Verwaltungsgericht Magdeburg Beschluss, 21. Feb. 2017 - 15 B 1/17
Gericht
Tatbestand
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Der Antragsteller begehrt als Verbandsgeschäftsführer des Antragsgegners die gerichtliche Fristsetzung zum Abschluss des gegen ihn seit dem 09.03./10.03.2016 wegen einer Vielzahl von disziplinarrechtlichen Vorhaltungen geführten Disziplinarverfahrens. Diese insgesamt 23 vorgehaltenen einzelnen Handlungen waren Gegenstand der am 09.03.2016 beschlossenen und unter dem 10.03.2016 verfügten Suspendierung des Antragstellers nach § 38 Abs. 1 Satz 1 DG LSA. Das vom Antragsteller angerufene Disziplinargericht hob mit Beschluss vom 07.06.2016 (15 B 19/16 MD; juris) die vorläufige Dienstenthebung nach § 61 Abs. 2 DG LSA auf. Dabei ging das Disziplinargericht davon aus, dass eine Vielzahl der 23 vorgehaltenen Pflichtverletzungen noch nicht genügend ausermittelt erschienen und die verbleibenden nachvollziehbaren Handlungen nicht die notwendige Prognoseentscheidung zum späteren Ausspruch der Höchstmaßnahme tragen würden. Mit Beschwerdebeschluss vom 20.12.2016 (10 M 4/16) lehnte das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt den Antrag auf Aufhebung der Suspendierung wegen zwischenzeitlich erfolgter Zeugenvernehmungen und damit veränderter Sachverhaltsumstände ab. Mit weiterer Verfügung vom 22.06./23.06.2016 wurde der Antragsteller ebenso nach § 38 Abs. 1 Satz 2 DG LSA suspendiert.
Entscheidungsgründe
II.
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Der Antrag auf gerichtliche Fristsetzung zum Abschluss des Disziplinarverfahrens nach § 60 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 1 DG LSA hat keinen Erfolg.
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§ 60 Abs. 1 Satz 1 DG LSA bestimmt, dass „der Beamte beim Gericht die gerichtliche Bestimmung einer Frist zum Abschluss des Disziplinarverfahrens beantragen“ kann, wenn „ein behördliches Disziplinarverfahren nicht innerhalb von sechs Monaten nach der Einleitung durch Erlass einer Einstellungsverfügung oder Disziplinarverfügung oder durch Erhebung der Disziplinarklage abgeschlossen worden“ ist. Liegt ein zureichender Grund für den fehlenden Abschluss vor, ist der Antrag abzulehnen (§ 60 Abs. 2 Satz 2 DG LSA).
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Zur Überzeugung des Disziplinargerichts liegt zum augenblicklichen Zeitpunkt, d. h. zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, ein zureichender Grund für den fehlenden Abschluss des behördlichen Disziplinarverfahrens vor, so dass eine gerichtliche Fristsetzung nicht geboten ist.
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Die gerichtliche Fristsetzung dient der Beachtung des dem Disziplinarrecht innewohnenden Beschleunigungsgebotes (§ 4 DG LSA). Gegenstand der gerichtlichen Prüfung ist die Frage des zureichenden Grundes für den fehlenden Abschuss des behördlichen Disziplinarverfahrens. Dies entspricht inhaltlich der unangemessenen Verzögerung, die sprachlich treffender ist (Hummel/Köhler/Mayer, BDG, 5. Auflage 2012, § 62 BDG Rz. 10). Unangemessen ist eine über sechs Monate hinausgehende Verzögerung, wenn die Sachaufklärung bzw. Verfahrenshandlungen nicht mit der gebotenen und möglichen Beschleunigung durchgeführt worden sind. Dabei hat das Gericht einerseits die Unabhängigkeit des mit den Ermittlungen betrauten Beamten (Ermittlungsführer) und dessen Beurteilungsspielraum zu den einzelnen Aufklärungspunkten und Aufklärungsmitteln sowie die notwendige Bearbeitungs- und Prüfungszeit, andererseits das Recht des Beschuldigten auf beschleunigte Bearbeitung zu berücksichtigen.
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Ob unangemessen verzögert wurde, lässt sich nicht durch den bloßen Vergleich einer pauschalen Prognose der notwendigen Gesamtbearbeitungszeit mit dem Sechsmonatszeitraum beantworten, sondern nur durch die konkrete Nachprüfung des bisherigen realen Bearbeitungszeitaufwandes feststellen. Sinn des zeitlichen Rahmens im Sinne der Beschleunigung ist nicht, eine fiktive Bearbeitungszeit zu errechnen und daran die Einhaltung des Beschleunigungsgebotes zu messen. Das wäre nicht nur utopisch, sondern würde auch in rechtlich bedenklicher Weise in die Disziplinarbefugnisse des Dienstherrn eingreifen. Der Zweck der Fristsetzung zielt allein darauf ab, die - auf der Grundlage der zu akzeptierenden Aufklärungserwägungen - tatsächlich erfolgten Verfahrensverzögerungen zu erfassen. Bei der Feststellung des Arbeitsaufwandes ist nicht von dem Arbeitsaufwand auszugehen, den das Gericht nach seiner Beurteilung der Rechtslage annehmen würde, sondern von demjenigen, der sich aus der Aufklärungsbeurteilung des Ermittlungsführers ergibt. Hierbei ist Großzügigkeit geboten. Unangemessene Verzögerung ist gleichbedeutend mit sachlich nicht gerechtfertigter Untätigkeit der jeweils befassten Disziplinarorgane. Untätigkeit des Ermittlungsführers liegt nicht in den Einarbeitungs- und Überlegungszeiten, in den unvermeidbaren Zwischenzeiten zwischen Ladung und Anhörungs- oder Beweistermin in den üblichen Bürolaufzeiten, in den durch die Beschuldigten selbst veranlassten Unterbrechungen oder Vertagungen von Terminen oder Fristverlängerung für Schriftsätze, in den Urlaubs- oder Krankheitsbedingten Abwesenheiten der Beteiligten. Ergibt aber die genaue Nachprüfung, dass das jeweils zuständige Organ auf der Basis seiner Aufklärungsbeurteilung längere Zeiten ohne sachlichen Grund untätig geblieben ist, so liegt darin eine unangemessene Verzögerung.
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Das sodann weiter erforderliche Verschulden ergibt sich daraus, dass die Organe nicht für die ihnen mögliche Beschleunigung des Verfahrens sorgen. So ist der Ermittlungsführer zur Aufbietung all seiner Kräfte und seiner Zeit zur vorrangigen Bearbeitung des Ermittlungsverfahrens verpflichtet. Die Einleitungsbehörde muss dafür sorgen, dass er nach Bedarf so weit von den Aufgaben seines Hauptamtes freigestellt wird, dass er sich mit Vorrang den behördlichen Ermittlungen widmen kann (vgl. BVerwG, Beschluss v. 23.05.1977, I DB 4.77; juris). Ebenso muss die Einleitungsbehörde qualitativ und quantitativ personell ausgestattet sein. Eine sachgerechte Organisation der Verwaltungsabläufe muss gewährleistet sein (vgl. zum Ganzen: BVerwG, Beschluss v. 11.08.2009, 2 AV 3.09; VG Magdeburg, Beschluss v. 28.03.2012, 8 A 2/12; Beschluss v. 21.03.2013, 8 A 4/13; Beschluss v. 26.11.2013, 8 A 18/13; zuletzt; Beschluss v. 30.01.2014, 8 A 22/13 und Beschluss v. 15.01.2014, 8 A 20/13, Beschluss v. 22.12.2016, 15 B 39/16 mit Verweis auf: Hummel/Köhler/Mayer; BDG 4. Auflage 2009, § 62 Rz 10 ff.; VG Wiesbaden, Beschluss v. 04.02.2013, 25 L 1251/12.WI.D; alle juris; Urban/Wittkowski, BDG, § 62 Rz. 10).
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Die Vorschrift steht damit in einem Spannungsverhältnis zu der gleichfalls bestehenden Pflicht, den disziplinarrechtlich relevanten Sachverhalt umfassend zu ermittelt (§ 21 ff DG LSA) und dem Beamten, gegen den ermittelt wird, die Möglichkeit zur Äußerung zu geben (§ 30 DG LSA). Gestalten sich die Ermittlungen schwierig oder umfangreich, so lässt sich die Bearbeitungsfrist nicht einhalten, ohne die Aufklärungs- und die Anhörungspflicht zu verletzen (BVerwG, Beschluss v. 11.08.2009, 2 AV 3.09; juris). Darüber hinaus sind vom Disziplinargesetz vorgesehene behördeninterne Beteiligungen und Zustimmungen zu beachten (vgl. §§ 35, 76 DG LSA), wobei dortige großzügige Fiktionswirkungen, etwa in § 35 Abs. 1 Satz 2 DG LSA, ebenso im Widerspruch zum Beschleunigungsgebot stehen und somit in dem Disziplinargesetz des Bundes (BDG) und anderer Länder fehlen. Soweit ersichtlich hat nur noch Sachsen eine gleichlautende Zustimmungsregelung; Schleswig-Holstein sieht eine Fiktionswirkung von einem Monat vor.
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Gemessen an diesen Voraussetzungen kann vorliegend nicht von einer - schuldhaften - verzögerten Bearbeitung ausgegangen werden.
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Wie das Disziplinargericht bereits in seinem Beschluss vom 07.06.2016 (15 B 19/16 MD; juris) zur vorläufigen Dienstenthebung ausgeführt hat, erschienen zum damaligen Zeitpunkt die Vielzahl der vorgehaltenen 23 Tathandlungen noch nicht hinreichend aufgeklärt und disziplinarrechtlich gewürdigt. Gerade das Disziplinargericht hat den Antragsgegner zu einer sorgfältigen Prüfung aufgefordert und ausgeführt:
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"Abschließend sieht sich das Disziplinargericht auch in Ansehung dessen die Erhebung einer Disziplinarklage im Raum steht, zu folgenden Ausführungen veranlasst: Der Antragsgegner wird aufgerufen sein, das behördliche Disziplinarverfahren nach den Regelungen und Instrumenten des Disziplinarrechts durchzuführen. Neben dem strengen Verfahrensrecht wird materiell-rechtlich bedeutsam sein, konkrete und überschaubare Sachverhalte festzustellen und unter den beamtenrechtlichen Pflichtentatbeständen zu subsumieren. Weiter wird der Antragsgegner die disziplinarrechtlich bedeutsamen Milderungs- und Entlastungsgründe, wie Verfahrensdauer und Mitverschulden sowie Schuld- und Rechtfertigungsgründe zu prüfen haben. Dies insbesondere deswegen, weil es bislang an der disziplinarrechtlich notwendigen Einbindung und Beteiligung des Antragstellers am Disziplinarverfahren fehlt. So ist dem bisherigen Vorgehen geschuldet, dass erst im vorliegenden gerichtlichen Prüfverfahren nach § 61 Abs. 2 DG LSA die Erwiderung des Antragstellers auf die gegen ihn erhobenen Vorwürfe möglich erscheint. Der Antragsgegner wird sich damit auseinandersetzen und dann eine Neubewertung vornehmen müssen. Augenblicklich erscheinen dem Disziplinargericht - wie ausgeführt - die Vielzahl der Vorwürfe nicht nachvollziehbar ausermittelt und Problemen im zwischenmenschlichen Bereich der Beteiligten geschuldet zu sein. Dabei stellt sich auch die Frage, ob aufgrund des Ablaufs der Wahlperiode des Vorstandes und des Verwaltungsrates des Antragsgegners eine disziplinarrechtliche „Entfernung“ des Antragstellers überhaupt notwendig erscheint, wobei dies bei beamtenrechtlichen Fehlbesetzungen generell rechtlich nicht möglich erscheint."
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Der Antragsgegner war indes nicht untätig. Nach der gerichtlichen Entscheidung des Disziplinargerichts wurden weitere Ermittlungen getätigt und im Beschwerdeverfahren vor dem Oberverwaltungsgericht (Beschluss v. 20.12.2016, 10 M 4/16) vorgelegt, woraufhin der Senat der Beschwerde stattgab und die vorläufige Dienstenthebung bestätigte. Ausdehnungsverfügungen sind unter dem 25.07.2016 und 22.12.2016 ergangen. Zeugenvernehmungen wurden anberaumt und durchgeführt. Die sodann entstandenen Probleme bei der Protokollierung und Terminsbestimmung sind vertretbar und auch den oben beschriebenen Verteidigungs- und Mitwirkungsrechten des Antragstellers geschuldet. Weitere Termine sind für den März 2017 anberaumt. Schließlich ist auch entscheidend, ob und wie der Antragsteller an der Sachaufklärung mitwirkt oder disziplinargerichtliche Herausgabeverfügungen beantragt werden müssen.
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Unter Gesamtabwägung der Vielzahl der disziplinarrechtlich vorgehaltenen Handlungen kann von einer verzögerten Bearbeitung keine Rede sein. Da erlaubt sich das Disziplinargericht erneut den Hinweis, dass es förderlich sein dürfte, konkrete und überschaubare disziplinarrechtlich relevante Sachverhalte herauszuarbeiten.
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Annotations
(1) Ist ein behördliches Disziplinarverfahren nicht innerhalb von sechs Monaten seit der Einleitung durch Einstellung, durch Erlass einer Disziplinarverfügung oder durch Erhebung der Disziplinarklage abgeschlossen worden, kann der Beamte bei dem Gericht die gerichtliche Bestimmung einer Frist zum Abschluss des Disziplinarverfahrens beantragen. Die Frist des Satzes 1 ist gehemmt, solange das Disziplinarverfahren nach § 22 ausgesetzt ist.
(2) Liegt ein zureichender Grund für den fehlenden Abschluss des behördlichen Disziplinarverfahrens innerhalb von sechs Monaten nicht vor, bestimmt das Gericht eine Frist, in der es abzuschließen ist. Anderenfalls lehnt es den Antrag ab. § 53 Abs. 2 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.
(3) Wird das behördliche Disziplinarverfahren innerhalb der nach Absatz 2 bestimmten Frist nicht abgeschlossen, ist es durch Beschluss des Gerichts einzustellen.
(4) Der rechtskräftige Beschluss nach Absatz 3 steht einem rechtskräftigen Urteil gleich.