Verwaltungsgericht Magdeburg Gerichtsbescheid, 16. Juni 2017 - 1 A 6/17

ECLI:ECLI:DE:VGMAGDE:2017:0616.1A6.17.0A
bei uns veröffentlicht am16.06.2017

Tatbestand

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Die Klägerin begeht die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

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Die am 11.07.1995 in Edib geborene Klägerin ist syrische Staatsangehörige arabischer Volkszugehörigkeit. Sie reiste am 18.07.2016 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 21.12.2016 bei der Beklagten einen Asylantrag.

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Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 21.12.2016 gab die Klägerin zu ihren Fluchtgründen im Wesentlichen an: Sie habe Syrien wegen des Krieges verlassen. Ursprünglich hätten sie in Edib gelebt. Weil die Stadt von Rebellen kontrolliert worden war, wurde sie von der syrischen Armee ständig angegriffen. Sie seien deshalb im Sommer 2014 nach Aleppo umgezogen, wo die Sicherheitslage nicht besser gewesen sei. Diesmal seien sie von der Opposition angegriffen worden. Weil sie eingekesselt gewesen seien, habe es an allem gefehlt. Eine Grundversorgung sei nicht möglich gewesen. Die Lebensbedingungen seien sehr schlimm und die Lebenshaltungskosten sehr hoch gewesen. Die medizinische Versorgung sei ebenfalls sehr schlecht gewesen. Weil die Zustände in Syrien nicht mehr zu ertragen gewesen seien, sei sie mit ihrer Mutter, ihren drei Schwestern und ihren drei Brüdern ausgereist. Aus finanziellen Gründen habe ihr Vater nicht mitreisen können.

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Mit Bescheid vom 29.12.2016 erkannte die Beklagte der Klägerin den subsidiären Schutzstatus zu (Ziffer 1) und lehnte im Übrigen den Asylantrag ab (Ziffer 2).

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Am 05.01.2017 hat die Klägerin Klage beim Verwaltungsgericht Magdeburg erhoben. Zur Begründung ihres Begehrens führt sie im Wesentlichen aus: Das syrische Regime unterstelle ihr wegen der illegalen Ausreise, der Asylantragstellung und dem längerfristigen Aufenthalt im westlichen Ausland eine regimefeindliche Gesinnung. Ihr Bruder A. sei inzwischen 19 Jahr alt und werde bei seiner Rückkehr nach Syrien als Deserteur angesehen. Sie werde auch als nahe Verwandte eines Deserteurs als Regimegegnerin angesehen.

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Die Klägerin beantragt sinngemäß,

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die Beklagte unter Aufhebung von Ziffer 2 ihres Bescheides vom 29.12.2016 zu verpflichten, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

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Die Beklagte beantragt unter Verteidigung des die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ablehnenden Bescheides,

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die Klage abzuweisen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, den bei der Beklagten entstandenen Verwaltungsvorgang und die auf der Erkenntnismitteliste Syrien aufgeführten Quellen verwiesen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

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Das Gericht entscheidet ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid, weil die Voraussetzungen hierfür gem. § 84 Abs. 1 VwGO vorliegen.

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Die Klage ist zulässig und begründet.

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Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Ziffer 2 des Bescheides der Beklagten vom 29.12.2016, der u. a. diesen Anspruch ablehnt, ist insoweit rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

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Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, wenn er Flüchtling im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG ist. Nach dieser Vorschrift ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK -, BGBl. II, 1953, S. 560), wenn er sich 1. aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe 2. außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann (a.) oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will (b.). Weitere Einzelheiten zum Begriff der Verfolgung, den maßgeblichen Verfolgungsgründen sowie zu den in Betracht kommenden Verfolgungs- bzw. Schutzakteuren regeln die §§ 3 a - d AsylG. Die Verfolgung kann gemäß § 3c AsylG ausgehen von dem Staat (Nr. 1), Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen (Nr. 2) oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten (Nr. 3). Nach § 3e AsylG wird die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn eine interne Schutzmöglichkeit besteht.

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Unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist gemäß § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c AsylG genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er aufgrund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist. Es kommt auch nicht darauf an, ob er diese Merkmale tatsächlich aufweist. Vielmehr reicht es aus, wenn ihm diese von seinem Verfolger zugeschrieben werden (vgl. § 3b Abs. 2 AsylG).

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Ob eine Verfolgung droht, das heißt der Ausländer sich im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG aus begründeter Furcht vor einer solchen Verfolgung außerhalb des Herkunftslandes befindet, ist anhand einer Verfolgungsprognose zu beurteilen, die auf der Grundlage einer zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die Wahrscheinlichkeit künftiger Geschehensabläufe bei einer hypothetisch zu unterstellenden Rückkehr des Schutzsuchenden in seinen Heimatstaat zum Gegenstand hat. Die Prognose in Bezug auf eine bei Rückkehr in den Heimatstaat drohende Verfolgung hat am Maßstab der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ zu erfolgen. Der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht aller Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Dabei ist eine qualifizierende bzw. bewertende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen.

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Ausgangspunkt der Prognose ist das bisherige Schicksal des Ausländers. Ist der Ausländer aus seinem Herkunftsland vorverfolgt ausgereist, ist dies ein ernsthafter Hinweis auf die Begründetheit seiner Furcht vor Verfolgung und begründet eine (widerlegbare) Vermutung, dass sich eine frühere Verfolgung bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen wird (vgl. auch Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011). Die begründete Furcht vor Verfolgung kann nach § 28 Abs. 1a AsylG aber auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten des Ausländers, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist. Für subjektive Nachfluchttatbestände, die bereits während eines Erstverfahrens oder durch das Erstverfahren verwirklicht worden sind, greift damit keine Einschränkung. Für die Flüchtlingsanerkennung müssen diese - anders als bei der Asylanerkennung - nicht einmal auf einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung beruhen. Erst für nach dem erfolglosen Abschluss des Erstverfahrens selbst geschaffene Nachfluchtgründe wird ein Missbrauch der Inanspruchnahme des Flüchtlingsschutzes in der Regel vermutet (vgl. § 28 Abs. 2 AsylG).

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Ist der Ausländer unverfolgt ausgereist, liegt eine Verfolgungsgefahr und damit eine begründete Furcht vor Verfolgung vor, wenn ihm bei verständiger Würdigung der gesamten Umstände seines Falles mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Heimatstaat zu bleiben oder dorthin zurückzukehren. Die Zumutbarkeit bildet das vorrangig qualitative Kriterium, das bei der Beurteilung anzulegen ist, ob die Wahrscheinlichkeit einer Gefahr „beachtlich“ ist. Zu prüfen ist, ob aus Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in das Herkunftsland als unzumutbar erscheint. Dies kann auch dann der Fall sein, wenn nur ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50 Prozent für eine politische Verfolgung gegeben ist. In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische Möglichkeit einer Verfolgung nicht aus. Ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen. Ergeben jedoch die Gesamtumstände des Falles die „reale Möglichkeit“ („real risk“) einer Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. So macht es etwa für die Erwägungen eines besonnenen Menschen einen erheblichen Unterschied, ob er bei Rückkehr in seinen Herkunftsstaat (lediglich) eine geringe Freiheitsstrafe oder eine Geldbuße zu erwarten hat, oder aber ob ihm Folter, Misshandlung oder gar die Todesstrafe drohen. An die Wahrscheinlichkeit einer tatsächlichen Verfolgung im Falle der Rückkehr sind umso geringere Anforderungen zu stellen, je schwerer und einschneidender die zu erwartende Verfolgungshandlung ist (vgl. zum Ganzen: VG Lüneburg, U. v. 30.01.2017 – 4 A 23/16 -, juris, Rdnr. 14 – 18 m. w. N).

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Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe und der dem Gericht vorliegenden Erkenntnisse hat die Klägerin einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG, § 3 Abs. 4 AsylG. Bei verständiger Würdigung der gesamten Umstände droht der Klägerin im Falle der hypothetischen Rückkehr nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung durch den syrischen Staat wegen einer ihr unterstellten politischen Überzeugung, so dass ihr nicht zuzumuten ist, in den Heimatstaat zurückzukehren.

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Das Gericht ist davon überzeugt, dass die Furcht der Klägerin vor einer Verfolgung im Falle ihrer Rückkehr unter Berücksichtigung der gegenwärtigen politischen Verhältnisse in Syrien, der illegalen Ausreise, der Asylantragstellung und des Aufenthaltes im westlichen Ausland begründet ist. Rückkehrer haben im Falle einer Abschiebung nach Syrien eine obligatorische Befragung durch syrische Sicherheitsorgane zu erwarten. Die Befragung erfolgt zur allgemeinen Informationsgewinnung über die Exilszene und in Anknüpfung an eine jedenfalls vermutete oppositionelle Haltung des aus dem Bundesgebiet abgeschobenen Rückkehrers. Bereits diese Befragung durch syrische Sicherheitsorgane bei der Einreise nach Syrien löst mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine konkrete Gefährdung in Form einer menschenrechtswidrigen Behandlung des Rückkehrers aus. Das folgt aus den aktuellen Berichten über die Verfolgungssituation in Syrien.

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Hierzu führt das Verwaltungsgericht Köln in seinem Urteil vom 24.04.2017 (20 K 7836/16.A -, juris, Rdnr. 27) zur weiteren Begründung Folgendes aus:

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"Das Regime ist danach ohne Einschränkungen weiterhin in der Lage, umfangreiche Sicherheitskontrollen sowohl am Internationalen Flughafen in Damaskus als auch an den Landgrenzen, soweit diese unter Kontrolle des Regimes stehen, durchzuführen, und dies geschieht auch. Diese Sicherheitskontrollen umfassen Abgleiche mit den Datenbanken der Strafverfolgungsbehörden und allen Sicherheitsdiensten bis hin zur Überprüfung der Telekommunikation auf Mobilgeräten von Rückkehrern auf der Suche nach irgendwelchen Anzeichen einer regimekritischen Haltung. Überprüft wird auch, ob die Rückkehrer Syrien illegal verlassen haben. Dabei haben die einzelnen Grenzbeamten einen Freibrief, alles mit jedem, der ihnen aus welchem Grund auch immer verdächtig erscheint, zu tun. Sie können die Person sofort festnehmen, was zum Verschwinden der Person und Folter führen kann. Es gibt mehrere Berichte über Personen, die bei der Einreise festgenommen wurden und dann verschwanden. Auf diese Weise wurden routinemäßig auch Personen, die tatsächlich nichts mit der Revolution zu tun haben oder keine bekannte politische (abweichende) Überzeugung hatten, festgenommen und inhaftiert. Bei den Einreisekontrollen werden auch die Familienangehörigen von Rückkehrern einer Sicherheitsüberprüfung unterzogen, bei negativem Ausgang dieser Sicherheitsüberprüfung kann dies zur Festnahme der Rückkehrer führen. Dabei ist es für die betroffenen Rückkehrer kaum festzustellen und daher auch nicht vorherzusehen, ob sie selbst oder ein Familienmitglied auf einer "wanted list" stehen. Festnahmen von Rückkehrern bei den Einreisekontrollen erfolgen auch wegen der Herkunft aus bestimmten Gebieten wie z.B. Daraa oder Homs, weshalb sie unter dem Generalverdacht einer regimekritischen Haltung stehen, oder in Anknüpfung an eine bestimmte Volkszugehörigkeit wie z.B. Palästinenser oder Kurden, oder auch schlicht in Anknüpfung an die Religionszugehörigkeit Sunnit. Abgelehnte Asylbewerber haben in jedem Fall mit Festnahme und Verhaftung zu rechnen unter dem Vorwurf der Verbreitung von Falschinformationen im Ausland und werden als regimekritisch bzw. oppositionell eingestuft. Sie würden dabei ebenfalls der Folter unterworfen werden, um Informationen über andere Asylbewerber oder Oppositionelle zu erlangen. Zwar sei nichts zwingend oder genau vorhersehbar, der jahrelange Konflikt habe aber wahrscheinlich den Argwohn der Beamten gesteigert."

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Diesen Ausführungen des Verwaltungsgerichts Köln schließt sich das erkennende Gericht an. Denn diese Einschätzung der Verfolgungsgefahren eines aus dem Bundesgebiet nach Syrien abgeschobenen Rückkehrers entspricht insbesondere den Bewertungen des UNHCR und der Schweizer Flüchtlingshilfe (UNHCR-Länderleitfaden Syrien, Februar 2017, S. 30; Schweizer Flüchtlingshilfe, Syrien: Rückkehr, Auskunft der SFH-Länderanalyse vom 21.03.2017). Das erkennende Gericht hat keinen Anlass an der Aussagekraft dieser Berichte zu zweifeln. Sie stützen sich jeweils auf eine umfangreiche Quellenanalyse aktueller Berichte anderer sach- und fachkundiger Stellen, insbesondere des Einwanderungs- und Flüchtlingsausschusses von Kanada (Immigration and Refugee Board of Canada, Bericht vom 19.01.2016, Syria) und dem Lagebericht des US State Department (US Department of State, Country Report non Human Rights Practicies 2015 Syria, 13.04.2016) und eigenen Recherchen. Der aktuelle Lagebericht des US State Departement vom 03.03.2017 bestätigt die Einschätzung, dass abgelehnte Asylbewerber in jedem Fall mit Festnahme, Verhaftung und Folter zu rechnen haben, weil man ihnen eine regimekritische bzw. oppositionelle Haltung unterstellt.

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Für die hohe Wahrscheinlichkeit der politischen Verfolgung aller in Deutschland abgelehnten Asylbewerber bei ihrer Rückkehr nach Syrien spricht auch das Verhalten des syrischen Staates gegenüber Personen innerhalb seines Machtbereichs, die er als oppositionell ansieht.

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Das Verwaltungsgericht Köln hat hierzu ausgeführt (VG Köln, U. v. 24.04.2017 – a. a. O., Rdnr. 36 f. m. w. N.):

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"Das andauernde uferlose Verfolgungsinteresse des syrischen Regimes wird durch Berichte über Todesfälle und Folterungen in syrischen Gefängnissen bestätigt. Zehntausende sind seit dem Beginn des Konflikts im Jahr 2011 inhaftiert und schwerster Folter und unmenschlicher Behandlung ausgesetzt gewesen. Nach vorsichtigen Schätzungen sind mindestens 17.723 Menschen zwischen dem 15. März 2011 und dem 31. Dezember 2015 in der Haft getötet worden. Die Gesamtzahl der im Zusammenhang mit dem Konflikt in Syrien Inhaftierten wird auf über 215.000 geschätzt, von denen der größte Teil von den syrischen Sicherheitskräften wegen vermuteter oppositioneller Aktivitäten verhaftet wurde. Die übergroße Mehrheit der Inhaftierten sind gewöhnliche Zivilisten, die in dem Verdacht einer regimefeindlichen Haltung stehen. Jeder, der unter dem Verdacht steht, regimekritisch zu sein, unterliegt dem Risiko willkürlicher Inhaftierung, Folter und anderer Misshandlung, des Verschwindenlassens und des Todes während der Haft. Dabei sind die Gründe für den Verdacht einer regimekritischen Haltung oft extrem fadenscheinig. Unter Folter erzwungene falsche Anschuldigungen Dritter können ebenso der Grund für Festnahmen sein wie Anschuldigungen aus persönlicher Rache. Verwandtschaftliche, nachbarschaftliche oder kollegiale Beziehungen zu Personen, die in den Verdacht einer regimekritischen Haltung geraten, können ebenso der Grund für eine Inhaftierung sein wie die bloße Herkunft aus einem Gebiet, das als Oppositionshochburg gilt oder galt."

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In Übereinstimmung mit den o. g. Berichten des UNHCR und der Schweizer Flüchtlingshilfe geht auch die jüngste Auskunft des Europäischen Zentrums für Kurdische Studien davon aus, dass ein Rückkehrer aktuell Gefahr läuft, ohne Gerichtsverfahren – oder nach einem gerichtlichen Verfahren, das sämtliche rechtsstaatlichen Standards verletzt – auf unbestimmte Zeit inhaftiert und gefoltert zu werden, sofern er aus welchen Gründen auch immer in den Verdacht gerät, ein Regimegegner zu sein (EZKS, Gutachten vom 29.03.2017 an VG Gelsenkirchen, S. 2). Soweit das Europäische Zentrum für kurdische Studien dennoch ohne weitere Begründung meint, dass das syrische Regime nicht jede Flucht aus Syrien, selbst wenn sie mit der Stellung eines Asylantrages verbunden ist, automatisch einen Akt der Gegnerschaft zum Regime verstehe und auch eine Befragung zur deutschen Exilszene für unwahrscheinlich hält, teilt das erkennende Gericht diese Einschätzung nicht.

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Zur weiteren Begründung hierzu hat das Verwaltungsgericht Köln ausgeführt (VG Köln, U. v. 24.04.2017 – a. a. O., Rdnr. 40 - 47. m. w. N.):

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"Denn bei dieser Einschätzung wird zum einen übersehen, dass die entsprechenden Bestimmungen des syrischen Strafgesetzbuches (Art. 287: Verbreitung von Falschinformationen, die das Ansehen des Staates schädigen; Art. 285: zu Kriegszeiten das Aufstellen von Behauptungen, die das Nationalgefühl schwächen, oder das wissentliche Verbreiten falscher oder übertriebener Nachrichten, die zur Schwächung des Nationalgefühls führen, jeweils mit Androhung von Freiheitsstrafen) unverändert in Kraft sind und auch die illegale Ausreise ohne gültigen Pass, über eine nicht autorisierte Ausreisestelle oder entgegen weitreichender spezieller Genehmigungsanforderungen nach wie vor verboten ist. Jegliche Gefahr der Inhaftierung und menschenrechtswidrigen Behandlung von Rückkehrern kann daher weder in tatsächlicher Hinsicht - noch in rechtlicher Hinsicht,

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vgl. hierzu u.a.: VGH Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 19.06.2013 - A 11 S 927/13 und vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 -,

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losgelöst von diesem dem Regime zur Verfügung stehenden vollständigen Instrumentarium der klassischen Republikfluchttatbestände betrachtet und gewertet werden. Zum anderen berücksichtigt die Einschätzung des EZKS aber auch das virulente Interesse des syrischen Regimes und der syrischen Geheimdienste an der deutschen Exilszene nicht hinreichend, das schon durch die umfassenden bundesweiten Aktivitäten syrischer Geheimdienste im Flüchtlingsumfeld belegt wird.

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Vgl. Bundesministerium des Innern, Verfassungsschutzbericht 2015, S. 263 f; Max Wolf im Berlin Journal vom 17.01.2016, Shabihas: Assads Folterer kommen als Flüchtlinge getarnt nach Deutschland (https://www.berlinjournal.biz/shabihas-assads-folterer-kommen-als-fluechtlinge-getarnt-nach-deutschland/); Andrea Backhaus in Zeit Online vom 09.12.2015, Gefürchtete Gespenster (http://www.zeit.de/politik/2015-12/assad-schergen-deutschland).

33

Die Annahme, dass der syrische Staat einerseits erhebliche Ressourcen in geheimdienstliche Aufklärungsarbeit im Ausland investiert, andererseits aber die naheliegende Gelegenheit der Befragung von Rückkehrern über die Exil- bzw. Flüchtlingsszene in Deutschland ungenutzt verstreichen lässt, ist fernliegend.

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Es gibt zudem entgegen der Annahme des EZKS auch aus der jüngeren Zeit durchaus belastbare Präzedenzfälle von zwangsweisen Rückführungen, wenngleich nicht aus Deutschland, sondern vorwiegend aus den Nachbarländern Syriens, die mit der Verhaftung und/oder dem Verschwinden der Rückkehrer endeten. Besonders eindrucksvoll ist in diesem Zusammenhang der Fall eines freiwilligen Rückkehrers aus Australien, der bei seiner Ankunft in Damaskus als Dissident festgenommen wurde, weil er aus einer Oppositionshochburg stammte. Als der Sicherheitsdienst die Rückkehrhilfe-Gelder der australischen Behörden bei ihm fand, wurde er beschuldigt, Geldgeber der Revolution zu sein. Er wurde während 20 Tagen inhaftiert und gefoltert.

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Vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Auskunft vom 21.03.2017, s.o., und Immigration and Refugee Board of Canada, Bericht vom 19.01.2016, s.o.

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Der vorstehende Fall belegt beispielhaft das überragende Interesse des syrischen Regimes an einer Herausfilterung potentieller Regimegegner und zugleich die unkalkulierbaren Risiken für den einzelnen, als solcher in Verdacht zu geraten."

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Auch diesen, durch Auskünfte sachverständiger Stellen belegten Ausführungen des Verwaltungsgerichts Köln schließt sich das erkennende Gericht an.

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Die aktuellen Stellungnahmen des Auswärtigen Amtes zur Behandlung von Rückkehrern in Syrien rechtfertigen keine andere Bewertung.

39

Hierzu hat das Verwaltungsgericht Köln zur weiteren Begründung ausgeführt (VG Köln, U. v. 24.04.2017 – a. a. O., Rdnr. 48 - 57. m. w. N.):

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"Überwiegend teilt das Auswärtige Amt darin mit, über keine Erkenntnisse zu verfügen. Soweit doch Angaben gemacht werden, wird darauf hingewiesen, dass diese auf nur eingeschränkt verfügbaren Erkenntnissen beruhen, die im Einzelnen nicht konkretisiert werden, und für die die Botschaft selbst keinerlei Gewähr hinsichtlich der "Vollständigkeit, Korrektheit bzw. die über einen längeren Zeitraum gegebene Verlässlichkeit" übernimmt. Trotz fehlender oder nur eingeschränkt verfügbarer Erkenntnisse sind der Botschaft aber dennoch Fälle bekannt, "bei denen Rückkehrer nach Syrien befragt, zeitweilig inhaftiert oder dauerhaft verschwunden sind", was lediglich "überwiegend" in Zusammenhang mit oppositionsnahen Aktivitäten oder in Zusammenhang mit einem nicht abgeleisteten Militärdienst stehe. Erkenntnisse darüber, dass Rückkehrer allein aufgrund eines vorausgegangenen Auslandsaufenthalts Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt sind, liegen danach nicht vor. Verfolgungsmaßnahmen können Rückkehrer aber offenbar schon ausgesetzt sein, wenn das Regime davon ausgeht, dass sich die Person oppositionell betätigt hat, wozu auch rein humanitäres Engagement in (vormaligen) Oppositionsgebieten zählen kann. Im Übrigen kann das Auswärtige Amt aber wiederum keine Angaben zum Inhalt der Befragungen machen. Hingewiesen wird allgemein darauf, dass die syrischen Sicherheitskräfte de facto im rechtsfreien Raum agieren und im Allgemeinen Folter in größerem Maßstab angewendet wird. Erkenntnisse in dem Sinne, dass unabhängig von bestimmten Verdachtsmomenten jeder Rückkehrer deshalb gefährdet ist, weil er als mögliche Informationsquelle zur Exilszene in Frage kommt, liegen wiederum nicht vor.

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Vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das Bundesamt laut Stellungnahme des Bundesamtes 16.09.2016 an das Verwaltungsgericht des Saarlands (VG Saarland 3 K 368/16); Auskünfte 07.11.2016 an das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht, vom 02.01.2017 an das "VG Wiesbaden" sowie 02.01.2017 an das VG Düsseldorf.

42

Diese Auskünfte des Auswärtigen Amtes widersprechen der weiter oben dargelegten Erkenntnislage weder ausdrücklich noch sinngemäß. Sie setzen sich vielmehr damit überhaupt nicht auseinander und es bleibt damit letztlich auch unklar, welche Erkenntnisse bzw. welche Art von Erkenntnissen genau fehlen und worauf das Fehlen dieser Erkenntnisse beruht. Dennoch sind auch der Botschaft Beirut Fälle bekannt geworden und zwar bis hin zu Fällen von Verschwindenlassen von Rückkehrern bei Einreise, wobei die Eingreifschwelle offenbar niedrig ist. Erkenntnisse zu den Gründen etwaiger Verfolgungsmaßnahmen liegen dem Auswärtigen Amt ebenfalls nicht vor, jedenfalls kann es zum Inhalt der Befragungen nach einer Rückkehr keine Aussage machen. Insgesamt ist der Erkenntnisgewinn auf der Grundlage der Auskünfte des Auswärtigen Amtes zur Überzeugung des Gerichts gering. Sie sind insbesondere nicht geeignet, eine Abkehr von der früheren einhelligen Bewertung der Gefährdung für Rückkehrer auch durch die Beklagte nachvollziehbar zu rechtfertigen, zumal das Auswärtige Amt ausdrücklich darauf hinweist, dass die syrischen Sicherheitsdienste de facto im rechtsfreien Raum agieren und im Allgemeinen Folter in größerem Maßstab anwenden.

43

Unabhängig von den Verfolgungsgefahren für Rückkehrer droht syrischen Staatsangehörigen bzw. Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt in Syrien aber auch aus anderen Gründen systematische Verfolgung in Anknüpfung an Konventionsmerkmale. Sowohl das syrische Regime und regierungsnahe Kräfte als auch bewaffnete oppositionelle Gruppen, darunter der sog. "Islamische Staat" und die Al-Nusra-Front, verüben in den jeweils von ihnen beherrschten Gebieten in breitem Umfang Massaker an der Zivilbevölkerung und Angriffe auf Zivilpersonen, u.a. in Form von Mord, Geiselnahme, Folter, Zwangsverschleppung, sexueller Gewalt und Rekrutierung von Kindern. Dabei besteht eine Besonderheit des Konflikts darin, dass die verschiedenen Konfliktparteien oftmals größeren Personengruppen einschließlich Familien, Stämmen, religiösen bzw. ethnischen Gruppen sowie ganzen Städten, Dörfern und Wohngebieten, eine politische Meinung oder Zugehörigkeit unterstellen. Im Zuge dieser extensiven Anwendung von Sippenhaft sind Zivilisten bereits aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft, ihrer Anwesenheit in einem Gebiet oder ihrer Herkunft aus einem Gebiet, das als regierungsfeindlich und/oder als Unterstützer oppositioneller bewaffneter Gruppen betrachtet wird, gezielten Verfolgungshandlungen durch Regierungskräfte im Rahmen von Bodenoffensiven, Hausdurchsuchungen und an Kontrollstellen ausgesetzt, darunter Inhaftierung, Folter, sexuelle Gewalt und extralegale Hinrichtungen, und sie laufen ernsthaft Gefahr, Opfer zielgerichteter Gewaltanwendung wie Massenhinrichtungen und Massaker zu werden. In gleicher Weise und mit derselben Brutalität gehen bewaffnete oppositionelle Gruppen vorsätzlich gegen Zivilpersonen vor aufgrund deren tatsächlicher oder vermeintlicher Unterstützung des Regimes oder einer sonstigen gegnerischen Konfliktpartei und ihrer ethnischen und/oder religiösen Zugehörigkeit. Entsprechend hat UNHCR wiederholt darauf hingewiesen, dass es wahrscheinlich ist, dass die meisten asylsuchenden Syrer die Kriterien für die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft gemäß Art. 1 A (2) der Genfer Flüchtlingskonvention erfüllen.

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Vgl. zuletzt: UNHCR, Bericht vom Februar 2017, s.o. und UNHCR, Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 4. aktualisierte Fassung, Stand November 2015.

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Auch aktuelle Untersuchungen der Vereinten Nationen bestätigen, dass in Syrien neben der allgegenwärtigen Gefahr für die Zivilbevölkerung, durch willkürliche Gewalt im Rahmen des dortigen bewaffneten Konflikts Schaden an Leib und Leben zu nehmen, gezielte Verfolgungshandlungen sowohl durch das syrische Regime als auch durch bewaffnete oppositionelle Gruppen, allen voran die Al Nusra-Front und der sog. Islamische Staat, an der Tagesordnung sind. Zehntausende wurden und werden in Gefängnissen und Haftzentren des Regimes gefoltert, misshandelt und getötet und anderen Formen schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt wie Verschwindenlassen, sexuelle Gewalt oder Belagerungen und Aushungern ganzer Städte und Dörfer. Diese gezielten Verfolgungshandlungen knüpfen regelmäßig an einen oder mehrere der Verfolgungsgründe der Genfer Flüchtlingskonvention an, von der Religionszugehörigkeit, über die ethnische Zugehörigkeit, die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe wie das Geschlecht, die sexuelle Identität oder bestimmte Berufsgruppen bis hin zu der tatsächlichen oder den Opfern von den verschiedenen Verfolgungsakteuren zugeschriebenen politischen Überzeugung.

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Vgl. UN-Menschenrechtsrat, "Report of the Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic" vom 11.02.2016 und Bericht vom 03.02.2016 " Out of Sight, Out of Mind: Deaths in Detention in the Syrian Arab Republic".

47

Die bisher von der Beklagten ihren Entscheidungen über die Asylbegehren von Syrern zugrunde gelegte Annahme,

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"In allen Landesteilen Syriens findet Verfolgung i.S.d. § 3 AsylG statt. In den Landesteilen, in denen das Assad-Regime herrscht, geht die Verfolgung von der Regierung aus. In den Landesteilen, die von den Rebellen beherrscht werden, geht die Gefahr von diesen aus. Auch ist mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass Rückkehrern nach längerem Auslandsaufenthalt grundsätzlich eine oppositionelle regimefeindliche Haltung unterstellt wird." (Vermerk vom 12.02.2016 im Verfahren 6205810-475),

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ist demnach unverändert aktuell und begründet weiterhin die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft."

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Das erkennende Gericht schließt sich auch diesen Ausführungen des Verwaltungsgerichts Köln an.

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Der mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohenden Verfolgung wegen der illegalen Ausreise, der Asylantragstellung und des Aufenthaltes im westlichen Ausland steht dabei nicht entgegen, dass das syrische Regime angesichts der Vielzahl von ausgereisten Personen nicht in der Lage wäre, die erforderlichen Mittel und Kräfte aufzubringen, um eine tatsächliche Verfolgung zu gewährleisten. Dies folgt bereits aus dem Umstand, dass Wiedereinreisen bei Rückführungen kanalisiert über den zentralen internationalen Flughafen Damaskus stattfinden und so nur verhältnismäßig wenige Ressourcen beanspruchen würden (vgl. VG Braunschweig, U. v. 27.03.2017 – 9 A 479/16 -, juris, Rdnr. 32 m. w. N.).

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Der Annahme einer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohenden Verfolgung steht auch nicht die vom Bundesamt wiederholt angeführte Passerteilungspraxis des syrischen Regimes entgegen, die im Jahr 2015 zur Ausstellung von mehr als 800.000 Pässen geführt haben soll (vgl. Schriftsatz des BAMF an das VG Saarland vom 16.09.2016 unter Bezugnahme auf Presseberichte des Tagesspiegels vom 05.11.2015 und 26.10.2015 sowie die Auskunft der Botschaft Beirut vom 03.02.2016). Denn sowohl nach der vom Bundesamt in Bezug genommenen Presseberichterstattung als auch nach der Auskunft der Botschaft Beirut vom 03. Februar 2016 erscheint es naheliegend, dass die umfängliche Ausstellung von Pässen wesentlich auf finanziellen Erwägungen beruht und geopolitische Absichten verfolgen könnte. Nach Angaben von Pro Asyl (Stellungnahme vom 23.05.2016, „BAMF-Entscheidungspraxis geändert: Für immer mehr SyrerInnen wird der Familiennachzug ausgesetzt“) verdiente der syrische Staat mit der Passausstellung rund 470 Millionen Euro. Hingewiesen wird zudem auf ein Interview mit dem türkischen Migrationsforscher Murat Erdogan, wonach die Pass-erteilungspraxis möglicherweise auch auf der Erwartung des Regimes beruht, der Flüchtlingsansturm werde die europäischen Staaten zu einer Lösung des Syrien-Konflikts unter Beibehaltung der derzeitigen Assad-Regierung bewegen (vgl. auch Tagesspiegel vom 05.11.2015, wiedergegeben im Schriftsatz des BAMF an das VG Saarland vom 16.09.2015). Abgesehen davon, dass es sich bei vielen dieser Pässe um im Ausland ausgestellte Proxy-Pässe handeln dürfte und die Motive für die geänderte Passpraxis nicht zuletzt in finanziellen Erwägungen liegen, ist nach Auffassung des Gerichts irgendein Zusammenhang zwischen syrischer Passpraxis und Rückkehrgefährdung ohnehin nicht gegeben und rein spekulativ. Angesichts der ungebremsten Eskalation der politischen und militärischen Auseinandersetzungen in Syrien ist für das Gericht auch nicht im Ansatz erkennbar, dass das Informations- und Verfolgungsinteresse des um seinen Machterhalt kämpfenden syrischen Regimes an Rückkehrern aus dem westlichen Ausland nachgelassen haben könnte. Das Gegenteil ist anzunehmen (vgl. VG Köln, U. v. 24.04.2017 – a. a. O., Rdnr. 23 - 26. m. w. N.).

53

Auch das Interview des syrischen Staatspräsidenten mit einem tschechischen Fernsehsender, wonach er äußerte, bei der Mehrheit der Flüchtlinge handele es sich um "gute Syrer und Patrioten" lässt zur Überzeugung des Gerichts keinerlei Rückschluss auf ein nachlassendes Verfolgungsinteresse des syrischen Regimes zu. Zum einem hat er in gleichen Interview auch geäußert, es gebe "natürlich eine Unterwanderung durch Terroristen". Es bedarf keiner weiteren Ausführungen, dass die Befragungspraxis bei Rückkehrern in der Vorstellung des Regimes gerade auch der Herausfilterung dieser Personen gilt, so dass dieses Interview sicher nicht ein nachlassendes Verfolgungsinteresse des syrischen Staates gegenüber nach Syrien zurückkehrenden Flüchtlingen begründen kann. Zum anderen haben derartige öffentliche Äußerungen von Staatschefs von Verfolgerstaaten ohnehin keine relevante Aussagekraft hinsichtlich einer (nachlassenden) Verfolgungsgefahr (vgl. VG Köln, U. v. 24.04.2017 – a. a. O., Rdnr. 26).

54

Der Klägerin steht schließlich auch keine inländische Fluchtalternative im Sinne des § 3e AsylG zur Verfügung. Die Deutsche Botschaft Beirut (Auskunft vom 03.02.2016) geht davon aus, dass grundsätzlich alle Regionen in Syrien vom Bürgerkrieg betroffen sind, wenn nicht durch direkte Kampfhandlungen, dann indirekt (Kriegswirtschaft, Einzug ins Militär, marodierende Banden, beispielsweise in einigen Vororten von Damaskus etc.) (vgl. auch AA, Auskunft an VG Düsseldorf vom 02.01.2017).

55

Selbst wenn man annähme, dass es dennoch Gebiete innerhalb Syriens gibt, die als zumutbare Fluchtalternative dienen könnten, lässt sich jedenfalls nicht feststellen, dass der Kläger ein solches Gebiet in zumutbarer Weise und sicher erreichen könnte. Denn das Regime hat ein dichtes System von Kontrollpunkten eingerichtet. Diesen Stellen liegen in der Regel auch die Namenslisten zu denjenigen vor, die sich der Einberufung bzw. Mobilmachung entzogen haben (vgl. SFH, Rekrutierung durch die syrische Armee, 30.07.2014; SFH, Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015; UNHCR, Ergänzende aktuelle Länderinformation Syrien: Militärdienst, 30.11.2016) und sie sind derart verbreitet, dass mehr dafür als dagegen spricht, dass der Kläger, wenn er nicht schon beim Versuch der Einreise nach Syrien erfasst und ergriffen wird, an einem solchen Checkpoint aufgegriffen wird.

56

Unabhängig davon steht der Klägerin eine innerstaatliche Fluchtalternative auch deshalb nicht zur Verfügung, weil Reisen innerhalb Syriens in einen anderen - möglicherweise - verfolgungsfreien Landesteil generell mit einem extrem hohen allgemeinen Sicherheitsrisiko verbunden sind, das dem Asylsuchenden nicht zumutbar ist (vgl. § 3e Abs. 1 AsylG). Dabei besteht nicht nur das erhebliche Risiko, gewissermaßen versehentlich in kriegerische Handlungen hineingezogen zu werden. Sowohl das syrische Regime und regierungsnahe Kräfte als auch bewaffnete oppositionelle Gruppen, darunter der sog. Islamische Staat (IS) und die Al-Nusra-Front, verüben in den jeweils von ihnen beherrschten Gebieten in breitem Umfang Massaker an der Zivilbevölkerung und Angriffe auf Zivilpersonen, u.a. in Form von Mord, Geiselnahme, Folter, Zwangsverschleppung, sexueller Gewalt und Rekrutierung von Kindern (vgl. UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 4. aktualisierte Fassung November 2015, S. 12 f.; vgl. zum Vorstehenden: VG Freiburg, U. v. 01.02.2017 – A 4 K 2903/16 -, juris, Rdnr. 45 - 47 m. w. N.).

57

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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Verwaltungsgericht Magdeburg Gerichtsbescheid, 16. Juni 2017 - 1 A 6/17 zitiert 12 §§.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 113


(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 167


(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs. (2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungskl

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 3 Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft


(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich1.aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 3e Interner Schutz


(1) Dem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er 1. in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d hat und2. sicher und legal in diesen Landesteil r

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 3b Verfolgungsgründe


(1) Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe nach § 3 Absatz 1 Nummer 1 ist Folgendes zu berücksichtigen: 1. der Begriff der Rasse umfasst insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe;2. der Begrif

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 3c Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann


Die Verfolgung kann ausgehen von 1. dem Staat,2. Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder3. nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließl

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 84


(1) Das Gericht kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten sind vorher zu hören. Die

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 3d Akteure, die Schutz bieten können


(1) Schutz vor Verfolgung kann nur geboten werden 1. vom Staat oder2. von Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen,sofern sie willens und in d

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 28 Nachfluchttatbestände


(1) Ein Ausländer wird in der Regel nicht als Asylberechtigter anerkannt, wenn die Gefahr politischer Verfolgung auf Umständen beruht, die er nach Verlassen seines Herkunftslandes aus eigenem Entschluss geschaffen hat, es sei denn, dieser Entschluss

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Verwaltungsgericht Magdeburg Gerichtsbescheid, 16. Juni 2017 - 1 A 6/17 zitiert 1 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Verwaltungsgericht Freiburg Urteil, 01. Feb. 2017 - A 4 K 2903/16

bei uns veröffentlicht am 01.02.2017

Tenor Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen; der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 04.08.2016 wird aufgehoben, soweit er dieser Verpflichtung entgegensteht.Di
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Verwaltungsgericht Magdeburg Gerichtsbescheid, 16. Juni 2017 - 1 A 6/17.

Verwaltungsgericht München Urteil, 24. Mai 2017 - M 25 K 16.5916

bei uns veröffentlicht am 24.05.2017

Tenor I. Die Klage wird abgewiesen. II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegu

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(1) Das Gericht kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten sind vorher zu hören. Die Vorschriften über Urteile gelten entsprechend.

(2) Die Beteiligten können innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheids,

1.
Berufung einlegen, wenn sie zugelassen worden ist (§ 124a),
2.
Zulassung der Berufung oder mündliche Verhandlung beantragen; wird von beiden Rechtsbehelfen Gebrauch gemacht, findet mündliche Verhandlung statt,
3.
Revision einlegen, wenn sie zugelassen worden ist,
4.
Nichtzulassungsbeschwerde einlegen oder mündliche Verhandlung beantragen, wenn die Revision nicht zugelassen worden ist; wird von beiden Rechtsbehelfen Gebrauch gemacht, findet mündliche Verhandlung statt,
5.
mündliche Verhandlung beantragen, wenn ein Rechtsmittel nicht gegeben ist.

(3) Der Gerichtsbescheid wirkt als Urteil; wird rechtzeitig mündliche Verhandlung beantragt, gilt er als nicht ergangen.

(4) Wird mündliche Verhandlung beantragt, kann das Gericht in dem Urteil von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe absehen, soweit es der Begründung des Gerichtsbescheides folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

Die Verfolgung kann ausgehen von

1.
dem Staat,
2.
Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder
3.
nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.

(1) Schutz vor Verfolgung kann nur geboten werden

1.
vom Staat oder
2.
von Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen,
sofern sie willens und in der Lage sind, Schutz gemäß Absatz 2 zu bieten.

(2) Der Schutz vor Verfolgung muss wirksam und darf nicht nur vorübergehender Art sein. Generell ist ein solcher Schutz gewährleistet, wenn die in Absatz 1 genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat.

(3) Bei der Beurteilung der Frage, ob eine internationale Organisation einen Staat oder einen wesentlichen Teil seines Staatsgebiets beherrscht und den in Absatz 2 genannten Schutz bietet, sind etwaige in einschlägigen Rechtsakten der Europäischen Union aufgestellte Leitlinien heranzuziehen.

(1) Dem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er

1.
in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d hat und
2.
sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.

(2) Bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, sind die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Artikel 4 der Richtlinie 2011/95/EU zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag zu berücksichtigen. Zu diesem Zweck sind genaue und aktuelle Informationen aus relevanten Quellen, wie etwa Informationen des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge oder des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen, einzuholen.

(1) Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe nach § 3 Absatz 1 Nummer 1 ist Folgendes zu berücksichtigen:

1.
der Begriff der Rasse umfasst insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe;
2.
der Begriff der Religion umfasst insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme oder Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind;
3.
der Begriff der Nationalität beschränkt sich nicht auf die Staatsangehörigkeit oder das Fehlen einer solchen, sondern bezeichnet insbesondere auch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die durch ihre kulturelle, ethnische oder sprachliche Identität, gemeinsame geografische oder politische Herkunft oder ihre Verwandtschaft mit der Bevölkerung eines anderen Staates bestimmt wird;
4.
eine Gruppe gilt insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn
a)
die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und
b)
die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird;
als eine bestimmte soziale Gruppe kann auch eine Gruppe gelten, die sich auf das gemeinsame Merkmal der sexuellen Orientierung gründet; Handlungen, die nach deutschem Recht als strafbar gelten, fallen nicht darunter; eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe kann auch vorliegen, wenn sie allein an das Geschlecht oder die geschlechtliche Identität anknüpft;
5.
unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er auf Grund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.

(2) Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, ist es unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.

Die Verfolgung kann ausgehen von

1.
dem Staat,
2.
Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder
3.
nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.

(1) Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe nach § 3 Absatz 1 Nummer 1 ist Folgendes zu berücksichtigen:

1.
der Begriff der Rasse umfasst insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe;
2.
der Begriff der Religion umfasst insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme oder Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind;
3.
der Begriff der Nationalität beschränkt sich nicht auf die Staatsangehörigkeit oder das Fehlen einer solchen, sondern bezeichnet insbesondere auch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die durch ihre kulturelle, ethnische oder sprachliche Identität, gemeinsame geografische oder politische Herkunft oder ihre Verwandtschaft mit der Bevölkerung eines anderen Staates bestimmt wird;
4.
eine Gruppe gilt insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn
a)
die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und
b)
die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird;
als eine bestimmte soziale Gruppe kann auch eine Gruppe gelten, die sich auf das gemeinsame Merkmal der sexuellen Orientierung gründet; Handlungen, die nach deutschem Recht als strafbar gelten, fallen nicht darunter; eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe kann auch vorliegen, wenn sie allein an das Geschlecht oder die geschlechtliche Identität anknüpft;
5.
unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er auf Grund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.

(2) Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, ist es unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) Ein Ausländer wird in der Regel nicht als Asylberechtigter anerkannt, wenn die Gefahr politischer Verfolgung auf Umständen beruht, die er nach Verlassen seines Herkunftslandes aus eigenem Entschluss geschaffen hat, es sei denn, dieser Entschluss entspricht einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung. Satz 1 findet insbesondere keine Anwendung, wenn der Ausländer sich auf Grund seines Alters und Entwicklungsstandes im Herkunftsland noch keine feste Überzeugung bilden konnte.

(1a) Die begründete Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 oder die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden im Sinne des § 4 Absatz 1 zu erleiden, kann auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten des Ausländers, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist.

(2) Stellt der Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines Asylantrags erneut einen Asylantrag und stützt diesen auf Umstände, die er nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung seines früheren Antrags selbst geschaffen hat, kann in einem Folgeverfahren in der Regel die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt werden.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) Dem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er

1.
in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d hat und
2.
sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.

(2) Bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, sind die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Artikel 4 der Richtlinie 2011/95/EU zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag zu berücksichtigen. Zu diesem Zweck sind genaue und aktuelle Informationen aus relevanten Quellen, wie etwa Informationen des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge oder des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen, einzuholen.

Tenor

Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen; der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 04.08.2016 wird aufgehoben, soweit er dieser Verpflichtung entgegensteht.

Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahren.

Tatbestand

 
Der aus Syrien stammende Kläger begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Der am ... geborene Kläger ist syrischer Staatsangehöriger und reiste am 01.01.2016 in das Bundesgebiet ein (jeweils nach eigenen Angaben). Er stellte am 12.05.2016 einen auf die Zuerkennung internationalen Schutzes beschränkten Asylantrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt).
Bei seiner persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt vom 08.06.2016 gab der Kläger an, Araber sunnitischen Glaubens zu sein, aus Jiser Alshiguhur zu stammen, vor seiner Ausreise in Lattakia gewohnt zu haben und vier Brüder sowie sechs Schwestern zu haben. Er sei geflohen, weil er am 29.07.2016 zum Wehrdienst hätte antreten müssen. Er habe als Student seinen Wehrdienst verschieben können, dies sei aber nach neuem Gesetz nur bis zum 26. Lebensjahr möglich. Sein Name sei auf der Fahndungsliste. Er habe sich nicht bei irgendeiner Partei des Krieges beteiligen wollen. Bei einer Rückkehr fürchte er, zum Wehrdienst eingezogen zu werden.
Mit Bescheid vom 04.08.2016, zugestellt am 13.08.2016, erkannte die Beklagte dem Kläger den subsidiären Schutzstatus zu (Nr. 1) und lehnte den Asylantrag im Übrigen ab (Nr. 2). Ihre Entscheidung begründete sie damit, dass dem Kläger aufgrund des ermittelten Sachverhalts zwar ein ernsthafter Schaden in seinem Herkunftsland drohe. Er habe jedoch bislang keinen Einberufungsbescheid erhalten und auch keinen persönlichen Kontakt zum Militär gehabt.
Der Kläger hat am 23.08.2016 Klage erhoben. Zur Begründung trägt er vor: Im Vorort von Lattakia seien die Bürgerkriegszustände enorm. Er sei aufgefordert worden, Wehrdienst bei der syrischen Armee zu leisten, so wie alle Männer mittlerweile gezwungen würden, gegen die Aufständischen zu kämpfen. Aber er habe keine unschuldigen Menschen töten wollen und sei deshalb illegal aus Syrien geflohen.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen
und den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 04.08.2016 aufzuheben, soweit er dieser Verpflichtung entgegensteht.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Dem Kläger wurde mit Beschluss vom 09.01.2017 Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin …, Rüsselsheim, beigeordnet.
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Dem Gericht liegt ein Heft Akten des Bundesamts vor. Hierauf sowie auf die Gerichtsakten wird wegen der weiteren Einzelheiten ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
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Die Kammer entscheidet im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO).
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Die als Verpflichtungsklage zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 04.08.2016 ist im angefochtenen Umfang rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, denn er kann beanspruchen, dass ihm die Beklagte nicht lediglich den subsidiären Schutzstatus nach § 4 AsylG, sondern die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG zuerkennt (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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Dabei kann dahinstehen, ob dem Kläger bereits wegen seiner illegalen Ausreise, der Beantragung von Asyl und dem damit verbundenen längeren Aufenthalt im westlichen Ausland Verfolgung durch den syrischen Staat droht, wie dies in der veröffentlichten erstinstanzlichen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte wohl überwiegend angenommen (vgl. z.B. VG Düsseldorf, Urteil vom 22.11.2016 - 3 K 7501/16.A -, juris; VG Oldenburg, Urteil vom 18.11.2016 - 2 A 5162/16 -, juris; VG Köln, Urteil vom 25.10.2016 - 20 K 2890/16.A -, juris; VG Freiburg, Urteil vom 13.12.2016 - A 5 K 2096/16 -, juris; VG Sigmaringen, Urteil vom 23.11.2016 - A 5 K 1372/16 -, juris; VG Ansbach, Urteil vom 19.10.2016 - AN 9 K 16.30460 -, juris; VG Kassel, Urteil vom 05.12.2016 - 5 K 2418/16.KS.A -, juris), von einigen Oberverwaltungsgerichten (OVG Schlesw.-Holstein, Urteil vom 23.11.2016 - 3 LB 17/16 -, juris; Bayer. VGH, Urteile vom 12.12.2016 - 21 ZB 16.30338 u.a. -, [ausweislich Pressemitteilung vom 13.12.2016]; OVG Rheinl.-Pfalz, Urteil vom 16.12.2016 - 1 A 10922/16 -, juris) aber verneint wird.
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Denn er ist jedenfalls wegen der drohenden Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung im Falle einer Rückkehr nach Syrien politisch verfolgt i.S.v. § 3 Abs. 1 AsylG.
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Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer u.a. Flüchtling, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
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Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, ist es gemäß § 3b Abs. 2 AsylG unerheblich, ob er tatsächlich die persönlichen Merkmale aufweist, die zu der Verfolgung führen. Es genügt vielmehr, dass ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden (§ 3b Abs. 2 AsylG).
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Die befürchtete Verfolgung muss gerade auf dieser Zuschreibung beruhen; zwischen den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Verfolgungsgründen und den als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss gemäß § 3a Abs. 3 AsylG eine Verknüpfung bestehen.
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Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten gemäß § 3a Abs. 1 AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist. Als Verfolgung gelten gemäß § 3a Abs. 2 AsylG unter anderem die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt (§ 3a Abs. 2 Nr. 1 AsylG), eine unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung (§ 3a Abs. 2 Nr. 3 AsylG) und die Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fallen (§ 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG).
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Schutz nach § 3 Abs. 1 AsylG kann nur derjenige beanspruchen, der politische Verfolgung bei einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat. Eine Verfolgungsgefahr für einen nicht verfolgt Ausgereisten und damit dessen begründete Furcht vor Verfolgung liegt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vor, wenn dem Asylsuchenden bei verständiger und objektiver Würdigung der gesamten Umstände seines Falles mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht (hierzu und zum Folgenden: BVerwG, EuGH-Vorlage vom 07.02.2008 - 10 C 33.07 - juris). Beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ist anzunehmen, wenn bei der vorzunehmenden zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Ergeben die Gesamtumstände des Falles die reale Möglichkeit („real risk“) einer Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine geringe mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, macht es auch aus der Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen erheblichen Unterschied, ob er z.B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber die Todesstrafe riskiert (vgl. BVerwG, Urteile vom 05.11.1991 - 9 C 118.90 -, BVerwGE 89, 162, und vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, BVerwGE 146, 67).
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Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe ist dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Insoweit kann offenbleiben, ob der Kläger bereits vorverfolgt aus Syrien ausgereist ist. Denn ihm droht unabhängig von einer möglichen Vorverfolgung im Falle einer Rückkehr nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit („real risk“) eine asylerhebliche Verfolgung durch den syrischen Staat. Dies ergibt sich zur Überzeugung der Kammer aus Folgendem:
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Dem 1988 geborenen Kläger droht eine Verfolgung im Sinne von § 3 Abs. 1, § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG. Denn er ist bei einer Rückkehr konkret bedroht von Strafverfolgung oder Bestrafung durch den syrischen Staat - einem tauglichen Verfolger gemäß § 3c Nr. 1 AsylG - wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, der u.a. Kriegsverbrechen umfasst, und dies aus Gründen (unterstellter) staatsfeindlicher Einstellung, somit aus politischen Gründen im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG.
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1. In Syrien besteht Militärdienstpflicht, die grundsätzlich für alle syrischen Männer unabhängig von ethnischem oder religiösem Hintergrund (SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015; Republik Österreich, BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Syrien, 05.01.2017; Danish Refugee Council, Syria, 09/2015) wie auch für Palästinenser, die in Syrien leben (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Syrien, 05.01.2017), gilt; auch Oppositionelle werden einberufen (SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015; SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, 30.07.2014; Finnish Immigration Service, Syria: Military Service, national defense forces, armed groups supporting Syrian regime and armed opposition, 23.08.2016). Die Registrierung für den Militärdienst erfolgt im Alter von 18 Jahren. Die Wehrpflicht dauerte in der Vergangenheit bis zum Alter von 42 Jahren; mehrere Auskünfte verweisen allerdings auf Quellen, wonach die Wehrpflicht in der Praxis gegenwärtig bis zum 50. bzw. sogar bis zum 52. Lebensjahr ausgeweitet wird (AA, Auskunft an VG Düsseldorf vom 02.01.2017; Dt. Botschaft Beirut, Auskunft vom 02.03.2016; SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, 30.07.2014; Finnish Immigration Service, Syria: Military Service, national defense forces, armed groups supporting Syrian regime and armed opposition, 23.08.2016). Eine Ausnahme von der Wehrpflicht besteht laut Gesetz in eng begrenzten Ausnahmefällen, so etwa für Personen jüdischen Glaubens oder bei Untauglichkeit. Gesetze und Regelungen über Ansprüche auf Aufschub vom Antritt des Grundwehrdienstes etwa für Einzelkinder oder Studenten - hier je nach Art des Studiums gestaffelt, regelmäßig höchstens bis 27 Jahre (SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015) - sind offenbar teilweise zwar noch formal in Kraft, werden ausweislich der aktuellen Quellenlage in der Praxis allerdings aufgrund des zunehmenden Personalbedarfs beim syrischen Militär nur mehr sehr eingeschränkt und zunehmend willkürlich umgesetzt (UNHCR, Ergänzende aktuelle Länderinformationen Syrien: Militärdienst, 30.11.2016; SFH, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 20.10.2015 zu Syrien: Umsetzung der Freistellung vom Militärdienst als „einziger Sohn“; SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015; Danish Refugee Council, Syria, 09/2015; Finnish Immigration Service, Syria: Military Service, national defense forces, armed groups supporting Syrian regime and armed opposition, 23.08.2016). Ebenso geraten offenbar zunehmend Jugendliche unter 18 Jahren an Checkpoints ins Visier und laufen Gefahr, Repressalien ausgesetzt zu werden, wobei die Berichtslage hinsichtlich einer Rekrutierung Minderjähriger beim Syrischen Militär widersprüchlich ist (UNHCR, Ergänzende aktuelle Länderinformationen Syrien: Militärdienst, 30.11.2016; Republik Österreich, BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Syrien, 05.01.2017). Es besteht keine Möglichkeit, den Wehrdienst zu verweigern bzw. zivilen Ersatzdienst zu leisten (AA, Auskunft an VG Düsseldorf vom 02.01.2017; SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, 30.07.2014). Entlassungen aus dem Militärdienst sind ausweislich der aktuellen Quellenlage seit Beginn der kriegerischen Auseinandersetzungen selten geworden; viele Wehrpflichtige sind über Jahre hinweg in der Armee tätig und oftmals wäre Desertion die einzige Möglichkeit, den Militärdienst zu beenden (Republik Österreich, BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Syrien, 05.01.2017; Danish Refugee Council, Syria, 09/2015; Finnish Immigration Service, Syria: Military Service, national defense forces, armed groups supporting Syrian regime and armed opposition, 23.08.2016).
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Wehrpflichtige, die nach Ableistung ihres Wehrdienstes entlassen worden sind, müssen als Reservisten abrufbar sein (AA, Auskunft an VG Düsseldorf vom 02.01.2017; SFH, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 12.03.2015 zu Syrien: Arbeitsverweigerung; SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015; SFH, Schnellrecherche zur SFH-Länderanaylse vom 10.09.2015 zu Syrien: Qamishli / Reservisten). In der Vergangenheit wurden alle Männer bis zum Alter von 42 Jahren als Reservisten geführt; aufgrund der angespannten Personalsituation gibt es gegenwärtig offenbar kein festgesetztes Höchstalter für Rekrutierungen mehr, vielmehr werden ausweislich der vorliegenden Auskünfte im Einzelfall - je nach Ausbildung und bisheriger Tätigkeiten für die Armee - Männer im Alter von bis zu 50 oder sogar 60 Jahren rekrutiert (Danish Refugee Council, Syria, 09/2015; Finnish Immigration Service, Syria: Military Service, national defense forces, armed groups supporting Syrian regime and armed opposition, 23.08.2016). Seit dem Herbst 2014 werden Reservisten in großem Umfang eingezogen (SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015; SFH, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 12.03.2015 zu Syrien: Arbeitsverweigerung). Die syrische Armee hat ausweislich mehrerer Quellen mit örtlichen Generalmobilmachungen begonnen, neue Checkpoints etabliert und Razzien im privaten und öffentlichen Bereich intensiviert, um Reservisten zu finden, die sich bislang dem Dienst entzogen haben. In wenigen Monaten wurden zehntausende Rekruten (zwangs-)rekrutiert und es gibt Auskünfte, wonach im Frühjahr 2015 Listen mit über 70.000 Namen von Personen, die als Reservisten eingezogen werden sollen, an den Checkpoints der syrischen Armee zirkulierten (SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015; Danish Refugee Council, Syria, 09/2015). Bei der Einberufung von Reservisten, die auf Grundlage des Kriegsrecht innerhalb weniger Tage erfolgen kann, wird offenbar keine Unterscheidung zwischen Anhängern des Regimes und potentiellen Oppositionellen gemacht (SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, 30.07.2014).
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Männer im Alter zwischen 18 und 42 Jahren dürfen bereits seit März 2012 nur mit einer offiziellen Beglaubigung des Militärs, mit der bescheinigt wird, dass sie vom Militärdienst freigestellt sind, das Land verlassen; seit Herbst 2014 besteht darüber hinaus für Männer, die zwischen 1985 und 1991 geboren sind, ein generelles Ausreiseverbot (SFH, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 12.03.2015 zu Syrien: Arbeitsverweigerung; SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015; SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, 30.07.2014; Deutsche Orient-Stiftung, Auskunft an OVG Schl.-Holstein vom 08.11.2016). Jungen Männern vor Erreichen des 18. Lebensjahres wird die Ausreise erschwert, indem Reisepässe nur für eine kurze Gültigkeitsdauer ausgestellt werden (UNHCR, Syrien: Militärdienst, 30.11.2016; Republik Österreich, BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Syrien, 05.01.2017).
26 
Wehrdienstverweigerung wird nach dem Military Penal Code geahndet (zum folgenden AA, Auskunft an VG Düsseldorf vom 02.01.2017; Dt. Botschaft Beirut, Auskunft vom 02.03.2016; SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, 30.07.2014). Nach Artikel 68 wird mit einer Haftstrafe von einem bis sechs Monaten in Friedenszeiten und bis zu fünf Jahren in Kriegszeiten bestraft, wer sich der Einberufung entzieht. Wer das Land ohne eine Adresse zu hinterlassen verlässt und sich so der Einberufung entzieht, wird mit drei Monaten bis zu zwei Jahren Haft und einer Geldbuße bestraft. Für Desertion sieht Artikel 101 fünf Jahre Haft vor bzw. fünf bis zehn Jahre, wenn der Deserteur das Land verlässt. Erfolgt die Desertion in Kriegszeiten oder während des Kampfes, beträgt die Haftstrafe 15 Jahre; Desertion im Angesicht des Feindes wird gemäß Artikel 102 mit lebenslanger Haft bzw. bei Überlaufen zum Feind mit Exekution bestraft. Bereits die ohne Beglaubigung der Armee erfolgte und mithin illegale Ausreise wird als Wehrdienstentzug geahndet (AA, Auskunft an VG Düsseldorf vom 02.01.2017).
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Der 1988 geborene Kläger ist im wehrpflichtigen Alter und hat seiner Wehrpflicht noch nicht genügt. Seine Einberufung wurde mit Blick auf sein Studium nach seinen Angaben bis zum Juli 2016, somit bis zum Alter von 28 Jahren, aufgeschoben; dass ein weiterer Aufschub nicht möglich wäre, wie der Kläger geltend macht, deckt sich mit den vorliegenden Erkenntnismitteln. Obwohl der Kläger zu den Geburtsjahrgängen gehört, denen die Ausreise aus Syrien generell untersagt ist, hat er - illegal - das Land verlassen. Bereits durch diese illegale Ausreise hat er sich der Wehrdienstentziehung schuldig gemacht; darüber hinaus hat er sowohl gegenüber dem Bundesamt als auch im Klageverfahren geltend gemacht, er werde sich nicht an dem in Syrien herrschenden Krieg, in dem auf Zivilisten geschossen werde, beteiligen. Der Kläger hat daher Strafverfolgung bzw. Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung zu befürchten.
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2. Der Militärdienst beim syrischen Militär umfasst gegenwärtig - und mit Blick auf den nach wie vor trotz internationaler Bemühungen um die Etablierung eines Waffenstillstands blutig ausgetragenen Konflikt auch auf absehbare Zeit - Verbrechen oder Handlungen, die im Sinn von § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG unter die Ausschlussklausel des § 3 Abs. 2 AsylG fallen, die sich mithin als Verbrechen gegen den Frieden, als ein Kriegsverbrechen oder als ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen. Dass der Dienst in der syrischen Armee, zu dem der Kläger mobilisiert würde, mit dem Zwang zu wiederholt und systematisch vorgenommenen völkerrechtswidrigen Handlungen verbunden wäre, welche die Grundsätze der Menschlichkeit und des humanitären Völkerrechts missachten, ist wohl unbestritten (vgl. etwa VG Magdeburg, Urteil vom 12.10.2016 – 9 A 175/16 -, juris; VG Sigmaringen, Urteil vom 23.11.2016 - A 5 K 1372/16 -, juris; VG Ansbach, Urteil vom 19.10.2016 - AN 9 K 16.30460 -, juris; VG Stade, Urteil vom 02.11.2016 - 10 A 2183/16 -, juris, Cour nationale du droit d’asile, Urteil vom 25.05.2016 - 16000248 -). So wurden seit dem Jahr 2012 tausende Fassbomben von der syrischen Armee über Oppositionsgebieten eingesetzt. Opfer unter der Zivilbevölkerung werden zumindest billigend in Kauf genommen bzw. sind gerade Ziel der bewaffneten Angriffe vom Boden oder aus der Luft, die etwa auf Schulen, Märkte oder Krankenhäuser erfolgen. Auch die lang anhaltenden Belagerungen, die wiederholt und an unterschiedlichen Orten in Syrien stattfanden, richten sich in erster Linie gegen die in den eingekesselten Städten lebende Zivilbevölkerung. Es kommt immer wieder zu willkürlichen Festnahmen, Folterungen und Tötungen von Zivilisten (Dt. Botschaft Beirut, Auskunft vom 02.03.2016; UK Foreign and Commonwealth Office: Human Rights and Democracy Report 2015, 21.04.2016; Amnesty International, Amnesty Report 2016 Syrien). Auch die unabhängige UN-Untersuchungskommission der UN-Generalversammlung hat in ihrem jüngsten Bericht festgestellt: „Flagrant violations of human rights and international humanitarian law continue unabated, aggravated by blatant impunity […] Crimes against humanity continue to be committed by government forces and by ISIS. War crimes are rampant“ (A/HRC/31/68 vom 11.02.2016; vgl. auch A/HRC/28/69 vom 05.02.2015).
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Der Europäische Gerichtshof hat für die Regelung des Art. 9 Abs. 2 lit. c) RL 2004/83, die insoweit mit der nunmehr gültigen Richtlinie RL 2011/95/EU identisch ist, welche wiederum § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG zugrunde liegt, entschieden (Rs. C-472/13 < Shepherd >, Urteil vom 26.02.2015, Curia; vgl. dazu Neumann, ZAR 2016, 17 ff.), dass diese Regelung nicht nur für hochrangige Militärs, sondern für alle Militärangehörigen einschließlich des logistischen Unterstützungspersonals gilt. Auch kommt es ausweislich des EuGH nicht darauf an, ob der Betreffende persönlich Kriegsverbrechen begehen müsste oder ob er, da er nicht zu Kampftruppen gehört, sondern etwa einer logistischen oder unterstützenden Einheit zugeteilt ist, an deren Begehung nur indirekt beteiligt wäre. Erforderlich ist es nach Auffassung des EuGH dagegen, dass der Betreffende die Kriegsverbrechen nicht auf andere Weise - insbesondere durch ein reguläres Anerkennungsverfahren als Kriegsdienstverweigerer - vermeiden könnte.
30 
Mithin kommt es im vorliegenden Fall nicht darauf an, welcher Einheit der Kläger, der in Syrien keine Möglichkeit hätte, den Militärdienst zu verweigern oder zivilen Ersatzdienst zu leisten, mutmaßlich nach seiner Rekrutierung zugeteilt würde und ob diese selbst unmittelbar an Kriegsverbrechen beteiligt wäre. Vielmehr ist es ausreichend, dass, wie bereits dargelegt, durch die syrische Armee wiederholt und systematisch Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen werden und der Kläger daher jedenfalls aufgrund der Massivität und Häufigkeit der von der syrischen Armee in unterschiedlichen Regionen Syriens begangenen völkerrechtswidrigen Handlungen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen muss, bei Ableistung seines Wehrdienstes, in welcher Einheit und durch welche konkrete Tätigkeit auch immer, durch sein Handeln jedenfalls die Begehung von Kriegsverbrechen anderer Einheiten zu unterstützen oder vorzubereiten.
31 
3. Auch scheitert die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht daran, dass es vorliegend an einem Verfolgungsgrund im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b AsylG fehlt.
32 
Fraglich ist insoweit bereits, ob es in Konstellationen des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG überhaupt der ausdrücklichen Feststellung eines Verfolgungsgrundes gemäß § 3b AsylG bedarf. Denn in einer Situation, in der sich der Militärdienst als Teilnahme an Kriegsverbrechen und anderen völkerrechtswidrigen Handlungen darstellt, liegt dem Wehrdienstentzug kein kriminelles Unrecht zugrunde mit der Folge, dass es an der Legitimität strafrechtlicher Sanktionierung dieses Verhaltens fehlt; vor diesem Hintergrund schreiben etwa das Verwaltungsgericht Sigmaringen (Urteil vom 23.11.2016 - A 5 K 1372/16 -, juris) und das Verwaltungsgericht Magdeburg (Urteil vom 12.10.2016 - 9 A 175/16 -, juris) einer Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung in Fällen des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG ohne weiteres den Charakter einer Verfolgung im asylrechtlichen Sinne zu. Die Annahme, eine Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG impliziere per se einen Verfolgungsgrund im Sinne des § 3b AsylG, findet eine Stütze ferner in der Überlegung, dass ein Staat, der die Weigerung, sich an einem völkerrechtswidrigen Konflikt zu beteiligen, unter Strafe stellt, die regelmäßig auf einer religiösen, politischen oder humanistischen Grundeinstellung beruhende ernsthafte und mit Blick auf die Völkerrechtswidrigkeit besonders schützenswerte (Gewissens-)Entscheidung seiner Staatsangehörigen, einem derartigen Konflikt die Unterstützung zu verweigern, missachtet.
33 
Ob es in Fällen des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG der expliziten Feststellung eines Verfolgungsgrundes bedarf, kann jedoch dahinstehen. Ebenso kann offen bleiben, ob nicht bei Verweigerung der Teilnahme an einer bewaffneten völkerrechtswidrigen Auseinandersetzung dem Betreffenden vom Verfolger in aller Regel eine abweichende politische Gesinnung zugeschrieben und unterstellt wird, was gemäß § 3b Abs. 2 AsylG ausreichend ist, um einen Verfolgungsgrund zu bejahen (vgl. dazu GK-AufenthR, 2016, § 60 Rn. 169; vgl. auch VG Stade, Urteil vom 02.11.2016 - 10 A 2183/16 -, juris).
34 
Denn im konkreten Falle Syriens lässt sich auf Grundlage der vorliegenden Erkenntnismittel und der dort zitierten zahlreichen Quellen feststellen, dass die den Deserteuren oder Wehrdienstverweigerern drohenden staatlichen Maßnahmen an eines der in § 3 AsylG genannten Merkmale anknüpfen.
35 
Zwar rekrutiert die syrische Armee prinzipiell alle Männer unabhängig von ihrem ethnischen oder religiösen Hintergrund und wendet auch die strafrechtlichen Regelungen bezüglich Wehrdienstentziehung und Desertion offenbar mehr oder weniger unterschiedslos auf alle syrischen Wehrpflichtigen an, so dass nicht bereits im Hinblick auf eine insoweit durchgängig diskriminierende Praxis ein Verfolgungsgrund im Sinne von § 3b AsylG vorliegt (darauf verweisend OVG Rheinl.-Pfalz, Urteil vom 16.12.2015 - 1 A 10922/16 -, juris). Dies schließt die Annahme politischer Verfolgung jedoch ebenso wenig aus wie der Umstand, dass allen Personen, die sich der Wehrpflicht entziehen, in Syrien von Rechts wegen Verfolgung deshalb droht, weil sie mit der Dienstverweigerung eine Straftat begangen haben.
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Mit dem Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 31.03.1981 - 9 C 6.80 -, juris) geht die Kammer davon aus, dass, wenngleich die politischen Tendenzen einer generellen Maßnahme oder Regelung wie der Verpflichtung zum Waffendienst nicht immer offen zutage liegen, dennoch einer solchen Wehrpflicht neben ihrer allgemeinen - asylrechtlich nicht einschlägigen - Intention auch eine Verfolgungstendenz innewohnen kann; eine solche kann etwa darin liegen, dass zugleich eine politische Disziplinierung und Einschüchterung von politischen Gegnern in den eigenen Reihen, eine Umerziehung von Andersdenkenden oder eine Zwangsassimilation von Minderheiten bezweckt wird. Anhaltspunkte für derartige Intentionen können sich aus der besonderen Ausformung der die Wehrpflicht begründenden Regelungen, aus ihrer praktischen Handhabung, aber auch aus ihrer Funktion im allgemeinen politischen System der Organisation ergeben. Der totalitäre Charakter einer Staatsform, die Radikalität ihrer Ziele sowie das Maß an geforderter und durchgesetzter Unterwerfung sind wichtige Gradmesser für Verfolgungstendenzen. Deutlich werden kann der politische Charakter von Wehrdienstregelungen nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts, dem sich die Kammer anschließt, etwa daran, dass Verweigerer oder Deserteure als Verräter an der gemeinsamen Sache angesehen und deswegen übermäßig hart bestraft, zu besonders gefährlichen Einsätzen kommandiert oder allgemein geächtet werden.
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Gerade im Falle von Syrien gibt es gegenwärtig gewichtige Anhaltspunkte für die Annahme, die drohende Bestrafung wegen Wehrdienstentzugs oder Desertion diene nicht lediglich der Sicherstellung der Wehrpflicht und der Ahndung des mit der Dienstverweigerung verbundenen kriminellen Unrechts, sondern solle (auch) eine aufgrund des Wehrdienstentzugs vermutete staatsfeindliche Gesinnung treffen und diese eliminieren, sei somit politisch motiviert. Diese Annahme liegt bereits aufgrund der besonderen Konstellation in Syrien nahe, denn es handelt sich bei Syrien um ein diktatorisches System, das mit allen Mitteln um seine Existenz kämpft (darauf verweisend etwa VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 -, juris); auch soll die Mobilisierung der syrischen Armee nicht der Teilnahme an einem Konflikt in einem dritten Staat, sondern der Bekämpfung der oppositionellen Rebellengruppen im eigenen Land dienen; wer sich an diesem existentiellen Kampf der Staatsmacht gegen Teile der eigenen Bevölkerung nicht beteiligt, sondern sich trotz des bekannt großen Personalbedarfs in der syrischen Armee seiner Wehrpflicht - zumal durch eine illegale Flucht ins Ausland - entzieht, manifestiert damit nach außen sichtbar seine Illoyalität gegenüber dem syrischen Staat in besonderer Weise. Entsprechend hart geht der syrische Staat mit Deserteuren und Männern, die sich dem Wehrdienst entziehen, um: So drohen denjenigen, die sich Einberufung oder Mobilisierung entziehen, bei einer Ergreifung Untersuchungen und Festnahmen teilweise mit längerer Haft und Folter (SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015; Danish Refugee Council, Syria, 09/2015; Deutsche Orient-Stiftung, Auskunft an OVG Schl.-Holstein vom 08.11.2016). Einige Quellen sprechen im Zusammenhang mit Desertion von lebenslanger Haft und Exekutionen (AA, Auskunft an VG Düsseldorf vom 02.01.2017; SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, 30.07.2014; Danish Refugee Council, Syria, 09/2015). Ferner gibt es Berichte von Personen, die als Rückkehrer im Zusammenhang mit einem nicht abgeleisteten Militärdienst befragt und dauerhaft verschwunden sind (Dt. Botschaft Beirut, Auskunft vom 02.03.2016; darauf verweisend auch etwa Bayer. VGH, Urteile vom 12.12.2016 - 21 ZB 16.30338 u.a. - [ausweislich Presseerklärung vom 13.12.2016]). Es gibt Quellen, wonach Rekruten, denen das Regime nicht traut, mitunter in den Kampfeinsatz an die Front geschickt werden, um ihre Motivation zu kämpfen zu erhöhen (Finnish Immigration Service, Syria: Military Service, national defense forces, armed groups supporting Syrian regime and armed opposition, 23.08.2016). Ferner gibt es Hinweise darauf, dass alle, die sich dem Regime entziehen - wie es Wehrdienstpflichtige tun, zumal wenn sie illegal ins Ausland reisen -, als Oppositionelle und je nach bisheriger Funktion als „Landesverräter“ betrachtet werden (SFH, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 12.03.2015 zu Syrien: Arbeitsverweigerung). Andere Quellen halten Männer im wehrpflichtigen Alter für besonders gefährdet, bei der Einreise über den Flughafen oder auf dem Landweg Misshandlungen durch das Sicherheitspersonal zu erfahren, insbesondere wenn sie ihren Militärdienst noch nicht abgeleistet haben; so spricht eine Quelle davon, „military-aged men [are] the most vulnerable group in terms of treatment by Syrian authorities at points of entry“ (Immigration and Refugee Board of Canada, Syria: Treatment of returnees upon arrival at Damascus International Airport and international land border crossing points, 19.01.2016). Auch diejenigen, bei denen lediglich die Absicht der Desertion vermutet wird, werden als Gegner des Regimes betrachtet und haben gewaltsames Verschwinden, Haft und Folter zu gewärtigen (Amnesty International, Between prison and the grave, 11/2015). Schließlich ergibt sich aus zahlreichen Quellen, dass für Desertion und Wehrdienstentzug mitunter auch Familienangehörige haftbar gemacht, zur Rechenschaft gezogen und unter Druck gesetzt werden (Dt. Botschaft Beirut, Auskunft vom 02.03.2016; SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015; SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, 30.07.2014; Republik Österreich, BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Syrien, 05.01.2017; Finnish Immigration Service, Syria: Military Service, national defense forces, armed groups supporting Syrian regime and armed opposition, 23.08.2016).
38 
Die Annahme des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz (Urteil vom 16.12.2016 - 1 A 10922/16 -, juris Rn. 154), es sei syrischen Machthabern bekannt, dass die Flucht aus Syrien in aller Regel nicht durch politische Gegnerschaft zum Staat, sondern durch Angst vor dem Krieg motiviert sei, folgt die Kammer vor dem Hintergrund dieser zahlreichen und sämtlich in die gegenteilige Richtung weisenden Belege nicht. Vielmehr lassen die vorliegenden Auskünfte nur den Schluss zu, dass die Verfolgung von Wehrdienstverweigerern oder Deserteuren nicht allein der auf rationalen Überlegungen fußenden Vollstreckung des syrischen Wehrstrafrechts dient, sondern dass es sich hierbei auch ganz maßgeblich um Verfolgung aufgrund der und Vergeltung der (unterstellten) regimekritischen politischen Überzeugung der Betreffenden handelt (so auch VG Magdeburg, Urteil vom 12.10.2016 - 9 A 175/16 -, juris; VG Sigmaringen, Urteil vom 23.11.2016 – A 5 K 1372/16 -, juris; VG Oldenburg, Urteil vom 18.11.2016 – 2 A 5162/16 -, juris; VG Stade, Urteil vom 02.11.2016 – 10 A 2183/16 -, juris; VG Düsseldorf, Urteil vom 22.11.2016 – 3 K 7501/16.A -, juris; VG Freiburg, Urteil vom 16.12.2016 – A 1 K 3898/16 -, juris; VG Wiesbaden, Urteil vom 27.09.2016 - 2 K 683/16.WI.A -, asyl.net; ähnlich i.Erg. auch Österr. BVwG, Entscheidung vom 01.07.2016 - W227 2104997-1 -; sowie, wenn auch auf zusätzliche Risikogesichtspunkte abstellend Schweizer. BVerwG, Urteil vom 18.02.2015 - D-5553/2013 -).
39 
Dem entsprechen schließlich die aktuellen Erwägungen des UNHCR (4. Fassung, November 2015) zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen. In diesem vom UNHCR herausgegebenen Dokument, dem angesichts der Rolle, die dem UNHCR durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden sind, bei der Auslegung der unionsrechtlich determinierten Asylvorschriften besondere Relevanz zukommt (vgl. EuGH vom 30.05. 2013 - C-528/11 -, juris, m.w.N.; Österr. BVwG, Entscheidung vom 01.07.2016 - W227 2104997-1 -), sind Risikoprofile beschrieben, bei deren Einschlägigkeit die betreffende Person wahrscheinlich internationalen Schutz im Sinne der Genfer Konvention benötige. Dazu gehören neben unterschiedlichen anderen Personengruppen auch Personen, die tatsächlich oder vermeintlich in Opposition zur Regierung stehen, wie (u.a.) Wehrdienstverweigerer und Deserteure der Streitkräfte.
40 
Ist der Kläger mithin bereits gemäß durch asylerhebliche Handlungen des syrischen Staates gemäß § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG von politischer Verfolgung bedroht, kann vorliegend dahinstehen, inwieweit der Kläger auch deshalb als Flüchtling anzuerkennen ist, weil sich die ihm wegen Wehrpflichtentziehung drohende Bestrafung als Bestrafung wegen einer (vermeintlichen) politischen Gesinnung - so gen. Polit-Malus - im Sinne von § 3a Abs. 2 Nr. 3 AsylG darstellt (so etwa VG Magdeburg, Urteil vom 12.10.2016 - 9 A 175/16 -, juris; a.A. OVG Rheinl.-Pfalz, Urteil vom 16.12.2016 - 1 A 10922/16 -, juris).
41 
4. Für den Kläger besteht auch ein reales Verfolgungsrisiko, bei einer Rückkehr nach Syrien tatsächlich wegen Wehrdienstentziehung aufgegriffen und verurteilt zu werden.
42 
Zunächst besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Syrien wegen Wehrdienstentziehung aufgegriffen würde. Denn es gibt kaum eine Möglichkeit, sich innerhalb Syriens dem Militär- bzw. Reservistendienst zu entziehen. Personen, die das wehrpflichtige Alter erreicht haben oder während ihres Auslandsaufenthaltes zum Wehrdienst einberufen wurden, werden in Fahndungslisten aufgenommen, die an die Grenzübergänge verteilt werden, so dass schon bei der Einreise eine Identifizierung und Verhaftung bzw. Zwangsrekrutierung wahrscheinlich ist (SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, 30.07.2014; Republik Österreich, BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Syrien, 05.01.2017; Danish Refugee Council, Syria, 09/2015; Immigration and Refugee Board of Canda, Syria: Treatment of returnees upon arrival at Damascus International Airport and international land border crossing points, 19.01.2016). Ferner gibt es zahlreiche mobile „Checkpoints“, die ebenfalls im Besitz der Listen sind und bei einem Datenbankabgleich feststellen können, ob der Betreffende seinen Wehrdienst abgeleistet hat bzw. als Reservist rekrutiert werden soll; auch hier kommt es zu Verhaftungen, Verschleppungen bzw. unmittelbarer Zwangsrekrutierung (Republik Österreich, BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Syrien, 05.01.2017; Finnish Immigration Service, Syria: Military Service, national defense forces, armed groups supporting Syrian regime and armed opposition, 23.08.2016). Das syrische Militär hat gegenwärtig aufgrund von Todesfällen, Abtrünnigkeit und Desertion einen enormen Bedarf an Personal, da es von circa 325.000 Soldaten bei Ausbruch des Krieges auf wohl etwa 150.000 Soldaten dezimiert worden ist (SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015; Danish Refugee Council, Syria, 09/2015); um Wehrdienstverweigerer und Reservisten zu rekrutieren und so den Personalbedarf zu decken, finden immer wieder Durchsuchungen, Razzien und Massenverhaftungen statt (Dt. Botschaft Beirut, Auskunft vom 02.03.2016; UNHCR, Ergänzende aktuelle Länderinformationen Syrien: Militärdienst, 30.11.2016; SFH, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 12.03.2015 zu Syrien: Arbeitsverweigerung; SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015). Auch ist für viele bürokratische Akte, etwa für Heiratszertifikate, eine Bewilligung des Militärs erforderlich (SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, 30.07.2014). Daher ist es für Wehrdienstverweigerer fast unmöglich, nach Syrien einzureisen oder gar in den von der Regierung kontrollierten Gebieten zu leben und sich dort zu bewegen, ohne aufgegriffen zu werden (AA, Auskunft an VG Düsseldorf vom 02.01.2017).
43 
Ferner besteht die reale Möglichkeit, dass der Kläger, wenn er - wie mit großer Sicherheit zu erwarten - bereits bei seiner Einreise oder zu einem späteren Zeitpunkt als wehrdienstpflichtig erkannt und als solcher den syrischen Behörden bzw. dem syrischen Militär, in erster Linie dem militärischen Sicherheitsdienst, übergeben wurde, wegen Wehrdienstentzugs bestraft wird. Das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (Urteil vom 16.12.2016 - 1 A 10922/16 -, juris) hält eine beachtliche Wahrscheinlichkeit nicht für gegeben mit dem Argument, dass es dem syrischen Staat vor allem darum gehe, den Betroffenen schnellstmöglich seiner notleidenden Armee zuzuführen. Dem folgt die Kammer nicht. Zwar ist der Hinweis auf den hohen Personalbedarf der syrischen Armee nicht von der Hand zu weisen, und tatsächlich wird es auch einen gewissen Prozentsatz an Männern geben, die, obgleich sie den Tatbestand des Wehrdienstentzugs erfüllt haben, unmittelbar zum Militär rekrutiert werden. Jedoch lässt dies nach den vorliegenden Erkenntnismitteln und den dort wiedergegebenen zahlreichen Quellen nicht den Schluss darauf zu, eine Bestrafung wegen Wehrdienstentzugs drohe nicht ebenso mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit. Zwar lässt sich weder die Zahl derer, die aufgrund Wehrdienstentziehung aufgegriffen werden, noch der Prozentsatz derjenigen, die wegen dieses Vorwurfs strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen werden, auch nur annähernd zuverlässig ermitteln. Allerdings ergibt sich aus den vorliegenden Erkenntnismitteln, dass Verhaftungen wegen Entzugs vom Militärdienst in großem Umfang stattfinden; so sprechen einige Quellen von regelrechten „Verhaftungswellen“ (SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015; ähnlich auch Finnish Immigration Service, Syria: Military Service, national defense forces, armed groups supporting Syrian regime and armed opposition, 23.08.2016), ausweislich anderer Erkenntnisse wurden allein in den ersten sieben Monaten des Jahres 2014 über 5.400 wehrdienstpflichtige junge Männer verhaftet, und in Hama bzw. Homs wurden im Rahmen örtlicher Generalmobilmachungen jeweils binnen weniger Tage im Herbst 2014 1.400 bzw. 1.200 Reservisten an Checkpoints verhaftet (SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015). Diese Verhaftungen werden meistens vom militärischen Sicherheitsdienst oder dem Luftwaffen-Sicherheitsdienst durchgeführt, bei denen Fälle von Folter dokumentiert sind (SFH Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015). Die Frage, wie die zahlreichen Sicherheitsdienste mit den Betroffenen weiter verfahren, ob der einzelne als möglicher Terrorist behandelt, einem Strafverfahren zugeführt, zunächst ggf. unter Anwendung von Folter befragt und anschließend zum Militär abgeordnet oder unmittelbar rekrutiert und ausgebildet bzw. direkt an die Front abgeordnet wird, hängt von vielen Umständen ab wie etwa vom aktuellen Personalbedarf der Armee, dem Herkunftsort des Betreffenden, seinen Kontakten oder Erkenntnissen der syrischen Behörden (Danish Refugee Council, Syria, 09/2015) sowie nicht zuletzt von willkürlichem Verhalten der - unkontrollierten - Sicherheitsbehörden überhaupt. Den vorliegenden Erkenntnismitteln lässt sich aber jedenfalls nicht entnehmen, dass es regelhaft mit einer Verhaftung und anschließender Einziehung sein Bewenden hätte; vielmehr ist in den vorliegenden Auskünften etwa davon die Rede, „einige“ würden vor das Militärgericht in Damaskus gestellt und zu Haftstrafen verurteilt, „andere“ würden verwarnt und direkt zum Militärdienst geschickt (SFH Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015), oder die möglichen Konsequenzen eines solchen Aufgreifens - sofortige Einziehung, Verbringung zur Frontlinie, Untersuchungen, Folter, Verurteilung - werden ohne zahlenmäßige Gewichtung nebeneinander gestellt (Danish Refugee Council, Syria, 09/2015). Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang auch, dass das in den Erkenntnismitteln dokumentierte Verhalten der syrischen Staatsmacht gegenüber Wehrpflichtigen und Reservisten sich gegenwärtig im Wesentlichen auf wehrdienstpflichtige Männer bezieht, die sich lediglich innerhalb des Landes der Wehrdienst- oder Rekrutierungspflicht zu entziehen versucht haben, nicht aber auf diejenigen, die durch ihre mit der Flucht ins westliche Ausland dokumentierte Illoyalität gegenüber dem syrischen Staat mutmaßlich besonderen Anlass für die syrischen Behörden liefern, eine regimekritische Gesinnung zu vermuten. Aufgrund des, wie dargelegt, politisch motivierten Vorgehens syrischer Sicherheitskräfte im totalitären Staatsgefüge bei Wehrdienstentziehung erscheint es auch naheliegend, dass durch - möglicherweise auch willkürliche - Haft, Folterungen oder übermäßig harte Bestrafungen Zeichen gesetzt, politische Gegner in den eigenen Reihen eingeschüchtert und weitere Wehrpflichtige zu einem regimekonformen Verhalten angehalten werden sollen. Hinzu kommt schließlich, dass auch denjenigen, die zunächst ohne ein Strafverfahren rekrutiert werden, spätestens dann, wenn sie den Kampfeinsatz verweigern, etwa weil sie die Teilnahme an einem völkerrechtswidrigen Konflikt nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren können, eine Bestrafung wegen Desertion droht, welcher, wie bereits erörtert, politischer Charakter innewohnt.
44 
Dem Kläger droht damit bei einer Rückkehr nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Bestrafung wegen illegaler Ausreise und dadurch begangenen Wehrdienstentzugs. Aber auch dann, wenn der Kläger direkt rekrutiert würde, vor seinem Einsatz im Kampfgebiet aber, wie er es gegenüber dem Bundesamt und in seiner Klagebegründung getan hat, darauf verwiese, er sei nicht bereit, unschuldige Menschen zu töten, hätte er mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einer erheblichen Strafe zu rechnen. Vor diesem Hintergrund besteht für den Kläger eine beachtliche Wahrscheinlichkeit im Sinne eines „real risk“, im Falle einer Rückkehr nach Syrien Strafverfolgungsmaßnahmen wegen Verweigerung der Teilnahme an einem völkerrechtswidrigen Konflikt zu gewärtigen. Ein vernünftig denkender Mensch in der Situation des Klägers wird unter diesen Umständen das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen.
45 
5. Dem Kläger steht schließlich keine inländische Fluchtalternative im Sinne des § 3e AsylG offen. Die Deutsche Botschaft Beirut (Auskunft vom 03.02.2016) geht davon aus, dass grundsätzlich alle Regionen in Syrien vom Bürgerkrieg betroffen sind, wenn nicht durch direkte Kampfhandlungen, dann indirekt (Kriegswirtschaft, Einzug ins Militär, marodierende Banden, beispielsweise in einigen Vororten von Damaskus etc.) (vgl. auch AA, Auskunft an VG Düsseldorf vom 02.01.2017).
46 
Selbst wenn man gedanklich unterstellt, dass es dennoch Gebiete innerhalb Syriens gibt, die als zumutbare Fluchtalternative dienen könnten, lässt sich jedenfalls nicht feststellen, dass der Kläger ein solches Gebiet in zumutbarer Weise und sicher erreichen könnte. Denn das Regime hat ein dichtes System von Kontrollpunkten eingerichtet. Diesen Stellen liegen in der Regel auch die Namenslisten zu denjenigen vor, die sich der Einberufung bzw. Mobilmachung entzogen haben (vgl. SFH, Rekrutierung durch die syrische Armee, 30.07.2014; SFH, Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015; UNHCR, Ergänzende aktuelle Länderinformation Syrien: Militärdienst, 30.11.2016) und sie sind derart verbreitet, dass mehr dafür als dagegen spricht, dass der Kläger, wenn er nicht schon beim Versuch der Einreise nach Syrien erfasst und ergriffen wird, an einem solchen Checkpoint aufgegriffen wird.
47 
Unabhängig davon steht dem Kläger eine innerstaatliche Fluchtalternative auch deshalb nicht zur Verfügung, weil Reisen innerhalb Syriens in einen anderen - möglicherweise - verfolgungsfreien Landesteil generell mit einem extrem hohen allgemeinen Sicherheitsrisiko verbunden sind, das dem Asylsuchenden nicht zumutbar ist (vgl. § 3e Abs. 1 AsylG). Dabei besteht nicht nur das erhebliche Risiko, gewissermaßen versehentlich in kriegerische Handlungen hineingezogen zu werden. Sowohl das syrische Regime und regierungsnahe Kräfte als auch bewaffnete oppositionelle Gruppen, darunter der sog. Islamische Staat (IS) und die Al-Nusra-Front, verüben in den jeweils von ihnen beherrschten Gebieten in breitem Umfang Massaker an der Zivilbevölkerung und Angriffe auf Zivilpersonen, u.a. in Form von Mord, Geiselnahme, Folter, Zwangsverschleppung, sexueller Gewalt und Rekrutierung von Kindern (vgl. UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 4. aktualisierte Fassung November 2015, S. 12 f.; zum Fehlen einer innerstaatlichen Fluchtalternative vgl. auch VG Düsseldorf, Urteil vom 22.11.2016 - 3 K 7501/16.A -, juris; VG Stade, Urteil vom 02.11.2016 – 10 A 2183/16 -, juris; OVG Oldenburg, Urteil vom 18.11.2016 – 2 A 5162 -, juris).
48 
Die Kostenentscheidung für das gerichtskostenfreie Verfahren (§ 83b AsylG) beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Gründe

 
12 
Die Kammer entscheidet im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO).
13 
Die als Verpflichtungsklage zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 04.08.2016 ist im angefochtenen Umfang rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, denn er kann beanspruchen, dass ihm die Beklagte nicht lediglich den subsidiären Schutzstatus nach § 4 AsylG, sondern die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG zuerkennt (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
14 
Dabei kann dahinstehen, ob dem Kläger bereits wegen seiner illegalen Ausreise, der Beantragung von Asyl und dem damit verbundenen längeren Aufenthalt im westlichen Ausland Verfolgung durch den syrischen Staat droht, wie dies in der veröffentlichten erstinstanzlichen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte wohl überwiegend angenommen (vgl. z.B. VG Düsseldorf, Urteil vom 22.11.2016 - 3 K 7501/16.A -, juris; VG Oldenburg, Urteil vom 18.11.2016 - 2 A 5162/16 -, juris; VG Köln, Urteil vom 25.10.2016 - 20 K 2890/16.A -, juris; VG Freiburg, Urteil vom 13.12.2016 - A 5 K 2096/16 -, juris; VG Sigmaringen, Urteil vom 23.11.2016 - A 5 K 1372/16 -, juris; VG Ansbach, Urteil vom 19.10.2016 - AN 9 K 16.30460 -, juris; VG Kassel, Urteil vom 05.12.2016 - 5 K 2418/16.KS.A -, juris), von einigen Oberverwaltungsgerichten (OVG Schlesw.-Holstein, Urteil vom 23.11.2016 - 3 LB 17/16 -, juris; Bayer. VGH, Urteile vom 12.12.2016 - 21 ZB 16.30338 u.a. -, [ausweislich Pressemitteilung vom 13.12.2016]; OVG Rheinl.-Pfalz, Urteil vom 16.12.2016 - 1 A 10922/16 -, juris) aber verneint wird.
15 
Denn er ist jedenfalls wegen der drohenden Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung im Falle einer Rückkehr nach Syrien politisch verfolgt i.S.v. § 3 Abs. 1 AsylG.
16 
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer u.a. Flüchtling, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
17 
Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, ist es gemäß § 3b Abs. 2 AsylG unerheblich, ob er tatsächlich die persönlichen Merkmale aufweist, die zu der Verfolgung führen. Es genügt vielmehr, dass ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden (§ 3b Abs. 2 AsylG).
18 
Die befürchtete Verfolgung muss gerade auf dieser Zuschreibung beruhen; zwischen den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Verfolgungsgründen und den als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss gemäß § 3a Abs. 3 AsylG eine Verknüpfung bestehen.
19 
Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten gemäß § 3a Abs. 1 AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist. Als Verfolgung gelten gemäß § 3a Abs. 2 AsylG unter anderem die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt (§ 3a Abs. 2 Nr. 1 AsylG), eine unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung (§ 3a Abs. 2 Nr. 3 AsylG) und die Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fallen (§ 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG).
20 
Schutz nach § 3 Abs. 1 AsylG kann nur derjenige beanspruchen, der politische Verfolgung bei einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat. Eine Verfolgungsgefahr für einen nicht verfolgt Ausgereisten und damit dessen begründete Furcht vor Verfolgung liegt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vor, wenn dem Asylsuchenden bei verständiger und objektiver Würdigung der gesamten Umstände seines Falles mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht (hierzu und zum Folgenden: BVerwG, EuGH-Vorlage vom 07.02.2008 - 10 C 33.07 - juris). Beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ist anzunehmen, wenn bei der vorzunehmenden zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Ergeben die Gesamtumstände des Falles die reale Möglichkeit („real risk“) einer Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine geringe mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, macht es auch aus der Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen erheblichen Unterschied, ob er z.B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber die Todesstrafe riskiert (vgl. BVerwG, Urteile vom 05.11.1991 - 9 C 118.90 -, BVerwGE 89, 162, und vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, BVerwGE 146, 67).
21 
Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe ist dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Insoweit kann offenbleiben, ob der Kläger bereits vorverfolgt aus Syrien ausgereist ist. Denn ihm droht unabhängig von einer möglichen Vorverfolgung im Falle einer Rückkehr nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit („real risk“) eine asylerhebliche Verfolgung durch den syrischen Staat. Dies ergibt sich zur Überzeugung der Kammer aus Folgendem:
22 
Dem 1988 geborenen Kläger droht eine Verfolgung im Sinne von § 3 Abs. 1, § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG. Denn er ist bei einer Rückkehr konkret bedroht von Strafverfolgung oder Bestrafung durch den syrischen Staat - einem tauglichen Verfolger gemäß § 3c Nr. 1 AsylG - wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, der u.a. Kriegsverbrechen umfasst, und dies aus Gründen (unterstellter) staatsfeindlicher Einstellung, somit aus politischen Gründen im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG.
23 
1. In Syrien besteht Militärdienstpflicht, die grundsätzlich für alle syrischen Männer unabhängig von ethnischem oder religiösem Hintergrund (SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015; Republik Österreich, BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Syrien, 05.01.2017; Danish Refugee Council, Syria, 09/2015) wie auch für Palästinenser, die in Syrien leben (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Syrien, 05.01.2017), gilt; auch Oppositionelle werden einberufen (SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015; SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, 30.07.2014; Finnish Immigration Service, Syria: Military Service, national defense forces, armed groups supporting Syrian regime and armed opposition, 23.08.2016). Die Registrierung für den Militärdienst erfolgt im Alter von 18 Jahren. Die Wehrpflicht dauerte in der Vergangenheit bis zum Alter von 42 Jahren; mehrere Auskünfte verweisen allerdings auf Quellen, wonach die Wehrpflicht in der Praxis gegenwärtig bis zum 50. bzw. sogar bis zum 52. Lebensjahr ausgeweitet wird (AA, Auskunft an VG Düsseldorf vom 02.01.2017; Dt. Botschaft Beirut, Auskunft vom 02.03.2016; SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, 30.07.2014; Finnish Immigration Service, Syria: Military Service, national defense forces, armed groups supporting Syrian regime and armed opposition, 23.08.2016). Eine Ausnahme von der Wehrpflicht besteht laut Gesetz in eng begrenzten Ausnahmefällen, so etwa für Personen jüdischen Glaubens oder bei Untauglichkeit. Gesetze und Regelungen über Ansprüche auf Aufschub vom Antritt des Grundwehrdienstes etwa für Einzelkinder oder Studenten - hier je nach Art des Studiums gestaffelt, regelmäßig höchstens bis 27 Jahre (SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015) - sind offenbar teilweise zwar noch formal in Kraft, werden ausweislich der aktuellen Quellenlage in der Praxis allerdings aufgrund des zunehmenden Personalbedarfs beim syrischen Militär nur mehr sehr eingeschränkt und zunehmend willkürlich umgesetzt (UNHCR, Ergänzende aktuelle Länderinformationen Syrien: Militärdienst, 30.11.2016; SFH, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 20.10.2015 zu Syrien: Umsetzung der Freistellung vom Militärdienst als „einziger Sohn“; SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015; Danish Refugee Council, Syria, 09/2015; Finnish Immigration Service, Syria: Military Service, national defense forces, armed groups supporting Syrian regime and armed opposition, 23.08.2016). Ebenso geraten offenbar zunehmend Jugendliche unter 18 Jahren an Checkpoints ins Visier und laufen Gefahr, Repressalien ausgesetzt zu werden, wobei die Berichtslage hinsichtlich einer Rekrutierung Minderjähriger beim Syrischen Militär widersprüchlich ist (UNHCR, Ergänzende aktuelle Länderinformationen Syrien: Militärdienst, 30.11.2016; Republik Österreich, BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Syrien, 05.01.2017). Es besteht keine Möglichkeit, den Wehrdienst zu verweigern bzw. zivilen Ersatzdienst zu leisten (AA, Auskunft an VG Düsseldorf vom 02.01.2017; SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, 30.07.2014). Entlassungen aus dem Militärdienst sind ausweislich der aktuellen Quellenlage seit Beginn der kriegerischen Auseinandersetzungen selten geworden; viele Wehrpflichtige sind über Jahre hinweg in der Armee tätig und oftmals wäre Desertion die einzige Möglichkeit, den Militärdienst zu beenden (Republik Österreich, BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Syrien, 05.01.2017; Danish Refugee Council, Syria, 09/2015; Finnish Immigration Service, Syria: Military Service, national defense forces, armed groups supporting Syrian regime and armed opposition, 23.08.2016).
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Wehrpflichtige, die nach Ableistung ihres Wehrdienstes entlassen worden sind, müssen als Reservisten abrufbar sein (AA, Auskunft an VG Düsseldorf vom 02.01.2017; SFH, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 12.03.2015 zu Syrien: Arbeitsverweigerung; SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015; SFH, Schnellrecherche zur SFH-Länderanaylse vom 10.09.2015 zu Syrien: Qamishli / Reservisten). In der Vergangenheit wurden alle Männer bis zum Alter von 42 Jahren als Reservisten geführt; aufgrund der angespannten Personalsituation gibt es gegenwärtig offenbar kein festgesetztes Höchstalter für Rekrutierungen mehr, vielmehr werden ausweislich der vorliegenden Auskünfte im Einzelfall - je nach Ausbildung und bisheriger Tätigkeiten für die Armee - Männer im Alter von bis zu 50 oder sogar 60 Jahren rekrutiert (Danish Refugee Council, Syria, 09/2015; Finnish Immigration Service, Syria: Military Service, national defense forces, armed groups supporting Syrian regime and armed opposition, 23.08.2016). Seit dem Herbst 2014 werden Reservisten in großem Umfang eingezogen (SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015; SFH, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 12.03.2015 zu Syrien: Arbeitsverweigerung). Die syrische Armee hat ausweislich mehrerer Quellen mit örtlichen Generalmobilmachungen begonnen, neue Checkpoints etabliert und Razzien im privaten und öffentlichen Bereich intensiviert, um Reservisten zu finden, die sich bislang dem Dienst entzogen haben. In wenigen Monaten wurden zehntausende Rekruten (zwangs-)rekrutiert und es gibt Auskünfte, wonach im Frühjahr 2015 Listen mit über 70.000 Namen von Personen, die als Reservisten eingezogen werden sollen, an den Checkpoints der syrischen Armee zirkulierten (SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015; Danish Refugee Council, Syria, 09/2015). Bei der Einberufung von Reservisten, die auf Grundlage des Kriegsrecht innerhalb weniger Tage erfolgen kann, wird offenbar keine Unterscheidung zwischen Anhängern des Regimes und potentiellen Oppositionellen gemacht (SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, 30.07.2014).
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Männer im Alter zwischen 18 und 42 Jahren dürfen bereits seit März 2012 nur mit einer offiziellen Beglaubigung des Militärs, mit der bescheinigt wird, dass sie vom Militärdienst freigestellt sind, das Land verlassen; seit Herbst 2014 besteht darüber hinaus für Männer, die zwischen 1985 und 1991 geboren sind, ein generelles Ausreiseverbot (SFH, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 12.03.2015 zu Syrien: Arbeitsverweigerung; SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015; SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, 30.07.2014; Deutsche Orient-Stiftung, Auskunft an OVG Schl.-Holstein vom 08.11.2016). Jungen Männern vor Erreichen des 18. Lebensjahres wird die Ausreise erschwert, indem Reisepässe nur für eine kurze Gültigkeitsdauer ausgestellt werden (UNHCR, Syrien: Militärdienst, 30.11.2016; Republik Österreich, BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Syrien, 05.01.2017).
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Wehrdienstverweigerung wird nach dem Military Penal Code geahndet (zum folgenden AA, Auskunft an VG Düsseldorf vom 02.01.2017; Dt. Botschaft Beirut, Auskunft vom 02.03.2016; SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, 30.07.2014). Nach Artikel 68 wird mit einer Haftstrafe von einem bis sechs Monaten in Friedenszeiten und bis zu fünf Jahren in Kriegszeiten bestraft, wer sich der Einberufung entzieht. Wer das Land ohne eine Adresse zu hinterlassen verlässt und sich so der Einberufung entzieht, wird mit drei Monaten bis zu zwei Jahren Haft und einer Geldbuße bestraft. Für Desertion sieht Artikel 101 fünf Jahre Haft vor bzw. fünf bis zehn Jahre, wenn der Deserteur das Land verlässt. Erfolgt die Desertion in Kriegszeiten oder während des Kampfes, beträgt die Haftstrafe 15 Jahre; Desertion im Angesicht des Feindes wird gemäß Artikel 102 mit lebenslanger Haft bzw. bei Überlaufen zum Feind mit Exekution bestraft. Bereits die ohne Beglaubigung der Armee erfolgte und mithin illegale Ausreise wird als Wehrdienstentzug geahndet (AA, Auskunft an VG Düsseldorf vom 02.01.2017).
27 
Der 1988 geborene Kläger ist im wehrpflichtigen Alter und hat seiner Wehrpflicht noch nicht genügt. Seine Einberufung wurde mit Blick auf sein Studium nach seinen Angaben bis zum Juli 2016, somit bis zum Alter von 28 Jahren, aufgeschoben; dass ein weiterer Aufschub nicht möglich wäre, wie der Kläger geltend macht, deckt sich mit den vorliegenden Erkenntnismitteln. Obwohl der Kläger zu den Geburtsjahrgängen gehört, denen die Ausreise aus Syrien generell untersagt ist, hat er - illegal - das Land verlassen. Bereits durch diese illegale Ausreise hat er sich der Wehrdienstentziehung schuldig gemacht; darüber hinaus hat er sowohl gegenüber dem Bundesamt als auch im Klageverfahren geltend gemacht, er werde sich nicht an dem in Syrien herrschenden Krieg, in dem auf Zivilisten geschossen werde, beteiligen. Der Kläger hat daher Strafverfolgung bzw. Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung zu befürchten.
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2. Der Militärdienst beim syrischen Militär umfasst gegenwärtig - und mit Blick auf den nach wie vor trotz internationaler Bemühungen um die Etablierung eines Waffenstillstands blutig ausgetragenen Konflikt auch auf absehbare Zeit - Verbrechen oder Handlungen, die im Sinn von § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG unter die Ausschlussklausel des § 3 Abs. 2 AsylG fallen, die sich mithin als Verbrechen gegen den Frieden, als ein Kriegsverbrechen oder als ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen. Dass der Dienst in der syrischen Armee, zu dem der Kläger mobilisiert würde, mit dem Zwang zu wiederholt und systematisch vorgenommenen völkerrechtswidrigen Handlungen verbunden wäre, welche die Grundsätze der Menschlichkeit und des humanitären Völkerrechts missachten, ist wohl unbestritten (vgl. etwa VG Magdeburg, Urteil vom 12.10.2016 – 9 A 175/16 -, juris; VG Sigmaringen, Urteil vom 23.11.2016 - A 5 K 1372/16 -, juris; VG Ansbach, Urteil vom 19.10.2016 - AN 9 K 16.30460 -, juris; VG Stade, Urteil vom 02.11.2016 - 10 A 2183/16 -, juris, Cour nationale du droit d’asile, Urteil vom 25.05.2016 - 16000248 -). So wurden seit dem Jahr 2012 tausende Fassbomben von der syrischen Armee über Oppositionsgebieten eingesetzt. Opfer unter der Zivilbevölkerung werden zumindest billigend in Kauf genommen bzw. sind gerade Ziel der bewaffneten Angriffe vom Boden oder aus der Luft, die etwa auf Schulen, Märkte oder Krankenhäuser erfolgen. Auch die lang anhaltenden Belagerungen, die wiederholt und an unterschiedlichen Orten in Syrien stattfanden, richten sich in erster Linie gegen die in den eingekesselten Städten lebende Zivilbevölkerung. Es kommt immer wieder zu willkürlichen Festnahmen, Folterungen und Tötungen von Zivilisten (Dt. Botschaft Beirut, Auskunft vom 02.03.2016; UK Foreign and Commonwealth Office: Human Rights and Democracy Report 2015, 21.04.2016; Amnesty International, Amnesty Report 2016 Syrien). Auch die unabhängige UN-Untersuchungskommission der UN-Generalversammlung hat in ihrem jüngsten Bericht festgestellt: „Flagrant violations of human rights and international humanitarian law continue unabated, aggravated by blatant impunity […] Crimes against humanity continue to be committed by government forces and by ISIS. War crimes are rampant“ (A/HRC/31/68 vom 11.02.2016; vgl. auch A/HRC/28/69 vom 05.02.2015).
29 
Der Europäische Gerichtshof hat für die Regelung des Art. 9 Abs. 2 lit. c) RL 2004/83, die insoweit mit der nunmehr gültigen Richtlinie RL 2011/95/EU identisch ist, welche wiederum § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG zugrunde liegt, entschieden (Rs. C-472/13 < Shepherd >, Urteil vom 26.02.2015, Curia; vgl. dazu Neumann, ZAR 2016, 17 ff.), dass diese Regelung nicht nur für hochrangige Militärs, sondern für alle Militärangehörigen einschließlich des logistischen Unterstützungspersonals gilt. Auch kommt es ausweislich des EuGH nicht darauf an, ob der Betreffende persönlich Kriegsverbrechen begehen müsste oder ob er, da er nicht zu Kampftruppen gehört, sondern etwa einer logistischen oder unterstützenden Einheit zugeteilt ist, an deren Begehung nur indirekt beteiligt wäre. Erforderlich ist es nach Auffassung des EuGH dagegen, dass der Betreffende die Kriegsverbrechen nicht auf andere Weise - insbesondere durch ein reguläres Anerkennungsverfahren als Kriegsdienstverweigerer - vermeiden könnte.
30 
Mithin kommt es im vorliegenden Fall nicht darauf an, welcher Einheit der Kläger, der in Syrien keine Möglichkeit hätte, den Militärdienst zu verweigern oder zivilen Ersatzdienst zu leisten, mutmaßlich nach seiner Rekrutierung zugeteilt würde und ob diese selbst unmittelbar an Kriegsverbrechen beteiligt wäre. Vielmehr ist es ausreichend, dass, wie bereits dargelegt, durch die syrische Armee wiederholt und systematisch Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen werden und der Kläger daher jedenfalls aufgrund der Massivität und Häufigkeit der von der syrischen Armee in unterschiedlichen Regionen Syriens begangenen völkerrechtswidrigen Handlungen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen muss, bei Ableistung seines Wehrdienstes, in welcher Einheit und durch welche konkrete Tätigkeit auch immer, durch sein Handeln jedenfalls die Begehung von Kriegsverbrechen anderer Einheiten zu unterstützen oder vorzubereiten.
31 
3. Auch scheitert die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht daran, dass es vorliegend an einem Verfolgungsgrund im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b AsylG fehlt.
32 
Fraglich ist insoweit bereits, ob es in Konstellationen des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG überhaupt der ausdrücklichen Feststellung eines Verfolgungsgrundes gemäß § 3b AsylG bedarf. Denn in einer Situation, in der sich der Militärdienst als Teilnahme an Kriegsverbrechen und anderen völkerrechtswidrigen Handlungen darstellt, liegt dem Wehrdienstentzug kein kriminelles Unrecht zugrunde mit der Folge, dass es an der Legitimität strafrechtlicher Sanktionierung dieses Verhaltens fehlt; vor diesem Hintergrund schreiben etwa das Verwaltungsgericht Sigmaringen (Urteil vom 23.11.2016 - A 5 K 1372/16 -, juris) und das Verwaltungsgericht Magdeburg (Urteil vom 12.10.2016 - 9 A 175/16 -, juris) einer Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung in Fällen des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG ohne weiteres den Charakter einer Verfolgung im asylrechtlichen Sinne zu. Die Annahme, eine Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG impliziere per se einen Verfolgungsgrund im Sinne des § 3b AsylG, findet eine Stütze ferner in der Überlegung, dass ein Staat, der die Weigerung, sich an einem völkerrechtswidrigen Konflikt zu beteiligen, unter Strafe stellt, die regelmäßig auf einer religiösen, politischen oder humanistischen Grundeinstellung beruhende ernsthafte und mit Blick auf die Völkerrechtswidrigkeit besonders schützenswerte (Gewissens-)Entscheidung seiner Staatsangehörigen, einem derartigen Konflikt die Unterstützung zu verweigern, missachtet.
33 
Ob es in Fällen des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG der expliziten Feststellung eines Verfolgungsgrundes bedarf, kann jedoch dahinstehen. Ebenso kann offen bleiben, ob nicht bei Verweigerung der Teilnahme an einer bewaffneten völkerrechtswidrigen Auseinandersetzung dem Betreffenden vom Verfolger in aller Regel eine abweichende politische Gesinnung zugeschrieben und unterstellt wird, was gemäß § 3b Abs. 2 AsylG ausreichend ist, um einen Verfolgungsgrund zu bejahen (vgl. dazu GK-AufenthR, 2016, § 60 Rn. 169; vgl. auch VG Stade, Urteil vom 02.11.2016 - 10 A 2183/16 -, juris).
34 
Denn im konkreten Falle Syriens lässt sich auf Grundlage der vorliegenden Erkenntnismittel und der dort zitierten zahlreichen Quellen feststellen, dass die den Deserteuren oder Wehrdienstverweigerern drohenden staatlichen Maßnahmen an eines der in § 3 AsylG genannten Merkmale anknüpfen.
35 
Zwar rekrutiert die syrische Armee prinzipiell alle Männer unabhängig von ihrem ethnischen oder religiösen Hintergrund und wendet auch die strafrechtlichen Regelungen bezüglich Wehrdienstentziehung und Desertion offenbar mehr oder weniger unterschiedslos auf alle syrischen Wehrpflichtigen an, so dass nicht bereits im Hinblick auf eine insoweit durchgängig diskriminierende Praxis ein Verfolgungsgrund im Sinne von § 3b AsylG vorliegt (darauf verweisend OVG Rheinl.-Pfalz, Urteil vom 16.12.2015 - 1 A 10922/16 -, juris). Dies schließt die Annahme politischer Verfolgung jedoch ebenso wenig aus wie der Umstand, dass allen Personen, die sich der Wehrpflicht entziehen, in Syrien von Rechts wegen Verfolgung deshalb droht, weil sie mit der Dienstverweigerung eine Straftat begangen haben.
36 
Mit dem Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 31.03.1981 - 9 C 6.80 -, juris) geht die Kammer davon aus, dass, wenngleich die politischen Tendenzen einer generellen Maßnahme oder Regelung wie der Verpflichtung zum Waffendienst nicht immer offen zutage liegen, dennoch einer solchen Wehrpflicht neben ihrer allgemeinen - asylrechtlich nicht einschlägigen - Intention auch eine Verfolgungstendenz innewohnen kann; eine solche kann etwa darin liegen, dass zugleich eine politische Disziplinierung und Einschüchterung von politischen Gegnern in den eigenen Reihen, eine Umerziehung von Andersdenkenden oder eine Zwangsassimilation von Minderheiten bezweckt wird. Anhaltspunkte für derartige Intentionen können sich aus der besonderen Ausformung der die Wehrpflicht begründenden Regelungen, aus ihrer praktischen Handhabung, aber auch aus ihrer Funktion im allgemeinen politischen System der Organisation ergeben. Der totalitäre Charakter einer Staatsform, die Radikalität ihrer Ziele sowie das Maß an geforderter und durchgesetzter Unterwerfung sind wichtige Gradmesser für Verfolgungstendenzen. Deutlich werden kann der politische Charakter von Wehrdienstregelungen nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts, dem sich die Kammer anschließt, etwa daran, dass Verweigerer oder Deserteure als Verräter an der gemeinsamen Sache angesehen und deswegen übermäßig hart bestraft, zu besonders gefährlichen Einsätzen kommandiert oder allgemein geächtet werden.
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Gerade im Falle von Syrien gibt es gegenwärtig gewichtige Anhaltspunkte für die Annahme, die drohende Bestrafung wegen Wehrdienstentzugs oder Desertion diene nicht lediglich der Sicherstellung der Wehrpflicht und der Ahndung des mit der Dienstverweigerung verbundenen kriminellen Unrechts, sondern solle (auch) eine aufgrund des Wehrdienstentzugs vermutete staatsfeindliche Gesinnung treffen und diese eliminieren, sei somit politisch motiviert. Diese Annahme liegt bereits aufgrund der besonderen Konstellation in Syrien nahe, denn es handelt sich bei Syrien um ein diktatorisches System, das mit allen Mitteln um seine Existenz kämpft (darauf verweisend etwa VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 -, juris); auch soll die Mobilisierung der syrischen Armee nicht der Teilnahme an einem Konflikt in einem dritten Staat, sondern der Bekämpfung der oppositionellen Rebellengruppen im eigenen Land dienen; wer sich an diesem existentiellen Kampf der Staatsmacht gegen Teile der eigenen Bevölkerung nicht beteiligt, sondern sich trotz des bekannt großen Personalbedarfs in der syrischen Armee seiner Wehrpflicht - zumal durch eine illegale Flucht ins Ausland - entzieht, manifestiert damit nach außen sichtbar seine Illoyalität gegenüber dem syrischen Staat in besonderer Weise. Entsprechend hart geht der syrische Staat mit Deserteuren und Männern, die sich dem Wehrdienst entziehen, um: So drohen denjenigen, die sich Einberufung oder Mobilisierung entziehen, bei einer Ergreifung Untersuchungen und Festnahmen teilweise mit längerer Haft und Folter (SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015; Danish Refugee Council, Syria, 09/2015; Deutsche Orient-Stiftung, Auskunft an OVG Schl.-Holstein vom 08.11.2016). Einige Quellen sprechen im Zusammenhang mit Desertion von lebenslanger Haft und Exekutionen (AA, Auskunft an VG Düsseldorf vom 02.01.2017; SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, 30.07.2014; Danish Refugee Council, Syria, 09/2015). Ferner gibt es Berichte von Personen, die als Rückkehrer im Zusammenhang mit einem nicht abgeleisteten Militärdienst befragt und dauerhaft verschwunden sind (Dt. Botschaft Beirut, Auskunft vom 02.03.2016; darauf verweisend auch etwa Bayer. VGH, Urteile vom 12.12.2016 - 21 ZB 16.30338 u.a. - [ausweislich Presseerklärung vom 13.12.2016]). Es gibt Quellen, wonach Rekruten, denen das Regime nicht traut, mitunter in den Kampfeinsatz an die Front geschickt werden, um ihre Motivation zu kämpfen zu erhöhen (Finnish Immigration Service, Syria: Military Service, national defense forces, armed groups supporting Syrian regime and armed opposition, 23.08.2016). Ferner gibt es Hinweise darauf, dass alle, die sich dem Regime entziehen - wie es Wehrdienstpflichtige tun, zumal wenn sie illegal ins Ausland reisen -, als Oppositionelle und je nach bisheriger Funktion als „Landesverräter“ betrachtet werden (SFH, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 12.03.2015 zu Syrien: Arbeitsverweigerung). Andere Quellen halten Männer im wehrpflichtigen Alter für besonders gefährdet, bei der Einreise über den Flughafen oder auf dem Landweg Misshandlungen durch das Sicherheitspersonal zu erfahren, insbesondere wenn sie ihren Militärdienst noch nicht abgeleistet haben; so spricht eine Quelle davon, „military-aged men [are] the most vulnerable group in terms of treatment by Syrian authorities at points of entry“ (Immigration and Refugee Board of Canada, Syria: Treatment of returnees upon arrival at Damascus International Airport and international land border crossing points, 19.01.2016). Auch diejenigen, bei denen lediglich die Absicht der Desertion vermutet wird, werden als Gegner des Regimes betrachtet und haben gewaltsames Verschwinden, Haft und Folter zu gewärtigen (Amnesty International, Between prison and the grave, 11/2015). Schließlich ergibt sich aus zahlreichen Quellen, dass für Desertion und Wehrdienstentzug mitunter auch Familienangehörige haftbar gemacht, zur Rechenschaft gezogen und unter Druck gesetzt werden (Dt. Botschaft Beirut, Auskunft vom 02.03.2016; SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015; SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, 30.07.2014; Republik Österreich, BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Syrien, 05.01.2017; Finnish Immigration Service, Syria: Military Service, national defense forces, armed groups supporting Syrian regime and armed opposition, 23.08.2016).
38 
Die Annahme des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz (Urteil vom 16.12.2016 - 1 A 10922/16 -, juris Rn. 154), es sei syrischen Machthabern bekannt, dass die Flucht aus Syrien in aller Regel nicht durch politische Gegnerschaft zum Staat, sondern durch Angst vor dem Krieg motiviert sei, folgt die Kammer vor dem Hintergrund dieser zahlreichen und sämtlich in die gegenteilige Richtung weisenden Belege nicht. Vielmehr lassen die vorliegenden Auskünfte nur den Schluss zu, dass die Verfolgung von Wehrdienstverweigerern oder Deserteuren nicht allein der auf rationalen Überlegungen fußenden Vollstreckung des syrischen Wehrstrafrechts dient, sondern dass es sich hierbei auch ganz maßgeblich um Verfolgung aufgrund der und Vergeltung der (unterstellten) regimekritischen politischen Überzeugung der Betreffenden handelt (so auch VG Magdeburg, Urteil vom 12.10.2016 - 9 A 175/16 -, juris; VG Sigmaringen, Urteil vom 23.11.2016 – A 5 K 1372/16 -, juris; VG Oldenburg, Urteil vom 18.11.2016 – 2 A 5162/16 -, juris; VG Stade, Urteil vom 02.11.2016 – 10 A 2183/16 -, juris; VG Düsseldorf, Urteil vom 22.11.2016 – 3 K 7501/16.A -, juris; VG Freiburg, Urteil vom 16.12.2016 – A 1 K 3898/16 -, juris; VG Wiesbaden, Urteil vom 27.09.2016 - 2 K 683/16.WI.A -, asyl.net; ähnlich i.Erg. auch Österr. BVwG, Entscheidung vom 01.07.2016 - W227 2104997-1 -; sowie, wenn auch auf zusätzliche Risikogesichtspunkte abstellend Schweizer. BVerwG, Urteil vom 18.02.2015 - D-5553/2013 -).
39 
Dem entsprechen schließlich die aktuellen Erwägungen des UNHCR (4. Fassung, November 2015) zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen. In diesem vom UNHCR herausgegebenen Dokument, dem angesichts der Rolle, die dem UNHCR durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden sind, bei der Auslegung der unionsrechtlich determinierten Asylvorschriften besondere Relevanz zukommt (vgl. EuGH vom 30.05. 2013 - C-528/11 -, juris, m.w.N.; Österr. BVwG, Entscheidung vom 01.07.2016 - W227 2104997-1 -), sind Risikoprofile beschrieben, bei deren Einschlägigkeit die betreffende Person wahrscheinlich internationalen Schutz im Sinne der Genfer Konvention benötige. Dazu gehören neben unterschiedlichen anderen Personengruppen auch Personen, die tatsächlich oder vermeintlich in Opposition zur Regierung stehen, wie (u.a.) Wehrdienstverweigerer und Deserteure der Streitkräfte.
40 
Ist der Kläger mithin bereits gemäß durch asylerhebliche Handlungen des syrischen Staates gemäß § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG von politischer Verfolgung bedroht, kann vorliegend dahinstehen, inwieweit der Kläger auch deshalb als Flüchtling anzuerkennen ist, weil sich die ihm wegen Wehrpflichtentziehung drohende Bestrafung als Bestrafung wegen einer (vermeintlichen) politischen Gesinnung - so gen. Polit-Malus - im Sinne von § 3a Abs. 2 Nr. 3 AsylG darstellt (so etwa VG Magdeburg, Urteil vom 12.10.2016 - 9 A 175/16 -, juris; a.A. OVG Rheinl.-Pfalz, Urteil vom 16.12.2016 - 1 A 10922/16 -, juris).
41 
4. Für den Kläger besteht auch ein reales Verfolgungsrisiko, bei einer Rückkehr nach Syrien tatsächlich wegen Wehrdienstentziehung aufgegriffen und verurteilt zu werden.
42 
Zunächst besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Syrien wegen Wehrdienstentziehung aufgegriffen würde. Denn es gibt kaum eine Möglichkeit, sich innerhalb Syriens dem Militär- bzw. Reservistendienst zu entziehen. Personen, die das wehrpflichtige Alter erreicht haben oder während ihres Auslandsaufenthaltes zum Wehrdienst einberufen wurden, werden in Fahndungslisten aufgenommen, die an die Grenzübergänge verteilt werden, so dass schon bei der Einreise eine Identifizierung und Verhaftung bzw. Zwangsrekrutierung wahrscheinlich ist (SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, 30.07.2014; Republik Österreich, BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Syrien, 05.01.2017; Danish Refugee Council, Syria, 09/2015; Immigration and Refugee Board of Canda, Syria: Treatment of returnees upon arrival at Damascus International Airport and international land border crossing points, 19.01.2016). Ferner gibt es zahlreiche mobile „Checkpoints“, die ebenfalls im Besitz der Listen sind und bei einem Datenbankabgleich feststellen können, ob der Betreffende seinen Wehrdienst abgeleistet hat bzw. als Reservist rekrutiert werden soll; auch hier kommt es zu Verhaftungen, Verschleppungen bzw. unmittelbarer Zwangsrekrutierung (Republik Österreich, BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Syrien, 05.01.2017; Finnish Immigration Service, Syria: Military Service, national defense forces, armed groups supporting Syrian regime and armed opposition, 23.08.2016). Das syrische Militär hat gegenwärtig aufgrund von Todesfällen, Abtrünnigkeit und Desertion einen enormen Bedarf an Personal, da es von circa 325.000 Soldaten bei Ausbruch des Krieges auf wohl etwa 150.000 Soldaten dezimiert worden ist (SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015; Danish Refugee Council, Syria, 09/2015); um Wehrdienstverweigerer und Reservisten zu rekrutieren und so den Personalbedarf zu decken, finden immer wieder Durchsuchungen, Razzien und Massenverhaftungen statt (Dt. Botschaft Beirut, Auskunft vom 02.03.2016; UNHCR, Ergänzende aktuelle Länderinformationen Syrien: Militärdienst, 30.11.2016; SFH, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 12.03.2015 zu Syrien: Arbeitsverweigerung; SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015). Auch ist für viele bürokratische Akte, etwa für Heiratszertifikate, eine Bewilligung des Militärs erforderlich (SFH, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, 30.07.2014). Daher ist es für Wehrdienstverweigerer fast unmöglich, nach Syrien einzureisen oder gar in den von der Regierung kontrollierten Gebieten zu leben und sich dort zu bewegen, ohne aufgegriffen zu werden (AA, Auskunft an VG Düsseldorf vom 02.01.2017).
43 
Ferner besteht die reale Möglichkeit, dass der Kläger, wenn er - wie mit großer Sicherheit zu erwarten - bereits bei seiner Einreise oder zu einem späteren Zeitpunkt als wehrdienstpflichtig erkannt und als solcher den syrischen Behörden bzw. dem syrischen Militär, in erster Linie dem militärischen Sicherheitsdienst, übergeben wurde, wegen Wehrdienstentzugs bestraft wird. Das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (Urteil vom 16.12.2016 - 1 A 10922/16 -, juris) hält eine beachtliche Wahrscheinlichkeit nicht für gegeben mit dem Argument, dass es dem syrischen Staat vor allem darum gehe, den Betroffenen schnellstmöglich seiner notleidenden Armee zuzuführen. Dem folgt die Kammer nicht. Zwar ist der Hinweis auf den hohen Personalbedarf der syrischen Armee nicht von der Hand zu weisen, und tatsächlich wird es auch einen gewissen Prozentsatz an Männern geben, die, obgleich sie den Tatbestand des Wehrdienstentzugs erfüllt haben, unmittelbar zum Militär rekrutiert werden. Jedoch lässt dies nach den vorliegenden Erkenntnismitteln und den dort wiedergegebenen zahlreichen Quellen nicht den Schluss darauf zu, eine Bestrafung wegen Wehrdienstentzugs drohe nicht ebenso mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit. Zwar lässt sich weder die Zahl derer, die aufgrund Wehrdienstentziehung aufgegriffen werden, noch der Prozentsatz derjenigen, die wegen dieses Vorwurfs strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen werden, auch nur annähernd zuverlässig ermitteln. Allerdings ergibt sich aus den vorliegenden Erkenntnismitteln, dass Verhaftungen wegen Entzugs vom Militärdienst in großem Umfang stattfinden; so sprechen einige Quellen von regelrechten „Verhaftungswellen“ (SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015; ähnlich auch Finnish Immigration Service, Syria: Military Service, national defense forces, armed groups supporting Syrian regime and armed opposition, 23.08.2016), ausweislich anderer Erkenntnisse wurden allein in den ersten sieben Monaten des Jahres 2014 über 5.400 wehrdienstpflichtige junge Männer verhaftet, und in Hama bzw. Homs wurden im Rahmen örtlicher Generalmobilmachungen jeweils binnen weniger Tage im Herbst 2014 1.400 bzw. 1.200 Reservisten an Checkpoints verhaftet (SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015). Diese Verhaftungen werden meistens vom militärischen Sicherheitsdienst oder dem Luftwaffen-Sicherheitsdienst durchgeführt, bei denen Fälle von Folter dokumentiert sind (SFH Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015). Die Frage, wie die zahlreichen Sicherheitsdienste mit den Betroffenen weiter verfahren, ob der einzelne als möglicher Terrorist behandelt, einem Strafverfahren zugeführt, zunächst ggf. unter Anwendung von Folter befragt und anschließend zum Militär abgeordnet oder unmittelbar rekrutiert und ausgebildet bzw. direkt an die Front abgeordnet wird, hängt von vielen Umständen ab wie etwa vom aktuellen Personalbedarf der Armee, dem Herkunftsort des Betreffenden, seinen Kontakten oder Erkenntnissen der syrischen Behörden (Danish Refugee Council, Syria, 09/2015) sowie nicht zuletzt von willkürlichem Verhalten der - unkontrollierten - Sicherheitsbehörden überhaupt. Den vorliegenden Erkenntnismitteln lässt sich aber jedenfalls nicht entnehmen, dass es regelhaft mit einer Verhaftung und anschließender Einziehung sein Bewenden hätte; vielmehr ist in den vorliegenden Auskünften etwa davon die Rede, „einige“ würden vor das Militärgericht in Damaskus gestellt und zu Haftstrafen verurteilt, „andere“ würden verwarnt und direkt zum Militärdienst geschickt (SFH Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015), oder die möglichen Konsequenzen eines solchen Aufgreifens - sofortige Einziehung, Verbringung zur Frontlinie, Untersuchungen, Folter, Verurteilung - werden ohne zahlenmäßige Gewichtung nebeneinander gestellt (Danish Refugee Council, Syria, 09/2015). Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang auch, dass das in den Erkenntnismitteln dokumentierte Verhalten der syrischen Staatsmacht gegenüber Wehrpflichtigen und Reservisten sich gegenwärtig im Wesentlichen auf wehrdienstpflichtige Männer bezieht, die sich lediglich innerhalb des Landes der Wehrdienst- oder Rekrutierungspflicht zu entziehen versucht haben, nicht aber auf diejenigen, die durch ihre mit der Flucht ins westliche Ausland dokumentierte Illoyalität gegenüber dem syrischen Staat mutmaßlich besonderen Anlass für die syrischen Behörden liefern, eine regimekritische Gesinnung zu vermuten. Aufgrund des, wie dargelegt, politisch motivierten Vorgehens syrischer Sicherheitskräfte im totalitären Staatsgefüge bei Wehrdienstentziehung erscheint es auch naheliegend, dass durch - möglicherweise auch willkürliche - Haft, Folterungen oder übermäßig harte Bestrafungen Zeichen gesetzt, politische Gegner in den eigenen Reihen eingeschüchtert und weitere Wehrpflichtige zu einem regimekonformen Verhalten angehalten werden sollen. Hinzu kommt schließlich, dass auch denjenigen, die zunächst ohne ein Strafverfahren rekrutiert werden, spätestens dann, wenn sie den Kampfeinsatz verweigern, etwa weil sie die Teilnahme an einem völkerrechtswidrigen Konflikt nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren können, eine Bestrafung wegen Desertion droht, welcher, wie bereits erörtert, politischer Charakter innewohnt.
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Dem Kläger droht damit bei einer Rückkehr nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Bestrafung wegen illegaler Ausreise und dadurch begangenen Wehrdienstentzugs. Aber auch dann, wenn der Kläger direkt rekrutiert würde, vor seinem Einsatz im Kampfgebiet aber, wie er es gegenüber dem Bundesamt und in seiner Klagebegründung getan hat, darauf verwiese, er sei nicht bereit, unschuldige Menschen zu töten, hätte er mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einer erheblichen Strafe zu rechnen. Vor diesem Hintergrund besteht für den Kläger eine beachtliche Wahrscheinlichkeit im Sinne eines „real risk“, im Falle einer Rückkehr nach Syrien Strafverfolgungsmaßnahmen wegen Verweigerung der Teilnahme an einem völkerrechtswidrigen Konflikt zu gewärtigen. Ein vernünftig denkender Mensch in der Situation des Klägers wird unter diesen Umständen das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen.
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5. Dem Kläger steht schließlich keine inländische Fluchtalternative im Sinne des § 3e AsylG offen. Die Deutsche Botschaft Beirut (Auskunft vom 03.02.2016) geht davon aus, dass grundsätzlich alle Regionen in Syrien vom Bürgerkrieg betroffen sind, wenn nicht durch direkte Kampfhandlungen, dann indirekt (Kriegswirtschaft, Einzug ins Militär, marodierende Banden, beispielsweise in einigen Vororten von Damaskus etc.) (vgl. auch AA, Auskunft an VG Düsseldorf vom 02.01.2017).
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Selbst wenn man gedanklich unterstellt, dass es dennoch Gebiete innerhalb Syriens gibt, die als zumutbare Fluchtalternative dienen könnten, lässt sich jedenfalls nicht feststellen, dass der Kläger ein solches Gebiet in zumutbarer Weise und sicher erreichen könnte. Denn das Regime hat ein dichtes System von Kontrollpunkten eingerichtet. Diesen Stellen liegen in der Regel auch die Namenslisten zu denjenigen vor, die sich der Einberufung bzw. Mobilmachung entzogen haben (vgl. SFH, Rekrutierung durch die syrische Armee, 30.07.2014; SFH, Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015; UNHCR, Ergänzende aktuelle Länderinformation Syrien: Militärdienst, 30.11.2016) und sie sind derart verbreitet, dass mehr dafür als dagegen spricht, dass der Kläger, wenn er nicht schon beim Versuch der Einreise nach Syrien erfasst und ergriffen wird, an einem solchen Checkpoint aufgegriffen wird.
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Unabhängig davon steht dem Kläger eine innerstaatliche Fluchtalternative auch deshalb nicht zur Verfügung, weil Reisen innerhalb Syriens in einen anderen - möglicherweise - verfolgungsfreien Landesteil generell mit einem extrem hohen allgemeinen Sicherheitsrisiko verbunden sind, das dem Asylsuchenden nicht zumutbar ist (vgl. § 3e Abs. 1 AsylG). Dabei besteht nicht nur das erhebliche Risiko, gewissermaßen versehentlich in kriegerische Handlungen hineingezogen zu werden. Sowohl das syrische Regime und regierungsnahe Kräfte als auch bewaffnete oppositionelle Gruppen, darunter der sog. Islamische Staat (IS) und die Al-Nusra-Front, verüben in den jeweils von ihnen beherrschten Gebieten in breitem Umfang Massaker an der Zivilbevölkerung und Angriffe auf Zivilpersonen, u.a. in Form von Mord, Geiselnahme, Folter, Zwangsverschleppung, sexueller Gewalt und Rekrutierung von Kindern (vgl. UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 4. aktualisierte Fassung November 2015, S. 12 f.; zum Fehlen einer innerstaatlichen Fluchtalternative vgl. auch VG Düsseldorf, Urteil vom 22.11.2016 - 3 K 7501/16.A -, juris; VG Stade, Urteil vom 02.11.2016 – 10 A 2183/16 -, juris; OVG Oldenburg, Urteil vom 18.11.2016 – 2 A 5162 -, juris).
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Die Kostenentscheidung für das gerichtskostenfreie Verfahren (§ 83b AsylG) beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.