Verwaltungsgericht Magdeburg Beschluss, 22. Dez. 2016 - 15 B 39/16


Gericht
Gründe
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Der Antrag auf gerichtliche Fristsetzung zum Abschluss des Disziplinarverfahrens nach § 60 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 1 Disziplinargesetz (DG LSA) ist zulässig und begründet.
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§ 60 Abs. 1 Satz 1 DG LSA bestimmt, dass „der Beamte beim Gericht die gerichtliche Bestimmung einer Frist zum Abschluss des Disziplinarverfahrens beantragen“ kann, wenn „ein behördliches Disziplinarverfahren nicht innerhalb von sechs Monaten nach der Einleitung durch Erlass einer Einstellungsverfügung oder Disziplinarverfügung oder durch Erhebung der Disziplinarklage abgeschlossen worden“ ist. Liegt ein zureichender Grund für den fehlenden Abschluss vor, ist der Antrag abzulehnen (§ 60 Abs. 2 Satz 2 DG LSA).
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Zur Überzeugung des Disziplinargerichts liegt zum augenblicklichen Zeitpunkt, d. h. zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ein zureichender Grund für den fehlenden Abschluss des behördlichen Disziplinarverfahrens nicht (mehr) vor, so dass eine gerichtliche Fristsetzung geboten ist.
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Die gerichtliche Fristsetzung dient der Beachtung des dem Disziplinarrecht innewohnenden Beschleunigungsgebotes (§ 4 DG LSA). Gegenstand der gerichtlichen Prüfung ist die Frage des zureichenden Grundes für den fehlenden Abschuss des behördlichen Disziplinarverfahrens. Dies entspricht inhaltlich der unangemessenen Verzögerung, die sprachlich treffender ist (Hummel/Köhler/Mayer, BDG, 5. Auflage 2012, § 62 BDG Rz. 10). Unangemessen ist eine über sechs Monate hinausgehende Verzögerung, wenn die Sachaufklärung bzw. Verfahrenshandlungen nicht mit der gebotenen und möglichen Beschleunigung durchgeführt worden sind. Dabei hat das Gericht einerseits die Unabhängigkeit des mit den Ermittlungen betrauten Beamten (Ermittlungsführer) und dessen Beurteilungsspielraum zu den einzelnen Aufklärungspunkten und Aufklärungsmitteln sowie die notwendige Bearbeitungs- und Prüfungszeit, andererseits das Recht des Beschuldigten auf beschleunigte Bearbeitung zu berücksichtigen.
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Ob unangemessen verzögert wurde, lässt sich nicht durch den bloßen Vergleich einer pauschalen Prognose der notwendigen Gesamtbearbeitungszeit mit dem Sechsmonatszeitraum beantworten, sondern nur durch die konkrete Nachprüfung des bisherigen realen Bearbeitungszeitaufwandes feststellen. Sinn des zeitlichen Rahmens im Sinne der Beschleunigung ist nicht, eine fiktive Bearbeitungszeit zu errechnen und daran die Einhaltung des Beschleunigungsgebotes zu messen. Das wäre nicht nur utopisch, sondern würde auch in rechtlich bedenklicher Weise in die Disziplinarbefugnisse des Dienstherrn eingreifen. Der Zweck der Fristsetzung zielt allein darauf ab, die - auf der Grundlage der zu akzeptierenden Aufklärungserwägungen - tatsächlich erfolgte Verfahrensverzögerungen zu erfassen. Bei der Feststellung des Arbeitsaufwandes ist nicht von dem Arbeitsaufwand auszugehen, den das Gericht nach seiner Beurteilung der Rechtslage annehmen würde, sondern von demjenigen, der sich aus der Aufklärungsbeurteilung des Ermittlungsführers ergibt. Hierbei ist Großzügigkeit geboten. Unangemessene Verzögerung ist gleichbedeutend mit sachlich nicht gerechtfertigter Untätigkeit der jeweils befassten Disziplinarorgane. Untätigkeit des Ermittlungsführers liegt nicht in den Einarbeitungs- und Überlegungszeiten, in den unvermeidbaren Zwischenzeiten zwischen Ladung und Anhörungs- oder Beweistermin in den üblichen Bürolaufzeiten, in den durch die Beschuldigten selbst veranlassten Unterbrechungen oder Vertagungen von Terminen oder Fristverlängerung für Schriftsätze, in den Urlaubs- oder Krankheitsbedingten Abwesenheiten der Beteiligten. Ergibt aber die genaue Nachprüfung, dass das jeweils zuständige Organ auf der Basis seiner Aufklärungsbeurteilung längere Zeiten ohne sachlichen Grund untätig geblieben ist, so liegt darin eine unangemessene Verzögerung.
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Das sodann weiter erforderliche Verschulden ergibt sich daraus, dass die Organe nicht für die ihnen mögliche Beschleunigung des Verfahrens sorgen. So ist der Ermittlungsführer, zur Aufbietung all seiner Kräfte und seiner Zeit zur vorrangigen Bearbeitung des Ermittlungsverfahrens verpflichtet. Die Einleitungsbehörde muss dafür sorgen, dass er nach Bedarf so weit von den Aufgaben seines Hauptamtes freigestellt wird, dass er sich mit Vorrang den behördlichen Ermittlungen widmen kann (vgl. BVerwG, Beschluss v. 23.05.1977, I DB 4.77; juris). Ebenso muss die Einleitungsbehörde qualitativ und quantitativ personell ausgestattet sein. Eine sachgerechte Organisation der Verwaltungsabläufe muss gewährleistet sein (vgl. zum Ganzen: BVerwG, Beschluss v. 11.08.2009, 2 AV 3.09; VG Magdeburg, Beschluss v. 28.03.2012, 8 A 2/12; Beschluss v. 21.03.2013, 8 A 4/13; Beschluss v. 26.11.2013, 8 A 18/13; zuletzt; Beschluss v. 30.01.2014, 8 A 22/13 und Beschluss v. 15.01.2014, 8 A 20/13, mit Verweis auf: Hummel/Köhler/Mayer; BDG 4. Auflage 2009, § 62 Rz 10 ff.; VG Wiesbaden, Beschluss v. 04.02.2013, 25 L 1251/12.WI.D; alle juris; Urban/Wittkowski, BDG, § 62 Rz. 10).
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Die Vorschrift steht damit in einem Spannungsverhältnis zu der gleichfalls bestehenden Pflicht, den disziplinarrechtlich relevanten Sachverhalt umfassend zu ermittelt (§ 21 ff DG LSA) und dem Beamten, gegen den ermittelt wird, die Möglichkeit zur Äußerung zu geben (§ 30 DG LSA). Gestalten sich die Ermittlungen schwierig oder umfangreich, so lässt sich die Bearbeitungsfrist nicht einhalten, ohne die Aufklärungs- und die Anhörungspflicht zu verletzten (BVerwG, Beschluss v. 11.08.2009, 2 AV 3.09; juris). Darüber hinaus sind vom Disziplinargesetz vorgesehene behördeninterne Beteiligungen und Zustimmungen zu beachten (vgl. §§ 35, 76 DG LSA), wobei dortige großzügige Fiktionswirkungen, etwa in § 35 Abs. 1 Satz 2 DG LSA, ebenso im Widerspruch zum Beschleunigungsgebot stehen und somit in dem Disziplinargesetz des Bundes (BDG) und anderer Länder fehlen. Soweit ersichtlich hat nur noch Sachsen eine gleichlautende Zustimmungsregelung; Schleswig-Holstein sieht eine Fiktionswirkung von einem Monat vor.
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Gemessen an diesen Vorraussetzungen, muss vorliegend von einer - schuldhaften - verzögerten Bearbeitung ausgegangen werden.
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Dabei ist zunächst zu bemerken, dass der Antragsgegner auf die gerichtliche Eingangsverfügung vom 07.11.2016 mit der Aufforderung zur unverzüglichen Stellungnahme unter Übersendung der vollständigen Unterlagen (Disziplinarvorgänge) nicht reagierte und auch das Empfangsbekenntnis trotz Aufforderung nicht zurücksandte. Eine telefonische Nachfrage durch das Gericht ergab aber, dass der Antrag dort eingegangen ist und zwischenzeitlich liegt das Empfangsbekenntnis über die Zustellung am 16.11.2016 vor. Der Antragsgegner hat sich bei dem Disziplinargericht nicht gemeldet und auch keine Fristverlängerung beantragt. Es ist nicht Aufgabe des Disziplinargerichts bei dem Antragsgegner nachzufragen oder sich in Erinnerung zu rufen. Vielmehr muss vom Antragsgegner als Behörde erwartet werden, die vom Gericht als "unverzüglich" gesetzte Frist zu beachten und sich am Verfahren zu beteiligen. Demnach bestätigt sich bei dem Disziplinargericht der vom Antragsteller geschilderte Eindruck, dass das Disziplinarverfahren durch den Antragsgegner nicht mit der gebotenen Eile und Engagement gefördert wird. Das Disziplinargericht ist daher auf die - unbestrittenen - Ausführungen des Antragstellers in seiner Antragsschrift unter Beifügung der Unterlagen beschränkt. Danach ist seit der Stellungnahme des Antragstellers vom 24.11.2015 kein Bearbeitungsfortschritt zu verzeichnen. Ebenso blieben Erinnerungen des Antragstellers vom 01.04.2016, 04.05.2016 und 03.06.2016 unbeantwortet bzw. führten nicht zur Bearbeitung. Ein mit Schriftsatz vom 01.07.2016 seitens des Antragsgegners für August 2016 angekündigtes "finales Gespräch" fand nicht statt. Eine weitere Sachstandsanfrage des Antragstellers vom 30.08.2016 blieb unbeantwortet, sodass der Antragsteller den gerichtlichen Antrag am 08.11.2016 stellte.
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Dem Antragsteller werden wohl vier Äußerungen vorgeworfen, mit denen er seine Dienstpflichten verletzt haben soll. Damit handelt es um einen überschaubaren Sachverhalt und es ist nicht ersichtlich und nicht bekannt, wieso die Ermittlungen nicht vorangetrieben wurden und werden. Zudem stellt die Nichtbeantwortung der Sachstandsanfragen und der gerichtlichen Aufforderung zur Antragserwiderung unter Beifügung der Unterlagen nicht den geeigneten Umgang mit der Sache dar.
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Bei Abwägung aller Interessen, sieht das Disziplinargericht in dem vorliegenden Einzelfall die Notwendigkeit, den Abschluss des Verfahrens bis zu einem bestimmten, angemessen zu bestimmenden Zeitpunkt vorzugeben. Für die Bestimmung der Frist kann das Gericht, anders als bei der Feststellung der Verzögerung, nur eine summarische Beurteilung des weiteren Aufklärungsaufwandes vornehmen und prognostizieren, innerhalb welche Zeitraums im Rahmen einer geordneten Untersuchung der Abschluss des Verfahrens erreicht werden kann (BVerwG, Beschluss v. 22.07.1998, 1 DB 2.98; juris). Da mangels Angaben des Antragsgegners unklar ist, was noch zu geschehen hat, ist davon auszugehen, dass die Ermittlungen in dem nunmehr gesetzten Zeitrahmen von drei Monaten abgeschlossen sind. Denn das Verfahren ist seit September 2015 anhängig.
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Auf das weitere Antragsrecht nach §§ 60 Abs. 2 Satz 3, 50 Abs. 2 Satz 3 bis 5 DG LSA sowie die Folgen, die sich aus dem Ablauf der Frist nach § 60 Abs. 3 DG LSA ergeben, wird hingewiesen.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 72 Abs. 4 DG LSA i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO.


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(1) Ist ein behördliches Disziplinarverfahren nicht innerhalb von sechs Monaten seit der Einleitung durch Einstellung, durch Erlass einer Disziplinarverfügung oder durch Erhebung der Disziplinarklage abgeschlossen worden, kann der Beamte bei dem Gericht die gerichtliche Bestimmung einer Frist zum Abschluss des Disziplinarverfahrens beantragen. Die Frist des Satzes 1 ist gehemmt, solange das Disziplinarverfahren nach § 22 ausgesetzt ist.
(2) Liegt ein zureichender Grund für den fehlenden Abschluss des behördlichen Disziplinarverfahrens innerhalb von sechs Monaten nicht vor, bestimmt das Gericht eine Frist, in der es abzuschließen ist. Anderenfalls lehnt es den Antrag ab. § 53 Abs. 2 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.
(3) Wird das behördliche Disziplinarverfahren innerhalb der nach Absatz 2 bestimmten Frist nicht abgeschlossen, ist es durch Beschluss des Gerichts einzustellen.
(4) Der rechtskräftige Beschluss nach Absatz 3 steht einem rechtskräftigen Urteil gleich.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.