Verwaltungsgericht Köln Urteil, 24. Aug. 2015 - 7 K 1247/14
Tenor
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides des BfArM vom 18.06.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.01.2014 verpflichtet, über den Registrierungsantrag für die Arzneimittel „E. “, E1. “, „E2. “ und „E3. “ unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages vorläufig vollstreckbar.
1
Tatbestand
2Die Klägerin wendet sich mit der Klage gegen die Versagung der Registrierung der streitgegenständlichen Arzneimittel „E. “, „E1. “, „E2. “ und „E3. “ als traditionelle pflanzliche Arzneimittel.
3Am 20.10.2010 stellte die Klägerin gleichlautende Anträge auf Registrierung gemäß § 39 a AMG für die oben genannten Arzneimittel. Hierbei handelt es sich um überzogene Tabletten, die zwei Wirkstoffe enthalten, nämlich Trockenextrakt aus Baldrianwurzel (Valeriana officinalis L.) (3 – 6 : 1), Auszugsmittel: Ethanol 70 % (v/v), 56 mg pro Tablette und Trockenextrakt aus Johanniskraut (Hypericum perforatum L.) (3,5 – 6 : 1), Auszugsmittel : Ethanol 60 % (m/m), 120 mg pro Tablette. Als Anwendungsgebiete wurden ursprünglich beantragt: „Zur Linderung von - leichten Verstimmungs- und Angstzuständen, - Schlafstörungen aufgrund von Symptomen leichter Angstzustände. Ausschließlich aufgrund traditioneller Anwendung“. In der Gebrauchsinformation wurden unter den Ziffern 4.3, 4.4 und 4.5 zahlreiche Gegenanzeigen, Vorsichtsmaßnahmen für die Anwendung und Hinweise auf Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln aufgeführt. Es wurde zunächst eine Haltbarkeit von 9 Monaten beantragt.
4Mit Nachlieferung vom 09.03.2011 übersandte die Klägerin eine Berichtigung der beantragten Anwendungsgebiete. Diese sollten wie folgt lauten: „Traditionelles pflanzliches Arzneimittel zur Behandlung von: - seelischen Verstimmungszuständen (z.B. einhergehend mit Interessenverlust, gedrückter Stimmung, Antriebslosigkeit), - nervös bedingten Ein- und Durchschlafstörungen. Ausschließlich aufgrund traditioneller Anwendung“.
5Mit Mängelschreiben vom 13.11.2012 übersandte das BfArM der Klägerin die Formale pharmazeutische Stellungnahme, die Stellungnahme zur Qualität und die Stellungnahme zur Klinik und setzte zur Mängelbeseitigung eine Frist von 6 Monaten. In der Stellungnahme zur Klinik vom 06.11.2012 wurde eine Versagung der Registrierung in Aussicht gestellt, weil das Nutzen-Risiko-Verhältnis für die traditionelle Anwendung negativ sei. In der Begründung heißt es u. a., das Präparat falle aufgrund seiner Dosierung (Tagesdosis von mehr als 200 mg Droge) unter die Regelungen des Stufenplans für johanniskrauthaltige Arzneimittel, sodass umfangreiche Gegenanzeigen und Wechselwirkungen anzugeben seien. Zudem liege der Hyperforingehalt über 1 mg pro Tag. Laut dem HMPC-Assessment Report für Johanniskraut sei das Risiko im Rahmen der traditionellen Anwendung nur bei einem Hyperforingehalt von maximal 1 mg pro Tag akzeptabel.
6Außerdem sei das beantragte Anwendungsgebiet im Rahmen der traditionellen Anwendung nicht geeignet, weil es sich bei den aufgezählten Symptomen um typische Anzeichen einer Depression handele, sodass vor Beginn einer medikamentösen Therapie eine ärztliche Diagnose erforderlich und die Behandlung ärztlich zu überwachen sei. Auf weitere Mängel wurde hingewiesen.
7In der Stellungnahme zur Qualität vom 18.10.2012 wurde unter anderem die Gehaltsbestimmung der Leitsubstanzen Hypericin und Hyperforin in der Laufzeitspezifikation bemängelt. Diese sei mit +/- 5 %, bezogen auf den Startwert, anzugeben.
8Mit Nachlieferung vom 22.01.2013, beim BfArM eingegangen am 28.01.2013, beantwortete die Klägerin das Mängelschreiben. Sie beantragte nunmehr eine Haltbarkeit von 36 Monaten unter Vorlage entsprechender Langzeituntersuchungen. Die Anwendungsgebiete wurden folgendermaßen formuliert: „Traditionelles pflanzliches Arzneimittel zur Behandlung von: - seelischen Verstimmungszuständen, - nervös bedingten Ein- und Durchschlafstörungen. Ausschließlich auf Grund der langjährigen Anwendung für das Anwendungsgebiet registriert.“
9Mit Bescheid vom 18.06.2013 wurde der Antrag auf Registrierung der streitgegenständlichen Arzneimittel zurückgewiesen. Ferner wurde die beantragte Dauer der Haltbarkeit teilversagt und eine Haltbarkeit von 18 Monaten festgesetzt. Auf weitere Mängel des Antrages, insbesondere die nicht ausreichenden Unterlagen zur Genotoxizität, wurde hingewiesen.
10Die Versagungsentscheidung wurde auf den Versagungsgrund des § 39 c Abs. 2 Nr. 3 AMG gestützt. Das Arzneimittel könne bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädlich sein. Eine Registrierung als traditionelles Arzneimittel komme wegen des Drogengehaltes von mehr als 200 mg pro Tag und des Hyperforingehaltes von mehr als 1 mg pro Tag und dem damit verbundenen Risiko von Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln nicht in Betracht. Dies sei neben dem Assessment Report des HMPC zu der traditionellen Monographie Hypericum auch der Publikation von Länger in der Wiener Medizinischen Wochenschrift 2010, 557 ff. mit dem Titel „Die HMPC-Monographie zu Hypericum“ zu entnehmen. Die umfangreichen Hinweise auf Wechselwirkungen und Gegenanzeigen seien insgesamt nicht vereinbar mit der gesetzlich geforderten unbedenklichen Anwendung für ein traditionelles Arzneimittel, für das die Wirksamkeit lediglich plausibel sei und Therapiealternativen zur Verfügung stünden. Da die Klägerin einen Antrag auf Registrierung eines traditionellen Arzneimittels gestellt habe, sei die Bezugnahme auf die Johanniskraut-Monographie für den „well-established use“ nicht möglich.
11Die beantragte Haltbarkeit von 36 Monaten müsse teilversagt werden, weil die Daten der vorgelegten Langzeituntersuchungen die Haltbarkeit nicht belegten. Diese sei auch anhand des Gehaltes an Hypericin nachzuweisen. Entsprechend den Forderungen der Guidelines CPMP/QWP/2819/00 rev 2 und CPMP/QWP/2820/00 rev 2 könnten aufgrund der bekannten Instabilität Gehaltsschwankungen der Leitsubstanz Hypericin von +/- 10 % des Ausgangswertes akzeptiert werden. Dieser Rahmen werde jedoch nicht eingehalten.
12Bei zwei von drei untersuchten Chargen, sei bereits nach einer Einlagerungszeit von 24 Monaten ein starker Abfall des Hypericingehaltes von ca. 14 %, bezogen auf den Startwert, aufgetreten, der sich nach 36 Monaten noch verstärkt habe. Die Haltbarkeit sei daher auf 18 Monate festgesetzt worden.
13Am 18.06.2013 legte die Klägerin gegen den Versagungsbescheid Widerspruch ein, der mit Schreiben vom 18.10.2013 begründet wurde. Darin wurde im Wesentlichen geltend gemacht, die HMPC-Monographie Hypericum für die traditionelle Anwendung und der zugehörige Assessment Report seien auf den in den vorliegenden Arzneimitteln verwendeten Trockenextrakt gar nicht anwendbar. Das BfArM verstehe die dort festgelegte Grenze von maximal 1 mg Hyperforin im Übrigen falsch. Bei Überschreitung dieser Grenze seien die von der Klägerin aufgenommenen Hinweise auf Wechselwirkungen erforderlich, unterhalb der Grenze und bei Einhaltung einer Anwendungsdauer von 2 Wochen könnten sie entfallen. Jedoch bedeute die Überschreitung des Wertes nicht, dass dann auch eine Registrierung als traditionelles Arzneimittel ausgeschlossen sei. Der Klägerin sei daher auch in Österreich für ein identisches Arzneimittel eine Registrierung als traditionelles Arzneimittel erteilt worden.
14Tatsächlich entspreche der Extrakt den in der HMPC-Monographie Hypericum für den well-established use genannten Pflanzenauszügen. Diese Monographie sei daher – auch im Hinblick auf das beantragte Anwendungsgebiet - auf das vorliegende Kombinationspräparat entsprechend anzuwenden.
15Es sei schließlich aus dem Gesetz nicht abzuleiten, dass ein traditionelles Arzneimittel keine Nebenwirkungen, Wechselwirkungen oder Gegenanzeigen haben dürfe. Dies zeigten zahlreiche HMPC-Monographien für den traditionellen Gebrauch, die ebendiese Gegenanzeigen und Wechselwirkungshinweise enthielten.
16Die Klägerin hielt weiterhin an der beantragten Haltbarkeitsdauer von 36 Monaten fest.
17Der Widerspruch der Klägerin wurde durch Widerspruchsbescheid vom 30.01.2014 als unbegründet zurückgewiesen. Der Registrierung der beantragten Arzneimittel stünden weiterhin die Versagungsgründe des § 39 c Abs. 2 Satz 1, 1. HS und 2. HS Nr. 2 und Nr. 3 AMG entgegen. Das beantragte Anwendungsgebiet „Traditionelles pflanzliches Arzneimittel zur Behandlung von seelischen Verstimmungszuständen, nervös bedingten Einschlaf- und Durchschlafstörungen“ bedürfte der ärztlichen Aufsicht im Hinblick auf die Stellung einer Diagnose und die Überwachung der Behandlung. Denn hinter den genannten Symptomen könnten sich Erkrankungen wie z.B. Depressionen oder endokrine Störungen verbergen, die der ärztlichen Abklärung bedürften.
18Wegen der zugeführten Menge an Hypericum und Hyperforin sei zum einen der Stufenplanbescheid für Johanniskraut zu beachten. Darüber hinaus sei auch die HMPC-Monographie für Johanniskraut in der traditionellen Anwendung zu berücksichtigen. Die darin getroffenen Feststellungen könnten auch auf andere Extrakte und Kombinationspräparate übertragen werden. Die HMPC-Monographie zu Johanniskraut im „well-established-use“ könne nur im Rahmen eines Zulassungsverfahrens herangezogen werden und gelte nicht für Kombinationsprodukte. Daher könne sich die Klägerin auf diese Monographie nicht berufen.
19Die Registrierung der beantragen Präparate durch die österreichische Zulassungsbehörde habe keine Bindungswirkung für das nationale Verfahren.
20Falls die Monographie zu Johanniskraut in der traditionellen Anwendung nicht heranzogen werden könne, habe die Klägerin jedenfalls nicht nachgewiesen, dass das Arzneimittel im Sinne des § 39 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 AMG unbedenklich sei. Bei Anwendung der Monographie für die traditionelle Anwendung seien die Medikamente ebenfalls nicht registrierungsfähig, weil eine tägliche Aufnahme von 1 mg Hyperforin überschritten sei. Dies gehe eindeutig aus dem Text der Monographie hervor, wo es in Fußnote 3 heiße: „If relevant, the amount of hyperforin should be specified. The daily intake of hyperforin has to be below 1 mg.“ Dies werde durch die Publikation von Länger unterstützt, wo ausgeführt werde, dass „die tägliche Aufnahme unter 1 mg liegen muss. Unter diesen Voraussetzungen und der Limitierung der Anwendung auf 2 Wochen erscheint das Risiko von Wechselwirkungen als so gering, dass eine Anwendung als traditionelles Arzneimittel vertretbar ist.“
21Die Ausführungen zur Teilversagung der Haltbarkeit wurden wiederholt und ergänzt. Ferner wurde erläutert, dass die unter T 1 bis T 3 aufgeführten Mängel der Toxikologie lediglich mitgeteilt würden, nachdem die Registrierung bereits aus klinischen Gründen zu versagen gewesen sei.
22Am 27.02.2014 hat die Klägerin Klage erhoben, mit der sie eine Aufhebung des Versagungsbescheides und eine Verpflichtung der Beklagten zur erneuten Entscheidung über den Registrierungsantrag erstrebt.
23Sie hält die beantragten Anwendungsgebiete, die gegenüber depressiven Erkrankungen eine starke Abschwächung darstellten, für registrierungsfähig. Da die eingesetzten Extrakte den jeweiligen Monographien für den „well-established-use“ zuzuordnen seien, solle die Formulierung der Anwendungsgebiete auch an die für den „well-established-use“ zugelassenen Anwendungsgebiete angenähert werden. Zu berücksichtigen sei auch, dass die beantragen Arzneimittel der Apothekenpflicht unterlägen.
24Dies habe u. a. dazu beigetragen, dass sowohl die österreichische als auch die britische Zulassungsbehörde eine Registrierung mit den beantragten Anwendungsgebieten erteilt hätten. In Ungarn sei ein identisches Präparat inzwischen mit dem Anwendungsgebiet „ Traditionelles pflanzliches Arzneimittel zur Behandlung von seelischen Erschöpfungszuständen und damit verbundenen Einschlafstörungen“ registriert worden (Packungsbeilagen in Anlage K 28). Diese in anderen europäischen Staaten bestehenden Registrierungen seien auch vom BfArM zu berücksichtigen.
25Auch die von der Beklagten angeführten Gegenanzeigen und Wechselwirkungen stünden einer Registrierung nicht entgegen. Es gebe zahlreiche HMPC-Monographien für den traditionellen Gebrauch mit umfangreichen Hinweisen auf Wechselwirkungen und Gegenanzeigen, z.B. für die pflanzlichen Zubereitungen von Foeniculum vulgare, Hedera helix, Vitex agnus-castus, Fucus vesiculosus (Anlagen K 24 bis K 27).
26§ 39 c Abs. 2 Nr. 3 AMG berechtige die Beklagte nicht zu einer Versagung der Registrierung. Die Gebrauchsinformationen der beantragten Arzneimittel erfüllten die Anforderungen des Stufenplans für johanniskrauthaltige Arzneimittel vom 10.10.2005, der für Arzneimittel mit einer täglichen Aufnahme von mehr als 200 mg Droge oder Drogenäquivalent die Aufnahme umfangreicher Hinweise zu Wechselwirkungen, Vorsichtsmaßnahmen und Gegenanzeigen vorsehe.
27Die Anforderungen der HMPC-Monographie für Johanniskraut in der traditionellen Anwendungen seien dagegen nicht zu beachten. Diese Monographie gelte nicht für den verwendeten Trockenextrakt, sondern nur für andere Zubereitungen. Vielmehr sei der Trockenextrakt eindeutig der WEU-Monographie zuzuordnen. Die Klägerin habe nur deshalb die Registrierung als traditionelles Arzneimittel beantragen müssen, weil die Monographie für den „well-established-use“ für Kombinationspräparate keine Geltung habe und ausreichende klinische Studien für die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Kombination nicht vorlägen. Für diese Fallgestaltung sei die Möglichkeit der Registrierung gerade geschaffen worden.
28Für Kombinationspräparate seien die Monographien nicht direkt anzuwenden, jedoch müssten sie sinngemäß und präparatespezifisch in die Bewertung einbezogen werden. Für den hier verwendeten Trockenextrakt seien die Einschränkungen der HMPC-Monographie für den „traditional use“ nicht relevant und die Ausführungen im Assessment Report und der Publikation von Länger ohne Bedeutung.
29Jedenfalls habe die Beklagte die genannten Einschränkungen missverstanden. Vielmehr werde in der Publikation von Länger ausgeführt, dass bei einer täglichen Aufnahmemenge Hyperforin von unter 1 mg „in den Texten die Warnhinweise zu Interaktionen bei traditionellen pflanzlichen Arzneimitteln entfallen“ können. Dies bedeute jedoch nicht, dass das Arzneimittel bei einer höheren Aufnahmemenge nicht registrierungsfähig sei. Vielmehr seien in diesem Fall die notwendigen Hinweise zu Kontraindikationen, Warnhinweise und Interaktionen aufzunehmen. Dies habe Herr Prof. Länger in einer an die Klägerin gerichteten e-mail vom 09.09.2014 (Anlage K 30) explizit bestätigt. Dementsprechend seien die Zulassungsbehörden in Österreich, Großbritannien und Ungarn auch verfahren.
30Das BfArM gehe nunmehr selbst davon aus, dass die Nebenwirkungen und Wechselwirkungen von Johanniskraut einer Registrierung nicht entgegenstünden. Es habe in einem aktuellen Anhörungsschreiben vor dem Erlass des Widerspruchsbescheides im Stufenplanverfahren zu Johanniskraut eine Abänderung des Stufenplanbescheides wie folgt angekündigt: „Die Zulassungen und Registrierungen Johanniskrauthaltiger Arzneimittel mit einer Tagesdosis ab 1 g Drogenäquivalenz oder ab 1 mg Hyperforin oder Homöopathika (wird näher ausgeführt), sind bis zum 01.12.2016 in Anpassung an die europäischen Monografien zu Johanniskraut ( ...„Well-established-Use“ und „traditionell Use“) wie folgt anzupassen“ Danach folgten umfangreiche Hinweise zu Gegenanzeigen, Vorsichtsmaßnahmen, sonstigen Wechselwirkungen und Nebenwirkungen. Demnach sei auch eine Aufnahme der genannten Hinweise in die Packungsbeilagen von registrierten pflanzlichen Arzneimitteln vorgesehen. Eine Registrierung sei also entgegen der bisherigen Auffassung der Beklagten rechtlich zulässig.
31Aufgrund der Warnhinweise sowie der Abgabe durch pharmazeutisches Fachpersonal in Apotheken und des Hinweises, bei Fortdauer der Beschwerden einen Arzt aufzusuchen, sei die Patientensicherheit nicht in Gefahr. Bei bestimmungsgemäßem Gebrauch bestehe daher nicht die Gefahr einer schädlichen Wirkung gemäß § 39 c Abs. 2 Nr. 3 AMG.
32Der Argumentation der Beklagten, dass die komplexen Wechselwirkungen von Johanniskraut auch bei bestimmungsgemäßem Gebrauch zu schädlichen Gesundheitsfolgen führten, weil die Angaben in der Packungsbeilage für Patienten nicht verständlich seien, könne nicht gefolgt werden. Der von der Klägerin vorgelegte “Readibility User Test“, den die Beklagte nicht beanstandet habe, beweise im Gegenteil, dass die Verbraucher die Hinweise in der Gebrauchsinformation ohne Probleme verstanden hätten.
33Die Festsetzung der Haltbarkeit auf 18 Monate sei im Hinblick auf die Vermarktungsfähigkeit nicht sachgerecht. Die Einhaltung einer Spezifikation von +/- 10 % vom Startwert sei wegen der Instabilität der Leitsubstanz Hypericin nicht über 36 Monate möglich. Gemäß Q & A on quality of herbal medicinal products/traditional herbal medicinal products EMA/HMPC/41500/2010 Rev. 1 (Anlage K 17) könnten für verschiedene Marker in ein- und demselben Arzneimittel verschiedene Spannen akzeptiert werden. Aus Prüfungen mit anderen Johanniskrautpräparaten sei bekannt, dass es zu einer Verringerung des Gehaltes an Hypericin bis zu 30 % des Startwertes komme. Daher werde die Spezifikation auf 70 – 110 % des Startwertes festgelegt. Der in der Arzneibuchmonographie für Johanniskraut vorgeschriebene Gehalt an Hypericin werde hierdurch nicht unterschritten. Die Darreichungsform der überzogenen Tablette sei bereits die optimale Form, die zu einer Verlangsamung des Abfalls an Hypericin über die Laufzeit geführt habe.
34Die Angaben der Beklagten zu einer angeblichen Sicherstellung der Stabilität durch Maßnahmen der pharmazeutischen Entwicklung bei anderen Herstellern seien pauschal und widersprüchlich und damit nicht nachvollziehbar.
35Im Erörterungstermin am 01.07.2014 haben sich die Beteiligten auf die folgende Formulierung des Anwendungsgebietes geeinigt, die an den Wortlaut der ungarischen Registrierung angelehnt ist: „Traditionelles pflanzliches Arzneimittel zur Behandlung von seelischen Erschöpfungszuständen und damit verbundenen Schlafstörungen basierend ausschließlich auf langjähriger Anwendung“. In der mündlichen Verhandlung vom 24.08.2015 hat die Klägerin bestätigt, dass dieses Anwendungsgebiet nunmehr Gegenstand des Registrierungsantrages und der Klage sein soll.
36Die Klägerin beantragt,
37die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte vom 18.06.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.01.2014 zu verpflichten, über den Registrierungsantrag für die Arzneimittel „E. “, „E1. “, „E2. “ und „E3. “ unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
38Die Beklagte beantragt,
39die Klage abzuweisen.
40Sie verweist auf die Begründung des Versagungs- und Widerspruchsbescheides. Ergänzend wird erklärt, die Beklagte stimme zwar grundsätzlich der Überlegung zu, dass Wechselwirkungen von Arzneimitteln mit anderen Arzneimitteln oder anderen Produkten nicht zwangsläufig dazu führten, dass ein Arzneimittel bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädlich sein könne, § 39 c Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AMG. Denn die Hinweise auf die Wechselwirkungen in der Gebrauchsinformation sollten die gleichzeitige Anwendung bestimmter Arzneimittel und damit die negativen gesundheitlichen Folgen gerade ausschließen. Die gleichzeitige Anwendung der von den Hinweisen umfassten Arzneimittel sei damit kein bestimmungsgemäßer Gebrauch.
41Seien jedoch im Einzelfall die Angaben zu den Wechselwirkungen komplex oder für den Laien schwer verständlich, könne es dazu kommen, dass sie versehentlich nicht beachtet würden, und daher trotz bestimmungsgemäßem Gebrauch die schädlichen Gesundheitsfolgen der gleichzeitigen Anwendung verschiedener Medikamente einträten. So liege der Fall hier.
42Die tägliche Aufnahme der Substanz Hyperforin in den streitgegenständlichen Arzneimitteln übersteige den in der HMPC-Monographie genannten Wert von 1 mg und sei daher geeignet, bestimmte Enzyme der Leber zu beeinflussen, mit der Folge, dass es bei zahlreichen Arzneimitteln oder Kontrazeptiva zu einem beschleunigten Abbau komme, der die Wirksamkeit dieser Arzneimittel gefährde. Dies könne für betroffene Patienten, z.B. Transplantationspatienten, Tumorpatienten, HIV-Patienten oder Patienten, die zur Blutverdünnung mit Warfarin behandelt würden, lebensgefährliche Wirkungen haben. Deshalb seien in der HMPC-Monographie für den „well-established-use“ umfangreiche Gegenanzeigen aufgeführt. Für weitere Arzneimittel, deren Wirksamkeit abgeschwächt würde, seien Warnhinweise formuliert. Des Weiteren könne die Wirksamkeit anderer Medikamente auch unkontrolliert verstärkt werden, z.B. bei Antidepressiva. Schließlich könne die gleichzeitige Einnahme von Arzneimitteln mit photosensibilisierenden Wirkstoffen das Risiko phototoxischer Reaktionen erhöhen. Da ganze Substanzklassen von den Wechselwirkungen betroffen seien, sei es nicht möglich, alle relevanten Arzneimittel in der Gebrauchsinformation vollzählig aufzuführen. Ohne pharmazeutisches Wissen sei es dem Patienten daher nicht möglich, eine Gefährdung zu erkennen.
43Die Verständlichkeit der Wechselwirkungshinweise in der Gebrauchsinformation werde durch den vorgelegten „Readabiliy User Test“ gerade nicht bewiesen. Denn die auf eine Wechselwirkung mit einem Migränemedikament gerichtete Frage 9 des Tests hätten 15 % der Befragten nur schwer verstanden.
44Daher werde der Patient in der HMPC-Monographie für den „well-established-use“ aufgefordert, einen Arzt oder Apotheker aufzusuchen, sobald er eine Komedikation einnehme. Nur so könne das individuelle Interaktionsrisiko, das durch Zahl und Art der Komedikation, Lebensalter, Alkoholanamnese, Begleiterkrankungen definiert werde, bestimmt werden. Dieses Vorgehen sei jedoch mit den gesetzlichen Vorgaben für traditionelle Arzneimittel nicht vereinbar. Es sei daher trotz einer sorgsamen Durchsicht der Gebrauchsinformation nicht sichergestellt, dass ein möglicherweise schwerwiegendes Wechselwirkungsrisiko erkannt werde. Daher seien Arzneimittel mit einem Hyperforingehalt von mehr als 1 mg pro Tag der Apothekenpflicht unterstellt.
45Die von der Klägerin zitierten HMPC-Monographien für andere traditionelle pflanzliche Arzneimittel, die Angaben zu Wechselwirkungen enthielten, zeigten, dass es sich hierbei um zahlenmäßig begrenzte, klar definierte und damit für den Patienten gut erkennbare Arzneimittel handele. Diese unterschieden sich deutlich von dem komplexen Wechselwirkungspotential von Johanniskraut. Ohne eine Nutzen-Risiko-Abwägung, die bei traditionellen Arzneimitteln nicht vorgesehen sei, solle eine Anwendung von Johanniskraut im Fall eines Wechselwirkungsrisikos nicht erfolgen.
46Die von der Klägerin vorgelegte Anhörung im Stufenplanverfahren betreffe nur die Arzneimittel, die Gegenstand des Stufenplanverfahrens gewesen seien. Dazu gehörten auch registrierte homöopathische Arzneimittel. Die Formulierungen des Schreibens bezögen sich daher ausschließlich auf diese Arzneimittel. Traditionelle pflanzliche Arzneimittel seien seinerzeit (Oktober 2005) noch nicht auf dem Markt gewesen. Die Aussagen des Anhörungsschreibens bezögen sich daher nicht auf die künftige Registrierung von traditionellen pflanzlichen Arzneimitteln mit dem Bestandteil Johanniskraut.
47Die von der Klägerin beantragte Haltbarkeit von 36 Monaten sei durch die vorgelegten Stabilitätsdaten nicht belegt. Zwar ergebe sich aus dem von der Klägerin zitierten EMA-Dokument (HMPC/41500/2010 rev.2), dass auch eine Gehaltsspanne von +/- 10% des Startwertes akzeptiert werden könne, wenn sie ausreichend durch analytische Daten belegt sei. Auch eine weitere Spanne könne in Ausnahmefällen, bei geeigneter Begründung, zugelassen werden.
48Als ausreichende Begründung seien jedoch nur Daten akzeptabel, die zeigten, dass eine Stabilität nicht durch eine entsprechende Formulierung oder durch die Herstellung erreicht werden könne. Derartige Daten zur pharmazeutischen Entwicklung seien von der Klägerin nicht vorgelegt worden. Demgegenüber gebe es Johanniskrautpräparate mit vergleichbarer Darreichungsform auf dem Markt, die eine Stabilität für Hypericin bis zu 24 Monaten bzw. bis zu 36 Monaten belegen konnten. Dies sei vermutlich durch eine Auswahl der sonstigen Bestandteile und einen zusätzlichen Herstellungsschritt erreicht worden. Weitere Angaben hierzu dürften nicht gemacht werden.
49Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge und alle anderen von den Beteiligten vorgelegten Unterlagen Bezug genommen.
50E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
51Die Klage ist zulässig und begründet.
52Der Versagungsbescheid der Beklagten vom 18.06.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.01.2014 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat einen Anspruch auf eine erneute Entscheidung über ihren Antrag auf Registrierung der Arzneimittel „E. “, „E1. “, E2. “ und „E3. “ als traditionelle pflanzliche Arzneimittel unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts, § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO.
53Rechtsgrundlage für den Anspruch der Klägerin auf Registrierung der streitgegenständlichen Arzneimittel ist § 39 c Abs. 1 AMG. Danach hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte auf Antrag des pharmazeutischen Unternehmers traditionelle pflanzliche Arzneimittel zu registrieren, wenn nicht ein Versagungsgrund gemäß § 39 c Abs. 2 AMG vorliegt.
54Die Voraussetzungen der von der Beklagten benannten Versagungsgründe sind nicht bzw. nicht mehr gegeben.
55Das von der Klägerin im Mängelverfahren beantragte Anwendungsgebiet „Traditionelles pflanzliches Arzneimittel zur Behandlung von seelischen Verstimmungszuständen, nervös bedingten Ein- und Durchschlafstörungen“ steht der Registrierung nicht mehr nach § 39 c Abs. 2 Nr. 2 AMG entgegen. Nach dieser Bestimmung können traditionelle pflanzliche Arzneimittel nicht registriert werden, wenn sie Anwendungsgebiete beanspruchen, die der ärztlichen Aufsicht im Hinblick auf die Stellung einer Diagnose, die Verschreibung oder die Überwachung der Behandlung bedürfen.
56Das ursprünglich beantragte Anwendungsgebiet nannte zwei typische Symptome von Depressionen, nämlich eine gedrückte Stimmung und Schlafstörungen. Bei leichten depressiven Episoden genügen schon zwei Symptome für die Annahme einer Depression,
57vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch 2012, Stichwort “Depression”; WHO, International Classification of Disorders - ICD -10- GM 2014, Nr. F 32 und Nr. F32.0, www.icd-code.de.
58Da es sich bei einer Depression um eine Krankheit handelt, die einer ärztlichen Diagnose und Behandlung bedarf, wäre das ursprüngliche Anwendungsgebiet wegen der möglichen Verbindung der verwendeten Formulierung mit einer depressiven Erkrankung nicht registrierungsfähig gewesen.
59Die Klägerin hat die Formulierung des Anwendungsgebietes jedoch im Verlauf des Klageverfahrens in einer Weise geändert, die einer Registrierung nunmehr nicht mehr entgegensteht. Diese Änderung war auch rechtlich zulässig.
60Die Beteiligten haben sich im Verlauf des Erörterungstermins auf das Anwendungsgebiet „Traditionelles pflanzliches Arzneimittel zur Behandlung von seelischen Erschöpfungszuständen und damit verbundenen Schlafstörungen basierend ausschließlich auf langjähriger Anwendung“ geeinigt. Die Beklagte hat mit ihrer Zustimmung zu diesem Anwendungsgebiet zum Ausdruck gebracht, dass sie die Wirksamkeit der streitgegenständlichen Arzneimittel für diese Beschwerden als plausibel ansieht und eine Verbindung zu depressiven Erkrankungen, und damit zu einer behandlungsbedürftigen Krankheit, nicht mehr besteht.
61Das Gericht sieht keinen Anlass, diese Auffassung zu beanstanden. Das gewählte Anwendungsgebiet entspricht den Formulierungen der HMPC-Monographien für die traditionelle Anwendung von Baldrian („for relief of mild symptoms of mental stress and to aid sleep“) und Johanniskraut („for the relief of temporary mental exhaustion“) und vermeidet die Nennung von Symptomen, die im deutschen Sprachgebrauch für eine Depression typisch sind. Es ist daher registrierungsfähig.
62Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich bestätigt, dass sie an dem vereinbarten Anwendungsgebiet festhält und ihren Registrierungsantrag und damit auch den Klageantrag verbindlich geändert. Diese Klageänderung ist prozessual gemäß § 91 Abs. 1 VwGO zulässig, da sich die Beklagte auf das geänderte Anwendungsgebiet eingelassen hat und die Änderung auch sachdienlich ist, um die im Verfahren aufgeworfenen Rechtsfragen umfassend zu behandeln.
63Da es bei der vorliegenden Verpflichtungsklage auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ankommt und die – nur für die verspätete Vorlage von Unterlagen geltende - Präklusionsvorschrift des § 25 Abs. 4 Satz 5 AMG i.V.m. § 39 c Abs. 1 Satz 2 AMG hier nicht eingreift, kann die Änderung des Registrierungsantrages auch bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Versagungsbescheides berücksichtigt werden.
64Demnach steht der Versagungsgrund des unzulässigen Anwendungsgebietes nach § 39 c Abs. 2 Nr. 2 AMG der Erteilung der Registrierung nicht mehr entgegen.
65Auch der von der Beklagten angeführte Versagungsgrund des § 39 c Abs. 2 Nr. 3 AMG liegt nicht vor. Nach dieser Vorschrift ist die Registrierung zu versagen, wenn das Arzneimittel bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädlich sein kann.
66Zwar ist unstreitig, dass die Einnahme der streitgegenständlichen Arzneimittel wegen ihres Gehalts an Hyperforin (mehr als 1 mg pro Tag) zu schädlichen Wirkungen führen kann, wenn sie zusammen mit anderen Arzneimitteln verabreicht werden. Es ist wissenschaftlich anerkannt, dass der Bestandteil Hyperforin in der vorliegenden Dosierung zur Aktivierung bestimmter Enzyme in der Leber führt, die ganze Arzneimittelklassen und Mittel zur Empfängnisverhütung beschleunigt abbauen und damit deren Wirksamkeit herabsetzen. Die Wirksamkeit anderer Substanzen kann durch Johanniskraut verstärkt werden, z.B. die Wirksamkeit von Antidepressiva. Phototoxische Wirkungen anderer Arzneimittel können sich mit den phototoxischen Wirkungen von Johanniskraut summieren. Das Risiko, dass bei der Anwendung des Arzneimittels gleichzeitig mit anderen Arzneimitteln deren positive Wirkungen vermindert oder Nebenwirkungen verstärkt werden, begründet eine Gesundheitsgefahr und ist damit begrifflich eine schädliche Wirkung.
67Die Beklagte hat jedoch nicht dargelegt, dass diese schädliche Wirkung auch bei bestimmungsgemäßem Gebrauch auftreten kann. Dass eine Arzneisubstanz eine schädliche Wirkung haben kann, genügt nicht für die Annahme eines Versagungsgrundes gemäß § 39 c Abs. 2 Nr. 3 AMG. Vielmehr muss diese Wirkung auch bei bestimmungsgemäßem Gebrauch auftreten. Dies kommt auch in den Bestimmungen der Richtlinie 2001/83/EG über die Registrierung von pflanzlichen Arzneimitteln zum Ausdruck, deren Umsetzung die Vorschriften in §§ 39 a ff. AMG dienen. So heißt es in Art. 16 e Abs. 1 c der Richtlinie, dass die Registrierung abzulehnen ist, wenn das Produkt „unter den normalen Anwendungsbedingungen“ schädlich sein könnte. Gemäß Art. 16 a Abs. 1 e der Richtlinie muss nachgewiesen sein, dass das Produkt „unter den angegebenen Anwendungsbedingungen“ unschädlich ist. Das Arzneimittel muss also nicht in jeder Beziehung harmlos sein, sondern nur bei Beachtung der angegebenen Einschränkungen für die Anwendung.
68Der bestimmungsgemäße Gebrauch eines Arzneimittels, also die Bedingungen der Anwendung, wird vom Antragsteller definiert, durch die Zulassung oder Registrierung festgelegt und durch die Angaben in der Fach- und Gebrauchsinformation an die Fachkreise und Verbraucher vermittelt. Zum bestimmungsgemäßem Gebrauch gehören daher z.B. die Dosierung, also Menge, Häufigkeit und Dauer der Anwendung, aber auch Gegenanzeigen, Vorsichtsmaßnahmen für die Anwendung und Hinweise auf Wechselwirkungen, vgl. § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 und Nr. 3 AMG. Gesundheitsgefahren, die beispielsweise durch eine Überdosierung oder eine andere Missachtung der Anwendungsbedingungen entstehen, sind daher keine schädlichen Wirkungen bei bestimmungsgemäßem Gebrauch, sondern Schädigungen durch Arzneimittelfehlgebrauch.
69Jedoch können, insbesondere bei zugelassenen Arzneimitteln, auch bei bestimmungsgemäßem Gebrauch Gesundheitsrisiken auftreten. Dies ist bei zahlreichen Nebenwirkungen von Arzneistoffen der Fall, weil die Wirksamkeit erst mit Dosierungen zu erzielen ist, bei denen gleichzeitig Nebenwirkungen auftreten. Wenn es sich so verhält, treten Nebenwirkungen auch unter normalen Anwendungsbedingungen auf und sind daher nicht vermeidbar. Diese Nebenwirkungen sind in der Gebrauchs- und Fachinformation anzugeben, § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 AMG. Sie können daher einer Registrierung entgegenstehen, wenn sie nicht ganz unerheblich sind. Eine Nutzen-Risiko-Abwägung ist nach dem Wortlaut des § 39 c Abs. 2 Nr. 3 AMG nicht vorgesehen, da diese Arzneimittel lediglich eine plausible Wirksamkeit, nicht aber einen belegten Nutzen aufweisen,
70vgl. Heßhaus, in: Kügel/Müller/Hofmann, AMG, 1. Aufl. 2010, § 39 c Rn. 24, 25.
71Das Risiko des Auftretens von Wechselwirkungen bei gleichzeitiger Einnahme anderer Arzneimittel oder Wirkstoffe (Empfängnisverhütungsmittel) unterscheidet sich jedoch von den genannten Nebenwirkungen. Wechselwirkungen sind nicht unvermeidbar. Sie treten nicht automatisch mit der Einnahme des Arzneimittels auf, sondern nur, wenn gleichzeitig oder in engem zeitlichem Zusammenhang bestimmte weitere Arzneistoffe zugeführt werden. Wechselwirkungen können daher vermieden werden, indem die gleichzeitige Einnahme weiterer Arzneimittel durch Angaben in der Gebrauchsinformation, z.B. Gegenanzeigen, Warnhinweise oder Hinweise, in diesem Fall fachkundigen Rat bei Arzt oder Apotheker einzuholen, ausgeschlossen wird.
72Bei Beachtung dieser Gegenanzeigen und Warnhinweise würde somit das Risiko des Auftretens von Wechselwirkungen minimiert werden. Damit wären bei bestimmungsgemäßem Gebrauch keine schädlichen Wirkungen zu befürchten. Der Versagungsgrund des § 39 c Abs. 2 Nr. 3 AMG wäre daher in der Regel auf Wechselwirkungen nicht anwendbar.
73Für diese Auslegung des § 39 c Abs. 2 Nr. 3 AMG sprechen die von der Klägerin vorgelegten Registrierungsbescheide des BfArM, die andere pflanzliche Arzneimittel betreffen, und die durchaus Gegenanzeigen und auch Wechselwirkungshinweise enthalten. Ferner wird diese Auslegung auch durch die von anderen EU-Mitgliedsstaaten getroffenen Entscheidungen unterstützt, die die streitgegenständlichen, johanniskrauthaltigen Arzneimittel unter Aufnahme entsprechender Gegenanzeigen und Hinweise auf Wechselwirkungen als traditionelle pflanzliche Arzneimittel registriert haben. Diese Entscheidungen sind auch im nationalen Registrierungsverfahren zu berücksichtigen, § 39 d Abs. 2 Satz 2 AMG.
74Der Einwand der Beklagten, dass die Registrierung pflanzlicher Arzneimittel trotz bekannter Wechselwirkungen im Prinzip möglich, jedoch bei Johanniskraut im Einzelfall wegen der Vielzahl und Unübersichtlichkeit der betroffenen Arzneimittel ausgeschlossen sei, ist nicht überzeugend. Der Auffassung, dass Gegenanzeigen und Warnhinweise aus den genannten Gründen nicht hinreichend verständlich und übersichtlich seien und es daher trotz eines bestimmungsgemäßen Gebrauchs zu schädlichen Wechselwirkungen kommen könne, kann nicht gefolgt werden. Wenn die Angaben zu Gegenanzeigen und Wechselwirkungen nicht verstanden und deshalb nicht beachtet werden, liegt kein bestimmungsgemäßer Gebrauch mehr vor.
75Die Beklagte kann sich grundsätzlich nicht darauf berufen, dass Angaben in einer Gebrauchsinformation, die die Gefahr einer Fehlanwendung ausschließen sollen, nicht verständlich seien und daher die Zulassung oder Registrierung eines Arzneimittels zu versagen sei. Hinweise in einer Gebrauchsinformation müssen gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 AMG allgemein verständlich sein. Die Beklagte ist berechtigt, durch entsprechende Auflagen gemäß § 28 Abs. 2 Nr. 2 a AMG, die auch bei Registrierungen angeordnet werden können, § 39 c Abs. 1 Satz 6 AMG, die Verständlichkeit der Gebrauchsinformation sicherzustellen und gegebenenfalls weitere Warnhinweise anzuordnen, damit Gefahren durch eine Komedikation durch entsprechende Formulierungen so weit wie möglich reduziert werden können.
76Die Beklagte ist hierzu auch aus Gründen der Verhältnismäßigkeit verpflichtet. Wenn Gesundheitsgefahren, die aus der Anwendung eines Arzneimittels resultieren, durch Auflagen ausgeräumt werden können, dann ist dieser Eingriff das mildere, weniger belastende Mittel und hat daher Vorrang gegenüber der Versagung der Zulassung oder Registrierung,
77vgl. OVG NRW, Urteil vom 25.02.2015 – 13 A 1371/14 – „Kava-Kava“ zum Widerruf einer Zulassung.
78Es kommt daher im vorliegenden Verfahren nicht darauf an, ob die Klägerin durch die beantragte Gebrauchsinformation bereits geeignete, hinreichend verständliche Angaben zu Wechselwirkungen vorgesehen hat oder ob sich Schwierigkeiten beim Lesbarkeitstest ergeben haben. Denn das BfArM hätte eventuelle Mängel der Warnhinweise in der Gebrauchsinformation durch Auflagen korrigieren können.
79Die Auffassung der Beklagten, Wechselwirkungshinweise könnten im Fall von Johanniskraut für den medizinischen Laien nicht verständlich sein und daher die Gefahr einer Fehlanwendung nicht ausschließen, wird schließlich durch die im Stufenplanverfahren für Johanniskraut vorgesehenen Auflagen (Bl. 132 ff. d. A.) widerlegt. Dort hat die Beklagte Gegenanzeigen und Warnhinweise wegen der Wechselwirkungen von hoch dosierten johanniskrauthaltigen Arzneimitteln formuliert. Wenn diese nicht verständlich wären und damit zur Abwehr von Gefahren durch Wechselwirkungen nicht geeignet wären, wäre die Anordnung dieser Hinweise rechtswidrig. In diesem Fall müsste die Zulassung dieser Arzneimittel möglicherweise sogar versagt oder widerrufen werden, weil bei fortbestehenden Wechselwirkungsrisiken das Nutzen-Risiko-Verhältnis ungünstig sein könnte. Das nimmt aber die Beklagte wohl selbst nicht an.
80Sie hält die im Stufenplanverfahren angeordneten Hinweise insbesondere auch für die Fallgruppe der registrierten homöopathischen Arzneimittel für geeignet, die eine höhere Endkonzentration als D1 aufweisen und damit eine entsprechend hohe Hyperforinkonzentration mit dem Risiko von Wechselwirkungen haben. Auch bei diesen Arzneimitteln gibt es kein zugelassenes Anwendungsgebiet und damit keinen belegten Nutzen, sondern nur eine bekannte homöopathische Anwendung. Ferner sind auch diese Arzneimittel für eine Selbstmedikation zugelassen. Es ist kein Grund dafür ersichtlich, diese Arzneimittel mit entsprechenden Hinweisen auf Wechselwirkungen zu registrieren, die traditionellen pflanzlichen Arzneimittel aber nicht.
81Der Registrierung der streitgegenständlichen Arzneimittel steht auch die HMPC-Monographie für die traditionelle Anwendung von Johanniskraut vom 12.11.2009 (EMEA/HMPC/745582/2009) nicht entgegen.
82Diese Monographie enthält lediglich eine positive Aussage zur Registrierungsfähigkeit der dort genannten Zubereitungen, die regelmäßig einen Hyperforingehalt von unter 1 mg pro Tag aufweisen,
83vgl. Assessment Report vom 12.11.2009, (EMA/HMPC/101303/2008), S. 76 (Anlage K 13, Beiakte 1).
84Diese Zubereitungen können ohne die Angabe von Wechselwirkungen registriert werden, weil in dem angesprochenen Dosisbereich und bei Einhaltung einer Anwendungsdauer von 2 Wochen nicht mit Wechselwirkungen zu rechnen ist.
85Der Monographie kann demgegenüber keine negative Aussage für diejenigen Zubereitungen entnommen werden, die – wie der vorliegend eingesetzte Extrakt – nicht unter die dort genannten Zubereitungen fallen. Dies ergibt sich aus der rechtlichen Bedeutung einer Monographie des Pflanzenausschusses der Europäischen Arzneimittelagentur – HMPC. Diese hat eine positive Bedeutung für die von ihr erfassten Arzneimittel, indem sie den Antragsteller von einer Vorlage der sonst erforderlichen präparatespezifischen Unterlagen nach § 39 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 und Nr. 5 AMG befreit, § 39 b Abs. 2 AMG. Sie hat aber keine Bedeutung für Zubereitungen, die von der Monographie nicht erfasst werden, insbesondere schließt sie die Registrierungsfähigkeit dieser Zubereitungen nicht aus. Andere Zubereitungen können die Erleichterungen der Monographie nicht in Anspruch nehmen, sind aber bei Vorlage der in § 39 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 und Nr. 5 AMG geforderten Unterlagen registrierungsfähig, wenn die aus § 39 c Abs. 2 AMG zu entnehmenden Voraussetzungen vorliegen, die dann präparatespezifisch geprüft werden müssen.
86Auch der Assessment Report des Berichterstatters des HMPC zu Johanniskraut vom 12.11.2009, a.a.O., sowie die hiermit übereinstimmende Publikation des Berichterstatters, Prof. Reinhard Länger: „Die HMPC-Monographie zu Hypericum“,
87vgl. WienMedWochenschr 2010, 557 ff., Anlage K 14, Beiakte 1,
88bietet keine Grundlage für eine Versagung der Registrierung der streitgegenständlichen Arzneimittel wegen der Wechselwirkungen. Dieser Bericht enthält eine Zusammenfassung aller seinerzeit aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse zum well-established use und zur traditionellen Anwendung von Johanniskrautzubereitungen und eine Bewertung von Wirksamkeit und Unbedenklichkeit dieser Arzneimittel. Seine wissenschaftlichen Aussagen können daher grundsätzlich für die Einschätzung der Sicherheit im Rahmen des § 39 c Abs. 2 Nr. 3 AMG herangezogen werden.
89Jedoch kann auch dem Assessment-Report eine eindeutige Bewertung der Wechselwirkungsrisiken für die Registrierung von Arzneimitteln, die wegen eines höheren Hyperforingehaltes von der Monographie nicht erfasst werden, nicht entnommen werden. Der Bericht macht nur eine Aussage zur Registrierungsfähigkeit von Zubereitungen mit einer Hyperforinzufuhr von weniger als 1 mg pro Tag und stellt fest, dass unter dieser Voraussetzung und einer Limitierung der Anwendung auf 2 Wochen das Wechselwirkungsrisiko so gering ist, dass eine Anwendung als traditionell pflanzliches Arzneimittel vertretbar ist,
90vgl. Assessment-Report, a.a.O., S. 76 und Länger, a.a.O., S. 562.
91Daraus kann man – wie die Beklagte - schließen, dass im Fall höher dosierter Zubereitungen ein Wechselwirkungsrisiko besteht, das für eine Anwendung als traditionell pflanzliches Arzneimittel nicht akzeptabel ist. Man kann jedoch daraus auch ableiten, dass eine Registrierung von Zubereitungen mit einem höheren Hyperforingehalt nur möglich ist, wenn entsprechende Wechselwirkungshinweise aufgenommen werden. Für diese von der Klägerin vertretenen Auslegung sprechen die Formulierungen von Herrn Länger an einer anderen Stelle der Publikation (S. 557) sowie die von ihm verfasste e-mail vom 09.09.2014, in dem er diese Auffassung ausdrücklich bestätigt.
92Die Aussagen des Assessment-Reports sind daher nicht geeignet, die Auffassung des BfArM zu stützen, dass bereits das Vorhandensein zahlreicher Wechselwirkungshinweise einer Registrierung als traditionelles pflanzliches Arzneimittel entgegensteht. Ungeachtet dessen kommt es jedoch auf die Auffassung des HMPC in dieser Frage auch nicht an. Denn die Frage, ob die unstreitig zu erwartenden Wechselwirkungen von höher dosierten Johanniskrautextrakten bei Aufnahme entsprechender Hinweise in der Gebrauchsinformation eine Registrierung ausschließen, ist keine wissenschaftliche Frage, sondern eine Rechtsfrage, die die Auslegung und Anwendung des § 39 c Abs. 2 Nr. 3 AMG betrifft.
93Soweit die Beklagte in der mündlichen Verhandlung die Auffassung vertreten hat, ein zuverlässiger Ausschluss von Wechselwirkungen könne letztlich nur durch die Inanspruchnahme einer ärztlichen Beratung erfolgen und deshalb liege der Ausschlussgrund des § 39 c Abs. 2 Nr. 2 AMG vor, kann ihr auch darin nicht gefolgt werden. Zum einen kann eine fachkundige Beratung über Wechselwirkungen auch durch das Fachpersonal der Apotheke erfolgen, da es sich um apothekenpflichtige Arzneimittel handelt. Ein entsprechender Hinweis kann in die Gebrauchsinformation aufgenommen werden. Dementsprechend sieht die HMPC-Monographie für den „well-established-use“ auch unter Ziff. 4.5 vor, dass Personen, die zusätzlich andere Arzneimittel einnehmen wollen, zuvor einen Arzt oder Apotheker um Rat fragen sollen. Demnach erfordert eine Vermeidung von schädlichen Wechselwirkungen nicht notwendigerweise die Hinzuziehung eines Arztes.
94Zum anderen bezieht sich der Versagungsgrund des § 39 c Abs. 2 Nr. 2 AMG auf unzulässige Anwendungsgebiete, also Erkrankungen, die einer ärztlichen Diagnose und Behandlung bedürfen. Der Versagungsgrund verfolgt damit den Zweck, eine nicht wirksame Selbstmedikation und Verschlimmerung der zu behandelnden Erkrankung zu vermeiden. Die von den streitgegenständlichen Arzneimitteln ausgehenden Wechselwirkungen gefährden jedoch nicht die wirksame Behandlung der im Anwendungsgebiet angegebenen Beschwerden (seelische Belastung, Schlafstörungen). Vielmehr können sie zu anderen Gesundheitsgefahren führen, wenn das Arzneimittel mit anderen Arzneimitteln kombiniert wird, wenn also bestimmte Anwendungsbedingungen hinzutreten. Somit ist allein der Versagungsgrund des § 39 c Abs. 2 Nr. 3 AMG betroffen, der schädliche Wirkungen bei bestimmungsgemäßem Gebrauch ausschließen soll. Insofern hat das BfArM aber bisher nicht hinreichend dargelegt, dass ein bestimmungsgemäßer Gebrauch unter Vermeidung von schädlichen Wechselwirkungen durch die Aufnahme entsprechender Gegenanzeigen, Warnhinweisen und Hinweisen zur Einholung medizinischen Rates in Zweifelsfällen nicht möglich ist.
95Soweit die Beklagte im Widerspruchsbescheid auch den Versagungsgrund des § 39 c Abs. 2, 1. HS AMG genannt hat, fehlt es bisher an einer entsprechenden Darlegung, welche der in § 39 b AMG vorgeschriebenen Angaben und Unterlagen nicht vorgelegt wurden. Das Fehlen einer Begründung geht zu Lasten der Beklagten, weil diese die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Versagungsgründen trägt,
96vgl. BVerwG, Urteil vom 18.05.2010 – 3 C 25/09 – juris, Rn. 19.
97Es lässt sich auch nicht feststellen, ob die vorgetragenen Mängel der genotoxischen Unterlagen, die die Beklagte im Bescheid und im Widerspruchsbescheid lediglich informativ mitgeteilt hat, möglicherweise die Voraussetzungen eines weiteren Versagungsgrundes erfüllen. Das Gericht kann mangels fachlicher Kompetenz in dem vorliegenden komplexen Genehmigungsverfahren nicht von Amts wegen prüfen und positiv feststellen, ob die vorgelegten Unterlagen für eine Registrierung ausreichend sind. Es kann umgekehrt nicht von Amts wegen aufklären, ob weitere, nicht von der Beklagten geltend gemachte Versagungsgründe erfüllt sind, es sei denn, dass diese offensichtlich vorliegen. Das Gericht prüft lediglich, ob die Begründung der Beklagten für die in Anspruch genommenen Versagungsgründe die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt. Es ist daher Sache der Beklagten, die Versagungsgründe zu benennen, auf die sie die Entscheidung stützen will, und deren Voraussetzungen darzulegen. Auf die Mängel der genotoxischen Unterlagen hat die Beklagte die Versagung aber nicht gestützt.
98Da die geltend gemachten Gründe für die Versagung der Registrierung nicht vorliegen, war der Ablehnungsbescheid rechtswidrig und damit aufzuheben.
99Die ausdrücklich ausgesprochene Teilversagung der beantragten Haltbarkeit ist aus formalen Gründen ebenfalls rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
100Es kann dahinstehen, ob die Rechtswidrigkeit bereits daraus folgt, dass die Beklagte gleichzeitig die Registrierung als solche versagt hat. Bei einer Vollversagung einer beantragten Genehmigung besteht bereits begrifflich kein Raum für eine zusätzliche Teilversagung. Denn diese setzt voraus, dass der beantragte Verwaltungsakt jedenfalls teilweise erteilt wird. Wenn eine vollständige Versagung erfolgt ist, geht eine teilweise Versagung ins Leere.
101Die Rechtswidrigkeit der Teilversagung folgt aber jedenfalls aus der Rechtswidrigkeit und Aufhebung der Versagungsentscheidung. Denn die Teilversagung hinsichtlich der beantragten Haltbarkeit der Arzneimittel hat keinen selbständigen Regelungsgehalt. Die Festlegung der Haltbarkeitsdauer in der Zulassung oder Registrierung eines Arzneimittels steht mit dieser in einem untrennbaren inneren Zusammenhang und kann daher isoliert keinen Bestand haben,
102vgl. zur teilweisen Aufhebung von Verwaltungsakten: Kopp/Schenke, VwGO, § 113 Rn. 16 f.
103Eine Entscheidung über die Haltbarkeit eines Arzneimittels setzt eine positive Entscheidung über die Zulassung bzw. Registrierung voraus. Wenn keine positive Entscheidung vorliegt, gibt es kein verkehrsfähiges Produkt, über dessen Haltbarkeit eine Entscheidung getroffen werden kann. Da mit der Aufhebung der Versagungsentscheidung nunmehr eine Entscheidung über den Registrierungsantrag nicht mehr vorliegt, geht die Teilversagung ins Leere und unterliegt daher ebenfalls der Aufhebung.
104Das Gericht weist allerdings darauf hin, dass die Entscheidung der Beklagten zur Haltbarkeit inhaltlich nicht zu beanstanden ist, da die Klägerin eine ausreichende Begründung für die Ausnahme von den Anforderungen der einschlägigen Leitlinien der EMA zur Stabilitätsprüfung, die die zulässige Abweichung beim Gehalt einer Leitsubstanz (hier: Hypericin) auf +/- 10 % festlegt, nicht vorgelegt hat. Diese Begründung kann insbesondere nicht allein darin bestehen, dass die Substanz instabil ist.
105Da die Sache nicht spruchreif ist, war die Verpflichtung der Beklagten auszusprechen, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden, § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO. Das Gericht kann nach ständiger Rechtsprechung in arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahren nur in Ausnahmefällen die Verpflichtung der Behörde zur Erteilung der begehrten Genehmigung, hier der Registrierung, aussprechen, da es das vollständige Vorliegen der umfangreichen, fachlich komplexen Genehmigungsvoraussetzungen nicht selbst prüfen kann. Im vorliegenden Verfahren könnten der Erteilung einer Registrierung weitere Versagungsgründe im Hinblick auf die toxikologischen Unterlagen entgegenstehen, die von der Beklagten erneut zu prüfen und zu beurteilen sind.
106Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
107Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 709 ZPO.
108Das Gericht hat die Berufung nicht zu gelassen, weil ein Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 VwGO nicht ersichtlich war. Insbesondere hat die Entscheidung keine grundsätzliche Bedeutung für die Auslegung der Vorschriften des AMG über die Registrierung von traditionellen pflanzlichen Arzneimitteln, da es hier maßgeblich auf die Besonderheiten des eingesetzten Johanniskrautextrakts ankam.
ra.de-Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht Köln Urteil, 24. Aug. 2015 - 7 K 1247/14
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Urteil einreichenVerwaltungsgericht Köln Urteil, 24. Aug. 2015 - 7 K 1247/14 zitiert oder wird zitiert von 5 Urteil(en).
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
(1) Eine Änderung der Klage ist zulässig, wenn die übrigen Beteiligten einwilligen oder das Gericht die Änderung für sachdienlich hält.
(2) Die Einwilligung des Beklagten in die Änderung der Klage ist anzunehmen, wenn er sich, ohne ihr zu widersprechen, in einem Schriftsatz oder in einer mündlichen Verhandlung auf die geänderte Klage eingelassen hat.
(3) Die Entscheidung, daß eine Änderung der Klage nicht vorliegt oder zuzulassen sei, ist nicht selbständig anfechtbar.
(1) Die zuständige Bundesoberbehörde erteilt die Zulassung schriftlich unter Zuteilung einer Zulassungsnummer. Die Zulassung gilt nur für das im Zulassungsbescheid aufgeführte Arzneimittel und bei Arzneimitteln, die nach einer homöopathischen Verfahrenstechnik hergestellt sind, auch für die in einem nach § 25 Abs. 7 Satz 1 in der vor dem 17. August 1994 geltenden Fassung bekannt gemachten Ergebnis genannten und im Zulassungsbescheid aufgeführten Verdünnungsgrade.
(2) Die zuständige Bundesoberbehörde darf die Zulassung nur versagen, wenn
- 1.
die vorgelegten Unterlagen, einschließlich solcher Unterlagen, die auf Grund einer Verordnung der Europäischen Gemeinschaft oder der Europäischen Union vorzulegen sind, unvollständig sind, - 2.
das Arzneimittel nicht nach dem jeweils gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse ausreichend geprüft worden ist oder das andere wissenschaftliche Erkenntnismaterial nach § 22 Abs. 3 nicht dem jeweils gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entspricht, - 3.
das Arzneimittel nicht nach den anerkannten pharmazeutischen Regeln hergestellt wird oder nicht die angemessene Qualität aufweist, - 4.
dem Arzneimittel die vom Antragsteller angegebene therapeutische Wirksamkeit fehlt oder diese nach dem jeweils gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse vom Antragsteller unzureichend begründet ist, - 5.
das Nutzen-Risiko-Verhältnis ungünstig ist, - 5a.
bei einem Arzneimittel, das mehr als einen Wirkstoff enthält, eine ausreichende Begründung fehlt, dass jeder Wirkstoff einen Beitrag zur positiven Beurteilung des Arzneimittels leistet, wobei die Besonderheiten der jeweiligen Arzneimittel in einer risikogestuften Bewertung zu berücksichtigen sind, - 6.
das Inverkehrbringen des Arzneimittels gegen gesetzliche Vorschriften oder gegen eine Verordnung oder eine Richtlinie oder eine Entscheidung oder einen Beschluss der Europäischen Gemeinschaft oder der Europäischen Union verstoßen würde.
(3) Die Zulassung ist für ein Arzneimittel zu versagen, das sich von einem zugelassenen oder bereits im Verkehr befindlichen Arzneimittel gleicher Bezeichnung in der Art oder der Menge der Wirkstoffe unterscheidet. Abweichend von Satz 1 ist ein Unterschied in der Menge der Wirkstoffe unschädlich, wenn sich die Arzneimittel in der Darreichungsform unterscheiden.
(4) Ist die zuständige Bundesoberbehörde der Auffassung, dass eine Zulassung auf Grund der vorgelegten Unterlagen nicht erteilt werden kann, teilt sie dies dem Antragsteller unter Angabe von Gründen mit. Dem Antragsteller ist dabei Gelegenheit zu geben, Mängeln innerhalb einer angemessenen Frist, jedoch höchstens innerhalb von sechs Monaten abzuhelfen. Wird den Mängeln nicht innerhalb dieser Frist abgeholfen, so ist die Zulassung zu versagen. Nach einer Entscheidung über die Versagung der Zulassung ist das Einreichen von Unterlagen zur Mängelbeseitigung ausgeschlossen.
(5) Die Zulassung ist auf Grund der Prüfung der eingereichten Unterlagen und auf der Grundlage der Sachverständigengutachten zu erteilen. Zur Beurteilung der Unterlagen kann die zuständige Bundesoberbehörde eigene wissenschaftliche Ergebnisse verwerten, Sachverständige beiziehen oder Gutachten anfordern. Die zuständige Bundesoberbehörde kann in Betrieben und Einrichtungen, die Arzneimittel entwickeln, herstellen, prüfen oder klinisch prüfen, zulassungsbezogene Angaben und Unterlagen, auch im Zusammenhang mit einer Genehmigung für das Inverkehrbringen gemäß Artikel 3 Abs. 1 oder 2 der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 überprüfen. Zu diesem Zweck können Beauftragte der zuständigen Bundesoberbehörde im Benehmen mit der zuständigen Behörde Betriebs- und Geschäftsräume zu den üblichen Geschäftszeiten betreten, Unterlagen einsehen sowie Auskünfte verlangen. Die zuständige Bundesoberbehörde kann ferner die Beurteilung der Unterlagen durch unabhängige Gegensachverständige durchführen lassen und legt deren Beurteilung der Zulassungsentscheidung und, soweit es sich um Arzneimittel handelt, die der Verschreibungspflicht nach § 48 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 unterliegen, dem der Zulassungskommission nach Absatz 6 Satz 1 vorzulegenden Entwurf der Zulassungsentscheidung zugrunde. Als Gegensachverständiger nach Satz 5 kann von der zuständigen Bundesoberbehörde beauftragt werden, wer die erforderliche Sachkenntnis und die zur Ausübung der Tätigkeit als Gegensachverständiger erforderliche Zuverlässigkeit besitzt. Dem Antragsteller ist auf Antrag Einsicht in die Gutachten zu gewähren. Verlangt der Antragsteller, von ihm gestellte Sachverständige beizuziehen, so sind auch diese zu hören. Für die Berufung als Sachverständiger, Gegensachverständiger und Gutachter gilt Absatz 6 Satz 5 und 6 entsprechend.
(5a) Die zuständige Bundesoberbehörde erstellt ferner einen Beurteilungsbericht über die eingereichten Unterlagen zur Qualität, Unbedenklichkeit und Wirksamkeit und gibt darin eine Stellungnahme hinsichtlich der Ergebnisse von pharmazeutischen und vorklinischen Versuchen, von klinischen Prüfungen sowie zum Risikomanagement- und zum Pharmakovigilanz-System ab. Der Beurteilungsbericht ist zu aktualisieren, wenn hierzu neue Informationen verfügbar werden.
(5b) Absatz 5a findet keine Anwendung auf Arzneimittel, die nach einer homöopathischen Verfahrenstechnik hergestellt werden, sofern diese Arzneimittel dem Artikel 16 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG unterliegen.
(6) Vor der Entscheidung über die Zulassung eines Arzneimittels, das den Therapierichtungen Phytotherapie, Homöopathie oder Anthroposophie zuzurechnen ist und das der Verschreibungspflicht nach § 48 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 unterliegt, ist eine Zulassungskommission zu hören. Die Anhörung erstreckt sich auf den Inhalt der eingereichten Unterlagen, der Sachverständigengutachten, der angeforderten Gutachten, die Stellungnahmen der beigezogenen Sachverständigen, das Prüfungsergebnis und die Gründe, die für die Entscheidung über die Zulassung wesentlich sind, oder die Beurteilung durch die Gegensachverständigen. Weicht die Bundesoberbehörde bei der Entscheidung über den Antrag von dem Ergebnis der Anhörung ab, so hat sie die Gründe für die abweichende Entscheidung darzulegen. Das Bundesministerium beruft die Mitglieder der Zulassungskommission unter Berücksichtigung von Vorschlägen der Kammern der Heilberufe, der Fachgesellschaften der Ärzte, Zahnärzte, Apotheker, Heilpraktiker sowie der für die Wahrnehmung ihrer Interessen gebildeten maßgeblichen Spitzenverbände der pharmazeutischen Unternehmer, Patienten und Verbraucher. Bei der Berufung sind die jeweiligen Besonderheiten der Arzneimittel zu berücksichtigen. In die Zulassungskommissionen werden Sachverständige berufen, die auf den jeweiligen Anwendungsgebieten und in der jeweiligen Therapierichtung (Phytotherapie, Homöopathie, Anthroposophie) über wissenschaftliche Kenntnisse verfügen und praktische Erfahrungen gesammelt haben.
(7) Für Arzneimittel, die nicht der Verschreibungspflicht nach § 48 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 unterliegen, werden bei der zuständigen Bundesoberbehörde Kommissionen für bestimmte Anwendungsgebiete oder Therapierichtungen gebildet. Absatz 6 Satz 4 bis 6 findet entsprechende Anwendung. Die zuständige Bundesoberbehörde kann zur Vorbereitung der Entscheidung über die Verlängerung von Zulassungen nach § 105 Abs. 3 Satz 1 die zuständige Kommission beteiligen. Betrifft die Entscheidung nach Satz 3 Arzneimittel einer bestimmten Therapierichtung (Phytotherapie, Homöopathie, Anthroposophie), ist die zuständige Kommission zu beteiligen, sofern eine vollständige Versagung der Verlängerung nach § 105 Abs. 3 Satz 1 beabsichtigt oder die Entscheidung von grundsätzlicher Bedeutung ist; sie hat innerhalb von zwei Monaten Gelegenheit zur Stellungnahme. Soweit die Bundesoberbehörde bei der Entscheidung nach Satz 4 die Stellungnahme der Kommission nicht berücksichtigt, legt sie die Gründe dar.
(7a) Zur Verbesserung der Arzneimittelsicherheit für Kinder und Jugendliche wird beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte eine Kommission für Arzneimittel für Kinder und Jugendliche gebildet. Absatz 6 Satz 4 bis 6 findet entsprechende Anwendung. Zur Vorbereitung der Entscheidung über den Antrag auf Zulassung eines Arzneimittels, das auch zur Anwendung bei Kindern oder Jugendlichen bestimmt ist, beteiligt die zuständige Bundesoberbehörde die Kommission. Die zuständige Bundesoberbehörde kann ferner zur Vorbereitung der Entscheidung über den Antrag auf Zulassung eines anderen als in Satz 3 genannten Arzneimittels, bei dem eine Anwendung bei Kindern oder Jugendlichen in Betracht kommt, die Kommission beteiligen. Die Kommission hat Gelegenheit zur Stellungnahme. Soweit die Bundesoberbehörde bei der Entscheidung die Stellungnahme der Kommission nicht berücksichtigt, legt sie die Gründe dar. Die Kommission kann ferner zu Arzneimitteln, die nicht für die Anwendung bei Kindern oder Jugendlichen zugelassen sind, den anerkannten Stand der Wissenschaft dafür feststellen, unter welchen Voraussetzungen diese Arzneimittel bei Kindern oder Jugendlichen angewendet werden können. Für die Arzneimittel der Phytotherapie, Homöopathie und anthroposophischen Medizin werden die Aufgaben und Befugnisse nach den Sätzen 3 bis 7 von den Kommissionen nach Absatz 7 Satz 4 wahrgenommen.
(8) Bei Sera, Impfstoffen, Blutzubereitungen, Gewebezubereitungen, Allergenen, xenogenen Arzneimitteln, die keine Arzneimittel nach § 4 Absatz 9 sind, erteilt die zuständige Bundesoberbehörde die Zulassung entweder auf Grund der Prüfung der eingereichten Unterlagen oder auf Grund eigener Untersuchungen oder auf Grund der Beobachtung der Prüfungen des Herstellers. Dabei können Beauftragte der zuständigen Bundesoberbehörde im Benehmen mit der zuständigen Behörde Betriebs- und Geschäftsräume zu den üblichen Geschäftszeiten betreten und in diesen sowie in den dem Betrieb dienenden Beförderungsmitteln Besichtigungen vornehmen. Auf Verlangen der zuständigen Bundesoberbehörde hat der Antragsteller das Herstellungsverfahren mitzuteilen. Bei diesen Arzneimitteln finden die Absätze 6, 7 und 7a keine Anwendung.
(8a) (weggefallen)
(9) Werden verschiedene Stärken, Darreichungsformen, Verabreichungswege oder Ausbietungen eines Arzneimittels beantragt, so können diese auf Antrag des Antragstellers Gegenstand einer einheitlichen umfassenden Zulassung sein; dies gilt auch für nachträgliche Änderungen und Erweiterungen. Dabei ist eine einheitliche Zulassungsnummer zu verwenden, der weitere Kennzeichen zur Unterscheidung der Darreichungsformen oder Konzentrationen hinzugefügt werden müssen. Für Zulassungen nach § 24b Abs. 1 gelten Einzelzulassungen eines Referenzarzneimittels als einheitliche umfassende Zulassung.
(10) Die Zulassung lässt die zivil- und strafrechtliche Verantwortlichkeit des pharmazeutischen Unternehmers unberührt.
(1) Fertigarzneimittel, die nicht zur klinischen Prüfung bestimmt sind und die nicht nach § 21 Absatz 2 Nummer 1a, 1b oder 3 von der Zulassungspflicht freigestellt sind, dürfen im Geltungsbereich dieses Gesetzes nur mit einer Packungsbeilage in den Verkehr gebracht werden, die die Überschrift "Gebrauchsinformation" trägt sowie folgende Angaben in der nachstehenden Reihenfolge allgemein verständlich in deutscher Sprache, in gut lesbarer Schrift und in Übereinstimmung mit den Angaben nach § 11a enthalten muss:
- 1.
zur Identifizierung des Arzneimittels: - a)
die Bezeichnung des Arzneimittels, § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 finden entsprechende Anwendung, - b)
die Stoff- oder Indikationsgruppe oder die Wirkungsweise;
- 2.
die Anwendungsgebiete; - 3.
eine Aufzählung von Informationen, die vor der Einnahme des Arzneimittels bekannt sein müssen: - a)
Gegenanzeigen, - b)
entsprechende Vorsichtsmaßnahmen für die Anwendung, - c)
Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln oder anderen Mitteln, soweit sie die Wirkung des Arzneimittels beeinflussen können, - d)
Warnhinweise, insbesondere soweit dies durch Auflage der zuständigen Bundesoberbehörde nach § 28 Abs. 2 Nr. 2 angeordnet oder auf Grund von § 7 des Anti-Doping-Gesetzes oder durch Rechtsverordnung nach § 12 Abs. 1 Nr. 3 vorgeschrieben ist;
- 4.
die für eine ordnungsgemäße Anwendung erforderlichen Anleitungen über - a)
Dosierung, - b)
Art der Anwendung, - c)
Häufigkeit der Verabreichung, erforderlichenfalls mit Angabe des genauen Zeitpunkts, zu dem das Arzneimittel verabreicht werden kann oder muss,
sowie, soweit erforderlich und je nach Art des Arzneimittels,- d)
Dauer der Behandlung, falls diese festgelegt werden soll, - e)
Hinweise für den Fall der Überdosierung, der unterlassenen Einnahme oder Hinweise auf die Gefahr von unerwünschten Folgen des Absetzens, - f)
die ausdrückliche Empfehlung, bei Fragen zur Klärung der Anwendung den Arzt oder Apotheker zu befragen;
- 5.
zu Nebenwirkungen: - a)
eine Beschreibung der Nebenwirkungen, die bei bestimmungsgemäßem Gebrauch des Arzneimittels eintreten können, - b)
bei Nebenwirkungen zu ergreifende Gegenmaßnahmen, soweit dies nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis erforderlich ist, und - c)
einen Standardtext, durch den die Patienten ausdrücklich aufgefordert werden, jeden Verdachtsfall einer Nebenwirkung ihren Ärzten, Apothekern, Angehörigen von Gesundheitsberufen oder unmittelbar der zuständigen Bundesoberbehörde zu melden, wobei die Meldung in jeder Form, insbesondere auch elektronisch, erfolgen kann;
- 6.
einen Hinweis auf das auf der Verpackung angegebene Verfalldatum sowie - a)
Warnung davor, das Arzneimittel nach Ablauf dieses Datums anzuwenden, - b)
soweit erforderlich besondere Vorsichtsmaßnahmen für die Aufbewahrung und die Angabe der Haltbarkeit nach Öffnung des Behältnisses oder nach Herstellung der gebrauchsfertigen Zubereitung durch den Anwender, - c)
soweit erforderlich Warnung vor bestimmten sichtbaren Anzeichen dafür, dass das Arzneimittel nicht mehr zu verwenden ist, - d)
vollständige qualitative Zusammensetzung nach Wirkstoffen und sonstigen Bestandteilen sowie quantitative Zusammensetzung nach Wirkstoffen unter Verwendung gebräuchlicher Bezeichnungen für jede Darreichungsform des Arzneimittels, § 10 Abs. 6 findet Anwendung, - e)
Darreichungsform und Inhalt nach Gewicht, Nennvolumen oder Stückzahl für jede Darreichungsform des Arzneimittels, - f)
Name und Anschrift des pharmazeutischen Unternehmers und, soweit vorhanden, seines örtlichen Vertreters, - g)
Name und Anschrift des Herstellers oder des Einführers, der das Fertigarzneimittel für das Inverkehrbringen freigegeben hat;
- 7.
bei einem Arzneimittel, das unter anderen Bezeichnungen in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union nach den Artikeln 28 bis 39 der Richtlinie 2001/83/EG für das Inverkehrbringen genehmigt ist, ein Verzeichnis der in den einzelnen Mitgliedstaaten genehmigten Bezeichnungen; - 8.
das Datum der letzten Überarbeitung der Packungsbeilage.
(1a) Ein Muster der Packungsbeilage und geänderter Fassungen ist der zuständigen Bundesoberbehörde unverzüglich zu übersenden, soweit nicht das Arzneimittel von der Zulassung oder Registrierung freigestellt ist.
(1b) Die nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 5 und Satz 3 erforderlichen Standardtexte werden von der zuständigen Bundesoberbehörde im Bundesanzeiger bekannt gemacht.
(1c) Die zuständige Bundesoberbehörde kann im Fall eines drohenden oder bestehenden versorgungsrelevanten Lieferengpasses auf Antrag des Zulassungsinhabers im Einzelfall gestatten, dass ein Arzneimittel abweichend von Absatz 1 Satz 1 befristet mit einer Packungsbeilage in einer anderen als der deutschen Sprache in den Verkehr gebracht wird. In diesem Fall stellt die zuständige Bundesoberbehörde sicher, dass der Verbraucher in geeigneter Weise Zugang zu den erforderlichen Produktinformationen erhält.
(2) Es sind ferner in der Packungsbeilage Hinweise auf Bestandteile, deren Kenntnis für eine wirksame und unbedenkliche Anwendung des Arzneimittels erforderlich ist, und für die Verbraucher bestimmte Aufbewahrungshinweise anzugeben, soweit dies nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse erforderlich oder durch Auflage der zuständigen Bundesoberbehörde nach § 28 Abs. 2 Nr. 2 angeordnet oder durch Rechtsverordnung vorgeschrieben ist.
(2a) Bei radioaktiven Arzneimitteln gilt Absatz 1 entsprechend mit der Maßgabe, dass die Vorsichtsmaßnahmen aufzuführen sind, die der Verwender und der Patient während der Zubereitung und Verabreichung des Arzneimittels zu ergreifen haben, sowie besondere Vorsichtsmaßnahmen für die Entsorgung des Transportbehälters und nicht verwendeter Arzneimittel.
(3) Bei Arzneimitteln, die in das Register für homöopathische Arzneimittel eingetragen sind, gilt Absatz 1 entsprechend mit der Maßgabe, dass die in § 10 Abs. 4 vorgeschriebenen Angaben, ausgenommen die Angabe der Chargenbezeichnung, des Verfalldatums und des bei Mustern vorgeschriebenen Hinweises, zu machen sind sowie der Name und die Anschrift des Herstellers anzugeben sind, der das Fertigarzneimittel für das Inverkehrbringen freigegeben hat, soweit es sich dabei nicht um den pharmazeutischen Unternehmer handelt. Satz 1 gilt entsprechend für Arzneimittel, die nach § 38 Abs. 1 Satz 3 von der Registrierung freigestellt sind.
(3a) Bei Sera gilt Absatz 1 entsprechend mit der Maßgabe, dass auch die Art des Lebewesens, aus dem sie gewonnen sind, bei Virusimpfstoffen das Wirtssystem, das zur Virusvermehrung gedient hat, und bei Arzneimitteln aus humanem Blutplasma zur Fraktionierung das Herkunftsland des Blutplasmas anzugeben ist.
(3b) Bei traditionellen pflanzlichen Arzneimitteln nach § 39a gilt Absatz 1 entsprechend mit der Maßgabe, dass bei den Angaben nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 anzugeben ist, dass das Arzneimittel ein traditionelles Arzneimittel ist, das ausschließlich auf Grund langjähriger Anwendung für das Anwendungsgebiet registriert ist. Zusätzlich ist in die Packungsbeilage der Hinweis nach § 10 Abs. 4a Satz 1 Nr. 2 aufzunehmen.
(3c) Der Inhaber der Zulassung hat dafür zu sorgen, dass die Packungsbeilage auf Ersuchen von Patientenorganisationen in Formaten verfügbar ist, die für blinde und sehbehinderte Personen geeignet sind.
(3d) Bei Heilwässern können unbeschadet der Verpflichtungen nach Absatz 2 die Angaben nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 3 Buchstabe b, Nr. 4 Buchstabe e und f, Nr. 5, soweit der dort angegebene Hinweis vorgeschrieben ist, und Nr. 6 Buchstabe c entfallen. Ferner kann bei Heilwässern von der in Absatz 1 vorgeschriebenen Reihenfolge abgewichen werden.
(4) (weggefallen)
(5) Können die nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 3 Buchstabe a und c sowie Nr. 5 vorgeschriebenen Angaben nicht gemacht werden, so ist der Hinweis "keine bekannt" zu verwenden. Werden auf der Packungsbeilage weitere Angaben gemacht, so müssen sie von den Angaben nach den Absätzen 1 bis 3 deutlich abgesetzt und abgegrenzt sein.
(6) Die Packungsbeilage kann entfallen, wenn die nach den Absätzen 1 bis 3 vorgeschriebenen Angaben auf dem Behältnis oder auf der äußeren Umhüllung stehen. Absatz 5 findet entsprechende Anwendung.
(7) Aus Fertigarzneimitteln entnommene Teilmengen dürfen nur zusammen mit einer Ausfertigung der für das Fertigarzneimittel vorgeschriebenen Packungsbeilage abgegeben werden. Absatz 6 Satz 1 gilt entsprechend. Abweichend von Satz 1 müssen bei der im Rahmen einer Dauermedikation erfolgenden regelmäßigen Abgabe von aus Fertigarzneimitteln entnommenen Teilmengen in neuen, patientenindividuell zusammengestellten Blistern Ausfertigungen der für die jeweiligen Fertigarzneimittel vorgeschriebenen Packungsbeilagen erst dann erneut beigefügt werden, wenn sich diese gegenüber den zuletzt beigefügten geändert haben.
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 20. Mai 2014 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
1
Tatbestand:
2Die Klägerin ist ein pharmazeutisches Unternehmen. Sie wendet sich gegen den Widerruf der Zulassung der Präparate Kava N. Kapseln, B. 120 mg Tabletten, Kava-N1. Tabletten, T. Tabletten und X. Tabletten, die sie bis zum Jahr 2001 in den Verkehr gebracht hatte.
3Für das zuerst genannte Präparat wurde die beantragte Nachzulassung bislang nicht erteilt. Für die Präparate Kava-N1. Tabletten, T. Tabletten und X. Tabletten hatte das BfArM die Zulassung mit einer Dosierung von einmal täglich einer Tablette bei einer Wirkstoffmenge von 120 mg pro Tablette und für B. 120 mg Tabletten mit einer Dosierung von zweimal täglich ½ Tablette erteilt.
4Bei den Präparaten handelt es sich um pflanzliche Angstlöser (Anxiolytika) zur Anwendung bei nervösen Angst-, Spannungs- und Unruhezuständen, die als Wirkstoff den Kava-Kava-Wurzelstock-Trockenextrakt - Piperis methystici rhizoma - in Gestalt eines ethanolischen Auszugs enthalten.
5Die Anwendungsgebiete der Arzneimittel der Klägerin entsprachen den Vorgaben der Monographie der Kommission E vom 1. Juni 1990. Im Jahr 2002 war ihre Verschreibungspflicht beschlossen worden.
6Im Jahr 2001 leitete das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) aufgrund von Berichten über Verdachtsfälle von Nebenwirkungen in Gestalt lebertoxischer Effekte bei acetonischen Kava-Kava-Auszügen insbesondere aus der Schweiz ein Stufenplanverfahren nach § 63 AMG ein. Nach Anhörung der betroffenen pharmazeutischen Unternehmen widerrief das BfArM mit Bescheid vom 14. Juni 2002 erstmals die Zulassungen Kava-Kava- und Kavain-haltiger Arzneimittel bis zu einer homöopathischen Verdünnung von D4. Hiergegen legten die betroffenen Unternehmen Widerspruch ein, woraufhin das BfArM an der Widerrufsentscheidung nicht festhielt, sondern stattdessen mit Bescheid vom 12. Mai 2005 ein befristetes Ruhen der betroffenen Zulassungen anordnete.
7Nachdem zwischen den beteiligten Unternehmen, ihren Verbänden und dem BfArM über die Art des vorzulegenden wissenschaftlichen Erkenntnismaterials keine Einigung erzielt werden konnte, widerrief die Behörde mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 21. Dezember 2007 die Zulassungen Kava-Kava- und Kavain-haltiger Arzneimittel und homöopathischer Zubereitungen aus Kava-Kava-Zubereitungen. Es bestehe weiterhin der Widerrufsgrund des § 30 Abs. 1 i. V. m. § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AMG, da der begründete Verdacht schädlicher Wirkungen auch unter Berücksichtigung der von den betroffenen Unternehmen und ihren Verbänden vorgelegten Unterlagen fortbestehe. Das Ruhen der Zulassungen sei angeordnet worden, um den betroffenen Unternehmen Gelegenheit zu geben, Studienergebnisse vorzulegen, die die Wirksamkeit in dem beanspruchten Anwendungsgebiet in einem Maße belegten, dass die bekannten hepatotoxischen Risiken vertretbar seien. Die vorgelegten toxikologischen Untersuchungen lieferten keine hinreichende Grundlage für die Risikoabschätzung. Anhand der in-vitro-Studien könne zwar ein gewisser Toxizitätsvergleich der untersuchten Kava-Kava-Extrakte bzw. Kavalactone aufgestellt werden. Eine direkte Risikoabschätzung bzw. ein Unbedenklichkeitsnachweis für die Anwendung sämtlicher Arten von Kava-Kava-Extrakten am Menschen könne daraus aber nicht abgeleitet werden. Die in-vivo-Studien wiesen methodische Mängel auf und seien deswegen nicht bewertungsfähig. Zudem beschränke sich die Aussagekraft der Studie von DiSilvestro et al. auf einen bestimmten Kava-Kava-Extrakt und könne deswegen nicht zur Risikoabschätzung von Kava-Kava-Arzneimitteln allgemein herangezogen werden. In der Studie von L. Sorrentino et al. seien nicht genügend Parameter zum Ausschluss der Lebertoxizität erhoben worden. Zudem fehlten Daten zur Pharmakokinetik bzw. Toxikokinetik der potentiell toxischen Inhaltsstoffe. Es sei weiterhin unklar, ob die Ratte die geeignete Tierspezies sei, um vergleichbare hepatotoxische Effekte auszulösen, wie sie aufgetreten seien. Die nachgereichten Publikationen lieferten keine Erkenntnisse, die eine Hepatotoxizität der von dem Stufenplan betroffenen deutschen Kava-Kava-haltigen Arzneimittel ausschlössen oder relativierten. Deren Fehlen in den vorliegenden Untersuchungen stehe im Widerspruch zu den klinischen Befunden. Mangels weiterer Untersuchungen, die die pharmazeutischen Unternehmen zwar angekündigt, aber nicht durchgeführt hätten, seien nach wie vor weder die Mechanismen der klinisch aufgetretenen hepatotoxischen Effekte noch das klinisch relevante Toxin bekannt.
8Der Bescheid enthält eine Zusammenfassung der vorliegenden Erkenntnisse zum Risiko der Einnahme Kava-Kava-haltiger Präparate und verweist insoweit auf einen Bericht der Weltgesundheitsorganisation (WHO) aus dem Jahr 2007, der eine Bewertung von 93 Fallberichten zu Leberschädigungen enthalte. Diese seien in sieben Fällen tödlich verlaufen und in 14 Fällen sei eine Lebertransplantation erforderlich geworden. Außerdem wird in dem Bescheid auf den Bericht der britischen Gesundheitsbehörde Medicines and Healthcare Products Regulatory Agency (MHRA) vom 27. Juni 2006 verwiesen, in dem - nach Ländern gegliedert - die bei der MHRA eingegangenen Meldungen zu 110 Nebenwirkungsverdachtsfällen weltweit - darunter die überwiegende Anzahl aus Deutschland - aufgeführt sind.
9Den hiernach bestehenden Risiken stehe der Umstand gegenüber, dass neuere Untersuchungen zum Beleg der Wirksamkeit Kava-Kava- sowie Kavalacton-haltiger Arzneimittel nicht vorgelegt worden seien. Bei Arzneimitteln, für die es ‑ jedenfalls bei der vorgeschlagenen Dosierung - keine ausreichenden Wirksamkeitsbelege gebe, sei ein nicht zu eliminierendes Risiko nicht hinnehmbar, wenn es um schwerwiegende unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) gehe. Risikominimierende Maßnahmen wie die Unterstellung unter die Verschreibungspflicht, die Begrenzung der Dosierung und Leberfunktionstests rechtfertigten keine abweichende Bewertung, zumal bei der Behandlung von Angststörungen mit Benzodiazepinen, Buspiron und einigen Serotoninwiederaufnahmehemmern wie Paroxetin und Citalopram therapeutische Alternativen zur Verfügung stünden. Deren Wirksamkeit in der Behandlung von unterschiedlichen Formen von Angststörungen sei im Gegensatz zu Kava-Kava-haltigen Arzneimitteln in mehreren klinischen Studien gut untersucht und belegt worden. Das bei Benzodiazepinen bestehende Abhängigkeitsrisiko rechtfertige es nicht, das mit Kava-Kava-Produkten verbundene Risiko hinzunehmen.
10In einer zusammenfassenden Bewertung führte das BfArM aus, dass bei monographiekonformer Dosierung bis 120 mg als Tagesdosis Kava-Pyrone das Risiko von Leberschädigungen zwar geringer, aber immer noch deutlich vorhanden sei. Bei Dosierungen oberhalb von 120 mg Kava-Pyrone bestehe zwar ein gewisser Anhalt für die Wirksamkeit; das Risiko für Leberschäden sei dann aber zu groß.
11Die Klägerin erhob gegen den Bescheid Widerspruch. In einer Stellungnahme des Bundesverbandes der Arzneimittelhersteller e.V. (BAH) zum Widerruf der Zulassungen, die sich die Klägerin zu eigen machte, führte der Verband aus, die Annahme schädlicher Wirkungen Kava-Kava- und Kavain-haltiger Arzneimittel sei unzutreffend. Das BfArM habe die neu vorgelegten toxikologischen Untersuchungen nicht bewertet bzw. keinen nachvollziehbaren Bewertungskriterien unterworfen. Die Kommission E habe in ihrer Sitzung vom 27. Februar 2002 unter dem Vorbehalt bestimmter Sicherheitsmaßnahmen ein klares Votum zur weiteren Verkehrsfähigkeit Kava-Kava-haltiger Arzneimittel abgegeben. Auch berücksichtige der Bescheid nicht, dass § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AMG in seiner seit dem 6. September 2005 geltenden Fassung keinen „begründeten Verdacht schäd-licher Wirkungen“, sondern ein ungünstiges Nutzen-Risiko-Verhältnis voraus-setze. Kava-Kava erfülle die Voraussetzungen eines „well-established use“. Es werde seit Jahrzehnten in der Europäischen Union medizinisch verwendet. Wirkungen und Nebenwirkungen seien bekannt. Neue klinische Studien könnten folglich nicht verlangt werden. Zudem könne eine klinische Studie keine Erkennt-nisse über seltene Nebenwirkungen liefern. Anlass zu Kritik an den eingereichten toxikologischen Studien bestehe nicht. Andere therapeutische Ansätze wie z.B. Benzodiazepine stellten aufgrund ihrer Risiken keine therapeutische Alternative dar. Andere Arzneistoffe wiesen das gleiche oder sogar ein höheres Risiko für Leberschädigungen und zudem weitere schwerwiegendere unerwünschte Effekte als Kava-Kava auf, insbesondere sei ein Anstieg der Suizidrate bekannt. Die Ergebnisse des Berichts der MHRA seien wegen der gänzlich anderen Indikation in Großbritannien (Blasenerkrankungen) nicht übertragbar. Die Bewertung der vorliegenden Fallmeldungen sei nicht sachgerecht. Ihre Inzidenzrate werde vom BfArM nach wie vor nicht berücksichtigt.
12In der Folgezeit führten Gespräche und Schriftwechsel zwischen den pharmazeutischen Unternehmen und dem BfArM zu keinem Ergebnis. Der Widerspruch der Klägerin blieb zunächst unbeschieden.
13Unter dem 7. April 2011 richtete die Klägerin Änderungsanzeigen für alle streitgegenständlichen Präparate an das BfArM, deren Inhalt jeweils die Erhöhung der Tagesdosierung entsprechend 120 mg bis 240 mg Kava-Pyrone bzw. bezogen auf das Präparat Kava N. Kapseln entsprechend 150 bis 200 mg Kava-Pyrone ist.
14In den für das Präparat Kava N. Kapseln beigefügten Fachinformationen, Stand April 2011, ist eine Dosierung von drei- bis viermal täglich eine Kapsel (a 50 mg) vorgesehen. Als Dosierung für die übrigen Präparate wird darin ein- bis zweimal täglich eine Tablette genannt. Unter den Gegenanzeigen sind bei allen Präparaten u.a. eine vorbestehende Leberschädigung und erheblicher Alkoholkonsum aufgeführt. Unter der Rubrik Nebenwirkungen enthalten sie den Hinweis auf sehr selten auftretende Leberschäden unterschiedlicher Schweregrade (Transaminasenanstieg, Ikterus, Hepatitis). In einigen Fällen sei es nach der Einnahme der empfohlenen oder der zwei- bis dreifachen Dosierung bei Kava-Kava-Zubereitungen bereits nach acht Wochen zu einem irreversiblen Leberversagen gekommen. Deswegen seien insbesondere bei einer länger als einen Monat dauernden Therapie regelmäßig Laborkontrollen der Leberfunktion durchzuführen. Als Wechselwirkung sei eine Wirkverstärkung von zentral wirksamen Substanzen wie Alkohol, Psychopharmaka und Muskelrelaxanzien möglich. Eine Verstärkung hepatotoxischer Wirkungen anderer Arzneimittel durch die zeitnahe Einnahme von Kava-Kava-Zubereitungen könne nicht ausgeschlossen werden. Die entsprechenden Gebrauchsinformationen enthalten den Hinweis auf die Symptome einer fortgeschrittenen Leberschädigung, bei deren Auftreten das Präparat abzusetzen und sofort ein Arzt aufzusuchen sei. Außerdem wird darin darauf hingewiesen, dass der Genuss alkoholhaltiger Getränke während der Behandlung mit den jeweiligen Präparaten vermieden werden sollte. Hinsichtlich der Anwendungsdauer ist keine zeitliche Begrenzung vorgegeben. Für alle Präparate sind Packungsgrößen von 30/60/100 Tabletten bzw. bei Kava N. Kapseln vorgesehen.
15Das BfArM hat den Änderungsanzeigen in der Folgezeit nicht widersprochen.
16Die Klägerin hat am 20. Dezember 2011 die vorliegende Klage als Untätigkeitsklage erhoben und zugleich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Anordnung deren aufschiebender Wirkung beantragt (VG Köln 7 L 1918/11). Diesen Antrag hat sie am 24. Mai 2012 zurückgenommen.
17Zur Begründung der Klage hat sie im Wesentlichen ausgeführt: Der Widerruf der Zulassungen sei rechtswidrig. Das Nutzen-Risiko-Verhältnis für Kava-Kava-haltige Arzneimittel, die auf einem ethanolischen Extrakt des Kava-Kava-Wurzelstocks basierten, sei nicht ungünstig. Die Wirksamkeit des Arzneimittels sei bei einer Dosierung von 240 mg Kava-Pyrone, berechnet nach der Hochleistungsflüssigkeitschromatographie-Methode - engl. high performance liquid chromato-graphy - (HPLC-Methode) auf sechs Kava-Pyrone, belegt. Die von der Kommis-sion E angegebenen 120 mg Kava-Pyrone seien mittels Dünnschichtchromato-graphie (DC) beschränkt auf drei Kava-Pryrone berechnet worden. Deswegen entsprächen 120 mg Kava-Pyrone berechnet nach der DC-Methode 240 mg Kava-Pyrone berechnet nach der HPLC-Methode. Überdies sei Ende der 80er Jahre eine exakte quantitative Bestimmung aller maßgeblichen sechs Kava-lactone auch mit Hilfe der HPLC-Methode nicht möglich gewesen. Demzufolge entsprächen die in der Monographie ermittelten 120 mg nicht dem Gesamtgehalt an Kavalactonen. Vielmehr sei der Kavalactongehalt der Kava-Produkte, die in der Monographie Berücksichtigung gefunden hätten, nach heutigen Standards wesentlich höher anzusetzen.
18Der Einwand des BfArM, die Mittel seien nicht wirksam, beruhe darauf, dass die betroffenen Unternehmen auf entsprechende Forderung des BfArM die Dosierung halbiert hätten, um sich numerisch an die Monographie anzupassen. Das sei inzwischen mit Blick auf die unterschiedlichen Berechnungsgrundlagen durch die mit der Änderungsanzeige erfolgte Anhebung auf die alte Menge von 240 mg Kava-Pyrone korrigiert worden. Bei der Bewertung der Wirksamkeit müsse deswegen nach aktuellem Stand der Zulassung für alle betroffenen Arzneimittel eine Dosierung von 240 mg Kava-Pyrone zugrunde gelegt werden.
19Die vorliegenden Fälle unerwünschter Ereignisse in Zusammenhang mit Kava-Kava seien vom BfArM unrichtig und teilweise anders als von anderen Institutionen bewertet worden. Auf der Grundlage der Auswertung durch Teschke et al. aus dem Jahr 2008 ergäben sich lediglich drei Fälle, in denen überhaupt von einer Auslösung durch Kava-Kava auszugehen sei. In zwei dieser Fälle habe es sich um acetonische Extrakte gehandelt. Der verbleibende Fall stehe im Zusammenhang mit einer Allergie. Die Häufung von UAW-Meldungen in den Jahren 2001 und 2002 sei zudem durch die aktive negative Informationspolitik des BfArM zu erklären. Im Gegensatz zum BfArM habe die schweizerische Behörde nicht auf Vorlage präklinischer Studien bestanden, sondern nur eine Anwendungsbeobachtung gefordert, die jedoch wegen des deutschen Kava-Kava-Verbots abgebrochen worden sei. In den USA würden Kava-Kava-Produkte nach wie vor als Nahrungsergänzungsmittel in den Verkehr gebracht.
20Die Risiken in Betracht zu ziehender Alternativpräparate - insbesondere Benzodiazepine und Antidepressiva - seien ungleich höher als die der betroffenen Kava-Kava-Produkte. Das angestrebte Ziel der Verminderung von Therapierisiken könne mit dem Widerruf nicht erreicht werden. Anstelle des geringeren Risikos von Kava-Kava-Produkten lasse das BfArM zu, Arzneimittel einzusetzen, deren Anwendung für die Patienten mit weit größeren Risiken verbunden sei. Noch bis zum Jahr 2001 habe das BfArM Neuzulassungen für Kava-Kava-haltige Arzneimittel erteilt.
21Mit Bescheid vom 15. Februar 2012 hat das BfArM den Widerspruch der Klägerin unter Wiederholung und Vertiefung seiner vorherigen Ausführungen zum Risiko der Anwendung Kava-Kava-haltiger Arzneimittel als unbegründet zurückgewiesen. In Deutschland seien 48 Fälle lebertoxischer Reaktionen registriert worden, von denen 26 ausreichend gut dokumentiert seien. In sieben Fällen habe eine Lebertransplantation vorgenommen werden müssen. Zwei dieser Patienten und eine Patientin ohne Lebertransplantation seien verstorben. In zwei Fällen sei die lebertoxische Reaktion nach Absetzen des Kava-Kava-Produkts zurückgegangen und bei Reexposition erneut aufgetreten. In dreizehn Fällen sei aufgrund des zeitlichen Zusammenhangs, des Fehlens lebertoxischer Faktoren und einer entsprechenden Komedikation ein Kausalzusammenhang wahrscheinlich. In einzelnen dieser Fälle sei eine synergistische Beteiligung eines anderen Arzneimittels (z.B. eines Estrogens) als möglich anzusehen, ohne dass dies die Annahme gerechtfertigt hätte, dass das Kava-Kava-Arzneimittel nicht an der hepato-toxischen Reaktion beteiligt gewesen wäre. In weiteren fünf spontan gemeldeten Fällen sei ein Kausalzusammenhang „möglich bis wahrscheinlich“ und in den restlichen Fällen „möglich“. Aus den dargestellten Fällen gehe hervor, dass Kava-Kava eindeutig das Potential zu schwerer Lebertoxizität habe. Der Effekt weise ein durchaus charakteristisches Muster auf mit einem zeitlichen Gipfel bei drei bis vier Monaten nach Medikationsbeginn und einer wahrscheinlich höheren Toxizität bei höheren Dosen.
22Zur toxikologischen Bewertung von Kava-Kava-Extrakten fehlten weiterhin nach heutigen Standards durchgeführte Tierstudien. Die Wirksamkeit der ethano-lischen Kava-Kava-Auszüge als Anxiolytikum sei unverändert als nicht belegt anzusehen. Ein Vergleich des Nutzen-Risiko-Profils mit therapeutischen Alter-nativen setze diesen Wirksamkeitsnachweis aber voraus.
23Mit Auflagenbeschluss vom 30. Oktober 2012 hat das Verwaltungsgericht der Beklagten aufgegeben, eine Zusammenstellung nebst Wirksamkeitsbelegen und Nebenwirkungsprofil von Benzodiazepin-haltigen, in Deutschland verkehrsfähigen Arzneimitteln vorzulegen, deren Anwendungsgebiet ganz oder teilweise der Indikation „Nervöse Angst-, Spannungs- und Unruhezustände“ entspricht. Zugleich hat es der Klägerin aufgegeben, darzulegen, ob und unter welchen Voraussetzungen toxikologische Untersuchungen in vivo mit dem Wirkstoff ihres Arzneimittels an einer weiteren Tierart, die nicht Nagetier ist, durchgeführt werden können.
24Die Beklagte ist diesen Auflagen nachgekommen und hat hierzu erwidert, es sei reine Spekulation und durch nichts belegt, dass Patienten nach dem Verbot von Kava-Kava auf Benzodiazepine übergegangen seien. Deren Verwendung sei durch die Hinweise an die Ärzte zum bestimmungsgemäßen Gebrauch von Benzodiazepin-haltigen Präparaten limitiert. Auch weise die Fachinformation auf den überwiegenden Einsatz dieser Arzneistoffe bei schweren Angstzuständen, Schlafstörungen sowie zur Behandlung von Muskelverspannungen und Epilepsien sowie die zeitliche Begrenzung einer Behandlung hin. Zur symptomatischen Behandlung von Angstzuständen (Leitsymptomatik: Angst, innere Unruhe, Spannungszustände) stehe der Wirkstoff Buspiron zur Verfügung, ein Serotonin ohne erhöhtes Abhängigkeitspotential, aber mit verzögertem Wirkungseintritt. Daneben hat das BfArM auf unterschiedliche Psychopharmaka, ferner auf andere pflanzliche Präparate wie Baldrian, Hopfen, Melisse, Passionsblume oder Johanniskraut verwiesen. Die von Klägerseite vertretene Annahme unterschiedlicher Risiken verschiedener Kava-Kava-Kultivare sei spekulativ, da sich die Nebenwirkungsmeldungen gleichmäßig auf die verschiedenen Kultivare und Extrakte verteilten. In einem Fall sei es sogar zu einer „positiven Rechallenge“ - einem Wiederauftreten der Nebenwirkung nach erneuter Gabe - gekommen, was eine gesicherte Kausalität begründe. Zudem habe sich in mehreren vom National Toxicology Program (NTP) der USA mit einem handelsüblichen Kava-Kava-Extrakt durchgeführten Studien ergeben, dass die Leber Hauptzielorgan toxischer und kanzerogener Effekte sei.
25Die Klägerin hat sich in ihrer Gegenäußerung zum Auflagenbeschluss gegen das Erfordernis weiterer tierexperimenteller Toxizitätsstudien gewandt und dazu ausgeführt: Das bisherige Datenmaterial habe ein hepatotoxisches Potential von Kava-Kava nicht belegen können. Nebenwirkungen seien insoweit in der Vergangenheit in erster Linie bei acetonischen Kava-Kava-Extrakten und minderwertigen Sorten aufgetreten. Unter Zugrundelegung des zutreffenden Bewertungsschemas
26wären zahlreiche Meldungen nicht auf Kava-Kava zurückzuführen. Der einzelne Fall einer Rechallenge hätte in diesem Licht unter dem Gesichtspunkt einer Allergie bewertet werden müssen. Zur Gewinnung weiterer Erkenntnisse über das Risiko am Menschen sei eine Beobachtung von Patienten im Rahmen der laufenden Behandlung geeignet (sog. Post Authorisation Safety Study, „PASS“). Entsprechendes sei vom BfArM auch im Fall von Pelargonium („V. “) akzeptiert worden. Die bestehende toxikologische Datenlage reiche aus. Es lägen allein in Deutschland Erfahrungswerte über einen Zeitraum von 100 Jahren vor. Die Klägerin verweist in diesem Zusammenhang u.a. auf eine Reihe - teils neuerer - Studien, die ein hepatotoxisches Risiko des ethanolischen Extrakts, insbesondere bei einer Anwendungsdauer von bis zu vier Wochen, nicht hätten belegen können. In den USA sei Kava-Kava nach wie vor unbeanstandet als Nahrungsergänzungsmittel verkehrsfähig. Kanzerogene Effekte seien bei Mäusen festgestellt worden; dieses Spezies-spezifische Phänomen trete in dieser Form auch bei Benzodiazepinen auf und erfordere eine Langzeitgabe sehr hoher Dosen. Zudem hätten andere Studien gezeigt, dass Kava-Kava nicht mutagen sei. Die Beklagte lasse - der Zulassungspraxis des BfArM widersprechend - bei der Auswertung der Nebenwirkungsmeldungen konsequent die erforderliche Differenzierung der Arzneimittel nach Art der Droge und Extraktionsmittel vermissen.
27Im Gegensatz zur Auffassung der Beklagten seien Benzodiazepine bei der Nutzen-Risiko-Abwägung von Kava-Kava durchaus in den Blick zu nehmen. Die Beklagte selbst benenne Benzodiazepine als risikoärmere Alternative zu Kava-Kava. Angesichts des teilweise identischen Anwendungsgebiets von Kava-Kava und mit Blick auf die Verschreibungszahlen 1998 und 1999 lasse sich feststellen, dass bei etwa jeder 10. Verordnung die Wahl auf Kava-Kava als risikoärmere Alternative zu Benzodiazepinen gefallen sei. Das von der Beklagten aufgrund des Auflagenbeschlusses vorgelegte Material belege ein erhebliches Nebenwirkungspotential von Benzodiazepinen, die in ihrer Schwere einer Hepatotoxizität entsprächen oder über diese hinausgingen, wie etwa die Gefahr einer missbräuchlichen Überdosierung und Selbsttötungen unter Zuhilfenahme von Benzodiazepinen. Auch das von der Beklagten angeführte Buspiron weise ein größeres Abhängigkeitspotential als Kava-Kava auf und sei nebenwirkungsbehaftet. Vergleichbares gelte für Antidepressiva, auch in Bezug auf Leberschädigungen. Johanniskraut zeige Wechselwirkungen zu anderen Arzneimitteln, führe zu Lichtempfindlichkeit und müsse über einen längeren Zeitraum eingenommen werden, um überhaupt eine Wirkung zu zeitigen.
28Auch bestehe eine Asymmetrie in der Risikobewertung des BfArM bei Phyto-pharmaka. Es stelle sich die Frage, warum bei einem freiverkäuflichen Arznei-mittel wie „V. “ mit dem Wirkstoff aus der Pelargoniumwurzel, das ebenfalls im Verdacht stehe, Leberschädigungen hervorzurufen, dieses Risiko in Kauf genommen werde, bei Kava-Kava jedoch trotz von den Unternehmen angebotener Transaminasen-Kontrollen, der Verschreibungspflicht und des hochwertigen Anwendungsgebiets die Zulassungen widerrufen würden.
29Die Klägerin hat beantragt,
30den Bescheid des BfArM vom 21. Dezember 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Februar 2012 aufzuheben.
31Die Beklagte hat beantragt,
32die Klage abzuweisen.
33Sie hat ihr Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren wiederholt und vertieft und ergänzend Folgendes ausgeführt: Die von der britischen Gesundheitsbehörde in ihrem Bericht aus dem Jahr 2006 aufgeführten 110 Nebenwirkungsverdachtsfälle beschränkten sich nicht auf acetonische Extrakte, sondern hätten in der Mehrzahl der Fälle ethanolische Extrakte betroffen.
34Die seitens der Unternehmen vorgelegten toxikologischen Untersuchungen seien nicht geeignet, die Risikofreiheit des Wirkstoffs zu belegen. Insbesondere geeignete Tierstudien stünden aus. Eine Kurzzeitanwendung von nur vier Wochen sei angesichts des Krankheitsbildes auch wenig realistisch. Die einschlägigen Guidelines forderten eine Studiendauer bei Nicht-Nagern von neun Monaten.
35Auch die Wirksamkeit sei nicht hinreichend belegt. Insbesondere sei die Darstellung, die Monographie der Kommission E beruhe auf einer DC-Messung, nicht belegt. Aus den Unterlagen zur Monographieerstellung der Kommission E gehe hervor, dass die Bestimmung auch zum damaligen Zeitpunkt schon mit der HPLC-Methode erfolgt sei. Die zwischenzeitliche Erhöhung der Tagesdosis über den monographiekonformen Wert von 60 bis 120 mg Kava-Pyrone hinaus sei nicht geeignet, das negative Nutzen-Risiko-Verhältnis zu ändern.
36Der Klägerin sei zwar darin zuzustimmen, dass in der Phytotherapie der arzneilich wirksame Bestandteil durch das Extraktionsmittel und das Droge-Extrakt-Verhältnis (DEV) eindeutig gekennzeichnet sei und eine Änderung des Extraktionsmittels bzw. des DEV auch zu einem anderen Wirkstoff führe. Nur die Berücksichtigung ethanolischer Extrakte reduziere aber auch das zugunsten der Klägerin vorgelegte Studienmaterial immens, da dann alle Ergebnisse zu wässrigen, acetonischen oder CO2-Extrakten nicht berücksichtigungsfähig seien.
37Die Beklagte sieht sich durch die NTP-Studie in ihrer Risikobewertung bestätigt. Dass die US-amerikanische Behörde hieraus keinen Handlungsbedarf abgeleitet habe, sei ohne Belang. Die von der Klägerin herangezogenen neueren Studien seien nicht hinreichend aussagekräftig.
38Die Möglichkeit der Anordnung von Post Authorization Safety Studies sei erst durch das 2. AMG-Änderungsgesetz vom 19. Oktober 2012 geschaffen worden.
39Das Verwaltungsgericht hat den Bescheid des BfArM vom 21. Dezember 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Februar 2012 durch Urteil vom 20. Mai 2014 aufgehoben. Zur Begründung hat es ausgeführt: Das Nutzen-Risiko-Verhältnis Kava-Kava-haltiger Arzneimittel der hier streitgegenständlichen Art erweise sich nicht als ungünstig. Wenngleich die Monographie „Piperis methystici rhizoma" der Kommission E vom 1. Juni 1990, aus der die Klägerin die Wirksamkeit Kava-Kava-haltiger Arzneimittel im Wesentlichen herleite, nicht auf einer aktuellen Erfordernissen genügenden klinischen Erprobung des Wirkstoffs beruhe, sei sie in der Folgezeit Grundlage für eine Vielzahl von Zulassungen und Nachzulassungen Kava-Kava-haltiger Präparaten gewesen, ohne dass insoweit eine sachliche Unterscheidung zwischen ethanolischen und anderen Auszügen erfolgt sei. Diese Wirksamkeitsaussage habe das BfArM im gerichtlichen Verfahren nicht substantiiert angegriffen. Auch habe sich die Kommission E noch im Jahre 2002 in Kenntnis der bekannten Risikoaspekte für die Verkehrsfähigkeit der Produkte unter dem Vorbehalt bestimmter Sicherheitsmaßnahmen ausgesprochen. Vor diesem Hintergrund könne den vom Widerruf betroffenen Arzneimitteln ungeachtet ihrer Dosierung nicht jede Wirksamkeit von vornherein abgesprochen werden. Wegen des abweichenden Prüfungsmaßstabs des § 30 Abs. 1 AMG komme es auf die Frage, ob die Wirksamkeit Kava-Kava-haltiger Arzneimittel in einer den Anforderungen des § 22 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, Abs. 3 AMG genügenden Weise begründbar sei, nicht an.
40Dem durch die Zulassungsbescheide belegten Nutzen der Präparate in den Anwendungsgebieten „nervöse Angst, Spannungs- und Unruhezustände" stünden Anwendungsrisiken in Gestalt hepatotoxischer Ereignisse gegenüber. Die in dem Bericht der WHO dokumentierten Fälle lebertoxischer Reaktionen seien im Rahmen einer quantitativen Gewichtung angesichts der weiten Verbreitung Kava-Kava-haltiger Arzneimittel als „selten" oder „sehr selten" auftretende Nebenwirkungen auszuweisen. Dabei sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin nachvollziehbar dargelegt habe, dass in die Berichte der WHO und der MHRA auch Meldungen aus Deutschland eingeflossen seien und deswegen eine doppelte Berücksichtigung ein und desselben Ereignisses nahe liege. Inhaltlich sei das zu den hepatotoxischen Nebenwirkungen vorliegende Zahlenmaterial nicht konsistent. Das aus Großbritannien ausgewertete Zahlenmaterial beziehe sich auf die Anwendung von Kava-Kava in einem anderen Anwendungsgebiet, nämlich Blasenerkrankungen. Zudem erschwere die Multikausalität von Leberschädigungen die Zuordnung zu einer bestimmten Medikamentengabe. Die Klägerin habe nachvollziehbar dargelegt, dass es auch in sog. „Rechallenge-Fällen" einer Dokumentation der Komedikation bedürfe, um eine tragfähige Wahrscheinlichkeitsaussage treffen zu können. In der vorliegenden Gestalt lasse das Zahlenmaterial nur die Aussage einer möglichen Verknüpfung von Nebenwirkungen durch Kava-Kava-Gabe zu. Dies gelte auch für ethanolische Extrakte.
41Im Rahmen der Bewertung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses hat das Verwaltungsgericht zunächst darauf hingewiesen, dass das monographierte Anwendungsgebiet „nervöse Angst, Spannungs- und Unruhezustände" sich mit dem für Benzodiazepine zugelassenen Anwendungsgebiet überschneide. Obwohl es sich bei Letzteren um zugelassene und verschreibungspflichtige Arzneimittel handele, gingen von diesen Wirkstoffen erhebliche Gefahren aus. Es bestehe schon bei therapeutischen Dosierungen ein sehr hohes Abhängigkeitspotential. Benzodiazepine würden weltweit als Medikamente mit der höchsten Missbrauchsrate gelten. Seit 2002 habe es für Benzodiazepine insgesamt 4.478 UAW-Meldungen gegeben, die sich über eine Vielzahl von unerwünschten Nebenwirkungen erstreckten und - soweit schwer - bei Suizidversuchen und Suchtmissbrauch deutliche Spitzen aufwiesen, vereinzelt aber auch Leberschädigungen zeigten. Vor diesem Hintergrund könne nicht von einer risikoärmeren Alternative zu Kava-Kava-haltigen Arzneimitteln ausgegangen werden. Das gelte in abgeschwächter Form auch für das vom BfArM angeführte Buspiron und die erwähnten Antidepressiva. Zudem seien im Rahmen einer am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und dem Übermaßverbot orientierten Nutzen-Risiko-Abwägung andere regulatorische Maßnahmen zur Risikominimierung zu berücksichtigen, die eine weitere Verkehrsfähigkeit der Produkte ohne unvertretbare Gefahren für die öffentliche Gesundheit gewährleisteten. Hierzu zählten die Verschreibungspflicht, Gegenanzeigen, Anwendungsbeschränkungen, eine ausdrückliche Beschränkung der Anwendungsdauer sowie eine begleitende regelmäßige Erhebung der Leberwerte. Hinzu trete die nunmehr gemäß § 28 Abs. 3b Satz 1 Nr. 2 AMG auch nach Erteilung der Zulassung bestehende Möglichkeit der Bundesoberbehörde, im Wege der Auflage anzuordnen, Unbedenklichkeitsprüfungen durchzuführen, wenn dies im Interesse der Arzneimittelsicherheit erforderlich sei. Angesichts des Umstandes, dass bislang die Anhaltspunkte für ein hepatotoxisches Risiko der streitbefangenen Produkte nicht mit der genügenden Sicherheit hätten verifiziert werden können, wäre eine solche nachgelagerte Erprobung bei fortbestehender Marktfähigkeit unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten naheliegend und das gegenüber dem Widerruf mildere Mittel.
42Die Beklagte hat die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung eingelegt und zur Begründung im Wesentlichen geltend gemacht: Die Möglichkeit, eine Unbedenklichkeitsstudie anzuordnen, bestehe nicht. Das materielle Recht, insbesondere § 28 Abs. 3b Satz 1 Nr. 2 AMG, eröffne nicht die Möglichkeit, nach Zulassung eine Unbedenklichkeitsstudie anzuordnen. Es bestehe kein Ansatz dafür, dass die Vorschrift auf vor ihrem Inkrafttreten eingeleitete (und abgeschlossene) Risikoverfahren Anwendung finde. Das Verwaltungsgericht habe zutreffend festgestellt, dass die aktuelle Bewertung der Wirksamkeit des Arzneimittels ein maßgeblicher Abwägungsbelang bei der Bewertung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses sei. Die Wirksamkeit Kava-Kava-haltiger Arzneimittel sei bereits bei Erstellung der Monographie der Kommission E fraglich gewesen. Wegen der geringen Bedeutung von Kava-Kava sei zunächst eine Negativmonographie erstellt worden. Die von der Kommission E in Bezug auf die Wirksamkeit angenommene Plausibilität würde und könnte unter den heutigen rechtlichen Rahmenbedingungen zu einer traditionellen Registrierung gemäß § 39c AMG führen, womit allerdings eine sehr viel kritischere Nutzen-Risiko-Bewertung einhergehe. Schon zum Zeitpunkt der Stufenplanentscheidung hätten dem BfArM keine Studien vorgelegen, die eine Wirksamkeit ausreichend belegt hätten. Das Herbal Medicinal Product Commitee (HMPC) habe in einer öffentlichen Stellungnahme „Piperis methystici rhizoma“ als einen der Wirkstoffe benannt, für die die Erstellung einer Positivmonographie nicht erfolgversprechend erscheine. Das angegriffene Urteil überspanne die Anforderungen an den Verdachtsgrad schädlicher Nebenwirkungen. Wenn - wie vorliegend - eine größere Anzahl von Verdachtsfällen zusammenkomme, ergebe sich der begründete Verdacht des Auftretens unvertretbarer schädlicher Wirkungen mit zumindest möglicher Kausalität. Da es sich hier um sehr schwerwiegende Nebenwirkungen mit ernsten Konsequenzen gehandelt habe, seien zum Schutz der Patienten einschneidende Maßnahmen gerechtfertigt gewesen. Die vom Gericht beanstandete fehlende Häufigkeit der Nebenwirkungen sei aus den Daten der Spontanerfassung bekanntermaßen nicht verlässlich ableitbar. Insoweit sei insbesondere die hohe Dunkelziffer zu berücksichtigen. Quantitative Aussagen zur Häufigkeit von Nebenwirkungen seien nur durch Studien mit systematischer Datenerfassung und ausreichender Anzahl eingeschlossener Patienten zu treffen. Entscheidend sei das Vorliegen einer Reihe von Fällen schwerwiegender Nebenwirkungen, bei denen ein kausaler Zusammenhang mit der Anwendung von Kava-Kava-haltigen Arzneimitteln zumindest möglich erscheine. Dieser sei nach den dem BfArM vorliegenden - im Folgenden nochmals zusammengefassten - Erkenntnissen gegeben. Daraus gehe hervor, dass Kava-Kava eindeutig das Potential zu schwerer Lebertoxizität habe, wobei auch idiosynkratische Leberschädigungen eine denkbare Erklärungsmöglichkeit seien. Die Darstellung der Klägerin zu Inzidenzraten bleibe unklar. An der Arbeit von Teschke et al. sei auffällig, dass der Kausalzusammenhang in 13 Fällen wegen anderer nicht medikamentöser Ursachen verneint worden sei und dies in drei beispielhaft aufgeführten Fällen nicht mit den differenzialdiagnostischen Feststellungen der Ärzte, von denen diese Fallberichte stammten, in Einklang stehe. In der bisherigen Diskussion zu Noble-Kava und den zu erwartenden Qualitätsunterschieden habe die Klägerin bislang nicht belegt, welche Kava-Qualität sie in den 80er/90er Jahren verwendet habe. Es sei auch nicht dargelegt, ob die klinischen Studien, die der damaligen Zulassung zugrunde lagen, ausschließlich mit Noble-Kava durchgeführt worden seien.
43Auch wenn der für die NTP-Studie verwendete Extrakt mit überkritischem Kohlendioxyd nicht mit den ethanolischen Extrakten vergleichbar sei - was sich angesichts der 96%igen Ethanolkonzentration jedoch diskutieren ließe -, seien die dort gewonnenen Schlussfolgerungen als Hintergrundinformation bei der Bewertung mit einzubeziehen. Mit Bezug auf den Mechanismus der Hepatotoxizität seien zudem die Ergebnisse weiterer im Einzelnen aufgeführter Publikationen aus den Jahren 2011 und 2012 zu berücksichtigen.
44Die Nutzen-Risiko-Abwägung des Verwaltungsgerichts verdiene Kritik. Die dort angeführte Überschneidung der Anwendungsgebiete von Benzodiazepin- und Kava-Kava-haltigen Arzneimitteln wiege die Unterschiede beider Arzneimittel nicht auf. Vielmehr sei mit Blick auf etwaige Behandlungsalternativen insbesondere die interdisziplinäre S3-Leitlinie „Behandlung von Angststörungen" in den Blick zu nehmen. Benzodiazepine zählten danach weder zu den Arzneimitteln der ersten noch der zweiten Wahl für die Angstbehandlung. Dazu zählten demgegenüber selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer, Pregabalin, Buspiron, Opipramol, Hydroxyzin und damit Arzneimittel mit einem guten Nutzen-Risiko-Verhältnis. Abgesehen davon handele es sich bei der mit einer Behandlung mit Benzodiazepinen vielfach auftretenden Abhängigkeit um eine Niedrigdosisabhängigkeit, die keine Abhängigkeit im eigentlichen Sinne sei. Das Verwaltungsgericht setze sich auch in Widerspruch zu den von ihm selbst aufgestellten Kriterien, wenn es die missbräuchliche Verwendung von Benzodiazepinen in die Abwägung einfließen lasse. Darüber hinaus stünden auch aus dem Bereich der pflanzlichen Arzneimittel Behandlungsalternativen, etwa Baldrianwurzelzubereitungen oder Lavendelöl, zur Verfügung. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung habe das Verwaltungsgericht zu Unrecht nicht berücksichtigt, dass dem Widerruf die Anordnung des Ruhens als milderes Mittel vorausgegangen sei. Die Widerrufsentscheidung habe darauf beruht, dass die Zulassungsinhaber nicht bereit gewesen seien, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen bzw. weiteres wissenschaftliches Erkenntnismaterial vorzulegen. Auch wenn man die geänderte Rechtslage zugrundelegte, wäre die Anordnung einer Unbedenklichkeitsstudie kein gleich geeignetes, erst recht kein milderes Mittel. Denn sie lasse nicht den Versagungsgrund des ungünstigen Nutzen-Risiko-Verhältnisses entfallen, sondern diene allein dem Gewinn neuer Erkenntnisse und der Erforschung der Risiken. Folglich führe eine solche Studie nicht zu einer Risikominimierung und wirke sich deswegen nicht positiv auf das Nutzen-Risiko-Verhältnis aus. Das Risikoverfahren zu pelargoniumwurzelhaltigen Arzneimitteln sei mit dem vorliegenden Verfahren nicht vergleichbar und müsse differenziert bewertet werden.
45Die Beklagte beantragt,
46das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 20. Mai 2014 zu ändern und die Klage abzuweisen.
47Die Klägerin beantragt,
48die Berufung zurückzuweisen.
49Zur Begründung führt sie aus: Nach dem im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung geltenden materiellen Recht hätte die Beklagte die Durchführung einer PASS anordnen können. Zudem sei es eine stets geübte Praxis des BfArM gewesen, auf der Grundlage von § 30 AMG i. V. m. § 36 VwVfG entsprechende Anordnungen zu treffen. Die Ausführungen der Beklagten zur Nutzen-Risiko-Bewertung des Verwaltungsgerichts seien nicht überzeugend. Nach Erstellung der Monographie der Kommission E habe sich die Erkenntnislage eindeutig zu Gunsten von Kava-Kava verbessert. Das BfArM habe dies dadurch bestätigt, dass es gestützt auf diese Monographie und die nachfolgend publizierten klinischen Prüfungen sehr viele Zulassungen für Kava-Kava-haltige Arzneimittel erteilt habe und zwar mit einem Status nach § 22 Abs. 3 AMG. Die von der Beklagten zitierte öffentliche Stellungnahme des HMPC führe zu keiner anderen Bewertung der Wirksamkeit von Kava-Kava. Die darin enthaltenen Aussagen beträfen traditionelle pflanzliche Arzneimittel, die nicht verschreibungspflichtig seien, und könnten nicht auf die hier streitbefangenen verschreibungspflichtigen Arzneimittel erstreckt werden. In Bezug auf die in Rede stehenden Nebenwirkungen sei zwischen Kava-Kava-Präparaten aus Noble-Kava mit ethanolischem Extrakt und solchen aus Two-Day-Kava mit acetonischem Extrakt zu unterscheiden. Bei Ersteren ergebe sich aus den vorliegenden Erkenntnissen allenfalls ein schwacher Verdacht für Nebenwirkungen. Im Zusammenhang mit möglichen Behandlungsalternativen führe die Beklagte Arzneimittel an, die für andere Anwendungsgebiete zugelassen seien als Kava-Kava, und verharmlose überdies das bei einer Behandlung mit Benzodiazepinen bestehende Abhängigkeitsrisiko. Entsprechendes gelte mit Bezug auf die in der interdisziplinären S3-Leitlinie zur Behandlung von Angststörungen aufgeführten Arzneimittel. Die von der Beklagten als Behandlungsalternative benannten pflanzlichen Arzneimittel deckten nicht die gleichen Erkrankungen ab. Entgegen der Auffassung der Beklagten bestehe bei Pelargoniumwurzelpräparaten und Kava-Kava-Präparaten in fachlich-medizinischer Hinsicht eine vergleichbare Situation. Insofern sei es bemerkenswert, dass das BfArM nur bei Ersteren, nicht hingegen bei Letzteren die Möglichkeit gesehen habe, eine PASS durchzuführen.
50Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten.
51Entscheidungsgründe:
52Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg. Sie ist zulässig, aber unbegründet.
53Das Verwaltungsgericht hat der Klage im Ergebnis zu Recht stattgegeben. Der
54Widerrufsbescheid des BfArM vom 21. Dezember 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. Februar 2012 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
55Die Voraussetzungen für einen Widerruf der Zulassung der Arzneimittel Kava N. Kapseln, B. 120 mg Tabletten, Kava-N1. Tabletten, T. Tabletten und X. Tabletten sind nicht erfüllt.
56Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Widerrufsbescheides ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung der Tatsacheninstanz, hier also der Berufungsverhandlung, entscheidend. Der maßgebliche Zeitpunkt der Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Verwaltungsakts richtet sich nach dem jeweiligen materiellen Recht. Für die Anfechtungsklage gilt im Allgemeinen, dass die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung maßgeblich ist, es sei denn, das materielle Recht regelt etwas Abweichendes.
57Vgl. BVerwG, Urteile vom 28. Juli 1989 - 7 C 39.87 -, juris, Rn. 8, und vom 1. Juni 2011 - 8 C 4.10 -, juris, Rn. 19.
58Letzteres muss nicht zwingend in Gestalt einer ausdrücklichen fachgesetzlichen Regelung zum Ausdruck kommen, sondern kann sich auch aus dem Sinn und Zweck des jeweils einschlägigen Normgefüges ergeben.
59Vgl. Wolff, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Auflage, 2014, § 113, Rn. 96.
60Dies ist hier der Fall. Einerseits erfordert der in § 1 AMG niedergelegte Gesetzeszweck der Arzneimittelsicherheit - wie das Verwaltungsgericht bereits zutreffend festgestellt hat - die Berücksichtigung von Änderungen der Sach- und Rechtslage nach der letzten behördlichen Entscheidung.
61Vgl. OVG NRW, Urteil vom 29. Januar 2014 - 13 A 2730/12 -, juris, Rn. 28 f.
62Andererseits gebietet dies die besondere Eingriffsintensität des Widerrufs in die Grundrechte der pharmazeutischen Unternehmer. Denn die Wiedererlangung der Zulassung ist nach deren bestandskräftigem Widerruf erheblich erschwert. Das folgt daraus, dass die Versagungsgründe des § 25 Abs. 2 AMG nicht deckungsgleich mit den Widerrufsgründen des § 30 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AMG sind. Insbesondere ist der Widerruf der Zulassung nicht vorgesehen, wenn der Versagungsgrund des § 25 Abs. 2 Nr. 2 AMG nachträglich eingetreten ist, also dann, wenn das Arzneimittel nicht nach dem jeweils gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse ausreichend geprüft worden ist oder das andere wissenschaftliche Erkenntnismaterial nach § 22 Abs. 3 AMG nicht dem jeweils gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis entspricht. Angesichts dessen ist es unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten geboten, für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Widerrufs auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen. Bestätigt wird dies durch den in § 30 Abs. 2a AMG zum Ausdruck kommenden Rechtsgedanken einer gegenüber dem Widerruf vorrangigen Anpassung der Zulassung nach Maßgabe der jeweils geltenden Sach- und Rechtslage.
63Die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Widerrufs der Zulassung richtet sich deswegen nach § 30 Abs. 1, 2a AMG in der Fassung vom 19. Dezember 2012. Nach § 30 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AMG ist die Arzneimittelzulassung zu widerrufen, wenn der Versagungsgrund des § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AMG nachträglich eingetreten ist, das heißt, wenn sich das Nutzen-Risiko-Verhältnis des Präparats nachträglich als ungünstig erweist. Gemäß § 30 Abs. 2a Satz 1 1. Alt. AMG ist die Zulassung zu ändern, wenn dadurch der in Absatz 1 genannte betreffende Versagungsgrund entfällt. Ein Widerruf der Zulassung ist danach nur gerechtfertigt, wenn das Nutzen-Risiko-Verhältnis eines Arzneimittels ungünstig ist und dem durch eine Änderung der Zulassung nicht abgeholfen werden kann. Die Zulassungsänderung hat damit bei Vorliegen eines Versagungsgrundes Vorrang gegenüber dem Widerruf, mit der Folge, dass dieser rechtswidrig ist, wenn die Voraussetzungen des § 30 Abs. 2a AMG erfüllt sind.
64Vgl. zu § 30 AMG a.F. Krüger, in: Kügel/Müller/ Hoffmann, Arzneimittelgesetz, 2012, § 30, Rn. 34.
65Das ist hier der Fall. Das Nutzen-Risiko-Verhältnis der streitbefangenen Präparate ist derzeit ungünstig (I.). Dies rechtfertigt aber nicht den Widerruf der Zulassungen, weil dieser Versagungsgrund bereits durch deren Änderung ausgeräumt werden kann (II.).
66(I.) Das Nutzen-Risiko-Verhältnis umfasst nach § 4 Abs. 28 AMG eine Bewertung der positiven therapeutischen Wirkungen des Arzneimittels im Verhältnis zu dem Risiko nach Absatz 27 lit. a. Dies ist jedes Risiko im Zusammenhang mit der Qualität, Sicherheit oder Wirksamkeit des Arzneimittels für die Gesundheit der Patienten. Mit dem Begriff des Risikos wird ebenso wie bei der früheren Gesetzesfassung des § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AMG jede Art von schädlichen Wirkungen erfasst, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen. Nach der bis zum 5. September 2005 geltenden Vorschrift durfte die Zulassung versagt werden, wenn bei dem Arzneimittel der begründete Verdacht bestand, dass es bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen hat, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen (vgl. auch § 5 Abs. 2 AMG). Mit der Änderung des Wortlauts des § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AMG, die der Angleichung an die Richtlinienvorgaben diente, ist keine inhaltliche Änderung verbunden. Beide Fassungen erstrecken sich auf jegliche Nebenwirkungen. Unter Nebenwirkungen sind die beim bestimmungsgemäßen Gebrauch eines Arzneimittels auftretenden schädlichen unbeabsichtigten Reaktionen zu verstehen (§ 4 Abs. 13 AMG), also nicht nur pharmakologisch-toxikologische Wirkungen, sondern jedwede unerwünschte Folge. Der erforderliche Verdacht schädlicher Wirkungen liegt vor, wenn ernstzunehmende Erkenntnisse den Schluss nahelegen, dass das Arzneimittel unvertretbare Nebenwirkungen hat.
67Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. November 2009 - 3 C 10.09 -, NVwZ-RR 2010, 330 = juris, Rn. 32 ff., sowie Beschluss vom 12. Juni 2012 - 3 B 88.11 ‑, juris, Rn. 3; OVG NRW, Urteile vom 7. November 2012 - 13 A 2710/08 -, juris, Rn. 39 ff. und vom 29. Januar 2014 - 13 A 2730/12 - , juris, Rn. 34; BT-Drs. 15/5316, S. 38.
68Dafür bedarf es keines positiven Nachweises der kausalen Beziehung zwischen der Einnahme des Arzneimittels und aufgetretenen Nebenwirkungen, weil dies dem Gebot der Arzneimittelsicherheit zuwiderlaufen würde.
69Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. April 2007 - 3 C 36.06 ‑, Pharma Recht 2007, 423 = NVwZ-RR 2007, 774; OVG NRW, Beschluss vom 17. September 2009 - 13 A 1428/08 -, juris, Rn. 11; OVG Berlin, Urteil vom 16. September 1999 - 5 B 34.97 -, juris, Rn. 17; Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht, Kommentar, Stand: 2012, § 25, Rn. 76, m. w. N.
70Insbesondere dann, wenn schwere Gesundheitsgefahren in Rede stehen, reicht es aus, wenn die entfernte Möglichkeit einer Risikoverwirklichung besteht.
71Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 17. September 2009 - 13 A 1428/08 -, juris, Rn. 13.
72Ein ungünstiges Nutzen-Risiko-Verhältnis folgt nicht bereits daraus, dass die bezweckte therapeutische Wirksamkeit eines Arzneimittels nicht (mehr) belegt ist. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, begründen Zweifel an der Wirksamkeit oder eine unzureichende Wirksamkeitsbegründung nicht automatisch die Annahme eines ungünstigen Nutzen-Risiko-Verhältnisses und rechtfertigen daher für sich genommen nicht die Aufhebung der Zulassung, die nur auf die feststehende fehlende Wirksamkeit gestützt werden kann (vgl. § 30 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AMG).
73Vgl. dazu Krüger, in: Kügel/Müller/Hoffmann, Arzneimittelgesetz, 2012, § 30, Rn. 15.
74Nach aktuellem Erkenntnisstand bestehende Zweifel an der Wirksamkeit eines Arzneimittels sind für die im Rahmen des § 30 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2, § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AMG zu treffende Prognoseentscheidung gleichwohl von Bedeutung. Denn unter der Voraussetzung, dass die insoweit darlegungs- und materiell beweispflichtige Behörde sie konkret begründet hat, bilden sie einen Abwägungsbelang, der auf dritter Stufe bei der Abwägung des festgestellten Nutzens und der Risiken eines Arzneimittels zu berücksichtigen ist.
75Vgl. OVG NRW, Urteil vom 29. Januar 2014 - 13 A 2730/12 -, juris, Rn. 43.
76Hierbei sind Gesichtspunkte wie Indikation, Schwere des zu behandelnden Defekts, Behandlungsnotwendigkeit, Chancen eines Behandlungserfolges sowie eventuelle Behandlungsalternativen gegen solche wie Schweregrad und Häufigkeit der unerwünschten Nebenwirkung, die Rückbildungswahrscheinlichkeit (Reversibilität), mutmaßliche Gegenmaßnahmen und Suchtpotential im Sinne einer Vertretbarkeitsentscheidung gegeneinander abzuwägen.
77Vgl. zu den Abwägungskriterien: Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht, Kommentar, Stand 2012, § 25 Rn. 77; Kügel, in: Kügel/Müller/Hoffmann, Arzneimittelgesetz, § 25, Rn. 56.
78Voraussetzung für den Widerruf ist, dass die mit dem Verdacht schädlicher Wirkungen verbundenen Risiken gegenüber dem therapeutischen Nutzen des Arzneimittels überwiegen.
79Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. April 2007 - 3 C 36.06 -, Pharma Recht 2007, 423 = NVwZ-RR 2007, 774.
80Die materielle Beweislast für das Vorliegen sämtlicher tatbestandlichen Voraussetzungen des den Widerruf der Zulassung auslösenden Versagungsgrundes trägt die Beklagte,
81vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Oktober 1993 - 3 C 46.91 -, juris, Rn. 31; Kügel, in: Kügel/Müller/ Hoffmann, Arzneimittelgesetz, 2012, § 25, Rn. 58,
82mit der Folge, dass insoweit verbleibende Zweifel zu ihren Lasten gehen und sie das Risiko der Unaufklärbarkeit des Sachverhalts trägt.
83Hiervon ausgehend gilt für die Bewertung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses der hier streitgegenständlichen Arzneimittel Folgendes:
84(1) Kernkriterium für die Bewertung des Nutzens eines Arzneimittels ist seine therapeutische Wirksamkeit. Diese ist für die Präparate B. 120 mg Tabletten, Kava-N1. Tabletten, T. Tabletten und X. Tabletten mit einer Tagesdosierung entsprechend 120 bis 240 mg Kava-Pyrone und für das Präparat Kava N. Kapseln mit einer Tagesdosierung von 150 bis 200 mg Kava-Pyrone zu bejahen. Mit dieser Dosierung sind B. 120 mg Tabletten, Kava-N1. Tabletten, T. Tabletten und X. Tabletten und gelten Kava N. Kapseln als zugelassen. Für die zuerst genannten Präparate folgt dies aus § 29 Abs. 2a Satz 1 Nr. 1, Satz 3 AMG. Die Klägerin hat die Erhöhung der Dosierung dafür nebst entsprechender Änderung der Gebrauchs- und Fachinformationen durch Änderungsanzeigen vom 7. April 2011 angezeigt. Die Beklagte hat den Änderungsanzeigen nicht innerhalb der Dreimonatsfrist widersprochen, was zur Folge hat, dass die Zustimmung als erteilt gilt (§ 29 Abs. 2a Satz 3 AMG). Für das Präparat Kava N. Kapseln, für das bislang keine Nachzulassung erteilt wurde, hat die Klägerin ebenfalls eine Dosierungsänderung angezeigt, die mangels bestehender Genehmigungspflicht zu einer entsprechenden Modifizierung der fiktiven Zulassung geführt hat (vgl. § 105 Abs. 3a Satz 1 AMG). Unschädlich ist insoweit, dass die Änderungsanzeigen erst im laufenden Widerspruchsverfahren gestellt worden sind. Denn der sofortige Vollzug des Widerrufs berührt die Wirksamkeit der Zulassungen nicht.
85Die Wirksamkeit der streitgegenständlichen Präparate wird weder durch das erstinstanzliche Vorbringen der Beklagten noch durch ihr Vorbringen im Berufungsverfahren durchgreifend in Zweifel gezogen.
86Mit ihrer Monographie „Piperis methystici rhizoma“ („Kava-Kava-Wurzelstock“) vom 1. Juni 1990 hat die Kommission E die anxiolytische, also angstlösende Wirkung des Wirkstoffs für die Anwendungsgebiete „Nervöse Angst-, Spannungs- und Unruhezustände“ unter Angabe einer Tagesdosis von Droge und Zubereitung entsprechend 60-120 mg Kava-Pyrone festgestellt. In weitgehender Übereinstimmung damit steht die Aussage der entsprechenden im Jahr 2003 veröffentlichten Monographie der European Scientific Cooperative on Phytotherapy (ESCOP), des europäischen Dachverbandes der nationalen Gesellschaften für Phytotherapie. Darin ist als Anwendungsgebiet „Anxiety, tension and restless-ness arising from various causes of non psychotic origin“ mit einer Tagesdosie-rung von 60-120 mg Kavalactonen angegeben.
87Vgl. ESCOP Monographs, 2003, The scientific foundation for herbal medicinal products, S. 365 ff.
88Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kommt den von den unterschiedlichen Kommissionen aufgestellten Kriterien und Empfehlungen die Qualität antizipierter Sachverständigengutachten zu.
89Vgl. BVerwG, Urteile vom 19. November 2009 - 3 C 10.09 -, juris, Rn. 25, und vom 16. Oktober 2008 - 3 C 24.07 -, juris, Rn 20.
90Sie geben den jeweiligen wissenschaftlichen Erkenntnisstand wieder und sind einer Neubewertung zugänglich. Stellungnahmen der Kommissionen sind anderes wissenschaftliches Erkenntnismaterial im Sinne des § 22 Abs. 3 AMG. Die Zulassungsbehörde ist nicht an die in der Monographie getroffene Aussage gebunden.
91Kügel, in: Kügel/Müller/Hoffmann, Arzneimittelgesetz, 2012, § 25, Rn. 177.
92Da sachverständige Feststellungen bei besserer Erkenntnis ersetzt werden können (und müssen), darf die Kommission von früheren Feststellungen in Aufbereitungsmonographien abweichen.
93Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. November 2009 - 3 C 10.09 -, juris, Rn. 27.
94Handelt es sich dabei um allgemeine Aussagen, sind diese als sachverständige Äußerung zu bewerten.
95Vgl. dazu Kügel, in: Kügel/Müller/Hoffmann, Arzneimittelgesetz, 2012, § 25, Rn. 178.
96Die Kommission E verfügt über besondere Sach- und Fachkunde. Hieraus und nicht zuletzt deswegen, weil es sich dabei um ein neutrales Sachverständigengremium handelt, folgt die besondere Bedeutung ihrer Stellungnahmen. Die Mitglieder der Kommission E sind Sachverständige mit besonderen Kenntnissen der wissenschaftlichen und/oder praktischen Phytotherapie. Die Kommission ist interdisziplinär mit Experten für Toxikologie, experimentelle Pharmakologie, Biometrie, pharmazeutische Biologie sowie Ärzten und Heilpraktikern, die Phyto-pharmaka praktisch einsetzen, zusammengesetzt. Diese werden alle drei Jahre von Verbänden der Fachrichtung vorgeschlagen und vom Bundesgesundheitsministerium benannt.
97Vergleichbares gilt bezogen auf die Monographien der ESCOP. Wenngleich sie keinen gesetzlichen Standard definieren, dienen sie dazu, die beste verfügbare wissenschaftliche Evidenz auf der Basis der aktuellen Literatur zusammenzustellen
98Vgl. Pharmazeutische Zeitung online „Monographien als Richtschnur“ 13/2014, abrufbar unter: http://www.pharmazeutische-zeitung.de/ index.php?id=51461.
99Die Beklagte hat die Monographie der Kommission E aus 1990 im Zulassungsverfahren als Wirksamkeitsbeleg zugrunde gelegt, ohne weitere Erkenntnisse zu fordern oder beizuziehen. Angesichts dessen sieht der Senat keine Veranlassung, die Wirksamkeit des Arzneimittels bezogen auf diesen Zeitpunkt anzuzweifeln, zumal die Beklagte in dem angegriffenen Bescheid selbst konstatiert, dass das Votum der Kommission E dem Erkenntnisstand der frühen 1990er Jahre entsprochen habe.
100Demgegenüber fehlen Vortrag und Anhalt dafür, dass dieser Erkenntnisstand durch neuere Erkenntnisse, die ernsthafte Zweifel an der Wirksamkeit Kava-Kava-haltiger Arzneimittel begründen, überholt ist. Im Gegenteil: Die Kommission E hat sich aufgrund der Einleitung des Stufenplanverfahrens und nach näherer Befassung mit der Angelegenheit veranlasst gesehen, in einer Anfang des Jahres 2002 verfassten öffentlichen Erklärung mitzuteilen, dass ihre Mitglieder nach wie vor von den vorgelegten wissenschaftlichen Daten zur Wirksamkeit von Kava-Kava überzeugt seien. Das impliziert, dass zum damaligen Zeitpunkt aus Expertensicht keine abweichenden neuen Erkenntnisse vorlagen. Nichts spricht dafür, dass die Kommission E zwischenzeitlich angesichts aktuellerer Forschungsergebnisse von diesem Standpunkt abgerückt ist. Insbesondere hat sie bis heute keine anderslautende Stellungnahme abgegeben. Entsprechendes gilt für die ESCOP. Die für „Piperis methystici rhizoma“ erstellte Monographie gehörte zu den ersten 80 Monographien, die die ESCOP im Jahr 2003 veröffentlicht hat.
101Vgl. ESCOP Monographs, 2003, The scientific foundation for herbal medicinal products, S. 365 ff.
102Obgleich die ESCOP ihre Monographien regelmäßig überarbeitet und aktualisiert, hat diejenige für „Piperis methystici rhizoma“ bislang keine Änderung erfahren.
103Hinzu kommt, dass die WHO in ihrem Bericht aus dem Jahr 2007 (Coulter et al., „Assessment of the risk of hepatotoxicity with kava products“) offensichtlich ebenfalls von der Wirksamkeit von Kava-Kava ausgeht. Dort heißt es, 16 gut kontrollierte Doppelblindstudien hätten die angstlösende Wirkung von Kava-Kava gezeigt (vgl. Tabelle 3, S. 6, 11). Diese Bewertung entspricht der mit dem Ziel der Untersuchung Kava-Kava-haltiger Arzneimittel durchgeführten Metaanalyse einer Reihe randomisierter placebokontrollierter Doppelblindstudien von Pittler und Ernst (zuletzt, „Kava extract versus placebo for treating anxiety“, 2003). Diese hat zur Wirksamkeit der Behandlung von Angststörungen, gemessen an den Kriterien der Hamilton Anxiety Scale (HAMA) die Überlegenheit Kava-Kava-haltiger Arzneimittel gegenüber Placebopräparaten ergeben. Eventuelle Mängel der analysierten Einzelstudien vermögen die Indizwirkung des Ergebnisses der Metaanalyse im Zusammenhang mit dem weiteren Erkenntnismaterial nicht zu entkräften.
104Letztlich konzediert die Beklagte selbst eine - wenngleich dosisabhängige - Wirksamkeit, wenn es in dem angefochtenen Bescheid heißt, bei Dosierungen oberhalb von 120 mg Kava-Pyrone pro Tag bestehe ein gewisser Anhalt für eine Wirksamkeit in den beanspruchten Indikationen. Angesichts dessen sind Wirksamkeitszweifel auch nicht etwa deswegen angezeigt, weil die Dosierung der streitgegenständlichen Präparate - worauf noch einzugehen sein wird - über die Monographieempfehlung hinaus geht, zumal das übrige in das Verfahren eingeführte Erkenntnismaterial hierfür ebenfalls keinen Anknüpfungspunkt bietet. Hinzu kommt, dass aus dem angefochtenen Bescheid hervorgeht, dass die Wirksamkeitszweifel des BfArM nicht auf tatsächliche Anhaltspunkte gestützt sind, wenn es darin heißt, aus den Ausführungen zur Wirksamkeit ergäben sich keine neuen Erkenntnisse gegenüber dem früheren Kenntnisstand (Widerspruchsbescheid vom 15. Februar 2012, S. 6).
105Angesichts dieser Erkenntnissituation vermag der Umstand, dass das vorliegende Studienmaterial heute nicht in jeder Hinsicht den speziell für Angsterkrankungen entwickelten Anforderungen der Guidelines der European Medicines Agency (EMA) entspricht, keine nachhaltigen Zweifel am Nutzen der Präparate zu wecken. Das gilt bereits bei einer monographiekonformen Dosierung. Da die Kommission E eine Dosierung oberhalb von 120 mg Kava-Pyrone nicht vorgegeben hat, kommt es hinsichtlich der Frage der Wirksamkeit auf die unterschiedlichen Auffassungen der Beteiligten hinsichtlich der jeweils zugrunde liegenden Berechnungsgrundlagen nicht entscheidungserheblich an.
106Soweit die Beklagte die Auffassung vertritt, aus der nicht zureichend belegten Wirksamkeit resultierten automatisch Wirksamkeitszweifel, ist dieser Rückschluss ohne das Hinzutreten tatsächlicher Anhaltspunkte für solche Zweifel nicht gerechtfertigt. Denn in der Konsequenz würde dies in einer nicht überschaubaren Anzahl von Fällen dazu führen, dass während der Geltungsdauer einer Zulassung die Wirksamkeit eines Arzneimittels fortlaufend neu zu belegen wäre. Überdies geht der Senat mit dem Verwaltungsgericht davon aus, dass bei der Forderung nach einer guidelinekonformen Studie die Absicht im Vordergrund steht, Daten für die weitere Nutzen-Risiko-Abwägung zu generieren. Zumindest bietet dies einen Erklärungsansatz dafür, warum das BfArM im Stufenplanbescheid auf die CPMP-Guidelinie zur klinischen Prüfung von Arzneimitteln zur Behandlung von Angststörungen in der Fassung aus den Jahren 1993/94 verwiesen hat, obgleich es - dem unwidersprochenen Vortrag der Klägerin zufolge - zugleich bis in das Jahr 2001 Neuzulassungen für Kava-Kava-haltige Arzneimittel erteilt hat, ohne die Vorlage entsprechender Studien verlangt zu haben.
107Die weiteren Einwände der Beklagten im Berufungsverfahren rechtfertigen keine andere Bewertung: Ihr Hinweis darauf, dass die Kommission E im Zuge der Ausarbeitung der Monographie angesichts der geringen Bedeutung von Kava-Kava als Droge oder Drogenzubereitung zunächst beabsichtigte, eine Negativmonographie zu erstellen, ist unerheblich. Denn abgesehen davon, dass die geringe Bedeutung eines Wirkstoffs nichts über seine Wirksamkeit aussagt, hat die Kommission E diese Einschätzung - was entscheidend ist - letztlich revidiert und eine Positivmonographie erstellt. Darin hat sie folgende Überlegungen zur Wirksamkeit von Kava-Kava angestellt:
108„Aufgrund der Wirkungen der isolierten Inhaltsstoffe ist eine
109schwache, zentral relaxierende Wirkung ähnlich wie bei
110Benzodiazepinen anzunehmen. Durch Kava-Kava-Extrakt zeigt sich im quantitativen EEG eine für das anxiolytische Pharmako-EEG-Profil von Benzodiazepinen typische Steigerung der ß-Aktivität bei gleichzeitiger Abnahme der alpha-Aktivität (Johnson 1989). Neuere Studien weisen eine Wirksamkeit von Kava-Kava-Extrakt bei ,Angst, Spannungs- und Unruhezuständen‘ nach (Warnecke 1989, Bhate 1989).“
111Soweit die Beklagte sinngemäß beanstandet, dieser Monographie liege letztlich nur eine Plausibilitätsprüfung zugrunde, ist dem entgegenzuhalten, dass die Kommission E in ihrer Stellungnahme aus dem Jahr 2002 ausdrücklich erklärt hat, „von den vorgelegten wissenschaftlichen Daten zur Wirksamkeit von Kava-Kava überzeugt zu sein“. Abgesehen davon sind die Überlegungen der Beklagten zu § 39c AMG bereits deswegen nicht tragfähig, weil es sich bei Kava-Kava-Präparaten um Arzneimittel handelt, die der Verschreibungspflicht unterliegen, und eine Registrierung als traditionelles pflanzliches Arzneimittel deswegen ausscheidet (§ 39c Abs. 2 Nr. 2 AMG).
112Ebenso wenig stützt die Stellungnahme des Comittee on Herbal Medicine Products (HMPC) der EMA vom 6. Mai 2014 die Position der Beklagten. Zwar prognostiziert das HMPC darin, dass u.a. für den Wirkstoff „Piperis methystici rhizoma“ angesichts des ungünstigen Nutzen-Risiko-Verhältnisses voraussichtlich keine Monographie erteilt werden wird. Hierbei handelt es sich - was sprachlich durch die Formulierung „es ist nicht wahrscheinlich, auf ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis zu schließen“ zum Ausdruck gebracht wird - nicht um eine sichere Voraussage, sondern um eine Vorabeinschätzung. Da dieser - wie sich aus dem Bericht ergibt - aber gerade keine detaillierte Prüfung zugrunde liegt, kommt ihr kein entscheidendes Gewicht zu. Eine isolierte Aussage über die Wirksamkeit Kava-Kava-haltiger Arzneimittel lässt sich auf der Grundlage dieser Aussage ohnehin nicht treffen. Hinzu kommt, dass sich der Bericht auf Wirkstoffe bezieht, die als Grundlage einer späteren Registrierung (§ 39 AMG) eine Monographie als traditionelle pflanzliche Arzneimittel erhalten sollen, bei denen sich die Bewertung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses nach anderen Maßstäben richtet als bei den verfahrensgegenständlichen verschreibungspflichtigen Präparaten.
113Ist danach von der therapeutischen Wirksamkeit der streitgegenständlichen Kava-Kava-Präparate auszugehen, sprechen für deren Nutzen weiterhin die Art und Schwere der in Rede stehenden Erkrankung sowie deren Behandlungsnotwendigkeit. Jedenfalls soweit das monographierte Anwendungsgebiet auf die Behandlung von Angststörungen abzielt, handelt es sich nicht um eine Bagatelldiagnose, sondern um eine ernsthafte, weitverbreitete psychische Erkrankung. Bei dieser stehen Symptome der Angst in Gestalt einer anhaltenden Angstreaktion, mangelnder Kontrolle der Angst, eventueller körperlicher Reaktionen einschließlich katastrophisierender Fehlinterpretationen und Beeinträchtigung in wichtigen Funktionen des Berufs-, Alltags- und Familienlebens im Vordergrund.
114Vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 263. Auflage 2012, „Angststörung“.
115Angststörungen zählen zu den häufigsten psychischen Erkrankungen. Ihre Verbreitung nimmt zu. Je nach Schweregrad können sie mit erheblichen psychosozialen, somatischen und ökonomischen Folgen einhergehen. Dazu zählen Arbeitsunfähigkeit, ein erhöhtes Risiko für sekundäre komorbide Erkrankungen ‑ beispielsweise Suchterkrankungen -, eine erhöhte Suizidrate sowie eine übermäßige Inanspruchnahme medizinischer Leistungen.
116Vgl. Deutsches Ärzteblatt, „Angststörungen/ Panikattacken: Angst aus heiterem Himmel“, Dezember 2005, 557.
117Bereits bei mittlerem Leidensdruck des Patienten, psychosozialen Einschränkungen sowie Komplikationen der Angsterkrankung ist eine Behandlung in Gestalt von Psycho- oder Pharmakotherapie oder einer Kombination aus beidem indiziert.
118Vgl. Deutsches Ärzteblatt, „Diagnostik und Therapieempfehlungen bei Angststörungen“, Juli 2014, 475 ff.
119Unter diesen Gesichtspunkten erschließt sich der besondere Nutzen einer wirksamen anxiolytischen Medikation. Bezogen auf Kava-Kava-haltige-Präparate ist insoweit zu berücksichtigen, dass deren Anwendung nur für leichte und mittelschwere Formen von Angststörungen indiziert ist, die damit nach Einschätzung von Experten üblicherweise innerhalb eines Monats gut therapiert werden können. Für schwere Angststörungen wird von einer Kontraindikation ausgegangen.
120Vgl. Teschke, Deutsches Ärzteblatt, „Hepatoxizität durch Kava-Kava: Risikofaktoren und Prävention“, 2002, 99.
121(2) In Übereinstimmung mit dem Verwaltungsgericht geht der Senat davon aus, dass dem vorstehend beschriebenen Nutzen der verfahrensgegenständlichen Präparate Anwendungsrisiken in Form hepatotoxischer Ereignisse gegenüberstehen, also ein begründeter Verdacht für derartige Nebenwirkungen besteht. Angesichts dessen ist der sinngemäße Einwand der Beklagten, das Verwaltungsgericht habe bei seiner Bewertung die Anforderungen, die an die Annahme eines begründeten Nebenwirkungsverdachts zu stellen sind, überspannt, nicht nachvollziehbar.
122Die von der WHO in ihrem Bericht aus dem Jahr 2007 dokumentierten Fälle sind als Beleg für die Möglichkeit hepatotoxischer Wirkungen der hier in Rede stehenden Kava-Kava-Präparate zu werten. Entsprechendes gilt für die dem BfArM vorliegenden Fallberichte zu Leberreaktionen. Zwar wird dies durch den Bericht der MHRA aus dem Jahr 2006 („Report of the Committee on Safety of Medicines Export Working Group") gestützt. Allerdings ist der Senat übereinstimmend mit dem Verwaltungsgericht der Auffassung, dass der darin enthaltenen Risikobeurteilung, die - unter Einschluss des vom BfArM übermittelten Fallmaterials aus Deutschland - nicht die Begutachtung von Kava-Kava als Anxiolytikum, sondern bei Oberbauch- und Blasenbeschwerden zum Gegenstand hatte, keine besondere Bedeutung beizumessen ist.
123Der Bericht der WHO enthält eine Auswertung von 93 Fallberichten - darunter einige der vom BfArM dokumentierten Fälle aus Deutschland - über hypothetisch mit der Einnahme von Kava-Kava-Extrakten im Zusammenhang stehende Leberschädigungen. In vierzehn Fällen erfolgte eine Lebertransplantation. Sieben Fälle endeten tödlich. Die WHO-Expertengruppe bewertete die Kausalität zwischen hepatotoxischer Schädigung und der Einnahme von Kava-Kava-Präparaten in keinem Fall als sicher, in acht Fällen als wahrscheinlich, in 54 Fällen als möglich und in 28 Fällen als nicht bewertbar.
124Die Beklagte verweist auf 41 Fälle in Deutschland aufgetretener lebertoxischer Reaktionen. Hiervon seien 20 hinreichend gut dokumentiert, um eine fundierte Kausalitätsbewertung vornehmen zu können. In sieben dieser Fälle sei eine Lebertransplantation erforderlich gewesen. Insgesamt seien drei Patienten verstorben. In zwei Fällen sei die lebertoxische Reaktion nach Absetzen des Kava-Kava-Präparats zurückgegangen und bei Reexposition erneut aufgetreten. Bei zwölf spontan gemeldeten Fällen und einem in einer Publikation dargestellten Fall sei der Kausalzusammenhang wahrscheinlich. Diese Bewertung beruhe auf dem deutlichen zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Beginn der Kava-Kava-Medikation und dem Auftreten der Symptome bzw. pathologischen Veränderungen einerseits und dem Zurückgehen der Lebererkrankung nach Absetzen der Kava-Kava-Medikation und/oder des Fehlens lebertoxischer Faktoren wie einer entsprechenden Komedikation andererseits. In einigen dieser Fälle sei die synergistische Beteiligung eines anderen Arzneimittels jedoch möglich.
125Diese Auswertungsergebnisse reichen für die Annahme eines begründeten Verdachts leberschädigender Wirkungen aus, weil insoweit geringe Kausalitätsanforderungen gelten. Für die Nutzen-Risiko-Abwägung ist aber der Verdacht graduell und qualitativ näher zu bestimmen.
126Allerdings bietet die gegenwärtige Studienlage hierfür keine tragfähigen Anknüpfungspunkte. Bei Gesamtbetrachtung ist sie uneinheitlich und deswegen nicht ergiebig. Herkömmliche klinische Studien sind - darüber sind sich die Beteiligten einig - aufgrund der zu geringen Population nicht geeignet, tragfähige Erkenntnisse über das lebertoxische Risiko zu gewinnen. Toxizitätsstudien haben weder potentiell toxische Bestandteile von Kava-Kava noch einen lebertoxischen Mechanismus aufzeigen können. Die Ergebnisse der NTP-Studie, auf die die Beklagte verweist, mögen zwar einen Toxizitätsbeleg begründen. Das gilt aber nur für die darin einbezogenen Präparate mit einem CO²-Extrakt. Für eine Übertragbarkeit der gefundenen Ergebnisse auf die hier streitgegenständlichen Präparate mit ethanolischen Auszügen hat die Beklagte keine überzeugenden Gesichtspunkte benannt. Abgesehen davon gibt der Nachweis toxischer Effekte eines bestimmten Präparats als solcher - was auch die Beklagte anerkennt - weder Aufschluss über die potentiell toxischen Einzelstoffe noch über den Mechanismus einer lebertoxischen Wirkweise, sondern untermauert lediglich das, wovon bereits auf der Grundlage der Fallberichte auszugehen ist. Auch das restliche vorliegende Studienmaterial bietet hierzu keine belastbaren und konsistenten Erkenntnisse. Anders als die Beklagte meint, geht dieser Umstand zu ihren Lasten. Denn sie trägt das Risiko der Unerweislichkeit der Umstände, die ein ungünstiges Nutzen-Risiko-Verhältnis begründen.
127Demgegenüber erlauben die folgenden relativierenden Faktoren eine nähere Eingrenzung der bestehenden Verdachtsmomente für eine hepatotoxische Wirkung von Kava-Kava-haltigen Arzneimitteln. Wenngleich sie den geweckten Verdacht nicht auszuräumen vermögen, schwächen sie ihn ab.
128Von Bedeutung ist insoweit zunächst, dass die Auswertungsergebnisse der WHO und des BfArM nicht für eine hohe, sondern im Gegenteil für eine schwache Inzidenzrate sprechen. Zwar lässt sich diese auf der Grundlage des vorliegenden Erkenntnismaterials nicht genau bestimmen. Andererseits gibt es aber bereits im Ausgangspunkt keine tragfähigen Belege dafür, dass hepatotoxische Ereignisse im Zusammenhang mit der Anwendung von Kava-Kava-Präparaten gehäuft auftreten, also eine hohe Inzidenzrate besteht. Umgekehrt sprechen deutschlandweit 20 und nach der Datenlage des WHO-Berichts weltweit 62 Fälle, in denen eine derartige Relation festgestellt werden konnte, bei einem Anwendungsvolumen von - dem unwidersprochenen Vortrag der Klägerin zufolge ‑ 250 Millionen Tagesdosen bezogen auf einen Zehnjahreszeitraum für eine sehr geringe lnzidenzrate. Das gilt auch unter Berücksichtigung der mit dem zugrundeliegenden Spontanerfassungssystem verbundenen Abbildungsdefizite, zumal wenn man berücksichtigt, dass ein Großteil dieser Meldungen in zeitlichem Zusammenhang mit dem Stufenplanverfahren und der öffentlich geführten Debatte um die potentielle Toxizität Kava-Kava-haltiger Arzneimittel steht. Dem entspricht die Einschätzung der Expertengruppe der WHO in ihrem Bericht aus dem Jahr 2007, in dem es heißt, die genaue Inzidenzrate von Nebenwirkungen, die mit der Einnahme von Kava-Kava in Zusammenhang stünden, sei nicht bekannt, scheine aber ziemlich niedrig zu sein (vgl. WHO-Bericht, S. 60).
129Unabhängig von diesem quantitativen Gesichtspunkt ist die Aussagekraft der Fälle, in denen ein Kausalzusammenhang als wahrscheinlich oder möglich angesehen worden ist, unter qualitativen Aspekten begrenzt.
130Bezogen auf den Bericht der WHO ergibt sich dies aus Folgendem: Nach dessen Ergebnis konnte nur in knapp zwei Dritteln der untersuchten Fälle (62 von 93) überhaupt eine Relation zwischen hepatotoxischen Wirkungen und der Einnahme von Kava-Kava-haltigen Arzneimitteln hergestellt werden. In keinem dieser Fälle wurde ein sicherer Kausalzusammenhang festgestellt. In 54 Fällen - darunter in allen sieben Todesfällen und in zehn Fällen mit Lebertransplantation - wurde der Kausalzusammenhang als „möglich“ und in acht Fällen als „wahrscheinlich“ eingestuft. Dass sich unter den zuletzt genannten Fällen nicht solche mit tödlichem Ausgang oder Lebertransplantation finden, beruht nicht lediglich auf der Definition der Kausalitätskriterien der WHO für einen wahrscheinlichen Kausalzusammenhang. Denn für elf der insgesamt 14 Patienten mit Lebertransplantation ist eine Begleitmedikation dokumentiert, die ebenfalls Auslöser der aufgetretenen Leberreaktionen gewesen sein könnte (vgl. WHO-Bericht, Tabelle 11a und 11 b, S. 46). Das gilt gleichermaßen für sämtliche Fälle mit tödlichem Ausgang (vgl. WHO-Bericht, Tabelle 12, S. 48). Es erscheint deswegen durchaus nicht fernliegend, die schwache lnzidenz schwerer Nebenwirkungen bei alleiniger Gabe Kava-Kava-haltiger Präparate als ein diesen Wirkstoff entlastendes lndiz zu werten.
131Hierzu passt die Einschätzung der Expertengruppe der WHO, wonach ein direkter Kausalzusammenhang zwischen der Einnahme Kava-Kava-haltiger Arzneimittel in der Mehrzahl der untersuchten Fälle schwierig nachzuweisen ist und die verfügbaren Fallberichte insoweit keinen Beweis für ein Ursache-Wirkungs-Verhältnis liefern (vgl. WHO-Bericht, S. 17). Als Ergebnis enthält der Bericht mit Blick darauf die - relativierende - Feststellung, dass Kavalactone durch die Wechselwirkungen von Kava-Kava und anderen Arzneimitteln, exzessiven Alkoholkonsum, metabolisch oder immunologisch bedingte Idiosynkrasie oder aufgrund einer vorbestehenden Lebererkrankung in jeder Art von Präparat selten hepatische Nebenwirkungen hervorrufen können (vgl. WHO-Bericht, S.63). Damit sind zugleich besondere Risikofaktoren angesprochen, die die WHO auch an anderer Stelle ihres Berichts noch gesondert aufführt (vgl. WHO-Bericht, S.61). Das impliziert, dass hepatotoxische Ereignisse, was im Übrigen wissenschaftlich anerkannt sein dürfte,
132vgl. etwa Russmann/Kullak-Ublick, Beurteilung und Meldung medikamentöser Leberschäden, swissmedic, Jubiläumsausgabe Dezember 2012, 11/26,
133multifaktorielle Ereignisse sind und sich dies erschwerend auf die Möglichkeit der Zuordnung ihrer Ursachen auswirkt.
134Zudem sind die Auswertungsergebnisse der WHO auch deswegen nur bedingt aussagekräftig, weil sie sich auf sämtliche Arten Kava-Kava-haltiger Arzneimittel beziehen. Aus dem in das Verfahren eingeführten wissenschaftlichen Erkenntnismaterial geht hervor, dass weder die potentiell toxischen Einzelstoffe noch der Mechanismus einer lebertoxischen Wirkung von Kava-Kava bekannt sind. Vermutet wird, dass neben Anwendungsdauer und Dosierung auch Extrakt und Kultivar insoweit eine Rolle spielen könnten. Hierzu hat die Klägerin plausible und von dem Experten Dr. N2. T1. in mehreren Stellungnahmen untermauerte Überlegungen angestellt, denen die Beklagte in der Sache nicht substantiiert entgegengetreten ist. Der Bericht der WHO enthält keine differenzierte Auswertung nach Extrakt und Kultivar. Vielmehr bezieht sich die Auswertung und dementsprechend auch die getroffene Risikoaussage auf sämtliche Arten Kava-Kava-haltiger Präparate. Demgegenüber handelt es sich bei den verfahrensgegenständlichen Präparaten unbestritten ausnahmslos um solche mit einem ethano-lischen Auszug. Da aber Risikoaussagen zu einer Auszugsart nicht ohne weiteres auf eine andere übertragen werden können,
135vgl. OVG NRW, Beschluss vom 26. November 2010 - 13 A 2807/09 -, juris, Rn. 10,
136sind die Ergebnisse in dem Bericht der WHO für das vorliegende Verfahren nur eingeschränkt aussagekräftig.
137Auch die von der Beklagten selbst auf der Grundlage des Fallmaterials des BfArM vorgenommene Risikobeurteilung ist unter verschiedenen Gesichtspunkten zweifelhaft. Ihr Vorbringen suggeriert eine „fundierte Kausalitätsbewertung" in 20 von 41 Fällen. Hiervon seien 18 spontan gemeldet worden und in zwei Fällen handele es sich um Berichte aus der Literatur. Demgegenüber ist der Kausalzusammenhang nur für 15 Fälle nachvollziehbar dargelegt, wobei in „einigen“ ‑ weder benannten noch bezifferten - dieser Fälle die synergistische Beteiligung eines anderen Arzneimittels möglich gewesen sein soll. Dieses Vorbringen bezieht sich offensichtlich auf die in dem Bescheid vom 12. Mai 2005 detailliert aufgeführten 26 Fallberichte und überschneidet sich damit. Bei deren Auswertung war das BfArM in 19 Fällen von einem Kausalzusammenhang im Bereich „wahrscheinlich“ - hiervon in drei Fällen als „wahrscheinlich bis gesichert“ - und in sechs Fällen von einer „möglichen“ Kausalität ausgegangen. Einen Fall hatte es für nicht auswertbar erachtet. Der Senat ist unter Berücksichtigung des wechselseitigen Vorbringens und der in das Verfahren eingeführten Erkenntnisse nicht zu der Überzeugung gelangt, dass diese Bewertung insgesamt zutrifft. Denn sie steht tiefgreifend in Widerspruch mit den Bewertungen anderer Institutionen, die jedenfalls nicht weniger plausibel hergeleitet und unabhängig voneinander durchgehend zu weniger besorgniserregenden Ergebnissen gelangt sind. Dies folgt aus der Übersicht in der Stellungnahme von Dr. N2. T1. vom 6. Februar 2012, in der dieser sich außerdem detailliert mit den einzelnen Fallberichten und deren Bewertung durch das BfArM auseinandergesetzt und diese durchgreifend in Zweifel gezogen hat (vgl. dort S. 9 ff.). Die Beklagte ist den darin enthaltenen Einwänden inhaltlich nicht substantiiert entgegen getreten. Unabhängig davon erscheint die Annahme eines „wahrscheinlichen“ Kausalzusammenhangs schon aufgrund der in der Mehrzahl der Fälle jeweils dokumentierten Begleitmedikation vielfach zweifelhaft. Entgegen der Auffassung der Beklagten rechtfertigt auch der Umstand, dass die festgestellten Leberreaktionen in zwei Fällen nach Absetzen des Kava-Kava-Präparats zurückgegangen und nach Reexposition erneut aufgetreten sind, mangels ausreichender Dokumentation der Begleitmedikation jedenfalls nicht die Bewertung eines „gesicherten“ Kausalzusammenhangs (BfArM 01003950/01003951).
138Weitere Bedenken gegen die Kausalitätsbewertung der Beklagten ergeben sich auf der Grundlage der Publikation von Teschke et al. („Kava hepatotoxicity: a clinical survey and critical analysis of 26 suspected cases“, European Journal of gastroenterology & hepatology 2008, Vol. 20, S. 1182 ff.). Nach den stimmigen und transparent hergeleiteten dortigen Ausführungen, auf die Bezug genommen wird, bestand lediglich in acht Fällen ein Kausalzusammenhang, wobei lediglich in einem dieser Fälle eine monographiekonforme Anwendung dokumentiert war.
139Soweit die Beklagte mit Schriftsatz vom 26. Januar 2015 die in dieser Publikation getroffene Feststellung des Fehlens einer medikamentösen Ursache in 13 Fällen beanstandet, und, um dies zu wiederlegen, bezogen auf drei Fälle auf den Inhalt der hierzu gefertigten Arztberichte verwiesen hat, führt dies zu keiner anderen Bewertung. Denn daraus geht jedenfalls nicht hervor, dass die beobachtete Leberschädigung durch Kava-Kava und nicht durch die jeweils dokumentierte Begleitmedikation verursacht worden ist. Unter diesen Umständen ergibt sich dies nicht bereits daraus, dass nach ärztlicher Einschätzung von einer medikamentös induzierten Leberschädigung auszugehen ist.
140Relativierend ist zuletzt der ebenfalls vom Verwaltungsgericht bereits angesprochene Aspekt in den Blick zu nehmen, dass die streitbefangenen Präparate auf eine Kurzzeitbehandlung angelegt sind und eine Begrenzung von Anwendungsdauer und Dosierung vorgesehen ist. Auch hieraus folgt die nur begrenzte Aussagekraft der Auswertungen des BfArM und der WHO, in denen nicht nach diesen von der Beklagten selbst als risikobeeinflussend eingestuften Kriterien differenziert wird. Da eine lange Exposition einerseits und eine erhöhte Dosierung andererseits mit einer Risikoerhöhung assoziiert werden, liegt es auf der Hand, dass die Auswertung eines Kollektivs von Fällen, in denen diese Differenzierung nicht getroffen wird, keine einheitliche Risikoaussage erlaubt. Die Vielzahl der Fälle, in denen Leberschädigungen im Zusammenhang mit einer Überdosierung, einer überlangen Anwendungsdauer oder einer potentiell lebertoxischen Begleitmedikation aufgetreten sind, ist aber umgekehrt als Beleg dafür zu werten, dass es sich hierbei um Risikofaktoren handelt. Dies wird auch von keinem der Beteiligten in Abrede gestellt.
141Auf der Basis aller in das Verfahren eingeführter Erkenntnisse geht der Senat davon aus, dass toxische Lebererkrankungen durch Kava-Kava-Extrakte sehr selten sind, im Einzelfall aber potenziell lebensbedrohend verlaufen können und durch eine Vielzahl von Risikofaktoren wie Dosierung, Anwendungsdauer, Begleitmedikation, Alkoholkonsum und Lebervorschädigung beeinflusst werden. Hinsichtlich dieser Risikofaktoren stimmen die Beteiligten überein, wenngleich ihre Einschätzungen zu den Risiken der Verwendung unterschiedlicher Auszüge und Kultivare auseinandergehen.
142(3) Hiervon ausgehend ist das Nutzen-Risiko-Verhältnis der streitgegenständlichen Präparate derzeit ungünstig. Dieser Einschätzung liegt zugrunde, dass hinsichtlich Kava-Kava-haltiger Arzneimittel zwar nicht generell, aber dann von einem ungünstigen Nutzen-Risiko-Verhältnis ausgegangen werden muss, wenn nicht alle Maßnahmen umgesetzt worden sind, um die damit einhergehenden Risiken bestmöglich einzudämmen. Letzteres ist hier der Fall.
143Der Umstand, dass die zuvor erwähnten Risikofaktoren im Zusammenhang mit der Hepatotoxizität von Kava-Kava bekannt sind, führt in der Publikation von Teschke et al. („Kava hepatotoxicity: a clinical survey and critical analysis of 26 suspected cases“, European Journal of gastroenterology & hepatology 2008, Vol. 20, S. 1182 ff.) zu der überzeugenden Schlussfolgerung, dass hepatotoxische Ereignisse im Zusammenhang mit Kava-Kava weitgehend vermeidbar sind. Dies, die nur schwache Inzidenzrate und der belegte Nutzen Kava-Kava-haltiger Arzneimittel stehen der generellen - also nicht präparatspezifischen, sondern rein wirkstoffbezogenen - Annahme eines ungünstigen Nutzen-Risiko-Verhältnisses entgegen. Andererseits sind angesichts der Schwere möglicher Nebenwirkungen vermeidbare Risiken nicht hinnehmbar.
144Insoweit bilden die Empfehlungen der Kommission E in ihrer Stellungnahme aus dem Jahr 2002 nach Auffassung des Senats einen tauglichen und deshalb einzuhaltenden Maßstab zur Risikominimierung und führen bei Beachtung im Ergebnis zu einem günstigen Nutzen-Risiko-Verhältnis. Sie beruhen auf den Unterlagen, die das BfArM der Kommission E zur Verfügung gestellt hat und sind auf der Grundlage einer eingehenden Befassung mit der Kava-Kava-Thematik abgegeben worden (vgl. Ruhensbescheid des BfArM vom 12. Mai 2005, S. 52).
145Die Kommission E hat darin unter Hinweis darauf, weiterhin von einem positiven Nutzen-Risiko-Verhältnis auszugehen und die Auffassung des BfArM bezüglich der Risiken bei bestimmungsgemäßem Gebrauch nicht zu teilen, folgende Regularien zu deren Eindämmung empfohlen:
146- 147
Ärztliche Verschreibungspflicht für Kava-Kava-haltige Arzneimittel
- 148
Klare Indikationsstellung: Leichte bis mittelschwere generalisierte Angststörungen. Depression ist keine Indikation.
- 149
Maximale Tagesdosis entsprechend 120 mg Kava-Pyrone.
- 151
Packungsgröße bei 120 mg Kava-Pyrone maximal 30 Einheiten
- 152
Übliche Therapiedauer 1 Monat, maximal 2 Monate
- 153
Bestimmung der Leberwerte (GPT und -GT vor Beginn der Behandlung und dann einmal wöchentlich)
- 154
Optional: Bestimmung der Leberwerte am Ende der Behandlung (wichtig für evtl. spätere erneute Behandlung)
- 155
Vermeidung einer begleitenden Medikation mit potentiell hepatotoxischen Medikamenten, insbesondere auch Betablockern, Antidepressiva und Migränemitteln. Vorsicht bei Alkohol.
Der Senat sieht in Ansehung des Berufungsvorbringens keine Veranlassung, diese sachverständige Einschätzung in Frage zu stellen. Sie wird durch die Aussage der WHO in ihrem Bericht aus dem Jahr 2007, wonach ein Verkehrsverbot für Kava-Kava nach gegenwärtigem wissenschaftlichen Erkenntnisstand nicht zu rechtfertigen ist (vgl. WHO Bericht, S. 18), gestützt. Auch Teschke spricht sich in seiner Veröffentlichung „Hepatotoxizität durch Kava-Kava: Risikofaktoren und Prävention“ (Deutsches Ärzteblatt 2002, 99 (50)) für entsprechende Maßnahmen aus. Aktuellere wissenschaftliche Erkenntnisse, die die Empfehlungen der Kommission E durchgreifend in Zweifel ziehen, liegen nicht vor.
157Diese sind auch geeignet, die bestehenden hepatotoxischen Risiken - soweit sie vorhersehbar sind - weitgehend wirkungsvoll auszuschalten.
158Besondere Bedeutung kommt hierbei der Unterstellung unter die Verschreibungspflicht zu. Hierdurch wird eine ärztliche Indikationsstellung sichergestellt und einer unsachgemäßen Selbstmedikation entgegengewirkt. Der Einwand der Beklagten, eine Verschreibungspflicht sei unzureichend, weil der hepatotoxische Wirkmechanismus von Kava-Kava nicht hinreichend geklärt sei und der verordnende Arzt nicht mit genügender Sicherheit vorhersehen könne, welcher Patient gefährdet sei, greift nicht durch. Er eignet sich schon deswegen nicht als Argument gegen die Verschreibungspflicht, weil das Arzneimittelgesetz in § 48 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 i. V. m. § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AMG als eine Fallgruppe verschreibungspflichtiger Arzneimittel diejenigen vorsieht, die Stoffe mit in der medizinischen Wissenschaft nicht allgemein bekannten Wirkungen oder Zubereitungen solcher Stoffe enthalten. Abgesehen davon ist es einem Arzt in Bezug auf ein Kava-Kava-haltiges Präparat anhand der bekannten Risikofaktoren auch ungeachtet des genauen Wirkmechanismus möglich, das Risikoprofil eines Patienten abzustecken. Denn in einem ersten Schritt können - nach anamnestischer Abklärung - Fälle mit relevanter Begleitmedikation, erheblichem Alkoholkonsum, Lebererkrankung oder Lebervorschädigung sowie nicht zutreffender Indikation herausgefiltert werden. Erfolgt nach Abklärung dieser Gesichtspunkte eine Verschreibung, kann den von der Krankenvorgeschichte unabhängigen Risikofaktoren wirksam durch eine Begrenzung von Anwendungsdauer und Dosierung entsprechend den Vorgaben der Fachinformationen entgegengewirkt werden. Hinzuweisen ist darin außerdem auf die Risiken bei erheblichem Alkoholkonsum und einer begleitenden Medikation mit potentiell hepatotoxischen Medikamenten, wie Betablockern, Antidepressiva und Migränemitteln.
159Dabei sind die Einhaltung der vorgesehen Dosierung von 120 mg Kava-Pyrone und die Begrenzung der Anwendungsdauer entsprechend den aktualisierten Erkenntnissen der Kommission E auf einen, maximal zwei Monate entscheidend. Eine höhere Dosierung ist einerseits deswegen nicht vertretbar, weil die Wirksamkeit für eine Dosierung von 60 mg-120 mg Kava-Pyrone belegt ist und deswegen keine Rechtfertigung dafür besteht, potentiell mit einer höheren Dosierung einhergehende Zusatzrisiken einzugehen. Abgesehen davon bestehen den genannten wissenschaftlichen Erkenntnissen zufolge konkrete Anhaltspunkte dafür, dass eine höhere Dosierung das Risiko für leberschädigende Nebenwirkungen erhöht. Entsprechendes gilt bezogen auf eine längere Anwendungsdauer.
160Flankierend zu den bereits erwähnten Maßnahmen wirkt die von der Kommission E vorgeschlagene Begrenzung der Packungsgröße auf maximal 30 Einheiten bei 120 mg Kava-Pyrone. Durch diese Maßnahme wird der Gefahr einer missbräuchlichen Verwendung vorgebeugt und auf einen bestimmungsgemäßer Gebrauch hingewirkt. Dabei ist zu sehen, dass die Missbrauchsgefahr jedenfalls bei indikationskonformer Anwendung Kava-Kava-haltiger Präparate nicht gleichermaßen hoch sein dürfte, wie bei Arzneimitteln, die - wie z.B. Benzodiazepine - Abhängigkeiten auslösen. Allerdings ist insoweit darauf hinzuweisen, dass diesem Aspekt im Rahmen der Nutzen-Risiko-Abwägung, die sich an dem bestimmungsgemäßen Gebrauch zu orientieren hat, keine eigenständige Bedeutung zukommt. Abweichungen der von der Kommission E empfohlenen Packungsgröße begründen daher ohne das Hinzutreten weiterer Abweichungen kein ungünstiges Nutzen-Risiko-Verhältnis.
161Die vorgesehene Bestimmung der Leberwerte vor Beginn der Behandlung und deren fortlaufende wöchentliche Kontrolle ermöglicht eine zeitnahe Reaktion auf festgestellte Veränderungen und zielt darauf ab, irreversiblen Schädigungen vorzubeugen.
162Der Senat verkennt nicht, dass mit den genannten Maßnahmen nicht in jedem Einzelfall ein Risikoausschluss garantiert werden kann, geht aber davon aus, dass bedingt durch ihre Zielrichtung, Wirkweise und ihr Ineinandergreifen die nach derzeitigem Erkenntnisstand prognostizierbaren Risiken in Relation zum Nutzen von Kava-Kava-Präparaten auf ein vertretbares Maß reduziert werden können.
163Das wird daran deutlich, dass mit Ausnahme eines Falls in sämtlichen Fällen, auf die das BfArM seine Risikoeinschätzung stützt, zumindest einer der durch die vorgenannten Maßnahmen begrenzbaren Risikofaktoren vorlag. Entweder es war eine Begleitmedikation verordnet oder die Anwendung dauerte länger als drei Monate an oder es wurde eine Überdosierung festgestellt. Zumeist war sogar eine Kombination aus mehreren dieser Faktoren gegeben.
164Vgl. die Übersicht in Table 1 bei Teschke/Schwarzenboeck/Hennermann “Kava hepatotoxcity: a clinical survey and critical analysis of 26 cases”, European Journal of gastroenterology & hepatology 2008, Vol. 20, S. 1182 ff.
165Dieser Einschätzung steht auch nicht das vermehrte Auftreten idiosynkratischer, d. h. unvorhersehbarer Leberreaktionen im Zusammenhang mit der Einnahme von Kava-Kava-Präparaten entgegen. Die Auswertung der Fallberichte des BfArM liefert hierfür keinen Beleg. Letztlich scheint die Beklagte selbst ‑ wenngleich sie diesen Aspekt besonders hervorgehoben hat - nicht hiervon auszugehen, wenn sie diese Fälle als „Ausreißer“ bezeichnet und andererseits meint, ein „charakteristisches Muster“ für die potentielle Lebertoxizität von Kava-Kava-Präparaten ausmachen zu können. Abgesehen davon ist die Möglichkeit einer idiosynkratischen Leberschädigung deswegen kein durchgreifendes Argument für ein ungünstiges Nutzen-Risiko-Verhältnis der hier in Rede stehenden Kava-Kava-Präparate, weil es sich dabei um ein generelles Problem im Hinblick auf die Lebertoxizität von Medikamenten handelt. Der Mechanismus der Idiosynkrasie, also einer angeborenen oder erworbenen Überempfindlichkeit schon beim ersten Kontakt gegen bestimmte, von außen zugeführte Stoffe, die nicht durch eine Reaktion des Immunsystems hervorgerufen wird, sondern durch Fehlfunktion/Nichtfunktion defekter oder Fehlen intakter Enzyme,
166vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Idiosynkrasie,
167beschränkt sich nicht auf Kava-Kava-haltige Arzneimittel.
168Ungefähr 1000 Arzneistoffe gelten als lebertoxisch. Hierzu gehören beispielsweise Paracetamol, Diclofenac und Penicillin.
169Vgl. Schlatter, Entgiftung zum Gift, Nebenwirkung Leberschaden, Pharmazeutische Zeitung Ausgabe 35/2009.
170Obgleich bei all diesen Arzneistoffen unvorhersehbare, also idiosynkratische, Leberreaktionen möglich sind, befindet sich eine Vielzahl von Präparaten, die diese Wirkstoffe enthalten, auf dem Markt.
171An der getroffenen Bewertung ändern auch bestehende Behandlungsalternativen nichts, insbesondere fällt die Nutzen-Risiko-Abwägung mit Blick darauf nicht generell zu Ungunsten der streitbefangenen Präparate aus. Abwägungsrelevant könnte dieser Aspekt sein, wenn deren Ersetzbarkeit durch andere Arzneimittel mit günstigerem Nebenwirkungsprofil gewährleistet wäre. Das ist aber nicht der Fall. Denn soweit die Beklagte Bezug auf den Inhalt der S3-Leitlinie zur Behandlung von Angststörungen nimmt und auf selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI), selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI) und Pregabalin als Mittel der ersten Wahl sowie auf trizyklische Antidepressiva (TZA), Buspiron, Benzodiazepine, Hydroxin und Opipramol als Mittel der zweiten Wahl verweist, sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt. Es erscheint schon zweifelhaft, ob es sich dabei überhaupt um einen geeigneten Ersatz für Kava-Kava-Präparate handelt. Das gilt ungeachtet der fehlenden vollständigen Übereinstimmung der Anwendungsgebiete insbesondere deswegen, weil jene Arzneimittel im Gegensatz zu den auf eine Kurzzeitbehandlung mit raschem Wirkeintritt gerichteten Kava-Kava-Präparaten größtenteils eine längere Wirklatenz von bis zu sechs Wochen haben. Überdies kann für keines der von der Beklagten empfohlenen synthetischen Alternativarzneimittel ein günstigeres Nebenwirkungsprofil festgestellt werden. Das ergibt sich daraus, dass das Spektrum möglicher Nebenwirkungen weitgehend breiter gefächert ist als bei den verfahrensgegenständlichen Kava-Kava-Präparaten, zum Teil auch schwere Nebenwirkungen umfasst und vielfach Absetzphänomene, Abhängigkeitsrisiken und sedierende Effekte mit dem damit einhergehenden negativen Einfluss auf die geistige Leistungsfähigkeit beschrieben werden. Wegen der Einzelheiten dazu wird auf die tabellarische Übersicht bei B. Bandelow, R. Boerner, S. Kasper, M.Linden, H.-U. Wittchen und H.-J. Möller „Generalisierte Angststörung: Diagnostik und Therapie“, Deutsches Ärzteblatt 2013, S. 303, und die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts Bezug genommen.
172Die von der Beklagten angesprochenen traditionellen Phytopharamka, namentlich Baldrianwurzelzubereitungen und Lavendelöl sind schon deswegen keine geeignete Alternative, weil ihr Anwendungsgebiet nicht deckungsgleich mit dem Kava-Kava-haltiger Arzneimittel ist, sondern sich insoweit nur gewisse Überschneidungen ergeben.
173Gemessen an den vorstehenden Überlegungen ist das Nutzen-Risiko-Verhältnis der streitbefangenen Präparate ungünstig. Denn unter Zugrundelegung des Inhalts der Änderungsanzeigen und der vorstehenden Ausführungen sind die bisher umgesetzten Maßnahmen zur Minimierung der bestehenden Risiken nicht ausreichend.
174Dies bezieht sich in erster Linie auf die Dosierung der Präparate. Diese weisen nach der Änderungsanzeige keine der Monographie der Kommission E bzw. deren Empfehlungen aus dem Jahr 2002 entsprechende Dosierung von 60-120 mg Kava-Pyrone (= Kavalactone) auf. Damit hat die Klägerin die Tagesdosis für Kava N. Kapseln von zweimal täglich eine Kapsel (a 50 mg Kavalactone) auf drei- bis viermal täglich eine Kapsel entsprechend 150-200 mg Kava-Pyrone und für die übrigen streitbefangenen Präparate von einmal täglich eine Tablette bzw. bei B. 120 mg von zweimal täglich ½ Tablette auf ein- bis zweimal täglich eine Tablette entsprechend 120-240 mg Kava-Pyrone erhöht. Diese Dosierung ist ‑ wenngleich die Abweichung bei dem Präparat Kava N. Kapseln im vorliegenden Fall vergleichsweise geringfügig ist - nicht monographiekonform. Diese Feststellung beruht auf Folgendem: Der Senat ist aufgrund der plausiblen und durchgehend nachvollziehbaren sachverständigen Erläuterungen von Frau Dr. H. und Herrn Dr. T1. , denen die Beklagte nichts Durchgreifendes entgegen gesetzt hat, zu der Überzeugung gelangt, dass sich die in der Monographie der Kommission E angegebene Dosierungsspanne von 60-120 mg Kava-Pyrone auf die DC-Methode und nicht - auch nicht teilweise - auf die HPLC-Methode bezieht.
175In der Monographie selber ist keine Aussage zu der zugrunde liegenden Messmethode getroffen worden. Das sich bei den Unterlagen zur Monographieerstellung befindliche Gutachten von Dr. K. M. aus dem Jahr 1986 erlaubt entgegen der Auffassung der Beklagten nicht den Rückschluss, dass sich die Dosierungsangabe auf die HPLC- Methode bezieht. Denn daraus geht lediglich hervor, dass zu diesem Zeitpunkt bereits alle sechs Kava-Pyrone bekannt waren und es die HPLC-Methode gab. Zum Umfang ihres Einsatzes und dazu, ob die für die Erstellung der Positivmonographie maßgebenden Studien mit Extrakten durchgeführt worden sind, deren Kavalactongehalt mit dieser Methode gemessen worden ist, ergibt sich daraus hingegen nichts.
176Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung auch nicht in Abrede gestellt,
177dass es die HPLC-Methode zu diesem Zeitpunkt bereits gab, sondern hat vielmehr bestätigt, dass sie bereits damals im universitären Bereich Anwendung gefunden hat. Etwas anderes gelte indes für die Industrie. Dort habe man zur Zeit der Monographieerstellung nicht über die entsprechenden Reinsubstanzen verfügt, um alle sechs Kava-Pyrone quantifizieren zu können. Da die der Monographieerstellung zugrundeliegenden Studien mit Industriepräparaten durchgeführt worden seien, beziehe sich die in der Monographie angegebene Dosierung demzufolge auf die DC-Methode. Dass die Studien mit Industriepräparaten durchgeführt worden sind, ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Hierzu hat Frau Dr. H. - von der Beklagten unwidersprochen ‑ darauf hingewiesen, dass die Firma G. , bei der sie zum damaligen Zeitpunkt angestellt war, damals allein mit der DC-Methode gemessene Kava-Extrakte hergestellt und an pharmazeutische Unternehmen geliefert und insoweit einen 95 prozentigen Marktanteil gehalten habe.
178Angesichts dessen konnte die Beklagte auch lediglich auf die Extrakte der Firma Schwabe, die erst zu einem späteren Zeitpunkt Kundin der Firma G. geworden war, verweisen. Sie gehe davon aus, dass die Firma T2. ab dem Jahr 1990 Extrakte hergestellt habe, die nach der HPLC-Methode bemessen worden seien und davon, dass mit deren Präparaten die Studien von Warnecke, die für die Erstellung der Monographie maßgebend waren, durchgeführt worden seien. Hierbei handelt es sich indes um eine durch die von Herrn Dr. T1. angestellten Ermittlungen widerlegte Vermutung. Denn daraus geht hervor, dass in der Monographie nicht auf die erst später erstellten Studien von Warnecke zu dem Präparat M1. , sondern lediglich auf zwei der Komission E im Zeitraum von April bis September 1989 vorgelegte Studienberichte Bezug genommen wird. Das folge - so Herr Dr. T1. - daraus, dass sich die Untersuchungen von Warnecke ausweislich der Monographie auf ein mit 60 mg Kava-Pyrone dosiertes Präparat und die erst nach Erstellung der Monographie veröffentlichten Studien hingegen auf das sich erst seit Dezember 1989 auf dem Markt befindliche Präparat M1. mit einer Dosierung von 70-210 mg Kava-Pyrone bezogen hätten.
179Diese unterschiedlichen Dosierungen können einerseits als Hinweis darauf gedeutet werden, dass im Zeitraum zwischen den Studienberichten und der Veröffentlichung der Studien eine Umrechnung stattgefunden hat, für die aber nur dann ein Erfordernis bestand, wenn das den Studienberichten zugrundeliegende Präparat mittels DC-Methode gemessen war. Als weitere denkbare Erklärungsmöglichkeit kommt allein in Betracht, dass sich Studien und Studienberichte auf unterschiedliche Präparate bezogen haben. Aber auch daraus ergibt sich kein Anhalt dafür, dass das Präparat, zu dem sich der Studienbericht verhält, bereits nach der HPLC-Methode gemessen war. Dagegen spricht, dass es sich dabei um ein - an der damals standardisierten DC-Methode gemessen - erheblich aus dem Rahmen fallendes, weil deutlich unterhalb der angenommen Wirksamkeitsschwelle dosiertes Präparat gehandelt hätte. Hinzu kommt, dass die entgegengesetzte Annahme der Beklagten nicht auf validen Erkenntnissen beruht, sondern auf einer Mitteilung, die die Firma T2. erst zu einem viel späteren Zeitpunkt, nämlich im Zulassungsverfahren gemacht hat. Demgegenüber hat Herr Dr. T1. anhand der Studienberichte die dem Präparat der Firma T2. zugrundeliegende Analytik selbst geprüft und hat dabei keinen Hinweis darauf gefunden, dass dies nach der HPLC-Methode bemessen wurde.
180Vor diesem Hintergrund ist auch die weitere Vermutung der Beklagten, dass der in der Monographie angegebene Wert von 60 mg Kava-Pyrone auf der DC-Methode beruhte und der Wert von 120 mg auf der HPLC-Methode, fernliegend und durch nichts belegt. Denn einerseits ginge damit einher, dass die für Phyto-pharmaka charakteristische Dosierungsspanne weitgehend entfiele. Andererseits hält der Senat es mit Frau Dr. H. für abwegig, dass in einer Dosisempfehlung, die eine Spannbreite angibt, zwei Werte genannt werden, die auf unterschiedlichen Mess- und Analysemethoden beruhen.
181Angesichts dessen ist der Klägerin darin zu folgen, dass die Deklarierung der Dosierung an die heute standardisierte HPLC-Methode angepasst werden muss. Der Senat stimmt aber darin nicht mit der Klägerin überein, dass dies im Sinne einer Verdoppelung zu erfolgen hat. Der Umstand, dass die Bestimmung nach der DC-Methode mit drei Kava-Pyronen erfolgt und die nach der HPLC-Methode mit sechs Kava-Pyronen rechtfertigt dies nicht, weil der Lactongehalt der unterschiedlichen Pyrone variiert. Das erfordert die Bestimmung eines anderen Umrechnungsfaktors. Frau Dr. H. hat 1,61 als Korrelationsfaktor angegeben und dessen Herleitung anhand einer gut nachvollziehbaren und stimmigen Berechnungsübersicht erläutert. Die Beklagte ist dem nicht entgegen getreten. Der Senat hat auch unter Berücksichtigung der übrigen in das Verfahren eingeführten Erkenntnisse keine Zweifel, dass dieser Korrelationsfaktor zutrifft. Bei seiner Anwendung ergibt sich, dass der in der Monographie genannten Dosierungsspanne von 60-120 mg Kava-Pyrone nach der DC-Methode einer Dosierungsspanne von 97-193 mg Kava-Pyrone nach der HPLC-Methode entspricht und die hier streitgegenständlichen Präparate deswegen überdosiert sind.
182Neben der Dosierung entsprechen auch die dem Senat vorliegenden Gebrauchs- und Fachinformation - unterstellt, die darin enthaltenen Änderungen von für die Zulassung wesentlichen Angaben sind im Wege der Änderungsanzeige wirksam geworden - nicht vollständig den Empfehlungen der Kommission E. Das betrifft die Angabe der Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten (der Hinweis auf die Vermeidung einer begleitenden Medikation mit potentiell hepatotoxischen Medikamenten, insbesondere auch Betablockern, Antidepressiva und Migräne-mitteln fehlt) und die darin vorgesehene Bestimmung der Leberwerte vor Beginn der Behandlung, sodann wöchentlich und optional nach Abschluss der Behand-lung. Überdies fehlt die ausdrückliche Begrenzung der Anwendungsdauer auf einen, maximal zwei Monate.
183(II.) Wenngleich die festgestellten Abweichungen ein ungünstiges Nutzen-Risiko-Verhältnis begründen, rechtfertigen sie nicht den Widerruf der Zulassung, weil eine Änderung der Zulassung auf der Grundlage von § 30 Abs. 2a Satz 1 AMG vorrangig ist. Mit dieser in der Fassung vom 19. Dezember 2012 geltenden Vorschrift, die als Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu interpretieren ist, besteht eine Grundlage dafür, Änderungen auf Ebene der Zulassung vorzunehmen.
184Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 18. April 2012, BT-Drs. 17/9341, S. 54.
185Wie ausgeführt, ist das Nutzen-Risiko-Verhältnis der hier streitgegenständlichen Präparate - insbesondere wegen der zu hohen Dosierung, aber auch im Hinblick auf die übrigen Abweichungen von den Empfehlungen der Kommission E in ihrer Stellungnahme aus dem Jahr 2002 als ungünstig zu bewerten, erwiese sich aber nach entsprechender Anpassung an diese Empfehlungen nicht mehr als ungünstig, mit der Folge, dass der Versagungsgrund des § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AMG entfällt. Zur Begründung dafür wird auf die vorstehenden Ausführungen Bezug genommen.
186Lassen sich die mit der Anwendung Kava-Kava-haltiger Arzneimittel in Verbindung gebrachten Nebenwirkungen danach bereits durch die von der Kommission E vorgeschlagenen regulatorischen Maßnahmen auf ein vertretbares Maß reduzieren, kommt es nicht entscheidungserheblich darauf an, ob die Beklagte vorrangig unter der Voraussetzungen des § 28 Abs. 3b Satz 1 Nr. 2 AMG eine Unbedenklichkeitsstudie („PASS“) hätte anordnen können und müssen.
187Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
188Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 und 2 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 10, § 711 Satz 1 und 2, § 709 Satz 2 ZPO.
189Die Revision ist zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegen.
Tatbestand
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Die Klägerin ist Inhaberin der arzneimittelrechtlichen Zulassung für das apothekenpflichtige Kombinationspräparat Monapax, ein homöopathisches Hustenmittel. Im Nachzulassungsverfahren bat die Beklagte mit Mängelschreiben vom 12. Februar 2003 unter anderem darum, Erfahrungsmaterial zur Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des Präparats bei Kindern vorzulegen oder in die Informationstexte einen Hinweis aufzunehmen, dass das Arzneimittel bei Kindern unter 12 Jahren nicht angewendet werden solle. Ferner bat sie um Übernahme der Dosierungsempfehlung der Kommission D aus dem Jahr 2002. Bei einer abweichenden Dosierung sei deren Überlegenheit durch präparatespezifisches Erkenntnismaterial zu belegen. Die Klägerin legte zum Nachweis der Wirksamkeit und Unbedenklichkeit bei Kindern unter 12 Jahren zwei Anwendungsbeobachtungen aus den Jahren 1990 und 2003 vor, mit denen - so die Klägerin - auch das beantragte Dosierungsschema belegt werde.
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Die Beklagte verlängerte mit Bescheid vom 8. Dezember 2005 die Zulassung des Arzneimittels unter anderem mit zwei auf § 28 Abs. 2 AMG gestützten Auflagen zum Inhalt der Informationstexte, die einen Warnhinweis für die Anwendung bei Kindern unter einem Jahr (Auflage M.3) und eine vom Antrag abweichende Dosierung (Auflage M.4) betreffen. Letztere lautet:
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M.4: Dosierungsanleitung
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Hier ist in der Gebrauchs- und Fachinformation wie folgt zu formulieren: "Soweit nicht anders verordnet, nehmen Erwachsene 1-3 mal täglich je 5 Tropfen ein. Kleinkinder vom 1. bis 6. Lebensjahr nehmen 1-3 mal täglich 2-3 Tropfen ein. Kinder zwischen dem 6. und 12. Lebensjahr nehmen 3-4 Tropfen ein. Bei Besserung der Beschwerden ist die Häufigkeit der Anwendung zu reduzieren."
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Zur Begründung führte die Beklagte an, dass die vorgelegten Anwendungsbeobachtungen eine Unbedenklichkeit für Kinder unter einem Jahr nicht belegten. Die Auflage zur Dosierung sei erforderlich, weil die Überlegenheit der beantragten höheren Dosierung gegenüber der neuen Dosierungsempfehlung der Kommission D nicht nachgewiesen sei. Eine Dosierung für Kinder unter einem Jahr könne nicht beansprucht werden, da hierfür kein ausreichendes Erkenntnismaterial vorgelegt worden sei.
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Mit der gegen diese Auflagen geführten Klage hat die Klägerin vorgetragen, dass die Wirksamkeit und Verträglichkeit des Medikaments bei Säuglingen durch die vorgelegten Anwendungsbeobachtungen und die langjährige Erfahrung hinreichend belegt sei. Das Arzneimittel habe bei der beantragten Dosierung auch für Säuglinge keine schädlichen Nebenwirkungen. Eine Einschränkung der Dosierung aufgrund der Neufassung der Dosierungsempfehlung der Kommission D sei nicht gerechtfertigt. Diese Empfehlung gelte ausdrücklich nur für Erwachsene und nur für den Fall, dass keine präparatespezifischen Erkenntnisse beigebracht würden. Die für die neue Dosierungsrichtlinie angeführten Risiken wie das Auftreten einer Erstverschlimmerung oder einer Prüfsymptomatik seien bei allen homöopathischen Medikamenten unabhängig von der Dosierung möglich.
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Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Die vorgelegten Anwendungsbeobachtungen seien aus methodischen und inhaltlichen Gründen nicht ausreichend. Die Klägerin habe kein Erkenntnismaterial vorgelegt, aus dem sich ergebe, dass die von ihr vorgeschlagene Dosierung zur Erreichung des Therapieziels geeigneter und wirksamer sei als die Empfehlung der Dosierungsrichtlinie. Die neue Dosierungsrichtlinie berücksichtige die spezifischen Risiken homöopathischer Arzneimittel durch Erstverschlimmerungen und das Auftreten einer Arzneimittelprüfsymptomatik und sei aus Gründen der Arzneimittelsicherheit erforderlich. Der Anwendung bei Säuglingen könne auch aus toxikologischer Sicht nicht zugestimmt werden; der Bestandteil Drosera enthalte Stoffe, die mutagene Wirkung hätten.
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Das Verwaltungsgericht hat die Auflagen mit Urteil vom 26. August 2008 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, über die Verlängerung der Zulassung für das Arzneimittel hinsichtlich der beantragten Anwendung bei Kindern von 3 bis 12 Monaten und der Dosierung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. Die Änderung der beantragten Dosierung und die Gegenanzeige für Kinder unter einem Jahr enthielten konkludente Teilversagungen, die mit der Verpflichtungsklage anzugreifen seien. Die Teilversagungen seien rechtswidrig, weil kein ordnungsgemäßes Mängelbeseitigungsverfahren durchgeführt worden sei. Die Beklagte habe sich auf die neue Dosierungsrichtlinie der Kommission D aus dem Jahr 2002 gestützt, die fachlich nicht begründet sei. Soweit eine neue Bewertung toxikologischer Risiken bei Kindern unter einem Jahr erfolgen müsse, handele es sich um neue Einwände, die nicht Gegenstand des Mängelverfahrens gewesen seien und deshalb nicht als Grundlage einer Versagung dienen könnten.
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Mit ihrer Berufung gegen dieses Urteil hat die Beklagte nur die Aufhebung der Auflage M.4 und die diesbezügliche Verpflichtung zur Neubescheidung angegriffen. Bei den Angaben zur Dosierung handele es sich lediglich um eine Auflage, nicht um eine Teilversagung. Das Mängelverfahren sei ordnungsgemäß durchgeführt worden; die Klägerin sei aufgefordert worden, die beantragte Dosierung mittels präparatespezifischer Unterlagen zu begründen oder die Dosierungsangaben an die Empfehlungen der Kommission D anzupassen. Den Kriterien der Kommission D komme die Qualität eines antizipierten Sachverständigengutachtens zu. Die aktuelle Dosierungsempfehlung sei nachvollziehbar begründet und durch - von der Beklagten dem Gericht vorgelegte - Fachliteratur und Erfahrungen der Homöopathie abgesichert. Selbst wenn die aktuelle Dosierungsempfehlung ungenügend sei, trete nicht die Dosierempfehlung aus dem Jahr 1993 an ihre Stelle, zumal die von der Klägerin beantragte Dosierung auch jener Empfehlung nicht entspreche, sondern hinsichtlich Gabengröße und -wiederholung davon abweiche. Die Beweislast für die Notwendigkeit und Unbedenklichkeit der von ihr beantragten Dosierung trage die Klägerin. Einem Anspruch auf Verlängerung der Zulassung mit der beantragten Dosierung stünden die Versagungsgründe nach § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, 4 und 5 AMG entgegen.
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Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung der Beklagten mit Beschluss vom 17. Juni 2009 zurückgewiesen. Die Klage sei nur als Verpflichtungsklage auf Zulassung des Arzneimittels mit der beantragten Dosierung statthaft. Als wesentliches Element der Zulassung dürfe eine Dosierung für die Informationstexte nur vorgeschrieben werden, wenn sie in der Zulassungsentscheidung selbst enthalten sei. Die Auflage bedeute deshalb zugleich die konkludente Versagung der beantragten Dosierung. Die Klägerin habe einen Anspruch auf erneute Entscheidung über die beantragte Dosierung. Auch eine Teilversagung sei ohne vorheriges Mängelverfahren rechtswidrig. Die Beklagte habe die beantragte Dosierung nicht ordnungsgemäß gerügt, weil sich das Mängelschreiben auf die neue Dosierungsempfehlung der Kommission D stütze, die rechtsfehlerhaft sei. Sie genüge schon nicht den Anforderungen an eine sachverständige Feststellung des wissenschaftlichen Erkenntnisstandes. Um die Standarddosierung für eine ganze Therapierichtung zu ändern, müsse nachvollziehbar und begründet dargelegt werden, warum die wissenschaftlichen Erkenntnisse eine Abkehr von früheren Erfahrungen erforderten. Daran fehle es, da der Kommissionsbeschluss nicht begründet sei. Zudem sei nicht erkennbar, dass die Empfehlung auf die Komplexmittelhomöopathie übertragbar sei. Außerdem verkenne die Kommission D wie die Beklagte, dass das angenommene Gefährdungspotential durch Erstverschlimmerungen und das Auftreten einer Arzneimittelprüfsymptomatik im Zulassungsverfahren nicht relevant sei. Schließlich sei ein Zusammenhang zwischen Dosis und etwaigen Risiken nicht plausibel. Die allgemeine Möglichkeit einer Erstverschlimmerung und des Auftretens einer Prüfsymptomatik bei höheren Dosen reiche nicht aus. Die neue Dosierungsempfehlung der Kommission D sei deshalb nicht zu berücksichtigen. Andere Mängel habe die Beklagte im Mängelbeseitigungsverfahren nicht benannt.
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Mit der Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des Arzneimittelgesetzes. Das Berufungsgericht habe zu Unrecht angenommen, das Mängelverfahren sei schon wegen der Bezugnahme auf die neue Dosierungsrichtlinie fehlerhaft durchgeführt worden. Der beantragten Dosierung stünden Versagungsgründe nach § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 4 AMG entgegen, weil sie nach dem gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis nicht ausreichend geprüft und die Wirksamkeit nicht ausreichend begründet worden sei. Anstelle von Studien könne für Altarzneimittel anderes wissenschaftliches Erkenntnismaterial im Sinne des § 22 Abs. 3 AMG, insbesondere Aufbereitungsmonographien und Empfehlungen der Kommission D, vorgelegt werden. Hier habe die Kommission D aber in der neuen Empfehlung eine deutlich niedrigere Dosierung angeraten als die frühere Aufbereitungskommission. Um die neue Empfehlung transparent zu machen, habe sie - die Beklagte - anhand von wissenschaftlichen Stellungnahmen aus der Fachliteratur die in der Homöopathie geltenden Prinzipien der Dosierung dargestellt. Damit habe sich das Berufungsgericht nicht näher befasst. Hinzu komme, dass die von der Klägerin beantragte Dosierung auch von der Empfehlung aus dem Jahr 1993 abweiche. Die Klägerin müsse deshalb Dosisfindungsstudien vorlegen, ansonsten sei die Zulassung insgesamt zu versagen. Die beigebrachten Anwendungsbeobachtungen seien nicht aussagekräftig. Das Berufungsgericht habe auch den Versagungsgrund des § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AMG und den Begriff der schädlichen Wirkungen unrichtig ausgelegt. Es genüge der begründete Verdacht, dass mit höheren Dosen die Gefahr einer Erstverschlimmerung und einer Arzneimittelprüfsymptomatik steige. Zwar lägen dazu keine präparatespezifischen Erkenntnisse vor. Aus den Erfahrungen in der Homöopathie ergebe sich jedoch, dass zu hohe und zu häufige Gaben allgemein zu solchen unerwünschten Wirkungen führen könnten. Außerdem enthalte der Wirkstoff Drosera erbgutschädigende und krebserregende Substanzen in einer Höhe, die jedenfalls für Kinder unter einem Jahr bedenklich sei.
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Die Klägerin verteidigt das Berufungsurteil. Ein ordnungsgemäßes Mängelverfahren habe nicht stattgefunden. Hinzu komme, dass die beauflagte Dosierung mit einer 3maligen Tagesgabe sogar noch niedriger sei als die neue Empfehlung der Kommission D, die bis zu 6 Gaben täglich vorsehe. Außerdem habe die Beklagte außer Acht gelassen, dass die neue Empfehlung anders als die Empfehlung aus dem Jahr 1993 nur für Erwachsene gelte. Die beauflagte Dosierung für Kinder beruhe auf einer freihändigen Übertragung des Dosierungsschemas für Kinder aus der alten Empfehlung, die die Beklagte selbst für obsolet halte. Die angeführten Versagungsgründe lägen nicht vor. Die Beklagte könne keine klinischen Studien oder Dosisfindungsstudien verlangen. Vielmehr reiche es aus, anderes wissenschaftliches Material im Sinne des § 22 Abs. 3 AMG vorzulegen. Der Versagungsgrund des § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AMG liege ebenfalls nicht vor. In der Homöopathie bestehe bekanntlich keine Dosis-Wirkung-Beziehung. Deshalb könnten auch vermeintliche Nebenwirkungen, hier Erstverschlimmerungen und eine Prüfsymptomatik, nicht durch eine Dosisreduzierung eingedämmt werden.
Entscheidungsgründe
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Die Revision ist begründet. Das Berufungsurteil verletzt Bundesrecht, weil es auf einem unzutreffenden Verständnis der arzneimittelrechtlichen Auflagenbefugnis nach § 28 Abs. 2, des Mängelbeseitigungsverfahrens nach § 105 Abs. 5 sowie der Versagungsgründe des § 25 Abs. 2 AMG beruht. Ob die Klage Erfolg hat, kann ohne Tatsachenfeststellungen zu den von der Beklagten geltend gemachten Versagungsgründen nicht entschieden werden. Die Sache ist deshalb zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Nr. 2 VwGO).
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1. Die Klage ist als Anfechtungsklage statthaft. Nach der Rechtsprechung des Senats können Auflagen nach § 28 Abs. 2 AMG mit der Anfechtungsklage angegriffen werden (Urteile vom 21. Juni 2007 - BVerwG 3 C 39.06 - Buchholz 418.32 AMG Nr. 48, vom 19. November 2009 - BVerwG 3 C 10.09 - NVwZ-RR 2010, 320 und vom 18. März 2010 - BVerwG 3 C 19.09 - juris).
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Die Klägerin wendet sich gegen eine Auflage nach § 28 Abs. 2 AMG (i.V.m. § 105 Abs. 5a Satz 2 1. Alt. AMG). Das ergibt sich aus der von der Behörde gewählten Bezeichnung der Auflage, ferner aus ihrem Inhalt, der einen bestimmten Text der Packungsbeilage und der Fachinformation vorgibt, sowie aus der gesamten Gestaltung des Bescheids, der einerseits die Hauptentscheidung auf der Zulassungsebene enthält und andererseits Nebenentscheidungen in Form von Auflagen.
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Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist mit der Auflage keine konkludente Beschränkung der Zulassung des Arzneimittels verbunden, die nur mit einer Verpflichtungsklage angegriffen werden könnte. Die wesentlichen Merkmale eines Arzneimittels, zu denen die hier in Rede stehende Dosierung gehört, können nicht allein dadurch verbindlich gemacht werden, dass die Zulassungsbehörde durch Auflagen einen entsprechenden Text für die Packungsbeilage und die Fachinformation vorschreibt. Vielmehr muss die Zulassungsentscheidung selbst regeln, unter welchen materiellen Voraussetzungen das Arzneimittel zugelassen ist (Urteile vom 21. Juni 2007, vom 19. November 2009 und vom 18. März 2010 a.a.O.).
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2. Die angefochtene Auflage ist rechtswidrig. § 28 Abs. 2 AMG ermächtigt nicht zu Zulassungsbeschränkungen, sondern nur zu Anpassungen der Informationstexte an das zugelassene Arzneimittel (Urteile vom 21. Juni 2007, vom 19. November 2009 und vom 18. März 2010 a.a.O.). Da das Arzneimittel durch den Bescheid ohne die in Streit stehende Beschränkung zugelassen ist, nämlich auf der Grundlage der eingereichten Unterlagen und der Angaben des Antragstellers, also mit der beantragten Dosierung, kann eine andere Dosierung nicht über § 28 Abs. 2 AMG oder sonstige Auflagenbefugnisse für die Informationstexte vorgegeben werden.
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3. Die Aufhebung der Auflagen setzt neben ihrer Rechtswidrigkeit und ihrer Abtrennbarkeit voraus, dass die Nachzulassung des Arzneimittels ohne die Auflage rechtmäßig bestehen kann. Die Prüfung ist thematisch beschränkt auf den Gegenstand der Auflage, hier also auf die Frage, ob der beantragten Dosierung die angeführten Versagungsgründe nach § 25 Abs. 2 Satz 1 AMG entgegenstehen (vgl. Urteile vom 19. November 2009 a.a.O. Rn. 23 und vom 18. März 2010 a.a.O. Rn. 16).
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Diese Prüfung hat das Berufungsgericht bislang nicht geleistet. Es ist davon ausgegangen, dass der Klägerin schon deshalb keine Versagungsgründe entgegengehalten werden können, weil es an einem ordnungsgemäßen Mängelbeseitigungsverfahren fehle; denn die Beklagte habe im Mängelschreiben auf die Dosierungsempfehlung der Kommission D aus dem Jahr 2002 abgestellt, die ihrerseits rechtsfehlerhaft sei. Diese Argumentation überspannt die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Mitteilung der Beanstandungen im Sinne des § 105 Abs. 5 Satz 1 AMG. Richtig ist zwar, dass nach der gesetzlichen Systematik nur solche Mängel zu einer Versagung oder Teilversagung führen können, die zuvor beanstandet wurden und denen nicht fristgemäß abgeholfen worden ist. Dafür reicht es aber aus, dass die Behörde den Mangel bezeichnet, Gründe benennt, die ihn belegen sollen und - soweit Abhilfe möglich ist - einen Weg aufzeigt, wie der geltend gemachte Mangel ausgeräumt werden kann. Ob die von der Behörde angeführten Gründe in der Sache zutreffen, ist hingegen keine Frage einer ordnungsgemäßen, die Mängelbeseitigungspflicht auslösenden Beanstandung, sondern betrifft die Versagungsgründe selbst. Das Schreiben vom 12. Februar 2003 genügt den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Beanstandung: Es bemängelt die beantragte Dosierung und fordert die Klägerin auf, die Dosierung entweder der neuen Empfehlung der Kommission D anzupassen oder präparatespezifisches Erkenntnismaterial für die Überlegenheit einer abweichenden Dosierung vorzulegen. Daraus konnte die Klägerin ohne Weiteres erkennen, dass die Beklagte die beantragte Dosierung angesichts der neueren Erkenntnisse der Kommission D als nicht hinreichend belegt ansieht. Demgemäß hat sie als Reaktion auf das Mängelschreiben präparatespezifisches Erkenntnismaterial in Form von Anwendungsbeobachtungen vorgelegt.
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4. Zu klären bleibt somit für das Berufungsgericht, ob hinsichtlich der beantragten Dosierung Versagungsgründe bestehen. Der maßgebliche Zeitpunkt für diese Prüfung, namentlich soweit es den gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis betrifft, ist der des Erlasses der Zulassungsentscheidung, die als solche nicht Gegenstand der Klage ist, sondern im Rahmen der Anfechtung der Auflage daraufhin überprüft wird, ob sie mit der beantragten und demzufolge auch genehmigten Dosierung erlassen werden durfte.
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Die Beklagte hat hinsichtlich der beantragten Dosierung Versagungsgründe nach § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, 4 und 5 AMG geltend gemacht. Bei deren Prüfung sind die jeweiligen Darlegungslasten zu beachten. Die Verantwortung für die Zulassungsentscheidung trägt die Behörde, sie trifft die Darlegungslast und die materielle Beweislast für das Vorliegen eines Versagungsgrundes (Urteil vom 14. Oktober 1993 - BVerwG 3 C 21.91 - BVerwGE 94, 215 <218> = Buchholz 418.32 AMG Nr. 25 S. 35). Freilich enthalten bestimmte Versagungsgründe Erleichterungen zugunsten der Behörde. Soweit als Versagungsgrund ausreicht, dass die therapeutische Wirksamkeit nach dem jeweils gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse vom Antragsteller unzureichend begründet ist (§ 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 2. Alt. AMG), muss die Behörde nicht die Unwirksamkeit des Mittels dartun, sondern nur die Tatsache einer gescheiterten Begründung. Dazu reicht es aus, eine fehlende oder fehlerhafte Schlussfolgerung in der Antragsbegründung aufzuzeigen, ein Forschungsergebnis zu benennen, zu dem sich der Antragsteller nicht geäußert hat, oder die inhaltliche Unrichtigkeit wesentlicher Antragsunterlagen nachzuweisen (Urteil vom 14. Oktober 1993 a.a.O. S. 218 f. bzw. S. 35 f.). Gleiches gilt für den Versagungsgrund nach § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AMG, soweit er ausreichen lässt, dass das wissenschaftliche Erkenntnismaterial nach § 22 Abs. 3 AMG nicht dem jeweils gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis entspricht, während der Versagungsgrund nach § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AMG den tatsächlichen Nachweis eines ungünstigen Nutzen-Risiko-Verhältnisses verlangt. Ein Risiko im Sinne des Arzneimittelgesetzes erfordert allerdings ebenso wenig wie der Begriff der bedenklichen Arzneimittel die sichere Erwartung schädlicher Nebenwirkungen, sondern nur den begründeten Verdacht, es könne vermehrt zu solchen Nebenwirkungen kommen. Ein solcher Verdacht besteht schon dann, wenn ernstzunehmende Erkenntnisse einen solchen Schluss nahelegen (Urteil vom 26. April 2007 - BVerwG 3 C 36.06 - Buchholz 418.32 AMG Nr. 46 Rn. 27).
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Daraus ergibt sich für die weitere Prüfung Folgendes:
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a) Soweit es die von der Beklagten gegen die Höhe der Dosierung angeführten Versagungsgründe nach § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 4 AMG betrifft, wird zuerst zu untersuchen sein, auf welches wissenschaftliches Erkenntnismaterial sich die Klägerin stützen kann. Soweit sie Anwendungsbeobachtungen zu dem Arzneimittel vorgelegt hat, ist dies nicht problematisch. Anwendungsbeobachtungen zählen unter Berücksichtigung der Besonderheiten der homöopathischen Therapie zu dem anderen wissenschaftlichen Erkenntnismaterial im Sinne des § 22 Abs. 3 AMG (Urteil vom 16. Oktober 2008 - BVerwG 3 C 23.07 - Buchholz 418.32 AMG Nr. 53 Rn. 18). Allerdings hat sich die Klägerin ergänzend auch auf die Dosierungsempfehlung der Kommission D aus dem Jahr 1993 bezogen. Derartige Empfehlungen fallen zwar ebenfalls unter § 22 Abs. 3 AMG. Die Beklagte hat aber zutreffend geltend gemacht, dass die beantragte Dosierung, wenn auch nicht hinsichtlich der täglichen Gesamtdosis, so doch hinsichtlich des Dosierungsschemas von der alten Empfehlung abweicht. Vor der Prüfung, ob diese Empfehlung noch dem gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis im Sinne des § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 4 AMG entspricht oder durch die neue Empfehlung überholt ist, steht deshalb die Frage, ob die alte Empfehlung die beantragte Dosierung überhaupt stützen kann. Dafür muss geklärt werden, ob die Abweichung unter Berücksichtigung der Erfahrungen der Therapierichtung eine Bezugnahme auf die alte Empfehlung von vornherein ausschließt.
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Steht fest, auf welches Erkenntnismaterial sich die Klägerin stützen kann, muss in einem zweiten Schritt geprüft werden, ob die Beklagte die Tragfähigkeit der Dosierungsbegründung erschüttert hat, weil ihre fachlichen Einwände gegen die vorgelegten Anwendungsbeobachtungen und - wenn von Bedeutung (s.o.) - gegen die alte Dosierungsempfehlung durchgreifen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Beklagte die Anwendungsbeobachtungen als präparatespezifische Erkenntnisse nur mit ebenfalls spezifischen Einwänden und nicht mit anderslautenden allgemeinen Empfehlungen der Kommission D zur Höhe der Dosierung in Zweifel ziehen kann. Das folgt unmittelbar aus den Empfehlungen selbst, die nur Bedeutung beanspruchen, soweit keine auf das konkrete Arzneimittel bezogenen wissenschaftlichen Erkenntnisse vorliegen. Ergeben solche Erkenntnisse, dass das Arzneimittel in der beantragten Dosierung wirksam und unbedenklich ist, kann ihm eine Empfehlung der Kommission D, die allgemein zu einer niedrigeren Dosierung rät, nicht mehr entgegengehalten werden. Ferner kann die Beklagte gegen die Anwendungsbeobachtungen nicht mit Erfolg einwenden, dass solche Untersuchungen keine Aussagen über niedrigere Dosierungen zuließen. Es trifft zwar zu, dass eine Anwendungsbeobachtung nur die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der konkret praktizierten Dosierung belegen kann. Wenn dieser Nachweis aber erbracht ist, besteht bei homöopathischen Arzneimitteln, die bereits langjährig beanstandungsfrei eingesetzt werden, unter dem Gesichtspunkt der Arzneimittelsicherheit im Nachzulassungsverfahren kein Anlass zu weitergehenden Prüfungen. Davon gehen ersichtlich auch die nach § 26 AMG erlassenen Arzneimittelprüfrichtlinien wie auch die Richtlinien der Kommission D aus (so bereits Urteil vom 16. Oktober 2008 a.a.O.). Die Prüfung reduziert sich deshalb, soweit es die Anwendungsbeobachtungen betrifft, auf die konkreten Einwände der Beklagten gegen die Validität dieser Untersuchungen.
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Sollten diese Einwände durchgreifen, bleibt zu prüfen, inwieweit die von der Klägerin ergänzend angeführte Dosierungsempfehlung der Kommission D aus dem Jahr 1993 die beantragte Dosierung zu stützen vermag oder ob die Beklagte mit der neuen Dosierungsempfehlung der Kommission D und ihren darauf bezogenen fachwissenschaftlichen Erläuterungen ernstzunehmende Erkenntnisse dafür vorgelegt hat, dass mit der Verringerung der beantragten Dosierung eine Minderung der Gefahr von Erstverschlimmerungen und des Auftretens einer Arzneimittelprüfsymptomatik erreicht werden kann, ohne den Nutzen des Arzneimittels wesentlich zu mindern. Das betrifft in erster Linie den Versagungsgrund des ungünstigen Nutzen-Risiko-Verhältnisses nach § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AMG. Das Berufungsgericht ist bislang davon ausgegangen, dass die neue Dosierungsempfehlung der Kommission D schlechthin ungeeignet sei, um eine niedrigere Dosierung zu begründen. Die dafür angeführten Gründe hat der Senat bereits im Urteil vom 19. November 2009 (a.a.O.), auf das verwiesen wird, als unzutreffend angesehen. Insbesondere enthebt der Umstand, dass die Dosierungsempfehlung selbst keine nähere Begründung enthält, nicht davon, die Berechtigung einer niedrigeren Dosierung zur Vermeidung von Erstverschlimmerungen und dem Auftreten einer Prüfsymptomatik zu untersuchen. Die Beklagte hat, nachdem die Klägerin die neue Dosierungsempfehlung der Kommission D in Zweifel gezogen hat, im gerichtlichen Verfahren unter Vorlage von Fachliteratur darzulegen versucht, warum die neue Dosierungsempfehlung dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis und dem Selbstverständnis der Homöopathie besser entspricht als die frühere Empfehlung. Damit muss sich das Berufungsgericht auseinandersetzen, bevor es die neue Dosierungsempfehlung als unmaßgeblich ansieht.
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b) Die Beklagte hat im gerichtlichen Verfahren zusätzlich geltend gemacht, dass der Dosierung, soweit sie für Kinder unter einem Jahr gelten soll, neuere Erkenntnisse entgegenstünden, wonach der Wirkstoff Drosera erbgutverändernde und krebserregende Stoffe enthalte. Der Einwand ist in diesem Verfahren nicht zu prüfen; denn die Überprüfung ist thematisch beschränkt auf den Gegenstand der Auflage. Soweit es Kinder unter einem Jahr betrifft, hat die Beklagte sie mit der Auflage deshalb von einer Dosierung ausnehmen wollen, weil sie meinte, die von der Klägerin vorgelegten Anwendungsbeobachtungen gäben keine hinreichende Auskunft für eine Anwendung des Arzneimittels in dieser Altersgruppe. Der im gerichtlichen Verfahren erhobene Einwand zielt hingegen auf Risiken und Nebenwirkungen des Arzneimittels und damit auf den Versagungsgrund des § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AMG, der unter diesem Aspekt nicht Gegenstand des Mängelverfahrens war. Außerdem ist die inhaltliche Verknüpfung mit dem Gegenstand der Auflage M.3 zu berücksichtigen. Soweit die beauflagte Dosierung Kinder unter einem Jahr ausnimmt, liegt dies in der Konsequenz der mit der Auflage M.3 für diese Altersgruppe formulierten Gegenanzeige. Die Dosierung ist - insoweit - eine bloße Folgeregelung, die nicht anders beurteilt werden kann als die Gegenanzeige selbst. Dieser Teil des Rechtsstreits ist bereits abschließend entschieden. Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte unter Aufhebung der Auflage M.3 verpflichtet, über die Anwendung des Arzneimittels bei Kindern von 3 bis 12 Monaten erneut zu entscheiden und dabei zu prüfen, ob die neuen Grenzwerte für toxische Stoffe eingehalten worden sind. Das Ergebnis dieser Prüfung muss die Beklagte in die Zulassungsentscheidung einarbeiten, und zwar einschließlich einer gegebenenfalls notwendigen Folgeänderung bei der Dosierung.
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.
Andere Urteile sind gegen eine der Höhe nach zu bestimmende Sicherheit für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Soweit wegen einer Geldforderung zu vollstrecken ist, genügt es, wenn die Höhe der Sicherheitsleistung in einem bestimmten Verhältnis zur Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages angegeben wird. Handelt es sich um ein Urteil, das ein Versäumnisurteil aufrechterhält, so ist auszusprechen, dass die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil nur gegen Leistung der Sicherheit fortgesetzt werden darf.
(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.
(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,
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wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen, - 2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist, - 3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, - 4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder - 5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.