vorwurf vom 10.09.2004 (Bl. 55 Beiakte F). Die Beamtin führt in ihrer diesbezüglichen Stellungnahme vom 27.01.2005 (Bl. 90 Rs Beiakte F) aus:

144

„Die verzögerten Überweisungsfristen liegen auch darin begründet, dass ich mit Diskette überweise und dadurch im Einzelnen Übertragungsfehler in den Daten der Überweisungen auftreten.

145

Dann führt meine Bank die Überweisungsliste nicht aus. Die gesamte Liste muss dann erneut erfasst werden, was Verzögerungen hervorruft.

146

Auch ist es schon passiert, dass die Überweisungsaufträge von meiner Bank verspätet ausgeführt wurden.

147

Dies ist auch eine Verzögerung, die ich nicht zu vertreten habe. Ich betone aber, dass dies keinesfalls die Regel ist und überall Menschen arbeiten, denen Fehler unterlaufen.

148

Ich werde künftig dafür Sorge tragen, Verzögerungen, die ich selbst zu vertreten habe, zu meiden.“

149

Demnach mögen hier in den unter Nr. 2. a) dargestellten Verfahren im Einzelfall Verspätungen feststellbar sein. Diese hält die Disziplinarkammer aber disziplinarrechtlich für nicht gravierend, weil es sich allenfalls um eine nachlässige Arbeitsweise handelt.

150

Schwerer wiegt der unter 2. b) erhobene Vorwurf hinsichtlich des am 19.03.2004 erzielten Versteigerungserlöses, welcher am 18.08.2004 noch nicht abgeführt war. Mithin liegt hier eine Überschreitung von fünf Monaten vor. Zu diesem Vorwurf verhält sich die Beklagte nicht.

151

Die unter Ziffer 2. c) dargestellten 11 Verfahren weisen unstreitig eine Überweisungsfrist zwischen 7 und 11 Tagen auf. Auch hier vermag die Disziplinarkammer nicht eindeutig zu entscheiden, ob ein Verstoß gegen die „Unverzüglichkeit“ vorliegt. Ein Vorwurf mag der Beamtin darin gemacht werden, dass sie trotz der Feststellungen in dem Prüfbericht aus dem Jahre 2004 weiterhin wenig Kontrolle ihrer Überweisungen an den Tag gelegt hat. Der Vorwurf der mangelnden Organisation wird aber nicht erhoben.

152

3.) Den unter 3. erhobenen Pflichtenverstoß vermag das Disziplinargericht nicht zu teilen. Der unter a) geführte Vorwurf pauschale und irreführende Textvordrucke benutzt zu haben, kann so nicht erhoben werden. Die Beamtin hat sich nur eines vorgefertigten Textbausteins bedient, um auf eine Vielzahl von gleichlautenden Sachstandsanfragen zu reagieren. Dagegen ist nichts einzuwenden. Dass diese Antworten in den aufgeführten fünf Verfahren unrichtig waren, weil die Vollstreckungsaufträge bereits erledigt waren, mag keinen Pflichtenverstoß begründen. Jedenfalls - und das ist entscheidend - ist nicht der mit der Disziplinarklage erhobene Vorwurf der Täuschung belegt.

153

4.) Der Vorwurf zu 4. ist zur Überzeugung des Gerichts nicht - hinreichend - erfüllt.

154

Nach § 1239 Abs. 1 Satz 1 BGB kann der Eigentümer bei der Versteigerung mitbieten. Satz 2 der Norm bestimmt, dass das Gebot des Eigentümers zurückgewiesen werden darf, wenn nicht der Betrag bar erlegt wird. Dementsprechend führt § 145 Nr. 2 b GVGA aus, dass der Schuldner bei der Versteigerung mitbieten kann; sein Gebot jedoch zurückzuweisen ist, wenn er nicht den Betrag sofort bar hinterlegt. Der Zuschlag darf nicht ohne vorherige Prüfung der Liquidität erfolgen.

155

Die Beklagte stellt den Vorgang in der Klageerwiderung vom 30.06.2011 so dar, dass sie nach dem Gebot die Versteigerung sofort unterbrochen habe und mit dem Schuldner und dem Zeugen H. in das Büro gegangen sei. Dort habe sich die Illiquidität des F. herausgestellt. Demgegenüber hat sie im diesbezüglichen Vermerk zur Versteigerung vom 19.03.2004 – also direkt nach der Versteigerung - ausgeführt, dass der F. den Zuschlag erhalten habe. Erst danach habe sie die Liquidität des F. überprüft. Dementsprechend könnte hier in der Tat eine falsche Sachbehandlung vorliegen. Denn Folge dieser Illiquidität des Schuldners war, dass die Versteigerung erneut durchgeführt werden musste und es dann nur zu einem Gebot von nur 20.000,00 Euro kam, wohingegen zuvor ein unter dem Gebot des F. in Höhe von 35.000,00 Euro liegendes - wohl zuschlagsfähiges - Gebot in Höhe von 33.000,00 Euro lag; demnach entstand eine Differenz von 13.000,00 Euro. Andererseits ist dem Gericht aus dem Eilverfahren zur vorläufigen Dienstenthebung (8 B 12/10 MD) bekannt, dass der am Versteigerungstermin teilgenommene Zeuge S. in einer Eidesstattlichen Versicherung angab, er habe ein Gespräch zwischen der Beklagten und dem Gerichtsvollzieher H. mitverfolgen können, dass geplant gewesen sei, den F. im Falle der Versteigerungsteilnahme sofort zu überprüfen. Dann heißt es aber in der E.V.; „Dazu ist es nicht gekommen, da der fragliche F. bei der Versteigerung bis zum Schluss nicht mitgeboten hat. Als Schlussbietender wurde er sofort in das Büro gebeten.“ Demnach ist es so, dass der F. als Schlussbieter nicht zuvor das Geld zeigen musste. Dies berücksichtigt die Disziplinarklage nicht hinlänglich genug.

156

5.) Der Gerichtsvollzieherin wird unter Ziffer 5 der Disziplinarklage vorgeworfen, dass sie entgegen der Gesetzeslage zur Abgabe der Eidesstattlichen Versicherung geladene Schuldner verhaftet hat, ohne ihnen zuvor Gelegenheit gegeben zu haben, die Eidesstattliche Versicherung freiwillig - ohne Verhaftung - abzugeben. Dabei steht in dem Vorwurf aber nicht die Verhaftung und damit Freiheitsberaubung im Vordergrund, sondern wohl die Erhebung zusätzlicher Kosten.

157

Ausgangslage ist also, dass der Schuldner verhaftet werden kann, wenn er die Eidesstattliche Versicherung ablehnt, um die Verhaftung als Druckmittel zu benutzen. Die Disziplinarklage führt aus, dass aus dem Protokoll zu dem Verfahren DR II 505/05 nicht ersichtlich sei, dass die Schuldnerin eben gerade vor der Verhaftung zur freiwilligen Abgabe der EV aufgefordert worden sei. Die Disziplinarklage geht aber weiter und interpretiert aus der fehlenden Aufnahme im Protokoll über die Befragung, dass davon auszugehen sei, dass die Schuldnerin noch im Verhandlungstermin mitwirkungsbereit gewesen sei und die Eidesstattliche Versicherung freiwillig habe abgeben wollen, da nicht dokumentiert sei, ob sie befragt worden sei, ob die Bereitschaft bestehe, die geforderte Eidesstattliche Versicherung freiwillig abzugeben. Diese Interpretation des Protokolls trägt den Disziplinarvorwurf nicht. Man mag der Gerichtsvollzieherin vorwerfen können, dass sie die Protokollierung nicht ordnungsgemäß vorgenommen habe. Dies ist aber gerade nicht Vorwurf der Disziplinarklage ist. Der Vorwurf ist vielmehr, dass unnötige Verhaftungen durchgeführt wurden, die zu unnötigen Kosten geführt haben; ein gänzlicher anderer Vorwurf.

158

Auch die weiteren in der Disziplinarklage genannten Verfahren betreffen die Nichtprotokollierung der freiwilligen Abgabe. Für sie gilt dasselbe.

159

6.) Der Beamtin wird unter 6. der Disziplinarklage vorgeworfen, in mindestens 57 Fällen aus den Jahren 2004, 2005 gegen ihre Pflicht zur unverzögerten Bearbeitung der Verfahren verstoßen zu haben. Dies sind alle samt Fälle, in denen der Schuldner nicht zur Abgabe der Eidesstattlichen Versicherung erschien, so dass die Akten zum Vollstreckungsgericht weitergereicht werden müssen. Dieses Verfahren ist in § 185 j GVGA geregelt. Entscheidend ist aber, dass dort keine Frist aufgeführt ist. Es heißt dort nur: „so legt der Gerichtvollzieher ... dem Vollstreckungsgericht ... vor“.

160

Auch der zitierte § 64 GVGA hilft nicht weiter. Denn die Disziplinarklage führt nur Satz 1 der Norm auf, wonach der Gerichtsvollzieher die Zwangsvollstreckung schnell und nachdrücklich durchführt. Dies kann nur als allgemeiner Grundsatz verstanden werden. Dass es davon Ausnahmen gibt, bestimmt schon Satz 2 der Norm und der letzte Satz der Norm, wonach nach Monatsfrist ein Aktenvermerk zu fertigen ist. Im Übrigen fällt bei den in der Disziplinarklage aufgeführten 57 Verfahren auf, dass die Beamtin nachweislich der Daten die Fälle gesammelt hat, um sie dann gebündelt beim Vollstreckungsgericht vorzulegen. So beinhalten alleine 50 Fälle das Eingangsdatum beim Vollstreckungsgericht vom 15.03.2005, wobei diese ganz überwiegend vom Termin am 16.11.2004 stammten.

161

So verbleibt ein nicht schwerwiegender Vorhalt der unverzögerten Bearbeitung der Verfahren festzustellen.

162

7.) Der unter Nr. 7. der Disziplinarklage vorgehaltene Vorwurf trifft zu. Die Beamtin hat in acht Fällen Zustellungen in Höhe von 5,60 Euro durch die Deutsche Post AG in Ansatz gebracht, obwohl die Zustellungen tatsächlich durch einen privaten Kurierdienst zum Preis von 4,47 Euro durchgeführt wurden. Unabhängig von der strafrechtlichen Bewertung liegt hier der disziplinarrechtlich relevante Pflichtenverstoß gegen die beamtenrechtliche Uneigennützigkeitspflicht vor.

163

8.) Der unter Nr. 8 der Disziplinarklage erhobene Vorwurf betrifft die Erhebung der sog. „Dokumentenpauschale“. Die Disziplinarklage führt aus, dass seit dem Jahre 2002 die Gerichtsvollzieherin in jedem Prüfungsprotokoll auf die falsche Sachbehandlung und Kostenberechnung hingewiesen worden sei. Dies bestreitet die Beamtin und trägt in der Klageerwiderung vor, dass sie erstmals in der Schlussbesprechung vom 10.09.2004 darauf hingewiesen worden wäre. In den Unterlagen sind die Prüfberichte 2002 nicht enthalten. Aufgrund der Ausführungen ist davon auszugehen, dass tatsächlich bezüglich dieser Erhebung gewisse Rechtsunsicherheiten und verschiedene Auslegungen bestanden. Dies führt die Gerichtsvollzieherin auch in ihrer Stellungnahme vom 27.01.2005 nachvollziehbar aus. Letztendlich - und dies ist auch zu bewerten - hat die Beamtin die überhöhten Kostenansätze in Höhe von insgesamt 432,00 Euro nach Aufforderung an die Landeskasse abgeführt.

164

9.) Im Zusammenhang mit dem Tatbestand des Urteils des Oberlandesgerichts A-Stadt vom 28.05.2008 erschließt sich der Vorhalt zu Ziffer 9 der Disziplinarklage. Zunächst wird der Beamtin in der Disziplinarklage vorgeworfen, in dem Verfahren DR II 617/04 (Kreissparkasse) nicht ordnungsgemäß protokolliert zu haben. Es wird angeführt, dass in der Akte ein unausgefüllter Protokollvordruck vom 24.03.2004 enthalten sei. Es sei nicht ersichtlich, welche Pfandstücke gepfändet worden seien. Im Juni 2004 sei dann gegen die Schuldnerin das Insolvenzverfahren mit Untersagung der Zwangsvollstreckung eröffnet worden. Auch nach Freigabe des Pfandgutes durch den Insolvenzverwalter im Februar 2005 sei erst durch den Dezernatsnachfolger der Beklagten im September 2005 ein Versteigerungstermin bestimmt worden. Wegen der Lagerung der gepfändeten Gegenstände seien hohe Lagerkosten entstanden, welche durch eine zeitnahe Versteigerung hätten verringert werden können. So fehle es an der Schätzung des Verkehrswertes des Pfandgutes und damit an einem Verhältnis zu den Lagerkosten. Die Lagerkosten betrugen wohl 7.531,30 Euro. Der spätere Verwertungserlös nur 600,00 Euro. Es kam zum Amtshaftungsanspruch, weshalb die Beamtin letztendlich vom Oberlandesgericht A-Stadt verurteilt wurde, an das Land Sachsen-Anhalt 1.373,69 Euro zu zahlen; hinsichtlich eines Betrages von 7.531,30 Euro an den Spediteur wurde die Amtshaftungsklage abgewiesen. In dem Urteil vom OLG A-Stadt (6 U 163/07) ist ausgeführt, dass die Gerichtsvollzieherin durch die nicht zeitnahe Anberaumung eines Versteigerungstermins ihre Amtspflichten verletzt, die Einlagerungskosten unnötig erhöht hat und ihr grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt.

165

Die Disziplinarkammer schließt sich aus den Gründen des Amtshaftungsurteils dem Disziplinarvorwurf an. Soweit die Beamtin der Einschätzung des Oberlandesgerichts A-Stadt zur groben Fahrlässigkeit widerspricht ist anzunehmen, dass mindestens Fahrlässigkeit vorliegt.

166

10.) Der Schwerpunkt der Disziplinarklage liegt auf dem schwerwiegenden Pflichtenverstoß zu Nr. 10. Hier werden der Beamtin falsch abgerechnete Wegegelder in Höhe von 7.146,59 Euro im Zeitraum Oktober 2001 bis Juli 2005 vorgehalten. Zur Überzeugung des Disziplinargerichts trifft dieser Vorwurf zu. Die Beamtin tritt dem auch nicht substantiiert entgegen.

167

Das Wegegeld wird nach § 37 Abs. 3 GvKostG (a. F.; bis 30.04.2001) und gemäß KV 711 GvKostG (n. F. ab dem 01.05.2001) nach Entfernungen berechnet. Gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 GvKostRNeuOG v. 19.04.2001 waren dann, wenn der Auftrag vor dem 01.05.2001 erteilt worden war, die Kosten nach § 37 Abs. 3 GKG a. F. zu erheben. Nr. 711 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtsvollzieherkostengesetz sieht ein

168

Wegegeld je Auftrag für zurückgelegte Wegstrecken

169

- bis zu 10 km von 2, 50 EUR

170

- von mehr als 10 km bis 20 km von 5,00 EUR

171

- von mehr als 20 km bis 30 km von 7,50 EUR

172

- von mehr als 30 km von 10,00 EUR

173

vor. Das Wegegeld wird erhoben, wenn der Gerichtsvollzieher zur Durchführung des Auftrags Wegstrecken innerhalb des Bezirks des Amtsgerichts, dem der Gerichtsvollzieher zugewiesen ist, oder innerhalb des dem Gerichtsvollzieher zugewiesenen Bezirks eines anderen Amtsgerichts zurückgelegt hat (Nr. 711 Abs. 1). Maßgebend ist die Entfernung vom Amtsgericht zum Ort der Amtshandlung, wenn nicht die Entfernung vom Geschäftszimmer des Gerichtsvollziehers geringer ist. Werden mehrere Wege zurückgelegt, ist der Weg mit der weitesten Entfernung maßgebend (Nr. 711 Abs. 2). Entscheidend ist, dass die Entfernung nach der Luftlinie zu messen ist (Nr. 711 Abs. 2 Satz 3).

174

a.) Gegen diese pauschalierte Wegegeldberechnung anhand der Luftlinie hat die Beklagte in den ihr vorgehaltenen Fällen verstoßen und damit nicht unerhebliche Beträge vereinnahmt, die ihr nicht zustanden. Exemplarisch sei dies an den Verfahren DR II 20/05 (Nr. 1 der Anlage III, S. 1 zu 2005 der Disziplinarklage) hinsichtlich des Ortes Z., DR II 51/05 (Nr. 3 der Anlage III, S. 1 zu 2005 der Disziplinarklage), hinsichtlich des Ortes T., DR II-79/05 (Nr. 6 der Anlage III; S. 1 für 2005 der Disziplinarklage) und hinsichtlich des Ortes K. gezeigt. Alle diese - wie auch die Übrigen in der Anlage III der Disziplinarklage genannten - Orte liegen zweifellos in unmittelbarer Nähe zu dem Dienstsitz der Beamtin bzw. Amtsgericht, wobei beide Örtlichkeiten identisch sind, in K., nämlich T. 4 km Luftlinie, Z. 5 km Luftlinie und K. 7 km Luftlinie entfernt. Auch bei Unterstellung, dass es in den Jahren 2001 bis 2005 noch keine geeigneten Entfernungsberechnungsprogramme im Internet gegeben haben sollte, lässt und ließ sich auch damals diese örtliche Nähe unzweifelhaft unter Verwendung einer Karte ersehen, berechnen und sogar abschätzen. Dies auch deswegen, weil der Beklagten Ortskenntnisse hinsichtlich der in ihrem Bezirk liegenden Ortschaften unterstellt werden darf. So liegt z. B. die Ortschaft G. unmittelbar an der Stadtgrenze von K., so dass eine Einschätzung von über 10 Kilometer, wie exemplarisch in den Fällen DR II 319/05 (Nr. 42 der Anlage III, S. 2 zu 2005 der Disziplinarklage) oder 323/05 (Nr. 44 der Anlage III, s. 2 zu 2005 der Disziplinarklage) geschehen, als ausgeschlossen erscheint. Wegen dieser objektiven Offensichtlichkeit der räumlichen Nähe dieser bis zu 10 Kilometer von K. entfernten und damit mit einem Wegegeld von 2,50 Euro abzurechnenden Ortschaften, handelte die Beklagte bei einer Abrechnung dieser Wegstrecken in Höhe von 5,00 Euro, weil eine Entfernung von mehr als 10 Kilometer bis 20 Kilometer vorliege, vorsätzlich und schuldhaft.

175

Ein Versehen, ein Irrtum, ein Vertun, eine Unachtsamkeit oder eine Fahrlässigkeit in Bezug auf die Entfernungsfestlegung erachtet die Disziplinarkammer unter diese objektiven Gegebenheiten als ausgeschlossen. Gegen diesen Einordnungsirrtum spricht auch, dass die Beklagte gleiche Orte überwiegend falsch, manchmal aber auch zutreffend abrechnete. Auch bei Unterstellung einer einmaligen, erstmaligen Fehleinschätzung der Entfernung hätte der Beklagten aufgrund der beschriebenen Offensichtlichkeit der Entfernungen dieser Irrtum bei der Vielzahl der vorgehaltenen und dann immer wieder kehrenden Kilometerangabe bewusst werden müssen. Daher würde die Beklagte auch die Verwendung einer von ihr - fehlerhaft - angefertigten Wegegeldtabelle nicht entlasten. Vielmehr wollte die Beklagte mit der Falschberechnung höhere Wegegelder abrechnen, welche aufgrund der Vielzahl der Fälle und über die Jahre gerechnet die als nicht unerheblich anzusehenden überhöhten Wegegelder ergaben. Hinter der Abrechnung stand System und war nicht nur auf wenige Einzelfälle und einem kurzen Zeitraum beschränkt.

176

b.) Dagegen sieht die Disziplinarkammer die der Beklagten vorgehaltene Abrechnung „nicht entstandener Wegegelder“ als nicht bewiesen an. Denn soweit die Beklagte ausführt, es habe jeweils Fahrten zu den Schuldnern gegeben, ist ihr dies allein wegen ihrer mangelnden Nachweisführung nicht mit der notwendigen Gewissheit zu widerlegen. So mag es sein, dass sie die Schuldner in den jeweiligen Ortschaften aufgesucht hat, so dass das Wegegeld entstanden ist, die Zahlung aber unter ihrem Dienstsitz in K. quittiert hat.

177

III.) Die Beklagte hat die in einem inneren zeitlichen und sachlichen Zusammenhang stehenden Pflichtverletzungen im Sinne eines einheitlich zu bewertenden innerdienstlichen Dienstvergehens (vgl. zur Einheit des Dienstvergehens nur: VG Magdeburg, Urteil v. 04.11.2009, 8 A 19/08 m. w. Nachw.; juris) vorsätzlich und schuldhaft begangen.

178

1.) Hinsichtlich der auszusprechenden Disziplinarmaßnahme ist die Schwere des Dienstvergehens unter angemessener Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten richtungsweisend (vgl. § 13 DG LSA). Die Schwere beurteilt sich nach objektiven Handlungsmerkmalen wie Eigenart und Bedeutung der Dienstpflichtverletzungen, den besonderen Umständen der Tatbegehung sowie Häufigkeit und Dauer eines wiederholten Fehlverhaltens, nach subjektiven Handlungsmerkmalen wie Form und Gewicht des Verschuldens des Beamten, den Beweggründen für sein Verhalten sowie nach den unmittelbaren Folgen für den dienstlichen Bereich und für Dritte. Davon ausgehend kommt es darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung im Einzelfall derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die durch die Schwere des Dienstvergehens indizierte Maßnahme geboten ist. Eine vollständige und richtige Gesamtwürdigung setzt voraus, dass die Disziplinarkammer die im Einzelfall bemessungsrelevanten, d. h. die für die Schwere des Dienstvergehens und das Persönlichkeitsbild bedeutsamen Tatsachen ermittelt und mit dem ihnen zukommenden Gewicht in die Gesamtbewertung einbezieht. Dies entspricht dem Zweck der Disziplinarbefugnis des Disziplinargerichts als einem Mittel der Funktionssicherheit des öffentlichen Dienstes. Dabei findet der Grundsatz „in dubio pro reo“ Anwendung. Die Disziplinargerichte dürfen nur solche belastenden Tatsachen in die Gesamtwürdigung einstellen, die zur Überzeugung des Gerichts feststehen. Demgegenüber müssen entlastende (mildernde) Umstände schon dann zu Gunsten des Beamten berücksichtigt werden, wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für ihr Vorliegen gegeben sind und eine weitere Sachverhaltsaufklärung nicht möglich ist (vgl. nur: VG Magdeburg, Urteil v. 29.11.2012, 8 A 12/11 und Urteil v. 27.10.2011, 8 A 2/11 mit Verweis auf BVerwG, U. v. 27.01.2011, 2 A 5.09; jüngst BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11/10, OVG Lüneburg, Urteil v. 14.11.2012, 19 LD 4/11; alle juris).

179

Für das danach zu findende Disziplinarmaß können die vom Disziplinarsenat des Bundesverwaltungsgerichts für bestimmte Fallgruppen herausgearbeiteten Regeleinstufungen von Bedeutung sein. Davon ausgehend kommt es für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung im Einzelfall derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die durch die Schwere des Dienstvergehens indizierte Disziplinarmaßnahme geboten ist (BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11/10 mit Verweis auf Urteile v. 20.10.2005, 2 C 12.04 und v. 03.05.2007, 2 C 9.06, alle juris).

180

Ein endgültiger Verlust des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit im Sinne von § 13 Abs. 2 Satz 1 DG LSA ist anzunehmen, wenn aufgrund der prognostischen Gesamtwürdigung auf der Grundlage aller im Einzelfall bedeutsamen be- und entlastenden Gesichtspunkte der Schluss gezogen werden muss, der Beamte werde auch künftig in erheblicher Weise gegen seine Dienstpflichten verstoßen oder die durch sein Fehlverhalten herbeigeführte Schädigung des Ansehens des Berufsbeamtentums sei bei einer Fortsetzung des Beamtenverhältnisses nicht wiedergutzumachen. Unter diesen Voraussetzungen muss das Beamtenverhältnis im Interesse der Leistungsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und der Integrität des Berufsbeamtentums beendet werden (BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11.10 mit Verweis auf Urteile v. 20.10.2005, 2 C 12.04, v. 03.05.2007, 2 C 9.06 und v. 29.05.2008, 2 C 59.07; alle juris).

181

2.) Setzt sich das (einheitliche) Dienstvergehen aus mehreren Dienstpflichtverletzungen zusammen, bestimmt sich die zu verhängende Disziplinarmaßnahme in erster Linie nach der schwersten Verfehlung (BVerwG, Urteil v. 23.02.2005, 1 D 1.04; juris). Dies ist vorliegend zweifellos die Falschabrechnung der Wegegelder, mithin eine Gebührenüberhebung. Damit hat die Beklagte jedenfalls gegen ihre beamtenrechtliche Pflicht zur Uneigennützigkeit nach § 34 Satz 2 in Verbindung mit der sogenannten Wohlverhaltenspflicht nach § 34 Satz 3 BeamtStG verstoßen.

182

3.) Verstöße gegen die Uneigennützigkeit werden in der Rechtsprechung der Disziplinargerichte seit jeher als sehr schwerwiegend eingestuft. Denn die uneigennützige, nicht auf den privaten Vorteil bedachte Führung der Dienstgeschäfte stellt eine wesentliche Grundlage des Berufsbeamtentums dar. Im Hinblick darauf ist die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis jedenfalls dann Richtschnur für die Bestimmung der angemessenen Disziplinarmaßnahme, wenn erhebliche Geldzahlungen geflossen sind (vgl. zusammenfassend: BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11.10; juris). Zudem ist disziplinarrechtlich entscheidend, ob der Verstoß gegen die Uneigennützigkeit aufgrund einer besonderen Vertrauensstellung des Beamten beruht, das heißt, ob etwa ein Zugriff auf dienstlich anvertraute Gelder oder ein nicht unter Ausnutzung der dienstlichen Vertrauensstellung verübtes (Betrugs-)Delikt vorliegt (BVerwG, Beschluss v. 20.12.2011, 2 B 64.11, juris).

183

Dabei hängt die disziplinarrechtliche Einstufung als Zugriffsdelikt nicht von der strafrechtlichen Beurteilung ab. Es kommt nicht darauf an, ob ein Beamter dienstliche Gelder oder Güter z. B. durch Betrug, Diebstahl, Untreue oder Unterschlagung erlangt hat. Ein Zugriffsdelikt liegt vielmehr dann vor, wenn der Beamte dienstlich anvertraute Gelder und Güter veruntreut hat, wozu auch die Gebührenüberhebung, die Fundunterschlagung und der sogenannte Kollegendiebstahl zählen. Für die Bewertung als Zugriffsdelikt ist entscheidend, dass einem Beamten Gelder oder gleichgestellte Werte dienstlich anvertraut oder dienstlich zugänglich sind (BVerwG: stRspr; vgl. Urteil v. 8. 04.2003, 1 D 27.02; juris). Ein Beamter, der sich bei der Ausübung seiner dienstlichen Tätigkeit an Vermögenswerten vergreift, die seinem Gewahrsam unterliegen, zerstört damit in aller Regel das für die Fortdauer des Beamtenverhältnisses notwendige Vertrauen in seine Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit, wenn die Beträge insgesamt die Schwelle der Geringwertigkeit deutlich überschreiten. Denn die Verwaltung ist auf die Redlichkeit und Zuverlässigkeit ihrer Bediensteten beim Umgang mit solchen Geldern und Gütern in hohem Maße angewiesen. Eine ständige und lückenlose Kontrolle eines jeden Mitarbeiters ist unmöglich und muss deshalb weitgehend durch Vertrauen ersetzt werden. Wer diese für das Funktionieren des öffentlichen Dienstes unabdingbare Vertrauensgrundlage zerstört, muss grundsätzlich mit der Auflösung des Beamtenverhältnisses rechnen (BVerwG, Urteile v. 20.10.2005, 2 C 12.04, v. 03.05.2007, 2 C 9.06, v. 25.10.2007, 2 C 43.07, v. 29.05.2008, 2 C 59.07; alle juris).

184

Diese Grundsätze gelten erst recht für einen als Gerichtsvollzieher beschäftigten Beamten. So stellt z. B. die Eigenverwendung dienstlich anvertrauter Gelder gerade bei einem Gerichtsvollzieher ein schwerwiegendes Dienstvergehen dar, welches regelmäßig zur Dienstentfernung führt (vgl.: BVerwG, Urteil v. 20.10.2005, 2 C 12.04; VG Karlsruhe, Urteil v. 01.04.2010, DL 13 K 1892/09; juris). Denn diesem ist als hoheitlich handelndes Organ der Zwangsvollstreckung eine besonders verantwortungsvolle Aufgabe übertragen, die er in weitem Umfang eigenverantwortlich und selbständig ausübt, mit der Folge, dass dem Dienstherrn nur eine vergleichsweise eingeschränkte Kontrolle seiner Tätigkeit möglich ist. Dem Gerichtsvollzieher obliegt es nach §§ 753 Abs. 1, 754 ZPO, im Auftrag, d.h. auf Antrag der Gläubiger, die Zwangsvollstreckung durchzuführen, soweit diese nicht den Gerichten zugewiesen ist. Entsprechend der Art der ihm übertragenen Aufgaben, die im Interesse einer zweckmäßigen und effektiven Erledigung der Vollstreckungsaufträge eine gewisse Flexibilität erfordern, ermöglichen die Vorschriften der Gerichtsvollzieherordnung - GVO - und der Geschäftsanweisung für Gerichtsvollzieher - GVGA - dem Gerichtsvollzieher, seine Tätigkeit weitgehend eigenverantwortlich und selbständig auszuüben (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.04.1982, a. a. O.; Bay. VGH, Beschl. v. 15.01.2009, 3 ZB 08.818; OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 15.06.2009 - 4 B 52.08 -, juris). Der Gerichtsvollzieher regelt seinen Geschäftsbetrieb nach eigenem pflichtgemäßen Ermessen, soweit hierüber keine besonderen Bestimmungen bestehen (§ 45 Nr. 1 GVO), muss grundsätzlich an seinem Amtssitz ein Geschäftszimmer auf eigene Kosten halten (§ 46 Nr. 1 Satz 1 GVO), ist verpflichtet, Büro- und Schreibhilfen auf eigene Kosten zu beschäftigen, soweit es der Geschäftsbetrieb erfordert (§ 49 GVO), kann grundsätzlich Zeitpunkt und Reihenfolge der Erledigung der Vollstreckungsaufträge bestimmen (§ 6 GVGA) und führt den Schriftverkehr unter eigenem Namen mit Amtsbezeichnung (§ 53 Nr. 1 GVO). Er handelt bei der ihm zugewiesenen Zwangsvollstreckung selbständig (§ 58 Nr. 1 Satz 1 GVGA), wobei er zwar der Aufsicht, aber nicht der unmittelbaren Leitung des Gerichts unterliegt (§ 58 Nr. 1 Satz 2 GVGA). Es ist die zentrale Aufgabe des Gerichtsvollziehers, im Auftrag der Gläubiger die Zwangsvollstreckung in das bewegliche Vermögen der Schuldner vorzunehmen (vgl. § 808 Abs. 1 ZPO). Gepfändetes Geld hat er nach § 815 Abs. 1 ZPO an die Gläubiger abzuliefern. Der Gerichtsvollzieher hat bezüglich des Vollstreckungsauftrags gegenüber den Gläubigern die ihm kraft Gesetzes obliegende Pflicht, deren Vermögensinteressen wahrzunehmen (sog. Vermögensbetreuungspflicht; vgl. Lenckner/Perron in Schönke/Schröder, StGB, 26. Auflage, § 266, Rn. 25; BGH, Urt. v. 20.10.1959 - 1 StR 446/59 -, NJW 1960, 52; OLG Celle, Beschluss v. 03.04.1990, 1 Ss 48/90; juris). Wenn ein Gerichtsvollzieher gegen diese Kernpflichten verstößt, zerstört er in der Regel die für die geordnete Vollstreckung unabdingbare Vertrauensgrundlage, weshalb er im Regelfall nicht mehr Beamter bleiben kann (VG Karlsruhe, a. a. O.).

185

4.) Die Disziplinarkammer sieht vorliegend keine Besonderheiten und Entlastungsgründe des Einzelfalls, die es rechtfertigen, die von der Schwere des Dienstvergehens ausgehende Indizwirkung abzumildern. Dies ist dann der Fall, wenn zu Gunsten des Beamten gewichtige Entlastungsgründe (Milderungsgründe) zu berücksichtigen sind, die den Schluss rechtfertigen, dass das dem Beamten vom Dienstherrn und der Allgemeinheit entgegengebrachte Vertrauen noch nicht endgültig verloren ist. Solche Gründe stellen zum einen die von der Rechtsprechung bezüglich der sog. Zugriffsdelikte entwickelten und anerkannten Milderungsgründe dar, die besondere menschliche Konfliktsituationen beschreiben. Hierzu zählen etwa das Handeln in einer existenziellen wirtschaftlichen Notlage oder einer körperlichen oder psychischen Ausnahmesituation oder besonderen Versuchssituationen oder eine persönlichkeitsfremde Einzelverfehlung des Beamten wie auch „Entgleisungen“ während einer negativen, inzwischen überwundenen, durch Alkohol, Drogen oder Schicksalsschlägen bedingte Lebensphase. Der Milderungsgrund der Geringwertigkeit eines verursachten Schadens oder des geldlichen Vorteils der Handlung wird bei etwa 50,00 Euro gezogen. Auch besondere die Dienstpflichtverletzung begünstigende Handlungen und mangelnde Kontrollen des Dienstherrn können im Einzelfall wie ein besonderes Nachtatverhalten die Schwere der Verfehlung mildern. Zeitlich überlange Disziplinarverfahren können wegen des disziplinarrechtlichen Beschleunigungsgebotes und der mit dem Disziplinarverfahren verbundenen persönlichen Belastungen jedenfalls bei Maßnahmen der Pflichtenmahnung berücksichtigt werden. Entlastungsgründe können sich aber zum anderen auch aus allen Besonderheiten ergeben, die es im Einzelfall wegen der persönlichkeitsbedingten an § 13 DG LSA zu orientierenden Prognoseentscheidung gebieten, von der disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahmen Abstand zu nehmen. Die entlastenden Gründe sind nicht (mehr) allein auf den in der Rechtsprechung entwickelten Kanon der anerkannten Milderungsgründe beschränkt (BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11.10, m. w. Nachw.; juris). Diese Besonderheiten müssen aber in ihrer Gesamtheit geeignet sein, die Schwere des Pflichtenverstoßes erheblich herabzusetzen. Generell gilt, dass das Gewicht der Entlastungsgründe umso größer sein muss, je schwerer das Delikt aufgrund der Schadenshöhe sowie der Tatumstände, wie Anzahl, Häufigkeit, Zeitraum, Verschiedenartigkeit und Tatausführung wiegt (im Ganzen ausführlich: VG Magdeburg, Urt. v. 29.11.2012, 8 A 12/11, v. 31.03.2011, 8 A 2/10 MD und v. 27.10.2011, 8 A 2/11, mit Verweis auf BVerwG, Urt. v. 24.05.2007, 2 C 28.06, Urt. v. 06.06.2007, 1 D 2.06, Urt. v. 29.05.2008, 2 C 59.07; Bayr. VGH, Urt. v. 27.10.2010, 16 aD 09.2470; OVG Lüneburg, Urt. v. 08.02.2011, 6 LD 4/08; alle juris).

186

a.) Grundsätzlich erscheint im Einzelfall auch eine dienstliche Überlastung als Milderungsgrund geeignet. Dies übersieht das Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt in dem Beschluss zur vorläufigen Dienstenthebung vom 19.07.2007 (10 M 1/07), wonach die zahlreichen Verstöße gegen die einer Gerichtsvollzieherin obliegenden Dienstpflichten bereits für sich genommen ein Versagen im Kernbereich begründen, ohne dass dieses allein mit dem Hinweis auf die dienstliche Belastung zu rechtfertigen sei. Auch wenn ein Beamter die Vielzahl seiner Dienstgeschäfte fehlerhaft ausführt und es sich hier um schwerwiegende Dienstverletzung handelt, so sind Arbeitsüberlastung, außerdienstliche Probleme, die Tatsache, dass die Fehler kaum in die Öffentlichkeit gedrungen sind und die bisherige einwandfreie Dienstführung, die erwarten lässt, dass die Beamtin künftig fehlerfrei arbeitet, mildernd zu berücksichtigen (OVG NRW, U. v. 24.06.1983, 2 V 14/81; dort nur Gehaltskürzung; juris). Nicht jeder einzelne Fehler bei der Dienstausübung ist gleichzusetzen mit einer schuldhaften Verletzung dienstlicher Pflichten. Denn die Pflicht zur ordnungsgemäßen Dienstausübung hat eine im Ganzen durchschnittliche Leistung zum Gegenstand. Dies schließt gewisse Mängel der Arbeitsweise ein, wie sie selbst bei sehr fähigen und ausgesprochen zuverlässigen Beamten vorkommen können (vgl.: VG Magdeburg, U. v. 08.06.2011, 8 A 16/10 MD mit Verweis auf VG Düsseldorf, U. v. 04.03.2009, 31 K 5472/08.O; juris).

187

Festzustellen ist aber zum einen, dass vorliegend die Unzulänglichkeiten zu den Tatbeständen der Unverzüglichkeit wiederholt von dem Prüfbeamten gerügt wurden und die Beklagte diese zum Teil nicht mit der gebotenen Sorgfalt und Hingabe beachtet hat. Denn ihre Dienstausübung wies Mängel in der strukturellen Arbeitsorganisation auf, die nicht Folgenlos blieben. Zum anderen sind Anhaltspunkte für eine dienstliche Überlastung und Überforderung der Beamtin nicht von der Hand zu weisen, was auch das Landgericht Dessau-Roßlau in seinem Urteil vom 29.10.2009 feststellte. Die Direktorin des Amtsgericht K. führte in ihrem - später aufgehobenen - disziplinarrechtlichen Verweis vom 08.09.2005 aus, das „im Zeitraum der festgestellten Pflichtverletzungen unbestritten {eine} übermäßige Arbeitsbelastung“ vorlag und „auch bei hoher Arbeitsbelastung“ erwartet werde, die Dienstpflichten einzuhalten.

188

Mag daher eine dienstliche Überlastung als „Entschuldigung“ für die aufgrund einer mangelnden Arbeitsweise und damit organisationsbedingten Pflichtenverstöße herangezogen werden können, gilt dies aber nicht für die Gebührenüberhebung (Wegegelder). Denn die von der Beklagten vorgenommene Gebührenüberhebung beruhte auf einem vorsätzlichen Handeln zur Erschließung einer zusätzlichen Einnahmequelle. Ansonsten hätte es auch Fälle geben müssen, in denen sich die Beklagte zu Gunsten der Schuldner verrechnet bzw. zu geringe Wegegelder angesetzt hätte.

189

b.) Aus dem gleichen Grund kann sich die Beklagte zu ihrer Entlastung auch nicht darauf berufen, der Dienstherr habe sie unzureichend kontrolliert oder sie im guten Glauben ihrer fehlerhaften Abrechnung gelassen.

190

Das Bundesverwaltungsgericht hat erneut in dem Urteil vom 15.03.2012 (2 WD 9.11; juris) ausgeführt, dass sich eine unzureichend ausgeübte Dienstaufsicht mildernd auswirken kann. Nach der Rechtsprechung setzt der Milderungsgrund der mangelnden Dienstaufsicht jedoch eine Überforderungssituation voraus, in der ein hilfreiches Eingreifen der Dienstaufsicht erforderlich ist; also eine dienstaufsichtliche Begleitung. Hier muss man zwischen „Überlastung“ und „Überforderung“ unterscheiden. Mit einer „Überlastung“ aufgrund hoher Arbeitsbelastung kann nicht die Begehung von Straftaten begründet werden. „Überforderung“ heißt, dass der Beamte z. B. hinsichtlich der Auslegung einer strittigen Rechtsfrage im Dienst allein gelassen wird und ihm später sein - falsches - Handeln zum Vorwurf gemacht wird. So versucht sich die Beamtin damit zu rechtfertigen, dass die Berechnung der Wegegelder nach der Änderung schwierig und kompliziert gewesen sei und sie eine von ihr erstellte Tabelle der Dienstaufsicht überlassen habe und zudem aufgrund des gegen sie geführten Disziplinarverfahrens, später die Kollegen mit Wegegeldtabellen versorgt worden seien. Dies vermag die Beamtin nicht zu entlasten. Denn wie - wiederholt - ausgeführt wurde handelt es sich bei der Einordnung der Entfernung nach der Luftlinie um keine schwierige Angelegenheit, welche die Gerichtsvollzieher überforderte und daher einer „Anweisung“ bzw. „Begleitung“ durch die Dienstaufsicht nicht bedurfte. Zudem haben andere Gerichtsvollzieher korrekt abgerechnet. Die Beklagte hat die fehlende Kontrolle vielmehr ausgenutzt und über lange Jahre falsch abgerechnet. Auch ein „verleiten“ zur Tat im Sinne einer Mittäterschaft durch die Dienstaufsicht ist aufgrund der fehlenden Kontrollen nicht gegeben. Dies ist eher bei einem „klassischen“ Zugriffsdelikt möglich, wenn etwa eine „offene Kasse“ zum Diebstahl verleitet. Es macht einen Unterschied, ob die Gerichtsvollzieherin vorsätzlich falsche Entfernungspauschalen ansetzt oder ob der die Gerichtsvollzieherin prüfende Beamte dies - neben anderen zu prüfenden Angaben - nicht erkennt. Wegen der fehlenden Entdeckung der Falschangaben durch die Dienstaufsicht kann auch nicht von „geduldeten Verhältnissen“ (vgl. dazu: BVerwG, Urteil v. 25.10.1977, I D 76.76; juris) ausgegangen werden.

191

c.) Auch die zugegeben lange Dauer des Disziplinarverfahrens noch das lange Zurückliegen des Dienstvergehens rechtfertigen es, von der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis abzusehen, wenn diese Maßnahme geboten ist. Dies steht auch der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte oder den Vorschriften des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24.11.2011 nicht entgegen (ständige Rechtsprechung BVerwG: vgl. nur zuletzt: Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11/10; bestätigt durch BVerfG, Beschluss v. 28.01.2013, 2 BvR 1912/12; beide juris). Zwar kann eine pflichtenmahnende Disziplinarmaßnahme in diesen Fällen unvereinbar mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit werden. Bei Fortbestand des Beamtenverhältnisses kann das durch ein Dienstvergehen ausgelöste Sanktionsbedürfnis gemindert werden oder sogar entfallen, weil die mit dem Disziplinarverfahren verbundenen wirtschaftlichen und dienstlichen Nachteile positiv auf den Beamten eingewirkt haben, so dass sie eine günstigere Persönlichkeitsprognose ermöglichen. Demgegenüber geht es bei der Dienstentfernung darum, das Beamtenverhältnis in Fällen besonders schwerwiegender Dienstvergehen zu beenden, weil der Beamte im öffentlichen Dienst untragbar geworden ist. An dem endgültigen Vertrauensverlust, den er durch sein Fehlverhalten herbeigeführt hat, vermögen eine lange Verfahrensdauer oder ein langes Zurückliegen des Dienstvergehens nichts zu ändern. Das verlorene Vertrauen kann nicht durch Zeitablauf wiederhergestellt werden (BVerfG, Beschl. v. 04.10.1977, 2 BvR 80/77; Beschl. v. 09.08.2006, 2 BvR 1002/05; alle juris). Diesen Unterschied hat der Gesetzgeber auch dadurch zum Ausdruck gebracht, dass er in § 15 DG - wie BDG - die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis im Gegensatz zu allen anderen Disziplinarmaßnahmen vom Maßnahmeverbot wegen Zeitablaufs ausgenommen hat (vgl. zusammenfassend: BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11/10; juris).

192

5.) In diesem Sinne durchgreifende besondere Umstände, die ein Absehen von der schwerwiegendsten und eine mildere Disziplinarmaßnahme rechtfertigen würden, vermag das Disziplinargericht nicht zu erkennen. Aufgrund des langjährigen, vorsätzlichen und zudem schuldhaften Handelns hinsichtlich der Gebührenüberhöhung kann nicht von einer einmaligen Gelegenheitstat oder einem persönlichkeitsfremden „Ausrutscher“ ausgegangen werden. Sonstige Gründe, die das Gericht in die Lage der möglichen Berücksichtigung derartiger Milderungsgründe setzt, sind von der Beklagten nicht vorgetragen worden und auch nicht erkennbar. Die nach alledem dienstrechtlich notwendige Entfernung aus dem Dienst verstößt auch nicht gegen das Verhältnismäßigkeitsgebot. Denn diese disziplinarrechtliche Höchstmaßnahme ist die einzige Möglichkeit, dass durch den Dienstherrn sonst nicht lösbare Dienstverhältnis einseitig zu beenden. Die darin liegende Härte für den Betroffenen ist nicht unverhältnismäßig. Sie beruht vielmehr auf einem ihm zurechenbaren Verhalten (BVerwG, Urteil v. 21.06.2000, 1 D 49.99; juris).

193

6.) Die Kostenentscheidung folgt aus § 72 Abs. 1 Satz 1 DG LSA. Das Verfahren ist gem. § 73 Abs. 1 Satz 1 gebührenfrei.


Tatbestand

1

Die Klägerin betreibt die Disziplinarklage gegen den im Rang eines Polizeiobermeisters (BesGr. A 8 BesO) stehenden beklagten Polizeivollzugsbeamten mit dem Ziel seiner Entfernung aus dem Dienst.

2

Der 1963 geborene Polizeibeamte erlernte nach dem Besuch der Polytechnischen Oberschule von 1980 bis 1982 den Beruf des Zerspaners. Anschließend diente er bis 1989 als Berufssoldat in der NVA. Es schloss sich eine fünfmonatige Tätigkeit in seinem Beruf und bis 1991 eine Tätigkeit als Viehpfleger an. Nach mehreren Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen wurde der Beklagte in den Polizeidienst des Landes Sachsen-Anhalt eingestellt und 1993 zum Beamten auf Probe ernannt. Es folgte 1995 die Lebenszeiternennung und im Jahre 2001 die Beförderung in sein jetziges statusrechtliches Amt. Bei der A. ist der Beamte als Einsatz- und Streifenbeamter im Revierkommissariat S. sowie im Revierkommissariat S. eingesetzt.

3

Der Beamte ist geschieden und hat sechs Kinder. Er erhält Dienstbezüge in Höhe von 2.528,59 Euro brutto. Abzüglich Steuern, Solidaritätszuschlag und Pfändungen bekommt der Beamte monatlich 1.652, 81 Euro ausgezahlt. Die letzte dienstliche Beurteilung für den Zeitraum 2007 bis 2009 schloss mit 225 Punkten mit der Gesamtnote „befriedigend“.

4

Seit dem 15.12.2009 ist der Beamte wegen der hier streitgegenständlichen Vorkommnisse unter einer Kürzung von 5 % seiner Dienstbezüge vorläufig des Dienstes enthoben.

5

Mit der Disziplinarklage vom 12.06.2012 (eingegangen 15.06.2012) wird der Beamte angeschuldigt, dadurch ein Dienstvergehen gemäß § 47 Abs. 1 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) begangen zu haben, indem er:

6

1. am 06.09.2007 trotz dienstlicher Anweisung seinen Dienst nicht im damaligen Polizeirevier C-Stadt, sondern im Revierkommissariat S. durchgeführt, damit die Einsatzbereitschaft im Polizeirevier C-Stadt gefährdet und somit gegen die Gehorsamspflicht gemäß § 35 Satz 2 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) und gegen die Pflicht zu vollem persönlichen Einsatz im Beruf gemäß § 34 Satz 1 BeamtStG verstoßen hat,

        
7

2. eingenommene Verwarngeld der in Höhe von 135,00 Euro am 24.11.2009 gemäß § 246 Strafgesetzbuch (StGB) unterschlagen, vorgeschriebene Eintragungen auf dem ihm anvertrauten Verwarngeldblock Nr. 88703 unterlassen und damit gegen seine Pflicht zur Uneigennützigkeit gemäß § 34 Satz 2 BeamtStG, gegen seine Wohlverhaltenspflicht gemäß § 34 Satz 3 BeamtStG und gegen seine Gehorsamspflicht gemäß § 35 Satz 2 BeamtStG verstoßen hat,

        
8

3. zweimal einen Tankbetrug gemäß § 263 StGB begangen und damit gegen seine Pflicht zur Uneigennützigkeit gemäß § 34 Satz 2 BeamtStG und gegen seine Wohlverhaltenspflicht gemäß § 34 Satz 3 BeamtStG verstoßen hat, indem er am 19.11.2009 um 15:37 Uhr und am 25.11.2009 um 02:01 Uhr sein privates Kraftfahrzeug mit 30 Litern Dieselkraftstoff im Wert von 33,84 Euro bzw. 33,24 Euro betankte und zur Bezahlung die dienstlich gelieferte UTA-Tankkarte des Revierkommissariats S. nutzte.

9

Zu dem Disziplinarvorwurf zu Nr. 1 heißt es in der Disziplinarklage, dass der Beamte über seinen Einsatz in der Nachtschicht im Polizeirevier C-Stadt am 06.09.2007 in Kenntnis gesetzt worden sei. Nachdem der Beamte um 22.10 Uhr noch nicht im Dienstgebäude in C-Stadt erschienen sei, habe man bei dem Beamten im Revierkommissariat S. angerufen, woraufhin dieser mitgeteilt habe, dass er von der Dienstplanänderung nichts wisse. Der durch PHK Henze erfolgte Hinweis auf den Weisungscharakter der erfolgten Dienstplanänderung habe den Beamten nicht veranlasst, seinen Dienst im Polizeirevier C-Stadt zu versehen, sodass der Beamte im Zeitraum der Nachtschicht am 06.09.2007 im Revierkommissariat S. verblieb.

10

Damit habe der Beamte gegen seine Pflicht zu vollem persönlichen Einsatz im Beruf gemäß § 34 Satz 1 BeamtStG verstoßen. Zudem habe er gegen seine Gehorsamspflicht nach § 35 Satz 1 BeamtStG verstoßen.

11

Der unter Nr. 2. erhobene Disziplinarvorwurf wird damit begründet, dass im Rahmen der am 26.11.2009 um 05.00 Uhr im Einsatzdienst des Revierkommissariats S. durchgeführten Kontrolle des Verwarngelds durch den Vorgesetzten des Beamten, PK S., festgestellt worden sei, dass der Beamte nicht in der Lage gewesen sei, den eingenommenen Verwarngeldbetrag in Höhe von 135,00 Euro vorzulegen. Zugleich habe in dem ihm am 04.11.2011 ausgehändigten und damit anvertrauten Verwarngeldblock Nr. 88703 jegliche Eintragungen zu den eingenommenen Verwarngeldern gefehlt. Der Beamte habe daraufhin eingeräumt, die Verwarngelder für private Zwecke verbraucht zu haben. Von dem Geld habe er 35,00 Euro für Tankzwecke verwendet, als er seine Tochter am 24.11.2009 zu einer kurzfristig erhaltenen Lehrstelle nach Clausthal-Zellerfeld gefahren habe. Den restlichen Betrag in Höhe von 105,00 Euro habe er seiner Tochter als so genannte Starthilfe überlassen. Ende November 2009 habe der Beamte das unterschlagene Verwarngeld an seinen Leiter, PHK P., zurückgezahlt, was dieser bestätigt habe.

12

Das diesbezüglich geführte staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren ist gemäß § 153 a Abs. 1 StPO nach Zahlung einer Auflage in Höhe von 300,00 Euro eingestellt worden.

13

Durch die Veruntreuung der dienstlich anvertrauten Gelder habe der Beamte pflichtwidrig gehandelt und damit vorsätzlich und schuldhaft gegen seine Pflicht zur Uneigennützigkeit nach § 34 Satz 2 BeamtStG verstoßen. Ebenso habe er gegen seine so genannte Wohlverhaltenspflicht nach § 34 Satz 3 BeamtStG verstoßen. Das Dienstvergehen wiege schwer. Denn die Verpflichtung, nicht gegen Strafgesetze zu verstoßen, zähle zu den Grund- und Kernpflichten des Beamtenverhältnisses und sei damit Grundlage des gegenseitigen Treue- und Vertrauensverhältnisses. Dies gelte insbesondere für Polizeibeamte. Der Beamte sei regelmäßig über den ordnungsgemäßen Umgang mit Verwarngeld und Verwarngeldblöcken belehrt worden.

14

Aufgrund des Disziplinarvorwurfes unter Nr. 3 habe der Beamte einen Tankbetrug gemäß § 263 StGB in zwei Fällen begangen. Am 25.11.2009 sei durch den als Wachhabenden im Revierkommissariat eingesetzten PM K. festgestellt worden, dass die UTA-Tankkarte des Funkstreifenwagens mit dem Kennzeichen LSA-45182 bei der Dienstübernahme gefehlt habe. Im Rahmen der Ermittlungen sei festgestellt worden, dass der Funkstreifenwagen letztmalig am 19.11.2009 um 01.01 Uhr regulär mit der UTA-Tankkarte betankt worden sei. Sodann sei die Tankkarte abermals am 19.11.2009 um 15.37 Uhr zwecks Betankung mit 30 Litern Dieselkraftstoff im Wert von 33,84 Euro verwandt worden. Zu diesem Zeitpunkt habe sich der Funkstreifenwagen nicht im Einsatz befunden. Der Beklagte habe eingeräumt, die Tankkarte während der Verrichtung des Frühdienstes am 19.11.2009 an sich genommen und zu seinen persönlichen Sachen gelegt zu haben. Aufgrund der Auswertung der Videoaufzeichnung der Tankstelle sei festgestellt worden, dass am 19.11.2009 um 15.37 Uhr der Beamte seinen privaten PKW betankt habe. Schließlich habe der Beklagte die private Betankung unter Verwendung der dienstlichen Tankkarte eingeräumt. Zur Motivation habe er eine so genannten „Blackout“ und finanzielle Probleme angegeben.

15

Das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren ist nach § 153 a Abs. 1 StPO nach Auflagenerfüllung durch Zahlung von 300,00 Euro eingestellt worden.

16

Im Rahmen der strafrechtlich geführten Ermittlungen gegen den Beamten zum Tankbetrug am 19.11.2009 sei bekannt geworden, dass der Beamte mit der UTA-Tankkarte des Funkstreifenwagens LSA-45182 auch am 25.11.2009 um 02.01 Uhr an der „Greenline“-Tankstelle in S. sein privates Fahrzeug mit 30 Litern Dieselkraftstoff im Wert von 33,24 Euro betankt habe. Der von der Tankstelle ausgehändigte Tankbeleg trage die Unterschrift des Beamten.

17

Der gegen den Beamten ergangene Strafbefehl des Amtsgerichts S. vom 08.06.2010, mit dem der Beamte wegen des Tankvorgangs am 19.11.2009 und am 25.11.2009 sowie der Unterschlagung der Verwarngelder in Höhe von 135,00 Euro wegen Betrugs und Unterschlagung zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen je 50,00 Euro verurteilt wurde, wurde mit Urteil des Amtsgerichts S. vom 03.08.2010 aufgehoben. Denn wegen Strafklageverbrauchs war das Verfahren einzustellen. Nachdem das Landgericht A-Stadt das Urteil des Amtsgerichts S. aufhob und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht S. zurückverwies, nahm der Beamte die zunächst gegen das Urteil des Landgerichts A-Stadt eingelegte Revision zurück. Mit Beschluss des Amtsgerichts S. vom 28.06.2011 wurde das Verfahren wegen Betruges gegen den Beamten endgültig nach § 153 a Abs. 2 StPO nach Erfüllung der Auflage, nämlich Zahlung von 1.000,00 Euro, eingestellt.

18

Der Beamte habe gegen seine Pflicht nach § 34 Satz 2 BeamtStG verstoßen, sein Amt uneigennützig und nach besten Gewissen zu verwalten. Der Beamte habe auch hier im Kernbereich seiner Dienstpflichten versagt. Unstreitig habe der Beamte zweimal die Betankung seines privaten Fahrzeuges mit der dienstlich gelieferten Tankkarte bezahlt. Über den korrekten Umgang mit den dienstlichen Tankkarten sei der Beamte zuletzt am 26.08.2009 belehrt worden. Ein fahrlässiges Verhalten im Sinne eines Augenblickversagens („blackout“) sei auszuschließen, auch weil der Beamte die UTA-Tankkarte bewusst dem Fahrtenbuch entnommen habe, um damit das später erfolgte private Betanken seines PKW zu bezahlen. Der Beamte habe vorsätzlich und schuldhaft gehandelt. Zudem habe er dadurch gegen seine so genannte Wohlverhaltenspflicht nach

19

§ 34 Satz 3 BeamtStG verstoßen.

20

Der Beamte habe durch die drei geschilderten Pflichtverletzungen schuldhaft ein schwerwiegendes Dienstvergehen nach § 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG begangen. Schuldausschließungs- oder Milderungsgründe seien nicht ersichtlich. Eine wirtschaftliche Notlage komme nicht in Betracht. Die diesbezüglich zu beachtenden Regelsätze der Sozialhilfe/Regelsätze für Empfänger von Arbeitslosengeld II seien hier nicht erreicht. Im Rahmen der Einbehaltung der Dienstbezüge in Höhe von 5 % sei festgestellt worden, dass der Lebensunterhalt des Beamten immer noch gesichert sei. Zwar habe der Beamte die unterschlagenen Verwarngelder zurückgezahlt; die unberechtigten Tankvorgänge in Höhe von insgesamt 67,08 Euro jedoch nicht. Damit scheide die Wiedergutmachung der Tat als Milderungsgrund aus. Die Schadenshöhen seien auch nicht als gering im Sinne der Rechtsprechung anzusehen. Dabei sei zu beachten, dass es sich um wiederholte Tankvorgänge bezüglich eines Betrages unterhalb der Bagatellgrenze von 50,00 Euro handele. Demnach hätte der Beamte ein einmaliges und nicht ein mehrfaches Fehlverhalten zeigen dürfen.

21

Das Gesamtverhalten des Beamten spreche für ein hohes Maß an Eigennutz, Labilität und erheblichen Mangel an Selbstdisziplin und Charakterfestigkeit. Unter diesen Umständen genieße er nicht mehr die Achtung und das Vertrauen, das sowohl die Allgemeinheit als auch der Dienstherr in einen Polizeibeamten setzten. Das erforderliche Vertrauensverhältnis sei endgültig zerstört.

22

Die Klägerin beantragt,

23

den Beamten aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen.

24

Der Beklagte beantragt,

25

die Klage abzuweisen

26

und verteidigt sich erstmalig in der Beschwerde gegen die vom erkennenden Gericht mit Beschluss vom 04.09.2012 versagte Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Die Vorkommnisse am 06.09.2007 seien auf Unzulänglichkeiten beim Informationsfluss zwischen den Beteiligten zu erklären. Aufgrund einer Magenverstimmung und seiner Einschätzung darüber, dass das Revier in S. nicht überbesetzt gewesen sei, habe er seine Bedenken im Hinblick auf die Dienstverrichtung in C-Stadt angemeldet. Bezüglich der ihm weiter vorgehaltenen Verstöße hinsichtlich der Verwarngelder und der Tankvorgänge sei festzuhalten, dass diese innerhalb einer Woche im November 2009 stattfanden. Der Beklagte habe zu diesem Zeitpunkt erheblich unter psychischen Druck gestanden. Er sei von den Kollegen gemieden und habe familiäre Probleme sowohl mit seiner damaligen Lebensgefährtin und deren Tochter als auch und insbesondere mit seiner geschiedenen Ehefrau und den Kindern aus erster Ehe gehabt. Er sei wiederholt auf Unterhaltszahlungen in Anspruch genommen worden. Auch habe er dafür Sorge getragen, dass seine ehemalige Ehefrau aus der Schuldhaft gegenüber der Gläubigerbank für das gemeinsam erworbene und errichtete Haus befreit worden sei. Die frühere Ehefrau habe für die Kinder stets mehr als den zustehenden Regel- bzw. Mindestunterhalt gefordert. Die Eingebundenheit in das Schichtsystem, die damit einhergehenden arbeitsmäßigen Belastungen als Polizeibeamter im Vollzugsdienst und die bedrohliche wirtschaftliche Situation Ende 2008 habe dazu geführt, dass der Beamte sich in ärztliche Behandlung und auch in eine Tagesklinik begeben habe. Im Januar 2009 habe er sich beim Polizeiärztlichen Dienst in A-Stadt vorgestellt und auch Kontakt zur Polizeipsychologin gesucht. Eine psychologische Behandlung sei erst ab Sommer 2009 möglich gewesen. Er habe fünf Behandlungen vorgenommen.

27

Aufgrund seiner wirtschaftlichen Probleme habe er immer wieder Kleinkredite aufgenommen.

28

Seine Tochter aus erster Ehe habe eine Ausbildung aufgenommen und eine Wohnung am Ausbildungsort eingerichtet. Da von der Mutter keine nennenswerte Unterstützung geleistet worden sei, habe sich der Beklagte verpflichtet gefühlt. So habe er die eingenommenen Verwarngelder für die Tochter verwandt mit dem festen Vorsatz, das Geld zurückzulegen, was jedoch wegen der Kontrolle nicht mehr gelungen sei. Er sei sich der Tragweite seines Vorgehens nicht bewusst gewesen. Er habe nicht die Absicht gehabt, das Vermögen des Dienstherrn zu schädigen.

29

Aus Unachtsamkeit habe er bei der Verwendung der Tankkarte nicht darauf geachtet, dass er den Tankvorgang mit seiner privaten EC-Karte bezahle. Auch diese Schäden habe der Beamte umgehend bzw. im Laufe des Verfahrens zurückgezahlt.

30

Vor diesem Hintergrund sei die Entfernung aus dem Dienst unverhältnismäßig.

31

Auch sei mildernd zu berücksichtigen, dass der Beamte ein Klageverfahren hinsichtlich seiner dienstlichen Beurteilung (5 A 206/09 MD; Hauptsacheerledigung) geführt habe und die dem Dienstherrn bekannte Tatsache seiner gesundheitlichen Beschwerden bei einem frühzeitigen Eingreifen der Dienstaufsicht die weiter angeschuldigten Pflichtenverstöße hätten vermieden werden können.

32

Die Klägerin erwidert auf die erstmals vorgetragenen Milderungsgründe und sieht diese nicht als gegeben an. Beamtenrechtliche Streitigkeiten sowie private Unterhaltsverpflichtungen dürften nicht zur Begehung der vorgehaltenen schwerwiegenden Kernpflichtverletzungen führen. Zudem hätten die unter Nr. 2 und 3 der Disziplinarklage vorgehaltenen Handlungen im November 2009 und damit offenkundig nach Beendigung der erfolgten Behandlung durch die Psychologin im Sommer 2009 statt gefunden. Eine zweimalige unbeabsichtigte Verwechselung der UTA-Card mit der privaten EC-Karte sei auszuschließen. Zudem habe der Beamte bislang einen so genannten „Blackout“ angegeben. Hinsichtlich der thematisierten Fürsorgepflicht des Dienstherrn sei anzumerken, dass der Beamte auf die Hilfe des Polizeiärztlichen Dienstes hingewiesen und er zudem einer regelmäßigen polizeiärztlichen Kontrolle unterzogen worden sei.

33

Mit Beschluss vom 28.02.2013 hat das Gericht das Disziplinarverfahren gemäß § 53 Satz 1 DG LSA auf die in der Disziplinarklage unter Nr. 2 und 3 angeführten Pflichtenverstöße beschränkt.

34

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang und den darin befindlichen Auszügen aus den strafrechtlichen Ermittlungsvorgängen verwiesen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

35

Die zulässige Disziplinarklage ist begründet. Der Beamte hat ein schwerwiegendes innerdienstliches Dienstvergehen nach § 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG begangen, was seine Entfernung aus dem Dienst (§ 10 DG LSA) als Disziplinarmaßnahme nach sich zieht.

36

Nach § 13 DG LSA ist die Disziplinarmaßnahme nach der Schwere des Dienstvergehens zu bemessen und erfordert eine angemessene Berücksichtigung des Persönlichkeitsbildes des Beamten. Der Vertrauensverlust des Dienstherrn oder der Allgemeinheit soll berücksichtigt werden. Ein Beamter, der durch ein schweres Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren hat, ist aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen.

37

Aufgrund des festgestellten Sachverhalts hat der Beklagte seine Dienstpflichten zur uneigennützigen Amtsführung (§ 34 Satz 2 BeamtStG), zum achtungs- und vertrauenswürdigen Verhalten innerhalb und außerhalb des Dienstes (§ 34 Satz 3 BeamtStG) sowie zur Beachtung von allgemeinen Richtlinien und Weisungen (§ 35 Satz 2 BeamtStG) durch die begangenen Handlungen nachhaltig verletzt. Der Tatbestand dieser Dienstpflichtverletzungen liegt auf der Hand. Auch wenn die staatsanwaltschaftlichen und strafrechtlichen Ermittlungen diesbezüglich gegen Auflagenzahlung eingestellt worden sind, ist der Tatbestand der Verwarngeldunterschlagung und des Tankgeldkartenbetruges in zwei Fällen gegeben. Daran ändern die strafprozessualen Verhältnisse, die zum Strafklageverbrauch aus formellen Gründen geführt haben nichts. Denn der Disziplinarklagevorwurf ist unabhängig von dem Strafvorwurf. Zudem hat der Beklagte die Begehung der Taten eingeräumt.

38

Danach steht fest, dass der Beamte Verwarngelder in einem Gesamtbetrag von 135,00 Euro veruntreut und letztendlich für seine privaten Zwecke verwandt hat. Darüber hinaus hat er zweimal einen Tankbetrug in Höhe von 33,84 Euro und 33,24 Euro begangen.

39

Durch diese Taten hat der Beamte im Kernbereich seiner ihm obliegenden dienstlichen Pflichten schwer versagt und das Vertrauensverhältnis zwischen ihm und dem Dienstherrn aber auch der Allgemeinheit endgültig zerstört. Beide Taten sind als einheitliches Dienstvergehen und disziplinarrechtlich als sogenannte Zugriffsdelikte zu bewerten. Verstöße gegen die Uneigennützigkeit werden in der Rechtsprechung der Disziplinargerichte seit jeher als sehr schwerwiegend eingestuft. Denn die uneigennützige, nicht auf den privaten Vorteil bedachte Führung der Dienstgeschäfte stellt eine wesentliche Grundlage des Berufsbeamtentums dar. Im Hinblick darauf ist die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis jedenfalls dann Richtschnur für die Bestimmung der angemessenen Disziplinarmaßnahme, wenn erhebliche Geldzahlungen geflossen sind (vgl. zusammenfassend: BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11.10; juris). Zudem ist disziplinarrechtlich entscheidend, ob der Verstoß gegen die Uneigennützigkeit aufgrund einer besonderen Vertrauensstellung des Beamten beruht, das heißt, ob etwa ein Zugriff auf dienstlich anvertraute Gelder oder ein nicht unter Ausnutzung der dienstlichen Vertrauensstellung verübtes (Betrugs-)Delikt vorliegt (BVerwG, Beschluss v. 20.12.2011, 2 B 64.11, juris).

40

Dabei hängt die disziplinarrechtliche Einstufung als Zugriffsdelikt nicht von der strafrechtlichen Beurteilung ab. Es kommt nicht darauf an, ob ein Beamter dienstliche Gelder oder Güter z. B. durch Betrug, Diebstahl, Untreue oder Unterschlagung erlangt hat. Ein Zugriffsdelikt liegt vielmehr dann vor, wenn der Beamte dienstlich anvertraute Gelder und Güter veruntreut hat, wozu auch die Gebührenüberhebung, die Fundunterschlagung und der sogenannte Kollegendiebstahl zählen. Für die Bewertung als Zugriffsdelikt ist entscheidend, dass einem Beamten Gelder oder gleichgestellte Werte dienstlich anvertraut oder dienstlich zugänglich sind (BVerwG: stRspr; vgl. Urteil v. 8. 04.2003, 1 D 27.02; juris). Ein Beamter, der sich bei der Ausübung seiner dienstlichen Tätigkeit an Vermögenswerten vergreift, die seinem Gewahrsam unterliegen, zerstört damit in aller Regel das für die Fortdauer des Beamtenverhältnisses notwendige Vertrauen in seine Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit, wenn die Beträge insgesamt die Schwelle der Geringwertigkeit deutlich überschreiten. Denn die Verwaltung ist auf die Redlichkeit und Zuverlässigkeit ihrer Bediensteten beim Umgang mit solchen Geldern und Gütern in hohem Maße angewiesen. Eine ständige und lückenlose Kontrolle eines jeden Mitarbeiters ist unmöglich und muss deshalb weitgehend durch Vertrauen ersetzt werden. Wer diese für das Funktionieren des öffentlichen Dienstes unabdingbare Vertrauensgrundlage zerstört, muss grundsätzlich mit der Auflösung des Beamtenverhältnisses rechnen (BVerwG, Urteile v. 20.10.2005, 2 C 12.04, v. 03.05.2007, 2 C 9.06, v. 25.10.2007, 2 C 43.07, v. 29.05.2008, 2 C 59.07; zuletzt VG Magdeburg, Urteil v. 29.01.2013, 8 A 5/11; alle juris).

41

Dies gilt nach ständiger Rechtsprechung bei der Unterschlagung von Verwarngeldern jedenfalls oberhalb einer Bagatellgrenze von zurzeit 50 Euro (BVerwG, Urteil v. 28.03.1984, 1 D 63.83, Nds. OVG, U. v. 12.04.2007, 19 LD 4/06 und vom 08.02.2011, 6 LD 4/08; Bayr. VGH, U. v. 27.10.2010, 16 aD 09.2470; zusammenfassend vergleiche nur: VG Magdeburg, U. v. 17.06.2008, 8 A 2/08 MD und U. v. 31.03.2011, 8 A 2/10 und U. v. 29.03.2012, 8 A 3/11; auch OVG LSA, U. v. 24.08.2011, 10 L 3/11; alle juris). Ähnlich ist die missbräuchliche Benutzung der dienstlich anvertrauten Tankkarte zu privaten Zwecken zu bewerten. Auch durch diesen Zugriff auf die ihm dienstlich überlassene Tankkarte hat der Beamte das ihm durch die Überlassung der Tankkarte entgegengebrachte Vertrauen missbraucht und sich bereichert. Ohne die Vertrauensstellung hätte er die Karten nicht erhalten und nicht einsetzen können. Der Beamte handelte vorsätzlich und schuldhaft. Die von ihm behauptete Vertauschung der dienstlichen Tankkarte mit seiner privaten EC-Karte, sieht das Gericht als widerlegte Schutzbehauptung an. Dies kann nicht zweimal passieren und zudem erklärte der Beamte in der mündlichen Verhandlung das System, wonach nämlich sogar zur Abrechnung eine PIN-Nummer eingegeben werden muss und nicht etwa nur durch Unterschriftsleistung der Tankvorgang quittiert wird.

42

Hinsichtlich der auszusprechenden Disziplinarmaßnahme ist die Schwere des Dienstvergehens unter angemessener Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten richtungsweisend (vgl. § 13 DG LSA). Die Schwere beurteilt sich nach objektiven Handlungsmerkmalen wie Eigenart und Bedeutung der Dienstpflichtverletzungen, den besonderen Umständen der Tatbegehung sowie Häufigkeit und Dauer eines wiederholten Fehlverhaltens, nach subjektiven Handlungsmerkmalen wie Form und Gewicht des Verschuldens des Beamten, den Beweggründen für sein Verhalten sowie nach den unmittelbaren Folgen für den dienstlichen Bereich und für Dritte. Davon ausgehend kommt es darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung im Einzelfall derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die durch die Schwere des Dienstvergehens indizierte Maßnahme geboten ist. Eine vollständige und richtige Gesamtwürdigung setzt voraus, dass die Disziplinarkammer die im Einzelfall bemessungsrelevanten, d. h. die für die Schwere des Dienstvergehens und das Persönlichkeitsbild bedeutsamen Tatsachen ermittelt und mit dem ihnen zukommenden Gewicht in die Gesamtbewertung einbezieht. Dies entspricht dem Zweck der Disziplinarbefugnis des Disziplinargerichts als einem Mittel der Funktionssicherheit des öffentlichen Dienstes. Dabei findet der Grundsatz „in dubio pro reo“ Anwendung. Die Disziplinargerichte dürfen nur solche belastenden Tatsachen in die Gesamtwürdigung einstellen, die zur Überzeugung des Gerichts feststehen. Demgegenüber müssen entlastende (mildernde) Umstände schon dann zu Gunsten des Beamten berücksichtigt werden, wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für ihr Vorliegen gegeben sind und eine weitere Sachverhaltsaufklärung nicht möglich ist (vgl. nur: VG Magdeburg, Urteil v. 29.11.2012, 8 A 12/11 und Urteil v. 27.10.2011, 8 A 2/11 mit Verweis auf BVerwG, U. v. 27.01.2011, 2 A 5.09; jüngst BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11/10, OVG Lüneburg, Urteil v. 14.11.2012, 19 LD 4/11; alle juris).

43

Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, dass die Schwere des Dienstvergehens vorliegend schon maßgeblich durch das Eigengewicht der Verfehlung bestimmt wird. Demnach ist der „Griff in die Kasse“ regelmäßig mit der disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahme zu ahnden. Die von der Schwere des Dienstvergehens ausgehende Indizwirkung entfällt nur dann, wenn zugunsten des Beamten gewichtige Entlastungsgründe zu berücksichtigen sind, die den Schluss rechtfertigen, dass das dem Beamten vom Dienstherrn und der Allgemeinheit entgegengebrachte Vertrauen noch nicht endgültig verloren ist.

44

Die Disziplinarkammer sieht vorliegend keine Besonderheiten und Entlastungsgründe des Einzelfalls, die es rechtfertigen, die von der Schwere des Dienstvergehens ausgehende Indizwirkung abzumildern. Dies ist dann der Fall, wenn zu Gunsten des Beamten gewichtige Entlastungsgründe (Milderungsgründe) zu berücksichtigen sind, die den Schluss rechtfertigen, dass das dem Beamten vom Dienstherrn und der Allgemeinheit entgegengebrachte Vertrauen noch nicht endgültig verloren ist. Solche Gründe stellen zum einen die von der Rechtsprechung bezüglich der sog. Zugriffsdelikte entwickelten und anerkannten Milderungsgründe dar, die besondere menschliche Konfliktsituationen beschreiben. Hierzu zählen etwa das Handeln in einer existenziellen wirtschaftlichen Notlage oder einer körperlichen oder psychischen Ausnahmesituation oder besonderen Versuchssituationen oder eine persönlichkeitsfremde Einzelverfehlung des Beamten wie auch „Entgleisungen“ während einer negativen, inzwischen überwundenen, durch Alkohol, Drogen oder Schicksalsschlägen bedingte Lebensphase. Der Milderungsgrund der Geringwertigkeit eines verursachten Schadens oder des geldlichen Vorteils der Handlung wird bei etwa 50,00 Euro gezogen. Auch besondere die Dienstpflichtverletzung begünstigende Handlungen und mangelnde Kontrollen des Dienstherrn können im Einzelfall wie ein besonderes Nachtatverhalten die Schwere der Verfehlung mildern. Zeitlich überlange Disziplinarverfahren können wegen des disziplinarrechtlichen Beschleunigungsgebotes und der mit dem Disziplinarverfahren verbundenen persönlichen Belastungen jedenfalls bei Maßnahmen der Pflichtenmahnung berücksichtigt werden. Entlastungsgründe können sich aber zum anderen auch aus allen Besonderheiten ergeben, die es im Einzelfall wegen der persönlichkeitsbedingten an § 13 DG LSA zu orientierenden Prognoseentscheidung gebieten, von der disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahmen Abstand zu nehmen. Die entlastenden Gründe sind nicht (mehr) allein auf den in der Rechtsprechung entwickelten Kanon der anerkannten Milderungsgründe beschränkt (BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11.10, m. w. Nachw.; juris). Diese Besonderheiten müssen aber in ihrer Gesamtheit geeignet sein, die Schwere des Pflichtenverstoßes erheblich herabzusetzen. Generell gilt, dass das Gewicht der Entlastungsgründe umso größer sein muss, je schwerer das Delikt aufgrund der Schadenshöhe sowie der Tatumstände, wie Anzahl, Häufigkeit, Zeitraum, Verschiedenartigkeit und Tatausführung wiegt (im Ganzen ausführlich: VG Magdeburg, Urt. v. 29.11.2012, 8 A 12/11, v. 31.03.2011, 8 A 2/10 MD und v. 27.10.2011, 8 A 2/11, mit Verweis auf BVerwG, Urt. v. 24.05.2007, 2 C 28.06, Urt. v. 06.06.2007, 1 D 2.06, Urt. v. 29.05.2008, 2 C 59.07; Bayr. VGH, Urt. v. 27.10.2010, 16 aD 09.2470; OVG Lüneburg, Urt. v. 08.02.2011, 6 LD 4/08; zuletzt VG Magdeburg, Urteil v. 29.01.2013, 8 A 5/11; alle juris).

45

Die Voraussetzungen einer unverschuldeten und unausweichlichen wirtschaftlichen Notlage sieht das Disziplinargericht nicht als gegeben an. Dies setzt voraus, dass tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Beamte ihn einer für ihn unverschuldeten und ausweglosen finanziellen Notlage zur Abwendung der für ihn existenziell spürbaren Folgen zeitlich begrenzt ein Zugriffsdelikt begangen hat (BVerwG, Urt. v. 22.10.2002, 1 D 6.02; juris). Die mildernde Bewertung seines Handelns hat ihren Grund darin, dass der Beamte in einer Konfliktsituation versagt hat, in der er keinen anderen Ausweg als den zeitlich und zahlenmäßig eng begrenzten Zugriff auf dienstlich anvertraute Güter gesehen hat. Darüber hinaus erfüllen wiederholte Zugriffshandlungen über einen längeren Zeitraum diese Voraussetzungen nicht (vgl. nur: Bayr. VGH, Urt. v. 27.10.2010, 16 a D 09.2470; juris).

46

Nach dem, was der Beamte vorträgt, habe er Unterhaltszahlungen an seine geschiedene Ehegattin sowie die Kinder geleistet. Aus der Personalakte ist bekannt, dass der Beamte sechs leibliche bzw. Stiefkinder hat. Er gibt erstmals in der Beschwerde zur Prozesskostenhilfeentscheidung an, dass er das Verwarngeld für die Tochter verwandt habe. Denn er habe Benzingeld benötigt, um das Kind zur Aufnahme der Ausbildung nach Clausthal-Zellerfeld zu fahren und habe sie dort bei der Einrichtung des Zimmers finanziell unterstützt. Er habe das Verwarngeld später ausgleichen wollen. Ist dies aus Sicht eines fürsorglichen Vaters zwar nachvollziehbar, entschuldigt dies jedoch bereits grundsätzlich nicht den „Griff in die Kasse“. Denn auch wenn davon auszugehen ist, dass sich der Beamte aufgrund des nahenden Monatsendes in einer finanziell angespannten Haushaltslage befand, trifft dies eine Vielzahl von Menschen und erfüllt nicht den eingangs beschriebenen Milderungsgrund der unverschuldeten existenziellen finanziellen Notlage. Bei gehöriger Gewissensanstrengung hätte dem Beamten klar sein müssen, dass es andere Möglichkeiten zur vorübergehenden Geldbeschaffung gab und geben musste. Anhaltspunkte für die Annahme einer ausweglosen finanziellen Lage sind demnach nicht ersichtlich. In diesem Zusammenhang ist auch von Bedeutung, dass die Prüfung der Kürzung der Bezüge aufgrund der vorläufigen Dienstenthebung dazu geführt hat, dass immerhin um 5 % gekürzt werden konnte. Schließlich untermauerte der Beklagte seinen Vortrag zur finanziellen Lage auch nicht durch die Vorlage geeigneter Unterlagen oder sonstiger Angaben, aufgrund derer die Disziplinarkammer dem Vortrag hätte weiter nachgehen können.

47

Eine psychische Ausnahmesituation, gepaart mit einem so genannten Augenblicksversagen liegt zur Überzeugung der Disziplinarkammer ebenfalls nicht vor. Zwar ist festzustellen, dass sich die Taten bezüglich der Verwarngelder und des zweimaligen Tankbetruges kurz hintereinander im November 2009 in der 47. und 48. Kalenderwoche abspielen; nämlich am 19.11., 24.11. und 25.11.2009. Hier ist in der Tat der von der Rechtsprechung geforderte enge zeitliche Zusammenhang gegeben. Der Beamte erklärt die Taten in der Prozesskostenhilfebeschwerde damit, dass er gerade zu diesem Zeitpunkt unter erheblichen psychischen Druck gestanden habe. Es hätten berufliche wie familiäre Probleme bestanden und er verwies auf seine ärztlichen und psychologischen Behandlungen. Die daraufhin von der Disziplinarkammer mit Verfügung vom 04.02.2013 (Bl. 63 GA) ergangene Aufforderung an den Beamten, aussagekräftige ärztliche Stellungnahmen zu den vorgetragenen psychischen Problemen vorzulegen, kam der Beamten nicht nach. Die diesbezüglich Entschuldigung des Beamten in der mündlichen Verhandlung, er sei wegen einer Erkältung und eines Hexenschusses nicht zur Erfüllung der Auflage in der Lage gewesen, ist unzureichend. Auch bei derartigen Erkrankungen wäre es dem Beamten bzw. einer von ihm beauftragen Person möglich gewesen, ärztliche Unterlagen anzufordern. Zudem ist der Beklagte anwaltlich vertreten. Demnach stößt das Disziplinargericht hier an die Grenzen seiner Aufklärungspflicht. Denn das Gericht ist hier auf die Mitarbeit des Beamten zur Aufklärung der in seiner Sphäre liegenden höchstpersönlichen Angelegenheiten angewiesen, um überhaupt die Möglichkeit einer disziplinarrechtlichen Milderung im Sinne der Disziplinarrechtsprechung prüfen zu können. Auch liegen keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass eine eventuell von Amts wegen weiter aufzuklärende verminderte Schuldfähigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB (vgl. nur: BVerwG, Urteil v. 03.05.2007, 2 C 9.06; juris) bei dem Beamten vorliegen könnte.

48

Der Vorhalt der mangelnden Fürsorgepflicht des Dienstherrn ist haltlos. Die Notwendigkeit sich gegen dienstliche Beurteilungen als Staatsbürger gerichtlich wehren zu dürfen und zu müssen, indiziert nicht gleichfalls notwendig eine Fürsorgepflichtverletzung des Dienstherrn. Das diesbezügliche gerichtliche Verfahren wurde mit Beschluss vom 25.02.2010 mit der Kostenübernahmeerklärung des Dienstherrn erledigt und eingestellt. Jedenfalls rechtfertigen „normale“ dienstliche Streitigkeiten ohne weitere Anhaltspunkte für besondere, auf Dienstherrnseite stehende Tendenzen, etwa den beruflichen Werdegang des Beamten unfair oder im Sinne eines Mobbings negativ zu beeinflussen oder den Beamten persönlich zu treffen, keine psychische Ausnahmesituationen. Zudem hat der Dienstherr dem Beklagten ausdrücklich die Hilfe des Polizeiärztlichen Dienstes zur Verfügung gestellt.

49

Dem Gericht liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Dienstherr etwa durch die Vernachlässigung entsprechender Kontrollen oder einer Belehrungspflicht des Beamten die Tatausführungen mitbedingt hätte. Die vom Beamten vorgetragenen Umstände hinsichtlich der Tatbegehung, der Tataufklärung und der Wiedergutmachung vermögen ihn disziplinarrechtlich ebenfalls nicht zu entlasten. Die Offenbarung der Taten und die Wiedergutmachung erfolgten nach dem Bekanntwerden und der Einleitung diesbezüglicher Ermittlungen. Ein Geständnis ist bei Zugriffsdelikten nur dann beachtlich, wenn es sich als eine freiwillige Offenbarung und nicht durch Furcht vor einer Entdeckung bestimmte – vollständige und vorbehaltslose – Offenbarung des Fehlverhaltens vor Entdeckung der Tat darstellt (BVerwG, Urt. v. 29.05.2008, 2 C 59.07, Urt. v. 08.04.2003, 1 D 27.02; Bayr. VGH, Urt. v. 22.09.2010, 16 bD 09.1007; alle juris).

50

Ebenso vermag die (zivilrechtliche) Wiedergutmachung des Schadens durch Rückzahlung der Gelder und die ernstgemeinte Reue des Beklagten den endgültigen Vertrauensverlust nicht zu beheben. Dazu wiegen die strafrechtlichen Verfehlungen im Sinne der oben genannten von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien zu schwer. Die Pflichtenverstöße können demnach auch nicht nur als „Entgleisungen während einer negativen, inzwischen überwundenen Lebensphase“ (vgl. dazu: BVerwG, Urteil v. 03,05.2007, 2 C 30.05 m. w. Nachw.; juris) verstanden werden. Diese, vorwiegend im Zusammenhang mit Alkohol- oder Drogengenuss oder sonstigen schweren Erkrankungen oder Schicksalssituationen stehenden Lebensumstände, sind nicht erkennbar und auch nicht vorgetragen.

51

Die nach alledem dienstrechtlich notwendige Entfernung aus dem Dienst verstößt auch nicht gegen das Verhältnismäßigkeitsgebot. Denn diese disziplinarrechtliche Höchstmaßnahme ist die einzige Möglichkeit, dass durch den Dienstherrn sonst nicht lösbare Dienstverhältnis einseitig zu beenden. Die darin liegende Härte für den Betroffenen ist nicht unverhältnismäßig. Sie beruht vielmehr auf einem ihm zurechenbaren Verhalten (BVerwG, Urteil v. 21.06.2000, 1 D 49.99; vgl. nur zuletzt: Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11/10; bestätigt durch BVerfG, Beschluss v. 28.01.2013, 2 BvR 1912/12; alle juris).

52

Die Kostenentscheidung folgt aus § 72 Abs. 1 Satz 1 DG LSA. Das Verfahren ist gem. § 73 Abs. 1 Satz 1 gebührenfrei.


Eine bewegliche Sache wird herrenlos, wenn der Eigentümer in der Absicht, auf das Eigentum zu verzichten, den Besitz der Sache aufgibt.

Tatbestand

1

Der Kläger ist Polizeivollzugsbeamter im Land Sachsen-Anhalt im Rang eines Polizeimeisters und wendet sich gegen eine disziplinarrechtliche Geldbuße in Höhe von 150 Euro durch Bescheid vom 30.07.2009.

2

Die Disziplinarverfügung führt aus, dass der Kläger gegen die ihm gem. § 34 Satz 3 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) obliegende Pflicht, sich innerhalb des Dienstes so zu verhalten, wie es der Achtung und dem Vertrauen gerecht werde, die sein Beruf erfordere (sog. Wohlverhaltenspflicht) und die in § 34 Satz 2 BeamtStG normierte Pflicht zur uneigennützigen Amtsführung schuldhaft verletzt und dadurch ein Dienstvergehen im Sinne des § 47 Abs. 1 BeamtStG begangen habe. Denn der Kläger habe am 01.07.2008 im Rahmen seiner Dienstausübung Ladung aus einem verunfallten LKW für den privaten Gebrauch an sich genommen. Die Ladung stamme aus einem tags zuvor auf der BAB A 9 verunfallten LKW. Dabei hätten die zur Unfallsicherung eingesetzten Kollegen des Klägers erhebliche Teile der Unfallladung (Waschmittel, Reinigungsmittel etc.) in den Streifenwagen verpackt und zur Dienststelle zur Lagerung in die Dienstgarage verbracht. Dort sei es dann zu der Verteilung der Reinigungsmittel an die Polizeibeamten gekommen. Durch dieses Verhalten habe der Kläger ein hohes Maß an Unzuverlässigkeit und Unkorrektheit an den Tag gelegt. Die Allgemeinheit und der Dienstherr müssten darauf vertrauen können, dass Polizeibeamte sich im Kernbereich ihrer amtlichen Tätigkeit nicht derart nachlässig und leichtsinnig verhielten. Die beamtenrechtliche Pflicht zur Uneigennützigkeit bedeute, frei von persönlichen Interessen und Vorteilen auch finanzieller oder ideeller Natur den Dienst auszuüben. Entscheidend für den Pflichtenverstoß sei der ursächliche Zusammenhang zwischen der dienstlichen Tätigkeit und dem unerlaubten Zugriff. Der Pflichtenverstoß sei auch schuldhaft, nämlich fahrlässig begangen. Die Pflichtverletzung hätte dem Kläger als langjährigen und erfahrenen Polizeibeamten des mittleren Dienstes, welcher seit 11 Jahren im Bereich des Streifen-/Einsatzdienstes der Schutzpolizei tätig sei, bewusst sein müssen. So hätte er wissen müssen, dass es untersagt sei, selbst von verworfener Ladung etwas für den persönlichen Gebrauch an sich zu nehmen. Daran ändere auch nichts, dass der Dienstgruppenleiter und Vorgesetzte B. gesagt habe, dass die Reinigungsmittel verteilt werden dürften. Denn insoweit dürfe der Kläger keinen blinden Gehorsam ausüben.

3

Im Rahmen der nach § 13 Abs. 1 Satz 2 Disziplinargesetz Sachsen-Anhalt (DG LSA) zu bestimmenden Disziplinarmaßnahme habe man sich von dem Persönlichkeitsbild des Beamten wie auch vom Umfang der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn und der Allgemeinheit leiten lassen. Der Kläger sei bislang disziplinarrechtlich nicht in Erscheinung getreten. Er werde als korrekter und zuverlässiger Beamter beschrieben und seine letzte Beurteilung laute auf „gut“. Andererseits handele es sich nicht um ein so genanntes „Kavaliersdelikt“. Denn das vorgeworfene Dienstvergehen sei geeignet, eine nicht unbedeutende Vertrauensbeeinträchtigung gerade bei der Allgemeinheit herbeizuführen. Dementsprechend sei die Geldbuße in der ausgesprochenen Höhe geeignet, erforderlich und auch angemessen, um den Beamten zu einer gewissenhaften Erfüllung seiner Pflichten anzuhalten.

4

Den dagegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 05.11.2009 als unbegründet zurück und vertiefte dabei die Ausführungen des Ausgangsbescheides. Der Kläger habe sein Handeln an eigenen persönlichen bzw. wirtschaftlichen Interessen orientiert und damit nicht an der dienstlichen Aufgabenstellung. Es sei unerheblich, ob die verunfallte Ladung entsorgt werden sollte. Generell sei ein Zugriff auf Waren während des Dienstes nicht zulässig. Die uneigennützige Dienstwahrnehmung stelle eine Kernpflicht des Polizeibeamten dar. Die Vertrauenswürdigkeit, welche die Allgemeinheit in den Beruf und das Ansehen des Polizeibeamten setze, mache es notwendig, dass der Polizeibeamte dem Bürger gegenüber und in der Öffentlichkeit korrekt auftrete und den Beruf des Polizeibeamten repräsentiere. Gefordert seien keine „Mustermenschen“, aber integere Beamte, auf die sich der Dienstherr verlassen könne und in der Öffentlichkeit als Repräsentanten des Staates vom Bürger akzeptiert würden. Es käme nicht darauf an, ob und inwieweit ein Fehlverhalten in der Öffentlichkeit bekannt geworden sei.

5

Mit der dagegen fristgerecht erhobenen Klage wendet sich der Kläger weiter gegen die Disziplinarverfügung und macht insbesondere Ausführungen dazu, dass er nicht schuldhaft gehandelt habe. Der Kläger sei davon ausgegangen, dass es sich um herrenlose Gegenstände gehandelt habe. Denn es habe sich um sog. verworfene Ladung gehandelt. Die Aneignung herrenloser Sachen sei erlaubt. Daran könne auch das öffentliche Dienstrecht nichts ändern. Vorgeworfen werde dem Kläger ein außerdienstliches Verhalten. Dementsprechend sei bereits eine eingeschränkte Wertung vorzunehmen. Letztendlich und entscheidend habe der Kläger den Hinweisen seines Vorgesetzten vertraut. Der in diesem Zusammenhang angewandte Begriff des „blinden Vertrauens“ treffe nicht den Sachverhalt. Denn der Beamte habe hier gerade nicht gegen ein vorhandenes besseres Wissen den Angaben seines Dienstvorgesetzten zur Rechtmäßigkeit der Freigabe vertraut. Diesen Ausführungen des Dienstvorgesetzten habe der Kläger nicht misstrauen müssen.

6

Der Kläger beantragt,

7

den Bescheid der Beklagten vom 30.07.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.11.2009 aufzuheben.

8

Die Beklagte beantragt,

9

die Klage abzuweisen

10

und verteidigt die ergangene Disziplinarverfügung und die darin vorgenommene rechtliche Wertung. Die Beklagte macht weitere Ausführungen zum Ansehensverlust des Berufs des Polizeibeamten bei derartigen Warenmitnahmen. Der Warenwert der Reinigungsmittel habe ca. 112,42 Euro betragen. Gegen die auf der Autobahn tätigen Polizeibeamten seien Strafverfahren vor dem Amtsgericht A-Stadt eröffnet worden. Ein weiterer Kollege des Klägers, welcher sich ebenfalls Waren aus der Garage mitgenommen habe, sei ebenfalls mit einer Geldbuße von 150 Euro belegt worden. Der Dienstvorgesetzte und Dienstgruppenleiter sei mit einer Gehaltskürzung von einem Zehntel für einen Zeitraum von drei Monaten disziplinarrechtlich belangt worden. Diese Bescheide seien bestandskräftig.

11

Wegen der weitren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen. Diese Unterlagen waren Gegenstände der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

12

Die zulässige Klage ist unbegründet. Die angefochtene Disziplinarverfügung in Gestalt des Widerspruchsbescheides ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 3 DG LSA; § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die ausgesprochene Disziplinarverfügung erweist sich zur Überzeugung des Gerichtes auch als zweckmäßig, so dass sie auch nicht nach § 59 Abs. 3 DG LSA aufzuheben ist.

13

Zu Recht geht die Beklagte davon aus, dass der Kläger als Polizeivollzugsbeamter ein Dienstvergehen nach § 77 Abs. 1 BG LSA (a. F.), § 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG begangen hat. B. Überzeugung des Gerichts steht aufgrund der Ermittlungen im disziplinar- und im strafrechtlichen Verfahren und unter Bewertung des sonstigen Aktenmaterials und der Einlassung des Klägers in der mündlichen Verhandlung fest, dass er gegen die sog. Wohlverhaltenspflicht sowie seiner Pflicht zur uneigennützigen Amtsführung schuldhaft verstoßen hat. Nach § 34 Satz 3 BeamtStG (vormals § 54 Satz 3 BG LSA) muss das Verhalten des Beamten der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden, die sein Beruf erfordert. Achtung und Vertrauen sind auf die Person des Beamten gerichtet. Die Achtungswürdigkeit ergibt sich aus der Gesamtheit des persönlichen Eindrucks im dienstlichen sowie im privaten Lebensbereich. Sie stellt das äußere Ansehen dar. Die Vertrauenswürdigkeit umfasst die konkrete Aufgabenerfüllung im dienstlichen Bereich, bezogen auf den Vorgesetzten, die Mitarbeiter und den Adressaten der Amtstätigkeit, nämlich den Bürgern. Nach § 34 Satz 2 BeamtStG (vormals § 54 Satz 2 BG LSA) haben Beamte die übertragenen Aufgaben uneigennützig nach bestem Gewissen wahrzunehmen. Uneigennützigkeit bedeutet in diesem Zusammenhang frei von persönlichen Interessen und Vorteilen, finanzieller oder ideeller Natur zu handeln.

14

Gegen diese Grundpflichten des Berufsbeamtentums und insbesondere des Polizeiberufs hat der Kläger schuldhaft, nämlich fahrlässig verstoßen. Es liegt zur Überzeugung des Gerichts auf der Hand, dass es dem Ansehen des Berufs des Polizeibeamten in der Öffentlichkeit nicht förderlich und damit nicht angemessen ist, wenn sich dieser an Waren bedient, die er im Rahmen seiner Dienstausübung erlangt. Demnach handelt es sich auch nicht „nur“ um ein außerdienstliches Verhalten. Es kommt es nicht entscheidend darauf an, ob diese verunfallten Waren von dem so genannten Havariekommissar freigegeben wurden und/oder ob sie als herrenlos angesehen und als Abfall entsorgt werden sollten. Gerade diese im Einzelfall komplizierten und auch rechtlich nicht eindeutig zu beantwortenden Fragen sollte sich der Polizeibeamte bei seiner Dienstausübung nicht stellen, um sich nicht dem Vorwurf der uneigennützigen Dienstausübung auszusetzen. Gegen diese sich aufdrängende und leicht verständliche Dienstpflicht hat der Kläger jedoch verstoßen. Bereits aufgrund der allgemeinen Lebenserfahrung und insbesondere aufgrund der langjährigen Berufserfahrung des Klägers als Polizeibeamter seit 1991 hätten sich ihm diese Überlegungen aufdrängen müssen. Es kann nicht angehen, dass sich Polizeibeamte an derart verunfallten Ladegütern zum persönlichen Gebrauch bedienen, ja bereichern. Für das Unverständnis derartiger Handlungen durch Polizeibeamte in der Öffentlichkeit spricht bereits, dass die gesamte Angelegenheit nur dadurch bekannt wurde, weil vorbeifahrende Autofahrer auf der Autobahn die Bepackung des Polizeifahrzeuges durch die Polizeibeamten beobachtet und fotografiert und somit zur Anzeige gebracht haben. Bei diesen Beamten - gegen die sogar Strafverfahren wegen Diebstahls mit Waffen eingeleitet und vor dem Amtsgericht eröffnet wurden - drängt sich der Ansehensverlust geradezu auf. Dies gilt - jedenfalls in abgeschwächter Form - auch bei dem Kläger. Zwar ist die Verteilung und Bedienung der verunfallten Reinigungsmittel in der Dienstgarage und damit außerhalb der Öffentlichkeit erfolgt. Jedoch handelte es sich bei den vom Kläger mitgenommen Reinigungsmitteln ausweislich der auf Blatt 121 der Beiakte A befindlichen Anlage nicht nur um geringfügige Mengen, sondern wiesen einen Wert von ca. 166 Euro auf.

15

Bei der Bewertung des Pflichtenverstoßes hält das Gericht dem Kläger zugute, dass er anscheinend - und dies räumt auch die Beklagte ein - über den näheren Umgang mit sog. Havariegut nicht belehrt wurde. Daran ändert aber nichts, dass dem Kläger nicht aufgrund der bereits oben beschriebenen allgemeinen Lebenserfahrung und gerade wegen seiner langjährigen Dienstausübung die Pflichtwidrigkeit seines Handelns bewusst sein musste. Weiter ist disziplinarrechtlich zu berücksichtigen, dass der Kläger von seinem Vorgesetzten und Dienstgruppenleiter die Mitteilung erhielt, dass die in der Dienstgarage deponierten Waren frei gegeben und verteilt werden dürften. Dementsprechend trifft den Vorgesetzten ein erheblich höheres Maß an Pflichtwidrigkeit. Dem ist die Beklagte jedoch auch mit einer höheren Disziplinarmaßnahme als gegenüber dem Kläger, nämlich mit einer Gehaltskürzung entgegengetreten. Gleichwohl - und dies ist entscheidend - darf der Kläger erneut aufgrund der oben beschriebenen Ausführungen zur allgemeinen Lebenserfahrung und der langjährigen Dienstausübung nicht unüberlegt dieser Mitteilung folgen und diese als richtig unterstellen. Denn auch Mitteilungen oder gar Anordnungen des Dienstvorgesetzten entbinden den Beamten gerade nicht von einer eigenständigen Prüfung der Rechtmäßigkeit derartiger Aufforderungen. Ggf. muss sich der Kläger durch geeignete Aktenvermerke oder Mitteilungen an die Vorgesetzten wenden und seiner Remonstrationspflicht nachkommen. Dies schützt ihn dann im Übrigen auch vor einer disziplinarrechtlichen Verfolgung.

16

All diese Überlegungen hat der Kläger nicht angestellt. Zudem zeigte der Kläger in der mündlichen Verhandlung wenig Einsicht in seine pflichtwidrige Handlungsweise und versuchte dies damit abzutun, dass derartige Vorkommnisse auch in der Vergangenheit durch andere Beamte vorgekommen seien und er nunmehr als einziger Beamter zur Verantwortung gezogen werde. Dies trifft jedenfalls hinsichtlich des hier zu behandelnden Vorfalls nicht zu. Denn gerade in diesem Fall hatte die Beklagte den Sachverhalt gründlich ausermittelt und die betreffenden Beamten disziplinarrechtlich einwandfrei nach dem Grad ihrer Pflichtwidrigkeit herangezogen. Der Dienstgruppenleiter erhielt eine höhere Disziplinarmaßnahme als der Kläger und sein Kollege. Zudem sind staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren durchgeführt und gerichtliche Anklagen erhoben worden. Soweit der Kläger sich auf frühere Vorkommnisse bezüglich der Mitnahme von verunfallten Gemüsepaletten und Getränkekisten bezieht, kann er dadurch seine Pflichtwidrigkeit nicht entschuldigen. Denn aus einer pflichtwidrigen Handlung anderer Beamter darf der Kläger keine Erlaubnis für sich selbst ableiten. Es sind auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Beklagte derartige Pflichtwidrigkeiten in der Vergangenheit quasi geduldet habe.

17

Unter Beachtung der Gesamtumstände des Sachverhaltes, welcher zur Pflichtwidrigkeit führte und der Persönlichkeit des Beamten erscheint auch dem Gericht die ausgesprochene Disziplinarmaßnahme in Form einer Geldbuße in Höhe von 150 Euro der Tat als angemessen und auch notwendig, um den Beamten an die Einhaltung seiner Pflichten zu erinnern. Dabei ist von besonderer Bedeutung, dass der Kläger mit dem Verstoß gegen die sog. Wohlverhaltenspflicht und der Begründung des Ansehensverlustes des Berufs des Polizeibeamten im Kernbereich seiner Dienstpflichten verstoßen hat. Daher erscheint eine mildere Maßnahme in Form eines Verweises nicht als ausreichend.

18

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht gemäß §§ 167 Abs. 1 VwGO i. V. m. 708 Nr. 11, 711 ZPO.


Gründe

1

Soweit sich der Kläger in seinem die Antragsbegründung einleitenden Satz ohne Differenzierung auf die Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils, der wohl besonderen rechtlichen Schwierigkeiten sowie der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Sinne §§ 64 Abs. 2 DG LSA, 124a Abs. 4, 124 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 VwGO bezieht, bestehen bereits erhebliche Zweifel daran, ob der Zulassungsantrag den formellen Anforderungen genügt, die an einen Antrag auf Zulassung der Berufung an das Oberverwaltungsgericht zu stellen sind.

2

Zu den Mindestanforderungen an einen Antrag auf Zulassung der Berufung gehört es, dass jeweils einer der Zulassungsgründe deutlich bezeichnet und außerdem, bezogen auf diesen Zulassungsgrund, erläutert wird, warum die Zulassung geboten ist (OVG LSA in std. Rspr., vgl. B. v. 14.01.2010 - 1 L 4/10 – m.w.N.). Es ist grundsätzlich nicht die Aufgabe des über einen Zulassungsantrag entscheidenden Gerichts, anhand der ohne Bezug auf einen spezifischen Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 VwGO erhobenen Einwendungen gegen die angefochtene Entscheidung von Amts wegen zu prüfen, welchen der im Gesetz bezeichneten Zulassungsgründe die Einwendungen betreffen könnten und ob dieser die Zulassung des Rechtsmittels möglicherweise zu tragen geeignet ist.

3

Allerdings lässt die Antragsbegründungsschrift im Hinblick auf die geltend gemachten Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nrn. 2 und 3 VwGO die von Gesetzes wegen gebotene nähere Darlegung vermissen. Dies gilt zunächst in Bezug auf den Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO :

4

Besondere rechtliche Schwierigkeiten bestehen immer dann, wenn die Rechtssache wegen einer erheblich über dem Durchschnitt liegenden Komplexität des Verfahrens oder aufgrund der zugrunde liegenden Rechtsmaterie in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht größere, also das normale Maß nicht unerhebliche überschreitende Schwierigkeiten verursacht, mithin signifikant vom Spektrum der in verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu entscheidenden Streitsachen abweicht (vgl. OVG LSA, std. Rspr., etwa B. v. 14.12.2009 - 1 L 83/09). Im Hinblick auf die damit verbundenen Darlegungsanforderungen gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO ist es erforderlich, im Einzelnen darzulegen, hinsichtlich welcher Fragen und aus welchen Gründen aus der Sicht des Rechtsschutzsuchen die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist. Es bedarf zudem Darlegungen dazu, dass die aufgeworfenen Fragen für den zu entscheidenden Rechtsstreit entscheidungserheblich sind. Derartige Darlegungen lässt die Antragsschrift völlig vermissen.

5

Hinsichtlich der Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist es geboten, in der Antragsbegründungsschrift eine konkrete rechtliche oder tatsächliche Frage zu formulieren und gleichzeitig substantiiert vorzutragen, inwiefern deren Klärung eine im Interesse der Rechtssicherheit, Vereinheitlichung oder Fortbildung des Rechts über den Einzelfall hinausgehende grundsätzliche Bedeutung zukommt und warum es auf die Klärung der zur Überprüfung gestellten Frage im konkreten Fall entscheidungserheblich ankommt (vgl. OVG LSA, std. Rspr., etwa B. v. 05.03.2010 – 1 L 6/10). Der Antragsbegründungsschrift fehlt es schon an der gebotenen Formulierung der allgemein für klärungsbedürftig gehaltenen Frage.

6

Der Senat geht daher - letztlich im Interesse des Klägers - davon aus, dass sich seine weiteren Ausführungen in der Antragsbegründungsschrift ausschließlich auf den Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO beziehen, mithin ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung geltend gemacht werden sollen. Das so verstandene Vorbringen des Klägers hat indes keinen Erfolg:

7

Soweit der Kläger zunächst vorträgt, die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Auslegung der beamtenrechtlichen Pflichten zum Wohlverhalten und zur Uneigennützigkeit verschaffe der Beklagten einen „weiten Ermessenspielraum für die nachträgliche Bestimmung von Verboten“, vermag er damit die erstinstanzliche Entscheidung nicht mit Erfolg in Frage zu stellen. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, erfordert es das Gebot der Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit von Polizeivollzugsbeamten nicht erst seit der Geltung des § 34 Satz 2 BeamtStG, sondern seit jeher, dass diese die ihnen übertragenden Aufgaben uneigennützig wahrzunehmen haben. Uneigennützigkeit bedeutet in diesem Zusammenhang, frei von persönlichen Interessen und Vorteilen, vor allem in finanzieller Hinsicht, zu handeln. Es kann daher keine Rede davon sein, dass es sich bei dem - traditionellen - Verbot für Polizeibeamte, sich an einem Unfallort vorgefundene Gegenstände anzueignen, um eine „nachträgliche Bestimmung von Verboten“ gehandelt haben könnte.

8

Auch das weitere Vorbringen des Klägers, ihm sei jedenfalls keine spezifische Regelung (Erlass oder Weisung) zum Umgang mit als „freigegeben bezeichneter Ware“ bekannt gewesen, vermag die durch das Verwaltungsgericht getroffene Feststellung eines dienstpflichtwidrigen Verhaltens im Sinne eines fahrlässigen Dienstvergehens gem. § 47 Abs. 1 BeamtStG nicht mit Erfolg in Frage zu stellen. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht insoweit ausgeführt, dass sich dem Kläger aufgrund seiner langjährigen Berufserfahrung als Polizeibeamter geradezu hätte aufdrängen müssen, dass sich Polizeibeamte an „derart verunfallten Ladegütern“ nicht zum persönlichen Gebrauch bedienen dürfen, gerade weil die im Einzelfall komplizierten und auch rechtlich nicht eindeutig zu beantwortenden Fragen zur Eigentumslage nicht ohne Weiteres zu beantworten seien.

9

Es kann - wie das Verwaltungsgericht insofern zutreffend ausgeführt hat - auch nicht entscheidend darauf ankommen, ob die am Unfallort vorgefundenen Waren von dem Havariekommissar mit der Folge „frei gegeben“ worden sind, dass sie damit als herrenlos im Sinne des § 959 BGB hätten angesehen werden können. Es bestehen bereits Zweifel daran, ob der Havariekommissar überhaupt die Kompetenz hatte, außer der rein versicherungsrechtlichen „Freigabe“ zugleich über die eigentumsrechtliche Position an den Haushaltschemikalien zu verfügen. Jedenfalls widersprach es ganz eindeutig der dem Kläger wie jedem Polizeibeamten obliegenden Dienstpflicht, die von Kollegen „vorgefundenen“ und im Wert von mehreren Hundert Euro, mithin in keineswegs unerheblichen Mengen im Dienst-Pkw mitgenommenen Haushalts-Chemikalien in der Polizei-Garage unter sich aufzuteilen, ohne sich zuvor bei der Dienststellenleitung über die Rechtmäßigkeit dieser Verfahrensweise zu versichern. Dass ein solches, den Vorwurf einer „Heimlichtuerei“ rechtfertigendes Verhalten - entgegen der offensichtlich immer noch vom Kläger vertretenen Rechtsauffassung - dem beamtenrechtlichen Gebot der uneigennützigen Dienstausübung widerspricht, liegt auf der Hand und bedarf eigentlich keiner weiteren Begründung.

10

Zu dem weiteren Vorbringen des Klägers dahingehend, das Verwaltungsgericht habe ihm zu Unrecht Umstände im Rahmen des Verladens und der Bergung des Havarieguts zur Last gelegt, welche ihm nicht bekannt gewesen seien, ist zu bemerken, dass nach den diesbezüglichen - vom Kläger nicht in Frage gestellten - tatsächlichen Feststellungen im Urteil des Verwaltungsgerichts davon auszugehen ist, dass der Kläger jedenfalls bei der Verteilung der Haushalts-Chemikalien in der Polizei-Garage durchaus wusste, dass diese aus einem zuvor auf der BAB A 9 verunfallten LKW stammten, mithin sowohl die Herkunft der Chemikalien als auch die Umstände deren Transports in die Polizei-Garage durchaus kannte. Der Kläger vermag danach die vom Verwaltungsgericht vorgenommene rechtliche Würdigung, er habe die ihm obliegenden Dienstpflichten schuldhaft verletzt, nicht mit Erfolg in Frage zu stellen.

11

Soweit der Kläger zu seiner Rechtfertigung schließlich vorbringt, er habe einen Dienstvorgesetzten über die Herkunft der Haushaltsartikel befragt, was ihm keinen Grund gegeben habe, erneut „beim höheren Vorgesetzten zu remonstrieren“, hat das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt, der Kläger sei gehalten gewesen, sich etwa im Wege von Aktenvermerken an seine Behördenleitung zu wenden, anstatt sich schlicht auf eine offensichtlich falsche Auskunft des - insoweit auch zur Rechenschaft gezogenen - Dienstvorgesetzten zu „verlassen“.

12

Auch soweit der Kläger schließlich ausführt, dass sein Verhalten nicht zu einem Ansehensverlust der Polizei beigetragen habe, weil es „außerhalb der Öffentlichkeit stattgefunden“ habe, stellt er die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Würdigung seines Verhaltens als eines zumindest fahrlässigen Dienstvergehens im Sinne § 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG nicht schlüssig in Frage. Denn der Umstand, dass die Verteilung der Haushalts-Chemikalien in der Polizei-Garage als solche außerhalb der Wahrnehmung durch die Öffentlichkeit erfolgte, ist gerade auf die insoweit konspirative Verfahrensweise des Klägers und der anderen beteiligten Polizeibeamten zurückzuführen und vermag das Fehlverhalten des Klägers daher nicht in einem milderen Licht erscheinen zu lassen.

13

Hinsichtlich der Höhe der zu verhängenden Sanktion hat das Verwaltungsgericht – ohne dass der Kläger dem weiter substantiiert entgegengetreten ist - die gegen den Kläger erkannte Disziplinarmaßnahme einer Geldbuße in Höhe von 150,00 Euro als angemessen und auch notwendig angesehen, um den Kläger an die Einhaltung seiner beamtenrechtlichen Pflichten zu erinnern. Dies erscheint auch nach Auffassung des Senats keinesfalls als überzogen, sondern als durchaus angemessen und notwendig, um den - offensichtlich immer noch nicht einsichtsbereiten - Kläger an die Beachtung seiner Dienstpflichten in Zukunft zu erinnern und im Übrigen auch deutlich zu machen, dass die im Polizeibereich gelegentlich noch anzutreffende Auffassung, man dürfe sich Havarieware einfach „mitnehmen“, nicht zu tolerieren ist und disziplinare Konsequenzen nach sich ziehen kann.

14

Die Kostenentscheidung beruht auf § 72 Abs. 4 DG LSA i. V. m. § 154 Abs. 2 VwGO. Die Gerichtsgebührenfreiheit des Verfahrens folgt aus § 73 Abs. 1 Satz 1 DG LSA.

15

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 64 Abs. 2 DG LSA i. V. m. §§ 124 Abs. 5 Satz 4, 152 Abs. 1 VwGO).


(1) Beamtinnen und Beamte begehen ein Dienstvergehen, wenn sie schuldhaft die ihnen obliegenden Pflichten verletzen. Ein Verhalten außerhalb des Dienstes ist nur dann ein Dienstvergehen, wenn es nach den Umständen des Einzelfalls in besonderem Maße geeignet ist, das Vertrauen in einer für ihr Amt bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen.

(2) Bei Ruhestandsbeamtinnen und Ruhestandsbeamten oder früheren Beamtinnen mit Versorgungsbezügen und früheren Beamten mit Versorgungsbezügen gilt es als Dienstvergehen, wenn sie sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes betätigen oder an Bestrebungen teilnehmen, die darauf abzielen, den Bestand oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland zu beeinträchtigen, oder wenn sie schuldhaft gegen die in den §§ 37, 41 und 42 bestimmten Pflichten verstoßen. Bei sonstigen früheren Beamtinnen und früheren Beamten gilt es als Dienstvergehen, wenn sie schuldhaft gegen die in den §§ 37, 41 und 42 bestimmten Pflichten verstoßen. Für Beamtinnen und Beamte nach den Sätzen 1 und 2 können durch Landesrecht weitere Handlungen festgelegt werden, die als Dienstvergehen gelten.

(3) Das Nähere über die Verfolgung von Dienstvergehen regeln die Disziplinargesetze.

Tatbestand

1

Der Kläger führt die Disziplinarklage gegen den beklagten Beamten im Rang eines Obersekretärs im Justizvollzugsdienst (BesGr. A 7 BBesO) mit dem Ziel seiner Entfernung aus dem Dienst. Der Beklagte ist Beamter des allgemeinen Vollzugs- und Verwaltungsdienstes bei Justizvollzugseinrichtungen, Laufbahngruppe 1, 2. Einstiegsamt, und zuletzt in der Justizvollzugsanstalt Dessau und dort überwiegend im Stations- und Betreuungsdienst im Wechselschichtdienst tätig.

2

Nach dem Abschluss der 10. Klasse der Polytechnischen Oberschule im Jahre 1987 absolvierte der 1970 geborene Beklagte eine zweijährige Ausbildung zum Elektromonteur, woran sich eine Umschulung zum Kommunikationselektroniker anschloss. 1990 bis 1991 leistete er seinen Zivildienst. Nachdem der Beklagte länger arbeitsuchend war, schlossen sich seit dem Jahr 1994 mehrere Tätigkeiten unterschiedlichster Art an. Im Jahre 2002 wurde der Beklagte als Obersekretäranwärter im Justizvollzugsdienst in das Beamtenverhältnis auf Widerruf eingestellt. Nach erfolgreicher Absolvierung des Vorbereitungslehrgangs und nach Abschluss der Laufbahnprüfung folgte 2004 die Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe. Die Verbeamtung auf Lebenszeit erfolgte im Jahre 2006.

3

Der Beamte ist verheiratet und hat zwei 1998 und 2001 geborene Töchter.

4

Die letzte dem Beamten erstelle dienstliche Beurteilung aus dem Jahre 2008 schloss mit der Gesamtbewertung „befriedigend“ bei 201 der von 200 bis 265 Punkte reichenden Gesamtskala.

5

Bis zu den hier einschlägigen Geschehnissen im Jahre 2009 ist der Beklagte weder straf- noch disziplinarrechtlich vorbelastet.

6

Das beamtenrechtliche Verbot der Führung der Dienstgeschäfte wurde dem Beklagten mit Verfügung vom 15.04.2009 ausgesprochen. Der diesbezügliche vorläufige Rechtsschutzantrag des Beamten wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Halle vom 10.07.2009 (5 B 215/09) abgelehnt. Ebenso hatte der Rechtsschutzantrag des Beamten gegen die sodann disziplinarrechtlich ergangene Suspendierung vom 14.07.2009 keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht Magdeburg - Disziplinarkammer - lehnte den diesbezüglichen Antrag auf Aufhebung der vorläufigen Dienstenthebung mit Beschluss vom 12.10.2009 (8 B 18/09) ab.

7

Mit der Disziplinarklage vom 22.08.2012 (Eingang 24.08.2012) wird der Beamte angeschuldigt, ein Dienstvergehen nach § 47 Abs. 1 Satz 1 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) begangen zu haben, weil er vorsätzlich gegen seine Dienstpflichten nach den §§ 34, 35 BeamtStG sowie Nrn. 2, 9 und 20 der Dienst- und Sicherheitsvorschriften für den Strafvollzug (DSVollz) verstoßen habe.

8

Denn aufgrund des Strafurteils des Landgerichts D... (7 Ns [682 Js 8297/09] vom 08.11.2011 sei der dem Disziplinarvorwurf zugrundeliegende Sachverhalt der Körperverletzung im Amt bindend festgestellt. Darüber hinaus habe der Beamte auch nach seiner eigenen Einlassung im Disziplinarverfahren dem Gefangenen S… ein Handy mit Fotofunktion, Parfümproben, zwei Musik-CD’s sowie Cappuccino der Geschmacksrichtung „Karamell“ mitgebracht und übergeben.

9

Nachdem das Amtsgericht D... den Beklagten mit Urteil vom 13.07.2010 (11 Cs 158/10 [ 682 Js 8297/09]) wegen Körperverletzung im Amt in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt hatte, wurde die Strafe in der Berufung durch das Landgericht D... (3 Ns [ 682 Js 8297/09-11 Cs 158/10]) mit Urteil vom 31.01.2011 auf eine Freiheitsstrafe von sieben Monaten abgemildert. Schließlich führte die Revision des Beamten zur Aufhebung des Urteils im Strafausspruch und Zurückverweisung durch Beschluss des Oberlandesgerichts Naumburg vom 03.08.2011 (1 Ss 21/11). Die Revision bemängelte insbesondere, dass die Berufungskammer das Vorliegen eines minderschweren Falles nach § 340 Abs. 1 Satz 2 StGB nicht hinreichend geprüft habe. Mit rechtskräftigem Urteil des Landgerichts D... (7 Ns [682 Js 8297/09]) vom 08.11.2011 wurde der Beklagte zu einer Geldstrafe von150 Tagessätzen zu je 60 Euro verurteilt. Das Strafurteil führt zum festgestellten Sachverhalt aus:

10

„An einem nicht mehr näher eingrenzbaren Tag zwischen Ende Februar und dem 05.04.2009 öffnete der Angeklagte im Rahmen seiner Tätigkeit als Justizvollzugsbediensteter die Tür des Haftraumes 125 des Strafgefangenen H...

11

In seiner Begleitung befand sich zu diesem Zeitpunkt der Strafgefangene S.... Jener betrat den Haftraum 125; der Beklagte verblieb im Bereich der Türöffnung. In diese Situation frage der Strafgefangene S... den Beklagen ob er wisse, wer „ J...“ sei. Auf dessen bestätigende Antwort, dass dies der Österreicher sei, der seine Tochter im Keller eingesperrt und missbraucht habe, deutete der Strafgefangene S... auf den Strafgefangenen N... mit den Worten: “Nein, das ist er.“ Der Zeuge N... reagierte daraufhin mit der Frage an den Strafgefangenen S..., ob er wisse, was er ihm antue, indem er ihn als Kinderficker anrede. Hieraufhin drückte der Strafgefangene S... den Häftling N... auf das in der Ecke stehende Bett und schlug, über ihn gebeugt stehend, mehrfach mit der Faust gegen den Oberarm und die Rippen, wodurch er bei dem Strafgefangenen N... nicht unerhebliche Schmerzen hervorrief. Während dessen stand der Angeklagte, ohne auf das von ihm beobachtete Geschehen in der Zelle zu reagieren, in der offenen Tür des Haftraumes, obwohl es ihm bei pflichtgemäßem Eingreifen möglich gewesen wäre, die durch den Häftling S... ausgeübten Körperverletzungen zu beenden. Damit hat der Beklagte nach Feststellung des erkennenden Gerichts den Straftatbestand der Körperverletzung im Amt erfüllt.“

12

Der Beklagte begründet die Disziplinarklage damit, dass der Beklagte mit seinem Verhalten nicht dem Vertrauen und der Achtung gerecht geworden sei, welches sein Beruf erfordere. Justizvollzugsbeamte seien in ganz besonderem Maße für den Schutz der Gefangenen zuständig. Das Verhalten des Beamten sei geeignet gewesen, dem Misstrauen anderer Gefangener Vorschub zu leisten, welche sich somit schutzlos gegenüber anderen Gefangenen gefühlt hätten und zum anderen sei nicht auszuschließen, dass Drangsalierungen anderer Gefangener Vorschub geleistet worden sei. Im für Gefangene wie Bedienstete gefährlichen Bereich des Justizvollzugs sei es unerlässlich, dass sich Bedienstete weisungskonform verhielten. So sei jedem Vollzugsbediensteten bekannt, dass die Sicherheit und Ordnung sowie das Vollzugsziel durch Mobiltelefone gefährdet werde. So könnten z. B. telefonisch Mauerwürfe, Einbringen von Betäubungsmitteln, Absprachen und schließlich Fluchtvorbereitungen sowie akustische und bildliche Aufnahmen von Mitgefangenen oder Justizvollzugsbeamten vorgenommen werden. Der Beamte habe zu dem Gefangenen S... ein besonderes Näheverhältnis aufgebaut, wodurch auch das Vertrauen dem Beamten gegenüber im Kollegen- wie auch Gefangenenkreis erheblich gestört worden sei.

13

Bei der Gesamtwürdigung der bedeutsamen Umstände sei ein Versagen im Kernbereich festzustellen, wodurch der Beamte das Vertrauen des Dienstherrn endgültig und vollständig verloren habe. Es sei mit dem Bild und der Verantwortung eines Justizbediensteten nicht vereinbar, wenn dieser die Sicherheit und Ordnung der Anstalt gefährde, die Verlässlichkeit gegenüber Kollegen nicht gewährleiste und schließlich selbst straffällig werde. Auch sei ein Ansehensverlust durch die Veröffentlichungen in den Medien eingetreten, so dass auch die Öffentlichkeit kein Verständnis dafür haben dürfte, wenn der Dienstherr den Beklagten weiter beschäftigen würde.

14

Der Kläger beantragt,

15

den Beamten aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen.

16

Der Beklagte beantragt,

17

die Disziplinarklage abzuweisen.

18

Der Sachverhalt sei trotz mehrerer Rechtszüge und strafrechtlicher Tatsachenfeststellungen nicht restlos aufgeklärt. So sei nicht geklärt, ob der Angriff des Strafgefangenen S... auf den Strafgefangenen N... durch den Beamten hätte abgewehrt werden können.

19

Zwar habe der Beklagte bei objektiver Betrachtung seine Dienstpflichten verletzt. Dadurch seien aber weder eine Ansehens- noch eine Vertrauensschädigung entstanden. Dies sei hinsichtlich der Strafgefangenen durch die vor dem Strafgericht getätigten Zeugenaussagen bekundet. Auch ein Ansehensverlust durch Medienveröffentlichungen sei nicht feststellbar. Denn es sei einmalig im April 2009 in der lokalen Presse über die Vorkommnisse berichtet worden.

20

Zu beachten sei, dass der Beklagte als lebens- und dienstjüngster Vollzugsbeamter bemüht gewesen sei, ein „menschliches“ Verhalten gegenüber den Strafgefangenen an den Tag zu legen. Gerade durch die Gewährung von menschlichen Gesten gegenüber den Strafgefangenen habe der Beklagte versucht, die Sicherheit und Ordnung in der Justizvollzugsanstalt aufrechtzuerhalten. Dadurch seien tatsächlich gewisse Drucksituationen bei einigen Strafgefangenen ventiliert worden, indem mal ein Kaffee oder eine Zigarette spendiert oder den Strafgefangenen die Gelegenheit gegeben worden sei, auch einmal außerhalb der regulären Zeiten zusammenzukommen und gemeinsam die Zeit zu verbringen. Dies gelte auch für die Überlassung des Mobiltelefons an den Strafgefangenen S.... Dieses Verhalten habe zudem dazu gedient, besondere Erkenntnisse und Informationen über den Handel mit Betäubungsmitteln in der Justizvollzugsanstalt aufzudecken. So sei der Beamte durch die Staatsanwaltschaft D... gebeten worden, im verdeckten Einsatz als Lockspitzel zur Aufklärung möglicher Straftaten des Strafgefangenen R... tätig zu werden. Aus persönlichen Gründen und des Schutzes seiner Familie habe der Beklagte dies abgelehnt, sich aber gleichsam in einer moralischen Verpflichtung gesehen, so dass er deshalb in besonderem Maße an den Insiderinformationen des Strafgefangenen S... interessiert gewesen sei.

21

Ein endgültiger Verlust des Vertrauensverhältnisses zu dem Dienstherrn oder der Allgemeinheit sei deshalb noch nicht festzustellen. Dementsprechend mag die Verhängung einer milderen Disziplinarmaßnahme als die Höchstmaßnahme verhältnismäßig und der Pflichtverletzung angemessen sein.

22

Wegen der weiteren Einzelheiten und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungs- und Ermittlungsvorgänge verwiesen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

23

Die zulässige Disziplinarklage ist begründet. Der Beklagte hat ein schwerwiegendes Dienstvergehen gem. § 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG begangen, welches die Disziplinarmaßnahme der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (§ 10 DG LSA) nach sich zieht.

24

Beamte begehen ein Dienstvergehen, wenn sie schuldhaft die ihnen obliegenden Pflichten verletzen (§ 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG). Die Disziplinarkammer ist davon überzeugt, dass der Beklagte die ihm in der Disziplinarklage vorgeworfenen und bezüglich der Handy-Übergabe eingeräumten Pflichtenverstöße begangen hat.

25

1.) Der disziplinarrechtlich zu bewertende Sachverhalt, welcher zur Verurteilung einer Körperverletzung im Amt in einem minderschweren Fall führte, ergibt sich aus den tatsächlichen Feststellungen in dem Strafurteil des Landgerichts D... vom 08.11.2011, welche wiederum auf der Bindungswirkung aus dem Urteil des Landgerichts D... vom 31.01.2011 beruhen. Nach § 54 Abs. 1 Satz 1 DG LSA ist das Disziplinargericht an diese tatsächlichen Feststellungen gebunden. Eine Möglichkeit bzw. ein Bedürfnis zur Lösung von diesen tatsächlichen Feststellungen des Strafurteils nach § 54 Abs. 1 Satz 2 DG LSA sieht das Gericht nicht. Es ist in der disziplinarrechtlichen Rechtsprechung anerkannt, dass eine Lösung von den tatsächlichen Feststellungen eines Strafurteils nur ausnahmsweise und unter eng begrenzten Voraussetzungen möglich ist. Die Disziplinargerichte dürfen die eigene Entscheidungsfreiheit nicht an die Stelle der Entscheidung des Strafgerichtes setzen. Strafgerichtliche Feststellungen, die auf einer nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrenswerte verstoßenden Beweiswürdigung beruhen, sind daher auch dann für die Disziplinargerichte bindend, wenn diese aufgrund eigener Würdigung abweichende Feststellungen für möglich halten. Nur erhebliche Zweifel können daher zu einer nochmaligen Prüfung veranlassen (vgl. BVerwG, U. v. 05.09.1990, 1 D 78.89; vom 07.10.1986, 1 D 46.86; zuletzt: Beschl. V. 01.03.2013, 2 B 78/12; OVG NRW, U. v. 29.10.1981, 1 V 10/89; VGH Baden-Württemberg, U. v. 18.06.2001, D 17 S 2-01; VG Regensburg, U. v. 09.12.2009, RO 10 A DK 09.1074; VG Meiningen, U. v. 19.04.2010, 6 D 60014/09 Me; zusammenfassend: VG Magdeburg, U. v. 29.01.2013, 8 A 22/12; alle juris).

26

Unter Zugrundelegung dieser Rechtsprechung hat die Disziplinarkammer keine Zweifel an der Richtigkeit der strafrichterlichen Feststellungen zu dem Tathergang. Ausgehend von der Bindungswirkung bestreitet dies der Beamte auch nicht, sondern zieht nur andere rechtliche Schlussfolgerungen daraus. So sieht der Beklagte auch bei Zugrundlegung der strafgerichtlichen Feststellungen, dass der Angriff durch den Strafgefangenen S... auf den Strafgefangenen N... in seinem Beisein durchgeführt wurde, Aufklärungsbedarf dahingehend, ob er noch hätte eingreifen und den Vorfall unterbinden können.

27

Letzteres aufgegriffen, sieht die Kammer jedoch auch dort keine Lösungsmöglichkeit bzw. Veranlassung zur weiteren Sachverhaltsaufklärung. Dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag zur Vernehmung des Geschädigten N... als Zeugen zu dieser Tatsache, musste und durfte deshalb bereits nicht nachgegangen werden. Denn gerade das fehlende Eingreifen des Beklagten, also sein Unterlassen, stellt den Tatbestand der Körperverletzung im Amt dar und wurde vom Strafgericht dahingehend gewürdigt. Die Strafkammer kam im Ergebnis der Beweisaufnahme und in Würdigung der Aussagen der Zeugen N..., L… und F… abweichend von der Einlassung des Beklagten zu der Überzeugung, dass sich die Körperverletzung wie erwähnt zugetragen hat, der Beklagte dies ohne einzugreifen beobachtete, obwohl ihm dies möglich gewesen wäre.

28

Die Bindungswirkung erstreckt sich auf den inneren und äußeren Tatbestand der Straftat, also auch auf Vorsatz sowie die Schuldfähigkeit (vgl. zuletzt OVG Lüneburg, U. v. 05.12.2012, 19 LD 3/12; juris). Daher musste und durfte dem weiteren in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag dazu, dass der Strafgefangene N... dem Beklagten ein jederzeit „ordentliches Verhalten“ als Vollzugsbediensteter bescheinigt habe durch Vernehmung des Zeugen N... nicht nachgegangen werden.

29

2.) Darüber hinaus steht auch aufgrund der eignen Einlassung des Beamten fest, dass er dem Gefangenen S... ein Handy mit Fotofunktion, Parfümproben, zwei Musik-CD’s sowie Cappuccino der Geschmacksrichtung „Karamell“ in die Haftanstalt mitgebracht und übergeben hat.

30

3.) Durch diese Handlungen hat der Beklagte vorsätzlich und schuldhaft gegen die aus den Dienst- und Sicherheitsvorschriften für den Straffvollzug (DSVollz) resultierenden allgemeinen Berufspflichten der Bediensteten der Vollzugsanstalten (vgl. nur: §§ 2, 9, 20) und damit gegen die in § 34 BeamtStG normierte Wohlverhaltenspflicht und die nach § 35 Satz 2 BeamtStG bestehende Pflicht zur Weisungsgebundenheit verstoßen.

31

Nach Nr. 2 Abs. 1 DSVollz dürfen Vollzugsbedienstete ohne ausdrückliche Erlaubnis der Anstaltsleitung weder Geld noch andere Sachen an Gefangenen aushändigen. Nach Nr. 20 Abs. 1 Sätze 1 und 2 DSVollz sind die Gefangenen so zu beaufsichtigen, dass Sicherheit und Ordnung jederzeit gewährleistet sind, wobei sich die Beaufsichtigung insbesondere auf eine Unterbindung unerlaubten Verkehrs erstreckt.

32

4.) Hinsichtlich der auszusprechenden Disziplinarmaßnahme ist die Schwere des Dienstvergehens unter angemessener Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten richtungsweisend (vgl. § 13 DG LSA). Die Schwere beurteilt sich nach objektiven Handlungsmerkmalen wie Eigenart und Bedeutung der Dienstpflichtverletzungen, den besonderen Umständen der Tatbegehung sowie Häufigkeit und Dauer eines wiederholten Fehlverhaltens, nach subjektiven Handlungsmerkmalen wie Form und Gewicht des Verschuldens des Beamten, den Beweggründen für sein Verhalten sowie nach den unmittelbaren Folgen für den dienstlichen Bereich und für Dritte. Davon ausgehend kommt es darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung im Einzelfall derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die durch die Schwere des Dienstvergehens indizierte Maßnahme geboten ist. Eine vollständige und richtige Gesamtwürdigung setzt voraus, dass die Disziplinarkammer die im Einzelfall bemessungsrelevanten, d. h. die für die Schwere des Dienstvergehens und das Persönlichkeitsbild bedeutsamen Tatsachen ermittelt und mit dem ihnen zukommenden Gewicht in die Gesamtbewertung einbezieht. Dies entspricht dem Zweck der Disziplinarbefugnis des Disziplinargerichts als einem Mittel der Funktionssicherheit des öffentlichen Dienstes. Dabei findet der Grundsatz „in dubio pro reo“ Anwendung. Die Disziplinargerichte dürfen nur solche belastenden Tatsachen in die Gesamtwürdigung einstellen, die zur Überzeugung des Gerichts feststehen. Demgegenüber müssen entlastende (mildernde) Umstände schon dann zu Gunsten des Beamten berücksichtigt werden, wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für ihr Vorliegen gegeben sind und eine weitere Sachverhaltsaufklärung nicht möglich ist (vgl. nur: VG Magdeburg, Urteil v. 29.11.2012, 8 A 12/11 und Urteil v. 27.10.2011, 8 A 2/11 mit Verweis auf BVerwG, U. v. 27.01.2011, 2 A 5.09; jüngst BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11/10 mit Verweis auf Urteile v. 20.10.2005, 2 C 12.04 und v. 03.05.2007, 2 C 9.06; OVG Lüneburg, Urteil v. 14.11.2012, 19 LD 4/11; alle juris).

33

Ein endgültiger Verlust des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit im Sinne von § 13 Abs. 2 Satz 1 DG LSA ist anzunehmen, wenn aufgrund der prognostischen Gesamtwürdigung auf der Grundlage aller im Einzelfall bedeutsamen be- und entlastenden Gesichtspunkte der Schluss gezogen werden muss, der Beamte werde auch künftig in erheblicher Weise gegen seine Dienstpflichten verstoßen oder die durch sein Fehlverhalten herbeigeführte Schädigung des Ansehens des Berufsbeamtentums sei bei einer Fortsetzung des Beamtenverhältnisses nicht wiedergutzumachen. Unter diesen Voraussetzungen muss das Beamtenverhältnis im Interesse der Leistungsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und der Integrität des Berufsbeamtentums beendet werden (BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11.10 mit Verweis auf Urteile v. 20.10.2005, 2 C 12.04, v. 03.05.2007, 2 C 9.06 und v. 29.05.2008, 2 C 59.07; alle juris).

34

Für das danach zu findende Disziplinarmaß können die vom Disziplinarsenat des Bundesverwaltungsgerichts für bestimmte Fallgruppen herausgearbeiteten Regeleinstufungen von Bedeutung sein.

35

Setzt sich das (einheitliche) Dienstvergehen (vgl. zur Einheit des Dienstvergehens nur: VG Magdeburg, Urteil v. 04.11.2009, 8 A 19/08 m. w. Nachw.; juris) aus mehreren Dienstpflichtverletzungen zusammen, bestimmt sich die zu verhängende Disziplinarmaßnahme in erster Linie nach der schwersten Verfehlung (BVerwG, Urteil v. 23.02.2005, 1 D 1.04; juris). Vorliegend wiegen beide vorgeworfenen Pflichtverletzungen (gleich) schwer.

36

a.) Die Überlassung eines funktionstüchtigen Mobiltelefons zudem mit Kamerafunktion an einen Strafgefangenen stellt einen schweren Verstoß gegen die Dienst- und Sicherheitsvorschriften für den Strafvollzug dar (vgl. VG Magdeburg, Beschluss v. 12.10.2009, 8 B 18/09; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 22.03.2010, 3 A 11391/09; VG Trier, Urteil v. 08.12.2009, 3 K 387/09.TR; alle juris). Das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz hat bezüglich „nur“ der Weitergabe einer SIM-Karte an Gefangene durch einen Justizvollzugsbeamten die Entfernung aus dem Dienst ausgesprochen und im Urteil v. 22.03.2010 (3 A 11391/09; juris) unter Bestätigung der Ausführungen des Verwaltungsgerichts Trier (Urteil v. 08.12.2009, 3 K 387/09.TR; juris) ausgeführt:

37

„Durch die Weitergabe […] hat er dem Gefangenen die Möglichkeit unkontrollierter Mobilfunkgespräche eröffnet. Damit hat er nicht nur ein unbeherrschbares Risiko für die Sicherheit der Allgemeinheit geschaffen. Er hat auch die Gesundheit und das Leben der Bediensteten und der anderen Gefangenen in der Anstalt in Gefahr gebracht. Die durch den Beklagten geschaffene Möglichkeit unkontrollierter Telefongespräche hätte dazu missbraucht werden können, aus der Anstalt heraus kriminelle Handlungen zu veranlassen oder Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörde zu behindern. Außerdem hätten Gefangene – mithilfe der beiden SIM-Karten – Ausbruchsversuche organisieren oder so genannte „Mauerwerfer“ lenken können, um an weitere unerlaubte Gegenstände – etwa an Drogen oder Waffen – zu gelangen. Schließlich hat der Beklagte sich durch die grob pflichtwidrige Überlassung der SIM-Karen an den Gefangenen nicht nur diesem gegenüber, sondern auch gegenüber allen anderen Gefangenen, die davon erfahren haben, erpressbar gemacht. Auch aus diesem Grund war das Handeln des Beklagten geeignet, die Anstaltssicherheit erheblich zu gefährden (vgl. BayVGH, Urteil v. 11. Juli 2007 – 16a D 06.85 – juris).

38

[…]

39

Der Dienstherr ist im hoch sicherheitsrelevanten Bereich der Justizvollzugsanstalt in besonderer Weise auf ein unbedingtes Vertrauen in das Pflichtbewusstsein, die Zuverlässigkeit und die Ehrlichkeit seiner Beamten angewiesen. Eine lückenlose Kontrolle der Bediensteten ist unter den Bedingungen des Justizvollzuges nicht möglich. Sie muss daher sehr weit gehend durch Vertrauen ersetzt werden. Außerdem hat die Pflichtvergessenheit einzelner Beamter im Justizvollzug häufig sehr weit reichende Folgen für die Sicherheit der Anstalt und der Allgemeinheit (OVG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 22.03.2010, 3 A 11391/09; juris).“

40

Diesen Ausführungen schließt sich die Disziplinarkammer an und verschafft ihnen auch Geltung im vorliegenden Fall. Denn hier hat der Beklagte nicht nur eine SIM-Karte dem Gefangenen geliefert sondern gleich ein funktionstüchtiges Mobiltelefon mit Kamerafunktion. Dabei ist neben der Telekommunikation auch auf die anstaltswidrige Möglichkeit der Kameranutzung und der sich daraus ergebenen Gefahren und missbräuchlichen Nutzung hinzuweisen. Der Ausspruch der disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahme steht demnach bereits zur Ahndung dieser Pflichtverletzung aufgrund des Vertrauensbruchs im Raum.

41

b.) Es liegt auf der Hand, dass gerade bei einem Beamten im Justizvollzugsdienst eine begangene und zur Strafverurteilung geführte Straftat der Körperverletzung im Amt ein schwerwiegendes Dienstvergehen darstellt. Angesichts der Bandbreite denkbarer Fallgestaltungen bei der Begehung des Amtsdeliktes hat sich eine sogenannte Regeleinstufung hinsichtlich der auszusprechenden Disziplinarmaßnahme in der disziplinarrechtlichen Rechtsprechung noch nicht herausgebildet.

42

Festzustellen ist aber, dass ein Justizvollzugsbeamter - wie im Übrigen auch ein Polizeivollzugsbeamter - der eine vorsätzliche Körperverletzung im Amt an einer in seinem Gewahrsam befindlichen Person begeht, dem Kernbereich seiner Amtspflichten zuwider handelt und das für die Ausübung seines Berufs erforderliche Vertrauen seines Dienstherrn und der Allgemeinheit auf das Schwerste beeinträchtigt. In der disziplinarrechtlichen Rechtsprechung ist daher anerkannt, dass ein Polizeivollzugsbeamter, der in Ausübung seines Dienstes eine oder mehrere vorsätzliche Körperverletzungen begeht, ohne dass ein Fall der Notwehr oder Putativnotwehr vorliegt, in grober Weise gegen seinen polizeilichen Auftrag zur Gefahrenabwehr verstößt und den Kernbereich seiner Pflichten verletzt. Er missbraucht die ihm verliehene Machtbefugnis und erschüttert in erheblichem Maße das Ansehen der Polizei als staatliche Institution. Die Allgemeinheit darf erwarten, dass das strafgesetzliche Verbot, andere körperlich nicht zu verletzen, gerade von Polizeivollzugsbeamten befolgt wird, deren Aufgabe es ist, die Einhaltung dieses Verbotes zu überwachen und Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, namentlich solche Gefahren, die Leben, Gesundheit oder Freiheit von Personen bedrohen, abzuwehren. In schwerwiegenden Fällen, wozu der Übergriff auf in Polizeigewahrsam befindliche Personen gerade auch im Hinblick auf die dadurch zum Ausdruck kommende Missachtung der staatlichen Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zu rechnen ist, ist imRegelfall die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis als Richtschnur geboten (vgl. nur VG Wiesbaden, U. v. 27.09.2012, 28 K 389/11. WI.D; juris m. V. auf: VGH Baden Württemberg, U. v. 04.11.2008, DL 16 S 616/08; Bayr. VGH, U. v. 05.03.2008, 16 a D 07.1368; Bayr.VGH, U. v. 12.10.2011, 16a D 09.928; alle juris).

43

Diese vorgenannte Rechtsprechung gilt - und auch gerade - für Beamte im Justizvollzugsbereich. Denn diese Beamtengruppe hat typischerweise und im Vergleich zu Polizeivollzugsbeamten nur mit ihnen und ihrem Gewahrsam überlassenen Gefangenen zu tun (vgl. auch VGH Baden Württemberg, U. v. 10.11.2006, DL 16 S 22/06 und Urteil v. 16.11.1998, D 17 S 12/98; beide juris). Zudem haben derartige Übergriffe zur Folge, dass das Bekanntwerden gewalttätiger Übergriffe durch Beamte bei den Gefangenen die Angst schüren, ebenso mit gewaltbereiten Beamten konfrontiert zu werden, woraus ein massiver Vertrauensverlust eintritt. Dies gilt im Übrigen - und vielleicht sogar besonders - nicht nur für das aktive Handeln des Beamten sondern auch für die Tatbegehung durch ein Unterlassen des Beamten, also ein Nichteinschreiten gegenüber der von Gefangenen oder gar Beamten auf andere Gefangene begangenen körperlichen Übergriffe. Denn insoweit sind die Besonderheiten und die Fürsorgepflicht der staatlichen Haftanstalten als Garanten gegenüber den Inhaftierten nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zu beachten (vgl. Folterandrohung: BVerfG, Beschluss v. 19.02.2008, 1 BvR 1807/07; juris). Es darf unter keinen Umständen zugelassen und hingenommen werden, dass derartige gewaltbereite Freiräume im staatlichen Gewahrsam herrschen und Häftlinge gewalttätigen Übergriffen durch andere Personen schutzlos ausgeliefert sind, so dass der körperlich „Stärkere“ sich durchsetzen kann.

44

a. a.) Die disziplinarrechtliche Rechtsprechung versucht die generelle Schwere des derartigen Dienstvergehens im Einzelfall abzumildern, wenn der Übergriff durch eine - über das Alltägliche hinausgehende, schwere - Provokation oder Angriff durch den Gefangenen bedingt war (vgl. VGH Baden-Württemberg, U. v. 10.11.2006, DL 16 S 22/06; U. v. 04.11.2008, DL 16 S 616/08; beide juris). Aber auch dann gilt generell, dass der Vollzugsbeamte aufgrund seiner Ausbildung gelernt haben muss, mit derartigen - alltäglichen - Anfeindungen (etwa Anspucken, Verbalbeleidigungen, Verballterror) seines gegenüber fertig zu werden.

45

Werden diese oftmals aus der konkreten Situation des Inhaftierten bedingten Provokationen mit erheblicher Härte und Brutalität und einer maßlosen Überreaktion des Beamten (z. B: Faustschlag ins Gesicht {VGH Baden-Württemberg, U. v. 10.11.2006, DL 16 S 22/06; juris} Handkantenschlag ins Gesicht {VGH Baden-Württemberg, U. v. 04.11.2008, DL 16 S 616/08; juris}; Schlagstockhagel OVG NRW, U. v. 10.03.1999, 6d A 255/98.O; juris}; achtmal mit Hartgummischlagstock zuschlagen {Bayr. VGH, U. v. 12.10.2011, 16a D 09.828; juris}), woraufhin der Gefangene erhebliche gesundheitliche Schäden davonträgt (Bewusstlosigkeit, Halswirbelsäulendistorsion, Monokelhämatom mit zugeschwollenem Auge {VGH Baden-Württemberg, U. v. 10.11.2006, DL 16 S 22/06; juris}; Offene Unterkieferfraktur, Extraktion mehrerer Zähne {VGH Baden-Württemberg, U. v. 04.11.2008, DL 16 S 616/08; juris}; Riss-Quetsch-Wunde am Kopf mit zahlreichen Hämatomen am ganzen Körper {Bayr. VGH, U. v. 12.10.2011, 16a D 09.828; juris}), beantwortet, sind Milderungsgründe nicht angebracht. Gleiches gilt etwa bei einem sichtbar psychisch Erkrankten oder sonst wie situationsbedingten deutlich unterlegenen Geschädigten (Bay. VGH, U. v. 05.03.2008, 16a D 07.1368; juris).

46

Demnach sind Art, Intensität und Häufigkeit des Amtsdeliktes, dessen Folgen auch in Bezug auf das Ansehen und das Vertrauen in der Öffentlichkeit in den Polizei- und Justizvollzug aufgrund von Presseveröffentlichungen und je nach Sachlage auch das Nachttatverhalten des Täters zu beachten. Auch entscheidend ist, ob es sich um eine persönlichkeitsfremde Tat des Beamten gehandelt hat.

47

b. b.) Unter Auswertung der erkennbaren disziplinarrechtlichen Rechtsprechung geht die Disziplinarkammer davon aus, dass bei rechtswidrigen und schuldhaften Körperverletzungen im Amt an Personen, denen gegenüber der Beamte Amtshandlungen vorzunehmen hatte, im Regelfall als Disziplinarmaßnahme mindestens die Verhängung einer Gehaltskürzung geboten ist. In schwerwiegenden Fällen, vor allem bei Übergriffen auf sich in (polizeilichem) Gewahrsam befindlichen Personen ist angesichts der aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG resultierenden staatlichen Schutzpflicht der körperlichen Integrität diesen Personen gegenüber imRegelfall die Dienstentfernung erforderlich (vgl. Bayr. VGH, U. v. 12.10.2011, 16a D 09.828; juris).

48

5.) Ist damit aufgrund der Schwere der Dienstpflichtverletzungen generell von der Maßnahme der Entfernung aus dem Dienst auszugehen, ist zu fragen, ob – auch unter Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten – gewichtige Milderungsgründe eine darunter liegende Disziplinarmaßnahme (noch) rechtfertigen können.

49

Dies ist dann der Fall, wenn zu Gunsten des Beamten gewichtige Entlastungsgründe (Milderungsgründe) zu berücksichtigen sind, die den Schluss rechtfertigen, dass das dem Beamten vom Dienstherrn und der Allgemeinheit entgegengebrachte Vertrauen noch nicht endgültig verloren ist. Solche Gründe stellen zum einen die von der Rechtsprechung bezüglich der sog. Zugriffsdelikte entwickelten und anerkannten Milderungsgründe dar, die besondere menschliche Konfliktsituationen beschreiben. Hierzu zählen etwa das Handeln in einer existenziellen wirtschaftlichen Notlage oder einer körperlichen oder psychischen Ausnahmesituation oder besonderen Versuchssituationen oder eine persönlichkeitsfremde Einzelverfehlung des Beamten wie auch „Entgleisungen“ während einer negativen, inzwischen überwundenen, durch Alkohol, Drogen oder Schicksalsschlägen bedingte Lebensphase. Der Milderungsgrund der Geringwertigkeit eines verursachten Schadens oder des geldlichen Vorteils der Handlung wird bei etwa 50,00 Euro gezogen. Auch besondere die Dienstpflichtverletzung begünstigende Handlungen und mangelnde Kontrollen des Dienstherrn können im Einzelfall wie ein besonderes Nachtatverhalten die Schwere der Verfehlung mildern. Zeitlich überlange Disziplinarverfahren können wegen des disziplinarrechtlichen Beschleunigungsgebotes und der mit dem Disziplinarverfahren verbundenen persönlichen Belastungen jedenfalls bei Maßnahmen der Pflichtenmahnung berücksichtigt werden. Entlastungsgründe können sich aber zum anderen auch aus allen Besonderheiten ergeben, die es im Einzelfall wegen der persönlichkeitsbedingten an § 13 DG LSA zu orientierenden Prognoseentscheidung gebieten, von der disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahmen Abstand zu nehmen. Die entlastenden Gründe sind nicht (mehr) allein auf den in der Rechtsprechung entwickelten Kanon der anerkannten Milderungsgründe beschränkt (BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11.10, m. w. Nachw.; juris). Diese Besonderheiten müssen aber in ihrer Gesamtheit geeignet sein, die Schwere des Pflichtenverstoßes erheblich herabzusetzen. Generell gilt, dass das Gewicht der Entlastungsgründe umso größer sein muss, je schwerer das Delikt aufgrund der Schadenshöhe sowie der Tatumstände, wie Anzahl, Häufigkeit, Zeitraum, Verschiedenartigkeit und Tatausführung wiegt (im Ganzen ausführlich: VG Magdeburg, Urt. v. 29.11.2012, 8 A 12/11, v. 31.03.2011, 8 A 2/10 MD und v. 27.10.2011, 8 A 2/11, mit Verweis auf BVerwG, Urt. v. 24.05.2007, 2 C 28.06, Urt. v. 06.06.2007, 1 D 2.06, Urt. v. 29.05.2008, 2 C 59.07; Bayr. VGH, Urt. v. 27.10.2010, 16 aD 09.2470; OVG Lüneburg, Urt. v. 08.02.2011, 6 LD 4/08; alle juris). Auch eine dienstliche Überlastung und die übermäßige Dauer des Disziplinarverfahrens kann einen Milderungsgrund darstellen (VG Magdeburg, Urteil v. 29.01.2013, 8 A 5/11; juris).

50

a.) Hinsichtlich der Straftat der Körperverletzung im Amt führt das Landgericht in dem Strafurteil nach den Vorgaben der Revisionsentscheidung aus:

51

„Nach einer Gesamtabwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände sah die Kammer in dem vorliegenden Fall ein beträchtliches Überwiegen der mildernden Faktoren und ein Tatbild, das vom Durchschnitt der gewöhnlich vorkommenden Fälle einem solchen Maße abweicht, dass die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten erschien.

52

Die Kammer hat dabei nicht unberücksichtigt gelassen, dass der Angeklagte als Justizvollzugsbeamter in einem ganz besonderen Maße für den Schutz der Gefangenen zuständig war. Die Haftgefangenen befinden sich aufgrund einer staatlichen Entscheidung in behördlicher Verwahrung. Sie müssen daher darauf vertrauen dürfen und sind darauf angewiesen, dass die Beamten in dieser Situation, in die sich die Gefangenen nicht freiwillig begeben haben, geschützt werden. Die Tätigkeit des Justizvollzugsbeamten geht insoweit inhaltlich über die schon tatbestandsbegründeten Voraussetzungen der bloßen Amtsträgereigenschaft noch deutlich hinaus. Das Versagen des Angeklagten in der verfahrensgegenständlichen Situation wiegt daher schwerer als das durchschnittliche Versagen eines anderen Amtsträgers, dass bereits für eine Strafbarkeit nach § 340 Abs. 1 StGB genügt. Das Verhalten des Angeklagten war geeignet, dem Misstrauen anderer Gefangener Vorschub zu leisten, die sich wegen der Untätigkeit des Angeklagten auch in anderen Situationen schutzlos gegenüber anderen Gefangenen fühlen mussten, und es war geeignet, weiteren Drangsalierungen anderer Gefangener Vorschub zu leisten, die sich von der Untätigkeit des Angeklagten gestärkt fühlen konnten. Zudem war zu beachten, dass dieses strafrechtlich relevante Verhalten des Angeklagten im Zusammenhang mit weiteren von ihm eingeräumten dienstlichen Verfehlungen (Handy, Umschluss) zu sehen ist. Diese Verfehlungen erfüllen zwar keinen strafrechtlichen Tatbestand, lassen aber negative Rückschlüsse auf die grundsätzliche Einstellung und Gesinnung des Angeklagten in Bezug auf seine Amtstätigkeit zu.

53

Andererseits aber war zu seinem Gunsten zu berücksichtigen, dass aus den diversen Möglichkeiten, den Tatbestand des § 340 Abs. 1 StGB zu erfüllen (eigenhändige Begehung der Körperverletzung, Veranlassen der Körperverletzung durch Dritte, Geschehenlassen der Körperverletzung durch bloßes Nichteingreifen), der Angeklagte die Variante erfüllt hat, die den vergleichsweise geringsten, wenn auch tatbestandserfüllenden Unwert besitzt. Der Angeklagte hatte kein eigenes Interesse an der Tatbegehung. Die von ihm nicht unterbundene Körperverletzungshandlungen waren zudem unter Berücksichtigung der von der Tathandlung des S... betroffenen Körperstellen des Opfers unter normalen Umständen nicht geeignet, erhebliche Körperschäden mit einer nennenswerten Krankheitsfolge zu verursachen.

54

Der Angeklagte ist zudem strafrechtlich nicht vorbelastet. Seit der Tat ist bereits ein erheblicher Zeitraum vergangen, auch wenn dies dem üblichen Verfahrensablauf über mehrere Instanzen und nicht justizseitigem Verschulden zuzuschreiben ist. Wenn die Tat auch nicht der einzige Grund für die Suspendierung ist, hat der verfahrensgegenständliche Vorwurf doch zu der Suspendierung des Angeklagten beigetragen. Die Suspendierung ist zwar bei voller Fortzahlung der Bezüge erfolgt, so dass der Angeklagte dadurch bislang keine wirtschaftlichen Einbußen erlitten hat. Gleichwohl hat der Angeklagte aber den sozialen Makel zu tragen, dass es ihm aufgrund eines beruflichen Versagens unabhängig von der strafrechtlichen Würdigung nicht gestattet ist, seinen Beruf derzeit weiter auszuüben.“ (Hervorhebungen von Disziplinargericht).

55

Diese vom Strafgericht gesehenen Besonderheiten des Falls können, unabhängig von der bereits im dortigen Verfahren angenommenen Milderung, auch im Disziplinarverfahren zur Anwendung gelangen und dem Beklagten zur Entlastung dienen. Dabei stellt das Disziplinargericht aber eine eigenständige Abwägungsentscheidung an und ist trotz der tatbestandlichen Bindungswirkung aber nicht an die strafrechtliche Wertung als minder schwerer Fall gebunden. Die bereits eingangs beschriebene Bindungswirkung betrifft nur die tatsächlichen Feststellungen des Strafurteils, nicht aber die strafrichterliche Wertung zum „Maß der Gewaltanwendung“ in Bezug auf den minder schweren Fall. Anknüpfungspunkt für die zu verhängende Disziplinarmaßnahme ist – auch wenn insoweit abweichend vom strafrechtlichen Ansatz – allein die Sichtweise des Dienstrechts, für die auf das Gewicht und die Schwere der Verletzung des Dienstrechts abzustellen ist (VG Magdeburg, Urteil v. 29.01.2013, 8 A 22/12; mit Verweis auf VGH Baden-Württemberg, Urteil v. 18.06.2001, D 17 S 2/01; beide juris). Demnach sieht das Disziplinargericht zwar - wie ausgeführt - gerade in der Tatbegehung durch Unterlassen, also das Begehen lassen der Körperverletzung, entgegen der strafrichterlichen Wertung bei einem Justizvollzugsbeamten disziplinarrechtlich einen eher nicht mildernden Umstand. Gleichsam ist doch zu berücksichtigen, dass abhängig von der Tatbegehung durch den S..., der Geschädigte N... eher geringe körperliche Schäden davon trug und der Beklagte kein eigenes Interesse an der Tatbegehung hatte. Andererseits hatte der Beklagte gerade keinen Einfluss auf die (anfängliche) Tatbegehung durch den S..., so dass er von dessen Tatbegehung abhängig war. Die Art und Weise und etwa Intensität der Körperverletzungshandlungen durch den S... oder die von ihm getroffenen und verletzten Körperpartien bei dem Geschädigten waren für den Beklagten nicht vorhersehbar, sodass die – milde – Tatausführung durch den S... den Beamten auch nicht einschlägig entlasten kann.

56

b.) Der Umstand des langen zeitlichen Ablaufs der strafrechtlichen- und disziplinarrechtlichen Ahndung kann nicht zur Milderung gereichen. Denn diese waren dem strafrechtlichen Instanzenzug und nicht dem Verstoß gegen den disziplinarrechtlichen Beschleunigungsgrundsatz geschuldet; zudem bei Verhängung der Höchstmaßnahme unerheblich (vgl. zuletzt: VG Magdeburg, Urteil v. 29.01.2013, 8 A 5/11; juris).

57

Die bisherigen Unbescholtenheit und die fehlenden Vorbelastung des Beklagten vermögen in Anbetracht der Schwere der Dienstpflichtverletzungen ebenso nicht durchschlagend entlastend wirken.

58

c.) Im Hinblick auf die nach § 13 DG LSA anzustellende Persönlichkeitsbewertung des Beamten mag seine Einlassung für ihn sprechen, dass er als unerfahrener und zudem jüngster Dienst- und Lebenszeitbeamter versucht habe, einen „menschlichen“ Umgang mit den Strafgefangenen zu pflegen. Dabei muss zunächst ganz eindeutig hervorgehoben werden, dass es nicht angehen kann und darf, dass ein Justizvollzugsbeamter die ihm im Umgang mit den Gefangenen durch die Anstaltsleitung oder dem Gesetz- und Verordnungsgeber aufgegebenen Weisungen und Anordnungen unberücksichtigt lässt und seine eigenen, davon unabhängigen Vorstellungen im Strafvollzug entwickelt und verwirklicht (vgl. ausführlich: VG Magdeburg, Urteil v. 29.03.2012, 8 A 9/09; juris). Dem muss aber gleichwohl nicht entgegenstehen, dass durch ein freundliches und von Respekt dem Gefangenen gegenüber getragenes Auftreten, in diesem Rahmen gewisse Nischen möglich erscheinen, wonach kleinere, dem Anstaltszweck und der Sicherheit und Ordnung innerhalb der Haftanstalt nicht zu wider laufende, Gefälligkeiten getätigt werden können. Dazu mag - im Einzelfall - der Austausch der Kaffegetränke gegen eine andere Geschmacksrichtung oder auch die zur Verfügung Stellung bestimmter Toiletten- und Hygieneartikel oder Zigaretten gehören. Ganz eindeutig gehört die Übergabe eines Mobiltelefons nicht dazu. Daher war auch hier dem Beweisantrag zur Vernehmung des Zeugen N... zur Bescheinigung eines „ordentlichen Verhaltens als Vollzugsbeamter“ nicht nachzugehen. Dies kann der Beklagte auch nicht mildernd damit rechtfertigen, dass der Gefangene ansonsten keine Möglichkeit zur Telefonnutzung gehabt hätte. Denn in begründeten Not- und Eilfällen oder beim Vorliegen sonstiger Besonderheiten kann und darf der Inhaftierte selbstverständlich offiziell auch außerhalb der Reihe telefonieren.

59

Ein ähnliches – naives – Dienstverhalten liegt der Annahme des Beklagten zugrunde, er müsse als „Lockspitzel“ durch bestimmtes Verhalten gegenüber den Häftlingen tätig werden. Ein derartiger Einsatz ist nicht belegt und wird vom Beklagten auch nicht behauptet. Im Gegenteil trägt er vor, er habe ein entsprechendes Angebot abgelehnt. Dass er sich gleichwohl verpflichtet gefühlt habe, Gefangene „auszuspionieren“ belegt sein naives Dienstverhalten.

60

Insgesamt zeichnet sich bei der Persönlichkeitsbewertung des Beklagten eher ein Bild ab, wonach er als fachlich bzw. charakterlich ungeeignet für den sicherheitsrelevanten Beruf des Justizvollzugsbeamten erscheint. Diese - beamtenrechtlichen - Zugangsvoraussetzungen, die entscheidend bei der Prüfung und Prognoseentscheidung hinsichtlich der Lebenszeiternennung sind, können auch bei der disziplinarrechtlichen Bewertung der Tat Anwendung finden. Denn der Pflichtenverstoß ist unmittelbar durch die Ungeeignetheit zur Berufsausübung bedingt. Ohne das Fehlverständnis über die zwingende Einhaltung der sicherheits- und ordnungsrelevanten Bestimmungen und damit der Ungeeignetheit zur Tätigkeit in der Haftanstalt, wäre der Pflichtenverstoß nicht begangen worden. Ist der Beamte in seinem Aufgabenbereich überfordert, so dass er dafür als ungeeignet angesehen werden muss, scheitert seine Dienstpflicht zu vollem dienstlichen Einsatz und zur zuverlässigen, weisungsgemäßen Dienstleistung an seiner persönlichen Leistungsfähigkeit (vgl. Köhler in Hummel/Köhler/Mayer, BDG, 4. Auflage 2009, A. IV. 4 Rz. 110). Dabei legt das Disziplinargericht gleichwohl Wert auf die Feststellung, dass vorliegend keinerlei Anhaltspunkte für ein schuldmilderndes oder schuldausschließendes Verhalten (§§ 20, 21 StGB) des Beklagten vorliegen (vgl. dazu: VG Magdeburg, Urteil v. 29.03.2012, 8 A 9/09; juris). Da diese Verhaltensweisen des Beklagten innerhalb der beamtenrechtlichen Probezeit nicht erkennbar waren, trifft den Kläger bzw. die beschäftigende Haftanstalt kein irgendwie geartetes Mitverschulden oder eine Möglichkeit der Abwendung der Ereignisse (vgl. dazu: VG Magdeburg, Urteil v. 29.03.2012, 8 A 9/09; juris).

61

Gleichwohl kann und darf es nicht angehen, dass – zumindest bei leicht und einfach für jedermann zu verstehenden, ja sich aufdrängenden Dienstpflichten, wie sie die Einhaltung der sicherheits- und ordnungsrelevanten Bestimmungen in einer Haftanstalt darstellen -, der Verstoß dagegen aufgrund einer eigenen, andersartigen Dienstauffassung des Beamten für ihn disziplinarrechtlich entlastend wirken können. Denn der bereits im Jahre 1964 vom Bundesverfassungsgericht aufgestellte Satz, dass „derartige ungeeignete“ einmal auf Lebenszeit ernannte Beamte und Richter „ertragen werden müssen“, bezieht sich auf deren alimentierungsgerechten beamtenrechtlichen Beschäftigungsanspruch, nicht aber darauf, ihr Versagen disziplinarrechtlich milder zu bewerten. Es wäre hingegen unerträglich, wenn dienstlich ihrem konkret-funktionalen Amt nicht geeignete Beamte und Richter ihr Versagen und damit ihre Pflichtverletzungen, z. B. als Vorgesetzte ihren dienstlich Unterstellten gegenüber, disziplinarrechtlich mit ihrer persönlichen Ungeeignetheit entlasten könnten. Dabei wirken sich derartige Pflichtverletzungen bei Amtsträgern mit Vorgesetzten- und/oder Leitungsposition aufgrund ihres größeren Verantwortungsbereichs naturgemäß stärker aus als bei Beamten niedriger Ränge und auch deren Vorgesetzte handeln bei Wissen um die Ungeeignetheit pflichtwidrig. Daran gemessen ist entscheidend, dass von dem Beklagten als Justizvollzugsbeamter nichts subjektiv Unmögliches gefordert wurde, welches er aufgrund seiner persönlichen Leistungsfähigkeit nicht hätte leisten können. Eine in diesem Sinne persönliche, individuelle unüberwindliche Leistungsschwäche kann bei dem (Nicht-)Befolgen leicht einsehbarer Dienstvorschriften - wie es vorliegend der Fall ist - nicht angenommen werden.

62

In diesem Sinne führen auch das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (Urteil v. 22.03.2010, 3 A 11391/09; juris) und das Verwaltungsgericht Trier (Urteil v. 08.12.2009, 3 K 387/09.TR; juris) aus, dass bei richtigem Dienstverständnis bezüglich des Mitleides gegenüber den Gefangenen der Beamte die Anstaltsleitung hätte informieren müssen und um Hilfe für den Gefangenen und/oder sich selbst nachsuchen müssen. Der vom Beklagten gewählte Weg der „Selbsthilfe“ ist jedenfalls nicht akzeptabel. Dabei darf auch angemerkt werden, dass der Beklagte vielleicht ein an Dienstjahren unerfahrener Beamter gewesen sein mag. Für die aufgrund von Lebensjahren anzunehmende allgemeine Lebenserfahrung gilt dies für den 1970 geborenen Beklagten nicht. Gerade diese allgemeine Lebenserfahrung hätte ihm die Pflichtwidrigkeit seiner Handlungen vor Augen führen müssen.

63

Die Disziplinarkammer hatte bereits früher (8 A 3/07; Urteil v. 17.04.2007; n. v.) einen Justizvollzugsbeamten in der gleichen dienstlichen Stellung wie der Beklagte aus dem Dienst entfernt, weil das Vertrauensverhältnis zwischen ihm und dem Dienstherrn aber auch der Allgemeinheit zerstört war. Dem lagen Verurteilungen wegen Bestechlichkeit in Tateinheit mit einem Verstoß gegen das Arzneimittelgesetz (Gesamtfreiheitsstrafe 10 Monate) sowie Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz (Geldstrafe von 90 Tagessätzen) zugrunde. Der dortige Beamte brachte Dopingmittel, Einwegspritzen, Alkohol-Pads, Lebensmittel, DVD´s, Parfüm, Schmuck in die Haftanstalt ein und verteilte sie an Gefangene. Mag dieser Fall hinsichtlich der Verstöße gegen die Anstaltsordnung und der strafrechtlich relevanten Verfehlungen eindeutiger die Zerstörung des Vertrauensverhältnisses belegen, so vermag der vom Beklagten diesbezüglich vorgetragene Vergleich ihn nicht zu entlasten. Denn insoweit wiegt die von ihm begangene Straftat der Körperverletzung im Amt mindestens genauso schwer wie die Fraternisierung mit den Gefangenen.

64

d.) Schließlich vermag den Beklagten nicht zu entlasten, dass er sein Fehlverhalten teilweise einräumt, bereut und glaubhaft vorträgt, dass dies nicht wieder geschehe. Zum einen betrifft dies nur den Tatkomplex der Handy-Überlassung und zum anderen kommt es darauf bei der vom Disziplinargericht anzustellenden Gesamtschau der be- und entlastenden Umstände hinsichtlich der Prognoseentscheidung nicht entscheidend an. Denn die Prognoseentscheidung bezieht sich entscheidend auf die endgültige und nicht wiederbringbare Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zwischen dem Beamten und dem Dienstherrn und aber auch der Allgemeinheit als Voraussetzung für die Beendigung des Beamtenverhältnisses. Die prognostische Frage nach dem Umfang der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit (§ 13 DG LSA) betrifft die Erwartung, dass sich der Beamte aus der Sicht des Dienstherrn und der Allgemeinheit so verhält, wie es von ihm im Hinblick auf seine Dienstpflichten als berufserforderlich erwartet wird. Das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit in die Person des Beamten bezieht sich in erster Linie auf dessen allgemeinen Status als Beamter (vgl. BVerwG, Urteil v. 20.01.2004, 1 D 33.02; juris), daneben aber auch auf dessen konkreten Tätigkeitsbereich innerhalb der Verwaltung und auf dessen konkret ausgeübte Funktion, z. B. als Vorgesetzter. Ob und gegebenenfalls inwieweit eine Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn vorliegt, ist nach objektiven Gesichtspunkten zu beurteilen. Entscheidend ist nicht die subjektive Einschätzung des jeweiligen Dienstvorgesetzten, sondern die Frage, inwieweit der Dienstherr bei objektiver Gewichtung des Dienstvergehens auf der Basis der festgestellten belastenden und entlastenden Umstände noch darauf vertrauen kann, dass der Beamte in Zukunft seinen Dienstpflichten ordnungsgemäß nachkommen wird. Entscheidungsmaßstab ist insoweit, in welchem Umfang die Allgemeinheit dem Beamten noch Vertrauen in eine zukünftig pflichtgemäße Amtsausübung entgegenbringen würde. Dies unterliegt uneingeschränkter verwaltungsgerichtlicher Nachprüfung (vgl. zum Ganzen: BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11.10 mit Verweis auf Urteile v. 20.10.2005, 2 C 12.04, v. 03.05.2007, 2 C 9.06 und v. 29.05.2008, 2 C 59.07; alle juris).

65

6.) Demnach ist in der Gesamtschau festzustellen, dass der Dienstherr aber auch die Allgemeinheit einem Justizvollzugsbeamten, welcher die ihm vorgehaltenen Pflichtverletzungen begeht, nicht mehr das zur Aufrechterhaltung des Beamtenverhältnisses notwendige (Rest-)Vertrauen entgegen bringen kann.

66

Die nach alledem dienstrechtlich notwendige Entfernung aus dem Dienst verstößt auch nicht gegen das Verhältnismäßigkeitsgebot. Denn diese disziplinarrechtliche Höchstmaßnahme ist die einzige Möglichkeit, dass durch den Dienstherrn sonst nicht lösbare Dienstverhältnis einseitig zu beenden. Die darin liegende Härte für den Betroffenen ist nicht unverhältnismäßig. Sie beruht vielmehr auf einem ihm zurechenbaren Verhalten (BVerwG, Urteil v. 21.06.2000, 1 D 49.99; vgl. nur zuletzt: Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11/10; bestätigt durch BVerfG, Beschluss v. 28.01.2013, 2 BvR 1912/12; alle juris).

67

7.) Die Kostenentscheidung folgt aus § 72 Abs. 1 Satz 1 DG LSA. Das Verfahren ist gem. § 73 Abs. 1 Satz 1 gebührenfrei.


Tatbestand

1

Die Klägerin führt die Disziplinarklage gegen den verbeamteten Beklagten mit dem Ziel der Entfernung des Beamten aus dem Beamtenverhältnis.

2

Der 1959 geborene Beamte ist im Rang eines Polizeihauptmeisters (BesGr. A 9 LBesO) bei der A. und dort im entscheidungserheblichen Zeitraum als stellvertretender Leiter der Kraftfahrzeugwerkstatt beschäftigt.

3

Nach dem Besuch der zehnklassigen Polytechnischen Oberschule im Jahre 1976 erlernte der Beklagte den Beruf des Facharbeiters für geologische Bohrungen. 1978 trat er in den Polizeidienst der ehemaligen DDR ein und wurde als Sachbearbeiter für Treib- und Schmierstoffe sowie als Instandsetzer und Lagerverwalter für Kraftfahrzeugersatzteile eingesetzt. Im Jahre 1982 erwarb er den Facharbeiterlehrabschluss für Berufskraftfahrer und 1990 die Qualifikation als Meister in der Fachrichtung Transportbetriebstechnik. Es folgte 1991 die Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe zum Polizeiobermeister und 1994 die Beförderung zum Polizeihauptmeister als Beamter auf Lebenszeit. Es folgten mehrere Dienstposten im Bereich Technik und Kraftfahrangelegenheiten und seit 1994 ist der Beamte auf dem Dienstposten „Sachbearbeiter Technik; stellvertretender Werkstattleiter“ eingesetzt. Den Dienposten „Sachbearbeiter Kraftfahrangelegenheiten“ bekleidete er seit 2005 und zusätzlich weiterhin die Tätigkeit als stellvertretender Werkstattleiter.

4

Der Beklagte ist verheiratet und hat zwei erwachsene Töchter. Die dem Beamten erstellte letzte dienstliche Beurteilung aus dem Jahr 2005 lautet in der Gesamtbewertung auf „befriedigend“. Der Beamte ist disziplinar- und strafrechtlich bislang nicht Erscheinung getreten.

5

Im Jahr 2008 wurde gegen den Leiter der Kraftfahrzeugwerkstatt der A., gegen den die Disziplinarklage 8 A 9/11 MD geführt wurde, wegen des Verdachts der schuldhaften Verletzung von Dienstpflichten ein Disziplinarverfahren eingeleitet und zudem strafrechtlich ermittelt. Es bestand der hinreichende Verdacht, dass der Beamte bei privaten Bestellvorgängen von Kraftfahrzeugersatzteilen diese unter rechtswidriger Inanspruchnahme der nur dem Land Sachsen-Anhalt eingeräumten Rabatte erworben zu haben. Zudem war dieser Beamte hinreichend verdächtigt, private Autoreparaturleistungen durchzuführen. In Kenntnis dieser gegen den Leiter der Kraftfahrzeugwerkstatt erhobenen Vorwürfe offenbarte sich der Beklagte als stellvertretender Leiter der Kraftfahrzeugwerkstatt am 12.08.2008 seinem Dienstherrn und teilte mit, „reinen Tisch zu machen“. Der Beamte übergab Bargeld in Höhe von 220,00 Euro, einen Jahreskalender mit persönlichen Aufzeichnungen sowie einen Ordner mit dienstlichen Unterlagen. Er teilte mit, dass das Geld vom Verkauf abgeschriebener Reifen von Polizeifahrzeugen durch seinen Vorgesetzten, dem Leiter der Kraftfahrzeugwerkstatt F., stamme.

6

Am 25.08.2008 wurde gegen den Beklagten ein Disziplinarverfahren eingeleitet, welches bis zum Abschluss des strafrechtlichen Verfahrens ausgesetzt wurde. Mit Verfügung vom 01.07.2011 wurde das Disziplinarverfahren nach Abschluss der strafrechtlichen Ermittlungen fortgeführt. Aufgrund der umfangreichen strafrechtlichen Ermittlungen wurde im behördlichen Disziplinarverfahren auf weitere Ermittlungen gemäß §§ 21 Abs. 2, 24 Abs. 2 DG LSA verzichtet. Mit Verfügung vom 01.07.2011 wurde dem Rechtsbeistand des Beklagten mit Verweis auf § 30 DOG LSA Gelegenheit zur Äußerung gegeben, wovon der Beklagte unter dem 04.08.2011 Gebrauch machte.

7

Aufgrund der disziplinarrechtlichen Vorwürfe ist der Beklagte seit dem 25.09.2008 mit einer Gehaltskürzung von 20 % vorläufig des Dienstes enthoben.

8

Mit Strafbefehl des Amtsgerichts A-Stadt vom 08.12.2009 (Cs 822 Js 78744/08) wurde gegen den Beklagten wegen Betruges und Vorteilsannahme eine Gesamtgeldstrafe von 110 Tagessätzen verhängt. Dem lagen im Zeitraum vom 05.02.2004 bis in das Jahr 2007 reichende 12 Straftaten zugrunde, wonach der Beamte unter Inanspruchnahme des dem Land Sachsen-Anhalt gewährten Rabattes verschiedene Fahrzeugteile bestellt und für sich oder außen stehende Dritte verwendet habe, ohne dazu berechtigt gewesen zu sein, um so die Differenz zwischen dem Rabattpreis und dem für Privatkunden geltenden Verkaufspreisen zum Schaden der Fahrzeugteile-Firma einzusparen. Weiter habe der Beamte eine Bargeldsumme in Höhe von 50,00 Euro im Jahre 2007 von dem Reifenhändler T. unberechtigt entgegengenommen. Der Strafbefehl wurde durch Urteil des Amtsgerichts A-Stadt aufgrund der letzten Hauptverhandlung vom 14.10.2010 bestätigt. Letztendlich wurde das gegen den Beamten geführte Strafverfahren mit Beschluss des Landgerichts A-Stadt vom 13.04.2011 nach § 153 a StPO endgültig eingestellt.

9

Mit der Disziplinarklage vom 27.09.2011 (Eingang: 28.09.2011) wird der Beamte angeschuldigt, ein Dienstvergehen nach § 47 Abs. 1 Satz 1 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) begangen zu haben, indem ihm folgende Dienstpflichtverletzungen zur Last gelegt werden:

10

„1. In der Eigenschaft als Polizeibeamter und stellvertretender Leiter der Kfz-Werkstatt der A. nahm der Beklagte von dem gesondert verfolgten selbständigen Reifenhändler U. T. im Zusammenhang mit der Aussonderung und Entsorgung sowie Verladung von Altreifen der Kraftfahrzeuge der A. an einem konkret nicht feststellbaren Tag im Jahre 2007 eine Bargeldsumme in Höhe von 50,00 Euro an, obwohl der Beamte wusste, dass er dazu nicht berechtigt war, insbesondere, weil keine Genehmigung der zuständigen Behörde vorlag.

11

2. Im Ergebnis der gegen den Beklagten geführten strafrechtlichen Ermittlungen sowie nach Sichtung der Rechnungsunterlagen der Ermittlungsakten im behördlichen Disziplinarverfahren besteht hinreichend der Verdacht, dass der Beklagte im Rahmen der Tätigkeit als stellvertretender Leiter der Kfz-Werkstatt der A., zu der u. a. die Bestellung von Ersatzteilen für polizeieigene Fahrzeuge gehört, im Namen der A. bei der Firma a. A. A. GmbH, K.-H.-Str. 43, A-Stadt, während des Dienstes unter Ausnutzung seiner dienstlichen Stellung verschiedene Fahrzeugteile für sich oder Dritte privat käuflich erwarb. Nachfolgende Rechnungen weisen keinen dienstlichen Bezug auf, sind an den Beklagten adressiert oder mit einem entsprechenden Adressaten-Hinweis versehen. Da die Rechnungen die Kundenummer der A. enthalten, erfolgte durch die Firma a. A. A. GmbH ein ausschließlich für die A. gewährter Rabatt zwischen 15 und 45 %.

12

Den Erhalt der Ware bestätigte der Beklagte mit seiner Unterschrift auf zwei Rechnungen, was auch durch den Rechtsbeistand des Beklagten mit dem Hinweis, dass es sich dabei nicht um die Originalrechnungen handelt, insofern bestätigt wurde.

13

Beweis:

14

Rechnung Nr. 7714 vom 04.08.2003 - Hängerkupplung mit Elektrosatz für 262,59 €
(Ordner 4 der Disziplinarakte, Beweismittelband 2, Blatt Nr. 012)

15

Rechnung Nr. 7951 vom 02.09.2003-Felgen für 131,40 €
(Ordner 4 der Disziplinarakte, Beweismittelband 2, Blatt Nr. 014)

16

Äußerung des Rechtsbeistandes des Beklagten vom 04.08.2011
(Disziplinarakte B., Blatt Nr. 027/16, Ziffer I.2)

17

Nachfolgende Rechnungen weisen ebenfalls keinen dienstlichen Bezug, sind an den Beklagten adressiert bzw. an ihn gerichtet und tragen die Kundennummer der LBP LSA (105685):

18

Beweis:

19

Rechnung Nr. 6285 vom 17.02.2003 - Leichtmetallfelgen für 264,48 €
(Ordner 4 der Disziplinarakte, Beweismittelband 2, Blatt Nr. 003)

20

Rechnung Nr. 6497 vom 13.03.2003 - Luftfilter für 54,15 €
(Ordner 4 der Disziplinarakte, Beweismittelband 2, Blatt Nr. 004)

21

Rechnung Nr. 25904 vom 24.04.2003 - Reifen für 69,02 €
(Ordner 4 der Disziplinarakte, Beweismittelband 2, Blatt Nr. 006)

22

Rechnung Nr. 7946 vom 02.09.2003 - Reifen für 139,20 €
(Ordner 4 der Disziplinarakte, Beweismittelband 2, Blatt Nr. 013)

23

Rechnung Nr. 52494 vom 10.09.2003 - Reifen für 183,74 €
(Ordner 4 der Disziplinarakte, Beweismittelband 2, Blatt Nr. 016)

24

Rechnung Nr. 8470 vom 27.10.2003 - Kupplungssatz für 80,26 €
(Ordner 4 der Disziplinarakte, Beweismittelband 2, Blatt Nr. 022)

25

Rechnung Nr. 84524 vom 05.02.2004 - Luftmassenmesser für 173,42 €
(Ordner 4 der Disziplinarakte, Beweismittelband 2, Blatt Nr. 027)

26

Rechnung Nr. 9781 vom 17.04.2004-Heckträger für 200,63 €
(Ordner 4 der Disziplinarakte, Beweismittelband 2, Blatt Nr. 032)

27

Rechnung Nr. 10387 vom 15.06.2004 - Radblende für 29,35 €
(Ordner 4 der Disziplinarakte, Beweismittelband 2, Blatt Nr. 036)

28

Rechnung Nr. 11582 vom 08.10.2004 - Nylon-Vollgarage für 18,50 €
(Ordner 4 der Disziplinarakte, Beweismittelband 2, Blatt Nr. 042)

29

Rechnung Nr. 42127 vom 14.10.2004 - Nylonhalbgarage für 6,58 €
(Ordner 4 der Disziplinarakte, Beweismittelband 2, Blatt Nr. 044)

30

Rechnung Nr. 49703 vom 15.11.2004 - Reifen für 118,92 €
(Ordner 4 der Disziplinarakte, Beweismittelband 2, Blatt Nr. 051)

31

Rechnung Nr. 13935 vom 20.05.2005 - Zierleisten für 14,82 €
(Ordner 4 der Disziplinarakte, Beweismittelband 2, Blatt Nr. 069)

32

Rechnung Nr. 99151 vom 26.05.2005 - Blinkleuchten für 32,04 €
(Ordner 4 der Disziplinarakte, Beweismittelband 2, Blatt Nr. 070)

33

Rechnung Nr. 5546 vom 08.07.2005 - Heckblech und Zündschalter für 51,16 €
(Ordner 4 der Disziplinarakte, Beweismittelband 2, Blatt Nr. 073)

34

Rechnung Nr. 171362 vom 04.01.2006 - Batterie für 28,00 €
(Ordner 4 der Disziplinarakte, Beweismittel band 2, Blatt Nr. 076)

35

Rechnung Nr. 431467 vom 28.09.2006 - Heckleuchte Opel Corsa für 34,22 €,
(Ordner 4 der Disziplinarakte, Beweismittelband 2, Blatt Nr. 081).“

36

Polizeihauptkommissar H. habe in glaubhafter Weise als Zeuge vor dem Amtsgericht A-Stadt ausgesagt, dass eine Nylon-Voll- bzw. -Halbgarage (Rechnung Nr. 42127 vom 14.10.2004) nicht im Gebrauch der A. sei. Die Bestellvorgänge würden keinen dienstlichen Bezug aufweisen, da Dienstfahrzeuge in Garagen stünden. Auch ein Opel Corsa sei nicht im Bestand der A.. Der Zeuge habe ebenso ausgesagt, dass ihm Rechnungen mit privaten Anschriften nicht bekannt seien. Der Außendienstmitarbeiter der Firma a. A. A. GmbH, E., habe ausgesagt, dass nur Mitarbeiter der Firma das Adressatenfeld ändern könnten. Herr E. habe auch darauf hingewiesen, dass Werkstattrabatte gegenüber einem Endverbraucher unterschiedlich seien. Der Prokurist der Firma a. A. A. GmbH, Herr P., habe als Zeuge im Strafverfahren ausgesagt, dass der Besteller die Kundennummer und den Namen nennen müsse. Der Zeuge Polizeiobermeister S. habe zugegeben, vom Beklagten gegen Rechnung im Jahre 2008 eine Batterie für einen Rasentraktor gekauft zu haben.

37

Die Rechnungen vom 04.08.2003 und 02.09.2003 seien vom Beklagten unterschrieben.

38

Weiter lautet der Anklagesatz:

39

„3. Der Beklagte unterließ es, verdachtsrelevante Sachverhalte an seine Vorgesetzten weiterzumelden. Bereits im Jahr 2006 wurde der Beklagte nach seiner Aussage durch Polizeimeister F. darüber informiert, dass dieser beabsichtige, ausgesonderte Reifen von Landesfahrzeugen mit einer Profiltiefe von mehr als 3 mm an Privatpersonen bzw. an die Firma T. Reifenentsorgung weiterzuverkaufen. Diese Reifen hätten nach Aussage des Beklagten für das Fahrsicherheitstraining noch verwendet werden können. Seinen Aussagen zufolge habe er Polizeihauptmeister F. davor gewarnt, unrechtmäßige Handlungen, insbesondere mit dienstlichem Eigentum, vorzunehmen. Auch als der Beklagte in Kenntnis der unrechtmäßigen Reifenverkäufe durch Polizeihauptmeister F. im Jahr 2007 Bargeld zur Aufbewahrung überreicht bekam, meldete er diesen Sachverhalt nicht weiter, obwohl er dazu verpflichtet gewesen wäre.

40

Erschwert pflichtwidrig handelte der Beklagte, indem er trotz des Verbotes der Annahme von Belohnungen und Geschenken sowie der Bekämpfung der Korruption im Jahr 2007 von Herrn T. 50,00 Euro Geldzuwendung entgegennahm und von weiteren Geldzuwendungen zwischen Herrn T. und Polizeihauptmeister F. wusste.

41

Zu einer Einnahmeanweisung von 80 Stück Reifen vom 20.02.2008 bemerkte der Beklagte, dass sich unter diesen Reifen auch Reifen mit mehr als 3 mm Profiltiefe befanden, die in einer Garage im Objekt der A. eingelagert waren. Zu einem nicht benannten Zeitpunkt stellte der Beklagte das Verschwinden dieser Reifen fest. Konfrontiert mit dieser Feststellung habe Polizeihauptmeister F. geäußert, dass er diesen Reifen an Kollegen aus der Landesbereitschaftspolizei weiterverkauft habe. Auch diesen Sachverhalt meldete der Beklagte nicht weiter.

42

Nach Aussage des Beklagten habe er beobachtet, wie Polizeihauptmeister F. im Bereich der Kraftfahrzeugwerkstatt Reifen und Kraftfahrzeugteile, die er bei Autoteile-Zulieferern bestellt, bei denen er ein persönliches Kundenkonto besitzt und so zu günstigen Konditionen, als eine andere Privatperson einkaufen kann, an Bedienstete der A. weiter veräußert hat. Nach Aussage des Beklagten sah dieser selbst, dass Polizeihauptmeister F. bei der Übergabe der Ersatzteile Geld bekommen hat.

43

4. Nach Aussage des Beklagten übergab dieser im Jahr 2003 an Polizeihauptmeister F. ein Funktelefon der Marke Siemens, Typ ME 45, welches im Werkstattbereich der A. durch einen unbekannten Polizeibeamten aufgefunden wurde. In Kenntnis des Beklagten verwahrte Polizeihauptmeister F. widerrechtlich das Handy in seinem Schreibtisch, wobei der Beklagte selbst das Handy unter Verwendung einer privaten SIM-Karte ab dem Jahr 2006 privat nutzte. Das Handy einschließlich einer schwarzen Handytasche wurde erst im Rahmen der kriminalpolizeilichen Ermittlungen gegen den Beklagten am 14.08.2008 übergeben.

44

5. Gemäß der Dienstpostenbeschreibung als Stellvertreter der Kfz-Werkstatt war der Beklagte für Werkzeuge und die Vernichtung ausgesonderter Werkzeuge verantwortlich. Hinsichtlich eines in Verlust geratenen Excenter-Schleifers wurde festgestellt, dass am 24.06.2005 bei der Firma Würth ein neuer Druckluft-Excenter-Schleifer der Marke Master angeschafft wurde. Bei der Kontrolle wurde dieses Gerät nicht aufgefunden. Am 12.04.2007 bat Polizeihauptmeister F. um Abschreibung eines Excenter-Schleifers. Der Beklagte setzte das Gerät mit Unterschrift und Datum vom 13.04.2007 als Verantwortlicher ab. Bei der Kontrolle wurde der abgesetzte Excenter-Schleifer Marke Mirka 891 vorgelegt.

45

6. Ohne Genehmigung hat er einen Schrank der Deutschen BP AG zur Lagerung von Ölgebinden entgegengenommen.

46

7. Der Beklagte oder der Polizeihauptmeister F. haben von der Firma a. A. A. GmbH gelieferte Artikel, nämlich

47

- zwei Stück Purflux-Set Handtuch,
- T-Shirt,
- zwei Stück MP3-Player Digital 256 MB und,
- drei Fl. Wurzelpeter 0,7 l.

48

entgegengenommen. Dabei hat es sich um Zugaben zu bestellten Kfz-Teilen gehandelt.“

49

Der Beamte habe gegen seine Dienstpflichten zur uneigennützigen Amtsführung (§ 34 Satz 2 BeamtStG), der Wohlverhaltenspflicht (§ 34 Satz 3 BeamtStG) sowie gegen die Pflicht, dienstliche Anordnungen auszuführen und deren allgemeine Richtlinien zu befolgen (§ 35 Satz 2 BeamtStG) verstoßen. Disziplinarrechtlicher Schwerpunkt sei dabei das Verhalten im Dienstvergehenskomplex des korruptiven Fehlverhaltens und damit der Pflicht zur Uneigennützigkeit. Entgegen § 42 BeamtStG, wonach keine Belohnungen oder Geschenke in Bezug auf sein Amt angenommen werden dürfen, habe der Beamte pflichtwidrig gehandelt.

50

Der Beamte habe ein schwerwiegendes Dienstvergehen begangen, welches die Entfernung aus dem Dienst rechtfertige. Das Vertrauensverhältnis sei endgültig zerstört.

51

Der Kläger beantragt,

52

den Beamten aus dem Dienst zu entfernen.

53

Der Beklagte beantragt,

54

die Disziplinarklage abzuweisen

55

und sieht bereits formelle Mängel der Disziplinarklage. So sei kein Ermittlungsführer bestellt worden und es fehle an einer förmlichen, aktenkundig zu machenden Ausdehnungsentscheidung. Es fehle die Mitwirkung der Personalvertretung und eines Hinweises auf deren Unterrichtung. Die Befugnis des Klägers zur Erhebung der Disziplinarklage wird bestritten.

56

Bezüglich des Vorhaltes zu Nr. 1 heißt es, dass die Geldhingabe für das Helfen des Beklagten beim Aufladen der Reifen erfolgt sei. Demnach liege darin keine Vorteilsannahme. Es habe sich um eine reine private Gefälligkeit gehandelt.

57

Zu 2.: Die Zeugen P., E., P. und G. bekundeten vor dem Strafgericht, dass Rechnungen auf Kundenwunsch generell abgeändert werden könnten. Hierzu müsse sich der Anrufer bzw. Besteller nicht durch Passwort oder etwa elektronischer Signatur ausweisen. Demnach sei nicht bewiesen, dass der Beamte tatsächlich die Bestellvorgänge ausgelöst habe. Den Zeugenaussagen zufolge hätte der Beamte ebenso einen Personalrabatt erhalten. Bei dem Kauf der Rasentraktorbatterie über den Beklagten sei es zu keiner Rabattgewährung gekommen. Generell habe die Klägerin kein Verbot ausgesprochen, dass Bedienstete privat Bestellvorgänge auslösen durften. Darüber hinaus sei der Tatbestand des Betruges nicht erfüllt worden. Bei den Rechnungen vom 04.08.2003 und 02.09.2003 handele es nicht um die Originale, sodass nicht festgestellt werden könnte, ob der Beklagte tatsächlich unterschrieben habe.

58

Zu 3.: Generell treffe den Beklagten keine Dienstpflicht etwaige Versäumnisse seines Vorgesetzten, des Polizeihauptmeisters F., anzuzeigen.

59

Zu 4.: Der Handy-Fund sei seinerzeit dem für Fundsachen zuständigen Sachgebiet 11 gemeldet worden. Dort sei die Übergabe des Handys nicht verlangt worden. Die Nutzung des gefundenen Handys mit der privaten SIM-Karte sei unbeachtlich.

60

Zu 5.: Der alte Schleifer sei noch nicht weggeworfen worden, da er für die übliche Überprüfung des Vorgangs durch die Verwaltung bereitgehalten worden sei. Ob ein neuer Exzenterschleifer angeschafft worden sei und zu dessen Verbleib könne er keine Aussage machen.

61

Zu 6.: Mit der Anlieferung und Bestellung eines Schrankes habe der Beklagte nichts zu tun.

62

Zu 7.: Zu den aufgeführten Gegenständen könne der Beklagte keine Angaben machen.

63

Die Klägerin erwidert: Der Beklagte habe selbst in seiner kriminalpolizeilichen Vernehmung vom 13.08.2008 geäußert, dass er bereits Ende 2006 durch Polizeihauptmeister F. über den Verkauf der ausgesonderten Reifen informiert worden sei. In seiner Vernehmung vom 14.08.2008 habe der Beklagte geäußert, dass er 50,00 Euro als Gegenleistung für die ausgesonderten Autoreifen von der Firma T. angenommen habe.

64

Auch die in den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren getroffenen tatsächlichen Feststellungen seien für die Entscheidung im Disziplinarverfahren ohne nochmalige Prüfung nach § 23 Abs. 2 DOG LSA zugrunde zu legen. Insoweit komme auch einem Strafbefehl erhebliche Indizwirkung zu.

65

Auch im Zusammenhang mit den Vorwürfen gegen den gesondert verfolgten Beamten F. sei daher davon auszugehen und es sei nicht ausgeschlossen, dass auch der Beklagte während des Dienstes unter Ausnutzung seiner dienstlichen Stellung private Dienstverrichtungen ausführte und auch Bestellvorgänge vornahm.

66

Der Beklagte erwidert: Die Disziplinarklage äußere überwiegend Vermutungen. Die Klägerin müsse dem Beklagten jedoch die einzelnen Pflichtenverstoße nachweisen.

67

Das Disziplinargericht hat mit Beschluss vom 23.10.2012 das Disziplinarverfahren gemäß § 53 Satz 1 DG LSA auf die in der Disziplinarklage vorgehaltenen Pflichtenverstöße zu 1 und 2 beschränkt.

68

In der mündlichen Verhandlung hat das Gericht Beweis über die Vorkommnisse hinsichtlich der Bestellvorgänge und der vorgehaltenen Vorteilsannahme durch Vernehmung der Zeugen F. und E. erhoben. Zum Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.

69

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungs- und Ermittlungsvorgänge verwiesen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

70

Das Gericht konnte in Abwesenheit des Beklagten verhandeln und entscheiden. Denn er bzw. sein erschienener Prozessbevollmächtigter war ordnungsgemäß geladen und es wurde darauf hingewiesen, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten ohne ihn Beweis erhoben, verhandelt und entschieden werden kann (§ 3 DG LSA; § 102 Abs. 2 VwGO).

71

1.) Die Disziplinarklage ist zulässig. Die vom Beklagten als wesentliche Mängel des behördlichen Disziplinarverfahrens gerügten Formfehler liegen nicht vor. Der Begriff des wesentlichen Mangels im Sinne von § 52 DG LSA erfasst Verletzungen von Verfahrensregeln, die im behördlichen Disziplinarverfahren von Bedeutung sind (BVerwG zum gleichlautenden § 55 BDG; Urteil v. 29.07.2010, 2 A 4.09 mit Verweis auf Urteil v. 20.10.2005, 2 C 12.04; beide juris). Hierunter fallen Verstöße gegen verfahrensrechtliche Vorschriften und Rechtsgrundsätze, die den äußern Ablauf des behördlichen Disziplinarverfahrens bis zur abschließenden behördlichen Entscheidung, also bis zur Erhebung der Disziplinarklage oder bis zu dem Erlass einer Disziplinarverfügung, betreffen (BVerwG, Urteil v. 29.07.2010, 2 A 4.09 mit Verweis auf Beschluss v. 18.11.2008, 2 B 63.08; beide juris).

72

Unter dem 01.07.2011 (Beiakte F, Bd. 1, Bl. 27/3) wurde dem Bevollmächtigten des Beklagten die Fortführung des Disziplinarverfahrens unter Benennung auch der erweiterten Pflichtenverstöße aktenkundig (§ 19 Abs. 1 Satz 2 DG LSA) mitgeteilt (§ 20 Abs. 1 DG LSA) und ihm Gelegenheit zur Äußerung (§ 30 DG LSA) gegeben. Aufgrund des durchgeführten Strafverfahrens und der ausführlichen kriminalpolizeilichen Ermittlungen und Zeugenvernehmungen, ist die Entscheidung im Disziplinarverfahren von weiteren Ermittlungen abzusehen, jedenfalls nicht ermessenfehlerhaft (§ 21 Abs. 2 Satz 2 DG LSA). Die Klägerin hat unter dem 07.04.2011 einen umfassenden Ermittlungsbericht erstellt (Beiakte F, TB 4). Von der im Ermessen stehenden Bestellung eines Ermittlungsführers konnte demnach ebenso ermessensfehlerfrei abgesehen werden (§ 21 Abs. 1 Satz 2 DG LSA). Das Landespersonalvertretungsgesetz Sachsen-Anhalt (LPersVG LSA) enthält keine § 78 Abs. 1 Nr. 3 Bundespersonalvertretungsgesetz (BPersVG) vergleichbare Beteiligungsregelung des Personalrates vor der Erhebung der Disziplinarklage.

73

2.) Die Disziplinarklage ist begründet. Der Beklagte hat ein schwerwiegendes Dienstvergehen gemäß § 47 Abs. 1 BeamtStG begangen, welches die Zurückstufung (§ 9 DG LSA), das heißt, die Versetzung des Beamten in ein um zwei Stufen geringeres Amt derselben Laufbahn mit geringerem Endgrundgehalt, nach sich zieht.

74

Beamte begehen ein Dienstvergehen, wenn sie schuldhaft die ihnen obliegenden Pflichten verletzten (§ 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG). Die dem Beamten zur Last gelegten Pflichtenverstöße stellen ein sogenanntes innerdienstliches Dienstvergehen dar. Denn sie sind in Ausübung des Dienstes verwirklicht worden.

75

Nach § 13 Abs. 1 DG LSA ist die Disziplinarmaßnahme nach der Schwere des Dienstvergehens zu bemessen und erfordert eine angemessene Berücksichtigung des Persönlichkeitsbildes des Beamten. Der Vertrauensverlust des Dienstherrn oder der Allgemeinheit soll berücksichtigt werden.

76

3.) Die Disziplinarkammer ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass der Beklagte die ihm unter Ziffer 1 (Vorteilsnahme) und 2 (betrügerische private Bestellvorgänge) der Disziplinarklage zur Last gelegten und vom Gericht nach § 53 Satz 1 DG LSA darauf beschränkten Pflichtenverstöße begangen hat. Dadurch hat er gegen seine dienstlichen Pflichten zur uneigennützigen und gerechten Dienstausübung verstoßen und ist nicht der Achtung und dem Vertrauen gerecht geworden, die sein Beruf erfordert und es verbietet, gegen Strafgesetze zu verstoßen (§§ 33, 34 BeamtStG). Die Pflichtverletzungen sind als sogenanntes einheitliches Dienstvergehen zu sehen und zu ahnden.

77

a.) Der Beklagte hat durch die Annahme der 50,00 Euro im Jahre 2007 von dem Reifenhändler T. eine Vorteilsnahme im Sinne des § 331 Abs. 1 StGB begangen. Danach wird unter anderem ein Amtsträger, der für die Dienstausübung einen Vorteil für sich oder einen Dritten unter anderem annimmt, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Aufgrund der Entscheidungsbefugnis des Disziplinargerichts kann die Disziplinarkammer diese strafrechtliche Bewertung des vorgehaltenen Lebenssachverhaltes unabhängig von der strafgerichtlichen Bewertung vornehmen. Mangels rechtskräftiger strafgerichtlicher Entscheidungen liegt eine Bindungswirkung im Sinne des § 23 DG LSA nicht vor und zudem hat die vor dem Disziplinargericht durchgeführte Beweisaufnahme einen von der bisherigen strafgerichtlichen Bewertung abweichenden Lebenssachverhalt festgestellt.

78

Die Annahme von 50,00 Euro durch den Beklagten erfolgte im Rahmen seiner Dienstausübung. Denn die in der mündlichen Verhandlung durchgeführte Vernehmung des Zeugen F. hat ergeben, dass entgegen der bisherigen Annahme, der Beklagte und nicht der Zeuge F. für die Tätigkeiten um die Altreifen, also Lagerung, Aussonderung und Entsorgung der Altreifen verantwortlich war. Der Zeuge hat bekundet, dass intern abgesprochen war, dass er – der Zeuge – als Leiter der Werkstatt für den Reparaturbereich und der Beklagte unter anderem für die Angelegenheiten der Altreifen verantwortlich war. Das Gericht hat keinen vernünftigen Anlass, an der Glaubhaftigkeit dieser Aussage und an der Glaubwürdigkeit des Zeugen zu zweifeln. Ging dies bislang aus den umfangreichen disziplinarbehördlichen, staats- und strafrechtlichen Ermittlungen so nicht hervor, so mag dies daran liegen, dass es keine verbindliche Dienstpostenbeschreibung der Tätigkeiten des Leiters und des stellvertretenden Leiters der Kraftfahrzeugwerkstatt gab. Die in den Akten (Beiakte B; TB 9; Bl. 6) befindliche Tätigkeitsbeschreibung des Leiters Kfz-Technik vom 14.03.2005 stammt von ihm selbst und führt die Tätigkeiten um die Altreifen gerade nicht auf. Daher ist es nachvollziehbar, dass die in der Werkstatt anfallenden Tätigkeiten unter dem Leiter und dem Stellvertreter intern und unbürokratisch aufgeteilt wurden. Darüber hinaus drängt sich dem Disziplinargericht der Eindruck auf, dass die Ermittlungen und Ergebnisse darauf konzentriert waren, dass die dem Beklagten und dem Werkstattleiter F. zur Last gelegte Vorteilsnahme auf die Machenschaften des F. bei einem Verkauf der noch brauchbaren Altreifen an den T. zurückzuführen waren. Darauf kommt es aber nicht an. Denn wenn der Beklagte für die Angelegenheiten um die Altreifen, also Anlieferung, Lagerung, Sortierung, Verwendung für das Fahrsicherheitstraining, Aussortierung der unbrauchbaren, weil abgefahrenen aber auch der nicht brauchbaren, weil nicht passenden Reifen verantwortlich war, oblagen diese Tätigkeiten grundsätzlich seiner Dienstausübung im Sinne des § 331 Abs. 1 StGB. Dies gilt im Übrigen auch, wenn der Beklagte neben F. nur mitverantwortlich für die Reifenangelegenheiten war, also die Tätigkeit gemeinschaftlich vorgenommen wurde. Denn grundsätzlich ist davon auszugehen, dass dem Leiter wie auch dem Stellvertreter die gesamten Angelegenheiten in der Werkstatt als Amtsgeschäfte obliegen. Denn die Zuweisung der konkret-funktionellen Tätigkeiten geschieht durch den Dienstherrn und nicht aufgrund Absprache der beteiligten Beamten untereinander. Ein Rückgriff bzw. die mögliche Einflussnahme des Beklagten auf die Amtsgeschäfte des F., wie es das Amtsgericht annahm, muss daher nicht konstruiert werden. „Dienstausübung“ meint die dienstliche Tätigkeit im Allgemeinen. Damit sind alle Handlungen gemeint, die zu den „Obliegenheiten“ des Amtsträgers gehören. Dazu können auch bloß vorbereitende oder unterstützende Tätigkeiten zählen (vgl. zum Ganzen nur: Tröndle/Fischer; StGB, 52. Auflage, § 331, Rz. 6 ff, 18 ff).

79

Der Lebenssachverhalt, der zur Annahme der 50,00 Euro führte, ist nicht losgelöst von der Dienstausübung des Beklagten in Bezug auf die unzweifelhaft zu den Werkstattangelegenheiten gehörenden Altreifen zu sehen. Die Hilfe beim Aufladen der Reifen war gerade nicht nur „privater“ Natur im Sinne einer reinen menschlich-sozialen Gefälligkeit, sondern stand in einem unmittelbaren zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit der Dienstausübung des Beklagten um die Aussonderung und Bereitstellung der Altreifen. Das Aussortieren, Bereitstellen und Verladen der Altreifen ist nach allgemeiner Lebensanschauung als ein einheitlicher Dienstvorgang zu sehen und fand auf dem Gelände der A. statt. Dies hat im Übrigen auch der Beklagte nicht anders gesehen, wie sein anfängliches Zögern bei der Annahme des Geldes belegt.

80

b.) Unabhängig von der strafrechtlichen Bewertung hat der Beamte durch die Annahme der 50,00 Euro gegen seine Pflicht zur Uneigennützigkeit nach § 34 Satz 2 BeamtStG in Verbindung mit dem Verbot der Annahme von Belohnungen, Geschenken und sonstigen Vorteilen nach § 42 BeamtStG verstoßen. Dabei ist diese - beamtenrechtliche - Pflicht bereits weiter zu fassen als die nach § 331 StGB strafbedrohte Vorteilsnahme. Denn auch die durch das Strafrecht nicht erfassten Verhaltensweisen, welche sich als pflichtwidrige Fehlsteuerung des Verwaltungshandelns aus Eigennutz darstellen, sind als Dienstpflichtverletzungen zu werten. Nach § 42 BeamtStG dürfen Beamte keine Belohnungen, Geschenke oder sonstigen Vorteile für sich oder eine dritte Person in Bezug auf das Amt annehmen. „Belohnungen“ oder „Geschenke“ oder „sonstige Vorteile" im Sinne des § 42 BeamtStG sind alle Zuwendungen einschließlich Dienstleistungen, auf die kein Anspruch besteht und die objektiv eine materielle oder immaterielle Besserstellung zum Inhalt haben (Vorteil). Auch die Weitergabe von Vorteilen an Dritte, z. B. andere Bedienstete, rechtfertigt nicht deren Annahme. "In Bezug auf das Amt" im Sinne des § 42 BeamtStG ist ein Vorteil immer dann gewährt, wenn die zuwendende Person sich davon leiten lässt, dass der Beamte ein bestimmtes Amt bekleidet oder bekleidet hat. Ein Bezug zu einer bestimmten Amtshandlung ist nicht erforderlich. Vorteile, die ausschließlich mit Rücksicht auf Beziehungen innerhalb der privaten Sphäre des Beamten gewährt werden, sind nicht "in Bezug auf das Amt" gewährt. Derartige Beziehungen dürfen nicht mit Erwartungen in Bezug auf die dienstliche Tätigkeit des Beamten verknüpft sein. Erkennt der Beamte, dass an den persönlichen Umgang derartige Erwartungen geknüpft werden, dürfen weitere Vorteile nicht mehr angenommen werden (vgl. nur: Korruptionsprävention in der öffentlichen Verwaltung; VV der Landesregierung Rheinland-Pfalz v. 07.11.2000; FM-O 1559 A-411; juris).

81

Zweck der beamtenrechtlichen Pflicht zur Uneigennützigkeit nach § 42 BeamtStG ist es, bereits den bloßen Anschein zu vermeiden, dienstliche Handlungen seien durch Gefälligkeiten beeinflussbar und Amtshandlungen seien käuflich (BVerwG zu § 70 Satz 1 BBG a. F.; Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11.10 mit Verweis auf Urteile v. 14.12.1995, 2 C 27.94, v. 22.10.1996, 1 D 76.95 und v. 23.11.2006, 1 D 1.06; alle juris). Es ist im Interesse einer gesetzmäßigen Verwaltung und im Interesse des allgemeinen Vertrauens in ein rechtsstaatliches Handeln der Verwaltung nicht hinzunehmen, wenn ein Beamter den Eindruck erweckt, er lasse sich in Bezug auf seine dienstliche Tätigkeit durch ihm oder Dritten gewährte Vorteile beeinflussen. Unerheblich ist, ob es zu der in Aussicht gestellten Amtshandlung gekommen ist. Anknüpfungspunkt der Pflicht ist nicht das enge Gebiet der Amtshandlungen des Beamten, sondern das Amt im abstrakt- oder konkret-funktionellen und im statusrechtlichen Sinne (BVerwG, Urteil v. 20.02.2002, 1 D 19.01; juris). Danach besteht der geforderte Amtsbezug bereits dann, wenn nach den Umständen des Einzelfalls sich der Geber davon leiten lässt, dass der Bedienstete dienstlich tätig wird oder geworden ist. Es reicht aus, wenn nach den erkennbaren Vorstellungen und Motiven des Gebers der Gesichtspunkt der Anstellung oder dienstlichen Tätigkeit des Beamten zumindest mitkausal ist (BVerwG, Urteile v. 14.12.1995, 2 C 27.94 und v. 20.02.2002, 1 D 19.01; alle juris). Auch dann, wenn der Beamte unter Hinweis auf seine Dienststellenzugehörigkeit beim Zuwender lediglich den wahrheitswidrigen Anschein erweckt hat, auf die begehrte Entscheidung der Dienststelle in irgendeiner Weise Einfluss nehmen zu können, ist der Bezug zum Amt gegeben (BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11.10; juris).

82

Die Disziplinarkammer hat keine Zweifel daran, dass dem Reifenhändler T. als Zuwender der 50,00 Euro die dienstliche Stellung und das dienstliche Tätigwerden des Beklagten bewusst waren. Daran ändert nichts die Einstellung der strafrechtlichen Verfahren gegen T. und dass dieser angab, gar nicht gewusst zu haben, dass B. und F. Polizeibeamte gewesen seien. Mögen die Beamten aufgrund ihrer Werkstatttätigkeit bei der Übergabe der Reifen auch nicht in Polizeiuniform gekleidet gewesen sein, so war dem T. bewusst, dass er sich auf dem Gelände der A. befindet und die Aussonderung und Bereitstellung der Reifen eine dienstliche Tätigkeit darstellen. Zudem ist den Akten zu entnehmen, dass der T. auf Vermittlung des Beklagten die Altreifenentsorgung übernahm. T. wollte – zumindest mitkausal – im Sinne der soeben dargestellten disziplinarrechtlichen Rechtsprechung mit der Geldleistung die Beschäftigten und damit auch den Beklagten hinsichtlich der Aussortierung der Altreifen in dem Sinne beeinflussen, dass ihm auch die besseren Reifen überlassen werden. Dabei ist egal, ob diese sogar gesondert durch einen der Beschäftigten an T. verkauft wurden oder sie Teil des Aussonderungsvorgangs waren. Denn in jedem Fall hatte T. wegen der Weiterverwendungsmöglichkeiten ein gesteigertes Interesse an diesen Reifen. Dies beweist bereits die Tatsache, dass T. in den Jahren 2000 bis 2005 die Altreifenentsorgung sogar kostenlos übernahm. Ohne die „Hilfsbereitschaft“ der Werkstattmitarbeiter bei der Aussonderung, hätte sich die Entsorgung für T. demnach wirtschaftlich nicht bzw. weniger gelohnt.

83

Dass nach dieser Lebenssachverhaltsauslegung die Zahlung der 50,00 Euro mit den Amtsgeschäften des Beklagten im Zusammenhang stand und gerade nicht nur für die Hilfe bei Aufladen der Reifen geleistet wurde, war bzw. hätte auch dem Beklagten bei gehöriger Gewissensanstrengung bewusst sein müssen. Es gilt das oben zur strafrechtlichen Vorteilsnahme Festgestellte.

84

c.) Zur Überzeugung der Disziplinarkammer steht weiter fest, dass der Beklagte die ihm zur Last gelegten privaten Bestellungen von Kfz-Ersatzteilen unter Ausnutzung der nur dem Land eingeräumten Rabatte vorgenommen und damit einen Betrug nach § 263 Abs. 1 StGB gegenüber der Firma a. A. A. GmbH begannen hat. Bei den Mitarbeitern der Firma a. A. wurde aufgrund der Nennung der Kundenummer der A. der Irrtum erregt, dass es sich um eine amtliche Bestellung der A. handelt. Dadurch wurden sie getäuscht und der Gewinn der Firma geschmälert. Es bedarf keiner Feststellungen, dass ein Beamter der strafbare Handlungen begeht zugleich gegen die beamtenrechtliche Wohlverhaltenspflicht nach § 34 BeamtStG verstößt.

85

Aber auch ohne Zugrundelegung der tatbestandlichen Verwirklichung eines Betruges nach § 263 StGB (vgl. Bay. VGH, Urteil v. 28.06.2006, 16a D 05.177; juris; der in einem ähnlichen Fall die strafrechtliche Relevanz verneint) hat der Beklagte eine disziplinarrechtlich zu ahndende Pflichtverletzung nach § 34 BeamtStG begangen. Denn er hat unter Ausnutzung der ihm vom Dienstherrn eingeräumten Vertrauensposition, die ihm erlaubte amtliche Bestellungen vorzunehmen unter Verwendung der ihm zur Verfügung gesellten Mittel (Telefon; PC) und Kenntnisse (Kundennummer) die privaten Bestellungen zum eigenen Vorteil vorgenommen.

86

Der Zeuge F. hat in seiner Zeugenvernehmung vor der Disziplinarkammer bekundet, dass er wisse, dass der Beklagte zumindest einmal zu einem ihm nicht mehr erinnerlichen Zeitpunkt einen privaten Bestellvorgang ausgelöst hat. Steht diese Aussage des Zeugen auch im Widerspruch zu seiner Aussage vor dem Amtsgericht in dem Strafverfahren gegen den Beklagten am 10.09.2010, hat das Disziplinargericht keine durchgreifenden Zweifel an dem Wahrheitsgehalt der jetzigen Aussage des Zeugen. Denn diese Aussage wird durch weitere Unterlagen belegt.

87

So ist das Disziplinargericht davon überzeugt, dass der Beklagte die Bestellvorgänge die den Rechnungen vom 04.08.2003 und 02.09.2003 (Beiakte D; BwB 2 Bl. 12, 14) zugrundeliegen, vorgenommen und den Erhalt der Ware auf den Rechnungen durch Unterschrift bestätigt hat. Dabei ist zunächst festzustellen, dass die Änderung des Adressatenfeldes bzw. die Angabe einer Person zu dessen Händen zu liefern ist, auf die Angabe des Bestellers zurückzuführen ist und sich somit von dem üblichen Bestellvorgang der A. unterscheidet. Dies hat der Zeuge F. mit Verweis auf die von ihm durchgeführten und zur rechtskräftigen Verurteilung durch Strafbefehl geführten Bestellvorgänge ausgesagt, was sich mit den übrigen Feststellungen deckt. Auch der Zeuge E. hat dies nicht nur vor dem Disziplinargericht, sondern auch vor dem Amtsgericht und anlässlich seiner behördlichen Vernehmung ausgesagt. Dies deckt sich mit den Aussagen der übrigen Mitarbeiter der Firma a. A. vor dem Amtsgericht, wie die des zwischenzeitlich verstorbenen Zeugen P. sowie der Angestellten P.. Zudem erfolgte die Lieferung bei den dienstlich veranlassten Bestellvorgängen gegen Lieferschein und nicht gegen Rechnung. Die Rechnungen gingen auf dem Postwege bei der Klägerin zur unbaren Begleichung der Rechnungssumme ein.

88

Demnach hat die Disziplinarkammer keine durchgreifenden Zweifel daran, dass der Beklagte neben diesen durch seine Unterschrift belegten Bestellvorgängen aus dem Jahr 2003 auch die weiteren ihm in der Disziplinarklage vorgehaltenen Bestellvorgänge bis in das Jahr 2006 getätigt hat. Denn auch die dazu ergangenen Rechnungen tragen jeweils die Besonderheit, dass der Beklagte dort namentlich erwähnt ist. Die Disziplinarkammer teilt nicht die Auffassung des Beklagten, dass die Namensnennung dadurch zu erklären sei, dass eine unbekannte Person auf den Namen des Beklagten bestellt habe. Ist dies nach den tatsächlichen Feststellungen der Kammer zwar grundsätzlich möglich, weil neben der Angabe der im Werkstattbereich bekannten Kundenummer der A. keinerlei Identifikationsvoraussetzungen wie PIN oder Code erforderlich waren, ergibt ein derartiges Vorgehen eines Dritten aber keinen Sinn. Denn die Unterlagen und die darauf gestützten Feststellungen ergeben, dass neben dem Werkstattleiter F. und dem Stellvertreter B. auch die nicht verbeamteten Werkstattmitarbeiter S., R., K. und J. private Bestellungen unter ihrem Namen vorgenommen haben. Da aber auch in diesen Fällen stets die zutreffende Namensnennung des Bestellers erfolgte, gab es keinerlei Anlass für einen der Werkstattmitarbeiter, den Namen des Beklagten anstelle des eigenen zu nennen. Denn darüber hinaus war neben der Bestellung auch die Annahme der Ware vor Ort durch den Besteller notwendig. Somit wäre es bei der Häufigkeit der dem Beklagten vorgehaltenen Bestellungen im Werkstattbereich aufgefallen, wenn eine andere Person als der vermeintliche Besteller B. die Waren in Empfang genommen hätte. Die umfangreiche auf 67 Bestellvorgänge aus den Jahren 2003 bis 2007 aufgelistete Zusammenschau der Klägerin zu den nicht im Zahlungssystem zu verzeichnenden Bestellungen belegt neben den bekannten Namen nur eine Rechnung über zwei Dichtungen zum Preis von 1,97 € mit Namensnennung M., wobei ein Werkstattmitarbeiter mit diesem Namen nicht bekannt sei (Beiakte B, Bl. 238 ff, 242 Fußnote 16). Fällt hier schon der Preis nicht in das Gewicht, ist entscheidend, dass – wenn überhaupt – ein Fantasiename gewählt wurde und eben nicht der des Beklagten. Darüber hinaus fehlt es an jedem plausiblen Vortrag, wieso etwa ein Kollege, etwa um dem Beklagten zu schaden, derart hätte vorgehen sollen. Demnach scheidet auch die Bestellung durch einen nicht dem Werkstattbereich oder der Klägerin zuzurechnenden Dritten aus.

89

Schließlich belegen auch die vom Beklagten vorgenommenen und von ihm eingeräumten Bestellungen für die Kollegen P. und S., dass er durchaus private Bestellungen vorgenommen hat. Wenngleich dies aus kollegialer Verbundenheit und aufgrund seines technischen Sachverstandes sowie bei anderen Firmen und nicht unter Ausnutzung der Rabattierung geschehen ist. Soweit der Beklagte den Hinweis der Klägerin darauf, dass die den vorgehaltenen Rechnungen zugrundeliegenden Waren bei der A. wegen des andersartigen Fuhrparks keine Verwendung hätten finden können damit begegnet, dass dies auch auf ihn zutreffe, mag die Bestellung für Freunde, Bekannte, Verwandte etc. eine gewisse Erklärung liefern. Zudem enthalten die dem Beklagten vorgehaltenen Warenbestellungen eine erheblich geringere Anzahl als dies etwa bei dem Zeugen F. der Fall war, der die Ersatzteile ersichtlich für seine ebenfalls angeschuldigte Nebenbeschäftigung benötigte.

90

4.) Der Beklagte hat die in einem inneren zeitlichen und sachlichen Zusammenhang stehenden Pflichtverletzungen im Sinne eines einheitlich zu bewertenden innerdienstlichen Dienstvergehens (vgl. zur Einheit des Dienstvergehens nur: VG Magdeburg, Urteil v. 04.11.2009, 8 A 19/08 m. w. Nachw.; juris) vorsätzlich und schuldhaft begangen.

91

5.) Hinsichtlich der auszusprechenden Disziplinarmaßnahme ist die Schwere des Dienstvergehens unter angemessener Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten richtungsweisend (vgl. § 13 DG LSA). Die Schwere beurteilt sich nach objektiven Handlungsmerkmalen wie Eigenart und Bedeutung der Dienstpflichtverletzungen, den besonderen Umständen der Tatbegehung sowie Häufigkeit und Dauer eines wiederholten Fehlverhaltens, nach subjektiven Handlungsmerkmalen wie Form und Gewicht des Verschuldens des Beamten, den Beweggründen für sein Verhalten sowie nach den unmittelbaren Folgen für den dienstlichen Bereich und für Dritte. Davon ausgehend kommt es darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung im Einzelfall derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die durch die Schwere des Dienstvergehens indizierte Maßnahme geboten ist. Eine vollständige und richtige Gesamtwürdigung setzt voraus, dass die Disziplinarkammer die im Einzelfall bemessungsrelevanten, d. h. die für die Schwere des Dienstvergehens und das Persönlichkeitsbild bedeutsamen Tatsachen ermittelt und mit dem ihnen zukommenden Gewicht in die Gesamtbewertung einbezieht. Dies entspricht dem Zweck der Disziplinarbefugnis des Disziplinargerichts als einem Mittel der Funktionssicherheit des öffentlichen Dienstes. Dabei findet der Grundsatz „in dubio pro reo“ Anwendung. Die Disziplinargerichte dürfen nur solche belastenden Tatsachen in die Gesamtwürdigung einstellen, die zur Überzeugung des Gerichts feststehen. Demgegenüber müssen entlastende (mildernde) Umstände schon dann zu Gunsten des Beamten berücksichtigt werden, wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für ihr Vorliegen gegeben sind und eine weitere Sachverhaltsaufklärung nicht möglich ist (vgl. nur: VG Magdeburg, Urteil v. 27.10.2011, 8 A 2/11 mit Verweis auf BVerwG, U. v. 27.01.2011, 2 A 5.09; jüngst BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11/10, OVG Lüneburg, Urteil v. 14.11.2012, 19 LD 4/11; alle juris).

92

Für das danach zu findende Disziplinarmaß können die vom Disziplinarsenat des Bundesverwaltungsgerichts für bestimmte Fallgruppen herausgearbeiteten Regeleinstufungen von Bedeutung sein. Davon ausgehend kommt es für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung im Einzelfall derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die durch die Schwere des Dienstvergehens indizierte Disziplinarmaßnahme geboten ist (BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11/10 mit Verweis auf Urteile v. 20.10.2005, 2 C 12.04 und v. 03.05.2007, 2 C 9.06, alle juris).

93

Ein endgültiger Verlust des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit im Sinne von § 13 Abs. 2 Satz 1 DG LSA ist anzunehmen, wenn aufgrund der prognostischen Gesamtwürdigung auf der Grundlage aller im Einzelfall bedeutsamen be- und entlastenden Gesichtspunkte der Schluss gezogen werden muss, der Beamte werde auch künftig in erheblicher Weise gegen seine Dienstpflichten verstoßen oder die durch sein Fehlverhalten herbeigeführte Schädigung des Ansehens des Berufsbeamtentums sei bei einer Fortsetzung des Beamtenverhältnisses nicht wiedergutzumachen. Unter diesen Voraussetzungen muss das Beamtenverhältnis im Interesse der Leistungsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und der Integrität des Berufsbeamtentums beendet werden (BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11.10 mit Verweis auf Urteile v. 20.10.2005, 2 C 12.04, v. 03.05.2007, 2 C 9.06 und v. 29.05.2008, 2 C 59.07; alle juris).

94

6.) Setzt sich das (einheitliche) Dienstvergehen aus mehreren Dienstpflichtverletzungen zusammen, bestimmt sich die zu verhängende Disziplinarmaßnahme in erster Linie nach der schwersten Verfehlung (BVerwG, Urteil v. 23.02.2005, 1 D 1.04; juris).

95

a.) Verstöße gegen die Uneigennützigkeit werden in der Rechtsprechung der Disziplinargerichte seit jeher als sehr schwerwiegend eingestuft. Denn die uneigennützige, nicht auf den privaten Vorteil bedachte Führung der Dienstgeschäfte stellt eine wesentliche Grundlage des Berufsbeamtentums dar. Im Hinblick darauf ist die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis jedenfalls dann Richtschnur für die Bestimmung der angemessenen Disziplinarmaßnahme, wenn erhebliche Geldzahlungen geflossen sind (vgl. zusammenfassend: BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11.10; juris).

96

b.) Bei einem „klassischen“ innerdienstlichen Betrug vergreift sich der Beamte an Gelder oder gleichgestellte Werte des Dienstherrn, die dem Beamten jedoch nicht dienstlich anvertraut oder sonst dienstlich zugänglich sind. In der mangelnden „Anvertrauung“ liegt der bedeutsame Unterschied zu den innerdienstlichen Zugriffsdelikten begründet, wonach der Betrug zu Lasten des Dienstherrn grundsätzlich ein geringeres disziplinarrechtliches Gewicht hat als der die Entfernung rechtfertigende Zugriff des Beamten auf ihm anvertraute Gelder oder Güter (BVerwG, Beschluss v. 20.12.2011, 2 B 64.11 mit Verweis auf Urteile v. 24.01.2001, 1 D 57.99 und v. 30.08.2000, 1 D 26.99; alle juris). Die Variationsbreite, in der Pflichtverletzungen dieser Art denkbar sind, erfordert die Würdigung der jeweiligen besonderen Einzelfallumstände. Deshalb wird bei den innerdienstlichen Betrugsfällen gerade keine Bagatellschwelle angenommen. Eine Entfernung steht dann an, wenn im Einzelfall Erschwernisgründe vorliegen, ohne dass ihnen erhebliche Milderungsgründe gegenüberstehen. Erschwernisgründe können sich z. B aus Anzahl und Häufigkeit der Betrugshandlungen, der Höhe des Gesamtschadens, der missbräuchlichen Ausnutzung der dienstlichen Stellung oder dienstlich erworbener Kenntnisse sowie daraus ergeben, dass die Betrugshandlungen im Zusammenhang mit weitren Verfehlungen, wie Urkundefälschungen stehen (BVerwG, Beschluss v. 20.12.2011, 2 B 64.11 mit Verweis auf Urteile v. 28.11.2000, 1 D 56.99, v. 26.09.2001, 1 D 32.00, v. 22.02.2005, 1 D 30.03 und Beschlüsse v. 14.06.2005, 2 B 108.04 und v. 10.09.2010, 2 B 97.09; alle juris).

97

c.) Das Disziplinargericht weist demnach entschieden darauf hin, dass der Beklagte schwerwiegende Dienstpflichtverletzungen begangen hat, die jeweils im Einzelfall aber auch bei der einheitlichen Bewertung zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis als disziplinarrechtliche Höchstmaßnahme führen könnten.

98

Gleichwohl sieht die Disziplinarkammer vorliegend Besonderheiten und Entlastungsgründe des Einzelfalls, die es rechtfertigen, die von der Schwere des Dienstvergehens ausgehende Indizwirkung abzumildern. Dies ist dann der Fall, wenn zu Gunsten des Beamten gewichtige Entlastungsgründe (Milderungsgründe) zu berücksichtigen sind, die den Schluss rechtfertigen, dass das dem Beamten vom Dienstherrn und der Allgemeinheit entgegengebrachte Vertrauen noch nicht endgültig verloren ist. Solche Gründe stellen zum einen die von der Rechtsprechung bezüglich der sog. Zugriffsdelikte entwickelten und anerkannten Milderungsgründe dar, die besondere menschliche Konfliktsituationen beschreiben. Hierzu zählen etwa das Handeln in einer existenziellen wirtschaftlichen Notlage oder einer körperlichen oder psychischen Ausnahmesituation oder besonderen Versuchssituationen oder eine persönlichkeitsfremde Einzelverfehlung des Beamten wie auch „Entgleisungen“ während einer negativen, inzwischen überwundenen, durch Alkohol, Drogen oder Schicksalsschlägen bedingte Lebensphase. Der Milderungsgrund der Geringwertigkeit eines verursachten Schadens oder des geldlichen Vorteils der Handlung wird bei etwa 50,00 Euro gezogen. Auch besondere die Dienstpflichtverletzung begünstigende Handlungen und mangelnde Kontrollen des Dienstherrn können im Einzelfall wie ein besonderes Nachtatverhalten die Schwere der Verfehlung mildern. Zeitlich überlange Disziplinarverfahren können wegen des disziplinarrechtlichen Beschleunigungsgebotes und der mit dem Disziplinarverfahren verbundenen persönlichen Belastungen jedenfalls bei Maßnahmen der Pflichtenmahnung berücksichtigt werden. Entlastungsgründe können sich aber zum anderen auch aus allen Besonderheiten ergeben, die es im Einzelfall wegen der persönlichkeitsbedingten an § 13 DG LSA zu orientierenden Prognoseentscheidung gebieten, von der disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahmen Abstand zu nehmen. Die entlastenden Gründe sind nicht (mehr) allein auf den in der Rechtsprechung entwickelten Kanon der anerkannten Milderungsgründe beschränkt (BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11.10, m. w. Nachw.; juris). Diese Besonderheiten müssen aber in ihrer Gesamtheit geeignet sein, die Schwere des Pflichtenverstoßes erheblich herabzusetzen. Generell gilt, dass das Gewicht der Entlastungsgründe umso größer sein muss, je schwerer das Delikt aufgrund der Schadenshöhe sowie der Tatumstände, wie Anzahl, Häufigkeit, Zeitraum, Verschiedenartigkeit und Tatausführung wiegt (im Ganzen ausführlich: VG Magdeburg, Urt. v. 31.03.2011, 8 A 2/10 MD und v. 27.10.2011, 8 A 2/11, mit Verweis auf BVerwG, Urt. v. 24.05.2007, 2 C 28.06, Urt. v. 06.06.2007, 1 D 2.06, Urt. v. 29.05.2008, 2 C 59.07; Bayr. VGH, Urt. v. 27.10.2010, 16 aD 09.2470; OVG Lüneburg, Urt. v. 08.02.2011, 6 LD 4/08; alle juris).

99

Hinsichtlich des Verstoßes gegen die Pflicht zur Uneigennützigkeit aufgrund Vorteilsnahme sind die näheren Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. So ist festzuhalten, dass der Beklagte - nach unwiderlegbarer Aussage - die 50,00 Euro von dem Reifenhändler T. nicht gefordert, sondern wie von F. verlangt „für die Kaffeekasse“, erhalten hat. Er wolle auch dem Beklagten mal was zukommen lassen, so T.. Damit ist diese Geldzahlung im Zusammenhang mit der Forderung des F. und der wiederholten Zahlung an ihn durch T. zu sehen. Zudem liegt die Besonderheit des Falls vorliegend darin, dass neben der Amtsbezogenheit der Reifenaussonderung tatsächlich der gefällige Verladevorgang der Reifen stattfand und T. nach seiner Aussage froh gewesen sei, dass die Arbeiter in der Werkstatt ihm jedes Mal beim Aufladen der Altreifen geholfen hätten. Die stetige Hilfsbereitschaft des Werkstattpersonals wurde auch von dem Zeugen F. anlässlich seiner Zeugenvernehmung vor der Kammer bestätigt. Zudem ist das Geld an den Beklagten unbestritten nicht bei jedem Entsorgungsvorgang geflossen, sondern beschränkt sich auf einen einmaligen Vorfall. Bedenkt man die Vielzahl der Vorgänge, relativiert sich die einmalige Zahlung von 50,00 Euro an den Beklagten in Bezug auf alle Vorgänge. Und erscheint unter der bei 50,00 Euro zu zeihenden Bagatell- oder Geringwertigkeitsgrenze (vgl. zur Geringwertigkeit: OVG Lüneburg, Urteil v. 14.11.2012, 19 LD 4/11; LAG Thüringen, Urteil v. 16.12.2010, 3 Sa 325/09; beide m. w. Nachw.; beide juris). Unterstellt man weiter, dass der Beklagte nach seiner unwiderlegbaren Aussage selbst erstaunt war über die Zahlung und sie zunächst ablehnte, kann unter diesen Umständen die Vorteilsnahme als Gelegenheitstat im Sinne eines Augenblicksversagens gesehen werden. Schließlich hat der Beklagte die Annahme des Geldes frühzeitig, wenn auch aufgrund der Ermittlungen gegen F., zugegeben und zur weiteren Tataufklärung beigetragen. Unter Beachtung dieser besonderen Tatumstände unterscheidet sich der Fall von den zahlreichen in der Rechtsprechung der Disziplinargerichte zu findenden hinsichtlich des mit der Höchstmaßnahme disziplinarrechtlich zu ahndenden Unrechtsgehalts einer Vorteilsnahme (vgl.: BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11.10; Urteil v. 23.11.2006, 1 D 1.06; Urteil v. 19.02.2003, 1 D 14.02; Urteil v. 27.01.1998, 1 D 63.96; Urteil v. 08.06.2005, 1 D 3.04; LAG Thüringen, Urteil v. 16.12.2010, 3 Sa 325/09; OVG Lüneburg, Urteil v. 14.11.2012, 19 LD 4/11; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 10.09.2007, 3 A 10390/07; Bay. VGH, Urteil v. 28.06.2006, 16a D 05.177; alle juris). Denn diesen ist gemein, dass die Pflicht zur Uneigennützigkeit durch zahlreiche über einen längeren Zeitraum geschehene und/oder hohe bzw. hochwertige Vorteilsannahmen verletzt wurde.

100

Ähnliches gilt für die dem Beklagten vorgehaltenen und durch Rechnungen belegten Betrügereien gegenüber der Firma a. A. GmbH. Die Kammer sieht durchaus, dass es sich dabei hinsichtlich der Anzahl von 19 Fällen und der Häufigkeit in dem Zeitraum von 2003 bis 2006 nicht mehr um als gering zu bezeichnende Fälle handelt. Zwar ist bei der Vertrauensschädigung des Dienstherrn seine tatsächliche materielle Schädigung wenig bedeutend. Gleichwohl ist zu bedenken, dass der finanzielle Schaden nicht bei dem Dienstherrn eingetreten und als verhältnismäßig gering anzusehen ist. Denn er besteht „nur“ in der jeweiligen überhöhten Rabattgewährung und gegenüber der Firma a. A. GmbH. Denn die Firma hätte den Werkstattmitarbeitern auch Rabatte, allerdings in geringerer Höhe eingeräumt. Sieht die disziplinarrechtliche Rechtsprechung bereits bei dem „klassischen“ innerdienstlichen Betrug gegenüber dem Dienstherrn einen disziplinarrechtlich zu ahndenden geringeren Unrechtsgehalt als bei „klassischen“ Zugriffsdelikten, muss dies im vorliegenden Fall besonders gelten. Denn der Betrug zu Lasten der Firma a. A. wird nur dadurch zu einem verschärfenden innerdienstlichen Dienstvergehen, weil er im Dienst und unter Ausnutzung der dienstlichen Mittel und Möglichkeiten geschah. Ansonsten würde es sich von vornherein um einen milder zu bewertenden außerdienstlichen Pflichtenverstoß handeln (vgl. Bay. VGH, Urteil v. 28.06.2006, 16a D 05.177; juris; der in einem ähnlichen Fall die strafrechtliche Relevanz verneint).

101

Zudem wird aufgrund der Tatsache, dass neben dem Beklagten zahlreiche weitere Mitarbeiter der Werkstatt der A. die privaten Bestellvorgänge und über längere Zeiträume vornehmen konnten sowie die Aufdeckung dieser Missstände nur durch einen Zufallsfund und eben nicht aufgrund der Überprüfung durch die A. gelang, deutlich, dass hier eine Vernachlässigung der Ordnungs- und Überwachungspflicht des Dienstherrn die Taten zumindest begünstigte. Zwar ist der Klägerin zuzugeben, dass Beamten nicht ständig überwacht und kontrolliert werden können bzw. müssen und der Dienstherr auf die Zuverlässigkeit seiner Mitarbeiter angewiesen ist. Gleichwohl kann das Disziplinargericht bei der Feststellung, ob der Vertrauensverlust endgültig eingetreten ist, innerdienstliche Organisationsformen und das Controlling berücksichtigen. Vorliegend scheint es so, dass sich die Vornahme der Bestellungen aus Eigennutz unter den Werkstattmitarbeitern eingeschlichen hat. Dafür spricht auch, dass eine besondere Tarnung oder eine sonst wie geartete Verschleierung oder ein geschicktes Tatverhalten nicht erforderlich war (vgl. dazu: OVG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 10.09.2007, 3 A 10390/07; Bay. VGH, Urteil v. 28.06.2006, 16a D 05.177; beide juris). So wurde auch im Innenverhältnis die Behörde nicht etwa durch weitere Verdeckungshandlungen getäuscht. Es war jedweder Person bei Kenntnis der nicht unter Verschluss oder sonst wie besonders gesicherte Kundennummer der A. möglich, die Bestellvorgänge auszulösen. Es fanden weder weitere Identifikationsverfahren wie die PIN- oder Code-Eingabe statt noch durften etwa die Bestellvorgänge nur im Beisein eines weiteren Mitarbeiters vorgenommen werden. Erst die hier behandelten Disziplinarverfahren hat die Klägerin zum Anlass genommen, ablauforganisatorische Änderungen vorzunehmen, die auf eine Stärkung des Vier-Augen-Prinzips und Kontrolle der Beschaffungsvorgänge ausgerichtet sind (vgl. Schriftsatz der Klägerin vom 02.11.2012). Zudem ist ebenso der Firma a. A. der allzu sorglose Umgang hinsichtlich der tatsächlich möglichen privaten Bestellvorgänge unter Gewährung des Landesrabattes vorzuhalten.

102

7.) Unter Beachtung der vorstehend dargestellten Besonderheiten geht das Disziplinargericht bei der der nach § 13 DG LSA notwendigen Gesamtbewertung der Pflichtenverstöße unter Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten davon aus, dass dem Beklagten noch ein gewisses Restvertrauen entgegengebracht werden kann, was das Absehen von der Höchstmaßnahme rechtfertigt. Gleichwohl hält die Disziplinarkammer nach § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 DG LSA den Ausspruch der zweitschärfsten Disziplinarmaßnahme in Form der Zurückstufung nach § 9 DG LSA - und hier um zwei Stufen in das Eingangsamt - für angemessen und erforderlich.

103

8.) Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 72 Abs. 1 Satz 1, 73 Abs. 1 DG LSA. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


Tatbestand

1

Der Kläger führt die Disziplinarklage gegen die beklagte verbeamtete Gerichtsvollzieherin mit dem Ziel ihrer Entfernung aus dem Dienst.

2

Die 1976 geborene Beamtin beendete 1994 ihre Schulausbildung mit der Ablegung des Abiturs. Anschließend wurde sie zum Vorbereitungsdienst für den mittleren Justizdienst zugelassen und zur Justizsekretäranwärterin ernannt. 1996 wurde die Beamtin zur Ausbildung für die Sonderlaufbahn Gerichtsvollzieher zugelassen und zur Justizsekretärin zur Anstellung ernannt. Nach Absolvierung der Gerichtsvollzieherprüfung mit „ausreichend“ (Note 3,6) wurde die Beamtin 1998 zur Justizsekretärin ernannt. In der Folgezeit wurde die Beamtin bei dem Amtsgericht D. und dem Amtsgericht K. verwandt. Im Jahr 2001 wurde sie zur Gerichtsvollzieherin ernannt und im Jahre 2003 erfolgte die Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit. Zum 01.05.2006 wurde die Beklagte zur Verwendung im mittleren Dienst an das Amtsgericht D. abgeordnet. Seit dem ist sie nicht mehr als Gerichtsvollzieherin tätig.

3

Die Beamtin ist verheiratet und hat eine im Jahr 2005 geborene Tochter. Nach Auskunft der Bezügestelle vom 31.03.2011 erhielt die Beamtin zum Zeitpunkt der Einreichung der Disziplinarklageschrift 1.341,18 Euro zuzüglich 368,00 Euro Kindergeld ausgezahlt.

4

Die Beklagte ist disziplinarrechtlich vorbelastet. Ihr wurde mit Verfügung vom 08.12.2003 wegen verzögerter Sachbearbeitung sowie Verstoßes gegen § 65 Nr. 6 GVO und § 185 g GVGA ein Verweis erteilt.

5

Mit Verfügung vom 16.11.2006 wurde die Beamtin wegen der Vorwürfe in der Disziplinarklage vom Dienst suspendiert. Das Verwaltungsgericht Magdeburg - Disziplinarkammer – hat mit Beschluss vom 19.02.2007 die vorläufige Dienstenthebung aufgehoben. Auf die Beschwerde des Klägers hat das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt - Disziplinarsenat - den Antrag unter Aufhebung des Beschlusses abgelehnt. Den unter dem 30.06.2010 von der Beamtin erneut gestellte Antrag auf Aufhebung der vorläufigen Dienstenthebung hat das Verwaltungsgericht Magdeburg - Disziplinarkammer - mit Beschluss vom 24.01.2011 abgelehnt. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Beamtin hat das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt - Disziplinarsenat - mit Beschluss vom 04.11.2011 zurückgewiesen.

6

Wegen der disziplinarrechtlichen Vorwürfe der fehlerhaften Wegegelderabrechnungen hat das Amtsgericht K. unter dem 23.05.2007 einen Strafbefehl erlassen, worin der Beamtin vorgeworfen worden war, insgesamt 201 Straftaten (Gebührenüberhebung in 193 Fällen und Betrug in 8 Fällen) begangen zu haben. Durch Urteil des Amtsgerichts K. vom 07.07.2008 (2 Cs 183/07) war die Beamtin der Gebührenüberhebung in 181 Fällen und des Betruges in 8 Fällen schuldig gesprochen worden; in 12 Fällen war sie von dem im Strafbefehl erhobenen Vorwurf der Gebührenüberhebung freigesprochen worden. Mit Urteil vom 29.10.2009 (7 Ns 161/08) hat das Landgericht Dessau-Roßlau die Beamtin in der Berufung wegen der Gebührenüberhebung in 158 Fällen (überhöhte Wegegelder) und wegen Betruges in 8 Fällen schuldig- und im Übrigen freigesprochen (23 Fälle der Abrechnung von nicht entstandenen Wegegeldern). Auf die Revision der Beamtin hat das Oberlandesgericht A-Stadt das Verfahren mit Beschluss vom 10.05.2010 (1 Ss 13/10) eingestellt, soweit die Beamtin nicht bereits rechtskräftig vom AG K. freigesprochen worden war. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Strafbefehl bezüglich der Darstellung des Tatvorwurfs der falschen Wegegeldabrechnung nicht dem strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz entspreche. Unter dem 25.01.2011 hat die Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau das Ermittlungsverfahren gegen die Beamtin gem. § 153 StPO eingestellt.

7

Mit der Disziplinarklage vom 27.04.2011 wird die Beamtin angeschuldigt, ein Dienstvergehen gem. §§ 54, 55, 77 Abs. 1 Satz 1 Beamtengesetz Sachsen-Anhalt (BG LSA) begangen zu haben. Sie habe u. a.

8

- Gebühren und Auslagen zum eigenen Vorteil zu Unrecht erhoben und entnommen;

9

- unzulässig Verhaftungen zum Zwecke der Erzwingung der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung vorgenommen sowie

10

- in erheblichem Maße gegen Vorschriften der Gerichtsvollzieherordnung und der Gerichtsvollziehergeschäftsanweisung verstoßen.

11

Ihr werden 10 Pflichtenverstöße zur Last gelegt:

12

1. Die Beamtin habe gegen die sich aus § 55 BG LSA ergebene Pflicht, Anordnungen des Dienstvorgesetzten auszuführen und die allgemeinen Richtlinien zu befolgen, erheblich verstoßen.

13

Am 28.09.2004 habe die Direktorin des Amtsgerichts K. der Gerichtsvollzieherin das Protokoll über die Geschäftsprüfung vom 11.08.2004 bis 28.08.2004 mit der Aufforderung übersandt, zu den einzelnen Beanstandungen binnen eines Monats Stellung zu nehmen. Die Stellungnahme der Gerichtsvollzieherin sei erst auf wiederholte und nachdrückliche Aufforderung der Direktorin des Amtsgerichts K. am 27.01.2005 eingegangen.

14

2. Die Beamtin habe in den nachfolgenden Fällen gegen § 106 Nr. 6 Satz 1 Geschäftsanweisung für Gerichtsvollzieher (GVGA) verstoßen.

15

a) Die Beamtin habe in nachfolgend aufgeführten 32 Fällen ohne anders lautende Bestimmung der Gläubiger und trotz wiederholter Beanstandung in den Vorprüfungen Leistungen verspätet an die Gläubiger abgeführt. Dabei handelt es sich um Differenztage zwischen dem Tag der Zahlung, Tag der Buchung und Tag der Überweisung von wenigstens drei Tagen bis zu einmalig höchstens 45 Tagen. Auf diese Tabelle in der Disziplinarklage wird verwiesen. Die Disziplinarklage führt aus, dass das zwischen dem Tag der Einnahme und dem Tag der Auszahlung im Durchschnitt dieser Fälle 17 Tage gelegen hätten.

16

b) In den Verfahren DR II 2256/03; 2243/02; 1958/03; 252/04; 2333/03 und 1978/03 am 19.03.2004 erzielte Versteigerungserlös sei am 18.08.2004 noch nicht an die Gläubiger abgeführt worden.

17

c) Obwohl der Verstoß gegen § 106 Nr. 6 Satz 1 GVGA bereits Gegenstand des am 28.02.2005 eingeleiteten Vorermittlungsverfahren gewesen sei, habe die Gerichtsvollzieherin weiterhin Leistungen verspätet an die Gläubiger abgeführt. Dabei habe die Überweisungsfrist zwischen 7 und 11 Tagen gelegen.

18

3. Die Gerichtsvollzieherin habe gegen § 57 Abs. 2 Satz 5 GVO und § 65 GVGA verstoßen:

19

a) Sie habe Sachstandsanfragen von Gläubigern pauschal, ohne Bezug auf den tatsächlichen Sachstand und teilweise völlig irreführend beantwortet und dazu einen vorformulierten Text benutz, welcher lautete:

20

„In der Zwangsvollstreckungssache ... teile ich mit, dass der o. g. Auftrag eingegangen ist und bei mir unter DR II Nr. ... registriert wurde. Da ich zurzeit stark überlastet bin, ist es mir zurzeit nicht möglich, die Monatsfrist für die Erledigung einzuhalten. Ich werde mich trotzdem bemühen, den Auftrag zügig zu erledigen.

21

Es wird gebeten, die nächsten zwei Monate von Sachstandsanfragen abzusehen.“

22

Dies sei in folgenden Verfahren geschehen:

23

DR II 42/04:
Die Angelegenheit sei bereits erledigt gewesen, weil der Schuldner unbekannt verzogen war.

24

DR II 64/04:
Der Auftrag sei bereits durch Pfandabstand erledigt gewesen.

25

DR II 76/04:
Die Sache sei erledigt gewesen, weil bereits ein letzter Vollstreckungsversuch durchgeführt worden sei.

26

DR II 8/04:
Auch hier sei Erledigung eingetreten gewesen.

27

DR II 21/04:
Der Zwangsvollstreckungsauftrag sei durch Nichtermittlung des Schuldners erledigt gewesen.

28

b) Die Gerichtsvollzieherin habe in den oben unter a) bezeichneten Verfahren die Gläubiger über den tatsächlichen Verfahrensstand getäuscht. Sie habe damit sowohl gegen das Informationsrecht des Gläubigers gem. § 65 a GVGA, als auch gegen die Pflicht zur sorgfältigen und vollständigen Aktenführung (§ 57 Nr. 2 Satz 5 GVO) verstoßen.

29

4. Die Gerichtsvollzieherin habe gegen § 816 Abs. 4 ZPO, §§ 156, 1239 Abs. 2 BGB, §145 Nr. 2 b GVGA verstoßen. In mehreren Zwangsvollstreckungsverfahren gegen den Schuldner H. F. wurde die Versteigerung gepfändeter Gegenstände am 19.03.2004 durchgeführt. Der gepfändete PKW Mercedes Benz 320 cdi, sei mit 39.000,00 Euro und das Motorrad Suzuki mit 1.200,00 Euro angesetzt worden. Bei der Versteigerung sei der Schuldner anwesend gewesen und habe mitgeboten. Die Gerichtsvollzieherin habe das Gebot des Schuldners in Höhe von 35.000,00 Euro zugelassen und ihm den Zuschlag erteilt, wodurch das bisherige Meistgebot in Höhe von 33.000,00 Euro eines anderen Bieters erlosch. Nachdem die Gerichtsvollzieherin festgestellt habe, dass dem Schuldner eine Barzahlung nicht möglich gewesen sei, sei der PKW nochmals ausgeboten worden, wobei nur noch das Mindestgebot von 20.000,00 Euro als Versteigerungserlös erzielt worden sei.

30

In dem diesbezüglichen Vermerk der Gerichtsvollzieherin in der Sonderakte DR II 2256/03 heißt es:

31

„Es waren genügend Kaufgeneigte erschienen. Es wurde bis zu einem Betrag von 33.000,00 Euro sehr zügig geboten. Bei einem Gebot von 35.000,00 Euro erhielt der Schuldner den Zuschlag. Viele Bieter entfernten sich daraufhin. Ich forderte Herrn F. zur Zahlung auf. Als Herr F. das Büro im Versteigerungslokal betrat, teilte er mir mit, dass er einen bankbestätigten Scheck habe. Ich forderte wie zuvor auch in den wörtlich vorgelesenen Versteigerungsbedingungen bekannt gegeben, Herrn F. zur Barzahlung auf. Dieser erklärte, dass er kein Bargeld bei sich habe. Ich wollte den Scheck sicherstellen. Herr F. gab an, den Scheck in seinem Fahrzeug zu haben. Ich begab mich mit Herrn F. zu seinem Kfz. Den Scheck konnte er nicht vorlegen. ...“

32

Diese Verfahrensweise stelle eine falsche Sachbehandlung dar und verstoße gegen die vorgenannten gesetzlichen Regelungen. Bei richtiger Sachbehandlung hätte im ersten Versteigerungsversuch der Erlös bei 33.000,00 Euro und nicht später nur noch bei 20.000,00 Euro gelegen. In Höhe der Differenz von 13.000,00 Euro sei ein Vermögensschaden eingetreten.

33

5. Die Gerichtsvollzieherin habe in den Verfahren DR II 505/05, 506/05 und 556/05 gegen § 186 Nr. 5 GVGA und die Weisung des Erlasses des MJ LSA vom 21.06.2004 (2344-202.103) verstoßen.

34

In den Verfahren DR II 529/05, 586/05, 596/05, 603/05 und 595/05 habe die Gerichtsvollzieherin darüber hinaus § 3 GvKostG nicht beachtet und auch dadurch zusätzlich überhöhte Kosten erhoben.

35

Im Verfahren DR II 505/05 habe ein Verhaftungsauftrag vom 24.03.2005 vorgelegen. Am 11.04.2005 habe die Beamtin einen erfolglosen Verhaftungsversuch unternommen. Am 12.04.2005 sei die Schuldnerin in ihrer Wohnung angetroffen worden. Laut Protokoll habe die Schuldnerin das Vermögensverzeichnis und die Eidesstattliche Versicherung nach Verhaftung im Dienstzimmer der Gerichtsvollzieherin abgegeben. Aus den Protokollen sei nicht ersichtlich, dass die Schuldnerin gem. § 186 Nr. 5 GVGA vor der Verhaftung aufgefordert worden sei, die titulierte Forderung zu begleichen und befragt worden sei, ob sie freiwillig die geforderte Eidesstattliche Versicherung abgebe. Nach dem Inhalt des Protokolls ist davon auszugehen, dass die Schuldnerin noch im Verhaftungstermin mitwirkungsbereit gewesen sei und die Eidesstattliche Versicherung habe abgeben wollen. Die Verhaftung stelle einen Verstoß gegen das in § 901 ZPO postulierte Verhältnismäßigkeitsprinzip dar.

36

Für diese falsche Sachbehandlung habe die Gerichtsvollzieherin demnach aufgrund der Verhaftung überhöhte Kosten in Höhe von 19,00 Euro erhoben.

37

Ebenso habe die Klägerin in den anderen genannten Verfahren überhöhte Gebühren und Auslagen eingezogen.

38

Die Gerichtsvollzieherin habe dadurch die Schuldner in ihren Grundrechten aus Art. 1 und 2 GG verletzt.

39

In den Verfahren DR II 529/05, 586/05, 595/05, 596/05 und 603/05 habe die Gerichtsvollzieherin neben der nicht gebotenen Verhaftung letztlich nicht beachtet, dass es sich hinsichtlich der Abnahme der Eidesstattlichen Versicherung nur um einen Auftrag gehandelt habe, wenn die Fortsetzung des EV-Termins innerhalb der in § 3 Abs. 4 GvKostG genannten Frist von drei Monaten beantragt werde. Vorliegend war die Gerichtsvollzieherin bereits im Vollstreckungsauftrag beauftragt worden, den notwendigen Haftbefehl zu beantragen. Die EV-Verfahren seien also lediglich fortzusetzen gewesen und bereits entstandene Kosten anzurechnen. Somit seien in den zuletzt genannten Verfahren überhöhte Kosten in Höhe von insgesamt 34,00 Euro zu viel erhoben worden.

40

6. Die Gerichtsvollzieherin habe in mindestens 57 Fällen in erheblicher Weise gegen die §§ 64, 185 j GVGA und ihre Pflicht zur unverzögernden Bearbeitung der Verfahren verstoßen.

41

In den aufgeführten 57 Fällen habe die Beamtin erst nach bis zu vier Monaten nach dem Nichterscheinen des Schuldners die Akten dem Vollstreckungsgericht vorgelegt. Dazu zählt die Disziplinarklage 57 Fälle mit Aktenzeichen auf, welche damit beginnen, dass der e.V.-Termin vom 11.01.2005 in sieben Fällen erst am 14.03.2005 beim Vollstreckungsgericht einging; die folgenden 50 Fälle beinhalten e.V.-Termine vom 16.11.2004, 23.11.2004, 07.12.2004, 11.01.2005, 10.08.2004 und 23.11.2004, die alle samt am 15.03.2005 beim Vollstreckungsgericht eingingen.

42

7. Die Gerichtsvollzieherin habe Zustellauslagen in Höhe von 5,60 Euro für Zustellungen durch die Deutsche Post AG in Ansatz gebracht, obwohl die Zustellung tatsächlich durch die Firma W. S. zum Preis von 4,47 Euro durchgeführt worden sei. Damit habe sie gegen § 15 GVO und GvKostG KV 701 verstoßen.

43

Danach darf der Gerichtsvollzieher Zustellauslagen nur in tatsächlich entstandener Höhe ansetzen. Bereits im Prüfungsbericht vom 10.09.2004 sei die Gerichtsvollzieherin auf die Einhaltung der Vorschriften hingewiesen worden.

44

Dies ergebe sich aus acht in der Disziplinarklage genannten Verfahren. Auf diese Verfahren wird zur weiteren Darstellung verwiesen.

45

In diesen Verfahren habe die Gerichtsvollzieherin trotz ausdrücklicher Belehrung durch den Prüfungsbeamten und ihrer Zusicherung vom 25.01.2005 Auslagen nicht in tatsächlicher Höhe erhoben.

46

8. Die Gerichtsvollzieherin habe entgegen der Weisung des Prüfungsbeamten weiterhin Zahlungsprotokolle bei Vollzahlung oder Schlussrate an den Schuldner erteil und Dokumentenpauschalen gemäß Nr. 700 KV GvKostG erhoben, obwohl es hierfür keine gesetzliche Grundlage gebe.

47

Bereits sei dem Jahre 2002 sei die Gerichtsvollzieherin in jedem Prüfungsprotokoll von dem Prüfungsbeamten auf die falsche Sachbehandlung und Kostenberechnung der Dokumentenpauschale hingewiesen worden.

48

Allein in den Monaten Januar bis August 2004 habe die Gerichtsvollzieherin in den in der Anlage 1 aufgelisteten 246 Fällen unberechtigt eine Dokumentenpauschale erhoben und damit einen Betrag von 432,00 Euro zu Unrecht eingenommen.

49

Der Weisung des Prüfbeamten vom 10.09.2004 die Kostenrechnungen zu berichtigen und den jeweils überhöhten Betrag an die Landeskasse abzuführen, ist die Gerichtsvollzieherin erst nach mehrfacher Mahnung am 13.02.2006, mithin nach 17 Monaten nachgekommen.

50

9. Die Gerichtsvollzieherin habe im folgenden Verfahren gegen § 57 Abs. 2 Satz 5 GVO, §§ 64, 105, 107, 132, 135, 140 und 142 GVGA sowie §§ 758, 762 und 803 ZPO verstoßen.

51

Dem Verfahren DR II 617/04 liege ein Auftrag der Kreissparkasse K. zur Sachpfändung zugrunde. Mangels Protokollierung bleibt offen, ob, wann und wo die Gerichtsvollzieherin gepfändet hat. Die Gerichtsvollzieherin habe damit gegen das bei einer Pfändung zu beachtende Verfahren und gegen ihre Pflicht, alle Amtshandlungen zu Protokoll zu nehmen verstoßen (§ 762 ZPO). Ebenso fehlt die Aufnahme der Pfandstücke sowie Tag und Ort der Versteigerung im Protokoll. Bis zum 30.04.2004 hätte die Versteigerung stattfinden müssen. Erst durch ihren Dezernatsnachfolger sei am 16.09.2005 ein Versteigerungstermin bestimmt worden.

52

Allein aufgrund des Umfangs des Pfandgutes anhand des Lagerverzeichnisses sei mit hohen Lagerkosten zu rechnen gewesen. Die Gerichtsvollzieherin habe durch ihre Handlungsweise gegen die Pflicht, die durch Einschaffung und Verwahrung des Pfandgutes anfallende Kosten auf das angemessene und unbedingt notwendige Maß zu beschränken, verstoßen (§ 140 Nr. 1 GVGA). Nach erfolgter Schätzung des Verkehrswertes des Pfandgutes hätte die Gerichtsvollzieherin erkennen können, dass die Kosten der Pfändung und Verwertung weitaus höher sind, als der zu erzielende Erlös und somit ein Pfändungsverbot gem. § 803 Abs. 2 ZPO bestanden habe. Darüber hinaus sei sie ihrer Kostensicherungspflicht nach § 4 GvKostG nicht nachgekommen, da sie Kosten für die Einschaffung und Lagerung des Pfändungsgutes in unverhältnismäßiger Höhe verursachte, ohne einen ausreichenden Vorschuss von der Gläubigerin angefordert zu haben.

53

Am 25.04.2006 habe der Präsident des Landgerichts Dessau die - zum Verwertungserlös in Höhe von 600,00 Euro zu keinem Verhältnis stehende - Restforderung des Spediteurs für die Einlagerung des Pfandgutes in Höhe von 7.531,30 Euro als Amtshaftungsanspruch anerkannt und habe diesen Betrag ausgezahlt. Mit Beschluss des Amtsgerichts K. vom 28.07.2006 seien die weiteren Vollstreckungskosten gegenüber der Kreissparkasse K. in Höhe von 7.571,30 Euro niedergeschlagen worden. Nachdem die Kreissparkasse K. wegen ihres geleisteten Kostenvorschusses in Höhe von 3.642,91 Euro abzüglich der bei einer Versteigerung bis zum 30.04.2004 entstandenen Kosten in Höhe von 2.269,22 Euro gegen das Land Sachsen-Anhalt eine Schadensersatzforderung in Höhe von 1.373,59 Euro geltend gemacht habe, erkannte der Präsident des Landgerichts Dessau einen entsprechenden Amtshaftungsanspruch an und zahlte den Betrag am 06.02.2007 aus. Am 12.09.2007 habe das Landgericht Dessau mit Regressprozess gegen die Gerichtsvollzieherin ein Versäumnisurteil über einen Gesamtbetrag in Höhe von 8.904,99 Euro erlassen, welches mit am 12.12.2007 verkündeten Urteil bestätigt wurde. Auf die Berufung der Gerichtsvollzieherin änderte das OLG A-Stadt mit am 25.06.2008 verkündeten Urteil (6 U 163/07) das erstinstanzliche Urteil dahingehend ab, dass die Gerichtsvollzieherin verurteilt worden sei, an das Land Sachsen-Anhalt einen Betrag in Höhe von 1.373,69 Euro zu zahlen; hinsichtlich des weiteren, an den Spediteur gezahlten Betrages in Höhe von 7.531,30 Euro wurde die Klage abgewiesen.

54

10. Die Prüfung der Sonderakten DR II aus den Jahren 2001 bis 2005 habe ergeben, dass die Gerichtsvollzieherin im Zeitraum Oktober 2001 bis Juli 2005 (DR II 2756/01 - 932/05) in 2.436 Verfahren Wegegelder in Höhe von 7.146,59 Euro erhoben habe, die nicht oder nicht in der angesetzten Höhe angefallen seien.

55

Soweit das OLG A-Stadt hinsichtlich der strafrechtlichen Bestimmtheitserfordernisse gerügt habe, dürfte dies nunmehr mit der in Anlage 3 zur Disziplinarklage eingereichten tabellarischen Aufstellung hinreichend nachgewiesen seien. An den Bestimmtheitsgrundsatz dürften keine übertriebenen Anforderungen gestellt werden, welche im Disziplinarrecht nicht weiter reichen dürften als im Strafrecht. Bei einer Vielzahl gleichartiger Taten reiche es aus, wenn über die Angabe der Zahl der Taten, des Gesamtschadens und des gesamten Tatzeitraumes hinaus die gleichartigen Taten gruppiert bezeichnet, der gruppenspezifische Modus Operandi dargestellt und die Einzelheiten detailliert tabellarisch aufgelistet würden, weil hierdurch sowohl der Umgrenzungs- als auch der Informationsfunktion hinreichend genüge getan werde.

56

An die Grundlagen der Wegegeldberechnung habe sich die Gerichtsvollzieherin in einer Vielzahl von Fällen nicht gehalten. Im Jahre 2001 habe sie in 390 Fällen Wegegelder abgerechnet, obwohl entweder ein geringeres Wegegeld oder mangels Zurücklegung eines Weges überhaupt kein Wegegeld angefallen wäre.

57

In den Jahren 2002 bis 2005 habe sie dann in weiteren 2.046 Fällen ebenfalls nicht oder nicht in angesetzter Höhe angefallene Wegegelder berechnet.

58

Die Beamtin habe die fehlerhafte Abrechnung nicht bestritten.

59

Die tabellarische Aufstellung enthalte keinen der Fälle mehr, in denen die Gerichtsvollzieherin vom Amtsgericht K. rechtskräftig freigesprochen wurde. Die Beamtin habe bei der Wegegeldabrechnung auch hinsichtlich der Fälle, wo überhaupt kein Weg zurückgelegt worden sei, mit direktem Vorsatz gehandelt. In den Fällen, in denen ein Wegegeld tatsächlich entstanden sei, aber überhöht abgerechnet worden sei, liege ebenfalls direkter Vorsatz vor. Denn die Bestimmung der Wegegeldzone stelle keinen komplexen und dementsprechend fehleranfälligen Vorgang dar. Vielmehr sei einfach die Luftlinie auf der Karte zu messen. Hinzu komme, dass die Gerichtsvollzieher mit ihren Bezirken und den dortigen Entfernungen sehr gut vertraut seien. Würde hier ein grundsätzliches Versehen vorliegen, müssten die betreffenden Orte auch immer gleichermaßen falsch abgerechnet worden sein, was aber nicht der Fall gewesen sei. Zudem falle bei der Durchsicht der tabellarischen Aufstellung auf, dass Wegegelder oft doppelt erhoben worden seien, und dass in einer Vielzahl von Fällen nicht nur die nächst höhere Stufe abgerechnet worden sei, sondern gleich mehrere Stufen übersprungen worden seien, was bei der irrtümlichen Annahme, sich bereits in der nächst höheren Zone zu befinden, nicht hätte passieren können. Besonders deutlich werde das Fehlen eines Versehens auch, soweit beispielsweise für Großpaschleben Gebührenzone II (10 bis 20 km) statt I (bis 10 km) abgerechnet werde, da G. unmittelbar an der Stadtgrenze zu K. liege. Hinzu komme, dass die falsche Wegegeldabrechnung über die Jahre hinweg kontinuierlich zugenommen habe (2002: 907,50 Euro, 2003: 2.355,00 Euro, 2004: 2.767,50 Euro). Die Gerichtsvollzieherin habe also nachdem die zunächst geringer ausfallenden Wegegeldüberhebungen im Rahmen der Geschäftsprüfungen nur sporadisch beanstandet worden seien, systematisch in immer größrem Umfang überhöhte Wegegelder geltend gemacht und dadurch im Jahre 2004 schließlich ein zusätzliches monatliches Einkommen in Höhe von knapp 230,00 Euro erzielt.“

60

Nach dem Ergebnis der Ermittlungen habe die Gerichtsvollzieherin über einen sehr langen Zeitraum die Kernpflichten des Beamtenverhältnisses grundlegend verletzt. Sie habe in einer Vielzahl von Fällen gesetzliche Bestimmungen grob missachtet, dienstliche Weisungen nachhaltig ignoriert, grob fehlerhaft und äußerst nachlässig gearbeitet und damit nicht annähernd das berufserforderliche Verhalten bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben gezeigt. Erschwerend komme hinzu, dass die Beamtin bereits am 08.12.2003 wegen fehlerhafter und nachlässiger Arbeitsweise einen disziplinarrechtlichen Verweis erhalten habe. Durch die vorsätzliche finanzielle Schädigung der Gebührenschuldner habe die Beamtin das Vertrauen in die Redlichkeit und Ehrlichkeit von Beamten grundlegend erschüttert und das Ansehen der Justiz in der Öffentlichkeit nachhaltig geschädigt.

61

Der Entschuldigung der Beamtin mit Verweis auf einen außerordentlich hohen Geschäftsanfall könne nicht gefolgt werden. Denn Feststellungen des Prüfungsbeamten und der Direktorin des Amtsgerichts K. habe die Beamtin im Jahre 2004 hinsichtlich 1.088 Verfahren und im Jahre 2003 bezüglich 1.346 Verfahren falsche Angaben gemacht. Tatsächlich seien die gesamten monatlichen Eingänge lediglich bei durchschnittlich 235 Aufträgen im Jahre 2003 und 245 Aufträgen im Jahre 2004 anzusetzen.

62

Die Schwere des Dienstvergehens rechtfertige die Entfernung der Beklagten aus dem Beamtenverhältnis.

63

Der Kläger beantragt,

64

auf die erforderliche Disziplinarmaßnahme zu erkennen.

65

Die Beklagte beantragt,

66

die Disziplinarklage abzuweisen,

67

widerspricht den behaupteten Dienstpflichtverletzungen und erwidert:

68

Es fehle an einer hinreichenden Sachaufklärung, die Beamtin sei nicht angehört, Zeugen seien nicht vernommen worden. Die Disziplinarklage sei bereits wegen Zeitablaufs unzulässig. Denn das disziplinarrechtliche Gebot der Beschleunigung sei in außerordentlichem Maße verletzt worden.

69

Zu III., 1.

70

Der Vorwurf, eine Stellungnahmefrist versäumt zu haben, werde bestritten. Er könne schon aufgrund des Zeitablaufs nicht nachvollzogen werden. Die Beamtin dürfte innerhalb einer angemessenen Frist in Abstimmung mit der Frau Direktorin geantwortet haben.

71

Zu III., 2a

72

Kein einziger Gläubiger habe eine verspätete Leistung gerügt oder behauptet. Die Disziplinarklage verhalte sich nicht zu der Auslegung des Rechtsbegriffes „unverzüglich“, bestimme weder ein schuldhaftes Zögern der Beklagten noch ob andere Bestimmungen mit den Gläubigern getroffen worden seien. Die Disziplinarklage übersehe permanent die außerordentliche Belastung der Gerichtsvollzieherin. Dies sei beispielsweise im Prüfbericht vom 25.07.2002 ausgeführt und durch die Aussage des Zeugen S. vor dem Amtsgericht K. und dem Landgericht Dessau-Roßlau bestätigt. Danach habe die Belastung der Beklagten in den Jahren 2001 und 2002 bei rund 230 %, im Jahre 2003 bei 166 % und im Jahre 2004 bei 192 % gelegen. Die durchschnittliche Belastung eines Gerichtsvollziehers im Land Sachsen-Anhalt in den Jahren 2001 bis 2003 habe bei 140 % und in den Jahren 2004 und 2005 bei 130 bzw. 120 % gelegen.

73

Das Landgericht Dessau-Roßlau habe in seinem Urteil zur Aussage des Zeugen S. ausgeführt:

74

„Im Lande seien die Gerichtsvollzieher über Jahre in verantwortungsloser Weise jahrelang, gerade auch 2004, hoffnungslos mit Pensen von 1,4 bis 3,0 überlastet gewesen. Daher habe oftmals auch bei der Angeklagten die Aktenführung gelitten und es sei dort an sich zu beanstandungswürdigen Fehlern gekommen.“

75

Die außergewöhnliche Belastung der Beklagten hätten auch die Zeugen K. und die Direktorin des Amtsgerichts K. im Strafverfahren bestätigt.

76

Die in der Disziplinarklage vorgenommene Durchschnittsberechnung der Differenztage sei untunlich. Es sei jeder einzelne Fall für sich zu betrachten und zu einem schuldhaften Zögern vorzutragen.

77

Weiter sei auf die hohen Beitreibungsergebnisse der Beamtin abzustellen. Hohe Beitreibungsergebnisse implizierten einen hohen Zeitaufwand einerseits und viele Buchungs- und Überweisungsvorgänge andererseits.

78

Zu III., 3.

79

Die Gerichtsvollzieherin habe nicht stets einen Textbaustein verwandt. Aufgrund der Überlastung habe sie sich behelfen müssen. Eine Irreführung der Gläubiger sei nicht geschehen. Schließlich sei auch zu beachten, dass die Schreiben die Mitarbeiterin der Beklagten, die Zeugin G. auf den Weg gebracht habe. Dabei mögen der Mitarbeiterin Fehler passiert sein, dass sie entgegen der Büroanweisung keine Rücksprachen mit der Beamtin gehalten habe.

80

Zu III., 4.

81

Amtshaftungsansprüche in Höhe von 13.000 Euro seien nicht entstanden. Diese Behauptung sei falsch. Es fehle bereits an einer Pflichtverletzung. Der Vortrag sei nach wie vor ohne hinreichende Substanz. Die Gerichtsvollzieherin habe vor der Versteigerung die Versteigerungsbedingungen vorgelesen. Es seien 30 bis 50 Bieter anwesend gewesen. Es habe sich um eine umfangreiche Versteigerung gehandelt. Deswegen habe die Beklagte auch ihren Kollegen, den Gerichtsvollzieher H. um Unterstützung gebeten. Dem Kollegen H. sei der Schuldner ebenfalls bekannt gewesen. Der Beklagten sei der Schuldner zunächst gar nicht aufgefallen. Der Kollege H. habe die Beklagte dann aber auf den Schuldner F. aufmerksam gemacht. Die Beklagte habe nicht gewusst, ob der Schuldner F. mit bieten würde oder nicht. Sie habe in diesem Falle vorgehabt, die Versteigerung sogleich zu unterbrechen, um den Schuldner in das Büro zu bitten, um dessen Zahlungsfähigkeit festzustellen und ggf. eine Taschenpfändung durchzuführen. Nach dem Gebot des Schuldners in Höhe von 33.000,00 Euro (muss wohl richtig lauten: 35.000,00 Euro) habe die Beklagte die Versteigerung sofort unterbrochen. Sie sei mit dem Zeugen H. und dem Schuldner in das Büro gegangen. Dort habe sich herausgestellt, dass der Schuldner über kein Geld verfüge. Daraufhin habe die Beklagte mitgeteilt, dass sie die Sache neu ausbieten müsse. Ein Teil des Publikums hatte sich bereits entfernt. Die Versteigerung sei alles andere als „alltäglich“ gewesen.

82

Zu III., 5.

83

Allein aus einer möglicherweise nicht hinreichenden Protokollierung könne nicht der Schluss gezogen werden, die Schuldner seien vor der Verhaftung nicht gefragt worden, ob sie freiwillig leisten bzw. die Eidesstattliche Versicherung abgeben wollten. Selbstverständlich habe die Beklagte so verfahren. Dessen ungeachtet habe die Beklagte - ohne Anerkennung einer Rechtspflicht - die Beträge aber sogleich erstattet.

84

Zu III., 6.

85

Hier werde die außerordentliche Belastung der Beklagten nicht berücksichtigt. Die Fürsorgepflicht des Dienstherrn sei verletzt. Anders als ihre Kollegen habe die Beklagte häufig Versteigerungen durchgeführt. Versteigerungen seien aufgrund des damit verbundenen Zeit- und Arbeitsaufwandes von den Kollegen gemieden worden. Ungeachtet dessen habe die Beklagte bis in das Jahr 2005 hinein, als sie schwanger gewesen sei, keine Entlastung erfahren.

86

Zu III., 7.

87

Erhöhte Zustellkosten seien in früheren Prüfberichten nicht gerügt worden. Es habe keine Belehrung stattgefunden. Die Zustellungen rührten aus der Zeit der Beschäftigung der Mitarbeiterin W.. Die Beklagte habe die Mitarbeiterin ausdrücklich dazu angehalten, zwischen Zustellungen mit „grüner Post“ und solchen mit der „gelben Post“ zu unterscheiden. Die Mitarbeiterin habe in Einzelfällen möglicherweise fehlerhafte Zuordnungen getroffen.

88

Der Vorwurf im Prüfbericht vom 10.09.2004 sei ein nicht vergleichbarer Fall gewesen.

89

Ziff. III., 8.

90

In der Vergangenheit sei die Dokumentenpauschale als unproblematisch betrachtet worden. Es werde bestritten, dass eine Dokumentenpauschale nicht in Ansatz gebracht werden durfte. Die Beklagte sei erstmals in der Schlussbesprechung vom 10.09.2004 angewiesen worden, entsprechende Erhebungen zukünftig zu unterlassen. Der Prüfbeamte habe ausgeführt, dass die Rechtslage unklar sei und Erstattungen für die Vergangenheit nicht vorzunehmen seien. Zwei Wochen später habe man doch auf Rückzahlungen gepocht. Deshalb sei die Beklagte irritiert. Um die Streitfrage beizulegen habe die Beklagte die Pauschalen schließlich erstattet.

91

Zu III., 9.

92

Die Beamtin sei vom OLG A-Stadt letztlich zur Zahlung eines Betrages in Höhe von 1.373,69 Euro an das Land Sachsen-Anhalt verurteilt worden. Jedoch sei die Klage überwiegend abgewiesen worden. Das OLG habe zwar Fehler der Beklagten beschrieben. In Höhe eines Betrages in Höhe von 7.531,30 Euro sei der Beklagten aber ein Vorwurf grobfahrlässigen Verhaltens nicht zu machen. Soweit das OLG hinsichtlich eines Betrages in Höhe von 1.373,59 Euro auf grobe Fahrlässigkeit erkannt habe, sei nicht hinreichend berücksichtigt worden, dass die Kreissparkasse K. selbst den Vollstreckungstitel zurückverlangt, die Einlagerungskosten gekannt und darum gewusst habe, dass die Beklagte, die den Titel schnellstmöglich zurückverlangt habe, auf den Titel gewartete habe, um weiter vollstrecken zu können.

93

Zu Ziff. III., 10.

94

Die Beklagte habe in keinem Fall Wegegelder erhoben, obwohl Wege nicht angefallen seien. Sie habe Wegegelder nicht doppelt abgerechnet oder Wegegeldstufen mehrfach übersprungen. Es sei wiederholt vorgetragen worden, dass die Beklagte Schuldner mehrfach aufgesucht und deshalb (mehrere) Wegegelder, etwa bei der Abholung von Raten, zu berücksichtigen gewesen seien. Gleichzeitig habe sich im Jahre 2001 das Gebührenrecht geändert und die Wegegeldzonen seien neu festgelegt. Sie habe daraufhin auf Anraten des damaligen Obergerichtsvollziehers S. eine Tabelle erstellt und diese zu den General- und Sammelakten gegeben. Beanstandungen hinsichtlich der Wegegeldabrechnungen habe es nie gegeben. Dabei sei der Gerichtsvollzieherprüfungsbeamte verpflichtet, Akten gerade auch wegen erhobener Wegegelder zu prüfen. Schließlich seien aufgrund des Disziplinarverfahrens gegen die Beamtin den Gerichtsvollziehern Abrechnungstabellen vorgegeben worden.

95

Zusammenfassend führt die Beklagte aus:

96

Die Beklagte sei als junge Gerichtsvollzieherin seit dem Jahre 2001 stets überlastet gewesen. Ihr seien zusätzliche Bezirke übertragen worden, die „brannten“. Dies sei der Dienstaufsicht bekannt gewesen. Der Vorwurf, das Ansehen der Justiz beschädigt zu haben, sei aufgrund der bewusst veranlassten Überlastung der Beklagten paradox. Die hohen Beitreibungsergebnisse der Gerichtsvollzieherin hätten das Ansehen der Justiz gestärkt.

97

Von einem endgültigen Vertrauensverlust könne noch nicht ausgegangen werden. Denn der Kläger habe die Beklagte trotz Abschluss der Ermittlungen über viele Monate in den Innendienst versetzt und beschäftigt. Dort habe die Beklagte beanstandungsfrei gearbeitet.

98

Der Kläger erwidert:

99

Der lange Zeitraum des Disziplinarverfahrens sei den umfangreichen Ermittlungen geschuldet gewesen.

100

Zur angeblichen Überlastung werde auf den Beschluss des OVG LSA - Disziplinarsenat - vom 19.07.2007 (10 M 1/07) verwiesen, wo es heiße, dass „die von der Antragstellerin im wesentlichen eingeräumten zahlreichen Verstöße gegen die einer Gerichtsvollzieherin obliegenden Dienstpflichten bereits für sich genommen ein Versagen im Kernbereich begründen, ohne dass dieses allein mit dem Hinweis auf die dienstliche Belastung zu rechtfertigen sein wird“ und dass eine dienstliche Überlastung „weder eine beharrliche Verletzung von dienstlichen Kernpflichten, noch gar ein damit im Zusammenhang stehendes strafrechtliches Verhalten“ rechtfertige. Zudem seien die angegebenen Überlastungszahlen in den Jahren 2001 und 2002 nicht nachvollziehbar und die Vorgänge aus den Jahren 2004 und 2005 auch ohne Belang. Die von der Beklagten für die Jahre 2003 und 2004 genannten Werte von 166 % und 192 % entsprechen zwar den Feststellungen des Prüfbeamten in den Prüfberichten vom 10.9.2004 und 16.03.2005, beruhten allein aber auf den eigenen Jahresübersichten der Beklagten. Das Dienstregister zähle weitaus weniger Verfahren.

101

Zu III. 3.

102

Es sei festzustellen, dass Sachstandsanfragen durch eine Angestellte ohne konkreten Bezug zu dem nur aus der Akte ersichtlichen letzten Stand der Dinge beantwortet seien. Insoweit sei auch eine fehlerhafte Büroorganisation festzustellen.

103

Zu III. 4.

104

Der Vortrag ändere nichts daran, dass dem Schuldner der Zuschlag nicht hätte erteilt werden dürfen, ohne sich zuvor davon zu überzeugen, dass dieser den Betrag in Bar hinterlegt habe.

105

Zu III. 5.

106

Aus der fehlenden Protokollierung könne selbstverständlich die Nichtbefragung des Schuldners geschlossen werden. Im Übrigen hänge bei lebensnaher Betrachtung allein von der Fragestellung des Gerichtsvollziehers ab, ob der Schuldner die Eidesstattliche Versicherung abgeben wolle oder nicht. Denn soweit sogleich mit der Verhaftung gedroht werde, werde der Schuldner die Eidesstattliche Versicherung abgeben, weil er die Verhaftung vermeiden will. Dann fielen sogleich 51,00 Euro an Gebühren an. Fragt der Gerichtsvollzieher hingegen nur, ob die Eidesstattliche Versicherung jetzt abgegeben werde und führt nach Verneinung der Frage die Verhaftung durch, seien insgesamt 70,00 Euro an Gebühren angefallen. Die Verfahrensweise der Beklagten sei dementsprechend allein dadurch motiviert gewesen, jeweils zusätzliche 19,00 Euro zu verdienen.

107

Zu III.6.

108

Gerügt sei die schlichte Nicht-Weiterleitung von Akten an das Vollstreckungsgericht. Soweit die Beklagte auf ihre hohen Beitreibungsergebnisse und das insoweit hervorgehobene „besondere Engagement“ verweise, erkläre sich dies damit, dass die Einnahmen der Gerichtsvollzieher damals wegen der Bürokostenentschädigung noch deutlicher erfolgsabhängiger gewesen seien als heute. Vor diesem Hintergrund fühlten sich die Gerichtsvollzieher damals mit einem Pensum von 1,3 bis 1,4 keineswegs überfordert, sondern wünschten eine deutlich über 1,0 Pensen liegende Belastung. Dementsprechend seien auch keine Überlastungsanzeigen erstattet worden. Bei dieser allen Beteiligten bestens bekannten Sachlage davon zu sprechen, es sei ein „Ausdruck grober Treuwidrigkeit, einen Gerichtsvollzieher zu überlasten“ werde den tatsächlichen Zusammenhängen nicht gerecht.

109

Zu III. 7.

110

Auch die Entlastung aufgrund Tätigkeiten durch die Mitarbeiterin W. könne nicht greifen. Denn insoweit liege auch hier ein Überwachungsverschulden vor.

111

Zu III. 8.

112

Auf die fehlerhafte Erhebung von Dokumentenpauschalen sei die Beklagte sei dem Jahr 2002 in jedem Prüfbericht hingewiesen worden. Zudem handele es sich um eine von der Beamtin selbst zu beantwortende Rechtsfrage. Hier zeige sich die beachtliche Kreativität der Beklagten in der Schaffung gesetzlich nicht vorgesehener Einnahmequellen.

113

Zu III. 9.

114

Der das Disziplinarverfahren bearbeitende Richter am OLG Dr. O. sei zum Zeitpunkt der Urteilsfindung nicht mit Disziplinarsachen befasst gewesen.

115

Zu III. 10.

116

Dass es an umfassenden Beanstandungen in den Geschäftsprüfungen bezüglich der Wegegelder fehle, beruhe darauf, dass die Wegegeldberechnung im Rahmen der Geschäftsprüfung eine völlig untergeordnete Rolle spiele.

117

Die Beklagte erwidert:

118

Soweit die Klägerin nunmehr hinsichtlich der Vorwürfe zu III. 3. und III. 7. auf ein Büro- und Organisationsverschulden der Beklagten verweist, handele es sich um einen neuen, von der Disziplinarklage nicht umfassten Vortrag. Der Vorhalt zu III. 5. bezüglich der Verhaftungen sei konstruiert und ehrenrührig. Hinsichtlich der zu III. 6. vorgetragenen Überlastungsproblematik verkenne der Kläger, dass die Überlastungen nicht jeweils mit dem Ablauf des Jahres enden. Selbstverständlich gebe es Überhänge. Es sei falsch, dass Überlastungen aus wirtschaftlichen Gründen bei den Gerichtsvollziehern gewünscht gewesen seien. Die Beklagte habe ihre Überlastung wiederholt thematisiert, insbesondere gegenüber ihrer Direktorin, gegenüber dem Prüfungsbeamten und gegenüber dem Mitarbeiter der „T.-F.“ S.. Die Beklagte könne ihrer Direktorin nichts anzeigen, was diese nicht schon gewusst habe.

119

Abschließend verweist die Klägerin erneut auf die Notwendigkeit individueller Überlastungsanzeigen. Diese Frage müsse individuell nach Ausbildungsstand, Befähigung, praktischer Erfahrung und Übung, Gesundheitszustand und Alter des Beamten geprüft werden.

120

Mit Beschluss vom 20.09.2012 hat das Disziplinargericht den Kläger aufgefordert, die in der Disziplinarklage unter Punkt 10 und der Anlage III aufgeführten 2.436 Akten dem Disziplinargericht in der Reihenfolge der Darstellung in der Anlage III bis zum 22.10.2012 vorzulegen und die Verfahren, welche Gegenstand der Verurteilung der Beamtin im Urteil des LG Dessau-Roßlau vom 29.10.2009 zum Tatkomplex Wegegelder waren, in der Anlage III kenntlich zu machen. Auf den daraufhin vom Kläger abgegebenen Schriftsatz vom 02.10.2012 (GA, Bl. 208) und 18.10.2012 (GA, Bl. 271) mit der dazugehörigen Tabelle (GA, Bl. 209 – 334) wird verwiesen.

121

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie die der Verfahren 8 B 12/10 MD und 8 B 22/06 MD sowie die beigezogenen Verwaltungs-, Ermittlungs- und Zwangsvollstreckungsvorgänge verwiesen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

122

I.) Die Disziplinarklage ist zulässig.

123

Das behördliche Disziplinarverfahren oder die Klageschrift leiden nicht unter einem wesentlichen Mangel im Sinne von § 52 DG LSA oder einem sonstigen beachtlichen Verfahrensfehler.

124

1.) Der Kläger ist klagebefugt. Die oberste Dienstbehörde kann ihre Befugnisse nach § 34 Abs. 2 Satz 1 DG LSA durch allgemeine Anordnung ganz oder teilweise auf die ihr unmittelbar nachgeordneten Dienstvorgesetzten für deren Aufgabenbereich übertragen; die Anordnung ist zu veröffentlichen (§ 34 Abs. 2 Satz 2 DG LSA). Dies ist durch die allgemeine Anordnung des MJ vom 23.05.2006, Abschn. I, Ziff. 1 - 2030/01-101.8 - (MBl. LSA v. 19.06.2006) geschehen. Danach obliegt es dem Präsidenten des OLG die Disziplinarklagen gegen Beamte des einfachen, mittleren und gehobenen Dienstes einschließlich des Gerichtsvollzieherdienstes zu erheben. Die Beteiligung der obersten Dienstbehörde nach § 35 DG LSA ist geschehen. Nachdem das Ministerium der Justiz des Landes Sachsen-Anhalt den Disziplinarklageentwürfen unter dem 13.02.2007 und 14.07.2010 nicht zugestimmt hat, wurde dem Entwurf der Disziplinarklage vom 31.03.2011 mit Verfügung des MJ vom 19.04.2011 vorbehaltlich geringfügiger Änderungen zugestimmt.

125

2.) Der Begriff des wesentlichen Mangels im Sinne von § 52 DG LSA erfasst Verletzungen von Verfahrensregeln, die im behördlichen Disziplinarverfahren von Bedeutung sind (BVerwG zum gleichlautenden § 55 BDG; Urteil v. 29.07.2010, 2 A 4.09 mit Verweis auf Urteil v. 20.10.2005, 2 C 12.04; beide juris). Hierunter fallen Verstöße gegen verfahrensrechtliche Vorschriften und Rechtsgrundsätze, die den äußern Ablauf des behördlichen Disziplinarverfahrens bis zur abschließenden behördlichen Entscheidung, also bis zur Erhebung der Disziplinarklage oder bis zu dem Erlass einer Disziplinarverfügung, betreffen (BVerwG, Beschluss v. 31.01.2012, 2 WD 4.11; Urteil v. 29.07.2010, 2 A 4.09 mit Verweis auf Beschluss v. 18.11.2008, 2 B 63.08; zuletzt: VG Magdeburg, Urteil v. 29.11.2012, 8 A 12/11 und Urteil v. 13.12.2012, 8 A 7/11; alle juris).

126

Vorliegend rügt die Beklagte innerhalb der Frist nach § 52 Abs. 1 DG LSA, dass keine ausreichende Sachaufklärung erfolgt sei, die Beamtin nach Abschluss des Verfahrens nicht hinreichend angehört und von ihr benannte Zeugen nicht vernommen worden seien.

127

a.) Nach § 21 Abs. 1 Satz 1 DG LSA sind die zur Aufklärung des Sachverhaltes erforderlichen Ermittlungen durchzuführen. Es sind die belastenden wie die entlastenden Umstände zu ermitteln, die für die Bemessung einer Disziplinarmaßnahme bedeutsam sind (§ 21 Abs. 1 Satz 3 DG LSA). Die Aufklärungspflicht aller tatsächlicher Umstände von disziplinarrechtlicher Bedeutung orientiert sich an den Bemessungsregeln und -maßstäben im Sinne des § 13 DG LSA (vgl. BVerwG zu § 13 BDG, Urteil v. 27.01.2011, 2 A 5.09; juris).

128

Das Vorgehen des Klägers genügt diesen Anforderungen. Dabei rügt die Beklagte bereits nicht substantiiert, welche konkreten Ermittlungen sie bei der Aufklärung des Sachverhaltes vermisst. Soweit sie meint, dass ihre persönliche Situation, ihre stetige vom Dienstherrn billigend in Kauf genommene berufliche Überlastung und ihre hohen Erledigungsleistungen nicht hinreichend berücksichtigt worden seien, ist dies keine Frage der Sachverhaltsaufklärung sondern der rechtlichen Bewertung und hier insbesondere einer möglichen Milderung. Die disziplinarbehördlichen Ermittlungen haben sich nicht nur darauf beschränkt, die Tathandlungen der Beklagten festzustellen, sondern ziehen aus den von der Beklagten vorgetragenen Entlastungsgründen andere rechtliche Konsequenzen. Insoweit ist der vorliegende Fall nicht mit dem Sachverhalt zu vergleichen, welcher der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.01.2011 zugrunde lag (2 A 5.09; juris).

129

b.) Dem Anhörungsrecht nach § 30 DG LSA ist hinreichend genüge getan worden. Danach ist „nach Beendigung der Ermittlungen“ dem Beamten „Gelegenheit zu geben, sich abschließend mündlich oder schriftlich zu äußern“; § 20 Abs. 2 DG LSA gilt entsprechend. Die Anhörung kann (nur) unterbleiben, wenn das Disziplinarverfahren eingestellt werden soll. Letzteres ist vorliegend nicht geschehen.

130

Eine Verletzung der in § 30 Abs. 1 DG LSA (gleichlautend mit § 30 Satz 1 BDG) geregelten Pflicht zur abschließenden Anhörung ist als ein wesentlicher Verfahrensmangel anzusehen. § 30 Satz 1 DG LSA sichert den Anspruch des Beamten auf rechtliches Gehör im Sinne eines Rechts auf Information, Äußerung und Berücksichtigung. Er ist zudem Ausprägung des Grundsatzes, dass der Beamte nicht zum bloßen Objekt des Disziplinarverfahrens gemacht werden darf. Dieses Verständnis des Anspruchs auf rechtliches Gehör indiziert, dass sich die Anhörung des Beamten auf das weitere Disziplinarverfahren auswirken und für dieses von Bedeutung sein kann. Entsprechend hat der Gesetzgeber die Pflicht zur abschließenden Anhörung als zwingende Verfahrensvorschrift ausgestaltet, die leerlaufen würde, wenn das Gericht die Verletzung dieser Pflicht als für das Ergebnis des gerichtlichen Disziplinarverfahrens nicht relevant einstufen würde (BVerwG, U. v. 08.12.2010, 2 WD 24.09; OVG Bremen, B. v. 07.02.2012, DB A 78/10; beide juris).

131

Den behördlichen Disziplinarvorgängen kann nicht entnommen werden, dass der Beamtin oder ihrem Prozessbevollmächtigten ein dementsprechendes abschließendes Anhörungsrecht nach Beendigung der Ermittlungen ausdrücklich eingeräumt wurde. Dies scheint aber den Besonderheiten des Ermittlungsverfahrens hinsichtlich der gesetzlichen Veränderungen und dem Umfang der behördlichen Ermittlungen und Verfahren, die auch zur vorläufigen Dienstenthebung geführt haben, geschuldet gewesen zu sein.

132

Vorliegend ist das Disziplinarverfahren noch unter der Geltung der Disziplinarordnung Sachsen-Anhalt (DO LSA) mit Verfügung vom 28.02.2005 eingeleitet worden. Mit Verfügung vom 23.06.2005 wurde der Beamtin das Ergebnis der Ermittlungen mitgeteilt. Mit Disziplinarverfügung vom 08.09.2005 wurde ein disziplinarrechtlicher Verweis gegen die Beamtin erteilt. Dieser Verweis beinhaltete die Vorwürfe zu 2. (verspätete Auskehr), 3. (Sonderaktenführung; Textbausteine); 4. (Versteigerung F.). Wegen weiterer sich herausstellender Verdachtsmomente wurde dieser Verweis unter dem 05.10.2005 wieder aufgehoben und die Vorermittlungen entsprechend der neuerlichen Feststellungen im Prüfungsbericht vom 30.09.2005 (Gebührenüberhebung wegen Verhaftungsgebühr; Entnahme von Fremdgeldern {später nicht verfolgt}, Wegegelder, Zustellkosten, Dokumentenpauschalen; Verschleppung des Verfahrens {Sparkasse}) wurden erweitert. Am 17.03.2006 und 31.03.2006 wurden die disziplinarrechtlichen Vorermittlungen erneut erweitert. Das wesentliche Ergebnis der Vorermittlungen ist den Berichten vom 02.06.2006 und 03.07.2006 zu entnehmen und wurde der Beamtin taggleich mitgeteilt. Unter dem 23.06.2006 wurden die Vorermittlungen gemäß § 26 Abs. 4 DO LSA abgebrochen. Es wurde festgestellt, dass das förmliche Disziplinarverfahren einzuleiten ist. Der Beamtin und ihrem Prozessbevollmächtigten wurde unter dem 07.07.2006 mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, gemäß § 34 DG LSA Disziplinarklage zu erheben und sie Gelegenheit zur Stellungnahme erhalte.

133

Zu Recht wurde das im Jahr 2005 eingeleitete Disziplinarverfahren unter dem Regime des Disziplinargesetzes LSA nach dem 01.07.2006 fortgeführt (§ 81 Satz 3 DG LSA). Denn die Übergangsregelung in § 81 Abs. 4 Satz 1 DG LSA ist nicht einschlägig. Zwar hat die Disziplinarbehörde wenige Tage vor dem Inkrafttreten des Disziplinargesetzes, nämlich am 23.06.2006 festgestellt, dass ein förmliches Disziplinarverfahren - wie es nach der Disziplinarordnung LSA hieß - eingeleitet werden muss (vgl. § 26 Abs. 4 DO LSA). Nach § 33 DO LSA wird das förmliche Disziplinarverfahren durch schriftliche Verfügung der Einleitungsbehörde eingeleitet. Die Verfügung wird dem Beamten zugestellt. Die Einleitung wird mit der Zustellung an den Beamten wirksam (§ 33 Satz 4 DO LSA). Letzteres, also die Zustellung an die Beamtin ist jedenfalls nicht vor dem 01.07.2006 geschehen. Demnach sind seit dem 01.07.2006 die Regelungen des DG LSA anwendbar.

134

Wurde damit das „wesentliche Ergebnis der Ermittlungen“, welches dazu führte, das man ein förmliches Disziplinarverfahren nach der DO LSA einleiten wollte, der Beamtin mitgeteilt, sind den Erfordernissen des abschließenden Anhörungsrechts nach § 30 DG LSA genüge getan worden. Denn die Ermittlungen waren abgeschlossen. In der Folgezeit nahm der Prozessbevollmächtigte Akteneinsicht (August 2006) und der Bezirkspersonalrat wurde angehört (August 2006). Sodann wurde unter dem 14.11.2006 eine erste Disziplinarklage dem MJ LSA zur Zustimmung nach § 35 Abs. 1 Satz 1 DG LSA vorgelegt worden. Diese Disziplinarklage wurde vom MJ LSA unter dem 13.02.2007 bemängelt und zur Überarbeitung zurückgegeben. Ebenso die zweite Disziplinarklage vom 20.04.2007. Nachdem das Disziplinarverfahren gem. § 22 DG LSA wegen des anhängigen Strafverfahrens ausgesetzt wurde, vermochte das MJ LSA auch nach Fortsetzung des Verfahrens unter dem 14.07.2010 den Entwurf der Disziplinarklage immer noch nicht zuzustimmen. Das MJ LSA bemängelte insbesondere, dass die strafrechtliche Historie und die letztendlich durch das OLG A-Stadt erfolgte Einstellung des Strafverfahrens in der Disziplinarklage nicht hinreichend zum Ausdruck kommen. Schließlich wurde die nunmehr vorliegende Disziplinarklage vom 20.04.2011 unter dem 19.04.2011 vom MJ LSA gebilligt.

135

Eine erneute, allein wegen dieser zeitlichen Komponente ausdrückliche Anhörung nach § 30 DG LSA musste nicht durchgeführt werden. Nach der Gesetzesbegründung zu § 30 DG LSA bedingt die Durchführung der Anhörung eine „Mitteilung des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen“, was nach den allgemeinen Regeln des Verwaltungsverfahrensrechts selbstverständlich sei und deshalb im Gesetz nicht ausdrücklich erwähnt werde. Aufgrund des Gesamtzusammenhangs ist davon auszugehen, dass die in Kap. 2 Teil 3 (behördliches Disziplinarverfahren) genannten Handlungen, die die Durchführung des behördlichen Disziplinarverfahrens regeln, wie z. B. Beweiserhebung durchgeführt sein müssen. Demnach ist davon auszugehen, dass, wenn diese Handlungen durchgeführt sind, in der Regel die Erstellung des „wesentlichen Ergebnisses“ der Ermittlungen erfolgt und in einer in Kap. 3 genannten Abschlussentscheidung münden (Einstellung, Disziplinarverfügung, Disziplinarklage). Auch nach Zurückweisung der Disziplinarklage nach § 35 Abs. 1 DG LSA durch das MJ LSA fanden durch die Disziplinarbehörde keineneuen in Kap. 2 zur Durchführung des Disziplinarverfahrens genannten Maßnahmen statt, so dass der jeweiligen Überarbeitung der Disziplinarklage, § 30 DG LSA nicht im Wege steht. Daher ist entscheidend aber auch ausreichend, dass der Ermittlungsbericht des Ermittlungsführers der Beamtin oder ihrem Prozessbevollmächtigten zugegangen ist. Dies ist der Fall. Denn § 30 DG LSA setzt nicht etwa voraus, dass die fertige Disziplinarklage den Beamten vor Erhebung zur Kenntnis gegeben werden muss. Zudem waren die wesentlichen Disziplinarvorwürfe der Beamtin aufgrund der Verfahren bezüglich der vorläufigen Dienstenthebung bekannt. Denn diese waren auch Gegenstand des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Magdeburg - Disziplinarkammer - vom 24.01.2011 (8 B 12/10 MD).

136

c.) Dem disziplinarrechtlichen Schriftverkehr sind keine Beweisangebote oder Beweisanträge seitens der Beklagten zu entnehmen, so dass diesbezüglich auch keine Verletzung durch Nichtberücksichtigung vorliegen kann.

137

d.) Schließlich genügt die Disziplinarklage dem Bestimmtheitsgebot. Der diesbezügliche strafprozessuale Vorhalt, der zur prozessualen Aufhebung der Verurteilung durch das Oberlandesgericht A-Stadt führte, ist zur Überzeugung des Disziplinargerichts in der Disziplinarklage geheilt. Dabei muss aus der Klageschrift unmissverständlich hervorgehen, welche Sachverhalte angeschuldigt werden. Es ist erforderlich, aber auch ausreichend, wenn bei verständiger Lektüre aus der Klageschrift eindeutig hervorgehet, welche konkreten Handlungen den Beamten als Dienstvergehen zur Last gelegt werden (vgl. zum Ganzen: BVerwG, B. v. 20.12.2011, 2 B 59.11 m. w. Nachw.; juris). Die der Disziplinarklage beigefügte Tabelle zu dem Pflichtenverstoß Nr. 10 (Wegegelder) genügt der hinreichenden Konkretisierung. Denn es ist verständlich und nachvollziehbar, was damit gesagt und belegt werden soll. Zudem hat der Kläger nach Aufforderung durch das Disziplinargericht die Anlage III dahingehend weiter konkretisiert, dass er die dem Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau vom 29.10.2009 zugrunde gelegten Verfahren bezeichnet und im Übrigen dem Disziplinargericht vorgelegt hat.

138

II.) Die Disziplinarklage ist begründet. Die Beklagte hat ein schwerwiegendes innerdienstliches Dienstvergehen gemäß § 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG begangen, welches die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis nach sich zieht.

139

Beamte begehen ein Dienstvergehen, wenn sie schuldhaft die ihnen obliegenden Dienstpflichten verletzen (§ 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG). Die Disziplinarkammer ist davon überzeugt, dass die Beklagte die ihr unter Ziffern 2. b., 6, 7, 9 und 10 der Disziplinarklage zur Last gelegten Pflichtenverstöße begangen hat. Dadurch hat sie gegen ihre dienstlichen Pflichten zur uneigennützigen und gerechten Dienstausübung verstoßen und ist nicht der Achtung dem Vertrauen gerecht geworden die ihr Beruf erfordert (§§ 33, 34 BeamtStG). Dabei wiegt der Vorwurf unter Ziffer 10 (Wegegeldabrechnungen) schwer und dominierend. Die Pflichtverletzungen sind als sogenanntes einheitliches Dienstvergehen zu sehen und zu ahnden. Hinsichtlich der vorgehaltenen Pflichtenverstöße zu Ziffern 1, 2. a. und c., 3, 4, 5 und 8 der Disziplinarklage ist die Beamtin freizusprechen.

140

1.) Der unter 1. in der Disziplinarklage genannte Vorwurf der verspäteten Abgabe einer Stellungnahme zur Geschäftsprüfung im Prüfbericht vom 10.09.2004 trägt nicht. Zum einen kann bereits in der Akte nicht die in der Disziplinarklage genannte Aufforderung vom 28.09.2004 durch die Direktorin des Amtsgerichts K. aufgefunden werden und zum anderen hat die Beamtin unter dem 27.01.2005 (Beiakte F, Bl. 90) umfassend zu dem Prüfbericht Stellung genommen. Wenn überhaupt, dann handelt es sich um eine Verzögerung von ca. 4 Monaten. Dies kann nicht als disziplinarrechtlich relevanter Gehorsamsverstoß angesehen werden. Der Beamtin mag vorzuwerfen sein, dass sie nicht hinreichend mit der Dienstaufsicht kooperiert. Dies ist aber auch der Vielzahl der im Prüfbericht festgestellten Vorwürfe zurechenbar. Dementsprechend mag auch die Fristsetzung von einem Monat für die Stellungnahme zu den umfangreichen Vorwürfen als zu kurz bemessen anzusehen sein. Auch die in der Disziplinarverfügung genannten wiederholten und ausdrücklichen Aufforderungen durch die Direktorin des Amtsgerichts sind den Akten nicht zu entnehmen.

141

2.) Bezüglich des unter 2. in der Disziplinarklage erhobenen Pflichtenverstoßes ist zu unterscheiden. Bereits fraglich ist, was unter verspäteter Abführung an die Gläubiger zu verstehen ist. § 106 Nr. 1 GVGA lautet:

142

„Die empfangenen Leistungen liefert der Gerichtsvollzieher unverzüglich an den Gläubiger ab, sofern dieser nichts anderes bestimmt hat.“

143

„Unverzüglich“ bedeutet grundsätzlich „ohne schuldhaftes Zögern“. Dabei ist auf den Einzelfall abzustellen. In der Disziplinarklage werden 32 Fälle aus dem Jahre 2004 benannt. Dabei gehen die Differenztage von wenigstens 3 bis in einem Fall längstens 45 Tagen; weitere Fälle von 38, 35 und 31 Tagen. Die vom Kläger gebildete Durchschnittsüberschreitung von 17 Tagen kann bereits nicht Maßstab für die Fristenüberschreitung sein. Insoweit müsste jeder Einzelfall beleuchtet werden. Im Übrigen stammt dieser Vorwurf vom 10.09.2004 (Bl. 55 Beiakte F). Die Beamtin führt in ihrer diesbezüglichen Stellungnahme vom 27.01.2005 (Bl. 90 Rs Beiakte F) aus:

144

„Die verzögerten Überweisungsfristen liegen auch darin begründet, dass ich mit Diskette überweise und dadurch im Einzelnen Übertragungsfehler in den Daten der Überweisungen auftreten.

145

Dann führt meine Bank die Überweisungsliste nicht aus. Die gesamte Liste muss dann erneut erfasst werden, was Verzögerungen hervorruft.

146

Auch ist es schon passiert, dass die Überweisungsaufträge von meiner Bank verspätet ausgeführt wurden.

147

Dies ist auch eine Verzögerung, die ich nicht zu vertreten habe. Ich betone aber, dass dies keinesfalls die Regel ist und überall Menschen arbeiten, denen Fehler unterlaufen.

148

Ich werde künftig dafür Sorge tragen, Verzögerungen, die ich selbst zu vertreten habe, zu meiden.“

149

Demnach mögen hier in den unter Nr. 2. a) dargestellten Verfahren im Einzelfall Verspätungen feststellbar sein. Diese hält die Disziplinarkammer aber disziplinarrechtlich für nicht gravierend, weil es sich allenfalls um eine nachlässige Arbeitsweise handelt.

150

Schwerer wiegt der unter 2. b) erhobene Vorwurf hinsichtlich des am 19.03.2004 erzielten Versteigerungserlöses, welcher am 18.08.2004 noch nicht abgeführt war. Mithin liegt hier eine Überschreitung von fünf Monaten vor. Zu diesem Vorwurf verhält sich die Beklagte nicht.

151

Die unter Ziffer 2. c) dargestellten 11 Verfahren weisen unstreitig eine Überweisungsfrist zwischen 7 und 11 Tagen auf. Auch hier vermag die Disziplinarkammer nicht eindeutig zu entscheiden, ob ein Verstoß gegen die „Unverzüglichkeit“ vorliegt. Ein Vorwurf mag der Beamtin darin gemacht werden, dass sie trotz der Feststellungen in dem Prüfbericht aus dem Jahre 2004 weiterhin wenig Kontrolle ihrer Überweisungen an den Tag gelegt hat. Der Vorwurf der mangelnden Organisation wird aber nicht erhoben.

152

3.) Den unter 3. erhobenen Pflichtenverstoß vermag das Disziplinargericht nicht zu teilen. Der unter a) geführte Vorwurf pauschale und irreführende Textvordrucke benutzt zu haben, kann so nicht erhoben werden. Die Beamtin hat sich nur eines vorgefertigten Textbausteins bedient, um auf eine Vielzahl von gleichlautenden Sachstandsanfragen zu reagieren. Dagegen ist nichts einzuwenden. Dass diese Antworten in den aufgeführten fünf Verfahren unrichtig waren, weil die Vollstreckungsaufträge bereits erledigt waren, mag keinen Pflichtenverstoß begründen. Jedenfalls - und das ist entscheidend - ist nicht der mit der Disziplinarklage erhobene Vorwurf der Täuschung belegt.

153

4.) Der Vorwurf zu 4. ist zur Überzeugung des Gerichts nicht - hinreichend - erfüllt.

154

Nach § 1239 Abs. 1 Satz 1 BGB kann der Eigentümer bei der Versteigerung mitbieten. Satz 2 der Norm bestimmt, dass das Gebot des Eigentümers zurückgewiesen werden darf, wenn nicht der Betrag bar erlegt wird. Dementsprechend führt § 145 Nr. 2 b GVGA aus, dass der Schuldner bei der Versteigerung mitbieten kann; sein Gebot jedoch zurückzuweisen ist, wenn er nicht den Betrag sofort bar hinterlegt. Der Zuschlag darf nicht ohne vorherige Prüfung der Liquidität erfolgen.

155

Die Beklagte stellt den Vorgang in der Klageerwiderung vom 30.06.2011 so dar, dass sie nach dem Gebot die Versteigerung sofort unterbrochen habe und mit dem Schuldner und dem Zeugen H. in das Büro gegangen sei. Dort habe sich die Illiquidität des F. herausgestellt. Demgegenüber hat sie im diesbezüglichen Vermerk zur Versteigerung vom 19.03.2004 – also direkt nach der Versteigerung - ausgeführt, dass der F. den Zuschlag erhalten habe. Erst danach habe sie die Liquidität des F. überprüft. Dementsprechend könnte hier in der Tat eine falsche Sachbehandlung vorliegen. Denn Folge dieser Illiquidität des Schuldners war, dass die Versteigerung erneut durchgeführt werden musste und es dann nur zu einem Gebot von nur 20.000,00 Euro kam, wohingegen zuvor ein unter dem Gebot des F. in Höhe von 35.000,00 Euro liegendes - wohl zuschlagsfähiges - Gebot in Höhe von 33.000,00 Euro lag; demnach entstand eine Differenz von 13.000,00 Euro. Andererseits ist dem Gericht aus dem Eilverfahren zur vorläufigen Dienstenthebung (8 B 12/10 MD) bekannt, dass der am Versteigerungstermin teilgenommene Zeuge S. in einer Eidesstattlichen Versicherung angab, er habe ein Gespräch zwischen der Beklagten und dem Gerichtsvollzieher H. mitverfolgen können, dass geplant gewesen sei, den F. im Falle der Versteigerungsteilnahme sofort zu überprüfen. Dann heißt es aber in der E.V.; „Dazu ist es nicht gekommen, da der fragliche F. bei der Versteigerung bis zum Schluss nicht mitgeboten hat. Als Schlussbietender wurde er sofort in das Büro gebeten.“ Demnach ist es so, dass der F. als Schlussbieter nicht zuvor das Geld zeigen musste. Dies berücksichtigt die Disziplinarklage nicht hinlänglich genug.

156

5.) Der Gerichtsvollzieherin wird unter Ziffer 5 der Disziplinarklage vorgeworfen, dass sie entgegen der Gesetzeslage zur Abgabe der Eidesstattlichen Versicherung geladene Schuldner verhaftet hat, ohne ihnen zuvor Gelegenheit gegeben zu haben, die Eidesstattliche Versicherung freiwillig - ohne Verhaftung - abzugeben. Dabei steht in dem Vorwurf aber nicht die Verhaftung und damit Freiheitsberaubung im Vordergrund, sondern wohl die Erhebung zusätzlicher Kosten.

157

Ausgangslage ist also, dass der Schuldner verhaftet werden kann, wenn er die Eidesstattliche Versicherung ablehnt, um die Verhaftung als Druckmittel zu benutzen. Die Disziplinarklage führt aus, dass aus dem Protokoll zu dem Verfahren DR II 505/05 nicht ersichtlich sei, dass die Schuldnerin eben gerade vor der Verhaftung zur freiwilligen Abgabe der EV aufgefordert worden sei. Die Disziplinarklage geht aber weiter und interpretiert aus der fehlenden Aufnahme im Protokoll über die Befragung, dass davon auszugehen sei, dass die Schuldnerin noch im Verhandlungstermin mitwirkungsbereit gewesen sei und die Eidesstattliche Versicherung freiwillig habe abgeben wollen, da nicht dokumentiert sei, ob sie befragt worden sei, ob die Bereitschaft bestehe, die geforderte Eidesstattliche Versicherung freiwillig abzugeben. Diese Interpretation des Protokolls trägt den Disziplinarvorwurf nicht. Man mag der Gerichtsvollzieherin vorwerfen können, dass sie die Protokollierung nicht ordnungsgemäß vorgenommen habe. Dies ist aber gerade nicht Vorwurf der Disziplinarklage ist. Der Vorwurf ist vielmehr, dass unnötige Verhaftungen durchgeführt wurden, die zu unnötigen Kosten geführt haben; ein gänzlicher anderer Vorwurf.

158

Auch die weiteren in der Disziplinarklage genannten Verfahren betreffen die Nichtprotokollierung der freiwilligen Abgabe. Für sie gilt dasselbe.

159

6.) Der Beamtin wird unter 6. der Disziplinarklage vorgeworfen, in mindestens 57 Fällen aus den Jahren 2004, 2005 gegen ihre Pflicht zur unverzögerten Bearbeitung der Verfahren verstoßen zu haben. Dies sind alle samt Fälle, in denen der Schuldner nicht zur Abgabe der Eidesstattlichen Versicherung erschien, so dass die Akten zum Vollstreckungsgericht weitergereicht werden müssen. Dieses Verfahren ist in § 185 j GVGA geregelt. Entscheidend ist aber, dass dort keine Frist aufgeführt ist. Es heißt dort nur: „so legt der Gerichtvollzieher ... dem Vollstreckungsgericht ... vor“.

160

Auch der zitierte § 64 GVGA hilft nicht weiter. Denn die Disziplinarklage führt nur Satz 1 der Norm auf, wonach der Gerichtsvollzieher die Zwangsvollstreckung schnell und nachdrücklich durchführt. Dies kann nur als allgemeiner Grundsatz verstanden werden. Dass es davon Ausnahmen gibt, bestimmt schon Satz 2 der Norm und der letzte Satz der Norm, wonach nach Monatsfrist ein Aktenvermerk zu fertigen ist. Im Übrigen fällt bei den in der Disziplinarklage aufgeführten 57 Verfahren auf, dass die Beamtin nachweislich der Daten die Fälle gesammelt hat, um sie dann gebündelt beim Vollstreckungsgericht vorzulegen. So beinhalten alleine 50 Fälle das Eingangsdatum beim Vollstreckungsgericht vom 15.03.2005, wobei diese ganz überwiegend vom Termin am 16.11.2004 stammten.

161

So verbleibt ein nicht schwerwiegender Vorhalt der unverzögerten Bearbeitung der Verfahren festzustellen.

162

7.) Der unter Nr. 7. der Disziplinarklage vorgehaltene Vorwurf trifft zu. Die Beamtin hat in acht Fällen Zustellungen in Höhe von 5,60 Euro durch die Deutsche Post AG in Ansatz gebracht, obwohl die Zustellungen tatsächlich durch einen privaten Kurierdienst zum Preis von 4,47 Euro durchgeführt wurden. Unabhängig von der strafrechtlichen Bewertung liegt hier der disziplinarrechtlich relevante Pflichtenverstoß gegen die beamtenrechtliche Uneigennützigkeitspflicht vor.

163

8.) Der unter Nr. 8 der Disziplinarklage erhobene Vorwurf betrifft die Erhebung der sog. „Dokumentenpauschale“. Die Disziplinarklage führt aus, dass seit dem Jahre 2002 die Gerichtsvollzieherin in jedem Prüfungsprotokoll auf die falsche Sachbehandlung und Kostenberechnung hingewiesen worden sei. Dies bestreitet die Beamtin und trägt in der Klageerwiderung vor, dass sie erstmals in der Schlussbesprechung vom 10.09.2004 darauf hingewiesen worden wäre. In den Unterlagen sind die Prüfberichte 2002 nicht enthalten. Aufgrund der Ausführungen ist davon auszugehen, dass tatsächlich bezüglich dieser Erhebung gewisse Rechtsunsicherheiten und verschiedene Auslegungen bestanden. Dies führt die Gerichtsvollzieherin auch in ihrer Stellungnahme vom 27.01.2005 nachvollziehbar aus. Letztendlich - und dies ist auch zu bewerten - hat die Beamtin die überhöhten Kostenansätze in Höhe von insgesamt 432,00 Euro nach Aufforderung an die Landeskasse abgeführt.

164

9.) Im Zusammenhang mit dem Tatbestand des Urteils des Oberlandesgerichts A-Stadt vom 28.05.2008 erschließt sich der Vorhalt zu Ziffer 9 der Disziplinarklage. Zunächst wird der Beamtin in der Disziplinarklage vorgeworfen, in dem Verfahren DR II 617/04 (Kreissparkasse) nicht ordnungsgemäß protokolliert zu haben. Es wird angeführt, dass in der Akte ein unausgefüllter Protokollvordruck vom 24.03.2004 enthalten sei. Es sei nicht ersichtlich, welche Pfandstücke gepfändet worden seien. Im Juni 2004 sei dann gegen die Schuldnerin das Insolvenzverfahren mit Untersagung der Zwangsvollstreckung eröffnet worden. Auch nach Freigabe des Pfandgutes durch den Insolvenzverwalter im Februar 2005 sei erst durch den Dezernatsnachfolger der Beklagten im September 2005 ein Versteigerungstermin bestimmt worden. Wegen der Lagerung der gepfändeten Gegenstände seien hohe Lagerkosten entstanden, welche durch eine zeitnahe Versteigerung hätten verringert werden können. So fehle es an der Schätzung des Verkehrswertes des Pfandgutes und damit an einem Verhältnis zu den Lagerkosten. Die Lagerkosten betrugen wohl 7.531,30 Euro. Der spätere Verwertungserlös nur 600,00 Euro. Es kam zum Amtshaftungsanspruch, weshalb die Beamtin letztendlich vom Oberlandesgericht A-Stadt verurteilt wurde, an das Land Sachsen-Anhalt 1.373,69 Euro zu zahlen; hinsichtlich eines Betrages von 7.531,30 Euro an den Spediteur wurde die Amtshaftungsklage abgewiesen. In dem Urteil vom OLG A-Stadt (6 U 163/07) ist ausgeführt, dass die Gerichtsvollzieherin durch die nicht zeitnahe Anberaumung eines Versteigerungstermins ihre Amtspflichten verletzt, die Einlagerungskosten unnötig erhöht hat und ihr grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt.

165

Die Disziplinarkammer schließt sich aus den Gründen des Amtshaftungsurteils dem Disziplinarvorwurf an. Soweit die Beamtin der Einschätzung des Oberlandesgerichts A-Stadt zur groben Fahrlässigkeit widerspricht ist anzunehmen, dass mindestens Fahrlässigkeit vorliegt.

166

10.) Der Schwerpunkt der Disziplinarklage liegt auf dem schwerwiegenden Pflichtenverstoß zu Nr. 10. Hier werden der Beamtin falsch abgerechnete Wegegelder in Höhe von 7.146,59 Euro im Zeitraum Oktober 2001 bis Juli 2005 vorgehalten. Zur Überzeugung des Disziplinargerichts trifft dieser Vorwurf zu. Die Beamtin tritt dem auch nicht substantiiert entgegen.

167

Das Wegegeld wird nach § 37 Abs. 3 GvKostG (a. F.; bis 30.04.2001) und gemäß KV 711 GvKostG (n. F. ab dem 01.05.2001) nach Entfernungen berechnet. Gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 GvKostRNeuOG v. 19.04.2001 waren dann, wenn der Auftrag vor dem 01.05.2001 erteilt worden war, die Kosten nach § 37 Abs. 3 GKG a. F. zu erheben. Nr. 711 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtsvollzieherkostengesetz sieht ein

168

Wegegeld je Auftrag für zurückgelegte Wegstrecken

169

- bis zu 10 km von 2, 50 EUR

170

- von mehr als 10 km bis 20 km von 5,00 EUR

171

- von mehr als 20 km bis 30 km von 7,50 EUR

172

- von mehr als 30 km von 10,00 EUR

173

vor. Das Wegegeld wird erhoben, wenn der Gerichtsvollzieher zur Durchführung des Auftrags Wegstrecken innerhalb des Bezirks des Amtsgerichts, dem der Gerichtsvollzieher zugewiesen ist, oder innerhalb des dem Gerichtsvollzieher zugewiesenen Bezirks eines anderen Amtsgerichts zurückgelegt hat (Nr. 711 Abs. 1). Maßgebend ist die Entfernung vom Amtsgericht zum Ort der Amtshandlung, wenn nicht die Entfernung vom Geschäftszimmer des Gerichtsvollziehers geringer ist. Werden mehrere Wege zurückgelegt, ist der Weg mit der weitesten Entfernung maßgebend (Nr. 711 Abs. 2). Entscheidend ist, dass die Entfernung nach der Luftlinie zu messen ist (Nr. 711 Abs. 2 Satz 3).

174

a.) Gegen diese pauschalierte Wegegeldberechnung anhand der Luftlinie hat die Beklagte in den ihr vorgehaltenen Fällen verstoßen und damit nicht unerhebliche Beträge vereinnahmt, die ihr nicht zustanden. Exemplarisch sei dies an den Verfahren DR II 20/05 (Nr. 1 der Anlage III, S. 1 zu 2005 der Disziplinarklage) hinsichtlich des Ortes Z., DR II 51/05 (Nr. 3 der Anlage III, S. 1 zu 2005 der Disziplinarklage), hinsichtlich des Ortes T., DR II-79/05 (Nr. 6 der Anlage III; S. 1 für 2005 der Disziplinarklage) und hinsichtlich des Ortes K. gezeigt. Alle diese - wie auch die Übrigen in der Anlage III der Disziplinarklage genannten - Orte liegen zweifellos in unmittelbarer Nähe zu dem Dienstsitz der Beamtin bzw. Amtsgericht, wobei beide Örtlichkeiten identisch sind, in K., nämlich T. 4 km Luftlinie, Z. 5 km Luftlinie und K. 7 km Luftlinie entfernt. Auch bei Unterstellung, dass es in den Jahren 2001 bis 2005 noch keine geeigneten Entfernungsberechnungsprogramme im Internet gegeben haben sollte, lässt und ließ sich auch damals diese örtliche Nähe unzweifelhaft unter Verwendung einer Karte ersehen, berechnen und sogar abschätzen. Dies auch deswegen, weil der Beklagten Ortskenntnisse hinsichtlich der in ihrem Bezirk liegenden Ortschaften unterstellt werden darf. So liegt z. B. die Ortschaft G. unmittelbar an der Stadtgrenze von K., so dass eine Einschätzung von über 10 Kilometer, wie exemplarisch in den Fällen DR II 319/05 (Nr. 42 der Anlage III, S. 2 zu 2005 der Disziplinarklage) oder 323/05 (Nr. 44 der Anlage III, s. 2 zu 2005 der Disziplinarklage) geschehen, als ausgeschlossen erscheint. Wegen dieser objektiven Offensichtlichkeit der räumlichen Nähe dieser bis zu 10 Kilometer von K. entfernten und damit mit einem Wegegeld von 2,50 Euro abzurechnenden Ortschaften, handelte die Beklagte bei einer Abrechnung dieser Wegstrecken in Höhe von 5,00 Euro, weil eine Entfernung von mehr als 10 Kilometer bis 20 Kilometer vorliege, vorsätzlich und schuldhaft.

175

Ein Versehen, ein Irrtum, ein Vertun, eine Unachtsamkeit oder eine Fahrlässigkeit in Bezug auf die Entfernungsfestlegung erachtet die Disziplinarkammer unter diese objektiven Gegebenheiten als ausgeschlossen. Gegen diesen Einordnungsirrtum spricht auch, dass die Beklagte gleiche Orte überwiegend falsch, manchmal aber auch zutreffend abrechnete. Auch bei Unterstellung einer einmaligen, erstmaligen Fehleinschätzung der Entfernung hätte der Beklagten aufgrund der beschriebenen Offensichtlichkeit der Entfernungen dieser Irrtum bei der Vielzahl der vorgehaltenen und dann immer wieder kehrenden Kilometerangabe bewusst werden müssen. Daher würde die Beklagte auch die Verwendung einer von ihr - fehlerhaft - angefertigten Wegegeldtabelle nicht entlasten. Vielmehr wollte die Beklagte mit der Falschberechnung höhere Wegegelder abrechnen, welche aufgrund der Vielzahl der Fälle und über die Jahre gerechnet die als nicht unerheblich anzusehenden überhöhten Wegegelder ergaben. Hinter der Abrechnung stand System und war nicht nur auf wenige Einzelfälle und einem kurzen Zeitraum beschränkt.

176

b.) Dagegen sieht die Disziplinarkammer die der Beklagten vorgehaltene Abrechnung „nicht entstandener Wegegelder“ als nicht bewiesen an. Denn soweit die Beklagte ausführt, es habe jeweils Fahrten zu den Schuldnern gegeben, ist ihr dies allein wegen ihrer mangelnden Nachweisführung nicht mit der notwendigen Gewissheit zu widerlegen. So mag es sein, dass sie die Schuldner in den jeweiligen Ortschaften aufgesucht hat, so dass das Wegegeld entstanden ist, die Zahlung aber unter ihrem Dienstsitz in K. quittiert hat.

177

III.) Die Beklagte hat die in einem inneren zeitlichen und sachlichen Zusammenhang stehenden Pflichtverletzungen im Sinne eines einheitlich zu bewertenden innerdienstlichen Dienstvergehens (vgl. zur Einheit des Dienstvergehens nur: VG Magdeburg, Urteil v. 04.11.2009, 8 A 19/08 m. w. Nachw.; juris) vorsätzlich und schuldhaft begangen.

178

1.) Hinsichtlich der auszusprechenden Disziplinarmaßnahme ist die Schwere des Dienstvergehens unter angemessener Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten richtungsweisend (vgl. § 13 DG LSA). Die Schwere beurteilt sich nach objektiven Handlungsmerkmalen wie Eigenart und Bedeutung der Dienstpflichtverletzungen, den besonderen Umständen der Tatbegehung sowie Häufigkeit und Dauer eines wiederholten Fehlverhaltens, nach subjektiven Handlungsmerkmalen wie Form und Gewicht des Verschuldens des Beamten, den Beweggründen für sein Verhalten sowie nach den unmittelbaren Folgen für den dienstlichen Bereich und für Dritte. Davon ausgehend kommt es darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung im Einzelfall derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die durch die Schwere des Dienstvergehens indizierte Maßnahme geboten ist. Eine vollständige und richtige Gesamtwürdigung setzt voraus, dass die Disziplinarkammer die im Einzelfall bemessungsrelevanten, d. h. die für die Schwere des Dienstvergehens und das Persönlichkeitsbild bedeutsamen Tatsachen ermittelt und mit dem ihnen zukommenden Gewicht in die Gesamtbewertung einbezieht. Dies entspricht dem Zweck der Disziplinarbefugnis des Disziplinargerichts als einem Mittel der Funktionssicherheit des öffentlichen Dienstes. Dabei findet der Grundsatz „in dubio pro reo“ Anwendung. Die Disziplinargerichte dürfen nur solche belastenden Tatsachen in die Gesamtwürdigung einstellen, die zur Überzeugung des Gerichts feststehen. Demgegenüber müssen entlastende (mildernde) Umstände schon dann zu Gunsten des Beamten berücksichtigt werden, wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für ihr Vorliegen gegeben sind und eine weitere Sachverhaltsaufklärung nicht möglich ist (vgl. nur: VG Magdeburg, Urteil v. 29.11.2012, 8 A 12/11 und Urteil v. 27.10.2011, 8 A 2/11 mit Verweis auf BVerwG, U. v. 27.01.2011, 2 A 5.09; jüngst BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11/10, OVG Lüneburg, Urteil v. 14.11.2012, 19 LD 4/11; alle juris).

179

Für das danach zu findende Disziplinarmaß können die vom Disziplinarsenat des Bundesverwaltungsgerichts für bestimmte Fallgruppen herausgearbeiteten Regeleinstufungen von Bedeutung sein. Davon ausgehend kommt es für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung im Einzelfall derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die durch die Schwere des Dienstvergehens indizierte Disziplinarmaßnahme geboten ist (BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11/10 mit Verweis auf Urteile v. 20.10.2005, 2 C 12.04 und v. 03.05.2007, 2 C 9.06, alle juris).

180

Ein endgültiger Verlust des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit im Sinne von § 13 Abs. 2 Satz 1 DG LSA ist anzunehmen, wenn aufgrund der prognostischen Gesamtwürdigung auf der Grundlage aller im Einzelfall bedeutsamen be- und entlastenden Gesichtspunkte der Schluss gezogen werden muss, der Beamte werde auch künftig in erheblicher Weise gegen seine Dienstpflichten verstoßen oder die durch sein Fehlverhalten herbeigeführte Schädigung des Ansehens des Berufsbeamtentums sei bei einer Fortsetzung des Beamtenverhältnisses nicht wiedergutzumachen. Unter diesen Voraussetzungen muss das Beamtenverhältnis im Interesse der Leistungsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und der Integrität des Berufsbeamtentums beendet werden (BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11.10 mit Verweis auf Urteile v. 20.10.2005, 2 C 12.04, v. 03.05.2007, 2 C 9.06 und v. 29.05.2008, 2 C 59.07; alle juris).

181

2.) Setzt sich das (einheitliche) Dienstvergehen aus mehreren Dienstpflichtverletzungen zusammen, bestimmt sich die zu verhängende Disziplinarmaßnahme in erster Linie nach der schwersten Verfehlung (BVerwG, Urteil v. 23.02.2005, 1 D 1.04; juris). Dies ist vorliegend zweifellos die Falschabrechnung der Wegegelder, mithin eine Gebührenüberhebung. Damit hat die Beklagte jedenfalls gegen ihre beamtenrechtliche Pflicht zur Uneigennützigkeit nach § 34 Satz 2 in Verbindung mit der sogenannten Wohlverhaltenspflicht nach § 34 Satz 3 BeamtStG verstoßen.

182

3.) Verstöße gegen die Uneigennützigkeit werden in der Rechtsprechung der Disziplinargerichte seit jeher als sehr schwerwiegend eingestuft. Denn die uneigennützige, nicht auf den privaten Vorteil bedachte Führung der Dienstgeschäfte stellt eine wesentliche Grundlage des Berufsbeamtentums dar. Im Hinblick darauf ist die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis jedenfalls dann Richtschnur für die Bestimmung der angemessenen Disziplinarmaßnahme, wenn erhebliche Geldzahlungen geflossen sind (vgl. zusammenfassend: BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11.10; juris). Zudem ist disziplinarrechtlich entscheidend, ob der Verstoß gegen die Uneigennützigkeit aufgrund einer besonderen Vertrauensstellung des Beamten beruht, das heißt, ob etwa ein Zugriff auf dienstlich anvertraute Gelder oder ein nicht unter Ausnutzung der dienstlichen Vertrauensstellung verübtes (Betrugs-)Delikt vorliegt (BVerwG, Beschluss v. 20.12.2011, 2 B 64.11, juris).

183

Dabei hängt die disziplinarrechtliche Einstufung als Zugriffsdelikt nicht von der strafrechtlichen Beurteilung ab. Es kommt nicht darauf an, ob ein Beamter dienstliche Gelder oder Güter z. B. durch Betrug, Diebstahl, Untreue oder Unterschlagung erlangt hat. Ein Zugriffsdelikt liegt vielmehr dann vor, wenn der Beamte dienstlich anvertraute Gelder und Güter veruntreut hat, wozu auch die Gebührenüberhebung, die Fundunterschlagung und der sogenannte Kollegendiebstahl zählen. Für die Bewertung als Zugriffsdelikt ist entscheidend, dass einem Beamten Gelder oder gleichgestellte Werte dienstlich anvertraut oder dienstlich zugänglich sind (BVerwG: stRspr; vgl. Urteil v. 8. 04.2003, 1 D 27.02; juris). Ein Beamter, der sich bei der Ausübung seiner dienstlichen Tätigkeit an Vermögenswerten vergreift, die seinem Gewahrsam unterliegen, zerstört damit in aller Regel das für die Fortdauer des Beamtenverhältnisses notwendige Vertrauen in seine Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit, wenn die Beträge insgesamt die Schwelle der Geringwertigkeit deutlich überschreiten. Denn die Verwaltung ist auf die Redlichkeit und Zuverlässigkeit ihrer Bediensteten beim Umgang mit solchen Geldern und Gütern in hohem Maße angewiesen. Eine ständige und lückenlose Kontrolle eines jeden Mitarbeiters ist unmöglich und muss deshalb weitgehend durch Vertrauen ersetzt werden. Wer diese für das Funktionieren des öffentlichen Dienstes unabdingbare Vertrauensgrundlage zerstört, muss grundsätzlich mit der Auflösung des Beamtenverhältnisses rechnen (BVerwG, Urteile v. 20.10.2005, 2 C 12.04, v. 03.05.2007, 2 C 9.06, v. 25.10.2007, 2 C 43.07, v. 29.05.2008, 2 C 59.07; alle juris).

184

Diese Grundsätze gelten erst recht für einen als Gerichtsvollzieher beschäftigten Beamten. So stellt z. B. die Eigenverwendung dienstlich anvertrauter Gelder gerade bei einem Gerichtsvollzieher ein schwerwiegendes Dienstvergehen dar, welches regelmäßig zur Dienstentfernung führt (vgl.: BVerwG, Urteil v. 20.10.2005, 2 C 12.04; VG Karlsruhe, Urteil v. 01.04.2010, DL 13 K 1892/09; juris). Denn diesem ist als hoheitlich handelndes Organ der Zwangsvollstreckung eine besonders verantwortungsvolle Aufgabe übertragen, die er in weitem Umfang eigenverantwortlich und selbständig ausübt, mit der Folge, dass dem Dienstherrn nur eine vergleichsweise eingeschränkte Kontrolle seiner Tätigkeit möglich ist. Dem Gerichtsvollzieher obliegt es nach §§ 753 Abs. 1, 754 ZPO, im Auftrag, d.h. auf Antrag der Gläubiger, die Zwangsvollstreckung durchzuführen, soweit diese nicht den Gerichten zugewiesen ist. Entsprechend der Art der ihm übertragenen Aufgaben, die im Interesse einer zweckmäßigen und effektiven Erledigung der Vollstreckungsaufträge eine gewisse Flexibilität erfordern, ermöglichen die Vorschriften der Gerichtsvollzieherordnung - GVO - und der Geschäftsanweisung für Gerichtsvollzieher - GVGA - dem Gerichtsvollzieher, seine Tätigkeit weitgehend eigenverantwortlich und selbständig auszuüben (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.04.1982, a. a. O.; Bay. VGH, Beschl. v. 15.01.2009, 3 ZB 08.818; OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 15.06.2009 - 4 B 52.08 -, juris). Der Gerichtsvollzieher regelt seinen Geschäftsbetrieb nach eigenem pflichtgemäßen Ermessen, soweit hierüber keine besonderen Bestimmungen bestehen (§ 45 Nr. 1 GVO), muss grundsätzlich an seinem Amtssitz ein Geschäftszimmer auf eigene Kosten halten (§ 46 Nr. 1 Satz 1 GVO), ist verpflichtet, Büro- und Schreibhilfen auf eigene Kosten zu beschäftigen, soweit es der Geschäftsbetrieb erfordert (§ 49 GVO), kann grundsätzlich Zeitpunkt und Reihenfolge der Erledigung der Vollstreckungsaufträge bestimmen (§ 6 GVGA) und führt den Schriftverkehr unter eigenem Namen mit Amtsbezeichnung (§ 53 Nr. 1 GVO). Er handelt bei der ihm zugewiesenen Zwangsvollstreckung selbständig (§ 58 Nr. 1 Satz 1 GVGA), wobei er zwar der Aufsicht, aber nicht der unmittelbaren Leitung des Gerichts unterliegt (§ 58 Nr. 1 Satz 2 GVGA). Es ist die zentrale Aufgabe des Gerichtsvollziehers, im Auftrag der Gläubiger die Zwangsvollstreckung in das bewegliche Vermögen der Schuldner vorzunehmen (vgl. § 808 Abs. 1 ZPO). Gepfändetes Geld hat er nach § 815 Abs. 1 ZPO an die Gläubiger abzuliefern. Der Gerichtsvollzieher hat bezüglich des Vollstreckungsauftrags gegenüber den Gläubigern die ihm kraft Gesetzes obliegende Pflicht, deren Vermögensinteressen wahrzunehmen (sog. Vermögensbetreuungspflicht; vgl. Lenckner/Perron in Schönke/Schröder, StGB, 26. Auflage, § 266, Rn. 25; BGH, Urt. v. 20.10.1959 - 1 StR 446/59 -, NJW 1960, 52; OLG Celle, Beschluss v. 03.04.1990, 1 Ss 48/90; juris). Wenn ein Gerichtsvollzieher gegen diese Kernpflichten verstößt, zerstört er in der Regel die für die geordnete Vollstreckung unabdingbare Vertrauensgrundlage, weshalb er im Regelfall nicht mehr Beamter bleiben kann (VG Karlsruhe, a. a. O.).

185

4.) Die Disziplinarkammer sieht vorliegend keine Besonderheiten und Entlastungsgründe des Einzelfalls, die es rechtfertigen, die von der Schwere des Dienstvergehens ausgehende Indizwirkung abzumildern. Dies ist dann der Fall, wenn zu Gunsten des Beamten gewichtige Entlastungsgründe (Milderungsgründe) zu berücksichtigen sind, die den Schluss rechtfertigen, dass das dem Beamten vom Dienstherrn und der Allgemeinheit entgegengebrachte Vertrauen noch nicht endgültig verloren ist. Solche Gründe stellen zum einen die von der Rechtsprechung bezüglich der sog. Zugriffsdelikte entwickelten und anerkannten Milderungsgründe dar, die besondere menschliche Konfliktsituationen beschreiben. Hierzu zählen etwa das Handeln in einer existenziellen wirtschaftlichen Notlage oder einer körperlichen oder psychischen Ausnahmesituation oder besonderen Versuchssituationen oder eine persönlichkeitsfremde Einzelverfehlung des Beamten wie auch „Entgleisungen“ während einer negativen, inzwischen überwundenen, durch Alkohol, Drogen oder Schicksalsschlägen bedingte Lebensphase. Der Milderungsgrund der Geringwertigkeit eines verursachten Schadens oder des geldlichen Vorteils der Handlung wird bei etwa 50,00 Euro gezogen. Auch besondere die Dienstpflichtverletzung begünstigende Handlungen und mangelnde Kontrollen des Dienstherrn können im Einzelfall wie ein besonderes Nachtatverhalten die Schwere der Verfehlung mildern. Zeitlich überlange Disziplinarverfahren können wegen des disziplinarrechtlichen Beschleunigungsgebotes und der mit dem Disziplinarverfahren verbundenen persönlichen Belastungen jedenfalls bei Maßnahmen der Pflichtenmahnung berücksichtigt werden. Entlastungsgründe können sich aber zum anderen auch aus allen Besonderheiten ergeben, die es im Einzelfall wegen der persönlichkeitsbedingten an § 13 DG LSA zu orientierenden Prognoseentscheidung gebieten, von der disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahmen Abstand zu nehmen. Die entlastenden Gründe sind nicht (mehr) allein auf den in der Rechtsprechung entwickelten Kanon der anerkannten Milderungsgründe beschränkt (BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11.10, m. w. Nachw.; juris). Diese Besonderheiten müssen aber in ihrer Gesamtheit geeignet sein, die Schwere des Pflichtenverstoßes erheblich herabzusetzen. Generell gilt, dass das Gewicht der Entlastungsgründe umso größer sein muss, je schwerer das Delikt aufgrund der Schadenshöhe sowie der Tatumstände, wie Anzahl, Häufigkeit, Zeitraum, Verschiedenartigkeit und Tatausführung wiegt (im Ganzen ausführlich: VG Magdeburg, Urt. v. 29.11.2012, 8 A 12/11, v. 31.03.2011, 8 A 2/10 MD und v. 27.10.2011, 8 A 2/11, mit Verweis auf BVerwG, Urt. v. 24.05.2007, 2 C 28.06, Urt. v. 06.06.2007, 1 D 2.06, Urt. v. 29.05.2008, 2 C 59.07; Bayr. VGH, Urt. v. 27.10.2010, 16 aD 09.2470; OVG Lüneburg, Urt. v. 08.02.2011, 6 LD 4/08; alle juris).

186

a.) Grundsätzlich erscheint im Einzelfall auch eine dienstliche Überlastung als Milderungsgrund geeignet. Dies übersieht das Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt in dem Beschluss zur vorläufigen Dienstenthebung vom 19.07.2007 (10 M 1/07), wonach die zahlreichen Verstöße gegen die einer Gerichtsvollzieherin obliegenden Dienstpflichten bereits für sich genommen ein Versagen im Kernbereich begründen, ohne dass dieses allein mit dem Hinweis auf die dienstliche Belastung zu rechtfertigen sei. Auch wenn ein Beamter die Vielzahl seiner Dienstgeschäfte fehlerhaft ausführt und es sich hier um schwerwiegende Dienstverletzung handelt, so sind Arbeitsüberlastung, außerdienstliche Probleme, die Tatsache, dass die Fehler kaum in die Öffentlichkeit gedrungen sind und die bisherige einwandfreie Dienstführung, die erwarten lässt, dass die Beamtin künftig fehlerfrei arbeitet, mildernd zu berücksichtigen (OVG NRW, U. v. 24.06.1983, 2 V 14/81; dort nur Gehaltskürzung; juris). Nicht jeder einzelne Fehler bei der Dienstausübung ist gleichzusetzen mit einer schuldhaften Verletzung dienstlicher Pflichten. Denn die Pflicht zur ordnungsgemäßen Dienstausübung hat eine im Ganzen durchschnittliche Leistung zum Gegenstand. Dies schließt gewisse Mängel der Arbeitsweise ein, wie sie selbst bei sehr fähigen und ausgesprochen zuverlässigen Beamten vorkommen können (vgl.: VG Magdeburg, U. v. 08.06.2011, 8 A 16/10 MD mit Verweis auf VG Düsseldorf, U. v. 04.03.2009, 31 K 5472/08.O; juris).

187

Festzustellen ist aber zum einen, dass vorliegend die Unzulänglichkeiten zu den Tatbeständen der Unverzüglichkeit wiederholt von dem Prüfbeamten gerügt wurden und die Beklagte diese zum Teil nicht mit der gebotenen Sorgfalt und Hingabe beachtet hat. Denn ihre Dienstausübung wies Mängel in der strukturellen Arbeitsorganisation auf, die nicht Folgenlos blieben. Zum anderen sind Anhaltspunkte für eine dienstliche Überlastung und Überforderung der Beamtin nicht von der Hand zu weisen, was auch das Landgericht Dessau-Roßlau in seinem Urteil vom 29.10.2009 feststellte. Die Direktorin des Amtsgericht K. führte in ihrem - später aufgehobenen - disziplinarrechtlichen Verweis vom 08.09.2005 aus, das „im Zeitraum der festgestellten Pflichtverletzungen unbestritten {eine} übermäßige Arbeitsbelastung“ vorlag und „auch bei hoher Arbeitsbelastung“ erwartet werde, die Dienstpflichten einzuhalten.

188

Mag daher eine dienstliche Überlastung als „Entschuldigung“ für die aufgrund einer mangelnden Arbeitsweise und damit organisationsbedingten Pflichtenverstöße herangezogen werden können, gilt dies aber nicht für die Gebührenüberhebung (Wegegelder). Denn die von der Beklagten vorgenommene Gebührenüberhebung beruhte auf einem vorsätzlichen Handeln zur Erschließung einer zusätzlichen Einnahmequelle. Ansonsten hätte es auch Fälle geben müssen, in denen sich die Beklagte zu Gunsten der Schuldner verrechnet bzw. zu geringe Wegegelder angesetzt hätte.

189

b.) Aus dem gleichen Grund kann sich die Beklagte zu ihrer Entlastung auch nicht darauf berufen, der Dienstherr habe sie unzureichend kontrolliert oder sie im guten Glauben ihrer fehlerhaften Abrechnung gelassen.

190

Das Bundesverwaltungsgericht hat erneut in dem Urteil vom 15.03.2012 (2 WD 9.11; juris) ausgeführt, dass sich eine unzureichend ausgeübte Dienstaufsicht mildernd auswirken kann. Nach der Rechtsprechung setzt der Milderungsgrund der mangelnden Dienstaufsicht jedoch eine Überforderungssituation voraus, in der ein hilfreiches Eingreifen der Dienstaufsicht erforderlich ist; also eine dienstaufsichtliche Begleitung. Hier muss man zwischen „Überlastung“ und „Überforderung“ unterscheiden. Mit einer „Überlastung“ aufgrund hoher Arbeitsbelastung kann nicht die Begehung von Straftaten begründet werden. „Überforderung“ heißt, dass der Beamte z. B. hinsichtlich der Auslegung einer strittigen Rechtsfrage im Dienst allein gelassen wird und ihm später sein - falsches - Handeln zum Vorwurf gemacht wird. So versucht sich die Beamtin damit zu rechtfertigen, dass die Berechnung der Wegegelder nach der Änderung schwierig und kompliziert gewesen sei und sie eine von ihr erstellte Tabelle der Dienstaufsicht überlassen habe und zudem aufgrund des gegen sie geführten Disziplinarverfahrens, später die Kollegen mit Wegegeldtabellen versorgt worden seien. Dies vermag die Beamtin nicht zu entlasten. Denn wie - wiederholt - ausgeführt wurde handelt es sich bei der Einordnung der Entfernung nach der Luftlinie um keine schwierige Angelegenheit, welche die Gerichtsvollzieher überforderte und daher einer „Anweisung“ bzw. „Begleitung“ durch die Dienstaufsicht nicht bedurfte. Zudem haben andere Gerichtsvollzieher korrekt abgerechnet. Die Beklagte hat die fehlende Kontrolle vielmehr ausgenutzt und über lange Jahre falsch abgerechnet. Auch ein „verleiten“ zur Tat im Sinne einer Mittäterschaft durch die Dienstaufsicht ist aufgrund der fehlenden Kontrollen nicht gegeben. Dies ist eher bei einem „klassischen“ Zugriffsdelikt möglich, wenn etwa eine „offene Kasse“ zum Diebstahl verleitet. Es macht einen Unterschied, ob die Gerichtsvollzieherin vorsätzlich falsche Entfernungspauschalen ansetzt oder ob der die Gerichtsvollzieherin prüfende Beamte dies - neben anderen zu prüfenden Angaben - nicht erkennt. Wegen der fehlenden Entdeckung der Falschangaben durch die Dienstaufsicht kann auch nicht von „geduldeten Verhältnissen“ (vgl. dazu: BVerwG, Urteil v. 25.10.1977, I D 76.76; juris) ausgegangen werden.

191

c.) Auch die zugegeben lange Dauer des Disziplinarverfahrens noch das lange Zurückliegen des Dienstvergehens rechtfertigen es, von der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis abzusehen, wenn diese Maßnahme geboten ist. Dies steht auch der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte oder den Vorschriften des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24.11.2011 nicht entgegen (ständige Rechtsprechung BVerwG: vgl. nur zuletzt: Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11/10; bestätigt durch BVerfG, Beschluss v. 28.01.2013, 2 BvR 1912/12; beide juris). Zwar kann eine pflichtenmahnende Disziplinarmaßnahme in diesen Fällen unvereinbar mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit werden. Bei Fortbestand des Beamtenverhältnisses kann das durch ein Dienstvergehen ausgelöste Sanktionsbedürfnis gemindert werden oder sogar entfallen, weil die mit dem Disziplinarverfahren verbundenen wirtschaftlichen und dienstlichen Nachteile positiv auf den Beamten eingewirkt haben, so dass sie eine günstigere Persönlichkeitsprognose ermöglichen. Demgegenüber geht es bei der Dienstentfernung darum, das Beamtenverhältnis in Fällen besonders schwerwiegender Dienstvergehen zu beenden, weil der Beamte im öffentlichen Dienst untragbar geworden ist. An dem endgültigen Vertrauensverlust, den er durch sein Fehlverhalten herbeigeführt hat, vermögen eine lange Verfahrensdauer oder ein langes Zurückliegen des Dienstvergehens nichts zu ändern. Das verlorene Vertrauen kann nicht durch Zeitablauf wiederhergestellt werden (BVerfG, Beschl. v. 04.10.1977, 2 BvR 80/77; Beschl. v. 09.08.2006, 2 BvR 1002/05; alle juris). Diesen Unterschied hat der Gesetzgeber auch dadurch zum Ausdruck gebracht, dass er in § 15 DG - wie BDG - die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis im Gegensatz zu allen anderen Disziplinarmaßnahmen vom Maßnahmeverbot wegen Zeitablaufs ausgenommen hat (vgl. zusammenfassend: BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11/10; juris).

192

5.) In diesem Sinne durchgreifende besondere Umstände, die ein Absehen von der schwerwiegendsten und eine mildere Disziplinarmaßnahme rechtfertigen würden, vermag das Disziplinargericht nicht zu erkennen. Aufgrund des langjährigen, vorsätzlichen und zudem schuldhaften Handelns hinsichtlich der Gebührenüberhöhung kann nicht von einer einmaligen Gelegenheitstat oder einem persönlichkeitsfremden „Ausrutscher“ ausgegangen werden. Sonstige Gründe, die das Gericht in die Lage der möglichen Berücksichtigung derartiger Milderungsgründe setzt, sind von der Beklagten nicht vorgetragen worden und auch nicht erkennbar. Die nach alledem dienstrechtlich notwendige Entfernung aus dem Dienst verstößt auch nicht gegen das Verhältnismäßigkeitsgebot. Denn diese disziplinarrechtliche Höchstmaßnahme ist die einzige Möglichkeit, dass durch den Dienstherrn sonst nicht lösbare Dienstverhältnis einseitig zu beenden. Die darin liegende Härte für den Betroffenen ist nicht unverhältnismäßig. Sie beruht vielmehr auf einem ihm zurechenbaren Verhalten (BVerwG, Urteil v. 21.06.2000, 1 D 49.99; juris).

193

6.) Die Kostenentscheidung folgt aus § 72 Abs. 1 Satz 1 DG LSA. Das Verfahren ist gem. § 73 Abs. 1 Satz 1 gebührenfrei.


Tatbestand

1

Der 19.. geborene Beklagte schloss im Jahr 19.. die Ausbildung zum Diplom-Verwaltungswirt (FH) ab. 19.. trat er als Angestellter in den Dienst des Bundesnachrichtendienstes (BND) ein. Im Oktober 19.. ernannte ihn die Klägerin zum Beamten auf Lebenszeit. Zuletzt hatte er das Amt eines Regierungsamtmanns (Besoldungsgruppe A 11) inne. Er ist verheiratet und hat zwei minderjährige Kinder. Im BND war der Beklagte zunächst operativ tätig, insbesondere im Bereich "...". Aufgrund seiner Sprachkenntnisse und guter Beurteilungen wurde er für eine Auslandsverwendung vorgeschlagen. Von August 2001 bis Juli 2005 war der Beklagte bei der BND-Residentur an der Deutschen Botschaft in B./K. tätig. Seitdem wird er wieder im Inland im Bereich Auswertung eingesetzt. Im Oktober 2009 erhielt er eine Leistungsprämie für vorbildlichen Einsatz in Höhe von 750 €.

2

Im Frühjahr 2006 erreichten den BND Informationen, nach denen sich der Beklagte zum Ende seines Einsatzes in K. gegenüber k. Staatsangehörigen als "deutscher Vizekonsul" bezeichnet und diesen gegenüber den Eindruck erweckt haben soll, Einfluss auf die Visa-Erteilung durch die deutsche Botschaft nehmen zu können.

3

Hierzu sagte der Beklagte in einem "Sicherheitsgespräch" vom 30. März 2006 gegenüber Mitarbeitern des BND aus, er sei von einem Mittelsmann gegen seinen Willen gegenüber k. Staatsangehörigen als Konsul oder als Mitarbeiter der Konsularabteilung vorgestellt worden. Der Beklagte bestritt, jemals finanzielle Zuwendungen oder andere Vorteile erhalten oder auf die Vergabe von Visa Einfluss genommen zu haben. Er räumte lediglich ein, bis zu 40 Visa-Anträge auf "formale Richtigkeit" hin geprüft zu haben.

4

Am 8. Juni 2006 wandte sich der BND an die Staatsanwaltschaft Be. und teilte dieser unter Vorlage eines Berichts über die damaligen Erkenntnisse mit, es bestehe der Verdacht, der Beklagte habe sich im Zusammenhang mit der Erteilung von Visa eines Betrugs zum Nachteil ausländischer Staatsbürger schuldig gemacht. Daraufhin eröffnete die Staatsanwaltschaft Be. gegen den Beklagten ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Bestechlichkeit. Unter dem 6. November 2006 leitete der Präsident des BND gegen den Beklagten das Disziplinarverfahren ein. Der Beklagte wurde weder über die Eröffnung des Strafverfahrens noch über die des Disziplinarverfahrens in Kenntnis gesetzt.

5

Am 3. Januar 2007 erteilte die Staatsanwaltschaft Be. die Freigabe für das weitere behördliche Disziplinarverfahren, nachdem sie das Büro des Beklagten beim BND und dessen Privatwohnung durchsucht und dabei dem Beklagten auch den strafrechtlichen Vorwurf eröffnet hatte. Der Beklagte wurde am 8. Januar 2007 vom BND über die Einleitung des Disziplinarverfahrens unterrichtet. Der Beklagte gab zunächst keine Stellungnahme ab. Mit Schreiben vom 9. Mai 2007 dehnte der Präsident des BND das Disziplinarverfahren auf den Vorwurf aus, der Beklagte habe im Jahr 2005 eine offene dienstliche E-Mail-Adresse privat genutzt. Das Disziplinarverfahren wurde im Juli 2007 im Hinblick auf das anhängige Strafverfahren ausgesetzt.

6

In Bezug auf den Vorwurf des Titelmissbrauchs (§ 132a StGB) beschränkte die Staatsanwaltschaft Be. die Strafverfolgung nach § 154a Abs. 1 StPO auf den Vorwurf des Betrugs. Hinsichtlich des Vorwurfs der Bestechlichkeit stellte sie das Verfahren gemäß § 170 Abs. 2 StPO ein. Da der Beklagte in der Botschaft in B. nicht für die Erteilung der Visa zuständig gewesen sei, fehle es am Tatbestandsmerkmal der pflichtwidrigen Diensthandlung.

7

Ende Januar 2009 erließ das Amtsgericht T. gegen den Beklagten einen Strafbefehl wegen des Vorwurfs, gemeinschaftlich mit B. zum Nachteil zweier k. Staatsangehöriger einen Betrug begangen zu haben. Der Beklagte habe sich gegenüber den Geschädigten als Konsul der Deutschen Botschaft ausgegeben und diesen gegen eine Zahlung von jeweils 1900 € die Erteilung von Schengen-Visa zugesagt. Tatsächlich habe er jedoch weder die Möglichkeit gehabt, auf die Erteilung der Visa Einfluss zu nehmen, noch habe er die Absicht gehabt, den Geschädigten die Visa zu verschaffen. Gegen diesen Strafbefehl erhob der Beklagte unbeschränkten Einspruch.

8

In der Verhandlung vor dem Amtsgericht T. am 19. Mai 2009 machte der Beklagte nach Belehrung Angaben zur Sache. Nachdem das Amtsgericht die Kriminalhauptkommissarin U. als Zeugin zur Sache vernommen hatte, beschränkte der Beklagte seinen Einspruch gegen den Strafbefehl auf das Strafmaß. Auf der Grundlage des im Schuldspruch rechtskräftigen Strafbefehls wurde der Beklagte wegen Betrugs zu einer Geldstrafe verurteilt.

9

Nach Eintritt der Rechtskraft des Strafurteils setzte der BND das Disziplinarverfahren fort. Der Beklagte wurde hiervon unterrichtet. Im März 2010 billigte der Präsident des BND den Vorschlag, gegen den Beklagten Disziplinarklage mit dem Ziel der Entfernung aus dem Dienst zu erheben. Hiergegen erhob die Gruppe der Beamten im Personalrat des BND mit der Begründung Einwendungen, es sei zweifelhaft, ob der Beklagte das ihm zur Last gelegte Dienstvergehen tatsächlich begangen habe. Da der Präsident des BND am Ziel der Entfernung des Beklagten aus dem Beamtenverhältnis festhielt, beantragte der Personalrat eine Entscheidung des Bundeskanzleramtes. Im Hinblick hierauf sagte der Präsident des BND dem Personalrat zu, den Klageantrag dahingehend umzustellen, dass kein bestimmter Antrag erhoben werde, sondern die Disziplinarmaßnahme stattdessen in das Ermessen des Gerichts gestellt werde. Zudem würden die Einbehaltung von 10 % der Bezüge des Beklagten und seine vorläufige Dienstenthebung zurückgestellt. Im Hinblick hierauf nahm der Personalrat seinen gegenüber dem Bundeskanzleramt gestellten Antrag auf Entscheidung zurück.

10

Am 27. Oktober 2010 hat der Präsident des BND Disziplinarklage erhoben. Dem Beklagten wird entsprechend der im Strafbefehl getroffenen Feststellungen vorgeworfen, Geld als Gegenleistung für die Verschaffung von Visa angenommen zu haben. Dabei müsse davon ausgegangen werden, dass die tatsächliche Zahl der Geschädigten sowie die gezahlten Beträge wesentlich höher seien als nach den Feststellungen im Strafbefehl, der nur von zwei geschädigten k. Staatsangehörigen und einem Schaden von 3 800 € ausgehe. Da bei den beiden k. Staatsangehörigen kein Motiv für eine Falschaussage erkennbar sei, sei von der Richtigkeit ihrer Aussagen auszugehen. Demgegenüber habe der Beklagte wegen seiner angespannten finanziellen Situation ein Motiv gehabt. Gegen den Beklagten spreche auch, dass er eingeräumt habe, Visa-Unterlagen von bis zu zwölf k. Staatsangehörigen entgegengenommen zu haben. Denn als Sachbearbeiter der Residentur B. habe er mit der Bearbeitung von Visa-Anträgen nichts zu tun gehabt. Gerade deshalb sei von der Staatsanwaltschaft auch der Vorwurf der Bestechlichkeit fallengelassen worden. Das Vorbringen, er habe die Visa-Formulare geprüft, um Interessenten für illegale Visa oder Einreisen weitermelden zu können, sei unglaubhaft. In den Jahren 2004 und 2005 habe die Residentur keine Meldung zum Thema "illegale Visa/Einreise" übermittelt. Aus der Schuldenerklärung aus dem Jahr 2006 ergebe sich, dass sich der Beklagte damals ungeachtet der höheren Auslandsbezüge in einer finanziell schwierigen Situation befunden und deshalb ein Motiv gehabt habe. Der Beklagte müsse eine dienstliche E-Mail-Anschrift an eine private Bekannte weitergegeben haben. Hierdurch habe er die Gehorsamspflicht verletzt. Das Versagen des Beklagten und die damit verbundene Schädigung des Ansehens der Bundesrepublik insbesondere im Ausland wögen schwer. Bereits der Anschein, die Ausstellung von Schengen-Visa könne bei einer deutschen Auslandsvertretung erkauft werden, sei geeignet, die Interessen des Bundes erheblich zu beschädigen. Gerade der BND müsse sich als Sicherheitsbehörde auf die korrekte und gewissenhafte Erfüllung der Dienstpflichten durch seine Mitarbeiter verlassen können. Bei einer Auslandsverwendung seien die Kontrollmöglichkeiten zudem erheblich eingeschränkt. Die Beschädigung der Integrität der Amtsführung sei so gravierend, dass das Vertrauensverhältnis irreparabel und nachhaltig zerstört sei. Unerheblich sei, dass das dienstliche Verhalten des Beklagten seit seiner Rückkehr nach Deutschland unauffällig und ob eine Wiederholung des Fehlverhaltens zu erwarten sei. Allein durch die in seinem Verhalten zu Tage tretende kriminelle Energie sei der Beklagte als Beamter nicht länger tragbar. Zwar liege das Fehlverhalten bereits mehr als sechs Jahre zurück und der Beklagte habe zwei minderjährige Kinder. Diese Milderungsgründe könnten nicht berücksichtigt werden, weil die Schwere des Fehlverhaltens keinen weiteren Bemessungsspielraum erlaube. Die lange Verfahrensdauer sei dem BND nicht anzulasten. Zudem stehe eine lange Verfahrensdauer der Verhängung der Höchstmaßnahme nicht entgegen. Unerheblich sei auch, dass der Beklagte nicht vorläufig seines Dienstes enthoben worden und er seit der Rückkehr nach Deutschland seinen dienstlichen Pflichten in lobenswerter Weise nachgekommen sei. Das angeschuldigte Dienstvergehen offenbare schwerwiegende charakterliche Defizite des Beklagten. Die mit den Vorkommnissen verbundene Schädigung des Ansehens des BND stehe einer weiteren vertrauensvollen Zusammenarbeit im Wege.

11

Die Klägerin stellt keinen Antrag.

12

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

13

Die ihm im Zusammenhang mit der Beantragung von Visa vorgeworfene Tat habe er nicht begangen. Er habe sich nicht als deutscher Konsul oder Vizekonsul ausgegeben. Auch habe er keine Geldbeträge erhalten, um auf die Erteilung von Visa Einfluss zu nehmen. Ferner habe er nicht behauptet, auf die Erteilung von Visa Einfluss nehmen zu können. Dass Zeugen ihn auf Fotos erkannt hätten, könne auch darauf zurückgeführt werden, dass die Zeugen ihn zusammen mit Herrn B. gesehen hätten oder dieser den Zeugen Fotos von ihm gezeigt habe, um seine eigenen Einflussmöglichkeiten gegenüber den Visa-Interessenten glaubhaft zu machen. Er habe Herrn B. lediglich angeboten, die Visa-Anträge wie ein privater Visa-Dienst zu prüfen. Dabei sei es ihm um die Möglichkeit gegangen, mögliche Interessenten für illegale Visa oder Einreisen zu ermitteln und die so gewonnenen Informationen weiterzumelden. Herr B. sei eine interessante dienstlich nutzbare Quelle gewesen, weil dieser mitgeteilt habe, Informationen über Rauschgiftkuriere oder Schmuggler beschaffen zu können. Das Motiv für eine Falschaussage der Zeugen Q. und R. bestehe offensichtlich darin, dass ihre Chancen, die von ihnen bezahlten 3 800 € zurückzuerhalten, stiegen, wenn der Täterkreis auf den Beklagten erweitert werde. Denn dann bestehe die Möglichkeit, dass entweder der Beklagte oder die Botschaft zahle. Angesichts der ihn wirtschaftlich schwer belastenden Verurteilung zu einer Geldstrafe bestehe auch kein Bedürfnis nach einer zusätzlichen Pflichtenmahnung im Disziplinarverfahren. Sowohl die Klägerin als auch das Gericht seien angesichts der nicht vollständig abgeschlossenen Beweisaufnahme im strafgerichtlichen Verfahren und der lediglich aus Kostengründen erklärten Beschränkung des Einspruchs gegen den Strafbefehl auf das Strafmaß nicht an die Feststellungen des Strafgerichts gebunden. Zudem sei die einzige im Strafverfahren gehörte Zeugin lediglich eine Zeugin vom Hörensagen, weil sie lediglich an der Vernehmung von vermeintlichen Tatzeugen beteiligt gewesen sei. Während seiner Tätigkeit in K. habe der Beklagte wegen des Auslandsverwendungszuschlags ein höheres Einkommen gehabt. Deshalb habe bei ihm kein beachtliches Motiv zur Tatbegehung bestanden. Im Übrigen stehe ihm inzwischen ein höherer Nettobetrag zur Verfügung; eine Überschuldung sei nicht gegeben. Zwar kenne der Beklagte die Frau, die ihm zwei E-Mails geschickt habe, privat. Er könne sich aber nicht erklären, wie diese Frau an die Adresse gekommen sei. Es könne sein, dass diese "offene" Adresse auf der dienstlichen Visitenkarte angegeben gewesen sei. Die Zusendung von privaten E-Mails auf dienstliche E-Mail-Konten stelle kein Dienstvergehen dar. Jedenfalls habe er das E-Mail-Konto nicht aktiv privat genutzt. Da der von den Visa-Antragstellern mit 3 800 € behauptete Schaden unter 5 000 € liege, scheide die Höchstmaßnahme aus, weil diese bei Vermögensdelikten erst ab einem Betrag von 5 000 € in Betracht komme. Die von der Klägerin behauptete Zerstörung des Vertrauensverhältnisses sei nicht nachvollziehbar. Er sei während des gesamten Verfahrens nicht vorläufig seines Amtes enthoben worden, habe seine dienstlichen Pflichten vorbildlich erfüllt und habe eine Leistungsprämie von 750 € erhalten. Er sei auch weiterhin in einem sensiblen Bereich beschäftigt.

14

In der mündlichen Verhandlung hat der Senat gemäß § 56 Satz 1 BDG den gegen den Beklagten in der Klageschrift erhobenen Vorwurf aus dem Disziplinarverfahren ausgeschieden, er habe vor dem 4. Oktober 2005 eine vom BND für die Residentur in B. eingerichtete E-Mail-Adresse an Dritte zur Übersendung privater Nachrichten weitergegeben.

15

Aufgrund des Beschlusses vom 28. Februar 2012 und des Beweisbeschlusses vom 8. März 2012 ist D. S. vom beauftragten Richter als Zeuge zu dem Beweisthema vernommen worden, welche Aussagen die k. Staatsangehörigen R. und Q. sowie der l. Staatsangehörige B. zum Verhalten des Beklagten im Zusammenhang mit der Beantragung von Visa bei der Deutschen Botschaft in B./K. im Frühjahr 2005 gemacht haben. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der Zeugenvernehmung vom 12. März 2012 verwiesen.

16

In der mündlichen Verhandlung hat der Senat aufgrund des dort verkündeten Beschlusses durch Vernehmung der Zeugen D., U., Dr. und P. zum Verhalten des Beklagten im Zusammenhang mit der Beantragung von Visa durch die k. Staatsangehörigen Q. und R. bei der Deutschen Botschaft in B./K. im Frühjahr 2005 Beweis erhoben. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

17

Die von der Klägerin vorgelegten Personal- und Disziplinarakten des Beklagten sowie die beigezogene Strafakte einschließlich der Unterlagen des Rechtshilfeersuchens der Staatsanwaltschaft Be. sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen. Auf ihren sowie auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

18

Der Senat entscheidet über die Disziplinarklage in erster und letzter Instanz (§ 50 Abs. 1 Nr. 4 VwGO, § 45 Satz 5 BDG). Sie führt zu der Entfernung des Beklagten aus dem Beamtenverhältnis (§ 60 Abs. 2 Satz 1 und 2 Nr. 1, § 5 Abs. 1 Nr. 5 sowie §§ 10 und 13 Abs. 2 Satz 1 BDG).

19

1. Dem behördlichen Disziplinarverfahren haften keine wesentlichen Mängel i.S.d. § 55 BDG an.

20

a) Die Einleitung des Disziplinarverfahrens gegenüber dem Beklagten erst am 6. November 2006 entspricht nicht der Vorgabe des § 17 Abs. 1 Satz 1 BDG. Danach hat der Dienstvorgesetzte die Dienstpflicht, ein Disziplinarverfahren einzuleiten, wenn zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, die den Verdacht eines Dienstvergehens rechtfertigen. Zweck der Vorschrift ist der Schutz des Beamten. Die disziplinarischen Ermittlungen sollen so früh wie möglich im Rahmen des gesetzlich geordneten Verfahrens mit seinen rechtsstaatlichen Sicherungen zu Gunsten des Beamten, insbesondere dem Recht auf Beweisteilhabe nach § 24 Abs. 4 BDG, geführt werden. Der Dienstvorgesetzte darf, wenn die Voraussetzungen zur Einleitung vorliegen, nicht abwarten und weiteres Belastungsmaterial sammeln. Verzögert der Dienstvorgesetzte entgegen § 17 Abs. 1 Satz 1 BDG die Einleitung des Disziplinarverfahrens, so kann dies bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme (§ 13 BDG) als mildernder Umstand berücksichtigt werden, wenn die verzögerte Einleitung für das weitere Fehlverhalten des Beamten ursächlich war (Beschluss vom 18. November 2008 - BVerwG 2 B 63.08 - Buchholz 235.1 § 17 BDG Nr. 1 Rn. 13 ff.).

21

Zwar darf der Dienstherr auch Verwaltungsermittlungen durchführen, weil ein Disziplinarverfahren wegen seiner stigmatisierenden Wirkung nicht vorschnell eingeleitet werden darf (Weiß, in: GKÖD, Bd. II, Disziplinarrecht des Bundes und der Länder, Teil 4 BDG, M § 17 Rn. 32). Verwaltungsermittlungen müssen aber wegen der Schutzwirkung der Verfahrensvorschriften in disziplinarrechtlich geführte Ermittlungen umschlagen, wenn der Dienstvorgesetzte Kenntnis von Tatsachen erlangt, aufgrund derer die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Beamte schuldhaft seine Dienstpflichten in disziplinarrechtlich relevanter Weise verletzt hat. Diese Voraussetzungen waren spätestens am 6. Juni 2006 erfüllt. Denn zu diesem Zeitpunkt hatte die Innenrevision des BND die gegen den Beklagten letztendlich erhobenen Vorwürfe schriftlich zusammengefasst, um sie der Staatsanwaltschaft Be. mit dem Ziel der Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens vorzulegen. Grundlage dieser Zusammenfassung waren vor allem detaillierte Berichte des Leiters der BND-Residentur P. an die BND-Zentrale über den weiteren Fortgang seiner Ermittlungen, insbesondere über die in B. geführten Gespräche mit dem "Vermittler" B.

22

Ein Verstoß gegen die aus § 17 Abs. 1 Satz 1 BDG folgende Pflicht zur rechtzeitigen Einleitung des behördlichen Disziplinarverfahrens stellt einen Mangel i.S.v. § 55 Abs. 1 BDG dar. Der Begriff des Mangels i.S.v. § 55 Abs. 1 BDG erfasst Verletzungen von Verfahrensregeln, die im behördlichen Disziplinarverfahren von Bedeutung sind (Urteil vom 20. Oktober 2005 - BVerwG 2 C 12.04 - BVerwGE 124, 252 <254> = Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 1). Hierunter fallen Verstöße gegen verfahrensrechtliche Vorschriften und Rechtsgrundsätze, die den äußeren Ablauf des behördlichen Disziplinarverfahrens bis zur abschließenden behördlichen Entscheidung, also bis zur Erhebung der Disziplinarklage oder bis zu dem Erlass einer Disziplinarverfügung, betreffen (vgl. Beschluss vom 18. November 2008 a.a.O. Rn. 14).

23

Dieser Mangel des behördlichen Disziplinarverfahrens ist aber nicht wesentlich i.S.d. § 55 BDG. Es lässt sich mit hinreichender Sicherheit ausschließen, dass er sich auf das Ergebnis des Disziplinarverfahrens ausgewirkt haben kann (Urteil vom 24. Juni 2010 - BVerwG 2 C 15.09 - BVerwGE 137, 192 = Buchholz 235.1 § 55 BDG Nr. 6, jeweils Rn. 19). Hätte die Klägerin das Disziplinarverfahren entsprechend ihrer Verpflichtung aus § 17 Abs. 1 Satz 1 BDG im Zeitraum zwischen dem Sicherheitsgespräch vom 30. März 2006 und der Erstellung des zusammenfassenden Berichts vom 6. Juni 2006 eingeleitet, so wäre der Beklagte hiervon in rechtlich nicht zu beanstandender Weise nicht unterrichtet worden. Die Vorgehensweise der Klägerin, den Beklagten über die Einleitung des Disziplinarverfahrens bis zum Abschluss der Durchsuchungen seines Büros und seiner Privatwohnung im Rahmen des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens nicht zu informieren, ist durch § 20 Abs. 1 Satz 1 BDG gedeckt. Durch eine Unterrichtung des Beklagten über die Einleitung des Disziplinarverfahrens wäre die Aufklärung des disziplinarrechtlich relevanten Sachverhalts gefährdet gewesen. Bei einer früheren Unterrichtung bestand die Gefahr, dass der Beklagte private Unterlagen über seine Kontakte zum "Vermittler" B. und den geschädigten k. Visa-Antragstellern beseitigt oder mit diesen Kontakt aufnimmt.

24

b) Das Anschreiben vom 8. Januar 2007, mit dem die Klägerin den Beklagten über die Einleitung des Disziplinarverfahrens unterrichtet hat, genügt den formellen Anforderungen des § 20 Abs. 1 Satz 2 und 3 BDG. Es lässt erkennen, welches Dienstvergehen dem Beklagten zur Last gelegt wird, und weist diesen auf die ihm im Verfahren zustehenden Rechte hin. Der Personalrat ist auf Antrag des Beklagten beteiligt worden.

25

c) Die Zuständigkeit des Präsidenten des BND zur Erhebung der Disziplinarklage folgt aus § 34 Abs. 2 Satz 2 BDG i.V.m. Nr. 3 der Anordnung zur Übertragung disziplinarrechtlicher Zuständigkeiten und Befugnisse im Bereich des BND vom 28. Januar 2002 (BGBl I S. 560).

26

2. Im Ergebnis weist auch die Klageschrift keine wesentlichen Mängel auf.

27

a) In Bezug auf das Verhalten des Beklagten im Zusammenhang mit der Beantragung von Schengen-Visa bei der Deutschen Botschaft in B. genügt die Disziplinarklageschrift allerdings nur mit einer vom Vertreter der Klägerin in der mündlichen Verhandlung auf Anregung des Senats erklärten Einschränkung den Anforderungen des § 52 Abs. 1 Satz 2 BDG.

28

Nach § 52 Abs. 1 Satz 2 BDG muss die Klageschrift den persönlichen und beruflichen Werdegang des Beamten, den bisherigen Gang des Disziplinarverfahrens, die Tatsachen, in denen ein Dienstvergehen gesehen wird, und die anderen Tatsachen und Beweismittel, die für die Entscheidung bedeutsam sind, geordnet darstellen. Die Sachverhalte, aus denen das Dienstvergehen hergeleitet wird, müssen aus sich heraus verständlich geschildert werden. Ort und Zeit der einzelnen Handlungen müssen möglichst genau angegeben, die Geschehensabläufe nachvollziehbar beschrieben werden. Hierdurch soll gewährleistet werden, dass sich der Beamte gegen die gegen ihn erhobenen disziplinarischen Vorwürfe sachgerecht verteidigen kann. Zugleich werden durch eine den Anforderungen des § 52 Abs. 1 Satz 2 BDG genügende Klageschrift Umfang und Grenzen der gerichtlichen Disziplinarbefugnis festgelegt. Denn nach § 60 Abs. 2 Satz 1 BDG dürfen nur Handlungen zum Gegenstand der Urteilsfindung gemacht werden, die dem Beamten in der Klage oder einer Nachtragsdisziplinarklage als Dienstvergehen zur Last gelegt worden sind (Urteile vom 25. Januar 2007 - BVerwG 2 A 3.05 - Buchholz 235.1 § 52 BDG Nr. 4 Rn. 27 f. und vom 29. Juli 2010 - BVerwG 2 A 4.09 - juris Rn. 146 f.; Beschluss vom 26. Oktober 2011 - BVerwG 2 B 69.10 - juris Rn. 6). Zwar ist es nicht erforderlich, dass die Klageschrift die angeschuldigten Sachverhalte disziplinarrechtlich zutreffend würdigt. Aufgrund des doppelten Zwecks der Disziplinarklageschrift muss der Dienstherr aber erkennen lassen, gegen welche Dienstpflichten das angeschuldigte Verhalten des Beamten verstoßen soll und ob dem Beamten Vorsatz oder Fahrlässigkeit zur Last gelegt wird (Beschluss vom 28. März 2011 - BVerwG 2 B 59.10 - IÖD 2011, 143, juris Rn. 5).

29

Die Disziplinarklage des BND stellt den persönlichen und beruflichen Werdegang des Beklagten und auch den bisherigen Gang des Verfahrens ausreichend dar. Soweit sich die Disziplinarklageschrift inhaltlich am Gegenstand des Strafbefehls des Amtsgerichts T. vom 29. Januar 2009 orientiert, sind die Anforderungen des § 52 Abs. 1 Satz 2 BDG auch hinsichtlich der Bestimmung des Dienstvergehens erfüllt. Es werden die dem Beklagten vorgeworfenen konkreten Verhaltensweisen, die konkret geschädigten Personen (Q. und R.) sowie der diesen durch das vorgeworfene Verhalten entstandene finanzielle Schaden dargelegt. Die Disziplinarklage enthält die Beweismittel, insbesondere den wesentlichen Inhalt der Zeugenaussagen, würdigt den als erwiesen angesehenen Tatvorwurf und stellt auch die vorsätzliche Begehung des Dienstvergehens fest.

30

Soweit aber in der Klageschrift ausgeführt wird, die tatsächliche Zahl der Geschädigten sowie die gezahlten Beträge lägen erheblich über den Feststellungen im strafrechtlichen Verfahren zum Verhalten des Beklagten gegenüber Q. und R., fehlt es an einer Darstellung i.S.v. § 52 Abs. 1 Satz 2 BDG. Der Vertreter der Klägerin hat aber in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass diese Umstände nicht Gegenstand der Disziplinarklage sein sollen.

31

b) Die formellen Mängel der Klageschrift im Hinblick auf den gegen den Beklagten erhobenen Vorwurf, eine dienstliche E-Mail-Adresse privat genutzt zu haben, sind unerheblich. Diese Handlungen sind vom Senat nach § 56 BDG ausgeschieden und nicht wieder in das Disziplinarverfahren einbezogen worden.

32

c) Unerheblich ist, dass die Klägerin in der Disziplinarklageschrift keinen bestimmten Antrag gestellt hat. § 52 Abs. 1 Satz 2 BDG schreibt dies im Gegensatz zu § 82 Abs. 1 Satz 2 VwGO nicht vor. Es bedarf keines Antrags des Dienstherrn, weil nach § 60 Abs. 2 Satz 2 BDG die Gerichte die erforderliche Disziplinarmaßnahme bestimmen (Urteile vom 20. Oktober 2005 a.a.O. S. 255 f. bzw. Rn. 16 und vom 3. Mai 2007 - BVerwG 2 C 9.06 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 3 Rn. 26).

33

Aufgrund der Beweisaufnahme sieht der Senat folgenden Sachverhalt als erwiesen an:

34

Am 2. März 2005 sprachen die beiden k. Staatsangehörigen Q. und R. aus M. bei der Deutschen Botschaft in B. vor, um in Erfahrung zu bringen, welche Voraussetzungen für ein Visum für die Bundesrepublik Deutschland erfüllt und welche Unterlagen vorgelegt werden müssen. In der Warteschlange wurden die beiden Interessenten vom l. Staatsangehörigen B. angesprochen, der ihnen gegen Geld seine Hilfe bei der Beschaffung der Visa anbot und auch darauf verwies, dass er die Kontaktperson zum Vizekonsul sei, der bei der Deutschen Botschaft für die Erteilung der Visa zuständig sei. Die beiden Interessenten nahmen das Hilfsangebot an und überwiesen, nachdem sie den "Vermittler" B. überprüft hatten, in der Folgezeit auf dessen Konto insgesamt ca. 12 Mio. COP (Peso Colombiano; ca. 3 800 €); außerdem übersandten sie ihm die für die Erteilung der Visa erforderlichen Unterlagen, darunter den Pass, ein Führungszeugnis und eine Kopie des Personalausweises. Als die beiden Interessenten insgesamt ca. 8 Mio. COP überwiesen hatten, bestellte sie Herr B. zur Übergabe der Visa nach B. Beim Treffen am 23. März 2005 bei einem Hotel in der Nähe der Deutschen Botschaft in B. konnte der "Vermittler" B. den Interessenten die zugesagten Visa nicht übergeben. Zur Beruhigung der beiden Interessenten zog Herr B. den Beklagten zu diesem Gespräch hinzu. Herr B. stellte den beiden Interessenten den Beklagten ohne Namensnennung als Mitarbeiter der Botschaft vor. Die beiden Interessenten, der "Vermittler" B. und der Beklagte begaben sich in eine in der Nähe der Botschaft gelegene Ladenpassage. Bei diesem Gespräch bezeichnete sich der Beklagte selbst als Vizekonsul und als der für die Erteilung der Visa zuständige Mitarbeiter der Botschaft. Der Beklagte sagte ferner, dass er die Visa bereits genehmigt habe und dass man nur auf die Freigabe zur Aushändigung aus Deutschland innerhalb von 15 Tagen warte. Bei dieser Aussage war dem Beklagten bewusst, dass die beiden Interessenten an Herrn B. Geld gezahlt hatten, damit dieser ihnen abredegemäß Visa beschafft. Am 24. März 2005 überwies Q. auf das Konto des Herrn B. weitere, von diesem für die Beschaffung der beiden Visa geforderte 1,7 Mio. COP. 15 Tage später rief Herr B. Q. an und bestellte die beiden Interessenten zur Übergabe der Visa in die Nähe der Deutschen Botschaft. Der "Vermittler" B. erschien aber nicht am vereinbarten Treffpunkt und war für die Interessenten auch telefonisch nicht zu erreichen. Die Interessenten warteten daraufhin mehrere Stunden vor der Deutschen Botschaft. Als der Beklagte das Botschaftsgebäude verließ, lehnte er jedes Gespräch mit ihnen über die Visa ab und verwies sie an den "Vermittler" B. Q. und R. wurden auch in der Folgezeit keine Visa erteilt.

35

1. Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich nicht bereits nach § 57 Abs. 1 Satz 1 BDG aus dem Urteil des Amtsgerichts T. vom 19. Mai 2009. Dieses Urteil ist für das gerichtliche Disziplinarverfahren nicht bindend, weil es zum tatsächlichen Geschehen keine Feststellungen trifft.

36

Gegenstand des Urteils vom 19. Mai 2009 ist nur das Strafmaß, nachdem der Beklagte seinen ursprünglich unbeschränkt erhobenen Einspruch gegen den Strafbefehl vom 29. Januar 2009 in der Hauptverhandlung nach § 410 Abs. 2 StPO auf das Strafmaß beschränkt hatte. Die Feststellungen zum Tatgeschehen beruhen lediglich auf dem im Schuldspruch rechtskräftigen Strafbefehl vom 29. Januar 2009.

37

Feststellungen in einem rechtskräftigen Strafbefehl kommt trotz seiner strafprozessualen Gleichstellung mit einem rechtskräftigen Urteil (§ 410 Abs. 3 StPO) keine Bindungswirkung i.S.v. § 23 Abs. 1 und § 57 Abs. 1 Satz 1 BDG zu. Dies ist in der Rechtsprechung zu § 18 BDO allgemein anerkannt (Urteil vom 16. Juni 1992 - BVerwG 1 D 11.91 - BVerwGE 93, 255 <258>). Hintergrund hierfür ist die Überlegung, dass nur solche tatsächlichen Feststellungen eine sichere Entscheidungsgrundlage für ein Disziplinarverfahren liefern können, die aufgrund der Sachverhaltsfeststellungen in einer Hauptverhandlung vor Gericht und nach richterlicher Beweiswürdigung getroffen worden sind. Demgegenüber liegt einem Strafbefehl lediglich eine in einem besonders geregelten summarischen Verfahren getroffene richterliche Entscheidung zugrunde. Er ergeht ohne Hauptverhandlung und gerichtliche Beweisaufnahme und bietet damit nicht das Maß an Ergebnissicherheit, das Voraussetzung für eine Bindungswirkung ist. Die in § 410 Abs. 3 StPO ausgesprochene Gleichstellung bestimmt lediglich den Umfang der Rechtskraft eines Strafbefehls (BTDrucks 10/1313, S. 38) und dient insoweit der prozessrechtlichen Klarstellung (Urteil vom 8. Juni 2000 - BVerwG 2 C 20.99 - Buchholz 237.7 § 51 NWLBG Nr. 1).

38

Aus der Entstehungsgeschichte der §§ 23 und 57 BDG (Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Bundesdisziplinarrechts, BTDrucks 14/4659, S. 41 f. und 49) ist zu schließen, dass der Gesetzgeber in Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtsprechung den rechtskräftigen Strafbefehl hinsichtlich der Bindungswirkung nicht einem rechtskräftigen Strafurteil gleichgestellt hat (Gansen, Disziplinarrecht in Bund und Ländern, § 23 Rn. 4; Weiß, a.a.O. § 23 Rn. 24; Hummel/Köhler/Mayer, BDG, 5. Aufl., § 23 Rn. 2). Denn der Bundesgesetzgeber ist einem entsprechenden Vorschlag des Bundesrates im Gesetzgebungsverfahren nicht gefolgt (BTDrucks 14/4659, S. 59 f.; vgl. dazu Gegenäußerung der Bundesregierung, BTDrucks 14/4659, S. 64).

39

Auch die Anwendung des § 57 Abs. 2 BDG ist ausgeschlossen, wonach die in einem anderen gesetzlich geordneten Verfahren getroffenen tatsächlichen Feststellungen nicht bindend sind, aber der Entscheidung ohne erneute Prüfung zugrunde gelegt werden können. Denn der Beklagte bestreitet substantiiert die im Strafbefehl vom 29. Januar 2009 getroffenen Feststellungen zu seinem Verhalten im Zusammenhang mit der Beantragung von Schengen-Visa durch Q. und R. im März 2005. Wegen des im Wortlaut angelegten Regel-Ausnahme-Verhältnisses und des systematischen Zusammenhangs mit der in § 58 Abs. 1 BDG geregelten gerichtlichen Aufklärungspflicht ist für die Anwendung des § 57 Abs. 2 BDG nur Raum, wenn die Richtigkeit der anderweitig festgestellten Tatsachen vom betroffenen Beamten im gerichtlichen Disziplinarverfahren nicht substantiiert angezweifelt wird (Beschluss vom 4. September 2008 - BVerwG 2 B 61.07 - Buchholz 235.1 § 58 BDG Nr. 4 Rn. 8 m.w.N.).

40

2. a) Die tatsächlichen Feststellungen beruhen vorrangig auf den konsularischen Vernehmungen der k. Staatsangehörigen Q. und R. durch den Zeugen S. vom 26. Februar 2007 und des l. Staatsangehörigen B. durch den Zeugen Dr. vom 13. April 2007. Wie in der mündlichen Verhandlung festgestellt, befinden sich in der vom Senat beigezogenen Strafakte die von den vernommenen Personen eigenhändig unterschriebenen und in spanischer Sprache abgefassten Originale der Niederschriften über die in Spanisch geführten Vernehmungen. Bei den Vernehmungen haben die Zeugen S. und Dr. die für ihre Amtstätigkeit als Konsularbeamte geltenden Schranken nach § 4 KonsG beachtet. Das Wiener Übereinkommen vom 24. April 1963 über konsularische Beziehungen (BGBl II 1969 S. 1585), das in seinem Art. 5 die von einer konsularischen Vertretung im Empfangsstaat wahrzunehmenden konsularischen Aufgaben aufführt, ist nach seinem Art. 77 Abs. 2 für K. am 6. Oktober 1972 in Kraft getreten (Bekanntmachung über den Geltungsbereich des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen vom 15. Februar 1973, BGBl II S. 166). Nach § 15 Abs. 4 KonsG stehen die Vernehmungen und die über sie aufgenommenen Niederschriften den Vernehmungen sowie den darüber aufgenommenen Niederschriften inländischer Gerichte und Behörden gleich.

41

Die Zeugen S. und Dr. haben den Inhalt der Vernehmungen gegenüber dem erkennenden Gericht überzeugend wiedergegeben. Der Senat hält die Bekundungen der k. Staatsangehörigen Q. und R. für glaubhaft, diejenigen des l. Staatsangehörigen B. allerdings nur im Kern insoweit, als er eine Zusammenarbeit mit dem Beklagten angegeben und die Überweisung der geforderten 12 Mio. COP auf sein Konto bestätigt hat.

42

Das Ergebnis der konsularischen Vernehmungen ist durch die Bekundungen der vom Senat vernommenen Zeugen U. und P. über den Inhalt im Frühjahr 2006 geführter informatorischer Gespräche mit den beiden k. Staatsangehörigen Q. und R., dem l. Staatsangehörigen B. und der bei der k. Generalstaatsanwaltschaft zuständigen Sachbearbeiterin bestätigt worden. Kopien der Belege für die Überweisungen der Geschädigten an den "Vermittler" B. befinden sich in der Akte des Rechtshilfeersuchens. Bestandteil der beigezogenen Strafakten der Staatsanwaltschaft Be. sind auch die Unterlagen des an die Republik K. gerichteten Rechtshilfeersuchens der Staatsanwaltschaft Be. vom 15. Juni 2007. Zudem haben die beiden Zeugen U. und P. inhaltlich übereinstimmend glaubhaft ausgesagt, dass Q. und R. im Rahmen ihres Gesprächs in einem Café in M. am 16. Mai 2006 den Beklagten anhand von sechs Fotos als denjenigen Mitarbeiter der Botschaft identifiziert haben, der sich ihnen gegenüber am 23. März 2005 als Vizekonsul bezeichnet und ihnen zugleich versichert hat, die von ihnen beantragten Visa seien bereits bewilligt und könnten in ungefähr zwei Wochen ausgehändigt werden. Auch im Rahmen ihrer konsularischen Vernehmungen haben die beiden k. Staatsangehörigen den Beklagten auf den insgesamt sechs Fotos wiedererkannt.

43

Bei der Würdigung des Umstands, dass Q. und R. jeweils im Mai 2006 und im Februar 2007 den Beklagten auf den ihnen vorgelegten Bildern erkannt haben, berücksichtigt der Senat, dass einem Zeugen bei einer Wahllichtbildvorlage nacheinander Lichtbilder von wenigstens acht Personen vorgelegt werden sollen. Denn ein Zeuge kann bei dieser größeren Vergleichszahl etwaige Unsicherheiten in seiner Beurteilung besser erkennen und dementsprechend offen legen, so dass eine Wiedererkennung unter (mindestens) acht Vergleichspersonen einen höheren Beweiswert gewinnen kann (BGH, Beschluss vom 9. November 2011 - 1 StR 524/11 - NJW 2012, 791, Rn. 6 f. m.w.N.). Dies schließt es aber nicht aus, das Ergebnis einer Wiedererkennung im Rahmen einer auf fünf vergleichbare Porträtfotos beschränkten Wahllichtbildvorlage in die Gesamtwürdigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme einzubeziehen. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die beiden Geschädigten, die dem Beklagten nicht nur am 23. März 2005 persönlich begegnet sind, sondern diesen auch ca. zwei Wochen später nach mehrstündigem Warten vor dem Gebäude der Deutschen Botschaft wiedererkannt und von sich aus auf den Verbleib der ihnen zugesagten Visa angesprochen haben, diesen auf einem Gruppenfoto der Beschäftigten der Deutschen Botschaft - unter ca. 35 Personen - wiedererkannt haben.

44

Die Angaben der Zeugen S., U. und P. zum Inhalt der Äußerungen des unmittelbar geschädigten Q. zum Verhalten des Beklagten sowie des "Vermittlers" B. decken sich zudem mit dessen Schilderungen gegenüber der k. Staatsanwaltschaft im Rahmen des dort gegen den "Vermittler" B. wegen des Verdachts des Betrugs geführten Ermittlungsverfahrens. In der eigentlichen Anzeige vom 3. Mai 2005 sowie in seiner weiteren Vernehmung vom 25. Juli 2006 aus Anlass des Scheiterns der zwischen dem "Vermittler" B. und der k. Staatsanwaltschaft getroffenen Gütevereinbarung hat der Geschädigte Q. den Sachverhalt übereinstimmend dargestellt. Dort hat dieser auch geschildert, dass sich Herr B. bereits beim ersten Zusammentreffen am 2. März 2005 berühmt hatte, die Kontaktperson zu dem in der Deutschen Botschaft für die Erteilung von Visa zuständigen Bediensteten zu sein. Inhaltlich im Wesentlichen übereinstimmend sind auch die verschiedenen Angaben des Herrn Q. zu den in der Nähe der Deutschen Botschaft gelegenen Örtlichkeiten der Zusammentreffen mit dem "Vermittler" B. und mit dem Beklagten am 23. März 2005.

45

b) Aus seinen Angaben im zweiten Teil des mit Mitarbeitern des BND geführten Sicherheitsgesprächs vom 30. März 2006 sowie in der Beschuldigtenvernehmung vom 20. September 2007 ergibt sich, dass dem Beklagten seit November 2004 bekannt war, dass sein Bekannter B. für seine "Vermittlungstätigkeit" von den Visa-Antragstellern Geldzahlungen erhielt. Die vom Beklagten unterschriebene Niederschrift über das Sicherheitsgespräch ist im Disziplinarverfahren verwertbar.

46

§ 54 Satz 3 BBG a.F. (in der Fassung der Bekanntmachung vom 31. März 1999, BGBl I S. 675) sieht vor, dass das Verhalten eines Beamten der Klägerin innerhalb und außerhalb des Dienstes der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden muss, die sein Beruf erfordert. Nach § 55 Satz 1 BBG a.F. hat ein Beamter seine Vorgesetzten zu beraten und zu unterstützen. Hieraus folgt, dass der Beamte in dienstlichen Angelegenheiten wahrheitsgemäß und vollständig zu berichten hat (Urteil vom 27. August 1997 - BVerwG 1 D 49.96 - BVerwGE 113, 118 <126 f.> = Buchholz 232 § 52 BBG Nr. 9). Über diese Pflicht ist der Beklagte von Mitarbeitern des BND zu Beginn des Gesprächs und unmittelbar vor der Korrektur seiner bisherigen Aussage zu seinen Kontakten zum "Vermittler" B. auch noch nach seiner Rückversetzung in das Inland zutreffend belehrt worden. Die Bediensteten des BND haben den Beklagten auch auf das ihm zustehende Recht hingewiesen, die Aussage zu verweigern, wenn er sich dabei strafrechtlich belasten würde. Vor dem Abschluss des Sicherheitsgesprächs bestand auch noch keine Dienstpflicht zur Einleitung eines Disziplinarverfahrens i.S.v. § 17 Abs. 1 Satz 1 BDG mit der Folge, dass der Beklagte nach § 20 Abs. 1 Satz 3 BDG darauf hinzuweisen gewesen wäre, dass es ihm freistehe, sich schriftlich zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen und sich jederzeit eines Bevollmächtigten oder Beistands zu bedienen. Die Einleitung des Disziplinarverfahrens kam frühestens im Anschluss an dieses Gespräch in Betracht. Denn erst aufgrund der Angaben des Beklagten im Gespräch vom 30. März 2006 hatte der Dienstvorgesetzte von solchen Tatsachen Kenntnis erlangt, aufgrund derer die hinreichende Wahrscheinlichkeit bestand, dass der Beklagte schuldhaft seine Dienstpflichten in disziplinarrechtlich relevanter Weise verletzt hatte.

47

c) Der Beklagte ist in der mündlichen Verhandlung zu den Ereignissen in K. sowie zu den Aussagen der Zeugen in Bezug auf die Angaben der Geschädigten Q. und R. zu seinem Verhalten und zu dem des "Vermittlers" B. im Zusammenhang mit der Beantragung von Visa im Frühjahr 2005 angehört worden. Seine Äußerungen beschränkten sich im Wesentlichen auf Ausflüchte oder auf die Geltendmachung von Erinnerungslücken. Ihn belastende Angaben im Sicherheitsgespräch oder Unterschiede zwischen diesen Angaben und seinen Äußerungen in der mündlichen Verhandlung hat er nicht plausibel zu erklären vermocht.

48

In der zweiten Hälfte des Sicherheitsgesprächs vom März 2006 hatte es der Beklagte zumindest nicht ausgeschlossen, dass er sich im Verlauf eines von seinem Bekannten B. initiierten Telefongesprächs, in dem es um Visa-Anträge und Geldüberweisungen an Herrn B. ging, gegenüber dem ihm unbekannten Gesprächspartner des Herrn B. selbst als Konsul vorgestellt hat. Bei seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung ist ihm diese Aussage vorgehalten worden; er hat dann aber nachdrücklich bestritten, sich jemals so vorgestellt zu haben. Diese gravierende Abweichung konnte der Beklagte nicht erklären.

49

Wenig überzeugend sind auch die Reaktionen des Beklagten auf andere Vorhalte aus der Niederschrift über das Sicherheitsgespräch vom 30. März 2006 gewesen. Dies gilt insbesondere für seine Schilderung im Sicherheitsgespräch, eine ihm unbekannte Person per Telefon aufgefordert zu haben, eine Überweisung zu veranlassen, damit Anträge für Visa positiv beschieden werden können. Im Sicherheitsgespräch vom März 2006 hatte der Beklagte noch ausgesagt, im Januar 2006 habe ihm sein Bekannter B. telefonisch mitgeteilt, Visa-Antragsteller, die Geld auf dessen Konto eingezahlt hätten, ohne dass die Visa erteilt worden seien, hätten bei der Staatsanwaltschaft Anzeige erstattet. In der mündlichen Verhandlung konnte sich der Beklagte an dieses Telefonat und seinen ihn belastenden Inhalt nicht mehr erinnern.

50

Unglaubhaft ist auch die Angabe des Beklagten, er habe sich deshalb bereit erklärt, ihm vom "Vermittler" B. übergebene Visa-Anträge auf "formale" Richtigkeit zu überprüfen, um diesen als nachrichtendienstliche Verbindung zu halten und um damit an für den BND bedeutsame nachrichtendienstliche Informationen zu gelangen. Denn da nach den Vorgaben des BND Mitarbeiter einer BND-Residentur dienstlich gerade nicht mit der Erteilung von Visa befasst sind, hätte es sich aus Sicht eines Mitarbeiters einer BND-Residentur geradezu aufgedrängt, die - angeblich - im Rahmen einer nachrichtendienstlichen Zusammenarbeit mit Herrn B. vorgenommene Kontrolle von Visa-Anträgen dem unmittelbaren Dienstvorgesetzten mitzuteilen. Die Brisanz seiner Befassung mit Visa-Angelegenheiten im Rahmen seines Kontakts zu der nachrichtendienstlichen Quelle B. als Mitarbeiter des BND an der Deutschen Botschaft war dem Beklagten durchaus bewusst. Denn er hat diese Tätigkeit in der mündlichen Verhandlung selbst als "heikle Angelegenheit" bezeichnet. Der Zeuge P. hat aber in Übereinstimmung mit dem Beklagten ausgesagt, dass er von dieser Tätigkeit des Beklagten keine Kenntnis hatte.

51

d) Der Umstand, dass der "Vermittler" B. mit den beiden Interessenten Anfang April 2005 telefonisch einen bestimmten Termin zur Aushändigung der Visa vereinbart hat, obwohl er die versprochene Gegenleistung tatsächlich nicht erbringen konnte, steht den Feststellungen nicht entgegen. Aus dem schriftlichen Bericht des Zeugen P. über das Treffen mit Q. und R. am 16. Mai 2006, der Teil der Strafakte ist, ergibt sich, dass der "Vermittler" B. häufig und regelmäßig mit diesen telefonisch in Kontakt getreten ist, so dass sie dies als Ausdruck seines hohen Interesses und Engagements gewertet haben. Auch vor dem Zusammentreffen vom 23. März 2005, an dem Herr B. die versprochenen Visa nicht aushändigen konnte und zur Beruhigung der Interessenten den Beklagten als den Garanten der Erteilung der Visa präsentiert hatte, hatte der "Vermittler" B. Q. und R. telefonisch nach B. bestellt.

52

e) Angesichts der aufgeführten Beweismittel bedurfte es zur Feststellung des Verhaltens des Beklagten im Zusammenhang mit der Zusage der Erteilung von Visa an Q. und R. im Frühjahr 2005 nicht der unmittelbaren Vernehmung der im Ausland zu ladenden Zeugen R., Q. und B.

53

3. Nach der im Verwaltungsprozess entsprechend anwendbaren Bestimmung des § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO kann ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre, abgelehnt werden, wenn er nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die das Bundesverfassungsgericht gebilligt hat (Kammerbeschluss vom 21. August 1996 - 2 BvR 1304/96 - NJW 1997, 999 f.), ist für die Anwendung des § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO maßgebend, ob die Erhebung des beantragten Beweises ein Gebot der Aufklärungspflicht ist (BGH, Urteil vom 18. Januar 1994 - 1 StR 745/93 - BGHSt 40, 60 <62> = NJW 1994, 1484 f., Beschluss vom 5. September 2000 - 1 StR 325/00 - NJW 2001, 695 f.). Es ist dem Richter erlaubt und aufgegeben, das bisherige Ergebnis der Beweisaufnahme zugrunde zu legen. Das sonst im Beweisantragsrecht weitgehend herrschende Verbot einer Beweisantizipation gilt nicht. Die Entscheidung über den Beweisantrag darf davon abhängig gemacht werden, welche Ergebnisse von der Beweisaufnahme zu erwarten sind und wie diese zu erwartenden Ergebnisse zu würdigen wären (Beschluss vom 20. Mai 1998 - BVerwG 7 B 440.97 - Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 153).

54

a) Nach diesen Grundsätzen hat der Senat den Antrag des Beklagten abgelehnt, die in K. zu ladenden Q. und R. als Zeugen in der mündlichen Verhandlung dazu zu vernehmen, ob sie mit dem Beklagten zusammengetroffen sind und was der Beklagte mit ihnen beredet hat. Der Vertreter des Beklagten hat den in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag in Übereinstimmung mit seinem schriftlichen Antrag vom 27. März 2012 damit begründet, die Glaubwürdigkeit von Q. und R. sei zweifelhaft und müsse durch eine Vernehmung durch den Senat geklärt werden.

55

Die Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts (§ 58 Abs. 1 BDG, § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO) gebietet hier die Vernehmung der beiden k. Staatsangehörigen durch den Senat zur Klärung ihrer Glaubwürdigkeit nicht. Gemäß § 58 Abs. 1 BDG erhebt das Gericht die erforderlichen Beweise. Demnach hat es grundsätzlich selbst diejenigen Tatsachen festzustellen, die für den Nachweis des Dienstvergehens und die Bemessung der Disziplinarmaßnahme von Bedeutung sind (BTDrucks 14/4659, S. 49 zu § 58 BDG). Entsprechend § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO folgt daraus grundsätzlich die Verpflichtung, diejenigen Maßnahmen zur Sachaufklärung zu ergreifen, die sich nach Lage der Dinge aufdrängen. Aufgrund der beigezogenen Akten und der Aussagen der Zeugen in der mündlichen Verhandlung ist der Senat von der Glaubwürdigkeit der beiden k. Staatsangehörigen überzeugt, so dass die gerichtliche Aufklärungspflicht nicht die persönliche Befragung der Zeugen durch den Senat erfordert.

56

Für die Glaubwürdigkeit des Geschädigten Q. spricht insbesondere, dass er den Sachverhalt und das Verhalten des Beklagten anlässlich der beiden Zusammentreffen am 23. März 2005 und Anfang April 2005 viermal geschildert hat, ohne sich in Widersprüche zu verwickeln oder seine Darstellung zum Nachteil des Beklagten auszuschmücken oder zu steigern. Die jeweiligen Angaben des Herrn Q. stehen aufgrund der Beweisaufnahme fest. Der Inhalt seiner Aussage anlässlich der Erstattung der Anzeige bei der k. Staatsanwaltschaft vom 3. Mai 2005 sowie seine Äußerung gegenüber dieser Staatsanwaltschaft vom 25. Juli 2006 nach dem Scheitern der Gütevereinbarung ergeben sich aus der Antwort auf das Rechtshilfeersuchen der Staatsanwaltschaft Be. Über die nach Belehrung von Herrn Q. gemachten Angaben beim Zusammentreffen mit den Mitarbeitern der Deutschen Botschaft in B. U. und P. in einem Café in M. am 16. Mai 2006 sind diese in der mündlichen Verhandlung als unmittelbare Zeugen vernommen worden. Der Inhalt der Aussage des Zeugen Q. bei seiner k. Vernehmung durch den Zeugen S. am 26. Februar 2007 ergibt sich zum einen aus der von ihm eigenhändig unterschriebenen Niederschrift über diese Vernehmung sowie aus den Angaben des Zeugen S. in dessen Vernehmung durch den beauftragten Richter vom 12. März 2012.

57

Auch Frau R. hat Verhalten und Aussagen des Beklagten mehrfach geschildert, ohne ihre Darstellung abzuändern oder sich in Widersprüche zu verwickeln. Gemeinsam mit Herrn Q. hatte sie sich mit den Zeugen U. und P. am 16. Mai 2006 in einem Café in M. getroffen und nach einer Belehrung über ihre Pflicht zur vollständigen und wahrheitsgemäßen Aussage über Angaben und Verhalten des Beklagten am 23. März 2005 und Anfang April 2005 berichtet. Auch Frau R. ist vom Zeugen S. am 26. Februar 2007 in der Deutschen Botschaft konsularisch vernommen worden und hat die in Spanisch abgefasste Niederschrift über diese Vernehmung eigenhändig unterschrieben.

58

Für die Glaubwürdigkeit der beiden geschädigten k. Staatsangehörigen spricht ferner, dass sie gegenüber den Zeugen U. und P. anlässlich des Treffens in einem Café in M. am 16. Mai 2006 freimütig eingeräumt haben, gegenüber der k. Staatsanwaltschaft die Angaben über ihre Zahlungen an Herrn B. um ca. 5 Mio. COP erhöht zu haben, um auf diese Weise die ihnen entstandenen Unkosten für die Reisen von ihrem Heimatort M. nach B. auszugleichen. Ihre Glaubwürdigkeit ergibt sich auch aus ihrem Eingeständnis gewusst zu haben, dass die Erlangung von Schengen-Visa auf dem vom "Vermittler" B. vorgeschlagenen Weg nicht legal war. Herrn Q. war nach seinen Angaben bei der konsularischen Vernehmung zudem bewusst, dass er nicht über die erforderlichen finanziellen Mittel verfügte, um im vorgeschriebenen Verfahren ein Visum zu erhalten.

59

Die Zeugen U. und P., die insoweit unmittelbare Zeugen und nicht nur Zeugen vom Hörensagen sind, haben das Verhalten der Frau R. sowie des Herrn Q. anlässlich ihres Treffens in M. am 16. Mai 2006 eingehend geschildert. Das geschilderte Verhalten spricht für die Glaubwürdigkeit der Geschädigten und die Glaubhaftigkeit ihrer Angaben zum Verhalten des Beklagten. Die von den Zeugen U. und P. übereinstimmend geschilderte anfängliche Zurückhaltung der beiden k. Staatsangehörigen gegenüber den Mitarbeitern der Deutschen Botschaft ist von den beiden Geschädigten nachvollziehbar begründet worden. Die beiden K. gingen zunächst davon aus, ihnen drohten durch die beiden Mitarbeiter der Botschaft seitens der Botschaft oder seitens des Herrn B. Repressalien. Die Geschädigten hatten sich vor dem Gespräch mit den Zeugen U. und P. bei der k. Staatsanwaltschaft nach dem Hintergrund der Kontaktaufnahme durch Mitarbeiter der Deutschen Botschaft erkundigt und haben ihre anfängliche Zurückhaltung im Gespräch vom 16. Mai 2006 erst nach der Klarstellung durch die Zeugen U. und P. aufgegeben, dass das Gespräch ausschließlich dazu diene, das Verhalten eines Mitarbeiters der Botschaft im Zusammenhang mit ihren Visa-Anträgen aufzuklären. Im Anschluss hieran haben die beiden Geschädigten den Sachverhalt inhaltlich übereinstimmend berichtet und dabei auch freimütig eigenes Fehlverhalten, d.h. das "Aufschlagen" von ca. 5 Mio. COP auf die an Herrn B. tatsächlich gezahlte Gesamtsumme von 12 Mio. COP zur Abdeckung der ihnen entstandenen Reisekosten, eingeräumt. Die Angaben des Zeugen P. in der mündlichen Verhandlung zu Auftreten und Äußerungen der beiden Geschädigten anlässlich des Gesprächs vom 16. Mai 2006 decken sich mit seinem detaillierten, an die Zentrale des BND gerichteten Bericht vom 17. Mai 2006, der Bestandteil der Strafakte ist.

60

Die Zeugin U., eine erfahrene Kriminalbeamtin, hat die beiden Geschädigten aufgrund ihres Verhaltens anlässlich des Zusammentreffens in M. am 16. Mai 2006 als glaubwürdig angesehen. Für diese Einschätzung spricht nach Auffassung des Senats insbesondere, dass die beiden Geschädigten nach den deckungsgleichen Aussagen der Zeugen U. und P. ihre Antworten im Gespräch vom 16. Mai 2006 nicht bedenken mussten, sondern spontan und inhaltlich übereinstimmend ausgesagt haben. Ferner haben sie sich auch auf Nachfragen der beiden Mitarbeiter der Botschaft nicht in Widersprüche verwickelt. Nach den Bekundungen der Zeugen U. und P. haben die beiden Geschädigten den Sachverhalt und das Verhalten des Beklagten am 16. Mai 2006 ohne größere Emotionen oder Ärger geschildert. Dies deckt sich mit der Beurteilung des Verhaltens der Geschädigten durch die Zeugin D.. Diese hat in der mündlichen Verhandlung ausgesagt, die beiden k. Staatsangehörigen hätten bei ihren konsularischen Vernehmungen am 26. Februar 2007 einen ruhigen Eindruck gemacht. Sie hätten die ihnen gestellten Fragen flüssig und ohne sichtliche Emotionen gegenüber dem Beklagten beantwortet. Triebfeder für das Vorgehen der Geschädigten Q. und R. ausschließlich gegen den "Vermittler" B. war der Umstand, dass sie an diesen ganz erhebliche Geldzahlungen geleistet hatten, ohne die ihnen von diesem zugesagte Gegenleistung zu erhalten.

61

b) Die Geschädigten wären unglaubwürdig, wenn sich Anhaltspunkte für die These finden ließen, sie hätten den Beklagten als Mitarbeiter der Deutschen Botschaft nur deshalb der Mitwirkung bei ihrem Versuch der illegalen Erlangung von Visa bezichtigt, um diesen persönlich oder mittelbar die deutsche Botschaft unter Hinweis auf eine drohende Veröffentlichung zur Rückzahlung der von ihnen an den "Vermittler" B. gezahlten Gesamtsumme von 12 Mio. COP drängen zu können. Für diese "Komplotttheorie" oder die Tendenz der Geschädigten, den Beklagten durch unrichtige Angaben zu belasten, fehlt jedoch jeglicher Anhalt.

62

Wie die beiden Geschädigten bei ihren konsularischen Vernehmungen übereinstimmend ausgesagt haben, ging es ihnen zwar darum, die ganz erhebliche Summe von 12 Mio. COP, die sie sich darlehnsweise beschafft und als Gegenleistung für die zugesagte Beschaffung der beiden Visa an Herrn B. auf dessen Konten überwiesen hatten, zurückzuerhalten. Die Ernsthaftigkeit dieses Bestrebens ist durch den Umstand belegt, dass Herr Q. den "Vermittler" B. bereits am 3. Mai 2005, d.h. nur kurze Zeit nach der ausgebliebenen Aushändigung der Visa, bei der Staatsanwaltschaft wegen Betrugs angezeigt hat. Wäre es dem Geschädigten darum gegangen, einen Mitarbeiter der Botschaft zu Unrecht einer Mitwirkung zu bezichtigen, um einen weiteren, auch solventen Schuldner ihres Anspruchs auf Rückerstattung zu "konstruieren", so hätte es sich aufgedrängt, zeitgleich mit der Erstattung der Strafanzeige gegen Herrn B. bei der Deutschen Botschaft vorstellig zu werden, um den Beschäftigten oder die Deutsche Botschaft, z.B. durch die Drohung einer Veröffentlichung von Einzelheiten, zur Zahlung zu bewegen. Tatsächlich haben jedoch die Geschädigten von sich aus jeden Kontakt zum Beklagten oder der Deutschen Botschaft gemieden. Nicht die Geschädigten, sondern der "Vermittler" B. ist an die Botschaft herangetreten und hat diese vor dem Hintergrund des Ablaufs der in der Gütevereinbarung festgesetzten Frist zur Rückzahlung durch die Androhung der Veröffentlichung "unangenehmer Details" zur Zahlung der Gesamtsumme von 12 Mio. COP gedrängt. Zwar war Herrn Q. zum Zeitpunkt der Erstattung seiner Anzeige am 3. Mai 2005 der Name des Beklagten noch nicht bekannt. Nach seiner konsularischen Vernehmung hat er diesen aber im Verlauf des gegen Herrn B. bei der Staatsanwaltschaft geführten Verfahrens erfahren. Obwohl die Geschädigten den Mitarbeiter der Botschaft später namentlich benennen und zudem dessen auffällige Erscheinung bereits zum Zeitpunkt der Anzeigeerstattung detailliert beschreiben konnten, haben sie sich ausschließlich an den "Vermittler" B. als denjenigen gehalten, an den sie die verschiedenen Zahlungen geleistet hatten.

63

Dieser Zurückhaltung der Geschädigten gegenüber der Deutschen Botschaft und ihren Mitarbeitern widerspricht auch nicht der Umstand, dass die beiden k. Staatsangehörigen Anfang April 2005 vor dem Gebäude der Deutschen Botschaft mehrere Stunden auf das Erscheinen des Beklagten gewartet haben, um diesen nach dem Verbleib der ihnen vom "Vermittler" B. für diesen Tag zugesagten Visa zu fragen. Denn für die beiden Geschädigten war der Beklagte an diesem Tag, an dem sie ausschließlich wegen der angekündigten Erteilung der Visa von M. nach B. geflogen waren, die einzige Person, die ihnen nach dem Ausbleiben des Herrn B. vor Ort Auskunft hätte geben können.

64

1. Durch das festgestellte Verhalten hat der Beklagte die ihm nach § 54 Satz 2 und 3 sowie § 70 Satz 1 BBG a.F. obliegenden Pflichten vorsätzlich, rechtswidrig und schuldhaft verletzt. Er hat gegen die Pflicht verstoßen, sein Amt uneigennützig nach bestem Gewissen zu verwalten, gegen die Pflicht zum achtungs- und vertrauenswürdigen Verhalten sowie gegen das Verbot, in Bezug auf das Amt geldwerte Vorteile anzunehmen. Damit hat der Beklagte ein Dienstvergehen i.S.v. § 77 Abs. 1 Satz 1 BBG a.F. begangen.

65

Im Hinblick auf den Verstoß gegen § 70 Satz 1 BBG a.F. ist es unerheblich, dass der Beklagte nach der Aufgabenverteilung in der Deutschen Botschaft in B. mit der Erteilung von Visa dienstlich nicht befasst war und die Geschädigten Q. und R. die geforderten Zahlungen an den "Vermittler" B. geleistet haben. Denn der Tatbestand des § 70 Satz 1 BBG a.F. ist bereits dadurch erfüllt, dass Q. an den "Vermittler" B. nach dem Zusammentreffen mit dem Beklagten am 23. März 2005 Geld für die Beschaffung von Visa überwiesen hat und der Beklagte im Zusammenwirken mit dem "Vermittler" B. gegenüber den Geschädigten wahrheitswidrig den Eindruck erweckt hat, er werde ihnen im Hinblick auf die an B. geleisteten Zahlungen die von diesem als Gegenleistung versprochenen Visa verschaffen.

66

Zweck des Verbots nach § 70 Satz 1 BBG a.F. ist es, bereits den bloßen Anschein zu vermeiden, dienstliche Handlungen seien durch Gefälligkeiten beeinflussbar und Amtshandlungen seien käuflich (Urteile vom 14. Dezember 1995 - BVerwG 2 C 27.94 - BVerwGE 100, 172 <176 f.> = Buchholz 236.1 § 19 SG Nr. 1 S. 5, vom 22. Oktober 1996 - BVerwG 1 D 76.95 - BVerwGE 113, 4 <5 f.> = Buchholz 232 § 70 BBG Nr. 4 und vom 23. November 2006 - BVerwG 1 D 1.06 - Buchholz 232 § 70 BBG Nr. 12 Rn. 29). Anknüpfungspunkt des gesetzlichen Verbots ist nicht das enge Gebiet der Amtshandlungen des Beamten, sondern nach dem Wortlaut sowohl das Amt im abstrakt- oder konkret-funktionellen Sinn als auch das Amt im statusrechtlichen Sinn (Urteil vom 20. Februar 2002 - BVerwG 1 D 19.01 - Buchholz 232 § 70 BBG Nr. 11 S. 18 f.). Danach besteht der in § 70 Satz 1 BBG a.F. geforderte Bezug zum Amt bereits dann, wenn nach den Umständen des Einzelfalls sich der Geber davon leiten lässt, dass der Bedienstete dienstlich tätig wird oder geworden ist. Es reicht aus, wenn, wie hier, nach den erkennbaren Vorstellungen und Motiven des Gebers der Gesichtspunkt der Anstellung oder dienstlichen Tätigkeit des Beamten zumindest mitkausal ist (Urteile vom 14. Dezember 1995 a.a.O. S. 176 bzw. S. 5 und vom 20. Februar 2002 a.a.O. S. 19). Auch dann, wenn der Beamte unter Hinweis auf seine Dienststellenzugehörigkeit beim Zuwender lediglich den wahrheitswidrigen Anschein erweckt hat, auf die begehrte Entscheidung der Dienststelle in irgendeiner Weise Einfluss nehmen zu können, ist der Bezug zum Amt gegeben.

67

Entsprechend dem Zweck des § 70 Satz 1 BBG a.F., bereits den Anschein der Käuflichkeit von Diensthandlungen zu vermeiden, werden von dem Verbot auch solche Belohnungen und Geschenke erfasst, die nicht dem Beamten persönlich, sondern einem Dritten zufließen, bei denen aber nicht der Dritte, sondern der Beamte wegen seiner dienstlichen Stellung oder seiner dienstlichen Handlungen den Grund für die Zuwendung bildet (Urteil vom 20. Februar 2002 a.a.O.; Plog/Wiedow, BBG alt, § 70 Rn. 3; Zängl, in: GKÖD, Bd. I, BBG, K § 70 Rn. 22; Schütz/Maiwald, Beamtenrecht des Bundes und der Länder, § 76 LBG NRW a.F. Rn. 24). Diese Voraussetzung ist hier erfüllt, weil Herr Q. dem "Vermittler" B. - erneut - Geld zur Erlangung der Visa überwiesen hat, nachdem die Interessenten mit dem Beklagten am 23. März 2005 zusammengetroffen waren und dieser ihnen die Erteilung der Visa zugesichert hatte. Auch der Gesetzgeber geht offenkundig davon aus, dass das Verbot der Annahme von Belohnungen oder Geschenken auch Zuwendungen an Dritte erfasst, wenn Motiv für die Gewährung des Vorteils die dienstliche Stellung des Beamten oder seine dienstlichen Handlungen sind. Denn in § 71 Abs. 1 Satz 1 BBG in der Fassung des Dienstrechtsneuordnungsgesetzes vom 5. Februar 2009 (BGBl I S. 160) ist nunmehr ausdrücklich bestimmt, dass Beamtinnen und Beamte keine Belohnungen, Geschenke oder sonstige Vorteile für sich oder einen Dritten in Bezug auf ihr Amt fordern, sich versprechen lassen oder annehmen dürfen. Inhaltlich ist aber mit der Neufassung der Vorschrift keine Änderung gegenüber der Vorgängerreglung des § 70 BBG a.F. verbunden (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BTDrucks 16/7076, S. 117).

68

Auf die dem § 54 Satz 2 und 3 sowie § 70 Satz 1 BBG a.F. entsprechenden Regelungen des § 61 Abs. 1 Satz 2 und 3 BBG n.F. und § 71 Abs. 1 Satz 1 BBG n.F. ist nicht abzustellen, weil die Vorschriften mit Ausnahme der redaktionellen Anpassung an die geschlechtergerechte Sprache mit den Vorgängerregelungen übereinstimmen und damit für den Beklagten gegenüber der zum Tatzeitpunkt geltenden Rechtslage keine günstigere Regelung geschaffen haben, auf die er sich nach dem Rechtsgedanken des § 2 Abs. 3 StGB im Disziplinarverfahren berufen könnte (vgl. Urteile vom 25. August 2009 - BVerwG 1 D 1.08 - Buchholz 232.0 § 77 BBG 2009 Nr. 1 Rn. 33, vom 25. März 2010 - BVerwG 2 C 83.08 - BVerwGE 136, 173 = Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 11 jeweils Rn. 17 und vom 19. August 2010 - BVerwG 2 C 5.10 - Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 12 Rn. 11).

69

2. Das Dienstvergehen hat der Beklagte innerdienstlich begangen. Das pflichtwidrige Verhalten war in sein Amt und die damit verbundene dienstliche Tätigkeit eingebunden (Urteile vom 25. August 2009 Rn. 54, insoweit in Buchholz 232.0 § 77 BBG 2009 Nr. 1 nicht abgedruckt, und vom 29. Juli 2010 - BVerwG 2 A 4.09 - juris Rn. 194). Das Auftreten als Vizekonsul der Deutschen Botschaft gegenüber den Interessenten sowie das Inaussichtstellen von Visa war dem Beklagten allein aufgrund seiner dienstlichen Stellung als Mitarbeiter der Deutschen Botschaft möglich.

70

Den Verwaltungsgerichten ist durch § 60 Abs. 2 Satz 2 BDG die Disziplinarbefugnis in den durch die Disziplinarklage gezogenen Grenzen übertragen. Daher bestimmen sie die erforderliche Disziplinarmaßnahme aufgrund einer eigenen Bemessungsentscheidung nach Maßgabe des § 13 Abs. 1 und 2 BDG, wenn und soweit sie den Nachweis des dem Beamten zur Last gelegten Dienstvergehens für erbracht halten. An die Wertungen des klagenden Dienstherrn sind sie nicht gebunden (Urteil vom 3. Mai 2007 - BVerwG 2 C 9.06 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 3 Rn. 11).

71

Welche Disziplinarmaßnahme erforderlich ist, richtet sich gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG nach der Schwere des Dienstvergehens unter angemessener Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten. Aus den gesetzlichen Vorgaben folgt die Verpflichtung der Verwaltungsgerichte, die Disziplinarmaßnahme aufgrund einer prognostischen Gesamtwürdigung unter Berücksichtigung aller im Einzelfall belastenden und entlastenden Gesichtspunkte zu bestimmen. Dies entspricht dem Zweck der Disziplinarbefugnis als einem Mittel der Funktionssicherung des öffentlichen Dienstes. Danach ist Gegenstand der disziplinarrechtlichen Betrachtung und Wertung die Frage, welche Disziplinarmaßnahme in Ansehung der Persönlichkeit des Beamten geboten ist, um die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und die Integrität des Berufsbeamtentums möglichst ungeschmälert aufrechtzuerhalten (Urteil vom 3. Mai 2007 a.a.O. Rn. 16; Beschluss vom 13. Oktober 2005 - BVerwG 2 B 19.05 - Buchholz 235.1 § 15 BDG Nr. 2 Rn. 5).

72

Bei der Gesamtwürdigung haben die Verwaltungsgerichte die im Einzelfall bemessungsrelevanten Tatsachen nach Maßgabe des § 58 Abs. 1 BDG zu ermitteln und mit dem ihnen zukommenden Gewicht in die Bewertung einzubeziehen. Hier findet der Grundsatz "in dubio pro reo" Anwendung: Insbesondere bei der Bestimmung der Schwere des Dienstvergehens dürfen nur solche belastenden Tatsachen berücksichtigt werden, die zur Überzeugung des Gerichts feststehen. Demgegenüber sind entlastende Umstände schon dann beachtlich, wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für ihr Vorliegen gegeben sind und eine weitere Sachverhaltsaufklärung nicht möglich ist (Urteile vom 20. Oktober 2005 - BVerwG 2 C 12.04 - BVerwGE 124, 252 <258 f.> = Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 1 Rn. 22 und vom 3. Mai 2007 a.a.O. Rn. 17).

73

Als maßgebendes Bemessungskriterium ist die Schwere des Dienstvergehens gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 BDG richtungweisend für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme. Dies bedeutet, dass das festgestellte Dienstvergehen nach seiner Schwere einer der im Katalog des § 5 BDG aufgeführten Disziplinarmaßnahme zuzuordnen ist. Dabei können die vom Disziplinarsenat des Bundesverwaltungsgerichts für bestimmte Fallgruppen herausgearbeiteten Regeleinstufungen von Bedeutung sein (vgl. zur Vorteilsannahme Urteil vom 23. November 2006 - BVerwG 1 D 1.06 - Buchholz 232 § 70 BBG Nr. 12). Davon ausgehend kommt es für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung im Einzelfall derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die durch die Schwere des Dienstvergehens indizierte Disziplinarmaßnahme geboten ist (Urteile vom 20. Oktober 2005 a.a.O. S. 259 f. bzw. Rn. 24 ff. und vom 3. Mai 2007 a.a.O. Rn. 20).

74

Ein endgültiger Verlust des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit i.S.v. § 13 Abs. 2 Satz 1 BGB ist anzunehmen, wenn aufgrund der prognostischen Gesamtwürdigung auf der Grundlage aller im Einzelfall bedeutsamen be- und entlastenden Gesichtspunkte der Schluss gezogen werden muss, der Beamte werde auch künftig in erheblicher Weise gegen seine Dienstpflichten verstoßen oder die durch sein Fehlverhalten herbeigeführte Schädigung des Ansehens des Berufsbeamtentums sei bei einer Fortsetzung des Beamtenverhältnisses nicht wiedergutzumachen. Unter diesen Voraussetzungen muss das Beamtenverhältnis im Interesse der Leistungsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und der Integrität des Berufsbeamtentums beendet werden (Urteile vom 20. Oktober 2005 a.a.O. S. 260 f. bzw. Rn. 26 f., vom 3. Mai 2007 a.a.O. Rn. 18 und vom 29. Mai 2008 - BVerwG 2 C 59.07 - juris Rn. 17 ff., insoweit in Buchholz 235.1 § 70 BDG Nr. 3 nicht abgedruckt).

75

Bei der Bestimmung der Schwere des Dienstvergehens ist entgegen dem Vorbringen des Beklagten nicht die Höhe der Zahlungen der geschädigten k. Staatsangehörigen an den "Vermittler" B. maßgebend. Im Vordergrund steht der vom Beklagten erweckte Anschein, die Erteilung von Visa, eine für Ausländer besonders bedeutsame Amtshandlung eines deutschen Beamten, sei durch Geldzahlungen zu beeinflussen. Die Bedeutung dieser Diensthandlung beschränkte sich nicht nur auf das Bundesgebiet, sondern betraf auch noch andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Nach dem zum Tatzeitpunkt geltenden Schengener Durchführungsübereinkommen (Art. 21 SDÜ) können sich Drittausländer aufgrund eines von einer deutschen Behörde erteilten Visums bis zu drei Monaten auch in den sonstigen Vertragsstaaten dieses Abkommens aufhalten.

76

Verstöße gegen § 70 Satz 1 und § 54 Satz 2 BBG a.F. sind in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts seit jeher als sehr schwerwiegend eingestuft worden. Die uneigennützige, nicht auf den privaten Vorteil bedachte Führung der Dienstgeschäfte stellt eine wesentliche Grundlage des Berufsbeamtentums dar. Es ist Zweck der Vorschriften, bereits den Anschein zu vermeiden, ein Beamter könne sich bei Wahrnehmung seiner dienstlichen Aufgaben aus Eigennutz durch sachwidrige Erwägungen beeinflussen lassen und für Amtshandlungen allgemein käuflich sein. Es kann im Interesse einer gesetzmäßigen Verwaltung und im Interesse des allgemeinen Vertrauens in ein rechtsstaatliches Handeln der Verwaltung nicht hingenommen werden, wenn ein Beamter den Eindruck erweckt, er lasse sich in Bezug auf seine dienstliche Tätigkeit durch ihm oder Dritten gewährte oder zugesagte Vorteile beeinflussen. Unerheblich ist, ob es zu der in Aussicht gestellten Amtshandlung gekommen ist. Im Hinblick hierauf ist bei einem Verstoß gegen § 70 Satz 1 und § 54 Satz 2 BBG a.F. die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis jedenfalls dann Richtschnur für die Bestimmung der angemessenen Disziplinarmaßnahme, wenn erhebliche Geldzahlungen in Bezug auf die Diensthandlung geleistet worden sind. Dies gilt auch dann, wenn der Beamte keine pflichtwidrigen Amtshandlungen als Gegenleistungen erbracht hat. Das Inaussichtstellen einer konkreten Diensthandlung im Hinblick auf bereits an den Beamten oder einen Dritten geleistete oder diesen zugesagte Geldzahlungen offenbart ein besonders hohes Maß an Pflichtvergessenheit, weil jedem Beamten klar sein muss, dass er durch ein solches Verhalten die Grenze der Sozialadäquanz eindeutig überschreitet und den Anschein der Käuflichkeit erweckt. Die von der Schwere des Pflichtenverstoßes ausgehende Indizwirkung kann nur entfallen, wenn mildernde Umstände von erheblichem Gewicht vorliegen, so dass eine fallbezogene Gesamtbetrachtung den Schluss rechtfertigt, es sei noch kein endgültiger Vertrauensverlust eingetreten (Urteile vom 20. Februar 2002 - BVerwG 1 D 19.01 - juris Rn. 29 f., insoweit in Buchholz 232 § 70 BBG Nr. 11 nicht abgedruckt, und vom 23. November 2006 a.a.O. Rn. 29 f. m.w.N.).

77

Danach ist hier von der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (§ 10 BDG) als Richtschnur auszugehen. Der Beklagte hat in dem für die Bundesrepublik Deutschland, aber auch für andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union sensiblen Bereich der Erteilung von Visa den Anschein erweckt, diese Diensthandlung sei käuflich oder sei zumindest durch Geldzahlungen zu beeinflussen. In Kenntnis der bereits an den "Vermittler" B. für die Beschaffung von Visa geleisteten Zahlungen hat er die geschädigten k. Staatsangehörigen durch sein Auftreten und seine Zusicherung, er habe die Visa bereits genehmigt, in der Annahme bestärkt, auf diese Weise die begehrten Visa erhalten zu können, und zu weiteren Zahlungen an den "Vermittler" B. veranlasst.

78

Der Gesamtbetrag von 12 Mio. COP (ungefähr 3 800 €), den Q. und R. an Herrn B. für die Vermittlung der Visa im Hinblick auf dessen Versicherung, Kontaktperson des bei der Deutschen Botschaft für die Genehmigung der Visa zuständigen Vizekonsuls zu sein, und den Äußerungen des Beklagten anlässlich des Zusammentreffens vom 23. März 2005 gezahlt haben, kann nicht als "Bagatellsumme" (100 DM/50 €; vgl. dazu Urteile vom 11. Juni 2002 - BVerwG 1 D 31.01 - BVerwGE 116, 308 <310 f.> = Buchholz 232 § 54 Satz 2 BBG Nr. 28 S. 26 und vom 14. November 2007 - BVerwG 1 D 6.06 - Rn. 48, insoweit nicht in Buchholz 235 § 4 BDO Nr. 3 abgedruckt) eingestuft werden, die von vornherein eine mildere Einstufung des Fehlverhaltens zulassen würde.

79

Der Vortrag des Vertreters der Klägerin in der mündlichen Verhandlung zur Bemessungsentscheidung gibt Anlass zu dem Hinweis, dass sich die vom Gericht nach § 13 BDG zu treffende Bemessungsentscheidung nicht daran auszurichten hat, das Ansehen des BND im Verhältnis zu anderen Behörden, wie insbesondere dem Auswärtigen Amt, zu wahren. Unerheblich ist insoweit auch die Vorliebe eines Beamten für teure Autos, Schmuck oder wertvolle Uhren. Ein im Verhältnis zur tatsächlich gezahlten Besoldung gehobener Lebensstil eines Beamten ist kein Anlass für Zweifel an der "Korrektheit seiner Grundeinstellung" und ist nicht im Rahmen des § 13 BDG zu dessen Nachteil zu werten.

80

Milderungsgründe von Gewicht, die es rechtfertigen könnten, von der durch die Schwere des Dienstvergehens indizierten Höchstmaßnahme abzusehen, liegen nicht vor. Unter Geltung der Bemessungsvorgaben des § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG sind entlastende Umstände nicht auf den in der Rechtsprechung entwickelten Kanon der anerkannten Milderungsgründe beschränkt (Urteile vom 20. Oktober 2005 a.a.O. S. 260 ff. bzw. Rn. 26 ff. und vom 29. Mai 2008 - BVerwG 2 C 59.07 - juris Rn. 23 m.w.N., insoweit in Buchholz 235.1 § 70 BDG Nr. 3 nicht abgedruckt).

81

Auf eine existenzielle wirtschaftliche Notlage oder eine körperliche oder psychische Ausnahmesituation, in denen ein an normalen Maßstäben orientiertes Verhalten nicht mehr erwartet und deshalb nicht mehr vorausgesetzt werden kann, hat sich der Beklagte trotz des Hinweises des Senats, bei der Bemessungsentscheidung seien sämtliche entlastenden Umstände zu berücksichtigen und es sei auch Sache des betroffenen Beamten, entsprechende tatsächliche Anhaltspunkte vorzutragen, nicht berufen.

82

Dass der Beklagte bis zum Jahr 2005 straf- und disziplinarrechtlich nicht in Erscheinung getreten war, über lange Zeit sehr gute dienstliche Leistungen erbracht und bei der Dienstausübung großes Engagement gezeigt hat, fällt angesichts der Schwere der Verfehlung nicht ausschlaggebend ins Gewicht. Jeder Beamte ist verpflichtet, bestmögliche Leistungen bei vollem Einsatz seiner Arbeitskraft zu erbringen und sich innerhalb und außerhalb des Dienstes achtungs- und vertrauenswürdig zu verhalten (§ 54 Satz 1 und 3 BBG a.F.).

83

Der Umstand, dass der Beklagte nach der Aufdeckung der Verfehlung weiterbeschäftigt worden ist, an einem Sprachkurs teilgenommen und sich in seinem derzeitigen Tätigkeitsbereich bewährt hat, ist nicht geeignet, eine mildere Disziplinarmaßnahme zu rechtfertigen. Die Entscheidung über die Fortsetzung des Beamtenverhältnisses obliegt den Verwaltungsgerichten unter Beachtung des Grundsatzes der Gleichbehandlung. Sie haben ohne Bindung an die Auffassung des Dienstherrn zu beurteilen, ob ein endgültiger Vertrauensverlust eingetreten ist. Ist dies der Fall, so vermag daran auch eine vorübergehende Weiterbeschäftigung auf einem anderen Dienstposten während des Disziplinarverfahrens nichts zu ändern. Denn das Vertrauen bezieht sich auf das Amt im statusrechtlichen Sinne (Urteile vom 20. Januar 2004 - BVerwG 1 D 33.02 - BVerwGE 120, 33 <53> = Buchholz 232 § 54 Satz 3 BBG Nr. 35 S. 79 und vom 8. Juni 2005 - BVerwG 1 D 3.04 - juris Rn. 26 sowie Beschluss vom 1. März 2012 - BVerwG 2 B 140.11 - juris Rn. 7, stRspr). Zudem kann die Weiterbeschäftigung auf finanziellen Gesichtspunkten beruhen, die für die Disziplinarentscheidung ohne Bedeutung sind. Schließlich entspricht die Weiterbeschäftigung des Beklagten der zwischen dem Präsidenten des BND und dem Personalrat getroffenen Vereinbarung.

84

Weder die lange Dauer des Verfahrens noch das lange Zurückliegen des Dienstvergehens rechtfertigen es, von der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis abzusehen, wenn diese Maßnahme geboten ist. Zwar kann eine pflichtenmahnende Disziplinarmaßnahme (z.B. Zurückstufung nach § 9 BDG) in diesen Fällen unvereinbar mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit werden. Bei Fortbestand des Beamtenverhältnisses kann das durch ein Dienstvergehen ausgelöste Sanktionsbedürfnis gemindert werden oder sogar entfallen, weil die mit dem Disziplinarverfahren verbundenen wirtschaftlichen und dienstlichen Nachteile positiv auf den Beamten eingewirkt haben, so dass sie eine günstigere Persönlichkeitsprognose ermöglichen. Demgegenüber geht es bei der Dienstentfernung darum, das Beamtenverhältnis in Fällen besonders schwerwiegender Dienstvergehen zu beenden, weil der Beamte im öffentlichen Dienst untragbar geworden ist. An dem endgültigen Vertrauensverlust (§ 13 Abs. 2 Satz 1 BDG), den er durch sein Fehlverhalten herbeigeführt hat, vermögen eine lange Verfahrensdauer oder ein langes Zurückliegen des Dienstvergehens nichts zu ändern. Das verlorene Vertrauen kann nicht durch Zeitablauf wiederhergestellt werden (BVerfG, Beschluss vom 4. Oktober 1977 - 2 BvR 80/77 - BVerfGE 46, 17 <28 f.>; Kammerbeschluss vom 9. August 2006 - 2 BvR 1003/05 - DVBl 2006, 1372 >1373>; BVerwG, Urteile vom 22. Februar 2005 - BVerwG 1 D 30.03 - juris Rn. 80, vom 8. Juni 2005 - BVerwG 1 D 3.04 - juris Rn. 27 und vom 7. Februar 2008 - BVerwG 1 D 4.07 - juris Rn. 29, insoweit in Buchholz 235 § 77 BDO Nr. 13 nicht abgedruckt; Beschlüsse vom 13. Oktober 2005 - BVerwG 2 B 19.05 - Buchholz 235.1 § 15 BDG Nr. 2 Rn. 8 und vom 26. August 2009 - BVerwG 2 B 66.09 - juris Rn. 11). Diesen Unterschied hat der Gesetzgeber dadurch zum Ausdruck gebracht, dass er in § 15 BDG die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis im Gegensatz zu allen anderen Disziplinarmaßnahmen vom Maßnahmeverbot wegen Zeitablaufs ausgenommen hat.

85

Auch die Vorschriften des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24. November 2011 (BGBl I S. 2302) haben hieran nichts geändert. Der Verweis in § 3 BDG auf die Verwaltungsgerichtsordnung erfasst auch § 173 Satz 2 VwGO in der Fassung dieses Gesetzes, der wiederum die Vorschriften des Siebzehnten Titels des Gerichtsverfassungsgesetzes (§§ 198 ff.) mit Maßgaben für anwendbar erklärt. Der Gesetzgeber hat dem betroffenen Verfahrensbeteiligten in den §§ 198 ff. GVG für den Fall der gerügten unangemessenen Dauer eines Gerichtsverfahrens für dadurch verursachte Vermögensnachteile und immaterielle Folgen grundsätzlich einen Anspruch auf angemessene Entschädigung eingeräumt. Nach § 198 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 4 GVG geht die Wiedergutmachung des Verstoßes gegen das Gebot des gerichtlichen Rechtsschutzes in angemessener Zeit auf andere Weise dem Entschädigungsanspruch vor, der die durch die verzögerte gerichtliche Entscheidung bestimmte Rechtslage unberührt lässt. Der Gesetzgeber hat aber davon abgesehen, in den §§ 198 ff. GVG die Formen einer solchen Wiedergutmachung abschließend festzulegen (BTDrucks 17/3802, S. 16 und 19). Er hat aber auch nicht vorgesehen, dass die Wiedergutmachung in der Weise zu erfolgen hat, dass dem Betroffenen als Ausgleich für die Verzögerung des gerichtlichen Verfahrens die den Gegenstand des Rechtsstreits bildende Rechtsposition einzuräumen ist, deren materiell-rechtliche Voraussetzungen der Betroffene nicht erfüllt. Für andere als strafgerichtliche Verfahren (§ 199 Abs. 3 GVG) hat der Gesetzgeber in den §§ 198 ff. GVG als Form der Wiedergutmachung auf andere Weise lediglich die Möglichkeit einer Feststellung der überlangen Verfahrensdauer durch das Entschädigungsgericht bei gleichzeitiger Freistellung des Klägers von den Kosten des Entschädigungsrechtsstreits geregelt (BTDrucks 17/3802, S. 16). Ob im Übrigen eine dem Entschädigungsanspruch vorgehende Wiedergutmachung auf andere Weise möglich ist, richtet sich nach den jeweiligen formellen und materiell-rechtlichen Bestimmungen. Die für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme maßgeblichen Vorschriften schließen aber, wie dargelegt, die Wiederherstellung des verlorenen Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit allein durch eine unangemessene Dauer des Disziplinarverfahrens aus.

86

Etwas anderes folgt auch nicht aus Art. 6 EMRK. Art. 6 Abs. 1 EMRK gewährleistet das Recht auf ein faires Verfahren, insbesondere auf eine Entscheidung innerhalb angemessener Zeit. Zwar geht der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte davon aus, dass Art. 6 EMRK in seiner zivilrechtlichen Bedeutung auf ein Disziplinarverfahren, in dem der Beamte wegen eines Dienstvergehens aus dem Dienst entfernt worden ist, anwendbar ist (EGMR, Urteil vom 16. Juli 2009 - 8453/04 - NVwZ 2010, 1015 Rn. 39 m.w.N.). Haben Gerichte gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK verstoßen - bei einem Disziplinarverfahren ist die Zeitspanne zwischen der Entscheidung über seine Einleitung bis zur letzten gerichtlichen Entscheidung maßgeblich -, so hat das entsprechende Urteil des Gerichtshofs, wie sich aus Art. 41 EMRK ergibt, lediglich Feststellungswirkung. Auch Art. 46 Abs. 1 EMRK, wonach der Vertragsstaat verpflichtet ist, das endgültige Urteil des Gerichtshofs zu befolgen, führt nicht dazu, dass der Vertragsstaat dem Betroffenen allein wegen der überlangen Dauer des Verfahrens eine Rechtsstellung einräumen muss, die diesem nach dem maßgeblichen innerstaatlichen materiellen Recht nicht zusteht; der Gerichtshof spricht vielmehr eine gerechte Entschädigung als Ersatz für immaterielle Schäden zu (Meyer-Ladewig, EMRK, 3. Aufl., Art. 41 Rn. 21). Die vom Gerichtshof der verletzten Person nach Art. 41 EMRK zuzusprechende gerechte Entschädigung, die den materiellen wie auch den immateriellen Schaden erfassen kann (EGMR, Urteil vom 16. Juli 2009 a.a.O. Rn. 59 ff.), lässt die sich nach dem innerstaatlichen Recht bestimmende materiell-rechtliche Rechtslage unberührt.

87

Aufgrund der vorliegenden Akten und der Erklärungen des Beklagten im gerichtlichen Verfahren besteht keine Veranlassung, von der gesetzlichen Regelung für den Unterhaltsbeitrag (§ 10 Abs. 3 BDG) abzuweichen.

88

Die Kostenentscheidung folgt aus § 77 Abs. 1 BDG und § 154 Abs. 1 VwGO. Einer Festsetzung des Streitwerts für das gerichtliche Verfahren bedarf es nach § 78 Satz 1 BDG nicht, weil Gerichtsgebühren für das nach dem 31. Dezember 2009 anhängig gewordene gerichtliche Verfahren nach dem Gebührenverzeichnis der Anlage zu § 78 BDG erhoben werden (§ 85 Abs. 12 BDG). Hierbei ist von einer Disziplinarklage mit dem Ziel der Entfernung aus dem Dienst auszugehen.

Tatbestand

1

Der Kläger führt die Disziplinarklage gegen die beklagte verbeamtete Gerichtsvollzieherin mit dem Ziel ihrer Entfernung aus dem Dienst.

2

Die 1976 geborene Beamtin beendete 1994 ihre Schulausbildung mit der Ablegung des Abiturs. Anschließend wurde sie zum Vorbereitungsdienst für den mittleren Justizdienst zugelassen und zur Justizsekretäranwärterin ernannt. 1996 wurde die Beamtin zur Ausbildung für die Sonderlaufbahn Gerichtsvollzieher zugelassen und zur Justizsekretärin zur Anstellung ernannt. Nach Absolvierung der Gerichtsvollzieherprüfung mit „ausreichend“ (Note 3,6) wurde die Beamtin 1998 zur Justizsekretärin ernannt. In der Folgezeit wurde die Beamtin bei dem Amtsgericht D. und dem Amtsgericht K. verwandt. Im Jahr 2001 wurde sie zur Gerichtsvollzieherin ernannt und im Jahre 2003 erfolgte die Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit. Zum 01.05.2006 wurde die Beklagte zur Verwendung im mittleren Dienst an das Amtsgericht D. abgeordnet. Seit dem ist sie nicht mehr als Gerichtsvollzieherin tätig.

3

Die Beamtin ist verheiratet und hat eine im Jahr 2005 geborene Tochter. Nach Auskunft der Bezügestelle vom 31.03.2011 erhielt die Beamtin zum Zeitpunkt der Einreichung der Disziplinarklageschrift 1.341,18 Euro zuzüglich 368,00 Euro Kindergeld ausgezahlt.

4

Die Beklagte ist disziplinarrechtlich vorbelastet. Ihr wurde mit Verfügung vom 08.12.2003 wegen verzögerter Sachbearbeitung sowie Verstoßes gegen § 65 Nr. 6 GVO und § 185 g GVGA ein Verweis erteilt.

5

Mit Verfügung vom 16.11.2006 wurde die Beamtin wegen der Vorwürfe in der Disziplinarklage vom Dienst suspendiert. Das Verwaltungsgericht Magdeburg - Disziplinarkammer – hat mit Beschluss vom 19.02.2007 die vorläufige Dienstenthebung aufgehoben. Auf die Beschwerde des Klägers hat das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt - Disziplinarsenat - den Antrag unter Aufhebung des Beschlusses abgelehnt. Den unter dem 30.06.2010 von der Beamtin erneut gestellte Antrag auf Aufhebung der vorläufigen Dienstenthebung hat das Verwaltungsgericht Magdeburg - Disziplinarkammer - mit Beschluss vom 24.01.2011 abgelehnt. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Beamtin hat das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt - Disziplinarsenat - mit Beschluss vom 04.11.2011 zurückgewiesen.

6

Wegen der disziplinarrechtlichen Vorwürfe der fehlerhaften Wegegelderabrechnungen hat das Amtsgericht K. unter dem 23.05.2007 einen Strafbefehl erlassen, worin der Beamtin vorgeworfen worden war, insgesamt 201 Straftaten (Gebührenüberhebung in 193 Fällen und Betrug in 8 Fällen) begangen zu haben. Durch Urteil des Amtsgerichts K. vom 07.07.2008 (2 Cs 183/07) war die Beamtin der Gebührenüberhebung in 181 Fällen und des Betruges in 8 Fällen schuldig gesprochen worden; in 12 Fällen war sie von dem im Strafbefehl erhobenen Vorwurf der Gebührenüberhebung freigesprochen worden. Mit Urteil vom 29.10.2009 (7 Ns 161/08) hat das Landgericht Dessau-Roßlau die Beamtin in der Berufung wegen der Gebührenüberhebung in 158 Fällen (überhöhte Wegegelder) und wegen Betruges in 8 Fällen schuldig- und im Übrigen freigesprochen (23 Fälle der Abrechnung von nicht entstandenen Wegegeldern). Auf die Revision der Beamtin hat das Oberlandesgericht A-Stadt das Verfahren mit Beschluss vom 10.05.2010 (1 Ss 13/10) eingestellt, soweit die Beamtin nicht bereits rechtskräftig vom AG K. freigesprochen worden war. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Strafbefehl bezüglich der Darstellung des Tatvorwurfs der falschen Wegegeldabrechnung nicht dem strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz entspreche. Unter dem 25.01.2011 hat die Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau das Ermittlungsverfahren gegen die Beamtin gem. § 153 StPO eingestellt.

7

Mit der Disziplinarklage vom 27.04.2011 wird die Beamtin angeschuldigt, ein Dienstvergehen gem. §§ 54, 55, 77 Abs. 1 Satz 1 Beamtengesetz Sachsen-Anhalt (BG LSA) begangen zu haben. Sie habe u. a.

8

- Gebühren und Auslagen zum eigenen Vorteil zu Unrecht erhoben und entnommen;

9

- unzulässig Verhaftungen zum Zwecke der Erzwingung der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung vorgenommen sowie

10

- in erheblichem Maße gegen Vorschriften der Gerichtsvollzieherordnung und der Gerichtsvollziehergeschäftsanweisung verstoßen.

11

Ihr werden 10 Pflichtenverstöße zur Last gelegt:

12

1. Die Beamtin habe gegen die sich aus § 55 BG LSA ergebene Pflicht, Anordnungen des Dienstvorgesetzten auszuführen und die allgemeinen Richtlinien zu befolgen, erheblich verstoßen.

13

Am 28.09.2004 habe die Direktorin des Amtsgerichts K. der Gerichtsvollzieherin das Protokoll über die Geschäftsprüfung vom 11.08.2004 bis 28.08.2004 mit der Aufforderung übersandt, zu den einzelnen Beanstandungen binnen eines Monats Stellung zu nehmen. Die Stellungnahme der Gerichtsvollzieherin sei erst auf wiederholte und nachdrückliche Aufforderung der Direktorin des Amtsgerichts K. am 27.01.2005 eingegangen.

14

2. Die Beamtin habe in den nachfolgenden Fällen gegen § 106 Nr. 6 Satz 1 Geschäftsanweisung für Gerichtsvollzieher (GVGA) verstoßen.

15

a) Die Beamtin habe in nachfolgend aufgeführten 32 Fällen ohne anders lautende Bestimmung der Gläubiger und trotz wiederholter Beanstandung in den Vorprüfungen Leistungen verspätet an die Gläubiger abgeführt. Dabei handelt es sich um Differenztage zwischen dem Tag der Zahlung, Tag der Buchung und Tag der Überweisung von wenigstens drei Tagen bis zu einmalig höchstens 45 Tagen. Auf diese Tabelle in der Disziplinarklage wird verwiesen. Die Disziplinarklage führt aus, dass das zwischen dem Tag der Einnahme und dem Tag der Auszahlung im Durchschnitt dieser Fälle 17 Tage gelegen hätten.

16

b) In den Verfahren DR II 2256/03; 2243/02; 1958/03; 252/04; 2333/03 und 1978/03 am 19.03.2004 erzielte Versteigerungserlös sei am 18.08.2004 noch nicht an die Gläubiger abgeführt worden.

17

c) Obwohl der Verstoß gegen § 106 Nr. 6 Satz 1 GVGA bereits Gegenstand des am 28.02.2005 eingeleiteten Vorermittlungsverfahren gewesen sei, habe die Gerichtsvollzieherin weiterhin Leistungen verspätet an die Gläubiger abgeführt. Dabei habe die Überweisungsfrist zwischen 7 und 11 Tagen gelegen.

18

3. Die Gerichtsvollzieherin habe gegen § 57 Abs. 2 Satz 5 GVO und § 65 GVGA verstoßen:

19

a) Sie habe Sachstandsanfragen von Gläubigern pauschal, ohne Bezug auf den tatsächlichen Sachstand und teilweise völlig irreführend beantwortet und dazu einen vorformulierten Text benutz, welcher lautete:

20

„In der Zwangsvollstreckungssache ... teile ich mit, dass der o. g. Auftrag eingegangen ist und bei mir unter DR II Nr. ... registriert wurde. Da ich zurzeit stark überlastet bin, ist es mir zurzeit nicht möglich, die Monatsfrist für die Erledigung einzuhalten. Ich werde mich trotzdem bemühen, den Auftrag zügig zu erledigen.

21

Es wird gebeten, die nächsten zwei Monate von Sachstandsanfragen abzusehen.“

22

Dies sei in folgenden Verfahren geschehen:

23

DR II 42/04:
Die Angelegenheit sei bereits erledigt gewesen, weil der Schuldner unbekannt verzogen war.

24

DR II 64/04:
Der Auftrag sei bereits durch Pfandabstand erledigt gewesen.

25

DR II 76/04:
Die Sache sei erledigt gewesen, weil bereits ein letzter Vollstreckungsversuch durchgeführt worden sei.

26

DR II 8/04:
Auch hier sei Erledigung eingetreten gewesen.

27

DR II 21/04:
Der Zwangsvollstreckungsauftrag sei durch Nichtermittlung des Schuldners erledigt gewesen.

28

b) Die Gerichtsvollzieherin habe in den oben unter a) bezeichneten Verfahren die Gläubiger über den tatsächlichen Verfahrensstand getäuscht. Sie habe damit sowohl gegen das Informationsrecht des Gläubigers gem. § 65 a GVGA, als auch gegen die Pflicht zur sorgfältigen und vollständigen Aktenführung (§ 57 Nr. 2 Satz 5 GVO) verstoßen.

29

4. Die Gerichtsvollzieherin habe gegen § 816 Abs. 4 ZPO, §§ 156, 1239 Abs. 2 BGB, §145 Nr. 2 b GVGA verstoßen. In mehreren Zwangsvollstreckungsverfahren gegen den Schuldner H. F. wurde die Versteigerung gepfändeter Gegenstände am 19.03.2004 durchgeführt. Der gepfändete PKW Mercedes Benz 320 cdi, sei mit 39.000,00 Euro und das Motorrad Suzuki mit 1.200,00 Euro angesetzt worden. Bei der Versteigerung sei der Schuldner anwesend gewesen und habe mitgeboten. Die Gerichtsvollzieherin habe das Gebot des Schuldners in Höhe von 35.000,00 Euro zugelassen und ihm den Zuschlag erteilt, wodurch das bisherige Meistgebot in Höhe von 33.000,00 Euro eines anderen Bieters erlosch. Nachdem die Gerichtsvollzieherin festgestellt habe, dass dem Schuldner eine Barzahlung nicht möglich gewesen sei, sei der PKW nochmals ausgeboten worden, wobei nur noch das Mindestgebot von 20.000,00 Euro als Versteigerungserlös erzielt worden sei.

30

In dem diesbezüglichen Vermerk der Gerichtsvollzieherin in der Sonderakte DR II 2256/03 heißt es:

31

„Es waren genügend Kaufgeneigte erschienen. Es wurde bis zu einem Betrag von 33.000,00 Euro sehr zügig geboten. Bei einem Gebot von 35.000,00 Euro erhielt der Schuldner den Zuschlag. Viele Bieter entfernten sich daraufhin. Ich forderte Herrn F. zur Zahlung auf. Als Herr F. das Büro im Versteigerungslokal betrat, teilte er mir mit, dass er einen bankbestätigten Scheck habe. Ich forderte wie zuvor auch in den wörtlich vorgelesenen Versteigerungsbedingungen bekannt gegeben, Herrn F. zur Barzahlung auf. Dieser erklärte, dass er kein Bargeld bei sich habe. Ich wollte den Scheck sicherstellen. Herr F. gab an, den Scheck in seinem Fahrzeug zu haben. Ich begab mich mit Herrn F. zu seinem Kfz. Den Scheck konnte er nicht vorlegen. ...“

32

Diese Verfahrensweise stelle eine falsche Sachbehandlung dar und verstoße gegen die vorgenannten gesetzlichen Regelungen. Bei richtiger Sachbehandlung hätte im ersten Versteigerungsversuch der Erlös bei 33.000,00 Euro und nicht später nur noch bei 20.000,00 Euro gelegen. In Höhe der Differenz von 13.000,00 Euro sei ein Vermögensschaden eingetreten.

33

5. Die Gerichtsvollzieherin habe in den Verfahren DR II 505/05, 506/05 und 556/05 gegen § 186 Nr. 5 GVGA und die Weisung des Erlasses des MJ LSA vom 21.06.2004 (2344-202.103) verstoßen.

34

In den Verfahren DR II 529/05, 586/05, 596/05, 603/05 und 595/05 habe die Gerichtsvollzieherin darüber hinaus § 3 GvKostG nicht beachtet und auch dadurch zusätzlich überhöhte Kosten erhoben.

35

Im Verfahren DR II 505/05 habe ein Verhaftungsauftrag vom 24.03.2005 vorgelegen. Am 11.04.2005 habe die Beamtin einen erfolglosen Verhaftungsversuch unternommen. Am 12.04.2005 sei die Schuldnerin in ihrer Wohnung angetroffen worden. Laut Protokoll habe die Schuldnerin das Vermögensverzeichnis und die Eidesstattliche Versicherung nach Verhaftung im Dienstzimmer der Gerichtsvollzieherin abgegeben. Aus den Protokollen sei nicht ersichtlich, dass die Schuldnerin gem. § 186 Nr. 5 GVGA vor der Verhaftung aufgefordert worden sei, die titulierte Forderung zu begleichen und befragt worden sei, ob sie freiwillig die geforderte Eidesstattliche Versicherung abgebe. Nach dem Inhalt des Protokolls ist davon auszugehen, dass die Schuldnerin noch im Verhaftungstermin mitwirkungsbereit gewesen sei und die Eidesstattliche Versicherung habe abgeben wollen. Die Verhaftung stelle einen Verstoß gegen das in § 901 ZPO postulierte Verhältnismäßigkeitsprinzip dar.

36

Für diese falsche Sachbehandlung habe die Gerichtsvollzieherin demnach aufgrund der Verhaftung überhöhte Kosten in Höhe von 19,00 Euro erhoben.

37

Ebenso habe die Klägerin in den anderen genannten Verfahren überhöhte Gebühren und Auslagen eingezogen.

38

Die Gerichtsvollzieherin habe dadurch die Schuldner in ihren Grundrechten aus Art. 1 und 2 GG verletzt.

39

In den Verfahren DR II 529/05, 586/05, 595/05, 596/05 und 603/05 habe die Gerichtsvollzieherin neben der nicht gebotenen Verhaftung letztlich nicht beachtet, dass es sich hinsichtlich der Abnahme der Eidesstattlichen Versicherung nur um einen Auftrag gehandelt habe, wenn die Fortsetzung des EV-Termins innerhalb der in § 3 Abs. 4 GvKostG genannten Frist von drei Monaten beantragt werde. Vorliegend war die Gerichtsvollzieherin bereits im Vollstreckungsauftrag beauftragt worden, den notwendigen Haftbefehl zu beantragen. Die EV-Verfahren seien also lediglich fortzusetzen gewesen und bereits entstandene Kosten anzurechnen. Somit seien in den zuletzt genannten Verfahren überhöhte Kosten in Höhe von insgesamt 34,00 Euro zu viel erhoben worden.

40

6. Die Gerichtsvollzieherin habe in mindestens 57 Fällen in erheblicher Weise gegen die §§ 64, 185 j GVGA und ihre Pflicht zur unverzögernden Bearbeitung der Verfahren verstoßen.

41

In den aufgeführten 57 Fällen habe die Beamtin erst nach bis zu vier Monaten nach dem Nichterscheinen des Schuldners die Akten dem Vollstreckungsgericht vorgelegt. Dazu zählt die Disziplinarklage 57 Fälle mit Aktenzeichen auf, welche damit beginnen, dass der e.V.-Termin vom 11.01.2005 in sieben Fällen erst am 14.03.2005 beim Vollstreckungsgericht einging; die folgenden 50 Fälle beinhalten e.V.-Termine vom 16.11.2004, 23.11.2004, 07.12.2004, 11.01.2005, 10.08.2004 und 23.11.2004, die alle samt am 15.03.2005 beim Vollstreckungsgericht eingingen.

42

7. Die Gerichtsvollzieherin habe Zustellauslagen in Höhe von 5,60 Euro für Zustellungen durch die Deutsche Post AG in Ansatz gebracht, obwohl die Zustellung tatsächlich durch die Firma W. S. zum Preis von 4,47 Euro durchgeführt worden sei. Damit habe sie gegen § 15 GVO und GvKostG KV 701 verstoßen.

43

Danach darf der Gerichtsvollzieher Zustellauslagen nur in tatsächlich entstandener Höhe ansetzen. Bereits im Prüfungsbericht vom 10.09.2004 sei die Gerichtsvollzieherin auf die Einhaltung der Vorschriften hingewiesen worden.

44

Dies ergebe sich aus acht in der Disziplinarklage genannten Verfahren. Auf diese Verfahren wird zur weiteren Darstellung verwiesen.

45

In diesen Verfahren habe die Gerichtsvollzieherin trotz ausdrücklicher Belehrung durch den Prüfungsbeamten und ihrer Zusicherung vom 25.01.2005 Auslagen nicht in tatsächlicher Höhe erhoben.

46

8. Die Gerichtsvollzieherin habe entgegen der Weisung des Prüfungsbeamten weiterhin Zahlungsprotokolle bei Vollzahlung oder Schlussrate an den Schuldner erteil und Dokumentenpauschalen gemäß Nr. 700 KV GvKostG erhoben, obwohl es hierfür keine gesetzliche Grundlage gebe.

47

Bereits sei dem Jahre 2002 sei die Gerichtsvollzieherin in jedem Prüfungsprotokoll von dem Prüfungsbeamten auf die falsche Sachbehandlung und Kostenberechnung der Dokumentenpauschale hingewiesen worden.

48

Allein in den Monaten Januar bis August 2004 habe die Gerichtsvollzieherin in den in der Anlage 1 aufgelisteten 246 Fällen unberechtigt eine Dokumentenpauschale erhoben und damit einen Betrag von 432,00 Euro zu Unrecht eingenommen.

49

Der Weisung des Prüfbeamten vom 10.09.2004 die Kostenrechnungen zu berichtigen und den jeweils überhöhten Betrag an die Landeskasse abzuführen, ist die Gerichtsvollzieherin erst nach mehrfacher Mahnung am 13.02.2006, mithin nach 17 Monaten nachgekommen.

50

9. Die Gerichtsvollzieherin habe im folgenden Verfahren gegen § 57 Abs. 2 Satz 5 GVO, §§ 64, 105, 107, 132, 135, 140 und 142 GVGA sowie §§ 758, 762 und 803 ZPO verstoßen.

51

Dem Verfahren DR II 617/04 liege ein Auftrag der Kreissparkasse K. zur Sachpfändung zugrunde. Mangels Protokollierung bleibt offen, ob, wann und wo die Gerichtsvollzieherin gepfändet hat. Die Gerichtsvollzieherin habe damit gegen das bei einer Pfändung zu beachtende Verfahren und gegen ihre Pflicht, alle Amtshandlungen zu Protokoll zu nehmen verstoßen (§ 762 ZPO). Ebenso fehlt die Aufnahme der Pfandstücke sowie Tag und Ort der Versteigerung im Protokoll. Bis zum 30.04.2004 hätte die Versteigerung stattfinden müssen. Erst durch ihren Dezernatsnachfolger sei am 16.09.2005 ein Versteigerungstermin bestimmt worden.

52

Allein aufgrund des Umfangs des Pfandgutes anhand des Lagerverzeichnisses sei mit hohen Lagerkosten zu rechnen gewesen. Die Gerichtsvollzieherin habe durch ihre Handlungsweise gegen die Pflicht, die durch Einschaffung und Verwahrung des Pfandgutes anfallende Kosten auf das angemessene und unbedingt notwendige Maß zu beschränken, verstoßen (§ 140 Nr. 1 GVGA). Nach erfolgter Schätzung des Verkehrswertes des Pfandgutes hätte die Gerichtsvollzieherin erkennen können, dass die Kosten der Pfändung und Verwertung weitaus höher sind, als der zu erzielende Erlös und somit ein Pfändungsverbot gem. § 803 Abs. 2 ZPO bestanden habe. Darüber hinaus sei sie ihrer Kostensicherungspflicht nach § 4 GvKostG nicht nachgekommen, da sie Kosten für die Einschaffung und Lagerung des Pfändungsgutes in unverhältnismäßiger Höhe verursachte, ohne einen ausreichenden Vorschuss von der Gläubigerin angefordert zu haben.

53

Am 25.04.2006 habe der Präsident des Landgerichts Dessau die - zum Verwertungserlös in Höhe von 600,00 Euro zu keinem Verhältnis stehende - Restforderung des Spediteurs für die Einlagerung des Pfandgutes in Höhe von 7.531,30 Euro als Amtshaftungsanspruch anerkannt und habe diesen Betrag ausgezahlt. Mit Beschluss des Amtsgerichts K. vom 28.07.2006 seien die weiteren Vollstreckungskosten gegenüber der Kreissparkasse K. in Höhe von 7.571,30 Euro niedergeschlagen worden. Nachdem die Kreissparkasse K. wegen ihres geleisteten Kostenvorschusses in Höhe von 3.642,91 Euro abzüglich der bei einer Versteigerung bis zum 30.04.2004 entstandenen Kosten in Höhe von 2.269,22 Euro gegen das Land Sachsen-Anhalt eine Schadensersatzforderung in Höhe von 1.373,59 Euro geltend gemacht habe, erkannte der Präsident des Landgerichts Dessau einen entsprechenden Amtshaftungsanspruch an und zahlte den Betrag am 06.02.2007 aus. Am 12.09.2007 habe das Landgericht Dessau mit Regressprozess gegen die Gerichtsvollzieherin ein Versäumnisurteil über einen Gesamtbetrag in Höhe von 8.904,99 Euro erlassen, welches mit am 12.12.2007 verkündeten Urteil bestätigt wurde. Auf die Berufung der Gerichtsvollzieherin änderte das OLG A-Stadt mit am 25.06.2008 verkündeten Urteil (6 U 163/07) das erstinstanzliche Urteil dahingehend ab, dass die Gerichtsvollzieherin verurteilt worden sei, an das Land Sachsen-Anhalt einen Betrag in Höhe von 1.373,69 Euro zu zahlen; hinsichtlich des weiteren, an den Spediteur gezahlten Betrages in Höhe von 7.531,30 Euro wurde die Klage abgewiesen.

54

10. Die Prüfung der Sonderakten DR II aus den Jahren 2001 bis 2005 habe ergeben, dass die Gerichtsvollzieherin im Zeitraum Oktober 2001 bis Juli 2005 (DR II 2756/01 - 932/05) in 2.436 Verfahren Wegegelder in Höhe von 7.146,59 Euro erhoben habe, die nicht oder nicht in der angesetzten Höhe angefallen seien.

55

Soweit das OLG A-Stadt hinsichtlich der strafrechtlichen Bestimmtheitserfordernisse gerügt habe, dürfte dies nunmehr mit der in Anlage 3 zur Disziplinarklage eingereichten tabellarischen Aufstellung hinreichend nachgewiesen seien. An den Bestimmtheitsgrundsatz dürften keine übertriebenen Anforderungen gestellt werden, welche im Disziplinarrecht nicht weiter reichen dürften als im Strafrecht. Bei einer Vielzahl gleichartiger Taten reiche es aus, wenn über die Angabe der Zahl der Taten, des Gesamtschadens und des gesamten Tatzeitraumes hinaus die gleichartigen Taten gruppiert bezeichnet, der gruppenspezifische Modus Operandi dargestellt und die Einzelheiten detailliert tabellarisch aufgelistet würden, weil hierdurch sowohl der Umgrenzungs- als auch der Informationsfunktion hinreichend genüge getan werde.

56

An die Grundlagen der Wegegeldberechnung habe sich die Gerichtsvollzieherin in einer Vielzahl von Fällen nicht gehalten. Im Jahre 2001 habe sie in 390 Fällen Wegegelder abgerechnet, obwohl entweder ein geringeres Wegegeld oder mangels Zurücklegung eines Weges überhaupt kein Wegegeld angefallen wäre.

57

In den Jahren 2002 bis 2005 habe sie dann in weiteren 2.046 Fällen ebenfalls nicht oder nicht in angesetzter Höhe angefallene Wegegelder berechnet.

58

Die Beamtin habe die fehlerhafte Abrechnung nicht bestritten.

59

Die tabellarische Aufstellung enthalte keinen der Fälle mehr, in denen die Gerichtsvollzieherin vom Amtsgericht K. rechtskräftig freigesprochen wurde. Die Beamtin habe bei der Wegegeldabrechnung auch hinsichtlich der Fälle, wo überhaupt kein Weg zurückgelegt worden sei, mit direktem Vorsatz gehandelt. In den Fällen, in denen ein Wegegeld tatsächlich entstanden sei, aber überhöht abgerechnet worden sei, liege ebenfalls direkter Vorsatz vor. Denn die Bestimmung der Wegegeldzone stelle keinen komplexen und dementsprechend fehleranfälligen Vorgang dar. Vielmehr sei einfach die Luftlinie auf der Karte zu messen. Hinzu komme, dass die Gerichtsvollzieher mit ihren Bezirken und den dortigen Entfernungen sehr gut vertraut seien. Würde hier ein grundsätzliches Versehen vorliegen, müssten die betreffenden Orte auch immer gleichermaßen falsch abgerechnet worden sein, was aber nicht der Fall gewesen sei. Zudem falle bei der Durchsicht der tabellarischen Aufstellung auf, dass Wegegelder oft doppelt erhoben worden seien, und dass in einer Vielzahl von Fällen nicht nur die nächst höhere Stufe abgerechnet worden sei, sondern gleich mehrere Stufen übersprungen worden seien, was bei der irrtümlichen Annahme, sich bereits in der nächst höheren Zone zu befinden, nicht hätte passieren können. Besonders deutlich werde das Fehlen eines Versehens auch, soweit beispielsweise für Großpaschleben Gebührenzone II (10 bis 20 km) statt I (bis 10 km) abgerechnet werde, da G. unmittelbar an der Stadtgrenze zu K. liege. Hinzu komme, dass die falsche Wegegeldabrechnung über die Jahre hinweg kontinuierlich zugenommen habe (2002: 907,50 Euro, 2003: 2.355,00 Euro, 2004: 2.767,50 Euro). Die Gerichtsvollzieherin habe also nachdem die zunächst geringer ausfallenden Wegegeldüberhebungen im Rahmen der Geschäftsprüfungen nur sporadisch beanstandet worden seien, systematisch in immer größrem Umfang überhöhte Wegegelder geltend gemacht und dadurch im Jahre 2004 schließlich ein zusätzliches monatliches Einkommen in Höhe von knapp 230,00 Euro erzielt.“

60

Nach dem Ergebnis der Ermittlungen habe die Gerichtsvollzieherin über einen sehr langen Zeitraum die Kernpflichten des Beamtenverhältnisses grundlegend verletzt. Sie habe in einer Vielzahl von Fällen gesetzliche Bestimmungen grob missachtet, dienstliche Weisungen nachhaltig ignoriert, grob fehlerhaft und äußerst nachlässig gearbeitet und damit nicht annähernd das berufserforderliche Verhalten bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben gezeigt. Erschwerend komme hinzu, dass die Beamtin bereits am 08.12.2003 wegen fehlerhafter und nachlässiger Arbeitsweise einen disziplinarrechtlichen Verweis erhalten habe. Durch die vorsätzliche finanzielle Schädigung der Gebührenschuldner habe die Beamtin das Vertrauen in die Redlichkeit und Ehrlichkeit von Beamten grundlegend erschüttert und das Ansehen der Justiz in der Öffentlichkeit nachhaltig geschädigt.

61

Der Entschuldigung der Beamtin mit Verweis auf einen außerordentlich hohen Geschäftsanfall könne nicht gefolgt werden. Denn Feststellungen des Prüfungsbeamten und der Direktorin des Amtsgerichts K. habe die Beamtin im Jahre 2004 hinsichtlich 1.088 Verfahren und im Jahre 2003 bezüglich 1.346 Verfahren falsche Angaben gemacht. Tatsächlich seien die gesamten monatlichen Eingänge lediglich bei durchschnittlich 235 Aufträgen im Jahre 2003 und 245 Aufträgen im Jahre 2004 anzusetzen.

62

Die Schwere des Dienstvergehens rechtfertige die Entfernung der Beklagten aus dem Beamtenverhältnis.

63

Der Kläger beantragt,

64

auf die erforderliche Disziplinarmaßnahme zu erkennen.

65

Die Beklagte beantragt,

66

die Disziplinarklage abzuweisen,

67

widerspricht den behaupteten Dienstpflichtverletzungen und erwidert:

68

Es fehle an einer hinreichenden Sachaufklärung, die Beamtin sei nicht angehört, Zeugen seien nicht vernommen worden. Die Disziplinarklage sei bereits wegen Zeitablaufs unzulässig. Denn das disziplinarrechtliche Gebot der Beschleunigung sei in außerordentlichem Maße verletzt worden.

69

Zu III., 1.

70

Der Vorwurf, eine Stellungnahmefrist versäumt zu haben, werde bestritten. Er könne schon aufgrund des Zeitablaufs nicht nachvollzogen werden. Die Beamtin dürfte innerhalb einer angemessenen Frist in Abstimmung mit der Frau Direktorin geantwortet haben.

71

Zu III., 2a

72

Kein einziger Gläubiger habe eine verspätete Leistung gerügt oder behauptet. Die Disziplinarklage verhalte sich nicht zu der Auslegung des Rechtsbegriffes „unverzüglich“, bestimme weder ein schuldhaftes Zögern der Beklagten noch ob andere Bestimmungen mit den Gläubigern getroffen worden seien. Die Disziplinarklage übersehe permanent die außerordentliche Belastung der Gerichtsvollzieherin. Dies sei beispielsweise im Prüfbericht vom 25.07.2002 ausgeführt und durch die Aussage des Zeugen S. vor dem Amtsgericht K. und dem Landgericht Dessau-Roßlau bestätigt. Danach habe die Belastung der Beklagten in den Jahren 2001 und 2002 bei rund 230 %, im Jahre 2003 bei 166 % und im Jahre 2004 bei 192 % gelegen. Die durchschnittliche Belastung eines Gerichtsvollziehers im Land Sachsen-Anhalt in den Jahren 2001 bis 2003 habe bei 140 % und in den Jahren 2004 und 2005 bei 130 bzw. 120 % gelegen.

73

Das Landgericht Dessau-Roßlau habe in seinem Urteil zur Aussage des Zeugen S. ausgeführt:

74

„Im Lande seien die Gerichtsvollzieher über Jahre in verantwortungsloser Weise jahrelang, gerade auch 2004, hoffnungslos mit Pensen von 1,4 bis 3,0 überlastet gewesen. Daher habe oftmals auch bei der Angeklagten die Aktenführung gelitten und es sei dort an sich zu beanstandungswürdigen Fehlern gekommen.“

75

Die außergewöhnliche Belastung der Beklagten hätten auch die Zeugen K. und die Direktorin des Amtsgerichts K. im Strafverfahren bestätigt.

76

Die in der Disziplinarklage vorgenommene Durchschnittsberechnung der Differenztage sei untunlich. Es sei jeder einzelne Fall für sich zu betrachten und zu einem schuldhaften Zögern vorzutragen.

77

Weiter sei auf die hohen Beitreibungsergebnisse der Beamtin abzustellen. Hohe Beitreibungsergebnisse implizierten einen hohen Zeitaufwand einerseits und viele Buchungs- und Überweisungsvorgänge andererseits.

78

Zu III., 3.

79

Die Gerichtsvollzieherin habe nicht stets einen Textbaustein verwandt. Aufgrund der Überlastung habe sie sich behelfen müssen. Eine Irreführung der Gläubiger sei nicht geschehen. Schließlich sei auch zu beachten, dass die Schreiben die Mitarbeiterin der Beklagten, die Zeugin G. auf den Weg gebracht habe. Dabei mögen der Mitarbeiterin Fehler passiert sein, dass sie entgegen der Büroanweisung keine Rücksprachen mit der Beamtin gehalten habe.

80

Zu III., 4.

81

Amtshaftungsansprüche in Höhe von 13.000 Euro seien nicht entstanden. Diese Behauptung sei falsch. Es fehle bereits an einer Pflichtverletzung. Der Vortrag sei nach wie vor ohne hinreichende Substanz. Die Gerichtsvollzieherin habe vor der Versteigerung die Versteigerungsbedingungen vorgelesen. Es seien 30 bis 50 Bieter anwesend gewesen. Es habe sich um eine umfangreiche Versteigerung gehandelt. Deswegen habe die Beklagte auch ihren Kollegen, den Gerichtsvollzieher H. um Unterstützung gebeten. Dem Kollegen H. sei der Schuldner ebenfalls bekannt gewesen. Der Beklagten sei der Schuldner zunächst gar nicht aufgefallen. Der Kollege H. habe die Beklagte dann aber auf den Schuldner F. aufmerksam gemacht. Die Beklagte habe nicht gewusst, ob der Schuldner F. mit bieten würde oder nicht. Sie habe in diesem Falle vorgehabt, die Versteigerung sogleich zu unterbrechen, um den Schuldner in das Büro zu bitten, um dessen Zahlungsfähigkeit festzustellen und ggf. eine Taschenpfändung durchzuführen. Nach dem Gebot des Schuldners in Höhe von 33.000,00 Euro (muss wohl richtig lauten: 35.000,00 Euro) habe die Beklagte die Versteigerung sofort unterbrochen. Sie sei mit dem Zeugen H. und dem Schuldner in das Büro gegangen. Dort habe sich herausgestellt, dass der Schuldner über kein Geld verfüge. Daraufhin habe die Beklagte mitgeteilt, dass sie die Sache neu ausbieten müsse. Ein Teil des Publikums hatte sich bereits entfernt. Die Versteigerung sei alles andere als „alltäglich“ gewesen.

82

Zu III., 5.

83

Allein aus einer möglicherweise nicht hinreichenden Protokollierung könne nicht der Schluss gezogen werden, die Schuldner seien vor der Verhaftung nicht gefragt worden, ob sie freiwillig leisten bzw. die Eidesstattliche Versicherung abgeben wollten. Selbstverständlich habe die Beklagte so verfahren. Dessen ungeachtet habe die Beklagte - ohne Anerkennung einer Rechtspflicht - die Beträge aber sogleich erstattet.

84

Zu III., 6.

85

Hier werde die außerordentliche Belastung der Beklagten nicht berücksichtigt. Die Fürsorgepflicht des Dienstherrn sei verletzt. Anders als ihre Kollegen habe die Beklagte häufig Versteigerungen durchgeführt. Versteigerungen seien aufgrund des damit verbundenen Zeit- und Arbeitsaufwandes von den Kollegen gemieden worden. Ungeachtet dessen habe die Beklagte bis in das Jahr 2005 hinein, als sie schwanger gewesen sei, keine Entlastung erfahren.

86

Zu III., 7.

87

Erhöhte Zustellkosten seien in früheren Prüfberichten nicht gerügt worden. Es habe keine Belehrung stattgefunden. Die Zustellungen rührten aus der Zeit der Beschäftigung der Mitarbeiterin W.. Die Beklagte habe die Mitarbeiterin ausdrücklich dazu angehalten, zwischen Zustellungen mit „grüner Post“ und solchen mit der „gelben Post“ zu unterscheiden. Die Mitarbeiterin habe in Einzelfällen möglicherweise fehlerhafte Zuordnungen getroffen.

88

Der Vorwurf im Prüfbericht vom 10.09.2004 sei ein nicht vergleichbarer Fall gewesen.

89

Ziff. III., 8.

90

In der Vergangenheit sei die Dokumentenpauschale als unproblematisch betrachtet worden. Es werde bestritten, dass eine Dokumentenpauschale nicht in Ansatz gebracht werden durfte. Die Beklagte sei erstmals in der Schlussbesprechung vom 10.09.2004 angewiesen worden, entsprechende Erhebungen zukünftig zu unterlassen. Der Prüfbeamte habe ausgeführt, dass die Rechtslage unklar sei und Erstattungen für die Vergangenheit nicht vorzunehmen seien. Zwei Wochen später habe man doch auf Rückzahlungen gepocht. Deshalb sei die Beklagte irritiert. Um die Streitfrage beizulegen habe die Beklagte die Pauschalen schließlich erstattet.

91

Zu III., 9.

92

Die Beamtin sei vom OLG A-Stadt letztlich zur Zahlung eines Betrages in Höhe von 1.373,69 Euro an das Land Sachsen-Anhalt verurteilt worden. Jedoch sei die Klage überwiegend abgewiesen worden. Das OLG habe zwar Fehler der Beklagten beschrieben. In Höhe eines Betrages in Höhe von 7.531,30 Euro sei der Beklagten aber ein Vorwurf grobfahrlässigen Verhaltens nicht zu machen. Soweit das OLG hinsichtlich eines Betrages in Höhe von 1.373,59 Euro auf grobe Fahrlässigkeit erkannt habe, sei nicht hinreichend berücksichtigt worden, dass die Kreissparkasse K. selbst den Vollstreckungstitel zurückverlangt, die Einlagerungskosten gekannt und darum gewusst habe, dass die Beklagte, die den Titel schnellstmöglich zurückverlangt habe, auf den Titel gewartete habe, um weiter vollstrecken zu können.

93

Zu Ziff. III., 10.

94

Die Beklagte habe in keinem Fall Wegegelder erhoben, obwohl Wege nicht angefallen seien. Sie habe Wegegelder nicht doppelt abgerechnet oder Wegegeldstufen mehrfach übersprungen. Es sei wiederholt vorgetragen worden, dass die Beklagte Schuldner mehrfach aufgesucht und deshalb (mehrere) Wegegelder, etwa bei der Abholung von Raten, zu berücksichtigen gewesen seien. Gleichzeitig habe sich im Jahre 2001 das Gebührenrecht geändert und die Wegegeldzonen seien neu festgelegt. Sie habe daraufhin auf Anraten des damaligen Obergerichtsvollziehers S. eine Tabelle erstellt und diese zu den General- und Sammelakten gegeben. Beanstandungen hinsichtlich der Wegegeldabrechnungen habe es nie gegeben. Dabei sei der Gerichtsvollzieherprüfungsbeamte verpflichtet, Akten gerade auch wegen erhobener Wegegelder zu prüfen. Schließlich seien aufgrund des Disziplinarverfahrens gegen die Beamtin den Gerichtsvollziehern Abrechnungstabellen vorgegeben worden.

95

Zusammenfassend führt die Beklagte aus:

96

Die Beklagte sei als junge Gerichtsvollzieherin seit dem Jahre 2001 stets überlastet gewesen. Ihr seien zusätzliche Bezirke übertragen worden, die „brannten“. Dies sei der Dienstaufsicht bekannt gewesen. Der Vorwurf, das Ansehen der Justiz beschädigt zu haben, sei aufgrund der bewusst veranlassten Überlastung der Beklagten paradox. Die hohen Beitreibungsergebnisse der Gerichtsvollzieherin hätten das Ansehen der Justiz gestärkt.

97

Von einem endgültigen Vertrauensverlust könne noch nicht ausgegangen werden. Denn der Kläger habe die Beklagte trotz Abschluss der Ermittlungen über viele Monate in den Innendienst versetzt und beschäftigt. Dort habe die Beklagte beanstandungsfrei gearbeitet.

98

Der Kläger erwidert:

99

Der lange Zeitraum des Disziplinarverfahrens sei den umfangreichen Ermittlungen geschuldet gewesen.

100

Zur angeblichen Überlastung werde auf den Beschluss des OVG LSA - Disziplinarsenat - vom 19.07.2007 (10 M 1/07) verwiesen, wo es heiße, dass „die von der Antragstellerin im wesentlichen eingeräumten zahlreichen Verstöße gegen die einer Gerichtsvollzieherin obliegenden Dienstpflichten bereits für sich genommen ein Versagen im Kernbereich begründen, ohne dass dieses allein mit dem Hinweis auf die dienstliche Belastung zu rechtfertigen sein wird“ und dass eine dienstliche Überlastung „weder eine beharrliche Verletzung von dienstlichen Kernpflichten, noch gar ein damit im Zusammenhang stehendes strafrechtliches Verhalten“ rechtfertige. Zudem seien die angegebenen Überlastungszahlen in den Jahren 2001 und 2002 nicht nachvollziehbar und die Vorgänge aus den Jahren 2004 und 2005 auch ohne Belang. Die von der Beklagten für die Jahre 2003 und 2004 genannten Werte von 166 % und 192 % entsprechen zwar den Feststellungen des Prüfbeamten in den Prüfberichten vom 10.9.2004 und 16.03.2005, beruhten allein aber auf den eigenen Jahresübersichten der Beklagten. Das Dienstregister zähle weitaus weniger Verfahren.

101

Zu III. 3.

102

Es sei festzustellen, dass Sachstandsanfragen durch eine Angestellte ohne konkreten Bezug zu dem nur aus der Akte ersichtlichen letzten Stand der Dinge beantwortet seien. Insoweit sei auch eine fehlerhafte Büroorganisation festzustellen.

103

Zu III. 4.

104

Der Vortrag ändere nichts daran, dass dem Schuldner der Zuschlag nicht hätte erteilt werden dürfen, ohne sich zuvor davon zu überzeugen, dass dieser den Betrag in Bar hinterlegt habe.

105

Zu III. 5.

106

Aus der fehlenden Protokollierung könne selbstverständlich die Nichtbefragung des Schuldners geschlossen werden. Im Übrigen hänge bei lebensnaher Betrachtung allein von der Fragestellung des Gerichtsvollziehers ab, ob der Schuldner die Eidesstattliche Versicherung abgeben wolle oder nicht. Denn soweit sogleich mit der Verhaftung gedroht werde, werde der Schuldner die Eidesstattliche Versicherung abgeben, weil er die Verhaftung vermeiden will. Dann fielen sogleich 51,00 Euro an Gebühren an. Fragt der Gerichtsvollzieher hingegen nur, ob die Eidesstattliche Versicherung jetzt abgegeben werde und führt nach Verneinung der Frage die Verhaftung durch, seien insgesamt 70,00 Euro an Gebühren angefallen. Die Verfahrensweise der Beklagten sei dementsprechend allein dadurch motiviert gewesen, jeweils zusätzliche 19,00 Euro zu verdienen.

107

Zu III.6.

108

Gerügt sei die schlichte Nicht-Weiterleitung von Akten an das Vollstreckungsgericht. Soweit die Beklagte auf ihre hohen Beitreibungsergebnisse und das insoweit hervorgehobene „besondere Engagement“ verweise, erkläre sich dies damit, dass die Einnahmen der Gerichtsvollzieher damals wegen der Bürokostenentschädigung noch deutlicher erfolgsabhängiger gewesen seien als heute. Vor diesem Hintergrund fühlten sich die Gerichtsvollzieher damals mit einem Pensum von 1,3 bis 1,4 keineswegs überfordert, sondern wünschten eine deutlich über 1,0 Pensen liegende Belastung. Dementsprechend seien auch keine Überlastungsanzeigen erstattet worden. Bei dieser allen Beteiligten bestens bekannten Sachlage davon zu sprechen, es sei ein „Ausdruck grober Treuwidrigkeit, einen Gerichtsvollzieher zu überlasten“ werde den tatsächlichen Zusammenhängen nicht gerecht.

109

Zu III. 7.

110

Auch die Entlastung aufgrund Tätigkeiten durch die Mitarbeiterin W. könne nicht greifen. Denn insoweit liege auch hier ein Überwachungsverschulden vor.

111

Zu III. 8.

112

Auf die fehlerhafte Erhebung von Dokumentenpauschalen sei die Beklagte sei dem Jahr 2002 in jedem Prüfbericht hingewiesen worden. Zudem handele es sich um eine von der Beamtin selbst zu beantwortende Rechtsfrage. Hier zeige sich die beachtliche Kreativität der Beklagten in der Schaffung gesetzlich nicht vorgesehener Einnahmequellen.

113

Zu III. 9.

114

Der das Disziplinarverfahren bearbeitende Richter am OLG Dr. O. sei zum Zeitpunkt der Urteilsfindung nicht mit Disziplinarsachen befasst gewesen.

115

Zu III. 10.

116

Dass es an umfassenden Beanstandungen in den Geschäftsprüfungen bezüglich der Wegegelder fehle, beruhe darauf, dass die Wegegeldberechnung im Rahmen der Geschäftsprüfung eine völlig untergeordnete Rolle spiele.

117

Die Beklagte erwidert:

118

Soweit die Klägerin nunmehr hinsichtlich der Vorwürfe zu III. 3. und III. 7. auf ein Büro- und Organisationsverschulden der Beklagten verweist, handele es sich um einen neuen, von der Disziplinarklage nicht umfassten Vortrag. Der Vorhalt zu III. 5. bezüglich der Verhaftungen sei konstruiert und ehrenrührig. Hinsichtlich der zu III. 6. vorgetragenen Überlastungsproblematik verkenne der Kläger, dass die Überlastungen nicht jeweils mit dem Ablauf des Jahres enden. Selbstverständlich gebe es Überhänge. Es sei falsch, dass Überlastungen aus wirtschaftlichen Gründen bei den Gerichtsvollziehern gewünscht gewesen seien. Die Beklagte habe ihre Überlastung wiederholt thematisiert, insbesondere gegenüber ihrer Direktorin, gegenüber dem Prüfungsbeamten und gegenüber dem Mitarbeiter der „T.-F.“ S.. Die Beklagte könne ihrer Direktorin nichts anzeigen, was diese nicht schon gewusst habe.

119

Abschließend verweist die Klägerin erneut auf die Notwendigkeit individueller Überlastungsanzeigen. Diese Frage müsse individuell nach Ausbildungsstand, Befähigung, praktischer Erfahrung und Übung, Gesundheitszustand und Alter des Beamten geprüft werden.

120

Mit Beschluss vom 20.09.2012 hat das Disziplinargericht den Kläger aufgefordert, die in der Disziplinarklage unter Punkt 10 und der Anlage III aufgeführten 2.436 Akten dem Disziplinargericht in der Reihenfolge der Darstellung in der Anlage III bis zum 22.10.2012 vorzulegen und die Verfahren, welche Gegenstand der Verurteilung der Beamtin im Urteil des LG Dessau-Roßlau vom 29.10.2009 zum Tatkomplex Wegegelder waren, in der Anlage III kenntlich zu machen. Auf den daraufhin vom Kläger abgegebenen Schriftsatz vom 02.10.2012 (GA, Bl. 208) und 18.10.2012 (GA, Bl. 271) mit der dazugehörigen Tabelle (GA, Bl. 209 – 334) wird verwiesen.

121

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie die der Verfahren 8 B 12/10 MD und 8 B 22/06 MD sowie die beigezogenen Verwaltungs-, Ermittlungs- und Zwangsvollstreckungsvorgänge verwiesen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

122

I.) Die Disziplinarklage ist zulässig.

123

Das behördliche Disziplinarverfahren oder die Klageschrift leiden nicht unter einem wesentlichen Mangel im Sinne von § 52 DG LSA oder einem sonstigen beachtlichen Verfahrensfehler.

124

1.) Der Kläger ist klagebefugt. Die oberste Dienstbehörde kann ihre Befugnisse nach § 34 Abs. 2 Satz 1 DG LSA durch allgemeine Anordnung ganz oder teilweise auf die ihr unmittelbar nachgeordneten Dienstvorgesetzten für deren Aufgabenbereich übertragen; die Anordnung ist zu veröffentlichen (§ 34 Abs. 2 Satz 2 DG LSA). Dies ist durch die allgemeine Anordnung des MJ vom 23.05.2006, Abschn. I, Ziff. 1 - 2030/01-101.8 - (MBl. LSA v. 19.06.2006) geschehen. Danach obliegt es dem Präsidenten des OLG die Disziplinarklagen gegen Beamte des einfachen, mittleren und gehobenen Dienstes einschließlich des Gerichtsvollzieherdienstes zu erheben. Die Beteiligung der obersten Dienstbehörde nach § 35 DG LSA ist geschehen. Nachdem das Ministerium der Justiz des Landes Sachsen-Anhalt den Disziplinarklageentwürfen unter dem 13.02.2007 und 14.07.2010 nicht zugestimmt hat, wurde dem Entwurf der Disziplinarklage vom 31.03.2011 mit Verfügung des MJ vom 19.04.2011 vorbehaltlich geringfügiger Änderungen zugestimmt.

125

2.) Der Begriff des wesentlichen Mangels im Sinne von § 52 DG LSA erfasst Verletzungen von Verfahrensregeln, die im behördlichen Disziplinarverfahren von Bedeutung sind (BVerwG zum gleichlautenden § 55 BDG; Urteil v. 29.07.2010, 2 A 4.09 mit Verweis auf Urteil v. 20.10.2005, 2 C 12.04; beide juris). Hierunter fallen Verstöße gegen verfahrensrechtliche Vorschriften und Rechtsgrundsätze, die den äußern Ablauf des behördlichen Disziplinarverfahrens bis zur abschließenden behördlichen Entscheidung, also bis zur Erhebung der Disziplinarklage oder bis zu dem Erlass einer Disziplinarverfügung, betreffen (BVerwG, Beschluss v. 31.01.2012, 2 WD 4.11; Urteil v. 29.07.2010, 2 A 4.09 mit Verweis auf Beschluss v. 18.11.2008, 2 B 63.08; zuletzt: VG Magdeburg, Urteil v. 29.11.2012, 8 A 12/11 und Urteil v. 13.12.2012, 8 A 7/11; alle juris).

126

Vorliegend rügt die Beklagte innerhalb der Frist nach § 52 Abs. 1 DG LSA, dass keine ausreichende Sachaufklärung erfolgt sei, die Beamtin nach Abschluss des Verfahrens nicht hinreichend angehört und von ihr benannte Zeugen nicht vernommen worden seien.

127

a.) Nach § 21 Abs. 1 Satz 1 DG LSA sind die zur Aufklärung des Sachverhaltes erforderlichen Ermittlungen durchzuführen. Es sind die belastenden wie die entlastenden Umstände zu ermitteln, die für die Bemessung einer Disziplinarmaßnahme bedeutsam sind (§ 21 Abs. 1 Satz 3 DG LSA). Die Aufklärungspflicht aller tatsächlicher Umstände von disziplinarrechtlicher Bedeutung orientiert sich an den Bemessungsregeln und -maßstäben im Sinne des § 13 DG LSA (vgl. BVerwG zu § 13 BDG, Urteil v. 27.01.2011, 2 A 5.09; juris).

128

Das Vorgehen des Klägers genügt diesen Anforderungen. Dabei rügt die Beklagte bereits nicht substantiiert, welche konkreten Ermittlungen sie bei der Aufklärung des Sachverhaltes vermisst. Soweit sie meint, dass ihre persönliche Situation, ihre stetige vom Dienstherrn billigend in Kauf genommene berufliche Überlastung und ihre hohen Erledigungsleistungen nicht hinreichend berücksichtigt worden seien, ist dies keine Frage der Sachverhaltsaufklärung sondern der rechtlichen Bewertung und hier insbesondere einer möglichen Milderung. Die disziplinarbehördlichen Ermittlungen haben sich nicht nur darauf beschränkt, die Tathandlungen der Beklagten festzustellen, sondern ziehen aus den von der Beklagten vorgetragenen Entlastungsgründen andere rechtliche Konsequenzen. Insoweit ist der vorliegende Fall nicht mit dem Sachverhalt zu vergleichen, welcher der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.01.2011 zugrunde lag (2 A 5.09; juris).

129

b.) Dem Anhörungsrecht nach § 30 DG LSA ist hinreichend genüge getan worden. Danach ist „nach Beendigung der Ermittlungen“ dem Beamten „Gelegenheit zu geben, sich abschließend mündlich oder schriftlich zu äußern“; § 20 Abs. 2 DG LSA gilt entsprechend. Die Anhörung kann (nur) unterbleiben, wenn das Disziplinarverfahren eingestellt werden soll. Letzteres ist vorliegend nicht geschehen.

130

Eine Verletzung der in § 30 Abs. 1 DG LSA (gleichlautend mit § 30 Satz 1 BDG) geregelten Pflicht zur abschließenden Anhörung ist als ein wesentlicher Verfahrensmangel anzusehen. § 30 Satz 1 DG LSA sichert den Anspruch des Beamten auf rechtliches Gehör im Sinne eines Rechts auf Information, Äußerung und Berücksichtigung. Er ist zudem Ausprägung des Grundsatzes, dass der Beamte nicht zum bloßen Objekt des Disziplinarverfahrens gemacht werden darf. Dieses Verständnis des Anspruchs auf rechtliches Gehör indiziert, dass sich die Anhörung des Beamten auf das weitere Disziplinarverfahren auswirken und für dieses von Bedeutung sein kann. Entsprechend hat der Gesetzgeber die Pflicht zur abschließenden Anhörung als zwingende Verfahrensvorschrift ausgestaltet, die leerlaufen würde, wenn das Gericht die Verletzung dieser Pflicht als für das Ergebnis des gerichtlichen Disziplinarverfahrens nicht relevant einstufen würde (BVerwG, U. v. 08.12.2010, 2 WD 24.09; OVG Bremen, B. v. 07.02.2012, DB A 78/10; beide juris).

131

Den behördlichen Disziplinarvorgängen kann nicht entnommen werden, dass der Beamtin oder ihrem Prozessbevollmächtigten ein dementsprechendes abschließendes Anhörungsrecht nach Beendigung der Ermittlungen ausdrücklich eingeräumt wurde. Dies scheint aber den Besonderheiten des Ermittlungsverfahrens hinsichtlich der gesetzlichen Veränderungen und dem Umfang der behördlichen Ermittlungen und Verfahren, die auch zur vorläufigen Dienstenthebung geführt haben, geschuldet gewesen zu sein.

132

Vorliegend ist das Disziplinarverfahren noch unter der Geltung der Disziplinarordnung Sachsen-Anhalt (DO LSA) mit Verfügung vom 28.02.2005 eingeleitet worden. Mit Verfügung vom 23.06.2005 wurde der Beamtin das Ergebnis der Ermittlungen mitgeteilt. Mit Disziplinarverfügung vom 08.09.2005 wurde ein disziplinarrechtlicher Verweis gegen die Beamtin erteilt. Dieser Verweis beinhaltete die Vorwürfe zu 2. (verspätete Auskehr), 3. (Sonderaktenführung; Textbausteine); 4. (Versteigerung F.). Wegen weiterer sich herausstellender Verdachtsmomente wurde dieser Verweis unter dem 05.10.2005 wieder aufgehoben und die Vorermittlungen entsprechend der neuerlichen Feststellungen im Prüfungsbericht vom 30.09.2005 (Gebührenüberhebung wegen Verhaftungsgebühr; Entnahme von Fremdgeldern {später nicht verfolgt}, Wegegelder, Zustellkosten, Dokumentenpauschalen; Verschleppung des Verfahrens {Sparkasse}) wurden erweitert. Am 17.03.2006 und 31.03.2006 wurden die disziplinarrechtlichen Vorermittlungen erneut erweitert. Das wesentliche Ergebnis der Vorermittlungen ist den Berichten vom 02.06.2006 und 03.07.2006 zu entnehmen und wurde der Beamtin taggleich mitgeteilt. Unter dem 23.06.2006 wurden die Vorermittlungen gemäß § 26 Abs. 4 DO LSA abgebrochen. Es wurde festgestellt, dass das förmliche Disziplinarverfahren einzuleiten ist. Der Beamtin und ihrem Prozessbevollmächtigten wurde unter dem 07.07.2006 mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, gemäß § 34 DG LSA Disziplinarklage zu erheben und sie Gelegenheit zur Stellungnahme erhalte.

133

Zu Recht wurde das im Jahr 2005 eingeleitete Disziplinarverfahren unter dem Regime des Disziplinargesetzes LSA nach dem 01.07.2006 fortgeführt (§ 81 Satz 3 DG LSA). Denn die Übergangsregelung in § 81 Abs. 4 Satz 1 DG LSA ist nicht einschlägig. Zwar hat die Disziplinarbehörde wenige Tage vor dem Inkrafttreten des Disziplinargesetzes, nämlich am 23.06.2006 festgestellt, dass ein förmliches Disziplinarverfahren - wie es nach der Disziplinarordnung LSA hieß - eingeleitet werden muss (vgl. § 26 Abs. 4 DO LSA). Nach § 33 DO LSA wird das förmliche Disziplinarverfahren durch schriftliche Verfügung der Einleitungsbehörde eingeleitet. Die Verfügung wird dem Beamten zugestellt. Die Einleitung wird mit der Zustellung an den Beamten wirksam (§ 33 Satz 4 DO LSA). Letzteres, also die Zustellung an die Beamtin ist jedenfalls nicht vor dem 01.07.2006 geschehen. Demnach sind seit dem 01.07.2006 die Regelungen des DG LSA anwendbar.

134

Wurde damit das „wesentliche Ergebnis der Ermittlungen“, welches dazu führte, das man ein förmliches Disziplinarverfahren nach der DO LSA einleiten wollte, der Beamtin mitgeteilt, sind den Erfordernissen des abschließenden Anhörungsrechts nach § 30 DG LSA genüge getan worden. Denn die Ermittlungen waren abgeschlossen. In der Folgezeit nahm der Prozessbevollmächtigte Akteneinsicht (August 2006) und der Bezirkspersonalrat wurde angehört (August 2006). Sodann wurde unter dem 14.11.2006 eine erste Disziplinarklage dem MJ LSA zur Zustimmung nach § 35 Abs. 1 Satz 1 DG LSA vorgelegt worden. Diese Disziplinarklage wurde vom MJ LSA unter dem 13.02.2007 bemängelt und zur Überarbeitung zurückgegeben. Ebenso die zweite Disziplinarklage vom 20.04.2007. Nachdem das Disziplinarverfahren gem. § 22 DG LSA wegen des anhängigen Strafverfahrens ausgesetzt wurde, vermochte das MJ LSA auch nach Fortsetzung des Verfahrens unter dem 14.07.2010 den Entwurf der Disziplinarklage immer noch nicht zuzustimmen. Das MJ LSA bemängelte insbesondere, dass die strafrechtliche Historie und die letztendlich durch das OLG A-Stadt erfolgte Einstellung des Strafverfahrens in der Disziplinarklage nicht hinreichend zum Ausdruck kommen. Schließlich wurde die nunmehr vorliegende Disziplinarklage vom 20.04.2011 unter dem 19.04.2011 vom MJ LSA gebilligt.

135

Eine erneute, allein wegen dieser zeitlichen Komponente ausdrückliche Anhörung nach § 30 DG LSA musste nicht durchgeführt werden. Nach der Gesetzesbegründung zu § 30 DG LSA bedingt die Durchführung der Anhörung eine „Mitteilung des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen“, was nach den allgemeinen Regeln des Verwaltungsverfahrensrechts selbstverständlich sei und deshalb im Gesetz nicht ausdrücklich erwähnt werde. Aufgrund des Gesamtzusammenhangs ist davon auszugehen, dass die in Kap. 2 Teil 3 (behördliches Disziplinarverfahren) genannten Handlungen, die die Durchführung des behördlichen Disziplinarverfahrens regeln, wie z. B. Beweiserhebung durchgeführt sein müssen. Demnach ist davon auszugehen, dass, wenn diese Handlungen durchgeführt sind, in der Regel die Erstellung des „wesentlichen Ergebnisses“ der Ermittlungen erfolgt und in einer in Kap. 3 genannten Abschlussentscheidung münden (Einstellung, Disziplinarverfügung, Disziplinarklage). Auch nach Zurückweisung der Disziplinarklage nach § 35 Abs. 1 DG LSA durch das MJ LSA fanden durch die Disziplinarbehörde keineneuen in Kap. 2 zur Durchführung des Disziplinarverfahrens genannten Maßnahmen statt, so dass der jeweiligen Überarbeitung der Disziplinarklage, § 30 DG LSA nicht im Wege steht. Daher ist entscheidend aber auch ausreichend, dass der Ermittlungsbericht des Ermittlungsführers der Beamtin oder ihrem Prozessbevollmächtigten zugegangen ist. Dies ist der Fall. Denn § 30 DG LSA setzt nicht etwa voraus, dass die fertige Disziplinarklage den Beamten vor Erhebung zur Kenntnis gegeben werden muss. Zudem waren die wesentlichen Disziplinarvorwürfe der Beamtin aufgrund der Verfahren bezüglich der vorläufigen Dienstenthebung bekannt. Denn diese waren auch Gegenstand des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Magdeburg - Disziplinarkammer - vom 24.01.2011 (8 B 12/10 MD).

136

c.) Dem disziplinarrechtlichen Schriftverkehr sind keine Beweisangebote oder Beweisanträge seitens der Beklagten zu entnehmen, so dass diesbezüglich auch keine Verletzung durch Nichtberücksichtigung vorliegen kann.

137

d.) Schließlich genügt die Disziplinarklage dem Bestimmtheitsgebot. Der diesbezügliche strafprozessuale Vorhalt, der zur prozessualen Aufhebung der Verurteilung durch das Oberlandesgericht A-Stadt führte, ist zur Überzeugung des Disziplinargerichts in der Disziplinarklage geheilt. Dabei muss aus der Klageschrift unmissverständlich hervorgehen, welche Sachverhalte angeschuldigt werden. Es ist erforderlich, aber auch ausreichend, wenn bei verständiger Lektüre aus der Klageschrift eindeutig hervorgehet, welche konkreten Handlungen den Beamten als Dienstvergehen zur Last gelegt werden (vgl. zum Ganzen: BVerwG, B. v. 20.12.2011, 2 B 59.11 m. w. Nachw.; juris). Die der Disziplinarklage beigefügte Tabelle zu dem Pflichtenverstoß Nr. 10 (Wegegelder) genügt der hinreichenden Konkretisierung. Denn es ist verständlich und nachvollziehbar, was damit gesagt und belegt werden soll. Zudem hat der Kläger nach Aufforderung durch das Disziplinargericht die Anlage III dahingehend weiter konkretisiert, dass er die dem Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau vom 29.10.2009 zugrunde gelegten Verfahren bezeichnet und im Übrigen dem Disziplinargericht vorgelegt hat.

138

II.) Die Disziplinarklage ist begründet. Die Beklagte hat ein schwerwiegendes innerdienstliches Dienstvergehen gemäß § 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG begangen, welches die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis nach sich zieht.

139

Beamte begehen ein Dienstvergehen, wenn sie schuldhaft die ihnen obliegenden Dienstpflichten verletzen (§ 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG). Die Disziplinarkammer ist davon überzeugt, dass die Beklagte die ihr unter Ziffern 2. b., 6, 7, 9 und 10 der Disziplinarklage zur Last gelegten Pflichtenverstöße begangen hat. Dadurch hat sie gegen ihre dienstlichen Pflichten zur uneigennützigen und gerechten Dienstausübung verstoßen und ist nicht der Achtung dem Vertrauen gerecht geworden die ihr Beruf erfordert (§§ 33, 34 BeamtStG). Dabei wiegt der Vorwurf unter Ziffer 10 (Wegegeldabrechnungen) schwer und dominierend. Die Pflichtverletzungen sind als sogenanntes einheitliches Dienstvergehen zu sehen und zu ahnden. Hinsichtlich der vorgehaltenen Pflichtenverstöße zu Ziffern 1, 2. a. und c., 3, 4, 5 und 8 der Disziplinarklage ist die Beamtin freizusprechen.

140

1.) Der unter 1. in der Disziplinarklage genannte Vorwurf der verspäteten Abgabe einer Stellungnahme zur Geschäftsprüfung im Prüfbericht vom 10.09.2004 trägt nicht. Zum einen kann bereits in der Akte nicht die in der Disziplinarklage genannte Aufforderung vom 28.09.2004 durch die Direktorin des Amtsgerichts K. aufgefunden werden und zum anderen hat die Beamtin unter dem 27.01.2005 (Beiakte F, Bl. 90) umfassend zu dem Prüfbericht Stellung genommen. Wenn überhaupt, dann handelt es sich um eine Verzögerung von ca. 4 Monaten. Dies kann nicht als disziplinarrechtlich relevanter Gehorsamsverstoß angesehen werden. Der Beamtin mag vorzuwerfen sein, dass sie nicht hinreichend mit der Dienstaufsicht kooperiert. Dies ist aber auch der Vielzahl der im Prüfbericht festgestellten Vorwürfe zurechenbar. Dementsprechend mag auch die Fristsetzung von einem Monat für die Stellungnahme zu den umfangreichen Vorwürfen als zu kurz bemessen anzusehen sein. Auch die in der Disziplinarverfügung genannten wiederholten und ausdrücklichen Aufforderungen durch die Direktorin des Amtsgerichts sind den Akten nicht zu entnehmen.

141

2.) Bezüglich des unter 2. in der Disziplinarklage erhobenen Pflichtenverstoßes ist zu unterscheiden. Bereits fraglich ist, was unter verspäteter Abführung an die Gläubiger zu verstehen ist. § 106 Nr. 1 GVGA lautet:

142

„Die empfangenen Leistungen liefert der Gerichtsvollzieher unverzüglich an den Gläubiger ab, sofern dieser nichts anderes bestimmt hat.“

143

„Unverzüglich“ bedeutet grundsätzlich „ohne schuldhaftes Zögern“. Dabei ist auf den Einzelfall abzustellen. In der Disziplinarklage werden 32 Fälle aus dem Jahre 2004 benannt. Dabei gehen die Differenztage von wenigstens 3 bis in einem Fall längstens 45 Tagen; weitere Fälle von 38, 35 und 31 Tagen. Die vom Kläger gebildete Durchschnittsüberschreitung von 17 Tagen kann bereits nicht Maßstab für die Fristenüberschreitung sein. Insoweit müsste jeder Einzelfall beleuchtet werden. Im Übrigen stammt dieser Vorwurf vom 10.09.2004 (Bl. 55 Beiakte F). Die Beamtin führt in ihrer diesbezüglichen Stellungnahme vom 27.01.2005 (Bl. 90 Rs Beiakte F) aus:

144

„Die verzögerten Überweisungsfristen liegen auch darin begründet, dass ich mit Diskette überweise und dadurch im Einzelnen Übertragungsfehler in den Daten der Überweisungen auftreten.

145

Dann führt meine Bank die Überweisungsliste nicht aus. Die gesamte Liste muss dann erneut erfasst werden, was Verzögerungen hervorruft.

146

Auch ist es schon passiert, dass die Überweisungsaufträge von meiner Bank verspätet ausgeführt wurden.

147

Dies ist auch eine Verzögerung, die ich nicht zu vertreten habe. Ich betone aber, dass dies keinesfalls die Regel ist und überall Menschen arbeiten, denen Fehler unterlaufen.

148

Ich werde künftig dafür Sorge tragen, Verzögerungen, die ich selbst zu vertreten habe, zu meiden.“

149

Demnach mögen hier in den unter Nr. 2. a) dargestellten Verfahren im Einzelfall Verspätungen feststellbar sein. Diese hält die Disziplinarkammer aber disziplinarrechtlich für nicht gravierend, weil es sich allenfalls um eine nachlässige Arbeitsweise handelt.

150

Schwerer wiegt der unter 2. b) erhobene Vorwurf hinsichtlich des am 19.03.2004 erzielten Versteigerungserlöses, welcher am 18.08.2004 noch nicht abgeführt war. Mithin liegt hier eine Überschreitung von fünf Monaten vor. Zu diesem Vorwurf verhält sich die Beklagte nicht.

151

Die unter Ziffer 2. c) dargestellten 11 Verfahren weisen unstreitig eine Überweisungsfrist zwischen 7 und 11 Tagen auf. Auch hier vermag die Disziplinarkammer nicht eindeutig zu entscheiden, ob ein Verstoß gegen die „Unverzüglichkeit“ vorliegt. Ein Vorwurf mag der Beamtin darin gemacht werden, dass sie trotz der Feststellungen in dem Prüfbericht aus dem Jahre 2004 weiterhin wenig Kontrolle ihrer Überweisungen an den Tag gelegt hat. Der Vorwurf der mangelnden Organisation wird aber nicht erhoben.

152

3.) Den unter 3. erhobenen Pflichtenverstoß vermag das Disziplinargericht nicht zu teilen. Der unter a) geführte Vorwurf pauschale und irreführende Textvordrucke benutzt zu haben, kann so nicht erhoben werden. Die Beamtin hat sich nur eines vorgefertigten Textbausteins bedient, um auf eine Vielzahl von gleichlautenden Sachstandsanfragen zu reagieren. Dagegen ist nichts einzuwenden. Dass diese Antworten in den aufgeführten fünf Verfahren unrichtig waren, weil die Vollstreckungsaufträge bereits erledigt waren, mag keinen Pflichtenverstoß begründen. Jedenfalls - und das ist entscheidend - ist nicht der mit der Disziplinarklage erhobene Vorwurf der Täuschung belegt.

153

4.) Der Vorwurf zu 4. ist zur Überzeugung des Gerichts nicht - hinreichend - erfüllt.

154

Nach § 1239 Abs. 1 Satz 1 BGB kann der Eigentümer bei der Versteigerung mitbieten. Satz 2 der Norm bestimmt, dass das Gebot des Eigentümers zurückgewiesen werden darf, wenn nicht der Betrag bar erlegt wird. Dementsprechend führt § 145 Nr. 2 b GVGA aus, dass der Schuldner bei der Versteigerung mitbieten kann; sein Gebot jedoch zurückzuweisen ist, wenn er nicht den Betrag sofort bar hinterlegt. Der Zuschlag darf nicht ohne vorherige Prüfung der Liquidität erfolgen.

155

Die Beklagte stellt den Vorgang in der Klageerwiderung vom 30.06.2011 so dar, dass sie nach dem Gebot die Versteigerung sofort unterbrochen habe und mit dem Schuldner und dem Zeugen H. in das Büro gegangen sei. Dort habe sich die Illiquidität des F. herausgestellt. Demgegenüber hat sie im diesbezüglichen Vermerk zur Versteigerung vom 19.03.2004 – also direkt nach der Versteigerung - ausgeführt, dass der F. den Zuschlag erhalten habe. Erst danach habe sie die Liquidität des F. überprüft. Dementsprechend könnte hier in der Tat eine falsche Sachbehandlung vorliegen. Denn Folge dieser Illiquidität des Schuldners war, dass die Versteigerung erneut durchgeführt werden musste und es dann nur zu einem Gebot von nur 20.000,00 Euro kam, wohingegen zuvor ein unter dem Gebot des F. in Höhe von 35.000,00 Euro liegendes - wohl zuschlagsfähiges - Gebot in Höhe von 33.000,00 Euro lag; demnach entstand eine Differenz von 13.000,00 Euro. Andererseits ist dem Gericht aus dem Eilverfahren zur vorläufigen Dienstenthebung (8 B 12/10 MD) bekannt, dass der am Versteigerungstermin teilgenommene Zeuge S. in einer Eidesstattlichen Versicherung angab, er habe ein Gespräch zwischen der Beklagten und dem Gerichtsvollzieher H. mitverfolgen können, dass geplant gewesen sei, den F. im Falle der Versteigerungsteilnahme sofort zu überprüfen. Dann heißt es aber in der E.V.; „Dazu ist es nicht gekommen, da der fragliche F. bei der Versteigerung bis zum Schluss nicht mitgeboten hat. Als Schlussbietender wurde er sofort in das Büro gebeten.“ Demnach ist es so, dass der F. als Schlussbieter nicht zuvor das Geld zeigen musste. Dies berücksichtigt die Disziplinarklage nicht hinlänglich genug.

156

5.) Der Gerichtsvollzieherin wird unter Ziffer 5 der Disziplinarklage vorgeworfen, dass sie entgegen der Gesetzeslage zur Abgabe der Eidesstattlichen Versicherung geladene Schuldner verhaftet hat, ohne ihnen zuvor Gelegenheit gegeben zu haben, die Eidesstattliche Versicherung freiwillig - ohne Verhaftung - abzugeben. Dabei steht in dem Vorwurf aber nicht die Verhaftung und damit Freiheitsberaubung im Vordergrund, sondern wohl die Erhebung zusätzlicher Kosten.

157

Ausgangslage ist also, dass der Schuldner verhaftet werden kann, wenn er die Eidesstattliche Versicherung ablehnt, um die Verhaftung als Druckmittel zu benutzen. Die Disziplinarklage führt aus, dass aus dem Protokoll zu dem Verfahren DR II 505/05 nicht ersichtlich sei, dass die Schuldnerin eben gerade vor der Verhaftung zur freiwilligen Abgabe der EV aufgefordert worden sei. Die Disziplinarklage geht aber weiter und interpretiert aus der fehlenden Aufnahme im Protokoll über die Befragung, dass davon auszugehen sei, dass die Schuldnerin noch im Verhandlungstermin mitwirkungsbereit gewesen sei und die Eidesstattliche Versicherung freiwillig habe abgeben wollen, da nicht dokumentiert sei, ob sie befragt worden sei, ob die Bereitschaft bestehe, die geforderte Eidesstattliche Versicherung freiwillig abzugeben. Diese Interpretation des Protokolls trägt den Disziplinarvorwurf nicht. Man mag der Gerichtsvollzieherin vorwerfen können, dass sie die Protokollierung nicht ordnungsgemäß vorgenommen habe. Dies ist aber gerade nicht Vorwurf der Disziplinarklage ist. Der Vorwurf ist vielmehr, dass unnötige Verhaftungen durchgeführt wurden, die zu unnötigen Kosten geführt haben; ein gänzlicher anderer Vorwurf.

158

Auch die weiteren in der Disziplinarklage genannten Verfahren betreffen die Nichtprotokollierung der freiwilligen Abgabe. Für sie gilt dasselbe.

159

6.) Der Beamtin wird unter 6. der Disziplinarklage vorgeworfen, in mindestens 57 Fällen aus den Jahren 2004, 2005 gegen ihre Pflicht zur unverzögerten Bearbeitung der Verfahren verstoßen zu haben. Dies sind alle samt Fälle, in denen der Schuldner nicht zur Abgabe der Eidesstattlichen Versicherung erschien, so dass die Akten zum Vollstreckungsgericht weitergereicht werden müssen. Dieses Verfahren ist in § 185 j GVGA geregelt. Entscheidend ist aber, dass dort keine Frist aufgeführt ist. Es heißt dort nur: „so legt der Gerichtvollzieher ... dem Vollstreckungsgericht ... vor“.

160

Auch der zitierte § 64 GVGA hilft nicht weiter. Denn die Disziplinarklage führt nur Satz 1 der Norm auf, wonach der Gerichtsvollzieher die Zwangsvollstreckung schnell und nachdrücklich durchführt. Dies kann nur als allgemeiner Grundsatz verstanden werden. Dass es davon Ausnahmen gibt, bestimmt schon Satz 2 der Norm und der letzte Satz der Norm, wonach nach Monatsfrist ein Aktenvermerk zu fertigen ist. Im Übrigen fällt bei den in der Disziplinarklage aufgeführten 57 Verfahren auf, dass die Beamtin nachweislich der Daten die Fälle gesammelt hat, um sie dann gebündelt beim Vollstreckungsgericht vorzulegen. So beinhalten alleine 50 Fälle das Eingangsdatum beim Vollstreckungsgericht vom 15.03.2005, wobei diese ganz überwiegend vom Termin am 16.11.2004 stammten.

161

So verbleibt ein nicht schwerwiegender Vorhalt der unverzögerten Bearbeitung der Verfahren festzustellen.

162

7.) Der unter Nr. 7. der Disziplinarklage vorgehaltene Vorwurf trifft zu. Die Beamtin hat in acht Fällen Zustellungen in Höhe von 5,60 Euro durch die Deutsche Post AG in Ansatz gebracht, obwohl die Zustellungen tatsächlich durch einen privaten Kurierdienst zum Preis von 4,47 Euro durchgeführt wurden. Unabhängig von der strafrechtlichen Bewertung liegt hier der disziplinarrechtlich relevante Pflichtenverstoß gegen die beamtenrechtliche Uneigennützigkeitspflicht vor.

163

8.) Der unter Nr. 8 der Disziplinarklage erhobene Vorwurf betrifft die Erhebung der sog. „Dokumentenpauschale“. Die Disziplinarklage führt aus, dass seit dem Jahre 2002 die Gerichtsvollzieherin in jedem Prüfungsprotokoll auf die falsche Sachbehandlung und Kostenberechnung hingewiesen worden sei. Dies bestreitet die Beamtin und trägt in der Klageerwiderung vor, dass sie erstmals in der Schlussbesprechung vom 10.09.2004 darauf hingewiesen worden wäre. In den Unterlagen sind die Prüfberichte 2002 nicht enthalten. Aufgrund der Ausführungen ist davon auszugehen, dass tatsächlich bezüglich dieser Erhebung gewisse Rechtsunsicherheiten und verschiedene Auslegungen bestanden. Dies führt die Gerichtsvollzieherin auch in ihrer Stellungnahme vom 27.01.2005 nachvollziehbar aus. Letztendlich - und dies ist auch zu bewerten - hat die Beamtin die überhöhten Kostenansätze in Höhe von insgesamt 432,00 Euro nach Aufforderung an die Landeskasse abgeführt.

164

9.) Im Zusammenhang mit dem Tatbestand des Urteils des Oberlandesgerichts A-Stadt vom 28.05.2008 erschließt sich der Vorhalt zu Ziffer 9 der Disziplinarklage. Zunächst wird der Beamtin in der Disziplinarklage vorgeworfen, in dem Verfahren DR II 617/04 (Kreissparkasse) nicht ordnungsgemäß protokolliert zu haben. Es wird angeführt, dass in der Akte ein unausgefüllter Protokollvordruck vom 24.03.2004 enthalten sei. Es sei nicht ersichtlich, welche Pfandstücke gepfändet worden seien. Im Juni 2004 sei dann gegen die Schuldnerin das Insolvenzverfahren mit Untersagung der Zwangsvollstreckung eröffnet worden. Auch nach Freigabe des Pfandgutes durch den Insolvenzverwalter im Februar 2005 sei erst durch den Dezernatsnachfolger der Beklagten im September 2005 ein Versteigerungstermin bestimmt worden. Wegen der Lagerung der gepfändeten Gegenstände seien hohe Lagerkosten entstanden, welche durch eine zeitnahe Versteigerung hätten verringert werden können. So fehle es an der Schätzung des Verkehrswertes des Pfandgutes und damit an einem Verhältnis zu den Lagerkosten. Die Lagerkosten betrugen wohl 7.531,30 Euro. Der spätere Verwertungserlös nur 600,00 Euro. Es kam zum Amtshaftungsanspruch, weshalb die Beamtin letztendlich vom Oberlandesgericht A-Stadt verurteilt wurde, an das Land Sachsen-Anhalt 1.373,69 Euro zu zahlen; hinsichtlich eines Betrages von 7.531,30 Euro an den Spediteur wurde die Amtshaftungsklage abgewiesen. In dem Urteil vom OLG A-Stadt (6 U 163/07) ist ausgeführt, dass die Gerichtsvollzieherin durch die nicht zeitnahe Anberaumung eines Versteigerungstermins ihre Amtspflichten verletzt, die Einlagerungskosten unnötig erhöht hat und ihr grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt.

165

Die Disziplinarkammer schließt sich aus den Gründen des Amtshaftungsurteils dem Disziplinarvorwurf an. Soweit die Beamtin der Einschätzung des Oberlandesgerichts A-Stadt zur groben Fahrlässigkeit widerspricht ist anzunehmen, dass mindestens Fahrlässigkeit vorliegt.

166

10.) Der Schwerpunkt der Disziplinarklage liegt auf dem schwerwiegenden Pflichtenverstoß zu Nr. 10. Hier werden der Beamtin falsch abgerechnete Wegegelder in Höhe von 7.146,59 Euro im Zeitraum Oktober 2001 bis Juli 2005 vorgehalten. Zur Überzeugung des Disziplinargerichts trifft dieser Vorwurf zu. Die Beamtin tritt dem auch nicht substantiiert entgegen.

167

Das Wegegeld wird nach § 37 Abs. 3 GvKostG (a. F.; bis 30.04.2001) und gemäß KV 711 GvKostG (n. F. ab dem 01.05.2001) nach Entfernungen berechnet. Gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 GvKostRNeuOG v. 19.04.2001 waren dann, wenn der Auftrag vor dem 01.05.2001 erteilt worden war, die Kosten nach § 37 Abs. 3 GKG a. F. zu erheben. Nr. 711 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtsvollzieherkostengesetz sieht ein

168

Wegegeld je Auftrag für zurückgelegte Wegstrecken

169

- bis zu 10 km von 2, 50 EUR

170

- von mehr als 10 km bis 20 km von 5,00 EUR

171

- von mehr als 20 km bis 30 km von 7,50 EUR

172

- von mehr als 30 km von 10,00 EUR

173

vor. Das Wegegeld wird erhoben, wenn der Gerichtsvollzieher zur Durchführung des Auftrags Wegstrecken innerhalb des Bezirks des Amtsgerichts, dem der Gerichtsvollzieher zugewiesen ist, oder innerhalb des dem Gerichtsvollzieher zugewiesenen Bezirks eines anderen Amtsgerichts zurückgelegt hat (Nr. 711 Abs. 1). Maßgebend ist die Entfernung vom Amtsgericht zum Ort der Amtshandlung, wenn nicht die Entfernung vom Geschäftszimmer des Gerichtsvollziehers geringer ist. Werden mehrere Wege zurückgelegt, ist der Weg mit der weitesten Entfernung maßgebend (Nr. 711 Abs. 2). Entscheidend ist, dass die Entfernung nach der Luftlinie zu messen ist (Nr. 711 Abs. 2 Satz 3).

174

a.) Gegen diese pauschalierte Wegegeldberechnung anhand der Luftlinie hat die Beklagte in den ihr vorgehaltenen Fällen verstoßen und damit nicht unerhebliche Beträge vereinnahmt, die ihr nicht zustanden. Exemplarisch sei dies an den Verfahren DR II 20/05 (Nr. 1 der Anlage III, S. 1 zu 2005 der Disziplinarklage) hinsichtlich des Ortes Z., DR II 51/05 (Nr. 3 der Anlage III, S. 1 zu 2005 der Disziplinarklage), hinsichtlich des Ortes T., DR II-79/05 (Nr. 6 der Anlage III; S. 1 für 2005 der Disziplinarklage) und hinsichtlich des Ortes K. gezeigt. Alle diese - wie auch die Übrigen in der Anlage III der Disziplinarklage genannten - Orte liegen zweifellos in unmittelbarer Nähe zu dem Dienstsitz der Beamtin bzw. Amtsgericht, wobei beide Örtlichkeiten identisch sind, in K., nämlich T. 4 km Luftlinie, Z. 5 km Luftlinie und K. 7 km Luftlinie entfernt. Auch bei Unterstellung, dass es in den Jahren 2001 bis 2005 noch keine geeigneten Entfernungsberechnungsprogramme im Internet gegeben haben sollte, lässt und ließ sich auch damals diese örtliche Nähe unzweifelhaft unter Verwendung einer Karte ersehen, berechnen und sogar abschätzen. Dies auch deswegen, weil der Beklagten Ortskenntnisse hinsichtlich der in ihrem Bezirk liegenden Ortschaften unterstellt werden darf. So liegt z. B. die Ortschaft G. unmittelbar an der Stadtgrenze von K., so dass eine Einschätzung von über 10 Kilometer, wie exemplarisch in den Fällen DR II 319/05 (Nr. 42 der Anlage III, S. 2 zu 2005 der Disziplinarklage) oder 323/05 (Nr. 44 der Anlage III, s. 2 zu 2005 der Disziplinarklage) geschehen, als ausgeschlossen erscheint. Wegen dieser objektiven Offensichtlichkeit der räumlichen Nähe dieser bis zu 10 Kilometer von K. entfernten und damit mit einem Wegegeld von 2,50 Euro abzurechnenden Ortschaften, handelte die Beklagte bei einer Abrechnung dieser Wegstrecken in Höhe von 5,00 Euro, weil eine Entfernung von mehr als 10 Kilometer bis 20 Kilometer vorliege, vorsätzlich und schuldhaft.

175

Ein Versehen, ein Irrtum, ein Vertun, eine Unachtsamkeit oder eine Fahrlässigkeit in Bezug auf die Entfernungsfestlegung erachtet die Disziplinarkammer unter diese objektiven Gegebenheiten als ausgeschlossen. Gegen diesen Einordnungsirrtum spricht auch, dass die Beklagte gleiche Orte überwiegend falsch, manchmal aber auch zutreffend abrechnete. Auch bei Unterstellung einer einmaligen, erstmaligen Fehleinschätzung der Entfernung hätte der Beklagten aufgrund der beschriebenen Offensichtlichkeit der Entfernungen dieser Irrtum bei der Vielzahl der vorgehaltenen und dann immer wieder kehrenden Kilometerangabe bewusst werden müssen. Daher würde die Beklagte auch die Verwendung einer von ihr - fehlerhaft - angefertigten Wegegeldtabelle nicht entlasten. Vielmehr wollte die Beklagte mit der Falschberechnung höhere Wegegelder abrechnen, welche aufgrund der Vielzahl der Fälle und über die Jahre gerechnet die als nicht unerheblich anzusehenden überhöhten Wegegelder ergaben. Hinter der Abrechnung stand System und war nicht nur auf wenige Einzelfälle und einem kurzen Zeitraum beschränkt.

176

b.) Dagegen sieht die Disziplinarkammer die der Beklagten vorgehaltene Abrechnung „nicht entstandener Wegegelder“ als nicht bewiesen an. Denn soweit die Beklagte ausführt, es habe jeweils Fahrten zu den Schuldnern gegeben, ist ihr dies allein wegen ihrer mangelnden Nachweisführung nicht mit der notwendigen Gewissheit zu widerlegen. So mag es sein, dass sie die Schuldner in den jeweiligen Ortschaften aufgesucht hat, so dass das Wegegeld entstanden ist, die Zahlung aber unter ihrem Dienstsitz in K. quittiert hat.

177

III.) Die Beklagte hat die in einem inneren zeitlichen und sachlichen Zusammenhang stehenden Pflichtverletzungen im Sinne eines einheitlich zu bewertenden innerdienstlichen Dienstvergehens (vgl. zur Einheit des Dienstvergehens nur: VG Magdeburg, Urteil v. 04.11.2009, 8 A 19/08 m. w. Nachw.; juris) vorsätzlich und schuldhaft begangen.

178

1.) Hinsichtlich der auszusprechenden Disziplinarmaßnahme ist die Schwere des Dienstvergehens unter angemessener Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten richtungsweisend (vgl. § 13 DG LSA). Die Schwere beurteilt sich nach objektiven Handlungsmerkmalen wie Eigenart und Bedeutung der Dienstpflichtverletzungen, den besonderen Umständen der Tatbegehung sowie Häufigkeit und Dauer eines wiederholten Fehlverhaltens, nach subjektiven Handlungsmerkmalen wie Form und Gewicht des Verschuldens des Beamten, den Beweggründen für sein Verhalten sowie nach den unmittelbaren Folgen für den dienstlichen Bereich und für Dritte. Davon ausgehend kommt es darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung im Einzelfall derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die durch die Schwere des Dienstvergehens indizierte Maßnahme geboten ist. Eine vollständige und richtige Gesamtwürdigung setzt voraus, dass die Disziplinarkammer die im Einzelfall bemessungsrelevanten, d. h. die für die Schwere des Dienstvergehens und das Persönlichkeitsbild bedeutsamen Tatsachen ermittelt und mit dem ihnen zukommenden Gewicht in die Gesamtbewertung einbezieht. Dies entspricht dem Zweck der Disziplinarbefugnis des Disziplinargerichts als einem Mittel der Funktionssicherheit des öffentlichen Dienstes. Dabei findet der Grundsatz „in dubio pro reo“ Anwendung. Die Disziplinargerichte dürfen nur solche belastenden Tatsachen in die Gesamtwürdigung einstellen, die zur Überzeugung des Gerichts feststehen. Demgegenüber müssen entlastende (mildernde) Umstände schon dann zu Gunsten des Beamten berücksichtigt werden, wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für ihr Vorliegen gegeben sind und eine weitere Sachverhaltsaufklärung nicht möglich ist (vgl. nur: VG Magdeburg, Urteil v. 29.11.2012, 8 A 12/11 und Urteil v. 27.10.2011, 8 A 2/11 mit Verweis auf BVerwG, U. v. 27.01.2011, 2 A 5.09; jüngst BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11/10, OVG Lüneburg, Urteil v. 14.11.2012, 19 LD 4/11; alle juris).

179

Für das danach zu findende Disziplinarmaß können die vom Disziplinarsenat des Bundesverwaltungsgerichts für bestimmte Fallgruppen herausgearbeiteten Regeleinstufungen von Bedeutung sein. Davon ausgehend kommt es für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung im Einzelfall derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die durch die Schwere des Dienstvergehens indizierte Disziplinarmaßnahme geboten ist (BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11/10 mit Verweis auf Urteile v. 20.10.2005, 2 C 12.04 und v. 03.05.2007, 2 C 9.06, alle juris).

180

Ein endgültiger Verlust des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit im Sinne von § 13 Abs. 2 Satz 1 DG LSA ist anzunehmen, wenn aufgrund der prognostischen Gesamtwürdigung auf der Grundlage aller im Einzelfall bedeutsamen be- und entlastenden Gesichtspunkte der Schluss gezogen werden muss, der Beamte werde auch künftig in erheblicher Weise gegen seine Dienstpflichten verstoßen oder die durch sein Fehlverhalten herbeigeführte Schädigung des Ansehens des Berufsbeamtentums sei bei einer Fortsetzung des Beamtenverhältnisses nicht wiedergutzumachen. Unter diesen Voraussetzungen muss das Beamtenverhältnis im Interesse der Leistungsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und der Integrität des Berufsbeamtentums beendet werden (BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11.10 mit Verweis auf Urteile v. 20.10.2005, 2 C 12.04, v. 03.05.2007, 2 C 9.06 und v. 29.05.2008, 2 C 59.07; alle juris).

181

2.) Setzt sich das (einheitliche) Dienstvergehen aus mehreren Dienstpflichtverletzungen zusammen, bestimmt sich die zu verhängende Disziplinarmaßnahme in erster Linie nach der schwersten Verfehlung (BVerwG, Urteil v. 23.02.2005, 1 D 1.04; juris). Dies ist vorliegend zweifellos die Falschabrechnung der Wegegelder, mithin eine Gebührenüberhebung. Damit hat die Beklagte jedenfalls gegen ihre beamtenrechtliche Pflicht zur Uneigennützigkeit nach § 34 Satz 2 in Verbindung mit der sogenannten Wohlverhaltenspflicht nach § 34 Satz 3 BeamtStG verstoßen.

182

3.) Verstöße gegen die Uneigennützigkeit werden in der Rechtsprechung der Disziplinargerichte seit jeher als sehr schwerwiegend eingestuft. Denn die uneigennützige, nicht auf den privaten Vorteil bedachte Führung der Dienstgeschäfte stellt eine wesentliche Grundlage des Berufsbeamtentums dar. Im Hinblick darauf ist die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis jedenfalls dann Richtschnur für die Bestimmung der angemessenen Disziplinarmaßnahme, wenn erhebliche Geldzahlungen geflossen sind (vgl. zusammenfassend: BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11.10; juris). Zudem ist disziplinarrechtlich entscheidend, ob der Verstoß gegen die Uneigennützigkeit aufgrund einer besonderen Vertrauensstellung des Beamten beruht, das heißt, ob etwa ein Zugriff auf dienstlich anvertraute Gelder oder ein nicht unter Ausnutzung der dienstlichen Vertrauensstellung verübtes (Betrugs-)Delikt vorliegt (BVerwG, Beschluss v. 20.12.2011, 2 B 64.11, juris).

183

Dabei hängt die disziplinarrechtliche Einstufung als Zugriffsdelikt nicht von der strafrechtlichen Beurteilung ab. Es kommt nicht darauf an, ob ein Beamter dienstliche Gelder oder Güter z. B. durch Betrug, Diebstahl, Untreue oder Unterschlagung erlangt hat. Ein Zugriffsdelikt liegt vielmehr dann vor, wenn der Beamte dienstlich anvertraute Gelder und Güter veruntreut hat, wozu auch die Gebührenüberhebung, die Fundunterschlagung und der sogenannte Kollegendiebstahl zählen. Für die Bewertung als Zugriffsdelikt ist entscheidend, dass einem Beamten Gelder oder gleichgestellte Werte dienstlich anvertraut oder dienstlich zugänglich sind (BVerwG: stRspr; vgl. Urteil v. 8. 04.2003, 1 D 27.02; juris). Ein Beamter, der sich bei der Ausübung seiner dienstlichen Tätigkeit an Vermögenswerten vergreift, die seinem Gewahrsam unterliegen, zerstört damit in aller Regel das für die Fortdauer des Beamtenverhältnisses notwendige Vertrauen in seine Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit, wenn die Beträge insgesamt die Schwelle der Geringwertigkeit deutlich überschreiten. Denn die Verwaltung ist auf die Redlichkeit und Zuverlässigkeit ihrer Bediensteten beim Umgang mit solchen Geldern und Gütern in hohem Maße angewiesen. Eine ständige und lückenlose Kontrolle eines jeden Mitarbeiters ist unmöglich und muss deshalb weitgehend durch Vertrauen ersetzt werden. Wer diese für das Funktionieren des öffentlichen Dienstes unabdingbare Vertrauensgrundlage zerstört, muss grundsätzlich mit der Auflösung des Beamtenverhältnisses rechnen (BVerwG, Urteile v. 20.10.2005, 2 C 12.04, v. 03.05.2007, 2 C 9.06, v. 25.10.2007, 2 C 43.07, v. 29.05.2008, 2 C 59.07; alle juris).

184

Diese Grundsätze gelten erst recht für einen als Gerichtsvollzieher beschäftigten Beamten. So stellt z. B. die Eigenverwendung dienstlich anvertrauter Gelder gerade bei einem Gerichtsvollzieher ein schwerwiegendes Dienstvergehen dar, welches regelmäßig zur Dienstentfernung führt (vgl.: BVerwG, Urteil v. 20.10.2005, 2 C 12.04; VG Karlsruhe, Urteil v. 01.04.2010, DL 13 K 1892/09; juris). Denn diesem ist als hoheitlich handelndes Organ der Zwangsvollstreckung eine besonders verantwortungsvolle Aufgabe übertragen, die er in weitem Umfang eigenverantwortlich und selbständig ausübt, mit der Folge, dass dem Dienstherrn nur eine vergleichsweise eingeschränkte Kontrolle seiner Tätigkeit möglich ist. Dem Gerichtsvollzieher obliegt es nach §§ 753 Abs. 1, 754 ZPO, im Auftrag, d.h. auf Antrag der Gläubiger, die Zwangsvollstreckung durchzuführen, soweit diese nicht den Gerichten zugewiesen ist. Entsprechend der Art der ihm übertragenen Aufgaben, die im Interesse einer zweckmäßigen und effektiven Erledigung der Vollstreckungsaufträge eine gewisse Flexibilität erfordern, ermöglichen die Vorschriften der Gerichtsvollzieherordnung - GVO - und der Geschäftsanweisung für Gerichtsvollzieher - GVGA - dem Gerichtsvollzieher, seine Tätigkeit weitgehend eigenverantwortlich und selbständig auszuüben (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.04.1982, a. a. O.; Bay. VGH, Beschl. v. 15.01.2009, 3 ZB 08.818; OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 15.06.2009 - 4 B 52.08 -, juris). Der Gerichtsvollzieher regelt seinen Geschäftsbetrieb nach eigenem pflichtgemäßen Ermessen, soweit hierüber keine besonderen Bestimmungen bestehen (§ 45 Nr. 1 GVO), muss grundsätzlich an seinem Amtssitz ein Geschäftszimmer auf eigene Kosten halten (§ 46 Nr. 1 Satz 1 GVO), ist verpflichtet, Büro- und Schreibhilfen auf eigene Kosten zu beschäftigen, soweit es der Geschäftsbetrieb erfordert (§ 49 GVO), kann grundsätzlich Zeitpunkt und Reihenfolge der Erledigung der Vollstreckungsaufträge bestimmen (§ 6 GVGA) und führt den Schriftverkehr unter eigenem Namen mit Amtsbezeichnung (§ 53 Nr. 1 GVO). Er handelt bei der ihm zugewiesenen Zwangsvollstreckung selbständig (§ 58 Nr. 1 Satz 1 GVGA), wobei er zwar der Aufsicht, aber nicht der unmittelbaren Leitung des Gerichts unterliegt (§ 58 Nr. 1 Satz 2 GVGA). Es ist die zentrale Aufgabe des Gerichtsvollziehers, im Auftrag der Gläubiger die Zwangsvollstreckung in das bewegliche Vermögen der Schuldner vorzunehmen (vgl. § 808 Abs. 1 ZPO). Gepfändetes Geld hat er nach § 815 Abs. 1 ZPO an die Gläubiger abzuliefern. Der Gerichtsvollzieher hat bezüglich des Vollstreckungsauftrags gegenüber den Gläubigern die ihm kraft Gesetzes obliegende Pflicht, deren Vermögensinteressen wahrzunehmen (sog. Vermögensbetreuungspflicht; vgl. Lenckner/Perron in Schönke/Schröder, StGB, 26. Auflage, § 266, Rn. 25; BGH, Urt. v. 20.10.1959 - 1 StR 446/59 -, NJW 1960, 52; OLG Celle, Beschluss v. 03.04.1990, 1 Ss 48/90; juris). Wenn ein Gerichtsvollzieher gegen diese Kernpflichten verstößt, zerstört er in der Regel die für die geordnete Vollstreckung unabdingbare Vertrauensgrundlage, weshalb er im Regelfall nicht mehr Beamter bleiben kann (VG Karlsruhe, a. a. O.).

185

4.) Die Disziplinarkammer sieht vorliegend keine Besonderheiten und Entlastungsgründe des Einzelfalls, die es rechtfertigen, die von der Schwere des Dienstvergehens ausgehende Indizwirkung abzumildern. Dies ist dann der Fall, wenn zu Gunsten des Beamten gewichtige Entlastungsgründe (Milderungsgründe) zu berücksichtigen sind, die den Schluss rechtfertigen, dass das dem Beamten vom Dienstherrn und der Allgemeinheit entgegengebrachte Vertrauen noch nicht endgültig verloren ist. Solche Gründe stellen zum einen die von der Rechtsprechung bezüglich der sog. Zugriffsdelikte entwickelten und anerkannten Milderungsgründe dar, die besondere menschliche Konfliktsituationen beschreiben. Hierzu zählen etwa das Handeln in einer existenziellen wirtschaftlichen Notlage oder einer körperlichen oder psychischen Ausnahmesituation oder besonderen Versuchssituationen oder eine persönlichkeitsfremde Einzelverfehlung des Beamten wie auch „Entgleisungen“ während einer negativen, inzwischen überwundenen, durch Alkohol, Drogen oder Schicksalsschlägen bedingte Lebensphase. Der Milderungsgrund der Geringwertigkeit eines verursachten Schadens oder des geldlichen Vorteils der Handlung wird bei etwa 50,00 Euro gezogen. Auch besondere die Dienstpflichtverletzung begünstigende Handlungen und mangelnde Kontrollen des Dienstherrn können im Einzelfall wie ein besonderes Nachtatverhalten die Schwere der Verfehlung mildern. Zeitlich überlange Disziplinarverfahren können wegen des disziplinarrechtlichen Beschleunigungsgebotes und der mit dem Disziplinarverfahren verbundenen persönlichen Belastungen jedenfalls bei Maßnahmen der Pflichtenmahnung berücksichtigt werden. Entlastungsgründe können sich aber zum anderen auch aus allen Besonderheiten ergeben, die es im Einzelfall wegen der persönlichkeitsbedingten an § 13 DG LSA zu orientierenden Prognoseentscheidung gebieten, von der disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahmen Abstand zu nehmen. Die entlastenden Gründe sind nicht (mehr) allein auf den in der Rechtsprechung entwickelten Kanon der anerkannten Milderungsgründe beschränkt (BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11.10, m. w. Nachw.; juris). Diese Besonderheiten müssen aber in ihrer Gesamtheit geeignet sein, die Schwere des Pflichtenverstoßes erheblich herabzusetzen. Generell gilt, dass das Gewicht der Entlastungsgründe umso größer sein muss, je schwerer das Delikt aufgrund der Schadenshöhe sowie der Tatumstände, wie Anzahl, Häufigkeit, Zeitraum, Verschiedenartigkeit und Tatausführung wiegt (im Ganzen ausführlich: VG Magdeburg, Urt. v. 29.11.2012, 8 A 12/11, v. 31.03.2011, 8 A 2/10 MD und v. 27.10.2011, 8 A 2/11, mit Verweis auf BVerwG, Urt. v. 24.05.2007, 2 C 28.06, Urt. v. 06.06.2007, 1 D 2.06, Urt. v. 29.05.2008, 2 C 59.07; Bayr. VGH, Urt. v. 27.10.2010, 16 aD 09.2470; OVG Lüneburg, Urt. v. 08.02.2011, 6 LD 4/08; alle juris).

186

a.) Grundsätzlich erscheint im Einzelfall auch eine dienstliche Überlastung als Milderungsgrund geeignet. Dies übersieht das Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt in dem Beschluss zur vorläufigen Dienstenthebung vom 19.07.2007 (10 M 1/07), wonach die zahlreichen Verstöße gegen die einer Gerichtsvollzieherin obliegenden Dienstpflichten bereits für sich genommen ein Versagen im Kernbereich begründen, ohne dass dieses allein mit dem Hinweis auf die dienstliche Belastung zu rechtfertigen sei. Auch wenn ein Beamter die Vielzahl seiner Dienstgeschäfte fehlerhaft ausführt und es sich hier um schwerwiegende Dienstverletzung handelt, so sind Arbeitsüberlastung, außerdienstliche Probleme, die Tatsache, dass die Fehler kaum in die Öffentlichkeit gedrungen sind und die bisherige einwandfreie Dienstführung, die erwarten lässt, dass die Beamtin künftig fehlerfrei arbeitet, mildernd zu berücksichtigen (OVG NRW, U. v. 24.06.1983, 2 V 14/81; dort nur Gehaltskürzung; juris). Nicht jeder einzelne Fehler bei der Dienstausübung ist gleichzusetzen mit einer schuldhaften Verletzung dienstlicher Pflichten. Denn die Pflicht zur ordnungsgemäßen Dienstausübung hat eine im Ganzen durchschnittliche Leistung zum Gegenstand. Dies schließt gewisse Mängel der Arbeitsweise ein, wie sie selbst bei sehr fähigen und ausgesprochen zuverlässigen Beamten vorkommen können (vgl.: VG Magdeburg, U. v. 08.06.2011, 8 A 16/10 MD mit Verweis auf VG Düsseldorf, U. v. 04.03.2009, 31 K 5472/08.O; juris).

187

Festzustellen ist aber zum einen, dass vorliegend die Unzulänglichkeiten zu den Tatbeständen der Unverzüglichkeit wiederholt von dem Prüfbeamten gerügt wurden und die Beklagte diese zum Teil nicht mit der gebotenen Sorgfalt und Hingabe beachtet hat. Denn ihre Dienstausübung wies Mängel in der strukturellen Arbeitsorganisation auf, die nicht Folgenlos blieben. Zum anderen sind Anhaltspunkte für eine dienstliche Überlastung und Überforderung der Beamtin nicht von der Hand zu weisen, was auch das Landgericht Dessau-Roßlau in seinem Urteil vom 29.10.2009 feststellte. Die Direktorin des Amtsgericht K. führte in ihrem - später aufgehobenen - disziplinarrechtlichen Verweis vom 08.09.2005 aus, das „im Zeitraum der festgestellten Pflichtverletzungen unbestritten {eine} übermäßige Arbeitsbelastung“ vorlag und „auch bei hoher Arbeitsbelastung“ erwartet werde, die Dienstpflichten einzuhalten.

188

Mag daher eine dienstliche Überlastung als „Entschuldigung“ für die aufgrund einer mangelnden Arbeitsweise und damit organisationsbedingten Pflichtenverstöße herangezogen werden können, gilt dies aber nicht für die Gebührenüberhebung (Wegegelder). Denn die von der Beklagten vorgenommene Gebührenüberhebung beruhte auf einem vorsätzlichen Handeln zur Erschließung einer zusätzlichen Einnahmequelle. Ansonsten hätte es auch Fälle geben müssen, in denen sich die Beklagte zu Gunsten der Schuldner verrechnet bzw. zu geringe Wegegelder angesetzt hätte.

189

b.) Aus dem gleichen Grund kann sich die Beklagte zu ihrer Entlastung auch nicht darauf berufen, der Dienstherr habe sie unzureichend kontrolliert oder sie im guten Glauben ihrer fehlerhaften Abrechnung gelassen.

190

Das Bundesverwaltungsgericht hat erneut in dem Urteil vom 15.03.2012 (2 WD 9.11; juris) ausgeführt, dass sich eine unzureichend ausgeübte Dienstaufsicht mildernd auswirken kann. Nach der Rechtsprechung setzt der Milderungsgrund der mangelnden Dienstaufsicht jedoch eine Überforderungssituation voraus, in der ein hilfreiches Eingreifen der Dienstaufsicht erforderlich ist; also eine dienstaufsichtliche Begleitung. Hier muss man zwischen „Überlastung“ und „Überforderung“ unterscheiden. Mit einer „Überlastung“ aufgrund hoher Arbeitsbelastung kann nicht die Begehung von Straftaten begründet werden. „Überforderung“ heißt, dass der Beamte z. B. hinsichtlich der Auslegung einer strittigen Rechtsfrage im Dienst allein gelassen wird und ihm später sein - falsches - Handeln zum Vorwurf gemacht wird. So versucht sich die Beamtin damit zu rechtfertigen, dass die Berechnung der Wegegelder nach der Änderung schwierig und kompliziert gewesen sei und sie eine von ihr erstellte Tabelle der Dienstaufsicht überlassen habe und zudem aufgrund des gegen sie geführten Disziplinarverfahrens, später die Kollegen mit Wegegeldtabellen versorgt worden seien. Dies vermag die Beamtin nicht zu entlasten. Denn wie - wiederholt - ausgeführt wurde handelt es sich bei der Einordnung der Entfernung nach der Luftlinie um keine schwierige Angelegenheit, welche die Gerichtsvollzieher überforderte und daher einer „Anweisung“ bzw. „Begleitung“ durch die Dienstaufsicht nicht bedurfte. Zudem haben andere Gerichtsvollzieher korrekt abgerechnet. Die Beklagte hat die fehlende Kontrolle vielmehr ausgenutzt und über lange Jahre falsch abgerechnet. Auch ein „verleiten“ zur Tat im Sinne einer Mittäterschaft durch die Dienstaufsicht ist aufgrund der fehlenden Kontrollen nicht gegeben. Dies ist eher bei einem „klassischen“ Zugriffsdelikt möglich, wenn etwa eine „offene Kasse“ zum Diebstahl verleitet. Es macht einen Unterschied, ob die Gerichtsvollzieherin vorsätzlich falsche Entfernungspauschalen ansetzt oder ob der die Gerichtsvollzieherin prüfende Beamte dies - neben anderen zu prüfenden Angaben - nicht erkennt. Wegen der fehlenden Entdeckung der Falschangaben durch die Dienstaufsicht kann auch nicht von „geduldeten Verhältnissen“ (vgl. dazu: BVerwG, Urteil v. 25.10.1977, I D 76.76; juris) ausgegangen werden.

191

c.) Auch die zugegeben lange Dauer des Disziplinarverfahrens noch das lange Zurückliegen des Dienstvergehens rechtfertigen es, von der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis abzusehen, wenn diese Maßnahme geboten ist. Dies steht auch der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte oder den Vorschriften des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24.11.2011 nicht entgegen (ständige Rechtsprechung BVerwG: vgl. nur zuletzt: Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11/10; bestätigt durch BVerfG, Beschluss v. 28.01.2013, 2 BvR 1912/12; beide juris). Zwar kann eine pflichtenmahnende Disziplinarmaßnahme in diesen Fällen unvereinbar mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit werden. Bei Fortbestand des Beamtenverhältnisses kann das durch ein Dienstvergehen ausgelöste Sanktionsbedürfnis gemindert werden oder sogar entfallen, weil die mit dem Disziplinarverfahren verbundenen wirtschaftlichen und dienstlichen Nachteile positiv auf den Beamten eingewirkt haben, so dass sie eine günstigere Persönlichkeitsprognose ermöglichen. Demgegenüber geht es bei der Dienstentfernung darum, das Beamtenverhältnis in Fällen besonders schwerwiegender Dienstvergehen zu beenden, weil der Beamte im öffentlichen Dienst untragbar geworden ist. An dem endgültigen Vertrauensverlust, den er durch sein Fehlverhalten herbeigeführt hat, vermögen eine lange Verfahrensdauer oder ein langes Zurückliegen des Dienstvergehens nichts zu ändern. Das verlorene Vertrauen kann nicht durch Zeitablauf wiederhergestellt werden (BVerfG, Beschl. v. 04.10.1977, 2 BvR 80/77; Beschl. v. 09.08.2006, 2 BvR 1002/05; alle juris). Diesen Unterschied hat der Gesetzgeber auch dadurch zum Ausdruck gebracht, dass er in § 15 DG - wie BDG - die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis im Gegensatz zu allen anderen Disziplinarmaßnahmen vom Maßnahmeverbot wegen Zeitablaufs ausgenommen hat (vgl. zusammenfassend: BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11/10; juris).

192

5.) In diesem Sinne durchgreifende besondere Umstände, die ein Absehen von der schwerwiegendsten und eine mildere Disziplinarmaßnahme rechtfertigen würden, vermag das Disziplinargericht nicht zu erkennen. Aufgrund des langjährigen, vorsätzlichen und zudem schuldhaften Handelns hinsichtlich der Gebührenüberhöhung kann nicht von einer einmaligen Gelegenheitstat oder einem persönlichkeitsfremden „Ausrutscher“ ausgegangen werden. Sonstige Gründe, die das Gericht in die Lage der möglichen Berücksichtigung derartiger Milderungsgründe setzt, sind von der Beklagten nicht vorgetragen worden und auch nicht erkennbar. Die nach alledem dienstrechtlich notwendige Entfernung aus dem Dienst verstößt auch nicht gegen das Verhältnismäßigkeitsgebot. Denn diese disziplinarrechtliche Höchstmaßnahme ist die einzige Möglichkeit, dass durch den Dienstherrn sonst nicht lösbare Dienstverhältnis einseitig zu beenden. Die darin liegende Härte für den Betroffenen ist nicht unverhältnismäßig. Sie beruht vielmehr auf einem ihm zurechenbaren Verhalten (BVerwG, Urteil v. 21.06.2000, 1 D 49.99; juris).

193

6.) Die Kostenentscheidung folgt aus § 72 Abs. 1 Satz 1 DG LSA. Das Verfahren ist gem. § 73 Abs. 1 Satz 1 gebührenfrei.


Tatbestand

1

Der Kläger führt die Disziplinarklage gegen den beklagten Beamten im Rang eines Obersekretärs im Justizvollzugsdienst (BesGr. A 7 BBesO) mit dem Ziel seiner Entfernung aus dem Dienst. Der Beklagte ist Beamter des allgemeinen Vollzugs- und Verwaltungsdienstes bei Justizvollzugseinrichtungen, Laufbahngruppe 1, 2. Einstiegsamt, und zuletzt in der Justizvollzugsanstalt Dessau und dort überwiegend im Stations- und Betreuungsdienst im Wechselschichtdienst tätig.

2

Nach dem Abschluss der 10. Klasse der Polytechnischen Oberschule im Jahre 1987 absolvierte der 1970 geborene Beklagte eine zweijährige Ausbildung zum Elektromonteur, woran sich eine Umschulung zum Kommunikationselektroniker anschloss. 1990 bis 1991 leistete er seinen Zivildienst. Nachdem der Beklagte länger arbeitsuchend war, schlossen sich seit dem Jahr 1994 mehrere Tätigkeiten unterschiedlichster Art an. Im Jahre 2002 wurde der Beklagte als Obersekretäranwärter im Justizvollzugsdienst in das Beamtenverhältnis auf Widerruf eingestellt. Nach erfolgreicher Absolvierung des Vorbereitungslehrgangs und nach Abschluss der Laufbahnprüfung folgte 2004 die Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe. Die Verbeamtung auf Lebenszeit erfolgte im Jahre 2006.

3

Der Beamte ist verheiratet und hat zwei 1998 und 2001 geborene Töchter.

4

Die letzte dem Beamten erstelle dienstliche Beurteilung aus dem Jahre 2008 schloss mit der Gesamtbewertung „befriedigend“ bei 201 der von 200 bis 265 Punkte reichenden Gesamtskala.

5

Bis zu den hier einschlägigen Geschehnissen im Jahre 2009 ist der Beklagte weder straf- noch disziplinarrechtlich vorbelastet.

6

Das beamtenrechtliche Verbot der Führung der Dienstgeschäfte wurde dem Beklagten mit Verfügung vom 15.04.2009 ausgesprochen. Der diesbezügliche vorläufige Rechtsschutzantrag des Beamten wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Halle vom 10.07.2009 (5 B 215/09) abgelehnt. Ebenso hatte der Rechtsschutzantrag des Beamten gegen die sodann disziplinarrechtlich ergangene Suspendierung vom 14.07.2009 keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht Magdeburg - Disziplinarkammer - lehnte den diesbezüglichen Antrag auf Aufhebung der vorläufigen Dienstenthebung mit Beschluss vom 12.10.2009 (8 B 18/09) ab.

7

Mit der Disziplinarklage vom 22.08.2012 (Eingang 24.08.2012) wird der Beamte angeschuldigt, ein Dienstvergehen nach § 47 Abs. 1 Satz 1 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) begangen zu haben, weil er vorsätzlich gegen seine Dienstpflichten nach den §§ 34, 35 BeamtStG sowie Nrn. 2, 9 und 20 der Dienst- und Sicherheitsvorschriften für den Strafvollzug (DSVollz) verstoßen habe.

8

Denn aufgrund des Strafurteils des Landgerichts D... (7 Ns [682 Js 8297/09] vom 08.11.2011 sei der dem Disziplinarvorwurf zugrundeliegende Sachverhalt der Körperverletzung im Amt bindend festgestellt. Darüber hinaus habe der Beamte auch nach seiner eigenen Einlassung im Disziplinarverfahren dem Gefangenen S… ein Handy mit Fotofunktion, Parfümproben, zwei Musik-CD’s sowie Cappuccino der Geschmacksrichtung „Karamell“ mitgebracht und übergeben.

9

Nachdem das Amtsgericht D... den Beklagten mit Urteil vom 13.07.2010 (11 Cs 158/10 [ 682 Js 8297/09]) wegen Körperverletzung im Amt in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt hatte, wurde die Strafe in der Berufung durch das Landgericht D... (3 Ns [ 682 Js 8297/09-11 Cs 158/10]) mit Urteil vom 31.01.2011 auf eine Freiheitsstrafe von sieben Monaten abgemildert. Schließlich führte die Revision des Beamten zur Aufhebung des Urteils im Strafausspruch und Zurückverweisung durch Beschluss des Oberlandesgerichts Naumburg vom 03.08.2011 (1 Ss 21/11). Die Revision bemängelte insbesondere, dass die Berufungskammer das Vorliegen eines minderschweren Falles nach § 340 Abs. 1 Satz 2 StGB nicht hinreichend geprüft habe. Mit rechtskräftigem Urteil des Landgerichts D... (7 Ns [682 Js 8297/09]) vom 08.11.2011 wurde der Beklagte zu einer Geldstrafe von150 Tagessätzen zu je 60 Euro verurteilt. Das Strafurteil führt zum festgestellten Sachverhalt aus:

10

„An einem nicht mehr näher eingrenzbaren Tag zwischen Ende Februar und dem 05.04.2009 öffnete der Angeklagte im Rahmen seiner Tätigkeit als Justizvollzugsbediensteter die Tür des Haftraumes 125 des Strafgefangenen H...

11

In seiner Begleitung befand sich zu diesem Zeitpunkt der Strafgefangene S.... Jener betrat den Haftraum 125; der Beklagte verblieb im Bereich der Türöffnung. In diese Situation frage der Strafgefangene S... den Beklagen ob er wisse, wer „ J...“ sei. Auf dessen bestätigende Antwort, dass dies der Österreicher sei, der seine Tochter im Keller eingesperrt und missbraucht habe, deutete der Strafgefangene S... auf den Strafgefangenen N... mit den Worten: “Nein, das ist er.“ Der Zeuge N... reagierte daraufhin mit der Frage an den Strafgefangenen S..., ob er wisse, was er ihm antue, indem er ihn als Kinderficker anrede. Hieraufhin drückte der Strafgefangene S... den Häftling N... auf das in der Ecke stehende Bett und schlug, über ihn gebeugt stehend, mehrfach mit der Faust gegen den Oberarm und die Rippen, wodurch er bei dem Strafgefangenen N... nicht unerhebliche Schmerzen hervorrief. Während dessen stand der Angeklagte, ohne auf das von ihm beobachtete Geschehen in der Zelle zu reagieren, in der offenen Tür des Haftraumes, obwohl es ihm bei pflichtgemäßem Eingreifen möglich gewesen wäre, die durch den Häftling S... ausgeübten Körperverletzungen zu beenden. Damit hat der Beklagte nach Feststellung des erkennenden Gerichts den Straftatbestand der Körperverletzung im Amt erfüllt.“

12

Der Beklagte begründet die Disziplinarklage damit, dass der Beklagte mit seinem Verhalten nicht dem Vertrauen und der Achtung gerecht geworden sei, welches sein Beruf erfordere. Justizvollzugsbeamte seien in ganz besonderem Maße für den Schutz der Gefangenen zuständig. Das Verhalten des Beamten sei geeignet gewesen, dem Misstrauen anderer Gefangener Vorschub zu leisten, welche sich somit schutzlos gegenüber anderen Gefangenen gefühlt hätten und zum anderen sei nicht auszuschließen, dass Drangsalierungen anderer Gefangener Vorschub geleistet worden sei. Im für Gefangene wie Bedienstete gefährlichen Bereich des Justizvollzugs sei es unerlässlich, dass sich Bedienstete weisungskonform verhielten. So sei jedem Vollzugsbediensteten bekannt, dass die Sicherheit und Ordnung sowie das Vollzugsziel durch Mobiltelefone gefährdet werde. So könnten z. B. telefonisch Mauerwürfe, Einbringen von Betäubungsmitteln, Absprachen und schließlich Fluchtvorbereitungen sowie akustische und bildliche Aufnahmen von Mitgefangenen oder Justizvollzugsbeamten vorgenommen werden. Der Beamte habe zu dem Gefangenen S... ein besonderes Näheverhältnis aufgebaut, wodurch auch das Vertrauen dem Beamten gegenüber im Kollegen- wie auch Gefangenenkreis erheblich gestört worden sei.

13

Bei der Gesamtwürdigung der bedeutsamen Umstände sei ein Versagen im Kernbereich festzustellen, wodurch der Beamte das Vertrauen des Dienstherrn endgültig und vollständig verloren habe. Es sei mit dem Bild und der Verantwortung eines Justizbediensteten nicht vereinbar, wenn dieser die Sicherheit und Ordnung der Anstalt gefährde, die Verlässlichkeit gegenüber Kollegen nicht gewährleiste und schließlich selbst straffällig werde. Auch sei ein Ansehensverlust durch die Veröffentlichungen in den Medien eingetreten, so dass auch die Öffentlichkeit kein Verständnis dafür haben dürfte, wenn der Dienstherr den Beklagten weiter beschäftigen würde.

14

Der Kläger beantragt,

15

den Beamten aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen.

16

Der Beklagte beantragt,

17

die Disziplinarklage abzuweisen.

18

Der Sachverhalt sei trotz mehrerer Rechtszüge und strafrechtlicher Tatsachenfeststellungen nicht restlos aufgeklärt. So sei nicht geklärt, ob der Angriff des Strafgefangenen S... auf den Strafgefangenen N... durch den Beamten hätte abgewehrt werden können.

19

Zwar habe der Beklagte bei objektiver Betrachtung seine Dienstpflichten verletzt. Dadurch seien aber weder eine Ansehens- noch eine Vertrauensschädigung entstanden. Dies sei hinsichtlich der Strafgefangenen durch die vor dem Strafgericht getätigten Zeugenaussagen bekundet. Auch ein Ansehensverlust durch Medienveröffentlichungen sei nicht feststellbar. Denn es sei einmalig im April 2009 in der lokalen Presse über die Vorkommnisse berichtet worden.

20

Zu beachten sei, dass der Beklagte als lebens- und dienstjüngster Vollzugsbeamter bemüht gewesen sei, ein „menschliches“ Verhalten gegenüber den Strafgefangenen an den Tag zu legen. Gerade durch die Gewährung von menschlichen Gesten gegenüber den Strafgefangenen habe der Beklagte versucht, die Sicherheit und Ordnung in der Justizvollzugsanstalt aufrechtzuerhalten. Dadurch seien tatsächlich gewisse Drucksituationen bei einigen Strafgefangenen ventiliert worden, indem mal ein Kaffee oder eine Zigarette spendiert oder den Strafgefangenen die Gelegenheit gegeben worden sei, auch einmal außerhalb der regulären Zeiten zusammenzukommen und gemeinsam die Zeit zu verbringen. Dies gelte auch für die Überlassung des Mobiltelefons an den Strafgefangenen S.... Dieses Verhalten habe zudem dazu gedient, besondere Erkenntnisse und Informationen über den Handel mit Betäubungsmitteln in der Justizvollzugsanstalt aufzudecken. So sei der Beamte durch die Staatsanwaltschaft D... gebeten worden, im verdeckten Einsatz als Lockspitzel zur Aufklärung möglicher Straftaten des Strafgefangenen R... tätig zu werden. Aus persönlichen Gründen und des Schutzes seiner Familie habe der Beklagte dies abgelehnt, sich aber gleichsam in einer moralischen Verpflichtung gesehen, so dass er deshalb in besonderem Maße an den Insiderinformationen des Strafgefangenen S... interessiert gewesen sei.

21

Ein endgültiger Verlust des Vertrauensverhältnisses zu dem Dienstherrn oder der Allgemeinheit sei deshalb noch nicht festzustellen. Dementsprechend mag die Verhängung einer milderen Disziplinarmaßnahme als die Höchstmaßnahme verhältnismäßig und der Pflichtverletzung angemessen sein.

22

Wegen der weiteren Einzelheiten und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungs- und Ermittlungsvorgänge verwiesen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

23

Die zulässige Disziplinarklage ist begründet. Der Beklagte hat ein schwerwiegendes Dienstvergehen gem. § 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG begangen, welches die Disziplinarmaßnahme der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (§ 10 DG LSA) nach sich zieht.

24

Beamte begehen ein Dienstvergehen, wenn sie schuldhaft die ihnen obliegenden Pflichten verletzen (§ 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG). Die Disziplinarkammer ist davon überzeugt, dass der Beklagte die ihm in der Disziplinarklage vorgeworfenen und bezüglich der Handy-Übergabe eingeräumten Pflichtenverstöße begangen hat.

25

1.) Der disziplinarrechtlich zu bewertende Sachverhalt, welcher zur Verurteilung einer Körperverletzung im Amt in einem minderschweren Fall führte, ergibt sich aus den tatsächlichen Feststellungen in dem Strafurteil des Landgerichts D... vom 08.11.2011, welche wiederum auf der Bindungswirkung aus dem Urteil des Landgerichts D... vom 31.01.2011 beruhen. Nach § 54 Abs. 1 Satz 1 DG LSA ist das Disziplinargericht an diese tatsächlichen Feststellungen gebunden. Eine Möglichkeit bzw. ein Bedürfnis zur Lösung von diesen tatsächlichen Feststellungen des Strafurteils nach § 54 Abs. 1 Satz 2 DG LSA sieht das Gericht nicht. Es ist in der disziplinarrechtlichen Rechtsprechung anerkannt, dass eine Lösung von den tatsächlichen Feststellungen eines Strafurteils nur ausnahmsweise und unter eng begrenzten Voraussetzungen möglich ist. Die Disziplinargerichte dürfen die eigene Entscheidungsfreiheit nicht an die Stelle der Entscheidung des Strafgerichtes setzen. Strafgerichtliche Feststellungen, die auf einer nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrenswerte verstoßenden Beweiswürdigung beruhen, sind daher auch dann für die Disziplinargerichte bindend, wenn diese aufgrund eigener Würdigung abweichende Feststellungen für möglich halten. Nur erhebliche Zweifel können daher zu einer nochmaligen Prüfung veranlassen (vgl. BVerwG, U. v. 05.09.1990, 1 D 78.89; vom 07.10.1986, 1 D 46.86; zuletzt: Beschl. V. 01.03.2013, 2 B 78/12; OVG NRW, U. v. 29.10.1981, 1 V 10/89; VGH Baden-Württemberg, U. v. 18.06.2001, D 17 S 2-01; VG Regensburg, U. v. 09.12.2009, RO 10 A DK 09.1074; VG Meiningen, U. v. 19.04.2010, 6 D 60014/09 Me; zusammenfassend: VG Magdeburg, U. v. 29.01.2013, 8 A 22/12; alle juris).

26

Unter Zugrundelegung dieser Rechtsprechung hat die Disziplinarkammer keine Zweifel an der Richtigkeit der strafrichterlichen Feststellungen zu dem Tathergang. Ausgehend von der Bindungswirkung bestreitet dies der Beamte auch nicht, sondern zieht nur andere rechtliche Schlussfolgerungen daraus. So sieht der Beklagte auch bei Zugrundlegung der strafgerichtlichen Feststellungen, dass der Angriff durch den Strafgefangenen S... auf den Strafgefangenen N... in seinem Beisein durchgeführt wurde, Aufklärungsbedarf dahingehend, ob er noch hätte eingreifen und den Vorfall unterbinden können.

27

Letzteres aufgegriffen, sieht die Kammer jedoch auch dort keine Lösungsmöglichkeit bzw. Veranlassung zur weiteren Sachverhaltsaufklärung. Dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag zur Vernehmung des Geschädigten N... als Zeugen zu dieser Tatsache, musste und durfte deshalb bereits nicht nachgegangen werden. Denn gerade das fehlende Eingreifen des Beklagten, also sein Unterlassen, stellt den Tatbestand der Körperverletzung im Amt dar und wurde vom Strafgericht dahingehend gewürdigt. Die Strafkammer kam im Ergebnis der Beweisaufnahme und in Würdigung der Aussagen der Zeugen N..., L… und F… abweichend von der Einlassung des Beklagten zu der Überzeugung, dass sich die Körperverletzung wie erwähnt zugetragen hat, der Beklagte dies ohne einzugreifen beobachtete, obwohl ihm dies möglich gewesen wäre.

28

Die Bindungswirkung erstreckt sich auf den inneren und äußeren Tatbestand der Straftat, also auch auf Vorsatz sowie die Schuldfähigkeit (vgl. zuletzt OVG Lüneburg, U. v. 05.12.2012, 19 LD 3/12; juris). Daher musste und durfte dem weiteren in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag dazu, dass der Strafgefangene N... dem Beklagten ein jederzeit „ordentliches Verhalten“ als Vollzugsbediensteter bescheinigt habe durch Vernehmung des Zeugen N... nicht nachgegangen werden.

29

2.) Darüber hinaus steht auch aufgrund der eignen Einlassung des Beamten fest, dass er dem Gefangenen S... ein Handy mit Fotofunktion, Parfümproben, zwei Musik-CD’s sowie Cappuccino der Geschmacksrichtung „Karamell“ in die Haftanstalt mitgebracht und übergeben hat.

30

3.) Durch diese Handlungen hat der Beklagte vorsätzlich und schuldhaft gegen die aus den Dienst- und Sicherheitsvorschriften für den Straffvollzug (DSVollz) resultierenden allgemeinen Berufspflichten der Bediensteten der Vollzugsanstalten (vgl. nur: §§ 2, 9, 20) und damit gegen die in § 34 BeamtStG normierte Wohlverhaltenspflicht und die nach § 35 Satz 2 BeamtStG bestehende Pflicht zur Weisungsgebundenheit verstoßen.

31

Nach Nr. 2 Abs. 1 DSVollz dürfen Vollzugsbedienstete ohne ausdrückliche Erlaubnis der Anstaltsleitung weder Geld noch andere Sachen an Gefangenen aushändigen. Nach Nr. 20 Abs. 1 Sätze 1 und 2 DSVollz sind die Gefangenen so zu beaufsichtigen, dass Sicherheit und Ordnung jederzeit gewährleistet sind, wobei sich die Beaufsichtigung insbesondere auf eine Unterbindung unerlaubten Verkehrs erstreckt.

32

4.) Hinsichtlich der auszusprechenden Disziplinarmaßnahme ist die Schwere des Dienstvergehens unter angemessener Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten richtungsweisend (vgl. § 13 DG LSA). Die Schwere beurteilt sich nach objektiven Handlungsmerkmalen wie Eigenart und Bedeutung der Dienstpflichtverletzungen, den besonderen Umständen der Tatbegehung sowie Häufigkeit und Dauer eines wiederholten Fehlverhaltens, nach subjektiven Handlungsmerkmalen wie Form und Gewicht des Verschuldens des Beamten, den Beweggründen für sein Verhalten sowie nach den unmittelbaren Folgen für den dienstlichen Bereich und für Dritte. Davon ausgehend kommt es darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung im Einzelfall derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die durch die Schwere des Dienstvergehens indizierte Maßnahme geboten ist. Eine vollständige und richtige Gesamtwürdigung setzt voraus, dass die Disziplinarkammer die im Einzelfall bemessungsrelevanten, d. h. die für die Schwere des Dienstvergehens und das Persönlichkeitsbild bedeutsamen Tatsachen ermittelt und mit dem ihnen zukommenden Gewicht in die Gesamtbewertung einbezieht. Dies entspricht dem Zweck der Disziplinarbefugnis des Disziplinargerichts als einem Mittel der Funktionssicherheit des öffentlichen Dienstes. Dabei findet der Grundsatz „in dubio pro reo“ Anwendung. Die Disziplinargerichte dürfen nur solche belastenden Tatsachen in die Gesamtwürdigung einstellen, die zur Überzeugung des Gerichts feststehen. Demgegenüber müssen entlastende (mildernde) Umstände schon dann zu Gunsten des Beamten berücksichtigt werden, wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für ihr Vorliegen gegeben sind und eine weitere Sachverhaltsaufklärung nicht möglich ist (vgl. nur: VG Magdeburg, Urteil v. 29.11.2012, 8 A 12/11 und Urteil v. 27.10.2011, 8 A 2/11 mit Verweis auf BVerwG, U. v. 27.01.2011, 2 A 5.09; jüngst BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11/10 mit Verweis auf Urteile v. 20.10.2005, 2 C 12.04 und v. 03.05.2007, 2 C 9.06; OVG Lüneburg, Urteil v. 14.11.2012, 19 LD 4/11; alle juris).

33

Ein endgültiger Verlust des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit im Sinne von § 13 Abs. 2 Satz 1 DG LSA ist anzunehmen, wenn aufgrund der prognostischen Gesamtwürdigung auf der Grundlage aller im Einzelfall bedeutsamen be- und entlastenden Gesichtspunkte der Schluss gezogen werden muss, der Beamte werde auch künftig in erheblicher Weise gegen seine Dienstpflichten verstoßen oder die durch sein Fehlverhalten herbeigeführte Schädigung des Ansehens des Berufsbeamtentums sei bei einer Fortsetzung des Beamtenverhältnisses nicht wiedergutzumachen. Unter diesen Voraussetzungen muss das Beamtenverhältnis im Interesse der Leistungsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und der Integrität des Berufsbeamtentums beendet werden (BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11.10 mit Verweis auf Urteile v. 20.10.2005, 2 C 12.04, v. 03.05.2007, 2 C 9.06 und v. 29.05.2008, 2 C 59.07; alle juris).

34

Für das danach zu findende Disziplinarmaß können die vom Disziplinarsenat des Bundesverwaltungsgerichts für bestimmte Fallgruppen herausgearbeiteten Regeleinstufungen von Bedeutung sein.

35

Setzt sich das (einheitliche) Dienstvergehen (vgl. zur Einheit des Dienstvergehens nur: VG Magdeburg, Urteil v. 04.11.2009, 8 A 19/08 m. w. Nachw.; juris) aus mehreren Dienstpflichtverletzungen zusammen, bestimmt sich die zu verhängende Disziplinarmaßnahme in erster Linie nach der schwersten Verfehlung (BVerwG, Urteil v. 23.02.2005, 1 D 1.04; juris). Vorliegend wiegen beide vorgeworfenen Pflichtverletzungen (gleich) schwer.

36

a.) Die Überlassung eines funktionstüchtigen Mobiltelefons zudem mit Kamerafunktion an einen Strafgefangenen stellt einen schweren Verstoß gegen die Dienst- und Sicherheitsvorschriften für den Strafvollzug dar (vgl. VG Magdeburg, Beschluss v. 12.10.2009, 8 B 18/09; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 22.03.2010, 3 A 11391/09; VG Trier, Urteil v. 08.12.2009, 3 K 387/09.TR; alle juris). Das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz hat bezüglich „nur“ der Weitergabe einer SIM-Karte an Gefangene durch einen Justizvollzugsbeamten die Entfernung aus dem Dienst ausgesprochen und im Urteil v. 22.03.2010 (3 A 11391/09; juris) unter Bestätigung der Ausführungen des Verwaltungsgerichts Trier (Urteil v. 08.12.2009, 3 K 387/09.TR; juris) ausgeführt:

37

„Durch die Weitergabe […] hat er dem Gefangenen die Möglichkeit unkontrollierter Mobilfunkgespräche eröffnet. Damit hat er nicht nur ein unbeherrschbares Risiko für die Sicherheit der Allgemeinheit geschaffen. Er hat auch die Gesundheit und das Leben der Bediensteten und der anderen Gefangenen in der Anstalt in Gefahr gebracht. Die durch den Beklagten geschaffene Möglichkeit unkontrollierter Telefongespräche hätte dazu missbraucht werden können, aus der Anstalt heraus kriminelle Handlungen zu veranlassen oder Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörde zu behindern. Außerdem hätten Gefangene – mithilfe der beiden SIM-Karten – Ausbruchsversuche organisieren oder so genannte „Mauerwerfer“ lenken können, um an weitere unerlaubte Gegenstände – etwa an Drogen oder Waffen – zu gelangen. Schließlich hat der Beklagte sich durch die grob pflichtwidrige Überlassung der SIM-Karen an den Gefangenen nicht nur diesem gegenüber, sondern auch gegenüber allen anderen Gefangenen, die davon erfahren haben, erpressbar gemacht. Auch aus diesem Grund war das Handeln des Beklagten geeignet, die Anstaltssicherheit erheblich zu gefährden (vgl. BayVGH, Urteil v. 11. Juli 2007 – 16a D 06.85 – juris).

38

[…]

39

Der Dienstherr ist im hoch sicherheitsrelevanten Bereich der Justizvollzugsanstalt in besonderer Weise auf ein unbedingtes Vertrauen in das Pflichtbewusstsein, die Zuverlässigkeit und die Ehrlichkeit seiner Beamten angewiesen. Eine lückenlose Kontrolle der Bediensteten ist unter den Bedingungen des Justizvollzuges nicht möglich. Sie muss daher sehr weit gehend durch Vertrauen ersetzt werden. Außerdem hat die Pflichtvergessenheit einzelner Beamter im Justizvollzug häufig sehr weit reichende Folgen für die Sicherheit der Anstalt und der Allgemeinheit (OVG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 22.03.2010, 3 A 11391/09; juris).“

40

Diesen Ausführungen schließt sich die Disziplinarkammer an und verschafft ihnen auch Geltung im vorliegenden Fall. Denn hier hat der Beklagte nicht nur eine SIM-Karte dem Gefangenen geliefert sondern gleich ein funktionstüchtiges Mobiltelefon mit Kamerafunktion. Dabei ist neben der Telekommunikation auch auf die anstaltswidrige Möglichkeit der Kameranutzung und der sich daraus ergebenen Gefahren und missbräuchlichen Nutzung hinzuweisen. Der Ausspruch der disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahme steht demnach bereits zur Ahndung dieser Pflichtverletzung aufgrund des Vertrauensbruchs im Raum.

41

b.) Es liegt auf der Hand, dass gerade bei einem Beamten im Justizvollzugsdienst eine begangene und zur Strafverurteilung geführte Straftat der Körperverletzung im Amt ein schwerwiegendes Dienstvergehen darstellt. Angesichts der Bandbreite denkbarer Fallgestaltungen bei der Begehung des Amtsdeliktes hat sich eine sogenannte Regeleinstufung hinsichtlich der auszusprechenden Disziplinarmaßnahme in der disziplinarrechtlichen Rechtsprechung noch nicht herausgebildet.

42

Festzustellen ist aber, dass ein Justizvollzugsbeamter - wie im Übrigen auch ein Polizeivollzugsbeamter - der eine vorsätzliche Körperverletzung im Amt an einer in seinem Gewahrsam befindlichen Person begeht, dem Kernbereich seiner Amtspflichten zuwider handelt und das für die Ausübung seines Berufs erforderliche Vertrauen seines Dienstherrn und der Allgemeinheit auf das Schwerste beeinträchtigt. In der disziplinarrechtlichen Rechtsprechung ist daher anerkannt, dass ein Polizeivollzugsbeamter, der in Ausübung seines Dienstes eine oder mehrere vorsätzliche Körperverletzungen begeht, ohne dass ein Fall der Notwehr oder Putativnotwehr vorliegt, in grober Weise gegen seinen polizeilichen Auftrag zur Gefahrenabwehr verstößt und den Kernbereich seiner Pflichten verletzt. Er missbraucht die ihm verliehene Machtbefugnis und erschüttert in erheblichem Maße das Ansehen der Polizei als staatliche Institution. Die Allgemeinheit darf erwarten, dass das strafgesetzliche Verbot, andere körperlich nicht zu verletzen, gerade von Polizeivollzugsbeamten befolgt wird, deren Aufgabe es ist, die Einhaltung dieses Verbotes zu überwachen und Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, namentlich solche Gefahren, die Leben, Gesundheit oder Freiheit von Personen bedrohen, abzuwehren. In schwerwiegenden Fällen, wozu der Übergriff auf in Polizeigewahrsam befindliche Personen gerade auch im Hinblick auf die dadurch zum Ausdruck kommende Missachtung der staatlichen Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zu rechnen ist, ist imRegelfall die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis als Richtschnur geboten (vgl. nur VG Wiesbaden, U. v. 27.09.2012, 28 K 389/11. WI.D; juris m. V. auf: VGH Baden Württemberg, U. v. 04.11.2008, DL 16 S 616/08; Bayr. VGH, U. v. 05.03.2008, 16 a D 07.1368; Bayr.VGH, U. v. 12.10.2011, 16a D 09.928; alle juris).

43

Diese vorgenannte Rechtsprechung gilt - und auch gerade - für Beamte im Justizvollzugsbereich. Denn diese Beamtengruppe hat typischerweise und im Vergleich zu Polizeivollzugsbeamten nur mit ihnen und ihrem Gewahrsam überlassenen Gefangenen zu tun (vgl. auch VGH Baden Württemberg, U. v. 10.11.2006, DL 16 S 22/06 und Urteil v. 16.11.1998, D 17 S 12/98; beide juris). Zudem haben derartige Übergriffe zur Folge, dass das Bekanntwerden gewalttätiger Übergriffe durch Beamte bei den Gefangenen die Angst schüren, ebenso mit gewaltbereiten Beamten konfrontiert zu werden, woraus ein massiver Vertrauensverlust eintritt. Dies gilt im Übrigen - und vielleicht sogar besonders - nicht nur für das aktive Handeln des Beamten sondern auch für die Tatbegehung durch ein Unterlassen des Beamten, also ein Nichteinschreiten gegenüber der von Gefangenen oder gar Beamten auf andere Gefangene begangenen körperlichen Übergriffe. Denn insoweit sind die Besonderheiten und die Fürsorgepflicht der staatlichen Haftanstalten als Garanten gegenüber den Inhaftierten nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zu beachten (vgl. Folterandrohung: BVerfG, Beschluss v. 19.02.2008, 1 BvR 1807/07; juris). Es darf unter keinen Umständen zugelassen und hingenommen werden, dass derartige gewaltbereite Freiräume im staatlichen Gewahrsam herrschen und Häftlinge gewalttätigen Übergriffen durch andere Personen schutzlos ausgeliefert sind, so dass der körperlich „Stärkere“ sich durchsetzen kann.

44

a. a.) Die disziplinarrechtliche Rechtsprechung versucht die generelle Schwere des derartigen Dienstvergehens im Einzelfall abzumildern, wenn der Übergriff durch eine - über das Alltägliche hinausgehende, schwere - Provokation oder Angriff durch den Gefangenen bedingt war (vgl. VGH Baden-Württemberg, U. v. 10.11.2006, DL 16 S 22/06; U. v. 04.11.2008, DL 16 S 616/08; beide juris). Aber auch dann gilt generell, dass der Vollzugsbeamte aufgrund seiner Ausbildung gelernt haben muss, mit derartigen - alltäglichen - Anfeindungen (etwa Anspucken, Verbalbeleidigungen, Verballterror) seines gegenüber fertig zu werden.

45

Werden diese oftmals aus der konkreten Situation des Inhaftierten bedingten Provokationen mit erheblicher Härte und Brutalität und einer maßlosen Überreaktion des Beamten (z. B: Faustschlag ins Gesicht {VGH Baden-Württemberg, U. v. 10.11.2006, DL 16 S 22/06; juris} Handkantenschlag ins Gesicht {VGH Baden-Württemberg, U. v. 04.11.2008, DL 16 S 616/08; juris}; Schlagstockhagel OVG NRW, U. v. 10.03.1999, 6d A 255/98.O; juris}; achtmal mit Hartgummischlagstock zuschlagen {Bayr. VGH, U. v. 12.10.2011, 16a D 09.828; juris}), woraufhin der Gefangene erhebliche gesundheitliche Schäden davonträgt (Bewusstlosigkeit, Halswirbelsäulendistorsion, Monokelhämatom mit zugeschwollenem Auge {VGH Baden-Württemberg, U. v. 10.11.2006, DL 16 S 22/06; juris}; Offene Unterkieferfraktur, Extraktion mehrerer Zähne {VGH Baden-Württemberg, U. v. 04.11.2008, DL 16 S 616/08; juris}; Riss-Quetsch-Wunde am Kopf mit zahlreichen Hämatomen am ganzen Körper {Bayr. VGH, U. v. 12.10.2011, 16a D 09.828; juris}), beantwortet, sind Milderungsgründe nicht angebracht. Gleiches gilt etwa bei einem sichtbar psychisch Erkrankten oder sonst wie situationsbedingten deutlich unterlegenen Geschädigten (Bay. VGH, U. v. 05.03.2008, 16a D 07.1368; juris).

46

Demnach sind Art, Intensität und Häufigkeit des Amtsdeliktes, dessen Folgen auch in Bezug auf das Ansehen und das Vertrauen in der Öffentlichkeit in den Polizei- und Justizvollzug aufgrund von Presseveröffentlichungen und je nach Sachlage auch das Nachttatverhalten des Täters zu beachten. Auch entscheidend ist, ob es sich um eine persönlichkeitsfremde Tat des Beamten gehandelt hat.

47

b. b.) Unter Auswertung der erkennbaren disziplinarrechtlichen Rechtsprechung geht die Disziplinarkammer davon aus, dass bei rechtswidrigen und schuldhaften Körperverletzungen im Amt an Personen, denen gegenüber der Beamte Amtshandlungen vorzunehmen hatte, im Regelfall als Disziplinarmaßnahme mindestens die Verhängung einer Gehaltskürzung geboten ist. In schwerwiegenden Fällen, vor allem bei Übergriffen auf sich in (polizeilichem) Gewahrsam befindlichen Personen ist angesichts der aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG resultierenden staatlichen Schutzpflicht der körperlichen Integrität diesen Personen gegenüber imRegelfall die Dienstentfernung erforderlich (vgl. Bayr. VGH, U. v. 12.10.2011, 16a D 09.828; juris).

48

5.) Ist damit aufgrund der Schwere der Dienstpflichtverletzungen generell von der Maßnahme der Entfernung aus dem Dienst auszugehen, ist zu fragen, ob – auch unter Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten – gewichtige Milderungsgründe eine darunter liegende Disziplinarmaßnahme (noch) rechtfertigen können.

49

Dies ist dann der Fall, wenn zu Gunsten des Beamten gewichtige Entlastungsgründe (Milderungsgründe) zu berücksichtigen sind, die den Schluss rechtfertigen, dass das dem Beamten vom Dienstherrn und der Allgemeinheit entgegengebrachte Vertrauen noch nicht endgültig verloren ist. Solche Gründe stellen zum einen die von der Rechtsprechung bezüglich der sog. Zugriffsdelikte entwickelten und anerkannten Milderungsgründe dar, die besondere menschliche Konfliktsituationen beschreiben. Hierzu zählen etwa das Handeln in einer existenziellen wirtschaftlichen Notlage oder einer körperlichen oder psychischen Ausnahmesituation oder besonderen Versuchssituationen oder eine persönlichkeitsfremde Einzelverfehlung des Beamten wie auch „Entgleisungen“ während einer negativen, inzwischen überwundenen, durch Alkohol, Drogen oder Schicksalsschlägen bedingte Lebensphase. Der Milderungsgrund der Geringwertigkeit eines verursachten Schadens oder des geldlichen Vorteils der Handlung wird bei etwa 50,00 Euro gezogen. Auch besondere die Dienstpflichtverletzung begünstigende Handlungen und mangelnde Kontrollen des Dienstherrn können im Einzelfall wie ein besonderes Nachtatverhalten die Schwere der Verfehlung mildern. Zeitlich überlange Disziplinarverfahren können wegen des disziplinarrechtlichen Beschleunigungsgebotes und der mit dem Disziplinarverfahren verbundenen persönlichen Belastungen jedenfalls bei Maßnahmen der Pflichtenmahnung berücksichtigt werden. Entlastungsgründe können sich aber zum anderen auch aus allen Besonderheiten ergeben, die es im Einzelfall wegen der persönlichkeitsbedingten an § 13 DG LSA zu orientierenden Prognoseentscheidung gebieten, von der disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahmen Abstand zu nehmen. Die entlastenden Gründe sind nicht (mehr) allein auf den in der Rechtsprechung entwickelten Kanon der anerkannten Milderungsgründe beschränkt (BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11.10, m. w. Nachw.; juris). Diese Besonderheiten müssen aber in ihrer Gesamtheit geeignet sein, die Schwere des Pflichtenverstoßes erheblich herabzusetzen. Generell gilt, dass das Gewicht der Entlastungsgründe umso größer sein muss, je schwerer das Delikt aufgrund der Schadenshöhe sowie der Tatumstände, wie Anzahl, Häufigkeit, Zeitraum, Verschiedenartigkeit und Tatausführung wiegt (im Ganzen ausführlich: VG Magdeburg, Urt. v. 29.11.2012, 8 A 12/11, v. 31.03.2011, 8 A 2/10 MD und v. 27.10.2011, 8 A 2/11, mit Verweis auf BVerwG, Urt. v. 24.05.2007, 2 C 28.06, Urt. v. 06.06.2007, 1 D 2.06, Urt. v. 29.05.2008, 2 C 59.07; Bayr. VGH, Urt. v. 27.10.2010, 16 aD 09.2470; OVG Lüneburg, Urt. v. 08.02.2011, 6 LD 4/08; alle juris). Auch eine dienstliche Überlastung und die übermäßige Dauer des Disziplinarverfahrens kann einen Milderungsgrund darstellen (VG Magdeburg, Urteil v. 29.01.2013, 8 A 5/11; juris).

50

a.) Hinsichtlich der Straftat der Körperverletzung im Amt führt das Landgericht in dem Strafurteil nach den Vorgaben der Revisionsentscheidung aus:

51

„Nach einer Gesamtabwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände sah die Kammer in dem vorliegenden Fall ein beträchtliches Überwiegen der mildernden Faktoren und ein Tatbild, das vom Durchschnitt der gewöhnlich vorkommenden Fälle einem solchen Maße abweicht, dass die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten erschien.

52

Die Kammer hat dabei nicht unberücksichtigt gelassen, dass der Angeklagte als Justizvollzugsbeamter in einem ganz besonderen Maße für den Schutz der Gefangenen zuständig war. Die Haftgefangenen befinden sich aufgrund einer staatlichen Entscheidung in behördlicher Verwahrung. Sie müssen daher darauf vertrauen dürfen und sind darauf angewiesen, dass die Beamten in dieser Situation, in die sich die Gefangenen nicht freiwillig begeben haben, geschützt werden. Die Tätigkeit des Justizvollzugsbeamten geht insoweit inhaltlich über die schon tatbestandsbegründeten Voraussetzungen der bloßen Amtsträgereigenschaft noch deutlich hinaus. Das Versagen des Angeklagten in der verfahrensgegenständlichen Situation wiegt daher schwerer als das durchschnittliche Versagen eines anderen Amtsträgers, dass bereits für eine Strafbarkeit nach § 340 Abs. 1 StGB genügt. Das Verhalten des Angeklagten war geeignet, dem Misstrauen anderer Gefangener Vorschub zu leisten, die sich wegen der Untätigkeit des Angeklagten auch in anderen Situationen schutzlos gegenüber anderen Gefangenen fühlen mussten, und es war geeignet, weiteren Drangsalierungen anderer Gefangener Vorschub zu leisten, die sich von der Untätigkeit des Angeklagten gestärkt fühlen konnten. Zudem war zu beachten, dass dieses strafrechtlich relevante Verhalten des Angeklagten im Zusammenhang mit weiteren von ihm eingeräumten dienstlichen Verfehlungen (Handy, Umschluss) zu sehen ist. Diese Verfehlungen erfüllen zwar keinen strafrechtlichen Tatbestand, lassen aber negative Rückschlüsse auf die grundsätzliche Einstellung und Gesinnung des Angeklagten in Bezug auf seine Amtstätigkeit zu.

53

Andererseits aber war zu seinem Gunsten zu berücksichtigen, dass aus den diversen Möglichkeiten, den Tatbestand des § 340 Abs. 1 StGB zu erfüllen (eigenhändige Begehung der Körperverletzung, Veranlassen der Körperverletzung durch Dritte, Geschehenlassen der Körperverletzung durch bloßes Nichteingreifen), der Angeklagte die Variante erfüllt hat, die den vergleichsweise geringsten, wenn auch tatbestandserfüllenden Unwert besitzt. Der Angeklagte hatte kein eigenes Interesse an der Tatbegehung. Die von ihm nicht unterbundene Körperverletzungshandlungen waren zudem unter Berücksichtigung der von der Tathandlung des S... betroffenen Körperstellen des Opfers unter normalen Umständen nicht geeignet, erhebliche Körperschäden mit einer nennenswerten Krankheitsfolge zu verursachen.

54

Der Angeklagte ist zudem strafrechtlich nicht vorbelastet. Seit der Tat ist bereits ein erheblicher Zeitraum vergangen, auch wenn dies dem üblichen Verfahrensablauf über mehrere Instanzen und nicht justizseitigem Verschulden zuzuschreiben ist. Wenn die Tat auch nicht der einzige Grund für die Suspendierung ist, hat der verfahrensgegenständliche Vorwurf doch zu der Suspendierung des Angeklagten beigetragen. Die Suspendierung ist zwar bei voller Fortzahlung der Bezüge erfolgt, so dass der Angeklagte dadurch bislang keine wirtschaftlichen Einbußen erlitten hat. Gleichwohl hat der Angeklagte aber den sozialen Makel zu tragen, dass es ihm aufgrund eines beruflichen Versagens unabhängig von der strafrechtlichen Würdigung nicht gestattet ist, seinen Beruf derzeit weiter auszuüben.“ (Hervorhebungen von Disziplinargericht).

55

Diese vom Strafgericht gesehenen Besonderheiten des Falls können, unabhängig von der bereits im dortigen Verfahren angenommenen Milderung, auch im Disziplinarverfahren zur Anwendung gelangen und dem Beklagten zur Entlastung dienen. Dabei stellt das Disziplinargericht aber eine eigenständige Abwägungsentscheidung an und ist trotz der tatbestandlichen Bindungswirkung aber nicht an die strafrechtliche Wertung als minder schwerer Fall gebunden. Die bereits eingangs beschriebene Bindungswirkung betrifft nur die tatsächlichen Feststellungen des Strafurteils, nicht aber die strafrichterliche Wertung zum „Maß der Gewaltanwendung“ in Bezug auf den minder schweren Fall. Anknüpfungspunkt für die zu verhängende Disziplinarmaßnahme ist – auch wenn insoweit abweichend vom strafrechtlichen Ansatz – allein die Sichtweise des Dienstrechts, für die auf das Gewicht und die Schwere der Verletzung des Dienstrechts abzustellen ist (VG Magdeburg, Urteil v. 29.01.2013, 8 A 22/12; mit Verweis auf VGH Baden-Württemberg, Urteil v. 18.06.2001, D 17 S 2/01; beide juris). Demnach sieht das Disziplinargericht zwar - wie ausgeführt - gerade in der Tatbegehung durch Unterlassen, also das Begehen lassen der Körperverletzung, entgegen der strafrichterlichen Wertung bei einem Justizvollzugsbeamten disziplinarrechtlich einen eher nicht mildernden Umstand. Gleichsam ist doch zu berücksichtigen, dass abhängig von der Tatbegehung durch den S..., der Geschädigte N... eher geringe körperliche Schäden davon trug und der Beklagte kein eigenes Interesse an der Tatbegehung hatte. Andererseits hatte der Beklagte gerade keinen Einfluss auf die (anfängliche) Tatbegehung durch den S..., so dass er von dessen Tatbegehung abhängig war. Die Art und Weise und etwa Intensität der Körperverletzungshandlungen durch den S... oder die von ihm getroffenen und verletzten Körperpartien bei dem Geschädigten waren für den Beklagten nicht vorhersehbar, sodass die – milde – Tatausführung durch den S... den Beamten auch nicht einschlägig entlasten kann.

56

b.) Der Umstand des langen zeitlichen Ablaufs der strafrechtlichen- und disziplinarrechtlichen Ahndung kann nicht zur Milderung gereichen. Denn diese waren dem strafrechtlichen Instanzenzug und nicht dem Verstoß gegen den disziplinarrechtlichen Beschleunigungsgrundsatz geschuldet; zudem bei Verhängung der Höchstmaßnahme unerheblich (vgl. zuletzt: VG Magdeburg, Urteil v. 29.01.2013, 8 A 5/11; juris).

57

Die bisherigen Unbescholtenheit und die fehlenden Vorbelastung des Beklagten vermögen in Anbetracht der Schwere der Dienstpflichtverletzungen ebenso nicht durchschlagend entlastend wirken.

58

c.) Im Hinblick auf die nach § 13 DG LSA anzustellende Persönlichkeitsbewertung des Beamten mag seine Einlassung für ihn sprechen, dass er als unerfahrener und zudem jüngster Dienst- und Lebenszeitbeamter versucht habe, einen „menschlichen“ Umgang mit den Strafgefangenen zu pflegen. Dabei muss zunächst ganz eindeutig hervorgehoben werden, dass es nicht angehen kann und darf, dass ein Justizvollzugsbeamter die ihm im Umgang mit den Gefangenen durch die Anstaltsleitung oder dem Gesetz- und Verordnungsgeber aufgegebenen Weisungen und Anordnungen unberücksichtigt lässt und seine eigenen, davon unabhängigen Vorstellungen im Strafvollzug entwickelt und verwirklicht (vgl. ausführlich: VG Magdeburg, Urteil v. 29.03.2012, 8 A 9/09; juris). Dem muss aber gleichwohl nicht entgegenstehen, dass durch ein freundliches und von Respekt dem Gefangenen gegenüber getragenes Auftreten, in diesem Rahmen gewisse Nischen möglich erscheinen, wonach kleinere, dem Anstaltszweck und der Sicherheit und Ordnung innerhalb der Haftanstalt nicht zu wider laufende, Gefälligkeiten getätigt werden können. Dazu mag - im Einzelfall - der Austausch der Kaffegetränke gegen eine andere Geschmacksrichtung oder auch die zur Verfügung Stellung bestimmter Toiletten- und Hygieneartikel oder Zigaretten gehören. Ganz eindeutig gehört die Übergabe eines Mobiltelefons nicht dazu. Daher war auch hier dem Beweisantrag zur Vernehmung des Zeugen N... zur Bescheinigung eines „ordentlichen Verhaltens als Vollzugsbeamter“ nicht nachzugehen. Dies kann der Beklagte auch nicht mildernd damit rechtfertigen, dass der Gefangene ansonsten keine Möglichkeit zur Telefonnutzung gehabt hätte. Denn in begründeten Not- und Eilfällen oder beim Vorliegen sonstiger Besonderheiten kann und darf der Inhaftierte selbstverständlich offiziell auch außerhalb der Reihe telefonieren.

59

Ein ähnliches – naives – Dienstverhalten liegt der Annahme des Beklagten zugrunde, er müsse als „Lockspitzel“ durch bestimmtes Verhalten gegenüber den Häftlingen tätig werden. Ein derartiger Einsatz ist nicht belegt und wird vom Beklagten auch nicht behauptet. Im Gegenteil trägt er vor, er habe ein entsprechendes Angebot abgelehnt. Dass er sich gleichwohl verpflichtet gefühlt habe, Gefangene „auszuspionieren“ belegt sein naives Dienstverhalten.

60

Insgesamt zeichnet sich bei der Persönlichkeitsbewertung des Beklagten eher ein Bild ab, wonach er als fachlich bzw. charakterlich ungeeignet für den sicherheitsrelevanten Beruf des Justizvollzugsbeamten erscheint. Diese - beamtenrechtlichen - Zugangsvoraussetzungen, die entscheidend bei der Prüfung und Prognoseentscheidung hinsichtlich der Lebenszeiternennung sind, können auch bei der disziplinarrechtlichen Bewertung der Tat Anwendung finden. Denn der Pflichtenverstoß ist unmittelbar durch die Ungeeignetheit zur Berufsausübung bedingt. Ohne das Fehlverständnis über die zwingende Einhaltung der sicherheits- und ordnungsrelevanten Bestimmungen und damit der Ungeeignetheit zur Tätigkeit in der Haftanstalt, wäre der Pflichtenverstoß nicht begangen worden. Ist der Beamte in seinem Aufgabenbereich überfordert, so dass er dafür als ungeeignet angesehen werden muss, scheitert seine Dienstpflicht zu vollem dienstlichen Einsatz und zur zuverlässigen, weisungsgemäßen Dienstleistung an seiner persönlichen Leistungsfähigkeit (vgl. Köhler in Hummel/Köhler/Mayer, BDG, 4. Auflage 2009, A. IV. 4 Rz. 110). Dabei legt das Disziplinargericht gleichwohl Wert auf die Feststellung, dass vorliegend keinerlei Anhaltspunkte für ein schuldmilderndes oder schuldausschließendes Verhalten (§§ 20, 21 StGB) des Beklagten vorliegen (vgl. dazu: VG Magdeburg, Urteil v. 29.03.2012, 8 A 9/09; juris). Da diese Verhaltensweisen des Beklagten innerhalb der beamtenrechtlichen Probezeit nicht erkennbar waren, trifft den Kläger bzw. die beschäftigende Haftanstalt kein irgendwie geartetes Mitverschulden oder eine Möglichkeit der Abwendung der Ereignisse (vgl. dazu: VG Magdeburg, Urteil v. 29.03.2012, 8 A 9/09; juris).

61

Gleichwohl kann und darf es nicht angehen, dass – zumindest bei leicht und einfach für jedermann zu verstehenden, ja sich aufdrängenden Dienstpflichten, wie sie die Einhaltung der sicherheits- und ordnungsrelevanten Bestimmungen in einer Haftanstalt darstellen -, der Verstoß dagegen aufgrund einer eigenen, andersartigen Dienstauffassung des Beamten für ihn disziplinarrechtlich entlastend wirken können. Denn der bereits im Jahre 1964 vom Bundesverfassungsgericht aufgestellte Satz, dass „derartige ungeeignete“ einmal auf Lebenszeit ernannte Beamte und Richter „ertragen werden müssen“, bezieht sich auf deren alimentierungsgerechten beamtenrechtlichen Beschäftigungsanspruch, nicht aber darauf, ihr Versagen disziplinarrechtlich milder zu bewerten. Es wäre hingegen unerträglich, wenn dienstlich ihrem konkret-funktionalen Amt nicht geeignete Beamte und Richter ihr Versagen und damit ihre Pflichtverletzungen, z. B. als Vorgesetzte ihren dienstlich Unterstellten gegenüber, disziplinarrechtlich mit ihrer persönlichen Ungeeignetheit entlasten könnten. Dabei wirken sich derartige Pflichtverletzungen bei Amtsträgern mit Vorgesetzten- und/oder Leitungsposition aufgrund ihres größeren Verantwortungsbereichs naturgemäß stärker aus als bei Beamten niedriger Ränge und auch deren Vorgesetzte handeln bei Wissen um die Ungeeignetheit pflichtwidrig. Daran gemessen ist entscheidend, dass von dem Beklagten als Justizvollzugsbeamter nichts subjektiv Unmögliches gefordert wurde, welches er aufgrund seiner persönlichen Leistungsfähigkeit nicht hätte leisten können. Eine in diesem Sinne persönliche, individuelle unüberwindliche Leistungsschwäche kann bei dem (Nicht-)Befolgen leicht einsehbarer Dienstvorschriften - wie es vorliegend der Fall ist - nicht angenommen werden.

62

In diesem Sinne führen auch das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (Urteil v. 22.03.2010, 3 A 11391/09; juris) und das Verwaltungsgericht Trier (Urteil v. 08.12.2009, 3 K 387/09.TR; juris) aus, dass bei richtigem Dienstverständnis bezüglich des Mitleides gegenüber den Gefangenen der Beamte die Anstaltsleitung hätte informieren müssen und um Hilfe für den Gefangenen und/oder sich selbst nachsuchen müssen. Der vom Beklagten gewählte Weg der „Selbsthilfe“ ist jedenfalls nicht akzeptabel. Dabei darf auch angemerkt werden, dass der Beklagte vielleicht ein an Dienstjahren unerfahrener Beamter gewesen sein mag. Für die aufgrund von Lebensjahren anzunehmende allgemeine Lebenserfahrung gilt dies für den 1970 geborenen Beklagten nicht. Gerade diese allgemeine Lebenserfahrung hätte ihm die Pflichtwidrigkeit seiner Handlungen vor Augen führen müssen.

63

Die Disziplinarkammer hatte bereits früher (8 A 3/07; Urteil v. 17.04.2007; n. v.) einen Justizvollzugsbeamten in der gleichen dienstlichen Stellung wie der Beklagte aus dem Dienst entfernt, weil das Vertrauensverhältnis zwischen ihm und dem Dienstherrn aber auch der Allgemeinheit zerstört war. Dem lagen Verurteilungen wegen Bestechlichkeit in Tateinheit mit einem Verstoß gegen das Arzneimittelgesetz (Gesamtfreiheitsstrafe 10 Monate) sowie Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz (Geldstrafe von 90 Tagessätzen) zugrunde. Der dortige Beamte brachte Dopingmittel, Einwegspritzen, Alkohol-Pads, Lebensmittel, DVD´s, Parfüm, Schmuck in die Haftanstalt ein und verteilte sie an Gefangene. Mag dieser Fall hinsichtlich der Verstöße gegen die Anstaltsordnung und der strafrechtlich relevanten Verfehlungen eindeutiger die Zerstörung des Vertrauensverhältnisses belegen, so vermag der vom Beklagten diesbezüglich vorgetragene Vergleich ihn nicht zu entlasten. Denn insoweit wiegt die von ihm begangene Straftat der Körperverletzung im Amt mindestens genauso schwer wie die Fraternisierung mit den Gefangenen.

64

d.) Schließlich vermag den Beklagten nicht zu entlasten, dass er sein Fehlverhalten teilweise einräumt, bereut und glaubhaft vorträgt, dass dies nicht wieder geschehe. Zum einen betrifft dies nur den Tatkomplex der Handy-Überlassung und zum anderen kommt es darauf bei der vom Disziplinargericht anzustellenden Gesamtschau der be- und entlastenden Umstände hinsichtlich der Prognoseentscheidung nicht entscheidend an. Denn die Prognoseentscheidung bezieht sich entscheidend auf die endgültige und nicht wiederbringbare Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zwischen dem Beamten und dem Dienstherrn und aber auch der Allgemeinheit als Voraussetzung für die Beendigung des Beamtenverhältnisses. Die prognostische Frage nach dem Umfang der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit (§ 13 DG LSA) betrifft die Erwartung, dass sich der Beamte aus der Sicht des Dienstherrn und der Allgemeinheit so verhält, wie es von ihm im Hinblick auf seine Dienstpflichten als berufserforderlich erwartet wird. Das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit in die Person des Beamten bezieht sich in erster Linie auf dessen allgemeinen Status als Beamter (vgl. BVerwG, Urteil v. 20.01.2004, 1 D 33.02; juris), daneben aber auch auf dessen konkreten Tätigkeitsbereich innerhalb der Verwaltung und auf dessen konkret ausgeübte Funktion, z. B. als Vorgesetzter. Ob und gegebenenfalls inwieweit eine Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn vorliegt, ist nach objektiven Gesichtspunkten zu beurteilen. Entscheidend ist nicht die subjektive Einschätzung des jeweiligen Dienstvorgesetzten, sondern die Frage, inwieweit der Dienstherr bei objektiver Gewichtung des Dienstvergehens auf der Basis der festgestellten belastenden und entlastenden Umstände noch darauf vertrauen kann, dass der Beamte in Zukunft seinen Dienstpflichten ordnungsgemäß nachkommen wird. Entscheidungsmaßstab ist insoweit, in welchem Umfang die Allgemeinheit dem Beamten noch Vertrauen in eine zukünftig pflichtgemäße Amtsausübung entgegenbringen würde. Dies unterliegt uneingeschränkter verwaltungsgerichtlicher Nachprüfung (vgl. zum Ganzen: BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11.10 mit Verweis auf Urteile v. 20.10.2005, 2 C 12.04, v. 03.05.2007, 2 C 9.06 und v. 29.05.2008, 2 C 59.07; alle juris).

65

6.) Demnach ist in der Gesamtschau festzustellen, dass der Dienstherr aber auch die Allgemeinheit einem Justizvollzugsbeamten, welcher die ihm vorgehaltenen Pflichtverletzungen begeht, nicht mehr das zur Aufrechterhaltung des Beamtenverhältnisses notwendige (Rest-)Vertrauen entgegen bringen kann.

66

Die nach alledem dienstrechtlich notwendige Entfernung aus dem Dienst verstößt auch nicht gegen das Verhältnismäßigkeitsgebot. Denn diese disziplinarrechtliche Höchstmaßnahme ist die einzige Möglichkeit, dass durch den Dienstherrn sonst nicht lösbare Dienstverhältnis einseitig zu beenden. Die darin liegende Härte für den Betroffenen ist nicht unverhältnismäßig. Sie beruht vielmehr auf einem ihm zurechenbaren Verhalten (BVerwG, Urteil v. 21.06.2000, 1 D 49.99; vgl. nur zuletzt: Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11/10; bestätigt durch BVerfG, Beschluss v. 28.01.2013, 2 BvR 1912/12; alle juris).

67

7.) Die Kostenentscheidung folgt aus § 72 Abs. 1 Satz 1 DG LSA. Das Verfahren ist gem. § 73 Abs. 1 Satz 1 gebührenfrei.


(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.