Verwaltungsgericht Karlsruhe Urteil, 06. März 2012 - A 3 K 3069/11

bei uns veröffentlicht am06.03.2012

Tenor

Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 10.11.2011 wird aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Tatbestand

 
Der Kläger wendet sich gegen die Feststellung, sein Asylantrag sei unzulässig, und die gleichzeitig verfügte Abschiebungsanordnung nach Italien.
Der am … 1990 geborene Kläger ist irakischer Staatsangehöriger yezidischer Glaubenszugehörigkeit aus Sheikhan in der Provinz Mosul. Er wurde am 22.10.2011 bei seiner Einreise ins Bundesgebiets in Bad Säckingen aufgegriffen und gab anlässlich seiner polizeilichen Beschuldigtenvernehmung am 23.10.2011 an, dass er nach seiner Ausreise aus dem Irak nach Istanbul gefahren und von dort nach Italien gelangt sei. In Italien habe man ihn gezwungen, sich Fingerabdrücke nehmen zu lassen, weil er sonst nichts zu essen und trinken bekommen hätte. Er sei auch geschlagen und damit bedroht worden, ins Gefängnis gesteckt zu werden. Eine Eurodac-Überprüfung ergab für Italien einen Treffer unter dem 20.10.2011. Ab dem 24.10.2011 befand sich der Kläger aufgrund Beschlusses des Amtsgerichts Bad Säckingen vom 24.10.2011 - UR 2/11 - in Zurückschiebehaft in der JVA Mannheim, aus der er am 31.10.2011 einen Asylantrag stellte.
Am 26.10.2011 richtete die Bundesrepublik Deutschland ein Aufnahmeersuchen an die italienischen Behörden, was von dort am 18.11.2011 positiv beantwortet wurde.
Mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 10.11.2011 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) den Asylantrag des Klägers als unzulässig ab und ordnete seine Abschiebung nach Italien an. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Asylantrag deshalb unzulässig sei, weil Italien nach der Dublin II-VO für die Behandlung des Asylantrags zuständig sei. Außergewöhnliche humanitäre Umstände, die zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts der Bundesrepublik Deutschland führen könnten, seien weder dargetan noch ersichtlich. Italien erfülle gegenüber Asylbewerbern die Mindeststandards. Da es sich bei Italien um einen sicheren Drittstaat handle, sei aufgrund des Konzepts der normativen Vergewisserung davon auszugehen, dass dort die Anwendung der GFK und der EMRK sichergestellt sei. Auch sei davon auszugehen, dass die einschlägigen Regelungen des EG-Rechts in Italien eingehalten würden. Auch von Seiten des UNHCR gebe es keine Aufforderung an die Mitgliedstaaten, von Überstellungen nach Italien abzusehen.
Der Bundesamtsbescheid wurde dem Kläger-Vertreter am 14.11.2011 zugestellt.
Bereits am 09.11.2011 hat der Kläger beim Verwaltungsgericht um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Nach aktuellen Erkenntnissen werde Flüchtlingen in Italien kein faires Asylverfahren eröffnet. Sie erhielten dort keinen Schutz entsprechend den europaweit vereinbarten Mindeststandards. Die große Mehrheit von ihnen sei ungeschützt, ohne Obdach, Integrationshilfe und gesicherten Zugang zu Nahrung. Gerade in den Wintermonaten stelle sich die Situation der Asylsuchenden als sehr prekär dar. Insgesamt seien die Verhältnisse in Italien mit denen in Griechenland zu vergleichen. Danach sei Italien nicht in der Lage, den flüchtlingspolitischen Anforderungen gerecht zu werden.
Am 18.11.2011 hat der Kläger Klage erhoben.
Zu deren Begründung nimmt er auf die Ausführungen im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes Bezug.
Der Kläger beantragt,
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den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 10.11.2011 aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung bezieht sie sich auf die angegriffene Entscheidung und verweist ergänzend auf Beiträge der deutschen Liaison-Beamtin in Italien.
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Mit Beschluss vom 28.11.2011 - A 3 K 2985/11 - hat die Einzelrichterin die aufschiebende Wirkung der Klage des Klägers gegen die Anordnung der Abschiebung nach Italien angeordnet und der Beklagten aufgegeben, dem Regierungspräsidium Karlsruhe mitzuteilen, dass eine Abschiebung des Klägers nach Italien vorläufig nicht durchgeführt werden dürfe.
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Mit Beschluss vom 07.12.2011 wurde der Rechtsstreit der Berichterstatterin als Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen.
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Ebenfalls mit Beschluss vom 07.12.2011 wurde dem Kläger Prozesskostenhilfe bewilligt und sein Rechtsanwalt als Prozessbevollmächtigter beigeordnet.
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Am 22.12.2011 wurde der Kläger beim Bundesamt angehört und hat dort folgende Angaben gemacht: Seine gesamte Familie sei zwischenzeitlich in Deutschland. Er habe ein Jahr lang in Syrien gelebt und bei der Deutschen Botschaft in Damaskus erfolglos ein Visum zur Familienzusammenführung beantragt. Als er danach wieder in den Irak zurückgekehrt sei, habe er nicht gewusst, wohin er habe gehen sollen, da seine Familie das Haus bereits verkauft gehabt habe. Zunächst habe er zwei Tage bei seiner Tante väterlicherseits gewohnt, von dort sei er nach Sulaimaniya und danach nach Arbil gegangen. Dort habe er mit Alkohol gehandelt. Deshalb habe es zunehmend Drohungen gegen ihn gegeben. Außerdem habe man ihn als Yeziden diskriminiert. Da er allein gewesen sei und nicht gewusst habe, wohin er habe gehen sollen, sei er zu seiner in Deutschland lebenden Familie gekommen. Seine bei der polizeilichen Vernehmung gemachten Angaben zum Reiseweg seien zutreffend.
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In der mündlichen Verhandlung wurde der Kläger ergänzend befragt und hat Folgendes angegeben: Am 07.10.2011 sei er aus dem Irak ausgereist. Seine Familie sei zu dieser Zeit bereits in Deutschland gewesen. Grund für seine Ausreise sei die Lage der Yeziden im Irak gewesen. Er sei bereits zuvor nach Syrien gereist, um von dort aus ein Visum zur Familienzusammenführung mit seinem in Deutschland lebenden Vater zu beantragen. Nachdem dieses abgelehnt worden sei, sei er in den Irak zurückgekehrt. Dort habe er jedoch keine Familie mehr gehabt. Er habe erfolglos versucht, in Arbil und Sulaimaniya Arbeit zu finden. Als Yezide sei ihm dies jedoch nicht gelungen.
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Auf Frage nach individuellen Problemen unabhängig von seiner Glaubenszugehörigkeit: Er habe dort nicht mehr leben können und auch kein Geld mehr gehabt.
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Auf Vorhalt, dass er bei der Bundesamtsanhörung von Bedrohungen wegen seines Handels mit Alkohol gesprochen habe: Mit Alkohol habe er nicht gehandelt. Er sei in einem Lokal als Bedienung tätig gewesen und habe in Arbil Alkohol ausgeschenkt. Auch in Sulaimaniya habe er keine Arbeit gefunden. Eine Woche habe er in Rania gearbeitet. Dann sei er in seinen Heimatort zurückgekehrt und mit seinem irakischen Reisepass in die Türkei gefahren. Ein Schleuser habe ihn illegal zu Fuß nach Griechenland gebracht. Dieser habe ihm auch versprochen, ihn per Lkw direkt nach Deutschland zu bringen. Mit dem Lkw sei er in vier Tagen bis zur Küste gefahren. Dann habe er in ein mit über 100 Personen völlig überfülltes Boot steigen müssen. In diesem sei er nach Italien gelangt. Die italienischen Behörden hätten ihm gesagt, er müsse seine Fingerabdrücke abgeben, da er sonst nichts zu essen bekäme und verhaftet würde. Zunächst habe er sich geweigert, aber so kein Essen bekommen und hungrig schlafen müssen. Zwei Tage habe man ihn in Haft gehalten und dann vier Tage lang in einer Asylaufnahmeeinrichtung untergebracht. In dieser sei die Lage nicht gut gewesen. Es habe viele Kurden und Yeziden dort gegeben. Es habe sich dem Grunde nach um ein großes Zelt gehandelt, wo sie hätten schlafen müssen. Es habe nur schlechtes und billiges Essen gegeben. Die Bedingungen seien miserabel gewesen. Wäre er dort geblieben, hätte er betteln müssen. Die Kurden und Yeziden seien in wenig von der Kirche unterstützt worden.
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Auf Frage: Man habe ihm gesagt, dass er einen Asylantrag stellen solle. Er habe sich jedoch geweigert, weil er zu seinen Eltern habe weiterreisen wollen.
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Er habe gesehen, wie die Flüchtlinge hätten betteln müssen. Er habe dort nicht bleiben können und sei deshalb mit einem Pkw zunächst über Mailand in die Schweiz und dann mit einem weiteren Pkw nach Deutschland gekommen.
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Eine Rückkehr in den Irak komme für ihn nicht in Betracht. Er habe dort keine Familie, keine Arbeit und kein Geld. Er würde getötet werden und verhungern.
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Dem Gericht liegen die einschlägigen Akten des Bundesamtes vor. Diese Akten wurden ebenso wie die Erkenntnismittel, die in der den Beteiligten mit der Ladung übersandten Liste aufgeführt sind, zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht. Eingeführt wurden auch die aus dem Sitzungsprotokoll ersichtlichen aktuellen Erkenntnisse. Beigezogen wurde außerdem die Akte des Eilverfahrens A 3 K 2985/11.

Entscheidungsgründe

 
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Das Gericht konnte über die Klage verhandeln und entscheiden, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vertreten waren, da auf diese Möglichkeit in der ordnungsgemäß bewirkten Terminsladung hingewiesen worden ist (§ 102 Abs. 2 VwGO).
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Die Klage ist als Anfechtungsklage zulässig.
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Gegen die in dem Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 10.11.2011 getroffene Entscheidung, dass der Asylantrag des Klägers gemäß § 27 a AsylVfG unzulässig ist, ist die Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 VwGO statthaft (vgl. VG Freiburg, Beschl. v. 02.02.2012 - A 4 K 2203/11 -; VG München, Urt. v. 29.11.2011 - M 24 K 11.30219 -, juris; VG Ansbach, Beschl. v. 08.11.2011 - AN 11 S 11.30508 -, juris; VG Wiesbaden, Urt. v. 17.06.2011 - 7 K 327/11.WI.A -, juris; VG Frankfurt/Main, Urt. v. 23.06.2010 - 7 K 2789/09.F.A. -, juris; VG Braunschweig, Urt. v. 01.06.2010 - 1 A 47/10 -, juris; VG Karlsruhe, Urt. v. 07.04.2010 - A 3 K 1580/09 -; VG Augsburg, Beschl. v. 01.02.2010 - Au 5 S 10.30014 -, juris; VG Frankfurt/Main, Urteile v. 08.07.2009 - 7 K 4376/07.F.A u.a. -, InfAuslR 2009, 406; v. 29.09.2009 - 7 K 269.09 F.A.; VG Neustadt, Urt. v. 16.06.2009 - 5 K 1166/08.NW -, juris; Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, § 27 a Rdnr. 18; a.A. [Statthaftigkeit nur der Verpflichtungsklage] OVG NRW, Urt. v. 10.05.2010 - 3 A 133/10.A -, juris; VG Wiesbaden, Urt. v. 10.03.2010 - 7 K 1389/09.WI.A -; wohl auch VG Sigmaringen, Urt. v. 26.10.2009 - A 1 K 1757/09 -). Im Falle der Aufhebung einer solchen Entscheidung ist der Weg für die Durchführung eines Asylverfahrens vor dem Bundesamt mit voller inhaltlicher Sachprüfung des klägerischen Asylbegehrens eröffnet. Vergleichbar den Fällen einer Einstellung des Asylverfahrens nach § 32 AsylVfG sowie der gerichtlichen Entscheidung bei einer fiktiven Antragsrücknahme nach § 33 AsylVfG ist im Anschluss an die hierzu ergangene einschlägige Rechtsprechung des BVerwG (Urt. v. 07.03.1995 - 9 C 264.94, NVwZ 1996, S. 80; Marx, AsylVfG, 7. Auflage 2009, § 33 Rdnr. 34 ff. m.w.N.) auch bei einer Entscheidung nach § 27 a AsylVfG die Verpflichtungsklage mit dem Ziel einer Anerkennung als Asylberechtigter im Sinne des Art. 16 a Abs. 1 GG bzw. der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG nicht als vorrangig anzusehen. Im Falle des Durchentscheidens des Verwaltungsgerichts durch Verpflichtungsurteil würde dem Kläger nämlich eine Tatsacheninstanz, und zwar die auf inhaltliche Überprüfung seines Asylbegehrens durch das Bundesamt, genommen.
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Statthafte Klageart gegen die in dem Bescheid vom 10.11.2011 enthaltenen Abschiebungsanordnung nach § 34 a Abs. 1 AsylVfG ist gleichfalls die Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 VwGO (vgl. VG Frankfurt/Main, Urteile v. 08.07.2009 - und v. 29.09.2009, jeweils a.a.O.; s. auch Renner, Ausländerrecht, 8. Auflage 2005, § 34 a AsylVfG Rdnr. 6; Funke-Kaiser, a.a.O., § 34 a Rdnr. 64;).
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Dem Kläger steht für seine Klage auch das zwingend erforderliche Rechtsschutzinteresse zu, da er weiterhin nach Italien rücküberstellt werden könnte, nachdem Italien am 18.11.2011 der Rückübernahme des Klägers zugestimmt hat. Zudem läuft die Sechs-Monats-Frist des Art. 19 Abs. 4 S. 1 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.02.2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl. L 50 S. 1) - im Folgenden: Dublin II-VO -, wonach die Zuständigkeit zur Durchführung eines Asylverfahrens auf den Mitgliedstaat übergeht, in dem der Asylantrag eingereicht wurde, sofern die Überstellung nicht innerhalb von sechs Monaten ab der Stattgabe des Aufnahmegesuchs im Sinne des Art. 18 Abs. 7 Dublin II-VO durchgeführt wird (vgl. auch Art. 20 Abs. 2 Dublin II-VO), erst ab der gerichtlichen Entscheidung, mit der über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens entschieden wird und die dieser Durchführung nicht mehr entgegenstehen kann (EuGH, Urt. v. 29.01.2009 - C-19/08, NVwZ 2009, 639 - Petrosian). Der Fristenlauf beginnt somit erst ab Eintritt der Unanfechtbarkeit des Bescheides der Beklagten vom 10.11.2011.
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Die Klage ist auch begründet.
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Der Bescheid des Bundesamtes vom 10.11.2011 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO). Das Bundesamt hat zu Unrecht den Asylantrag des Klägers als unzulässig abgelehnt und seine Abschiebung nach Italien angeordnet. Vielmehr hätte das Bundesamt im Falle des Klägers von seinem Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO Gebrauch machen müssen.
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Nach Art. 3 Abs. 2 S. 1 Dublin II-VO kann jeder Mitgliedstaat abweichend von den Zuständigkeitskriterien des Kapitels III der Verordnung einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Der das Selbsteintrittsrecht wahrnehmende Mitgliedstaat wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat im Sinne der Verordnung und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen (Satz 2). Gegebenenfalls unterrichtet er den zuvor zuständigen Mitgliedstaat über den Selbsteintritt (Satz 3).
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Der Kläger kann sich auch auf einen subjektiven öffentlich-rechtlichen Anspruch auf den Selbsteintritt der Beklagten gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO berufen. Diese Bestimmung ist - anders als die Vorgängerregelungen im Schengener Durchführungsübereinkommen und im völkerrechtlichen Dubliner Übereinkommen (vgl. hierzu Funke-Kaiser, a.a.O., § 27 a Rdnr. 25) - nicht allein im öffentlichen Interesse geschaffen worden, sondern verbürgt den von ihr Betroffenen ein subjektives Recht. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des EuGH, dass ein Einzelner nicht nur dann aus dem Unionsrecht subjektive Rechte herzuleiten vermag, wenn diese ausdrücklich zugesprochen werden. Vielmehr genügt es, wenn aus einer Rechtsnorm klar und eindeutig eine Vergünstigung Einzelner hervorgeht, die keiner Bedingung und keinem zeitlichen Aufschub mehr unterliegt, und weder die Union noch die Mitgliedstaaten einen Spielraum zur Ausgestaltung besitzen (vgl. nur EuGH, Urt. v. 05.02.1963 - Rs. 26/62, Slg. 1963, 1 [24]= NJW 1973, 1751 - van Gend & Loos vs. Niederlande; EuGH, Urt. v. 04.12.1974 - Rs. C-41/74, Slg. 1974, 1337 [1349] - van Duyn vs. Home Office; EuGH, Urt. v. 19.01.1982 - Rs. C-8/81, Slg. 1982, 53 [71]= NJW 1982, 53 - Becker vs. Finanzamt Münster). Diese Voraussetzungen sind im Falle der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 dem Grunde nach erfüllt (vgl. auch Funke-Kaiser, a.a.O., § 27 a Rdnr. 124 m.w.N.). Hiervon geht im Ergebnis auch der EuGH in seinem zur Verordnung (EG) Nr. 343/2003 ergangenen Urteil vom 29.01.2009 (C-19/08, NVwZ 2009, S. 639 Rdnr. 38, 48 zu Fragen des Rechtsschutzes - Petrosian) aus. Allerdings verbürgt Art. 3 Abs. 2 der Dublin II-VO lediglich ein - gegebenenfalls aber auf Null reduziertes - Recht auf fehlerfreie Ermessensausübung (VG Würzburg, Urt. v. 12.03.2009 - W 4 K 08.30122 -; Funke-Kaiser, a.a.O., § 27 a Rdnr. 134 f. und 223 m.w.N.; Marx, a.a.O., § 27 a Rdnr. 13; Huber/Göbel-Zimmermann, Ausländer- und Asylrecht, 2. Aufl. 2008, Rdnr. 1886; Filzwieser/Liebminger, Dublin II-Verordnung, Kommentar, 2. Aufl., Wien/Graz 2007, Art. 3 K 9 unter Verweis auf einschlägige Rechtsprechung des Österreichischen Verfassungsgerichtshofs, Entscheid v. 15.10.2004 - G 237/03 u.a und des Belgischen Conseil d'Etat/Raad van State vom 28.08.2006, Zl. 162.039; Schröder, Die EU-Verordnung zur Bestimmung des zuständigen Asylstaats, ZAR 2003, S. 124 [131]; Hruschka, Die Dublin II-Verordnung, in: Informationsverbund Asyl e.V. [Hrsg.], Das Dublin-Verfahren, Beilage zum Asylmagazin 1-2/2008, S. 1 [9]; Hruschka, Humanitäre Lösungen in Dublin-Verfahren, Asylmagazin 7-8/2009, S. 5 [7 f. und 9 f.]).
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Im Falle des Klägers liegen die Voraussetzungen für einen Selbsteintritt der Beklagten nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO vor.
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Nach Art. 3 Abs. 1 Dublin II-VO prüfen die Mitgliedstaaten jeden Asylantrag, den ein Drittstaatsangehöriger an der Grenze oder im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III der Verordnung als zuständiger Staat bestimmt wird. Nach Art. 3 Abs. 2 S. 1 Dublin II-VO kann abweichend davon jeder Mitgliedstaat einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Der Kläger fällt als Drittstaatsangehöriger im Sinne des Art. 2 lit. a) Dublin II-VO, der einen Asylantrag gemäß Art. 2 lit. c) Dublin II-VO gestellt hat, in den Anwendungsbereich dieser Verordnung. Es steht fest, dass eine Zuständigkeit der Beklagten nach den Kriterien in Kapitel III dieser Verordnung, die sich auf Zugehörigkeit zu im Bundesgebiet lebenden Familienangehörigen kraft Ehe, eheähnlicher Gemeinschaft oder Sorgeberechtigten im Falle der Minderjährigkeit, sofern diese Minderjährigen ledig und unterhaltsberechtigt sind, nicht gegeben ist. Gleichermaßen verhält es sich mit der humanitären Klausel des Art. 15 Dublin II-VO, für deren Anwendung der vorliegende Sachverhalt keine Anhaltspunkte bietet.
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Daher kann der Kläger sich allein auf ein Recht auf Selbsteintritt der Beklagten zur Durchführung eines Asylverfahrens gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO als für ihn günstige Norm berufen, um als Ausnahme von den Zuständigkeitsregeln der Verordnung die Prüfung seines Asylantrages in der Bundesrepublik Deutschland herbeizuführen.
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Aus dem Wortlaut dieser Norm ergibt sich eine an die Beklagte gerichtete Ermessensermächtigung, deren Zweck allerdings nicht in der Norm selbst seinen Ausdruck gefunden hat (vgl. nur Funke-Kaiser, a.a.O., § 27 a Rdnr. 220; Filzwieser/Liebminger, a.a.O., Art. 3 K 8 ff.), sondern sich aus der Zwecksetzung der Verordnung insgesamt und der im Zuge der durch Art. 63 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG) in der Fassung des Amsterdamer Vertrags vom 02.10.1997 vorgegebenen gemeinschaftsrechtlichen Asylharmonisierung ergangenen europäischen Richtlinien zum materiellen Asylrecht auf der einen und zum Verfahrensrecht sowie den Aufnahmebedingungen von Flüchtlingen auf der anderen Seite erschließt.
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Nach Art. 63 Satz 1 Nr. 1 a) EG beschließt der Rat in Übereinstimmung mit der Genfer Flüchtlingskonvention sowie einschlägigen anderen Verträgen Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist, den ein Staatsangehöriger eines dritten Landes in einem Mitgliedstaat gestellt hat. Hierauf beruhend wurde die Verordnung (EG) Nr. 343/2003 erlassen. Nach deren Erwägungsgrund Nr. 4 soll die Verordnung insbesondere die rasche Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates ermöglichen, „um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Asylanträge nicht zu gefährden.“ In dem Erwägungsgrund Nr. 5 der Verordnung wird deren Ziel dahingehend bestimmt, dass diese - erstens - im Zusammenhang mit der schrittweisen Einführung eines Gemeinsamen Europäischen Asylrechts stehe und dass - zweitens - das bis dahin geltende Übereinkommen über die Bestimmung des zuständigen Staats für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften gestellten Asylantrags vom 15.06.1990 (Dubliner Übereinkommen) die Durchführung der europäischen Asylrechtsharmonisierung gefördert habe und deswegen mit bestimmten Änderungen fortzuentwickeln sei. Weiterhin wird im Erwägungsgrund Nr. 15 ausgeführt, dass die Verordnung in Einklang mit den Grundrechten und Grundsätzen stehe, die insbesondere mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannt worden seien. Die Verordnung ziele insbesondere darauf ab, die uneingeschränkte Wahrung des in Art. 18 der Charta verankerten Rechts auf Asyl zu gewährleisten.
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Art. 18 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union lautet (ABl. C 364 vom 18.12.2000, S. 1): „Das Recht auf Asyl wird nach Maßgabe des Genfer Abkommens vom 28. Juli 1951 und des Protokolls vom 31. Januar 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge sowie gemäß dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft gewährleistet.“ Diese Vorschrift ist wie die Charta insgesamt kein unmittelbar geltendes und verbindliches Gemeinschaftsrecht, sondern formell lediglich „soft law“ (vgl. nur Filzwieser/Liebminger, a.a.O., Erwägungsgründe K 29; Korte, in: Berg/Kampfer [Hrsg.], Verfassung für Europa, 2004, S. 65 [70]). In Art. 6 Abs. 1 des EU- Vertrags wird ausdrücklich auf die Charta der Grundrechte Bezug genommen und diese für den Fall des Inkrafttretens des Vertrags in europäischen Verfassungsrang erhoben. Unabhängig davon hat die Charta der Grundrechte nicht nur in die Verordnung (EG) Nr. 343/2003, sondern in eine Vielzahl von Rechtsakten der Europäischen Union Eingang gefunden (vgl. nur Erwägungsgrund Nr. 5 der Richtlinie 2003/9/EG des Rates zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten vom 27.01.2003, ABl. L 31 S. 18; Erwägungsgrund Nr. 10 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes vom 29.04.2004, ABl. L 304 S. 12 - so genannte Qualifikationsrichtlinie; Erwägungsgrund Nr. 8 der Richtlinie 2005/85/EG des Rates über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft vom 01.12.2005, ABl. L 326 S. 13 Erwägungsgrund Nr. 2 der Richtlinie 2003/86/EG des Rates betreffend das Recht auf Familienzusammenführung vom 22.09.2003, ABL. L 251 S. 12) und wird vom EuGH als Rechtserkenntnisquelle in ständiger Spruchpraxis mit herangezogen (vgl. nur EuGH, Urt. v. 27.06.2006 - C-540/03, NJW 2006, 3266 - Parlament vs. Rat; EuGH, Urt. v. 03.09.2008 - C-402/05, NJW 2008, 3697 - Kadi u.a.; EuGH, Urt. v. 16.12.2008 - C-47/07, - Masdar; EuGH, Urt. v. 17.02.2009 - C-465/07, NVwZ 2009, 705 - Elgafaji; EuGH, Urt. v. 21.12.2011 - C-411/10 und C-493/10 -, N.S., juris; vgl. ferner EuGH, Urt. v. 13.03.2007 - C-432/05, NJW 2007, 3555 - Angelidaki u.a. sowie EuGH, Urt. v. 20.09.2007 - C-116/06, EuZW 2007, 741 - Kiiski, jeweils zur Gemeinschaftscharta der Sozialen Grundrechte vom 09.12.1989). Durch die entsprechende Berücksichtigung der Charta der Grundrechte sowohl in unionsrechtlichen Verordnungen und Richtlinien als auch in der Spruchpraxis des EuGH ist auch Art. 18 der Charta der Grundrechte elementarer und zwingend zu berücksichtigender Bestandteil der Rechtsordnung der Europäischen Union.
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Unter Berücksichtigung der genannten Richtlinien des Rates, denen das Ziel gemeinsam ist, das in ihnen vergegenständlichte materielle und formelle Asylrecht in ein gemeinsames europäisches Asylrecht der Mitgliedstaaten zu transformieren, ist davon auszugehen, dass die Verordnung (EG) Nr. 343/2003 mit ihren Bestimmungen, welcher Mitgliedstaat zuständig für ein Asylbegehren ist, im Lichte dieser europäischen Rechtsakte für ein gemeinsames Asylrecht auszulegen ist, und zwar - soweit die Umsetzungsfrist abgelaufen ist - unabhängig von dem Stand ihrer Umsetzung in das nationale Recht der Mitgliedstaaten. Es ist festzustellen, dass die Zuständigkeitsregelungen der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 das Bestehen eines gemeinsamen europäischen Asylrechts voraussetzen, wie sie ihren Ausdruck in den oben genannten Richtlinien gefunden haben (so auch VG Frankfurt/Main, Urteile v. 08.07.2009 - und v. 29.09.2009, jeweils a.a.O.)
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Insofern ist es für einen Asylsuchenden grundsätzlich zumutbar, in Ausführung dieser Regeln auf einen anderen Mitgliedstaat verwiesen zu werden, da seine materiellen Rechte kraft dieser Richtlinien in allen Mitgliedstaaten zu gewährleisten sind. Soweit allerdings das mit den oben genannten Richtlinien statuierte materielle oder formelle Asylrecht in einem Mitgliedstaat in nicht genügender Weise transformiert worden ist oder aus anderen Gründen nicht zur Anwendung gelangt, dispensieren die Zuständigkeitsregeln der Verordnung den Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wird, nicht von seiner völkerrechtlichen Verpflichtung nach der GFK, den Asylantrag zu prüfen. Insoweit ist der Selbsteintritt in Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO zumindest auch als Instrument zur Gewährleistung des subjektiven Rechts eines Antragstellers auf Prüfung seines Asylantrages auszulegen, und zwar zu dem Zweck, ein richtlinienkonformes Asylverfahren zu gewährleisten, wenn zu erwarten ist, dass ihm ein solches Verfahren in dem Mitgliedstaat der Zuständigkeit nach der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 nicht zugänglich ist.
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Dann ist auch ein Sonderfall gegeben, der außerhalb des Konzepts normativer Vergewisserung über die Sicherheit im jeweiligen EU-Mitgliedstaat liegt (vgl. BVerfG, Urt. v. 14.05.1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 -, BVerfGE 94, 49; Beschl. v. 15.07.2010 - 2 BvR 1460/10 -, juris). Nach der Rechtsprechung des BVerfG kann ein Sonderfall etwa dann vorliegen, wenn sich ein Staat von seinen mit dem Beitritt zur GFK und der EMRK eingegangenen und von ihm auch generell eingehaltenen Verpflichtungen löst und Ausländern Schutz dadurch verweigert, dass er sich ihrer ohne jede Prüfung des Schutzgesuchs entledigt (BVerfG, Urt. v. 14.05.1996, a.a.O.), oder wenn das Asylverfahren in einem Staat in der Praxis solch erheblichen strukturellen Mängel aufweist, dass Asylbewerber nur eine sehr geringe Chance haben, dass ihr Antrag ernsthaft geprüft wird (EGMR, Urt. v. 21.01.2011 - 30696/09 -, M.S.S. vs. Belgien und Griechenland, NVwZ 2011, 413). Schließlich ist auch nach Auffassung des EuGH (Urt. v. 21.12.2011, a.a.O.) trotz der Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechtecharta, der GFK und der EMRK steht, die Überstellung eines Asylbewerbers in einen Staat mit Art. 4 Grundrechtecharta unvereinbar, wenn systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu werden.
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Nach den dem Gericht vorliegenden und zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Informationen, wie sie auch den ebenfalls eingeführten Entscheidungen des VG Magdeburg (Urt. v. 26.07.2011 - 9 A 346/10 MD -) und des VG Freiburg (Beschl. v. 17.02.2012 - A 2 K 286/12 - unter Hinweis auf Beschl. v. 02.02.2012, a.a.O.) zugrundelagen, ist in Bezug auf das italienische Asylverfahren von Folgendem auszugehen:
44 
Die in Italien herrschenden Zustände für Asylbewerber, die im Rahmen einer Überstellung nach der Dublin II-VO dorthin zurückkehren, waren bereits vor Beginn der Unruhen in der arabischen Welt im Februar vergangenen Jahres kritikwürdig. Der Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe („Asylverfahren und Aufnahmebedingungen in Italien, Mai 2011) deutet darauf hin, dass insbesondere die Richtlinie 2003/9/EG zum Flüchtlingsschutz, nach der die Mitgliedstaaten insbesondere solche materiellen Aufnahmebedingungen schaffen, die Lebensunterhalt einschließlich Unterbringung wie auch Gesundheit der Asylbewerber gewährleisten (vgl. Art. 13 Abs. 2 und Art. 14 dieser Richtlinie), derzeit in vielen Bereichen nicht umgesetzt wird. Der ausführliche Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe schildert Obdachlosigkeit und fehlende existenzielle Versorgung der großen Mehrheit der Asylsuchenden: Zwar sollten Asylsuchende für die Dauer des Asylverfahrens in Erstaufnahmeeinrichtungen, den so genannten CARA (Centri di accoglienza per richiedenti asilo), untergebracht werden; hier seien etwa 2.000 Plätze verfügbar. In der Zeit zwischen dem Erstkontakt mit italienischen Behörden und der formellen Registrierung ihres Asylgesuchs (Verbalizzazione) durch die personell nicht ausreichend ausgestatteten Questura - ein Zeitraum, der einige Monate dauern könne - hätten Asylsuchende jedoch keinen Zugang zu Unterkünften und lebten meist auf der Straße; auch müssten Asylsuchende das CARA regelmäßig nicht nur in jedem Fall nach Erlass des erstinstanzlichen Entscheids, sondern auch dann, wenn das Asylverfahren nicht abgeschlossen ist, nach längstens sechs Monaten verlassen. Das staatliche Aufnahmesystem SPRAR (Sistema di Protezione per Richiedenti Asilo e Rifugiati), das italienweit die Unterbringung und Integration von Schutzberechtigten und teilweise auch Asylsuchenden gewährleisten solle, sei mit nur gut 3.000 Plätzen völlig überlastet. Die allermeisten Asylsuchenden hätten, auch wenn sie sich nach sechs Monaten um Arbeitsstellen bewerben dürften, aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit in Italien keine Chance auf reguläre Arbeit, die es ihnen ermöglichte, sich selbst zu versorgen. Sie würden mit der Entlassung aus dem CARA in den meisten Fällen obdachlos und lebten unter freiem Himmel oder in besetzen Häusern unter unhaltbaren Lebensbedingungen; nachdem der Erhalt von Unterstützungsleistungen an den Aufenthalt in einem Zentrum geknüpft sei, habe die Obdachlosigkeit schwerwiegende Folgen nicht nur für ihre grundlegenden Menschenrechte, sondern auch für die weitere Durchführung ihres Asylverfahrens. Auch Personen, denen internationaler Schutz gewährt wurde, hätten häufig Schwierigkeiten, eine Unterkunft zu erhalten und seien für die Sicherstellung ihrer lebensnotwendigen Bedürfnisse auf Hilfsorganisationen und NGO’s angewiesen. Diese Bedingungen gälten im Wesentlichen auch für auf Grundlage der Dublin II-VO auf dem Luftweg nach Italien zurückgeführte Asylsuchende; die italienischen Behörden seien ebenso wenig wie bei sonstigen Asylsuchenden in der Lage, ihnen bei Rückkehr nach Italien würdige Lebensbedingungen zu gewährleisten, auch insoweit fehle es an Plätzen im staatlichen Aufnahmesystem SPRAR.
45 
Mit dieser Einschätzung der Lage steht die Schweizerische Flüchtlingshilfe nicht allein. Vielmehr existieren mehrere in ihren inhaltlichen Aussagen im Wesentlichen übereinstimmende Berichte von Nichtregierungsorganisationen, die ausweislich des EuGH geeignet sind, die Mitgliedstaaten in die Lage zu versetzen, sich ein Bild über das Funktionieren des Asylsystems im zuständigen Mitgliedstaat zu machen (vgl. EuGH, Urt. v. 21.12.2011, a.a.O.): Der ausführliche Bericht von Maria Bethke und Dominik Bender („Zur Situation von Flüchtlingen in Italien“, Februar 2011; abrufbar unter http://www.proasyl.de/fileadmin/fm-dam/q_PUBLIKATIONEN/2011/Italien-bericht_FINAL_15MAERZ2011.pdf) nach ihrer Recherchereise im Oktober 2010, der Bericht der Norwegian Organization für Asylum Seekers („The Italian approach to asylum: System and core problems“, April 2011; abrufbar unter http://www.noas.org/) und der aus dem November 2009 stammende Bericht der Schweizerischen Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht („Rückschaffung in den 'sicheren Drittstaat' Italien“; abrufbar unter http://www.beobachtungsstelle.ch/index.php?id= 428&L=2%2F%2F%3F_SERVER%5BDOCUMENT_ROOT%5D%3D) vermitteln ein ganz ähnliches Bild der Situation von Flüchtlingen in Italien (vgl. zur Auswertung aktueller Quellen auch Maria Bethke, „Die Situation von Asylsuchenden und Schutzberechtigten in Italien“, Stand 7/2011; abrufbar unter http://www.nds-fluerat. org/6521/aktuelles/infos-fuer-dublin-ii-verfahren-italien/). Im Bericht von Bethke/Bender (a.a.O.) sowie in der Quellenauswertung von Bethke wird insbesondere darauf hingewiesen, dass das Platz- und Obdachlosigkeitsproblem auch Rückkehrer im Rahmen von Dublin-II-Verfahren betreffe, die weder Anspruch auf Wohnraum noch auf existenzsichernde Sozialleistungen hätten; in den Jahren 2008 und 2009 seien nur etwa 12 % der Dublin-Rückkehrer in ein SPRAR-Projekt vermittelt worden, während die ganz überwiegende Mehrzahl der Obdachlosigkeit überlassen worden sei. Weiter verweisen Bethke/Bender (a.a.O.) ausdrücklich darauf, dass bei obdachlosen Personen oder solchen, die in besetzen Häusern wohnten, Postzustellungen nicht möglich seien, so dass amtliche Dokumente, etwa ein im italienischen Asylverfahren noch ausstehender Bescheid, sie nicht erreichen könnten; ebenso wenig sei es ihnen möglich, eine für ein in Deutschland ggf. noch laufendes Gerichtsverfahren notwendige ladungsfähige Anschrift anzugeben. All dies wird nochmals von Bender in „Warum Italien ein „Dublin-Thema“ ist“ (Asylmagazin 1-2/12, S. 11) auf den aktuellen Stand gebracht und vollumfänglich bestätigt.
46 
Für die Lagebeurteilung nicht außer Betracht gelassen werden darf weiter der Umstand, dass sich die meisten der zitierten Erkenntnismittel mit den Zuständen in Italien beschäftigen, wie sie sich im Wesentlichen vor dem Frühjahr 2011 darstellten, zu einem Zeitpunkt also, zu dem die Zahl der Asylanträge in Italien rückläufig war; so wurden im Jahr 2008 30.145 Asylanträge gestellt, 2009 17.670 und 2010 (nur) noch 10.050 (zu den Zahlen: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Entscheiderbrief 7/2011). Bereits diese vergleichsweise geringen Zahlen führten zu den in den zitierten Berichten beschriebenen massiven Schwierigkeiten der Asylbewerber, angesichts ihrer prekären Lebenssituation, aber auch angesichts der völlig überlasteten behördlichen Strukturen ein Asylverfahren zu betreiben. Seit Beginn der Unruhen in Nordafrika aber stieg die Zahl der Flüchtlinge, die Italien erreichen, sprunghaft an; nach Angaben des UNHCR (http://www.unhcr.de/home/artikel/042d9651d 6d525aad46e97d7ee7848db/hunderte-neuankoemmlinge-aus-libyen-und-tunesien-in-italien.html?L=0) hatten im Jahr 2011 bis Mitte August 52.000 Menschen im Zuge der nordafrikanischen Flüchtlingskrise Italien erreicht, italienische Quellen sprechen Ende September 2011 von über 60.000 Flüchtlingen, die seit Jahresbeginn die italienische Küste erreicht haben (http://www.interno.it/mininterno/export/sites/default/ it/sezioni/sala_stampa/notizie/immigrazione/0000070_2011_09_29_informativa_Viale_al_Senato.html). Angesichts dieser Zahlen gibt es keinerlei Anhaltspunkte für eine zwischenzeitliche Verbesserung der Situation der Flüchtlinge in Italien.
47 
Schließlich hat auch der Kläger selbst die miserable Versorgung mit dem Allernotnotwendigsten eindrücklich geschildert, insbesondere mit dem Hinweis darauf, dass er, wäre er länger in Italien geblieben, hätte betteln müssen, um nicht zu verhungern.
48 
Den zitierten Berichten hat die Beklagte nichts Substantiiertes entgegengesetzt und in ihrer Begründung, wie sie zu der Abschiebungsanordnung nach Italien gekommen ist, vorrangig die Erkenntnisquellen verwertet, die vor dem Frühjahr 2011 erhoben wurden. Die - unbestrittene - Tatsache, dass es anders als bei Griechenland im Falle von Italien keine Empfehlung des UNHCR dahingehend gibt, Asylsuchende nicht an diesen Staat zu überstellen, genügt nach Auffassung des Gerichts nicht; auch das BVerfG hat sich in seinen die Lage in Griechenland betreffenden Entscheidungen nicht isoliert auf eine entsprechende Stellungnahme des UNHCR, sondern auf die „umfangreichen Stellungnahmen verschiedener Organisationen zur Situation von Asylantragstellern in Griechenland“ berufen (vgl. etwa BVerfG, Beschl. v. 22.12.2009 - 2 BvR 2879/09 -, juris; Beschl. v. 13.11.2009 - 2 BvR 2603/09 -, juris). Der Hinweis der Beklagten darauf, aus dem Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe ergebe sich keine Empfehlung, Flüchtlinge nicht nach Italien zurückzuschieben, ist in dieser Allgemeinheit nicht zutreffend. Für bestimmte Personengruppen - verletzliche Personen sowie Asylsuchende, bei denen prima facie die Flüchtlingseigenschaft oder ein subsidiäres Schutzbedürfnis als bestehend betrachtet werden kann - fordert die Schweizerische Flüchtlingshilfe vielmehr explizit die Mitgliedstaaten auf, Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO anzuwenden, um eine Verletzung von Art. 3 EMRK zu verhindern. Aber auch bei allen anderen Asylsuchenden fordert die Schweizerische Flüchtlingshilfe die Mitgliedstaaten ausdrücklich auf, vor der Überstellung der Betroffenen deren Situation sorgfältig abzuklären und dafür zu sorgen, von den italienischen Behörden eine verbindliche Zusage zu erhalten, dass sie in der Lage sind, die Rückkehrenden ab ihrer Ankunft angemessen zu unterstützen. Für eine sorgfältige Abklärung oder gar eine Kontaktaufnahme mit den italienischen Behörden bestehen vorliegend nach Aktenlage indes - insoweit in Übereinstimmung mit der gängigen Praxis der EU-Mitgliedstaaten - keine Anhaltspunkte; in einer solchen Situation aber sind die Empfehlungen, die die Schweizerische Flüchtlingshilfe ausgesprochen hat, durchaus dahingehend zu verstehen, dass eine Überstellung aus Gründen des Menschenrechtsschutzes unterbleiben solle. Ebenso wenig vermag die Kritik des Bundesamts (Entscheiderbrief 7/2011) an den Erkenntnisquellen und den in der Rechtsprechung hieraus gezogenen Konsequenzen zu überzeugen. Das Bundesamt beruft sich in erster Linie, wie auch die Beklagte im vorliegenden Fall, auf die von Gesetzes wegen in Italien bestehenden Rechte von Asylsuchenden auf Unterkunft, Arbeit und Sozialleistungen, setzt sich jedoch nicht auseinander mit den vielfältigen konkreten Hinweisen auf die erhebliche Diskrepanz zwischen den von Italien eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtungen, denen durch entsprechende Rechtsakte auf formeller Ebene Rechnung getragen worden sein mag, und ihrer Umsetzung in der Praxis. Das Auswärtige Amt und das Bundesamt stellen - soweit ersichtlich - keine eigenen Erkenntnisse zur Verfügung; auch im Übrigen fehlt es an jeglichen Erkenntnismitteln, die eine von den zitierten Auskünften abweichende - günstigere - Lagebeurteilung der Verhältnisse in Italien erlaubten.
49 
Nach alledem ist das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe im Sinne der EuGH-Rechtsprechung (Urt. v. 21.12.2011, a.a.O.) dafür vorliegen, dass der Kläger aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Italien im Falle einer Überstellung in dieses Land Gefahr laufen würde, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung (Art. 3 EMRK) ausgesetzt zu werden und sich deshalb die Rücküberstellung als rechtswidrig darstellt.
50 
Diese schwerwiegenden Beeinträchtigungen führen zu der rechtlichen Schlussfolgerung dass dem Anspruch des Klägers auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung durch die Beklagte nur dadurch genügt werden kann, vorliegend die Verpflichtung der Beklagten zum Selbsteintritt gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO wegen einer Ermessensreduzierung auf Null anzunehmen.
51 
Der streitgegenständliche Bescheid vom 10.11.2011 ist daher aufzuheben.
52 
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylVfG.

Gründe

 
25 
Das Gericht konnte über die Klage verhandeln und entscheiden, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vertreten waren, da auf diese Möglichkeit in der ordnungsgemäß bewirkten Terminsladung hingewiesen worden ist (§ 102 Abs. 2 VwGO).
26 
Die Klage ist als Anfechtungsklage zulässig.
27 
Gegen die in dem Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 10.11.2011 getroffene Entscheidung, dass der Asylantrag des Klägers gemäß § 27 a AsylVfG unzulässig ist, ist die Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 VwGO statthaft (vgl. VG Freiburg, Beschl. v. 02.02.2012 - A 4 K 2203/11 -; VG München, Urt. v. 29.11.2011 - M 24 K 11.30219 -, juris; VG Ansbach, Beschl. v. 08.11.2011 - AN 11 S 11.30508 -, juris; VG Wiesbaden, Urt. v. 17.06.2011 - 7 K 327/11.WI.A -, juris; VG Frankfurt/Main, Urt. v. 23.06.2010 - 7 K 2789/09.F.A. -, juris; VG Braunschweig, Urt. v. 01.06.2010 - 1 A 47/10 -, juris; VG Karlsruhe, Urt. v. 07.04.2010 - A 3 K 1580/09 -; VG Augsburg, Beschl. v. 01.02.2010 - Au 5 S 10.30014 -, juris; VG Frankfurt/Main, Urteile v. 08.07.2009 - 7 K 4376/07.F.A u.a. -, InfAuslR 2009, 406; v. 29.09.2009 - 7 K 269.09 F.A.; VG Neustadt, Urt. v. 16.06.2009 - 5 K 1166/08.NW -, juris; Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, § 27 a Rdnr. 18; a.A. [Statthaftigkeit nur der Verpflichtungsklage] OVG NRW, Urt. v. 10.05.2010 - 3 A 133/10.A -, juris; VG Wiesbaden, Urt. v. 10.03.2010 - 7 K 1389/09.WI.A -; wohl auch VG Sigmaringen, Urt. v. 26.10.2009 - A 1 K 1757/09 -). Im Falle der Aufhebung einer solchen Entscheidung ist der Weg für die Durchführung eines Asylverfahrens vor dem Bundesamt mit voller inhaltlicher Sachprüfung des klägerischen Asylbegehrens eröffnet. Vergleichbar den Fällen einer Einstellung des Asylverfahrens nach § 32 AsylVfG sowie der gerichtlichen Entscheidung bei einer fiktiven Antragsrücknahme nach § 33 AsylVfG ist im Anschluss an die hierzu ergangene einschlägige Rechtsprechung des BVerwG (Urt. v. 07.03.1995 - 9 C 264.94, NVwZ 1996, S. 80; Marx, AsylVfG, 7. Auflage 2009, § 33 Rdnr. 34 ff. m.w.N.) auch bei einer Entscheidung nach § 27 a AsylVfG die Verpflichtungsklage mit dem Ziel einer Anerkennung als Asylberechtigter im Sinne des Art. 16 a Abs. 1 GG bzw. der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG nicht als vorrangig anzusehen. Im Falle des Durchentscheidens des Verwaltungsgerichts durch Verpflichtungsurteil würde dem Kläger nämlich eine Tatsacheninstanz, und zwar die auf inhaltliche Überprüfung seines Asylbegehrens durch das Bundesamt, genommen.
28 
Statthafte Klageart gegen die in dem Bescheid vom 10.11.2011 enthaltenen Abschiebungsanordnung nach § 34 a Abs. 1 AsylVfG ist gleichfalls die Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 VwGO (vgl. VG Frankfurt/Main, Urteile v. 08.07.2009 - und v. 29.09.2009, jeweils a.a.O.; s. auch Renner, Ausländerrecht, 8. Auflage 2005, § 34 a AsylVfG Rdnr. 6; Funke-Kaiser, a.a.O., § 34 a Rdnr. 64;).
29 
Dem Kläger steht für seine Klage auch das zwingend erforderliche Rechtsschutzinteresse zu, da er weiterhin nach Italien rücküberstellt werden könnte, nachdem Italien am 18.11.2011 der Rückübernahme des Klägers zugestimmt hat. Zudem läuft die Sechs-Monats-Frist des Art. 19 Abs. 4 S. 1 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.02.2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl. L 50 S. 1) - im Folgenden: Dublin II-VO -, wonach die Zuständigkeit zur Durchführung eines Asylverfahrens auf den Mitgliedstaat übergeht, in dem der Asylantrag eingereicht wurde, sofern die Überstellung nicht innerhalb von sechs Monaten ab der Stattgabe des Aufnahmegesuchs im Sinne des Art. 18 Abs. 7 Dublin II-VO durchgeführt wird (vgl. auch Art. 20 Abs. 2 Dublin II-VO), erst ab der gerichtlichen Entscheidung, mit der über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens entschieden wird und die dieser Durchführung nicht mehr entgegenstehen kann (EuGH, Urt. v. 29.01.2009 - C-19/08, NVwZ 2009, 639 - Petrosian). Der Fristenlauf beginnt somit erst ab Eintritt der Unanfechtbarkeit des Bescheides der Beklagten vom 10.11.2011.
30 
Die Klage ist auch begründet.
31 
Der Bescheid des Bundesamtes vom 10.11.2011 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO). Das Bundesamt hat zu Unrecht den Asylantrag des Klägers als unzulässig abgelehnt und seine Abschiebung nach Italien angeordnet. Vielmehr hätte das Bundesamt im Falle des Klägers von seinem Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO Gebrauch machen müssen.
32 
Nach Art. 3 Abs. 2 S. 1 Dublin II-VO kann jeder Mitgliedstaat abweichend von den Zuständigkeitskriterien des Kapitels III der Verordnung einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Der das Selbsteintrittsrecht wahrnehmende Mitgliedstaat wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat im Sinne der Verordnung und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen (Satz 2). Gegebenenfalls unterrichtet er den zuvor zuständigen Mitgliedstaat über den Selbsteintritt (Satz 3).
33 
Der Kläger kann sich auch auf einen subjektiven öffentlich-rechtlichen Anspruch auf den Selbsteintritt der Beklagten gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO berufen. Diese Bestimmung ist - anders als die Vorgängerregelungen im Schengener Durchführungsübereinkommen und im völkerrechtlichen Dubliner Übereinkommen (vgl. hierzu Funke-Kaiser, a.a.O., § 27 a Rdnr. 25) - nicht allein im öffentlichen Interesse geschaffen worden, sondern verbürgt den von ihr Betroffenen ein subjektives Recht. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des EuGH, dass ein Einzelner nicht nur dann aus dem Unionsrecht subjektive Rechte herzuleiten vermag, wenn diese ausdrücklich zugesprochen werden. Vielmehr genügt es, wenn aus einer Rechtsnorm klar und eindeutig eine Vergünstigung Einzelner hervorgeht, die keiner Bedingung und keinem zeitlichen Aufschub mehr unterliegt, und weder die Union noch die Mitgliedstaaten einen Spielraum zur Ausgestaltung besitzen (vgl. nur EuGH, Urt. v. 05.02.1963 - Rs. 26/62, Slg. 1963, 1 [24]= NJW 1973, 1751 - van Gend & Loos vs. Niederlande; EuGH, Urt. v. 04.12.1974 - Rs. C-41/74, Slg. 1974, 1337 [1349] - van Duyn vs. Home Office; EuGH, Urt. v. 19.01.1982 - Rs. C-8/81, Slg. 1982, 53 [71]= NJW 1982, 53 - Becker vs. Finanzamt Münster). Diese Voraussetzungen sind im Falle der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 dem Grunde nach erfüllt (vgl. auch Funke-Kaiser, a.a.O., § 27 a Rdnr. 124 m.w.N.). Hiervon geht im Ergebnis auch der EuGH in seinem zur Verordnung (EG) Nr. 343/2003 ergangenen Urteil vom 29.01.2009 (C-19/08, NVwZ 2009, S. 639 Rdnr. 38, 48 zu Fragen des Rechtsschutzes - Petrosian) aus. Allerdings verbürgt Art. 3 Abs. 2 der Dublin II-VO lediglich ein - gegebenenfalls aber auf Null reduziertes - Recht auf fehlerfreie Ermessensausübung (VG Würzburg, Urt. v. 12.03.2009 - W 4 K 08.30122 -; Funke-Kaiser, a.a.O., § 27 a Rdnr. 134 f. und 223 m.w.N.; Marx, a.a.O., § 27 a Rdnr. 13; Huber/Göbel-Zimmermann, Ausländer- und Asylrecht, 2. Aufl. 2008, Rdnr. 1886; Filzwieser/Liebminger, Dublin II-Verordnung, Kommentar, 2. Aufl., Wien/Graz 2007, Art. 3 K 9 unter Verweis auf einschlägige Rechtsprechung des Österreichischen Verfassungsgerichtshofs, Entscheid v. 15.10.2004 - G 237/03 u.a und des Belgischen Conseil d'Etat/Raad van State vom 28.08.2006, Zl. 162.039; Schröder, Die EU-Verordnung zur Bestimmung des zuständigen Asylstaats, ZAR 2003, S. 124 [131]; Hruschka, Die Dublin II-Verordnung, in: Informationsverbund Asyl e.V. [Hrsg.], Das Dublin-Verfahren, Beilage zum Asylmagazin 1-2/2008, S. 1 [9]; Hruschka, Humanitäre Lösungen in Dublin-Verfahren, Asylmagazin 7-8/2009, S. 5 [7 f. und 9 f.]).
34 
Im Falle des Klägers liegen die Voraussetzungen für einen Selbsteintritt der Beklagten nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO vor.
35 
Nach Art. 3 Abs. 1 Dublin II-VO prüfen die Mitgliedstaaten jeden Asylantrag, den ein Drittstaatsangehöriger an der Grenze oder im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III der Verordnung als zuständiger Staat bestimmt wird. Nach Art. 3 Abs. 2 S. 1 Dublin II-VO kann abweichend davon jeder Mitgliedstaat einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Der Kläger fällt als Drittstaatsangehöriger im Sinne des Art. 2 lit. a) Dublin II-VO, der einen Asylantrag gemäß Art. 2 lit. c) Dublin II-VO gestellt hat, in den Anwendungsbereich dieser Verordnung. Es steht fest, dass eine Zuständigkeit der Beklagten nach den Kriterien in Kapitel III dieser Verordnung, die sich auf Zugehörigkeit zu im Bundesgebiet lebenden Familienangehörigen kraft Ehe, eheähnlicher Gemeinschaft oder Sorgeberechtigten im Falle der Minderjährigkeit, sofern diese Minderjährigen ledig und unterhaltsberechtigt sind, nicht gegeben ist. Gleichermaßen verhält es sich mit der humanitären Klausel des Art. 15 Dublin II-VO, für deren Anwendung der vorliegende Sachverhalt keine Anhaltspunkte bietet.
36 
Daher kann der Kläger sich allein auf ein Recht auf Selbsteintritt der Beklagten zur Durchführung eines Asylverfahrens gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO als für ihn günstige Norm berufen, um als Ausnahme von den Zuständigkeitsregeln der Verordnung die Prüfung seines Asylantrages in der Bundesrepublik Deutschland herbeizuführen.
37 
Aus dem Wortlaut dieser Norm ergibt sich eine an die Beklagte gerichtete Ermessensermächtigung, deren Zweck allerdings nicht in der Norm selbst seinen Ausdruck gefunden hat (vgl. nur Funke-Kaiser, a.a.O., § 27 a Rdnr. 220; Filzwieser/Liebminger, a.a.O., Art. 3 K 8 ff.), sondern sich aus der Zwecksetzung der Verordnung insgesamt und der im Zuge der durch Art. 63 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG) in der Fassung des Amsterdamer Vertrags vom 02.10.1997 vorgegebenen gemeinschaftsrechtlichen Asylharmonisierung ergangenen europäischen Richtlinien zum materiellen Asylrecht auf der einen und zum Verfahrensrecht sowie den Aufnahmebedingungen von Flüchtlingen auf der anderen Seite erschließt.
38 
Nach Art. 63 Satz 1 Nr. 1 a) EG beschließt der Rat in Übereinstimmung mit der Genfer Flüchtlingskonvention sowie einschlägigen anderen Verträgen Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist, den ein Staatsangehöriger eines dritten Landes in einem Mitgliedstaat gestellt hat. Hierauf beruhend wurde die Verordnung (EG) Nr. 343/2003 erlassen. Nach deren Erwägungsgrund Nr. 4 soll die Verordnung insbesondere die rasche Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates ermöglichen, „um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Asylanträge nicht zu gefährden.“ In dem Erwägungsgrund Nr. 5 der Verordnung wird deren Ziel dahingehend bestimmt, dass diese - erstens - im Zusammenhang mit der schrittweisen Einführung eines Gemeinsamen Europäischen Asylrechts stehe und dass - zweitens - das bis dahin geltende Übereinkommen über die Bestimmung des zuständigen Staats für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften gestellten Asylantrags vom 15.06.1990 (Dubliner Übereinkommen) die Durchführung der europäischen Asylrechtsharmonisierung gefördert habe und deswegen mit bestimmten Änderungen fortzuentwickeln sei. Weiterhin wird im Erwägungsgrund Nr. 15 ausgeführt, dass die Verordnung in Einklang mit den Grundrechten und Grundsätzen stehe, die insbesondere mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannt worden seien. Die Verordnung ziele insbesondere darauf ab, die uneingeschränkte Wahrung des in Art. 18 der Charta verankerten Rechts auf Asyl zu gewährleisten.
39 
Art. 18 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union lautet (ABl. C 364 vom 18.12.2000, S. 1): „Das Recht auf Asyl wird nach Maßgabe des Genfer Abkommens vom 28. Juli 1951 und des Protokolls vom 31. Januar 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge sowie gemäß dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft gewährleistet.“ Diese Vorschrift ist wie die Charta insgesamt kein unmittelbar geltendes und verbindliches Gemeinschaftsrecht, sondern formell lediglich „soft law“ (vgl. nur Filzwieser/Liebminger, a.a.O., Erwägungsgründe K 29; Korte, in: Berg/Kampfer [Hrsg.], Verfassung für Europa, 2004, S. 65 [70]). In Art. 6 Abs. 1 des EU- Vertrags wird ausdrücklich auf die Charta der Grundrechte Bezug genommen und diese für den Fall des Inkrafttretens des Vertrags in europäischen Verfassungsrang erhoben. Unabhängig davon hat die Charta der Grundrechte nicht nur in die Verordnung (EG) Nr. 343/2003, sondern in eine Vielzahl von Rechtsakten der Europäischen Union Eingang gefunden (vgl. nur Erwägungsgrund Nr. 5 der Richtlinie 2003/9/EG des Rates zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten vom 27.01.2003, ABl. L 31 S. 18; Erwägungsgrund Nr. 10 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes vom 29.04.2004, ABl. L 304 S. 12 - so genannte Qualifikationsrichtlinie; Erwägungsgrund Nr. 8 der Richtlinie 2005/85/EG des Rates über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft vom 01.12.2005, ABl. L 326 S. 13 Erwägungsgrund Nr. 2 der Richtlinie 2003/86/EG des Rates betreffend das Recht auf Familienzusammenführung vom 22.09.2003, ABL. L 251 S. 12) und wird vom EuGH als Rechtserkenntnisquelle in ständiger Spruchpraxis mit herangezogen (vgl. nur EuGH, Urt. v. 27.06.2006 - C-540/03, NJW 2006, 3266 - Parlament vs. Rat; EuGH, Urt. v. 03.09.2008 - C-402/05, NJW 2008, 3697 - Kadi u.a.; EuGH, Urt. v. 16.12.2008 - C-47/07, - Masdar; EuGH, Urt. v. 17.02.2009 - C-465/07, NVwZ 2009, 705 - Elgafaji; EuGH, Urt. v. 21.12.2011 - C-411/10 und C-493/10 -, N.S., juris; vgl. ferner EuGH, Urt. v. 13.03.2007 - C-432/05, NJW 2007, 3555 - Angelidaki u.a. sowie EuGH, Urt. v. 20.09.2007 - C-116/06, EuZW 2007, 741 - Kiiski, jeweils zur Gemeinschaftscharta der Sozialen Grundrechte vom 09.12.1989). Durch die entsprechende Berücksichtigung der Charta der Grundrechte sowohl in unionsrechtlichen Verordnungen und Richtlinien als auch in der Spruchpraxis des EuGH ist auch Art. 18 der Charta der Grundrechte elementarer und zwingend zu berücksichtigender Bestandteil der Rechtsordnung der Europäischen Union.
40 
Unter Berücksichtigung der genannten Richtlinien des Rates, denen das Ziel gemeinsam ist, das in ihnen vergegenständlichte materielle und formelle Asylrecht in ein gemeinsames europäisches Asylrecht der Mitgliedstaaten zu transformieren, ist davon auszugehen, dass die Verordnung (EG) Nr. 343/2003 mit ihren Bestimmungen, welcher Mitgliedstaat zuständig für ein Asylbegehren ist, im Lichte dieser europäischen Rechtsakte für ein gemeinsames Asylrecht auszulegen ist, und zwar - soweit die Umsetzungsfrist abgelaufen ist - unabhängig von dem Stand ihrer Umsetzung in das nationale Recht der Mitgliedstaaten. Es ist festzustellen, dass die Zuständigkeitsregelungen der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 das Bestehen eines gemeinsamen europäischen Asylrechts voraussetzen, wie sie ihren Ausdruck in den oben genannten Richtlinien gefunden haben (so auch VG Frankfurt/Main, Urteile v. 08.07.2009 - und v. 29.09.2009, jeweils a.a.O.)
41 
Insofern ist es für einen Asylsuchenden grundsätzlich zumutbar, in Ausführung dieser Regeln auf einen anderen Mitgliedstaat verwiesen zu werden, da seine materiellen Rechte kraft dieser Richtlinien in allen Mitgliedstaaten zu gewährleisten sind. Soweit allerdings das mit den oben genannten Richtlinien statuierte materielle oder formelle Asylrecht in einem Mitgliedstaat in nicht genügender Weise transformiert worden ist oder aus anderen Gründen nicht zur Anwendung gelangt, dispensieren die Zuständigkeitsregeln der Verordnung den Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wird, nicht von seiner völkerrechtlichen Verpflichtung nach der GFK, den Asylantrag zu prüfen. Insoweit ist der Selbsteintritt in Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO zumindest auch als Instrument zur Gewährleistung des subjektiven Rechts eines Antragstellers auf Prüfung seines Asylantrages auszulegen, und zwar zu dem Zweck, ein richtlinienkonformes Asylverfahren zu gewährleisten, wenn zu erwarten ist, dass ihm ein solches Verfahren in dem Mitgliedstaat der Zuständigkeit nach der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 nicht zugänglich ist.
42 
Dann ist auch ein Sonderfall gegeben, der außerhalb des Konzepts normativer Vergewisserung über die Sicherheit im jeweiligen EU-Mitgliedstaat liegt (vgl. BVerfG, Urt. v. 14.05.1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 -, BVerfGE 94, 49; Beschl. v. 15.07.2010 - 2 BvR 1460/10 -, juris). Nach der Rechtsprechung des BVerfG kann ein Sonderfall etwa dann vorliegen, wenn sich ein Staat von seinen mit dem Beitritt zur GFK und der EMRK eingegangenen und von ihm auch generell eingehaltenen Verpflichtungen löst und Ausländern Schutz dadurch verweigert, dass er sich ihrer ohne jede Prüfung des Schutzgesuchs entledigt (BVerfG, Urt. v. 14.05.1996, a.a.O.), oder wenn das Asylverfahren in einem Staat in der Praxis solch erheblichen strukturellen Mängel aufweist, dass Asylbewerber nur eine sehr geringe Chance haben, dass ihr Antrag ernsthaft geprüft wird (EGMR, Urt. v. 21.01.2011 - 30696/09 -, M.S.S. vs. Belgien und Griechenland, NVwZ 2011, 413). Schließlich ist auch nach Auffassung des EuGH (Urt. v. 21.12.2011, a.a.O.) trotz der Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechtecharta, der GFK und der EMRK steht, die Überstellung eines Asylbewerbers in einen Staat mit Art. 4 Grundrechtecharta unvereinbar, wenn systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu werden.
43 
Nach den dem Gericht vorliegenden und zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Informationen, wie sie auch den ebenfalls eingeführten Entscheidungen des VG Magdeburg (Urt. v. 26.07.2011 - 9 A 346/10 MD -) und des VG Freiburg (Beschl. v. 17.02.2012 - A 2 K 286/12 - unter Hinweis auf Beschl. v. 02.02.2012, a.a.O.) zugrundelagen, ist in Bezug auf das italienische Asylverfahren von Folgendem auszugehen:
44 
Die in Italien herrschenden Zustände für Asylbewerber, die im Rahmen einer Überstellung nach der Dublin II-VO dorthin zurückkehren, waren bereits vor Beginn der Unruhen in der arabischen Welt im Februar vergangenen Jahres kritikwürdig. Der Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe („Asylverfahren und Aufnahmebedingungen in Italien, Mai 2011) deutet darauf hin, dass insbesondere die Richtlinie 2003/9/EG zum Flüchtlingsschutz, nach der die Mitgliedstaaten insbesondere solche materiellen Aufnahmebedingungen schaffen, die Lebensunterhalt einschließlich Unterbringung wie auch Gesundheit der Asylbewerber gewährleisten (vgl. Art. 13 Abs. 2 und Art. 14 dieser Richtlinie), derzeit in vielen Bereichen nicht umgesetzt wird. Der ausführliche Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe schildert Obdachlosigkeit und fehlende existenzielle Versorgung der großen Mehrheit der Asylsuchenden: Zwar sollten Asylsuchende für die Dauer des Asylverfahrens in Erstaufnahmeeinrichtungen, den so genannten CARA (Centri di accoglienza per richiedenti asilo), untergebracht werden; hier seien etwa 2.000 Plätze verfügbar. In der Zeit zwischen dem Erstkontakt mit italienischen Behörden und der formellen Registrierung ihres Asylgesuchs (Verbalizzazione) durch die personell nicht ausreichend ausgestatteten Questura - ein Zeitraum, der einige Monate dauern könne - hätten Asylsuchende jedoch keinen Zugang zu Unterkünften und lebten meist auf der Straße; auch müssten Asylsuchende das CARA regelmäßig nicht nur in jedem Fall nach Erlass des erstinstanzlichen Entscheids, sondern auch dann, wenn das Asylverfahren nicht abgeschlossen ist, nach längstens sechs Monaten verlassen. Das staatliche Aufnahmesystem SPRAR (Sistema di Protezione per Richiedenti Asilo e Rifugiati), das italienweit die Unterbringung und Integration von Schutzberechtigten und teilweise auch Asylsuchenden gewährleisten solle, sei mit nur gut 3.000 Plätzen völlig überlastet. Die allermeisten Asylsuchenden hätten, auch wenn sie sich nach sechs Monaten um Arbeitsstellen bewerben dürften, aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit in Italien keine Chance auf reguläre Arbeit, die es ihnen ermöglichte, sich selbst zu versorgen. Sie würden mit der Entlassung aus dem CARA in den meisten Fällen obdachlos und lebten unter freiem Himmel oder in besetzen Häusern unter unhaltbaren Lebensbedingungen; nachdem der Erhalt von Unterstützungsleistungen an den Aufenthalt in einem Zentrum geknüpft sei, habe die Obdachlosigkeit schwerwiegende Folgen nicht nur für ihre grundlegenden Menschenrechte, sondern auch für die weitere Durchführung ihres Asylverfahrens. Auch Personen, denen internationaler Schutz gewährt wurde, hätten häufig Schwierigkeiten, eine Unterkunft zu erhalten und seien für die Sicherstellung ihrer lebensnotwendigen Bedürfnisse auf Hilfsorganisationen und NGO’s angewiesen. Diese Bedingungen gälten im Wesentlichen auch für auf Grundlage der Dublin II-VO auf dem Luftweg nach Italien zurückgeführte Asylsuchende; die italienischen Behörden seien ebenso wenig wie bei sonstigen Asylsuchenden in der Lage, ihnen bei Rückkehr nach Italien würdige Lebensbedingungen zu gewährleisten, auch insoweit fehle es an Plätzen im staatlichen Aufnahmesystem SPRAR.
45 
Mit dieser Einschätzung der Lage steht die Schweizerische Flüchtlingshilfe nicht allein. Vielmehr existieren mehrere in ihren inhaltlichen Aussagen im Wesentlichen übereinstimmende Berichte von Nichtregierungsorganisationen, die ausweislich des EuGH geeignet sind, die Mitgliedstaaten in die Lage zu versetzen, sich ein Bild über das Funktionieren des Asylsystems im zuständigen Mitgliedstaat zu machen (vgl. EuGH, Urt. v. 21.12.2011, a.a.O.): Der ausführliche Bericht von Maria Bethke und Dominik Bender („Zur Situation von Flüchtlingen in Italien“, Februar 2011; abrufbar unter http://www.proasyl.de/fileadmin/fm-dam/q_PUBLIKATIONEN/2011/Italien-bericht_FINAL_15MAERZ2011.pdf) nach ihrer Recherchereise im Oktober 2010, der Bericht der Norwegian Organization für Asylum Seekers („The Italian approach to asylum: System and core problems“, April 2011; abrufbar unter http://www.noas.org/) und der aus dem November 2009 stammende Bericht der Schweizerischen Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht („Rückschaffung in den 'sicheren Drittstaat' Italien“; abrufbar unter http://www.beobachtungsstelle.ch/index.php?id= 428&L=2%2F%2F%3F_SERVER%5BDOCUMENT_ROOT%5D%3D) vermitteln ein ganz ähnliches Bild der Situation von Flüchtlingen in Italien (vgl. zur Auswertung aktueller Quellen auch Maria Bethke, „Die Situation von Asylsuchenden und Schutzberechtigten in Italien“, Stand 7/2011; abrufbar unter http://www.nds-fluerat. org/6521/aktuelles/infos-fuer-dublin-ii-verfahren-italien/). Im Bericht von Bethke/Bender (a.a.O.) sowie in der Quellenauswertung von Bethke wird insbesondere darauf hingewiesen, dass das Platz- und Obdachlosigkeitsproblem auch Rückkehrer im Rahmen von Dublin-II-Verfahren betreffe, die weder Anspruch auf Wohnraum noch auf existenzsichernde Sozialleistungen hätten; in den Jahren 2008 und 2009 seien nur etwa 12 % der Dublin-Rückkehrer in ein SPRAR-Projekt vermittelt worden, während die ganz überwiegende Mehrzahl der Obdachlosigkeit überlassen worden sei. Weiter verweisen Bethke/Bender (a.a.O.) ausdrücklich darauf, dass bei obdachlosen Personen oder solchen, die in besetzen Häusern wohnten, Postzustellungen nicht möglich seien, so dass amtliche Dokumente, etwa ein im italienischen Asylverfahren noch ausstehender Bescheid, sie nicht erreichen könnten; ebenso wenig sei es ihnen möglich, eine für ein in Deutschland ggf. noch laufendes Gerichtsverfahren notwendige ladungsfähige Anschrift anzugeben. All dies wird nochmals von Bender in „Warum Italien ein „Dublin-Thema“ ist“ (Asylmagazin 1-2/12, S. 11) auf den aktuellen Stand gebracht und vollumfänglich bestätigt.
46 
Für die Lagebeurteilung nicht außer Betracht gelassen werden darf weiter der Umstand, dass sich die meisten der zitierten Erkenntnismittel mit den Zuständen in Italien beschäftigen, wie sie sich im Wesentlichen vor dem Frühjahr 2011 darstellten, zu einem Zeitpunkt also, zu dem die Zahl der Asylanträge in Italien rückläufig war; so wurden im Jahr 2008 30.145 Asylanträge gestellt, 2009 17.670 und 2010 (nur) noch 10.050 (zu den Zahlen: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Entscheiderbrief 7/2011). Bereits diese vergleichsweise geringen Zahlen führten zu den in den zitierten Berichten beschriebenen massiven Schwierigkeiten der Asylbewerber, angesichts ihrer prekären Lebenssituation, aber auch angesichts der völlig überlasteten behördlichen Strukturen ein Asylverfahren zu betreiben. Seit Beginn der Unruhen in Nordafrika aber stieg die Zahl der Flüchtlinge, die Italien erreichen, sprunghaft an; nach Angaben des UNHCR (http://www.unhcr.de/home/artikel/042d9651d 6d525aad46e97d7ee7848db/hunderte-neuankoemmlinge-aus-libyen-und-tunesien-in-italien.html?L=0) hatten im Jahr 2011 bis Mitte August 52.000 Menschen im Zuge der nordafrikanischen Flüchtlingskrise Italien erreicht, italienische Quellen sprechen Ende September 2011 von über 60.000 Flüchtlingen, die seit Jahresbeginn die italienische Küste erreicht haben (http://www.interno.it/mininterno/export/sites/default/ it/sezioni/sala_stampa/notizie/immigrazione/0000070_2011_09_29_informativa_Viale_al_Senato.html). Angesichts dieser Zahlen gibt es keinerlei Anhaltspunkte für eine zwischenzeitliche Verbesserung der Situation der Flüchtlinge in Italien.
47 
Schließlich hat auch der Kläger selbst die miserable Versorgung mit dem Allernotnotwendigsten eindrücklich geschildert, insbesondere mit dem Hinweis darauf, dass er, wäre er länger in Italien geblieben, hätte betteln müssen, um nicht zu verhungern.
48 
Den zitierten Berichten hat die Beklagte nichts Substantiiertes entgegengesetzt und in ihrer Begründung, wie sie zu der Abschiebungsanordnung nach Italien gekommen ist, vorrangig die Erkenntnisquellen verwertet, die vor dem Frühjahr 2011 erhoben wurden. Die - unbestrittene - Tatsache, dass es anders als bei Griechenland im Falle von Italien keine Empfehlung des UNHCR dahingehend gibt, Asylsuchende nicht an diesen Staat zu überstellen, genügt nach Auffassung des Gerichts nicht; auch das BVerfG hat sich in seinen die Lage in Griechenland betreffenden Entscheidungen nicht isoliert auf eine entsprechende Stellungnahme des UNHCR, sondern auf die „umfangreichen Stellungnahmen verschiedener Organisationen zur Situation von Asylantragstellern in Griechenland“ berufen (vgl. etwa BVerfG, Beschl. v. 22.12.2009 - 2 BvR 2879/09 -, juris; Beschl. v. 13.11.2009 - 2 BvR 2603/09 -, juris). Der Hinweis der Beklagten darauf, aus dem Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe ergebe sich keine Empfehlung, Flüchtlinge nicht nach Italien zurückzuschieben, ist in dieser Allgemeinheit nicht zutreffend. Für bestimmte Personengruppen - verletzliche Personen sowie Asylsuchende, bei denen prima facie die Flüchtlingseigenschaft oder ein subsidiäres Schutzbedürfnis als bestehend betrachtet werden kann - fordert die Schweizerische Flüchtlingshilfe vielmehr explizit die Mitgliedstaaten auf, Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO anzuwenden, um eine Verletzung von Art. 3 EMRK zu verhindern. Aber auch bei allen anderen Asylsuchenden fordert die Schweizerische Flüchtlingshilfe die Mitgliedstaaten ausdrücklich auf, vor der Überstellung der Betroffenen deren Situation sorgfältig abzuklären und dafür zu sorgen, von den italienischen Behörden eine verbindliche Zusage zu erhalten, dass sie in der Lage sind, die Rückkehrenden ab ihrer Ankunft angemessen zu unterstützen. Für eine sorgfältige Abklärung oder gar eine Kontaktaufnahme mit den italienischen Behörden bestehen vorliegend nach Aktenlage indes - insoweit in Übereinstimmung mit der gängigen Praxis der EU-Mitgliedstaaten - keine Anhaltspunkte; in einer solchen Situation aber sind die Empfehlungen, die die Schweizerische Flüchtlingshilfe ausgesprochen hat, durchaus dahingehend zu verstehen, dass eine Überstellung aus Gründen des Menschenrechtsschutzes unterbleiben solle. Ebenso wenig vermag die Kritik des Bundesamts (Entscheiderbrief 7/2011) an den Erkenntnisquellen und den in der Rechtsprechung hieraus gezogenen Konsequenzen zu überzeugen. Das Bundesamt beruft sich in erster Linie, wie auch die Beklagte im vorliegenden Fall, auf die von Gesetzes wegen in Italien bestehenden Rechte von Asylsuchenden auf Unterkunft, Arbeit und Sozialleistungen, setzt sich jedoch nicht auseinander mit den vielfältigen konkreten Hinweisen auf die erhebliche Diskrepanz zwischen den von Italien eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtungen, denen durch entsprechende Rechtsakte auf formeller Ebene Rechnung getragen worden sein mag, und ihrer Umsetzung in der Praxis. Das Auswärtige Amt und das Bundesamt stellen - soweit ersichtlich - keine eigenen Erkenntnisse zur Verfügung; auch im Übrigen fehlt es an jeglichen Erkenntnismitteln, die eine von den zitierten Auskünften abweichende - günstigere - Lagebeurteilung der Verhältnisse in Italien erlaubten.
49 
Nach alledem ist das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe im Sinne der EuGH-Rechtsprechung (Urt. v. 21.12.2011, a.a.O.) dafür vorliegen, dass der Kläger aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Italien im Falle einer Überstellung in dieses Land Gefahr laufen würde, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung (Art. 3 EMRK) ausgesetzt zu werden und sich deshalb die Rücküberstellung als rechtswidrig darstellt.
50 
Diese schwerwiegenden Beeinträchtigungen führen zu der rechtlichen Schlussfolgerung dass dem Anspruch des Klägers auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung durch die Beklagte nur dadurch genügt werden kann, vorliegend die Verpflichtung der Beklagten zum Selbsteintritt gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO wegen einer Ermessensreduzierung auf Null anzunehmen.
51 
Der streitgegenständliche Bescheid vom 10.11.2011 ist daher aufzuheben.
52 
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylVfG.

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(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts (Anfechtungsklage) sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts (Verpflichtungsklage) begehrt werden. (2) Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist

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(1) Sobald der Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt ist, sind die Beteiligten mit einer Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen, bei dem Bundesverwaltungsgericht von mindestens vier Wochen, zu laden. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende di

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(1) Sobald der Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt ist, sind die Beteiligten mit einer Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen, bei dem Bundesverwaltungsgericht von mindestens vier Wochen, zu laden. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende die Frist abkürzen.

(2) Bei der Ladung ist darauf hinzuweisen, daß beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann.

(3) Die Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit können Sitzungen auch außerhalb des Gerichtssitzes abhalten, wenn dies zur sachdienlichen Erledigung notwendig ist.

(4) § 227 Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozeßordnung ist nicht anzuwenden.

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts (Anfechtungsklage) sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts (Verpflichtungsklage) begehrt werden.

(2) Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein.

Tenor

Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers (A 4 K 2202/11) gegen die Abschiebungsanordnung im Bescheid der Antragsgegnerin vom 25.08.2011 wird angeordnet.

Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, dem Regierungspräsidium Karlsruhe mitzuteilen, dass eine Abschiebung des Antragstellers nach Italien vorläufig nicht durchgeführt werden darf.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Gründe

 
A. Der Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seiner Klage (A 4 K 2202/11) gegen die kraft Gesetzes sofort vollziehbare Abschiebungsanordnung im Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 25.08.2011, zugestellt am 02.11.2011, anzuordnen (§ 80 Abs. 5 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 Nr. 3 VwGO, § 75 AsylVfG), ist zulässig.
I. Die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes richtet sich vorliegend nach § 80 Abs. 5 VwGO. Der Antragsteller beantragt im Hauptsacheverfahren (A 4 K 2202/11) die isolierte Aufhebung des Bescheids der Antragsgegnerin vom 25.08.2011, hat folglich eine isolierte Anfechtungsklage erhoben. Die Anfechtungsklage ist in Fällen der §§ 27a, 34a AsylVfG statthafte Klageart. Denn die antragsgemäße Entscheidung des Gerichts - Aufhebung der ablehnenden Entscheidung, mit der die Durchführung eines Asylverfahrens für unzulässig erklärt wurde - führt zu einer formellen und materiellen Prüfung des Asylantrags durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, ohne dass dem Kläger eine mit umfassenden Verfahrensgarantien ausgestattete Tatsachenentscheidung genommen wird (für die Statthaftigkeit der Anfechtungsklage in Fällen des § 27a AsylVfG auch VG Wiesbaden, Urteil vom 17.06.2011 - 7 K 327/11.WI.A -, juris, unter Verweis auf BVerwG, Urteil vom 07.03.1995 - 9 C 264/94 -, juris; VG Neustadt, Urteil vom 16.06.2009 - 5 K 1166/08.NW -, juris; ohne nähere Begründung auch VG Braunschweig, Urteil vom 01.06.2010 - 1 A 47/10 -, juris; VG München, Urteil vom 29.11.2011 - M 24 K 11.30219 -, juris; VG Ansbach, Beschluss vom 08.11.2011 - AN 11 S 11.30508 -, juris; VG Frankfurt, Urteil vom 23.06.2010 - 7 K 2789/09.F.A. -, juris; VG Augsburg, Beschluss vom 01.02.2010  - Au 5 S 10.30014 -, juris; a.A. [Statthaftigkeit nur der Verpflichtungsklage] OVG NRW, Urteil vom 10.05.2010 - 3 A 133/10.A -, juris). Ist aber in der Hauptsache die Anfechtungsklage statthaft, richtet sich die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gemäß § 123 Abs. 5 VwGO allein nach § 80 Abs. 5 VwGO.
II. § 34a Abs. 2 AsylVfG, der seinem Wortlaut nach vorläufigen Rechtsschutz bei Abschiebungen nach § 34a Abs. 1 AsylVfG ausschließt, steht dem nicht entgegen. Zwar handelt es sich bei der geplanten Abschiebung des Antragstellers um eine solche nach § 34a Abs. 1 AsylVfG, denn der Antragsteller soll nach Italien als dem gemäß § 27a AsylVfG i. V. m. Art. 20 Abs. 1 b und c, Art. 4 und Art. 16 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 - Dublin II-VO - für die Durchführung seines Asylverfahrens zuständigen Staat überstellt werden. Auch im Falle von Italien kommt jedoch angesichts der jüngsten Berichte zur Lage der Flüchtlinge dort eine im Sinne von Art. 19 Abs. 4 GG verfassungskonforme Auslegung bzw. Reduktion des § 34a Abs. 2 AsylVfG, wie sie das Bundesverfassungsgericht in Fällen der Abschiebung nach Griechenland annimmt (vgl. zul. Beschluss vom 15.07.2010 - 2 BvR 1460/10 -, juris), zum Tragen.
1. Das Bundesverfassungsgericht hat im Hinblick auf § 26a AsylVfG (sicherer Drittstaat) bereits im Jahr 1996 entschieden (Urteil vom 14.05.1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 -, juris), dass die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes trotz der in § 34a Abs. 2 AsylVfG enthaltenen Ausschlussregelung und trotz des der Drittstaatenreglung zugrundeliegenden Konzepts der normativen Vergewisserung gleichwohl statthaft und geboten sein kann, wenn es sich aufgrund bestimmter Tatsachen aufdrängt, dass der Ausländer von einem Sonderfall betroffen ist, der vom Vergewisserungskonzept nicht aufgefangen wird. Auch in den Fällen, in denen Gegenstand des Eilrechtsschutzantrags eine beabsichtigte Abschiebung in einen nach der Dublin II-Verordnung zuständigen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union ist, kann eine verfassungsrechtlich gebotene Reduktion des § 34a Abs. 2 AsylVfG in Betracht kommen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 15.07.2010 - 2 BvR 1460/10 -, juris). Diese ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Hinblick auf § 27a AsylVfG dann geboten, wenn sich aufgrund bestimmter Tatsachen aufdrängt, dass der Ausländer von einem Sonderfall betroffen ist, der außerhalb des Konzepts normativer Vergewisserung über die Sicherheit im jeweiligen EU-Mitgliedstaat liegt. An diese Darlegung sind strenge Anforderungen zu stellen. Das Konzept normativer Vergewisserung bezieht sich darauf, dass diese Staaten Flüchtlingen den nach der Genfer Flüchtlingskonvention und der Menschenrechtskonvention gebotenen Schutz gewähren, was beinhaltet, dass es schutzsuchenden Ausländern nach den rechtlichen und tatsächlichen Verhältnissen möglich ist, ein Schutzgesuch tatsächlich anzubringen und dadurch die Verpflichtung einer zuständigen Stelle zu begründen, hierüber nach vorgängiger Prüfung eine Entscheidung zu treffen. Ein Sonderfall kann daher ausnahmsweise dann vorliegen, wenn sich ein Staat von seinen mit seinem Beitritt zur Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK eingegangenen und von ihm auch generell eingehaltenen Verpflichtungen löst und Ausländern Schutz dadurch verweigert, dass er sich ihrer ohne jede Prüfung des Schutzgesuchs entledigt (BVerfG, Urteil vom 14.05.1996., a.a.O.), oder wenn das Asylverfahren in einem Staat in der Praxis solche erheblichen strukturellen Mängel aufweist, dass Asylbewerber nur eine sehr geringe Chance haben, dass ihr Antrag ernsthaft geprüft wird (EGMR, Urteil vom 21.01.2011 - 30696/09 -, NVwZ 2011, 413). Auch der EuGH hat jüngst (Urteil vom 21.12.2011 - C-411/10 u. C-493/10 -, juris) bekräftigt, grundsätzlich sei von einer Vermutung dahingehend auszugehen, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechte-Charta, der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK stehe. Dessen ungeachtet ist nach Auffassung des EuGH jedoch die Überstellung eines Asylbewerbers in einen Staat mit Art. 4 Grundrechte-Charta unvereinbar, wenn systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Statuiert der EuGH für diesen Fall eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte, einen Asylbewerber nicht an den im Sinne der Dublin II-Verordnung zuständigen Mitgliedstaat zu überstellen, muss in diesem Ausnahmefall in einschränkender Auslegung des § 34a AsylVfG die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes möglich sein.
2. Unter Berücksichtigung der aktuellen Auskunftslage bestehen erhebliche Zweifel an einer Befugnis der Antragsgegnerin zur Rücküberstellung des Antragstellers nach Italien auf Grundlage des § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG. Denn jedenfalls nach der im Eilverfahren gebotenen und auch nur möglichen summarischen Prüfung ist zweifelhaft, ob Italien gegenwärtig seinen übernommenen Verpflichtungen rechtlich und tatsächlich in ausreichendem Umfang nachkommt und die hinreichende Gewähr dafür bietet, dass Ausländer, die dort einen Asyl- oder Schutzantrag gestellt haben bzw. im Falle ihrer Rücküberstellung noch stellen wollen, nicht von individuellen Gefährdungen i.S.d. Art. 4 Grundrechte-Charta, Art. 3 EMRK betroffen sind.
a) Die in Italien herrschenden Zustände für Asylbewerber, die im Rahmen einer Überstellung nach der Dublin II-Verordnung dorthin zurückkehren, waren bereits vor Beginn der Unruhen in der arabischen Welt im Februar vergangenen Jahres kritikwürdig: Der Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe („Asylverfahren und Aufnahmebedingungen in Italien, Mai 2011) deutet darauf hin, dass insbesondere die Richtlinie 2003/9/EG zum Flüchtlingsschutz, nach der die Mitgliedstaaten insbesondere solche materiellen Aufnahmebedingungen schaffen, die Lebensunterhalt einschließlich Unterbringung wie auch Gesundheit der Asylbewerber gewährleisten (vgl. Art. 13 Abs. 2 und Art. 14 dieser Richtlinie), derzeit in vielen Bereichen nicht umgesetzt wird. Der ausführliche Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe schildert Obdachlosigkeit und fehlende existenzielle Versorgung der großen Mehrheit der Asylsuchenden: Zwar sollten Asylsuchende für die Dauer des Asylverfahrens in Erstaufnahmeeinrichtungen, den so genannten CARA (Centri di accoglienza per richiedenti asilo), untergebracht werden; hier seien etwa 2.000 Plätze verfügbar. In der Zeit zwischen dem Erstkontakt mit italienischen Behörden und der formellen Registrierung ihres Asylgesuchs (Verbalizzazione) durch die personell nicht ausreichend ausgestatteten Questura - ein Zeitraum, der einige Monate dauern könne - hätten Asylsuchende jedoch keinen Zugang zu Unterkünften und lebten meist auf der Straße; auch müssten Asylsuchende das CARA regelmäßig nicht nur in jedem Fall nach Erlass des erstinstanzlichen Entscheids, sondern auch dann, wenn das Asylverfahren nicht abgeschlossen ist, nach längstens sechs Monaten verlassen. Das staatliche Aufnahmesystem SPRAR (Sistema di Protezione per Richiedenti Asilo e Rifugiati), das italienweit die Unterbringung und Integration von Schutzberechtigten und teilweise auch Asylsuchenden gewährleisten solle, sei mit nur gut 3.000 Plätzen völlig überlastet. Die allermeisten Asylsuchenden hätten, auch wenn sie sich nach sechs Monaten um Arbeitsstellen bewerben dürften, aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit in Italien keine Chance auf reguläre Arbeit, die es ihnen ermöglichte, sich selbst zu versorgen. Sie würden mit der Entlassung aus dem CARA in den meisten Fällen obdachlos und lebten unter freiem Himmel oder in besetzen Häusern unter unhaltbaren Lebensbedingungen; nachdem der Erhalt von Unterstützungsleistungen an den Aufenthalt in einem Zentrum geknüpft sei, habe die Obdachlosigkeit schwerwiegende Folgen nicht nur für ihre grundlegenden Menschenrechte, sondern auch für die weitere Durchführung ihres Asylverfahrens. Auch Personen, denen internationaler Schutz gewährt wurde, hätten häufig Schwierigkeiten, eine Unterkunft zu erhalten und seien für die Sicherstellung ihrer lebensnotwendigen Bedürfnisse auf Hilfsorganisationen und NGO’s angewiesen. Diese Bedingungen gälten im wesentlichen auch für auf Grundlage der Dublin II-Verordnung auf dem Luftweg nach Italien zurückgeführte Asylsuchende; die italienischen Behörden seien ebenso wenig wie bei sonstigen Asylsuchenden in der Lage, ihnen bei Rückkehr nach Italien würdige Lebensbedingungen zu gewährleisten, auch insoweit fehle es an Plätzen im staatlichen Aufnahmesystem SPRAR.
b) Mit dieser Einschätzung der Lage steht die Schweizerische Flüchtlingshilfe nicht allein. Vielmehr existieren mehrere in ihren inhaltlichen Aussagen im wesentlichen übereinstimmende Berichte von Nichtregierungsorganisationen, die ausweislich des EuGH geeignet sind, die Mitgliedstaten in die Lage zu versetzen, sich ein Bild über das Funktionieren des Asylsystems im zuständigen Mitgliedstaat zu machen (vgl. EuGH, Urteil vom 21.12.2011, a.a.O.): Der ausführliche Bericht von Maria Bethke und Dominik Bender („Zur Situation von Flüchtlingen in Italien“, Februar 2011; abrufbar unter http://www.proasyl.de/fileadmin/fm-dam/q_PUBLIKATIONEN/2011/Italienbericht_FINAL_15MAERZ2011.pdf) nach ihrer Recherchereise im Oktober 2010, der Bericht der Norwegian Organization für Asylum Seekers („The Italian approach to asylum: System and core problems“, April 2011; abrufbar unter http://www.noas.org/) und der aus dem November 2009 stammende Bericht der Schweizerischen Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht („Rückschaffung in den 'sicheren Drittstaat' Italien“; abrufbar unter http://www.beobachtungsstelle.ch/index.php?id=428&L=2%2F%2F%3F_SERVER%5BDOCUMENT_ROOT%5D%3D) vermitteln ein ganz ähnliches Bild der Situation von Flüchtlingen in Italien (vgl. zur Auswertung aktueller Quellen auch Maria Bethke, „Die Situation von Asylsuchenden und Schutzberechtigten in Italien“, Stand 7/2011; abrufbar unter http://www.nds-fluerat.org/6521/aktuelles/infos-fuer-dublin-ii-verfahren-italien/). Im Bericht von Bethke/Bender (a.a.O.) sowie in der Quellenauswertung von Bethke wird insbesondere darauf hingewiesen, dass das Platz- und Obdachlosigkeitsproblem auch Rückkehrer im Rahmen von Dublin-II-Verfahren betreffe, die weder Anspruch auf Wohnraum noch auf existenzsichernde Sozialleistungen hätten; in den Jahren 2008 und 2009 seien nur etwa 12 % der Dublin-Rückkehrer in ein SPRAR-Projekt vermittelt worden, während die ganz überwiegende Mehrzahl der Obdachlosigkeit überlassen worden sei. Weiter verweisen Bethke/Bender (a.a.O.) ausdrücklich darauf, dass bei obdachlosen Personen oder solchen, die in besetzen Häusern wohnten, Postzustellungen nicht möglich seien, so dass amtliche Dokumente, etwa ein im italienischen Asylverfahren noch ausstehender Bescheid, sie nicht erreichen könnten; ebenso wenig sei es ihnen möglich, eine für ein in Deutschland ggf. noch laufendes Gerichtsverfahren notwendige ladungsfähige Anschrift anzugeben.
c) Für die Lagebeurteilung nicht außer Betracht gelassen werden darf weiter der Umstand, dass sich die zitierten Erkenntnismittel mit den Zuständen in Italien beschäftigen, wie sie sich im wesentlichen vor dem Frühjahr 2011 darstellten, zu einem Zeitpunkt also, zu dem die Zahl der Asylanträge in Italien rückläufig war; so wurden im Jahr 2008 30.145 Asylanträge gestellt, 2009 17.670 und 2010 (nur) noch 10.050 (zu den Zahlen: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Entscheiderbrief 7/2011). Bereits diese vergleichsweise geringen Zahlen führten zu den in den zitierten Berichten beschriebenen massiven Schwierigkeiten der Asylbewerber, angesichts ihrer prekären Lebenssituation, aber auch angesichts der völlig überlasteten behördlichen Strukturen ein Asylverfahren zu betreiben. Seit Beginn der Unruhen in Nordafrika aber stieg die Zahl der Flüchtlinge, die Italien erreichen, sprunghaft an; nach Angaben des UNHCR (http://www.unhcr.de/home/artikel/042d9651d6d525aad46e97d7ee7848db/hunderte-neuankoemmlinge-aus-libyen-und-tunesien-in-italien.html?L=0) hatten im Jahr 2011 bis Mitte August 52.000 Menschen im Zuge der nordafrikanischen Flüchtlingskrise Italien erreicht, italienische Quellen sprechen Ende September 2011 von über 60.000 Flüchtlingen, die seit Jahresbeginn die italienische Küste erreicht haben (http://www.interno.it/mininterno/export/sites/default/it/sezioni/sala_stampa/notizie/immigrazione/0000070_2011_09_29_informativa_Viale_al_Senato.html). Angesichts dieser Zahlen gibt es keinerlei Anhaltspunkte für eine zwischenzeitliche Verbesserung der Situation der Flüchtlinge in Italien.
d) Diesen Berichten hat die Antragsgegnerin nichts substantiiert entgegengesetzt. Die - unbestrittene - Tatsache, dass es anders als bei Griechenland im Falle von Italien keine Empfehlung des UNHCR dahingehend gibt, Asylsuchende nicht an diesen Staat zu überstellen, genügt nach Auffassung der Kammer nicht; auch das Bundesverfassungsgericht hat sich in seinen die Lage in Griechenland betreffenden Entscheidungen nicht isoliert auf eine entsprechende Stellungnahme des UNHCR, sondern auf die „umfangreichen Stellungnahmen verschiedener Organisationen zur Situation von Asylantragstellern in Griechenland“ berufen (vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 22.12.2009 - 2 BvR 2879/09 -, juris; Beschluss vom 13.11.2009 - 2 BvR 2603/09 -, juris). Der Hinweis der Antragsgegnerin darauf, aus dem Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe ergebe sich keine Empfehlung, Flüchtlinge nicht nach Italien zurückzuschieben, ist in dieser Allgemeinheit nicht zutreffend. Für bestimmte Personengruppen - verletzliche Personen sowie Asylsuchende, bei denen prima facie die Flüchtlingseigenschaft oder ein subsidiäres Schutzbedürfnis als bestehend betrachtet werden kann - fordert die Schweizerische Flüchtlingshilfe vielmehr explizit die Mitgliedstaaten auf, Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO (Souveränitätsklausel) anzuwenden, um eine Verletzung von Art. 3 EMRK zu verhindern. Aber auch bei allen anderen Asylsuchenden fordert die Schweizerische Flüchtlingshilfe die Mitgliedstaaten ausdrücklich auf, vor der Überstellung der Betroffenen deren Situation sorgfältig abzuklären und dafür zu sorgen, von den italienischen Behörden eine verbindliche Zusage zu erhalten, dass sie in der Lage sind, die Rückkehrenden ab ihrer Ankunft angemessen zu unterstützen. Für eine sorgfältige Abklärung oder gar eine Kontaktaufnahme mit den italienischen Behörden bestehen vorliegend nach Aktenlage indes - insoweit in Übereinstimmung mit der gängigen Praxis der EU-Mitgliedstaaten - keine Anhaltspunkte; in einer solchen Situation aber sind die Empfehlungen, die die Schweizerische Flüchtlingshilfe ausgesprochen hat, durchaus dahingehend zu verstehen, dass eine Überstellung aus Gründen des Menschenrechtsschutzes unterbleiben solle. Ebenso wenig vermag die Kritik des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Entscheiderbrief 7/2011) an den Erkenntnisquellen und den in der Rechtsprechung hieraus gezogenen Konsequenzen zu überzeugen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge beruft sich in erster Linie, wie auch die Antragsgegnerin im vorliegenden Fall, auf die von Gesetzes wegen in Italien bestehenden Rechte von Asylsuchenden auf Unterkunft, Arbeit und Sozialleistungen, setzt sich jedoch nicht auseinander mit den vielfältigen konkreten Hinweisen auf die erhebliche Diskrepanz zwischen den von Italien eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtungen, denen durch entsprechende Rechtsakte auf formeller Ebene Rechnung getragen worden sein mag, und ihrer Umsetzung in der Praxis. Das Auswärtige Amt und das Bundesamt stellen - soweit ersichtlich - keine eigenen Erkenntnisse zur Verfügung; auch im Übrigen fehlt es an jeglichen Erkenntnismitteln, die eine von den zitierten Auskünften abweichende - günstigere - Lagebeurteilung der Verhältnisse in Italien erlaubten.
10 
e) Nach Auffassung der Kammer nach der bisherigen Recherche und Lektüre der aktuellen Informationen zur Lage in Italien liegen damit aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Italien ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe im Sinne der EuGH-Rechtsprechung (Urteil vom 21.12.2011, a.a.O.) für die Annahme vor, der Antragsteller laufe tatsächlich Gefahr, im Falle einer Rücküberstellung nach Italien einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Angesichts der konkreten Umstände - insbesondere der unter Flüchtlingen verbreiteten Obdachlosigkeit, welche die Zustellung amtlicher Dokumente und damit auch das Betreiben behördlicher wie gerichtlicher Verfahren maßgeblich erschwert, wenn nicht unmöglich macht, aber auch der gerichtsbekannten langen Laufzeiten italienischer Gerichtsverfahren - bestehen nach Aktenlage auch keinerlei Anhaltspunkte dafür, die Asylbewerber hätten faktisch die Möglichkeit, die ihnen ausweislich der von Italien unterzeichneten internationalen Abkommen wie auch nationalen Gesetze zustehenden (Menschen-)Rechte innerhalb eines überschaubaren Zeitraums einzuklagen. Daher ist der Antrag des Antragstellers in verfassungs- bzw. europarechtskonformer Reduktion des § 34a Abs. 2 AsylVfG zulässig (so für Fälle der Überstellung nach Italien auch VG Freiburg, Beschluss vom 20.10.2011 - A 1 K 1936/11 -; Beschluss vom 06.09.2011 A 3 K 1738/11 -; Beschluss vom 25.10.2011 - A 5 K 2081/11 -; VG Arnsberg, Beschluss vom 25.03.2011 - 12 L 165/11.A -, asyl.net; VG Minden, Beschluss vom 01.09.2011 - 3 L 427/11.A -, asyl.net; VG Stuttgart, Beschluss vom 01.08.2011 - A 6 K 2577/11 -, juris; VG Meiningen, Beschluss vom 21.09.2011 - 8 E 20262/11 -, juris; VG Düsseldorf, Beschluss vom 01.08.2011 - 21 L 1083/11.A -, asyl.net; VG Osnabrück, Beschluss vom 23.05.2011 - 5 B 38/11 -, juris; i.Erg. auch VG Wiesbaden, Beschluss vom 12.04.3022 - 7 L 303/11.WI.A -, juris; VG Augsburg, Beschluss vom 08.07.2011 - Au 6 S 11.30229 -, juris (unter Verweis auf besondere Schutzbedürftigkeit des Antragstellers); a.A. VG Saarlouis, Beschluss vom 22.08.2011 - 5 L 744/11 -, juris; VG Augsburg, Beschluss vom 05.09.2011 - Au 6 E 11.1320 -, juris; VG Ansbach, Beschluss vom 21.09.2011 - AN 11 S 11.30425 -, juris; VG Düsseldorf, Beschluss vom 12.09.2011 - 6 L 866/11.A -, juris; VG Frankfurt a.M., Beschluss vom 23.05.2011 - 9 L 1025/11.F.A. -, asyl.net; VG Bremen, Beschluss vom 24.01.2012 - 6 V 1549/11.A -, juris).
11 
B. Der Antrag ist auch begründet. Im Rahmen der nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotenen summarischen Prüfung hat das Gericht das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung eines Bescheids dem privaten Interesse des Betroffenen an einem Absehen von der sofortigen Vollziehung gegenüber zu stellen und abzuwägen. Dabei sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache maßgeblich. Lassen sich die offensichtliche Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheids und damit die Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs im Rahmen der summarischen Prüfung nicht ohne weiteres feststellen, hat das Gericht eine Interessenabwägung zu treffen. Dabei hat es die Folgen abzuschätzen, die einträten, wenn der Bescheid sofort vollzogen würde, ein Hauptsacherechtsbehelf des Antragstellers hingegen später Erfolg hätte bzw. wenn der Bescheid nicht sofort vollzogen würde, aber der Hauptsacherechtsbehelf später erfolglos bliebe.
12 
I. Der vorliegende Antrag ist nicht schon deshalb begründet, weil, wie der Antragsteller meint, die zuständigen Behörden der Republik Italien die Übernahme des Asylverfahrens nicht angezeigt hätten und daher nicht feststehe, ob Italien die Übernahme des Antragstellers akzeptiere, so dass die Abschiebungsanordnung rechtswidrig sei. Denn nach Art. 20 Abs. 1 c) Dublin II-VO wird in Fällen, in denen - wie vorliegend - der ersuchte Mitgliedstaat innerhalb der Frist keine Antwort erteilt, davon ausgegangen, dass er die Wiederaufnahme des Asylbewerbers akzeptiert.
13 
II. Das Gericht kommt jedoch im Rahmen der ihm nach § 80 Abs. 5 VwGO obliegenden Interessenabwägung zu dem Ergebnis, dass das private Interesse des Antragstellers, bis zur Entscheidung in der Hauptsache nicht abgeschoben zu werden, das öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug der Abschiebungsanordnung überwiegt.
14 
Im vorliegenden Fall bestehen, wie sich aus den obigen Ausführungen ergibt, erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung. Die offensichtliche Begründetheit der Klage in der Hauptsache lässt sich jedoch wegen der schwierigen Sach- und Rechtsfragen im Rahmen der summarischen Prüfung nicht feststellen; hierzu bedarf es vielmehr einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren, gegebenenfalls nach Durchführung einer Beweisaufnahme. In der daher vorzunehmenden Interessenabwägung nach § 80 Abs. 5 VwGO gebührt dem Interesse des Antragstellers an einer Aussetzung der Abschiebung der Vorrang gegenüber dem öffentlichen Interesse am Vollzug der nach summarischer Prüfung rechtswidrigen Abschiebungsanordnung. Denn gegenüber dem Anspruch des Antragstellers auf Schutz entsprechend der europaweit vereinbarten Mindeststandards hat das öffentliche Interesse an der Umsetzung der Zuständigkeitsregelungen der Dublin II-Verordnung zurückzutreten. Dies gilt umso mehr, als die Rückstellungsfristen des Art. 19 Abs. 3 Satz 1, Art. 20 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO erst nach Abschluss des Hauptsacheverfahrens zu laufen beginnen dürften, weil die Klage hier ausnahmsweise nach nationalem Recht aufschiebende Wirkung hat, so dass eine Rücküberstellung des Antragstellers im Falle seines Unterliegens in der Hauptsache wohl immer noch möglich sein dürfte (Hess. VGH, Beschluss vom 23.08.2011 - 2 A 1863/10.Z.A. -, juris, unter Verweis auf EuGH, Urteil vom 29.01.2009 - C-19/08 -, juris; VG Augsburg, Beschluss vom 08.07.2011 - Au 6 S 11.30229 -, juris, m.w.N.). Umgekehrt bestünde bei einer Überstellung nach Italien im laufenden Verfahren angesichts der dem Antragsteller dort drohenden Obdachlosigkeit die konkrete Gefahr, behördlich und gerichtlich unerreichbar zu sein mit der Folge, dass selbst im Falle seines Obsiegens in der Hauptsache die Folgen nicht mehr rückgängig gemacht werden könnten (vgl. VG Freiburg, Beschluss vom 20.10.2011 - A 1 K 1936/11 -).
15 
Nachdem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dem Regierungspräsidium Karlsruhe - Landesaufnahmestelle für Flüchtlinge - bereits die Abschiebungsanordnung übersandt hat, war der Antragsgegnerin zur Sicherung effektiven Rechtsschutzes für den Antragsteller entsprechend § 80 Abs. 5 Satz 2 VwGO aufzugeben, dem Regierungspräsidium die Aussetzung der Abschiebung mitzuteilen.
16 
Der Antragsgegnerin bleibt es unbenommen, bei Vorliegen der Voraussetzungen einen Antrag nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO zu stellen.
17 
Die Kostenentscheidung folgt § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylVfG).
18 
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).

Tenor

Der Bescheid der Beklagten vom 14. Mai 2008 wird aufgehoben.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1

Der Kläger ist 1983 in Kabul/Afghanistan geboren, er ist afghanischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe der Hazara an.

2

Er wurde am 25. Dezember 2007 in einem Reisezug an der belgisch-deutschen Grenze angetroffen, festgenommen und zu den Umständen seiner illegalen Einreise nach Deutschland vernommen. Dabei gab er an, Asyl beantragen zu wollen. Einen Asylantrag stellte er zunächst in Dortmund und dann am 15. Januar 2008 förmlich in Trier. Bei der Anhörung gem. § 25 AsylVfG am selben Tag machte er Angaben zum Reiseweg und zu den persönlichen Gründen für seine Ausreise aus Afghanistan. Dabei ergab sich, dass er über Iran und die Türkei zunächst nach Griechenland gereist war, wo er sich auch zwei Monate aufgehalten hatte, bevor er über Italien nach Deutschland kam. Als Fluchtgrund gab er im Wesentlichen an, er habe ein Verhältnis mit einer verheirateten Frau gehabt und fürchte die Rache des Ehemannes bzw. dessen Familie. Der Ehemann sei dahinter gekommen und habe ihn umbringen wollen.

3

Die Beklagte richtete am 11. Februar 2008 ein Aufnahmegesuch an Griechenland mit dem Ziel, den Kläger zur Durchführung des Asylverfahrens dorthin zu überstellen (sog. Dublin-Verfahren). Griechenland antwortete zunächst bis 15. April 2008 nicht und bestätigte dann mit Schreiben vom 4. Juni 2008 den vorgesehenen Transfer.

4

Am 14. Mai 2008 erließ die Außenstelle Dortmund der Beklagten die Entscheidung, dass der Asylantrag des Klägers gem. § 27 a AsylVfG unzulässig sei, weil Griechenland auf Grund Art. 18 Abs. 7 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl. L 50 S. 1) – sog. Dublin II VO − für die Behandlung des Asylantrages zuständig sei und Gründe für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts der Bundesrepublik Deutschland nicht vorlägen. Die Abschiebung des Klägers nach Griechenland wurde gem. § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG angeordnet. Der Bescheid wurde erst am 7. Oktober 2008 durch die Ausländerbehörde in Ludwigshafen dem Klägerbevollmächtigten gegen Empfangsbekenntnis zugestellt.

5

Zwei Versuche der Ausländerbehörde, die Abschiebung durchzuführen, mussten abgebrochen werden, zunächst um noch das rheinland-pfälzische Ministerium des Innern und für Sport einzuschalten, dann, weil der Kläger vor dem vorgesehenen Flug nach Griechenland am 10. Oktober 2008 nicht greifbar war. Er hatte Ende September 2008 versucht, mit dem Zug nach Dänemark auszureisen, wurde aber bei der Einreise festgehalten und alsbald nach Deutschland überstellt.

6

Am 15. bzw. 16. Oktober 2008 wurde für den Kläger Klage erhoben und ein Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gestellt (Az.: 5 L 1167/08.NW). Letzterem hat das erkennende Gericht mit Beschluss vom 24. November 2008 stattgegeben, indem es die aufschiebende Wirkung der vorliegenden Klage angeordnet hat. Auf die Gründe des Beschlusses wird Bezug genommen. Die sog. außerordentliche Beschwerde hiergegen hat das OVG Rheinland-Pfalz mit Beschluss vom 19. Januar 2009 als unstatthaft verworfen.

7

Zur Begründung der Klage hat der Kläger zunächst vorgetragen, er habe sich zwar in Griechenland einige Zeit aufgehalten, dort aber keinen Asylantrag gestellt. Es seien ihm lediglich dort Fingerabdrücke abgenommen worden. Außerdem lägen wohl außergewöhnliche humanitäre Gründe für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts durch die Bundesrepublik Deutschland gem. Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO vor. Die Eltern der Frau, mit der er in Afghanistan eine außereheliche Beziehung hatte, seien inzwischen schon in Griechenland gewesen, um ihn zur Verantwortung zu ziehen. Schließlich sei nicht bekannt, ob Griechenland dem Übernahmeersuchen der Beklagten stattgegeben habe.

8

In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger noch angegeben, er sei aus Angst vor einer Abschiebung nach Griechenland Ende September 2008 nach Dänemark gefahren, von dort aber nach wenigen Tagen nach Ludwigshafen zurückgekommen und dann zu seinem Rechtsanwalt gegangen. Am 1.Dezember 2008 habe ihm die Stadt seine derzeitige Aufenthaltsgestattung ausgestellt.

9

Der Kläger beantragt,

10

den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 14. Mai 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, das Asylverfahren fortzusetzen.

11

Hilfsweise stellt er den in der Klageschrift vom 15. Oktober 2008 angekündigten Verpflichtungsantrag.

12

Höchst hilfsweise wird weiter beantragt,

13

die Beklagte – unter Aufhebung des Bescheides vom 14. Mai 2008 – zu verpflichten, über die Fortsetzung des Asylverfahrens aufgrund eines Selbsteintritts unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden.

14

Die Beklagte beantragt,

15

die Klage abzuweisen.

16

Sie hält die Klage für unzulässig, weil der Bescheid vom 14. Mai 2008 dem Kläger nicht zugestellt worden sei bzw. weil der Kläger untergetaucht sei und daher kein Rechtsschutzinteresse habe. In der Sache habe sie das Verfahren zu Recht an Griechenland abgegeben. Daher sei der Asylantrag gem. § 27 a AsylVfG unzulässig.

17

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten im vorliegenden Verfahren und im Verfahren 5 L 1167/08.NW sowie auf die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

18

Die Klage ist zulässig und hat in der Sache mit dem Hauptantrag Erfolg.

19

Es fehlt dem Kläger zunächst nicht am Rechtsschutzinteresse. Es trifft zwar zu, dass er Ende September bis Anfang Oktober 2008, möglicherweise auch bis Ende November 2008 insofern „untergetaucht“ war, als er ohne Genehmigung und ohne Wissen der Ausländerbehörde nach Dänemark gefahren war und versucht hatte, dort ein Asylverfahren einzuleiten. Nachdem das fehlgeschlagen war, kehrte er aber nach einigen Tagen wieder nach Ludwigshafen zurück, setzte sich dort erstmals mit seinem jetzigen Prozessbevollmächtigten in Verbindung und betrieb dann das Eilrechtsschutzverfahren sowie das Klageverfahren. Jedenfalls seit 1. Dezember 2008, dem Zeitpunkt, in dem ihm eine weitere Aufenthaltsgestattung ausgestellt wurde, und erst recht zum nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG maßgebenden Zeitpunkt der Gerichtsverhandlung hielt sich der Kläger wieder rechtskonform im Bereich der für ihn zuständigen Ausländerbehörde auf.

20

Da der Bescheid vom 14. Mai 2008 dem Prozessbevollmächtigten des Klägers von der Ausländerbehörde noch vor Klageerhebung, nämlich am 7. Oktober 2009, gegen Empfangsbekenntnis zugestellt wurde, scheitert die Zulässigkeit der Klage auch nicht etwa an dessen mangelnder Wirksamkeit. Im Übrigen wäre die Klage mit dem zunächst angekündigten Verpflichtungsantrag auch bei fehlender Zustellung als Untätigkeitsklage gem. § 75 VwGO zulässig gewesen.

21

Dass der Kläger den angekündigten Verpflichtungsantrag nunmehr nur noch hilfsweise stellt und sich mit dem Hauptantrag auf eine Anfechtungsklage beschränkt, ist jedenfalls als sachdienliche Klageänderung (§ 91 Abs. 1 VwGO) anzusehen. Sachdienlich ist sie aus verschiedenen Gründen: Die vorrangige Frage, welcher Staat über den Asylantrag des Klägers zu entscheiden hat, kann ohne Weiteres im Wege der Anfechtungsklage geklärt werden. Wegen der seit Klageerhebung vergangenen Zeit ist die Frage der Zuständigkeit für das Asylverfahren des Klägers inzwischen auch nach anderen Kriterien als bei Klageerhebung zu beurteilen (dazu im Einzelnen noch unten). Eine stattgebende Entscheidung über den reinen Anfechtungsantrag ermöglicht außerdem der Beklagten die Befassung mit dem Asylantragsvorbringen, die bisher unterblieben ist, und erhält dem Kläger im Falle einer ablehnenden Entscheidung des Bundesamts zur Sache noch den Klageweg zum Gericht. Sachdienlich ist die Beschränkung auch deshalb, weil dem Gericht zum Verfolgungsschicksal des Klägers bisher keine Stellungnahme der Beklagten vorliegt; auch hat es dazu noch keine Erkenntnismittel ins Verfahren eingeführt.

22

Auf den Anfechtungsantrag hin ist der Bescheid der Beklagten vom 14. Mai 2009 auch aufzuheben. Dabei kann offen bleiben, ob er von Anfang an rechtswidrig war, weil – wovon das Gericht nach summarischer Prüfung im Eilbeschluss vom 23. November 2008 ausgegangen ist − eine Überstellung des Klägers an Griechenland wegen der dortigen Verhältnisse (z.B. stark erschwerter tatsächlicher Zugang von Asylsuchenden zur zuständigen Stelle, unzumutbare soziale Lage der Asylsuchenden) unzumutbar war mit der Folge, dass das Bundesamt im Wege des Selbsteintritts über den Asylantrag des Klägers in Deutschland zu entscheiden gehabt hätte. Unabhängig davon haben sich inzwischen die Umstände jedenfalls rechtserheblich verändert. Auch wenn durch das Übernahmeersuchen der Bundesrepublik Deutschland vom Februar 2008 in Verbindung mit dem Ablauf der Zwei-Monats-Frist nach Art. 18 Abs. 7 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl. L 50 S. 1) – sog. Dublin II VO − zunächst Griechenland für das Asylverfahren zuständig war, ist die Zuständigkeit in der Zwischenzeit gem. Art. 19 Abs. 4 Dublin II VO auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen. Nach Satz 1 dieser Vorschrift geht die Zuständigkeit nämlich auf den Mitgliedsstaat über, in dem der Asylantrag eingereicht wurde, wenn die Überstellung in den zunächst zuständigen ersuchten Mitgliedsstaat nicht „innerhalb der Frist von sechs Monaten“ durchgeführt wurde. Diese Frist – das ergibt sich aus Art. 19 Abs. 3 Dublin II VO – beginnt grundsätzlich mit der Annahme des Antrags auf Aufnahme durch den ersuchten Mitgliedsstaat. Alternativ läuft die Frist ab der Entscheidung über einen Rechtsbehelf des Asylbewerbers, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat (Art. 19 Abs. 3 Satz 1 letzter Halbsatz Dublin II VO).

23

Im vorliegenden Fall begann die Frist mit der Annahme des Übernahmeersuchens der Beklagten vom 11. Februar 2008 zu laufen. Diese Annahme ist hier – weil Griechenland bis dahin nicht geantwortet hatte − gem. Art. 18 Abs. 7 Dublin II VO nach Ablauf von zwei Monaten nach Übermittlung des Ersuchens, also frühestens am 11., jedenfalls Mitte April 2008 fiktiv geschehen. Die 6-Monats-Frist wäre daher schon Mitte Oktober 2008 abgelaufen gewesen, wenn der Kläger nicht gerade in diesem Zeitraum untergetaucht gewesen wäre. Gem. Art. 19 Abs. 4 Satz 2 2. Alt. Dublin II VO „kann diese Frist verlängert werden“, und zwar „höchstens auf achtzehn Monate, wenn der Asylbewerber flüchtig ist“. Aus den Akten ergibt sich nichts dafür, dass vorliegend eine solche Fristverlängerung im Zusammenhang mit dem fehlgeschlagenen Überstellungsversuch vom 10. Oktober 2008 – der gerade noch innerhalb der Frist lag − stattgefunden hätte. Die Ausländerbehörde hat das Bundesamt zwar informiert, und es ist wohl von dort auch Griechenland von dem fehlgeschlagenen Überstellungsversuch unterrichtet worden. Eine Reaktion Griechenlands lässt sich den Akten aber nicht entnehmen. Die Beklagte hat dazu im Verlaufe des Verfahrens auch nichts mehr vorgetragen oder vorgelegt.

24

Anders als im L-Beschluss noch angenommen, ist die Fristverlängerung wohl auch nicht allein und sozusagen automatisch aufgrund des Umstands eingetreten, dass der Kläger bei dem Abschiebungsversuch am 10. Oktober und anscheinend – so die Aktenlage – auch noch bis in den November hinein nicht greifbar war. Die Vorschrift ist ihrem Wortlaut und ihrem Sinn nach vielmehr so zu verstehen, dass über die notwendige Fristverlängerung zu entscheiden ist, und zwar sinnvoller Weise nur durch den zur Aufnahme verpflichteten Mitgliedstaat, dessen Zuständigkeit und Aufnahmebereitschaft perpetuiert werden soll. Die Frist darf zudem nach den allgemeinen Grundsätzen, die für rechtserhebliche Fristen gelten, vor ihrer Verlängerung noch nicht abgelaufen sein. Außerdem setzt Art. 19 Abs. 3 Satz 2 Dublin II VO voraus, dass der Asylbewerber bei Verlängerung tatsächlich (noch immer) flüchtig i s t. Da der Kläger spätestens ab dem 1. Dezember 2008 nicht mehr als flüchtig angesehen werden konnte, war nach diesem Datum eine erstmalige Entscheidung, die Frist gem. Art. 19 Abs. 4 Satz 2 Dublin II VO zu verlängern, nicht mehr möglich. Dass eine Verlängerung vor dem 11. Oktober vorgenommen worden wäre, hätte die Beklagte vorzutragen und zu belegen. Das ist nicht geschehen. Im Übrigen ergibt sich aus der Formulierung „kann auf höchstens achtzehn Monate verlängert werden“ außerdem, dass die Länge der Verlängerungsfrist variabel ist, im Ermessen der verlängernden Stelle steht und sich also nicht automatisch um achtzehn Monate verlängert, sobald ein Asylbewerber – und sei es auch nur für kurze Zeit – „flüchtig“ war (a.A. ohne nähere Begründung VG Cottbus, Urt. vom 20.02.2009 – juris -).

25

Eine längere Frist lief vorliegend auch nicht im Hinblick darauf, dass das erkennende Gericht entgegen § 34a Abs. 2 AsylVfG unter Berufung auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Mai 1996 (BVerfGE 94, 49) dem Antrag des Klägers auf vorläufigen Rechtsschutz gegen die Abschiebungsanordnung nach § 34 a AsylVfG mit Beschluss vom 24. November 2008 stattgegeben hat. Diese Frage braucht hier zwar nicht mehr vertieft zu werden, nachdem zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung zur Hauptsache am 16. Juni 2009 seit Zustellung dieses Beschlusses am 26. bzw. 27. November 2008 ebenfalls schon mehr als sechs Monate verstrichen waren. Selbst wenn das nicht der Fall gewesen wäre, wäre aber die Vorschrift des Art. 19 Abs. 3 letzter Halbsatz Dublin II VO vorliegend nicht anwendbar, weil im deutschen innerstaatlichen Asylrecht – wegen § 34 a Abs.2 AsylVfG − gesetzlich kein mit aufschiebender Wirkung versehener Rechtsbehelf gegen die Überstellungsentscheidung zulässig ist, wie es Art. 19 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 4 Dublin II VO fordert. Insoweit schließt sich das Gericht der Argumentation von Hruschka (EuGH-Rechtsprechung zur Überstellungsfrist in Dublin-Verfahren, Asylmagazin 3/2009, S. 6 ff.) an. Dieser kommt in Interpretation des Urteils des EuGH vom 29. Januar 2009 in der Rechtssache Petrosian (C-19/08 – juris) zu dem Ergebnis, dass auch in den Fällen, in denen deutsche Asylgerichte trotz § 34 a Abs. 2 AsylVfG die Abschiebungsanordnung gem. § 123 oder § 80 Abs. 5 VwGO aussetzen, kein Fall eines nach innerstaatlichem Recht zulässigen Rechtsbehelfs mit aufschiebender Wirkung vorliege (ebenso VG Ansbach, Urteil vom 16. April 2009, juris; VG Sigmaringen, Urteil vom 26. März 2009, juris − bezogen auf Entscheidungen nach § 123 VwGO −; aA: VG Würzburg, Urteil vom 10.März 2009, Asylmagazin 6/09, S. 30 ff).

26

Wenn aber nach alledem die Zuständigkeit für die Entscheidung über den Asylantrag des Klägers nunmehr bei der Bundesrepublik Deutschland liegt, kann der Bescheid vom 14. Mai 2008, wonach der Asylantrag gem. § 27 a AsylVfG unzulässig sei, keinen Bestand haben.

27

Auf die Hilfsanträge war daher nicht mehr einzugehen.

28

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit wegen der Kosten aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO. Gerichtskosten werden gem. § 83b AsylVfG nicht erhoben.

Tenor

Die Beklagte wird verpflichtet, für den Kläger in Deutschland ein Asylverfahren durchzuführen.

Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Tatbestand

 
Der Kläger begehrt die Verpflichtung der Beklagten, ein Asylverfahren durchzuführen. Er ist am … 1979 geboren, irakischer Staatsangehöriger und nach eigenem Vortrag Yezide. Seine Ehefrau und seine beiden Kinder leben im Irak.
Der Kläger reiste am 18.01.2009 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 05.02.2009 einen Asylantrag. In seiner Anhörung am 17.03.2009 gab er an, auf dem Landweg zunächst in die Türkei und von dort weiter durch ihm unbekannte Länder nach Deutschland gereist zu sein.
In einer „Checkliste Dublinverfahren“ der Beklagten vom 17.03.2009 ist als Hinweis für die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates ein EURODAC-Treffer mit Griechenland vermerkt. Nach Auffassung der Beklagten ist der Kläger am 21.10.2008 in Griechenland eingereist. Am 23.03.2009 richtete die Beklagte ein Aufnahmeersuchen nach der Verordnung (EG) Nr. 343/2003des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (im Folgenden: Dublin II VO), an Griechenland. Eine Reaktion erfolgte nicht. Am 26.05.2009 stellte die Beklagte gegenüber Griechenland dessen Zuständigkeit fest. In der Behördenakte findet sich ein nicht bekannt gegebener Bescheid vom 16.06.2009, wonach der Asylantrag unzulässig sei und die Abschiebung nach Griechenland angeordnet werde. Zur Begründung wird auf §§ 27a, 34a AsylVfG verwiesen. Auf knapp zwei Seiten des „Bescheides“ wird die Nichtausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO begründet.
Der Kläger hat durch seinen Prozessbevollmächtigten am 18.07.2009 Klage beim VG Sigmaringen erhoben und mit demselben Schriftsatz beantragt, die Beklagte im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die für die Abschiebung zuständige Behörde anzuweisen, von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen bis zur Entscheidung über den Hauptsacheantrag abzusehen. Zur Begründung trägt er vor, dass in Griechenland Mindestnormen für Verfahren zur Anerkennung von Flüchtlingen nicht beachtet würden.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verpflichten, für den Kläger in Deutschland ein Asylverfahren gemäß Artikel 3 Abs. 2 Dublin II VO durchzuführen, hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, fehlerfrei über das für sie bestehende Selbsteintrittsrecht nach Artikel 3 Abs. 2 Dublin II VO zu entscheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung bezieht sie sich „auf die angefochtene Entscheidung“. Diese sei dem Kläger noch nicht zugestellt worden, so dass er nicht belastet und die Klage nicht zulässig sei.
10 
Der Kläger und die Beklagte haben auf mündliche Verhandlung verzichtet. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte zu diesem und zum Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes sowie auf die vorliegenden Behördenakten verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
11 
Das Gericht konnte mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
12 
Die Klage ist zulässig. Die Kammer geht davon aus, dass die Entscheidung über die Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO gegenüber dem Asylbewerber Regelungswirkung entfaltet und ein entsprechender Anspruch isoliert im Wege der Verpflichtungsklage verfolgt werden kann. Nicht erforderlich ist demgegenüber, dass das Gericht sogleich „durchentscheidet“, also auch über die materiellen Rechtspositionen des Klägers befindet, d.h. insbesondere über einen etwaigen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter oder Flüchtling. Dies vernachlässigte die berechtigten Interessen des Asylbewerbers, da im Falle eines wirksamen, weil zugestellten Bescheides nach § 27a AsylVfG – ein entsprechender Entwurf befindet sich in der Behördenakte – eine Anfechtungsklage statthaft ist, um den „Weg für die Durchführung eines Asylverfahrens vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit voller inhaltlicher Sachprüfung des klägerischen Asylbegehrens“ zu eröffnen (VG Frankfurt, Urteil vom 08.07.2009, 7 K 4376/07.F.A(3), m.w.N.). Die Beklagte hätte es sonst durch das bloße Zurückhalten ihrer Entscheidung, gegen die Rechtsschutz in der Hauptsache häufig nicht rechtzeitig zu erlangen ist – im vom VG Frankfurt entschiedenen Fall war der Kläger zwischenzeitlich nach Griechenland abgeschoben worden –, in der Hand, ob der Kläger einen Anspruch allein auf Durchführung eines Asylverfahrens durch das Bundesamt vor Gericht durchsetzen könnte oder nicht.
13 
Die Klage ist auch im Übrigen zulässig. Mit Schriftsatz vom 05.06.2009 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers gegenüber der Beklagten dessen Anhörung und damit die Durchführung eines Asylverfahrens angemahnt. Die Drei-Monats-Frist des § 75 VwGO ist daher im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts abgelaufen.
14 
Schließlich fehlt dem Kläger nicht das erforderliche Rechtsschutzinteresse. Ein Antrag nach § 123 VwGO, der im allgemeinen nur summarisch geprüft wird, beseitigt nicht das Rechtsschutzinteresse für eine gerichtliche Hauptsacheentscheidung. Auch zielte der Eilantrag lediglich auf die Verhinderung aufenthaltsbeendender Maßnahmen, jedoch nicht auf die Ausübung des Selbsteintrittsrechts oder gar die Zuerkennung materieller Schutzpositionen.
15 
Die Klage ist auch begründet. Der Kläger hat gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts.
16 
Nach der Dublin II VO ist Griechenland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig, da der Kläger dessen Landgrenze illegal überschritten hat. Nach Art. 5 Abs. 1 Dublin II VO vorrangig zu prüfende Kriterien sind nicht erfüllt. Insbesondere stellt die dem Kläger erteilte Aufenthaltsgestattung keinen Aufenthaltstitel im Sinne von Art. 9 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 lit. j) Dublin II VO dar. Das Aufnahmeersuchen an Griechenland wurde innerhalb von drei Monaten nach Einreichung des Asylantrags gestellt (Art. 17 Abs. 1 Dublin II VO). Innerhalb der Zwei-Monats-Frist des Art. 18 Abs. 1 Dublin II VO erging keine Antwort Griechenlands, so dass es nach Art. 18 Abs. 7 Dublin II VO zuständig wurde. Die Überstellungsfrist des Art. 19 Abs. 4 Dublin II VO ist noch nicht abgelaufen.
17 
Nach Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin II VO kann abweichend von Absatz 1 – wonach der Antrag von dem nach Kapitel III der Verordnung zuständigen Mitgliedstaat geprüft wird – „jeder Mitgliedstaat einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist“. Dadurch wird er „zum zuständigen Mitgliedstaat im Sinne dieser Verordnung und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen“ (Satz 2).
18 
Die Vorschrift richtet sich ihrem Wortlaut nach an die Mitgliedstaaten, wobei nach Auffassung der Kommission politische, humanitäre oder praktische Erwägungen zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts führen können (Schröder, Die EU-Verordnung zur Bestimmung des zuständigen Asylstaats, ZAR 2003, S. 126 [128 und 131]). Humanitäre Erwägungen sind dabei nach Auffassung der Kammer auch und insbesondere solche, die auf die Folgen einer Rückführung für den Asylbewerber abstellen. Jedenfalls soweit (gewichtige) derartige Umstände vorgetragen werden oder der Beklagten bekannt sind, besteht ein Anspruch des Asylbewerbers auf deren Berücksichtigung (weitergehend Funke-Kaiser, Gemeinschaftskommentar, Stand Oktober 2009, § 27a AsylVfG Rn. 134 m.w.N.; Hruschka, Humanitäre Lösungen in Dublin-Verfahren, Asylmagazin 2009, S. 5 [9 f.]).
19 
Der Kläger hat keine Gründe für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts geltend gemacht, die allein ihn betreffen. Solche sind auch nicht ersichtlich. Die Kammer geht jedoch aufgrund der ihr vorliegenden und ins Verfahren eingeführten bzw. der Beklagten bekannten Erkenntnismittel davon aus, dass der Kläger im Falle einer Abschiebung nach Griechenland nicht in der Lage wäre, ein Asylverfahren unter Wahrung allgemeiner Mindeststandards zu durchlaufen.
20 
Diese Einschätzung stützt sich insbesondere auf den Bericht des schweizerischen Bundesamtes für Migration „Focus Griechenland – Asylsystem“ vom 23.09.2009. Danach werden sogenannte Dublin-Rückkehrer zwar gegenüber anderen Asylbewerbern besser behandelt, als sie direkten Zugang zum Asylverfahren hätten und ihnen eine Rosa Karte ausgestellt werde. Zugleich aber würden die Anhörungen am Flughafen Athen oft nicht sachgerecht durchgeführt, da meist unqualifizierte Sprachmittler statt ausgebildete Dolmetscher eingesetzt würden, die Anhörungen nur drei bis vier Minuten dauerten und es keine Rückübersetzungen gebe. Häufiger fänden überhaupt keine Anhörungen statt, stattdessen müssten die Rückkehrenden in einem Formular auf fünf Zeilen in ihrer eigenen Sprache beschreiben, warum sie nach Griechenland gekommen seien. Dublin-Rückkehrer würden zudem bei der Unterkunftssuche nicht bevorzugt behandelt, blieben deshalb obdachlos und wären gar nicht in der Lage, eine Adresse zu registrieren (S. 10, 15). Ohne Registrierung eines Wohnsitzes droht jedoch die öffentliche Zustellung einer (zumeist ablehnenden) Entscheidung, von der in der Regel nicht innerhalb der Rechtsbehelfsfristen Kenntnis erlangt wird (Pro Asyl, Zur aktuellen Situation von Asylsuchenden in Griechenland, Stellungnahme vom 19.02.2009, S. 28).
21 
Das Risiko der Obdachlosigkeit wird von der Kammer als äußerst groß eingestuft, da nur rund 900 Aufnahmeplätze für jährlich rund 25.000 Asylbewerber bereitstünden (S. 7) und zudem im Sommer 2009 ein Flüchtlingslager abgerissen worden sei (S. 10). Wenn daher die Möglichkeit, bei Bedarf Unterkunft zu beanspruchen, im Ergebnis leerläuft, dürfte dies auch für die Möglichkeit gelten, Verpflegung und medizinische Versorgung zu beanspruchen. Insoweit heißt es in dem Bericht, dass die Deckung der materiellen Grundbedürfnisse für Asylsuchende in Griechenland nicht gewährleistet sei, die vorgesehenen Tagegelder bisher noch nicht ausbezahlt würden und der Zugang zum Gesundheitssystem nicht immer möglich sei. Personen, die nicht in den Aufnahmeeinrichtungen lebten, bekämen weder finanzielle Unterstützung noch Essen, Kleider oder andere Hilfe vom griechischen Staat. Die Kammer hält diese Ausführungen für glaubwürdig und überzeugend. Sie stammen von einer staatlichen Behörde, die selbst für die Durchführung von Asylverfahren zuständig ist, und entsprechen weiteren Erkenntnismitteln. Auch das Auswärtige Amt teilte dem VG Stuttgart mit Schreiben vom 14.07.2009 mit, dass Griechenland den Asylantragstellern nur in seltenen Fällen eine Unterkunft zuweise. Auch sei der jederzeitige Zugang zum Dienstgebäude der Ausländerbehörde nicht als gesichert anzusehen, da für 1.000 bis 2.000 Wartende nur 400 Plätze zur Verfügung stünden, von denen allerdings nach Auskunft des Behördenleiters 250 Plätze für prioritäre Fälle wie z.B. Dublin-Rückkehrer reserviert seien. Auch der Menschenrechtskommissar des Europarates kritisiert in seinem Bericht vom 04.02.2009 u.a. die mangelhafte Unterbringungssituation. Insbesondere aufgrund der beiden erstgenannten Stellungnahmen von Institutionen, die nicht im Verdacht stehen, primär die Interessen von Flüchtlingen im Blick zu haben, bedarf es keiner Auseinandersetzung mit dem Dienstreisebericht der Beklagten vom letzten Dezember und der daran von Nichtregierungsorganisationen geübten Kritik (vgl. Pro Asyl, Stellungnahme vom 19.02.2009).
22 
Die Prüfung der Verhältnisse in Griechenland ist trotz Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG und des darin zum Ausdruck kommenden Konzepts der normativen Vergewisserung möglich. Zwar gilt Griechenland kraft Verfassung als sicherer Drittstaat. Nicht von Bedeutung ist dabei, ob und in welchem Maße EU-Richtlinien zur Harmonisierung des Asylrechts von Griechenland rechtlich umgesetzt worden sind und tatsächlich beachtet werden. Art. 16a Abs. 2 GG und die Erklärung Griechenlands zum sicheren Drittstaat wurden vom Bundesverfassungsgericht im Urteil vom 14.05.1996 (2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93; BVerfGE 94, 49) nicht für verfassungswidrig gehalten, obwohl eine Harmonisierung damals „noch in den Anfängen“ stand (S. 89). Es ist grundsätzlich nicht ermessensfehlerhaft, wenn die Beklagte dieser Einschätzung des verfassungsändernden Gesetzgebers (weiterhin) folgt, obwohl mittlerweile die Harmonisierung des Asylrechts auf Ebene der Europäischen Union vorangeschritten ist.
23 
Dem Konzept der normativen Vergewisserung sind jedoch Grenzen gesetzt, wie auch das Bundesverfassungsgericht anerkannt hat. Außerhalb dieser Grenzen liegt etwa der Fall, dass „sich die für die Qualifizierung als sicher maßgeblichen Verhältnisse im Drittstaat schlagartig geändert haben und die gebotene Reaktion der Bundesregierung nach § 26a Abs. 3 AsylVfG hierauf noch aussteht“. Auch in seiner einstweiligen Anordnung vom 08.09.2009 (2 BvQ 56/09) hält das Bundesverfassungsgericht Grenzen des Konzepts der normativen Vergewisserung auch bezogen auf Staaten, die kraft Verfassung sichere Drittstaaten sind, für möglich. Die Missstände in Griechenland haben nach Auffassung der Kammer ein Ausmaß erreicht, das eine Reaktion des Gemeinschaftsgesetzgebers nach sich ziehen muss. Die Europäische Kommission hat daher auch vorgeschlagen, die Dublin II VO dahin zu ändern, dass ein Mitgliedstaat bei einem unerwartet hohen Aufkommen von Asylbewerbern das Dublinsystem vorübergehend aussetzen könne (vgl. Europäische Asylpolitik, Gemeinsame Stellungnahme zum derzeitigen Stand der Harmonisierung des europäischen Flüchtlingsrechts, Amnesty Asyl-Info 2009, S. 17, 26). Auch wurde Griechenland wegen „unhaltbarer Zustände“ in seinen Flüchtlingslagern von den EU-Innenministern kritisiert (NZZ online, Nachricht 21.09.2009, Streit über Flüchtlingspolitik in Europa spitzt sich zu, http://www.nzz.ch/nachrichten/international/ eu_fluechtlinge_1.3625121.html).
24 
Die Situation ist daher mit der vom BVerfG als Ausnahme umschriebenen vergleichbar, dass eine schlagartige (oder jedenfalls massive) Änderung der Situation eingetreten ist und eine beabsichtigte Änderung der Rechtslage von den zuständigen Organen noch nicht umgesetzt worden ist. Eine Aussetzung der Dublin II VO auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene hätte aufgrund des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts schon unabhängig von Art. 16a Abs. 5 GG auch zur Folge, dass der Ausschlussgrund des Abs. 2 Satz 1 nicht einschlägig wäre.
25 
Die Beklagte ist daher aufgrund der Ausnahmesituation verpflichtet, bei ihrer Ermessensentscheidung nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO trotz der normativen Vergewisserung die tatsächlichen Verhältnisse in Griechenland zu berücksichtigen. Aufgrund der weit überwiegenden Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger dort kein Asylverfahren unter Erfüllung der elementaren Lebensbedürfnisse wird durchführen können, ist das Ermessen auch auf Null reduziert, d.h. die Beklagte ist verpflichtet, von ihrem Selbsteintrittsrecht zugunsten des Klägers Gebrauch zu machen.
26 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylVfG. Das Gericht macht von der Möglichkeit, das Urteil bezüglich der Kosten für vorläufig vollstreckbar zu erklären, keinen Gebrauch (§ 167 Abs. 2 VwGO).

Gründe

 
11 
Das Gericht konnte mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
12 
Die Klage ist zulässig. Die Kammer geht davon aus, dass die Entscheidung über die Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO gegenüber dem Asylbewerber Regelungswirkung entfaltet und ein entsprechender Anspruch isoliert im Wege der Verpflichtungsklage verfolgt werden kann. Nicht erforderlich ist demgegenüber, dass das Gericht sogleich „durchentscheidet“, also auch über die materiellen Rechtspositionen des Klägers befindet, d.h. insbesondere über einen etwaigen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter oder Flüchtling. Dies vernachlässigte die berechtigten Interessen des Asylbewerbers, da im Falle eines wirksamen, weil zugestellten Bescheides nach § 27a AsylVfG – ein entsprechender Entwurf befindet sich in der Behördenakte – eine Anfechtungsklage statthaft ist, um den „Weg für die Durchführung eines Asylverfahrens vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit voller inhaltlicher Sachprüfung des klägerischen Asylbegehrens“ zu eröffnen (VG Frankfurt, Urteil vom 08.07.2009, 7 K 4376/07.F.A(3), m.w.N.). Die Beklagte hätte es sonst durch das bloße Zurückhalten ihrer Entscheidung, gegen die Rechtsschutz in der Hauptsache häufig nicht rechtzeitig zu erlangen ist – im vom VG Frankfurt entschiedenen Fall war der Kläger zwischenzeitlich nach Griechenland abgeschoben worden –, in der Hand, ob der Kläger einen Anspruch allein auf Durchführung eines Asylverfahrens durch das Bundesamt vor Gericht durchsetzen könnte oder nicht.
13 
Die Klage ist auch im Übrigen zulässig. Mit Schriftsatz vom 05.06.2009 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers gegenüber der Beklagten dessen Anhörung und damit die Durchführung eines Asylverfahrens angemahnt. Die Drei-Monats-Frist des § 75 VwGO ist daher im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts abgelaufen.
14 
Schließlich fehlt dem Kläger nicht das erforderliche Rechtsschutzinteresse. Ein Antrag nach § 123 VwGO, der im allgemeinen nur summarisch geprüft wird, beseitigt nicht das Rechtsschutzinteresse für eine gerichtliche Hauptsacheentscheidung. Auch zielte der Eilantrag lediglich auf die Verhinderung aufenthaltsbeendender Maßnahmen, jedoch nicht auf die Ausübung des Selbsteintrittsrechts oder gar die Zuerkennung materieller Schutzpositionen.
15 
Die Klage ist auch begründet. Der Kläger hat gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts.
16 
Nach der Dublin II VO ist Griechenland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig, da der Kläger dessen Landgrenze illegal überschritten hat. Nach Art. 5 Abs. 1 Dublin II VO vorrangig zu prüfende Kriterien sind nicht erfüllt. Insbesondere stellt die dem Kläger erteilte Aufenthaltsgestattung keinen Aufenthaltstitel im Sinne von Art. 9 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 lit. j) Dublin II VO dar. Das Aufnahmeersuchen an Griechenland wurde innerhalb von drei Monaten nach Einreichung des Asylantrags gestellt (Art. 17 Abs. 1 Dublin II VO). Innerhalb der Zwei-Monats-Frist des Art. 18 Abs. 1 Dublin II VO erging keine Antwort Griechenlands, so dass es nach Art. 18 Abs. 7 Dublin II VO zuständig wurde. Die Überstellungsfrist des Art. 19 Abs. 4 Dublin II VO ist noch nicht abgelaufen.
17 
Nach Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin II VO kann abweichend von Absatz 1 – wonach der Antrag von dem nach Kapitel III der Verordnung zuständigen Mitgliedstaat geprüft wird – „jeder Mitgliedstaat einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist“. Dadurch wird er „zum zuständigen Mitgliedstaat im Sinne dieser Verordnung und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen“ (Satz 2).
18 
Die Vorschrift richtet sich ihrem Wortlaut nach an die Mitgliedstaaten, wobei nach Auffassung der Kommission politische, humanitäre oder praktische Erwägungen zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts führen können (Schröder, Die EU-Verordnung zur Bestimmung des zuständigen Asylstaats, ZAR 2003, S. 126 [128 und 131]). Humanitäre Erwägungen sind dabei nach Auffassung der Kammer auch und insbesondere solche, die auf die Folgen einer Rückführung für den Asylbewerber abstellen. Jedenfalls soweit (gewichtige) derartige Umstände vorgetragen werden oder der Beklagten bekannt sind, besteht ein Anspruch des Asylbewerbers auf deren Berücksichtigung (weitergehend Funke-Kaiser, Gemeinschaftskommentar, Stand Oktober 2009, § 27a AsylVfG Rn. 134 m.w.N.; Hruschka, Humanitäre Lösungen in Dublin-Verfahren, Asylmagazin 2009, S. 5 [9 f.]).
19 
Der Kläger hat keine Gründe für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts geltend gemacht, die allein ihn betreffen. Solche sind auch nicht ersichtlich. Die Kammer geht jedoch aufgrund der ihr vorliegenden und ins Verfahren eingeführten bzw. der Beklagten bekannten Erkenntnismittel davon aus, dass der Kläger im Falle einer Abschiebung nach Griechenland nicht in der Lage wäre, ein Asylverfahren unter Wahrung allgemeiner Mindeststandards zu durchlaufen.
20 
Diese Einschätzung stützt sich insbesondere auf den Bericht des schweizerischen Bundesamtes für Migration „Focus Griechenland – Asylsystem“ vom 23.09.2009. Danach werden sogenannte Dublin-Rückkehrer zwar gegenüber anderen Asylbewerbern besser behandelt, als sie direkten Zugang zum Asylverfahren hätten und ihnen eine Rosa Karte ausgestellt werde. Zugleich aber würden die Anhörungen am Flughafen Athen oft nicht sachgerecht durchgeführt, da meist unqualifizierte Sprachmittler statt ausgebildete Dolmetscher eingesetzt würden, die Anhörungen nur drei bis vier Minuten dauerten und es keine Rückübersetzungen gebe. Häufiger fänden überhaupt keine Anhörungen statt, stattdessen müssten die Rückkehrenden in einem Formular auf fünf Zeilen in ihrer eigenen Sprache beschreiben, warum sie nach Griechenland gekommen seien. Dublin-Rückkehrer würden zudem bei der Unterkunftssuche nicht bevorzugt behandelt, blieben deshalb obdachlos und wären gar nicht in der Lage, eine Adresse zu registrieren (S. 10, 15). Ohne Registrierung eines Wohnsitzes droht jedoch die öffentliche Zustellung einer (zumeist ablehnenden) Entscheidung, von der in der Regel nicht innerhalb der Rechtsbehelfsfristen Kenntnis erlangt wird (Pro Asyl, Zur aktuellen Situation von Asylsuchenden in Griechenland, Stellungnahme vom 19.02.2009, S. 28).
21 
Das Risiko der Obdachlosigkeit wird von der Kammer als äußerst groß eingestuft, da nur rund 900 Aufnahmeplätze für jährlich rund 25.000 Asylbewerber bereitstünden (S. 7) und zudem im Sommer 2009 ein Flüchtlingslager abgerissen worden sei (S. 10). Wenn daher die Möglichkeit, bei Bedarf Unterkunft zu beanspruchen, im Ergebnis leerläuft, dürfte dies auch für die Möglichkeit gelten, Verpflegung und medizinische Versorgung zu beanspruchen. Insoweit heißt es in dem Bericht, dass die Deckung der materiellen Grundbedürfnisse für Asylsuchende in Griechenland nicht gewährleistet sei, die vorgesehenen Tagegelder bisher noch nicht ausbezahlt würden und der Zugang zum Gesundheitssystem nicht immer möglich sei. Personen, die nicht in den Aufnahmeeinrichtungen lebten, bekämen weder finanzielle Unterstützung noch Essen, Kleider oder andere Hilfe vom griechischen Staat. Die Kammer hält diese Ausführungen für glaubwürdig und überzeugend. Sie stammen von einer staatlichen Behörde, die selbst für die Durchführung von Asylverfahren zuständig ist, und entsprechen weiteren Erkenntnismitteln. Auch das Auswärtige Amt teilte dem VG Stuttgart mit Schreiben vom 14.07.2009 mit, dass Griechenland den Asylantragstellern nur in seltenen Fällen eine Unterkunft zuweise. Auch sei der jederzeitige Zugang zum Dienstgebäude der Ausländerbehörde nicht als gesichert anzusehen, da für 1.000 bis 2.000 Wartende nur 400 Plätze zur Verfügung stünden, von denen allerdings nach Auskunft des Behördenleiters 250 Plätze für prioritäre Fälle wie z.B. Dublin-Rückkehrer reserviert seien. Auch der Menschenrechtskommissar des Europarates kritisiert in seinem Bericht vom 04.02.2009 u.a. die mangelhafte Unterbringungssituation. Insbesondere aufgrund der beiden erstgenannten Stellungnahmen von Institutionen, die nicht im Verdacht stehen, primär die Interessen von Flüchtlingen im Blick zu haben, bedarf es keiner Auseinandersetzung mit dem Dienstreisebericht der Beklagten vom letzten Dezember und der daran von Nichtregierungsorganisationen geübten Kritik (vgl. Pro Asyl, Stellungnahme vom 19.02.2009).
22 
Die Prüfung der Verhältnisse in Griechenland ist trotz Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG und des darin zum Ausdruck kommenden Konzepts der normativen Vergewisserung möglich. Zwar gilt Griechenland kraft Verfassung als sicherer Drittstaat. Nicht von Bedeutung ist dabei, ob und in welchem Maße EU-Richtlinien zur Harmonisierung des Asylrechts von Griechenland rechtlich umgesetzt worden sind und tatsächlich beachtet werden. Art. 16a Abs. 2 GG und die Erklärung Griechenlands zum sicheren Drittstaat wurden vom Bundesverfassungsgericht im Urteil vom 14.05.1996 (2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93; BVerfGE 94, 49) nicht für verfassungswidrig gehalten, obwohl eine Harmonisierung damals „noch in den Anfängen“ stand (S. 89). Es ist grundsätzlich nicht ermessensfehlerhaft, wenn die Beklagte dieser Einschätzung des verfassungsändernden Gesetzgebers (weiterhin) folgt, obwohl mittlerweile die Harmonisierung des Asylrechts auf Ebene der Europäischen Union vorangeschritten ist.
23 
Dem Konzept der normativen Vergewisserung sind jedoch Grenzen gesetzt, wie auch das Bundesverfassungsgericht anerkannt hat. Außerhalb dieser Grenzen liegt etwa der Fall, dass „sich die für die Qualifizierung als sicher maßgeblichen Verhältnisse im Drittstaat schlagartig geändert haben und die gebotene Reaktion der Bundesregierung nach § 26a Abs. 3 AsylVfG hierauf noch aussteht“. Auch in seiner einstweiligen Anordnung vom 08.09.2009 (2 BvQ 56/09) hält das Bundesverfassungsgericht Grenzen des Konzepts der normativen Vergewisserung auch bezogen auf Staaten, die kraft Verfassung sichere Drittstaaten sind, für möglich. Die Missstände in Griechenland haben nach Auffassung der Kammer ein Ausmaß erreicht, das eine Reaktion des Gemeinschaftsgesetzgebers nach sich ziehen muss. Die Europäische Kommission hat daher auch vorgeschlagen, die Dublin II VO dahin zu ändern, dass ein Mitgliedstaat bei einem unerwartet hohen Aufkommen von Asylbewerbern das Dublinsystem vorübergehend aussetzen könne (vgl. Europäische Asylpolitik, Gemeinsame Stellungnahme zum derzeitigen Stand der Harmonisierung des europäischen Flüchtlingsrechts, Amnesty Asyl-Info 2009, S. 17, 26). Auch wurde Griechenland wegen „unhaltbarer Zustände“ in seinen Flüchtlingslagern von den EU-Innenministern kritisiert (NZZ online, Nachricht 21.09.2009, Streit über Flüchtlingspolitik in Europa spitzt sich zu, http://www.nzz.ch/nachrichten/international/ eu_fluechtlinge_1.3625121.html).
24 
Die Situation ist daher mit der vom BVerfG als Ausnahme umschriebenen vergleichbar, dass eine schlagartige (oder jedenfalls massive) Änderung der Situation eingetreten ist und eine beabsichtigte Änderung der Rechtslage von den zuständigen Organen noch nicht umgesetzt worden ist. Eine Aussetzung der Dublin II VO auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene hätte aufgrund des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts schon unabhängig von Art. 16a Abs. 5 GG auch zur Folge, dass der Ausschlussgrund des Abs. 2 Satz 1 nicht einschlägig wäre.
25 
Die Beklagte ist daher aufgrund der Ausnahmesituation verpflichtet, bei ihrer Ermessensentscheidung nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO trotz der normativen Vergewisserung die tatsächlichen Verhältnisse in Griechenland zu berücksichtigen. Aufgrund der weit überwiegenden Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger dort kein Asylverfahren unter Erfüllung der elementaren Lebensbedürfnisse wird durchführen können, ist das Ermessen auch auf Null reduziert, d.h. die Beklagte ist verpflichtet, von ihrem Selbsteintrittsrecht zugunsten des Klägers Gebrauch zu machen.
26 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylVfG. Das Gericht macht von der Möglichkeit, das Urteil bezüglich der Kosten für vorläufig vollstreckbar zu erklären, keinen Gebrauch (§ 167 Abs. 2 VwGO).

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts (Anfechtungsklage) sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts (Verpflichtungsklage) begehrt werden.

(2) Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Tenor

Dem Regierungspräsidium Kassel wird im Wege der einstweiligen Anordnung die Vollziehung der Abschiebung des Beschwerdeführers nach Griechenland vorläufig untersagt.

...

Gründe

1

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 32 Abs. 1 BVerfGG in einem Verfahren betreffend die Überstellung eines afghanischen Asylantragstellers nach Griechenland in Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 (ABl Nr. L 50 S. 1) zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist, hat Erfolg.

2

1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde erwiese sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Bei offenem Ausgang des Verfassungsbeschwerdeverfahrens muss das Bundesverfassungsgericht die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegen die Nachteile abwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde der Erfolg aber zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 88, 25 <35>; 89, 109 <110 f.>; stRspr).

3

2. Dem Erlass einer einstweiligen Anordnung steht nicht entgegen, dass die Verfassungsbeschwerde offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet wäre.

4

Die Verfassungsbeschwerde kann Anlass zur Untersuchung geben, ob und gegebenenfalls welche Vorgaben das Grundgesetz in Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG und Art. 16a Abs. 2 Sätze 1 und 3 GG für die fachgerichtliche Prüfung der Grenzen des Konzepts der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfGE 94, 49 <99 f.>) bei der Anwendung von § 34a Abs. 2 AsylVfG trifft, wenn Gegenstand des Eilrechtsschutzantrags eine beabsichtigte Abschiebung in einen nach der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 zuständigen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union ist. Es könnte dabei auch zu klären sein, ob und welche Vorgaben das Grundgesetz zur Gewährung vorläufigen Schutzes für den Zeitraum trifft, den die Organe der Europäischen Union benötigen, Erkenntnisse über für Asylsuchende bedrohliche tatsächliche oder rechtliche Defizite des Asylsystems eines Mitgliedstaats auszuwerten und erforderliche Maßnahmen durchzusetzen. Bei der Würdigung von Art. 16a Abs. 2 und Abs. 5 GG sowie Art. 19 Abs. 4 GG könnten in diesem Zusammenhang auch die Anforderungen des Rechts der Europäischen Union zur Erhaltung und Weiterentwicklung der Union als Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (vgl. Art. 2 4. Spiegelstrich EUV; vgl. zur Rechtslage seit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon : Art. 67 AEUV und Art. 77 - 80 AEUV) eine Rolle spielen, da der verfassungsändernde Gesetzgeber mit der Einführung von Art. 16a GG die Grundlage für eine europäische Gesamtregelung der Schutzgewährung für Flüchtlinge mit dem Ziel einer Lastenverteilung zwischen den an einem solchen System beteiligten Staaten geschaffen hat (vgl. BVerfGE 94, 49 <85>).

5

Angesichts dieser offenen Fragen ist nicht zu erkennen, dass die Verfassungsbeschwerde offensichtlich unbegründet wäre. Auch unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich gerichtsbekannten, umfangreichen Stellungnahmen verschiedener Organisationen zur Situation von Asylantragstellern in Griechenland können die Erfolgsaussichten der Verfassungsbeschwerde nicht von vornherein offensichtlich verneint werden. Allerdings sind sie angesichts des Umstands, dass die Mitgliedstaaten der Europäischen Union durch den verfassungsändernden Gesetzgeber selbst zu sicheren Drittstaaten bestimmt worden sind (vgl. BVerfGE 94, 49 <88 f.>), die Vergewisserung hinsichtlich der Schutzgewährung damit durch den verfassungsändernden Gesetzgeber selbst erfolgt ist (vgl. BVerfGE 94, 49 <101>) und die Entscheidung nicht durch eine Rechtsverordnung nach § 26a Abs. 3 AsylVfG rückgängig gemacht werden kann, auch nicht offensichtlich zu bejahen.

6

3. Bliebe dem Beschwerdeführer der begehrte Erlass der einstweiligen Anordnung versagt, obsiegte er aber in der Hauptsache, könnten möglicherweise bereits mit der Abschiebung oder in ihrer Folge eingetretene Rechtsbeeinträchtigungen nicht mehr verhindert oder rückgängig gemacht werden (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 8. September 2009 - 2 BvQ 56/09 -, NVwZ 2009, S. 1281). Die Nachteile, die entstünden, wenn die einstweilige Anordnung erginge, dem Beschwerdeführer der Erfolg in der Hauptsache aber versagt bliebe, wiegen dagegen hier weniger schwer. Insbesondere widerspricht die Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz im Überstellungsverfahren nicht unionsrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland. Eine unionsrechtliche Pflicht zum Ausschluss des vorläufigen Rechtsschutzes bei Überstellungen nach der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 besteht nicht. Vielmehr sieht das Unionsrecht die Möglichkeit der Gewährung vorläufigen fachgerichtlichen Rechtsschutzes gegen Überstellungen an den zuständigen Mitgliedstaat nach Art. 19 Abs. 2 Satz 4 und Art. 20 Abs. 1 Buchstabe e Satz 4 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 selbst vor.

7

4. Die Entscheidung über die Erstattung von Auslagen folgt aus § 34a Abs. 2 und 3 BVerfGG. Damit erledigt sich der Antrag des Beschwerdeführers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts für das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Tenor

Die einstweilige Anordnung vom 22. Dezember 2009 wird für die Dauer von weiteren sechs Monaten, längstens bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde, wiederholt.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Tenor

Die einstweilige Anordnung vom 13. November 2009 wird für die Dauer von weiteren sechs Monaten, längstens bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde, wiederholt.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Sobald der Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt ist, sind die Beteiligten mit einer Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen, bei dem Bundesverwaltungsgericht von mindestens vier Wochen, zu laden. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende die Frist abkürzen.

(2) Bei der Ladung ist darauf hinzuweisen, daß beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann.

(3) Die Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit können Sitzungen auch außerhalb des Gerichtssitzes abhalten, wenn dies zur sachdienlichen Erledigung notwendig ist.

(4) § 227 Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozeßordnung ist nicht anzuwenden.

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts (Anfechtungsklage) sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts (Verpflichtungsklage) begehrt werden.

(2) Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein.

Tenor

Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers (A 4 K 2202/11) gegen die Abschiebungsanordnung im Bescheid der Antragsgegnerin vom 25.08.2011 wird angeordnet.

Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, dem Regierungspräsidium Karlsruhe mitzuteilen, dass eine Abschiebung des Antragstellers nach Italien vorläufig nicht durchgeführt werden darf.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Gründe

 
A. Der Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seiner Klage (A 4 K 2202/11) gegen die kraft Gesetzes sofort vollziehbare Abschiebungsanordnung im Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 25.08.2011, zugestellt am 02.11.2011, anzuordnen (§ 80 Abs. 5 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 Nr. 3 VwGO, § 75 AsylVfG), ist zulässig.
I. Die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes richtet sich vorliegend nach § 80 Abs. 5 VwGO. Der Antragsteller beantragt im Hauptsacheverfahren (A 4 K 2202/11) die isolierte Aufhebung des Bescheids der Antragsgegnerin vom 25.08.2011, hat folglich eine isolierte Anfechtungsklage erhoben. Die Anfechtungsklage ist in Fällen der §§ 27a, 34a AsylVfG statthafte Klageart. Denn die antragsgemäße Entscheidung des Gerichts - Aufhebung der ablehnenden Entscheidung, mit der die Durchführung eines Asylverfahrens für unzulässig erklärt wurde - führt zu einer formellen und materiellen Prüfung des Asylantrags durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, ohne dass dem Kläger eine mit umfassenden Verfahrensgarantien ausgestattete Tatsachenentscheidung genommen wird (für die Statthaftigkeit der Anfechtungsklage in Fällen des § 27a AsylVfG auch VG Wiesbaden, Urteil vom 17.06.2011 - 7 K 327/11.WI.A -, juris, unter Verweis auf BVerwG, Urteil vom 07.03.1995 - 9 C 264/94 -, juris; VG Neustadt, Urteil vom 16.06.2009 - 5 K 1166/08.NW -, juris; ohne nähere Begründung auch VG Braunschweig, Urteil vom 01.06.2010 - 1 A 47/10 -, juris; VG München, Urteil vom 29.11.2011 - M 24 K 11.30219 -, juris; VG Ansbach, Beschluss vom 08.11.2011 - AN 11 S 11.30508 -, juris; VG Frankfurt, Urteil vom 23.06.2010 - 7 K 2789/09.F.A. -, juris; VG Augsburg, Beschluss vom 01.02.2010  - Au 5 S 10.30014 -, juris; a.A. [Statthaftigkeit nur der Verpflichtungsklage] OVG NRW, Urteil vom 10.05.2010 - 3 A 133/10.A -, juris). Ist aber in der Hauptsache die Anfechtungsklage statthaft, richtet sich die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gemäß § 123 Abs. 5 VwGO allein nach § 80 Abs. 5 VwGO.
II. § 34a Abs. 2 AsylVfG, der seinem Wortlaut nach vorläufigen Rechtsschutz bei Abschiebungen nach § 34a Abs. 1 AsylVfG ausschließt, steht dem nicht entgegen. Zwar handelt es sich bei der geplanten Abschiebung des Antragstellers um eine solche nach § 34a Abs. 1 AsylVfG, denn der Antragsteller soll nach Italien als dem gemäß § 27a AsylVfG i. V. m. Art. 20 Abs. 1 b und c, Art. 4 und Art. 16 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 - Dublin II-VO - für die Durchführung seines Asylverfahrens zuständigen Staat überstellt werden. Auch im Falle von Italien kommt jedoch angesichts der jüngsten Berichte zur Lage der Flüchtlinge dort eine im Sinne von Art. 19 Abs. 4 GG verfassungskonforme Auslegung bzw. Reduktion des § 34a Abs. 2 AsylVfG, wie sie das Bundesverfassungsgericht in Fällen der Abschiebung nach Griechenland annimmt (vgl. zul. Beschluss vom 15.07.2010 - 2 BvR 1460/10 -, juris), zum Tragen.
1. Das Bundesverfassungsgericht hat im Hinblick auf § 26a AsylVfG (sicherer Drittstaat) bereits im Jahr 1996 entschieden (Urteil vom 14.05.1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 -, juris), dass die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes trotz der in § 34a Abs. 2 AsylVfG enthaltenen Ausschlussregelung und trotz des der Drittstaatenreglung zugrundeliegenden Konzepts der normativen Vergewisserung gleichwohl statthaft und geboten sein kann, wenn es sich aufgrund bestimmter Tatsachen aufdrängt, dass der Ausländer von einem Sonderfall betroffen ist, der vom Vergewisserungskonzept nicht aufgefangen wird. Auch in den Fällen, in denen Gegenstand des Eilrechtsschutzantrags eine beabsichtigte Abschiebung in einen nach der Dublin II-Verordnung zuständigen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union ist, kann eine verfassungsrechtlich gebotene Reduktion des § 34a Abs. 2 AsylVfG in Betracht kommen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 15.07.2010 - 2 BvR 1460/10 -, juris). Diese ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Hinblick auf § 27a AsylVfG dann geboten, wenn sich aufgrund bestimmter Tatsachen aufdrängt, dass der Ausländer von einem Sonderfall betroffen ist, der außerhalb des Konzepts normativer Vergewisserung über die Sicherheit im jeweiligen EU-Mitgliedstaat liegt. An diese Darlegung sind strenge Anforderungen zu stellen. Das Konzept normativer Vergewisserung bezieht sich darauf, dass diese Staaten Flüchtlingen den nach der Genfer Flüchtlingskonvention und der Menschenrechtskonvention gebotenen Schutz gewähren, was beinhaltet, dass es schutzsuchenden Ausländern nach den rechtlichen und tatsächlichen Verhältnissen möglich ist, ein Schutzgesuch tatsächlich anzubringen und dadurch die Verpflichtung einer zuständigen Stelle zu begründen, hierüber nach vorgängiger Prüfung eine Entscheidung zu treffen. Ein Sonderfall kann daher ausnahmsweise dann vorliegen, wenn sich ein Staat von seinen mit seinem Beitritt zur Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK eingegangenen und von ihm auch generell eingehaltenen Verpflichtungen löst und Ausländern Schutz dadurch verweigert, dass er sich ihrer ohne jede Prüfung des Schutzgesuchs entledigt (BVerfG, Urteil vom 14.05.1996., a.a.O.), oder wenn das Asylverfahren in einem Staat in der Praxis solche erheblichen strukturellen Mängel aufweist, dass Asylbewerber nur eine sehr geringe Chance haben, dass ihr Antrag ernsthaft geprüft wird (EGMR, Urteil vom 21.01.2011 - 30696/09 -, NVwZ 2011, 413). Auch der EuGH hat jüngst (Urteil vom 21.12.2011 - C-411/10 u. C-493/10 -, juris) bekräftigt, grundsätzlich sei von einer Vermutung dahingehend auszugehen, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechte-Charta, der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK stehe. Dessen ungeachtet ist nach Auffassung des EuGH jedoch die Überstellung eines Asylbewerbers in einen Staat mit Art. 4 Grundrechte-Charta unvereinbar, wenn systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Statuiert der EuGH für diesen Fall eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte, einen Asylbewerber nicht an den im Sinne der Dublin II-Verordnung zuständigen Mitgliedstaat zu überstellen, muss in diesem Ausnahmefall in einschränkender Auslegung des § 34a AsylVfG die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes möglich sein.
2. Unter Berücksichtigung der aktuellen Auskunftslage bestehen erhebliche Zweifel an einer Befugnis der Antragsgegnerin zur Rücküberstellung des Antragstellers nach Italien auf Grundlage des § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG. Denn jedenfalls nach der im Eilverfahren gebotenen und auch nur möglichen summarischen Prüfung ist zweifelhaft, ob Italien gegenwärtig seinen übernommenen Verpflichtungen rechtlich und tatsächlich in ausreichendem Umfang nachkommt und die hinreichende Gewähr dafür bietet, dass Ausländer, die dort einen Asyl- oder Schutzantrag gestellt haben bzw. im Falle ihrer Rücküberstellung noch stellen wollen, nicht von individuellen Gefährdungen i.S.d. Art. 4 Grundrechte-Charta, Art. 3 EMRK betroffen sind.
a) Die in Italien herrschenden Zustände für Asylbewerber, die im Rahmen einer Überstellung nach der Dublin II-Verordnung dorthin zurückkehren, waren bereits vor Beginn der Unruhen in der arabischen Welt im Februar vergangenen Jahres kritikwürdig: Der Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe („Asylverfahren und Aufnahmebedingungen in Italien, Mai 2011) deutet darauf hin, dass insbesondere die Richtlinie 2003/9/EG zum Flüchtlingsschutz, nach der die Mitgliedstaaten insbesondere solche materiellen Aufnahmebedingungen schaffen, die Lebensunterhalt einschließlich Unterbringung wie auch Gesundheit der Asylbewerber gewährleisten (vgl. Art. 13 Abs. 2 und Art. 14 dieser Richtlinie), derzeit in vielen Bereichen nicht umgesetzt wird. Der ausführliche Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe schildert Obdachlosigkeit und fehlende existenzielle Versorgung der großen Mehrheit der Asylsuchenden: Zwar sollten Asylsuchende für die Dauer des Asylverfahrens in Erstaufnahmeeinrichtungen, den so genannten CARA (Centri di accoglienza per richiedenti asilo), untergebracht werden; hier seien etwa 2.000 Plätze verfügbar. In der Zeit zwischen dem Erstkontakt mit italienischen Behörden und der formellen Registrierung ihres Asylgesuchs (Verbalizzazione) durch die personell nicht ausreichend ausgestatteten Questura - ein Zeitraum, der einige Monate dauern könne - hätten Asylsuchende jedoch keinen Zugang zu Unterkünften und lebten meist auf der Straße; auch müssten Asylsuchende das CARA regelmäßig nicht nur in jedem Fall nach Erlass des erstinstanzlichen Entscheids, sondern auch dann, wenn das Asylverfahren nicht abgeschlossen ist, nach längstens sechs Monaten verlassen. Das staatliche Aufnahmesystem SPRAR (Sistema di Protezione per Richiedenti Asilo e Rifugiati), das italienweit die Unterbringung und Integration von Schutzberechtigten und teilweise auch Asylsuchenden gewährleisten solle, sei mit nur gut 3.000 Plätzen völlig überlastet. Die allermeisten Asylsuchenden hätten, auch wenn sie sich nach sechs Monaten um Arbeitsstellen bewerben dürften, aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit in Italien keine Chance auf reguläre Arbeit, die es ihnen ermöglichte, sich selbst zu versorgen. Sie würden mit der Entlassung aus dem CARA in den meisten Fällen obdachlos und lebten unter freiem Himmel oder in besetzen Häusern unter unhaltbaren Lebensbedingungen; nachdem der Erhalt von Unterstützungsleistungen an den Aufenthalt in einem Zentrum geknüpft sei, habe die Obdachlosigkeit schwerwiegende Folgen nicht nur für ihre grundlegenden Menschenrechte, sondern auch für die weitere Durchführung ihres Asylverfahrens. Auch Personen, denen internationaler Schutz gewährt wurde, hätten häufig Schwierigkeiten, eine Unterkunft zu erhalten und seien für die Sicherstellung ihrer lebensnotwendigen Bedürfnisse auf Hilfsorganisationen und NGO’s angewiesen. Diese Bedingungen gälten im wesentlichen auch für auf Grundlage der Dublin II-Verordnung auf dem Luftweg nach Italien zurückgeführte Asylsuchende; die italienischen Behörden seien ebenso wenig wie bei sonstigen Asylsuchenden in der Lage, ihnen bei Rückkehr nach Italien würdige Lebensbedingungen zu gewährleisten, auch insoweit fehle es an Plätzen im staatlichen Aufnahmesystem SPRAR.
b) Mit dieser Einschätzung der Lage steht die Schweizerische Flüchtlingshilfe nicht allein. Vielmehr existieren mehrere in ihren inhaltlichen Aussagen im wesentlichen übereinstimmende Berichte von Nichtregierungsorganisationen, die ausweislich des EuGH geeignet sind, die Mitgliedstaten in die Lage zu versetzen, sich ein Bild über das Funktionieren des Asylsystems im zuständigen Mitgliedstaat zu machen (vgl. EuGH, Urteil vom 21.12.2011, a.a.O.): Der ausführliche Bericht von Maria Bethke und Dominik Bender („Zur Situation von Flüchtlingen in Italien“, Februar 2011; abrufbar unter http://www.proasyl.de/fileadmin/fm-dam/q_PUBLIKATIONEN/2011/Italienbericht_FINAL_15MAERZ2011.pdf) nach ihrer Recherchereise im Oktober 2010, der Bericht der Norwegian Organization für Asylum Seekers („The Italian approach to asylum: System and core problems“, April 2011; abrufbar unter http://www.noas.org/) und der aus dem November 2009 stammende Bericht der Schweizerischen Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht („Rückschaffung in den 'sicheren Drittstaat' Italien“; abrufbar unter http://www.beobachtungsstelle.ch/index.php?id=428&L=2%2F%2F%3F_SERVER%5BDOCUMENT_ROOT%5D%3D) vermitteln ein ganz ähnliches Bild der Situation von Flüchtlingen in Italien (vgl. zur Auswertung aktueller Quellen auch Maria Bethke, „Die Situation von Asylsuchenden und Schutzberechtigten in Italien“, Stand 7/2011; abrufbar unter http://www.nds-fluerat.org/6521/aktuelles/infos-fuer-dublin-ii-verfahren-italien/). Im Bericht von Bethke/Bender (a.a.O.) sowie in der Quellenauswertung von Bethke wird insbesondere darauf hingewiesen, dass das Platz- und Obdachlosigkeitsproblem auch Rückkehrer im Rahmen von Dublin-II-Verfahren betreffe, die weder Anspruch auf Wohnraum noch auf existenzsichernde Sozialleistungen hätten; in den Jahren 2008 und 2009 seien nur etwa 12 % der Dublin-Rückkehrer in ein SPRAR-Projekt vermittelt worden, während die ganz überwiegende Mehrzahl der Obdachlosigkeit überlassen worden sei. Weiter verweisen Bethke/Bender (a.a.O.) ausdrücklich darauf, dass bei obdachlosen Personen oder solchen, die in besetzen Häusern wohnten, Postzustellungen nicht möglich seien, so dass amtliche Dokumente, etwa ein im italienischen Asylverfahren noch ausstehender Bescheid, sie nicht erreichen könnten; ebenso wenig sei es ihnen möglich, eine für ein in Deutschland ggf. noch laufendes Gerichtsverfahren notwendige ladungsfähige Anschrift anzugeben.
c) Für die Lagebeurteilung nicht außer Betracht gelassen werden darf weiter der Umstand, dass sich die zitierten Erkenntnismittel mit den Zuständen in Italien beschäftigen, wie sie sich im wesentlichen vor dem Frühjahr 2011 darstellten, zu einem Zeitpunkt also, zu dem die Zahl der Asylanträge in Italien rückläufig war; so wurden im Jahr 2008 30.145 Asylanträge gestellt, 2009 17.670 und 2010 (nur) noch 10.050 (zu den Zahlen: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Entscheiderbrief 7/2011). Bereits diese vergleichsweise geringen Zahlen führten zu den in den zitierten Berichten beschriebenen massiven Schwierigkeiten der Asylbewerber, angesichts ihrer prekären Lebenssituation, aber auch angesichts der völlig überlasteten behördlichen Strukturen ein Asylverfahren zu betreiben. Seit Beginn der Unruhen in Nordafrika aber stieg die Zahl der Flüchtlinge, die Italien erreichen, sprunghaft an; nach Angaben des UNHCR (http://www.unhcr.de/home/artikel/042d9651d6d525aad46e97d7ee7848db/hunderte-neuankoemmlinge-aus-libyen-und-tunesien-in-italien.html?L=0) hatten im Jahr 2011 bis Mitte August 52.000 Menschen im Zuge der nordafrikanischen Flüchtlingskrise Italien erreicht, italienische Quellen sprechen Ende September 2011 von über 60.000 Flüchtlingen, die seit Jahresbeginn die italienische Küste erreicht haben (http://www.interno.it/mininterno/export/sites/default/it/sezioni/sala_stampa/notizie/immigrazione/0000070_2011_09_29_informativa_Viale_al_Senato.html). Angesichts dieser Zahlen gibt es keinerlei Anhaltspunkte für eine zwischenzeitliche Verbesserung der Situation der Flüchtlinge in Italien.
d) Diesen Berichten hat die Antragsgegnerin nichts substantiiert entgegengesetzt. Die - unbestrittene - Tatsache, dass es anders als bei Griechenland im Falle von Italien keine Empfehlung des UNHCR dahingehend gibt, Asylsuchende nicht an diesen Staat zu überstellen, genügt nach Auffassung der Kammer nicht; auch das Bundesverfassungsgericht hat sich in seinen die Lage in Griechenland betreffenden Entscheidungen nicht isoliert auf eine entsprechende Stellungnahme des UNHCR, sondern auf die „umfangreichen Stellungnahmen verschiedener Organisationen zur Situation von Asylantragstellern in Griechenland“ berufen (vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 22.12.2009 - 2 BvR 2879/09 -, juris; Beschluss vom 13.11.2009 - 2 BvR 2603/09 -, juris). Der Hinweis der Antragsgegnerin darauf, aus dem Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe ergebe sich keine Empfehlung, Flüchtlinge nicht nach Italien zurückzuschieben, ist in dieser Allgemeinheit nicht zutreffend. Für bestimmte Personengruppen - verletzliche Personen sowie Asylsuchende, bei denen prima facie die Flüchtlingseigenschaft oder ein subsidiäres Schutzbedürfnis als bestehend betrachtet werden kann - fordert die Schweizerische Flüchtlingshilfe vielmehr explizit die Mitgliedstaaten auf, Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO (Souveränitätsklausel) anzuwenden, um eine Verletzung von Art. 3 EMRK zu verhindern. Aber auch bei allen anderen Asylsuchenden fordert die Schweizerische Flüchtlingshilfe die Mitgliedstaaten ausdrücklich auf, vor der Überstellung der Betroffenen deren Situation sorgfältig abzuklären und dafür zu sorgen, von den italienischen Behörden eine verbindliche Zusage zu erhalten, dass sie in der Lage sind, die Rückkehrenden ab ihrer Ankunft angemessen zu unterstützen. Für eine sorgfältige Abklärung oder gar eine Kontaktaufnahme mit den italienischen Behörden bestehen vorliegend nach Aktenlage indes - insoweit in Übereinstimmung mit der gängigen Praxis der EU-Mitgliedstaaten - keine Anhaltspunkte; in einer solchen Situation aber sind die Empfehlungen, die die Schweizerische Flüchtlingshilfe ausgesprochen hat, durchaus dahingehend zu verstehen, dass eine Überstellung aus Gründen des Menschenrechtsschutzes unterbleiben solle. Ebenso wenig vermag die Kritik des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Entscheiderbrief 7/2011) an den Erkenntnisquellen und den in der Rechtsprechung hieraus gezogenen Konsequenzen zu überzeugen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge beruft sich in erster Linie, wie auch die Antragsgegnerin im vorliegenden Fall, auf die von Gesetzes wegen in Italien bestehenden Rechte von Asylsuchenden auf Unterkunft, Arbeit und Sozialleistungen, setzt sich jedoch nicht auseinander mit den vielfältigen konkreten Hinweisen auf die erhebliche Diskrepanz zwischen den von Italien eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtungen, denen durch entsprechende Rechtsakte auf formeller Ebene Rechnung getragen worden sein mag, und ihrer Umsetzung in der Praxis. Das Auswärtige Amt und das Bundesamt stellen - soweit ersichtlich - keine eigenen Erkenntnisse zur Verfügung; auch im Übrigen fehlt es an jeglichen Erkenntnismitteln, die eine von den zitierten Auskünften abweichende - günstigere - Lagebeurteilung der Verhältnisse in Italien erlaubten.
10 
e) Nach Auffassung der Kammer nach der bisherigen Recherche und Lektüre der aktuellen Informationen zur Lage in Italien liegen damit aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Italien ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe im Sinne der EuGH-Rechtsprechung (Urteil vom 21.12.2011, a.a.O.) für die Annahme vor, der Antragsteller laufe tatsächlich Gefahr, im Falle einer Rücküberstellung nach Italien einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Angesichts der konkreten Umstände - insbesondere der unter Flüchtlingen verbreiteten Obdachlosigkeit, welche die Zustellung amtlicher Dokumente und damit auch das Betreiben behördlicher wie gerichtlicher Verfahren maßgeblich erschwert, wenn nicht unmöglich macht, aber auch der gerichtsbekannten langen Laufzeiten italienischer Gerichtsverfahren - bestehen nach Aktenlage auch keinerlei Anhaltspunkte dafür, die Asylbewerber hätten faktisch die Möglichkeit, die ihnen ausweislich der von Italien unterzeichneten internationalen Abkommen wie auch nationalen Gesetze zustehenden (Menschen-)Rechte innerhalb eines überschaubaren Zeitraums einzuklagen. Daher ist der Antrag des Antragstellers in verfassungs- bzw. europarechtskonformer Reduktion des § 34a Abs. 2 AsylVfG zulässig (so für Fälle der Überstellung nach Italien auch VG Freiburg, Beschluss vom 20.10.2011 - A 1 K 1936/11 -; Beschluss vom 06.09.2011 A 3 K 1738/11 -; Beschluss vom 25.10.2011 - A 5 K 2081/11 -; VG Arnsberg, Beschluss vom 25.03.2011 - 12 L 165/11.A -, asyl.net; VG Minden, Beschluss vom 01.09.2011 - 3 L 427/11.A -, asyl.net; VG Stuttgart, Beschluss vom 01.08.2011 - A 6 K 2577/11 -, juris; VG Meiningen, Beschluss vom 21.09.2011 - 8 E 20262/11 -, juris; VG Düsseldorf, Beschluss vom 01.08.2011 - 21 L 1083/11.A -, asyl.net; VG Osnabrück, Beschluss vom 23.05.2011 - 5 B 38/11 -, juris; i.Erg. auch VG Wiesbaden, Beschluss vom 12.04.3022 - 7 L 303/11.WI.A -, juris; VG Augsburg, Beschluss vom 08.07.2011 - Au 6 S 11.30229 -, juris (unter Verweis auf besondere Schutzbedürftigkeit des Antragstellers); a.A. VG Saarlouis, Beschluss vom 22.08.2011 - 5 L 744/11 -, juris; VG Augsburg, Beschluss vom 05.09.2011 - Au 6 E 11.1320 -, juris; VG Ansbach, Beschluss vom 21.09.2011 - AN 11 S 11.30425 -, juris; VG Düsseldorf, Beschluss vom 12.09.2011 - 6 L 866/11.A -, juris; VG Frankfurt a.M., Beschluss vom 23.05.2011 - 9 L 1025/11.F.A. -, asyl.net; VG Bremen, Beschluss vom 24.01.2012 - 6 V 1549/11.A -, juris).
11 
B. Der Antrag ist auch begründet. Im Rahmen der nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotenen summarischen Prüfung hat das Gericht das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung eines Bescheids dem privaten Interesse des Betroffenen an einem Absehen von der sofortigen Vollziehung gegenüber zu stellen und abzuwägen. Dabei sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache maßgeblich. Lassen sich die offensichtliche Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheids und damit die Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs im Rahmen der summarischen Prüfung nicht ohne weiteres feststellen, hat das Gericht eine Interessenabwägung zu treffen. Dabei hat es die Folgen abzuschätzen, die einträten, wenn der Bescheid sofort vollzogen würde, ein Hauptsacherechtsbehelf des Antragstellers hingegen später Erfolg hätte bzw. wenn der Bescheid nicht sofort vollzogen würde, aber der Hauptsacherechtsbehelf später erfolglos bliebe.
12 
I. Der vorliegende Antrag ist nicht schon deshalb begründet, weil, wie der Antragsteller meint, die zuständigen Behörden der Republik Italien die Übernahme des Asylverfahrens nicht angezeigt hätten und daher nicht feststehe, ob Italien die Übernahme des Antragstellers akzeptiere, so dass die Abschiebungsanordnung rechtswidrig sei. Denn nach Art. 20 Abs. 1 c) Dublin II-VO wird in Fällen, in denen - wie vorliegend - der ersuchte Mitgliedstaat innerhalb der Frist keine Antwort erteilt, davon ausgegangen, dass er die Wiederaufnahme des Asylbewerbers akzeptiert.
13 
II. Das Gericht kommt jedoch im Rahmen der ihm nach § 80 Abs. 5 VwGO obliegenden Interessenabwägung zu dem Ergebnis, dass das private Interesse des Antragstellers, bis zur Entscheidung in der Hauptsache nicht abgeschoben zu werden, das öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug der Abschiebungsanordnung überwiegt.
14 
Im vorliegenden Fall bestehen, wie sich aus den obigen Ausführungen ergibt, erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung. Die offensichtliche Begründetheit der Klage in der Hauptsache lässt sich jedoch wegen der schwierigen Sach- und Rechtsfragen im Rahmen der summarischen Prüfung nicht feststellen; hierzu bedarf es vielmehr einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren, gegebenenfalls nach Durchführung einer Beweisaufnahme. In der daher vorzunehmenden Interessenabwägung nach § 80 Abs. 5 VwGO gebührt dem Interesse des Antragstellers an einer Aussetzung der Abschiebung der Vorrang gegenüber dem öffentlichen Interesse am Vollzug der nach summarischer Prüfung rechtswidrigen Abschiebungsanordnung. Denn gegenüber dem Anspruch des Antragstellers auf Schutz entsprechend der europaweit vereinbarten Mindeststandards hat das öffentliche Interesse an der Umsetzung der Zuständigkeitsregelungen der Dublin II-Verordnung zurückzutreten. Dies gilt umso mehr, als die Rückstellungsfristen des Art. 19 Abs. 3 Satz 1, Art. 20 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO erst nach Abschluss des Hauptsacheverfahrens zu laufen beginnen dürften, weil die Klage hier ausnahmsweise nach nationalem Recht aufschiebende Wirkung hat, so dass eine Rücküberstellung des Antragstellers im Falle seines Unterliegens in der Hauptsache wohl immer noch möglich sein dürfte (Hess. VGH, Beschluss vom 23.08.2011 - 2 A 1863/10.Z.A. -, juris, unter Verweis auf EuGH, Urteil vom 29.01.2009 - C-19/08 -, juris; VG Augsburg, Beschluss vom 08.07.2011 - Au 6 S 11.30229 -, juris, m.w.N.). Umgekehrt bestünde bei einer Überstellung nach Italien im laufenden Verfahren angesichts der dem Antragsteller dort drohenden Obdachlosigkeit die konkrete Gefahr, behördlich und gerichtlich unerreichbar zu sein mit der Folge, dass selbst im Falle seines Obsiegens in der Hauptsache die Folgen nicht mehr rückgängig gemacht werden könnten (vgl. VG Freiburg, Beschluss vom 20.10.2011 - A 1 K 1936/11 -).
15 
Nachdem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dem Regierungspräsidium Karlsruhe - Landesaufnahmestelle für Flüchtlinge - bereits die Abschiebungsanordnung übersandt hat, war der Antragsgegnerin zur Sicherung effektiven Rechtsschutzes für den Antragsteller entsprechend § 80 Abs. 5 Satz 2 VwGO aufzugeben, dem Regierungspräsidium die Aussetzung der Abschiebung mitzuteilen.
16 
Der Antragsgegnerin bleibt es unbenommen, bei Vorliegen der Voraussetzungen einen Antrag nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO zu stellen.
17 
Die Kostenentscheidung folgt § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylVfG).
18 
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).

Tenor

Der Bescheid der Beklagten vom 14. Mai 2008 wird aufgehoben.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1

Der Kläger ist 1983 in Kabul/Afghanistan geboren, er ist afghanischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe der Hazara an.

2

Er wurde am 25. Dezember 2007 in einem Reisezug an der belgisch-deutschen Grenze angetroffen, festgenommen und zu den Umständen seiner illegalen Einreise nach Deutschland vernommen. Dabei gab er an, Asyl beantragen zu wollen. Einen Asylantrag stellte er zunächst in Dortmund und dann am 15. Januar 2008 förmlich in Trier. Bei der Anhörung gem. § 25 AsylVfG am selben Tag machte er Angaben zum Reiseweg und zu den persönlichen Gründen für seine Ausreise aus Afghanistan. Dabei ergab sich, dass er über Iran und die Türkei zunächst nach Griechenland gereist war, wo er sich auch zwei Monate aufgehalten hatte, bevor er über Italien nach Deutschland kam. Als Fluchtgrund gab er im Wesentlichen an, er habe ein Verhältnis mit einer verheirateten Frau gehabt und fürchte die Rache des Ehemannes bzw. dessen Familie. Der Ehemann sei dahinter gekommen und habe ihn umbringen wollen.

3

Die Beklagte richtete am 11. Februar 2008 ein Aufnahmegesuch an Griechenland mit dem Ziel, den Kläger zur Durchführung des Asylverfahrens dorthin zu überstellen (sog. Dublin-Verfahren). Griechenland antwortete zunächst bis 15. April 2008 nicht und bestätigte dann mit Schreiben vom 4. Juni 2008 den vorgesehenen Transfer.

4

Am 14. Mai 2008 erließ die Außenstelle Dortmund der Beklagten die Entscheidung, dass der Asylantrag des Klägers gem. § 27 a AsylVfG unzulässig sei, weil Griechenland auf Grund Art. 18 Abs. 7 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl. L 50 S. 1) – sog. Dublin II VO − für die Behandlung des Asylantrages zuständig sei und Gründe für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts der Bundesrepublik Deutschland nicht vorlägen. Die Abschiebung des Klägers nach Griechenland wurde gem. § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG angeordnet. Der Bescheid wurde erst am 7. Oktober 2008 durch die Ausländerbehörde in Ludwigshafen dem Klägerbevollmächtigten gegen Empfangsbekenntnis zugestellt.

5

Zwei Versuche der Ausländerbehörde, die Abschiebung durchzuführen, mussten abgebrochen werden, zunächst um noch das rheinland-pfälzische Ministerium des Innern und für Sport einzuschalten, dann, weil der Kläger vor dem vorgesehenen Flug nach Griechenland am 10. Oktober 2008 nicht greifbar war. Er hatte Ende September 2008 versucht, mit dem Zug nach Dänemark auszureisen, wurde aber bei der Einreise festgehalten und alsbald nach Deutschland überstellt.

6

Am 15. bzw. 16. Oktober 2008 wurde für den Kläger Klage erhoben und ein Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gestellt (Az.: 5 L 1167/08.NW). Letzterem hat das erkennende Gericht mit Beschluss vom 24. November 2008 stattgegeben, indem es die aufschiebende Wirkung der vorliegenden Klage angeordnet hat. Auf die Gründe des Beschlusses wird Bezug genommen. Die sog. außerordentliche Beschwerde hiergegen hat das OVG Rheinland-Pfalz mit Beschluss vom 19. Januar 2009 als unstatthaft verworfen.

7

Zur Begründung der Klage hat der Kläger zunächst vorgetragen, er habe sich zwar in Griechenland einige Zeit aufgehalten, dort aber keinen Asylantrag gestellt. Es seien ihm lediglich dort Fingerabdrücke abgenommen worden. Außerdem lägen wohl außergewöhnliche humanitäre Gründe für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts durch die Bundesrepublik Deutschland gem. Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO vor. Die Eltern der Frau, mit der er in Afghanistan eine außereheliche Beziehung hatte, seien inzwischen schon in Griechenland gewesen, um ihn zur Verantwortung zu ziehen. Schließlich sei nicht bekannt, ob Griechenland dem Übernahmeersuchen der Beklagten stattgegeben habe.

8

In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger noch angegeben, er sei aus Angst vor einer Abschiebung nach Griechenland Ende September 2008 nach Dänemark gefahren, von dort aber nach wenigen Tagen nach Ludwigshafen zurückgekommen und dann zu seinem Rechtsanwalt gegangen. Am 1.Dezember 2008 habe ihm die Stadt seine derzeitige Aufenthaltsgestattung ausgestellt.

9

Der Kläger beantragt,

10

den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 14. Mai 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, das Asylverfahren fortzusetzen.

11

Hilfsweise stellt er den in der Klageschrift vom 15. Oktober 2008 angekündigten Verpflichtungsantrag.

12

Höchst hilfsweise wird weiter beantragt,

13

die Beklagte – unter Aufhebung des Bescheides vom 14. Mai 2008 – zu verpflichten, über die Fortsetzung des Asylverfahrens aufgrund eines Selbsteintritts unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden.

14

Die Beklagte beantragt,

15

die Klage abzuweisen.

16

Sie hält die Klage für unzulässig, weil der Bescheid vom 14. Mai 2008 dem Kläger nicht zugestellt worden sei bzw. weil der Kläger untergetaucht sei und daher kein Rechtsschutzinteresse habe. In der Sache habe sie das Verfahren zu Recht an Griechenland abgegeben. Daher sei der Asylantrag gem. § 27 a AsylVfG unzulässig.

17

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten im vorliegenden Verfahren und im Verfahren 5 L 1167/08.NW sowie auf die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

18

Die Klage ist zulässig und hat in der Sache mit dem Hauptantrag Erfolg.

19

Es fehlt dem Kläger zunächst nicht am Rechtsschutzinteresse. Es trifft zwar zu, dass er Ende September bis Anfang Oktober 2008, möglicherweise auch bis Ende November 2008 insofern „untergetaucht“ war, als er ohne Genehmigung und ohne Wissen der Ausländerbehörde nach Dänemark gefahren war und versucht hatte, dort ein Asylverfahren einzuleiten. Nachdem das fehlgeschlagen war, kehrte er aber nach einigen Tagen wieder nach Ludwigshafen zurück, setzte sich dort erstmals mit seinem jetzigen Prozessbevollmächtigten in Verbindung und betrieb dann das Eilrechtsschutzverfahren sowie das Klageverfahren. Jedenfalls seit 1. Dezember 2008, dem Zeitpunkt, in dem ihm eine weitere Aufenthaltsgestattung ausgestellt wurde, und erst recht zum nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG maßgebenden Zeitpunkt der Gerichtsverhandlung hielt sich der Kläger wieder rechtskonform im Bereich der für ihn zuständigen Ausländerbehörde auf.

20

Da der Bescheid vom 14. Mai 2008 dem Prozessbevollmächtigten des Klägers von der Ausländerbehörde noch vor Klageerhebung, nämlich am 7. Oktober 2009, gegen Empfangsbekenntnis zugestellt wurde, scheitert die Zulässigkeit der Klage auch nicht etwa an dessen mangelnder Wirksamkeit. Im Übrigen wäre die Klage mit dem zunächst angekündigten Verpflichtungsantrag auch bei fehlender Zustellung als Untätigkeitsklage gem. § 75 VwGO zulässig gewesen.

21

Dass der Kläger den angekündigten Verpflichtungsantrag nunmehr nur noch hilfsweise stellt und sich mit dem Hauptantrag auf eine Anfechtungsklage beschränkt, ist jedenfalls als sachdienliche Klageänderung (§ 91 Abs. 1 VwGO) anzusehen. Sachdienlich ist sie aus verschiedenen Gründen: Die vorrangige Frage, welcher Staat über den Asylantrag des Klägers zu entscheiden hat, kann ohne Weiteres im Wege der Anfechtungsklage geklärt werden. Wegen der seit Klageerhebung vergangenen Zeit ist die Frage der Zuständigkeit für das Asylverfahren des Klägers inzwischen auch nach anderen Kriterien als bei Klageerhebung zu beurteilen (dazu im Einzelnen noch unten). Eine stattgebende Entscheidung über den reinen Anfechtungsantrag ermöglicht außerdem der Beklagten die Befassung mit dem Asylantragsvorbringen, die bisher unterblieben ist, und erhält dem Kläger im Falle einer ablehnenden Entscheidung des Bundesamts zur Sache noch den Klageweg zum Gericht. Sachdienlich ist die Beschränkung auch deshalb, weil dem Gericht zum Verfolgungsschicksal des Klägers bisher keine Stellungnahme der Beklagten vorliegt; auch hat es dazu noch keine Erkenntnismittel ins Verfahren eingeführt.

22

Auf den Anfechtungsantrag hin ist der Bescheid der Beklagten vom 14. Mai 2009 auch aufzuheben. Dabei kann offen bleiben, ob er von Anfang an rechtswidrig war, weil – wovon das Gericht nach summarischer Prüfung im Eilbeschluss vom 23. November 2008 ausgegangen ist − eine Überstellung des Klägers an Griechenland wegen der dortigen Verhältnisse (z.B. stark erschwerter tatsächlicher Zugang von Asylsuchenden zur zuständigen Stelle, unzumutbare soziale Lage der Asylsuchenden) unzumutbar war mit der Folge, dass das Bundesamt im Wege des Selbsteintritts über den Asylantrag des Klägers in Deutschland zu entscheiden gehabt hätte. Unabhängig davon haben sich inzwischen die Umstände jedenfalls rechtserheblich verändert. Auch wenn durch das Übernahmeersuchen der Bundesrepublik Deutschland vom Februar 2008 in Verbindung mit dem Ablauf der Zwei-Monats-Frist nach Art. 18 Abs. 7 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl. L 50 S. 1) – sog. Dublin II VO − zunächst Griechenland für das Asylverfahren zuständig war, ist die Zuständigkeit in der Zwischenzeit gem. Art. 19 Abs. 4 Dublin II VO auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen. Nach Satz 1 dieser Vorschrift geht die Zuständigkeit nämlich auf den Mitgliedsstaat über, in dem der Asylantrag eingereicht wurde, wenn die Überstellung in den zunächst zuständigen ersuchten Mitgliedsstaat nicht „innerhalb der Frist von sechs Monaten“ durchgeführt wurde. Diese Frist – das ergibt sich aus Art. 19 Abs. 3 Dublin II VO – beginnt grundsätzlich mit der Annahme des Antrags auf Aufnahme durch den ersuchten Mitgliedsstaat. Alternativ läuft die Frist ab der Entscheidung über einen Rechtsbehelf des Asylbewerbers, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat (Art. 19 Abs. 3 Satz 1 letzter Halbsatz Dublin II VO).

23

Im vorliegenden Fall begann die Frist mit der Annahme des Übernahmeersuchens der Beklagten vom 11. Februar 2008 zu laufen. Diese Annahme ist hier – weil Griechenland bis dahin nicht geantwortet hatte − gem. Art. 18 Abs. 7 Dublin II VO nach Ablauf von zwei Monaten nach Übermittlung des Ersuchens, also frühestens am 11., jedenfalls Mitte April 2008 fiktiv geschehen. Die 6-Monats-Frist wäre daher schon Mitte Oktober 2008 abgelaufen gewesen, wenn der Kläger nicht gerade in diesem Zeitraum untergetaucht gewesen wäre. Gem. Art. 19 Abs. 4 Satz 2 2. Alt. Dublin II VO „kann diese Frist verlängert werden“, und zwar „höchstens auf achtzehn Monate, wenn der Asylbewerber flüchtig ist“. Aus den Akten ergibt sich nichts dafür, dass vorliegend eine solche Fristverlängerung im Zusammenhang mit dem fehlgeschlagenen Überstellungsversuch vom 10. Oktober 2008 – der gerade noch innerhalb der Frist lag − stattgefunden hätte. Die Ausländerbehörde hat das Bundesamt zwar informiert, und es ist wohl von dort auch Griechenland von dem fehlgeschlagenen Überstellungsversuch unterrichtet worden. Eine Reaktion Griechenlands lässt sich den Akten aber nicht entnehmen. Die Beklagte hat dazu im Verlaufe des Verfahrens auch nichts mehr vorgetragen oder vorgelegt.

24

Anders als im L-Beschluss noch angenommen, ist die Fristverlängerung wohl auch nicht allein und sozusagen automatisch aufgrund des Umstands eingetreten, dass der Kläger bei dem Abschiebungsversuch am 10. Oktober und anscheinend – so die Aktenlage – auch noch bis in den November hinein nicht greifbar war. Die Vorschrift ist ihrem Wortlaut und ihrem Sinn nach vielmehr so zu verstehen, dass über die notwendige Fristverlängerung zu entscheiden ist, und zwar sinnvoller Weise nur durch den zur Aufnahme verpflichteten Mitgliedstaat, dessen Zuständigkeit und Aufnahmebereitschaft perpetuiert werden soll. Die Frist darf zudem nach den allgemeinen Grundsätzen, die für rechtserhebliche Fristen gelten, vor ihrer Verlängerung noch nicht abgelaufen sein. Außerdem setzt Art. 19 Abs. 3 Satz 2 Dublin II VO voraus, dass der Asylbewerber bei Verlängerung tatsächlich (noch immer) flüchtig i s t. Da der Kläger spätestens ab dem 1. Dezember 2008 nicht mehr als flüchtig angesehen werden konnte, war nach diesem Datum eine erstmalige Entscheidung, die Frist gem. Art. 19 Abs. 4 Satz 2 Dublin II VO zu verlängern, nicht mehr möglich. Dass eine Verlängerung vor dem 11. Oktober vorgenommen worden wäre, hätte die Beklagte vorzutragen und zu belegen. Das ist nicht geschehen. Im Übrigen ergibt sich aus der Formulierung „kann auf höchstens achtzehn Monate verlängert werden“ außerdem, dass die Länge der Verlängerungsfrist variabel ist, im Ermessen der verlängernden Stelle steht und sich also nicht automatisch um achtzehn Monate verlängert, sobald ein Asylbewerber – und sei es auch nur für kurze Zeit – „flüchtig“ war (a.A. ohne nähere Begründung VG Cottbus, Urt. vom 20.02.2009 – juris -).

25

Eine längere Frist lief vorliegend auch nicht im Hinblick darauf, dass das erkennende Gericht entgegen § 34a Abs. 2 AsylVfG unter Berufung auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Mai 1996 (BVerfGE 94, 49) dem Antrag des Klägers auf vorläufigen Rechtsschutz gegen die Abschiebungsanordnung nach § 34 a AsylVfG mit Beschluss vom 24. November 2008 stattgegeben hat. Diese Frage braucht hier zwar nicht mehr vertieft zu werden, nachdem zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung zur Hauptsache am 16. Juni 2009 seit Zustellung dieses Beschlusses am 26. bzw. 27. November 2008 ebenfalls schon mehr als sechs Monate verstrichen waren. Selbst wenn das nicht der Fall gewesen wäre, wäre aber die Vorschrift des Art. 19 Abs. 3 letzter Halbsatz Dublin II VO vorliegend nicht anwendbar, weil im deutschen innerstaatlichen Asylrecht – wegen § 34 a Abs.2 AsylVfG − gesetzlich kein mit aufschiebender Wirkung versehener Rechtsbehelf gegen die Überstellungsentscheidung zulässig ist, wie es Art. 19 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 4 Dublin II VO fordert. Insoweit schließt sich das Gericht der Argumentation von Hruschka (EuGH-Rechtsprechung zur Überstellungsfrist in Dublin-Verfahren, Asylmagazin 3/2009, S. 6 ff.) an. Dieser kommt in Interpretation des Urteils des EuGH vom 29. Januar 2009 in der Rechtssache Petrosian (C-19/08 – juris) zu dem Ergebnis, dass auch in den Fällen, in denen deutsche Asylgerichte trotz § 34 a Abs. 2 AsylVfG die Abschiebungsanordnung gem. § 123 oder § 80 Abs. 5 VwGO aussetzen, kein Fall eines nach innerstaatlichem Recht zulässigen Rechtsbehelfs mit aufschiebender Wirkung vorliege (ebenso VG Ansbach, Urteil vom 16. April 2009, juris; VG Sigmaringen, Urteil vom 26. März 2009, juris − bezogen auf Entscheidungen nach § 123 VwGO −; aA: VG Würzburg, Urteil vom 10.März 2009, Asylmagazin 6/09, S. 30 ff).

26

Wenn aber nach alledem die Zuständigkeit für die Entscheidung über den Asylantrag des Klägers nunmehr bei der Bundesrepublik Deutschland liegt, kann der Bescheid vom 14. Mai 2008, wonach der Asylantrag gem. § 27 a AsylVfG unzulässig sei, keinen Bestand haben.

27

Auf die Hilfsanträge war daher nicht mehr einzugehen.

28

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit wegen der Kosten aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO. Gerichtskosten werden gem. § 83b AsylVfG nicht erhoben.

Tenor

Die Beklagte wird verpflichtet, für den Kläger in Deutschland ein Asylverfahren durchzuführen.

Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Tatbestand

 
Der Kläger begehrt die Verpflichtung der Beklagten, ein Asylverfahren durchzuführen. Er ist am … 1979 geboren, irakischer Staatsangehöriger und nach eigenem Vortrag Yezide. Seine Ehefrau und seine beiden Kinder leben im Irak.
Der Kläger reiste am 18.01.2009 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 05.02.2009 einen Asylantrag. In seiner Anhörung am 17.03.2009 gab er an, auf dem Landweg zunächst in die Türkei und von dort weiter durch ihm unbekannte Länder nach Deutschland gereist zu sein.
In einer „Checkliste Dublinverfahren“ der Beklagten vom 17.03.2009 ist als Hinweis für die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates ein EURODAC-Treffer mit Griechenland vermerkt. Nach Auffassung der Beklagten ist der Kläger am 21.10.2008 in Griechenland eingereist. Am 23.03.2009 richtete die Beklagte ein Aufnahmeersuchen nach der Verordnung (EG) Nr. 343/2003des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (im Folgenden: Dublin II VO), an Griechenland. Eine Reaktion erfolgte nicht. Am 26.05.2009 stellte die Beklagte gegenüber Griechenland dessen Zuständigkeit fest. In der Behördenakte findet sich ein nicht bekannt gegebener Bescheid vom 16.06.2009, wonach der Asylantrag unzulässig sei und die Abschiebung nach Griechenland angeordnet werde. Zur Begründung wird auf §§ 27a, 34a AsylVfG verwiesen. Auf knapp zwei Seiten des „Bescheides“ wird die Nichtausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO begründet.
Der Kläger hat durch seinen Prozessbevollmächtigten am 18.07.2009 Klage beim VG Sigmaringen erhoben und mit demselben Schriftsatz beantragt, die Beklagte im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die für die Abschiebung zuständige Behörde anzuweisen, von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen bis zur Entscheidung über den Hauptsacheantrag abzusehen. Zur Begründung trägt er vor, dass in Griechenland Mindestnormen für Verfahren zur Anerkennung von Flüchtlingen nicht beachtet würden.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verpflichten, für den Kläger in Deutschland ein Asylverfahren gemäß Artikel 3 Abs. 2 Dublin II VO durchzuführen, hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, fehlerfrei über das für sie bestehende Selbsteintrittsrecht nach Artikel 3 Abs. 2 Dublin II VO zu entscheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung bezieht sie sich „auf die angefochtene Entscheidung“. Diese sei dem Kläger noch nicht zugestellt worden, so dass er nicht belastet und die Klage nicht zulässig sei.
10 
Der Kläger und die Beklagte haben auf mündliche Verhandlung verzichtet. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte zu diesem und zum Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes sowie auf die vorliegenden Behördenakten verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
11 
Das Gericht konnte mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
12 
Die Klage ist zulässig. Die Kammer geht davon aus, dass die Entscheidung über die Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO gegenüber dem Asylbewerber Regelungswirkung entfaltet und ein entsprechender Anspruch isoliert im Wege der Verpflichtungsklage verfolgt werden kann. Nicht erforderlich ist demgegenüber, dass das Gericht sogleich „durchentscheidet“, also auch über die materiellen Rechtspositionen des Klägers befindet, d.h. insbesondere über einen etwaigen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter oder Flüchtling. Dies vernachlässigte die berechtigten Interessen des Asylbewerbers, da im Falle eines wirksamen, weil zugestellten Bescheides nach § 27a AsylVfG – ein entsprechender Entwurf befindet sich in der Behördenakte – eine Anfechtungsklage statthaft ist, um den „Weg für die Durchführung eines Asylverfahrens vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit voller inhaltlicher Sachprüfung des klägerischen Asylbegehrens“ zu eröffnen (VG Frankfurt, Urteil vom 08.07.2009, 7 K 4376/07.F.A(3), m.w.N.). Die Beklagte hätte es sonst durch das bloße Zurückhalten ihrer Entscheidung, gegen die Rechtsschutz in der Hauptsache häufig nicht rechtzeitig zu erlangen ist – im vom VG Frankfurt entschiedenen Fall war der Kläger zwischenzeitlich nach Griechenland abgeschoben worden –, in der Hand, ob der Kläger einen Anspruch allein auf Durchführung eines Asylverfahrens durch das Bundesamt vor Gericht durchsetzen könnte oder nicht.
13 
Die Klage ist auch im Übrigen zulässig. Mit Schriftsatz vom 05.06.2009 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers gegenüber der Beklagten dessen Anhörung und damit die Durchführung eines Asylverfahrens angemahnt. Die Drei-Monats-Frist des § 75 VwGO ist daher im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts abgelaufen.
14 
Schließlich fehlt dem Kläger nicht das erforderliche Rechtsschutzinteresse. Ein Antrag nach § 123 VwGO, der im allgemeinen nur summarisch geprüft wird, beseitigt nicht das Rechtsschutzinteresse für eine gerichtliche Hauptsacheentscheidung. Auch zielte der Eilantrag lediglich auf die Verhinderung aufenthaltsbeendender Maßnahmen, jedoch nicht auf die Ausübung des Selbsteintrittsrechts oder gar die Zuerkennung materieller Schutzpositionen.
15 
Die Klage ist auch begründet. Der Kläger hat gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts.
16 
Nach der Dublin II VO ist Griechenland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig, da der Kläger dessen Landgrenze illegal überschritten hat. Nach Art. 5 Abs. 1 Dublin II VO vorrangig zu prüfende Kriterien sind nicht erfüllt. Insbesondere stellt die dem Kläger erteilte Aufenthaltsgestattung keinen Aufenthaltstitel im Sinne von Art. 9 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 lit. j) Dublin II VO dar. Das Aufnahmeersuchen an Griechenland wurde innerhalb von drei Monaten nach Einreichung des Asylantrags gestellt (Art. 17 Abs. 1 Dublin II VO). Innerhalb der Zwei-Monats-Frist des Art. 18 Abs. 1 Dublin II VO erging keine Antwort Griechenlands, so dass es nach Art. 18 Abs. 7 Dublin II VO zuständig wurde. Die Überstellungsfrist des Art. 19 Abs. 4 Dublin II VO ist noch nicht abgelaufen.
17 
Nach Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin II VO kann abweichend von Absatz 1 – wonach der Antrag von dem nach Kapitel III der Verordnung zuständigen Mitgliedstaat geprüft wird – „jeder Mitgliedstaat einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist“. Dadurch wird er „zum zuständigen Mitgliedstaat im Sinne dieser Verordnung und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen“ (Satz 2).
18 
Die Vorschrift richtet sich ihrem Wortlaut nach an die Mitgliedstaaten, wobei nach Auffassung der Kommission politische, humanitäre oder praktische Erwägungen zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts führen können (Schröder, Die EU-Verordnung zur Bestimmung des zuständigen Asylstaats, ZAR 2003, S. 126 [128 und 131]). Humanitäre Erwägungen sind dabei nach Auffassung der Kammer auch und insbesondere solche, die auf die Folgen einer Rückführung für den Asylbewerber abstellen. Jedenfalls soweit (gewichtige) derartige Umstände vorgetragen werden oder der Beklagten bekannt sind, besteht ein Anspruch des Asylbewerbers auf deren Berücksichtigung (weitergehend Funke-Kaiser, Gemeinschaftskommentar, Stand Oktober 2009, § 27a AsylVfG Rn. 134 m.w.N.; Hruschka, Humanitäre Lösungen in Dublin-Verfahren, Asylmagazin 2009, S. 5 [9 f.]).
19 
Der Kläger hat keine Gründe für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts geltend gemacht, die allein ihn betreffen. Solche sind auch nicht ersichtlich. Die Kammer geht jedoch aufgrund der ihr vorliegenden und ins Verfahren eingeführten bzw. der Beklagten bekannten Erkenntnismittel davon aus, dass der Kläger im Falle einer Abschiebung nach Griechenland nicht in der Lage wäre, ein Asylverfahren unter Wahrung allgemeiner Mindeststandards zu durchlaufen.
20 
Diese Einschätzung stützt sich insbesondere auf den Bericht des schweizerischen Bundesamtes für Migration „Focus Griechenland – Asylsystem“ vom 23.09.2009. Danach werden sogenannte Dublin-Rückkehrer zwar gegenüber anderen Asylbewerbern besser behandelt, als sie direkten Zugang zum Asylverfahren hätten und ihnen eine Rosa Karte ausgestellt werde. Zugleich aber würden die Anhörungen am Flughafen Athen oft nicht sachgerecht durchgeführt, da meist unqualifizierte Sprachmittler statt ausgebildete Dolmetscher eingesetzt würden, die Anhörungen nur drei bis vier Minuten dauerten und es keine Rückübersetzungen gebe. Häufiger fänden überhaupt keine Anhörungen statt, stattdessen müssten die Rückkehrenden in einem Formular auf fünf Zeilen in ihrer eigenen Sprache beschreiben, warum sie nach Griechenland gekommen seien. Dublin-Rückkehrer würden zudem bei der Unterkunftssuche nicht bevorzugt behandelt, blieben deshalb obdachlos und wären gar nicht in der Lage, eine Adresse zu registrieren (S. 10, 15). Ohne Registrierung eines Wohnsitzes droht jedoch die öffentliche Zustellung einer (zumeist ablehnenden) Entscheidung, von der in der Regel nicht innerhalb der Rechtsbehelfsfristen Kenntnis erlangt wird (Pro Asyl, Zur aktuellen Situation von Asylsuchenden in Griechenland, Stellungnahme vom 19.02.2009, S. 28).
21 
Das Risiko der Obdachlosigkeit wird von der Kammer als äußerst groß eingestuft, da nur rund 900 Aufnahmeplätze für jährlich rund 25.000 Asylbewerber bereitstünden (S. 7) und zudem im Sommer 2009 ein Flüchtlingslager abgerissen worden sei (S. 10). Wenn daher die Möglichkeit, bei Bedarf Unterkunft zu beanspruchen, im Ergebnis leerläuft, dürfte dies auch für die Möglichkeit gelten, Verpflegung und medizinische Versorgung zu beanspruchen. Insoweit heißt es in dem Bericht, dass die Deckung der materiellen Grundbedürfnisse für Asylsuchende in Griechenland nicht gewährleistet sei, die vorgesehenen Tagegelder bisher noch nicht ausbezahlt würden und der Zugang zum Gesundheitssystem nicht immer möglich sei. Personen, die nicht in den Aufnahmeeinrichtungen lebten, bekämen weder finanzielle Unterstützung noch Essen, Kleider oder andere Hilfe vom griechischen Staat. Die Kammer hält diese Ausführungen für glaubwürdig und überzeugend. Sie stammen von einer staatlichen Behörde, die selbst für die Durchführung von Asylverfahren zuständig ist, und entsprechen weiteren Erkenntnismitteln. Auch das Auswärtige Amt teilte dem VG Stuttgart mit Schreiben vom 14.07.2009 mit, dass Griechenland den Asylantragstellern nur in seltenen Fällen eine Unterkunft zuweise. Auch sei der jederzeitige Zugang zum Dienstgebäude der Ausländerbehörde nicht als gesichert anzusehen, da für 1.000 bis 2.000 Wartende nur 400 Plätze zur Verfügung stünden, von denen allerdings nach Auskunft des Behördenleiters 250 Plätze für prioritäre Fälle wie z.B. Dublin-Rückkehrer reserviert seien. Auch der Menschenrechtskommissar des Europarates kritisiert in seinem Bericht vom 04.02.2009 u.a. die mangelhafte Unterbringungssituation. Insbesondere aufgrund der beiden erstgenannten Stellungnahmen von Institutionen, die nicht im Verdacht stehen, primär die Interessen von Flüchtlingen im Blick zu haben, bedarf es keiner Auseinandersetzung mit dem Dienstreisebericht der Beklagten vom letzten Dezember und der daran von Nichtregierungsorganisationen geübten Kritik (vgl. Pro Asyl, Stellungnahme vom 19.02.2009).
22 
Die Prüfung der Verhältnisse in Griechenland ist trotz Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG und des darin zum Ausdruck kommenden Konzepts der normativen Vergewisserung möglich. Zwar gilt Griechenland kraft Verfassung als sicherer Drittstaat. Nicht von Bedeutung ist dabei, ob und in welchem Maße EU-Richtlinien zur Harmonisierung des Asylrechts von Griechenland rechtlich umgesetzt worden sind und tatsächlich beachtet werden. Art. 16a Abs. 2 GG und die Erklärung Griechenlands zum sicheren Drittstaat wurden vom Bundesverfassungsgericht im Urteil vom 14.05.1996 (2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93; BVerfGE 94, 49) nicht für verfassungswidrig gehalten, obwohl eine Harmonisierung damals „noch in den Anfängen“ stand (S. 89). Es ist grundsätzlich nicht ermessensfehlerhaft, wenn die Beklagte dieser Einschätzung des verfassungsändernden Gesetzgebers (weiterhin) folgt, obwohl mittlerweile die Harmonisierung des Asylrechts auf Ebene der Europäischen Union vorangeschritten ist.
23 
Dem Konzept der normativen Vergewisserung sind jedoch Grenzen gesetzt, wie auch das Bundesverfassungsgericht anerkannt hat. Außerhalb dieser Grenzen liegt etwa der Fall, dass „sich die für die Qualifizierung als sicher maßgeblichen Verhältnisse im Drittstaat schlagartig geändert haben und die gebotene Reaktion der Bundesregierung nach § 26a Abs. 3 AsylVfG hierauf noch aussteht“. Auch in seiner einstweiligen Anordnung vom 08.09.2009 (2 BvQ 56/09) hält das Bundesverfassungsgericht Grenzen des Konzepts der normativen Vergewisserung auch bezogen auf Staaten, die kraft Verfassung sichere Drittstaaten sind, für möglich. Die Missstände in Griechenland haben nach Auffassung der Kammer ein Ausmaß erreicht, das eine Reaktion des Gemeinschaftsgesetzgebers nach sich ziehen muss. Die Europäische Kommission hat daher auch vorgeschlagen, die Dublin II VO dahin zu ändern, dass ein Mitgliedstaat bei einem unerwartet hohen Aufkommen von Asylbewerbern das Dublinsystem vorübergehend aussetzen könne (vgl. Europäische Asylpolitik, Gemeinsame Stellungnahme zum derzeitigen Stand der Harmonisierung des europäischen Flüchtlingsrechts, Amnesty Asyl-Info 2009, S. 17, 26). Auch wurde Griechenland wegen „unhaltbarer Zustände“ in seinen Flüchtlingslagern von den EU-Innenministern kritisiert (NZZ online, Nachricht 21.09.2009, Streit über Flüchtlingspolitik in Europa spitzt sich zu, http://www.nzz.ch/nachrichten/international/ eu_fluechtlinge_1.3625121.html).
24 
Die Situation ist daher mit der vom BVerfG als Ausnahme umschriebenen vergleichbar, dass eine schlagartige (oder jedenfalls massive) Änderung der Situation eingetreten ist und eine beabsichtigte Änderung der Rechtslage von den zuständigen Organen noch nicht umgesetzt worden ist. Eine Aussetzung der Dublin II VO auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene hätte aufgrund des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts schon unabhängig von Art. 16a Abs. 5 GG auch zur Folge, dass der Ausschlussgrund des Abs. 2 Satz 1 nicht einschlägig wäre.
25 
Die Beklagte ist daher aufgrund der Ausnahmesituation verpflichtet, bei ihrer Ermessensentscheidung nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO trotz der normativen Vergewisserung die tatsächlichen Verhältnisse in Griechenland zu berücksichtigen. Aufgrund der weit überwiegenden Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger dort kein Asylverfahren unter Erfüllung der elementaren Lebensbedürfnisse wird durchführen können, ist das Ermessen auch auf Null reduziert, d.h. die Beklagte ist verpflichtet, von ihrem Selbsteintrittsrecht zugunsten des Klägers Gebrauch zu machen.
26 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylVfG. Das Gericht macht von der Möglichkeit, das Urteil bezüglich der Kosten für vorläufig vollstreckbar zu erklären, keinen Gebrauch (§ 167 Abs. 2 VwGO).

Gründe

 
11 
Das Gericht konnte mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
12 
Die Klage ist zulässig. Die Kammer geht davon aus, dass die Entscheidung über die Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO gegenüber dem Asylbewerber Regelungswirkung entfaltet und ein entsprechender Anspruch isoliert im Wege der Verpflichtungsklage verfolgt werden kann. Nicht erforderlich ist demgegenüber, dass das Gericht sogleich „durchentscheidet“, also auch über die materiellen Rechtspositionen des Klägers befindet, d.h. insbesondere über einen etwaigen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter oder Flüchtling. Dies vernachlässigte die berechtigten Interessen des Asylbewerbers, da im Falle eines wirksamen, weil zugestellten Bescheides nach § 27a AsylVfG – ein entsprechender Entwurf befindet sich in der Behördenakte – eine Anfechtungsklage statthaft ist, um den „Weg für die Durchführung eines Asylverfahrens vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit voller inhaltlicher Sachprüfung des klägerischen Asylbegehrens“ zu eröffnen (VG Frankfurt, Urteil vom 08.07.2009, 7 K 4376/07.F.A(3), m.w.N.). Die Beklagte hätte es sonst durch das bloße Zurückhalten ihrer Entscheidung, gegen die Rechtsschutz in der Hauptsache häufig nicht rechtzeitig zu erlangen ist – im vom VG Frankfurt entschiedenen Fall war der Kläger zwischenzeitlich nach Griechenland abgeschoben worden –, in der Hand, ob der Kläger einen Anspruch allein auf Durchführung eines Asylverfahrens durch das Bundesamt vor Gericht durchsetzen könnte oder nicht.
13 
Die Klage ist auch im Übrigen zulässig. Mit Schriftsatz vom 05.06.2009 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers gegenüber der Beklagten dessen Anhörung und damit die Durchführung eines Asylverfahrens angemahnt. Die Drei-Monats-Frist des § 75 VwGO ist daher im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts abgelaufen.
14 
Schließlich fehlt dem Kläger nicht das erforderliche Rechtsschutzinteresse. Ein Antrag nach § 123 VwGO, der im allgemeinen nur summarisch geprüft wird, beseitigt nicht das Rechtsschutzinteresse für eine gerichtliche Hauptsacheentscheidung. Auch zielte der Eilantrag lediglich auf die Verhinderung aufenthaltsbeendender Maßnahmen, jedoch nicht auf die Ausübung des Selbsteintrittsrechts oder gar die Zuerkennung materieller Schutzpositionen.
15 
Die Klage ist auch begründet. Der Kläger hat gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts.
16 
Nach der Dublin II VO ist Griechenland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig, da der Kläger dessen Landgrenze illegal überschritten hat. Nach Art. 5 Abs. 1 Dublin II VO vorrangig zu prüfende Kriterien sind nicht erfüllt. Insbesondere stellt die dem Kläger erteilte Aufenthaltsgestattung keinen Aufenthaltstitel im Sinne von Art. 9 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 lit. j) Dublin II VO dar. Das Aufnahmeersuchen an Griechenland wurde innerhalb von drei Monaten nach Einreichung des Asylantrags gestellt (Art. 17 Abs. 1 Dublin II VO). Innerhalb der Zwei-Monats-Frist des Art. 18 Abs. 1 Dublin II VO erging keine Antwort Griechenlands, so dass es nach Art. 18 Abs. 7 Dublin II VO zuständig wurde. Die Überstellungsfrist des Art. 19 Abs. 4 Dublin II VO ist noch nicht abgelaufen.
17 
Nach Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin II VO kann abweichend von Absatz 1 – wonach der Antrag von dem nach Kapitel III der Verordnung zuständigen Mitgliedstaat geprüft wird – „jeder Mitgliedstaat einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist“. Dadurch wird er „zum zuständigen Mitgliedstaat im Sinne dieser Verordnung und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen“ (Satz 2).
18 
Die Vorschrift richtet sich ihrem Wortlaut nach an die Mitgliedstaaten, wobei nach Auffassung der Kommission politische, humanitäre oder praktische Erwägungen zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts führen können (Schröder, Die EU-Verordnung zur Bestimmung des zuständigen Asylstaats, ZAR 2003, S. 126 [128 und 131]). Humanitäre Erwägungen sind dabei nach Auffassung der Kammer auch und insbesondere solche, die auf die Folgen einer Rückführung für den Asylbewerber abstellen. Jedenfalls soweit (gewichtige) derartige Umstände vorgetragen werden oder der Beklagten bekannt sind, besteht ein Anspruch des Asylbewerbers auf deren Berücksichtigung (weitergehend Funke-Kaiser, Gemeinschaftskommentar, Stand Oktober 2009, § 27a AsylVfG Rn. 134 m.w.N.; Hruschka, Humanitäre Lösungen in Dublin-Verfahren, Asylmagazin 2009, S. 5 [9 f.]).
19 
Der Kläger hat keine Gründe für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts geltend gemacht, die allein ihn betreffen. Solche sind auch nicht ersichtlich. Die Kammer geht jedoch aufgrund der ihr vorliegenden und ins Verfahren eingeführten bzw. der Beklagten bekannten Erkenntnismittel davon aus, dass der Kläger im Falle einer Abschiebung nach Griechenland nicht in der Lage wäre, ein Asylverfahren unter Wahrung allgemeiner Mindeststandards zu durchlaufen.
20 
Diese Einschätzung stützt sich insbesondere auf den Bericht des schweizerischen Bundesamtes für Migration „Focus Griechenland – Asylsystem“ vom 23.09.2009. Danach werden sogenannte Dublin-Rückkehrer zwar gegenüber anderen Asylbewerbern besser behandelt, als sie direkten Zugang zum Asylverfahren hätten und ihnen eine Rosa Karte ausgestellt werde. Zugleich aber würden die Anhörungen am Flughafen Athen oft nicht sachgerecht durchgeführt, da meist unqualifizierte Sprachmittler statt ausgebildete Dolmetscher eingesetzt würden, die Anhörungen nur drei bis vier Minuten dauerten und es keine Rückübersetzungen gebe. Häufiger fänden überhaupt keine Anhörungen statt, stattdessen müssten die Rückkehrenden in einem Formular auf fünf Zeilen in ihrer eigenen Sprache beschreiben, warum sie nach Griechenland gekommen seien. Dublin-Rückkehrer würden zudem bei der Unterkunftssuche nicht bevorzugt behandelt, blieben deshalb obdachlos und wären gar nicht in der Lage, eine Adresse zu registrieren (S. 10, 15). Ohne Registrierung eines Wohnsitzes droht jedoch die öffentliche Zustellung einer (zumeist ablehnenden) Entscheidung, von der in der Regel nicht innerhalb der Rechtsbehelfsfristen Kenntnis erlangt wird (Pro Asyl, Zur aktuellen Situation von Asylsuchenden in Griechenland, Stellungnahme vom 19.02.2009, S. 28).
21 
Das Risiko der Obdachlosigkeit wird von der Kammer als äußerst groß eingestuft, da nur rund 900 Aufnahmeplätze für jährlich rund 25.000 Asylbewerber bereitstünden (S. 7) und zudem im Sommer 2009 ein Flüchtlingslager abgerissen worden sei (S. 10). Wenn daher die Möglichkeit, bei Bedarf Unterkunft zu beanspruchen, im Ergebnis leerläuft, dürfte dies auch für die Möglichkeit gelten, Verpflegung und medizinische Versorgung zu beanspruchen. Insoweit heißt es in dem Bericht, dass die Deckung der materiellen Grundbedürfnisse für Asylsuchende in Griechenland nicht gewährleistet sei, die vorgesehenen Tagegelder bisher noch nicht ausbezahlt würden und der Zugang zum Gesundheitssystem nicht immer möglich sei. Personen, die nicht in den Aufnahmeeinrichtungen lebten, bekämen weder finanzielle Unterstützung noch Essen, Kleider oder andere Hilfe vom griechischen Staat. Die Kammer hält diese Ausführungen für glaubwürdig und überzeugend. Sie stammen von einer staatlichen Behörde, die selbst für die Durchführung von Asylverfahren zuständig ist, und entsprechen weiteren Erkenntnismitteln. Auch das Auswärtige Amt teilte dem VG Stuttgart mit Schreiben vom 14.07.2009 mit, dass Griechenland den Asylantragstellern nur in seltenen Fällen eine Unterkunft zuweise. Auch sei der jederzeitige Zugang zum Dienstgebäude der Ausländerbehörde nicht als gesichert anzusehen, da für 1.000 bis 2.000 Wartende nur 400 Plätze zur Verfügung stünden, von denen allerdings nach Auskunft des Behördenleiters 250 Plätze für prioritäre Fälle wie z.B. Dublin-Rückkehrer reserviert seien. Auch der Menschenrechtskommissar des Europarates kritisiert in seinem Bericht vom 04.02.2009 u.a. die mangelhafte Unterbringungssituation. Insbesondere aufgrund der beiden erstgenannten Stellungnahmen von Institutionen, die nicht im Verdacht stehen, primär die Interessen von Flüchtlingen im Blick zu haben, bedarf es keiner Auseinandersetzung mit dem Dienstreisebericht der Beklagten vom letzten Dezember und der daran von Nichtregierungsorganisationen geübten Kritik (vgl. Pro Asyl, Stellungnahme vom 19.02.2009).
22 
Die Prüfung der Verhältnisse in Griechenland ist trotz Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG und des darin zum Ausdruck kommenden Konzepts der normativen Vergewisserung möglich. Zwar gilt Griechenland kraft Verfassung als sicherer Drittstaat. Nicht von Bedeutung ist dabei, ob und in welchem Maße EU-Richtlinien zur Harmonisierung des Asylrechts von Griechenland rechtlich umgesetzt worden sind und tatsächlich beachtet werden. Art. 16a Abs. 2 GG und die Erklärung Griechenlands zum sicheren Drittstaat wurden vom Bundesverfassungsgericht im Urteil vom 14.05.1996 (2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93; BVerfGE 94, 49) nicht für verfassungswidrig gehalten, obwohl eine Harmonisierung damals „noch in den Anfängen“ stand (S. 89). Es ist grundsätzlich nicht ermessensfehlerhaft, wenn die Beklagte dieser Einschätzung des verfassungsändernden Gesetzgebers (weiterhin) folgt, obwohl mittlerweile die Harmonisierung des Asylrechts auf Ebene der Europäischen Union vorangeschritten ist.
23 
Dem Konzept der normativen Vergewisserung sind jedoch Grenzen gesetzt, wie auch das Bundesverfassungsgericht anerkannt hat. Außerhalb dieser Grenzen liegt etwa der Fall, dass „sich die für die Qualifizierung als sicher maßgeblichen Verhältnisse im Drittstaat schlagartig geändert haben und die gebotene Reaktion der Bundesregierung nach § 26a Abs. 3 AsylVfG hierauf noch aussteht“. Auch in seiner einstweiligen Anordnung vom 08.09.2009 (2 BvQ 56/09) hält das Bundesverfassungsgericht Grenzen des Konzepts der normativen Vergewisserung auch bezogen auf Staaten, die kraft Verfassung sichere Drittstaaten sind, für möglich. Die Missstände in Griechenland haben nach Auffassung der Kammer ein Ausmaß erreicht, das eine Reaktion des Gemeinschaftsgesetzgebers nach sich ziehen muss. Die Europäische Kommission hat daher auch vorgeschlagen, die Dublin II VO dahin zu ändern, dass ein Mitgliedstaat bei einem unerwartet hohen Aufkommen von Asylbewerbern das Dublinsystem vorübergehend aussetzen könne (vgl. Europäische Asylpolitik, Gemeinsame Stellungnahme zum derzeitigen Stand der Harmonisierung des europäischen Flüchtlingsrechts, Amnesty Asyl-Info 2009, S. 17, 26). Auch wurde Griechenland wegen „unhaltbarer Zustände“ in seinen Flüchtlingslagern von den EU-Innenministern kritisiert (NZZ online, Nachricht 21.09.2009, Streit über Flüchtlingspolitik in Europa spitzt sich zu, http://www.nzz.ch/nachrichten/international/ eu_fluechtlinge_1.3625121.html).
24 
Die Situation ist daher mit der vom BVerfG als Ausnahme umschriebenen vergleichbar, dass eine schlagartige (oder jedenfalls massive) Änderung der Situation eingetreten ist und eine beabsichtigte Änderung der Rechtslage von den zuständigen Organen noch nicht umgesetzt worden ist. Eine Aussetzung der Dublin II VO auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene hätte aufgrund des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts schon unabhängig von Art. 16a Abs. 5 GG auch zur Folge, dass der Ausschlussgrund des Abs. 2 Satz 1 nicht einschlägig wäre.
25 
Die Beklagte ist daher aufgrund der Ausnahmesituation verpflichtet, bei ihrer Ermessensentscheidung nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO trotz der normativen Vergewisserung die tatsächlichen Verhältnisse in Griechenland zu berücksichtigen. Aufgrund der weit überwiegenden Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger dort kein Asylverfahren unter Erfüllung der elementaren Lebensbedürfnisse wird durchführen können, ist das Ermessen auch auf Null reduziert, d.h. die Beklagte ist verpflichtet, von ihrem Selbsteintrittsrecht zugunsten des Klägers Gebrauch zu machen.
26 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylVfG. Das Gericht macht von der Möglichkeit, das Urteil bezüglich der Kosten für vorläufig vollstreckbar zu erklären, keinen Gebrauch (§ 167 Abs. 2 VwGO).

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts (Anfechtungsklage) sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts (Verpflichtungsklage) begehrt werden.

(2) Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Tenor

Dem Regierungspräsidium Kassel wird im Wege der einstweiligen Anordnung die Vollziehung der Abschiebung des Beschwerdeführers nach Griechenland vorläufig untersagt.

...

Gründe

1

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 32 Abs. 1 BVerfGG in einem Verfahren betreffend die Überstellung eines afghanischen Asylantragstellers nach Griechenland in Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 (ABl Nr. L 50 S. 1) zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist, hat Erfolg.

2

1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde erwiese sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Bei offenem Ausgang des Verfassungsbeschwerdeverfahrens muss das Bundesverfassungsgericht die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegen die Nachteile abwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde der Erfolg aber zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 88, 25 <35>; 89, 109 <110 f.>; stRspr).

3

2. Dem Erlass einer einstweiligen Anordnung steht nicht entgegen, dass die Verfassungsbeschwerde offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet wäre.

4

Die Verfassungsbeschwerde kann Anlass zur Untersuchung geben, ob und gegebenenfalls welche Vorgaben das Grundgesetz in Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG und Art. 16a Abs. 2 Sätze 1 und 3 GG für die fachgerichtliche Prüfung der Grenzen des Konzepts der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfGE 94, 49 <99 f.>) bei der Anwendung von § 34a Abs. 2 AsylVfG trifft, wenn Gegenstand des Eilrechtsschutzantrags eine beabsichtigte Abschiebung in einen nach der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 zuständigen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union ist. Es könnte dabei auch zu klären sein, ob und welche Vorgaben das Grundgesetz zur Gewährung vorläufigen Schutzes für den Zeitraum trifft, den die Organe der Europäischen Union benötigen, Erkenntnisse über für Asylsuchende bedrohliche tatsächliche oder rechtliche Defizite des Asylsystems eines Mitgliedstaats auszuwerten und erforderliche Maßnahmen durchzusetzen. Bei der Würdigung von Art. 16a Abs. 2 und Abs. 5 GG sowie Art. 19 Abs. 4 GG könnten in diesem Zusammenhang auch die Anforderungen des Rechts der Europäischen Union zur Erhaltung und Weiterentwicklung der Union als Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (vgl. Art. 2 4. Spiegelstrich EUV; vgl. zur Rechtslage seit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon : Art. 67 AEUV und Art. 77 - 80 AEUV) eine Rolle spielen, da der verfassungsändernde Gesetzgeber mit der Einführung von Art. 16a GG die Grundlage für eine europäische Gesamtregelung der Schutzgewährung für Flüchtlinge mit dem Ziel einer Lastenverteilung zwischen den an einem solchen System beteiligten Staaten geschaffen hat (vgl. BVerfGE 94, 49 <85>).

5

Angesichts dieser offenen Fragen ist nicht zu erkennen, dass die Verfassungsbeschwerde offensichtlich unbegründet wäre. Auch unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich gerichtsbekannten, umfangreichen Stellungnahmen verschiedener Organisationen zur Situation von Asylantragstellern in Griechenland können die Erfolgsaussichten der Verfassungsbeschwerde nicht von vornherein offensichtlich verneint werden. Allerdings sind sie angesichts des Umstands, dass die Mitgliedstaaten der Europäischen Union durch den verfassungsändernden Gesetzgeber selbst zu sicheren Drittstaaten bestimmt worden sind (vgl. BVerfGE 94, 49 <88 f.>), die Vergewisserung hinsichtlich der Schutzgewährung damit durch den verfassungsändernden Gesetzgeber selbst erfolgt ist (vgl. BVerfGE 94, 49 <101>) und die Entscheidung nicht durch eine Rechtsverordnung nach § 26a Abs. 3 AsylVfG rückgängig gemacht werden kann, auch nicht offensichtlich zu bejahen.

6

3. Bliebe dem Beschwerdeführer der begehrte Erlass der einstweiligen Anordnung versagt, obsiegte er aber in der Hauptsache, könnten möglicherweise bereits mit der Abschiebung oder in ihrer Folge eingetretene Rechtsbeeinträchtigungen nicht mehr verhindert oder rückgängig gemacht werden (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 8. September 2009 - 2 BvQ 56/09 -, NVwZ 2009, S. 1281). Die Nachteile, die entstünden, wenn die einstweilige Anordnung erginge, dem Beschwerdeführer der Erfolg in der Hauptsache aber versagt bliebe, wiegen dagegen hier weniger schwer. Insbesondere widerspricht die Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz im Überstellungsverfahren nicht unionsrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland. Eine unionsrechtliche Pflicht zum Ausschluss des vorläufigen Rechtsschutzes bei Überstellungen nach der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 besteht nicht. Vielmehr sieht das Unionsrecht die Möglichkeit der Gewährung vorläufigen fachgerichtlichen Rechtsschutzes gegen Überstellungen an den zuständigen Mitgliedstaat nach Art. 19 Abs. 2 Satz 4 und Art. 20 Abs. 1 Buchstabe e Satz 4 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 selbst vor.

7

4. Die Entscheidung über die Erstattung von Auslagen folgt aus § 34a Abs. 2 und 3 BVerfGG. Damit erledigt sich der Antrag des Beschwerdeführers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts für das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Tenor

Die einstweilige Anordnung vom 22. Dezember 2009 wird für die Dauer von weiteren sechs Monaten, längstens bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde, wiederholt.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Tenor

Die einstweilige Anordnung vom 13. November 2009 wird für die Dauer von weiteren sechs Monaten, längstens bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde, wiederholt.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.