Verwaltungsgericht Magdeburg Beschluss, 21. März 2013 - 8 A 4/13
Gericht
Gründe
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Der Antrag auf gerichtliche Fristsetzung zum Abschluss des Verfahrens nach § 60 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 1 Disziplinargesetz Sachsen-Anhalt (DG LSA) ist zulässig und begründet.
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§ 60 Abs. 1 Satz 1 DG LSA bestimmt, dass „der Beamte beim Gericht die gerichtliche Bestimmung einer Frist zum Abschluss des Disziplinarverfahrens beantragen“ kann, wenn „ein behördliches Disziplinarverfahren nicht innerhalb von sechs Monaten nach der Einleitung durch Erlass einer Einstellungsverfügung oder Disziplinarverfügung oder durch Erhebung der Disziplinarklage abgeschlossen worden“ ist. Liegt ein zureichender Grund für den fehlenden Abschluss vor, ist der Antrag abzulehnen (§ 60 Abs. 2 Satz 2 DG LSA).
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Zur Überzeugung des Disziplinargerichts liegt zum augenblicklichen Zeitpunkt, d. h. zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ein zureichender Grund für den fehlenden Abschluss des behördlichen Disziplinarverfahrens nicht (mehr) vor, so dass eine gerichtliche Fristsetzung geboten ist.
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Die gerichtliche Fristsetzung dient der dem Disziplinarrecht innewohnenden Beschleunigungsgebot (§ 4 DG LSA). Unangemessen ist eine über sechs Monate hinausgehende Verzögerung, wenn die Sachaufklärung bzw. Verfahrenshandlungen nicht mit der gebotenen und möglichen Beschleunigung durchgeführt worden sind. Dabei hat das Gericht einerseits die Unabhängigkeit des mit den Ermittlungen betrauten Beamten (Ermittlungsführer) und dessen Beurteilungsspielraum zu den einzelnen Aufklärungspunkten und Aufklärungsmitteln sowie die notwendige Bearbeitungs- und Prüfungszeit, andererseits das Recht des Beschuldigten auf beschleunigte Bearbeitung zu berücksichtigen.
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Ob unangemessen verzögert wurde, lässt sich nicht durch bloßen Vergleich einer pauschalen Prognose der notwendigen Gesamtbearbeitungszeit mit dem Sechsmonatszeitraum beantworten, sondern nur durch konkrete Nachprüfung des bisherigen realen Bearbeitungszeitaufwandes feststellen. Sinn des zeitlichen Rahmens im Sinne der Beschleunigung ist nicht, eine fiktive Bearbeitungszeit zu errechnen und daran die Einhaltung des Beschleunigungsgebotes zu messen. Das wäre nicht nur utopisch, sondern würde auch in rechtlich bedenklicher Weise in die Disziplinarbefugnisse des Dienstherrn eingreifen. Der Zweck der Fristsetzung zielt allein darauf ab, die - auf der Grundlage der zu akzeptierenden Aufklärungserwägungen - tatsächlich erfolgte Verfahrensverzögerungen zu erfassen. Bei der Feststellung des Arbeitsaufwandes ist nicht von dem Arbeitsaufwand auszugehen, den das Gericht nach seiner Beurteilung der Rechtslage annehmen würde, sondern von demjenigen, der sich aus der Aufklärungsbeurteilung des Ermittlungsführers ergibt. Hierbei ist Großzügigkeit geboten. Unangemessene Verzögerung ist gleichbedeutend mit sachlich nicht gerechtfertigter Untätigkeit der jeweils befassten Disziplinarorgane. Untätigkeit des Ermittlungsführers liegt nicht in den Einarbeitungs- und Überlegungszeiten, in den unvermeidbaren Zwischenzeiten zwischen Ladung und Anhörungs- oder Beweistermin in den üblichen Bürolaufzeiten, in den durch die Beschuldigten selbst veranlassten Unterbrechungen oder Vertagungen von Terminen oder Fristverlängerung für Schriftsätze, in den Urlaubs- oder Krankheitsbedingten Abwesenheiten der Beteiligten. Ergibt aber die genaue Nachprüfung, dass das jeweils zuständige Organ auf der Basis seiner Aufklärungsbeurteilung längere Zeiten ohne sachlichen Grund untätig geblieben ist, so liegt darin eine unangemessene Verzögerung. Das sodann weiter erforderliche Verschulden ergibt sich daraus, dass die Organe nicht für die ihnen mögliche Beschleunigung des Verfahrens sorgten (vgl. zum Ganzen: VG Magdeburg, Beschluss v. 28.03.2012, 8 A 2/12; juris mit Verweis auf: Hummel/Köhler/Mayer; BDG 4. Auflage 2009, § 62 Rz 10 ff.).
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Gemessen an diesen Vorraussetzungen muss vorliegend von einer verzögerten Bearbeitung ausgegangen werden. Das behördliche Disziplinarverfahren zieht sich nunmehr bereits zwei Jahre seit seiner Einleitung unter dem 13.01.2011 hin. Die sodann eingetretenen Verzögerungen sind zwar verfahrensbedingt, aber unter den besonderen disziplinarrechtlichen verfahrensökonomischen Gründen nicht mehr vertretbar.
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Dem Disziplinarvorwurf liegen im Wesentlichen Verstöße gegen die innerdienstliche Wohlverhaltenspflicht und Weisungsgebundenheit bei der dienstlichen Aufgabenerledigung zugrunde. Unter dem 21.11.2011 hatte der Ermittlungsführer seinen Ermittlungsbericht gefertigt, welcher nach Einwendungen des Beamten und weiteren Ermittlungen am 27.07.2012 überarbeitet wurde. Sodann sollte im August 2012 die Schlussanhörung nach § 30 DG LSA erfolgen, welche jedoch nach Anträgen des Beamten in den Oktober 2012 verschoben wurde. Dem Antrag des Beamten an das Ministerium des Inneren und Sport des Landes Sachsen-Anhalt vom 20.11.2012 zur Übernahme des Disziplinarverfahrens wurde unter dem 14.12.2012 nicht entsprochen. Zwischenzeitlich stellte der Beamte im November 2012 weitere Beweisanträge und verwies umfassend auf sein Äußerungsrecht nach § 20 DG LSA. Zudem wiederholte er wohl unter dem 27.11.2012 (Bl. 6 des Schriftsatzes; Bl 466, BD II; hier Beiakte B) einen Befangenheitsantrag gegen den Ermittlungsführer vom 07.11.2012, über den (wohl) noch nicht entschieden ist. Schließlich hob die 5. Kammer des Verwaltungsgerichts C-Stadt mit Urteil vom 07.01.2013 (5 A 207/11) die zwischenzeitlich erfolgte beamtenrechtliche Umsetzung des Beamten auf. Sodann fand zwischen den Beteiligten am 16.01.2013 ein Gespräch statt. In Folge dessen stellte der Beamte erneut unter dem 24.02.2013 mit Verweis auf sein Schreiben vom 09.02.2013 Beweisanträge und äußerte sich umfangreich auch zur Notwendigkeit der Begründung der Ablehnung von Beweisanträgen und beantragte statistische Unterlagen zu seinen Arbeitsergebnissen und Arbeitsbelastungen. Der Befangenheitsantrag gegen den Ermittlungsführer wurde erneut aufrechterhalten. Auf den beim Disziplinargericht erhobenen Antrag nach § 60 DG LSA vom 25.02.2013 (Eingang: 28.02.2013) erwiderte die Einleitungsbehörde, dass nunmehr zeitnah die Anträge abgearbeitet werden sollen.
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Aufgrund dieser zeitlichen Darstellung des Disziplinarvorganges und der Ermittlungen ist das in § 60 Abs. 1 Satz 1 DG LSA vorgesehene Zeitfenster von sechs Monaten zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung bei weitem, nämlich um 1 ½ Jahre überschritten. Dem Disziplinargericht drängt sich der Eindruck auf, dass die Einleitungsbehörde nicht mehr „Herr des Verfahrens“ ist und zurzeit mit den Ermittlungen und Anträgen des Beamten überfordert scheint. So ist der Abschlussbericht des Ermittlungsführers vom 10.11.2011 bereits unter dem 27.07.2012 überarbeitet worden und derzeit ist unklar, in welchem Stadium sich die Bearbeitung des Disziplinarverfahrens befindet. Denn die nach dem Abschluss der Ermittlungen vom Disziplinargesetz vorgesehene Schlussanhörung nach § 30 DG LSA ist wiederholt auf Antrag des Beamten verschoben worden und aus den Akten ist nicht erkennbar, ob diese nunmehr überhaupt stattgefunden hat.
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Dabei ist zwar festzustellen, dass gerade der Antragsteller selbst durch seine wiederholten Anträge und umfassenden Stellungnahmen zur verzögerten Bearbeitung beiträgt. Gerade deshalb obliegt es der Einleitungsbehörde mit den ihr zur Verfügung stehenden verfahrensrechtlichen Mitteln, wie Fristsetzungen und konsequenter Bearbeitung der Anträge sowie erhöhtem Personaleinsatz dem Beschleunigungsgebot Rechnung zu tragen. Auch dies schuldet der Dienstherr seinen Beamten. Personal muss dafür vorgehalten werden. So ist aus der Akte nicht erkennbar, ob die wiederholt gestellten Befangenheits- und Beweisanträge unter Angabe von Gründen erneut bzw. abschließend beschieden wurden. Zudem sind (wohl) andere Verfahren nicht abzuwarten, so dass sich auch nicht die Möglichkeit und Zwangsläufigkeit der Aussetzung oder der Ruhestellung des behördlichen Disziplinarverfahrens aufdrängt (zur Notwendigkeit der Aussetzung oder der Ruhensstellung eines Disziplinarverfahrens; vgl. nur: VG Magdeburg, B. v. 14.04.2011, 8 A 20/10, B. v. 05.10.2009, 8 B 16/09; beide juris). Soweit eine Abhängigkeit zu dem beamtenrechtlichen Klageverfahren 5 A 207/11 gesehen wurde, hätte das Disziplinarverfahren zur Vermeidung des Fristlaufs ausgesetzt werden müssen. Auch ist zu befürchten, dass die Ermittlungen zwischenzeitlich überhand nehmen, das heißt, nicht mehr von dem ursprünglichen Disziplinarvorwurf der Einleitungsverfügung gedeckt sind. Dies zu überprüfen obliegt dem Disziplinargericht zum augenblicklichen Zeitpunkt jedoch nicht. Andererseits müssen notwendige Ermittlungen und gerade solche, die sich aus neuerlichen Anträgen des Beamten ergeben, selbstverständlich ohne Verkürzung des Verfahrens durchgeführt werden.
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Gerade deswegen sieht das Disziplinargericht in dem vorliegenden Einzelfall die Notwendigkeit, den Abschluss des Verfahrens bis zu einem bestimmten, großzügig bemessenen Zeitpunkt vorzugeben. Dies hält das Gericht für erforderlich, um die Antragsgegnerin nachdrücklich anzuhalten, ihr verfahrens- und prozessualrechtliches Verhalten darauf einzustellen. Dies bedeutet für die Antragsgegnerin, die Anträge nunmehr konsequent und rechtssicher abzuarbeiten und zu entscheiden. So kann sie als „Herrin des Verfahrens“ auch zeitnah auf weitere Anträge reagieren und diese, bei rechtssicherer Verfahrensgestaltung, auch kurzfristig (abschlägig) bescheiden. Die Frist soll jedoch auch dem Beamten anhalten, rechzeitig Verfahrens- und Sachanträge zu stellen, um nicht seinerseits eine weitere Verzögerung zu bewirken, die ein Antragsrecht nach §§ 60 Abs. 2 Satz 3, 50 Abs. 2 Satz 3 bis 5 DG LSA begründen kann. Schließlich wird die Rechtmäßigkeit der verfahrensrechtlichen Entscheidungen der Antragsgegnerin im spätern Vorverfahren bzw. gerichtlichen Verfahren geprüft, so es dann zu einer Disziplinarmaßnahme kommen sollte.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 72 Abs. 4 DG LSA i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO.
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Annotations
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.