Verwaltungsgericht Gelsenkirchen Urteil, 02. Juni 2014 - 5a K 3664/13.A

ECLI:ECLI:DE:VGGE:2014:0602.5A.K3664.13A.00
02.06.2014

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.


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Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Zivilprozessordnung - ZPO | § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung


Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:1.Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;2.Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;3.Urteile, dur

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 167


(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs. (2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungskl

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 60 Verbot der Abschiebung


(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalit

Gesetz


Aufenthaltsgesetz - AufenthG

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 2


(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unver

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 6


(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung. (2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinsc

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 108


(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. (2) Das Urteil darf nur auf Tatsache

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 1


(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. (2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen G

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 60a Vorübergehende Aussetzung der Abschiebung (Duldung)


(1) Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 102


(1) Sobald der Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt ist, sind die Beteiligten mit einer Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen, bei dem Bundesverwaltungsgericht von mindestens vier Wochen, zu laden. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende di

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Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz Urteil, 21. März 2012 - 8 A 11048/10

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Tenor Die Berufung der Beklagten gegen das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 11. April 2007 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Koblenz wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte verpflichtet wird festzustellen, dass im

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 06. März 2012 - A 11 S 3177/11

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Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 06. März 2012 - A 11 S 3070/11

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Tenor Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 23. September 2011 - A 8 K 878/11 - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte verpflichtet wird, bei dem Kläger das Vorliegen eines unionsrechtlich

Oberverwaltungsgericht des Saarlandes Urteil, 16. Sept. 2011 - 3 A 352/09

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Tenor Die Berufung wird zurückgewiesen.Gerichtskosten werden nicht erhoben. Der Kläger trägt die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens.Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.Die Revision wird nicht zugelassen. Tat

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 14. Mai 2009 - A 11 S 610/08

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Tenor Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 19. September 2007 - A 6 K 4738/07 - wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die Kosten des - gerichtskostenfreien - Berufungsverfahrens.
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Verwaltungsgericht Aachen Urteil, 10. Nov. 2014 - 7 K 2575/13.A

bei uns veröffentlicht am 10.11.2014

Tenor Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden. 1Tatbestand 2Der nach eigenen Angaben am 00. 00. 1984 in B.       in der Provinz E.        geborene Kläger ist afghanischer St

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(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Sobald der Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt ist, sind die Beteiligten mit einer Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen, bei dem Bundesverwaltungsgericht von mindestens vier Wochen, zu laden. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende die Frist abkürzen.

(2) Bei der Ladung ist darauf hinzuweisen, daß beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann.

(3) Die Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit können Sitzungen auch außerhalb des Gerichtssitzes abhalten, wenn dies zur sachdienlichen Erledigung notwendig ist.

(4) § 227 Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozeßordnung ist nicht anzuwenden.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben. Der Kläger trägt die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der laut eigenen Angaben 1982 in Erbil geborene Kläger ist irakischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit. Anfang Oktober 2005 reiste er nach eigenem Bekunden auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte hier - unter einem Alias-Namen - ein Asylgesuch. Vor einer Entscheidung hierüber reiste der Kläger noch im Jahr 2005 zunächst weiter nach Belgien, sodann nach Großbritannien und stellte dort unter verschiedenen Personalien jeweils einen Asylantrag. Am 2.2.2007 wurde er in die Bundesrepublik Deutschland rücküberstellt. Am 12.2.2007 beantragte er beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge der Beklagten (Bundesamt) erneut seine Anerkennung als Asylberechtigter.

Zur Begründung seines Asylbegehrens führte der Kläger im Rahmen seiner Anhörung vor dem Bundesamt der Beklagten am selben Tag im Wesentlichen aus, sein Vater sei Grundschullehrer im Gebiet Badinan gewesen. Dieser habe seine Mutter seinerzeit entführt, weil deren Familie in eine Heirat nicht eingewilligt habe. Danach sei der Vater nach Erbil verzogen. Zwar habe sich sein Vater später mit seinem Schwiegervater versöhnt. Ein Cousin seiner Mutter sei mit der Versöhnung allerdings nicht einverstanden gewesen, da er diese habe selbst heiraten wollen. Zudem sei sein Vater Mitglied der Baath-Partei gewesen und er habe viele kurdische Feinde gehabt. Er vermute, sein Vater habe mit der Regierung zusammengearbeitet. Nach der Befreiung Kurdistans habe sein Vater nicht mehr in Erbil bleiben können und sei 1991 nach Bashir umgezogen. Etwa 10 bis 15 Tage vor seiner Ausreise im Jahr 2005 sei sein Vater vermutlich aus Rache auf dem Weg zur Schule getötet worden. Seine Schwester sei bei dem Vorfall verletzt worden. Er selbst habe zu dieser Zeit Vieh gehütet. Diejenigen Personen, die seinen Vater ermordet hätten, hätten sich in der Folge auch nach seiner Familie erkundigt und gedroht, sie ebenfalls umzubringen. Ob diese Personen Angehörige der Baath-Partei oder von dem Cousin seiner Mutter beauftragt gewesen seien, wisse er nicht. Da er als der älteste Sohn besonders gefährdet gewesen sei, habe ihn seine Familie ins Ausland geschickt. Von Iran aus sei er über den Landweg in die Bundesrepublik eingereist. Seine drei jüngeren Geschwister - zwei Schwestern und ein Bruder - seien mit der Mutter bei einer Tante in Kirkuk geblieben. Vor ca. 6 bis 7 Monaten habe er zuletzt Kontakt zu ihr gehabt. Wegen Augenproblemen sei er nur 1 ½ Jahre zur Schule gegangen und würde sich daher als Analphabet bezeichnen. Er habe keinen Beruf erlernt und bei der Tierzucht mitgeholfen. Wegen seiner Augenprobleme habe er auch keinen Wehrdienst leisten müssen. Weder mit staatlichen Stellen noch irgendwelchen Organisationen habe er selbst Schwierigkeiten gehabt.

Mit Bescheid vom 19.4.2007 lehnte das Bundesamt der Beklagten den Asylantrag des Klägers ab, stellte fest, dass weder die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG noch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen, forderte den Kläger zur Ausreise auf und drohte ihm für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise die Abschiebung in den Irak oder einen anderen Staat an, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei.

Zur Begründung ist unter Darlegung im Einzelnen ausgeführt, auf das Asylgrundrecht nach Art. 16 a Abs. 1 GG könne sich der Kläger aufgrund seiner Einreise aus einem sicheren Drittstaat nicht berufen. Es bestehe auch unter Berücksichtigung der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.4.2004 kein Abschiebungsverbot im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG. Der Kläger habe nicht glaubhaft machen können, in seiner Heimat Verfolgungsmaßnahmen im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG erlitten zu haben bzw. solche bei einer gegenwärtigen Rückkehr dorthin befürchten zu müssen. Staatliche Verfolgungsmaßnahmen habe der Kläger, der keine Schwierigkeiten mit irakischen Sicherheitskräften gehabt und sich auch nicht politisch engagiert habe, nicht geltend gemacht. Aus dem Umstand, dass der Kläger angeblich von unbekannten Personen mit dem Tode bedroht worden sei, ergebe sich auch keine nichtstaatliche Verfolgung, da eine solche Bedrohung nicht an asylerhebliche Merkmale anknüpfte. Im Übrigen sei sein Vorbringen insgesamt pauschal und unsubstantiiert geblieben sei und weise in wesentlichen Punkten erhebliche Ungereimtheiten auf. Soweit der Kläger vermute, die Bedrohung gehe von ehemaligen Baath-Parteimitgliedern aus, sei nicht nachvollziehbar, warum diese gerade den Kläger hätten bedrohen sollen, zumal er sich in keiner Weise politisch engagiert habe. Aus welchem Grund der Cousin seiner Mutter die Familie des Klägers nach so vielen Jahren mit dem Tode habe bedrohen sollen, sei ebenfalls nicht nachvollziehbar. Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG lägen ebenfalls nicht vor. Insbesondere begründe die angespannte Sicherheits- und Versorgungslage im Irak keinen Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Zwar könnten aus der allgemeinen Lage im Irak resultierende Gefahren für Leib und Leben nicht völlig ausgeschlossen werden. Die dortige Sicherheits- und Versorgungslage sei jedoch nicht derart schlecht, dass jeder Rückkehrer gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde.

Am 4.5.2007 hat der Kläger unter Verweis auf sein bisheriges Vorbringen Klage erhoben und geltend gemacht, er sei als ältester Sohn der Familie aufgrund der von ihm geschilderten Umstände im Irak Verfolgungsmaßnahmen im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG ausgesetzt gewesen. Angesichts der sich allgemein im Irak auflösenden Ordnung und der weiterhin steigenden allgemeinen Unsicherheit hätten sich gerade Fälle der sogenannten Blutrache in den letzten Jahren deutlich verstärkt. Zumindest bestehe in seinem Fall jedoch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheides vom 19.4.2007 zu verpflichten, festzustellen, dass ein Abschiebungshindernis gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG hinsichtlich des Irak vorliegt,

hilfsweise,

festzustellen, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG hinsichtlich des Irak vorliegen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Klage im Wesentlichen unter Bezugnahme auf den angefochtenen Bescheid entgegengetreten.

Mit Urteil vom 13.3.2008 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen (2 K 645/07).

Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt, die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG lägen nicht vor. Dass der Kläger einer politischen Verfolgung durch den irakischen Staat ausgesetzt gewesen wäre, habe er selbst nicht geltend gemacht. Es bestehe auch kein greifbarer Anhalt für die Annahme, dass der Kläger im Irak einer im Rahmen von § 60 Abs. 1 AufenthG beachtlichen Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure ausgesetzt gewesen wäre. Soweit sich der Kläger auf eine angeblich von unbekannten Personen ausgehende Bedrohung berufen und insoweit geltend gemacht habe, diejenigen Personen, die seinen Vater ermordet hätten, hätten auch seinen Bruder und ihn töten wollen, vermöge dieses Vorbringen die Annahme einer Verfolgung aus politischen Gründen im Sinne von § 60 Ab. 1 AufenthG schon deshalb nicht zu rechtfertigen, weil nicht erkennbar sei, dass die von dem Kläger befürchteten Racheakte an asylerheblich unverfügbare Merkmale wie etwa politische Überzeugung, Religion oder Rasse anknüpften.

Darüber hinaus habe der Kläger konkrete diesbezügliche Anhaltspunkte auch nicht ansatzweise glaubhaft dargelegt. Der Sachvortrag des Klägers sei insgesamt pauschal und unsubstantiiert geblieben und weise zudem erhebliche Ungereimtheiten auf, die der Kläger auch in der mündlichen Verhandlung nicht in nachvollziehbarer Weise aufzulösen vermocht habe. Als wenig nachvollziehbar stelle sich die Vermutung des Klägers dar, bei den Tätern handele es sich entweder um Angehörige der Familie seiner Mutter oder um Personen, denen von der Baath-Partei, der sein Vater angehört habe, Schaden zugefügt worden sei. Überzeugende Gründe hierfür habe er nicht angegeben. Unglaubhaft erscheine auch die Behauptung des Klägers, er habe nach seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland erfahren, dass Familienangehörige seiner Mutter nach ihm suchten, weshalb er nach Belgien ausgereist sei. Auch hinsichtlich der Finanzierung seiner Ausreise gebe es Widersprüche und Ungereimtheiten. Daher sei anzunehmen, dass der Kläger lediglich eine Verfolgungsgeschichte zur Stützung seines Asylbegehrens konstruiert habe.

Auch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG lägen nicht vor.

Für eine konkret-individuelle Gefährdung des Klägers im Falle seiner Rückkehr in den Irak bestehe angesichts der fehlenden Glaubhaftigkeit des klägerischen Vorbringens kein greifbarer Anhalt. Dem Kläger könne auch nicht wegen allgemeiner, im Irak bestehender Gefahren aufgrund der angespannten Sicherheitslage Abschiebungsschutz unmittelbar nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG gewährt werden, da insoweit die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG entgegenstehe.

Eine extreme Gefahrenlage, die eine derartige Sperrwirkung überwinden könne, sei nicht anzunehmen. Zwar sei die allgemeine Kriminalität im Irak nach dem Sturz des früheren Regimes stark angestiegen. Überfälle und Entführungen seien ebenso wie offene Kampfhandlungen verschiedener Gruppierungen, die auch zahlreiche Opfer unter der Zivilbevölkerung forderten, an der Tagesordnung. Auch wenn hiervon eine nicht zu unterschätzende Gefährdung für die dort lebenden Menschen ausgehe, rechtfertige ausgehend von den Angaben verschiedener Erkenntnisquellen die Anzahl der durch Terrorakte sowie andauernder Kampfhandlungen zu beklagenden zivilen Opfer in Relation zu der ca. 27,5 Millionen Menschen betragenden Bevölkerungszahl des Irak selbst unter Berücksichtigung einer „Dunkelziffer“ nicht die Annahme, jeder Iraker werde im Falle seiner Rückkehr unmittelbar und landesweit Gefahr laufen, Opfer entsprechender Anschläge oder Kampfhandlungen zu werden.

Gleiches gelte auch im Hinblick auf die allgemeine Versorgungslage im Irak. Konkrete Anhaltspunkte für eine drohende Nahrungsmittelknappheit oder gar eine Hungerkatastrophe bestünden gegenwärtig nicht.

Gegen das ihm am 9.4.2008 zugestellte Urteil hat der Kläger am 8.5.2008 Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt, dem der Senat durch Beschluss vom 5.5.2009 entsprochen hat (3 A 219/08).

Zur Begründung seiner Berufung führt der Kläger im Wesentlichen aus, ihm drohten allein schon wegen seiner sunnitischen Religionszugehörigkeit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Ermordung, Verstümmelung oder andere schwere asylrelevante Rechtsverletzungen durch nichtstaatliche Akteure. Im Irak sei eine Gruppenverfolgung von Sunniten durch Schiiten anzunehmen.

Die Sicherheitslage im Irak sei nach Beendigung der Kampfhandlungen im Mai 2003 geprägt durch terroristische Anschläge sowie durch fortgesetzte offene Kampfhandlungen zwischen militanter Opposition einerseits sowie regulären Sicherheitskräften und Koalitionsstreitkräften andererseits. Auch wenn vor allem Soldaten, Sicherheitskräfte und Politiker Hauptanschlagsziel von Terroristen seien, trage der weitgehend ungeschützte Teil der irakischen Zivilbevölkerung den Großteil der Opferlast, ohne dass Schutz gegen diese zahllosen Übergriffe erlangt werden könne.

Im Übrigen sei der Kläger aufgrund des von ihm geschilderten persönlichen Schicksals vorverfolgt aus dem Irak ausgereist.

Hinsichtlich einer Gefährdungslage im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG habe sich das Verwaltungsgericht zu Unrecht maßgeblich auf den Erwägungsgrund Nr. 26 vor Art. 1 QRL gestützt. Die Vorschrift sei gemeinschaftskonform in Anwendung des Art. 15 lit. c QRL auszulegen.

Des Weiteren legte der Kläger eine fachärztliche Bescheinigung des Facharztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie F. M. vom 5.10.2009 sowie ein Ergänzungsschreiben vom 4.1.2010 vor, wonach ihm eine hochgradige Traumatisierung und behandlungsbedürftige Belastungsstörung sowie suizidale Tendenzen bescheinigt werden. In einem weiteren Attest vom 4.7.2011 stellt der Arzt fest, dass der Kläger durch bisherige regelmäßige therapeutische Führung sowie pharmakotherapeutische Behandlung bis März 2011 eine positive Entwicklung durchlaufen habe. Der Kläger sei in der Lage gewesen, durch ein soziales Training seine Ängste schrittweise abzubauen. Es sei auch möglich gewesen, seine Pharmakotherapie auf ein Minimum als Erhaltungsdosis zu reduzieren.

Vor Beendigung seiner kassenärztlichen Tätigkeit zum 1.5.2011 habe er den Kläger am 20.4.2011 zuletzt gesehen. Für den Kläger gelte immer noch, dass er eine schwerwiegende psychische Erkrankung durch Eigenmotivation, Compliance und therapeutische Führung zum Teil habe bewältigen können. Nach Abbruch der Behandlung entstehe eine instabile Phase, weswegen der Patient besonders rückfallgefährdet sein werde.

Des Weiteren reichte der Kläger eine Stellungnahme der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie St. N., W., vom 30.11.2009 über eine stationäre Krankenhausbehandlung zu den Akten. Dort heißt es unter anderem:

„Zusammenfassend führten starke Ängste, Schwindel und Panikattacken mit sich aufdrängenden Suizidphantasien zur stationären Aufnahme. Im medizinischen Diagnosemodell wäre eine schwere depressive Episode (ICD-10: F32.2) bei V.a. posttraumatische Belastungsstörung (ICD-10: F42.1) zu beschreiben. Auf psychosozialer Ebene schien vor allem die schwierige Lebenssituation und die ständig im Hintergrund drohende Abschiebung in den Irak zu der aktuellen Symptomatik geführt zu haben.“

Der Kläger verweist insoweit darauf, dass zwei unabhängige Ärzte bzw. Institutionen eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) angenommen hätten. Soweit im Attest der Klinik lediglich von einem „Verdacht auf PTBS“ die Rede sei, sei dies darauf zurückzuführen, dass dort keine umfassende Anamnese und Diagnose erstellt worden sei. Sowohl die privatärztlichen als auch die klinische Bescheinigung bestätigten eine psychische Erkrankung des Klägers. In dem äußerst prekären Gesundheitssystem des Irak stünden kaum psychologische, psychotherapeutische oder psychiatrische Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung. Die wenigen, überwiegend in privaten Kliniken bestehenden Möglichkeiten seien für einen „Normalbürger“ nicht finanzierbar. Gleiches gelte für die Versorgung mit Medikamenten unabhängig von der Frage, ob diese im Irak überhaupt vorhanden seien.

Ferner legte der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ein Attest der Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. W. vom 15.9.2011 vor, in dem ausgeführt ist, beim Kläger liege diagnostisch eine in erster Linie reaktiv bedingte depressive Störung vor.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des aufgrund mündlicher Verhandlung vom 13. März 2008 ergangenen Urteils des Verwaltungsgerichts des Saarlandes - 2 K 645/07 - die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 19. April 2007 zu verpflichten, festzustellen, dass Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen,

hilfsweise,

festzustellen, dass die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG vorliegen,

weiter hilfsweise,

festzustellen, dass die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG in Bezug auf den Irak vorliegen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie führt im Wesentlichen aus, das pauschale, unsubstantiierte und widersprüchliche Vorbringen des Klägers zu seinen individuellen Verfolgungsgründen sei unglaubhaft und rechtfertige bereits deshalb nicht die Feststellung des Vorliegens von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 1 AufenthG.

Ebenso wenig könne subsidiärer Schutz nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG i.V.m. Art. 15 lit.c QRL - gewährt werden, da die erforderliche Verdichtung allgemeiner Gefahren für die Zivilbevölkerung im Irak selbst in Konfliktregionen nicht angenommen werden könne.

Von einer Zuspitzung der Gefahr durch individuelle Umstände könne im Fall des Klägers ebenfalls nicht ausgegangen werden.

Was die geltend gemachte psychische Erkrankung des Klägers anbelange, genüge das fachärztliche Gutachten vom 5.10.2009 bereits nicht den Mindestanforderungen, die Anlass zu einer weiteren Sachaufklärung böten. Die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung sei nicht hinreichend dargelegt. Darüber hinaus stünden die ärztlichen Ausführungen in Widerspruch zu den eigenen Schilderungen des Klägers.

Auch der Behandlungsbericht des St. N. Hospitals vom 23.11.2009 habe sich auf die Diagnose einer schweren depressiven Episode bei „Verdacht auf“ PTBS beschränkt, ohne dies mit heimatbezogenen Erlebnissen in Verbindung zu bringen. Eine zielstaatsbezogene Re-Traumatisierung sei daher nicht zu erwarten. Den ärztlichen Attesten lasse sich auch nicht entnehmen, auf welche medikamentöse Behandlung der Kläger derzeit unverzichtbar angewiesen sei, um eine alsbaldige erhebliche Verschlechterung seines Gesundheitszustandes zu vermeiden. Hinsichtlich der psychiatrischen Versorgung sei im Übrigen nach Berichten der WHO in den letzten Jahren eine tendenziell verbesserte Situation festzustellen.

Der Senat hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 16.9.2011 zu seinen Asylgründen informatorisch angehört. Wegen des Ergebnisses der Anhörung wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsunterlagen der Beklagten und der Ausländerbehörde verwiesen, der ebenso wie die bei Gericht geführte Dokumentation Irak, insbesondere hinsichtlich der in der Anlage zur Sitzungsniederschrift bezeichneten Teile, zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurde.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Der Bescheid der Beklagten vom 19.4.2007 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO).

Dem Kläger steht nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) kein Anspruch auf Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG zu. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor.

I.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 3 Abs. 3 AsylVfG.

Die von dem Kläger begehrte Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 3 Abs. 3 AsylVfG ist abzulehnen, weil er nicht glaubhaft darlegen konnte, dass er aus begründeter Furcht vor (bereits erlittener oder unmittelbar bevorstehender) politischer Verfolgung aus seinem Heimatland ausgereist ist bzw. dass ihm gegenwärtig eine solche aus den in § 60 Abs. 1 AufenthG genannten Gründen droht. Er ist im Oktober 2005 unverfolgt aus dem Irak ausgereist und muss im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit befürchten, bei einer Rückkehr dorthin relevanten Verfolgungsmaßnahmen im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG ausgesetzt zu sein.

Nach § 60 Abs. 1 AufenthG darf in Anwendung des Abkommens vom 28.6.1951 über die Rechtstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist, wobei eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe nach § 60 Abs. 1 Satz 3 AufenthG auch dann vorliegen kann, wenn die Bedrohung an das Geschlecht anknüpft. Eine Verfolgung in diesem Sinne kann nach § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG von dem Staat (lit. a), Parteien und Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen (lit. b) oder von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern die unter lit. a und b genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht, es sei denn, es besteht eine inländische Fluchtalternative (lit. c).

Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 3 Abs. 3 AsylVfG unterliegt im Wesentlichen den gleichen Anforderungen, nach denen auch eine Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16 a Abs. 1 GG erfolgt

hierzu etwa BVerwG, Urteil vom 29.5.2008 - 10 C 11.07 -, BVerwGE 131, 186 ff.; zur Vorgängerregelung des § 51 Abs. 1 AuslG: BVerwG, Urteil vom 18.2.1992 - 9 C 59.91 -, DÖV 1992, 582 f., zur Deckungsgleichheit von Art. 16 a Abs. 1 GG und § 51 Abs. 1 AuslG mit dem Flüchtlingsbegriff der Genfer Konvention: BVerwG, Urteil vom 26.10.1993 - 9 C 50.92 u.a. -, NVwZ 1994, 500 ff.

Auch die Annahme einer relevanten Verfolgungssituation i.S.d. § 60 Abs. 1 AufenthG setzt voraus, dass eine spezifische Zielrichtung vorliegt, d.h. die Verfolgung muss nach ihrer erkennbaren Gerichtetheit an die vorstehend genannten Merkmale anknüpfen. An einer solchen gezielten Rechtsverletzung fehlt es indes regelmäßig bei Nachteilen, die jemand aufgrund der allgemeinen Zustände in seinem Herkunftsland zu erleiden hat, etwa infolge von Naturkatastrophen, Arbeitslosigkeit, einer schlechten wirtschaftlichen Lage oder infolge allgemeiner Auswirkungen von Unruhen, Revolutionen und Kriegen

hierzu BVerfG, Beschluss vom 10.7.1989 - 2 BvR 502/86 u.a. -, BVerfGE 80, 315 ff.; BVerwG, Urteil vom 5.7.1994 - 9 C 158.94 -, BVerwGE 96, 200 ff.; siehe in diesem Zusammenhang auch Art. 9 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.4.2004 (sog. Qualifikationsrichtlinie - QRL -).

Allerdings geht der Flüchtlingsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG teilweise über den Schutz des Asylgrundrechts nach Art. 16 a GG hinaus. So kann gemäß § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG eine Verfolgung auch durch nichtstaatliche Akteure ein Abschiebungsverbot begründen.

Für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegt, sind zudem gemäß § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG die Bestimmungen der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.4.2004 (sog. Qualifikationsrichtlinie - QRL -) ergänzend anzuwenden, so insbesondere Art. 4 Abs. 4 sowie Art. 7 bis 10.

Die zum Asylgrundrecht nach Art. 16 a GG in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts entwickelten unterschiedlichen Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe, je nach dem, ob der Ausländer seinen Heimatstaat auf der Flucht vor eingetretener oder unmittelbar drohender politischer Verfolgung verlassen hat oder ob er unverfolgt ausgereist ist

vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 2.7.1980 - 1 BvR 147/80 u.a. -, BVerfGE 54, 341, und vom 10.7.1989 - 2 BvR 502/86 u.a. -, BVerfGE 80, 315

haben in die Qualifikationsrichtlinie keinen Eingang gefunden. Der sog. herabgestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab der hinreichenden Sicherheit ist insoweit durch die Nachweiserleichterung in Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie ersetzt worden, die sowohl für den Flüchtlingsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG als auch für die weiteren unionsrechtlichen und nationalen Abschiebungsverbote des § 60 AufenthG gilt. Als Prognosemaßstab ist daher allein der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen

vgl. BVerwG, Urteile vom 1.6.2011 - 10 C 10.10 und 10 C 25.10, vom 27.4.2010 - BVerwG 10 C 5.09 - und vom 7.9.2010 - 10 C 11.09 -, siehe auch EuGH, Urteil vom 2.3.2010, Rs. C-175/08 u.a., Abdulla u.a., OVG Münster, Urteil vom 17.8.2010 - 8 A 4063/06.A -, jeweils zitiert nach juris.

Nach Art. 4 Abs. 4 QRL i.V.m. § 60 Abs. 1 Satz 5, Abs. 11 AufenthG ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird.

Die Vorschrift des Art. 4 Abs. 4 QRL begründet mithin für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare tatsächliche Vermutung dafür, dass sie erneut von einer Verfolgung oder einem sonstigen ernsthaften Schaden bedroht sind. Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadensstiftenden Umstände bei der Rückkehr erneut realisieren werden. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit einer Verfolgung bzw. des Eintritts eines sonstigen ernsthaften Schadens entkräften. Dies ist im Rahmen freier Beweiswürdigung zu beurteilen

vgl. BVerwG, Urteile vom 27.4.2010 - 10 C 5.09 - und vom 7.9.2010 - 10 C 11.09 - m.w.N., zitiert nach juris.

Die bereits erlittener Verfolgung gleichzustellende unmittelbar drohende Verfolgung setzt eine Gefährdung voraus, die sich schon so weit verdichtet hat, dass der Betroffene für seine Person ohne Weiteres mit dem jederzeitigen Verfolgungseintritt aktuell rechnen musste

vgl. BVerwG, Urteil vom 24.11.2009 - 10 C 24.08 - m.w.N., zitiert nach juris.

Aus den in Art. 4 QRL geregelten Mitwirkungs- und Darlegungsobliegenheiten des Schutzsuchenden folgt, dass es auch unter Berücksichtigung der Vorgaben dieser Richtlinie Sache des Ausländers ist, die Gründe für seine Furcht vor politischer Verfolgung schlüssig vorzutragen. Er ist gehalten, unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung politische Verfolgung im genannten Sinne droht. Hierzu gehört, dass der Ausländer zu den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere zu seinen persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung gibt, die geeignet ist, den behaupteten Anspruch lückenlos zu tragen.

Das Gericht muss dabei die volle Überzeugung von der Wahrheit des behaupteten individuellen Schicksals und von der Richtigkeit der Prognose drohender politischer Verfolgung gewinnen. Aufgrund der Beweisschwierigkeiten, in denen sich der Schutzsuchende hinsichtlich der asylbegründenden Vorgänge im Heimatland regelmäßig befindet, muss sich das Gericht jedoch mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad an Gewissheit begnügen, auch wenn Zweifel nicht völlig ausgeschlossen werden können. Es genügt insoweit in der Regel Glaubhaftmachung, während für Vorgänge innerhalb des Zufluchtlandes - prinzipiell - der volle Nachweis zu fordern ist. Bei erheblichen Widersprüchen oder Steigerungen im Sachvortrag indes kann dem Kläger nur bei einer überzeugenden Auflösung der Unstimmigkeiten geglaubt werden

vgl. BVerwG, Entscheidungen vom 21.7.1989 - 9 B 239.89 -, vom 16.4.1985 - 9 C 109.84 - und vom 29.11.1977 - 1 C 33.71 -, jeweils zitiert nach juris.

Von diesen Maßstäben ausgehend kann der Kläger auch unter Anwendung der Bestimmungen der sog. Qualifikationsrichtlinie die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG hinsichtlich einer Abschiebung in den Irak nicht beanspruchen. Das gilt sowohl im Hinblick auf sein Individualschicksal als auch im Hinblick auf die zu verneinende Gruppenverfolgung wegen seiner sunnitischen Religionszugehörigkeit und kurdischen Volkszugehörigkeit.

Der Kläger ist im Oktober 2005 unverfolgt ausgereist.

Zu seinem Individualschicksal hat er bekundet, er habe sich niemals selbst politisch betätigt und vor seiner Ausreise auch keinerlei Probleme mit irakischen hoheitlichen Stellen gehabt. Als verfolgungsbegründend führt er allein einen kurz vor seiner Ausreise im Oktober 2005 angeblich erfolgten Überfall an, bei dem sein Vater durch dem Kläger unbekannte Täter getötet und seine Schwester verletzt worden sein soll. Bezüglich der Urheberschaft des Vorfalls und der dafür maßgeblichen Motivation hat er die Vermutung geäußert, er gehe entweder auf die frühere Mitgliedschaft seines Vaters in der Baath-Partei oder auf einen Racheakt von Familienmitgliedern seiner Mutter, die sein Vater seinerzeit gegen den Willen der Eltern geehelicht habe, zurück.

Aus diesem Vortrag kann auf eine den Anforderungen des § 60 Abs. 1 AufenthG entsprechende staatliche oder nichtstaatliche Individualverfolgung des Klägers vor seiner Ausreise nicht geschlossen werden.

Dies gilt selbst dann, wenn ungeachtet der bestehenden erheblichen Zweifel an der Glaubhaftigkeit seines Vorbringens insgesamt in diesem Punkt zu seinen Gunsten unterstellt wird, dass der Vorfall selbst mit den beschriebenen Folgen tatsächlich stattgefunden hat, was angesichts der allgemeinen Lage im Irak durchaus im Bereich des Möglichen erscheint, ebenso wie eine Unaufklärbarkeit von Hintergründen und Motiven

vgl. hierzu Urteil des Senats vom 1.6.2011 – 3 A 429/08 – dokumentiert bei juris.

Im Grundsatz geht der Senat, wie bereits das Verwaltungsgericht, von einer weitgehend konstruierten Verfolgungsgeschichte aus. Hierzu wird zunächst auf die eingehenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu unterschiedlichen Varianten und Widersprüchen im Vortrag des Klägers Bezug genommen.

Nur beispielhaft sei an dieser Stelle darauf verwiesen, dass er auch widersprüchliche Angaben bezüglich der Finanzierung seiner Ausreise – in einer Variante durch seine Mutter, in einer andern durch seine Mutter und eine Tante und zuletzt durch seinen Großvater väterlicherseits – gemacht hat, ebenso bezüglich der Finanzierung seiner Bahnfahrt nach Belgien, und dass er zudem vor dem Bundesamt angegeben hatte, er habe wegen eines Augenleidens nur 1 ½ Monate die Schule besuchen können und sei als Schafhirte tätig gewesen, während er vor dem Senat nicht nur erklärte, er könne (sogar) die deutsche Sprache lesen und auch schreiben, sondern auch, er sei von Beruf Installateur für Heizung und Sanitär, wenn auch mit der Einschränkung, dass er keine Ausbildung habe, die für Deutschland gültig sei.

Denn ungeachtet dessen enthält der Vortrag des Klägers zu dem zu seinem Gunsten als glaubhaft unterstellen Vorfall der Tötung seines Vaters und Verletzung seiner Schwester zum einen keinerlei konkrete Anhaltspunkte, welche geeignet sind, die eine oder die andere von ihm geäußerte Vermutung zu Urheberschaft und Motivation zu stützen, und zum anderen erscheinen beide Vermutungen auch nicht plausibel im Hinblick auf eine eigene Verfolgungsgefahr für den Kläger.

Soweit der Kläger die Mutmaßung eines Racheakts von Familienmitgliedern seiner Mutter angestellt hat, erscheint schon der Ausgangspunkt dieser Überlegung nicht plausibel. Es erscheint nicht nachvollziehbar, dass nach einer Zeitspanne von 30 Jahre, nachdem der Vater des Klägers dessen Mutter gegen den Willen der Familie „entführt“ haben soll, und insbesondere, nachdem zwischenzeitlich sogar eine Versöhnung mit dem Vater seiner Mutter, d.h. dem Oberhaupt der mütterlichen Verwandtschaft erfolgt sein soll, Angehörige seiner Mutter an seinem Vater Rache genommen und ihn getötet haben sollen. Hätten derartige Nachstellungen, insbesondere seitens des angeblich ebenfalls heiratswilligen Cousins der Mutter gedroht, so wären sie zeitnah zu erwarten gewesen. Die weitere Frage der Beachtlichkeit einer derartigen Bedrohung im Rahmen des § 60 Abs. 1 AufenthG bedarf mit Rücksicht hierauf keiner Erörterung.

Soweit der Kläger die Mutmaßung eines Racheakts wegen der Mitgliedschaft bzw. Mitarbeit seines Vaters in der Baath-Partei angestellt hat, vermag auch dies nicht zur Annahme einer Individualverfolgung des Klägers im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG zu führen. Zum einen waren zum damaligen Zeitpunkt von derartigen Anschlägen allenfalls hochrangige Funktionäre der Baath-Partei betroffen, die persönlich Verbrechen oder Grausamkeiten verübt hatten, nicht aber sonstige Parteimitglieder, und zum anderen waren selbst in diesen Sonderfällen nur die betreffenden Parteifunktionäre selbst, nicht aber deren Familienangehörige gefährdet

hierzu etwa Schweizerische Flüchtlingshilfe - SFH - vom 27.1.2006, Zur Gefährdung von ehemaligen Mitgliedern der Baath-Partei; Deutsches Orient-Institut - DOI - an VG München vom 1.9.2006 (2112 al/br.) zu Az. M 9 K 05.50273; EZKS, Stellungnahmen an VG Köln vom 17.12.2004 im Falle des Sohnes eines Einsatzleiters einer Sonderstreife in Mossul, der mit dem Geheimdienst zusammengearbeitet hatte, sowie Urteil des Senats vom 1.6.2011 – 3 A 429/08 – dokumentiert bei juris.

Eine nach dem von ihm geschilderten Angriff unmittelbar bevorstehende Gefahr entsprechender Verfolgung (auch) des Klägers ist daher zu verneinen.

Der Kläger war zum Zeitpunkt seiner Ausreise auch nicht mit Rücksicht auf seine kurdische Volkszugehörigkeit und sunnitische Religionszugehörigkeit vorverfolgt. Eine an diese Merkmale anknüpfende Gruppenverfolgung im Irak war und ist zu verneinen

vgl. hierzu bereits Urteile des Senats vom 29.9.2006 - 3 R 6/06 -und vom 1.6.2011 - 3 A 429/08 - dokumentiert bei juris, letzteres betreffend einen sunnitischen Kurden aus Mossul.

Dabei ist im Einzelnen von Folgendem auszugehen: Die Gefahr einer Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG kann sich nicht nur aus gegen den Betroffenen selbst gerichteten Maßnahmen (anlassgeprägte Einzelverfolgung), sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen ergeben, wenn diese Dritten wegen eines relevanten Merkmals verfolgt werden, das der Asylbewerber mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet (sog. Gruppenverfolgung)

hierzu etwa BVerfG, Beschluss vom 23.1.1991 - 2 BvR 902/85 u.a. -, BVerfGE 83, 216 ff.

Die Annahme einer Gruppenverfolgung setzt dabei zunächst voraus, dass die festgestellten Maßnahmen die von ihnen Betroffenen gerade in Anknüpfung an das die verfolgte Gruppe kennzeichnende relevante Merkmal treffen. In Betracht kommt eine unmittelbare Anknüpfung an das die Verfolgung begründende Gruppenmerkmal - etwa die Volks- oder Religionszugehörigkeit - aber auch eine Verfolgung, der dieses Merkmal mittelbar zugrunde liegt.

Die Annahme einer Gruppenverfolgung setzt ferner eine bestimmte Verfolgungsdichte voraus. Der Feststellung dicht und eng gestreuter Verfolgungsschläge bedarf es allerdings dann nicht, wenn hinreichend sichere Anhaltspunkte für ein staatliches Verfolgungsprogramm bestehen, dessen Umsetzung bereits eingeleitet ist oder alsbald bevorsteht

hierzu BVerwG, Entscheidungen vom 2.2.2010 - 10 B 18.09 -, vom 18.7.2006 - 1 C 15.05 - und vom 5.7.1994 - 9 C 158.94 -, jeweils zitiert nach juris,

was vorliegend jedoch nicht der Fall ist.

Für die Feststellung der sonst erforderlichen Verfolgungsdichte ist eine so große Vielzahl von Eingriffshandlungen in nach § 60 Abs. 1 AufenthG geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne Weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht

hierzu etwa BVerwG, Entscheidungen vom 2.2.2010 - 10 B 18.09 - und vom 21.4.2009 - 10 C 11.08 -, jeweils zitiert nach juris.

Für die Beurteilung, ob die Verfolgungsdichte die Annahme einer Gruppenverfolgung rechtfertigt, müssen Intensität und Anzahl aller Verfolgungshandlungen zur Größe der Gruppe in Beziehung gesetzt werden. Allein die Feststellung „zahlreicher“ oder „häufiger“ Eingriffe reicht nicht aus. Denn eine bestimmte Anzahl von Eingriffen, die sich für eine kleine Gruppe von Verfolgten möglicherweise bereits als bedrohlich erweist, kann bei einer großen Gruppe vergleichsweise geringfügig erscheinen, weil sie in Bezug auf die Zahl der Gruppenmitglieder nicht ins Gewicht fällt und sich deshalb nicht als Bedrohung der Gruppe darstellt.

Bei der Prüfung einer Gruppenverfolgung sind die zahlenmäßigen Grundlagen der gebotenen Relationsbetrachtung zur Verfolgungsdichte nicht mit quasi naturwissenschaftlicher Genauigkeit festzustellen, sondern es genügt, die ungefähre Größenordnung der Verfolgungsschläge zu ermitteln und sie in Beziehung zur Gesamtgruppe der von Verfolgung Betroffenen zu setzen. Dabei darf bei unübersichtlicher Tatsachenlage und nur bruchstückhaften Informationen aus einem Krisengebiet auch aus einer Vielzahl vorliegender Einzelinformationen eine zusammenfassende Bewertung des ungefähren Umfangs der asylerheblichen Verfolgungsschläge und der Größe der verfolgten Gruppe erfolgen. Auch für die Annahme einer erheblichen Dunkelziffer nicht bekannter Übergriffe müssen die gerichtlichen Feststellungen zur Größenordnung der Gesamtheit der Anschläge aber in nachvollziehbarer und überprüfbarer Weise begründet werden.

Einen Verzicht auf die Quantifizierung der Verfolgungsschläge hat das Bundesverwaltungsgericht nur bei besonders kleinen Gruppen zugelassen, bei denen auch die Feststellung reichen kann, derartige Übergriffe seien „an der Tagesordnung“

hierzu etwa BVerwG, Entscheidungen vom 21.2.2009, a.a.O. und vom 23.12.2002 - 1 B 42.02 -, zu syrisch-orthodoxen Christen in Tur Abdin, zitiert nach juris.

Bei der erforderlichen wertenden Gesamtschau der Verfolgungssituation sind nur asylrechtlich beachtliche, an die Merkmale in § 60 Abs. 1 S. 1 AufenthG anknüpfende Maßnahmen zu berücksichtigen

BVerwG, Urteil vom 21.4.2009 - 10 C 11.08 -, zitiert nach juris.

Nicht einzubeziehen sind hingegen rein kriminelle Verbrechen und ungezielte terroristische Anschläge, die allein die Destabilisierung der Lage bezwecken.

Eine nach diesen Maßstäben anzunehmende Gruppenverfolgung sunnitischer Religionszugehöriger und kurdischer Volkszugehöriger im Irak i.S.d. § 60 Abs. 1 AufenthG in Verbindung mit den europarechtlichen Bestimmungen der sog. Qualifikationsrichtlinie kann – auch für den Zeitpunkt der Ausreise des Klägers - weder landesweit noch bezogen auf das Herkunftsgebiet des Klägers angenommen werden.

Es fehlt bei einer relativierenden Betrachtung der Anzahl der Opfer von Verfolgungsschlägen und des jeweiligen Anteils der sunnitischen und kurdischen Bevölkerungsgruppe an einer hinreichenden Verfolgungsdichte. Dies hat der Senat zuletzt mit Urteil vom 1.6.2011

3 A 429/08 – dokumentiert bei juris

unter Verwertung zahlreicher Erkenntnisquellen festgestellt. Wegen der Einzelheiten wird hierauf Bezug genommen.

Auch individuell gefahrerhöhende Umstände sind im Falle des Klägers nicht erkennbar.

Ist der Kläger demnach unverfolgt aus seinem Heimatland ausgereist, kommt ihm für die Beurteilung der Frage, ob er im Falle seiner Rückkehr eine Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG zu befürchten hat, die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 QRL nicht zugute und ist hierfür der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit anzuwenden.

Nach diesem Maßstab ist eine Verfolgung im Sinne der genannten Bestimmung im Falle seiner Rückkehr nicht zu prognostizieren.

Dies gilt sowohl mit Blick auf die von ihm geltend gemachte individuelle Verfolgungsgefahr wegen der Mitgliedschaft bzw. Mitarbeit seines Vaters in der Baath-Partei als auch mit Blick auf die ihm angeblich drohende Gefahr für Leib und Leben wegen Verletzung der Familienehre durch seinen Vater als auch im Hinblick auf seine sunnitische Religionszugehörigkeit und kurdische Volkszugehörigkeit.

Die dem Senat vorliegenden Erkenntnisse lassen – wie für die Zeit vor seiner Ausreise – auch für die Zeit nach seiner Ausreise bis heute den Schluss auf eine entsprechende Gefährdung des Klägers im Rückkehrfall nicht zu

vgl. Urteil des Senats vom 1.6.2011 - 3 A 429/08 -, dokumentiert bei juris.

Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vorgetragen hat, sein Problem sei ein Stammesproblem gewesen, womit er die Entführung seiner Mutter vor 30 Jahren meine, und daraus sei ein politisches Problem geworden, weil sein Vater bei der Baath-Partei mitgearbeitet habe, um über die politische Tätigkeit Schutz wegen der aus der Entführung resultierenden Gefährdung zu erlangen, rechtfertigt dies ebenso wenig eine andere Einschätzung, wie der Vortrag, er habe nach seiner Einreise in die Bundesrepublik im Jahre 2005 in B-Stadt einen Freund seines Vaters getroffen, der ihm gesagt habe, er habe seine Feinde hier gesehen, deshalb solle er besser in ein anderes Land gehen. Weder hält der Senat das Vorbringen bezüglich des Freundes seines Vaters für glaubhaft, noch eine Bedrohung des Klägers durch „seine Feinde“ selbst in der Bundesrepublik. Was insbesondere die angebliche Information „eines Freundes seines Vaters“ im Jahre 2005 in B-Stadt anbelangt, hat der Kläger – jeweils im Zusammenhang mit seiner Weiterreise von B-Stadt nach Belgien - noch bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt erklärt, als er in B-Stadt angekommen sei, habe er Kurden getroffen, die gesagt hätten, dass es hier nicht so gut sei und dass man kein Asylrecht bekommen würde, woraufhin er B-Stadt wieder verlassen habe. Demgegenüber hat er bei seiner Anhörung vor dem Verwaltungsgericht erklärt, er habe in B-Stadt von einer Person, die früher mit seinem Vater zusammengearbeitet habe, gehört, dass er von den Familienangehörigen seiner Mutter gesucht werde. Vor dem Senat hat er nunmehr die oben genannte weitere Abwandlung hinzugefügt. Ergänzend wird auf die oben bereits dargelegten Bedenken gegen die Glaubhaftigkeit seines Vorbringens insgesamt hingewiesen.

Nach allem lässt sich dem Vortrag des Klägers nicht entnehmen, dass im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland die Gefahr einer Individualverfolgung des Klägers im Sinne des § 60 Abs.1 AufenthG mit dem erforderlichen Wahrscheinlichkeitsgrad der beachtlichen Wahrscheinlichkeit gegeben ist.

Auch eine Gruppenverfolgung des Klägers wegen dessen sunnitischer Religions- und kurdischer Volkszugehörigkeit ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt – ebenso wie für den Zeitpunkt seiner Ausreise bereits dargelegt - zu verneinen.

Zwar ist nach den vorliegenden Erkenntnissen von einer immer noch instabilen Sicherheitslage auszugehen, jedoch ist gegenüber früheren Jahren eine fortschreitende Stabilisierung zu verzeichnen. Die vorliegenden Erkenntnisse weisen insgesamt in eine positive Richtung. Insbesondere hat die interkonfessionelle Gewalt (zwischen Sunniten und Schiiten) seit dem energischen Durchgreifen der irakischen Regierung gegen Milizen seit dem Frühjahr 2008 in einem relevanten Maß nachgelassen

hierzu etwa BAMF, Dokumentation Irak, Zur Gefährdung der Zivilbevölkerung durch bewaffnete Konflikte, Januar 2010; BAMF, Briefing Notes vom 27.12.2010; Schweizerischen Flüchtlingshilfe (im Folgenden SFH) Irak: Die aktuelle Entwicklung im Zentral- und Südirak - Update vom 5.11.2009 -; UNHCR, Positionspapier zum Schutzbedarf irakischer Asylbewerber und zu den Möglichkeiten der Rückkehr irakischer Staatsangehöriger in Sicherheit und Würde vom 13.5.2009 und Stellungnahme vom 16.9.2009 an den Hessischen VGH; ai-Report 2010, Zur weltweiten Lage der Menschenrechte; EZKS, Stellungnahme an VG München vom 20.1.2009 zu Az. M 4 K 08.50041 u.a..

Auf die diesbezüglichen Darlegungen im Urteil des Senats vom 1.6.2011

- 3 A 429/08 -, dokumentiert bei juris,

wird vollinhaltlich Bezug genommen.

Auf der Grundlage dieser Feststellungen sind die im Irak sowie in der Heimatstadt bzw. der Heimatregion des Klägers zu verzeichnenden Anschläge, deren Hintergründe und Zuordnung zu bestimmten Gruppierungen oder Stellen nach der Erkenntnislage im Einzelnen kaum bzw. schwer zu klären sind, zwar häufig als Akte willkürlicher Gewalt zu bewerten. Indes lassen sich auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt weder bezogen auf die Gruppe sunnitischer Religionszugehöriger die für die Annahme einer Gruppenverfolgung im Rahmen des § 60 Abs. 1 AufenthG erforderliche Verfolgungsdichte, noch bezogen auf die Person des Klägers besondere gefahrerhöhende Umstände feststellen.

Den Lageberichten Irak des Auswärtigen Amtes

vom 28.11.2010 vom 11.4.2010,

zufolge wird die Gesamtbevölkerung Iraks auf etwa 32,3 Mio. Menschen geschätzt. Hiervon machen die Schiiten, die vorwiegend den Südosten bzw. Süden des Landes bewohnen, einen Anteil von 60 bis 65 %, (arabische) Sunniten, die mit Schwerpunkt im Zentral- und Westirak leben, einen Anteil von 17 bis 22 % und die vor allem im Norden lebenden Kurden einen Anteil von ca. 15 bis 20 % aus.

In Relation zu diesen Größenordnungen wird die Zahl der dokumentierten Todesfälle den Anforderungen des Bundesverwaltungsgerichts an die erforderliche Intensität der Verfolgungsdichte offenkundig nicht gerecht. Selbst unter Berücksichtigung der fehlenden Einbeziehung von (Schwer)Verletzten, Traumatisierten und im Sinne des Art. 9 QRL Geschädigten in die vorliegenden Statistiken sowie der Unterstellung einer nachvollziehbaren erheblichen Dunkelziffer und Addition verschiedener Schädigungsformen ist eine in diesem Sinne beachtliche Verfolgungsdichte nicht feststellbar.

Hinsichtlich der Einschätzung der landesweiten Verfolgungsdichte, die im Jahr 2010 auf den bislang tiefsten Stand seit 2003 mit 4028 Opfern gefallen ist,

hierzu etwa BAMF, Irak - Zur Gefährdung der Zivilbevölkerung durch bewaffnete Konflikte, Januar 2010; Bundesasylamt (Österreich), Bericht Irak, Die Sicherheitslage in Bagdad vom 26.1.2011

kann im Einzelnen auf die Urteile des Senats vom 1.6.2011

- 3 A 429/08 - und - 3 A 451/08 - , dokumentiert bei juris

verwiesen werden.

Etwas anderes gilt auch nicht mit Blick auf die Herkunftsregion des Klägers, die Region Tamim (Kirkuk). Dort gab es im Jahr 2008 je 100.000 Einwohner 29 Tote (je festgestellter Vorfall 3 Tote) und im Jahr 2009 je 100.000 Einwohner 31,9 Tote (288 Tote bei 99 Vorfällen, d.h. 2,9 Tote je Vorfall). Im Jahr 2010 gab es in der Provinz bei 77 Vorfällen 91 Tote, das sind 10,1 Tote je 100.000 Einwohner und je 1,2 Tote je Vorfall.

Bezüglich des Geburtsorts des Klägers, Erbil (Sitz der Regierung der Autonomen Region Irakisch-Kurdistan), sind die Zahlen noch geringer. So gab es im Jahr 2008 in der ersten Jahreshälfte 7 Tote und 4 Vorfälle, im zweiten Halbjahr wurde kein Vorfall bekannt. Somit waren dort 0,5 – 0,4 Tote je 100.000 Einwohner (1,75 je dokumentierter Vorfall) zu verzeichnen. Im Jahr 2009 waren bei 28 Vorfällen 31 Tote zu beklagen (2,2 Tote je 100.000 Einwohner und 1,1 Toter pro Vorfall). Diese Zahl sank im Jahr 2010 auf 0,4 Tote je 100.000 Einwohner (6 Tote bei 2 Vorfällen).

vgl. BAMF, Irak - Zur Gefährdung der Zivilbevölkerung durch bewaffnete Konflikte, Januar 2010.

Die (Gesamt-)Opferzahlen bis Mai 2011 belaufen sich, soweit bislang bekannt, auf mindestens 1033 Tote, davon waren 65 Tote in der Herkunftsprovinz Tamim (Kirkuk) des Klägers, d.h. 7,2 Tote je 100.000 Einwohner und 1,6 Tote je dokumentiertem Vorfall und in der Provinz seines Geburtsorts Erbil 4 Tote zu beklagen, d.h. 0,3 Tote je 100.000 Einwohner, 2 Tote pro Vorfall

vgl. hierzu BAMF, Irak - Zur Gefährdung der Zivilbevölkerung durch bewaffnete Konflikte von Juni 2011.

Die meisten Toten und Verletzten gab es bis zu diesem Zeitpunkt im Januar/Februar 2011 bei Anschlägen auf schiitische Pilger in der Nähe von Kerbala (mindestens 45 Tote und 150 Verletzte) und Samarra (50 Tote, 80 Verletzte)

hierzu BAMF, Briefing Notes vom 7.3.2011, FR und taz vom 21.1.2011, FAZ vom 21. und 25.1.2011, NZZ vom 28.1.2011 und FR vom 14.2.2011, SZ vom 14.2.2011; zu den bisherigen Gesamtopferzahlen ferner BAMF, Briefing Notes vom 17.1.2011, vom 14.3.2011, vom 4.4.2011, vom 11.4.2011, NZZ vom 12.4.2011, FAZ vom 13.4.2011, NZZ vom 18. und 19.4.2011, FAZ vom 30.4. und 6.5.2011.

In der darauffolgenden Zeit war der Juni mit 271 Todesopfern, davon 155 Zivilisten, 77 Polizisten und 39 Soldaten der Monat mit dem meisten Todesopfern im Jahr 2011, dazu waren 454 Verletzte zu verzeichnen

hierzu BAMF, Briefing Notes vom 4.7.2011.

Im Juli 2011 kam es bei einem Angriff in dem überwiegend von Sunniten besiedelten Taji zu 35 Toten und 28 Verletzten, anderen Quellen nach zu noch weiteren 58 Verletzten

vgl. hierzu BAMF, Briefing Notes vom 11.7.2011.

Angesichts dieser Opferzahlen in Relation zur Gesamtbevölkerungszahl ist eine Gefährdungslage für den Kläger in dem Sinne, dass er als Angehöriger der Gruppe der (kurdischen) Sunniten mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit aktuell Gefahr liefe, im Rückkehrfall allein wegen seiner gruppenspezifischen Merkmale einer Verfolgung i. S. d. § 60 Abs. 1 AufenthG durch staatliche oder nichtstaatliche Akteure ausgesetzt zu sein, klar zu verneinen.

Aufgrund der kontinuierlich rückläufigen Tendenz solcher Vorfälle und Übergriffe in den vergangenen Jahren, insbesondere ab 2008, ist auch für die absehbare Zukunft eine Gruppenverfolgung von Sunniten im Irak nicht zu prognostizieren. Dies belegen auch die Opferzahlen für 2011.

Ausgehend von den vorstehend dargestellten Opferzahlen kann schließlich auch im Hinblick auf die Zugehörigkeit des Klägers zur Volksgruppe der Kurden, die ca. 15-20 % der Gesamtbevölkerung ausmacht,

vgl. Lagebericht Irak des Auswärtigen Amtes vom 28.11.2010

eine ihm mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit landesweit drohende gruppenspezifische Verfolgung nicht angenommen werden.

Darüber hinaus wäre für den in Erbil/Nordirak geborenen Kläger die Möglichkeit einer zumutbaren Aufenthaltsnahme im Nordirak gegeben, aus dem seine Familie stammt. Dies gilt sowohl unter den vorgetragenen Aspekten der Zugehörigkeit zu einer ehemals baathistisch ausgerichteten Familie als auch der sunnitischen Religionszugehörigkeit und kurdischen Volkszugehörigkeit.

Eine Pro-baathistische Betätigung löst nach Einschätzung von EZKS

- H. Siamend - vom 22.3.2007 an VG Magdeburg zu Az. 4 A 190/04 MD und vom 24.11.2007 an VG Karlsruhe zu Az. A 3 K 10823/05

die Gefahr von Sanktionen etwa der KDP und der PUK im - kurdisch dominierten - Nordirak nur dann aus, wenn sich die betreffende Person im Zuge ihrer Betätigung für die Baath-Partei besonderer Grausamkeiten schuldig gemacht hat oder in hohen Positionen befindlichen KDP- bzw. PUK-Politikern oder deren Verwandten geschadet hat.

Derartiges steht bei dem Kläger nicht im Raum.

Eine dem Kläger mit Blick auf seine sunnitische Religionszugehörigkeit und kurdische Volkszugehörigkeit drohende, im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG relevante Gefährdung ist daher nicht anzunehmen.

Dieses Ergebnis steht im Einklang mit der Rechtsprechung anderer Obergerichte, die ebenfalls eine Gruppenverfolgung von Sunniten und Kurden im Irak verneinen

vgl. etwa OVG Münster, Urteil vom 29.10.2009, a.a.O., VGH Mannheim, Urteil vom 25.3.2010 - A 2 S 364/09 - und Beschluss vom 12.8.2010 - A 2 S 1134/10; VGH München, Beschlüsse vom 14.7.2011 - 20 B 10.30316 - und vom 5.7.2011 - 20 B 10.30312 -, jeweils im Falle eines sunnitischen Kurden aus der Region Tamim/Kirkuk sowie Urteil vom 21.1.2010 - 13a B 08.30285 - im Falle eines kurdischen Volkszugehörigen sunnitischer Religionszugehörigkeit aus Mossul, jeweils zitiert nach juris.

Ein Anspruch des Klägers auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG ist daher sowohl mangels individueller als auch mangels gruppenbezogener Verfolgung zu verneinen.

II.

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die hilfsweise begehrte Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG

zur Prüfungsfolge von unionsrechtlichem und nationalem Abschiebungsschutz etwa BVerwG, Urteil vom 29.6.2010 - 10 C 10.09 -, zitiert nach juris.

Konkrete Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 (konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung) und nach § 60 Abs. 3 AufenthG (Gefahr der Todesstrafe aufgrund einer von dem Schutzsuchenden begangenen Straftat) sind weder vom Kläger vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Auch die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG liegen im Falle des Klägers nicht vor.

Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist.

Die von dem Kläger in seiner Berufungsbegründung angesprochenen Zweifelsfragen zur Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG und des Art. 15 lit. c QRL, insbesondere des Verständnisses des von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG verwendeten Begriffs der „erheblichen individuellen Gefahr für Leib und Leben“ sowie des Begriffs der „ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit“ im Sinne des Art. 15 lit. c der Richtlinie 2004/83/EG - QRL - sind durch die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts

vom 24.6.2008 - 10 C 43.07 -, BVerwGE 131, 198 und vom 14.7.2009 - 10 C 9.08 -, juris,

sowie durch Urteil des Europäischen Gerichtshofs

vom 17.2.2009 - C-465/07 -, EuGRZ 2009, 111

hinreichend geklärt. Die Frage, ob § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG auch bei Vorliegen der Voraussetzungen des subsidiären Schutzes nach Art. 15 lit. c der Richtlinie eine Sperrwirkung entfaltet, ist durch das o.g. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 24.6.2008 ebenfalls geklärt.

Nach dem vorgenannten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 14.7.2009, a.a.O., kann sich eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG, die zugleich die entsprechenden Voraussetzungen des Art. 15 lit. c der Richtlinie 2004/83/EG erfüllt, auch aus einer allgemeinen Gefahr für eine Vielzahl von Zivilpersonen im Rahmen eines innerstaatlichen oder internationalen bewaffneten Konflikts ergeben, wenn sich die Gefahr in der Person des Ausländers verdichtet. Eine derartige Individualisierung der allgemeinen Gefahr kann sich aus gefahrerhöhenden Umständen in der Person des Ausländers ergeben. Sie kann aber unabhängig davon ausnahmsweise auch bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre.

Der Begriff des internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts in § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist dabei unter Berücksichtigung des humanitären Völkerrechts auszulegen. Danach müssen die Kampfhandlungen von einer Qualität sein, wie sie u.a. für Bürgerkriegssituationen kennzeichnend sind, und über innere Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und ähnliche Handlungen hinausgehen. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinne von Art. 15 lit. c QRL nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen, wofür Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfe typische Beispiele sind. Ein solcher innerstaatlicher bewaffneter Konflikt muss sich dabei nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstrecken

vgl. BVerwG, Urteil vom 24.6.2008 - 10 C 43.07 -, a.a.O..

Besteht ein bewaffneter Konflikt mit der beschriebenen Gefahrendichte nicht landesweit, kommt eine individuelle Bedrohung allerdings in der Regel nur in Betracht, wenn der Konflikt sich auf die Herkunftsregion des Antragstellers erstreckt, in die er typischerweise zurückkehren wird, den „tatsächlichen Zielort“ des Ausländers bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat

vgl. EuGH, Urteil vom 17.2.2009, a.a.O..

Auf einen bewaffneten Konflikt außerhalb der Herkunftsregion des Ausländers kann es nur ausnahmsweise ankommen. Nach Art. 2 lit. e QRL muss der Ausländer bei einem regional begrenzten Konflikt außerhalb seiner Herkunftsregion stichhaltige Gründe dafür vorbringen, dass für ihn eine Rückkehr in seine Herkunftsregion ausscheidet und nur eine Rückkehr gerade in die Gefahrenzone in Betracht kommt.

Gemessen an diesen Maßstäben kann für den Kläger keine erhebliche individuelle Gefahr für Leib oder Leben infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines bewaffneten innerstaatlichen oder internationalen Konflikts im Irak bzw. in dessen Teilen festgestellt werden. Nach dem auch hier anzuwendenden Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit sind die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vielmehr zu verneinen.

Ob die aktuelle allgemeine Lage im Irak und insbesondere in Bashir, der Herkunftsstadt des Klägers in der Region Tamim (Kirkuk), oder etwa in Erbil, seinem Geburtsort, bereits die Annahme eines landesweiten oder auch nur regionalen innerstaatlichen oder internationalen bewaffneten Konflikts im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG rechtfertigen könnte, kann vorliegend offenbleiben

ebenso offen gelassen zum Vorliegen eines landesweiten Konflikts im Irak etwa: VGH München, Urteil vom 24.3.2011 - 20 B 10.30021 -, OVG Münster, Urteil vom 29.10.2010 - 9 A 3642/06.A - und VGH Mannheim, Urteil vom 12.8.2010 - A 2 S 1134/10 - und auch OVG Lüneburg, Urteil vom 13.4.2011 - 13 LB 66/07 – sowie Urteil des Senats vom 1.6.2011 - 3 A 429/08 -, dokumentiert bei juris.

Denn jedenfalls fehlt es an der geforderten erheblichen individuellen Gefahr für Leib und Leben des Klägers als Angehöriger der Zivilbevölkerung.

Auf die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 QRL kann sich der Kläger nicht berufen. Er ist nicht vorverfolgt ausgereist. Dies gilt sowohl mit Blick auf seine sunnitische Glaubenszugehörigkeit und kurdische Volkszugehörigkeit als auch hinsichtlich der geltend gemachten Betätigung seines Vaters in der Baath-Partei. Insoweit kann vollumfänglich auf die diesbezüglichen Ausführungen im Rahmen des § 60 Abs. 1 AufenthG verwiesen werden.

Darüber hinaus ist auch der erforderliche Zusammenhang zwischen der geltend gemachten (Vor-)Verfolgung und dem künftigen befürchteten Schaden sowie mit dem Zweck des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG, den Schutz des Betroffenen vor Gefahren im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts sicherzustellen, nicht erkennbar.

Die von der bereits dargestellten, immer noch instabilen Sicherheitslage im Irak ausgehende Gefährdung betrifft neben Angehörigen spezieller Personengruppen, so insbesondere von Regierungs-, Streit- und Sicherheitskräften, eine Vielzahl von Zivilpersonen ohne eindeutige Zuordnung und stellt damit eine Gefahr dar, der letztlich die Bevölkerung im Irak allgemein ausgesetzt ist.

Jedoch kann die für die Schutzgewährung nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG erforderliche erhebliche individuelle Gefahr – wie dargelegt - erst dann bejaht werden, wenn sich allgemeine Gefahren eines Konflikts mit der Folge einer ernsthaften individuellen bzw. persönlichen Betroffenheit aller Bewohner der maßgeblichen Region verdichten oder sich für den Einzelnen durch individuelle gefahrerhöhende Umstände zuspitzen. Solche individuellen gefahrenerhöhenden Umstände können sich nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch aus einer Gruppenzugehörigkeit ergeben. Dies setzt aber eine solche Gefahrendichte voraus, dass ein in sein Heimatland zurückkehrender Ausländer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit befürchten muss, gezielt (oder auch zufällig) selbst Opfer eines Terroranschlages zu werden oder infolge stattfindender Kampfhandlungen am Leben oder seiner körperlichen Unversehrtheit beschädigt zu werden

vgl. BVerwG, Urteil vom 24.6.2008 - 10 C 43.07 -, a.a.O.; OVG Münster, Urteil vom 29.10.2010, a.a.O..

Dies kann vorliegend nach den vorstehenden Darlegungen nicht angenommen werden.

Zur allgemeinen Gefahrendichte insbesondere für die Jahre 2010 und 2011 kann im Einzelnen auf die Ausführungen in den Urteilen des Senats vom 1.6.2011

- 3 A 429/08 - und 3 A 451/08 - , jeweils dokumentiert bei juris

verwiesen werden.

Zwar gehört die Herkunftsregion des Klägers, die Region Tamim (Kirkuk) zu den instabilsten Gebieten im Irak. Jedoch sind - wie im Einzelnen im Rahmen der Prüfung einer Gruppenverfolgung i.S.d. § 60 Abs. 1 AufenthG dargelegt - insbesondere seit dem Jahr 2010 bis heute beständig rückläufige Opferzahlen zu verzeichnen.

Daher könnte selbst bei Annahme eines innerstaatlichen Konflikts in der Herkunftsregion Tamim (Kirkuk) nicht davon ausgegangen werden, dass der diesen Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht hat, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dieser Region einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre.

Die sunnitische Religions- und kurdische Volkszugehörigkeit des Klägers wirkt sich bezogen auf die nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vorrangig in den Blick zu nehmende Herkunftsregion des Klägers ebenfalls nicht gefahrerhöhend aus. Die Sicherheit der Gruppe der Heimkehrer hängt nach den Feststellungen des Auswärtigen Amtes

vgl. Lageberichte vom 28.11.2010 und vom 11.4.2010

im Wesentlichen davon ab, ob die Ethnie bzw. Glaubensgemeinschaft, welcher sie angehören, in der betreffenden Region die Mehrheit bildet. Da Kurden mit 40 % und Sunniten mit 20% in Kirkuk/Tamim, einem ethnischen Mischgebiet, eine Hauptbevölkerungsgruppe darstellen

vgl. BAMF, Zur Gefährdung der Zivilbevölkerung durch bewaffnete Konflikte, von Juni 2011 und von Januar 2010

kann bezüglich des Klägers nicht mit dem erforderlichen Wahrscheinlichkeitsgrad eine Gefährdung wegen seiner Zugehörigkeit zu einer religiösen und/oder ethnischen Minderheit angenommen werden

zur Verfolgungs- und Gefährdungssituation i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vgl. etwa etwa OVG Lüneburg, Urteil vom 13.4.2011 - 13 LB 66/07 - im Falle eines aus der Provinz Dohuk stammenden Kurden; VGH Mannheim, Urteil vom 25.3.2010 - A 2 S 364/09 - (implizit) im Falle eines Kurden aus Kirkuk.

Gleiches gilt, wenn man eine Rückkehr des Klägers in seine Stammregion, die Provinz Erbil, in der 95 % Kurden leben, zugrunde legt. Dort sind noch weit geringere Zahlen als für den Bereich Tamim/Kirkuk festzustellen.

Es liegen bei dem Kläger auch keine weiteren individuellen gefahrerhöhenden Umstände vor. Er gehört insbesondere keiner der in den o.g. Lageberichten des Auswärtigen Amtes und weiteren Erkenntnisquellen bezeichneten gefährdeten speziellen Personengruppen an.

Dass die angebliche frühere Mitgliedschaft des Vaters des Klägers in der Baath-Partei keinen gefahrerhöhenden Umstand darstellt, wurde bereits dargelegt.

Nach allem liegt ein Abschiebungsverbot i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nicht vor.

III.

Auch nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind nicht gegeben.

Anhaltspunkte dafür, dass eine Abschiebung des Klägers nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. der Konvention vom 4.11.1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten unzulässig ist, sind nicht ersichtlich.

Dem Kläger drohen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit auch keine Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.

Nach dieser Regelung soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Die Vorschrift gewährt Schutz bei Gefahren, die nicht bereits vom Regelungsbereich der vorangegangenen Absätze erfasst werden. Sie betrifft nur solche Gefahren, die sich aus der Unzumutbarkeit des Aufenthalts im Zielland für diesen Ausländer herleiten und ausschließlich dort drohen (zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote). Unerheblich ist, ob die Gefahren von staatlichen oder nichtstaatlichen Akteuren ausgehen oder wodurch sie hervorgerufen werden. Zu unterscheiden ist dabei die erhebliche konkrete Gefahr, die den Ausländer aus individuellen Gründen betrifft und die Gefahr, die - wenn auch in individualisierbarer Weise - aus allgemeinen Gefahren herrührt. Der Ausdruck „erheblich“ bezieht sich dabei auf die Gefährdungsintensität. Zusätzlich wird durch das Element der „konkreten Gefahr“ für „diesen“ Ausländer das Erfordernis einer einzelfallbezogenen und individuell bestimmten Gefährdungssituation aufgestellt

hierzu Huber, AufenthG, § 60 Rdnr. 105 m.w.N..

Die Abgrenzung zwischen einer Gefahr aus allgemeinen und einer Gefahr aus individuellen Gründen kann im Einzelfall schwierig sein. Einer Abgrenzung bedarf es hier jedoch letztlich nicht. Denn vorliegend kann weder davon ausgegangen werden, dass dem Kläger bei Rückkehr in sein Heimatland aus allein in seiner Person liegenden individuellen noch aus allgemeinen Gründen eine beachtliche Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG drohen würde.

Dies gilt zunächst mit Blick auf die von ihm (angeblich) befürchteten Nachstellungen und Gefährdungen seitens Verwandter seiner Mutter wegen Verletzung der Familienehre, die im Rahmen der Prüfung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG von Relevanz sein können

vgl. etwa OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 27.1.2006 - 1 LB 22/05 -, zitiert nach juris,

Denn diese hat der Kläger nicht glaubhaft gemacht. Auf die diesbezüglichen Ausführungen zu § 60 Abs. 1 AufenthG wird Bezug genommen.

Dem Kläger droht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit auch keine i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beachtliche Gefahr mit Blick auf die allgemeine Versorgungslage im Irak.

Ausgehend von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts fallen die schwierigen Existenzbedingungen einer Vielzahl von Irakern, insbesondere hinsichtlich der Erlangung eines Arbeitsplatzes und der Sicherstellung allgemeiner und medizinischer Versorgung, die aus den dem Senat vorliegenden Erkenntnisquellen hervorgehen, auch wenn sie den einzelnen Ausländer in individualisierbarer Weise betreffen sollten, hinsichtlich des Vorliegens der tatbestandlichen Voraussetzungen prinzipiell nicht in die Entscheidungszuständigkeit des Bundesamtes. Bei derartigen – auch erheblichen – Gefährdungen ist die Anwendbarkeit des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG durch Satz 3 der Vorschrift „gesperrt“, wenn diese Gefahren zugleich einer Vielzahl anderer Personen im Abschiebezielstaat drohen

hierzu BVerwG, Entscheidungen vom 14.11.2007 - 10 B 47.07 - u.a.; vom 23.8.2006 - 1 B 60.06 -, Urteil vom 8.112.1998 - 9 C 4.98 - u.a., sowie grundlegend bereits BVerwG, Urteil vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 -, NVwZ 1996, 199 zu der nahezu wortgleichen Bestimmung des § 53 Abs. 6 AuslG, zitiert nach juris.

Fehlt in einem solchen Fall eine Entscheidung nach § 60 a Abs. 1 AufenthG, ist aus verfassungsrechtlichen Gründen nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine Einzelfallentscheidung nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AuslG mit Blick auf Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nur dann ausnahmsweise zulässig und geboten, wenn die obersten Behörden der Bundesländer trotz einer - landesweiten - extremen Gefahrenlage von ihrer Ermessensermächtigung aus § 60 a AufenthG keinen Gebrauch gemacht haben (sog. „verfassungskonforme Überwindung der Sperrwirkung“)

vgl. auch hier BVerwG, Entscheidungen vom 29.6.2010 - 10 C 9.09 und 10 C 10.09 - und vom 14.11.2007 - 10 B 47.07 -, zitiert nach juris.

Eine derartige landesweite Extremgefahr hat der Senat zuletzt in seinen Urteilen vom 1.6.2011,

- 3 A 429/08 – und – 3 A 451/08 -, dokumentiert bei juris,

verneint. Eine durchgreifende Änderung ist seitdem nicht erkennbar. Derartiges wird von dem Kläger auch nicht vorgetragen.

Zwar ergibt sich aus der Auskunftslage,

vgl. hierzu Auswärtiges Amt, Lagebericht Irak vom 28.11.2010; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Irak: Die aktuelle Entwicklung im Zentral- und Südirak vom 5.11.2009, UNHCR an Hess.VGH vom 16.9.2009

dass sich im Irak Einschränkungen beim Zugang zu Lebensmitteln, Unterkunft, Grundversorgungsdienstleistungen (wie Wasser, Strom), Einkommen, Beschäftigung, medizinischer Versorgung und Bildung feststellen lassen. Indes sind durchgreifende Anhaltspunkte für i.S.d. § 60 Abs. 7 S. 1 relevante Gefahren wie eine drohende Nahrungsmittelknappheit oder eine bevorstehende Hungerkatastrophe nicht zu verzeichnen. Weiterhin fließen internationale Hilfsgelder in den Irak und werden vom Handelsministerium Lebensmittel verteilt. Zudem versucht die irakische Regierung finanzielle Anreize zu gewähren, um ins Ausland geflohene Iraker zu einer Rückkehr zu bewegen. Bis Ende 2008 sind 40.060 Familien in den Irak zurückgekehrt. Im Jahr 2010 kehrten 118.890 Flüchtlinge und Binnenflüchtlinge in den Irak bzw. an ihre Heimatorte zurück. Dies waren zwar 40 % weniger als im Jahr 2009, belegt jedoch einen insgesamt aufstrebenden Rückkehrwillen

vgl. zu letzterem UNHCR: Iraq Refuges Returns fell from in 2010 vom 28.1.2011; siehe in diesem Zusammenhang auch Urteile des Senats vom 1.6.2011 - 3 A 429/08 und 3 A 451/08 -.

Ein Abschiebungsverbot im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kann daher mit Blick auf die allgemeine Versorgungslage nicht angenommen werden.

Schließlich lässt sich im Falle des Klägers auch nicht im Hinblick auf eine Erkrankung ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG feststellen. Im Berufungsverfahren hat sich der Kläger auf das Vorliegen einer postraumatischen Belastungsstörung (PTBS) bzw. auf eine schwerwiegende psychische Erkrankung mit latenter Suizidalität berufen sowie darauf, dass diese bei einer Rückkehr in den Irak nicht bzw. nicht ausreichend behandelt werden könne.

Grundsätzlich kann nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts

vgl. etwa Entscheidungen vom 24.5.2006 - 1 B 118/05 -, vom 29.7.1999 - 9 C 2.99 - und vom 25.11.1997 - 9 C 58/96 - und vom 11.9.2007 - 10 C 8.07 -, jeweils zitiert nach juris

die drohende Verschlimmerung einer Krankheit des ausreisepflichtigen Ausländers als konkrete erhebliche Gesundheitsgefahr ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG darstellen. Ein solches zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis kann vorliegen, wenn die Erkrankung des Schutzsuchenden im Zielstaat der Abschiebung nicht oder nicht zureichend behandelt werden kann oder wenn die Krankheit dort zwar prinzipiell hinreichend behandelt werden kann, der Betroffene zu der verfügbaren medizinischen Behandlung aber aus finanziellen oder anderen faktischen Gründen keinen Zugang hat. Voraussetzung ist jedoch, dass die fehlende Behandlungsmöglichkeit zu einer erheblichen Gesundheitsgefahr führt, d.h. eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität erwarten lässt. Davon ist auszugehen, wenn sich der Gesundheitszustand des betreffenden Ausländers wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern würde. Eine derartige erhebliche und konkrete Gefahr ist in der Regel als individuelle Gefahr einzustufen, die am Maßstab von § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG in direkter Anwendung zu prüfen ist. Nur ausnahmsweise ist sie als allgemeine Gefahr oder Gruppengefahr i.S.d. § 60 Abs. 7 S. 3 AufenthG mit der entsprechenden Sperrwirkung zu qualifizieren, namentlich bei Aidserkrankungen (in afrikanischen Ländern)

vgl. hierzu BVerwG, Entscheidungen vom 23.7.2007 - 10 B 85/07 -, vom 24.5.2006 - 1 B 118/05 - und vom 18.7.2006 - 1 C 16.05 -, jeweils zitiert nach juris.

In diesem Zusammenhang hat das Bundesverwaltungsgericht

Urteil vom 18.7.2006 - 1 C 16.05 -, a.a.O.

- ebenfalls im Falle eines irakischen Staatsangehörigen - klargestellt, dass die unmittelbare Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht mit der Begründung verneint werden kann, der Schutzsuchende sei von einer schlechten medizinischen Versorgung in seinem Herkunftsland gleichermaßen wie alle anderen Bewohner, die an der gleichen Erkrankung leiden, betroffen. Die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 (damals Satz 2) AufenthG greift vielmehr nur bei einer großen Anzahl potenziell Betroffener und einem Bedürfnis nach einer ausländerpolitischen Leitentscheidung ein. Dies ist hier nicht anzunehmen.

Jedoch kann unter Zugrundelegung der von dem Kläger vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen und Würdigung seines Sachvortrags, auch seiner aktuellen Bekundungen in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, nicht davon ausgegangen werden, dass im Falle des Klägers eine auf Tatsachen gestützte beachtliche Wahrscheinlichkeit des Vorliegens einer erheblichen individuellen Gefahr i.S.d. § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG aus gesundheitlichen Gründen gegeben ist.

Die vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen rechtfertigen nicht die Annahme einer Krankheit, mit deren wesentlicher Verschlimmerung im Zielland der Abschiebung zu rechnen wäre. Sie begründen auch keine Pflicht zu weiterer gerichtlicher Sachaufklärung.

Grundsätzlich gilt in diesem Zusammenhang mit Blick auf die Vorlage von Attesten und deren Beurteilung durch die Gerichte nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts

vgl. Beschlüsse vom 29.4.2005 - BVerwG 1 B 119.04 - und Urteil vom 11.9.2007 - 10 C 8.07 -, jeweils zitiert nach juris,

dass diese in dem vom Untersuchungsgrundsatz beherrschten Verwaltungsprozess zwar regelmäßig Anlass zu weiterer Sachaufklärung geben, da eine Pflicht der Beteiligten zur Glaubhaftmachung im Sinne des § 294 ZPO, ebenso wie eine Beweisführungspflicht regelmäßig zu verneinen ist.

Jedoch ist regelmäßig zu fordern, dass das vorgelegte fachärztliche Attest gewissen Mindestanforderungen genügt. Dies gilt mit Rücksicht auf dessen Unschärfen und vielfältige Symptome insbesondere bezogen auf das Krankheitsbild einer Posttraumatischen Belastungsstörung. Aus dem fachärztlichen Attest muss sich nachvollziehbar ergeben, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Dazu gehören etwa Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden. Des Weiteren sollte das Attest Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) geben. Wird das Vorliegen einer Posttraumatischen Belastungsstörung auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland gestützt und werden die Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen, so ist in der Regel auch eine Begründung dafür erforderlich, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist. Diese Anforderungen an die Substantiierung ergeben sich aus der Pflicht des Beteiligten, an der Erforschung des Sachverhalts mitzuwirken (§ 86 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 VwGO), die in besonderem Maße für Umstände gilt, die in die eigene Sphäre des Beteiligten fallen

vgl. BVerwG, Beschluss vom 16.2.1995 - BVerwG 1 B 205.93 -.

Werden Atteste vorgelegt, die den vorbeschriebenen Anforderungen genügen, ist grundsätzlich eine eigene medizinische Sachkunde des Gerichts, insbesondere zu einer abweichenden Bewertung von Schwere und Ausmaß der attestierten Erkrankung, zu verneinen und darf die Gefahr der möglichen Verschlimmerung der Erkrankung des Betroffenen bei Rückkehr in sein Heimatland oder Herkunftsgebiet nicht ohne weitere gerichtliche Aufklärung verneint werden. Diese hat, auch ohne dass es eines förmlichen Beweisantrages des Betroffenen bedarf, grundsätzlich in Form der Einholung fachärztlicher Gutachten oder Stellungnahmen zu erfolgen

vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 11.9.2007 - 10 C 8.07 -, Beschluss vom 24.5.2006 - 1 B 118/05 -, jeweils zitiert nach juris..

Vorliegend hat der Kläger indes kein Attest über das Vorliegen einer Posttraumatischen Belastungsstörung vorgelegt, das diesen Anforderungen entspricht. Die vorgelegten Schreiben des Arztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie M. an die Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 5.10.2009, 4.1.2010 und 4.7.2011 werden den dargelegten Standards nicht gerecht. Die ärztliche Bescheinigung des St. N.-Krankenhauses W. (Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie) vom 30.11.2009 und das Attest der Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, Dr. W. vom 15.9.2011 beschreiben schon nicht das Vorliegen einer Posttraumatischen Belastungsstörung.

In seinem ersten Schreiben vom 5.10.2009 führt der Arzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie M. zunächst aus, die Kriegsereignisse im Irak hätten in einem katastrophalen Ausmaß zur Instabilität des Landes sowohl im wirtschaftlichen als auch im politischen Bereich geführt. Rivalisierende ethnische und religiöse Minderheiten hätten das Chaos genutzt um alte Rechnungen zu begleichen. Es sei zu einem regelrechten Gemetzel innerhalb dieser Gruppierungen gekommen, der Kläger und sein Schicksal belegten dies. Weiter heißt es u.a.: „Der junge Patient ist Zeuge der Greueltaten mit Tötungsdelikten an seinen Familienmitgliedern gewesen und hat deswegen aus Todesangst sein Heimatland fluchtartig verlassen. Herr Saleh ist hochgradig traumatisiert und ist allein aus dieser Indikation dringend behandlungsbedürftig.“ In seinem zweiten Schreiben vom 4.1.2010 führt er aus, die Diagnose sei „auf der Grundlage der leitliniengerechten psychiatrischen Diagnostik nach dem Schlüssel ICD-10 gestellt“ und „die Kriterien, die zur Annahme einer posttraumatischen Belastungsstörung führen“ seien allesamt erfüllt. Es verstehe „sich von selbst, dass das Trauma sehr wohl in seinem Heimatland stattgefunden hat und die posttraumatischen Krankheitsfolgeerscheinungen erst 3 bis 6 Monate nach dem Trauma in Erscheinung treten“ könnten. Schließlich führt er in seinem letzten Schreiben vom 4.7.2011 nochmals aus, die Diagnose sei auf der Grundlage der leitliniengerechten psychiatrischen Diagnostik gestellt worden. „Die Glaubwürdigkeit der Aussagen der Migranten hänge natürlich sehr davon ab“, ob man „über die soziopolitischen Begebenheiten des Ursprungslandes der Betroffenen Bescheid“ wisse. Für seine Person gebe es keinen Grund, an den Aussagen des Klägers, wie sie sich aus seiner ärztlichen Bescheinigung vom 5.10.2009 ergäben, zu zweifeln.

Hiernach hat der Facharzt M. seiner Diagnose offenkundig einen anderen Sachverhalt zugrunde gelegt, als der Kläger selbst ihn im vorliegenden Verwaltungsstreitverfahren geschildert hat. Nach dessen eigenem Vortrag ist er nämlich selbst nicht „Zeuge der Greueltaten mit Tötungsdelikten an seinen Familienmitgliedern gewesen und hat deswegen aus Todesangst sein Heimatland fluchtartig verlassen“. Vielmehr ist danach (nur) ein Familienmitglied getötet worden, war er selbst nicht Zeuge der Tat und hat er sein Heimatland auch nicht fluchtartig aus Todesangst verlassen, sondern in einem gewissen zeitlichen Abstand, nach entsprechender Planung und Organisation durch die Familie. Einen Sachverhalt, wie ihn der Arzt zugrunde gelegt hat, hat der Kläger im vorliegenden Verfahren auch nach Vorlage der genannten ärztlichen Bescheinigungen zu keinem Zeitpunkt geschildert. Auch auf Nachfrage des Senats in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat zu seinen Asylgründen gab er nichts hiervon Abweichendes an. Da der Kläger auf weitere Nachfrage auch bekundete, sich mit dem Psychiater iranischer Herkunft in einer dem Kurdischen ähnlichen Dialekt sprachlich gut verständigt zu haben, scheiden Sprachschwierigkeiten zur Erklärung oder Auflösung dieses eklatanten Widerspruches aus.

Ging der Facharzt bei seiner Diagnose danach schon nicht von einem – gemessen am Vortrag des Klägers im vorliegenden Verfahren – zutreffenden Sachverhalt aus, so kann seiner Diagnose schon deshalb nicht gefolgt werden. Mit anderen Worten: Hat das vom Arzt angenommene traumatische Erlebnis im Heimatland nicht stattgefunden, so kann sich daraus auch keine Posttraumatische Belastungsstörung entwickelt haben. Es kommt deshalb daneben nicht mehr entscheidend darauf an, dass die genannten Schreiben des Arztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie M. vom 5.10.2009, 4.1.2010 und 4.7.2011 zudem in medizinischer Hinsicht wenig aussagekräftig erscheinen, da sie überwiegend nur pauschale Angaben enthalten, nicht aber eine - auf der Basis einer Einzelexploration mit Anamnese und Befunderhebung - nachvollziehbare fachärztliche Diagnose.

Aus der Bescheinigung des St. N.-Krankenhauses W. (Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie) vom 30.11.2009 über eine stationäre Behandlung des Klägers in der Zeit vom 19.11.- 26.11.2009 lässt sich das Vorliegen einer Posttraumatischen Belastungsstörung schon nicht entnehmen. Zwar ist eine schwere depressive Episode (ICD-10.F 32.2) bei Verdacht auf posttraumatische Belastungsstörung (ICD-10. -F 42.1) und eine latente Suizidalität des Klägers beschrieben sowie auf einen während des Krankenhausaufenthalts erfolgten Suizidversuch (mit oberflächlichen Wunden am Handgelenk) hingewiesen.

Der „Verdacht“ auf Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung ist jedoch erkennbar nicht verifiziert worden. Vielmehr war das Behandlungsziel offenbar die Beseitigung einer damals akuten Suizidalität. Auch im Berichtteil der Bescheinigung vom 30.11.2009 betreffend „Therapie und Verlauf“ heißt es zur „psychotherapeutischen Begleitung und Stützung“ allein, dass Thema „die aktuell belastende Lebenssituation“ gewesen sei. Anhaltspunkte für die Thematisierung eines im Heimatland erlebten Traumas des Klägers, die das zielstaatsbezogene Abschiebungshindernis einer „Retraumatisierung“ im Rückkehrfall begründen könnten, lassen sich der o.g. Bescheinigung nicht entnehmen. Zudem erfolgte die Entlassung im November 2009 in „ausreichend stabilisierten, affektiv ausgeglichenerem Zustand“ mit einer antidepressiven Medikation.

Auch dem vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vorgelegten Attest der Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, Dr. W. vom 15.9.2011 lässt sich lediglich entnehmen, dass nach deren Einschätzung bei dem Kläger derzeit eine in erster Linie reaktiv bedingte depressive Störung vorliegt, die durch eine medikamentöse Therapie in niedriger Dosierung behandelt werden kann. Weder vom Vorliegen noch von einem Verdacht auf Vorliegen einer Posttraumatischen Belastungsstörung des Klägers ist die Rede.

Auf eine solche kann aktuell auch nicht auf Grundlage des Vortrages des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat geschlossen werden. Nach seinen eigenen Aussagen ist der Kläger ein instabiler Mensch, der keine Ruhe findet und Schlafstörungen hat. Andere gravierende körperliche Auswirkungen als Folge seiner Unruhe und Nervosität hat der Kläger nicht beschrieben.

Von dem Vorliegen einer Posttraumatischen Belastungsstörung kann daher nicht ausgegangen werden.

Auch Anhaltspunkte für eine sonstige schwerwiegende psychische Erkrankung oder für eine latente Suizidalität des Klägers, die u. U. eine zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis i.S.d. § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG begründen könnten, liegen danach nicht vor.

Zwar spricht auch das Schreiben des Arztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie M. vom 4.1.2010 eine Suizidalität des Klägers an und führt aus, er sei hochgradig gefährdet, soweit es seine suizidalen Tendenzen anbelange, weil er sich permanent verfolgt fühle und in einer dauerhaften Angst lebe. Einen nachvollziehbaren konkreten Hintergrund für diese Einschätzung, insbesondere Tatsachen jenseits der nicht mit dem Vortrag des Klägers im vorliegenden Verfahren übereinstimmenden angeblichen Traumatisierung in seinem Heimatland, benennt das Schreiben jedoch ebenso wenig wie die weiteren Schreiben vom 5.10.2009 und 4.7.2011. In dem Schreiben vom 4.7.2011 ist von einer Suizidalität des Klägers nicht mehr die Rede. Vielmehr wird festgestellt, dass der Kläger durch die bisherige regelmäßige therapeutische Führung sowie Medikamenteneinnahme bis zum Behandlungsende am 20.4.2011 eine durchaus positive Entwicklung durchlaufen habe, insbesondere seine Ängste schrittweise abzubauen und mit einer Minimaldosierung des Medikamentes auszukommen vermocht habe. Für die Annahme einer aktuellen Suizidalität oder der drohenden wesentlichen Verschlimmerung einer vorhandenen schwerwiegenden psychischen Erkrankung des Klägers nach Rückkehr in das Herkunftsland lässt sich hieraus nichts gewinnen. Gleiches gilt für das in der mündlichen Verhandlung vorgelegte Attest der den Kläger derzeit behandelnden Ärztin Dr. W. vom 15.9.2011.

Schließlich sprechen auch die eigenen Angaben des Klägers in der mündlichen mit Gewicht dagegen, dass von dem Vorliegen einer schwerwiegenden psychischen Erkrankung oder - latenten - Suizidalität oder auch nur von einem ernstzunehmenden Verdacht auf Derartiges auszugehen wäre.

Der Kläger hat auf ausdrückliches Befragen des Senats zu seiner ärztlichen Behandlung und zu seinem Befinden erklärt, der zuvor behandelnde Arzt M., der im April 2011 seine kassenärztlichen Zulassung zurückgegeben habe, habe ihm nach Beendigung der dortigen Behandlung auf spätere telefonische Nachfrage Rezepte ausgestellt und ihm den Versuch angeraten, auch gänzlich ohne das eingesetzte Medikament (Citalopram) auszukommen und „ruhiger“ zu werden. Man habe dann die Dosis von 40 mg auf 20 mg und schließlich auf 10 mg verringert. Da er bei der Dosis von 10 mg keine Ruhe gefunden habe, habe er Dr. W. aufgesucht. Mit dieser könne er sich auf Deutsch verständigen. Unter deren Behandlung nehme er derzeit täglich 20 mg Citalopram sowie bei Bedarf eine Schlaftablette (Zolpidem), weitere Medikamente nehme er nicht. Schwerwiegende Störungen oder noch bestehende Selbstmordgedanken hat der Kläger nicht beschrieben, sondern lediglich - wie dargelegt - eine allgemeine Instabilität, Unruhe und gelegentliche Schlafstörungen, die er nach Behandlungsabbruch im April 2011 auch ohne ärztliche Behandlung allein durch Einnahme von Citalopram sowie bei Bedarf gelegentlich von Zolpidem hat bewältigen können. In der immerhin vier Monate währenden Zeit zwischen dem Behandlungsende bei dem Arzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie M. am 20.4.2011 und dem Aufsuchen der Fachärztin Dr. W. am 25.8.2011 ist danach offenkundig keine relevante Verschlimmerung des gesundheitlichen Zustands des Klägers eingetreten. Greifbare und nachhaltige Hinweise auf eine schwerwiegende psychische Erkrankung, die sich bei Rückkehr in sein Heimatland aufgrund fehlender bzw. unzureichender ärztlicher und medikamentöser Versorgung wesentlich verschlimmern könnte, liegen danach aktuell nicht vor. Derartiges ist auf Grundlage der dargestellten Erkenntnisse auch nicht zu prognostizieren.

Auszugehen ist vielmehr davon, dass die Krankheitssymptome, wegen derer der Kläger sich derzeit in ärztlicher Behandlung befindet, auch im Rückkehrfall behandelt werden können und eine wesentliche Verschlimmerung seines Krankheitsbildes im Sinne einer konkreten Gesundheitsgefahr von erheblicher Intensität nicht zu befürchten ist.

Zwar ist nach den dem Senat vorliegenden Erkenntnissen

vgl. hierzu etwa Auswärtiges Amt, Lagebericht Irak vom 28.11.2010; SFH, Die sozioökonomische Situation im Nordirak, Mai 2010: Die Behandlung von PTSD in Erbil vom 10.3.2010, ferner Bericht vom 10.7.2007: Die sozioökonomische Situation in den von der KRG verwalteten Provinzen; GIGA an VG Düsseldorf vom 10.5.2007 zu Az.: 16 K 5213/06.A -; DOI an VG Saarlouis vom 6.3.2006 zu Az.: 2 K 1/06.A; EZKS an VG Ansbach vom 4.2.2006 zu Az.: AN 9 K 04.32341 -,

die inhaltlich im Wesentlichen übereinstimmen, die Versorgungslage im Irak in medizinischer Hinsicht trotz einer tendenziell anzunehmenden Verbesserung

hierzu insbesondere SFH, Die sozioökonomische Situation im Nordirak, Mai 2010 unter Berufung auf einen Bericht der WHO

nach wie vor angespannt.

Grundsätzlich kann sich zwar jeder Iraker überall im Land in öffentlichen Krankenhäusern kostenfrei behandeln lassen, wobei Unterschiede zwischen dem Zentralirak und dem kurdisch verwalteten Norden nicht bestehen. De facto existiert aber nach den Angaben verschiedener Erkenntnisquellen im Irak eine Zwei-Klassen-Medizin. Die öffentlichen Krankenhäuser sind schlecht ausgestattet und leiden vor allem an einem Mangel an Medikamenten und technischem Gerät. Medikamente sind danach zumeist nur theoretisch kostenfrei und müssen meistens zu hohen Preisen privat in Apotheken gekauft werden. Psychische Krankheiten werden häufig nur medikamentös behandelt

hierzu etwa EZKS an VG Ansbach vom 4.2.2006 zu Az.: AN 9 K 04.32341 u.a., Auswärtiges Amt, Lagebericht Irak vom 28.11.2010; SFH, Die sozioökonomische Situation im Nordirak, Mai 2010.

Dennoch ist nach Auskunftslage

vgl. etwa Botschaft BRD an VG Ansbach vom 20.5.2010 zu Az.: AN 9 K 09.30128

etwa eine depressive Anpassungsstörung oder depressive Episode in Mossul prinzipiell behandelbar. Die Kosten hierfür hängen von Art und Dauer der Behandlung ab und können daher - auch infolge fehlender ärztlicher Gebührenordnung - nicht allgemein und pauschal abgeschätzt werden.

Nach der

Auskunft des (Vertrauensarztes des) Generalkonsulats Erbil vom 29.4.2010 an VG Bayreuth zu Az.: B 3 K 30045

gibt es auch in Erbil, in anderen Teilen Kurdistans ebenso wie im Gesamtirak eine erhebliche Anzahl von Nervenärzten, die an Depressionen leidende Patienten gut behandeln können. Psychopharmaka sind danach vorhanden und preisgünstig, die ärztliche Beratung kann nach dieser Quelle in staatlichen Krankenhäusern kostenlos erfolgen sowie in privaten Praxen für ca. 10 EUR.

Zwar gibt es über die Verfügbarkeit des von dem Kläger derzeit zur Bekämpfung seiner Unruhezustände eingenommenen Medikaments Citalopram im Irak nach Ansicht des EZKS aus dem Jahr 2006

vgl. EZKS an VG Ansbach vom 4.2.2006, a.a.O.

widersprüchliche Aussagen verschiedener befragter Ärzte und kann nach dessen Einschätzung jedenfalls nicht von einem regelmäßigen und kostenfreien Bezug des Medikaments ausgegangen werden.

Ausgehend von den vorgenannten aktuellen Erkenntnisquellen aus dem Jahr 2010 lassen sich jedoch derartige Einschränkungen bei der allgemeinen Verfügbarkeit von vergleichbaren Medikamenten zur Behandlung psychischer Erkrankungen wie der zuletzt bei dem Kläger diagnostizierten „depressiven Störung“ nicht feststellen. Hieraus ist zu folgern, dass zumindest die zur Behandlung „einfacher“ psychischer Erkrankungen, wie einer depressiven Störung, erforderlichen Medikamente ebenso wie hierzu ergänzende Schlafmittel dem Kläger im Irak grundsätzlich zur Verfügung stehen oder beschafft werden können.

Da die Familie des Klägers nach dessen eigenem Bekunden in der mündlichen Verhandlung wirtschaftlich nach wie vor gut gestellt ist, ist eine für ihn konkret erforderliche ärztliche Behandlung und Medikation in seinem Heimatland in vergleichbaren Intervallen wie in der Bundesrepublik Deutschland auch tatsächlich erreichbar.

Eine weitere Sachaufklärung, insbesondere die Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Thema der gesundheitlichen Beeinträchtigung des Klägers sowie einer möglichen medizinischen Versorgung in seinem Heimatland drängte sich nach alledem – ungeachtet des Umstandes, dass der anwaltlich vertretene Kläger einen förmlichen Beweisantrag hierzu nicht gestellt hat – nicht auf.

Ein Abschiebungsverbot im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wegen einer Gesundheitsgefährdung erheblichen Ausmaßes kann hiernach ebenfalls nicht angenommen werden.

Die Berufung des Klägers wird daher zurückgewiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 83 b AsylVfG.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Satz 1 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Der Bescheid der Beklagten vom 19.4.2007 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO).

Dem Kläger steht nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) kein Anspruch auf Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG zu. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor.

I.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 3 Abs. 3 AsylVfG.

Die von dem Kläger begehrte Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 3 Abs. 3 AsylVfG ist abzulehnen, weil er nicht glaubhaft darlegen konnte, dass er aus begründeter Furcht vor (bereits erlittener oder unmittelbar bevorstehender) politischer Verfolgung aus seinem Heimatland ausgereist ist bzw. dass ihm gegenwärtig eine solche aus den in § 60 Abs. 1 AufenthG genannten Gründen droht. Er ist im Oktober 2005 unverfolgt aus dem Irak ausgereist und muss im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit befürchten, bei einer Rückkehr dorthin relevanten Verfolgungsmaßnahmen im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG ausgesetzt zu sein.

Nach § 60 Abs. 1 AufenthG darf in Anwendung des Abkommens vom 28.6.1951 über die Rechtstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist, wobei eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe nach § 60 Abs. 1 Satz 3 AufenthG auch dann vorliegen kann, wenn die Bedrohung an das Geschlecht anknüpft. Eine Verfolgung in diesem Sinne kann nach § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG von dem Staat (lit. a), Parteien und Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen (lit. b) oder von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern die unter lit. a und b genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht, es sei denn, es besteht eine inländische Fluchtalternative (lit. c).

Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 3 Abs. 3 AsylVfG unterliegt im Wesentlichen den gleichen Anforderungen, nach denen auch eine Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16 a Abs. 1 GG erfolgt

hierzu etwa BVerwG, Urteil vom 29.5.2008 - 10 C 11.07 -, BVerwGE 131, 186 ff.; zur Vorgängerregelung des § 51 Abs. 1 AuslG: BVerwG, Urteil vom 18.2.1992 - 9 C 59.91 -, DÖV 1992, 582 f., zur Deckungsgleichheit von Art. 16 a Abs. 1 GG und § 51 Abs. 1 AuslG mit dem Flüchtlingsbegriff der Genfer Konvention: BVerwG, Urteil vom 26.10.1993 - 9 C 50.92 u.a. -, NVwZ 1994, 500 ff.

Auch die Annahme einer relevanten Verfolgungssituation i.S.d. § 60 Abs. 1 AufenthG setzt voraus, dass eine spezifische Zielrichtung vorliegt, d.h. die Verfolgung muss nach ihrer erkennbaren Gerichtetheit an die vorstehend genannten Merkmale anknüpfen. An einer solchen gezielten Rechtsverletzung fehlt es indes regelmäßig bei Nachteilen, die jemand aufgrund der allgemeinen Zustände in seinem Herkunftsland zu erleiden hat, etwa infolge von Naturkatastrophen, Arbeitslosigkeit, einer schlechten wirtschaftlichen Lage oder infolge allgemeiner Auswirkungen von Unruhen, Revolutionen und Kriegen

hierzu BVerfG, Beschluss vom 10.7.1989 - 2 BvR 502/86 u.a. -, BVerfGE 80, 315 ff.; BVerwG, Urteil vom 5.7.1994 - 9 C 158.94 -, BVerwGE 96, 200 ff.; siehe in diesem Zusammenhang auch Art. 9 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.4.2004 (sog. Qualifikationsrichtlinie - QRL -).

Allerdings geht der Flüchtlingsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG teilweise über den Schutz des Asylgrundrechts nach Art. 16 a GG hinaus. So kann gemäß § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG eine Verfolgung auch durch nichtstaatliche Akteure ein Abschiebungsverbot begründen.

Für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegt, sind zudem gemäß § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG die Bestimmungen der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.4.2004 (sog. Qualifikationsrichtlinie - QRL -) ergänzend anzuwenden, so insbesondere Art. 4 Abs. 4 sowie Art. 7 bis 10.

Die zum Asylgrundrecht nach Art. 16 a GG in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts entwickelten unterschiedlichen Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe, je nach dem, ob der Ausländer seinen Heimatstaat auf der Flucht vor eingetretener oder unmittelbar drohender politischer Verfolgung verlassen hat oder ob er unverfolgt ausgereist ist

vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 2.7.1980 - 1 BvR 147/80 u.a. -, BVerfGE 54, 341, und vom 10.7.1989 - 2 BvR 502/86 u.a. -, BVerfGE 80, 315

haben in die Qualifikationsrichtlinie keinen Eingang gefunden. Der sog. herabgestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab der hinreichenden Sicherheit ist insoweit durch die Nachweiserleichterung in Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie ersetzt worden, die sowohl für den Flüchtlingsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG als auch für die weiteren unionsrechtlichen und nationalen Abschiebungsverbote des § 60 AufenthG gilt. Als Prognosemaßstab ist daher allein der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen

vgl. BVerwG, Urteile vom 1.6.2011 - 10 C 10.10 und 10 C 25.10, vom 27.4.2010 - BVerwG 10 C 5.09 - und vom 7.9.2010 - 10 C 11.09 -, siehe auch EuGH, Urteil vom 2.3.2010, Rs. C-175/08 u.a., Abdulla u.a., OVG Münster, Urteil vom 17.8.2010 - 8 A 4063/06.A -, jeweils zitiert nach juris.

Nach Art. 4 Abs. 4 QRL i.V.m. § 60 Abs. 1 Satz 5, Abs. 11 AufenthG ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird.

Die Vorschrift des Art. 4 Abs. 4 QRL begründet mithin für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare tatsächliche Vermutung dafür, dass sie erneut von einer Verfolgung oder einem sonstigen ernsthaften Schaden bedroht sind. Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadensstiftenden Umstände bei der Rückkehr erneut realisieren werden. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit einer Verfolgung bzw. des Eintritts eines sonstigen ernsthaften Schadens entkräften. Dies ist im Rahmen freier Beweiswürdigung zu beurteilen

vgl. BVerwG, Urteile vom 27.4.2010 - 10 C 5.09 - und vom 7.9.2010 - 10 C 11.09 - m.w.N., zitiert nach juris.

Die bereits erlittener Verfolgung gleichzustellende unmittelbar drohende Verfolgung setzt eine Gefährdung voraus, die sich schon so weit verdichtet hat, dass der Betroffene für seine Person ohne Weiteres mit dem jederzeitigen Verfolgungseintritt aktuell rechnen musste

vgl. BVerwG, Urteil vom 24.11.2009 - 10 C 24.08 - m.w.N., zitiert nach juris.

Aus den in Art. 4 QRL geregelten Mitwirkungs- und Darlegungsobliegenheiten des Schutzsuchenden folgt, dass es auch unter Berücksichtigung der Vorgaben dieser Richtlinie Sache des Ausländers ist, die Gründe für seine Furcht vor politischer Verfolgung schlüssig vorzutragen. Er ist gehalten, unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung politische Verfolgung im genannten Sinne droht. Hierzu gehört, dass der Ausländer zu den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere zu seinen persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung gibt, die geeignet ist, den behaupteten Anspruch lückenlos zu tragen.

Das Gericht muss dabei die volle Überzeugung von der Wahrheit des behaupteten individuellen Schicksals und von der Richtigkeit der Prognose drohender politischer Verfolgung gewinnen. Aufgrund der Beweisschwierigkeiten, in denen sich der Schutzsuchende hinsichtlich der asylbegründenden Vorgänge im Heimatland regelmäßig befindet, muss sich das Gericht jedoch mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad an Gewissheit begnügen, auch wenn Zweifel nicht völlig ausgeschlossen werden können. Es genügt insoweit in der Regel Glaubhaftmachung, während für Vorgänge innerhalb des Zufluchtlandes - prinzipiell - der volle Nachweis zu fordern ist. Bei erheblichen Widersprüchen oder Steigerungen im Sachvortrag indes kann dem Kläger nur bei einer überzeugenden Auflösung der Unstimmigkeiten geglaubt werden

vgl. BVerwG, Entscheidungen vom 21.7.1989 - 9 B 239.89 -, vom 16.4.1985 - 9 C 109.84 - und vom 29.11.1977 - 1 C 33.71 -, jeweils zitiert nach juris.

Von diesen Maßstäben ausgehend kann der Kläger auch unter Anwendung der Bestimmungen der sog. Qualifikationsrichtlinie die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG hinsichtlich einer Abschiebung in den Irak nicht beanspruchen. Das gilt sowohl im Hinblick auf sein Individualschicksal als auch im Hinblick auf die zu verneinende Gruppenverfolgung wegen seiner sunnitischen Religionszugehörigkeit und kurdischen Volkszugehörigkeit.

Der Kläger ist im Oktober 2005 unverfolgt ausgereist.

Zu seinem Individualschicksal hat er bekundet, er habe sich niemals selbst politisch betätigt und vor seiner Ausreise auch keinerlei Probleme mit irakischen hoheitlichen Stellen gehabt. Als verfolgungsbegründend führt er allein einen kurz vor seiner Ausreise im Oktober 2005 angeblich erfolgten Überfall an, bei dem sein Vater durch dem Kläger unbekannte Täter getötet und seine Schwester verletzt worden sein soll. Bezüglich der Urheberschaft des Vorfalls und der dafür maßgeblichen Motivation hat er die Vermutung geäußert, er gehe entweder auf die frühere Mitgliedschaft seines Vaters in der Baath-Partei oder auf einen Racheakt von Familienmitgliedern seiner Mutter, die sein Vater seinerzeit gegen den Willen der Eltern geehelicht habe, zurück.

Aus diesem Vortrag kann auf eine den Anforderungen des § 60 Abs. 1 AufenthG entsprechende staatliche oder nichtstaatliche Individualverfolgung des Klägers vor seiner Ausreise nicht geschlossen werden.

Dies gilt selbst dann, wenn ungeachtet der bestehenden erheblichen Zweifel an der Glaubhaftigkeit seines Vorbringens insgesamt in diesem Punkt zu seinen Gunsten unterstellt wird, dass der Vorfall selbst mit den beschriebenen Folgen tatsächlich stattgefunden hat, was angesichts der allgemeinen Lage im Irak durchaus im Bereich des Möglichen erscheint, ebenso wie eine Unaufklärbarkeit von Hintergründen und Motiven

vgl. hierzu Urteil des Senats vom 1.6.2011 – 3 A 429/08 – dokumentiert bei juris.

Im Grundsatz geht der Senat, wie bereits das Verwaltungsgericht, von einer weitgehend konstruierten Verfolgungsgeschichte aus. Hierzu wird zunächst auf die eingehenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu unterschiedlichen Varianten und Widersprüchen im Vortrag des Klägers Bezug genommen.

Nur beispielhaft sei an dieser Stelle darauf verwiesen, dass er auch widersprüchliche Angaben bezüglich der Finanzierung seiner Ausreise – in einer Variante durch seine Mutter, in einer andern durch seine Mutter und eine Tante und zuletzt durch seinen Großvater väterlicherseits – gemacht hat, ebenso bezüglich der Finanzierung seiner Bahnfahrt nach Belgien, und dass er zudem vor dem Bundesamt angegeben hatte, er habe wegen eines Augenleidens nur 1 ½ Monate die Schule besuchen können und sei als Schafhirte tätig gewesen, während er vor dem Senat nicht nur erklärte, er könne (sogar) die deutsche Sprache lesen und auch schreiben, sondern auch, er sei von Beruf Installateur für Heizung und Sanitär, wenn auch mit der Einschränkung, dass er keine Ausbildung habe, die für Deutschland gültig sei.

Denn ungeachtet dessen enthält der Vortrag des Klägers zu dem zu seinem Gunsten als glaubhaft unterstellen Vorfall der Tötung seines Vaters und Verletzung seiner Schwester zum einen keinerlei konkrete Anhaltspunkte, welche geeignet sind, die eine oder die andere von ihm geäußerte Vermutung zu Urheberschaft und Motivation zu stützen, und zum anderen erscheinen beide Vermutungen auch nicht plausibel im Hinblick auf eine eigene Verfolgungsgefahr für den Kläger.

Soweit der Kläger die Mutmaßung eines Racheakts von Familienmitgliedern seiner Mutter angestellt hat, erscheint schon der Ausgangspunkt dieser Überlegung nicht plausibel. Es erscheint nicht nachvollziehbar, dass nach einer Zeitspanne von 30 Jahre, nachdem der Vater des Klägers dessen Mutter gegen den Willen der Familie „entführt“ haben soll, und insbesondere, nachdem zwischenzeitlich sogar eine Versöhnung mit dem Vater seiner Mutter, d.h. dem Oberhaupt der mütterlichen Verwandtschaft erfolgt sein soll, Angehörige seiner Mutter an seinem Vater Rache genommen und ihn getötet haben sollen. Hätten derartige Nachstellungen, insbesondere seitens des angeblich ebenfalls heiratswilligen Cousins der Mutter gedroht, so wären sie zeitnah zu erwarten gewesen. Die weitere Frage der Beachtlichkeit einer derartigen Bedrohung im Rahmen des § 60 Abs. 1 AufenthG bedarf mit Rücksicht hierauf keiner Erörterung.

Soweit der Kläger die Mutmaßung eines Racheakts wegen der Mitgliedschaft bzw. Mitarbeit seines Vaters in der Baath-Partei angestellt hat, vermag auch dies nicht zur Annahme einer Individualverfolgung des Klägers im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG zu führen. Zum einen waren zum damaligen Zeitpunkt von derartigen Anschlägen allenfalls hochrangige Funktionäre der Baath-Partei betroffen, die persönlich Verbrechen oder Grausamkeiten verübt hatten, nicht aber sonstige Parteimitglieder, und zum anderen waren selbst in diesen Sonderfällen nur die betreffenden Parteifunktionäre selbst, nicht aber deren Familienangehörige gefährdet

hierzu etwa Schweizerische Flüchtlingshilfe - SFH - vom 27.1.2006, Zur Gefährdung von ehemaligen Mitgliedern der Baath-Partei; Deutsches Orient-Institut - DOI - an VG München vom 1.9.2006 (2112 al/br.) zu Az. M 9 K 05.50273; EZKS, Stellungnahmen an VG Köln vom 17.12.2004 im Falle des Sohnes eines Einsatzleiters einer Sonderstreife in Mossul, der mit dem Geheimdienst zusammengearbeitet hatte, sowie Urteil des Senats vom 1.6.2011 – 3 A 429/08 – dokumentiert bei juris.

Eine nach dem von ihm geschilderten Angriff unmittelbar bevorstehende Gefahr entsprechender Verfolgung (auch) des Klägers ist daher zu verneinen.

Der Kläger war zum Zeitpunkt seiner Ausreise auch nicht mit Rücksicht auf seine kurdische Volkszugehörigkeit und sunnitische Religionszugehörigkeit vorverfolgt. Eine an diese Merkmale anknüpfende Gruppenverfolgung im Irak war und ist zu verneinen

vgl. hierzu bereits Urteile des Senats vom 29.9.2006 - 3 R 6/06 -und vom 1.6.2011 - 3 A 429/08 - dokumentiert bei juris, letzteres betreffend einen sunnitischen Kurden aus Mossul.

Dabei ist im Einzelnen von Folgendem auszugehen: Die Gefahr einer Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG kann sich nicht nur aus gegen den Betroffenen selbst gerichteten Maßnahmen (anlassgeprägte Einzelverfolgung), sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen ergeben, wenn diese Dritten wegen eines relevanten Merkmals verfolgt werden, das der Asylbewerber mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet (sog. Gruppenverfolgung)

hierzu etwa BVerfG, Beschluss vom 23.1.1991 - 2 BvR 902/85 u.a. -, BVerfGE 83, 216 ff.

Die Annahme einer Gruppenverfolgung setzt dabei zunächst voraus, dass die festgestellten Maßnahmen die von ihnen Betroffenen gerade in Anknüpfung an das die verfolgte Gruppe kennzeichnende relevante Merkmal treffen. In Betracht kommt eine unmittelbare Anknüpfung an das die Verfolgung begründende Gruppenmerkmal - etwa die Volks- oder Religionszugehörigkeit - aber auch eine Verfolgung, der dieses Merkmal mittelbar zugrunde liegt.

Die Annahme einer Gruppenverfolgung setzt ferner eine bestimmte Verfolgungsdichte voraus. Der Feststellung dicht und eng gestreuter Verfolgungsschläge bedarf es allerdings dann nicht, wenn hinreichend sichere Anhaltspunkte für ein staatliches Verfolgungsprogramm bestehen, dessen Umsetzung bereits eingeleitet ist oder alsbald bevorsteht

hierzu BVerwG, Entscheidungen vom 2.2.2010 - 10 B 18.09 -, vom 18.7.2006 - 1 C 15.05 - und vom 5.7.1994 - 9 C 158.94 -, jeweils zitiert nach juris,

was vorliegend jedoch nicht der Fall ist.

Für die Feststellung der sonst erforderlichen Verfolgungsdichte ist eine so große Vielzahl von Eingriffshandlungen in nach § 60 Abs. 1 AufenthG geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne Weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht

hierzu etwa BVerwG, Entscheidungen vom 2.2.2010 - 10 B 18.09 - und vom 21.4.2009 - 10 C 11.08 -, jeweils zitiert nach juris.

Für die Beurteilung, ob die Verfolgungsdichte die Annahme einer Gruppenverfolgung rechtfertigt, müssen Intensität und Anzahl aller Verfolgungshandlungen zur Größe der Gruppe in Beziehung gesetzt werden. Allein die Feststellung „zahlreicher“ oder „häufiger“ Eingriffe reicht nicht aus. Denn eine bestimmte Anzahl von Eingriffen, die sich für eine kleine Gruppe von Verfolgten möglicherweise bereits als bedrohlich erweist, kann bei einer großen Gruppe vergleichsweise geringfügig erscheinen, weil sie in Bezug auf die Zahl der Gruppenmitglieder nicht ins Gewicht fällt und sich deshalb nicht als Bedrohung der Gruppe darstellt.

Bei der Prüfung einer Gruppenverfolgung sind die zahlenmäßigen Grundlagen der gebotenen Relationsbetrachtung zur Verfolgungsdichte nicht mit quasi naturwissenschaftlicher Genauigkeit festzustellen, sondern es genügt, die ungefähre Größenordnung der Verfolgungsschläge zu ermitteln und sie in Beziehung zur Gesamtgruppe der von Verfolgung Betroffenen zu setzen. Dabei darf bei unübersichtlicher Tatsachenlage und nur bruchstückhaften Informationen aus einem Krisengebiet auch aus einer Vielzahl vorliegender Einzelinformationen eine zusammenfassende Bewertung des ungefähren Umfangs der asylerheblichen Verfolgungsschläge und der Größe der verfolgten Gruppe erfolgen. Auch für die Annahme einer erheblichen Dunkelziffer nicht bekannter Übergriffe müssen die gerichtlichen Feststellungen zur Größenordnung der Gesamtheit der Anschläge aber in nachvollziehbarer und überprüfbarer Weise begründet werden.

Einen Verzicht auf die Quantifizierung der Verfolgungsschläge hat das Bundesverwaltungsgericht nur bei besonders kleinen Gruppen zugelassen, bei denen auch die Feststellung reichen kann, derartige Übergriffe seien „an der Tagesordnung“

hierzu etwa BVerwG, Entscheidungen vom 21.2.2009, a.a.O. und vom 23.12.2002 - 1 B 42.02 -, zu syrisch-orthodoxen Christen in Tur Abdin, zitiert nach juris.

Bei der erforderlichen wertenden Gesamtschau der Verfolgungssituation sind nur asylrechtlich beachtliche, an die Merkmale in § 60 Abs. 1 S. 1 AufenthG anknüpfende Maßnahmen zu berücksichtigen

BVerwG, Urteil vom 21.4.2009 - 10 C 11.08 -, zitiert nach juris.

Nicht einzubeziehen sind hingegen rein kriminelle Verbrechen und ungezielte terroristische Anschläge, die allein die Destabilisierung der Lage bezwecken.

Eine nach diesen Maßstäben anzunehmende Gruppenverfolgung sunnitischer Religionszugehöriger und kurdischer Volkszugehöriger im Irak i.S.d. § 60 Abs. 1 AufenthG in Verbindung mit den europarechtlichen Bestimmungen der sog. Qualifikationsrichtlinie kann – auch für den Zeitpunkt der Ausreise des Klägers - weder landesweit noch bezogen auf das Herkunftsgebiet des Klägers angenommen werden.

Es fehlt bei einer relativierenden Betrachtung der Anzahl der Opfer von Verfolgungsschlägen und des jeweiligen Anteils der sunnitischen und kurdischen Bevölkerungsgruppe an einer hinreichenden Verfolgungsdichte. Dies hat der Senat zuletzt mit Urteil vom 1.6.2011

3 A 429/08 – dokumentiert bei juris

unter Verwertung zahlreicher Erkenntnisquellen festgestellt. Wegen der Einzelheiten wird hierauf Bezug genommen.

Auch individuell gefahrerhöhende Umstände sind im Falle des Klägers nicht erkennbar.

Ist der Kläger demnach unverfolgt aus seinem Heimatland ausgereist, kommt ihm für die Beurteilung der Frage, ob er im Falle seiner Rückkehr eine Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG zu befürchten hat, die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 QRL nicht zugute und ist hierfür der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit anzuwenden.

Nach diesem Maßstab ist eine Verfolgung im Sinne der genannten Bestimmung im Falle seiner Rückkehr nicht zu prognostizieren.

Dies gilt sowohl mit Blick auf die von ihm geltend gemachte individuelle Verfolgungsgefahr wegen der Mitgliedschaft bzw. Mitarbeit seines Vaters in der Baath-Partei als auch mit Blick auf die ihm angeblich drohende Gefahr für Leib und Leben wegen Verletzung der Familienehre durch seinen Vater als auch im Hinblick auf seine sunnitische Religionszugehörigkeit und kurdische Volkszugehörigkeit.

Die dem Senat vorliegenden Erkenntnisse lassen – wie für die Zeit vor seiner Ausreise – auch für die Zeit nach seiner Ausreise bis heute den Schluss auf eine entsprechende Gefährdung des Klägers im Rückkehrfall nicht zu

vgl. Urteil des Senats vom 1.6.2011 - 3 A 429/08 -, dokumentiert bei juris.

Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vorgetragen hat, sein Problem sei ein Stammesproblem gewesen, womit er die Entführung seiner Mutter vor 30 Jahren meine, und daraus sei ein politisches Problem geworden, weil sein Vater bei der Baath-Partei mitgearbeitet habe, um über die politische Tätigkeit Schutz wegen der aus der Entführung resultierenden Gefährdung zu erlangen, rechtfertigt dies ebenso wenig eine andere Einschätzung, wie der Vortrag, er habe nach seiner Einreise in die Bundesrepublik im Jahre 2005 in B-Stadt einen Freund seines Vaters getroffen, der ihm gesagt habe, er habe seine Feinde hier gesehen, deshalb solle er besser in ein anderes Land gehen. Weder hält der Senat das Vorbringen bezüglich des Freundes seines Vaters für glaubhaft, noch eine Bedrohung des Klägers durch „seine Feinde“ selbst in der Bundesrepublik. Was insbesondere die angebliche Information „eines Freundes seines Vaters“ im Jahre 2005 in B-Stadt anbelangt, hat der Kläger – jeweils im Zusammenhang mit seiner Weiterreise von B-Stadt nach Belgien - noch bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt erklärt, als er in B-Stadt angekommen sei, habe er Kurden getroffen, die gesagt hätten, dass es hier nicht so gut sei und dass man kein Asylrecht bekommen würde, woraufhin er B-Stadt wieder verlassen habe. Demgegenüber hat er bei seiner Anhörung vor dem Verwaltungsgericht erklärt, er habe in B-Stadt von einer Person, die früher mit seinem Vater zusammengearbeitet habe, gehört, dass er von den Familienangehörigen seiner Mutter gesucht werde. Vor dem Senat hat er nunmehr die oben genannte weitere Abwandlung hinzugefügt. Ergänzend wird auf die oben bereits dargelegten Bedenken gegen die Glaubhaftigkeit seines Vorbringens insgesamt hingewiesen.

Nach allem lässt sich dem Vortrag des Klägers nicht entnehmen, dass im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland die Gefahr einer Individualverfolgung des Klägers im Sinne des § 60 Abs.1 AufenthG mit dem erforderlichen Wahrscheinlichkeitsgrad der beachtlichen Wahrscheinlichkeit gegeben ist.

Auch eine Gruppenverfolgung des Klägers wegen dessen sunnitischer Religions- und kurdischer Volkszugehörigkeit ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt – ebenso wie für den Zeitpunkt seiner Ausreise bereits dargelegt - zu verneinen.

Zwar ist nach den vorliegenden Erkenntnissen von einer immer noch instabilen Sicherheitslage auszugehen, jedoch ist gegenüber früheren Jahren eine fortschreitende Stabilisierung zu verzeichnen. Die vorliegenden Erkenntnisse weisen insgesamt in eine positive Richtung. Insbesondere hat die interkonfessionelle Gewalt (zwischen Sunniten und Schiiten) seit dem energischen Durchgreifen der irakischen Regierung gegen Milizen seit dem Frühjahr 2008 in einem relevanten Maß nachgelassen

hierzu etwa BAMF, Dokumentation Irak, Zur Gefährdung der Zivilbevölkerung durch bewaffnete Konflikte, Januar 2010; BAMF, Briefing Notes vom 27.12.2010; Schweizerischen Flüchtlingshilfe (im Folgenden SFH) Irak: Die aktuelle Entwicklung im Zentral- und Südirak - Update vom 5.11.2009 -; UNHCR, Positionspapier zum Schutzbedarf irakischer Asylbewerber und zu den Möglichkeiten der Rückkehr irakischer Staatsangehöriger in Sicherheit und Würde vom 13.5.2009 und Stellungnahme vom 16.9.2009 an den Hessischen VGH; ai-Report 2010, Zur weltweiten Lage der Menschenrechte; EZKS, Stellungnahme an VG München vom 20.1.2009 zu Az. M 4 K 08.50041 u.a..

Auf die diesbezüglichen Darlegungen im Urteil des Senats vom 1.6.2011

- 3 A 429/08 -, dokumentiert bei juris,

wird vollinhaltlich Bezug genommen.

Auf der Grundlage dieser Feststellungen sind die im Irak sowie in der Heimatstadt bzw. der Heimatregion des Klägers zu verzeichnenden Anschläge, deren Hintergründe und Zuordnung zu bestimmten Gruppierungen oder Stellen nach der Erkenntnislage im Einzelnen kaum bzw. schwer zu klären sind, zwar häufig als Akte willkürlicher Gewalt zu bewerten. Indes lassen sich auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt weder bezogen auf die Gruppe sunnitischer Religionszugehöriger die für die Annahme einer Gruppenverfolgung im Rahmen des § 60 Abs. 1 AufenthG erforderliche Verfolgungsdichte, noch bezogen auf die Person des Klägers besondere gefahrerhöhende Umstände feststellen.

Den Lageberichten Irak des Auswärtigen Amtes

vom 28.11.2010 vom 11.4.2010,

zufolge wird die Gesamtbevölkerung Iraks auf etwa 32,3 Mio. Menschen geschätzt. Hiervon machen die Schiiten, die vorwiegend den Südosten bzw. Süden des Landes bewohnen, einen Anteil von 60 bis 65 %, (arabische) Sunniten, die mit Schwerpunkt im Zentral- und Westirak leben, einen Anteil von 17 bis 22 % und die vor allem im Norden lebenden Kurden einen Anteil von ca. 15 bis 20 % aus.

In Relation zu diesen Größenordnungen wird die Zahl der dokumentierten Todesfälle den Anforderungen des Bundesverwaltungsgerichts an die erforderliche Intensität der Verfolgungsdichte offenkundig nicht gerecht. Selbst unter Berücksichtigung der fehlenden Einbeziehung von (Schwer)Verletzten, Traumatisierten und im Sinne des Art. 9 QRL Geschädigten in die vorliegenden Statistiken sowie der Unterstellung einer nachvollziehbaren erheblichen Dunkelziffer und Addition verschiedener Schädigungsformen ist eine in diesem Sinne beachtliche Verfolgungsdichte nicht feststellbar.

Hinsichtlich der Einschätzung der landesweiten Verfolgungsdichte, die im Jahr 2010 auf den bislang tiefsten Stand seit 2003 mit 4028 Opfern gefallen ist,

hierzu etwa BAMF, Irak - Zur Gefährdung der Zivilbevölkerung durch bewaffnete Konflikte, Januar 2010; Bundesasylamt (Österreich), Bericht Irak, Die Sicherheitslage in Bagdad vom 26.1.2011

kann im Einzelnen auf die Urteile des Senats vom 1.6.2011

- 3 A 429/08 - und - 3 A 451/08 - , dokumentiert bei juris

verwiesen werden.

Etwas anderes gilt auch nicht mit Blick auf die Herkunftsregion des Klägers, die Region Tamim (Kirkuk). Dort gab es im Jahr 2008 je 100.000 Einwohner 29 Tote (je festgestellter Vorfall 3 Tote) und im Jahr 2009 je 100.000 Einwohner 31,9 Tote (288 Tote bei 99 Vorfällen, d.h. 2,9 Tote je Vorfall). Im Jahr 2010 gab es in der Provinz bei 77 Vorfällen 91 Tote, das sind 10,1 Tote je 100.000 Einwohner und je 1,2 Tote je Vorfall.

Bezüglich des Geburtsorts des Klägers, Erbil (Sitz der Regierung der Autonomen Region Irakisch-Kurdistan), sind die Zahlen noch geringer. So gab es im Jahr 2008 in der ersten Jahreshälfte 7 Tote und 4 Vorfälle, im zweiten Halbjahr wurde kein Vorfall bekannt. Somit waren dort 0,5 – 0,4 Tote je 100.000 Einwohner (1,75 je dokumentierter Vorfall) zu verzeichnen. Im Jahr 2009 waren bei 28 Vorfällen 31 Tote zu beklagen (2,2 Tote je 100.000 Einwohner und 1,1 Toter pro Vorfall). Diese Zahl sank im Jahr 2010 auf 0,4 Tote je 100.000 Einwohner (6 Tote bei 2 Vorfällen).

vgl. BAMF, Irak - Zur Gefährdung der Zivilbevölkerung durch bewaffnete Konflikte, Januar 2010.

Die (Gesamt-)Opferzahlen bis Mai 2011 belaufen sich, soweit bislang bekannt, auf mindestens 1033 Tote, davon waren 65 Tote in der Herkunftsprovinz Tamim (Kirkuk) des Klägers, d.h. 7,2 Tote je 100.000 Einwohner und 1,6 Tote je dokumentiertem Vorfall und in der Provinz seines Geburtsorts Erbil 4 Tote zu beklagen, d.h. 0,3 Tote je 100.000 Einwohner, 2 Tote pro Vorfall

vgl. hierzu BAMF, Irak - Zur Gefährdung der Zivilbevölkerung durch bewaffnete Konflikte von Juni 2011.

Die meisten Toten und Verletzten gab es bis zu diesem Zeitpunkt im Januar/Februar 2011 bei Anschlägen auf schiitische Pilger in der Nähe von Kerbala (mindestens 45 Tote und 150 Verletzte) und Samarra (50 Tote, 80 Verletzte)

hierzu BAMF, Briefing Notes vom 7.3.2011, FR und taz vom 21.1.2011, FAZ vom 21. und 25.1.2011, NZZ vom 28.1.2011 und FR vom 14.2.2011, SZ vom 14.2.2011; zu den bisherigen Gesamtopferzahlen ferner BAMF, Briefing Notes vom 17.1.2011, vom 14.3.2011, vom 4.4.2011, vom 11.4.2011, NZZ vom 12.4.2011, FAZ vom 13.4.2011, NZZ vom 18. und 19.4.2011, FAZ vom 30.4. und 6.5.2011.

In der darauffolgenden Zeit war der Juni mit 271 Todesopfern, davon 155 Zivilisten, 77 Polizisten und 39 Soldaten der Monat mit dem meisten Todesopfern im Jahr 2011, dazu waren 454 Verletzte zu verzeichnen

hierzu BAMF, Briefing Notes vom 4.7.2011.

Im Juli 2011 kam es bei einem Angriff in dem überwiegend von Sunniten besiedelten Taji zu 35 Toten und 28 Verletzten, anderen Quellen nach zu noch weiteren 58 Verletzten

vgl. hierzu BAMF, Briefing Notes vom 11.7.2011.

Angesichts dieser Opferzahlen in Relation zur Gesamtbevölkerungszahl ist eine Gefährdungslage für den Kläger in dem Sinne, dass er als Angehöriger der Gruppe der (kurdischen) Sunniten mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit aktuell Gefahr liefe, im Rückkehrfall allein wegen seiner gruppenspezifischen Merkmale einer Verfolgung i. S. d. § 60 Abs. 1 AufenthG durch staatliche oder nichtstaatliche Akteure ausgesetzt zu sein, klar zu verneinen.

Aufgrund der kontinuierlich rückläufigen Tendenz solcher Vorfälle und Übergriffe in den vergangenen Jahren, insbesondere ab 2008, ist auch für die absehbare Zukunft eine Gruppenverfolgung von Sunniten im Irak nicht zu prognostizieren. Dies belegen auch die Opferzahlen für 2011.

Ausgehend von den vorstehend dargestellten Opferzahlen kann schließlich auch im Hinblick auf die Zugehörigkeit des Klägers zur Volksgruppe der Kurden, die ca. 15-20 % der Gesamtbevölkerung ausmacht,

vgl. Lagebericht Irak des Auswärtigen Amtes vom 28.11.2010

eine ihm mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit landesweit drohende gruppenspezifische Verfolgung nicht angenommen werden.

Darüber hinaus wäre für den in Erbil/Nordirak geborenen Kläger die Möglichkeit einer zumutbaren Aufenthaltsnahme im Nordirak gegeben, aus dem seine Familie stammt. Dies gilt sowohl unter den vorgetragenen Aspekten der Zugehörigkeit zu einer ehemals baathistisch ausgerichteten Familie als auch der sunnitischen Religionszugehörigkeit und kurdischen Volkszugehörigkeit.

Eine Pro-baathistische Betätigung löst nach Einschätzung von EZKS

- H. Siamend - vom 22.3.2007 an VG Magdeburg zu Az. 4 A 190/04 MD und vom 24.11.2007 an VG Karlsruhe zu Az. A 3 K 10823/05

die Gefahr von Sanktionen etwa der KDP und der PUK im - kurdisch dominierten - Nordirak nur dann aus, wenn sich die betreffende Person im Zuge ihrer Betätigung für die Baath-Partei besonderer Grausamkeiten schuldig gemacht hat oder in hohen Positionen befindlichen KDP- bzw. PUK-Politikern oder deren Verwandten geschadet hat.

Derartiges steht bei dem Kläger nicht im Raum.

Eine dem Kläger mit Blick auf seine sunnitische Religionszugehörigkeit und kurdische Volkszugehörigkeit drohende, im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG relevante Gefährdung ist daher nicht anzunehmen.

Dieses Ergebnis steht im Einklang mit der Rechtsprechung anderer Obergerichte, die ebenfalls eine Gruppenverfolgung von Sunniten und Kurden im Irak verneinen

vgl. etwa OVG Münster, Urteil vom 29.10.2009, a.a.O., VGH Mannheim, Urteil vom 25.3.2010 - A 2 S 364/09 - und Beschluss vom 12.8.2010 - A 2 S 1134/10; VGH München, Beschlüsse vom 14.7.2011 - 20 B 10.30316 - und vom 5.7.2011 - 20 B 10.30312 -, jeweils im Falle eines sunnitischen Kurden aus der Region Tamim/Kirkuk sowie Urteil vom 21.1.2010 - 13a B 08.30285 - im Falle eines kurdischen Volkszugehörigen sunnitischer Religionszugehörigkeit aus Mossul, jeweils zitiert nach juris.

Ein Anspruch des Klägers auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG ist daher sowohl mangels individueller als auch mangels gruppenbezogener Verfolgung zu verneinen.

II.

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die hilfsweise begehrte Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG

zur Prüfungsfolge von unionsrechtlichem und nationalem Abschiebungsschutz etwa BVerwG, Urteil vom 29.6.2010 - 10 C 10.09 -, zitiert nach juris.

Konkrete Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 (konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung) und nach § 60 Abs. 3 AufenthG (Gefahr der Todesstrafe aufgrund einer von dem Schutzsuchenden begangenen Straftat) sind weder vom Kläger vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Auch die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG liegen im Falle des Klägers nicht vor.

Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist.

Die von dem Kläger in seiner Berufungsbegründung angesprochenen Zweifelsfragen zur Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG und des Art. 15 lit. c QRL, insbesondere des Verständnisses des von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG verwendeten Begriffs der „erheblichen individuellen Gefahr für Leib und Leben“ sowie des Begriffs der „ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit“ im Sinne des Art. 15 lit. c der Richtlinie 2004/83/EG - QRL - sind durch die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts

vom 24.6.2008 - 10 C 43.07 -, BVerwGE 131, 198 und vom 14.7.2009 - 10 C 9.08 -, juris,

sowie durch Urteil des Europäischen Gerichtshofs

vom 17.2.2009 - C-465/07 -, EuGRZ 2009, 111

hinreichend geklärt. Die Frage, ob § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG auch bei Vorliegen der Voraussetzungen des subsidiären Schutzes nach Art. 15 lit. c der Richtlinie eine Sperrwirkung entfaltet, ist durch das o.g. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 24.6.2008 ebenfalls geklärt.

Nach dem vorgenannten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 14.7.2009, a.a.O., kann sich eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG, die zugleich die entsprechenden Voraussetzungen des Art. 15 lit. c der Richtlinie 2004/83/EG erfüllt, auch aus einer allgemeinen Gefahr für eine Vielzahl von Zivilpersonen im Rahmen eines innerstaatlichen oder internationalen bewaffneten Konflikts ergeben, wenn sich die Gefahr in der Person des Ausländers verdichtet. Eine derartige Individualisierung der allgemeinen Gefahr kann sich aus gefahrerhöhenden Umständen in der Person des Ausländers ergeben. Sie kann aber unabhängig davon ausnahmsweise auch bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre.

Der Begriff des internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts in § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist dabei unter Berücksichtigung des humanitären Völkerrechts auszulegen. Danach müssen die Kampfhandlungen von einer Qualität sein, wie sie u.a. für Bürgerkriegssituationen kennzeichnend sind, und über innere Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und ähnliche Handlungen hinausgehen. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinne von Art. 15 lit. c QRL nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen, wofür Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfe typische Beispiele sind. Ein solcher innerstaatlicher bewaffneter Konflikt muss sich dabei nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstrecken

vgl. BVerwG, Urteil vom 24.6.2008 - 10 C 43.07 -, a.a.O..

Besteht ein bewaffneter Konflikt mit der beschriebenen Gefahrendichte nicht landesweit, kommt eine individuelle Bedrohung allerdings in der Regel nur in Betracht, wenn der Konflikt sich auf die Herkunftsregion des Antragstellers erstreckt, in die er typischerweise zurückkehren wird, den „tatsächlichen Zielort“ des Ausländers bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat

vgl. EuGH, Urteil vom 17.2.2009, a.a.O..

Auf einen bewaffneten Konflikt außerhalb der Herkunftsregion des Ausländers kann es nur ausnahmsweise ankommen. Nach Art. 2 lit. e QRL muss der Ausländer bei einem regional begrenzten Konflikt außerhalb seiner Herkunftsregion stichhaltige Gründe dafür vorbringen, dass für ihn eine Rückkehr in seine Herkunftsregion ausscheidet und nur eine Rückkehr gerade in die Gefahrenzone in Betracht kommt.

Gemessen an diesen Maßstäben kann für den Kläger keine erhebliche individuelle Gefahr für Leib oder Leben infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines bewaffneten innerstaatlichen oder internationalen Konflikts im Irak bzw. in dessen Teilen festgestellt werden. Nach dem auch hier anzuwendenden Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit sind die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vielmehr zu verneinen.

Ob die aktuelle allgemeine Lage im Irak und insbesondere in Bashir, der Herkunftsstadt des Klägers in der Region Tamim (Kirkuk), oder etwa in Erbil, seinem Geburtsort, bereits die Annahme eines landesweiten oder auch nur regionalen innerstaatlichen oder internationalen bewaffneten Konflikts im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG rechtfertigen könnte, kann vorliegend offenbleiben

ebenso offen gelassen zum Vorliegen eines landesweiten Konflikts im Irak etwa: VGH München, Urteil vom 24.3.2011 - 20 B 10.30021 -, OVG Münster, Urteil vom 29.10.2010 - 9 A 3642/06.A - und VGH Mannheim, Urteil vom 12.8.2010 - A 2 S 1134/10 - und auch OVG Lüneburg, Urteil vom 13.4.2011 - 13 LB 66/07 – sowie Urteil des Senats vom 1.6.2011 - 3 A 429/08 -, dokumentiert bei juris.

Denn jedenfalls fehlt es an der geforderten erheblichen individuellen Gefahr für Leib und Leben des Klägers als Angehöriger der Zivilbevölkerung.

Auf die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 QRL kann sich der Kläger nicht berufen. Er ist nicht vorverfolgt ausgereist. Dies gilt sowohl mit Blick auf seine sunnitische Glaubenszugehörigkeit und kurdische Volkszugehörigkeit als auch hinsichtlich der geltend gemachten Betätigung seines Vaters in der Baath-Partei. Insoweit kann vollumfänglich auf die diesbezüglichen Ausführungen im Rahmen des § 60 Abs. 1 AufenthG verwiesen werden.

Darüber hinaus ist auch der erforderliche Zusammenhang zwischen der geltend gemachten (Vor-)Verfolgung und dem künftigen befürchteten Schaden sowie mit dem Zweck des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG, den Schutz des Betroffenen vor Gefahren im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts sicherzustellen, nicht erkennbar.

Die von der bereits dargestellten, immer noch instabilen Sicherheitslage im Irak ausgehende Gefährdung betrifft neben Angehörigen spezieller Personengruppen, so insbesondere von Regierungs-, Streit- und Sicherheitskräften, eine Vielzahl von Zivilpersonen ohne eindeutige Zuordnung und stellt damit eine Gefahr dar, der letztlich die Bevölkerung im Irak allgemein ausgesetzt ist.

Jedoch kann die für die Schutzgewährung nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG erforderliche erhebliche individuelle Gefahr – wie dargelegt - erst dann bejaht werden, wenn sich allgemeine Gefahren eines Konflikts mit der Folge einer ernsthaften individuellen bzw. persönlichen Betroffenheit aller Bewohner der maßgeblichen Region verdichten oder sich für den Einzelnen durch individuelle gefahrerhöhende Umstände zuspitzen. Solche individuellen gefahrenerhöhenden Umstände können sich nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch aus einer Gruppenzugehörigkeit ergeben. Dies setzt aber eine solche Gefahrendichte voraus, dass ein in sein Heimatland zurückkehrender Ausländer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit befürchten muss, gezielt (oder auch zufällig) selbst Opfer eines Terroranschlages zu werden oder infolge stattfindender Kampfhandlungen am Leben oder seiner körperlichen Unversehrtheit beschädigt zu werden

vgl. BVerwG, Urteil vom 24.6.2008 - 10 C 43.07 -, a.a.O.; OVG Münster, Urteil vom 29.10.2010, a.a.O..

Dies kann vorliegend nach den vorstehenden Darlegungen nicht angenommen werden.

Zur allgemeinen Gefahrendichte insbesondere für die Jahre 2010 und 2011 kann im Einzelnen auf die Ausführungen in den Urteilen des Senats vom 1.6.2011

- 3 A 429/08 - und 3 A 451/08 - , jeweils dokumentiert bei juris

verwiesen werden.

Zwar gehört die Herkunftsregion des Klägers, die Region Tamim (Kirkuk) zu den instabilsten Gebieten im Irak. Jedoch sind - wie im Einzelnen im Rahmen der Prüfung einer Gruppenverfolgung i.S.d. § 60 Abs. 1 AufenthG dargelegt - insbesondere seit dem Jahr 2010 bis heute beständig rückläufige Opferzahlen zu verzeichnen.

Daher könnte selbst bei Annahme eines innerstaatlichen Konflikts in der Herkunftsregion Tamim (Kirkuk) nicht davon ausgegangen werden, dass der diesen Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht hat, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dieser Region einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre.

Die sunnitische Religions- und kurdische Volkszugehörigkeit des Klägers wirkt sich bezogen auf die nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vorrangig in den Blick zu nehmende Herkunftsregion des Klägers ebenfalls nicht gefahrerhöhend aus. Die Sicherheit der Gruppe der Heimkehrer hängt nach den Feststellungen des Auswärtigen Amtes

vgl. Lageberichte vom 28.11.2010 und vom 11.4.2010

im Wesentlichen davon ab, ob die Ethnie bzw. Glaubensgemeinschaft, welcher sie angehören, in der betreffenden Region die Mehrheit bildet. Da Kurden mit 40 % und Sunniten mit 20% in Kirkuk/Tamim, einem ethnischen Mischgebiet, eine Hauptbevölkerungsgruppe darstellen

vgl. BAMF, Zur Gefährdung der Zivilbevölkerung durch bewaffnete Konflikte, von Juni 2011 und von Januar 2010

kann bezüglich des Klägers nicht mit dem erforderlichen Wahrscheinlichkeitsgrad eine Gefährdung wegen seiner Zugehörigkeit zu einer religiösen und/oder ethnischen Minderheit angenommen werden

zur Verfolgungs- und Gefährdungssituation i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vgl. etwa etwa OVG Lüneburg, Urteil vom 13.4.2011 - 13 LB 66/07 - im Falle eines aus der Provinz Dohuk stammenden Kurden; VGH Mannheim, Urteil vom 25.3.2010 - A 2 S 364/09 - (implizit) im Falle eines Kurden aus Kirkuk.

Gleiches gilt, wenn man eine Rückkehr des Klägers in seine Stammregion, die Provinz Erbil, in der 95 % Kurden leben, zugrunde legt. Dort sind noch weit geringere Zahlen als für den Bereich Tamim/Kirkuk festzustellen.

Es liegen bei dem Kläger auch keine weiteren individuellen gefahrerhöhenden Umstände vor. Er gehört insbesondere keiner der in den o.g. Lageberichten des Auswärtigen Amtes und weiteren Erkenntnisquellen bezeichneten gefährdeten speziellen Personengruppen an.

Dass die angebliche frühere Mitgliedschaft des Vaters des Klägers in der Baath-Partei keinen gefahrerhöhenden Umstand darstellt, wurde bereits dargelegt.

Nach allem liegt ein Abschiebungsverbot i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nicht vor.

III.

Auch nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind nicht gegeben.

Anhaltspunkte dafür, dass eine Abschiebung des Klägers nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. der Konvention vom 4.11.1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten unzulässig ist, sind nicht ersichtlich.

Dem Kläger drohen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit auch keine Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.

Nach dieser Regelung soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Die Vorschrift gewährt Schutz bei Gefahren, die nicht bereits vom Regelungsbereich der vorangegangenen Absätze erfasst werden. Sie betrifft nur solche Gefahren, die sich aus der Unzumutbarkeit des Aufenthalts im Zielland für diesen Ausländer herleiten und ausschließlich dort drohen (zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote). Unerheblich ist, ob die Gefahren von staatlichen oder nichtstaatlichen Akteuren ausgehen oder wodurch sie hervorgerufen werden. Zu unterscheiden ist dabei die erhebliche konkrete Gefahr, die den Ausländer aus individuellen Gründen betrifft und die Gefahr, die - wenn auch in individualisierbarer Weise - aus allgemeinen Gefahren herrührt. Der Ausdruck „erheblich“ bezieht sich dabei auf die Gefährdungsintensität. Zusätzlich wird durch das Element der „konkreten Gefahr“ für „diesen“ Ausländer das Erfordernis einer einzelfallbezogenen und individuell bestimmten Gefährdungssituation aufgestellt

hierzu Huber, AufenthG, § 60 Rdnr. 105 m.w.N..

Die Abgrenzung zwischen einer Gefahr aus allgemeinen und einer Gefahr aus individuellen Gründen kann im Einzelfall schwierig sein. Einer Abgrenzung bedarf es hier jedoch letztlich nicht. Denn vorliegend kann weder davon ausgegangen werden, dass dem Kläger bei Rückkehr in sein Heimatland aus allein in seiner Person liegenden individuellen noch aus allgemeinen Gründen eine beachtliche Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG drohen würde.

Dies gilt zunächst mit Blick auf die von ihm (angeblich) befürchteten Nachstellungen und Gefährdungen seitens Verwandter seiner Mutter wegen Verletzung der Familienehre, die im Rahmen der Prüfung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG von Relevanz sein können

vgl. etwa OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 27.1.2006 - 1 LB 22/05 -, zitiert nach juris,

Denn diese hat der Kläger nicht glaubhaft gemacht. Auf die diesbezüglichen Ausführungen zu § 60 Abs. 1 AufenthG wird Bezug genommen.

Dem Kläger droht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit auch keine i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beachtliche Gefahr mit Blick auf die allgemeine Versorgungslage im Irak.

Ausgehend von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts fallen die schwierigen Existenzbedingungen einer Vielzahl von Irakern, insbesondere hinsichtlich der Erlangung eines Arbeitsplatzes und der Sicherstellung allgemeiner und medizinischer Versorgung, die aus den dem Senat vorliegenden Erkenntnisquellen hervorgehen, auch wenn sie den einzelnen Ausländer in individualisierbarer Weise betreffen sollten, hinsichtlich des Vorliegens der tatbestandlichen Voraussetzungen prinzipiell nicht in die Entscheidungszuständigkeit des Bundesamtes. Bei derartigen – auch erheblichen – Gefährdungen ist die Anwendbarkeit des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG durch Satz 3 der Vorschrift „gesperrt“, wenn diese Gefahren zugleich einer Vielzahl anderer Personen im Abschiebezielstaat drohen

hierzu BVerwG, Entscheidungen vom 14.11.2007 - 10 B 47.07 - u.a.; vom 23.8.2006 - 1 B 60.06 -, Urteil vom 8.112.1998 - 9 C 4.98 - u.a., sowie grundlegend bereits BVerwG, Urteil vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 -, NVwZ 1996, 199 zu der nahezu wortgleichen Bestimmung des § 53 Abs. 6 AuslG, zitiert nach juris.

Fehlt in einem solchen Fall eine Entscheidung nach § 60 a Abs. 1 AufenthG, ist aus verfassungsrechtlichen Gründen nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine Einzelfallentscheidung nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AuslG mit Blick auf Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nur dann ausnahmsweise zulässig und geboten, wenn die obersten Behörden der Bundesländer trotz einer - landesweiten - extremen Gefahrenlage von ihrer Ermessensermächtigung aus § 60 a AufenthG keinen Gebrauch gemacht haben (sog. „verfassungskonforme Überwindung der Sperrwirkung“)

vgl. auch hier BVerwG, Entscheidungen vom 29.6.2010 - 10 C 9.09 und 10 C 10.09 - und vom 14.11.2007 - 10 B 47.07 -, zitiert nach juris.

Eine derartige landesweite Extremgefahr hat der Senat zuletzt in seinen Urteilen vom 1.6.2011,

- 3 A 429/08 – und – 3 A 451/08 -, dokumentiert bei juris,

verneint. Eine durchgreifende Änderung ist seitdem nicht erkennbar. Derartiges wird von dem Kläger auch nicht vorgetragen.

Zwar ergibt sich aus der Auskunftslage,

vgl. hierzu Auswärtiges Amt, Lagebericht Irak vom 28.11.2010; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Irak: Die aktuelle Entwicklung im Zentral- und Südirak vom 5.11.2009, UNHCR an Hess.VGH vom 16.9.2009

dass sich im Irak Einschränkungen beim Zugang zu Lebensmitteln, Unterkunft, Grundversorgungsdienstleistungen (wie Wasser, Strom), Einkommen, Beschäftigung, medizinischer Versorgung und Bildung feststellen lassen. Indes sind durchgreifende Anhaltspunkte für i.S.d. § 60 Abs. 7 S. 1 relevante Gefahren wie eine drohende Nahrungsmittelknappheit oder eine bevorstehende Hungerkatastrophe nicht zu verzeichnen. Weiterhin fließen internationale Hilfsgelder in den Irak und werden vom Handelsministerium Lebensmittel verteilt. Zudem versucht die irakische Regierung finanzielle Anreize zu gewähren, um ins Ausland geflohene Iraker zu einer Rückkehr zu bewegen. Bis Ende 2008 sind 40.060 Familien in den Irak zurückgekehrt. Im Jahr 2010 kehrten 118.890 Flüchtlinge und Binnenflüchtlinge in den Irak bzw. an ihre Heimatorte zurück. Dies waren zwar 40 % weniger als im Jahr 2009, belegt jedoch einen insgesamt aufstrebenden Rückkehrwillen

vgl. zu letzterem UNHCR: Iraq Refuges Returns fell from in 2010 vom 28.1.2011; siehe in diesem Zusammenhang auch Urteile des Senats vom 1.6.2011 - 3 A 429/08 und 3 A 451/08 -.

Ein Abschiebungsverbot im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kann daher mit Blick auf die allgemeine Versorgungslage nicht angenommen werden.

Schließlich lässt sich im Falle des Klägers auch nicht im Hinblick auf eine Erkrankung ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG feststellen. Im Berufungsverfahren hat sich der Kläger auf das Vorliegen einer postraumatischen Belastungsstörung (PTBS) bzw. auf eine schwerwiegende psychische Erkrankung mit latenter Suizidalität berufen sowie darauf, dass diese bei einer Rückkehr in den Irak nicht bzw. nicht ausreichend behandelt werden könne.

Grundsätzlich kann nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts

vgl. etwa Entscheidungen vom 24.5.2006 - 1 B 118/05 -, vom 29.7.1999 - 9 C 2.99 - und vom 25.11.1997 - 9 C 58/96 - und vom 11.9.2007 - 10 C 8.07 -, jeweils zitiert nach juris

die drohende Verschlimmerung einer Krankheit des ausreisepflichtigen Ausländers als konkrete erhebliche Gesundheitsgefahr ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG darstellen. Ein solches zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis kann vorliegen, wenn die Erkrankung des Schutzsuchenden im Zielstaat der Abschiebung nicht oder nicht zureichend behandelt werden kann oder wenn die Krankheit dort zwar prinzipiell hinreichend behandelt werden kann, der Betroffene zu der verfügbaren medizinischen Behandlung aber aus finanziellen oder anderen faktischen Gründen keinen Zugang hat. Voraussetzung ist jedoch, dass die fehlende Behandlungsmöglichkeit zu einer erheblichen Gesundheitsgefahr führt, d.h. eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität erwarten lässt. Davon ist auszugehen, wenn sich der Gesundheitszustand des betreffenden Ausländers wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern würde. Eine derartige erhebliche und konkrete Gefahr ist in der Regel als individuelle Gefahr einzustufen, die am Maßstab von § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG in direkter Anwendung zu prüfen ist. Nur ausnahmsweise ist sie als allgemeine Gefahr oder Gruppengefahr i.S.d. § 60 Abs. 7 S. 3 AufenthG mit der entsprechenden Sperrwirkung zu qualifizieren, namentlich bei Aidserkrankungen (in afrikanischen Ländern)

vgl. hierzu BVerwG, Entscheidungen vom 23.7.2007 - 10 B 85/07 -, vom 24.5.2006 - 1 B 118/05 - und vom 18.7.2006 - 1 C 16.05 -, jeweils zitiert nach juris.

In diesem Zusammenhang hat das Bundesverwaltungsgericht

Urteil vom 18.7.2006 - 1 C 16.05 -, a.a.O.

- ebenfalls im Falle eines irakischen Staatsangehörigen - klargestellt, dass die unmittelbare Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht mit der Begründung verneint werden kann, der Schutzsuchende sei von einer schlechten medizinischen Versorgung in seinem Herkunftsland gleichermaßen wie alle anderen Bewohner, die an der gleichen Erkrankung leiden, betroffen. Die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 (damals Satz 2) AufenthG greift vielmehr nur bei einer großen Anzahl potenziell Betroffener und einem Bedürfnis nach einer ausländerpolitischen Leitentscheidung ein. Dies ist hier nicht anzunehmen.

Jedoch kann unter Zugrundelegung der von dem Kläger vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen und Würdigung seines Sachvortrags, auch seiner aktuellen Bekundungen in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, nicht davon ausgegangen werden, dass im Falle des Klägers eine auf Tatsachen gestützte beachtliche Wahrscheinlichkeit des Vorliegens einer erheblichen individuellen Gefahr i.S.d. § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG aus gesundheitlichen Gründen gegeben ist.

Die vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen rechtfertigen nicht die Annahme einer Krankheit, mit deren wesentlicher Verschlimmerung im Zielland der Abschiebung zu rechnen wäre. Sie begründen auch keine Pflicht zu weiterer gerichtlicher Sachaufklärung.

Grundsätzlich gilt in diesem Zusammenhang mit Blick auf die Vorlage von Attesten und deren Beurteilung durch die Gerichte nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts

vgl. Beschlüsse vom 29.4.2005 - BVerwG 1 B 119.04 - und Urteil vom 11.9.2007 - 10 C 8.07 -, jeweils zitiert nach juris,

dass diese in dem vom Untersuchungsgrundsatz beherrschten Verwaltungsprozess zwar regelmäßig Anlass zu weiterer Sachaufklärung geben, da eine Pflicht der Beteiligten zur Glaubhaftmachung im Sinne des § 294 ZPO, ebenso wie eine Beweisführungspflicht regelmäßig zu verneinen ist.

Jedoch ist regelmäßig zu fordern, dass das vorgelegte fachärztliche Attest gewissen Mindestanforderungen genügt. Dies gilt mit Rücksicht auf dessen Unschärfen und vielfältige Symptome insbesondere bezogen auf das Krankheitsbild einer Posttraumatischen Belastungsstörung. Aus dem fachärztlichen Attest muss sich nachvollziehbar ergeben, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Dazu gehören etwa Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden. Des Weiteren sollte das Attest Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) geben. Wird das Vorliegen einer Posttraumatischen Belastungsstörung auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland gestützt und werden die Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen, so ist in der Regel auch eine Begründung dafür erforderlich, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist. Diese Anforderungen an die Substantiierung ergeben sich aus der Pflicht des Beteiligten, an der Erforschung des Sachverhalts mitzuwirken (§ 86 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 VwGO), die in besonderem Maße für Umstände gilt, die in die eigene Sphäre des Beteiligten fallen

vgl. BVerwG, Beschluss vom 16.2.1995 - BVerwG 1 B 205.93 -.

Werden Atteste vorgelegt, die den vorbeschriebenen Anforderungen genügen, ist grundsätzlich eine eigene medizinische Sachkunde des Gerichts, insbesondere zu einer abweichenden Bewertung von Schwere und Ausmaß der attestierten Erkrankung, zu verneinen und darf die Gefahr der möglichen Verschlimmerung der Erkrankung des Betroffenen bei Rückkehr in sein Heimatland oder Herkunftsgebiet nicht ohne weitere gerichtliche Aufklärung verneint werden. Diese hat, auch ohne dass es eines förmlichen Beweisantrages des Betroffenen bedarf, grundsätzlich in Form der Einholung fachärztlicher Gutachten oder Stellungnahmen zu erfolgen

vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 11.9.2007 - 10 C 8.07 -, Beschluss vom 24.5.2006 - 1 B 118/05 -, jeweils zitiert nach juris..

Vorliegend hat der Kläger indes kein Attest über das Vorliegen einer Posttraumatischen Belastungsstörung vorgelegt, das diesen Anforderungen entspricht. Die vorgelegten Schreiben des Arztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie M. an die Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 5.10.2009, 4.1.2010 und 4.7.2011 werden den dargelegten Standards nicht gerecht. Die ärztliche Bescheinigung des St. N.-Krankenhauses W. (Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie) vom 30.11.2009 und das Attest der Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, Dr. W. vom 15.9.2011 beschreiben schon nicht das Vorliegen einer Posttraumatischen Belastungsstörung.

In seinem ersten Schreiben vom 5.10.2009 führt der Arzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie M. zunächst aus, die Kriegsereignisse im Irak hätten in einem katastrophalen Ausmaß zur Instabilität des Landes sowohl im wirtschaftlichen als auch im politischen Bereich geführt. Rivalisierende ethnische und religiöse Minderheiten hätten das Chaos genutzt um alte Rechnungen zu begleichen. Es sei zu einem regelrechten Gemetzel innerhalb dieser Gruppierungen gekommen, der Kläger und sein Schicksal belegten dies. Weiter heißt es u.a.: „Der junge Patient ist Zeuge der Greueltaten mit Tötungsdelikten an seinen Familienmitgliedern gewesen und hat deswegen aus Todesangst sein Heimatland fluchtartig verlassen. Herr Saleh ist hochgradig traumatisiert und ist allein aus dieser Indikation dringend behandlungsbedürftig.“ In seinem zweiten Schreiben vom 4.1.2010 führt er aus, die Diagnose sei „auf der Grundlage der leitliniengerechten psychiatrischen Diagnostik nach dem Schlüssel ICD-10 gestellt“ und „die Kriterien, die zur Annahme einer posttraumatischen Belastungsstörung führen“ seien allesamt erfüllt. Es verstehe „sich von selbst, dass das Trauma sehr wohl in seinem Heimatland stattgefunden hat und die posttraumatischen Krankheitsfolgeerscheinungen erst 3 bis 6 Monate nach dem Trauma in Erscheinung treten“ könnten. Schließlich führt er in seinem letzten Schreiben vom 4.7.2011 nochmals aus, die Diagnose sei auf der Grundlage der leitliniengerechten psychiatrischen Diagnostik gestellt worden. „Die Glaubwürdigkeit der Aussagen der Migranten hänge natürlich sehr davon ab“, ob man „über die soziopolitischen Begebenheiten des Ursprungslandes der Betroffenen Bescheid“ wisse. Für seine Person gebe es keinen Grund, an den Aussagen des Klägers, wie sie sich aus seiner ärztlichen Bescheinigung vom 5.10.2009 ergäben, zu zweifeln.

Hiernach hat der Facharzt M. seiner Diagnose offenkundig einen anderen Sachverhalt zugrunde gelegt, als der Kläger selbst ihn im vorliegenden Verwaltungsstreitverfahren geschildert hat. Nach dessen eigenem Vortrag ist er nämlich selbst nicht „Zeuge der Greueltaten mit Tötungsdelikten an seinen Familienmitgliedern gewesen und hat deswegen aus Todesangst sein Heimatland fluchtartig verlassen“. Vielmehr ist danach (nur) ein Familienmitglied getötet worden, war er selbst nicht Zeuge der Tat und hat er sein Heimatland auch nicht fluchtartig aus Todesangst verlassen, sondern in einem gewissen zeitlichen Abstand, nach entsprechender Planung und Organisation durch die Familie. Einen Sachverhalt, wie ihn der Arzt zugrunde gelegt hat, hat der Kläger im vorliegenden Verfahren auch nach Vorlage der genannten ärztlichen Bescheinigungen zu keinem Zeitpunkt geschildert. Auch auf Nachfrage des Senats in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat zu seinen Asylgründen gab er nichts hiervon Abweichendes an. Da der Kläger auf weitere Nachfrage auch bekundete, sich mit dem Psychiater iranischer Herkunft in einer dem Kurdischen ähnlichen Dialekt sprachlich gut verständigt zu haben, scheiden Sprachschwierigkeiten zur Erklärung oder Auflösung dieses eklatanten Widerspruches aus.

Ging der Facharzt bei seiner Diagnose danach schon nicht von einem – gemessen am Vortrag des Klägers im vorliegenden Verfahren – zutreffenden Sachverhalt aus, so kann seiner Diagnose schon deshalb nicht gefolgt werden. Mit anderen Worten: Hat das vom Arzt angenommene traumatische Erlebnis im Heimatland nicht stattgefunden, so kann sich daraus auch keine Posttraumatische Belastungsstörung entwickelt haben. Es kommt deshalb daneben nicht mehr entscheidend darauf an, dass die genannten Schreiben des Arztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie M. vom 5.10.2009, 4.1.2010 und 4.7.2011 zudem in medizinischer Hinsicht wenig aussagekräftig erscheinen, da sie überwiegend nur pauschale Angaben enthalten, nicht aber eine - auf der Basis einer Einzelexploration mit Anamnese und Befunderhebung - nachvollziehbare fachärztliche Diagnose.

Aus der Bescheinigung des St. N.-Krankenhauses W. (Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie) vom 30.11.2009 über eine stationäre Behandlung des Klägers in der Zeit vom 19.11.- 26.11.2009 lässt sich das Vorliegen einer Posttraumatischen Belastungsstörung schon nicht entnehmen. Zwar ist eine schwere depressive Episode (ICD-10.F 32.2) bei Verdacht auf posttraumatische Belastungsstörung (ICD-10. -F 42.1) und eine latente Suizidalität des Klägers beschrieben sowie auf einen während des Krankenhausaufenthalts erfolgten Suizidversuch (mit oberflächlichen Wunden am Handgelenk) hingewiesen.

Der „Verdacht“ auf Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung ist jedoch erkennbar nicht verifiziert worden. Vielmehr war das Behandlungsziel offenbar die Beseitigung einer damals akuten Suizidalität. Auch im Berichtteil der Bescheinigung vom 30.11.2009 betreffend „Therapie und Verlauf“ heißt es zur „psychotherapeutischen Begleitung und Stützung“ allein, dass Thema „die aktuell belastende Lebenssituation“ gewesen sei. Anhaltspunkte für die Thematisierung eines im Heimatland erlebten Traumas des Klägers, die das zielstaatsbezogene Abschiebungshindernis einer „Retraumatisierung“ im Rückkehrfall begründen könnten, lassen sich der o.g. Bescheinigung nicht entnehmen. Zudem erfolgte die Entlassung im November 2009 in „ausreichend stabilisierten, affektiv ausgeglichenerem Zustand“ mit einer antidepressiven Medikation.

Auch dem vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vorgelegten Attest der Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, Dr. W. vom 15.9.2011 lässt sich lediglich entnehmen, dass nach deren Einschätzung bei dem Kläger derzeit eine in erster Linie reaktiv bedingte depressive Störung vorliegt, die durch eine medikamentöse Therapie in niedriger Dosierung behandelt werden kann. Weder vom Vorliegen noch von einem Verdacht auf Vorliegen einer Posttraumatischen Belastungsstörung des Klägers ist die Rede.

Auf eine solche kann aktuell auch nicht auf Grundlage des Vortrages des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat geschlossen werden. Nach seinen eigenen Aussagen ist der Kläger ein instabiler Mensch, der keine Ruhe findet und Schlafstörungen hat. Andere gravierende körperliche Auswirkungen als Folge seiner Unruhe und Nervosität hat der Kläger nicht beschrieben.

Von dem Vorliegen einer Posttraumatischen Belastungsstörung kann daher nicht ausgegangen werden.

Auch Anhaltspunkte für eine sonstige schwerwiegende psychische Erkrankung oder für eine latente Suizidalität des Klägers, die u. U. eine zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis i.S.d. § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG begründen könnten, liegen danach nicht vor.

Zwar spricht auch das Schreiben des Arztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie M. vom 4.1.2010 eine Suizidalität des Klägers an und führt aus, er sei hochgradig gefährdet, soweit es seine suizidalen Tendenzen anbelange, weil er sich permanent verfolgt fühle und in einer dauerhaften Angst lebe. Einen nachvollziehbaren konkreten Hintergrund für diese Einschätzung, insbesondere Tatsachen jenseits der nicht mit dem Vortrag des Klägers im vorliegenden Verfahren übereinstimmenden angeblichen Traumatisierung in seinem Heimatland, benennt das Schreiben jedoch ebenso wenig wie die weiteren Schreiben vom 5.10.2009 und 4.7.2011. In dem Schreiben vom 4.7.2011 ist von einer Suizidalität des Klägers nicht mehr die Rede. Vielmehr wird festgestellt, dass der Kläger durch die bisherige regelmäßige therapeutische Führung sowie Medikamenteneinnahme bis zum Behandlungsende am 20.4.2011 eine durchaus positive Entwicklung durchlaufen habe, insbesondere seine Ängste schrittweise abzubauen und mit einer Minimaldosierung des Medikamentes auszukommen vermocht habe. Für die Annahme einer aktuellen Suizidalität oder der drohenden wesentlichen Verschlimmerung einer vorhandenen schwerwiegenden psychischen Erkrankung des Klägers nach Rückkehr in das Herkunftsland lässt sich hieraus nichts gewinnen. Gleiches gilt für das in der mündlichen Verhandlung vorgelegte Attest der den Kläger derzeit behandelnden Ärztin Dr. W. vom 15.9.2011.

Schließlich sprechen auch die eigenen Angaben des Klägers in der mündlichen mit Gewicht dagegen, dass von dem Vorliegen einer schwerwiegenden psychischen Erkrankung oder - latenten - Suizidalität oder auch nur von einem ernstzunehmenden Verdacht auf Derartiges auszugehen wäre.

Der Kläger hat auf ausdrückliches Befragen des Senats zu seiner ärztlichen Behandlung und zu seinem Befinden erklärt, der zuvor behandelnde Arzt M., der im April 2011 seine kassenärztlichen Zulassung zurückgegeben habe, habe ihm nach Beendigung der dortigen Behandlung auf spätere telefonische Nachfrage Rezepte ausgestellt und ihm den Versuch angeraten, auch gänzlich ohne das eingesetzte Medikament (Citalopram) auszukommen und „ruhiger“ zu werden. Man habe dann die Dosis von 40 mg auf 20 mg und schließlich auf 10 mg verringert. Da er bei der Dosis von 10 mg keine Ruhe gefunden habe, habe er Dr. W. aufgesucht. Mit dieser könne er sich auf Deutsch verständigen. Unter deren Behandlung nehme er derzeit täglich 20 mg Citalopram sowie bei Bedarf eine Schlaftablette (Zolpidem), weitere Medikamente nehme er nicht. Schwerwiegende Störungen oder noch bestehende Selbstmordgedanken hat der Kläger nicht beschrieben, sondern lediglich - wie dargelegt - eine allgemeine Instabilität, Unruhe und gelegentliche Schlafstörungen, die er nach Behandlungsabbruch im April 2011 auch ohne ärztliche Behandlung allein durch Einnahme von Citalopram sowie bei Bedarf gelegentlich von Zolpidem hat bewältigen können. In der immerhin vier Monate währenden Zeit zwischen dem Behandlungsende bei dem Arzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie M. am 20.4.2011 und dem Aufsuchen der Fachärztin Dr. W. am 25.8.2011 ist danach offenkundig keine relevante Verschlimmerung des gesundheitlichen Zustands des Klägers eingetreten. Greifbare und nachhaltige Hinweise auf eine schwerwiegende psychische Erkrankung, die sich bei Rückkehr in sein Heimatland aufgrund fehlender bzw. unzureichender ärztlicher und medikamentöser Versorgung wesentlich verschlimmern könnte, liegen danach aktuell nicht vor. Derartiges ist auf Grundlage der dargestellten Erkenntnisse auch nicht zu prognostizieren.

Auszugehen ist vielmehr davon, dass die Krankheitssymptome, wegen derer der Kläger sich derzeit in ärztlicher Behandlung befindet, auch im Rückkehrfall behandelt werden können und eine wesentliche Verschlimmerung seines Krankheitsbildes im Sinne einer konkreten Gesundheitsgefahr von erheblicher Intensität nicht zu befürchten ist.

Zwar ist nach den dem Senat vorliegenden Erkenntnissen

vgl. hierzu etwa Auswärtiges Amt, Lagebericht Irak vom 28.11.2010; SFH, Die sozioökonomische Situation im Nordirak, Mai 2010: Die Behandlung von PTSD in Erbil vom 10.3.2010, ferner Bericht vom 10.7.2007: Die sozioökonomische Situation in den von der KRG verwalteten Provinzen; GIGA an VG Düsseldorf vom 10.5.2007 zu Az.: 16 K 5213/06.A -; DOI an VG Saarlouis vom 6.3.2006 zu Az.: 2 K 1/06.A; EZKS an VG Ansbach vom 4.2.2006 zu Az.: AN 9 K 04.32341 -,

die inhaltlich im Wesentlichen übereinstimmen, die Versorgungslage im Irak in medizinischer Hinsicht trotz einer tendenziell anzunehmenden Verbesserung

hierzu insbesondere SFH, Die sozioökonomische Situation im Nordirak, Mai 2010 unter Berufung auf einen Bericht der WHO

nach wie vor angespannt.

Grundsätzlich kann sich zwar jeder Iraker überall im Land in öffentlichen Krankenhäusern kostenfrei behandeln lassen, wobei Unterschiede zwischen dem Zentralirak und dem kurdisch verwalteten Norden nicht bestehen. De facto existiert aber nach den Angaben verschiedener Erkenntnisquellen im Irak eine Zwei-Klassen-Medizin. Die öffentlichen Krankenhäuser sind schlecht ausgestattet und leiden vor allem an einem Mangel an Medikamenten und technischem Gerät. Medikamente sind danach zumeist nur theoretisch kostenfrei und müssen meistens zu hohen Preisen privat in Apotheken gekauft werden. Psychische Krankheiten werden häufig nur medikamentös behandelt

hierzu etwa EZKS an VG Ansbach vom 4.2.2006 zu Az.: AN 9 K 04.32341 u.a., Auswärtiges Amt, Lagebericht Irak vom 28.11.2010; SFH, Die sozioökonomische Situation im Nordirak, Mai 2010.

Dennoch ist nach Auskunftslage

vgl. etwa Botschaft BRD an VG Ansbach vom 20.5.2010 zu Az.: AN 9 K 09.30128

etwa eine depressive Anpassungsstörung oder depressive Episode in Mossul prinzipiell behandelbar. Die Kosten hierfür hängen von Art und Dauer der Behandlung ab und können daher - auch infolge fehlender ärztlicher Gebührenordnung - nicht allgemein und pauschal abgeschätzt werden.

Nach der

Auskunft des (Vertrauensarztes des) Generalkonsulats Erbil vom 29.4.2010 an VG Bayreuth zu Az.: B 3 K 30045

gibt es auch in Erbil, in anderen Teilen Kurdistans ebenso wie im Gesamtirak eine erhebliche Anzahl von Nervenärzten, die an Depressionen leidende Patienten gut behandeln können. Psychopharmaka sind danach vorhanden und preisgünstig, die ärztliche Beratung kann nach dieser Quelle in staatlichen Krankenhäusern kostenlos erfolgen sowie in privaten Praxen für ca. 10 EUR.

Zwar gibt es über die Verfügbarkeit des von dem Kläger derzeit zur Bekämpfung seiner Unruhezustände eingenommenen Medikaments Citalopram im Irak nach Ansicht des EZKS aus dem Jahr 2006

vgl. EZKS an VG Ansbach vom 4.2.2006, a.a.O.

widersprüchliche Aussagen verschiedener befragter Ärzte und kann nach dessen Einschätzung jedenfalls nicht von einem regelmäßigen und kostenfreien Bezug des Medikaments ausgegangen werden.

Ausgehend von den vorgenannten aktuellen Erkenntnisquellen aus dem Jahr 2010 lassen sich jedoch derartige Einschränkungen bei der allgemeinen Verfügbarkeit von vergleichbaren Medikamenten zur Behandlung psychischer Erkrankungen wie der zuletzt bei dem Kläger diagnostizierten „depressiven Störung“ nicht feststellen. Hieraus ist zu folgern, dass zumindest die zur Behandlung „einfacher“ psychischer Erkrankungen, wie einer depressiven Störung, erforderlichen Medikamente ebenso wie hierzu ergänzende Schlafmittel dem Kläger im Irak grundsätzlich zur Verfügung stehen oder beschafft werden können.

Da die Familie des Klägers nach dessen eigenem Bekunden in der mündlichen Verhandlung wirtschaftlich nach wie vor gut gestellt ist, ist eine für ihn konkret erforderliche ärztliche Behandlung und Medikation in seinem Heimatland in vergleichbaren Intervallen wie in der Bundesrepublik Deutschland auch tatsächlich erreichbar.

Eine weitere Sachaufklärung, insbesondere die Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Thema der gesundheitlichen Beeinträchtigung des Klägers sowie einer möglichen medizinischen Versorgung in seinem Heimatland drängte sich nach alledem – ungeachtet des Umstandes, dass der anwaltlich vertretene Kläger einen förmlichen Beweisantrag hierzu nicht gestellt hat – nicht auf.

Ein Abschiebungsverbot im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wegen einer Gesundheitsgefährdung erheblichen Ausmaßes kann hiernach ebenfalls nicht angenommen werden.

Die Berufung des Klägers wird daher zurückgewiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 83 b AsylVfG.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Satz 1 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen.

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 23. September 2011 - A 8 K 878/11 - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte verpflichtet wird, bei dem Kläger das Vorliegen eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots (hier: § 60 Abs. 2 AufenthG) hinsichtlich Afghanistans festzustellen.

Die Beklagte trägt die Kosten des - gerichtskostenfreien - Verfahrens im zweiten Rechtszug.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger, ein am ...1992 in Denawe Gulbori/Jagato in der Provinz Ghazni geborener lediger und kinderloser afghanischer Staatsangehöriger schiitischen Glaubens vom Volk der Hazara reiste am 07.02.2010 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 18.02.2010 stellte er einen Asylantrag mit der Begründung, die Taliban hätten ihn unter Bedrohung seiner Eltern im Oktober 2009 zwangsrekrutiert und in ein Ausbildungslager an der Grenze zu Pakistan verschleppt. Von dort sei er desertiert und mit Hilfe seines Vaters und Onkels über Pakistan auf dem Landweg nach Deutschland geflohen. Seine Eltern seien hernach aus Sicherheitsgründen gezwungen gewesen, aus der Provinz Ghazni nach Kabul umzuziehen. Auch heute lebe seine Familie in Kabul und teilweise im Iran. Bei einer Rückkehr in die Heimat drohe ihm Lebensgefahr durch Racheakte der Taliban. In Afghanistan sei er bekannt, weil er von 2007 bis 2009 Mitglied der Ringer-Nationalmannschaft gewesen sei; 2008 habe er in Indonesien eine Goldmedaille für sein Land errungen. 2009 habe er Abitur gemacht und, wie sein Vater, den Beruf des Schneiders erlernt. In Deutschland habe er zwischenzeitlich Integrationskurse und ein Berufsvorbereitungsjahr absolviert. Sportlich sei er in dem „SV ...“ in W. erfolgreich als Ringer aktiv; bei den baden-württembergischen Juniorenmeisterschaften habe er in seiner Gewichtsklasse den ersten Platz belegt.
Die Beklagte lehnte den Asylantrag des Klägers mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (- Bundesamt -) vom 22.03.2011 ab, stellte fest, dass weder die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft noch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen und drohte ihm die Abschiebung nach Afghanistan an. Asyl scheide aufgrund der Drittstaatenregelung aus. Die Flüchtlingseigenschaft könne nicht zuerkannt werden, weil der Sachvortrag des Klägers zu unsubstantiiert und damit nicht glaubhaft sei. Auch aus der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara folge keine Gefahr landesweiter Verfolgung. Unionsrechtlich begründete Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG seien nicht gegeben; insbesondere eine Feststellung gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG scheitere daran, dass keine dem Kläger im Rahmen eines bewaffneten Konflikts drohende erhebliche individuelle Gefahren für Leib oder Leben vorliege; spezifische gefahrerhöhende Umstände seien nicht glaubhaft gemacht worden. Auch nationale Abschiebungsverbote seien nicht gegeben. Vor allem in Kabul drohe dem Kläger keine extreme Gefahrenlage, sodass auch eine Feststellung nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausscheide.
Am 04.04.2011 hat der Kläger unter Bezugnahme auf sein bisheriges Vorbringen beim Verwaltungsgericht Karlsruhe Klage erhoben und beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamts vom 22.03.2011 zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG zuzuerkennen, hilfsweise die Beklagte zu der Feststellung zu verpflichten, dass bei ihm ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG vorliegt, höchst hilfsweise die Beklagte zu der Feststellung zu verpflichten, dass bei ihm ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG gegeben ist. In der mündlichen Verhandlung vertiefte und ergänzte er sein Vorbringen.
Mit Urteil vom 23.09.2011 - A 8 K 878/11 - hat das Verwaltungsgericht die Beklagte zu der Feststellung eines Abschiebungsverbots hinsichtlich Afghanistans gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG verpflichtet, insoweit den Bundesamtsbescheid vom 22.03.2011 aufgehoben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung des stattgebenden Teils seines Urteils hat es im Wesentlichen ausgeführt, im Falle des Klägers würden individuelle gefahrerhöhende Umstände vorliegen. Der Kläger habe glaubhaft dargelegt, dass ihm aufgrund seiner Flucht aus dem Taliban-Camp Verfolgung und Lebensgefahr durch die Taliban drohe. Als ehemaliges Mitglied der afghanischen Ringer-Nationalmannschaft sei er eine auffällige Person, die landesweit nicht in der Menge untertauchen könne.
Der Zulassungsantrag des Klägers insbesondere hinsichtlich § 60 Abs. 1 AufenthG wurde vom Senat mit Beschluss vom 17.11.2011 - A 11 S 3002/11 -auch mangels hinreichender Darlegung der Zulassungsgründe abgelehnt. Mit demselben Beschluss hat der Senat auf den Antrag der Beklagten die Berufung zugelassen, soweit das Verwaltungsgericht der Klage stattgegeben hat. Die Beklagte macht mit ihrer Berufung insbesondere geltend, § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG sei von dem Verwaltungsgericht zu Unrecht bejaht worden.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 23.09.2011 - A 8 K 878/11 - zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Afghanistans vorliegt.
10 
Er trägt im Wesentlichen vor, sowohl in seiner Heimatprovinz Ghazni als auch in Kabul herrsche ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt. Ihm drohe aufgrund seiner Desertion landesweit die Hinrichtung durch die Taliban.
11 
Der Senat hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung am 06.03.2012 informatorisch angehört. Dabei wiederholte der Kläger im Wesentlichen die bereits beim Verwaltungsgericht gemachten Angaben.
12 
Die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes ergeben sich aus der Gerichtsakte sowie den Verfahrensakten des Bundesamts. Dem Senat liegen des Weiteren die Akte des Verwaltungsgerichts Karlsruhe im Verfahren A 8 K 878/11 sowie die Erkenntnisquellen, die den Beteiligten mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung mitgeteilt worden sind, vor. Die beigezogenen Akten und die Erkenntnisquellen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

 
13 
Die zulässige, insbesondere rechtzeitig unter Stellung eines Antrags und unter Bezugnahme auf die ausführliche Begründung des Zulassungsantrags begründete Berufung (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 -NVwZ 2006, 1420, m.w.N.) der Beklagten hat im Wesentlichen keinen Erfolg. Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts kann der Kläger die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (- Aufenthaltsgesetz -) in der Fassung der Änderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der EU vom 19.08.2007 (- 1. Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 28.08.2007, BGBl I 1970) sowie das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der EU und zur Anpassung nationaler Rechtvorschriften an den EU-Visakodex vom 22.11.2011 (- 2. Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 26.11.2011, BGBl I 2258) zwar nicht beanspruchen. Die Beklagte ist jedoch zu der Feststellung verpflichtet, dass im konkreten Einzelfall des Klägers ein Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2 AufenthG hinsichtlich Afghanistans vorliegt, sodass der Anspruch auf Feststellung eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots im Ergebnis zutreffend bejaht wurde.
I.
14 
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist das Verpflichtungsbegehren des Klägers auf Gewährung subsidiären unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes. Zwar hat das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nur nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG bejaht, und der Senat hat die Berufung zugelassen, soweit der Klage stattgegeben worden ist. Eine Beschränkung des Streitgegenstands auf § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist jedoch rechtlich nicht möglich. Denn der geltend gemachte Anspruch auf Verpflichtung zur Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG (entsprechend den Voraussetzungen für den subsidiären Schutz in Art. 15 der sog. Qualifikations-Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes; ABlEU Nr. L 304 S. 12; ber. ABlEU vom 05.08.2005 Nr. L 204 S. 24, neugefasst mit Umsetzungsfrist bis 21.12.2013 als Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011, ABlEU vom 20.12.2011 Nr. L 337 S. 9; - QRL -) bildet nach dem dafür maßgeblichen materiellen Recht einen einheitlichen, in sich nicht weiter teilbaren Streitgegenstand (BVerwG, Urteile vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 Rn. 11 und vom 08.09.2011 - 10 C 14.10 - juris Rn. 16). Die Berufung kann daher nicht wirksam auf einzelne materielle Anspruchsgrundlagen dieses einheitlichen prozessualen Anspruchs beschränkt werden (BVerwG, Urteile vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 -BVerwGE 136, 377 Rn. 13 und vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 11).
II.
15 
In dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) liegt zu Gunsten des Klägers ein Abschiebungsverbot hinsichtlich Afghanistans gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG vor. Der Senat kann dies im konkreten Einzelfall des Klägers trotz der rechtskräftigen Ablehnung seines Antrags auf Flüchtlingsanerkennung feststellen, selbst wenn er der Sache nach politische Verfolgung geltend machen würde. Zum einen schützt § 60 Abs. 2 AufenthG auch vor politisch motivierten Gefahren (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 14.12.1993 - A 16 S 2005/93 - juris Rn. 6 zur Vorgängernorm des § 53 AuslG). Zum anderen hat im vorliegenden Fall auch insoweit das Bundesamt im Zusammenhang mit einem Asylverfahren entschieden, sodass sich kein Zuständigkeitskonflikt mit der Ausländerbehörde ergeben kann (vgl. hierzu: Treiber in GK-AsylVfG, 9/2007, § 13 AsylVfG Rn. 56 ff.).
16 
1. Nach § 60 Abs. 2 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Unter „Folter“ ist in Anlehnung an die Definition von Art. 1 des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (BGBl. 1990 II S. 247, BGBl. 1993 II S. 715) eine Behandlung zu verstehen, die einer Person vorsätzlich schwere Schmerzen oder Leiden körperlicher oder geistig-seelischer Art zufügt, um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erzwingen, sie oder einen Dritten zu bestrafen, einzuschüchtern oder zu nötigen oder mit diskriminierender Absicht zu verfolgen. Wann eine „unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung“ vorliegt, hängt nach der insoweit vor allem maßgebenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom Einzelfall ab. Eine Schlechtbehandlung einschließlich Bestrafung muss jedenfalls ein Minimum an Schwere erreichen, um in den mit § 60 Abs. 2 AufenthG und Art. 15 lit. b QRL insoweit identischen Schutzbereich von Art. 3 EMRK zu fallen. Die Bewertung dieses Minimums ist nach der Natur der Sache relativ. Kriterien hierfür sind abzuleiten aus allen Umständen des Einzelfalles, wie etwa der Art der Behandlung oder Bestrafung und dem Zusammenhang, in dem sie erfolgte, der Art und Weise ihrer Vollstreckung, ihrer zeitlichen Dauer, ihrer physischen und geistigen Wirkungen, sowie gegebenenfalls abgestellt auf Geschlecht, Alter bzw. Gesundheitszustand des Opfers. Abstrakt formuliert sind unter einer menschenrechtswidrigen Schlechtbehandlung Maßnahmen zu verstehen, mit denen unter Missachtung der Menschenwürde absichtlich schwere psychische oder physische Leiden zugefügt werden und mit denen nach Art und Ausmaß besonders schwer und krass gegen Menschenrechte verstoßen wird (Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 34 f., m.w.N.).
17 
2. Bei der Prüfung, ob eine konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung besteht, ist der asylrechtliche Prognosemaßstab der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ anzulegen, wobei allerdings das Element der Konkretheit der Gefahr das zusätzliche Erfordernis einer einzelfallbezogenen, individuell bestimmten und erheblichen Gefährdungssituation kennzeichnet. Mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit steht die Rechtsgutsverletzung bevor, wenn bei qualifizierender Betrachtungsweise, d.h. bei einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung, die für die Rechtsgutsverletzung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Die in diesem Sinne erforderliche Abwägung bezieht sich nicht allein auf das Element der Eintrittswahrscheinlichkeit, sondern auch auf das Element der zeitlichen Nähe des befürchteten Ereignisses; auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs ist in die Betrachtung einzubeziehen (BVerwG, Beschluss vom 10.04.2008 - 10 B 28.08 - juris Rn. 6; Urteil vom 14.12.1993 - 9 C 45.92 - juris Rn. 10 f.; Urteil vom 05.11.1991 - 9 C 118.90 - juris Rn. 17).
18 
3. Für die Feststellung des Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG gelten nach § 60 Abs. 11 AufenthG die Art. 4 Abs. 4, Art. 5 Abs. 1 und 2 und Art. 6 bis 8 QRL. Damit werden die dortigen Bestimmungen über den Vorverfolgungsmaßstab, Nachfluchtgründe, Verfolgungs- und Schutzakteure und internen Schutz als anwendbar auch für dieses Abschiebungsverbot erklärt (BT-Drs. 16/5065 S. 187). Gemäß Art. 6 QRL muss die Gefahr demnach nicht zwingend vom Staat ausgehen (lit. a). Der Schutz entfaltet sich ebenso gegenüber Gefahren, die von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (lit. b) oder von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern die unter lit. a und b genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung bzw. ernsthaftem Schaden zu bieten (lit. c). Darüber hinaus privilegiert Art. 4 Abs. 4 QRL den Vorverfolgten bzw. Geschädigten auf andere Weise: Wer bereits Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den streitet die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei (EuGH, Urteil vom 02.03.2010, Rs. C-175/08 u.a. Rn. 92 ff.). Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadensstiftenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Es gelten nicht die strengen Maßstäbe, die bei fehlender Vorverfolgung anzulegen sind (EGMR, Urteil vom 28.02.2008 - Nr. 37201/06 ). Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften. Diese Beurteilung obliegt tatrichterlicher Würdigung im Rahmen freier Beweiswürdigung. Die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 QRL kann im Einzelfall selbst dann widerlegt sein, wenn nach herkömmlicher Betrachtung keine hinreichende Sicherheit im Sinne des herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabes bestünde. Dieser Maßstab hat bei der Prüfung der Flüchtlingsanerkennung und des subsidiären Schutzes keine Bedeutung mehr (BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 - juris Rn. 23)
19 
4. Die Beweiserleichterung gemäß Art. 4 Abs. 4 QRL kommt dem Kläger hier zugute und der Senat kann im Rahmen der freien Beweiswürdigung keine stichhaltige Gründe für eine Widerlegung der gesetzlichen Vermutung erkennen. Denn der Kläger ist von den Taliban zwangsrekrutiert worden und aus deren Ausbildungslager desertiert und schwebte vor seiner Ausreise deshalb in der konkreten Gefahr der unmenschlichen Bestrafung. Der Senat ist aufgrund des schlüssigen und glaubhaften Vortrags des Klägers davon überzeugt, dass er tatsächlich im Oktober 2009 von Taliban-Kämpfern unter Bedrohung seiner Eltern von zu Hause abgeholt und in ein Ausbildungslager an der Grenze zu Pakistan verschleppt worden ist. Ebenso glaubt ihm der Senat, dass er von dort, wie vorgetragen, nach Pakistan und schließlich mithilfe von Schleppern auf dem Landweg nach Deutschland fliehen konnte. Der gesamte Vortrag des Klägers ist widerspruchsfrei und fügt sich stimmig in die dokumentierten Angaben vor dem Bundesamt bei der Erstanhörung am 28.04.2010 sowie vor dem Verwaltungsgericht im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 23.09.2011. Deshalb ist zu vermuten, dass er bei einer Rückkehr nach Afghanistan erneut der konkreten Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung im Sinne von Art. 3 EMRK durch die Taliban ausgesetzt wäre. Die Taliban sind auch heute noch eine Organisation, die einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets, nämlich Teile von Süd- und Ostafghanistan gewissermaßen beherrscht (vgl. AA, Lagebericht vom 10.01.2012, S. 12; UNHCR vom 11.11.2011, S. 2). Jedenfalls sind die Taliban als nichtstaatlicher Akteur im Sinne von Art. 6 QRL zu qualifizieren, gegen den derzeit weder der afghanische Staat noch internationale Organisationen in der Lage sind, hinreichenden Schutz vor Verfolgung bzw. ernsthaftem Schaden zu bieten. Insoweit besteht nach Überzeugung des Senats sogar eine beachtliche Wahrscheinlichkeit für die konkrete Gefahr unmenschlicher Bestrafung des Klägers durch die Taliban, sollten sie seiner habhaft werden. Über Zwangsrekrutierungen in der Art und Weise, wie sie der Kläger durchlebt hat, wird vielfältig berichtet (vgl. UNHCR vom 11.11.2011, S. 7 f., m.w.N.; Dr. Danesch vom 07.10.2010, Paktia, S. 4). Würde der Kläger nach seiner Flucht den Taliban in die Hände fallen, hätte er nach aktueller Auskunftslage mit einem drastischen Racheakt bis hin zu seiner Hinrichtung zu rechnen. Sich dem „Dschihad“ durch Flucht zu entziehen, wurde und wird auch heute noch von den Taliban als schwerstes, als „todeswürdiges“ Verbrechen gewertet. Angesichts der weiterhin stattfindenden Kämpfe vor allem im Süden und Osten des Landes bzw. des aus Sicht der Taliban stattfindenden „Dschihads“ muss ein Deserteur auch nach vielen Jahren mit einer sehr harten Strafe rechnen (ai vom 21.12.2010, S. 2 f.). Der Kläger hat nach Auffassung der Taliban ein religiöses Gesetz gebrochen und sich als Abtrünniger außerhalb des Islams gestellt. Ein solches Verbrechen gegen den Islam verjährt bei den Taliban nicht (Dr. Danesch vom 07.10.2010, S. 7). Dass man den Kläger auch nach Jahren der Abwesenheit bei einer Rückkehr nach Afghanistan landesweit wiedererkennen würde, erscheint dem Senat gerade aufgrund seiner gewissen Prominenz als Spitzensportler alles andere als fernliegend, vielmehr als beachtlich wahrscheinlich. Dasselbe gilt für die Gefahr, dass die Taliban an ihm gerade auch in Kabul ein Exempel statuieren würden. Wie die spektakulären Anschläge der letzten Zeit illustrieren, reicht der offenbar gut organisierte und in die staatlichen Strukturen hineinreichende Arm der Taliban auch heute bis nach Kabul. Nach alledem ist im konkreten Einzelfall des Klägers ein Abschiebungsverbot hinsichtlich Afghanistans gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG begründet.
III.
20 
Damit erübrigt es sich, weitere materielle Anspruchsgrundlagen des einheitlichen prozessualen Anspruchs auf Feststellung eines unionsrechtlichen Abschiebungsverbots zu prüfen. Für eine Feststellung nach § 60 Abs. 3 Satz 1 AufenthG, wonach ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden darf, wenn ihn dieser Staat wegen einer Straftat sucht und dort aufgrund konkreter und ernsthafter Anhaltspunkte die Gefahr der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe besteht (s. hierzu: Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 39 ff., m.w.N.), fehlen ohnehin jegliche Anhaltspunkte.
IV.
21 
Da das Verwaltungsgericht dies zugesprochen hatte und sich die Berufung der Beklagten insbesondere hiergegen richtet, stellt der Senat klar, dass im Falle des Klägers kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG gegeben ist. Nach dieser Norm ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist.
22 
1. Diese Bestimmung entspricht nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts trotz geringfügig abweichender Formulierungen den Vorgaben des Art. 15 lit. c QRL und ist in diesem Sinne auszulegen (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 14). Nach Art. 15 lit. c QRL gilt als ernsthafter Schaden „eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts“.
23 
a) Bei der Frage, ob ein internationaler oder innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, sind hiernach die vier Genfer Konventionen zum humanitären Völkerrecht von 1949 und insbesondere das Zusatzprotokoll II von 1977 (BGBl 1990 II S. 1637; - ZP II -) zu berücksichtigen. Das ZP II definiert in Art. 1 Nr. 1 den Begriff des nicht internationalen bewaffneten Konflikts wie folgt: „Dieses Protokoll, das den den Genfer Abkommen vom 12.08.1949 gemeinsamen Art. 3 weiterentwickelt und ergänzt, ohne die bestehenden Voraussetzungen für seine Anwendung zu ändern, findet auf alle bewaffneten Konflikte Anwendung, die von Art. 1 des Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vorn 12.08.1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I) nicht erfasst sind und die im Hoheitsgebiet einer Hohen Vertragspartei zwischen deren Streitkräften und abtrünnigen Streitkräften oder anderen organisierten bewaffneten Gruppen stattfinden, die unter einer verantwortlichen Führung eine solche Kontrolle über einen Teil des Hoheitsgebiets der Hohen Vertragspartei ausüben, dass sie anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen durchführen und dieses Protokoll anzuwenden vermögen.“ In seinem Art. 2 grenzt das ZP II sodann von Fällen bloßer "innerer Unruhen und Spannungen" ab, die nicht unter diesen Begriff fallen. Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts liegt demnach jedenfalls dann vor, wenn der Konflikt die Kriterien des Art. 1 Nr. 1 ZP II erfüllt. Er liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn die Ausschlusstatbestände des Art. 1 Nr. 2 ZP II erfüllt sind, es sich also nur um innere Unruhen und Spannungen handelt wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen, die nicht als bewaffnete Konflikte gelten. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinne von Art. 15 lit. c QRL nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss hierfür aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen. Typische Beispiele sind Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfe. Der völkerrechtliche Begriff des "bewaffneten Konflikts" wurde gewählt, um klarzustellen, dass nur Auseinandersetzungen von einer bestimmten Größenordnung an in den Regelungsbereich der Vorschrift fallen. Dennoch setzt ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt nicht zwingend einen so hohen Organisationsgrad und eine solche Kontrolle der Konfliktparteien über einen Teil des Staatsgebiets voraus, wie sie für die Erfüllung der Verpflichtungen nach den Genfer Konventionen von 1949 erforderlich sind. Ohnehin findet die Orientierung an den Kriterien des humanitären Völkerrechts ihre Grenze jedenfalls dort, wo ihr der Zweck der Schutzgewährung für in Drittstaaten Zuflucht Suchende nach Art. 15 lit. c QRL widerspricht. Weitere Anhaltspunkte für die Auslegung des Begriffs des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts können sich aus dem Völkerstrafrecht ergeben, insbesondere aus der Rechtsprechung der Internationalen Strafgerichtshöfe. Hiernach dürfte kriminelle Gewalt bei der Feststellung, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, jedenfalls dann keine Berücksichtigung finden, wenn sie nicht von einer der Konfliktparteien begangen wird (ausführlich: BVerwG, Urteile vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - juris Rn. 19 ff. und vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 -juris Rn. 23).
24 
Bezüglich der Frage, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, ist zunächst das gesamte Staatsgebiet in den Blick zu nehmen. Besteht ein bewaffneter Konflikt jedoch nicht landesweit, kommt eine individuelle Bedrohung in Betracht, wenn sich der Konflikt auf die Herkunftsregion des Ausländers erstreckt, in der er zuletzt gelebt hat bzw. in die er typischerweise zurückkehren kann und voraussichtlich auch wird, d.h. auf seinen "tatsächlichen Zielort" bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat (EuGH, Urteil vom 17.02.2009, Rs. C-465/07 Rn. 40). Auf einen bewaffneten Konflikt außerhalb der Herkunftsregion des Ausländers kann es hingegen nur ausnahmsweise ankommen. In diesem Fall muss der Betreffende stichhaltige Gründe dafür vorbringen, dass für ihn eine Rückkehr in seine Herkunftsregion ausscheidet und nur eine Rückkehr gerade in die Gefahrenzone in Betracht kommt (BVerwG, Urteil vom 14.07.2009 - 10 C 9.08 - juris Rn. 17).
25 
b) Konnte ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt zumindest im tatsächlichen Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat festgestellt werden, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts weiter zu fragen, ob ihm dort infolgedessen auch eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben infolge willkürlicher Gewalt droht. Hierfür sind Feststellungen über das Niveau willkürlicher Gewalt bzw. zu der sogenannten Gefahrendichte erforderlich, d.h. (1.) eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen und (2.) der Akte willkürlicher Gewalt, die von den Konfliktparteien gegen Leib und Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie (3.) eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung. Hierzu gehört auch die Würdigung der medizinischen Versorgungslage in dem jeweiligen Gebiet, von deren Qualität und Erreichbarkeit die Schwere eingetretener körperlicher Verletzungen mit Blick auf die den Opfern dauerhaft verbleibenden Verletzungsfolgen abhängen kann. Im Übrigen können die für die Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts entwickelten Kriterien entsprechend herangezogen werden. In jedem Fall setzt § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG für die Annahme einer erheblichen individuellen Gefahr voraus, dass dem Betroffenen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Schaden an den Rechtsgütern Leib oder Leben droht. Gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG gilt auch für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG u.a. die oben unter II. erläuterte Beweisregel des Art. 4 Abs. 4 QRL (ausführlich: BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 - juris Rn. 32 ff.; vgl. auch Dolk, Asylmagazin 12/2011, 418 ff., m.w.N.).
26 
c) Bei der Prüfung, ob dem Ausländer zumindest in seiner Herkunftsregion aufgrund eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben droht, sind gegebenenfalls gefahrerhöhende persönliche Umstände zu berücksichtigen. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich. Liegen hingegen gefahrerhöhende persönliche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt. Zu diesen gefahrerhöhenden Umständen gehören in erster Linie solche persönlichen Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen - z.B. als Arzt oder Journalist - gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Dazu können aber nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts auch solche persönlichen Umstände gerechnet werden, aufgrund derer der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte - etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit - ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht schon eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt. Auch im Fall gefahrerhöhender persönlicher Umstände muss aber ein hohes Niveau willkürlicher Gewalt bzw. eine hohe Gefahrendichte für die Zivilbevölkerung in dem fraglichen Gebiet festgestellt werden. Allein das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts und die Feststellung eines gefahrerhöhenden Umstandes in der Person des Antragstellers reichen hierfür nicht aus. Allerdings kann eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr auch dann, wenn individuelle gefahrerhöhende Umstände fehlen, ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 18 ff.).
27 
d) Schließlich darf für den Ausländer keine Möglichkeit internen Schutzes gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 8 QRL bestehen. Nach Art. 8 Abs. 1 QRL können die Mitgliedstaaten bei der Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz feststellen, dass ein Antragsteller keinen internationalen Schutz benötigt, sofern in einem Teil des Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung bzw. keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht und von dem Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil aufhält. Nach Absatz 2 der Norm berücksichtigen die Mitgliedstaaten bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Antragstellers zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag. Nach Absatz 3 der Norm kann Absatz 1 kann auch dann angewandt werden, wenn praktische Hindernisse für eine Rückkehr in das Herkunftsland bestehen. Zur Frage, wann von dem Ausländer „vernünftigerweise erwartet werden kann“, dass er sich in dem verfolgungsfreien Landesteil aufhält, verweist das Bundesverwaltungsgericht auf die Begründung zum Regierungsentwurf des Richtlinienumsetzungsgesetzes (BT-Drs. 16/5065 S. 185). Hier wird ausgeführt, dass dies dann der Fall sei, wenn der Ausländer am Zufluchtsort eine ausreichende Lebensgrundlage vorfinde, d.h. dort das Existenzminimum gewährleistet sei. Ausdrücklich offen gelassen wurde, welche darüber hinausgehenden wirtschaftlichen und sozialen Standards erfüllt sein müssen. Allerdings spreche einiges dafür, dass die gemäß Art. 8 Abs. 2 QRL zu berücksichtigenden allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftslandes - oberhalb der Schwelle des Existenzminimums - auch den Zumutbarkeitsmaßstab prägen (BVerwG, Urteil vom 29.05.2008 - 10 C 11.07 - juris Rn. 32/35). Dem schließt sich der Senat an, denn hierfür spricht im Übrigen auch der Umstand, dass andernfalls der richtlinienkonforme Ausschluss der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG für die Fälle des Art. 15 lit. c QRL über die an den internen Schutz gestellten Anforderungen unterlaufen würde (Hess. VGH, Urteil vom 25.08.2011 - 8 A 1657/10.A - juris Rn. 91). Nach diesen Grundsätzen bietet ein verfolgungssicherer Ort erwerbsfähigen Personen eine wirtschaftliche Lebensgrundlage etwa dann, wenn sie dort, sei es durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem angemessenen Lebensunterhalt Erforderliche erlangen können. Zu den danach zumutbaren Arbeiten gehören auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, beispielsweise in der Landwirtschaft oder auf dem Bausektor, ausgeübt werden können. Nicht zumutbar sind hingegen jedenfalls die entgeltliche Erwerbstätigkeit für eine kriminelle Organisation, die in der fortgesetzten Begehung von oder Teilnahme an Verbrechen besteht. Ein verfolgungssicherer Ort, an dem selbst das Existenzminimum nur durch derartiges kriminelles Handeln erlangt werden kann, kann keine innerstaatliche Fluchtalternative sein. Bei der Prüfung des internen Schutzes muss mithin insbesondere gefragt werden, ob der Betreffende seine Existenz am Ort der Fluchtalternative auch ohne förmliche Gewährung eines Aufenthaltsrechts und ohne Inanspruchnahme staatlicher Sozialleistungen in zumutbarer Weise - etwa im Rahmen eines Familienverbandes - und ohne ein Leben in der Illegalität, das ihn jederzeit der Gefahr polizeilicher Kontrollen und der strafrechtlichen Sanktionierung aussetzt, angemessen sichern kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 01.02.2007 - 1 C 24.06 - juris Rn. 11 f.).
28 
2. Im Falle des Klägers liegen diese Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nicht vor.
29 
a) Da der Kläger vor seiner Zwangsrekrutierung zuletzt im Dorf Jeraton in der Provinz Ghazni gelebt hat, könnte bezüglich der Frage, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, auf diesen Ort abgestellt werden müssen. Die Eltern des Klägers sind jedoch nach seiner Verschleppung durch die Taliban nach Kabul verzogen und leben nach seinen glaubhaften Angaben auch heute noch dort. Deshalb ist es realistischer und daher allein sachgerecht, Kabul als den "tatsächlichen Zielort" des Klägers bei einer Rückkehr nach Afghanistan zu bewerten. Bezüglich der Provinz Ghazni wird in der Rechtsprechung ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vereinzelt bejaht (VG Ansbach, Urteil vom 13.05.2011 - AN 11 K 11.30032 -, zitiert nach Asylmagazin 12/2011, S. 418 Fn. 18). Allerdings spricht für den Einwand der Beklagten, dies dürfe nur für einige Teile der Provinz zutreffen, die Einschätzung etwa des UNHCR (vom 11.11.2011, S. 2). Ob das Dorf Jeraton in einem solchen Konfliktgebiet liegt, lässt sich für den Senat anhand der vorliegenden Erkenntnisquellen derzeit nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen. Dass in Kabul heute ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne von Art. 15 lit. c QRL gegeben ist, kann hingegen ausgeschlossen werden. Die dortige Sicherheitslage wird, abgesehen von einigen spektakulären Anschlägen, die sich jedoch primär auf „prominente Ziele“ gerichtet haben, relativ einheitlich als stabil und weiterhin deutlich ruhiger als noch etwa vor zwei Jahren bewertet. Zuvor hat es offenbar sogar eine praktisch anschlagsfreie Zeit von fast 18 Monaten gegeben (AA, Lagebericht vom 10.01.2012, S. 12; Kermani, Die Zeit vom 05.01.2012, 11 f; Asylmagazin 12/2011, 418). Letztlich kann es im vorliegenden Fall offenbleiben, ob auf Kabul oder die Provinz Ghazni bzw. das Dorf Jeraton abzustellen ist.
30 
b) Denn dem Kläger droht, gerade auch unter Berücksichtigung der gefahrerhöhenden persönlichen Umstände, weder in Kabul noch in der Provinz Ghazni oder dem Dorf Jeraton im Rechtssinne eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben infolge willkürlicher Gewalt. Nach der dargestellten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der sich der Senat anschließt, wird der Begriff der „willkürlichen“ Gewalt im Sinne einer „allgemeinen, ungezielten Gewalt“ verstanden. Art. 15 lit. c QRL möchte die Angehörigen der Zivilbevölkerung vor den typischen Gefahren einer kriegerischen Auseinandersetzung schützen (vgl. auch die Gesetzesbegründung in BT-Drs. 16/5065 S. 187). Der Kläger aber fürchtet im Wesentlichen keine solche allgemeine, ungezielte Gewalt bei einer Rückkehr nach Afghanistan. Vielmehr fürchtet er mit gutem Grunde gerade die spezifisch gegen ihn gerichtete und gezielte, ja kriminelle Gewalt der Taliban als Rache für seine Desertion aus ihrem Ausbildungslager. Eine solche gezielte Gewalt wird von Art. 15 lit. c QRL und damit von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nicht umfasst. Diesbezüglich ist vielmehr Art. 15 lit. b QRL einschlägig („Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung eines Antragstellers im Herkunftsland“; vgl. BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 - juris Rn. 29), weswegen dem Kläger ein Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2 AufenthG zugesprochen werden muss.
V.
31 
Nachdem im Falle des Klägers das - unionsrechtlich begründete (weitergehende) - Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG zu bejahen ist, fehlt es an einer verfassungswidrigen Schutzlücke für die Feststellung eines - nationalen - Abschiebungsschutzes wegen einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit bzw. einer extremen Gefahrenlage gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 bzw. Satz 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung (BVerwG, Urteil vom 29.06.2010 - 10 C 10.09 - juris Rn. 12). Über den zulässigen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 05.06.1998 - 9 B 469.98 - juris Rn. 20) Hilfsantrag des Klägers ist hier auch deshalb nicht zu entscheiden (vgl. zur Prüfung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bzgl. Afghanistans das Senatsurteil vom 06.03.2012 - A 11 S 3177/11 - juris).
VI.
32 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO sowie § 83b AsylVfG.
VII.
33 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein gesetzlicher Zulassungsgrund vorliegt (§ 132 Abs. 2 VwGO).

Gründe

 
13 
Die zulässige, insbesondere rechtzeitig unter Stellung eines Antrags und unter Bezugnahme auf die ausführliche Begründung des Zulassungsantrags begründete Berufung (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 -NVwZ 2006, 1420, m.w.N.) der Beklagten hat im Wesentlichen keinen Erfolg. Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts kann der Kläger die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (- Aufenthaltsgesetz -) in der Fassung der Änderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der EU vom 19.08.2007 (- 1. Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 28.08.2007, BGBl I 1970) sowie das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der EU und zur Anpassung nationaler Rechtvorschriften an den EU-Visakodex vom 22.11.2011 (- 2. Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 26.11.2011, BGBl I 2258) zwar nicht beanspruchen. Die Beklagte ist jedoch zu der Feststellung verpflichtet, dass im konkreten Einzelfall des Klägers ein Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2 AufenthG hinsichtlich Afghanistans vorliegt, sodass der Anspruch auf Feststellung eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots im Ergebnis zutreffend bejaht wurde.
I.
14 
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist das Verpflichtungsbegehren des Klägers auf Gewährung subsidiären unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes. Zwar hat das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nur nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG bejaht, und der Senat hat die Berufung zugelassen, soweit der Klage stattgegeben worden ist. Eine Beschränkung des Streitgegenstands auf § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist jedoch rechtlich nicht möglich. Denn der geltend gemachte Anspruch auf Verpflichtung zur Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG (entsprechend den Voraussetzungen für den subsidiären Schutz in Art. 15 der sog. Qualifikations-Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes; ABlEU Nr. L 304 S. 12; ber. ABlEU vom 05.08.2005 Nr. L 204 S. 24, neugefasst mit Umsetzungsfrist bis 21.12.2013 als Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011, ABlEU vom 20.12.2011 Nr. L 337 S. 9; - QRL -) bildet nach dem dafür maßgeblichen materiellen Recht einen einheitlichen, in sich nicht weiter teilbaren Streitgegenstand (BVerwG, Urteile vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 Rn. 11 und vom 08.09.2011 - 10 C 14.10 - juris Rn. 16). Die Berufung kann daher nicht wirksam auf einzelne materielle Anspruchsgrundlagen dieses einheitlichen prozessualen Anspruchs beschränkt werden (BVerwG, Urteile vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 -BVerwGE 136, 377 Rn. 13 und vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 11).
II.
15 
In dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) liegt zu Gunsten des Klägers ein Abschiebungsverbot hinsichtlich Afghanistans gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG vor. Der Senat kann dies im konkreten Einzelfall des Klägers trotz der rechtskräftigen Ablehnung seines Antrags auf Flüchtlingsanerkennung feststellen, selbst wenn er der Sache nach politische Verfolgung geltend machen würde. Zum einen schützt § 60 Abs. 2 AufenthG auch vor politisch motivierten Gefahren (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 14.12.1993 - A 16 S 2005/93 - juris Rn. 6 zur Vorgängernorm des § 53 AuslG). Zum anderen hat im vorliegenden Fall auch insoweit das Bundesamt im Zusammenhang mit einem Asylverfahren entschieden, sodass sich kein Zuständigkeitskonflikt mit der Ausländerbehörde ergeben kann (vgl. hierzu: Treiber in GK-AsylVfG, 9/2007, § 13 AsylVfG Rn. 56 ff.).
16 
1. Nach § 60 Abs. 2 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Unter „Folter“ ist in Anlehnung an die Definition von Art. 1 des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (BGBl. 1990 II S. 247, BGBl. 1993 II S. 715) eine Behandlung zu verstehen, die einer Person vorsätzlich schwere Schmerzen oder Leiden körperlicher oder geistig-seelischer Art zufügt, um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erzwingen, sie oder einen Dritten zu bestrafen, einzuschüchtern oder zu nötigen oder mit diskriminierender Absicht zu verfolgen. Wann eine „unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung“ vorliegt, hängt nach der insoweit vor allem maßgebenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom Einzelfall ab. Eine Schlechtbehandlung einschließlich Bestrafung muss jedenfalls ein Minimum an Schwere erreichen, um in den mit § 60 Abs. 2 AufenthG und Art. 15 lit. b QRL insoweit identischen Schutzbereich von Art. 3 EMRK zu fallen. Die Bewertung dieses Minimums ist nach der Natur der Sache relativ. Kriterien hierfür sind abzuleiten aus allen Umständen des Einzelfalles, wie etwa der Art der Behandlung oder Bestrafung und dem Zusammenhang, in dem sie erfolgte, der Art und Weise ihrer Vollstreckung, ihrer zeitlichen Dauer, ihrer physischen und geistigen Wirkungen, sowie gegebenenfalls abgestellt auf Geschlecht, Alter bzw. Gesundheitszustand des Opfers. Abstrakt formuliert sind unter einer menschenrechtswidrigen Schlechtbehandlung Maßnahmen zu verstehen, mit denen unter Missachtung der Menschenwürde absichtlich schwere psychische oder physische Leiden zugefügt werden und mit denen nach Art und Ausmaß besonders schwer und krass gegen Menschenrechte verstoßen wird (Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 34 f., m.w.N.).
17 
2. Bei der Prüfung, ob eine konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung besteht, ist der asylrechtliche Prognosemaßstab der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ anzulegen, wobei allerdings das Element der Konkretheit der Gefahr das zusätzliche Erfordernis einer einzelfallbezogenen, individuell bestimmten und erheblichen Gefährdungssituation kennzeichnet. Mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit steht die Rechtsgutsverletzung bevor, wenn bei qualifizierender Betrachtungsweise, d.h. bei einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung, die für die Rechtsgutsverletzung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Die in diesem Sinne erforderliche Abwägung bezieht sich nicht allein auf das Element der Eintrittswahrscheinlichkeit, sondern auch auf das Element der zeitlichen Nähe des befürchteten Ereignisses; auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs ist in die Betrachtung einzubeziehen (BVerwG, Beschluss vom 10.04.2008 - 10 B 28.08 - juris Rn. 6; Urteil vom 14.12.1993 - 9 C 45.92 - juris Rn. 10 f.; Urteil vom 05.11.1991 - 9 C 118.90 - juris Rn. 17).
18 
3. Für die Feststellung des Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG gelten nach § 60 Abs. 11 AufenthG die Art. 4 Abs. 4, Art. 5 Abs. 1 und 2 und Art. 6 bis 8 QRL. Damit werden die dortigen Bestimmungen über den Vorverfolgungsmaßstab, Nachfluchtgründe, Verfolgungs- und Schutzakteure und internen Schutz als anwendbar auch für dieses Abschiebungsverbot erklärt (BT-Drs. 16/5065 S. 187). Gemäß Art. 6 QRL muss die Gefahr demnach nicht zwingend vom Staat ausgehen (lit. a). Der Schutz entfaltet sich ebenso gegenüber Gefahren, die von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (lit. b) oder von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern die unter lit. a und b genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung bzw. ernsthaftem Schaden zu bieten (lit. c). Darüber hinaus privilegiert Art. 4 Abs. 4 QRL den Vorverfolgten bzw. Geschädigten auf andere Weise: Wer bereits Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den streitet die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei (EuGH, Urteil vom 02.03.2010, Rs. C-175/08 u.a. Rn. 92 ff.). Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadensstiftenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Es gelten nicht die strengen Maßstäbe, die bei fehlender Vorverfolgung anzulegen sind (EGMR, Urteil vom 28.02.2008 - Nr. 37201/06 ). Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften. Diese Beurteilung obliegt tatrichterlicher Würdigung im Rahmen freier Beweiswürdigung. Die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 QRL kann im Einzelfall selbst dann widerlegt sein, wenn nach herkömmlicher Betrachtung keine hinreichende Sicherheit im Sinne des herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabes bestünde. Dieser Maßstab hat bei der Prüfung der Flüchtlingsanerkennung und des subsidiären Schutzes keine Bedeutung mehr (BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 5.09 - juris Rn. 23)
19 
4. Die Beweiserleichterung gemäß Art. 4 Abs. 4 QRL kommt dem Kläger hier zugute und der Senat kann im Rahmen der freien Beweiswürdigung keine stichhaltige Gründe für eine Widerlegung der gesetzlichen Vermutung erkennen. Denn der Kläger ist von den Taliban zwangsrekrutiert worden und aus deren Ausbildungslager desertiert und schwebte vor seiner Ausreise deshalb in der konkreten Gefahr der unmenschlichen Bestrafung. Der Senat ist aufgrund des schlüssigen und glaubhaften Vortrags des Klägers davon überzeugt, dass er tatsächlich im Oktober 2009 von Taliban-Kämpfern unter Bedrohung seiner Eltern von zu Hause abgeholt und in ein Ausbildungslager an der Grenze zu Pakistan verschleppt worden ist. Ebenso glaubt ihm der Senat, dass er von dort, wie vorgetragen, nach Pakistan und schließlich mithilfe von Schleppern auf dem Landweg nach Deutschland fliehen konnte. Der gesamte Vortrag des Klägers ist widerspruchsfrei und fügt sich stimmig in die dokumentierten Angaben vor dem Bundesamt bei der Erstanhörung am 28.04.2010 sowie vor dem Verwaltungsgericht im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 23.09.2011. Deshalb ist zu vermuten, dass er bei einer Rückkehr nach Afghanistan erneut der konkreten Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung im Sinne von Art. 3 EMRK durch die Taliban ausgesetzt wäre. Die Taliban sind auch heute noch eine Organisation, die einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets, nämlich Teile von Süd- und Ostafghanistan gewissermaßen beherrscht (vgl. AA, Lagebericht vom 10.01.2012, S. 12; UNHCR vom 11.11.2011, S. 2). Jedenfalls sind die Taliban als nichtstaatlicher Akteur im Sinne von Art. 6 QRL zu qualifizieren, gegen den derzeit weder der afghanische Staat noch internationale Organisationen in der Lage sind, hinreichenden Schutz vor Verfolgung bzw. ernsthaftem Schaden zu bieten. Insoweit besteht nach Überzeugung des Senats sogar eine beachtliche Wahrscheinlichkeit für die konkrete Gefahr unmenschlicher Bestrafung des Klägers durch die Taliban, sollten sie seiner habhaft werden. Über Zwangsrekrutierungen in der Art und Weise, wie sie der Kläger durchlebt hat, wird vielfältig berichtet (vgl. UNHCR vom 11.11.2011, S. 7 f., m.w.N.; Dr. Danesch vom 07.10.2010, Paktia, S. 4). Würde der Kläger nach seiner Flucht den Taliban in die Hände fallen, hätte er nach aktueller Auskunftslage mit einem drastischen Racheakt bis hin zu seiner Hinrichtung zu rechnen. Sich dem „Dschihad“ durch Flucht zu entziehen, wurde und wird auch heute noch von den Taliban als schwerstes, als „todeswürdiges“ Verbrechen gewertet. Angesichts der weiterhin stattfindenden Kämpfe vor allem im Süden und Osten des Landes bzw. des aus Sicht der Taliban stattfindenden „Dschihads“ muss ein Deserteur auch nach vielen Jahren mit einer sehr harten Strafe rechnen (ai vom 21.12.2010, S. 2 f.). Der Kläger hat nach Auffassung der Taliban ein religiöses Gesetz gebrochen und sich als Abtrünniger außerhalb des Islams gestellt. Ein solches Verbrechen gegen den Islam verjährt bei den Taliban nicht (Dr. Danesch vom 07.10.2010, S. 7). Dass man den Kläger auch nach Jahren der Abwesenheit bei einer Rückkehr nach Afghanistan landesweit wiedererkennen würde, erscheint dem Senat gerade aufgrund seiner gewissen Prominenz als Spitzensportler alles andere als fernliegend, vielmehr als beachtlich wahrscheinlich. Dasselbe gilt für die Gefahr, dass die Taliban an ihm gerade auch in Kabul ein Exempel statuieren würden. Wie die spektakulären Anschläge der letzten Zeit illustrieren, reicht der offenbar gut organisierte und in die staatlichen Strukturen hineinreichende Arm der Taliban auch heute bis nach Kabul. Nach alledem ist im konkreten Einzelfall des Klägers ein Abschiebungsverbot hinsichtlich Afghanistans gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG begründet.
III.
20 
Damit erübrigt es sich, weitere materielle Anspruchsgrundlagen des einheitlichen prozessualen Anspruchs auf Feststellung eines unionsrechtlichen Abschiebungsverbots zu prüfen. Für eine Feststellung nach § 60 Abs. 3 Satz 1 AufenthG, wonach ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden darf, wenn ihn dieser Staat wegen einer Straftat sucht und dort aufgrund konkreter und ernsthafter Anhaltspunkte die Gefahr der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe besteht (s. hierzu: Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 39 ff., m.w.N.), fehlen ohnehin jegliche Anhaltspunkte.
IV.
21 
Da das Verwaltungsgericht dies zugesprochen hatte und sich die Berufung der Beklagten insbesondere hiergegen richtet, stellt der Senat klar, dass im Falle des Klägers kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG gegeben ist. Nach dieser Norm ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist.
22 
1. Diese Bestimmung entspricht nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts trotz geringfügig abweichender Formulierungen den Vorgaben des Art. 15 lit. c QRL und ist in diesem Sinne auszulegen (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 14). Nach Art. 15 lit. c QRL gilt als ernsthafter Schaden „eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts“.
23 
a) Bei der Frage, ob ein internationaler oder innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, sind hiernach die vier Genfer Konventionen zum humanitären Völkerrecht von 1949 und insbesondere das Zusatzprotokoll II von 1977 (BGBl 1990 II S. 1637; - ZP II -) zu berücksichtigen. Das ZP II definiert in Art. 1 Nr. 1 den Begriff des nicht internationalen bewaffneten Konflikts wie folgt: „Dieses Protokoll, das den den Genfer Abkommen vom 12.08.1949 gemeinsamen Art. 3 weiterentwickelt und ergänzt, ohne die bestehenden Voraussetzungen für seine Anwendung zu ändern, findet auf alle bewaffneten Konflikte Anwendung, die von Art. 1 des Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vorn 12.08.1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I) nicht erfasst sind und die im Hoheitsgebiet einer Hohen Vertragspartei zwischen deren Streitkräften und abtrünnigen Streitkräften oder anderen organisierten bewaffneten Gruppen stattfinden, die unter einer verantwortlichen Führung eine solche Kontrolle über einen Teil des Hoheitsgebiets der Hohen Vertragspartei ausüben, dass sie anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen durchführen und dieses Protokoll anzuwenden vermögen.“ In seinem Art. 2 grenzt das ZP II sodann von Fällen bloßer "innerer Unruhen und Spannungen" ab, die nicht unter diesen Begriff fallen. Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts liegt demnach jedenfalls dann vor, wenn der Konflikt die Kriterien des Art. 1 Nr. 1 ZP II erfüllt. Er liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn die Ausschlusstatbestände des Art. 1 Nr. 2 ZP II erfüllt sind, es sich also nur um innere Unruhen und Spannungen handelt wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen, die nicht als bewaffnete Konflikte gelten. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinne von Art. 15 lit. c QRL nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss hierfür aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen. Typische Beispiele sind Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfe. Der völkerrechtliche Begriff des "bewaffneten Konflikts" wurde gewählt, um klarzustellen, dass nur Auseinandersetzungen von einer bestimmten Größenordnung an in den Regelungsbereich der Vorschrift fallen. Dennoch setzt ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt nicht zwingend einen so hohen Organisationsgrad und eine solche Kontrolle der Konfliktparteien über einen Teil des Staatsgebiets voraus, wie sie für die Erfüllung der Verpflichtungen nach den Genfer Konventionen von 1949 erforderlich sind. Ohnehin findet die Orientierung an den Kriterien des humanitären Völkerrechts ihre Grenze jedenfalls dort, wo ihr der Zweck der Schutzgewährung für in Drittstaaten Zuflucht Suchende nach Art. 15 lit. c QRL widerspricht. Weitere Anhaltspunkte für die Auslegung des Begriffs des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts können sich aus dem Völkerstrafrecht ergeben, insbesondere aus der Rechtsprechung der Internationalen Strafgerichtshöfe. Hiernach dürfte kriminelle Gewalt bei der Feststellung, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, jedenfalls dann keine Berücksichtigung finden, wenn sie nicht von einer der Konfliktparteien begangen wird (ausführlich: BVerwG, Urteile vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - juris Rn. 19 ff. und vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 -juris Rn. 23).
24 
Bezüglich der Frage, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, ist zunächst das gesamte Staatsgebiet in den Blick zu nehmen. Besteht ein bewaffneter Konflikt jedoch nicht landesweit, kommt eine individuelle Bedrohung in Betracht, wenn sich der Konflikt auf die Herkunftsregion des Ausländers erstreckt, in der er zuletzt gelebt hat bzw. in die er typischerweise zurückkehren kann und voraussichtlich auch wird, d.h. auf seinen "tatsächlichen Zielort" bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat (EuGH, Urteil vom 17.02.2009, Rs. C-465/07 Rn. 40). Auf einen bewaffneten Konflikt außerhalb der Herkunftsregion des Ausländers kann es hingegen nur ausnahmsweise ankommen. In diesem Fall muss der Betreffende stichhaltige Gründe dafür vorbringen, dass für ihn eine Rückkehr in seine Herkunftsregion ausscheidet und nur eine Rückkehr gerade in die Gefahrenzone in Betracht kommt (BVerwG, Urteil vom 14.07.2009 - 10 C 9.08 - juris Rn. 17).
25 
b) Konnte ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt zumindest im tatsächlichen Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat festgestellt werden, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts weiter zu fragen, ob ihm dort infolgedessen auch eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben infolge willkürlicher Gewalt droht. Hierfür sind Feststellungen über das Niveau willkürlicher Gewalt bzw. zu der sogenannten Gefahrendichte erforderlich, d.h. (1.) eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen und (2.) der Akte willkürlicher Gewalt, die von den Konfliktparteien gegen Leib und Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie (3.) eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung. Hierzu gehört auch die Würdigung der medizinischen Versorgungslage in dem jeweiligen Gebiet, von deren Qualität und Erreichbarkeit die Schwere eingetretener körperlicher Verletzungen mit Blick auf die den Opfern dauerhaft verbleibenden Verletzungsfolgen abhängen kann. Im Übrigen können die für die Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts entwickelten Kriterien entsprechend herangezogen werden. In jedem Fall setzt § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG für die Annahme einer erheblichen individuellen Gefahr voraus, dass dem Betroffenen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Schaden an den Rechtsgütern Leib oder Leben droht. Gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG gilt auch für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG u.a. die oben unter II. erläuterte Beweisregel des Art. 4 Abs. 4 QRL (ausführlich: BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 - juris Rn. 32 ff.; vgl. auch Dolk, Asylmagazin 12/2011, 418 ff., m.w.N.).
26 
c) Bei der Prüfung, ob dem Ausländer zumindest in seiner Herkunftsregion aufgrund eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben droht, sind gegebenenfalls gefahrerhöhende persönliche Umstände zu berücksichtigen. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich. Liegen hingegen gefahrerhöhende persönliche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt. Zu diesen gefahrerhöhenden Umständen gehören in erster Linie solche persönlichen Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen - z.B. als Arzt oder Journalist - gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Dazu können aber nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts auch solche persönlichen Umstände gerechnet werden, aufgrund derer der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte - etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit - ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht schon eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt. Auch im Fall gefahrerhöhender persönlicher Umstände muss aber ein hohes Niveau willkürlicher Gewalt bzw. eine hohe Gefahrendichte für die Zivilbevölkerung in dem fraglichen Gebiet festgestellt werden. Allein das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts und die Feststellung eines gefahrerhöhenden Umstandes in der Person des Antragstellers reichen hierfür nicht aus. Allerdings kann eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr auch dann, wenn individuelle gefahrerhöhende Umstände fehlen, ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 18 ff.).
27 
d) Schließlich darf für den Ausländer keine Möglichkeit internen Schutzes gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 8 QRL bestehen. Nach Art. 8 Abs. 1 QRL können die Mitgliedstaaten bei der Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz feststellen, dass ein Antragsteller keinen internationalen Schutz benötigt, sofern in einem Teil des Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung bzw. keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht und von dem Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil aufhält. Nach Absatz 2 der Norm berücksichtigen die Mitgliedstaaten bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Antragstellers zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag. Nach Absatz 3 der Norm kann Absatz 1 kann auch dann angewandt werden, wenn praktische Hindernisse für eine Rückkehr in das Herkunftsland bestehen. Zur Frage, wann von dem Ausländer „vernünftigerweise erwartet werden kann“, dass er sich in dem verfolgungsfreien Landesteil aufhält, verweist das Bundesverwaltungsgericht auf die Begründung zum Regierungsentwurf des Richtlinienumsetzungsgesetzes (BT-Drs. 16/5065 S. 185). Hier wird ausgeführt, dass dies dann der Fall sei, wenn der Ausländer am Zufluchtsort eine ausreichende Lebensgrundlage vorfinde, d.h. dort das Existenzminimum gewährleistet sei. Ausdrücklich offen gelassen wurde, welche darüber hinausgehenden wirtschaftlichen und sozialen Standards erfüllt sein müssen. Allerdings spreche einiges dafür, dass die gemäß Art. 8 Abs. 2 QRL zu berücksichtigenden allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftslandes - oberhalb der Schwelle des Existenzminimums - auch den Zumutbarkeitsmaßstab prägen (BVerwG, Urteil vom 29.05.2008 - 10 C 11.07 - juris Rn. 32/35). Dem schließt sich der Senat an, denn hierfür spricht im Übrigen auch der Umstand, dass andernfalls der richtlinienkonforme Ausschluss der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG für die Fälle des Art. 15 lit. c QRL über die an den internen Schutz gestellten Anforderungen unterlaufen würde (Hess. VGH, Urteil vom 25.08.2011 - 8 A 1657/10.A - juris Rn. 91). Nach diesen Grundsätzen bietet ein verfolgungssicherer Ort erwerbsfähigen Personen eine wirtschaftliche Lebensgrundlage etwa dann, wenn sie dort, sei es durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem angemessenen Lebensunterhalt Erforderliche erlangen können. Zu den danach zumutbaren Arbeiten gehören auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, beispielsweise in der Landwirtschaft oder auf dem Bausektor, ausgeübt werden können. Nicht zumutbar sind hingegen jedenfalls die entgeltliche Erwerbstätigkeit für eine kriminelle Organisation, die in der fortgesetzten Begehung von oder Teilnahme an Verbrechen besteht. Ein verfolgungssicherer Ort, an dem selbst das Existenzminimum nur durch derartiges kriminelles Handeln erlangt werden kann, kann keine innerstaatliche Fluchtalternative sein. Bei der Prüfung des internen Schutzes muss mithin insbesondere gefragt werden, ob der Betreffende seine Existenz am Ort der Fluchtalternative auch ohne förmliche Gewährung eines Aufenthaltsrechts und ohne Inanspruchnahme staatlicher Sozialleistungen in zumutbarer Weise - etwa im Rahmen eines Familienverbandes - und ohne ein Leben in der Illegalität, das ihn jederzeit der Gefahr polizeilicher Kontrollen und der strafrechtlichen Sanktionierung aussetzt, angemessen sichern kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 01.02.2007 - 1 C 24.06 - juris Rn. 11 f.).
28 
2. Im Falle des Klägers liegen diese Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nicht vor.
29 
a) Da der Kläger vor seiner Zwangsrekrutierung zuletzt im Dorf Jeraton in der Provinz Ghazni gelebt hat, könnte bezüglich der Frage, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, auf diesen Ort abgestellt werden müssen. Die Eltern des Klägers sind jedoch nach seiner Verschleppung durch die Taliban nach Kabul verzogen und leben nach seinen glaubhaften Angaben auch heute noch dort. Deshalb ist es realistischer und daher allein sachgerecht, Kabul als den "tatsächlichen Zielort" des Klägers bei einer Rückkehr nach Afghanistan zu bewerten. Bezüglich der Provinz Ghazni wird in der Rechtsprechung ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vereinzelt bejaht (VG Ansbach, Urteil vom 13.05.2011 - AN 11 K 11.30032 -, zitiert nach Asylmagazin 12/2011, S. 418 Fn. 18). Allerdings spricht für den Einwand der Beklagten, dies dürfe nur für einige Teile der Provinz zutreffen, die Einschätzung etwa des UNHCR (vom 11.11.2011, S. 2). Ob das Dorf Jeraton in einem solchen Konfliktgebiet liegt, lässt sich für den Senat anhand der vorliegenden Erkenntnisquellen derzeit nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen. Dass in Kabul heute ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne von Art. 15 lit. c QRL gegeben ist, kann hingegen ausgeschlossen werden. Die dortige Sicherheitslage wird, abgesehen von einigen spektakulären Anschlägen, die sich jedoch primär auf „prominente Ziele“ gerichtet haben, relativ einheitlich als stabil und weiterhin deutlich ruhiger als noch etwa vor zwei Jahren bewertet. Zuvor hat es offenbar sogar eine praktisch anschlagsfreie Zeit von fast 18 Monaten gegeben (AA, Lagebericht vom 10.01.2012, S. 12; Kermani, Die Zeit vom 05.01.2012, 11 f; Asylmagazin 12/2011, 418). Letztlich kann es im vorliegenden Fall offenbleiben, ob auf Kabul oder die Provinz Ghazni bzw. das Dorf Jeraton abzustellen ist.
30 
b) Denn dem Kläger droht, gerade auch unter Berücksichtigung der gefahrerhöhenden persönlichen Umstände, weder in Kabul noch in der Provinz Ghazni oder dem Dorf Jeraton im Rechtssinne eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben infolge willkürlicher Gewalt. Nach der dargestellten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der sich der Senat anschließt, wird der Begriff der „willkürlichen“ Gewalt im Sinne einer „allgemeinen, ungezielten Gewalt“ verstanden. Art. 15 lit. c QRL möchte die Angehörigen der Zivilbevölkerung vor den typischen Gefahren einer kriegerischen Auseinandersetzung schützen (vgl. auch die Gesetzesbegründung in BT-Drs. 16/5065 S. 187). Der Kläger aber fürchtet im Wesentlichen keine solche allgemeine, ungezielte Gewalt bei einer Rückkehr nach Afghanistan. Vielmehr fürchtet er mit gutem Grunde gerade die spezifisch gegen ihn gerichtete und gezielte, ja kriminelle Gewalt der Taliban als Rache für seine Desertion aus ihrem Ausbildungslager. Eine solche gezielte Gewalt wird von Art. 15 lit. c QRL und damit von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nicht umfasst. Diesbezüglich ist vielmehr Art. 15 lit. b QRL einschlägig („Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung eines Antragstellers im Herkunftsland“; vgl. BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 - juris Rn. 29), weswegen dem Kläger ein Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2 AufenthG zugesprochen werden muss.
V.
31 
Nachdem im Falle des Klägers das - unionsrechtlich begründete (weitergehende) - Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG zu bejahen ist, fehlt es an einer verfassungswidrigen Schutzlücke für die Feststellung eines - nationalen - Abschiebungsschutzes wegen einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit bzw. einer extremen Gefahrenlage gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 bzw. Satz 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung (BVerwG, Urteil vom 29.06.2010 - 10 C 10.09 - juris Rn. 12). Über den zulässigen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 05.06.1998 - 9 B 469.98 - juris Rn. 20) Hilfsantrag des Klägers ist hier auch deshalb nicht zu entscheiden (vgl. zur Prüfung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bzgl. Afghanistans das Senatsurteil vom 06.03.2012 - A 11 S 3177/11 - juris).
VI.
32 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO sowie § 83b AsylVfG.
VII.
33 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein gesetzlicher Zulassungsgrund vorliegt (§ 132 Abs. 2 VwGO).

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 23. Januar 2008 - A 11 K 521/06 - geändert. Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des gesamten - gerichtskostenfreien - Verfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger, ein am … 1969 in Kabul geborener lediger und kinderloser afghanischer Staatsangehöriger sunnitischen Glaubens vom Volk der Tadschiken, reiste am 20.05.2002 auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 23.05.2002 stellte er einen Asylantrag mit der Begründung, seine gesamte Familie sei Opfer des Krieges geworden. Seine Eltern, zwei Schwestern und drei Brüder seien bei einem Bombenangriff auf das Elternhaus ums Leben gekommen. Er sei zu diesem Zeitpunkt zufällig bei den Schwiegereltern seines Bruders gewesen. Als er zurückgekommen sei, habe man drei Tage lang nach den Leichen suchen müssen. Während der 40-tägigen Trauerzeit sei er bei einem Onkel geblieben. Bei diesem Onkel, dem einzigen in Afghanistan verbliebenen Familienangehörigen, habe er aber nicht bleiben können. Er habe große psychische Probleme bekommen; mit seiner Erinnerung habe er nicht mehr in Afghanistan leben können. Er sei dann über Jalalabad zu einem Cousin nach Islamabad gegangen. Dort habe er sich fünf Wochen aufgehalten und sei schließlich mit dem Flugzeug nach Frankfurt/Main geflogen. Eine Tante und ein anderer Cousin lebten seit langem in Heidelberg; zu diesen Familienangehörigen sei er gegangen.
Die Beklagte lehnte den Asylantrag des Klägers mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (heute: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt -) vom 05.11.2003 ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 des Ausländergesetzes - AuslG - nicht vorliegen sowie auch Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht gegeben sind und drohte ihm die Abschiebung nach Afghanistan an. Die hiergegen beim Verwaltungsgericht Karlsruhe erhobene Klage nahm der Kläger nach Hinweis des Gerichts zurück, dass aufgrund des Erlasses des Innenministeriums Baden-Württemberg vom 29.07.2004 ein hinreichender Abschiebungsschutz gegeben sei (A 10 K 12733/03).
Unter Berufung auf die erforderliche ärztliche Behandlung seiner Depression, die in Afghanistan nicht gewährleistet sei, stellte der Kläger am 02.03.2006 ein Folgeschutzgesuch insbesondere hinsichtlich eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 des Aufenthaltsgesetzes (- AufenthG -). Mit Bescheid vom 27.03.2006 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Abänderung des Bescheids vom 05.11.2003 bezüglich der Feststellung zu § 53 Abs. 1 bis 6 AuslG ab. Die vorgelegten Atteste würden keine Änderung der Sachlage nachweisen. In Kabul und anderen großen Städten Afghanistans könnten psychotherapeutische Behandlungen durchgeführt werden. Auch seien in Kabul Antidepressiva im erforderlichen Umfang erhältlich.
Am 11.04.2006 hat der Kläger unter Berufung auf seine Erkrankung beim Verwaltungsgericht Karlsruhe Klage erhoben und beantragt, die Beklagte zu der Feststellung zu verpflichten, dass ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in Bezug auf Afghanistan vorliegt. Seine Erkrankung habe sich durch die Behandlung in Deutschland zunächst gebessert. In Afghanistan erscheine eine adäquate weitere Behandlung ausgeschlossen, was fachärztliche Atteste bestätigten. In der mündlichen Verhandlung hat er am 23.01.2008 ergänzt, dass seine psychische Situation zwischenzeitlich wieder schlechter geworden sei. Der Onkel in Afghanistan sei schon vor eineinhalb Jahren verstorben. In Afghanistan habe und kenne er heute niemanden mehr. Er habe keinerlei Kontakte in seine Heimat.
Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte unter Aufhebung des Bundesamtsbescheids vom 27.03.2006 zur Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG verpflichtet. Zur Begründung des Urteils vom 23.01.2008 - A 11 K 521/06 - hat es im Wesentlichen ausgeführt, wegen der in Afghanistan bestehenden unzureichenden Versorgungslage bestehe für den Kläger eine extreme Gefahrenlage. Da er in Afghanistan nicht auf die Hilfe von Familienangehörigen zurückgreifen könne, müsse davon ausgegangen werden, dass er dort über keine hinreichenden finanziellen Mittel zur Existenzsicherung verfüge. Aufgrund der schwerwiegenden Depression sei seine Leistungsfähigkeit reduziert, was die Möglichkeit schmälere, sich in seiner Heimat eine Lebensgrundlage zu schaffen. Auch könne nicht davon ausgegangen werden, dass die im Ausland lebenden Familienangehörigen den Kläger über einen längeren Zeitraum hinweg hinreichend finanziell unterstützen würden. Bei einer Berücksichtigung dieser Gesamtsituation müsse davon ausgegangen werden, dass der Kläger bei einer Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert werde.
Mit ihrer vom erkennenden Gerichtshof mit Beschluss vom 03.03.2008 - A 8 S 545/08 - zugelassenen Berufung macht die Beklagte geltend, eine extreme Gefahrenlage könne jedenfalls für alleinstehende arbeitsfähige männliche afghanische Rückkehrer nicht angenommen werden. Die Versorgungslage in Kabul sei für diese Personengruppe nicht derart schlecht, dass von der Gefahr schwerster Verletzungen oder dem sicheren Tod ausgegangen werden könne. In der ersten Berufungsverhandlung vom 16.09.2009 hat der Vertreter der Beklagten klargestellt, der angegriffene Bescheid vom 27.03.2006 sei so zu verstehen, dass das Bundesamt das Verfahren in Bezug auf ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG von Amts wegen wiederaufgegriffen und zur Sache entschieden habe. Der Kläger führte im Rahmen der informatorischen Anhörung aus, er habe keinerlei Kontakte mehr nach Afghanistan und besitze dort auch kein Land. Auch in Kabul kenne er heute niemanden mehr. In Deutschland arbeite er Teilzeit in einem Restaurant und verdiene im Monat ca. 360 EUR netto. Über Ersparnisse verfüge er nicht.
Mit Urteil vom 16.09.2009 - A 11 S 654/08 - hat der Senat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Aufgrund der katastrophalen Versorgungslage bestehe für den Kläger in Bezug auf Afghanistan ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Mit Urteil vom 08.09.2011 - 10 C 20.10 - hat das Bundesverwaltungsgericht das Urteil des Senats vom 16.09.2009 aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen. Mit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2007 sei der unionsrechtlich begründete Abschiebungsschutz im gerichtlichen Verfahren insbesondere aufgrund der Konzentrations- und Beschleunigungsmaxime angewachsen. Der Senat hätte diesen für die Beteiligten nicht disponiblen Streitgegenstand nicht ungeprüft lassen dürfen. Zudem sei die Entscheidung zur extremen Gefahrenlage im Rahmen des nachrangigen nationalen Abschiebungsschutzes auf eine zu schmale Tatsachengrundlage gestützt. Das Urteil ging dem Senat am 28.11.2011 zu.
Die Beklagte trägt ergänzend vor, im Falle des Klägers greife kein unionsrechtlicher Abschiebungsschutz. Für eine Feststellung gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG fehle es in Kabul an einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt. Auch eine extreme Gefahrenlage gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG könne nicht bejaht werden. Der Kläger könne gegebenenfalls auf die Unterstützung seiner im Ausland lebenden Verwandten zählen. Mittlerweile seien in Afghanistan an 17 verschiedenen Banken Geldüberweisungen möglich.
10 
Die Beklagte beantragt,
11 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 23. Januar 2008 - A 11 K 521/06 - zu ändern und die Klage abzuweisen.
12 
Der Kläger beantragt,
13 
die Berufung zurückzuweisen.
14 
Er ergänzt im Wesentlichen, es herrsche in ganz Afghanistan ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Hervorzuheben seien die zahlreichen Anschläge in Kabul. Bei einer Rückkehr in seine Heimat wäre er den dortigen Risiken schutzlos ausgeliefert. Er sei seit nunmehr fast 10 Jahren nicht mehr in Kabul gewesen, das sich vollständig verändert habe. Auch verfüge er in seiner Heimat über keinen Rückhalt durch Familienangehörige. Deshalb läge nach wie vor eine extreme Gefahrenlage im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor, auch nachdem 2011 ein Jahr der Dürre gewesen sei. Der Kläger sei mit 43 Jahren im heutigen Afghanistan durchaus schon im vorgerückten Alter, d.h. kein junger kräftiger Mann mehr. Schließlich könne die derzeit eingegrenzte psychische Erkrankung wieder aufbrechen.
15 
Der Senat hat den Kläger in der zweiten Berufungsverhandlung am 06.03.2012 erneut informatorisch angehört. Dabei verwies der Kläger insbesondere auf die schlechte Situation und Perspektive in Kabul und die dortige hohe Arbeitslosigkeit, betonte sein für afghanische Verhältnisse vorgerücktes Alter und die dort fehlenden Unterstützungsmöglichkeiten durch einen Familienverband sowie die zahlreichen Anschläge in Kabul. Im Übrigen habe der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Abschiebung sogar nach Griechenland für menschenrechtswidrig erachtet, was dann erst recht hinsichtlich Afghanistans gelten müsse.
16 
Die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes ergeben sich aus den Gerichtsakten sowie den Verfahrensakten des Bundesamts. Dem Senat liegen des Weiteren die Akte des Verwaltungsgerichts Karlsruhe in dem Verfahren A 11 K 521/06, die Akten des Bundesverwaltungsgerichts in dem Verfahren 10 C 20.10 sowie die Erkenntnisquellen, die den Beteiligten mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung bzw. in der mündlichen Verhandlung mitgeteilt worden sind, vor. Die beigezogenen Akten und Erkenntnisquellen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

 
17 
Die zulässige, insbesondere rechtzeitig unter Stellung eines Antrags und unter Bezugnahme auf die ausführliche Begründung des Zulassungsantrags begründete Berufung (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 - NVwZ 2006, 1420 m.w.N.) der Beklagten hat Erfolg. Der Senat geht nunmehr davon aus, dass der Kläger die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (- Aufenthaltsgesetz -) in der Fassung der Änderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der EU vom 19.08.2007 (- 1. Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 28.08.2007, BGBl I 1970) sowie das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der EU und zur Anpassung nationaler Rechtvorschriften an den EU-Visakodex vom 22.11.2011 (- 2. Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 26.11.2011, BGBl I 2258) nicht mehr beanspruchen kann. Dem Kläger steht in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) weder ein unionsrechtlich begründeter noch ein nationaler Abschiebungsschutz zu.
I.
18 
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist im vorliegenden Übergangsfall zunächst das - angewachsene und für die Beteiligten nicht disponible - Verpflichtungsbegehren des Klägers auf Gewährung subsidiären unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG (entsprechend den Voraussetzungen für den subsidiären Schutz in Art. 15 der sog. Qualifikations-Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes; ABlEU Nr. L 304 S. 12; ber. ABlEU vom 05.08.2005 Nr. L 204 S. 24, neugefasst mit Umsetzungsfrist bis 21.12.2013 als Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011, ABlEU vom 20.12.2011 Nr. L 337 S. 9; - QRL -). Nur hilfsweise ist Gegenstand des Berufungsverfahrens der nationale Abschiebungsschutz, d.h. die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung (BVerwG, Urteil vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - juris Rn. 11). Sowohl der (weitergehende) unionsrechtlich begründete Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG als auch der nationale Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 und 3 AufenthG bilden jeweils einen einheitlichen, in sich nicht weiter teilbaren Streitgegenstand (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 11). In dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der erneuten mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) besteht zu Gunsten des Klägers hinsichtlich Afghanistans weder ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG noch nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung.
II.
19 
Unionsrechtlich begründeter Abschiebungsschutz ist im Falle des Klägers derzeit nicht gegeben.
20 
1. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG ist nicht erkennbar.
21 
a) Nach dieser Norm darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Unter „Folter“ ist in Anlehnung an die Definition von Art. 1 des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (BGBl. 1990 II S. 247, BGBl. 1993 II S. 715) eine Behandlung zu verstehen, die einer Person vorsätzlich schwere Schmerzen oder Leiden körperlicher oder geistig-seelischer Art zufügt, um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erzwingen, sie oder einen Dritten zu bestrafen, einzuschüchtern oder zu nötigen oder mit diskriminierender Absicht zu verfolgen. Wann eine „unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung“ vorliegt, hängt nach der insoweit vor allem maßgebenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom Einzelfall ab. Eine Schlechtbehandlung einschließlich Bestrafung muss jedenfalls ein Minimum an Schwere erreichen, um in den mit § 60 Abs. 2 AufenthG und Art. 15 lit. b QRL insoweit identischen Schutzbereich von Art. 3 EMRK zu fallen. Die Bewertung dieses Minimums ist nach Natur der Sache relativ. Kriterien hierfür sind abzuleiten aus allen Umständen des Einzelfalles, wie etwa der Art der Behandlung oder Bestrafung und dem Zusammenhang, in dem sie erfolgte, der Art und Weise ihrer Vollstreckung, ihrer zeitlichen Dauer, ihrer physischen und geistigen Wirkungen, sowie gegebenenfalls abgestellt auf Geschlecht, Alter bzw. Gesundheitszustand des Opfers. Abstrakt formuliert sind unter einer menschenrechtswidrigen Schlechtbehandlung Maßnahmen zu verstehen, mit denen unter Missachtung der Menschenwürde absichtlich schwere psychische oder physische Leiden zugefügt werden und mit denen nach Art und Ausmaß besonders schwer und krass gegen Menschenrechte verstoßen wird (Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 34 f., m.w.N.). Im Rahmen der Prüfung, ob eine konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung besteht, ist der asylrechtliche Prognosemaßstab der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ anzulegen, wobei allerdings das Element der Konkretheit der Gefahr das zusätzliche Erfordernis einer einzelfallbezogenen, individuell bestimmten und erheblichen Gefährdungssituation kennzeichnet (ausführlich: Senatsurteil vom 06.03.2011 - 11 S 3070/11 - juris; BVerwG, Beschluss vom 10.04.2008 - 10 B 28.08 - juris Rn. 6; Urteil vom 14.12.1993 - 9 C 45.92 - juris Rn. 10 f.).
22 
b) Im Falle des Klägers gibt es keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Annahme, es bestünde für ihn bei einer Rückkehr nach Kabul mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit im dargelegten Sinne die konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung. Eine solche konkrete Gefahr lässt sich auch nicht mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 21.01.2011 (Nr. 30696/09 - ) begründen. Wie sich aus der Urteilsbegründung (insbes. Rn. 261 bis 263) ergibt, wurde im dortigen Fall eine Verletzung von Art. 3 EMRK insbesondere bejaht, weil sich Griechenland nicht an die europarechtlichen Verfahrensregeln und Mindeststandards für Asylbewerber gehalten hat und deshalb menschenrechtswidrige Haft- und Lebensbedingungen bestanden. Der Gerichtshof geht mithin davon aus, dass ein Konventionsstaat Art. 3 EMRK verletzen kann, wenn er die sich selbst gegebenen asylverfahrensrechtlichen Mindeststandards im Einzelfall unterschreitet. Hieraus lässt sich jedoch nicht ableiten, dass solche Standards weltweit gelten müssten und das Fehlen derselben eine Abschiebung etwa nach Kabul sperren könnte. Im Hinblick auf die allgemeinen (unzureichenden) Lebensbedingungen sowie die Versorgungslage (auch in medizinischer Hinsicht) kann eine Verletzung von Art. 3 EMRK nach der ständigen Rechtsprechung des Straßburger Gerichtshofs durch den abschiebenden Staat vielmehr nur in extremen Ausnahmefällen in Betracht gezogen werden (Nachweise bei Hailbronner, AuslR, 10/2008, § 60 AufenthG, Rn. 119 ff). Solche können jedoch - wie unter III. 2. ausgeführt - derzeit in Bezug auf Kabul nicht festgestellt werden.
23 
2. Ebenso ist kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 3 AufenthG erkennbar, wonach ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden darf, wenn ihn dieser Staat wegen einer Straftat sucht und dort aufgrund konkreter und ernsthafter Anhaltspunkte die Gefahr der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe besteht (ausführlich: Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 39 ff., m.w.N.). Hierzu fehlen im Falle des Klägers jegliche Anhaltspunkte.
24 
3. Nach Auffassung des Senats liegt derzeit auch kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vor. Hiernach ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist.
25 
a) Diese Bestimmung entspricht nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts trotz geringfügig abweichender Formulierungen den Vorgaben des Art. 15 lit. c QRL und ist in diesem Sinne auszulegen (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 14). Nach Art. 15 lit. c QRL gilt als ernsthafter Schaden „eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts“.
26 
(1) Bei der Frage, ob ein internationaler oder innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, sind hiernach die vier Genfer Konventionen zum humanitären Völkerrecht von 1949 und insbesondere das Zusatzprotokoll II von 1977 (BGBl 1990 II S. 1637; - ZP II -) zu berücksichtigen. Das ZP II definiert in Art. 1 Nr. 1 den Begriff des nicht internationalen bewaffneten Konflikts wie folgt: „Dieses Protokoll, das den den Genfer Abkommen vom 12.08.1949 gemeinsamen Art. 3 weiterentwickelt und ergänzt, ohne die bestehenden Voraussetzungen für seine Anwendung zu ändern, findet auf alle bewaffneten Konflikte Anwendung, die von Art. 1 des Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vorn 12.08.1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I) nicht erfasst sind und die im Hoheitsgebiet einer Hohen Vertragspartei zwischen deren Streitkräften und abtrünnigen Streitkräften oder anderen organisierten bewaffneten Gruppen stattfinden, die unter einer verantwortlichen Führung eine solche Kontrolle über einen Teil des Hoheitsgebiets der Hohen Vertragspartei ausüben, dass sie anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen durchführen und dieses Protokoll anzuwenden vermögen.“ In seinem Art. 2 grenzt das ZP II sodann von Fällen bloßer "innerer Unruhen und Spannungen" ab, die nicht unter diesen Begriff fallen. Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts liegt demnach jedenfalls dann vor, wenn der Konflikt die Kriterien des Art. 1 Nr. 1 ZP II erfüllt. Er liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn die Ausschlusstatbestände des Art. 1 Nr. 2 ZP II erfüllt sind, es sich also nur um innere Unruhen und Spannungen handelt wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen, die nicht als bewaffnete Konflikte gelten. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinne von Art. 15 lit. c QRL nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss hierfür aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen. Typische Beispiele sind Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfe. Der völkerrechtliche Begriff des "bewaffneten Konflikts" wurde gewählt, um klarzustellen, dass nur Auseinandersetzungen von einer bestimmten Größenordnung an in den Regelungsbereich der Vorschrift fallen. Dennoch setzt ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt nicht zwingend einen so hohen Organisationsgrad und eine solche Kontrolle der Konfliktparteien über einen Teil des Staatsgebiets voraus, wie sie für die Erfüllung der Verpflichtungen nach den Genfer Konventionen von 1949 erforderlich sind. Ohnehin findet die Orientierung an den Kriterien des humanitären Völkerrechts ihre Grenze jedenfalls dort, wo ihr der Zweck der Schutzgewährung für in Drittstaaten Zuflucht Suchende nach Art. 15 lit. c QRL widerspricht. Weitere Anhaltspunkte für die Auslegung des Begriffs des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts können sich aus dem Völkerstrafrecht ergeben, insbesondere aus der Rechtsprechung der Internationalen Strafgerichtshöfe. Hiernach dürfte kriminelle Gewalt bei der Feststellung, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, jedenfalls dann keine Berücksichtigung finden, wenn sie nicht von einer der Konfliktparteien begangen wird (ausführlich: BVerwG, Urteile vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - juris Rn. 19 ff. und vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 -juris Rn. 23).
27 
(2) Bezüglich der Frage, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, ist zunächst das gesamte Staatsgebiet in den Blick zu nehmen. Besteht ein bewaffneter Konflikt jedoch nicht landesweit, kommt eine individuelle Bedrohung in Betracht, wenn sich der Konflikt auf die Herkunftsregion des Ausländers erstreckt, in der er zuletzt gelebt hat bzw. in die er typischerweise zurückkehren kann und voraussichtlich auch wird, d.h. auf seinen "tatsächlichen Zielort" bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat (EuGH, Urteil vom 17.02.2009, Rs. C-465/07 Rn. 40). Auf einen bewaffneten Konflikt außerhalb der Herkunftsregion des Ausländers kann es hingegen nur ausnahmsweise ankommen. In diesem Fall muss der Betreffende stichhaltige Gründe dafür vorbringen, dass für ihn eine Rückkehr in seine Herkunftsregion ausscheidet und nur eine Rückkehr gerade in die Gefahrenzone in Betracht kommt (BVerwG, Urteil vom 14.07.2009 - 10 C 9.08 - juris Rn. 17).
28 
(3) Konnte ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt zumindest im tatsächlichen Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat festgestellt werden, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts weiter zu fragen, ob ihm dort infolgedessen auch eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben infolge willkürlicher Gewalt droht. Hierfür sind Feststellungen über das Niveau willkürlicher Gewalt bzw. zu der sogenannten Gefahrendichte erforderlich, d.h. (1.) eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen und (2.) der Akte willkürlicher Gewalt, die von den Konfliktparteien gegen Leib und Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie (3.) eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung. Hierzu gehört auch die Würdigung der medizinischen Versorgungslage in dem jeweiligen Gebiet, von deren Qualität und Erreichbarkeit die Schwere eingetretener körperlicher Verletzungen mit Blick auf die den Opfern dauerhaft verbleibenden Verletzungsfolgen abhängen kann. Im Übrigen können die für die Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts entwickelten Kriterien entsprechend herangezogen werden. In jedem Fall setzt § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG für die Annahme einer erheblichen individuellen Gefahr voraus, dass dem Betroffenen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Schaden an den Rechtsgütern Leib oder Leben droht. Gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG gilt auch für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG u.a. die Beweisregel des Art. 4 Abs. 4 QRL (ausführlich: BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 - juris Rn. 32 ff.; vgl. auch Dolk, Asylmagazin 12/2011, 418 ff., m.w.N.).
29 
(4) Bei der Prüfung, ob dem Ausländer zumindest in seiner Herkunftsregion aufgrund eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben droht, sind gegebenenfalls gefahrerhöhende persönliche Umstände zu berücksichtigen. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich. Liegen hingegen gefahrerhöhende persönliche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt. Zu diesen gefahrerhöhenden Umständen gehören in erster Linie solche persönlichen Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen - z.B. als Arzt oder Journalist - gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Dazu können aber nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts auch solche persönlichen Umstände gerechnet werden, aufgrund derer der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte - etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit - ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht schon eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt. Auch im Fall gefahrerhöhender persönlicher Umstände muss aber ein hohes Niveau willkürlicher Gewalt bzw. eine hohe Gefahrendichte für die Zivilbevölkerung in dem fraglichen Gebiet festgestellt werden. Allein das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts und die Feststellung eines gefahrerhöhenden Umstandes in der Person des Antragstellers reichen hierfür nicht aus. Allerdings kann eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr auch dann, wenn individuelle gefahrerhöhende Umstände fehlen, ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 18 ff.).
30 
(5) Schließlich darf für den Ausländer keine Möglichkeit internen Schutzes gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 8 QRL bestehen. Nach Art. 8 Abs. 1 QRL können die Mitgliedstaaten bei der Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz feststellen, dass ein Antragsteller keinen internationalen Schutz benötigt, sofern in einem Teil des Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung bzw. keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht und von dem Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil aufhält. Nach Absatz 2 der Norm berücksichtigen die Mitgliedstaaten bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Antragstellers zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag. Nach Absatz 3 der Norm kann Absatz 1 kann auch dann angewandt werden, wenn praktische Hindernisse für eine Rückkehr in das Herkunftsland bestehen. Zur Frage, wann von dem Ausländer „vernünftigerweise erwartet werden kann“, dass er sich in dem verfolgungsfreien Landesteil aufhält, verweist das Bundesverwaltungsgericht auf die Begründung zum Regierungsentwurf des Richtlinienumsetzungsgesetzes (BT-Drs. 16/5065 S. 185). Hier wird ausgeführt, dass dies dann der Fall sei, wenn der Ausländer am Zufluchtsort eine ausreichende Lebensgrundlage vorfinde, d.h. dort das Existenzminimum gewährleistet sei. Ausdrücklich offen gelassen wurde, welche darüber hinausgehenden wirtschaftlichen und sozialen Standards erfüllt sein müssen. Allerdings spreche einiges dafür, dass die gemäß Art. 8 Abs. 2 QRL zu berücksichtigenden allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftslandes - oberhalb der Schwelle des Existenzminimums - auch den Zumutbarkeitsmaßstab prägen (BVerwG, Urteil vom 29.05.2008 - 10 C 11.07 - juris Rn. 32/35). Dem schließt sich der Senat an, denn hierfür spricht im Übrigen auch der Umstand, dass andernfalls der richtlinienkonforme Ausschluss der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG für die Fälle des Art. 15 lit. c QRL über die an den internen Schutz gestellten Anforderungen unterlaufen würde (Hess. VGH, Urteil vom 25.08.2011 - 8 A 1657/10.A - juris Rn. 91). Nach diesen Grundsätzen bietet ein verfolgungssicherer Ort erwerbsfähigen Personen eine wirtschaftliche Lebensgrundlage etwa dann, wenn sie dort, sei es durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem angemessenen Lebensunterhalt Erforderliche erlangen können. Zu den danach zumutbaren Arbeiten gehören auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, beispielsweise in der Landwirtschaft oder auf dem Bausektor, ausgeübt werden können. Nicht zumutbar sind hingegen jedenfalls die entgeltliche Erwerbstätigkeit für eine kriminelle Organisation, die in der fortgesetzten Begehung von oder Teilnahme an Verbrechen besteht. Ein verfolgungssicherer Ort, an dem selbst das Existenzminimum nur durch derartiges kriminelles Handeln erlangt werden kann, kann keine innerstaatliche Fluchtalternative sein. Bei der Prüfung des internen Schutzes muss mithin insbesondere gefragt werden, ob der Betreffende seine Existenz am Ort der Fluchtalternative auch ohne förmliche Gewährung eines Aufenthaltsrechts und ohne Inanspruchnahme staatlicher Sozialleistungen in zumutbarer Weise - etwa im Rahmen eines Familienverbandes - und ohne ein Leben in der Illegalität, das ihn jederzeit der Gefahr polizeilicher Kontrollen und der strafrechtlichen Sanktionierung aussetzt, angemessen sichern kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 01.02.2007 - 1 C 24.06 - juris Rn. 11 f.).
31 
b) Entgegen der Auffassung des Klägers kann der Senat in seinem Fall nicht erkennen, dass derzeit die dargestellten Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vorliegen würden. Der Senat ist vielmehr auf der Grundlage der insoweit weitgehend übereinstimmenden aktuellen Erkenntnisquellen davon überzeugt, dass in der Heimatregion des Klägers, d.h. in Kabul, schon kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne von Art. 15 lit. c QRL (mehr) gegeben ist. Die dortige Sicherheitslage wird, abgesehen von einigen spektakulären Anschlägen, die sich jedoch primär auf „prominente Ziele“ gerichtet haben, relativ einheitlich als stabil und weiterhin deutlich ruhiger als noch etwa vor zwei Jahren bewertet. Vor der von dem Kläger zitierten Anschlagsserie hat es offenbar sogar eine praktisch anschlagsfreie Zeit von fast 18 Monaten gegeben (Lagebericht AA vom 10.01.2012, S. 12; Kermani, Die Zeit vom 05.01.2012, 11 f.; Asylmagazin 12/2011, 418). Der Senat vermag deshalb der von dem Kläger zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Gießen (Urteil vom 20.06.2011 - 2 K 499/11.GI.A - www.asyl.net) nicht zu folgen, die in der Begründung vor allem auf die Konfliktgebiete im Süden bzw. Osten Afghanistans Bezug nimmt, und daher hinsichtlich des Leitsatzes, in ganz Afghanistan herrsche ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, zu wenig regional differenziert. Im dortigen Fall ging es im Übrigen, wenig vergleichbar, um einen alleinstehenden Jugendlichen im Alter von 15 Jahren aus der doch recht anders gelagerten Herkunftsregion Wardak. Bezüglich Kabuls selbst hebt das Verwaltungsgericht im Wesentlichen auf fünf Anschläge zwischen Januar und Mai 2011 ab. Insoweit handelt es sich aber um Fälle "innerer Unruhen und Spannungen" im Sinne von Art. 2 des ZP II, die gerade nicht unter den Begriff des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts zu subsumieren sind. In Übereinstimmung hiermit hat auch der Hessische Verwaltungsgerichtshof entschieden, dass in Kabul, trotz gegebener Übergriffe, kein bewaffneter Konflikt von solcher Dichte herrscht, dass darauf § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG angewandt werden könnte. Jedenfalls resultiere hieraus für Rückkehrer keine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben infolge willkürlicher Gewalt (Urteil vom 16.06.2011 - 8 A 2011/10.A - juris). Der Senat kommt zum gegenwärtigen Zeitpunkt und für die Situation des Klägers zu derselben Einschätzung.
III.
32 
Im Falle des Klägers liegt auch der somit hilfsweise zu prüfende nationale Abschiebungsschutz derzeit nicht vor. Zu seinen Gunsten besteht kein Abschiebungsverbot (mehr) hinsichtlich Afghanistans gemäß des einheitlichen Streitgegenstands nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung.
33 
1. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (- EMRK -, BGBl 1952 II 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Über diese Norm werden die Schutzregeln der EMRK in innerstaatliches Recht inkorporiert. Sowohl aus Systematik als auch Entstehungsgeschichte folgt jedoch, dass es insoweit nur um zielstaatsbezogenen Abschiebungsschutz geht. Inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse, abgeleitet etwa aus Art. 8 EMRK, ziehen hingegen regelmäßig nur eine Duldung gemäß § 60 a Abs. 2 AufenthG nach sich. Bezüglich Art. 3 EMRK ist zudem die weitergehende und „unionsrechtlich aufgeladene“ Schutznorm des § 60 Abs. 2 AufenthG vorrangig, d.h. im vorliegenden Falle nicht zu prüfen (vgl. zu § 60 Abs. 5: Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 45 ff., m.w.N.). Ob im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG auch nach Umsetzung der Qualifikationsrichtlinie 2004/83/EG alle Gefährdungen grundsätzlich irrelevant sind, die von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen (so noch BVerwG, Urteil vom 15.04.1997 - 9 C 38.96 - zur Vorgängernorm des § 53 Abs. 4 AuslG, juris Rn. 10), kann vorliegend dahingestellt bleiben. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, welches Menschenrecht der EMRK im konkreten Fall des Klägers ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG begründen könnte.
34 
2. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kann von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn für ihn dort eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Allerdings sind Gefahren der die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG bei Abschiebestopp-Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Denn hinsichtlich des Schutzes vor allgemeinen Gefahren im Zielstaat soll Raum sein für ausländerpolitische Entscheidungen, was die Anwendbarkeit von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG insoweit grundsätzlich sperrt und zwar selbst dann, wenn diese Gefahren den einzelnen Ausländer zugleich in konkreter und individualisierbarer Weise betreffen (BVerwG, Urteil vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324). Aus diesem Normzweck folgt weiter, dass sich die „Allgemeinheit“ der Gefahr nicht danach bestimmt, ob diese sich auf die Bevölkerung oder bestimmte Bevölkerungsgruppen gleichartig auswirkt, wie das bei Hungersnöten, Seuchen, Bürgerkriegswirren oder Naturkatastrophen der Fall sein kann. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG kann vielmehr auch bei eher diffusen Gefährdungslagen greifen, etwa dann, wenn Gefahren für Leib und Leben aus den allgemein schlechten Lebensverhältnissen (soziale und wirtschaftliche Missstände) im Zielstaat hergeleitet werden. Denn soweit es um den Schutz vor den einer Vielzahl von Personen im Zielstaat drohenden typischen Gefahren solcher Missstände wie etwa Lebensmittelknappheit, Obdachlosigkeit oder gesundheitliche Gefährdungen geht, ist die Notwendigkeit einer politischen Leitentscheidung in gleicher Weise gegeben (BVerwG, Urteil vom 12.07.2001 - 1 C 5.01 - BVerwGE 115, 1). Für die Personengruppe, der der Kläger angehört, besteht eine solche politische Abschiebestopp-Anordnung gemäß § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG in Baden-Württemberg derzeit nicht (mehr), seit mit Schreiben des Innenministeriums Baden-Württemberg vom 15.04.2005 (geändert am 01.08.2005, vgl. 21. Fortschreibung vom 23.01.2009, Az.: 4-13-AFG/8) in Umsetzung entsprechender Beschlüsse der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder bezüglich der Rückführung afghanischer Staatsangehöriger entschieden wurde, dass „volljährige, allein stehende männliche afghanische Staatsangehörige, die sich zum Zeitpunkt der Beschlussfassung am 24. Juni 2005 noch keine sechs Jahre im Bundesgebiet aufgehalten haben, mit Vorrang zurückzuführen sind“. Im konkreten Einzelfall des Klägers greift die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG auch unter Berücksichtigung von Verfassungsrecht.
35 
a) Die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG greift aufgrund der Schutzwirkungen der Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nur dann ausnahmsweise nicht, wenn der Ausländer im Zielstaat landesweit einer extrem zugespitzten allgemeinen Gefahr dergestalt ausgesetzt wäre, dass er „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert“ würde (st. Rspr. des BVerwG, s. Urteile vom 29.09.2011 - 10 C 24.10 - juris Rn. 20, vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324 und vom 19.11.1996 - 1 C 6.95 - BVerwGE 102, 249 zur Vorgängerregelung in § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG). Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassung wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar ist (BVerwG, Urteil vom 29.09.2011 - 10 C 24.10 - juris Rn. 20). Das Vorliegen der Voraussetzungen ist im Wege einer Gesamtgefahrenschau zu ermitteln (BVerwG, Beschluss vom 23.03.1999 - 9 B 866.98 - juris Rn. 7).
36 
b) Im Fall einer allgemein schlechten Versorgungslage sind Besonderheiten zu berücksichtigen. Denn hieraus resultierende Gefährdungen entspringen keinem zielgerichteten Handeln, sondern treffen die Bevölkerung gleichsam schicksalhaft. Sie wirken sich nicht gleichartig und in jeder Hinsicht zwangsläufig aus und setzen sich aus einer Vielzahl verschiedener Risikofaktoren zusammen, denen der Einzelne in ganz unterschiedlicher Weise ausgesetzt ist und denen er gegebenenfalls auch ausweichen kann. Intensität, Konkretheit und zeitliche Nähe der Gefahr können deshalb auch nicht generell, sondern nur unter Berücksichtigung aller Einzelfallumstände beurteilt werden (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 13.11.2002 - A 6 S 967/01 - juris Rn. 48 ff.). Um dem Erfordernis des unmittelbaren - zeitlichen - Zusammenhangs zwischen Abschiebung und drohender Rechtsgutverletzung zu entsprechen, kann hinsichtlich einer allgemein schlechten Versorgungslage eine extreme Gefahrensituation zudem nur dann angenommen werden, wenn der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr in sein Heimatland in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien kann. Mit dem Begriff „alsbald“ ist dabei einerseits kein nur in unbestimmter zeitlicher Ferne liegender Termin gemeint (BVerwG, Urteil vom 27.04.1998 - 9 C 13.97 - juris Rn. 8). Andererseits setzt die Annahme einer extremen allgemeinen Gefahrenlage nicht voraus, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Ankunft im Abschiebezielstaat, eintreten. Eine extreme Gefahrenlage besteht auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert sein würde (BVerwG, Urteil vom 29.06.2010 - 10 C 10.09 - juris Rn. 15).
37 
c) Diese Voraussetzungen sind im Falle des Klägers heute jedenfalls nicht mehr gegeben. In Übereinstimmung mit anderen Obergerichten (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 06.05.2008 - 6 A 10749/07 - AuAS 2008, 188; Hess. VGH, Urteil vom 26.11.2009 - 8 A 1862/07.A - NVwZ-RR 2010, 331) hatte der Senat mit Urteil vom 14.05.2009 - A 11 S 610/08 - (DVBl 2009, 1327) entschieden, dass für Ausländer aus der Personengruppe der beruflich nicht besonders qualifizierten afghanischen männlichen Staatsangehörigen, die in ihrer Heimat ohne Rückhalt und Unterstützung durch Familie oder Bekannte sind und dort weder über Grundbesitz noch über nennenswerte Ersparnisse verfügen, aufgrund der katastrophalen Versorgungslage bei einer Abschiebung nach Kabul eine extreme Gefahrensituation im dargelegten Sinne bestehe. Das Bundesverwaltungsgericht hat (auch) diese Entscheidung mit Urteil vom 08.09.2011 - 10 C 16.10 - (juris) aufgehoben. Insbesondere die Feststellungen zum Vorliegen einer extremen Gefahr im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan verletzten Bundesrecht und würden einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht standhalten, denn die Entscheidung sei insbesondere hinsichtlich der festgestellten drohenden Mangelernährung und den damit verbundenen gesundheitlichen Risiken auf eine zu schmale Tatsachengrundlage gestützt. Das Bundesverwaltungsgericht betont: „‘Hunger‘ führt nicht zwangsläufig zum Tod, 'gesundheitliche Risiken' führen nicht notwendigerweise zu schwersten Gesundheitsschäden.“ Damit verfehle das Berufungsgericht den Begriff der Extremgefahr (so im Urteil vom 29.09.2011 - 10 C 23.10 - juris Rn. 24 bzgl. einer Parallelentscheidung des Hess.VGH). Bei der erneuten Befassung mit der Sache sei der Senat gehalten, sich auch mit der gegenteiligen Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte (insbesondere: Bay.VGH, Urteil vom 03.02.2011 - 13a B 10.30394 - juris) auseinanderzusetzen.
38 
Es sei dahingestellt, ob ein Obergericht revisionsrechtlich dazu verpflichtet werden kann, sich mit der abweichenden Einschätzung anderer Obergerichte auseinanderzusetzen (kritisch: Hess.VGH, Urteil vom 25.08.2011 - 8 A 1657/10.A - juris Rn. 77). Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof vertritt jedenfalls in dem zum besonderen Studium aufgegebenen Urteil die Auffassung, dass für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige angesichts der aktuellen Auskunftslage im Allgemeinen derzeit nicht von einer extremen Gefahrenlage auszugehen sei, die zu einem Abschiebungsverbot in entsprechender Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde. Zwar sei zweifellos von einer äußerst schlechten Versorgungslage in Afghanistan auszugehen. Im Wege einer Gesamtgefahrenschau sei jedoch nicht anzunehmen, dass dort alsbald der sichere Tod drohe oder schwerste Gesundheitsbeeinträchtigungen zu erwarten wären. Bei der Wirtschaftslage bzw. den ökonomischen Rahmenbedingungen würden durchaus positive Tendenzen gesehen. Es sei mit einem realen jährlichen Wirtschaftswachstum zwischen 6 und 8 % zu rechnen. Auch hätten bessere Ernten zu einer Verbesserung der Gesamtversorgungslage geführt. Zwar sei die Versorgung mit Wohnraum zu angemessenen Preisen in den Städten nach wie vor schwierig. Das Ministerium für Flüchtlinge und Rückkehrer bemühe sich jedoch um eine Ansiedlung der Flüchtlinge in Neubausiedlungen. Wenn es heiße, dass der Zugang für Rückkehrer zu Arbeit, Wasser und Gesundheitsversorgung häufig nur sehr eingeschränkt möglich sei, bedeute dies andererseits, dass jedenfalls der Tod oder schwerste Gesundheitsgefährdungen alsbald nach der Rückkehr nicht zu befürchten seien. Dies ergebe sich auch aus dem Afghanistan Report 2010 von amnesty international, wonach Tausende von Vertriebenen in Behelfslagern lebten, wo sie nur begrenzten Zugang zu Lebensmitteln und Trinkwasser, Gesundheitsversorgung und Bildung erhalten würden. Eine Mindestversorgung sei damit aber gegeben. Auch sei eine hinreichende zeitliche Nähe („alsbald“) zwischen Rückkehr und lebensbedrohlichem Zustand aufgrund von Mangelernährung, unzureichenden Wohnverhältnissen und schwieriger Arbeitssuche nicht ersichtlich. Insgesamt sei davon auszugehen, dass ein 25-jähriger lediger und gesunder Afghane, der mangels familiärer Bindungen keine Unterhaltslasten trage, auch ohne nennenswertes Vermögen und ohne abgeschlossene Berufsausbildung im Falle einer Abschiebung nach Kabul dort in der Lage wäre, durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen zu erzielen, damit ein Leben am Rande des Existenzminimums zu finanzieren und sich allmählich wieder in die afghanische Gesellschaft zu integrieren.
39 
Dies entspricht im Wesentlichen der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (vgl. Beschluss vom 26.10.2010 - 20 A 964/10.A -; Urteil vom 19.06.2008 - 20 A 4676/06.A - beide juris). Das Oberverwaltungsgericht vermochte dem Aspekt, dass positive Feststellungen zu den Modalitäten der Beschaffung des Lebensnotwendigen nicht zu treffen seien, kein entscheidendes Gewicht zu geben vor dem Umstand, dass die zahlreich vorliegenden Berichte für eine extreme Verelendung nichts hergeben würden, obwohl angesichts der hohen Rückkehrerzahlen aus den Nachbarländern und der Binnenfluchtbewegungen nicht davon ausgegangen werden könne, dass es an jeglichem Potential für Vergleichsfälle fehle (Urteil vom 19.06.2008, juris Rn. 80).
40 
Der Senat schließt sich der Rechtsprechung der zitierten Gerichte nunmehr an, weil auch er eine gewisse Verbesserung der allgemeinen Versorgungslage in Kabul - dem derzeit einzig möglichen Abschiebungsziel (Lagebericht AA v. 10.01.2012, S. 29 f.) - erkennen kann, die nach den strengen Maßstäben des Bundesverwaltungsgerichts im Rahmen einer wertenden Gesamtschau der Annahme einer alsbald nach der Abschiebung eintretenden Extremgefahr für gesunde ledige afghanische Männer auch ohne Vermögen oder lokale Familien- bzw. Stammesstrukturen entgegenstehen.
41 
Dem zentralen Argument des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen, dass Fälle extremer Verelendung von Rückkehrern dokumentiert sein müssten, vermag der Senat keine aussagekräftigen Erkenntnisquellen entgegen zu setzen; es lässt sich nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand nicht widerlegen. Insbesondere sind Erkenntnisquellen, die den Hungertod von Rückkehrern in Kabul dokumentieren, auch dem Senat nicht bekannt (ebenso: UNHCR vom 11.11.2011, 10 f.). Und in der Tat sind seit 2002 vor allem mit Hilfe des UNHCR insgesamt rund vier Millionen Flüchtlinge nach Afghanistan zurückgekehrt, wenn auch davon nur ca. 15.000 aus anderen Ländern als Pakistan und dem Iran (Gietmann, Asylmagazin 12/2011, 413, m.w.N.). Infolgedessen gehört Kabul heute zu den Städten mit dem weltweit stärksten Bevölkerungswachstum. Betrug die Einwohnerzahl 2001 noch rund 1,5 Millionen, wurde sie von der Stadtverwaltung im Juni 2010 auf über 5 Millionen geschätzt. Der Bevölkerungsanteil der Rückkehrer und Binnenvertriebenen wird auf 70 % geschätzt (Yoshimura, Asylmagazin 12/2011, 408, m.w.N.).
42 
Allerdings sind sämtliche Informationen, die der Senat über die Situation in der Stadt finden kann, durchaus ambivalent. Einerseits heißt es, 23 % der Bevölkerung lebten dort unterhalb der Armutsgrenze. Insgesamt seien die Lebenshaltungskosten in Kabul im Laufe der vergangenen Jahre um 30 bis 50 % gestiegen. Bewohner seien auch beim Erwerb zahlreicher, selbst legaler Güter des Alltags gezwungen, Bestechungsgelder zu bezahlen. Die Kriminalität und Gefahr, Opfer von Überfällen zu werden, sei hoch (Landinfo 2011, Part II, 17). Kabul würde einer Stadt im permanenten Ausnahmezustand ähneln (Dr. Danesch vom 07.10.2010, Logar, 3). Nur 55,9 % der Haushalte verfügten über Zugang zu sauberem Wasser. Zahlreiche Brunnen im Stadtgebiet seien aufgrund der steigenden Inanspruchnahme ausgetrocknet bzw. erschöpft (ai vom 29.09.2009, 2). Bezahlbarer Strom liege für ärmere Kabuler Familien außerhalb der finanziellen Möglichkeiten. Die Arbeitslosenrate in Kabul werde auf bis zu 50 % geschätzt. Infolge des Mangels an bezahlbarem Wohnraum würden sich zahllose Menschen gezwungen sehen, in prekären Unterkünften wie Lehmhütten, Zelten oder alten beschädigten Gebäuden zu hausen. Die Bewohner dieser „informellen Siedlungen“ würden außerhalb des sozialen Sicherheitsnetzes leben und ihren Lebensunterhalt durch Betteln, den Verkauf von Müll und andere gering bezahlte Tätigkeiten bestreiten müssen. Über Nacht entstünden neue Armenviertel und Slums, in denen es weder Kanalisation noch Müllentsorgung und kaum sauberes Wasser, Elektrizität oder medizinische Hilfe gebe. Die Zahl derer, die auf der Flucht vor Krieg, Rechtlosigkeit, Willkürherrschaft und Armut in die Städte strömten, vergrößere sich tagtäglich. Besonders dramatisch nehme deshalb gerade in Kabul die Zahl von Obdachlosen und Drogenabhängigen zu. Ohnehin befinde sich Afghanistan auf dem Weg in einen Drogenstaat. 2011 sei erneut ein Dürrejahr gewesen und vor allem im Norden, dem friedlichen Teil des Landes, herrsche Hunger. Zusammenfassend sei eine Rückkehr nach Kabul ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen schlicht unzumutbar (vgl. ai vom 20.12.2010; Asylmagazin 12/2011, 408-414, m.w.N.).
43 
Andererseits wird berichtet, gerade in Kabul existiere eine rege Bautätigkeit. In den vergangenen Jahren seien zahlreiche Immobilienprojekte in Angriff genommen worden. In Folge dessen gebe es nunmehr vor allem im Bausektor, wenn auch schlecht bezahlte Tageslohnarbeit. Viele Stadtteile Kabuls würden seit 2009 zwischenzeitlich 24 Stunden am Tag mit Strom versorgt. Seit kurzem boome in einigen Städten wie Kabul und Masar-i-Scharif der Handel. Geschäfte würden über Nacht eröffnet und man habe mittlerweile ein großes, kaum einen Wunsch offenlassendes Warenangebot. Die Lage sei nicht gut, aber sie sei besser geworden. Jedenfalls im Stadtzentrum sei auch die Armut nicht mehr so offensichtlich. Es gebe nicht mehr überall bettelnde Frauen in Burkas und keine Banden von Kindern, die sich an Klebstoff berauschten. Dafür hätten unzählige Kebab-Stände eröffnet. Überhaupt gebe es deutlich zahlreichere Geschäfte als noch vor wenigen Jahren und sogar eine Müllabfuhr sowie ein Mindestmaß an Ordnung bzw. überhaupt wieder so etwas wie ein Stadtleben. Auch die Sicherheitslage in Kabul sei, abgesehen von einigen spektakulären Anschlägen, unverändert stabil und weiterhin deutlich ruhiger als noch vor zwei Jahren (vgl. Lagebericht AA vom 10.01.2012; Kermani, Die Zeit vom 05.01.2012, 11 ff; Asylmagazin 12/2011, 408-414, m.w.N.).
44 
Vor diesem Hintergrund kann heute - trotz der ambivalenten Erkenntnisquellen - aufgrund der hohen Hürden des Bundesverwaltungsgerichts für die Annahme einer extremen allgemeinen Gefahrenlage für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige eine solche Extremgefahr nicht mehr begründet werden. Anders als noch 2009 sieht auch der Senat keine hinreichenden Anhaltspunkte mehr dafür, dass bei dieser Personengruppe im Falle der Abschiebung alsbald der Tod oder schwerste gesundheitliche Beeinträchtigungen zu erwarten wären. Die Einschätzung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, es sei vielmehr zu erwarten, dass Rückkehrer in Kabul durch Gelegenheitsarbeiten „ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren könnten“, trifft heute auch nach Überzeugung des Senats zu. Zwar dürfte aufgrund der schlechten Gesamtsituation ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen in der Tat eine Rückkehr nach Kabul selbst für gesunde alleinstehende Männer unter humanitären Gesichtspunkten kaum zumutbar sein. Diese Zumutbarkeit ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts jedoch kein zentraler Maßstab für die Bestimmung einer extremen Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
45 
Im Falle des Klägers sind schließlich auch keine hinreichenden individuellen Faktoren gegeben, die ausnahmsweise eine extreme Gefahrenlage begründen könnten. Der Kläger leidet derzeit unter keinen gesundheitlichen Beeinträchtigungen mehr und ist, wie seine Beschäftigung in einem Restaurant verdeutlicht, arbeitsfähig. Allein aufgrund des für die Verhältnisse in Afghanistan, wo junge Burschen häufig mit 15 Jahren verheiratet werden und ein 20-jähriger Mann meist bereits mehrere Kinder hat (so Dr. Danesch vom 07.10.2010, Paktia, S. 6), in der Tat fortgeschrittenen Alters kann deshalb keine extreme Gefahrenlage erkannt werden. Auf die von der Beklagten aufgeworfene Frage, ob es aufgrund der dem Kläger seit längerem und bis heute erteilten Duldungen an einer Schutzlücke für eine verfassungskonforme Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG oder gar schon dem Rechtsschutzinteresse fehlt (vgl. BVerwG, Urteile vom 12.07.2001 - 1 C 2.01 - BVerwGE 114, 378 und vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 12), kommt es damit nicht an.
III.
46 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO und § 83 b AsylVfG.
IV.
47 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein gesetzlicher Zulassungsgrund vorliegt (§ 132 Abs. 2 VwGO).

Gründe

 
17 
Die zulässige, insbesondere rechtzeitig unter Stellung eines Antrags und unter Bezugnahme auf die ausführliche Begründung des Zulassungsantrags begründete Berufung (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 - NVwZ 2006, 1420 m.w.N.) der Beklagten hat Erfolg. Der Senat geht nunmehr davon aus, dass der Kläger die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (- Aufenthaltsgesetz -) in der Fassung der Änderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der EU vom 19.08.2007 (- 1. Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 28.08.2007, BGBl I 1970) sowie das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der EU und zur Anpassung nationaler Rechtvorschriften an den EU-Visakodex vom 22.11.2011 (- 2. Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 26.11.2011, BGBl I 2258) nicht mehr beanspruchen kann. Dem Kläger steht in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) weder ein unionsrechtlich begründeter noch ein nationaler Abschiebungsschutz zu.
I.
18 
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist im vorliegenden Übergangsfall zunächst das - angewachsene und für die Beteiligten nicht disponible - Verpflichtungsbegehren des Klägers auf Gewährung subsidiären unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG (entsprechend den Voraussetzungen für den subsidiären Schutz in Art. 15 der sog. Qualifikations-Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes; ABlEU Nr. L 304 S. 12; ber. ABlEU vom 05.08.2005 Nr. L 204 S. 24, neugefasst mit Umsetzungsfrist bis 21.12.2013 als Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011, ABlEU vom 20.12.2011 Nr. L 337 S. 9; - QRL -). Nur hilfsweise ist Gegenstand des Berufungsverfahrens der nationale Abschiebungsschutz, d.h. die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung (BVerwG, Urteil vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - juris Rn. 11). Sowohl der (weitergehende) unionsrechtlich begründete Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG als auch der nationale Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 und 3 AufenthG bilden jeweils einen einheitlichen, in sich nicht weiter teilbaren Streitgegenstand (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 11). In dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der erneuten mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) besteht zu Gunsten des Klägers hinsichtlich Afghanistans weder ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG noch nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung.
II.
19 
Unionsrechtlich begründeter Abschiebungsschutz ist im Falle des Klägers derzeit nicht gegeben.
20 
1. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG ist nicht erkennbar.
21 
a) Nach dieser Norm darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Unter „Folter“ ist in Anlehnung an die Definition von Art. 1 des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (BGBl. 1990 II S. 247, BGBl. 1993 II S. 715) eine Behandlung zu verstehen, die einer Person vorsätzlich schwere Schmerzen oder Leiden körperlicher oder geistig-seelischer Art zufügt, um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erzwingen, sie oder einen Dritten zu bestrafen, einzuschüchtern oder zu nötigen oder mit diskriminierender Absicht zu verfolgen. Wann eine „unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung“ vorliegt, hängt nach der insoweit vor allem maßgebenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom Einzelfall ab. Eine Schlechtbehandlung einschließlich Bestrafung muss jedenfalls ein Minimum an Schwere erreichen, um in den mit § 60 Abs. 2 AufenthG und Art. 15 lit. b QRL insoweit identischen Schutzbereich von Art. 3 EMRK zu fallen. Die Bewertung dieses Minimums ist nach Natur der Sache relativ. Kriterien hierfür sind abzuleiten aus allen Umständen des Einzelfalles, wie etwa der Art der Behandlung oder Bestrafung und dem Zusammenhang, in dem sie erfolgte, der Art und Weise ihrer Vollstreckung, ihrer zeitlichen Dauer, ihrer physischen und geistigen Wirkungen, sowie gegebenenfalls abgestellt auf Geschlecht, Alter bzw. Gesundheitszustand des Opfers. Abstrakt formuliert sind unter einer menschenrechtswidrigen Schlechtbehandlung Maßnahmen zu verstehen, mit denen unter Missachtung der Menschenwürde absichtlich schwere psychische oder physische Leiden zugefügt werden und mit denen nach Art und Ausmaß besonders schwer und krass gegen Menschenrechte verstoßen wird (Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 34 f., m.w.N.). Im Rahmen der Prüfung, ob eine konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung besteht, ist der asylrechtliche Prognosemaßstab der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ anzulegen, wobei allerdings das Element der Konkretheit der Gefahr das zusätzliche Erfordernis einer einzelfallbezogenen, individuell bestimmten und erheblichen Gefährdungssituation kennzeichnet (ausführlich: Senatsurteil vom 06.03.2011 - 11 S 3070/11 - juris; BVerwG, Beschluss vom 10.04.2008 - 10 B 28.08 - juris Rn. 6; Urteil vom 14.12.1993 - 9 C 45.92 - juris Rn. 10 f.).
22 
b) Im Falle des Klägers gibt es keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Annahme, es bestünde für ihn bei einer Rückkehr nach Kabul mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit im dargelegten Sinne die konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung. Eine solche konkrete Gefahr lässt sich auch nicht mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 21.01.2011 (Nr. 30696/09 - ) begründen. Wie sich aus der Urteilsbegründung (insbes. Rn. 261 bis 263) ergibt, wurde im dortigen Fall eine Verletzung von Art. 3 EMRK insbesondere bejaht, weil sich Griechenland nicht an die europarechtlichen Verfahrensregeln und Mindeststandards für Asylbewerber gehalten hat und deshalb menschenrechtswidrige Haft- und Lebensbedingungen bestanden. Der Gerichtshof geht mithin davon aus, dass ein Konventionsstaat Art. 3 EMRK verletzen kann, wenn er die sich selbst gegebenen asylverfahrensrechtlichen Mindeststandards im Einzelfall unterschreitet. Hieraus lässt sich jedoch nicht ableiten, dass solche Standards weltweit gelten müssten und das Fehlen derselben eine Abschiebung etwa nach Kabul sperren könnte. Im Hinblick auf die allgemeinen (unzureichenden) Lebensbedingungen sowie die Versorgungslage (auch in medizinischer Hinsicht) kann eine Verletzung von Art. 3 EMRK nach der ständigen Rechtsprechung des Straßburger Gerichtshofs durch den abschiebenden Staat vielmehr nur in extremen Ausnahmefällen in Betracht gezogen werden (Nachweise bei Hailbronner, AuslR, 10/2008, § 60 AufenthG, Rn. 119 ff). Solche können jedoch - wie unter III. 2. ausgeführt - derzeit in Bezug auf Kabul nicht festgestellt werden.
23 
2. Ebenso ist kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 3 AufenthG erkennbar, wonach ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden darf, wenn ihn dieser Staat wegen einer Straftat sucht und dort aufgrund konkreter und ernsthafter Anhaltspunkte die Gefahr der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe besteht (ausführlich: Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 39 ff., m.w.N.). Hierzu fehlen im Falle des Klägers jegliche Anhaltspunkte.
24 
3. Nach Auffassung des Senats liegt derzeit auch kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vor. Hiernach ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist.
25 
a) Diese Bestimmung entspricht nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts trotz geringfügig abweichender Formulierungen den Vorgaben des Art. 15 lit. c QRL und ist in diesem Sinne auszulegen (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 14). Nach Art. 15 lit. c QRL gilt als ernsthafter Schaden „eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts“.
26 
(1) Bei der Frage, ob ein internationaler oder innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, sind hiernach die vier Genfer Konventionen zum humanitären Völkerrecht von 1949 und insbesondere das Zusatzprotokoll II von 1977 (BGBl 1990 II S. 1637; - ZP II -) zu berücksichtigen. Das ZP II definiert in Art. 1 Nr. 1 den Begriff des nicht internationalen bewaffneten Konflikts wie folgt: „Dieses Protokoll, das den den Genfer Abkommen vom 12.08.1949 gemeinsamen Art. 3 weiterentwickelt und ergänzt, ohne die bestehenden Voraussetzungen für seine Anwendung zu ändern, findet auf alle bewaffneten Konflikte Anwendung, die von Art. 1 des Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vorn 12.08.1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I) nicht erfasst sind und die im Hoheitsgebiet einer Hohen Vertragspartei zwischen deren Streitkräften und abtrünnigen Streitkräften oder anderen organisierten bewaffneten Gruppen stattfinden, die unter einer verantwortlichen Führung eine solche Kontrolle über einen Teil des Hoheitsgebiets der Hohen Vertragspartei ausüben, dass sie anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen durchführen und dieses Protokoll anzuwenden vermögen.“ In seinem Art. 2 grenzt das ZP II sodann von Fällen bloßer "innerer Unruhen und Spannungen" ab, die nicht unter diesen Begriff fallen. Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts liegt demnach jedenfalls dann vor, wenn der Konflikt die Kriterien des Art. 1 Nr. 1 ZP II erfüllt. Er liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn die Ausschlusstatbestände des Art. 1 Nr. 2 ZP II erfüllt sind, es sich also nur um innere Unruhen und Spannungen handelt wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen, die nicht als bewaffnete Konflikte gelten. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinne von Art. 15 lit. c QRL nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss hierfür aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen. Typische Beispiele sind Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfe. Der völkerrechtliche Begriff des "bewaffneten Konflikts" wurde gewählt, um klarzustellen, dass nur Auseinandersetzungen von einer bestimmten Größenordnung an in den Regelungsbereich der Vorschrift fallen. Dennoch setzt ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt nicht zwingend einen so hohen Organisationsgrad und eine solche Kontrolle der Konfliktparteien über einen Teil des Staatsgebiets voraus, wie sie für die Erfüllung der Verpflichtungen nach den Genfer Konventionen von 1949 erforderlich sind. Ohnehin findet die Orientierung an den Kriterien des humanitären Völkerrechts ihre Grenze jedenfalls dort, wo ihr der Zweck der Schutzgewährung für in Drittstaaten Zuflucht Suchende nach Art. 15 lit. c QRL widerspricht. Weitere Anhaltspunkte für die Auslegung des Begriffs des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts können sich aus dem Völkerstrafrecht ergeben, insbesondere aus der Rechtsprechung der Internationalen Strafgerichtshöfe. Hiernach dürfte kriminelle Gewalt bei der Feststellung, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, jedenfalls dann keine Berücksichtigung finden, wenn sie nicht von einer der Konfliktparteien begangen wird (ausführlich: BVerwG, Urteile vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - juris Rn. 19 ff. und vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 -juris Rn. 23).
27 
(2) Bezüglich der Frage, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, ist zunächst das gesamte Staatsgebiet in den Blick zu nehmen. Besteht ein bewaffneter Konflikt jedoch nicht landesweit, kommt eine individuelle Bedrohung in Betracht, wenn sich der Konflikt auf die Herkunftsregion des Ausländers erstreckt, in der er zuletzt gelebt hat bzw. in die er typischerweise zurückkehren kann und voraussichtlich auch wird, d.h. auf seinen "tatsächlichen Zielort" bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat (EuGH, Urteil vom 17.02.2009, Rs. C-465/07 Rn. 40). Auf einen bewaffneten Konflikt außerhalb der Herkunftsregion des Ausländers kann es hingegen nur ausnahmsweise ankommen. In diesem Fall muss der Betreffende stichhaltige Gründe dafür vorbringen, dass für ihn eine Rückkehr in seine Herkunftsregion ausscheidet und nur eine Rückkehr gerade in die Gefahrenzone in Betracht kommt (BVerwG, Urteil vom 14.07.2009 - 10 C 9.08 - juris Rn. 17).
28 
(3) Konnte ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt zumindest im tatsächlichen Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat festgestellt werden, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts weiter zu fragen, ob ihm dort infolgedessen auch eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben infolge willkürlicher Gewalt droht. Hierfür sind Feststellungen über das Niveau willkürlicher Gewalt bzw. zu der sogenannten Gefahrendichte erforderlich, d.h. (1.) eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen und (2.) der Akte willkürlicher Gewalt, die von den Konfliktparteien gegen Leib und Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie (3.) eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung. Hierzu gehört auch die Würdigung der medizinischen Versorgungslage in dem jeweiligen Gebiet, von deren Qualität und Erreichbarkeit die Schwere eingetretener körperlicher Verletzungen mit Blick auf die den Opfern dauerhaft verbleibenden Verletzungsfolgen abhängen kann. Im Übrigen können die für die Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts entwickelten Kriterien entsprechend herangezogen werden. In jedem Fall setzt § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG für die Annahme einer erheblichen individuellen Gefahr voraus, dass dem Betroffenen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Schaden an den Rechtsgütern Leib oder Leben droht. Gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG gilt auch für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG u.a. die Beweisregel des Art. 4 Abs. 4 QRL (ausführlich: BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 - juris Rn. 32 ff.; vgl. auch Dolk, Asylmagazin 12/2011, 418 ff., m.w.N.).
29 
(4) Bei der Prüfung, ob dem Ausländer zumindest in seiner Herkunftsregion aufgrund eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben droht, sind gegebenenfalls gefahrerhöhende persönliche Umstände zu berücksichtigen. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich. Liegen hingegen gefahrerhöhende persönliche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt. Zu diesen gefahrerhöhenden Umständen gehören in erster Linie solche persönlichen Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen - z.B. als Arzt oder Journalist - gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Dazu können aber nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts auch solche persönlichen Umstände gerechnet werden, aufgrund derer der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte - etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit - ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht schon eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt. Auch im Fall gefahrerhöhender persönlicher Umstände muss aber ein hohes Niveau willkürlicher Gewalt bzw. eine hohe Gefahrendichte für die Zivilbevölkerung in dem fraglichen Gebiet festgestellt werden. Allein das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts und die Feststellung eines gefahrerhöhenden Umstandes in der Person des Antragstellers reichen hierfür nicht aus. Allerdings kann eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr auch dann, wenn individuelle gefahrerhöhende Umstände fehlen, ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 18 ff.).
30 
(5) Schließlich darf für den Ausländer keine Möglichkeit internen Schutzes gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 8 QRL bestehen. Nach Art. 8 Abs. 1 QRL können die Mitgliedstaaten bei der Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz feststellen, dass ein Antragsteller keinen internationalen Schutz benötigt, sofern in einem Teil des Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung bzw. keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht und von dem Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil aufhält. Nach Absatz 2 der Norm berücksichtigen die Mitgliedstaaten bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Antragstellers zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag. Nach Absatz 3 der Norm kann Absatz 1 kann auch dann angewandt werden, wenn praktische Hindernisse für eine Rückkehr in das Herkunftsland bestehen. Zur Frage, wann von dem Ausländer „vernünftigerweise erwartet werden kann“, dass er sich in dem verfolgungsfreien Landesteil aufhält, verweist das Bundesverwaltungsgericht auf die Begründung zum Regierungsentwurf des Richtlinienumsetzungsgesetzes (BT-Drs. 16/5065 S. 185). Hier wird ausgeführt, dass dies dann der Fall sei, wenn der Ausländer am Zufluchtsort eine ausreichende Lebensgrundlage vorfinde, d.h. dort das Existenzminimum gewährleistet sei. Ausdrücklich offen gelassen wurde, welche darüber hinausgehenden wirtschaftlichen und sozialen Standards erfüllt sein müssen. Allerdings spreche einiges dafür, dass die gemäß Art. 8 Abs. 2 QRL zu berücksichtigenden allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftslandes - oberhalb der Schwelle des Existenzminimums - auch den Zumutbarkeitsmaßstab prägen (BVerwG, Urteil vom 29.05.2008 - 10 C 11.07 - juris Rn. 32/35). Dem schließt sich der Senat an, denn hierfür spricht im Übrigen auch der Umstand, dass andernfalls der richtlinienkonforme Ausschluss der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG für die Fälle des Art. 15 lit. c QRL über die an den internen Schutz gestellten Anforderungen unterlaufen würde (Hess. VGH, Urteil vom 25.08.2011 - 8 A 1657/10.A - juris Rn. 91). Nach diesen Grundsätzen bietet ein verfolgungssicherer Ort erwerbsfähigen Personen eine wirtschaftliche Lebensgrundlage etwa dann, wenn sie dort, sei es durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem angemessenen Lebensunterhalt Erforderliche erlangen können. Zu den danach zumutbaren Arbeiten gehören auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, beispielsweise in der Landwirtschaft oder auf dem Bausektor, ausgeübt werden können. Nicht zumutbar sind hingegen jedenfalls die entgeltliche Erwerbstätigkeit für eine kriminelle Organisation, die in der fortgesetzten Begehung von oder Teilnahme an Verbrechen besteht. Ein verfolgungssicherer Ort, an dem selbst das Existenzminimum nur durch derartiges kriminelles Handeln erlangt werden kann, kann keine innerstaatliche Fluchtalternative sein. Bei der Prüfung des internen Schutzes muss mithin insbesondere gefragt werden, ob der Betreffende seine Existenz am Ort der Fluchtalternative auch ohne förmliche Gewährung eines Aufenthaltsrechts und ohne Inanspruchnahme staatlicher Sozialleistungen in zumutbarer Weise - etwa im Rahmen eines Familienverbandes - und ohne ein Leben in der Illegalität, das ihn jederzeit der Gefahr polizeilicher Kontrollen und der strafrechtlichen Sanktionierung aussetzt, angemessen sichern kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 01.02.2007 - 1 C 24.06 - juris Rn. 11 f.).
31 
b) Entgegen der Auffassung des Klägers kann der Senat in seinem Fall nicht erkennen, dass derzeit die dargestellten Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vorliegen würden. Der Senat ist vielmehr auf der Grundlage der insoweit weitgehend übereinstimmenden aktuellen Erkenntnisquellen davon überzeugt, dass in der Heimatregion des Klägers, d.h. in Kabul, schon kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne von Art. 15 lit. c QRL (mehr) gegeben ist. Die dortige Sicherheitslage wird, abgesehen von einigen spektakulären Anschlägen, die sich jedoch primär auf „prominente Ziele“ gerichtet haben, relativ einheitlich als stabil und weiterhin deutlich ruhiger als noch etwa vor zwei Jahren bewertet. Vor der von dem Kläger zitierten Anschlagsserie hat es offenbar sogar eine praktisch anschlagsfreie Zeit von fast 18 Monaten gegeben (Lagebericht AA vom 10.01.2012, S. 12; Kermani, Die Zeit vom 05.01.2012, 11 f.; Asylmagazin 12/2011, 418). Der Senat vermag deshalb der von dem Kläger zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Gießen (Urteil vom 20.06.2011 - 2 K 499/11.GI.A - www.asyl.net) nicht zu folgen, die in der Begründung vor allem auf die Konfliktgebiete im Süden bzw. Osten Afghanistans Bezug nimmt, und daher hinsichtlich des Leitsatzes, in ganz Afghanistan herrsche ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, zu wenig regional differenziert. Im dortigen Fall ging es im Übrigen, wenig vergleichbar, um einen alleinstehenden Jugendlichen im Alter von 15 Jahren aus der doch recht anders gelagerten Herkunftsregion Wardak. Bezüglich Kabuls selbst hebt das Verwaltungsgericht im Wesentlichen auf fünf Anschläge zwischen Januar und Mai 2011 ab. Insoweit handelt es sich aber um Fälle "innerer Unruhen und Spannungen" im Sinne von Art. 2 des ZP II, die gerade nicht unter den Begriff des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts zu subsumieren sind. In Übereinstimmung hiermit hat auch der Hessische Verwaltungsgerichtshof entschieden, dass in Kabul, trotz gegebener Übergriffe, kein bewaffneter Konflikt von solcher Dichte herrscht, dass darauf § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG angewandt werden könnte. Jedenfalls resultiere hieraus für Rückkehrer keine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben infolge willkürlicher Gewalt (Urteil vom 16.06.2011 - 8 A 2011/10.A - juris). Der Senat kommt zum gegenwärtigen Zeitpunkt und für die Situation des Klägers zu derselben Einschätzung.
III.
32 
Im Falle des Klägers liegt auch der somit hilfsweise zu prüfende nationale Abschiebungsschutz derzeit nicht vor. Zu seinen Gunsten besteht kein Abschiebungsverbot (mehr) hinsichtlich Afghanistans gemäß des einheitlichen Streitgegenstands nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung.
33 
1. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (- EMRK -, BGBl 1952 II 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Über diese Norm werden die Schutzregeln der EMRK in innerstaatliches Recht inkorporiert. Sowohl aus Systematik als auch Entstehungsgeschichte folgt jedoch, dass es insoweit nur um zielstaatsbezogenen Abschiebungsschutz geht. Inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse, abgeleitet etwa aus Art. 8 EMRK, ziehen hingegen regelmäßig nur eine Duldung gemäß § 60 a Abs. 2 AufenthG nach sich. Bezüglich Art. 3 EMRK ist zudem die weitergehende und „unionsrechtlich aufgeladene“ Schutznorm des § 60 Abs. 2 AufenthG vorrangig, d.h. im vorliegenden Falle nicht zu prüfen (vgl. zu § 60 Abs. 5: Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 45 ff., m.w.N.). Ob im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG auch nach Umsetzung der Qualifikationsrichtlinie 2004/83/EG alle Gefährdungen grundsätzlich irrelevant sind, die von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen (so noch BVerwG, Urteil vom 15.04.1997 - 9 C 38.96 - zur Vorgängernorm des § 53 Abs. 4 AuslG, juris Rn. 10), kann vorliegend dahingestellt bleiben. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, welches Menschenrecht der EMRK im konkreten Fall des Klägers ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG begründen könnte.
34 
2. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kann von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn für ihn dort eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Allerdings sind Gefahren der die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG bei Abschiebestopp-Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Denn hinsichtlich des Schutzes vor allgemeinen Gefahren im Zielstaat soll Raum sein für ausländerpolitische Entscheidungen, was die Anwendbarkeit von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG insoweit grundsätzlich sperrt und zwar selbst dann, wenn diese Gefahren den einzelnen Ausländer zugleich in konkreter und individualisierbarer Weise betreffen (BVerwG, Urteil vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324). Aus diesem Normzweck folgt weiter, dass sich die „Allgemeinheit“ der Gefahr nicht danach bestimmt, ob diese sich auf die Bevölkerung oder bestimmte Bevölkerungsgruppen gleichartig auswirkt, wie das bei Hungersnöten, Seuchen, Bürgerkriegswirren oder Naturkatastrophen der Fall sein kann. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG kann vielmehr auch bei eher diffusen Gefährdungslagen greifen, etwa dann, wenn Gefahren für Leib und Leben aus den allgemein schlechten Lebensverhältnissen (soziale und wirtschaftliche Missstände) im Zielstaat hergeleitet werden. Denn soweit es um den Schutz vor den einer Vielzahl von Personen im Zielstaat drohenden typischen Gefahren solcher Missstände wie etwa Lebensmittelknappheit, Obdachlosigkeit oder gesundheitliche Gefährdungen geht, ist die Notwendigkeit einer politischen Leitentscheidung in gleicher Weise gegeben (BVerwG, Urteil vom 12.07.2001 - 1 C 5.01 - BVerwGE 115, 1). Für die Personengruppe, der der Kläger angehört, besteht eine solche politische Abschiebestopp-Anordnung gemäß § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG in Baden-Württemberg derzeit nicht (mehr), seit mit Schreiben des Innenministeriums Baden-Württemberg vom 15.04.2005 (geändert am 01.08.2005, vgl. 21. Fortschreibung vom 23.01.2009, Az.: 4-13-AFG/8) in Umsetzung entsprechender Beschlüsse der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder bezüglich der Rückführung afghanischer Staatsangehöriger entschieden wurde, dass „volljährige, allein stehende männliche afghanische Staatsangehörige, die sich zum Zeitpunkt der Beschlussfassung am 24. Juni 2005 noch keine sechs Jahre im Bundesgebiet aufgehalten haben, mit Vorrang zurückzuführen sind“. Im konkreten Einzelfall des Klägers greift die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG auch unter Berücksichtigung von Verfassungsrecht.
35 
a) Die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG greift aufgrund der Schutzwirkungen der Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nur dann ausnahmsweise nicht, wenn der Ausländer im Zielstaat landesweit einer extrem zugespitzten allgemeinen Gefahr dergestalt ausgesetzt wäre, dass er „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert“ würde (st. Rspr. des BVerwG, s. Urteile vom 29.09.2011 - 10 C 24.10 - juris Rn. 20, vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324 und vom 19.11.1996 - 1 C 6.95 - BVerwGE 102, 249 zur Vorgängerregelung in § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG). Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassung wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar ist (BVerwG, Urteil vom 29.09.2011 - 10 C 24.10 - juris Rn. 20). Das Vorliegen der Voraussetzungen ist im Wege einer Gesamtgefahrenschau zu ermitteln (BVerwG, Beschluss vom 23.03.1999 - 9 B 866.98 - juris Rn. 7).
36 
b) Im Fall einer allgemein schlechten Versorgungslage sind Besonderheiten zu berücksichtigen. Denn hieraus resultierende Gefährdungen entspringen keinem zielgerichteten Handeln, sondern treffen die Bevölkerung gleichsam schicksalhaft. Sie wirken sich nicht gleichartig und in jeder Hinsicht zwangsläufig aus und setzen sich aus einer Vielzahl verschiedener Risikofaktoren zusammen, denen der Einzelne in ganz unterschiedlicher Weise ausgesetzt ist und denen er gegebenenfalls auch ausweichen kann. Intensität, Konkretheit und zeitliche Nähe der Gefahr können deshalb auch nicht generell, sondern nur unter Berücksichtigung aller Einzelfallumstände beurteilt werden (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 13.11.2002 - A 6 S 967/01 - juris Rn. 48 ff.). Um dem Erfordernis des unmittelbaren - zeitlichen - Zusammenhangs zwischen Abschiebung und drohender Rechtsgutverletzung zu entsprechen, kann hinsichtlich einer allgemein schlechten Versorgungslage eine extreme Gefahrensituation zudem nur dann angenommen werden, wenn der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr in sein Heimatland in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien kann. Mit dem Begriff „alsbald“ ist dabei einerseits kein nur in unbestimmter zeitlicher Ferne liegender Termin gemeint (BVerwG, Urteil vom 27.04.1998 - 9 C 13.97 - juris Rn. 8). Andererseits setzt die Annahme einer extremen allgemeinen Gefahrenlage nicht voraus, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Ankunft im Abschiebezielstaat, eintreten. Eine extreme Gefahrenlage besteht auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert sein würde (BVerwG, Urteil vom 29.06.2010 - 10 C 10.09 - juris Rn. 15).
37 
c) Diese Voraussetzungen sind im Falle des Klägers heute jedenfalls nicht mehr gegeben. In Übereinstimmung mit anderen Obergerichten (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 06.05.2008 - 6 A 10749/07 - AuAS 2008, 188; Hess. VGH, Urteil vom 26.11.2009 - 8 A 1862/07.A - NVwZ-RR 2010, 331) hatte der Senat mit Urteil vom 14.05.2009 - A 11 S 610/08 - (DVBl 2009, 1327) entschieden, dass für Ausländer aus der Personengruppe der beruflich nicht besonders qualifizierten afghanischen männlichen Staatsangehörigen, die in ihrer Heimat ohne Rückhalt und Unterstützung durch Familie oder Bekannte sind und dort weder über Grundbesitz noch über nennenswerte Ersparnisse verfügen, aufgrund der katastrophalen Versorgungslage bei einer Abschiebung nach Kabul eine extreme Gefahrensituation im dargelegten Sinne bestehe. Das Bundesverwaltungsgericht hat (auch) diese Entscheidung mit Urteil vom 08.09.2011 - 10 C 16.10 - (juris) aufgehoben. Insbesondere die Feststellungen zum Vorliegen einer extremen Gefahr im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan verletzten Bundesrecht und würden einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht standhalten, denn die Entscheidung sei insbesondere hinsichtlich der festgestellten drohenden Mangelernährung und den damit verbundenen gesundheitlichen Risiken auf eine zu schmale Tatsachengrundlage gestützt. Das Bundesverwaltungsgericht betont: „‘Hunger‘ führt nicht zwangsläufig zum Tod, 'gesundheitliche Risiken' führen nicht notwendigerweise zu schwersten Gesundheitsschäden.“ Damit verfehle das Berufungsgericht den Begriff der Extremgefahr (so im Urteil vom 29.09.2011 - 10 C 23.10 - juris Rn. 24 bzgl. einer Parallelentscheidung des Hess.VGH). Bei der erneuten Befassung mit der Sache sei der Senat gehalten, sich auch mit der gegenteiligen Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte (insbesondere: Bay.VGH, Urteil vom 03.02.2011 - 13a B 10.30394 - juris) auseinanderzusetzen.
38 
Es sei dahingestellt, ob ein Obergericht revisionsrechtlich dazu verpflichtet werden kann, sich mit der abweichenden Einschätzung anderer Obergerichte auseinanderzusetzen (kritisch: Hess.VGH, Urteil vom 25.08.2011 - 8 A 1657/10.A - juris Rn. 77). Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof vertritt jedenfalls in dem zum besonderen Studium aufgegebenen Urteil die Auffassung, dass für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige angesichts der aktuellen Auskunftslage im Allgemeinen derzeit nicht von einer extremen Gefahrenlage auszugehen sei, die zu einem Abschiebungsverbot in entsprechender Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde. Zwar sei zweifellos von einer äußerst schlechten Versorgungslage in Afghanistan auszugehen. Im Wege einer Gesamtgefahrenschau sei jedoch nicht anzunehmen, dass dort alsbald der sichere Tod drohe oder schwerste Gesundheitsbeeinträchtigungen zu erwarten wären. Bei der Wirtschaftslage bzw. den ökonomischen Rahmenbedingungen würden durchaus positive Tendenzen gesehen. Es sei mit einem realen jährlichen Wirtschaftswachstum zwischen 6 und 8 % zu rechnen. Auch hätten bessere Ernten zu einer Verbesserung der Gesamtversorgungslage geführt. Zwar sei die Versorgung mit Wohnraum zu angemessenen Preisen in den Städten nach wie vor schwierig. Das Ministerium für Flüchtlinge und Rückkehrer bemühe sich jedoch um eine Ansiedlung der Flüchtlinge in Neubausiedlungen. Wenn es heiße, dass der Zugang für Rückkehrer zu Arbeit, Wasser und Gesundheitsversorgung häufig nur sehr eingeschränkt möglich sei, bedeute dies andererseits, dass jedenfalls der Tod oder schwerste Gesundheitsgefährdungen alsbald nach der Rückkehr nicht zu befürchten seien. Dies ergebe sich auch aus dem Afghanistan Report 2010 von amnesty international, wonach Tausende von Vertriebenen in Behelfslagern lebten, wo sie nur begrenzten Zugang zu Lebensmitteln und Trinkwasser, Gesundheitsversorgung und Bildung erhalten würden. Eine Mindestversorgung sei damit aber gegeben. Auch sei eine hinreichende zeitliche Nähe („alsbald“) zwischen Rückkehr und lebensbedrohlichem Zustand aufgrund von Mangelernährung, unzureichenden Wohnverhältnissen und schwieriger Arbeitssuche nicht ersichtlich. Insgesamt sei davon auszugehen, dass ein 25-jähriger lediger und gesunder Afghane, der mangels familiärer Bindungen keine Unterhaltslasten trage, auch ohne nennenswertes Vermögen und ohne abgeschlossene Berufsausbildung im Falle einer Abschiebung nach Kabul dort in der Lage wäre, durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen zu erzielen, damit ein Leben am Rande des Existenzminimums zu finanzieren und sich allmählich wieder in die afghanische Gesellschaft zu integrieren.
39 
Dies entspricht im Wesentlichen der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (vgl. Beschluss vom 26.10.2010 - 20 A 964/10.A -; Urteil vom 19.06.2008 - 20 A 4676/06.A - beide juris). Das Oberverwaltungsgericht vermochte dem Aspekt, dass positive Feststellungen zu den Modalitäten der Beschaffung des Lebensnotwendigen nicht zu treffen seien, kein entscheidendes Gewicht zu geben vor dem Umstand, dass die zahlreich vorliegenden Berichte für eine extreme Verelendung nichts hergeben würden, obwohl angesichts der hohen Rückkehrerzahlen aus den Nachbarländern und der Binnenfluchtbewegungen nicht davon ausgegangen werden könne, dass es an jeglichem Potential für Vergleichsfälle fehle (Urteil vom 19.06.2008, juris Rn. 80).
40 
Der Senat schließt sich der Rechtsprechung der zitierten Gerichte nunmehr an, weil auch er eine gewisse Verbesserung der allgemeinen Versorgungslage in Kabul - dem derzeit einzig möglichen Abschiebungsziel (Lagebericht AA v. 10.01.2012, S. 29 f.) - erkennen kann, die nach den strengen Maßstäben des Bundesverwaltungsgerichts im Rahmen einer wertenden Gesamtschau der Annahme einer alsbald nach der Abschiebung eintretenden Extremgefahr für gesunde ledige afghanische Männer auch ohne Vermögen oder lokale Familien- bzw. Stammesstrukturen entgegenstehen.
41 
Dem zentralen Argument des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen, dass Fälle extremer Verelendung von Rückkehrern dokumentiert sein müssten, vermag der Senat keine aussagekräftigen Erkenntnisquellen entgegen zu setzen; es lässt sich nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand nicht widerlegen. Insbesondere sind Erkenntnisquellen, die den Hungertod von Rückkehrern in Kabul dokumentieren, auch dem Senat nicht bekannt (ebenso: UNHCR vom 11.11.2011, 10 f.). Und in der Tat sind seit 2002 vor allem mit Hilfe des UNHCR insgesamt rund vier Millionen Flüchtlinge nach Afghanistan zurückgekehrt, wenn auch davon nur ca. 15.000 aus anderen Ländern als Pakistan und dem Iran (Gietmann, Asylmagazin 12/2011, 413, m.w.N.). Infolgedessen gehört Kabul heute zu den Städten mit dem weltweit stärksten Bevölkerungswachstum. Betrug die Einwohnerzahl 2001 noch rund 1,5 Millionen, wurde sie von der Stadtverwaltung im Juni 2010 auf über 5 Millionen geschätzt. Der Bevölkerungsanteil der Rückkehrer und Binnenvertriebenen wird auf 70 % geschätzt (Yoshimura, Asylmagazin 12/2011, 408, m.w.N.).
42 
Allerdings sind sämtliche Informationen, die der Senat über die Situation in der Stadt finden kann, durchaus ambivalent. Einerseits heißt es, 23 % der Bevölkerung lebten dort unterhalb der Armutsgrenze. Insgesamt seien die Lebenshaltungskosten in Kabul im Laufe der vergangenen Jahre um 30 bis 50 % gestiegen. Bewohner seien auch beim Erwerb zahlreicher, selbst legaler Güter des Alltags gezwungen, Bestechungsgelder zu bezahlen. Die Kriminalität und Gefahr, Opfer von Überfällen zu werden, sei hoch (Landinfo 2011, Part II, 17). Kabul würde einer Stadt im permanenten Ausnahmezustand ähneln (Dr. Danesch vom 07.10.2010, Logar, 3). Nur 55,9 % der Haushalte verfügten über Zugang zu sauberem Wasser. Zahlreiche Brunnen im Stadtgebiet seien aufgrund der steigenden Inanspruchnahme ausgetrocknet bzw. erschöpft (ai vom 29.09.2009, 2). Bezahlbarer Strom liege für ärmere Kabuler Familien außerhalb der finanziellen Möglichkeiten. Die Arbeitslosenrate in Kabul werde auf bis zu 50 % geschätzt. Infolge des Mangels an bezahlbarem Wohnraum würden sich zahllose Menschen gezwungen sehen, in prekären Unterkünften wie Lehmhütten, Zelten oder alten beschädigten Gebäuden zu hausen. Die Bewohner dieser „informellen Siedlungen“ würden außerhalb des sozialen Sicherheitsnetzes leben und ihren Lebensunterhalt durch Betteln, den Verkauf von Müll und andere gering bezahlte Tätigkeiten bestreiten müssen. Über Nacht entstünden neue Armenviertel und Slums, in denen es weder Kanalisation noch Müllentsorgung und kaum sauberes Wasser, Elektrizität oder medizinische Hilfe gebe. Die Zahl derer, die auf der Flucht vor Krieg, Rechtlosigkeit, Willkürherrschaft und Armut in die Städte strömten, vergrößere sich tagtäglich. Besonders dramatisch nehme deshalb gerade in Kabul die Zahl von Obdachlosen und Drogenabhängigen zu. Ohnehin befinde sich Afghanistan auf dem Weg in einen Drogenstaat. 2011 sei erneut ein Dürrejahr gewesen und vor allem im Norden, dem friedlichen Teil des Landes, herrsche Hunger. Zusammenfassend sei eine Rückkehr nach Kabul ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen schlicht unzumutbar (vgl. ai vom 20.12.2010; Asylmagazin 12/2011, 408-414, m.w.N.).
43 
Andererseits wird berichtet, gerade in Kabul existiere eine rege Bautätigkeit. In den vergangenen Jahren seien zahlreiche Immobilienprojekte in Angriff genommen worden. In Folge dessen gebe es nunmehr vor allem im Bausektor, wenn auch schlecht bezahlte Tageslohnarbeit. Viele Stadtteile Kabuls würden seit 2009 zwischenzeitlich 24 Stunden am Tag mit Strom versorgt. Seit kurzem boome in einigen Städten wie Kabul und Masar-i-Scharif der Handel. Geschäfte würden über Nacht eröffnet und man habe mittlerweile ein großes, kaum einen Wunsch offenlassendes Warenangebot. Die Lage sei nicht gut, aber sie sei besser geworden. Jedenfalls im Stadtzentrum sei auch die Armut nicht mehr so offensichtlich. Es gebe nicht mehr überall bettelnde Frauen in Burkas und keine Banden von Kindern, die sich an Klebstoff berauschten. Dafür hätten unzählige Kebab-Stände eröffnet. Überhaupt gebe es deutlich zahlreichere Geschäfte als noch vor wenigen Jahren und sogar eine Müllabfuhr sowie ein Mindestmaß an Ordnung bzw. überhaupt wieder so etwas wie ein Stadtleben. Auch die Sicherheitslage in Kabul sei, abgesehen von einigen spektakulären Anschlägen, unverändert stabil und weiterhin deutlich ruhiger als noch vor zwei Jahren (vgl. Lagebericht AA vom 10.01.2012; Kermani, Die Zeit vom 05.01.2012, 11 ff; Asylmagazin 12/2011, 408-414, m.w.N.).
44 
Vor diesem Hintergrund kann heute - trotz der ambivalenten Erkenntnisquellen - aufgrund der hohen Hürden des Bundesverwaltungsgerichts für die Annahme einer extremen allgemeinen Gefahrenlage für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige eine solche Extremgefahr nicht mehr begründet werden. Anders als noch 2009 sieht auch der Senat keine hinreichenden Anhaltspunkte mehr dafür, dass bei dieser Personengruppe im Falle der Abschiebung alsbald der Tod oder schwerste gesundheitliche Beeinträchtigungen zu erwarten wären. Die Einschätzung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, es sei vielmehr zu erwarten, dass Rückkehrer in Kabul durch Gelegenheitsarbeiten „ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren könnten“, trifft heute auch nach Überzeugung des Senats zu. Zwar dürfte aufgrund der schlechten Gesamtsituation ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen in der Tat eine Rückkehr nach Kabul selbst für gesunde alleinstehende Männer unter humanitären Gesichtspunkten kaum zumutbar sein. Diese Zumutbarkeit ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts jedoch kein zentraler Maßstab für die Bestimmung einer extremen Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
45 
Im Falle des Klägers sind schließlich auch keine hinreichenden individuellen Faktoren gegeben, die ausnahmsweise eine extreme Gefahrenlage begründen könnten. Der Kläger leidet derzeit unter keinen gesundheitlichen Beeinträchtigungen mehr und ist, wie seine Beschäftigung in einem Restaurant verdeutlicht, arbeitsfähig. Allein aufgrund des für die Verhältnisse in Afghanistan, wo junge Burschen häufig mit 15 Jahren verheiratet werden und ein 20-jähriger Mann meist bereits mehrere Kinder hat (so Dr. Danesch vom 07.10.2010, Paktia, S. 6), in der Tat fortgeschrittenen Alters kann deshalb keine extreme Gefahrenlage erkannt werden. Auf die von der Beklagten aufgeworfene Frage, ob es aufgrund der dem Kläger seit längerem und bis heute erteilten Duldungen an einer Schutzlücke für eine verfassungskonforme Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG oder gar schon dem Rechtsschutzinteresse fehlt (vgl. BVerwG, Urteile vom 12.07.2001 - 1 C 2.01 - BVerwGE 114, 378 und vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 12), kommt es damit nicht an.
III.
46 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO und § 83 b AsylVfG.
IV.
47 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein gesetzlicher Zulassungsgrund vorliegt (§ 132 Abs. 2 VwGO).

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird. Für einen Zeitraum von länger als sechs Monaten gilt § 23 Abs. 1.

(2) Die Abschiebung eines Ausländers ist auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Die Abschiebung eines Ausländers ist auch auszusetzen, wenn seine vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen eines Verbrechens von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre. Einem Ausländer kann eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Soweit die Beurkundung der Anerkennung einer Vaterschaft oder der Zustimmung der Mutter für die Durchführung eines Verfahrens nach § 85a ausgesetzt wird, wird die Abschiebung des ausländischen Anerkennenden, der ausländischen Mutter oder des ausländischen Kindes ausgesetzt, solange das Verfahren nach § 85a nicht durch vollziehbare Entscheidung abgeschlossen ist.

(2a) Die Abschiebung eines Ausländers wird für eine Woche ausgesetzt, wenn seine Zurückschiebung oder Abschiebung gescheitert ist, Abschiebungshaft nicht angeordnet wird und die Bundesrepublik Deutschland auf Grund einer Rechtsvorschrift, insbesondere des Artikels 6 Abs. 1 der Richtlinie 2003/110/EG des Rates vom 25. November 2003 über die Unterstützung bei der Durchbeförderung im Rahmen von Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg (ABl. EU Nr. L 321 S. 26), zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist. Die Aussetzung darf nicht nach Satz 1 verlängert werden. Die Einreise des Ausländers ist zuzulassen.

(2b) Solange ein Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Absatz 1 besitzt, minderjährig ist, soll die Abschiebung seiner Eltern oder eines allein personensorgeberechtigten Elternteils sowie der minderjährigen Kinder, die mit den Eltern oder dem allein personensorgeberechtigten Elternteil in familiärer Lebensgemeinschaft leben, ausgesetzt werden.

(2c) Es wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Zur Behandlung der Erkrankung erforderliche Medikamente müssen mit der Angabe ihrer Wirkstoffe und diese mit ihrer international gebräuchlichen Bezeichnung aufgeführt sein.

(2d) Der Ausländer ist verpflichtet, der zuständigen Behörde die ärztliche Bescheinigung nach Absatz 2c unverzüglich vorzulegen. Verletzt der Ausländer die Pflicht zur unverzüglichen Vorlage einer solchen ärztlichen Bescheinigung, darf die zuständige Behörde das Vorbringen des Ausländers zu seiner Erkrankung nicht berücksichtigen, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Einholung einer solchen Bescheinigung gehindert oder es liegen anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, vor. Legt der Ausländer eine Bescheinigung vor und ordnet die Behörde daraufhin eine ärztliche Untersuchung an, ist die Behörde berechtigt, die vorgetragene Erkrankung nicht zu berücksichtigen, wenn der Ausländer der Anordnung ohne zureichenden Grund nicht Folge leistet. Der Ausländer ist auf die Verpflichtungen und auf die Rechtsfolgen einer Verletzung dieser Verpflichtungen nach diesem Absatz hinzuweisen.

(3) Die Ausreisepflicht eines Ausländers, dessen Abschiebung ausgesetzt ist, bleibt unberührt.

(4) Über die Aussetzung der Abschiebung ist dem Ausländer eine Bescheinigung auszustellen.

(5) Die Aussetzung der Abschiebung erlischt mit der Ausreise des Ausländers. Sie wird widerrufen, wenn die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe entfallen. Der Ausländer wird unverzüglich nach dem Erlöschen ohne erneute Androhung und Fristsetzung abgeschoben, es sei denn, die Aussetzung wird erneuert. Ist die Abschiebung länger als ein Jahr ausgesetzt, ist die durch Widerruf vorgesehene Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen; die Ankündigung ist zu wiederholen, wenn die Aussetzung für mehr als ein Jahr erneuert wurde. Satz 4 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe durch vorsätzlich falsche Angaben oder durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit selbst herbeiführt oder zumutbare Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen nicht erfüllt.

(6) Einem Ausländer, der eine Duldung besitzt, darf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn

1.
er sich in das Inland begeben hat, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen,
2.
aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können oder
3.
er Staatsangehöriger eines sicheren Herkunftsstaates nach § 29a des Asylgesetzes ist und sein nach dem 31. August 2015 gestellter Asylantrag abgelehnt oder zurückgenommen wurde, es sei denn, die Rücknahme erfolgte auf Grund einer Beratung nach § 24 Absatz 1 des Asylgesetzes beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, oder ein Asylantrag nicht gestellt wurde.
Zu vertreten hat ein Ausländer die Gründe nach Satz 1 Nummer 2 insbesondere, wenn er das Abschiebungshindernis durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit oder durch eigene falsche Angaben selbst herbeiführt. Satz 1 Nummer 3 gilt bei unbegleiteten minderjährigen Ausländern nicht für die Rücknahme des Asylantrags oder den Verzicht auf die Antragstellung, wenn die Rücknahme oder der Verzicht auf das Stellen eines Asylantrags im Interesse des Kindeswohls erfolgte. Abweichend von den Sätzen 1 bis 3 ist einem Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings oder eines subsidiär Schutzberechtigten genießt, die Erwerbstätigkeit erlaubt.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird. Für einen Zeitraum von länger als sechs Monaten gilt § 23 Abs. 1.

(2) Die Abschiebung eines Ausländers ist auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Die Abschiebung eines Ausländers ist auch auszusetzen, wenn seine vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen eines Verbrechens von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre. Einem Ausländer kann eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Soweit die Beurkundung der Anerkennung einer Vaterschaft oder der Zustimmung der Mutter für die Durchführung eines Verfahrens nach § 85a ausgesetzt wird, wird die Abschiebung des ausländischen Anerkennenden, der ausländischen Mutter oder des ausländischen Kindes ausgesetzt, solange das Verfahren nach § 85a nicht durch vollziehbare Entscheidung abgeschlossen ist.

(2a) Die Abschiebung eines Ausländers wird für eine Woche ausgesetzt, wenn seine Zurückschiebung oder Abschiebung gescheitert ist, Abschiebungshaft nicht angeordnet wird und die Bundesrepublik Deutschland auf Grund einer Rechtsvorschrift, insbesondere des Artikels 6 Abs. 1 der Richtlinie 2003/110/EG des Rates vom 25. November 2003 über die Unterstützung bei der Durchbeförderung im Rahmen von Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg (ABl. EU Nr. L 321 S. 26), zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist. Die Aussetzung darf nicht nach Satz 1 verlängert werden. Die Einreise des Ausländers ist zuzulassen.

(2b) Solange ein Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Absatz 1 besitzt, minderjährig ist, soll die Abschiebung seiner Eltern oder eines allein personensorgeberechtigten Elternteils sowie der minderjährigen Kinder, die mit den Eltern oder dem allein personensorgeberechtigten Elternteil in familiärer Lebensgemeinschaft leben, ausgesetzt werden.

(2c) Es wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Zur Behandlung der Erkrankung erforderliche Medikamente müssen mit der Angabe ihrer Wirkstoffe und diese mit ihrer international gebräuchlichen Bezeichnung aufgeführt sein.

(2d) Der Ausländer ist verpflichtet, der zuständigen Behörde die ärztliche Bescheinigung nach Absatz 2c unverzüglich vorzulegen. Verletzt der Ausländer die Pflicht zur unverzüglichen Vorlage einer solchen ärztlichen Bescheinigung, darf die zuständige Behörde das Vorbringen des Ausländers zu seiner Erkrankung nicht berücksichtigen, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Einholung einer solchen Bescheinigung gehindert oder es liegen anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, vor. Legt der Ausländer eine Bescheinigung vor und ordnet die Behörde daraufhin eine ärztliche Untersuchung an, ist die Behörde berechtigt, die vorgetragene Erkrankung nicht zu berücksichtigen, wenn der Ausländer der Anordnung ohne zureichenden Grund nicht Folge leistet. Der Ausländer ist auf die Verpflichtungen und auf die Rechtsfolgen einer Verletzung dieser Verpflichtungen nach diesem Absatz hinzuweisen.

(3) Die Ausreisepflicht eines Ausländers, dessen Abschiebung ausgesetzt ist, bleibt unberührt.

(4) Über die Aussetzung der Abschiebung ist dem Ausländer eine Bescheinigung auszustellen.

(5) Die Aussetzung der Abschiebung erlischt mit der Ausreise des Ausländers. Sie wird widerrufen, wenn die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe entfallen. Der Ausländer wird unverzüglich nach dem Erlöschen ohne erneute Androhung und Fristsetzung abgeschoben, es sei denn, die Aussetzung wird erneuert. Ist die Abschiebung länger als ein Jahr ausgesetzt, ist die durch Widerruf vorgesehene Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen; die Ankündigung ist zu wiederholen, wenn die Aussetzung für mehr als ein Jahr erneuert wurde. Satz 4 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe durch vorsätzlich falsche Angaben oder durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit selbst herbeiführt oder zumutbare Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen nicht erfüllt.

(6) Einem Ausländer, der eine Duldung besitzt, darf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn

1.
er sich in das Inland begeben hat, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen,
2.
aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können oder
3.
er Staatsangehöriger eines sicheren Herkunftsstaates nach § 29a des Asylgesetzes ist und sein nach dem 31. August 2015 gestellter Asylantrag abgelehnt oder zurückgenommen wurde, es sei denn, die Rücknahme erfolgte auf Grund einer Beratung nach § 24 Absatz 1 des Asylgesetzes beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, oder ein Asylantrag nicht gestellt wurde.
Zu vertreten hat ein Ausländer die Gründe nach Satz 1 Nummer 2 insbesondere, wenn er das Abschiebungshindernis durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit oder durch eigene falsche Angaben selbst herbeiführt. Satz 1 Nummer 3 gilt bei unbegleiteten minderjährigen Ausländern nicht für die Rücknahme des Asylantrags oder den Verzicht auf die Antragstellung, wenn die Rücknahme oder der Verzicht auf das Stellen eines Asylantrags im Interesse des Kindeswohls erfolgte. Abweichend von den Sätzen 1 bis 3 ist einem Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings oder eines subsidiär Schutzberechtigten genießt, die Erwerbstätigkeit erlaubt.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.


Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 11. April 2007 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Koblenz wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte verpflichtet wird festzustellen, dass im Falle des Klägers ein unionsrechtlich begründetes Abschiebungsverbot (hier: § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG) vorliegt.

Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festzusetzenden Kosten abzuwenden, wenn nicht der Kläger zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Der im Jahre 1981 in der Provinz Ghazni geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe der Hazara an. Nachdem er nach eigenen Angaben am 11. Februar 2003 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland eingereist war, beantragte er am 25. Februar 2003, als Asylberechtigter anerkannt zu werden. Zur Begründung seines Asylbegehrens führte er im Wesentlichen aus, er habe insgesamt sechs Jahre lang in seinem Heimatland die Schule besucht, wovon er sich drei Jahre lang an einer Koranschule aufgehalten habe. Nach seinem Schulbesuch habe er bei seinem Vater in der Landwirtschaft gearbeitet. Sein Heimatland habe er bereits drei Jahre vor seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland verlassen. Dabei habe er sich eineinhalb Jahre nach seiner Ausreise in Teheran aufgehalten. Sein jüngerer Bruder habe im Zeitpunkt der Anhörung noch in Afghanistan gelebt.

2

Sein Vater sei im Jahre 1998 von den Taliban festgenommen worden und eineinhalb Monate inhaftiert gewesen. Etwa drei bis vier Monate nach seiner Freilassung sei er verstorben. Der Vater sei Mitglied der Wahdat-e Islami und deshalb in der Region bekannt gewesen. Nachdem es immer häufiger zu Auseinandersetzungen mit Taliban und Paschtunen gekommen sei, habe der Kläger sein Heimatland verlassen. Bei einem Granatangriff habe er etwas abbekommen und sei verletzt worden. Zurückkehren könne er nicht, da es in Afghanistan keine Sicherheit und Ordnung gebe.

3

Mit Bescheid vom 6. September 2004 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Anerkennung als Asylberechtigter ab und stellte fest, dass in seinem Fall die Voraussetzungen der §§ 51 Abs. 1 und 53 AuslG nicht vorliegen. Sie forderte den Kläger zur Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland auf und drohte ihm die Abschiebung nach Afghanistan an. Auf die gegen diesen Bescheid erhobene Klage hob das Verwaltungsgericht Koblenz (2 K 3189/04.KO) mit Urteil vom 10. Mai 2005 die von der Beklagten verfügte Abschiebungsandrohung wegen eines Zustellungsmangels auf und wies die Klage im Übrigen ab.

4

Den Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung lehnte das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (6 A 10819/05.OVG) mit Beschluss vom 22. Juni 2005 ab. Unter dem 24. August 2006 erließ die Beklagte gegen den Kläger erneut eine Abschiebungsandrohung mit dem Zielstaat Afghanistan.

5

Am 16. November 2006 beantragte der Kläger, in seinem Falle ein weiteres Asylverfahren durchzuführen. Hierzu berief er sich darauf, dass sein Vater von den Taliban geschlagen und gefoltert worden sowie einige Tage nach seiner Freilassung den Folgen der Folter erlegen sei. Er selbst sei gezwungen gewesen, sein Heimatland zu verlassen, da die Taliban der Erzfeind seines Volkes seien. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan müsse er damit rechnen, von den Taliban getötet zu werden, da sein Vater Mitglied der Wahdat-Partei gewesen sei.

6

Mit Bescheid vom 21. Dezember 2006 lehnte die Beklagte die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens sowie die Abänderung ihrer zu § 53 AuslG getroffenen Feststellungen ab.

7

Am 11. Januar 2007 hat der Kläger Klage erhoben, wobei er ergänzend ausgeführt hat, dass seine Eltern und ein Bruder verstorben seien. Der in seiner Anhörung erwähnte Bruder halte sich bei einer Tante im Iran auf. Nachdem der Kläger seinen Antrag in der mündlichen Verhandlung des Gerichts vom 11. April 2007 darauf beschränkt hat, die Beklagte zu verpflichten, ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen, hat das Verwaltungsgericht in seinem aufgrund der mündlichen Verhandlung ergangenen Urteil eine entsprechende Verpflichtung der Beklagten ausgesprochen. Es hat hierzu dargelegt, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan wegen der dort bestehenden schlechten Versorgungslage in eine lebensbedrohliche Bedrängnis geriete und damit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre.

8

Zur Begründung der vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Berufung hat die Beklagte ausgeführt, dass im Falle des Klägers keine extreme Gefahrenlage bei verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG anzunehmen sei. Bei einer Rückkehr könne eine aus der allgemeinen Lage resultierende Gefahr für Leib und Leben zwar nicht völlig ausgeschlossen werden. Jedenfalls im Raum Kabul sei die Sicherheits- und Versorgungslage aber nicht so schlecht, dass der Kläger bei einer Rückkehr gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schweren Verletzungen ausgeliefert würde. Insbesondere bestünden keine Anzeichen für eine Hungerkatastrophe. Vor dem Hintergrund der persönlichen Lebenssituation des Klägers als junger, gesunder und arbeitsfähiger Mann sei davon auszugehen, dass er im Raum Kabul eine vergleichsweise stabile Existenzgrundlage finden werde.

9

Der Kläger hat darauf verwiesen, dass er aus der Provinz Ghazni stamme, die unter der Kontrolle der Taliban stehe. Dort müsse er wegen seines langjährigen Aufenthalts im Westen und seiner auch äußerlich erkennbaren Volkszugehörigkeit sowie seiner schiitischen Religionszugehörigkeit mit Übergriffen durch die Taliban rechnen. Vor diesem Hintergrund sei ihm auch ein Ausweichen nach Kabul nicht zumutbar. Am Zufluchtsort müsse eine hinreichende Sicherheit vor Verfolgung bestehen und zumindest das Existenzminimum gewährleistet sein. Dies sei indessen angesichts der sozialen Lage in Kabul nicht der Fall. Vielmehr sei auch in Kabul für eine mittellose Person ohne intakten Familienverband die Gefahr des Todes durch Unterernährung gegeben. Von dem Fortbestand intakter Familien- und Stammesstrukturen in Kabul könne indessen nicht ausgegangen werden. In der Herkunftsregion des Klägers bestehe ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, der zu einer ernsthaften individuellen Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit führe. Ein Ausweichen in einen anderen Landesteil sei ihm nicht zumutbar. Er verfüge auch nicht über eine besondere Schul- oder Berufsausbildung, die ihn in besonderer Weise für den Arbeitsmarkt in Afghanistan qualifizierte.

10

Mit aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 6. Mai 2008 ergangenem Urteil hat das Oberverwaltungsgericht die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen darauf abgestellt, dass im Falle des Klägers ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliege. Der Kläger sei bei seiner Rückkehr nach Afghanistan mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen allgemeinen Gefahr in dem Sinne ausgesetzt, dass er gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde. Er wäre nicht in der Lage, seinen Lebensunterhalt aus eigener Kraft zu sichern. Die Versorgungssituation werde auch nicht durch Unterstützungsmaßnahmen der afghanischen Regierung oder internationaler Organisationen verbessert. Wegen der zu erwartenden Mangelernährung, die ausschließlich aus Brot und Tee bestehe, werde der Kläger zwangsläufig in einen fortschreitenden Prozess körperlichen Verfalls mit lebensbedrohlichen Folgen geraten. Da die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorlägen, erübrige sich eine Entscheidung darüber, ob auch die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG gegeben seien.

11

Auf die Revision der Beklagten hat das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 29. Juni 2010 (− 10 C 10/09 −, BVerwGE 137, 226) die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

12

Im weiteren Verfahren führt die Beklagte ergänzend aus, dass im Falle des Klägers die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nicht vorlägen. Hinsichtlich seiner Herkunft aus dem Dorf S. in der Provinz Ghazni sei nicht von dem Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts auszugehen. Die Annahme einer individuellen Gefährdung, die allein auf den Umstand eines bewaffneten Konfliktes abstelle, erfordere eine Gefahrendichte, wie sie vergleichbar bei der Verfolgungsdichte im Hinblick auf eine Gruppenverfolgung angenommen werde. Von einer derartigen Verfolgungsdichte könne indes angesichts der Opferzahlen in der Provinz Ghazni nicht ausgegangen werden. Zudem wäre dem Kläger ein Ausweichen nach Kabul zuzumuten.

13

Die Beklagte beantragt,

14

unter Abänderung des aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 11. April 2007 ergangenen Urteils des Verwaltungsgerichts Koblenz die Klage abzuweisen.

15

Der Kläger beantragt,

16

die Berufung mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass vorrangig das Vorliegen eines unionsrechtlichen Abschiebungshindernisses (Art. 15 QRL) festgestellt wird,

17

hilfsweise,

18

1. den Rechtsstreit dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften zur Klärung der Rechtsfrage vorzulegen, ob die Definition des Grades willkürlicher Gewalt bzw. der notwendigen Gefährdungsdichte seitens des Bundesverwaltungsgerichtes in seinem Urteil vom 27. Februar 2010 – 10 C 4.09 – mit Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG vereinbar ist,

19

2. den Rechtsstreit dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften zur Klärung der Frage vorzulegen, ob die inländische Schutzalternative des Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG voraussetzt, dass dort ein normales Leben mit Zugang zu Nahrung, Wasser, Unterkunft und medizinischer Versorgung unter Beachtung der individuellen Bedürfnisse gewährleistet, also sichergestellt ist und ein normales Leben ohne unangemessene Härte mit Garantie der Achtung der grundlegenden Menschenrechtsstandards, einem gewissen Maß an Stabilität und effektiven staatlichen Strukturen und zivilen Schutzstrukturen, die effektiven Schutz vermitteln, und ein normales Leben mit mehr als dem bloßen Existenzminimum ohne ein Leben in Not und mit Entbehrungen auf Dauer gewährleistet, also sichergestellt ist,

20

3. Beweis zu erheben zu der Tatsache, dass junge Männer zwischen ca. 14 und 40 Jahren in Ghazni von Zwangsrekrutierungen durch die Taliban betroffen sind und im Falle der Weigerung mit ihrer Erschießung rechnen müssen, sowie zu der Tatsache, dass junge Männer, die sich jahrelang im Westen aufgehalten haben, unvermeidlich zu erkennen und wegen einer pauschal vermuteten Gegnerschaft zu den Taliban oder einer Spitzeltätigkeit für den Westen an Leib und Leben gefährdet sind, durch Einholung eines Sachverständigengutachtens und sachverständiges Zeugnis des Herrn Dr. M. D.,

21

4. zum Beweis der Tatsache, dass der Kläger nicht in der Lage ist bzw. es ihm sehr schwer fällt, zeitliche Einordnungen vorzunehmen, und er auch nicht in der Lage ist bzw. es ihm sehr schwer fällt, bei Schilderungen der Vergangenheit sein Alter richtig einzuschätzen, ein medizinisch-psychologisches Sachverständigengutachten einzuholen.

22

Er legt ergänzend dar, dass er von Taliban angegriffen worden sei. Zudem sei es zu kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Paschtunen und Hazara gekommen. Im Hinblick auf das Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts habe das nationale Recht das einschränkende Merkmal der „willkürlichen Gewalt“ nicht übernommen. Abgesehen davon werde in seinem Falle auch dieses Merkmal erfüllt. Er sei bei einer Rückkehr infolge willkürlicher Gewalt einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit ausgesetzt. In Afghanistan könne es jederzeit zu Attentaten, Bombenanschlägen und bewaffneten Auseinandersetzungen kommen. Die Sicherheitslage habe sich ständig weiter verschlechtert. Dies gelte insbesondere für vorher als sicher eingeschätzte Regionen. Das Risiko des Einzelnen, Opfer entsprechender Auseinandersetzungen zu werden, sei überall akut. Was die Gefahrendichte in seiner Herkunftsregion angehe, so müsse berücksichtigt werden, dass im Distrikt Nuwar lediglich 81.000 Menschen lebten. Die Taliban gewännen immer stärker die Oberhand. Sie beherrschten die Provinz Ghazni. Die Hazara stünden dabei in besonderem Maße im Blickfeld der Taliban. Anknüpfungspunkt hierfür seien ethnische und religiöse Gründe. Hieraus ergebe sich auch eine besondere Gefährdung für ihn. Zudem müsse er bei einer Rückkehr mit Zwangsrekrutierung und Folter rechnen. Ein Ausweichen nach Kabul komme nicht in Betracht, da er dort über keine Verwandten verfüge und in der Stadt völlig fremd sei.

23

In seiner Anhörung durch den Berichterstatter am 16. Februar 2011 hat der Kläger ergänzend dargelegt, dass er vor seiner Ausreise im Ort A. S. gelebt habe. Nach dem Tod seiner Eltern sei er zu einem Freund seines Vaters in diesen Ort gezogen. Zu der Familie dieses Freundes habe er bis 2006 Kontakt gehalten. Zu diesem Zeitpunkt habe die Familie im Iran gelebt. Sein Vater habe gegen die Taliban gekämpft. Er habe der Hazara-Partei Hezb-i Wahdat angehört. Das Haus der Familie sei bei den Auseinandersetzungen mit den Taliban beschädigt worden. Wegen der Darlegungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 21. März 2012 wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

24

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung von Frau Dr. Marie Luise Ternes als Sachverständige zur Frage der gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch eine Mangelernährung sowie durch Einholung von Sachverständigengutachten des UNHCR, von Frau Dr. K. L. und durch Einholung einer amtlichen Auskunft des Auswärtigen Amtes zur Einschätzung der Lage in Afghanistan im Hinblick auf das Vorliegen bewaffneter Auseinandersetzungen in der Provinz Ghazni und zur Versorgungslage im Land. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Akteninhalt verwiesen.

25

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Beteiligten zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze, auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie auf die in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel Bezug genommen, die allesamt Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe

26

Die zulässige Berufung bleibt erfolglos.

27

Die Klage ist begründet, soweit der Kläger die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots auf der Grundlage des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG begehrt. Insoweit ist der Entscheidungsausspruch des Verwaltungsgerichtes klarzustellen.

28

1. Bei der Entscheidung des Senates war § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG neben dem nationalen Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, zu dessen Feststellung das Verwaltungsgericht die Beklagte verpflichtet hat, Gegenstand des Verfahrens.

29

Die unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbote, zu denen neben § 60 Abs. 2 und 3 AufenthG auch § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG gehört und deren Grundlagen sich aus Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes - Qualifikationsrichtlinie – ergeben, sind mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der europäischen Union - Richtlinienumsetzungsgesetz - (BGBl. I 2007, 1970) im August 2007 Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Ablehnungsbescheid der Beklagten – wie hier − sämtliche zielstaatsbezogenen ausländerrechtlichen Abschiebungsverbote erfasst und der Kläger die unionsrechtlichen Abschiebungsverbote in sein Verfahren einbezogen hat. Die unionsrechtlichen Abschiebungsverbote bilden einen eigenständigen, vorrangig vor den nationalen Abschiebungsverboten zu prüfenden Streitgegenstand (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 – 10 C 4/09 ─, BVerwGE 136, 360 und juris Rn. 16; Urteil vom 29. Juni 2010 - 10 C 10.09 -, BVerwGE 137, 226 und juris, Rn. 6).

30

2. Ist hiernach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreites, so liegen jedenfalls insoweit auch die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 VwVfG vor.

31

Das dem gerichtlichen Verfahren zugrundeliegende Verwaltungsverfahren der Beklagten betraf einen Asylfolgeantrag. Soweit im ursprünglichen Asylverfahren bereits eine Feststellung zu Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG getroffen worden ist, kommt hiernach eine erneute Prüfung der entsprechenden Abschiebungsverbote nur unter den Voraussetzungen des § 51 VwVfG für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens in Betracht (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. März 2000 - 9 C 41.99 -, BVerwGE 111, 77 und juris, Rn. 9). Ein Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens setzt nach § 51 Abs. 1 VwVfG voraus, dass

32

1. sich die dem Verwaltungsakt zugrundeliegende Sach- und Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat;

2. neue Beweismittel vorliegen, die eine den Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden oder

3. Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der ZPO gegeben sind.

33

Im Falle des Klägers ist von einer zu seinen Gunsten geänderten Sach- und Rechtslage auszugehen. Einerseits ist von einer Änderung der Rechtslage auszugehen, die sich für den Kläger als günstig erweist. Hierzu ist darauf abzustellen, dass in seinem Verfahren nunmehr die unionsrechtlichen Abschiebungsverbote nach der Qualifikationsrichtlinie zu berücksichtigen sind und hierbei insbesondere nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts relevant werden kann. Zudem liegt jedenfalls im Zeitpunkt der Entscheidung des Senates, der nach § 77 Abs. 1 AsylVfG auch für die Beurteilung des Vorliegens eines Wiederaufgreifensgrundes maßgeblich ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Februar 2008 – 2 BvR 1262/07 −, juris Rn. 15; OVG Hamburg, Urteil vom 16. Juni 2006 – 5 Bf 302/Q.3.A −, juris), zur Ausfüllung dieses Tatbestandes eine zugunsten des Klägers veränderte Sachlage vor. Eine derartige Änderung ist bei asylrechtlichen Dauersachverhalten dann anzunehmen, wenn eine qualitativ neue Bewertung angezeigt und möglich erscheint (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Februar 2008, a.a.O., Bergmann, in: Renner, Ausländerrecht, 9. Aufl. 2011, § 71 AsylVfG Rn. 24). Hinsichtlich der Situation in der Herkunftsregion des Klägers, der Provinz Ghazni, ist eine qualitative Veränderung im Hinblick auf die Annahme eines innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes darin zu sehen, dass in diesem Gebiet eine sowohl absolut wie auch gemessen an der Bevölkerungszahl von gut 1 Mio. Einwohner hohe Zahl sicherheitsrelevanter Zwischenfälle festzustellen ist (vgl. Auswärtiges Amt, Amtliche Auskunft an das OVG Rheinland-Pfalz vom 1. November 2011). Die Zahl der Angriffe Aufständischer belief sich im Jahr 2010 auf 1.540 (D-A-CH-Kooperation Asylwesen Deutschland – Österreich – Schweiz, Sicherheitslage in Ghazni und Nangarhar, März 2011) und nahm gegenüber dem Vorjahr um 234 % zu (UNHCR, Auskunft an das OVG Rheinland-Pfalz vom 11. November 2011) Hiernach ist aber eine erhebliche Änderung der Sach- und Rechtslage eingetreten, die eine neue inhaltliche Bewertung seines Anspruchs auf Zuerkennung eines Abschiebungsverbotes als möglich erscheinen lässt.

34

3. Im Falle des Klägers liegen die Voraussetzungen für die Feststellung eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG auch vor. Nach dieser Vorschrift ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist.

35

a. Für die Herkunftsregion des Klägers, die Provinz Ghazni, ist derzeit von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt im Sinne dieser Vorschrift auszugehen.

36

aa. Anknüpfungspunkt für die Auslegung des Begriffs des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ist dessen Bedeutung im humanitären Völkerrecht (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2008 - 10 C 43.07 -, BVerwGE 131, 198 und juris, Rn. 19 ff.). Das Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer nicht internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll II) vom 8. Juni 1977 (BGBl. 1990 II, S. 1637), definiert in Art. 1 den innerstaatlichen Konflikt als bewaffneten Konflikt, der im Hoheitsgebiet einer Hohen Vertragspartei zwischen deren Streitkräften und abtrünnigen Streitkräften oder anderen organisierten bewaffneten Gruppen stattfindet, die unter einer verantwortlichen Führung eine solche Kontrolle über einen Teil des Hoheitsgebietes der Hohen Vertragspartei ausüben, dass sie anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen durchführen und dieses Protokoll anzuwenden vermögen. Nach Art. 1 Abs. 2 des Zusatzprotokolls II findet dieses keine Anwendung auf Fälle innerer Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen.

37

Erreicht eine Auseinandersetzung im innerstaatlichen Bereich einen Grad, der zwischen den beiden im Zusatzprotokoll angesprochenen Ausgestaltungen eines Konfliktes liegt, so scheidet die Annahme eines bewaffneten Konfliktes nicht von vorneherein aus. Voraussetzung ist allerdings, dass die Auseinandersetzung ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit ausweist. Typische Beispiele hierfür sind Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfe (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2008, a.a.O. und juris, Rn. 22; Urteil vom 27. April 2010 - 10 C 4.09 -, a.a.O. und juris, Rn. 23). Wie der Vorschrift des § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG zu entnehmen ist, liegt ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt auch dann vor, wenn er lediglich einen Teil des Staatsgebietes erfasst. Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie enthält Regelungen über die Erfordernisse internen Schutzes im Herkunftsland. Beschränkt sich ein bewaffneter Konflikt auf einzelne Landesteile, so kommt eine individuelle Bedrohung in der Regel nur in Betracht, wenn der Konflikt sich auf die Herkunftsregion des Klägers erstreckt, in die er typischerweise zurückkehren muss (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2008, a.a.O. und juris, Rn. 25; Urteil vom 14. Juli 2009 - 10 C 9.08 -, BVerwGE 134, 188 und juris, Rn. 17).

38

bb. Anknüpfend an diese Kriterien ist für die Herkunftsregion des Klägers, die Provinz Ghazni, vom Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes auszugehen. In der Provinz kommt es zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Regierungstruppen und ISAF- Streitkräften auf der einen und militärisch organisierten oppositionellen Gruppierungen auf der anderen Seite, die sich in Dauerhaftigkeit und Intensität von den allgemeinen Verhältnissen in Afghanistan deutlich abheben und die für die Annahme eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts aufgezeigte Schwelle überschreiten.

39

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist insgesamt dadurch gekennzeichnet, dass es landesweit in unterschiedlicher Intensität zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen afghanischen Regierungstruppen und der unter Führung der NATO operierenden internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe (ISAF) auf der einen sowie den Taliban und anderen bewaffneten Gruppen auf der anderen Seite kommt. Das Land ist durch eine andauernde Instabilität geprägt. Insgesamt ist in den Jahren 2010 und 2011 eine Verschlechterung der Sicherheitslage festzustellen. Die Zahl der Anschläge hat sich im Jahr 2010 im Vergleich zum Vorjahr um 65 % erhöht. Während nach wie vor ein Schwerpunkt der sicherheitsrelevanten Zwischenfälle im Land in den südlichen und südöstlichen Regionen festzustellen ist, lässt sich gleichzeitig eine stärkere geografische Verteilung entsprechender Vorfälle konstatieren (vgl. UNHCR, Auskunft vom 11. November 2011 an das OVG Rheinland-Pfalz; ders., Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylbewerber vom 21. März 2011; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update - Die aktuelle Sicherheitslage vom 23. August 2011). Die für das Jahr 2010 genannte Zahl getöteter Zivilpersonen schwankt in einzelnen Quellen zwischen 2.428 (amnesty international, Report 2011 Afghanistan vom 18. August 2011) und 2.777 (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update - Die aktuelle Sicherheitslage vom 23. August 2011). Landesweit ist im ersten Halbjahr 2011 ein Anstieg der Zahl der getöteten Zivilisten um 15 % festzustellen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update - Die aktuelle Sicherheitslage vom 23. August 2011). Für das gesamte Jahr 2011 wird eine Zahl von 3021 ziviler Todesopfer genannt (United Nations Assistance Mission in Afghanistan – UNAMA, Annual Report 2011, Februar 2012), so dass erneut von einem beträchtlichen Anstieg auszugehen ist.

40

Gegenüber dieser allgemeinen Ausgangslage in Afghanistan erreicht der Konflikt zwischen regierungsfeindlichen Kräften und Regierungstruppen sowie den ISAF-Kräften in der Provinz Ghazni in den letzten Jahren eine besondere Intensität. Wie bereits dargelegt, gehört die Provinz zu den unsichersten Regionen Afghanistans Die Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen in der Provinz haben im Jahr 2010 binnen Jahresfrist um 234 % zugenommen und damit einen Wert erreicht, der sogar die Zahl entsprechender Vorfälle in den seit Jahren schwerst umkämpften Provinzen Helmand und Kandahar übersteigt (UNHCR, Auskunft an das OVG Rheinland-Pfalz vom 11. November 2011; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: update - Die aktuelle Sicherheitslage vom 23. August 2011). Auch im Jahre 2011 hat die Zahl der Angriffe regierungsfeindlicher Organisationen auf hohem Niveau verharrt und eine Steigerung auf 1679 erfahren, die nur von der Zahl entsprechender Übergriffe in der Provinz Helmand übertroffen wird (The Afghanistan NGO Safety Office – ANSO, Quaterly Data Report IV/2011, Januar 2012). Nach Einschätzung des UNHCR ist die Lage in Ghazni aufgrund der hohen Zahl von zivilen Todesopfern, der Häufigkeit sicherheitsrelevanter Zwischenfälle und der Anzahl von Personen, die aufgrund des bewaffneten Konflikts vertrieben wurden, in Teilen der Provinz als eine Situation allgemeiner Gewalt anzusehen. Durch das Vorgehen der ISAF zur Aufstandsbekämpfung ist unmittelbar keine Stabilisierung der Lage eingetreten. Vielmehr ist es, nachdem die ISAF-Einheiten im Distrikt Nuwar ab Januar 2011 verstärkt Operationen gegen Aufständische unternommen haben, in der Provinz zu Unruhen gekommen (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylbewerber vom 21. März 2011). Insgesamt kommt es hiernach zu fortdauernden bewaffneten Auseinandersetzungen von hoher Intensität. Nach der Auskunftslage ist es nicht möglich, hinsichtlich der Verhältnisse innerhalb der Provinz Ghazni konkrete Daten für einzelne Distrikte zu ermitteln (vgl. UNHCR, Auskunft an das OVG Rheinland-Pfalz vom 11. November 2011), so dass von einem sich über die gesamte Provinz erstreckenden innerstaatlichen bewaffneten Konflikt auszugehen ist.

41

b. Von diesem bewaffneten Konflikt in der Provinz Ghazni geht allerdings kein so hoher Grad willkürlicher Gewalt aus, dass jeder in die Region Zurückkehrende allein durch seine Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften Bedrohung ausgesetzt zu sein.

42

Da der Kläger jedoch vor seiner Ausreise aus Afghanistan nach Überzeugung des Senates bereits einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben durch einen innerstaatlichen bewaffneten Konflikt ausgesetzt war, greift zu seinen Gunsten die Vermutung des nach § 60 Abs. 11 AufenthG anwendbaren Art. 4 Abs. 4 Qualifikationsrichtlinie, wonach dies ein ernsthafter Hinweis darauf ist, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einen ernsthaften Schaden zu erleiden. Stichhaltige Gründe, mit denen diese Vermutung entkräftet werden könnte, sind nicht ersichtlich.

43

aa. Hinsichtlich der Situation in der Provinz Ghazni kann nicht von einer so hohen Gefahrendichte im Hinblick auf den dort bestehenden innerstaatlichen Konflikt ausgegangen werden, dass sich aus der allgemeinen Lage bereits eine individuelle ernsthafte Bedrohung für jede Person ergibt, die sich dort aufhält.

44

(1) Was eine sich im Rahmen einer allgemeinen Gefahrenlage bestehende Bedrohung angeht, so ist § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG zunächst richtlinienkonform dahin auszulegen, dass diese Vorschrift bei Vorliegen des subsidiären Schutzes nach Art. 15 Buchst. c der Qualifikationsrichtlinie, der durch § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG in nationales Recht umgesetzt wurde, keine Sperrwirkung entfaltet. Der Betroffene muss sich bei einer allgemeinen Gefahr nicht mit der in § 60 a Abs. 1 AufenthG vorgesehenen Aussetzung der Abschiebung zufriedengeben, da ihm nach Art. 24 Abs. 2 der Qualifikationsrichtlinie ein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zusteht (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2008 a.a.O. und juris, Rn. 31).

45

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit dann anzunehmen, wenn der Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht hat, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das Land oder die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften Bedrohung ausgesetzt zu sein. Mit einer solchen Auslegung wird dem Erwägungsgrund 26 der Qualifikationsrichtlinie Rechnung getragen, wonach Gefahren, denen die Bevölkerung oder eine Bevölkerungsgruppe allgemein ausgesetzt sind, für sich genommen normalerweise keine individuelle Bedrohung darstellen. Hiernach verlangt eine dennoch erfolgende Berücksichtigung eine Ausnahmesituation mit einem hohen Gefahrengrad. Hingegen kann der zur Gewährung subsidiären Schutzes erforderliche Grad willkürlicher Gewalt umso geringer sein, je mehr der Betroffene zu belegen vermag, dass er aufgrund von in seiner persönlichen Situation innewohnenden Umstände in besonderem Maße hierdurch betroffen ist (vgl. EuGH, Urteil vom 17. Februar 2009 (Rechtssache C-465/07 Elgafaji, Rn. 35 bis 39).

46

Für die Annahme einer entsprechenden Bedrohung ist dabei auch nach nationalem Recht erforderlich, dass sie durch willkürliche Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen Konfliktes ausgelöst wird. Das entsprechende Tatbestandsmerkmal von Art. 15 Buchst. c der Qualifikationsrichtlinie ist auch Bestandteil der gesetzlichen Regelung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG geworden. Wie sich der Begründung des Regierungsentwurfs zu diesem Gesetz entnehmen lässt (BT-Drs. 16/5065, S. 187), war es Absicht des Gesetzgebers, den Tatbestand des Art. 15 Buchst. c der Qualifikationsrichtlinie und damit auch das Erfordernis willkürlicher Gewalt in vollem Umfang in nationales Recht umzusetzen (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 - 10 C 4.09 -, a.a.O. und juris, Rn. 32). Von willkürlicher Gewalt ist auszugehen, wenn sich die in Frage stehende Gewalt auf Personen ungeachtet ihrer persönlichen Situation erstrecken kann (vgl. EuGH, Urteil vom 17. Februar 2009, Rn. 34).

47

Hiernach ist dann ein besonders hohes Maß willkürlicher Gewalt erforderlich, wenn keine persönlichen gefahrerhöhenden Umstände vorliegen. Liegen solche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt. Zu den gefahrerhöhenden Umständen gehören solche persönlichen Besonderheiten, die den Rückkehrer von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, wie etwa eine berufliche Verpflichtung, sich in Gefahrennähe aufzuhalten. Hierzu können aber auch persönliche Umstände gerechnet werden, wie etwa die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion oder Ethnie, aufgrund derer der Betroffene zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte ausgesetzt ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 - 10 C 4.09 -, a.a.O. und juris, Rn. 33; Urteil vom 17. November 2011 – 10 C 13/10 −, juris Rn. 18). Bei der Feststellung, ob eine entsprechende individuelle erhebliche Gefahr gegeben ist, ist eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits erforderlich, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden. Weiterhin bedarf es einer wertenden Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen bei der Zivilbevölkerung (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 - 10 C 4.09 -, a.a.O. und juris, Rn. 33). Die entsprechende Gefahr muss dem Betroffenen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. November 2011, a.a.O. juris Rn. 20). Was die im Rahmen der Gesamtbetrachtung zu berücksichtigende quantitative Beurteilung angeht, hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 17. November 2011 (- 10 C 13/10 -, juris Rn. 22 f.) das Risiko, bei innerstaatlichen Auseinandersetzungen mit einer Wahrscheinlichkeit von 1 : 800 verletzt oder getötet zu werden, als für die Annahme einer individuellen Gefahr keinesfalls hinreichend angesehen.

48

(2) Trotz der insgesamt kritischen Situation in der Provinz Ghazni ist anhand dieser Kriterien nicht von einer solchen Gefahrendichte auszugehen, dass jede Zivilperson, die aus dem Ausland zurückkehrt allein durch ihre Anwesenheit einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre.

49

Die Provinz Ghazni weist eine Einwohnerzahl von etwa 1,1 Mio. Menschen auf. Ihre Bevölkerungsdichte beträgt 49 Einwohner pro km² (vgl. D-A-CH-Kooperation Asylwesen Deutschland – Österreich - Schweiz, Sicherheitslage in Ghazni und Nangarhar, März 2011). Die Zahl der Angriffe Aufständischer belief sich im Jahr 2010 auf 1.540, womit Ghazni die Provinz in Afghanistan war, in der sich die meisten Angriffe ereigneten. 2009 ereigneten sich lediglich 461 Angriffe (vgl. D-A-CH-Kooperation Asylwesen Deutschland – Österreich - Schweiz, Sicherheitslage in Ghazni und Nangarhar, März 2011). Für 2011 ist von 1679 Vorfällen dieser Art auszugehen (ANSO, Quaterly Data Report, 4/2011, Januar 2012). Was die Zahl der Todesopfer angeht, so liegen keine allein auf Ghazni beschränkten Zahlen vor. Indessen wird die Zahl der zivilen Todesopfer in den vier südöstlichen Provinzen Ghazni, Paktia, Paktika und Khost mit 513 für das Jahr 2010 angegeben (vgl. Auskunft des UNHCR an das OVG Rheinland-Pfalz vom 11. November 2010). Alle vier Provinzen zusammengenommen weisen eine Einwohnerzahl von etwa 2,6 Mio. auf (Paktia: 550.000 - Militärgeschichtliches Forschungsamt, Stellungnahme aus 2009, Paktia und Kundus; Paktika: 438.000 - Wikipedia; Khost: 546.000 - Wikipedia). Die Zahl der Verletzten lässt sich nicht unmittelbar ermitteln. Allerdings zeigt sich, dass in Afghanistan insgesamt bei innerstaatlichen bewaffneten Auseinandersetzungen in den Jahren 2009 bis 2011 der Anteil der Verletzten etwa das 1 ½-fache der Zahl der Todesopfer betrug (UNAMA, Annual Report 2011, Februar 2012). Hiernach dürfte die Gesamtzahl der Opfer in den vier Provinzen auf weniger als 1.500 einzuschätzen sein.

50

Für die Lage in Ghazni bedeutet dies, dass zwar eine hohe Zahl von Anschlägen festzustellen ist. Statistisch entfällt etwa ein Anschlag auf 700 Einwohner. Allerdings führt nicht jeder Anschlag zu Opfern in der Zivilbevölkerung. Vielmehr entfällt in den vier südöstlichen Provinzen ein Todesfall in der Zivilbevölkerung auf etwa 5.000 Einwohner. Die Wahrscheinlichkeit, als Toter oder Verletzter Opfer eines bewaffneten Konflikts zu werden, trifft einen von etwa 1.800 Einwohnern. Auch die vergleichsweise dünne Besiedlung Ghaznis trägt dazu bei, dass das Risiko des Einzelnen, von einem Vorfall betroffen zu werden, geringer ausgeprägt ist als im großstädtischen Bereich.

51

Angesichts dieser Gesamtsituation wirkt es sich auch nicht zugunsten der Betroffenen aus, dass die medizinische Versorgungslage in Afghanistan – insbesondere in ländlichen Bereichen − weiterhin als unzureichend angesehen werden muss und ein Zugang zu Gesundheitseinrichtungen nicht gewährleistet ist (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes, Januar 2012; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update vom 23. August 2011). Vielmehr lässt sich schon allein anhand der Gefahrendichte feststellen, dass sich nicht für jeden Rückkehrer allein wegen seines Aufenthaltes in der Provinz eine ernsthafte individuelle Bedrohung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ergibt (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. November 2011, a.a.O., juris Rn. 23).

52

bb. Dem Kläger kommt indessen die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie zugute. Denn er war vor seiner Ausreise aus Afghanistan unmittelbar als Zivilperson einer ernsthaften individuellen Bedrohung von Leib und Leben im Rahmen eines innerstaatlichen Konfliktes ausgesetzt.

53

(1) Nach der gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG bei der Feststellung von Abschiebungsverboten zu berücksichtigenden Regelung des Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie ist die Tatsache, dass ein Betroffener bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht vor Verfolgung begründet ist oder dass er tatsächlich Gefahr läuft, einen ernsthaften Schaden zu erleiden. Dies ist nur dann nicht der Fall, wenn stichhaltige Gründe dagegen sprechen, dass der Betroffene erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird.

54

Mit dieser Bestimmung bleibt der Wahrscheinlichkeitsmaßstab für die Annahme einer drohenden Beeinträchtigung durch den innerstaatlichen bewaffneten Konflikt unverändert. Zugunsten des Betroffenen ist indessen von einer widerleglichen Vermutung auszugehen, dass er bei einer Rückkehr in sein Heimatland in vergleichbarer Weise mit Verfolgung oder dem Eintritt eines ernsthaften Schadens zu rechnen hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 - 10 C 5.09 -, BVerwGE 136, 377 und juris, Rn. 22 f.).

55

(2) Nach der im Kern glaubhaften Schilderung des Klägers in der mündlichen Verhandlung am 21. März 2012 war er in seinem Heimatdorf im Jahre 1998 unmittelbar davon bedroht, durch einen innerstaatlichen bewaffneten Konflikt in seiner körperlichen Unversehrtheit oder seinem Leben ernsthaft beeinträchtigt zu werden. Hierzu führte er an, dass das Dorf, in dem er gelebt habe, im Jahre 1998 von den Taliban angegriffen worden sei. Absicht der Taliban sei es damals gewesen, den Stamm der Hazara zu vernichten. Der Angriff sei so verlaufen, dass zunächst das Artilleriefeuer in benachbarten Dörfern zu hören gewesen sei. Hierauf seien Frauen und Kinder in umliegende Berghöhlen verbracht worden. Auch er habe zu den Personen gehört, die das Dorf verlassen hätten. Die Ortschaft sei von den Taliban mit Raketenwerfern beschossen worden. Durch den Angriff sei etwa die Hälfte des Ortes beschädigt worden. Die Taliban hätten das Dorf eingenommen. Es seien auch zahlreiche Männer aus dem Dorf bei diesem Angriff ums Leben gekommen. Er habe daraufhin unter Mithilfe eines Freundes seines Vaters den Entschluss gefasst, Afghanistan zu verlassen. Hierzu habe er sich nach diesem Vorfall noch etwa fünf bis sechs Monate in Afghanistan aufgehalten.

56

Der Kläger schilderte insoweit in plastischer Weise und nachvollziehbar einen Lebenssachverhalt, den er im Kern während seines gesamten Asylverfahrens, seit dem Jahre 2003 entsprechend wiedergegeben hatte. Schon in seiner ersten Anhörung durch die Beklagte war die Rede davon, dass es nach dem Tod seines Vaters im Jahre 1998 zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den Hazara auf der einen und Paschtunen sowie den Taliban auf der anderen Seite gekommen sei und dass er unmittelbar von einem Granatangriff betroffen gewesen sei. Auch in seiner gerichtlichen Anhörung vom 16. Februar 2011 gab er an, dass sein Heimatort von den Taliban mit Granaten und Artillerie beschossen worden sei. Er selbst habe eine Verletzung an der Hüfte durch eine Granate erlitten. Auch das Haus der Familie sei bei dem Granatangriff beschädigt worden. Insgesamt war der Darstellung des Klägers die lebensnahe Schilderung des Ablaufs eines Artillerieangriffs aus Sicht eines Betroffenen zu entnehmen.

57

Die Angaben finden im Übrigen ihre Bestätigung durch die vom Gericht zur Frage einer innerstaatlichen bewaffneten Auseinandersetzung eingeholten Auskünfte. So führte das Auswärtige Amt in seiner Auskunft vom 1. November 2011 aus, dass die Provinz Ghazni im Januar 1995 von den Taliban erobert worden sei. Nachdem diese seit Mitte 1996 nahezu landesweit die Regierungsgewalt übernommen gehabt hätten, hätten sie 1997 damit begonnen, die westlichen, südlichen und östlichen Zugänge zum Hazara-Gebiet, dem Hazaryat, zu blockieren. Dies habe 1998/1999 zu einer Hungersnot geführt, die auch die von Hazara bewohnten Teile der Provinz Ghazni betroffen habe. Dabei sei es zu teils heftigen Kämpfen zwischen Taliban und bewaffneten Hazara-Gruppierungen gekommen. Auch die Heimatregion des Klägers sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Schauplatz derartiger bewaffneter Auseinandersetzungen gewesen. Genaue Opferzahlen könnten nicht genannt werden, jedoch sei die Bevölkerungsgruppe der Hazara in besonderer Weise von diesen Auseinandersetzungen tangiert gewesen. Eine entsprechende Schilderung der Verhältnisse findet sich auch in der Auskunft des UNHCR vom 11. November 2011. Auch hierin wird darauf hingewiesen, dass es in den Jahren 1998 bis 2000 zu schweren Auseinandersetzungen zwischen den Taliban und der Nordallianz gekommen sei, zu der auch die wesentlich von Hazara getragene Partei Hezb-e Wahdat gehört habe. Folge hiervon seien auch Opfer unter der Zivilbevölkerung gewesen. Bei der Eroberung der Stadt Mazar-i Sharif sei es im August 1998 beispielsweise zu Massentötungen von etwa 4.000 Zivilisten, vorwiegend Angehörige der Volksgruppe der Hazara, gekommen. Die Volksgruppe der Hazara sei in den Jahren 1998 bis Anfang 2001, insbesondere was ihre männlichen Angehörigen angeht, das Ziel systematischer Tötungen gewesen. Zum damaligen Zeitpunkt sei die Kontrolle über die Region zwischen Taliban und Hezb-e Wahdat ständig gewechselt. Hiernach ist aber davon auszugehen, dass die Hazara-Gebiete und insbesondere die Herkunftsregion des Klägers Schauplatz eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG gewesen sind. Hierbei spricht bereits die Darstellung in den zitierten Auskünften dafür, dass sich insoweit eine Gefahrendichte ergab, aus der bereits auf eine individuelle ernsthafte Bedrohung der Bewohner des Gebietes geschlossen werden kann. Jedenfalls lässt sich der Darstellung des Klägers zu seinem individuellen Schicksal entnehmen, dass er im Rahmen dieses Konfliktes einer ernsthaften Bedrohung ausgesetzt war, so dass insoweit eine Vorverfolgung angenommen werden kann.

58

(3) Hinsichtlich der bei dem Kläger vor seiner Ausreise aus Afghanistan festzustellenden Vorschädigung kann auch ein innerer Zusammenhang zu der befürchteten zukünftigen Beeinträchtigung festgestellt werden (vgl. zu diesem Erfordernis: BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 - 10 C 4.09 -, a.a.O. und juris, Rn. 31; Urteil vom 27. April 2010 - 10 C 5.09 -, a.a.O. und juris, Rn. 21; Urteil vom 17. November 2011, a.a.O., juris, Rn. 21). Ein derartiger Zusammenhang kann dann nicht mehr angenommen werden, wenn der vor der Ausreise erlittene oder damals drohende Schaden keinerlei Verknüpfung mehr zu der befürchteten künftigen Schädigung aufweist oder wenn die Vorschädigung ohne Einfluss auf den späteren Entschluss zum Verlassen des Heimatlandes gewesen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Februar 1997 - 9 C 9.96 -, BVerwGE 104, 97 und juris, Rn. 16).

59

Im Falle des Klägers besteht ein derartiger Zusammenhang. Die derzeitigen bewaffneten Auseinandersetzungen gehen maßgeblich von den Taliban aus, so dass die Grundkonstellation des Konflikts aus den Jahren 1998 bis 2000 im Wesentlichen erhalten geblieben ist (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das OVG Rheinland-Pfalz vom 1. November 2011). Auch in zeitlicher Hinsicht bestand ein innerer Zusammenhang zwischen der Vorschädigung des Klägers und seiner Ausreise. Nach seiner glaubhaften Darstellung in der mündlichen Verhandlung hat der Kläger unmittelbar nach dem Raketenangriff sein Heimatdorf mit der Absicht verlassen, aus Afghanistan auszureisen.

60

cc. Greift hiernach im Falle des Klägers die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie, so sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, die diese Vermutung widerlegen könnten. Weder aus der Schilderung seines Verfolgungsschicksals noch aus den nach der Auskunftslage bestehenden allgemeinen Verhältnissen in seiner Heimatregion lassen sich stichhaltige Gründe dafür entnehmen, dass er bei einer Rückkehr in seine Herkunftsregion keiner ernsthaften individuellen Bedrohung seines Lebens oder seiner körperlichen Unversehrtheit ausgesetzt wäre. Schon allein aufgrund der hohen Anzahl der Vorfälle in der Region Ghazni kann eine derartige Gefährdung nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden.

61

c. Schließlich steht dem Kläger bei seiner Rückkehr nach Afghanistan auch keine innerstaatliche Fluchtalternative offen.

62

aa. Nach § 60 Abs. 11 AufenthG findet auf die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG Art. 8 der Qualifikationsrichtlinie Anwendung. Diese Vorschrift bestimmt in ihrem Absatz 1, dass internationaler Schutz versagt werden kann, sofern in einem Teil des Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung bzw. keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht und von dem Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil aufhält. Neben der Notwendigkeit, den entsprechenden Landesteil erreichen zu können unterliegt der Zumutbarkeitserwägung des Art. 8 Abs. 2 Qualifikationsrichtlinie das Erfordernis, dass der Betroffene in dem verfolgungsfreien Landesteil eine ausreichende Lebensgrundlage vorfindet und dort das Existenzminimum gewährleistet ist. Dabei ist bei fehlender Existenzgrundlage nicht darauf abzustellen, ob die Lebensverhältnisse im Herkunftsgebiet insgesamt als schlecht zu beurteilen sind. Maßgeblich sind hierfür die allgemeinen Gegebenheiten im Zufluchtsgebiet sowie die persönlichen Umstände des Betroffenen (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Mai 2008 - 10 C 11.07 - in BVerwGE 131, 186 und juris, Rn. 32).Das wirtschaftliche Existenzminimum ist in der Regel dann gewährleistet, wenn es durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und der Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten erlangt werden kann (BVerwG, Urteil vom 01. Februar 2007 - 1 C 24/06 -, NVwZ 2007, 590 und juris Rn. 11). Die Anforderungen an die Sicherung des Existenzminimums gehen damit deutlich über die Vermeidung existenzieller Notlagen in § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinaus.

63

bb. Geht man insoweit davon aus, dass die Hauptstadt Kabul nicht von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt betroffen ist (vgl. VGH BW, Urteil vom 06. März 2012 – A 11 S 3177/11), so kann indessen nicht festgestellt werden, dass für den Kläger dort das Existenzminimum gewährleistet ist.

64

Afghanistan ist durch eine problematische wirtschaftliche Situation geprägt, die zu einer schwierigen Versorgungslage führt. Es ist eines der ärmsten Länder der Welt. Die verbreitete Armut führt landesweit nach wie vor vielfach zu Mangelernährung. Staatliche soziale Sicherungssysteme existieren praktisch nicht. Die soziale Absicherung liegt traditionell bei den Familien- und Stammesverbänden (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 10. Januar 2012). Erwerbsmöglichkeiten sind für einen Großteil der Bevölkerung nur eingeschränkt vorhanden. Die Arbeitslosenrate liegt bei etwa 40 %. Selbst nicht arbeitslose Afghanen erzielen durch ihre Arbeit nur in 13,5 % der Fälle regelmäßige Einkünfte. Etwa 80 % der Bevölkerung sind in der Landwirtschaft tätig. Unproblematisch ist die Situation lediglich für hochqualifizierte Kräfte wie Ingenieure, Finanz- und Verwaltungsfachleute. Wesentlich für die Möglichkeit, seinen Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit sicherzustellen, kommt es auf die Einbindung des Betroffenen in den erweiterten Familien- oder Bekanntenkreis an, der auch das soziale Sicherheitsnetz begründet (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft vom 31. Oktober 2011 an das OVG Rheinland-Pfalz; UNHCR, Auskunft vom 11. November 2011 an das OVG Rheinland-Pfalz; Dr. K. L., Stellungnahme vom 8. Juni 2011 an das OVG Rheinland-Pfalz; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update - Die aktuelle Sicherheitslage vom 23. August 2011).

65

Im Bereich Kabul besteht im Wesentlichen die Möglichkeit, als Bauarbeiter tätig zu werden (vgl. Auskunft von Dr. B. G. an das OVG Rheinland-Pfalz vom 31. August 2008). Während sich die Arbeitsmarktsituation in den Provinzen deutlich ungünstiger darstellt als in Kabul, drängt andererseits eine zunehmende Zahl von Binnenvertriebenen sowie Zuwanderern aus anderen Landesteilen in die Hauptstadt. Zudem ist im Raum Kabul ein starker Anstieg der Lebenshaltungskosten zu verzeichnen. Hinzu kommt, dass erschwinglicher Wohnraum in Kabul vielfach nicht zur Verfügung steht (vgl. Dr. B. G., Stellungnahme an das OVG Rheinland-Pfalz vom 31. August 2008; UNHCR, Auskunft vom 11. November 2011 an das OVG Rheinland-Pfalz; Dr. K. L., Stellungnahme vom 8. Juni 2011 an das OVG Rheinland-Pfalz).

66

Im Hinblick auf die persönlichen Verhältnisse des Klägers wird man angesichts dieser Ausgangssituation nicht annehmen können, dass sein Existenzminimum bei einer Rückkehr nach Kabul sichergestellt ist. Ihm fehlt die erforderliche Qualifikation, um eine Arbeitsstelle zu finden, die seinen Lebensunterhalt dauerhaft gewährleistet. Hiernach wird er voraussichtlich darauf angewiesen sein, sich als Tagelöhner zu verdingen (vgl. Gutachten von P. R. an das OVG Rheinland-Pfalz vom 15. Januar 2008). Angesichts der hohen Arbeitslosigkeit in Kabul ist nicht gewährleistet, dass es ihm gelingt, mit seiner Erwerbstätigkeit das für seinen Lebensunterhalt unbedingt Notwendige jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten dauerhaft zu erwirtschaften. Auch ergeben sich keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger seinen Lebensunterhalt durch Zuwendungen von Verwandten oder die Unterstützung seines Clans bestreiten kann. Staatliche Hilfen oder die Versorgung durch Nichtregierungsorganisationen stehen als verlässliche Grundlage für die Beschaffung des zum Leben Notwendigen ebenfalls nicht in erforderlichem Umfang zur Verfügung. Hiernach kann dahinstehen, inwieweit die gemäß Art. 8 Abs. 2 der Qualifikationsrichtlinie zu berücksichtigenden allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftslandes möglicherweise oberhalb der Schwelle des Existenzminimums den Zumutbarkeitsmaßstab prägen (BVerwG, Urteil vom 29. Mai 2008, a.a.O. und juris, Rn. 35 m.w.N.).

67

Liegen hiernach die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vor, so erübrigt sich das Eingehen auf ein nationales Abschiebungsverbot in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 und Satz 3 AufenthG, das gegenüber den unionsrechtlichen Abschiebungsverboten subsidiär ist.

68

Dringt der Kläger insgesamt mit seinem Begehren im Berufungsverfahren durch, so bedurfte es keiner Entscheidung über seine hilfsweise gestellten Vorlage- und Beweisanträge.

69

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83 b AsylVfG nicht erhoben.

70

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten bestimmt sich nach § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

71

Die Revision war nicht zuzulassen, da keine der hierfür in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegen.


Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 19. Dezember 2006 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Koblenz abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten beider Rechtszüge zu tragen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Der am … in Mazar-i Sharif geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger tadschikischer Volkszugehörigkeit. Er begehrt die Verpflichtung der Beklagten zu der Feststellung, dass in seinem Fall die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 AufenthG vorliegen.

2

Nachdem er nach eigenen Angaben am 31. März 2004 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland eingereist war, beantragte er unter dem 7. April 2004, als Asylberechtigter anerkannt zu werden.

3

Zur Begründung seines Asylbegehrens führte er in seiner Anhörung vom 20. April 2004 an, dass er gemeinsam mit seiner Schwester und seiner Mutter in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sei. Sein Vater sei etwa eine Woche vor der Ausreise verstorben. Der Kläger habe die Koranschule besucht und danach im Geschäft des Vaters mitgearbeitet. Dieser sei Teppichhändler gewesen. Die Familie habe sich in einer guten wirtschaftlichen Lage befunden. Vor der Ausreise habe sein Vater allerdings etwa 60.000 Dollar Schulden gehabt. Die Gläubiger hätten die Familie bedroht. Grund für die Schulden sei gewesen, dass drei Ladungen Teppiche auf dem Weg nach Pakistan gestohlen worden seien. Ein Freund seines Vaters habe die Ausreise organisiert. Hierzu habe der Kläger aus dem Haus der Familie Geld geholt, das dort versteckt gewesen sei. An den Schlepper habe die Familie 20.000 Dollar bezahlt. Die Verwandten des Klägers lebten in Deutschland oder der Türkei.

4

Mit Bescheid vom 15. November 2005 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Klägers als Asylberechtigter ab und stellte fest, dass in seinem Fall die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 sowie des § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen. Sie forderte den Kläger zur Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland auf und drohte ihm die Abschiebung nach Afghanistan an.

5

Am 1. Dezember 2005 hat der Kläger Klage erhoben, die er auf die Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beschränkt hat.

6

Mit Urteil vom 19. Dezember 2006 hat das Verwaltungsgericht die Beklagte zu der Feststellung verpflichtet, dass im Falle des Klägers die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Afghanistan vorliegen und den Bescheid der Beklagten vom 15. November 2005 insoweit aufgehoben, als er dieser Feststellung entgegensteht. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht darauf abgestellt, dass der Kläger bei einer Rückkehr in sein Heimatland wegen der dortigen unzureichenden Versorgungslage einer extremen Gefahr ausgesetzt wäre.

7

Zur Begründung ihrer vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Berufung hat die Beklagte angeführt, dass die vom Verwaltungsgericht angenommene extreme Gefahrenlage nicht vorliege. Die Sicherheits- und Versorgungslage insbesondere im Raum Kabul sei nicht derart schlecht, dass der Kläger bei einer Rückkehr dorthin gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde. Für einen jungen, gesunden und arbeitsfähigen Mann wie den Kläger sei davon auszugehen, dass er im Raum Kabul eine vergleichsweise stabile Existenz sichern könne.

8

Der Kläger ist der Berufung unter Verweis auf die Begründung des verwaltungsgerichtlichen Urteils entgegengetreten.

9

Mit Urteil vom 6. Mai 2008 hat das Oberverwaltungsgericht die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es angeführt, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan in hinreichender zeitlicher Nähe in einen unausweichlich lebensbedrohlichen Zustand geraten würde. Er könne seinen Lebensunterhalt weder aus eigener Kraft noch durch Zuwendungen Dritter bestreiten. Auch ein Zugang zu medizinischer Versorgung sei nahezu ausgeschlossen. Insoweit gerate er zwangsläufig in einen fortschreitenden Prozess körperlichen Verfalls mit lebensbedrohlichen Folgen.

10

Auf die Revision der Beklagten hat das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 29. Juni 2010 – 10 C 9.09 − die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

11

Die Beklagte führt im weiteren Verfahren ergänzend aus, dass im Falle des Klägers auch kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG anzuerkennen sei. Im Herkunftsgebiet des Klägers, dem Bereich um die Stadt Mazar-i Sharif könne nicht von dem Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgegangen werden. Zudem sei angesichts der Strukturen in der afghanischen Gesellschaft damit zu rechnen, dass der Kläger Unterstützung durch einen Stammes- oder Familienverband finden werde.

12

Die Beklagte beantragt,

13

unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 19. Dezember 2006 die Klage insgesamt abzuweisen.

14

Der Kläger beantragt,

15

die Berufung mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass vorrangig das Vorliegen eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungshindernisses festgestellt wird.

16

Er ist der Auffassung, dass die eingeholten Gutachten die Einschätzung des Oberverwaltungsgerichts in seinem Urteil vom 6. Mai 2008 bestätigten. Er laufe Gefahr, bei einer Rückkehr in sein Heimatland an Mangelernährung zu sterben.

17

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung von Gutachten der Sachverständigen P. R., Dr. B. G. sowie Dr. K. L. und durch Einholung einer amtlichen Auskunft des Auswärtigen Amtes. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.

18

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, die Verwaltungsakte sowie die in das Verfahren eigeführten Erkenntnismittel verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe

19

Die zulässige Berufung hat Erfolg.

20

Die Klage ist in vollem Umfang abzuweisen.

21

Dem Kläger steht weder ein Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG zu, noch sind in seinem Fall die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG gegeben.

22

1. In die Entscheidung des Senates waren – worauf bereits das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil hingewiesen hat – die Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG vorrangig vor dem Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, zu dessen Feststellung das Verwaltungsgericht die Beklagte verpflichtet hat, einzubeziehen.

23

Die unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbote, zu denen neben § 60 Abs. 2 und 3 AufenthG auch § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG gehört und deren Grundlagen sich aus Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes - Qualifikationsrichtlinie – ergeben, sind mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union - Richtlinienumsetzungsgesetz - (BGBl. I 2007, 1970) im August 2007 Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Ablehnungsbescheid der Beklagten – wie hier − sämtliche zielstaatsbezogenen ausländerrechtlichen Abschiebungsverbote erfasst und der Kläger die unionsrechtlichen Abschiebungsverbote in sein Verfahren einbezogen hat. Die unionsrechtlichen Abschiebungsverbote bilden einen eigenständigen, vorrangig vor den nationalen Abschiebungsverboten zu prüfenden Streitgegenstand (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 – 10 C 4/09 ─, BVerwGE 136, 360 und juris, Rn. 16; Urteil vom 29. Juni 2010 - 10 C 10.09 -, BVerwGE 137, 226 und juris, Rn. 6).

24

2. Im Falle des Klägers liegen indessen die Voraussetzungen eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbotes nicht vor.

25

a. Was die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 2 oder 3 AufenthG angeht, so hat sich der Kläger nicht hierauf berufen. Es ergeben sich auch ansonsten keine Hinweise darauf, dass er bei seiner Rückkehr der Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung sowie der Gefahr der Todesstrafe ausgesetzt wäre. Soweit er die Befürchtung geäußert hat, er könne von den Gläubigern seines Vaters misshandelt werden, kann es – ungeachtet der Frage, wie derartige Übergriffe Privater rechtlich einzuordnen sind – nicht als beachtlich wahrscheinlich angesehen werden, dass der Aufenthaltsort des Klägers bei einer Rückkehr von diesen Personen ermittelt und er von ihnen aufgegriffen werden kann.

26

b. Auch die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG liegen nicht vor.

27

aa. Nach dieser Vorschrift ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist.

28

Im Falle des Klägers kann dahinstehen, ob in seiner Herkunftsregion, der Provinz Balkh, ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne dieser Vorschrift vorliegt. Denn jedenfalls kann nicht festgestellt werden, dass er infolge eines solchen Konfliktes einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt wäre. Eine mögliche bewaffnete Auseinandersetzung erreicht in der Provinz Balkh keine solche Gefahrendichte, dass sich aus der allgemeinen Lage bereits eine individuelle ernsthafte Bedrohung für jede Person ergibt, die sich dort aufhält.

29

bb. Was eine sich im Rahmen einer allgemeinen Gefahrenlage bestehende Bedrohung angeht, so ist § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG zunächst richtlinienkonform dahin auszulegen, dass der bei Vorliegen des subsidiären Schutzes nach Art. 15 Buchst. c der Qualifikationsrichtlinie, der durch § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG in nationales Recht umgesetzt wurde, keine Sperrwirkung entfaltet. Der Betroffene muss sich bei einer allgemeinen Gefahr nicht mit der in § 60 a Abs. 1 AufenthG vorgesehenen Aussetzung der Abschiebung zufriedengeben, da ihm nach Art. 24 Abs. 2 der Qualifikationsrichtlinie ein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zusteht (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2008 - 10 C 43.07 -, BVerwGE 131, 191 und juris, Rn. 31).

30

cc. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit dann anzunehmen, wenn der Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht hat, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das Land oder die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften Bedrohung ausgesetzt zu sein. Mit einer solchen Auslegung wird dem Erwägungsgrund 26 der Qualifikationsrichtlinie Rechnung getragen, wonach Gefahren, denen die Bevölkerung oder eine Bevölkerungsgruppe allgemein ausgesetzt ist, für sich genommen normalerweise keine individuelle Bedrohung darstellen. Hiernach verlangt eine dennoch erfolgende Berücksichtigung eine Ausnahmesituation mit einem hohen Gefahrengrad. Hingegen kann der zur Gewährung subsidiären Schutzes erforderliche Grad willkürlicher Gewalt umso geringer sein, je mehr der Betroffene zu belegen vermag, dass er aufgrund von in seiner persönlichen Situation innewohnenden Umstände in besonderem Maße hierdurch betroffen ist (vgl. EuGH, Urteil vom 17. Februar 2009 - Rechtssache C-465/07 Elgafaji, Rn. 35 bis 39).

31

Für die Annahme einer entsprechenden Bedrohung ist dabei auch nach nationalem Recht erforderlich, dass sie durch willkürliche Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen Konfliktes ausgelöst wird. Das entsprechende Tatbestandsmerkmal von Art. 15 Buchst. c der Qualifikationsrichtlinie ist auch Bestandteil der gesetzlichen Regelung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG geworden. Wie sich der Begründung des Regierungsentwurfs zu diesem Gesetz entnehmen lässt (BT-Drs. 16/5065, S. 187), war es Absicht des Gesetzgebers, den Tatbestand des Art. 15 Buchst. c der Qualifikationsrichtlinie und damit auch das Erfordernis willkürlicher Gewalt in vollem Umfang in nationales Recht umzusetzen (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 - 10 C 4.09 -, a.a.O. und juris, Rn. 32). Von willkürlicher Gewalt ist auszugehen, wenn sich die in Frage stehende Gewalt auf Personen ungeachtet ihrer persönlichen Situation erstrecken kann (vgl. EuGH, Urteil vom 17. Februar 2009, a.a.O., Rn. 34).

32

Hiernach ist dann ein besonders hohes Maß willkürlicher Gewalt erforderlich, wenn keine persönlichen gefahrerhöhenden Umstände vorliegen. Liegen solche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt. Zu den gefahrerhöhenden Umständen gehören solche persönlichen Besonderheiten, die den Rückkehrer von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, wie etwa eine berufliche Verpflichtung sich in Gefahrennähe aufzuhalten. Hierzu können aber auch persönliche Umstände gerechnet werden, wie etwa die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion oder Ethnie, aufgrund derer der Betroffene zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte ausgesetzt ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 - 10 C 4.09 -, a.a.O. und juris, Rn. 33; Urteil vom 17. November 2011 – 10 C 13/10 −, juris Rn. 18). Beschränkt sich ein bewaffneter Konflikt auf einzelne Landesteile, so kommt eine individuelle Bedrohung in der Regel nur in Betracht, wenn der Konflikt sich auf die Herkunftsregion des Betroffenen erstreckt, in die er typischerweise zurückkehren muss. Bei der Feststellung, ob eine entsprechende individuelle erhebliche Gefahr gegeben ist, ist eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, erforderlich, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden. Weiterhin bedarf es einer wertenden Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen bei der Zivilbevölkerung (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 - 10 C 4.09 -, a.a.O. und juris, Rn. 33). Die entsprechende Gefahr muss dem Betroffenen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. November 2011, a.a.O., juris Rn. 20). Was die im Rahmen der Gesamtbetrachtung zu berücksichtigende quantitative Beurteilung angeht, hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 17. November 2011 (- 10 C 13/10 -, juris Rn. 22 f.) das Risiko, bei innerstaatlichen Auseinandersetzungen mit einer Wahrscheinlichkeit von 1 : 800 verletzt oder getötet zu werden, als für die Annahme einer individuellen Gefahr keinesfalls hinreichend angesehen.

33

dd. Nach diesen Kriterien ist der Kläger aufgrund der allgemeinen Situation in seiner Herkunftsprovinz keiner individuellen Bedrohung ausgesetzt.

34

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist insgesamt dadurch gekennzeichnet, dass es landesweit in unterschiedlicher Intensität zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen afghanischen Regierungstruppen und der unter Führung der NATO operierenden internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe (ISAF) auf der einen sowie den Taliban und anderen bewaffneten Gruppen auf der anderen Seite kommt. Das Land ist durch eine andauernde Instabilität geprägt. Insgesamt ist in den Jahren 2010 und 2011 eine Verschlechterung der Sicherheitslage festzustellen. Die Zahl der Anschläge hat sich im Jahr 2010 im Vergleich zum Vorjahr um 65 % erhöht. Während nach wie vor ein Schwerpunkt der sicherheitsrelevanten Zwischenfälle im Land in den südlichen und südöstlichen Regionen festzustellen ist, lässt sich gleichzeitig eine stärkere geografische Verteilung entsprechender Vorfälle konstatieren (vgl. UNHCR, Gutachten vom 11. November 2011 an das OVG Rheinland-Pfalz; ders., Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylbewerber vom 21. März 2011; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update - Die aktuelle Sicherheitslage vom 23. August 2011). Die für das Jahr 2010 genannte Zahl getöteter Zivilpersonen schwankt in einzelnen Quellen zwischen 2.428 (amnesty international, Report 2011 Afghanistan vom 18. August 2011) und 2.777 (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update - Die aktuelle Sicherheitslage vom 23. August 2011). Landesweit ist im 1. Halbjahr 2011 ein Anstieg der Zahl der getöteten Zivilsten um 15 % festzustellen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update - Die aktuelle Sicherheitslage vom 23. August 2011). Für das gesamte Jahr 2011 wird eine Zahl von 3021 ziviler Todesopfer genannt (United Nations Assistance Mission in Afghanistan – UNAMA, Annual Report 2011, Februar 2012), so dass erneut von einem beträchtlichen Anstieg auszugehen ist. Die Zahl der im Land insgesamt gemeldeten Angriffe bewaffneter oppositioneller Gruppierungen belief sich im Jahr 2011 auf 13.983 (The Afghanistan NGO Safety Office – ANSO, Quaterly Data Report Q.4 2011, Januar 2012).

35

Demgegenüber zeigt sich in der Provinz Balkh durch die Anwesenheit internationaler Organisationen und Militärs ein vergleichsweise sicheres Umfeld. Als problematisch hat sich in den vergangenen Jahren eher die hohe Kriminalitätsrate erwiesen. Die Situation in dieser Region wird als vergleichsweise friedlich eingeschätzt. Sie gehört zu den Provinzen, die in den zurückliegenden Jahren vom Konflikt am wenigsten betroffen waren (D-A-CH Kooperation Asylwesen Deutschland – Österreich – Schweiz, Sicherheitslage in Afghanistan, Juni 2010). War in den Jahren 2009 und 2010 im Verantwortungsbereich des Regionalkommandos Nord, zu dem auch die Provinz Balkh gehört und das in der Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif seinen Sitz hat, ein signifikanter Anstieg der Auseinandersetzungen festzustellen, kam es im ersten Halbjahr 2011 wieder zu einem Rückgang der Übergriffe um 50 %. Dabei ist es den afghanischen Sicherheitskräften und den ISAF-Einheiten gelungen, in den Regionen Kundus und Nord-Baghlan die regierungsfeindlichen Kräfte weitgehend aus ihren traditionellen Hochburgen zu verdrängen. Auch in den nordwestlichen Provinzen und damit in Balkh konnten – wenn auch nicht in diesem Ausmaß − militärische Fortschritte erzielt werden (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 10. Januar 2012). Mit diesem Vorgehen dürfte auch der seit 2008 feststellbaren und als problematisch angesehenen Infiltration des Nordens Afghanistans durch regierungsfeindliche Gruppierungen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update Die aktuelle Sicherheitslage vom 23. August 2011) entgegengewirkt worden sein. In der Provinz Balkh ereigneten sich im Jahr 2010 183 Angriffe oppositioneller bewaffneter Gruppierungen. Diese Anzahl ging im Jahr 2011 auf 144 zurück (ANSO, Quarterly Data Report, 4/2011, Januar 2012).

36

Bei einer Bevölkerungszahl in der Provinz von 1,2 Mio. Einwohnern, die sich auf 17.000 km² erstreckt (71 Einwohner pro km²; vgl.: D-A-CH-Kooperation Asylwesen Deutschland – Österreich − Schweiz, Sicherheitslage in Afghanistan, Juni 2010), entfiel bei 144 registrierten Anschlägen oppositioneller Gruppierungen ein solcher Vorfall auf etwa 8300 Einwohner. Demgegenüber ereignet sich in Afghanistan insgesamt bei etwa 31 Mio. Einwohnern und 13.983 Übergriffen landesweit (ANSO, Quarterly Data Report, 4/2011, Januar 2012) ein Angriff je 2.200 Einwohner. Wenngleich auf die Region bezogene Opferzahlen nicht ersichtlich sind, so kann doch aus der allgemeinen Einschätzung der Sicherheitslage und der vergleichsweise niedrigen Zahl der Anschläge geschlossen werden, dass nur eine geringe Wahrscheinlichkeit besteht, in einen derartigen Vorfall als Zivilperson einbezogen zu werden und damit einer ernsthaften Gefährdung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit ausgesetzt zu sein.

37

Angesichts dieser Gesamtsituation wirkt es sich auch nicht zugunsten des Klägers aus, dass die medizinische Versorgungslage in Afghanistan – insbesondere in ländlichen Bereichen − weiterhin als unzureichend angesehen werden muss und ein Zugang zu Gesundheitseinrichtungen nicht gewährleistet ist (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes, Januar 2012; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update vom 23. August 2011). Vielmehr lässt sich schon allein anhand der Gefahrendichte feststellen, dass sich nicht für jeden Rückkehrer allein wegen seines Aufenthaltes in der Provinz eine ernsthafte individuelle Bedrohung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ergibt, so dass es insoweit nicht mehr entscheidend darauf ankommt, ob die Folgen einer Verletzung durch eine schnelle und wirksame medizinische Behandlung gemindert werden können (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. November 2011, a.a.O., juris Rn. 23).

38

ee. Besondere persönliche Umstände, die sich gefahrerhöhend auswirkten, sind im Falle des Klägers ebenfalls nicht ersichtlich. Er gehört in seiner Heimatregion der Bevölkerungsmehrheit der Tadschiken an. Soweit der Kläger in seinem Asylverfahren darauf verwiesen hat, dass die Familie von den Gläubigern seines Vaters bedroht worden sei, steht dieser Vorfall in keinem Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen zwischen regierungsfeindlichen Gruppierungen und den Sicherheitskräften sowie den ISAF-Einheiten.

39

3. Kann hiernach auch das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nicht festgestellt werden, so gilt dies gleichermaßen für das gegenüber den unionsrechtlichen Abschiebungsverboten nachrangig zu prüfende nationale Abschiebungsverbot in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 und Satz 3 AufenthG.

40

a. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für ihn eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Nach Satz 3 dieser Regelung sind Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Der Kläger beruft sich indessen im Wesentlichen gerade auf die allgemein ungünstigen Verhältnisse in seinem Heimatland. Bei diesen der Bevölkerung allgemein drohenden Gefahren gilt nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG jedoch der Vorrang einer politischen Leitentscheidung im Wege einer generellen Aussetzung der Abschiebung. Soweit der Kläger daneben auf die Gefahr abstellt, Opfer der Gläubiger seines Vaters zu werden, fehlt es bereits an hinreichenden Anhaltspunkten, dass er als dessen Sohn mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von diesen Personen ausfindig gemacht werden kann.

41

Die nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG bestehende Sperrwirkung ist allerdings im Wege der verfassungskonformen Auslegung dann einzuschränken, wenn der Ausländer bei einer Rückkehr in sein Heimatland eine extreme Gefahrenlage dergestalt zu gewärtigen hätte, dass er gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgesetzt sein würde und die obersten Landesbehörden von der nach § 60 a Abs. 1 AufenthG bestehenden Ermächtigung, die Abschiebung auszusetzen, keinen Gebrauch gemacht haben (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 1995 - 9 C 9.95 -, BVerwGE 99, 324 und juris, Rn. 14; Urteil vom 12. Juli 2001 - 1 C 5.01 -, BVerwGE 115, 1 und juris, Rn. 16; Urteil vom 29. September 2011 - 10 C 24.10 - juris, Rn. 19). Die Gefahrenlage muss landesweit bestehen (VGH BW, Urteil vom 14. Mai 2009 - A 11 S 610/08 -, juris, Rn. 20).

42

Was die für die Abweichung von der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG erforderliche Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahr angeht, so ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes von einem gegenüber dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Die extremen Gefahren müssen dem Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Zudem müssen sich die Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Dies bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert sein würde (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. September 2011, a.a.O., juris, Rn. 15).

43

b. Im Falle des Klägers kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Anforderungen an das Vorliegen einer extremen Gefahrenlage bei einer Rückkehr nach Afghanistan erfüllt sind.

44

Jedenfalls bei einer Rückkehr nach Kabul ist nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit mit seinem alsbaldigen Tod oder schwersten gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu rechnen. Dabei verkennt das Gericht nicht, dass Afghanistan durch eine problematische wirtschaftliche Situation geprägt ist, die zu einer schwierigen Versorgungslage führt. Afghanistan ist eines der ärmsten Länder der Welt. Die verbreitete Armut führt landesweit nach wie vor vielfach zu Mangelernährung. Im Jahr 2011 war die Getreideernte nach überdurchschnittlichen Ernten in den Jahren 2009 und 2010 wieder signifikant niedriger als in den Vorjahren. Staatliche soziale Sicherungssysteme existieren praktisch nicht. Die soziale Absicherung liegt traditionell bei den Familien- und Stammesverbänden. Der IWF rechnet indessen für das laufende afghanische Fiskaljahr mit einem Wachstum von 8 % des Bruttoinlandsproduktes außerhalb des Landwirtschaftssektors. Langfristig rechnen Experten bis zum Jahr 2030 mit einer durchschnittlichen jährlichen Steigerungsrate von 5 % (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 10. Januar 2012), so dass sich mittelfristig die Perspektive einer Besserung der Verhältnisse ergibt. Erwerbsmöglichkeiten sind für einen Großteil der Bevölkerung nur eingeschränkt vorhanden. Die Arbeitslosenrate liegt bei etwa 40 %. Etwa 80 % der Bevölkerung sind in der Landwirtschaft tätig. Selbst nicht arbeitslose Afghanen erzielen durch ihre Arbeit nur in 13,5 % der Fälle regelmäßige Einkünfte. Unproblematisch ist die Situation lediglich für hochqualifizierte Kräfte wie Ingenieure, Finanz- und Verwaltungsfachleute. Für die Möglichkeit, seinen Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit sicherzustellen, kommt es wesentlich auf die Einbindung des Betroffenen in den erweiterten Familien- oder Bekanntenkreis an, der auch das soziale Sicherheitsnetz begründet (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft vom 31. Oktober 2011 an das OVG Rheinland-Pfalz; UNHCR, Auskunft vom 11. November 2011 an das OVG Rheinland-Pfalz; Dr. L., Stellungnahme vom 8. Juni 2011 an das OVG Rheinland-Pfalz; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update - Die aktuelle Sicherheitslage vom 23. August 2011 -).

45

Dem Kläger droht indes auch vor dem Hintergrund der geschilderten allgemeinen Lage in der Hauptstadt Kabul keine extreme Gefahrenlage. Die Lage dort ist durch eine positive Wirtschaftsentwicklung geprägt. Dies führt allerdings dazu, dass sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt wegen der steigenden Zahl der Binnenvertriebenen und der wirtschaftlichen Migration aus anderen Landesteilen weiter verschärft. Weitere Folge dieser starken Zuwanderung aus anderen Landesteilen ist, dass die Lebenshaltungskosten und damit die Kosten für eine Unterkunft bedeutend höher liegen als in anderen Landesteilen (vgl. Gutachterliche Stellungnahme von Dr. K. L. an das OVG Rheinland-Pfalz vom 09. Juni 2011; Gutachten des UNHCR an das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz vom 11. November 2011).

46

Als unwahrscheinlich ist zudem die Option anzusehen, dass der Kläger nach seiner Rückkehr eine Arbeitsstelle findet, die seinen Lebensunterhalt dauerhaft gewährleistet. Vielmehr wird er voraussichtlich darauf angewiesen sein, sich als Tagelöhner zu verdingen (vgl. Gutachten von P. R. an das OVG Rheinland-Pfalz vom 15. Januar 2008). Grundlage hierfür ist insbesondere der Bauboom in der Hauptstadt, der die entsprechenden Möglichkeiten erheblich ausgeweitet hat. Bei der Arbeitssuche kommt überdies der Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppierung in der Hauptstadt, da diese multiethnisch und kosmopolitisch geprägt ist, keine so große Bedeutung zu, wie es in der Provinz der Fall ist (Gutachten von Dr. B. G. an das OVG Rheinland-Pfalz vom 31. August 2008). Insoweit wird der Kläger nicht in gleichem Maße auf die Unterstützung durch seinen Stammes- oder Familienclan angewiesen sein, wie dies in anderen Regionen seines Heimatlandes der Fall wäre.

47

Was die Möglichkeit angeht, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, so ist in seinem Falle weiterhin zu berücksichtigen, dass er alleinstehend ist und daher nicht in der Verantwortung steht, den Unterhalt von Ehefrau oder Kindern gleichfalls sicherzustellen. Hiernach ist aber bereits nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Kläger bei einer Rückkehr in sein Heimatland ohne Unterstützung durch Familien- oder Stammesangehörige nicht in der Lage wäre, durch eine - wenn auch unregelmäßige - Erwerbstätigkeit seinen Lebensunterhalt zumindest in bescheidenem Umfang durch eine Tagelöhnertätigkeit zu erzielen (vgl. Amtliche Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz vom 31. Oktober 2011). Insoweit ergibt sich auch keine ernstliche Verschlechterung der Situation dadurch, dass er sich längere Zeit, nämlich seit dem Jahre 2004, außerhalb seines Heimatlandes aufgehalten hat. Selbst wenn sich hieraus eine Erschwernis bei der Arbeitssuche ergeben sollte (vgl. Amtliche Auskunft des Auswärtigen Amtes an das OVG RP vom 31. Oktober 2011), so besteht jedoch keine Einschränkung der Eignung für einfache körperliche Tätigkeiten. Insoweit sind es gerade junge, kräftige Männer, die am ehesten die Chance haben, sich auf dem Arbeitsmarkt für Tätigkeiten durchzusetzen, bei denen harte körperliche Arbeit gefragt ist (vgl. Gutachten von Dr. Mostafa Danesch an den HessVGH vom 07. Oktober 2010 – Logar). Was den Kläger angeht, kommt hinzu, dass er vor seiner Ausreise im Teppichhandel seines Vaters mitgeholfen und dadurch Erfahrungen im Wirtschaftsleben seines Heimatlandes erworben hat.

48

Auch die allgemeine Versorgungslage in Afghanistan lässt nicht zwingend den Schluss zu, dass der Kläger als alleinstehender junger Mann bei einer Rückkehr mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Zwar ist in Afghanistan etwa ein Drittel der Bevölkerung von Mangelernährung betroffen, die dadurch gekennzeichnet ist, dass den Betroffenen keine ausreichende Nahrung für ein gesundes und aktives Leben zur Verfügung steht (Stellungnahme des UNHCR vom 11. November 2011 an das OVG Rheinland-Pfalz). Dies bedeutet indessen nicht, dass bei diesem Bevölkerungsanteil bereits gesundheitliche Beeinträchtigungen in erheblichem Ausmaß eingetreten sind. Vielmehr wird damit lediglich zum Ausdruck gebracht, dass bei etwa einem Drittel der afghanischen Bevölkerung die Gefahr gesundheitlicher Beeinträchtigung durch Mangelernährung besteht. Die von Frau Dr. T. in der mündlichen Verhandlung vom 06. Mai 2008 geschilderten Folgen der Mangelernährung können in einem solchen Fall eintreten; sie sind aber nicht zwingend. Hinzu kommt, dass es auch bei der Gefahr von Armut und Mangelernährung demographische Risikogruppen gibt. Bei der Definition der Begriffe der absoluten Armut (1 Dollar und weniger pro Tag), von der etwa 36 % der Afghanen betroffen sind, und des Lebens knapp über der Armutsgrenze (2 bis 3 Dollar), das 37 % der afghanischen Bevölkerung führen, wird auf die Verhältnisse einer sechs- bis achtköpfigen Großfamilie abgestellt (vgl. Gutachten von Dr. M. D. an den Hessischen VGH vom 07. Oktober 2010 – Logar). Dies bestätigt aber die Annahme, dass gerade nicht junge, alleinstehende Männer, sondern eher Familien mit mehreren Kindern in besonderem Maße in Afghanistan existentiell gefährdet sind.

49

Da der Kläger nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit der Gefahr ernsthafter gesundheitlicher Beeinträchtigungen ausgesetzt ist, kann bei ihm, der keine Vorerkrankungen dargelegt hat, auch nicht mit einer alsbald nach der Rückkehr drohenden extremen Gefahrenlage allein wegen der – insbesondere in ländlichen Bereichen – unzureichenden medizinischen Versorgungslage in Afghanistan (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes, Januar 2012; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update vom 23. August 2011) gerechnet werden.

50

Insgesamt kann hiernach zwar nicht ausgeschlossen werden, dass der Kläger in seinem Heimatland in eine ernsthafte Gefahrenlage gerät, für deren alsbald nach der Rückkehr erfolgenden Eintritt spricht aber keine hohe Wahrscheinlichkeit.

51

Die Ansicht, dass für junge, männliche afghanische Staatsangehörige, die beruflich nicht besonders qualifiziert sind und nicht auf den Rückhalt von Familie oder Bekannten zurückgreifen können, in Kabul keine extreme Gefahrensituation besteht, wird von der überwiegenden Zahl der Obergerichte geteilt (vgl. VGH BW, Urteil vom 06. März 2012 – A 11 S 610/08 −; BayVGH, Urteil vom 03. Februar 2011 – 13a B 10.30394 −, juris Rn. 37; OVG NW, Urteil vom 19. Juni 2008 – 20 A 4676/06.A −, juris Rn. 68 und Beschluss vom 26. Oktober 2010 – 20 A 964/10.A −, juris Rn. 7; OVG SH, Urteil vom 10. Dezember 2008 – 2 LB 23/08 −, juris Rn. 34; a.A. wohl: HessVGH, Urteil vom 25.08.2011 – 8 A 1659/10.A −, Juris Rn. 93 ).

52

Was einen möglichen Aufenthalt des Klägers in Kabul angeht, so liegen auch in diesem Bereich die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nicht vor. Ausweislich des Lageberichtes des Auswärtigen Amtes vom 10. Januar 2012 kann die Sicherheitslage in Kabul weiterhin als stabil angesehen werden. Zwar hätten sich seit Januar 2011 in der Hauptstadt mehrere spektakuläre Selbstmordanschläge ereignet. Zuvor sei es allerdings über einen Zeitraum von fast 18 Monaten hinweg zu praktisch keinerlei Anschlägen gekommen. Es handelte sich um einzelne spektakuläre Anschläge auf exponierte Ziele (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update - Die aktuelle Sicherheitslage vom 23. August 2011). Insgesamt waren 71 Tote in der Zivilbevölkerung Kabuls zu verzeichnen, wovon 67 Personen Opfer von sechs Selbstmordanschlägen wurden (vgl. UNAMA, Afghanistan, Annual Report 2011, Februar 2012). Diese Umstände sprechen bereits dagegen, in Kabul einen innerstaatlichen bewaffneten Konflikt anzunehmen (vgl. VGH BW, Urteil vom 06. März 2012 – A 11 S 3177/11 −). Jedenfalls ergibt sich aber keine erhebliche Gefahr für jeden Rückkehrer, Opfer einer bewaffneten Auseinandersetzung zu werden. Bei einer Gesamteinwohnerzahl von etwa 3,5 bis 4,5 Mio. Menschen (D-A-CH-Kooperation Asylwesen Deutschland – Österreich – Schweiz, Sicherheitslage in Afghanistan, Juni 2010) und einer Konzentration der Übergriffe auf wenige Vorfälle fehlt es an der erforderlichen Gefahrendichte.

53

Die von der Beklagten verfügte Abschiebungsandrohung findet ihre Rechtsgrundlage in § 34 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 59 AufenthG.

54

Soweit der Kläger sich mit Schriftsatz vom 01. April 2012 an den Senat gewandt hat, bestand kein Anlass, erneut in eine mündliche Verhandlung einzutreten, da er seinen bisherigen Vortrag lediglich konkretisiert hat.

55

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § § 83 b AsylVfG nicht erhoben.

56

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. 708 ff. ZPO.

57

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 19. September 2007 - A 6 K 4738/07 - wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des - gerichtskostenfreien - Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger, ein am 05.02.1986 im Dorf Tschardehi in der Provinz Ghorband/Distrikt Parwan geborener lediger und kinderloser afghanischer Staatsangehöriger sunnitischen Glaubens vom Volk der Tadschiken reiste am 03.10.2003 auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 21.10.2003 stellte er einen Asylantrag mit der Begründung, sein Vater und Bruder sowie zwei Vettern seien im Rahmen eines blutigen Familienstreits um die Verheiratung eines Mädchens ums Leben gekommen. Aus Rache werde der Kläger bis heute von seinen Vettern mit dem Tode bedroht. Seine Mutter und ein Onkel lebten zwischenzeitlich im vom Familiendorf etwa 3 ½ Autostunden entfernten Kabul. Die Ausreise Anfang Oktober 2003 über den Flughafen Kabul sei mit Hilfe von Schleppern gegen Bezahlung von 15.000 US-Dollar gelungen.
Die Beklagte lehnte den Asylantrag des Klägers mit Bescheid des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (heute: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt -) vom 28.10.2003 als offensichtlich unbegründet ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 des Ausländergesetzes - AuslG - offensichtlich nicht vorliegen sowie Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht gegeben sind, und drohte ihm die Abschiebung nach Afghanistan an. Der Bescheid wurde am 11.11.2003 bestandskräftig.
Unter Berufung auf neuere Rechtsprechung zum Vorliegen einer extremen Gefahrenlage in Afghanistan auch für alleinstehende Männer stellte der Kläger am 16.05.2007 einen so genannten Folgeschutzantrag hinsichtlich eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG.
Mit Bescheid vom 16.08.2007 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Änderung des Bescheids vom 28.10.2003 bezüglich der Feststellungen zu § 53 Abs. 1 bis 6 AuslG ab. Die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens seien nicht erfüllt. Weder führe die Zugehörigkeit des Klägers zur Volksgruppe der Tadschiken in Afghanistan zu einer landesweiten Verfolgungsgefahr noch ergebe sich aus der dortigen allgemeinen Versorgungslage eine extreme Gefahrensituation für den Kläger. Jedenfalls in Kabul könne er sein Existenzminimum sichern.
Am 30.08.2007 hat der Kläger unter Bezugnahme auf sein bisheriges Vorbringen beim Verwaltungsgericht Stuttgart Klage erhoben und beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamts vom 16.08.2007 zu der Feststellung zu verpflichten, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG in Bezug auf Afghanistan vorliegen.
Mit Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 19.09.2007 - A 6 K 4738/07 - hat das Verwaltungsgericht die Beklagte zur Feststellung eines Abschiebungsverbot hinsichtlich Afghanistans gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG verpflichtet, insoweit den Bundesamtsbescheid vom 16.08.2007 aufgehoben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung des stattgebenden Teils seines Urteils hat es im Wesentlichen ausgeführt, wegen der in Afghanistan bestehenden unzureichenden Versorgungslage bestehe für den Kläger bei einer Rückkehr dorthin eine extreme Gefahrensituation. Da der Vater des Klägers bereits vor dessen Ausreise aus Afghanistan verstorben sei, müsse davon ausgegangen werden, dass der Kläger in seiner Heimat über keine hinreichenden finanziellen Mittel zur Existenzsicherung verfüge. Bei einer Abschiebung werde er gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert. Zu einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG äußert sich die übrige Begründung des Urteils nicht.
Der Kläger hat keinen Zulassungsantrag gestellt.
Mit ihrer vom erkennenden Gerichtshof mit Beschluss vom 28.02.2008 - A 8 S 2412/07 - zugelassenen Berufung macht die Beklagte geltend, eine extreme Gefahrensituation könne jedenfalls für alleinstehende, arbeitsfähige, männliche afghanische Rückkehrer nicht angenommen werden. Die Versorgungslage in Kabul sei für diese Personengruppe nicht derart schlecht, dass eine Hungerkatastrophe befürchtet werden müsse. Unterstützung gebe es für Rückkehrer durch internationale Organisationen, auch bei der Unterkunftsbeschaffung. In der Berufungsverhandlung hat die Vertreterin der Beklagten klargestellt, der angegriffene Bescheid vom 16.08.2007 sei so zu verstehen, dass das Bundesamt das Verfahren in Bezug auf ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG von Amts wegen wiederaufgegriffen und zur Sache entschieden habe.
Die Beklagte beantragt,
10 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 19. September 2007 - A 6 K 4738/07 - zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
11 
Der Kläger beantragt,
12 
die Berufung zurückzuweisen.
13 
Er trägt im Wesentlichen vor, in Afghanistan heute keinerlei unterstützungsbereite Familienangehörige mehr zu haben; diese seien entweder tot oder geflohen. Aus diesem Grund und wegen der katastrophalen Versorgungssituation in seiner Heimat lägen die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor.
14 
Der Senat hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung am 14.05.2009 informatorisch angehört. Dabei gab er an, seine Heimat wegen einer Familienfehde verlassen zu haben. Sein Vater habe zwei Brüder gehabt, die mit Ehefrauen und vier Söhnen bzw. einer Tochter ebenfalls im Dorf Tschardehi gelebt hätten. Ein Vetter des Klägers habe die Tochter des anderen, verstorbenen Onkels heiraten wollen, was diese jedoch vehement abgelehnt habe. Hierüber sei es zu einem blutigen Streit gekommen, in dessen Rahmen sowohl der Vater des Klägers als auch dessen Bruder zu Tode gekommen seien. Daraufhin seien der Kläger und seine Mutter zu einem Onkel mütterlicherseits nach Kabul geflüchtet, der dort ein Geschäft betrieben habe. Dieser Onkel habe die Mutter versorgt und dem Kläger die Ausreise nach Deutschland organisiert und bezahlt. Die Mutter habe später den gesamten Familienbesitz im Dorf Tschardehi verkauft. Sowohl mit seiner Mutter als auch mit dem Onkel in Kabul habe er bis 2005 Telefonkontakt gehabt. Seine Mutter habe über ein Mobiltelefon verfügt. Im letzten Telefonat sei ihm mitgeteilt worden, dass insbesondere die wirtschaftliche Lage sehr schlecht sei und man beabsichtige, das Land zu verlassen. Dann sei der Kontakt abgerissen. Wo seine Mutter oder sein Onkel oder sonstige Familienangehörigen heute seien, wisse er nicht. Es sei ihm seit 2005 nicht mehr gelungen, irgendeinen Familienkontakt herzustellen. In Deutschland arbeite er seit etwa neun Monaten; zuerst bei einer Leiharbeitsfirma, seit Januar 2009 in einer Pizzeria. Er verdiene derzeit netto ca. 700 EUR monatlich. Seine Mietkosten beliefen sich auf monatlich ca. 200 EUR. Relevante Ersparnisse habe er nicht.
15 
Die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes ergeben sich aus der Gerichtsakte sowie den Verfahrensakten des Bundesamts. Dem Senat liegen des Weiteren die Akte des Verwaltungsgerichts Stuttgart im Verfahren A 6 K 4738/07 sowie die Erkenntnisquellen, die den Beteiligten mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung und in der mündlichen Verhandlung mitgeteilt worden sind, vor. Die beigezogenen Akten und die Erkenntnisquellen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

 
16 
Die zulässige, insbesondere rechtzeitig unter Stellung eines Antrags und unter Bezugnahme auf die ausführliche Begründung des Zulassungsantrags begründete Berufung (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 - NVwZ 2006, 1420 m.w.N.) der Beklagten ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend entschieden, dass der Kläger die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (- Aufenthaltsgesetz -) in der Fassung der Änderung durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.08.2007 (- Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 28.08.2007, BGBl I 1970) beanspruchen kann. Die Zulässigkeit des so genannten Folgeschutzantrags des Klägers vom 16.05.2007 insbesondere hinsichtlich § 51 Abs. 2 und 3 VwVfG bedarf keiner Klärung, weil die Beklagte klargestellt hat, dass das Bundesamt das Verfahren im angefochtenen Bescheid - jedenfalls - in Bezug auf ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG von Amts wegen wiederaufgegriffen und zur Sache entschieden hat.
I.
17 
Das grundsätzlich vorrangige - europarechtlich begründete - Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG i.V.m. Art. 15 c der Qualifikationsrichtlinie 2004/83/EG ist vom Senat im vorliegenden Berufungsverfahren nicht zu prüfen. Zwar ist ein Antrag auf Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG in Bezug auf das Herkunftsland seit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes im Asylprozess sachdienlich dahin auszulegen, dass in erster Linie die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG und hilfsweise die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG begehrt wird (BVerwG, Urteil vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 = NVwZ 2008, 1241). Auch war im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG in seiner heutigen Fassung bereits in Kraft und der Kläger hatte die Feststellung von Abschiebungsverboten „nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG“ beantragt. Das Verwaltungsgericht hat über das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG jedoch - rechtsirrtümlich - nicht entschieden. Da es nach den Urteilsgründen keinerlei Anhaltspunkte dafür gibt, dass das Verwaltungsgericht bewusst nur über einen Teil des Streitgegenstandes entscheiden und den Rest einer späteren Entscheidung vorbehalten wollte, liegt kein Teilurteil im Sinne des § 110 VwGO vor. Das Urteil ist vielmehr bezüglich des nicht erwähnten Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG fehlerhaft. Es verstößt gegen § 88 VwGO, weil es über das europarechtliche Abschiebungsverbot rechtsirrtümlich nicht vorrangig entscheidet. Gemäß § 88 VwGO darf das Gericht einerseits nicht über das Klagebegehren hinausgehen, muss dieses andererseits aber erschöpfen. Das Verwaltungsgericht hat die Eigenständigkeit des Streitgegenstands bzw. abtrennbaren Streitgegenstandsteils des § 60 Abs. 7 Satz 2 VwGO, die das Bundesverwaltungsgericht im Übrigen erstmals mit Urteil vom 24.06.2008 (a.a.O.) rechtsgrundsätzlich geklärt hat, nicht erkannt und diesen Streitgegenstandsteil irrtümlich als nicht rechtshängig angesehen. Damit wäre insoweit ein Urteilsergänzungsverfahren nach § 120 VwGO von vorneherein nicht in Betracht gekommen, weil kein „Übergehen“ im Rechtssinne vorliegt (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.03.1994 - 9 C 529.93 - BVerwGE 95, 269), sondern nur ein Antrag auf Zulassung der Berufung gemäß § 78 Abs. 2 AsylVfG. Der Kläger hat jedoch keinen Zulassungsantrag gestellt und der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung war auf den stattgebenden Teil des angefochtenen Urteils, also das - nationale - Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begrenzt; nur insoweit wurde vom Senat die Berufung zugelassen. Nach dem Verfahrensgrundsatz der Dispositionsmaxime ist der Streitgegenstand des Berufungsverfahrens damit hierauf beschränkt (vgl. §§ 128 Satz 1, 129 VwGO). Mit der rechtskräftigen Abweisung der Klage durch das Verwaltungsgericht im Übrigen ist die Rechtshängigkeit des unbeschieden gebliebenen europarechtlich begründeten Abschiebungsverbots des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG entfallen (ausführlich hierzu: BVerwG, Urteil vom 22.03.1994, a.a.O.). Selbst wenn insoweit von einem Übergehen des Antrags im Sinne des § 120 Abs. 1 VwGO ausgegangen würde, wäre ein Urteilsergänzungsverfahren ausgeschlossen, weil binnen der Zweiwochenfrist des § 120 Abs. 2 VwGO kein entsprechender Antrag gestellt worden ist.
II.
18 
Im für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) besteht zu Gunsten des Klägers ein Abschiebungsverbot hinsichtlich Afghanistans gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Hiernach kann von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn für ihn dort eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Das ist beim Kläger aufgrund der in Afghanistan derzeit vorherrschenden katastrophalen Versorgungslage der Fall.
19 
Allerdings sind Gefahren der die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Denn hinsichtlich des Schutzes vor allgemeinen Gefahren im Zielstaat soll Raum sein für ausländerpolitische Entscheidungen, was die Anwendbarkeit von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG insoweit grundsätzlich sperrt und zwar selbst dann, wenn diese Gefahren den einzelnen Ausländer zugleich in konkreter und individualisierbarer Weise betreffen (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324). Aus diesem Normzweck folgt weiter, dass sich die „Allgemeinheit“ der Gefahr nicht danach bestimmt, ob diese sich auf die Bevölkerung oder bestimmte Bevölkerungsgruppen gleichartig auswirkt, wie das bei Hungersnöten, Seuchen, Bürgerkriegswirren oder Naturkatastrophen der Fall sein kann. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG kann vielmehr auch bei eher diffusen Gefährdungslagen greifen, etwa dann, wenn Gefahren für Leib und Leben aus den allgemein schlechten Lebensverhältnissen (soziale und wirtschaftliche Missstände) im Zielstaat hergeleitet werden. Denn soweit es um den Schutz vor den einer Vielzahl von Personen im Zielstaat drohenden typischen Gefahren solcher Missstände wie etwa Lebensmittelknappheit, Obdachlosigkeit oder gesundheitliche Gefährdungen geht, ist die Notwendigkeit einer politischen Leitentscheidung in gleicher Weise gegeben (vgl. BVerwG, Urteil vom 12.07.2001 - 1 C 5.01 - BVerwGE 115, 1). Für die Personengruppe, der der Kläger angehört, besteht eine solche politische Abschiebestopp-Anordnung gemäß § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG in Baden-Württemberg derzeit nicht (mehr), seit mit Schreiben des Innenministeriums Baden-Württemberg vom 15.04.2005 (geändert am 01.08.2005, vgl. 21. Fortschreibung vom 23.01.2009, Az.: 4-13-AFG/8) in Umsetzung entsprechender Beschlüsse der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder bezüglich der Rückführung afghanischer Staatsangehöriger entschieden wurde, dass „volljährige, allein stehende männliche afghanische Staatsangehörige, die sich zum Zeitpunkt der Beschlussfassung am 24. Juni 2005 noch keine sechs Jahre im Bundesgebiet aufgehalten haben, mit Vorrang zurückzuführen sind“. Im konkreten Einzelfall greift die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG gleichwohl aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht ein.
20 
1. Die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG greift aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht ein, wenn der Ausländer im Zielstaat landesweit einer extrem zugespitzten allgemeinen Gefahr dergestalt ausgesetzt wäre, dass er „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert“ würde (st. Rspr. des BVerwG, s. Urteile vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324 und vom 19.11.1996 - 1 C 6.95 - BVerwGE 102, 249 zur Vorgängerregelung in § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG und Beschluss vom 14.11.2007 - 10 B 47.07 - juris zu § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Damit sind nicht nur Art und Intensität der drohenden Rechtsgutsverletzungen, sondern auch die Unmittelbarkeit der Gefahr und ihr hoher Wahrscheinlichkeitsgrad angesprochen (vgl. BVerwG, Urteil vom 19.11.1996 - 1 C 9.95 - BVerwGE 102, 249). Das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist im Wege einer Gesamtgefahrenschau zu ermitteln (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23.03.1999 - 9 B 866.98 - juris).
21 
Im Fall einer allgemein schlechten Versorgungslage sind insoweit Besonderheiten zu berücksichtigen. Denn hieraus resultierende Gefährdungen entspringen keinem zielgerichteten Handeln, sondern treffen die Bevölkerung gleichsam schicksalhaft. Sie wirken sich nicht gleichartig und in jeder Hinsicht zwangsläufig aus und setzen sich aus einer Vielzahl verschiedener Risikofaktoren zusammen, denen der Einzelne in ganz unterschiedlicher Weise ausgesetzt ist und denen er gegebenenfalls auch ausweichen kann. Intensität, Konkretheit und zeitliche Nähe der Gefahr können deshalb auch nicht generell, sondern nur unter Berücksichtigung aller Einzelfallumstände beurteilt werden (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 13.11.2002 - A 6 S 967/01 - juris). Um dem Erfordernis des unmittelbaren - zeitlichen - Zusammenhangs zwischen Abschiebung und drohender Rechtsgutverletzung zu entsprechen, kann hinsichtlich einer allgemein schlechten Versorgungslage eine extreme Gefahrensituation zudem nur dann angenommen werden, wenn der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr in sein Heimatland in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien kann. Mit dem Begriff „alsbald“ ist dabei einerseits kein nur in unbestimmter zeitlicher Ferne liegender Termin gemeint (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.04.1998 - 9 C 13.97 - NVwZ 1998, 973). Andererseits setzt die Annahme einer extremen allgemeinen Gefahrenlage nicht voraus, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Ankunft im Abschiebezielstaat, eintreten. Eine extreme Gefahrenlage besteht auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert sein würde (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26.01.1999 - 9 B 617.98 - InfAuslR 1999, 265).
22 
2. Diese Voraussetzungen sind im Fall des Klägers gegeben. Denn er gehört zu der Gruppe der beruflich nicht besonders qualifizierten afghanischen Staatsangehörigen, die in ihrer Heimat ohne Rückhalt und Unterstützung durch Familie oder Bekannte sind und dort weder über Grundbesitz noch über nennenswerte Ersparnisse verfügen. Für diese Personengruppe besteht aufgrund der derzeit katastrophalen Versorgungslage bei einer Abschiebung nach Kabul eine extreme Gefahrensituation im dargelegten Sinne (ebenso: OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 06.05.2008 - 6 A 10749/07 - AuAS 2008, 188).
23 
a) Der Kläger wäre bei einer Abschiebung nach Kabul ohne Rückhalt und Unterstützung durch Familie oder Bekannte. In der mündlichen Verhandlung hat er glaubhaft und überzeugend ausgeführt, dass sein Vater und Bruder getötet worden sind, er in seinem Heimatdorf Tschardehi keine Unterstützung erlangen könnte, seine Mutter den Familienbesitz veräußert sowie mit dem Onkel aus Kabul Afghanistan - wohl schon 2005 - verlassen hat und dass seither kein Kontakt mehr zu irgendwelchen Personen in seiner Heimat besteht. Der Senat ist aufgrund des schlüssigen Vortrags des Klägers zudem überzeugt, dass er in Deutschland bisher keine nennenswerten Ersparnisse machen konnte. Der gesamte Vortrag des Klägers ist widerspruchsfrei und fügt sich stimmig in seine dokumentierten Angaben vor dem Bundesamt bei der Erstanhörung am 22.10.2003. Hinreichende Anhaltspunkte für die Annahme, dass der Kläger die Unwahrheit sagt, ergeben sich für den Senat nicht.
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b) Aufgrund der nachfolgend (aa) bis cc)) im Einzelnen dargelegten Erkenntnisse und Wertungen ist der Senat überzeugt, dass der Kläger ohne Ersparnisse, Grundbesitz und Unterstützung durch Familie oder Bekannte bei einer Abschiebung nach Kabul mangels jeglicher Lebensgrundlage unausweichlich dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert wäre. Im Falle der zur Zeit allenfalls nach Kabul tatsächlich möglichen Abschiebung (vgl. AA, Lagebericht vom 03.02.2009, S. 30) müsste er dort mit hoher Wahrscheinlichkeit zunächst mit einem kriminell motivierten Überfall oder einer Entführung rechnen, weil Rückkehrern aus Europa offenbar häufig der Besitz von finanziellen Mitteln unterstellt wird. Da sich die Sicherheitslage auf den Straßen nach und aus Kabul aufgrund der Bürgerkriegssituation schon seit 2007 deutlich verschlechtert hat, wäre dem Kläger ein Ausweichen in andere Landesteile ohne extreme Gefährdung von Leib und Leben nicht möglich; ohnehin verfügt er dort über keine familiäre, tribale oder soziale Vernetzung. In Kabul würde er ohne finanzielle Mittel keinen Wohnraum finden, weil dieser dort knapp und nur zu hohen Preisen erhältlich ist. Der Kläger, der weder eine Schule noch eine Ausbildung durchlaufen hat und nicht über besondere berufliche Qualifikationen verfügt, hätte in Kabul keine Möglichkeit einer legalen Erwerbstätigkeit. Aufgrund der Nahrungsmittelkrise wäre er darauf verwiesen, sich, wenn überhaupt, dauerhaft ausschließlich von Brot und Tee zu ernähren. Dadurch würde er alsbald und unausweichlich in einen fortschreitenden Prozess körperlichen Verfalls mit lebensbedrohlichen Folgen geraten, weil eine hinreichende medizinische Versorgung in Kabul nicht gegeben ist. Der Kläger würde mithin durch eine Abschiebung nach Kabul mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert. Im Einzelnen:
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aa) Zur Einschätzung der Gefahren für Leib und Leben eines afghanischen Staatsangehörigen, der aus Europa ohne Vermögen oder (groß-)familiäre Unterstützung nach Afghanistan zurückkehrt, hat das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz in seinem Urteil vom 06.05.2008 - 6 A 10749/07 - (AuAS 2008, 188) unter Auswertung auch vom Senat beigezogener Erkenntnisquellen in einem vergleichbaren Fall ausgeführt:
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„aa. Im Falle seiner Abschiebung nach Afghanistan würde der Kläger das zum Leben Notwendige an Nahrungsmitteln nicht aus eigener Kraft sichern können.
27 
(…) Der Kläger würde vielmehr in Kabul mit einem geringen Barbetrag und der „Starthilfe“ des UNHCR, der alle Rückkehrer mit 12 US-Dollar (vgl. Dr. Danesch, Gutachten vom 4. Dezember 2006 an HessVGH und vom 18. Mai 2007 an VG Koblenz; Panhölzl, Humanitäre Lage in Kabul, in: Informationsverbund Asyl e.V., Zur Lage in Afghanistan, 2006, S. 9 ff.) unterstützt, darauf angewiesen sein, sich durch eine kleingewerbliche Tätigkeit oder eine abhängige Beschäftigung den Lebensunterhalt zu verdienen. Das wird ihm mit hoher Wahrscheinlichkeit weder in Kabul noch in einer Provinz gelingen. Der Sachverständige Rieck, der als Senior Advisor für Arbeitsmarktfragen im Auftrag der International Labour Organisation in Afghanistan tätig war, hat in seinem dem Senat erstatteten Gutachten vom 15. Januar 2008 ausgeführt, auf dem afghanischen Arbeitsmarkt sei die Wahrscheinlichkeit gering, dass an- und ungelernte Arbeitskräfte eine auf Dauer angelegte und den Lebensunterhalt sichernde Erwerbsmöglichkeit finden. Selbst wenn einem Rückkehrer berufliche Bildungsangebote unterbreitet würden, erlange er durch solche in der Regel keine am Arbeitsmarkt verwertbaren beruflichen Kenntnisse. Fachkräfte aus Handwerksberufen könnten jedoch häufig in Arbeit vermittelt werden. Die Rekrutierung von Arbeitskräften sei so stark von persönlichen Beziehungen geprägt, dass private und öffentliche Arbeitgeber Medien oder Arbeitsvermittlungsbüros erst dann einschalteten, wenn das persönliche Beziehungsgeflecht bei der Stellenbesetzung nicht zum Erfolg geführt habe. Bestätigt wird diese Einschätzung durch die gutachterliche Stellungnahme vom 31. Januar 2008, die Dr. Glatzer dem Senat gegenüber abgegeben hat. Danach sind für alleinstehende, arbeitsfähige, männliche Afghanen, die unfreiwillig aus Deutschland nach Kabul zurückkehren und dort nicht mit der Hilfe von Verwandten oder Bekannten bei ihrer Wiedereingliederung rechnen können, legale Erwerbsmöglichkeiten – wenn man die Faktoren Zufall oder Glück außer Acht lässt – kaum gegeben, wenn diese Personen nicht über besondere professionelle Qualifikationen verfügen. Die Arbeitsmarktsituation in den Provinzen sei deutlich ungünstiger als in Kabul. Afghanistan leide unter einer Arbeitslosigkeit von ca. 65 v. H. der arbeitsfähigen Bevölkerung, wobei der Bedarf an ungelernten Arbeitern wegen der sich verschlechternden Sicherheitslage eher zurückgehe. Selbst in Boomzeiten gebe es viel mehr Arbeitswillige als Arbeitsplätze, um die hart und rücksichtslos gekämpft werde. Dr. Danesch (Gutachten vom 18. Mai 2007 an VG Koblenz und vom 24. August 2007) spricht von einer Arbeitslosigkeit im Umfang von 70 bis 80 v. H. der afghanischen Männer. Panhölzl (Humanitäre Lage in Kabul, a.a.O. S. 13) referiert eine Studie der Afghanistan Research and Evaluation Unit (AREU) vom April 2006, derzufolge von den befragten armen und armutsgefährdeten Haushalten ein Viertel der Arbeitskräfte maximal 54 Tage im Jahr Zugang zu Arbeit, die Hälfte 131 Tage oder weniger und nur 25 v. H. für 193 und mehr Tage im Jahr eine Arbeitsmöglichkeit hatten. Als Rückkehrer ohne persönliche Bindungen oder Beziehungen und ohne verwertbare berufliche Qualifikation müsste der Kläger der erstgenannten Gruppe zugerechnet werden, also in jeder Woche durchschnittlich für einen Tag eine Aushilfstätigkeit finden, was ihm einen wöchentlichen Durchschnittsverdienst von ca. einem bis zwei US-Dollar verschaffen würde (Dr. Danesch, Gutachten vom 18. Mai 2007 an VG Koblenz und vom 24. August 2007; Panhölzl, Humanitäre Lage in Kabul, a.a.O.). Ein selbständiges Kleingewerbe als Schuhputzer (vgl. Rieck, Gutachten vom 15. Januar 2008) bzw. Karrenzieher oder Straßenverkäufer verspricht keine gegenüber der abhängigen Beschäftigung besseren Erwerbsmöglichkeiten (Panhölzl, Humanitäre Lage in Kabul, a.a.O. S. 13) (…)
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Unter diesen wirtschaftlichen Verhältnissen würden dem Kläger ausschließlich Tee und Brot als Nahrungsmittel zur Verfügung stehen. Er würde zu der Hälfte der Bevölkerung Kabuls gehören, die sich - wie dem Schriftsatz der Beklagten vom 26. Februar 2008 im Verfahren 6 A 10230/08.OVG entnommen werden kann, der insoweit auf Erkenntnisse der Hilfsorganisation „Action contre la faim“ Bezug nimmt – nur von Tee und Brot ernähren und dafür den größten Teil ihres Einkommens verwenden muss. Auch das Auswärtige Amt erwähnt in seinem Lagebericht vom 7. März 2008, dass fast ein Viertel aller Haushalte in Afghanistan die Grundversorgung an Nahrungsmitteln nicht selbständig sichern kann. Dem Gutachten Dr. Daneschs vom 18. Mai 2007 (an VG Koblenz) zufolge leiden 8,9 v. H. der Kabuler Bevölkerung unter akuter Unterernährung. Auf seiner Homepage (www.auswaertiges-amt.de) bezeichnet das Auswärtige Amt die Nahrungmittelunsicherheit, chronische Mangelernährung, fehlenden Zugang zu sauberem Trinkwasser und Mangel an medizinischer Versorgung als die humanitären Hauptprobleme Afghanistans; der Anstieg der Weizenpreise im Laufe des Jahres 2007 um durchschnittlich 60 Prozent habe die Versorgungslage der besonders bedürftigen Bevölkerungsschichten wie Flüchtlinge und Binnenvertriebene sowie werdender Mütter und Kinder weiter verschlechtert.
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bb. Diese Versorgungssituation wird auch nicht durch Unterstützungsmaßnahmen der afghanischen Regierung oder internationaler Organisationen in wesentlichem Umfang verbessert (vgl. auch HessVGH, 8 UE 1913/06.A., juris; OVG B-B, 12 B 9.05, juris). Staatliche soziale Sicherungssysteme sind nicht vorhanden; vielmehr übernehmen Familien und Stammesverbände die soziale Absicherung (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7. März 2008). Deshalb stoßen nach diesem Lagebericht Rückkehrer, die außerhalb des Familienverbands oder nach einer längeren Abwesenheit im westlich geprägten Ausland zurückkehren, auf größere Schwierigkeiten als Rückkehrer, die in Familienverbänden geflüchtet sind oder in einen solchen zurückkehren, wenn ihnen das notwendige soziale oder familiäre Netzwerk sowie die notwendigen Kenntnisse der örtlichen Verhältnisse fehlen.
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Zwar erwähnt der Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7. März 2008, dass die Vereinten Nationen Millionen von Afghanen mit Nahrungsmitteln und Hilfsgütern versorgen und sich die Versorgungslage in Kabul grundsätzlich verbessert habe, schränkt dies aber insoweit ein, als mangels Kaufkraft längst nicht alle Bevölkerungsschichten davon profitierten. Darüber hinaus weist das Auswärtige Amt in diesem Lagebericht auf die Schwierigkeiten humanitärer Nothilfeleistungen infolge schlecht ausgebauter Verkehrswege, widriger Witterungsverhältnisse und wegen Sicherheitsproblemen hin. Dass die Vereinten Nationen Millionen von Afghanen mit Nahrungsmitteln und Hilfsgütern (in einem nicht näher bezeichneten Umfang) versorgen, erklärt sich ohne Weiteres aus der eine solche Verantwortlichkeit begründenden Hilfe, die der UNHCR bei der Rückkehr von ca. vier Millionen Afghanen aus Pakistan und dem Iran geleistet hat und die zu einem guten Teil auf den verstärkten „Rückführungsbemühungen“ der pakistanischen und der iranischen Regierung beruhen (vgl. hierzu Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7. März 2008). Nach der Auskunft, die amnesty international dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof unter dem 17. Januar 2007 erteilt hat, kann die Versorgung der bedürftigen Bevölkerung angesichts der enorm großen Zahl von Rückkehrern und der prekären Sicherheitslage nicht durch Angebote internationaler Hilfsorganisationen aufgefangen werden, zumal viele dieser Organisationen ihre Aktivitäten aufgrund von Sicherheitsbedenken immer stärker einschränken müssten. Dr. Glatzer teilt diese Einschätzung in seinem Gutachten vom 31. Januar 2008. Auch das Auswärtige Amt (Lagebericht vom 7. März 2008) bestätigt, dass sich die Sicherheitslage für Mitarbeiter internationaler Hilfsorganisationen durch regelmäßige Anschläge seit dem Jahr 2006 und durch Entführungen verschlechtert und sich das subjektive Unsicherheitsgefühl in den Reihen der internationalen Gemeinschaft seit dem Anschlag vom 24. Januar 2008 auf das Hotel Kabul Serena erheblich verstärkt habe. Dass internationale Hilfsorganisationen nicht einmal eine notdürftige Nahrungsmittelversorgung der Bevölkerung Kabuls sicherstellen, ist den Gutachten Dr. Daneschs vom 18. Mai 2007 (an VG Koblenz) und vom 24. August 2007 zu entnehmen. Danach gibt es keine Grundversorgung der Flüchtlinge durch internationale Hilfsorganisationen in Kabul. Die Lebensbedingungen der Kabuler hätten sich seit dem Jahre 2001 drastisch verschlechtert. Tag für Tag verhungerten in Kabul Menschen, nach denen in Afghanistan "kein Hahn kräht". Konkrete Zahlen über Todesfälle unter der armen Bevölkerung ließen sich in einem Land, in dem es keine Meldepflicht gebe, nicht erlangen, da sie nicht aktenkundig würden. Außerdem sei unter den afghanischen Verhältnissen die Grenze fließend zwischen regelrechtem Verhungern und Erkrankungen, die aufgrund von Mangelernährung, katastrophaler Hygiene, Kälte bzw. fehlender ärztlicher Behandlung tödlich verliefen. Allein in den drei von der „Action contre la faim“ betreuten Krankenhäusern stürben täglich zwischen fünf und sieben Personen allein wegen Unterernährung, obwohl diese zu den „wenigen Glücklichen“ gehörten, die überhaupt in ein Krankenhaus kämen. Menschen, die Mangelernährung und Krankheiten erlägen, würden ohne viel Umstände verscharrt. Die durch das jahrelange Elend abgestumpfte Bevölkerung nehme solche Todesfälle oft fatalistisch hin.
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cc. Auch die Möglichkeiten, eine winterfeste Unterkunft zu erlangen, sind für einen mittellosen Rückkehrer, der nicht auf (groß-)familiäre Hilfe zurückgreifen kann, minimal. Der Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7. März 2008 führt hierzu aus, die Wohnraumversorgung sei unzureichend; Wohnraum sei knapp und die Preise in Kabul seien hoch. Freiwillig zu ihren Angehörigen zurückkehrende Afghanen strapazierten die nur sehr knappen Ressourcen an Wohnraum und Versorgung weiter. Eine zunehmende Zahl von Rückkehrern verfüge zudem nicht mehr über solche Anschlussmöglichkeiten. Bemühungen des Flüchtlingshilfswerks UNHCR und anderer Einrichtungen um die Errichtung von Unterkünften hätten nur geringe Wirkung gehabt. Das afghanische Ministerium für Flüchtlinge und Rückkehrer beabsichtige, Rückkehrer in Neubausiedlungen unterzubringen, von denen ein Großteil für eine dauerhafte Ansiedlung ungeeignet sei, so dass von einem „Aussetzen in der Wüste“ gesprochen werden könne. Nichtregierungsorganisationen leisteten hier humanitäre Hilfe. Von dem „Auffangwohnheim“ auf dem Gelände des Flüchtlingsministeriums, das das Auswärtige Amt in seiner Auskunft vom 29. Mai 2007 an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof erwähnt und in dem Rückkehrer für eine Übergangszeit Unterkunft finden konnten, ist im Lagebericht vom 7. März 2008 nicht (mehr) die Rede.
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Dr. Danesch (Gutachten vom 18. Mai 2007 an VG Koblenz und vom 24. August 2007) berichtet, dass ein einfaches Zimmer bis zu 20 US-Dollar im Monat koste. Dafür erhalte man eine Unterkunft in weitab vom Zentrum gelegenen Außenbezirken, wo es oft nicht die geringste Infrastruktur gebe. Erschwinglicher Wohnraum außerhalb der Flüchtlingslager existiere für Rückkehrer nicht.
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Nach der Auskunft, die amnesty international dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof unter dem 17. Januar 2007 erteilte, hat der enorme Bevölkerungszuwachs in Kabul einen akuten Mangel an Wohnraum verursacht, so dass sich große Slumviertel gebildet hätten. Viele Menschen lebten in Ruinen. Nach Schätzungen der Caritas verfüge etwa eine Million Menschen in Kabul weder über ausreichenden und winterfesten Wohnraum noch über regelmäßiges Trinkwasser. Die hygienischen Verhältnisse in den Armenvierteln seien katastrophal.
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Das Rückkehrerprogramm "Return, Reception and Reintegration of Afghan Nationals to Afghanistan (RANA)" ist nach Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 29. Mai 2007 an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof Ende April 2007 ausgelaufen, so dass auf die Darlegungen von Herrn D…, der während einer Beurlaubung als Beamter der Beklagten im Rahmen des RANA-Programms in Kabul bis zum 22. Mai 2006 tätig war und wegen dieser Tätigkeit von dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg am 24. März 2006 als sachverständiger Zeuge vernommen worden ist, nicht eingegangen werden muss.
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dd. Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass die medizinische Versorgung selbst in Kabul völlig unzureichend ist (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7. März 2008). Amnesty international berichtet dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof unter dem 17. Januar 2007, dass viele Menschen wegen der desolaten Verhältnisse im Gesundheitswesen unter Infektionskrankheiten, Tuberkulose etc. litten. Eine Behandlung sei in der Regel nicht möglich, weil die Gesundheitsversorgung in Afghanistan unzulänglich sei. Während es auf dem Land oft überhaupt keine Versorgung gebe, sei es in Kabul, wo einige Krankenhäuser vorhanden seien, meist nur über Beziehungen oder gegen Bestechung möglich, auch tatsächlich behandelt zu werden. Diese Situation erkläre die geringe Lebenserwartung und eine der weltweit höchsten Kindersterblichkeitsraten. Auch Panhölzl (Humanitäre Lage in Kabul, a.a.O.) referiert, dass die Kosten für einen Arztbesuch fast den Tageslohn eines einfachen Arbeiters – Transportkosten nicht inbegriffen – ausmachen; die Mehrheit der Ärzte in öffentlichen Krankenhäusern betrieben nebenbei private Kliniken und verwiesen die Patienten in diese, was sich die Ärmeren aber nicht leisten könnten.
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ee. Ist mithin davon auszugehen, dass der Kläger im Falle seiner Rückkehr nur eine notdürftige und nicht winterfeste Unterkunft finden würde, nahezu ohne medizinische Versorgung unter hygienisch völlig unzureichenden Verhältnissen leben müsste und darauf verwiesen wäre, sich ausschließlich von Brot und Tee zu ernähren, besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass er durch seine Abschiebung nach Afghanistan zwangsläufig in einen fortschreitenden Prozess körperlichen Verfalls mit lebensbedrohlichen Folgen geraten würde. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus den in sich schlüssigen ernährungsmedizinischen Ausführungen der Sachverständigen Dr. med. T.. Danach führt eine erzwungene Mangelernährung, die aus Brot und Tee besteht, selbst bei ausreichender Kalorienzufuhr, d.h. einer Menge von 1.000g bis 1.500g Weißbrot pro Tag, zu einem verstärkten Abbau von Eiweiß und Fett und insbesondere zu einem Eisenmangel. Die dadurch bedingte Beeinträchtigung der Sauerstoffversorgung habe erhebliche Auswirkungen auf das Gehirn und das Herz und schwäche die Körperimmunabwehr. Dies wiederum könne zu Organschäden am Herzen bis hin zum Herzinfarkt führen. Die Schwächung der Immunabwehr führe in der Regel spätestens nach sechs Monaten zum Ausbruch der Eisenmangelanämie. Die genannten Symptome träten unter den in Afghanistan herrschenden Lebensbedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit noch früher ein, zumal bei einem Rückkehrer nach einem fünf Jahre langen Aufenthalt in Deutschland wegen der erheblichen Klimaumstellungen mit schwerwiegenden Infektionen der Atmungs- und Verdauungsorgane bis hin zur Tuberkulose gerechnet werden müsse. Unter den im Winter in Afghanistan gegebenen Klimabedingungen bestehe die Gefahr von Lungeninfekten. Sie könnten insbesondere dann zum Tod führen, wenn der Organismus bereits zuvor durch Eisenmangel und andere Infekte geschwächt sei. Bei einer Rückkehr nach Kabul im Sommer sei mit Darminfektionen zu rechnen. Unter diesen Umständen könnten bis zu zwei Durchfallerkrankungen möglicherweise ohne große Schäden überwunden werden. Ab der dritten entsprechenden Erkrankung müsse dann aber mit lebensbedrohlichen Entwicklungen gerechnet werden. Eine Anpassung des Körpers im Sinne einer zunehmenden Immunität sei in diesen Fällen ausgeschlossen. Insbesondere im Sommer komme es darüber hinaus auch durch das Trinken von nicht abgekochtem Wasser zu gesundheitlichen Schäden.
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Aus diesen sachverständigen Ausführungen ergibt sich, dass vergleichsweise junge Männer, die in gutem Ernährungs- und Gesundheitszustand aus Europa nach Kabul zurückkehren, nicht etwa über körperliche „Reserven“ verfügen, die ihnen ein Überleben auf längere Sicht erleichtern. Vielmehr erweist sich die über mehrere Jahre vollzogene Anpassung an die in Europa herrschenden klimatischen und hygienischen Bedingungen als Nachteil beispielsweise gegenüber afghanischen Rückkehrern aus Pakistan oder dem Iran. Insbesondere die dadurch erhöhte Infektanfälligkeit wird in Verbindung mit dem ernährungsbedingten Eisenmangel zu schwerwiegenden Infektionen der Atmungs- und Verdauungsorgane führen und mit hoher Wahrscheinlichkeit einen fortschreitenden Prozess körperlichen Verfalls mit lebensbedrohlichen Folgen auslösen.
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Diese schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen reichen aus, um eine zwangsweise Rückkehr als unzumutbar erscheinen zu lassen, auch wenn sehr viele Afghanen in der beschriebenen Weise unterhalb des Existenzminimums „dahinvegetieren“ und keine Berichte über eine Hungersnot in Kabul vorliegen, wie das Sächsische Oberverwaltungsgericht (A 1 B 58/06, AuAS 2007, 5, juris) bemerkt. Gerade den bereits zitierten Ausführungen Dr. Daneschs vom 18. Mai 2007 (an VG Koblenz) und vom 24. August 2007 ist zu entnehmen, aus welchen Gründen sich Angaben über diese Zustände einer „weiteren Präzisierung“, die das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen (20 A 5164/04.A, juris) vermisst, entziehen und über Hungertote oder an den Folgeerkrankungen der chronischen Mangelernährung Verstorbene nicht im Einzelnen berichtet wird. Im Übrigen beruhen die Entscheidungen des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts (A 1 B 58/06, AuAS 2007, 5, juris) und des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (20 A 5164/04.A, juris) wesentlich auf den wegen des inzwischen ausgelaufenen RANA-Programms nicht mehr aktuellen Bekundungen des Herrn D.. Zwar geht auch der Hessische Verwaltungsgerichtshof (8 UE 1913/06.A, juris) davon aus, dass ein junger, allein stehender Afghane ohne nennenswertes Vermögen und ohne abgeschlossene Berufsausbildung wahrscheinlich in der Lage wäre, durch Gelegenheitsarbeiten wenigstens ein kümmerliches Einkommen zu erzielen, damit ein Leben am Rande des Existenzminimums zu finanzieren und sich allmählich wieder in die afghanische Gesellschaft zu integrieren; er räumt aber ein, manche von den Gutachtern mitgeteilte Details sprächen auch für die gegenteilige Schlussfolgerung. Soweit das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (12 B 9.05, juris) für männliche Flüchtlinge mittleren Alters im Falle der Rückkehr nach Afghanistan in der Regel keine extremen allgemeinen Gefahren sieht, lagen der Entscheidung tatsächliche Besonderheiten in der Person des Klägers zugrunde, der aus einer wohlhabenden Familie mit einflussreichen Kontakten auch in Kabul stammte (…). Ebenso wenig vergleichbar sind die Entscheidungen anderer Oberverwaltungsgerichte (OVG S-H, 2 LB 38/07, juris; OVG B-B, 12 B 11.05, juris), deren abweichende Einschätzung der Gefährdungslage darauf beruht, dass die um Abschiebungsschutz nachsuchenden afghanischen Staatsangehörigen in ein (groß-)familiäres Umfeld zurückkehren konnten.“
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Dieser überzeugenden Einschätzung schließt sich der Senat an. Die seit Ergehen dieses Urteils eingegangenen weiteren Erkenntnismittel belegen die Richtigkeit dieser Einschätzung und zeigen zudem eine weitere Verschärfung der Situation auf.
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bb) Seit Mai 2008 hat sich die Versorgungssituation für Rückkehrer aus Europa ohne Vermögen oder (groß-)familiären Rückhalt in Afghanistan weiter verschlechtert. Auch wenn die Lage in einzelnen Provinzen und Distrikten erhebliche Unterschiede aufweist (Wegweiser zur Geschichte - Afghanistan, 2009 S. 9), befindet sich das Land insgesamt gesehen in einer "Abwärtsspirale" (FAZ vom 07.02.2009). US-Geheimdienste zeichnen ein „äußerst düsteres Bild“ (SZ vom 10.10.2008). Versorgungsengpässe sind an der Tagesordnung, und dies nicht nur in abgelegenen Gebieten oder den Elendsvierteln von Kabul. Die Einwohnerzahl Kabuls explodierte auch aufgrund von Landflucht sowie der massenhaften Rückkehr von Flüchtlingen in den letzten Jahren von circa einer auf nunmehr weit über drei Millionen Menschen (Wegweiser zur Geschichte - Afghanistan, 2009 S. 224). Im neuesten Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 03.02.2009 heißt es, Afghanistan durchlebe insbesondere eine Nahrungsmittelkrise. Das Land gelte zwischenzeitlich in Asien als das ärmste. Die Lebensbedingungen seien landesweit schlecht. Seit dem Winter 2007/08 habe sich die Lage mit den weltweit steigenden Nahrungsmittelpreisen, verbunden mit Exportbeschränkungen der Nachbarländer für Weizen und einer Dürre in einigen Landesteilen, noch einmal erheblich verschärft. Eine weitere Verschlechterung im Winter 2008/09 und in der folgenden „mageren Jahreszeit“ im ersten Halbjahr 2009 sei wahrscheinlich. Besonders problematisch sei die Lage in den ländlichen Gebieten, deren Versorgung oftmals sehr schwierig, im Winter überhaupt nicht möglich sei. Aber auch in Kabul und zunehmend in anderen großen Städten sei die Lage nicht wesentlich besser. Wegen sinkender oder ganz fehlender Kaufkraft profitiere von einer seit 2001 zwar grundsätzlich verbesserten Versorgungslage derzeit allenfalls eine kleine Bevölkerungsschicht. Angemessener Wohnraum sei knapp und nur zu hohen Preisen erhältlich. Selbst Kabul habe keine geregelte Stromversorgung. Staatliche soziale Sicherungssysteme seien weiterhin praktisch nicht vorhanden; Korruption sei weit verbreitet, der Verwaltungsapparat sei hoch ineffizient. Die medizinische Versorgung sei immer noch unzureichend. Selbst die Ansiedlung organisiert zurückgeführter Flüchtlinge in vorgesehene „townships“ erfolge etwa wegen fehlender Wasserversorgung und abseitiger Lage unter „schwierigen Rahmenbedingungen“ und gleiche, trotz humanitärer Hilfe von Nichtregierungsorganisationen, teilweise weiterhin einem „Aussetzen in der Wüste“. Der Zugang zu Arbeit, Wasser bzw. Grundversorgung sei häufig nur sehr eingeschränkt möglich. Ohne familiäre oder soziale Netzwerke und ohne notwendige Kenntnisse der örtlichen Verhältnisse würden Rückkehrer „auf größere Schwierigkeiten“ stoßen. Sie könnten zudem auf übersteigerte Erwartungen ihrer finanziellen Möglichkeiten treffen und mit überhöhten Preisen konfrontiert werden. Von den im Land gebliebenen Landsleuten würden Rückkehrer im Übrigen häufig nicht als vollwertige Afghanen akzeptiert. Hinzu komme, dass die Gefährdung des Einzelnen, zu einem Opfer von Gewalt zu werden, im ganzen Land gegeben sei. Die afghanische Nationalpolizei werde ihrer Aufgabe bei der Durchsetzung von Recht und Gesetz nicht gerecht und gelte wegen Korruption und niedrigem Ausbildungsstand an vielen Orten selbst als Unsicherheitsfaktor. Von der sich verschlechternden Sicherheitslage seien inzwischen fast alle Landesteile betroffen. Auch die Gefahr, Opfer der deutlich zugenommenen Entführungen zwecks Erpressung von Lösegeld zu werden, treffe Rückkehrer, wenn ihnen ausreichende finanzielle Mittel für einen Freikauf unterstellt würden. Ob sich eine Person diesen Gefahren entziehen könne, hänge maßgeblich von dem Grad ihrer familiären, tribalen und sozialen Vernetzung ab.
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Weitere aktuelle Erkenntnisquellen geben kein besseres Bild von der in der Gesamtschau für Rückkehrer ohne Vermögen oder (groß-)familiären Rückhalt katastrophalen Lage: Gemeinhin wird davon ausgegangen, dass die Situation 2009 noch schlechter werde; „so viel Pessimismus war nie“ (Der Spiegel vom 13.10.2008). Die Schere zwischen Reich und Arm klafft immer weiter auseinander. Einerseits lassen sich Drogenbarone und Warlords in Kabul „protzige Villen“ bauen. Andererseits leben immer mehr Menschen in nicht winterfesten Unterkünften, oftmals Ruinen (SFH vom 21.08.2008 u. 26.02.2009), und es müssen nach einer repräsentativen Erhebung von ARD, ABC und BBC zwischenzeitlich über die Hälfte aller Haushalte (54 %) mit weniger als umgerechnet 100 Dollar (ca. 78 EUR) im Monat auskommen. Gerade noch rund ein Drittel der afghanischen Bevölkerung (37 %) gibt an, sich notwendige Lebensmittel leisten zu können. Und nur noch 31 % der Bevölkerung ist in der Lage, den Preis für Heizöl zu bezahlen (dpa-News vom 09.02.2009). Alles sei dramatisch teurer geworden, vor allem Lebensmittel, Brennholz, Benzin, Gas und Baumaterialien (SZ vom 24.10.2008); insbesondere die Lebensmittelpreise sind zwischen Februar 2008 und Februar 2009 um bis zu 130 % gestiegen (SFH vom 26.02.2009) Nach UN-Angaben müssen heute 42 % der Afghanen von weniger als einem Dollar am Tag leben (ai-Pressespiegel 2/2009, S. 46). Die Arbeitslosenrate liege zwischen 32 und 60 Prozent; ein Großteil der arbeitenden Bevölkerung versuche, sich als Tagelöhner zu verdingen (SFH vom 26.02.2009). Überall könne man Armut sehen, etwa Leute, die sich „nur von Wasser, Brot und ein bisschen Tomatenpüree oder allenfalls mal von einem Teller Reis“ ernähren (SZ vom 24.10.2008). Für die große Mehrheit der Afghanen würden Armut, Krankheit, Dürreperioden und interne Konflikte noch größere Bedrohungen darstellen als das Risiko, durch kriegerische oder terroristische Attacken verletzt oder getötet zu werden. Die Richtigkeit dieser Einschätzung illustrieren auch Indikatoren zum Gesundheitszustand der Bevölkerung: So stirbt heute in Afghanistan durchschnittlich alle 30 Minuten eine Frau aufgrund von Komplikationen während Schwangerschaft oder Geburt. Die Hälfte der Kinder bis zum Alter von fünf Jahren gelten als chronisch unterernährt. Lediglich zwei von zehn ländlichen Haushalten verfügen über sauberes Trinkwasser, was wiederum dazu führt, dass 85.000 Kinder im Alter unter fünf Jahren jährlich an den Folgen von Magen- und Darmerkrankungen sterben. Jedenfalls für die Mehrheit der auf dem Land lebenden Afghanen gibt es weder eine medizinische Grundversorgung noch Ernährungssicherheit (Wegweiser zur Geschichte - Afghanistan, 2009 S. 105 f.). Die Lebenserwartung der afghanischen Bevölkerung gehört heute mit 42 Jahren zu den geringsten der Welt (SFH vom 26.02.2009). Zudem verläuft der Wiederaufbau offenbar überall schleppend. Die Korruption habe „atemberaubende Ausmaße“ angenommen. Einer der wenigen funktionierenden Erwerbszweige sei die Drogenökonomie. Afghanistan hat zwischenzeitlich beinahe ein weltweites Monopol für Schlafmohn, aus dem Heroin gewonnen wird (dpa-News vom 29.01.2009). Mit den Erlösen aus Schlafmohnanbau und Drogenhandel füllen nicht nur, aber vor allem die Taliban ihre Kriegskasse (dpa-News vom 13.02.2009). Jeder zehnte Afghane baut nach UN-Berichten oftmals notgedrungen Schlafmohn an; das entspricht rund 2,5 Millionen Menschen. Hinzu kommen noch diejenigen, die Drogen schmuggeln, veredeln und weiterverkaufen. Niemand wage, ihre Zahl zu schätzen. Den Wert ihrer Früchte dagegen schon: Allein die 7,7 Tonnen Rohopium, die 2008 in Afghanistan geerntet wurden (93 % der Weltopiumsproduktion), haben einen Marktwert von 3,5 Milliarden Dollar. Ein Kilo Heroin hat derzeit in Afghanistan den Gegenwert von 30 Maschinengewehren. Täglich starten aus Girdi Jungal und Baramcha schwer bewachte Konvois mit mehreren Hundert Kilo Heroin an Bord Richtung Iran. An der Grenze zu Pakistan wurden Labore zur Veredelung des Rohopiums von fabrikartigen Ausmaßen errichtet, in denen mehrere Hundert Menschen arbeiten sollen. Rund 90% der Ernte wird inzwischen in Afghanistan selbst zu Heroin und Morphiumprodukten verarbeitet (Wegweiser zur Geschichte - Afghanistan, 2009 S. 231). Ein US-Militär brachte die Verbindung zwischen Taliban-Renaissance und Drogenschmuggel lakonisch auf den Punkt: "Drogen raus, Waffen rein." Hochrangige Regierungsvertreter und sogar der Bruder von Präsident Karzai sollen sich nach Ansicht des Weißen Hauses an Drogengeschäften beteiligen (ZEIT-online vom 04.02.2009), weshalb die Bevölkerung Drogenbekämpfungsmaßnahmen als Ausdruck von Doppelmoral ansieht. Vernichtungskampagnen würden vor allem jenen verarmten Bevölkerungsteil treffen, der existenziell auf den Schlafmohnanbau angewiesen sei. Die Nato-Truppen haben dennoch beschlossen, nunmehr aktiv die Drogenproduktion zu bekämpfen; ein durchgreifender Erfolg dieser Aktionen erscheint jedoch außerordentlich fraglich (taz vom 13.10.2008). Die Schwierigkeiten Afghanistans dürften zudem kaum trennbar mit denen Pakistans verbunden sein. Die Problemzone Afghanistan besteht gewissermaßen aus einem Rumpfstaat um Kabul, dessen Aufbau nicht vorankommt, während bei seinem atomar bewaffneten Nachbarn „ein beängstigender Staatszerfall“ stattfindet. Die in der Regierung von Präsident Karzai wütende Korruption habe den Zusammenbruch zentraler Autorität ebenso beschleunigt wie die wachsende Gewalt durch Militante aus Zufluchtsorten in Pakistan (netzwerk-afghanistan.info vom 09.10.2008). Die pakistanische Regierung verliere immer mehr den Zugriff auf ihre nordwestliche Grenzregion. Islamabad hat nun verkündet, man werde dort ein System islamischer Gerichtsbarkeit im Gegenzug für einen Waffenstillstand mit den Taliban akzeptieren (Die Zeit vom 19.02.2009).
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cc) Die ohnehin katastrophale Versorgungssituation in Afghanistan wird zudem durch die inzwischen landesweit schwierige Sicherheitslage verschärft. Die Kämpfe zwischen verschiedenen bewaffneten Gruppen haben tausende Familien gezwungen, in größeren Städten Schutz zu suchen. Zehntausende intern Vertriebene leben in Slums rund um Kabul und Herat. UNHCR schätzte im Januar 2009, dass ca. 235.000 Menschen neu vertrieben wurden (SFH vom 11.03.2009). Auch die Versorgung der ländlichen Gebiete mit Hilfsgütern ist aufgrund der schwierigen Sicherheitslage nur noch eingeschränkt möglich. Die Kosten für eine LKW-Fuhre mit Hilfsgütern von Kabul nach Kandahar etwa haben sich wegen der „Gefahrenzulagen“ von 1.800 Dollar im Frühjahr 2008 auf nunmehr fast 18.000 US-Dollar verzehnfacht (Der Spiegel vom 13.10.2008). Afghanistan ist heute eines der am stärksten verminten Länder der Welt (SFH vom 21.08.2008). Für die internationalen Truppen war 2008 das verlustreichste Jahr seit dem Sturz des Taliban-Regimes Ende 2001. Allein in den ersten acht Monaten des Jahres 2008 hat der Konflikt am Hindukusch nach UN-Angaben mehr als 4.000 Menschen das Leben gekostet, über ein Drittel davon Zivilisten; andere Schätzungen gehen von über 2000 getöteten Zivilisten im letzten Jahr aus (FAZ vom 18.02.2009). Deutschen Soldaten ist es in Kabul verboten, sich zu Fuß oder mit ungepanzerten Fahrzeugen zu bewegen; vom Elend der Flüchtlinge bekommen sie kaum etwas mit (SZ vom 02.09.2008). An eine rein militärische Konfliktlösung glaubt inzwischen offenbar niemand mehr. Präsident Karzai hat den Taliban wiederholt Verhandlungen angeboten, die jedoch abgelehnt wurden, solange ausländische Truppen im Land sind (FR vom 27.02.2009). Im Süden, Osten und Westen konnten die Taliban immer näher an Kabul heranrücken. Sie seien bereits auf 72 % des afghanischen Territoriums „dauerhaft präsent“ (dpa-News vom 10.10.2008). US-Präsident Obama’s angekündigte Offensive und Truppenaufstockungen um mindestens 17.000 weitere Soldaten (Die Welt vom 19.02.2009) bedeuteten noch mehr Kämpfe und Gewalt, denn die Aufständischen seien mächtig wie nie (BNN vom 17.12.2008; FAZ vom 22.12.2008). Aber nicht nur die Taliban, auch kriminelle Banden machen das Land und selbst die Hauptstadt Kabul unsicher (dpa-News vom 29.01.2009). Hinzu kommt, dass die Grenzen zwischen organisierter Kriminalität, ehemaligen Warlords, die ihre Einflussbereiche nun als Gouverneure oder Distriktchefs sichern, bis hin zu Gruppierungen der Taliban oder anderen militanten Kräften fließend verlaufen (Wegweiser zur Geschichte - Afghanistan, 2009 S. 10). Kabul, jahrelang als „letzte sichere Insel im von Gewalt zerrütteten Land am Hindukusch“ bezeichnet, erscheint im Frühjahr 2009 „alles andere als sicher“ (Der Spiegel vom 25.01.2009). Die Zahl der registrierten Bombenanschläge (ca. 2.000) und Entführungen (ca. 300) hat sich laut US-Angaben 2008 etwa verdoppelt (taz vom 30.12.2008). Zudem habe sich zwischenzeitlich eine Art „Entführungsindustrie“ entwickelt, die jeden treffen könne (SZ vom 24.10.2008). Auch das Auswärtige Amt warnt deshalb dringend vor Reisen nach Kabul und Afghanistan. Das Risiko, Opfer einer Entführung zu werden, bestehe landesweit. Auch in der Hauptstadt Kabul könnten Überfälle und Entführungen nicht ausgeschlossen werden; im übrigen Land bestünden teilweise noch deutlich höhere Sicherheitsrisiken. Wer sich dennoch nach Afghanistan begebe, müsse sich der Gefährdung durch terroristisch oder kriminell motivierte Gewaltakte bewusst sein. Trotz Präsenz der Internationalen Schutztruppe ISAF komme es überall zu Attentaten. Die Sicherheitskräfte der Regierung seien nicht in der Lage, Ruhe und Ordnung zu gewährleisten. Zudem sei die medizinische Versorgung, insbesondere die stationäre Behandlungsmöglichkeit, völlig unzureichend und in etlichen Landesteilen nahezu nicht existent bzw. nicht nutzbar (www.auswaertiges-amt.de; Zugriff vom 16.03.2009).
43 
In einer Gesamtgefahrenschau muss vor diesem Hintergrund im konkreten Einzelfall des Klägers eine extreme Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bejaht werden.
III.
44 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO und § 83 b AsylVfG. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein gesetzlicher Zulassungsgrund vorliegt (§ 132 Abs. 2 VwGO).

Gründe

 
16 
Die zulässige, insbesondere rechtzeitig unter Stellung eines Antrags und unter Bezugnahme auf die ausführliche Begründung des Zulassungsantrags begründete Berufung (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 - NVwZ 2006, 1420 m.w.N.) der Beklagten ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend entschieden, dass der Kläger die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (- Aufenthaltsgesetz -) in der Fassung der Änderung durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.08.2007 (- Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 28.08.2007, BGBl I 1970) beanspruchen kann. Die Zulässigkeit des so genannten Folgeschutzantrags des Klägers vom 16.05.2007 insbesondere hinsichtlich § 51 Abs. 2 und 3 VwVfG bedarf keiner Klärung, weil die Beklagte klargestellt hat, dass das Bundesamt das Verfahren im angefochtenen Bescheid - jedenfalls - in Bezug auf ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG von Amts wegen wiederaufgegriffen und zur Sache entschieden hat.
I.
17 
Das grundsätzlich vorrangige - europarechtlich begründete - Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG i.V.m. Art. 15 c der Qualifikationsrichtlinie 2004/83/EG ist vom Senat im vorliegenden Berufungsverfahren nicht zu prüfen. Zwar ist ein Antrag auf Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG in Bezug auf das Herkunftsland seit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes im Asylprozess sachdienlich dahin auszulegen, dass in erster Linie die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG und hilfsweise die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG begehrt wird (BVerwG, Urteil vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 = NVwZ 2008, 1241). Auch war im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG in seiner heutigen Fassung bereits in Kraft und der Kläger hatte die Feststellung von Abschiebungsverboten „nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG“ beantragt. Das Verwaltungsgericht hat über das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG jedoch - rechtsirrtümlich - nicht entschieden. Da es nach den Urteilsgründen keinerlei Anhaltspunkte dafür gibt, dass das Verwaltungsgericht bewusst nur über einen Teil des Streitgegenstandes entscheiden und den Rest einer späteren Entscheidung vorbehalten wollte, liegt kein Teilurteil im Sinne des § 110 VwGO vor. Das Urteil ist vielmehr bezüglich des nicht erwähnten Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG fehlerhaft. Es verstößt gegen § 88 VwGO, weil es über das europarechtliche Abschiebungsverbot rechtsirrtümlich nicht vorrangig entscheidet. Gemäß § 88 VwGO darf das Gericht einerseits nicht über das Klagebegehren hinausgehen, muss dieses andererseits aber erschöpfen. Das Verwaltungsgericht hat die Eigenständigkeit des Streitgegenstands bzw. abtrennbaren Streitgegenstandsteils des § 60 Abs. 7 Satz 2 VwGO, die das Bundesverwaltungsgericht im Übrigen erstmals mit Urteil vom 24.06.2008 (a.a.O.) rechtsgrundsätzlich geklärt hat, nicht erkannt und diesen Streitgegenstandsteil irrtümlich als nicht rechtshängig angesehen. Damit wäre insoweit ein Urteilsergänzungsverfahren nach § 120 VwGO von vorneherein nicht in Betracht gekommen, weil kein „Übergehen“ im Rechtssinne vorliegt (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.03.1994 - 9 C 529.93 - BVerwGE 95, 269), sondern nur ein Antrag auf Zulassung der Berufung gemäß § 78 Abs. 2 AsylVfG. Der Kläger hat jedoch keinen Zulassungsantrag gestellt und der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung war auf den stattgebenden Teil des angefochtenen Urteils, also das - nationale - Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begrenzt; nur insoweit wurde vom Senat die Berufung zugelassen. Nach dem Verfahrensgrundsatz der Dispositionsmaxime ist der Streitgegenstand des Berufungsverfahrens damit hierauf beschränkt (vgl. §§ 128 Satz 1, 129 VwGO). Mit der rechtskräftigen Abweisung der Klage durch das Verwaltungsgericht im Übrigen ist die Rechtshängigkeit des unbeschieden gebliebenen europarechtlich begründeten Abschiebungsverbots des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG entfallen (ausführlich hierzu: BVerwG, Urteil vom 22.03.1994, a.a.O.). Selbst wenn insoweit von einem Übergehen des Antrags im Sinne des § 120 Abs. 1 VwGO ausgegangen würde, wäre ein Urteilsergänzungsverfahren ausgeschlossen, weil binnen der Zweiwochenfrist des § 120 Abs. 2 VwGO kein entsprechender Antrag gestellt worden ist.
II.
18 
Im für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) besteht zu Gunsten des Klägers ein Abschiebungsverbot hinsichtlich Afghanistans gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Hiernach kann von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn für ihn dort eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Das ist beim Kläger aufgrund der in Afghanistan derzeit vorherrschenden katastrophalen Versorgungslage der Fall.
19 
Allerdings sind Gefahren der die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Denn hinsichtlich des Schutzes vor allgemeinen Gefahren im Zielstaat soll Raum sein für ausländerpolitische Entscheidungen, was die Anwendbarkeit von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG insoweit grundsätzlich sperrt und zwar selbst dann, wenn diese Gefahren den einzelnen Ausländer zugleich in konkreter und individualisierbarer Weise betreffen (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324). Aus diesem Normzweck folgt weiter, dass sich die „Allgemeinheit“ der Gefahr nicht danach bestimmt, ob diese sich auf die Bevölkerung oder bestimmte Bevölkerungsgruppen gleichartig auswirkt, wie das bei Hungersnöten, Seuchen, Bürgerkriegswirren oder Naturkatastrophen der Fall sein kann. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG kann vielmehr auch bei eher diffusen Gefährdungslagen greifen, etwa dann, wenn Gefahren für Leib und Leben aus den allgemein schlechten Lebensverhältnissen (soziale und wirtschaftliche Missstände) im Zielstaat hergeleitet werden. Denn soweit es um den Schutz vor den einer Vielzahl von Personen im Zielstaat drohenden typischen Gefahren solcher Missstände wie etwa Lebensmittelknappheit, Obdachlosigkeit oder gesundheitliche Gefährdungen geht, ist die Notwendigkeit einer politischen Leitentscheidung in gleicher Weise gegeben (vgl. BVerwG, Urteil vom 12.07.2001 - 1 C 5.01 - BVerwGE 115, 1). Für die Personengruppe, der der Kläger angehört, besteht eine solche politische Abschiebestopp-Anordnung gemäß § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG in Baden-Württemberg derzeit nicht (mehr), seit mit Schreiben des Innenministeriums Baden-Württemberg vom 15.04.2005 (geändert am 01.08.2005, vgl. 21. Fortschreibung vom 23.01.2009, Az.: 4-13-AFG/8) in Umsetzung entsprechender Beschlüsse der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder bezüglich der Rückführung afghanischer Staatsangehöriger entschieden wurde, dass „volljährige, allein stehende männliche afghanische Staatsangehörige, die sich zum Zeitpunkt der Beschlussfassung am 24. Juni 2005 noch keine sechs Jahre im Bundesgebiet aufgehalten haben, mit Vorrang zurückzuführen sind“. Im konkreten Einzelfall greift die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG gleichwohl aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht ein.
20 
1. Die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG greift aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht ein, wenn der Ausländer im Zielstaat landesweit einer extrem zugespitzten allgemeinen Gefahr dergestalt ausgesetzt wäre, dass er „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert“ würde (st. Rspr. des BVerwG, s. Urteile vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324 und vom 19.11.1996 - 1 C 6.95 - BVerwGE 102, 249 zur Vorgängerregelung in § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG und Beschluss vom 14.11.2007 - 10 B 47.07 - juris zu § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Damit sind nicht nur Art und Intensität der drohenden Rechtsgutsverletzungen, sondern auch die Unmittelbarkeit der Gefahr und ihr hoher Wahrscheinlichkeitsgrad angesprochen (vgl. BVerwG, Urteil vom 19.11.1996 - 1 C 9.95 - BVerwGE 102, 249). Das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist im Wege einer Gesamtgefahrenschau zu ermitteln (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23.03.1999 - 9 B 866.98 - juris).
21 
Im Fall einer allgemein schlechten Versorgungslage sind insoweit Besonderheiten zu berücksichtigen. Denn hieraus resultierende Gefährdungen entspringen keinem zielgerichteten Handeln, sondern treffen die Bevölkerung gleichsam schicksalhaft. Sie wirken sich nicht gleichartig und in jeder Hinsicht zwangsläufig aus und setzen sich aus einer Vielzahl verschiedener Risikofaktoren zusammen, denen der Einzelne in ganz unterschiedlicher Weise ausgesetzt ist und denen er gegebenenfalls auch ausweichen kann. Intensität, Konkretheit und zeitliche Nähe der Gefahr können deshalb auch nicht generell, sondern nur unter Berücksichtigung aller Einzelfallumstände beurteilt werden (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 13.11.2002 - A 6 S 967/01 - juris). Um dem Erfordernis des unmittelbaren - zeitlichen - Zusammenhangs zwischen Abschiebung und drohender Rechtsgutverletzung zu entsprechen, kann hinsichtlich einer allgemein schlechten Versorgungslage eine extreme Gefahrensituation zudem nur dann angenommen werden, wenn der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr in sein Heimatland in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien kann. Mit dem Begriff „alsbald“ ist dabei einerseits kein nur in unbestimmter zeitlicher Ferne liegender Termin gemeint (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.04.1998 - 9 C 13.97 - NVwZ 1998, 973). Andererseits setzt die Annahme einer extremen allgemeinen Gefahrenlage nicht voraus, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Ankunft im Abschiebezielstaat, eintreten. Eine extreme Gefahrenlage besteht auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert sein würde (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26.01.1999 - 9 B 617.98 - InfAuslR 1999, 265).
22 
2. Diese Voraussetzungen sind im Fall des Klägers gegeben. Denn er gehört zu der Gruppe der beruflich nicht besonders qualifizierten afghanischen Staatsangehörigen, die in ihrer Heimat ohne Rückhalt und Unterstützung durch Familie oder Bekannte sind und dort weder über Grundbesitz noch über nennenswerte Ersparnisse verfügen. Für diese Personengruppe besteht aufgrund der derzeit katastrophalen Versorgungslage bei einer Abschiebung nach Kabul eine extreme Gefahrensituation im dargelegten Sinne (ebenso: OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 06.05.2008 - 6 A 10749/07 - AuAS 2008, 188).
23 
a) Der Kläger wäre bei einer Abschiebung nach Kabul ohne Rückhalt und Unterstützung durch Familie oder Bekannte. In der mündlichen Verhandlung hat er glaubhaft und überzeugend ausgeführt, dass sein Vater und Bruder getötet worden sind, er in seinem Heimatdorf Tschardehi keine Unterstützung erlangen könnte, seine Mutter den Familienbesitz veräußert sowie mit dem Onkel aus Kabul Afghanistan - wohl schon 2005 - verlassen hat und dass seither kein Kontakt mehr zu irgendwelchen Personen in seiner Heimat besteht. Der Senat ist aufgrund des schlüssigen Vortrags des Klägers zudem überzeugt, dass er in Deutschland bisher keine nennenswerten Ersparnisse machen konnte. Der gesamte Vortrag des Klägers ist widerspruchsfrei und fügt sich stimmig in seine dokumentierten Angaben vor dem Bundesamt bei der Erstanhörung am 22.10.2003. Hinreichende Anhaltspunkte für die Annahme, dass der Kläger die Unwahrheit sagt, ergeben sich für den Senat nicht.
24 
b) Aufgrund der nachfolgend (aa) bis cc)) im Einzelnen dargelegten Erkenntnisse und Wertungen ist der Senat überzeugt, dass der Kläger ohne Ersparnisse, Grundbesitz und Unterstützung durch Familie oder Bekannte bei einer Abschiebung nach Kabul mangels jeglicher Lebensgrundlage unausweichlich dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert wäre. Im Falle der zur Zeit allenfalls nach Kabul tatsächlich möglichen Abschiebung (vgl. AA, Lagebericht vom 03.02.2009, S. 30) müsste er dort mit hoher Wahrscheinlichkeit zunächst mit einem kriminell motivierten Überfall oder einer Entführung rechnen, weil Rückkehrern aus Europa offenbar häufig der Besitz von finanziellen Mitteln unterstellt wird. Da sich die Sicherheitslage auf den Straßen nach und aus Kabul aufgrund der Bürgerkriegssituation schon seit 2007 deutlich verschlechtert hat, wäre dem Kläger ein Ausweichen in andere Landesteile ohne extreme Gefährdung von Leib und Leben nicht möglich; ohnehin verfügt er dort über keine familiäre, tribale oder soziale Vernetzung. In Kabul würde er ohne finanzielle Mittel keinen Wohnraum finden, weil dieser dort knapp und nur zu hohen Preisen erhältlich ist. Der Kläger, der weder eine Schule noch eine Ausbildung durchlaufen hat und nicht über besondere berufliche Qualifikationen verfügt, hätte in Kabul keine Möglichkeit einer legalen Erwerbstätigkeit. Aufgrund der Nahrungsmittelkrise wäre er darauf verwiesen, sich, wenn überhaupt, dauerhaft ausschließlich von Brot und Tee zu ernähren. Dadurch würde er alsbald und unausweichlich in einen fortschreitenden Prozess körperlichen Verfalls mit lebensbedrohlichen Folgen geraten, weil eine hinreichende medizinische Versorgung in Kabul nicht gegeben ist. Der Kläger würde mithin durch eine Abschiebung nach Kabul mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert. Im Einzelnen:
25 
aa) Zur Einschätzung der Gefahren für Leib und Leben eines afghanischen Staatsangehörigen, der aus Europa ohne Vermögen oder (groß-)familiäre Unterstützung nach Afghanistan zurückkehrt, hat das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz in seinem Urteil vom 06.05.2008 - 6 A 10749/07 - (AuAS 2008, 188) unter Auswertung auch vom Senat beigezogener Erkenntnisquellen in einem vergleichbaren Fall ausgeführt:
26 
„aa. Im Falle seiner Abschiebung nach Afghanistan würde der Kläger das zum Leben Notwendige an Nahrungsmitteln nicht aus eigener Kraft sichern können.
27 
(…) Der Kläger würde vielmehr in Kabul mit einem geringen Barbetrag und der „Starthilfe“ des UNHCR, der alle Rückkehrer mit 12 US-Dollar (vgl. Dr. Danesch, Gutachten vom 4. Dezember 2006 an HessVGH und vom 18. Mai 2007 an VG Koblenz; Panhölzl, Humanitäre Lage in Kabul, in: Informationsverbund Asyl e.V., Zur Lage in Afghanistan, 2006, S. 9 ff.) unterstützt, darauf angewiesen sein, sich durch eine kleingewerbliche Tätigkeit oder eine abhängige Beschäftigung den Lebensunterhalt zu verdienen. Das wird ihm mit hoher Wahrscheinlichkeit weder in Kabul noch in einer Provinz gelingen. Der Sachverständige Rieck, der als Senior Advisor für Arbeitsmarktfragen im Auftrag der International Labour Organisation in Afghanistan tätig war, hat in seinem dem Senat erstatteten Gutachten vom 15. Januar 2008 ausgeführt, auf dem afghanischen Arbeitsmarkt sei die Wahrscheinlichkeit gering, dass an- und ungelernte Arbeitskräfte eine auf Dauer angelegte und den Lebensunterhalt sichernde Erwerbsmöglichkeit finden. Selbst wenn einem Rückkehrer berufliche Bildungsangebote unterbreitet würden, erlange er durch solche in der Regel keine am Arbeitsmarkt verwertbaren beruflichen Kenntnisse. Fachkräfte aus Handwerksberufen könnten jedoch häufig in Arbeit vermittelt werden. Die Rekrutierung von Arbeitskräften sei so stark von persönlichen Beziehungen geprägt, dass private und öffentliche Arbeitgeber Medien oder Arbeitsvermittlungsbüros erst dann einschalteten, wenn das persönliche Beziehungsgeflecht bei der Stellenbesetzung nicht zum Erfolg geführt habe. Bestätigt wird diese Einschätzung durch die gutachterliche Stellungnahme vom 31. Januar 2008, die Dr. Glatzer dem Senat gegenüber abgegeben hat. Danach sind für alleinstehende, arbeitsfähige, männliche Afghanen, die unfreiwillig aus Deutschland nach Kabul zurückkehren und dort nicht mit der Hilfe von Verwandten oder Bekannten bei ihrer Wiedereingliederung rechnen können, legale Erwerbsmöglichkeiten – wenn man die Faktoren Zufall oder Glück außer Acht lässt – kaum gegeben, wenn diese Personen nicht über besondere professionelle Qualifikationen verfügen. Die Arbeitsmarktsituation in den Provinzen sei deutlich ungünstiger als in Kabul. Afghanistan leide unter einer Arbeitslosigkeit von ca. 65 v. H. der arbeitsfähigen Bevölkerung, wobei der Bedarf an ungelernten Arbeitern wegen der sich verschlechternden Sicherheitslage eher zurückgehe. Selbst in Boomzeiten gebe es viel mehr Arbeitswillige als Arbeitsplätze, um die hart und rücksichtslos gekämpft werde. Dr. Danesch (Gutachten vom 18. Mai 2007 an VG Koblenz und vom 24. August 2007) spricht von einer Arbeitslosigkeit im Umfang von 70 bis 80 v. H. der afghanischen Männer. Panhölzl (Humanitäre Lage in Kabul, a.a.O. S. 13) referiert eine Studie der Afghanistan Research and Evaluation Unit (AREU) vom April 2006, derzufolge von den befragten armen und armutsgefährdeten Haushalten ein Viertel der Arbeitskräfte maximal 54 Tage im Jahr Zugang zu Arbeit, die Hälfte 131 Tage oder weniger und nur 25 v. H. für 193 und mehr Tage im Jahr eine Arbeitsmöglichkeit hatten. Als Rückkehrer ohne persönliche Bindungen oder Beziehungen und ohne verwertbare berufliche Qualifikation müsste der Kläger der erstgenannten Gruppe zugerechnet werden, also in jeder Woche durchschnittlich für einen Tag eine Aushilfstätigkeit finden, was ihm einen wöchentlichen Durchschnittsverdienst von ca. einem bis zwei US-Dollar verschaffen würde (Dr. Danesch, Gutachten vom 18. Mai 2007 an VG Koblenz und vom 24. August 2007; Panhölzl, Humanitäre Lage in Kabul, a.a.O.). Ein selbständiges Kleingewerbe als Schuhputzer (vgl. Rieck, Gutachten vom 15. Januar 2008) bzw. Karrenzieher oder Straßenverkäufer verspricht keine gegenüber der abhängigen Beschäftigung besseren Erwerbsmöglichkeiten (Panhölzl, Humanitäre Lage in Kabul, a.a.O. S. 13) (…)
28 
Unter diesen wirtschaftlichen Verhältnissen würden dem Kläger ausschließlich Tee und Brot als Nahrungsmittel zur Verfügung stehen. Er würde zu der Hälfte der Bevölkerung Kabuls gehören, die sich - wie dem Schriftsatz der Beklagten vom 26. Februar 2008 im Verfahren 6 A 10230/08.OVG entnommen werden kann, der insoweit auf Erkenntnisse der Hilfsorganisation „Action contre la faim“ Bezug nimmt – nur von Tee und Brot ernähren und dafür den größten Teil ihres Einkommens verwenden muss. Auch das Auswärtige Amt erwähnt in seinem Lagebericht vom 7. März 2008, dass fast ein Viertel aller Haushalte in Afghanistan die Grundversorgung an Nahrungsmitteln nicht selbständig sichern kann. Dem Gutachten Dr. Daneschs vom 18. Mai 2007 (an VG Koblenz) zufolge leiden 8,9 v. H. der Kabuler Bevölkerung unter akuter Unterernährung. Auf seiner Homepage (www.auswaertiges-amt.de) bezeichnet das Auswärtige Amt die Nahrungmittelunsicherheit, chronische Mangelernährung, fehlenden Zugang zu sauberem Trinkwasser und Mangel an medizinischer Versorgung als die humanitären Hauptprobleme Afghanistans; der Anstieg der Weizenpreise im Laufe des Jahres 2007 um durchschnittlich 60 Prozent habe die Versorgungslage der besonders bedürftigen Bevölkerungsschichten wie Flüchtlinge und Binnenvertriebene sowie werdender Mütter und Kinder weiter verschlechtert.
29 
bb. Diese Versorgungssituation wird auch nicht durch Unterstützungsmaßnahmen der afghanischen Regierung oder internationaler Organisationen in wesentlichem Umfang verbessert (vgl. auch HessVGH, 8 UE 1913/06.A., juris; OVG B-B, 12 B 9.05, juris). Staatliche soziale Sicherungssysteme sind nicht vorhanden; vielmehr übernehmen Familien und Stammesverbände die soziale Absicherung (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7. März 2008). Deshalb stoßen nach diesem Lagebericht Rückkehrer, die außerhalb des Familienverbands oder nach einer längeren Abwesenheit im westlich geprägten Ausland zurückkehren, auf größere Schwierigkeiten als Rückkehrer, die in Familienverbänden geflüchtet sind oder in einen solchen zurückkehren, wenn ihnen das notwendige soziale oder familiäre Netzwerk sowie die notwendigen Kenntnisse der örtlichen Verhältnisse fehlen.
30 
Zwar erwähnt der Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7. März 2008, dass die Vereinten Nationen Millionen von Afghanen mit Nahrungsmitteln und Hilfsgütern versorgen und sich die Versorgungslage in Kabul grundsätzlich verbessert habe, schränkt dies aber insoweit ein, als mangels Kaufkraft längst nicht alle Bevölkerungsschichten davon profitierten. Darüber hinaus weist das Auswärtige Amt in diesem Lagebericht auf die Schwierigkeiten humanitärer Nothilfeleistungen infolge schlecht ausgebauter Verkehrswege, widriger Witterungsverhältnisse und wegen Sicherheitsproblemen hin. Dass die Vereinten Nationen Millionen von Afghanen mit Nahrungsmitteln und Hilfsgütern (in einem nicht näher bezeichneten Umfang) versorgen, erklärt sich ohne Weiteres aus der eine solche Verantwortlichkeit begründenden Hilfe, die der UNHCR bei der Rückkehr von ca. vier Millionen Afghanen aus Pakistan und dem Iran geleistet hat und die zu einem guten Teil auf den verstärkten „Rückführungsbemühungen“ der pakistanischen und der iranischen Regierung beruhen (vgl. hierzu Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7. März 2008). Nach der Auskunft, die amnesty international dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof unter dem 17. Januar 2007 erteilt hat, kann die Versorgung der bedürftigen Bevölkerung angesichts der enorm großen Zahl von Rückkehrern und der prekären Sicherheitslage nicht durch Angebote internationaler Hilfsorganisationen aufgefangen werden, zumal viele dieser Organisationen ihre Aktivitäten aufgrund von Sicherheitsbedenken immer stärker einschränken müssten. Dr. Glatzer teilt diese Einschätzung in seinem Gutachten vom 31. Januar 2008. Auch das Auswärtige Amt (Lagebericht vom 7. März 2008) bestätigt, dass sich die Sicherheitslage für Mitarbeiter internationaler Hilfsorganisationen durch regelmäßige Anschläge seit dem Jahr 2006 und durch Entführungen verschlechtert und sich das subjektive Unsicherheitsgefühl in den Reihen der internationalen Gemeinschaft seit dem Anschlag vom 24. Januar 2008 auf das Hotel Kabul Serena erheblich verstärkt habe. Dass internationale Hilfsorganisationen nicht einmal eine notdürftige Nahrungsmittelversorgung der Bevölkerung Kabuls sicherstellen, ist den Gutachten Dr. Daneschs vom 18. Mai 2007 (an VG Koblenz) und vom 24. August 2007 zu entnehmen. Danach gibt es keine Grundversorgung der Flüchtlinge durch internationale Hilfsorganisationen in Kabul. Die Lebensbedingungen der Kabuler hätten sich seit dem Jahre 2001 drastisch verschlechtert. Tag für Tag verhungerten in Kabul Menschen, nach denen in Afghanistan "kein Hahn kräht". Konkrete Zahlen über Todesfälle unter der armen Bevölkerung ließen sich in einem Land, in dem es keine Meldepflicht gebe, nicht erlangen, da sie nicht aktenkundig würden. Außerdem sei unter den afghanischen Verhältnissen die Grenze fließend zwischen regelrechtem Verhungern und Erkrankungen, die aufgrund von Mangelernährung, katastrophaler Hygiene, Kälte bzw. fehlender ärztlicher Behandlung tödlich verliefen. Allein in den drei von der „Action contre la faim“ betreuten Krankenhäusern stürben täglich zwischen fünf und sieben Personen allein wegen Unterernährung, obwohl diese zu den „wenigen Glücklichen“ gehörten, die überhaupt in ein Krankenhaus kämen. Menschen, die Mangelernährung und Krankheiten erlägen, würden ohne viel Umstände verscharrt. Die durch das jahrelange Elend abgestumpfte Bevölkerung nehme solche Todesfälle oft fatalistisch hin.
31 
cc. Auch die Möglichkeiten, eine winterfeste Unterkunft zu erlangen, sind für einen mittellosen Rückkehrer, der nicht auf (groß-)familiäre Hilfe zurückgreifen kann, minimal. Der Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7. März 2008 führt hierzu aus, die Wohnraumversorgung sei unzureichend; Wohnraum sei knapp und die Preise in Kabul seien hoch. Freiwillig zu ihren Angehörigen zurückkehrende Afghanen strapazierten die nur sehr knappen Ressourcen an Wohnraum und Versorgung weiter. Eine zunehmende Zahl von Rückkehrern verfüge zudem nicht mehr über solche Anschlussmöglichkeiten. Bemühungen des Flüchtlingshilfswerks UNHCR und anderer Einrichtungen um die Errichtung von Unterkünften hätten nur geringe Wirkung gehabt. Das afghanische Ministerium für Flüchtlinge und Rückkehrer beabsichtige, Rückkehrer in Neubausiedlungen unterzubringen, von denen ein Großteil für eine dauerhafte Ansiedlung ungeeignet sei, so dass von einem „Aussetzen in der Wüste“ gesprochen werden könne. Nichtregierungsorganisationen leisteten hier humanitäre Hilfe. Von dem „Auffangwohnheim“ auf dem Gelände des Flüchtlingsministeriums, das das Auswärtige Amt in seiner Auskunft vom 29. Mai 2007 an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof erwähnt und in dem Rückkehrer für eine Übergangszeit Unterkunft finden konnten, ist im Lagebericht vom 7. März 2008 nicht (mehr) die Rede.
32 
Dr. Danesch (Gutachten vom 18. Mai 2007 an VG Koblenz und vom 24. August 2007) berichtet, dass ein einfaches Zimmer bis zu 20 US-Dollar im Monat koste. Dafür erhalte man eine Unterkunft in weitab vom Zentrum gelegenen Außenbezirken, wo es oft nicht die geringste Infrastruktur gebe. Erschwinglicher Wohnraum außerhalb der Flüchtlingslager existiere für Rückkehrer nicht.
33 
Nach der Auskunft, die amnesty international dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof unter dem 17. Januar 2007 erteilte, hat der enorme Bevölkerungszuwachs in Kabul einen akuten Mangel an Wohnraum verursacht, so dass sich große Slumviertel gebildet hätten. Viele Menschen lebten in Ruinen. Nach Schätzungen der Caritas verfüge etwa eine Million Menschen in Kabul weder über ausreichenden und winterfesten Wohnraum noch über regelmäßiges Trinkwasser. Die hygienischen Verhältnisse in den Armenvierteln seien katastrophal.
34 
Das Rückkehrerprogramm "Return, Reception and Reintegration of Afghan Nationals to Afghanistan (RANA)" ist nach Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 29. Mai 2007 an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof Ende April 2007 ausgelaufen, so dass auf die Darlegungen von Herrn D…, der während einer Beurlaubung als Beamter der Beklagten im Rahmen des RANA-Programms in Kabul bis zum 22. Mai 2006 tätig war und wegen dieser Tätigkeit von dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg am 24. März 2006 als sachverständiger Zeuge vernommen worden ist, nicht eingegangen werden muss.
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dd. Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass die medizinische Versorgung selbst in Kabul völlig unzureichend ist (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7. März 2008). Amnesty international berichtet dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof unter dem 17. Januar 2007, dass viele Menschen wegen der desolaten Verhältnisse im Gesundheitswesen unter Infektionskrankheiten, Tuberkulose etc. litten. Eine Behandlung sei in der Regel nicht möglich, weil die Gesundheitsversorgung in Afghanistan unzulänglich sei. Während es auf dem Land oft überhaupt keine Versorgung gebe, sei es in Kabul, wo einige Krankenhäuser vorhanden seien, meist nur über Beziehungen oder gegen Bestechung möglich, auch tatsächlich behandelt zu werden. Diese Situation erkläre die geringe Lebenserwartung und eine der weltweit höchsten Kindersterblichkeitsraten. Auch Panhölzl (Humanitäre Lage in Kabul, a.a.O.) referiert, dass die Kosten für einen Arztbesuch fast den Tageslohn eines einfachen Arbeiters – Transportkosten nicht inbegriffen – ausmachen; die Mehrheit der Ärzte in öffentlichen Krankenhäusern betrieben nebenbei private Kliniken und verwiesen die Patienten in diese, was sich die Ärmeren aber nicht leisten könnten.
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ee. Ist mithin davon auszugehen, dass der Kläger im Falle seiner Rückkehr nur eine notdürftige und nicht winterfeste Unterkunft finden würde, nahezu ohne medizinische Versorgung unter hygienisch völlig unzureichenden Verhältnissen leben müsste und darauf verwiesen wäre, sich ausschließlich von Brot und Tee zu ernähren, besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass er durch seine Abschiebung nach Afghanistan zwangsläufig in einen fortschreitenden Prozess körperlichen Verfalls mit lebensbedrohlichen Folgen geraten würde. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus den in sich schlüssigen ernährungsmedizinischen Ausführungen der Sachverständigen Dr. med. T.. Danach führt eine erzwungene Mangelernährung, die aus Brot und Tee besteht, selbst bei ausreichender Kalorienzufuhr, d.h. einer Menge von 1.000g bis 1.500g Weißbrot pro Tag, zu einem verstärkten Abbau von Eiweiß und Fett und insbesondere zu einem Eisenmangel. Die dadurch bedingte Beeinträchtigung der Sauerstoffversorgung habe erhebliche Auswirkungen auf das Gehirn und das Herz und schwäche die Körperimmunabwehr. Dies wiederum könne zu Organschäden am Herzen bis hin zum Herzinfarkt führen. Die Schwächung der Immunabwehr führe in der Regel spätestens nach sechs Monaten zum Ausbruch der Eisenmangelanämie. Die genannten Symptome träten unter den in Afghanistan herrschenden Lebensbedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit noch früher ein, zumal bei einem Rückkehrer nach einem fünf Jahre langen Aufenthalt in Deutschland wegen der erheblichen Klimaumstellungen mit schwerwiegenden Infektionen der Atmungs- und Verdauungsorgane bis hin zur Tuberkulose gerechnet werden müsse. Unter den im Winter in Afghanistan gegebenen Klimabedingungen bestehe die Gefahr von Lungeninfekten. Sie könnten insbesondere dann zum Tod führen, wenn der Organismus bereits zuvor durch Eisenmangel und andere Infekte geschwächt sei. Bei einer Rückkehr nach Kabul im Sommer sei mit Darminfektionen zu rechnen. Unter diesen Umständen könnten bis zu zwei Durchfallerkrankungen möglicherweise ohne große Schäden überwunden werden. Ab der dritten entsprechenden Erkrankung müsse dann aber mit lebensbedrohlichen Entwicklungen gerechnet werden. Eine Anpassung des Körpers im Sinne einer zunehmenden Immunität sei in diesen Fällen ausgeschlossen. Insbesondere im Sommer komme es darüber hinaus auch durch das Trinken von nicht abgekochtem Wasser zu gesundheitlichen Schäden.
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Aus diesen sachverständigen Ausführungen ergibt sich, dass vergleichsweise junge Männer, die in gutem Ernährungs- und Gesundheitszustand aus Europa nach Kabul zurückkehren, nicht etwa über körperliche „Reserven“ verfügen, die ihnen ein Überleben auf längere Sicht erleichtern. Vielmehr erweist sich die über mehrere Jahre vollzogene Anpassung an die in Europa herrschenden klimatischen und hygienischen Bedingungen als Nachteil beispielsweise gegenüber afghanischen Rückkehrern aus Pakistan oder dem Iran. Insbesondere die dadurch erhöhte Infektanfälligkeit wird in Verbindung mit dem ernährungsbedingten Eisenmangel zu schwerwiegenden Infektionen der Atmungs- und Verdauungsorgane führen und mit hoher Wahrscheinlichkeit einen fortschreitenden Prozess körperlichen Verfalls mit lebensbedrohlichen Folgen auslösen.
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Diese schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen reichen aus, um eine zwangsweise Rückkehr als unzumutbar erscheinen zu lassen, auch wenn sehr viele Afghanen in der beschriebenen Weise unterhalb des Existenzminimums „dahinvegetieren“ und keine Berichte über eine Hungersnot in Kabul vorliegen, wie das Sächsische Oberverwaltungsgericht (A 1 B 58/06, AuAS 2007, 5, juris) bemerkt. Gerade den bereits zitierten Ausführungen Dr. Daneschs vom 18. Mai 2007 (an VG Koblenz) und vom 24. August 2007 ist zu entnehmen, aus welchen Gründen sich Angaben über diese Zustände einer „weiteren Präzisierung“, die das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen (20 A 5164/04.A, juris) vermisst, entziehen und über Hungertote oder an den Folgeerkrankungen der chronischen Mangelernährung Verstorbene nicht im Einzelnen berichtet wird. Im Übrigen beruhen die Entscheidungen des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts (A 1 B 58/06, AuAS 2007, 5, juris) und des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (20 A 5164/04.A, juris) wesentlich auf den wegen des inzwischen ausgelaufenen RANA-Programms nicht mehr aktuellen Bekundungen des Herrn D.. Zwar geht auch der Hessische Verwaltungsgerichtshof (8 UE 1913/06.A, juris) davon aus, dass ein junger, allein stehender Afghane ohne nennenswertes Vermögen und ohne abgeschlossene Berufsausbildung wahrscheinlich in der Lage wäre, durch Gelegenheitsarbeiten wenigstens ein kümmerliches Einkommen zu erzielen, damit ein Leben am Rande des Existenzminimums zu finanzieren und sich allmählich wieder in die afghanische Gesellschaft zu integrieren; er räumt aber ein, manche von den Gutachtern mitgeteilte Details sprächen auch für die gegenteilige Schlussfolgerung. Soweit das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (12 B 9.05, juris) für männliche Flüchtlinge mittleren Alters im Falle der Rückkehr nach Afghanistan in der Regel keine extremen allgemeinen Gefahren sieht, lagen der Entscheidung tatsächliche Besonderheiten in der Person des Klägers zugrunde, der aus einer wohlhabenden Familie mit einflussreichen Kontakten auch in Kabul stammte (…). Ebenso wenig vergleichbar sind die Entscheidungen anderer Oberverwaltungsgerichte (OVG S-H, 2 LB 38/07, juris; OVG B-B, 12 B 11.05, juris), deren abweichende Einschätzung der Gefährdungslage darauf beruht, dass die um Abschiebungsschutz nachsuchenden afghanischen Staatsangehörigen in ein (groß-)familiäres Umfeld zurückkehren konnten.“
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Dieser überzeugenden Einschätzung schließt sich der Senat an. Die seit Ergehen dieses Urteils eingegangenen weiteren Erkenntnismittel belegen die Richtigkeit dieser Einschätzung und zeigen zudem eine weitere Verschärfung der Situation auf.
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bb) Seit Mai 2008 hat sich die Versorgungssituation für Rückkehrer aus Europa ohne Vermögen oder (groß-)familiären Rückhalt in Afghanistan weiter verschlechtert. Auch wenn die Lage in einzelnen Provinzen und Distrikten erhebliche Unterschiede aufweist (Wegweiser zur Geschichte - Afghanistan, 2009 S. 9), befindet sich das Land insgesamt gesehen in einer "Abwärtsspirale" (FAZ vom 07.02.2009). US-Geheimdienste zeichnen ein „äußerst düsteres Bild“ (SZ vom 10.10.2008). Versorgungsengpässe sind an der Tagesordnung, und dies nicht nur in abgelegenen Gebieten oder den Elendsvierteln von Kabul. Die Einwohnerzahl Kabuls explodierte auch aufgrund von Landflucht sowie der massenhaften Rückkehr von Flüchtlingen in den letzten Jahren von circa einer auf nunmehr weit über drei Millionen Menschen (Wegweiser zur Geschichte - Afghanistan, 2009 S. 224). Im neuesten Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 03.02.2009 heißt es, Afghanistan durchlebe insbesondere eine Nahrungsmittelkrise. Das Land gelte zwischenzeitlich in Asien als das ärmste. Die Lebensbedingungen seien landesweit schlecht. Seit dem Winter 2007/08 habe sich die Lage mit den weltweit steigenden Nahrungsmittelpreisen, verbunden mit Exportbeschränkungen der Nachbarländer für Weizen und einer Dürre in einigen Landesteilen, noch einmal erheblich verschärft. Eine weitere Verschlechterung im Winter 2008/09 und in der folgenden „mageren Jahreszeit“ im ersten Halbjahr 2009 sei wahrscheinlich. Besonders problematisch sei die Lage in den ländlichen Gebieten, deren Versorgung oftmals sehr schwierig, im Winter überhaupt nicht möglich sei. Aber auch in Kabul und zunehmend in anderen großen Städten sei die Lage nicht wesentlich besser. Wegen sinkender oder ganz fehlender Kaufkraft profitiere von einer seit 2001 zwar grundsätzlich verbesserten Versorgungslage derzeit allenfalls eine kleine Bevölkerungsschicht. Angemessener Wohnraum sei knapp und nur zu hohen Preisen erhältlich. Selbst Kabul habe keine geregelte Stromversorgung. Staatliche soziale Sicherungssysteme seien weiterhin praktisch nicht vorhanden; Korruption sei weit verbreitet, der Verwaltungsapparat sei hoch ineffizient. Die medizinische Versorgung sei immer noch unzureichend. Selbst die Ansiedlung organisiert zurückgeführter Flüchtlinge in vorgesehene „townships“ erfolge etwa wegen fehlender Wasserversorgung und abseitiger Lage unter „schwierigen Rahmenbedingungen“ und gleiche, trotz humanitärer Hilfe von Nichtregierungsorganisationen, teilweise weiterhin einem „Aussetzen in der Wüste“. Der Zugang zu Arbeit, Wasser bzw. Grundversorgung sei häufig nur sehr eingeschränkt möglich. Ohne familiäre oder soziale Netzwerke und ohne notwendige Kenntnisse der örtlichen Verhältnisse würden Rückkehrer „auf größere Schwierigkeiten“ stoßen. Sie könnten zudem auf übersteigerte Erwartungen ihrer finanziellen Möglichkeiten treffen und mit überhöhten Preisen konfrontiert werden. Von den im Land gebliebenen Landsleuten würden Rückkehrer im Übrigen häufig nicht als vollwertige Afghanen akzeptiert. Hinzu komme, dass die Gefährdung des Einzelnen, zu einem Opfer von Gewalt zu werden, im ganzen Land gegeben sei. Die afghanische Nationalpolizei werde ihrer Aufgabe bei der Durchsetzung von Recht und Gesetz nicht gerecht und gelte wegen Korruption und niedrigem Ausbildungsstand an vielen Orten selbst als Unsicherheitsfaktor. Von der sich verschlechternden Sicherheitslage seien inzwischen fast alle Landesteile betroffen. Auch die Gefahr, Opfer der deutlich zugenommenen Entführungen zwecks Erpressung von Lösegeld zu werden, treffe Rückkehrer, wenn ihnen ausreichende finanzielle Mittel für einen Freikauf unterstellt würden. Ob sich eine Person diesen Gefahren entziehen könne, hänge maßgeblich von dem Grad ihrer familiären, tribalen und sozialen Vernetzung ab.
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Weitere aktuelle Erkenntnisquellen geben kein besseres Bild von der in der Gesamtschau für Rückkehrer ohne Vermögen oder (groß-)familiären Rückhalt katastrophalen Lage: Gemeinhin wird davon ausgegangen, dass die Situation 2009 noch schlechter werde; „so viel Pessimismus war nie“ (Der Spiegel vom 13.10.2008). Die Schere zwischen Reich und Arm klafft immer weiter auseinander. Einerseits lassen sich Drogenbarone und Warlords in Kabul „protzige Villen“ bauen. Andererseits leben immer mehr Menschen in nicht winterfesten Unterkünften, oftmals Ruinen (SFH vom 21.08.2008 u. 26.02.2009), und es müssen nach einer repräsentativen Erhebung von ARD, ABC und BBC zwischenzeitlich über die Hälfte aller Haushalte (54 %) mit weniger als umgerechnet 100 Dollar (ca. 78 EUR) im Monat auskommen. Gerade noch rund ein Drittel der afghanischen Bevölkerung (37 %) gibt an, sich notwendige Lebensmittel leisten zu können. Und nur noch 31 % der Bevölkerung ist in der Lage, den Preis für Heizöl zu bezahlen (dpa-News vom 09.02.2009). Alles sei dramatisch teurer geworden, vor allem Lebensmittel, Brennholz, Benzin, Gas und Baumaterialien (SZ vom 24.10.2008); insbesondere die Lebensmittelpreise sind zwischen Februar 2008 und Februar 2009 um bis zu 130 % gestiegen (SFH vom 26.02.2009) Nach UN-Angaben müssen heute 42 % der Afghanen von weniger als einem Dollar am Tag leben (ai-Pressespiegel 2/2009, S. 46). Die Arbeitslosenrate liege zwischen 32 und 60 Prozent; ein Großteil der arbeitenden Bevölkerung versuche, sich als Tagelöhner zu verdingen (SFH vom 26.02.2009). Überall könne man Armut sehen, etwa Leute, die sich „nur von Wasser, Brot und ein bisschen Tomatenpüree oder allenfalls mal von einem Teller Reis“ ernähren (SZ vom 24.10.2008). Für die große Mehrheit der Afghanen würden Armut, Krankheit, Dürreperioden und interne Konflikte noch größere Bedrohungen darstellen als das Risiko, durch kriegerische oder terroristische Attacken verletzt oder getötet zu werden. Die Richtigkeit dieser Einschätzung illustrieren auch Indikatoren zum Gesundheitszustand der Bevölkerung: So stirbt heute in Afghanistan durchschnittlich alle 30 Minuten eine Frau aufgrund von Komplikationen während Schwangerschaft oder Geburt. Die Hälfte der Kinder bis zum Alter von fünf Jahren gelten als chronisch unterernährt. Lediglich zwei von zehn ländlichen Haushalten verfügen über sauberes Trinkwasser, was wiederum dazu führt, dass 85.000 Kinder im Alter unter fünf Jahren jährlich an den Folgen von Magen- und Darmerkrankungen sterben. Jedenfalls für die Mehrheit der auf dem Land lebenden Afghanen gibt es weder eine medizinische Grundversorgung noch Ernährungssicherheit (Wegweiser zur Geschichte - Afghanistan, 2009 S. 105 f.). Die Lebenserwartung der afghanischen Bevölkerung gehört heute mit 42 Jahren zu den geringsten der Welt (SFH vom 26.02.2009). Zudem verläuft der Wiederaufbau offenbar überall schleppend. Die Korruption habe „atemberaubende Ausmaße“ angenommen. Einer der wenigen funktionierenden Erwerbszweige sei die Drogenökonomie. Afghanistan hat zwischenzeitlich beinahe ein weltweites Monopol für Schlafmohn, aus dem Heroin gewonnen wird (dpa-News vom 29.01.2009). Mit den Erlösen aus Schlafmohnanbau und Drogenhandel füllen nicht nur, aber vor allem die Taliban ihre Kriegskasse (dpa-News vom 13.02.2009). Jeder zehnte Afghane baut nach UN-Berichten oftmals notgedrungen Schlafmohn an; das entspricht rund 2,5 Millionen Menschen. Hinzu kommen noch diejenigen, die Drogen schmuggeln, veredeln und weiterverkaufen. Niemand wage, ihre Zahl zu schätzen. Den Wert ihrer Früchte dagegen schon: Allein die 7,7 Tonnen Rohopium, die 2008 in Afghanistan geerntet wurden (93 % der Weltopiumsproduktion), haben einen Marktwert von 3,5 Milliarden Dollar. Ein Kilo Heroin hat derzeit in Afghanistan den Gegenwert von 30 Maschinengewehren. Täglich starten aus Girdi Jungal und Baramcha schwer bewachte Konvois mit mehreren Hundert Kilo Heroin an Bord Richtung Iran. An der Grenze zu Pakistan wurden Labore zur Veredelung des Rohopiums von fabrikartigen Ausmaßen errichtet, in denen mehrere Hundert Menschen arbeiten sollen. Rund 90% der Ernte wird inzwischen in Afghanistan selbst zu Heroin und Morphiumprodukten verarbeitet (Wegweiser zur Geschichte - Afghanistan, 2009 S. 231). Ein US-Militär brachte die Verbindung zwischen Taliban-Renaissance und Drogenschmuggel lakonisch auf den Punkt: "Drogen raus, Waffen rein." Hochrangige Regierungsvertreter und sogar der Bruder von Präsident Karzai sollen sich nach Ansicht des Weißen Hauses an Drogengeschäften beteiligen (ZEIT-online vom 04.02.2009), weshalb die Bevölkerung Drogenbekämpfungsmaßnahmen als Ausdruck von Doppelmoral ansieht. Vernichtungskampagnen würden vor allem jenen verarmten Bevölkerungsteil treffen, der existenziell auf den Schlafmohnanbau angewiesen sei. Die Nato-Truppen haben dennoch beschlossen, nunmehr aktiv die Drogenproduktion zu bekämpfen; ein durchgreifender Erfolg dieser Aktionen erscheint jedoch außerordentlich fraglich (taz vom 13.10.2008). Die Schwierigkeiten Afghanistans dürften zudem kaum trennbar mit denen Pakistans verbunden sein. Die Problemzone Afghanistan besteht gewissermaßen aus einem Rumpfstaat um Kabul, dessen Aufbau nicht vorankommt, während bei seinem atomar bewaffneten Nachbarn „ein beängstigender Staatszerfall“ stattfindet. Die in der Regierung von Präsident Karzai wütende Korruption habe den Zusammenbruch zentraler Autorität ebenso beschleunigt wie die wachsende Gewalt durch Militante aus Zufluchtsorten in Pakistan (netzwerk-afghanistan.info vom 09.10.2008). Die pakistanische Regierung verliere immer mehr den Zugriff auf ihre nordwestliche Grenzregion. Islamabad hat nun verkündet, man werde dort ein System islamischer Gerichtsbarkeit im Gegenzug für einen Waffenstillstand mit den Taliban akzeptieren (Die Zeit vom 19.02.2009).
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cc) Die ohnehin katastrophale Versorgungssituation in Afghanistan wird zudem durch die inzwischen landesweit schwierige Sicherheitslage verschärft. Die Kämpfe zwischen verschiedenen bewaffneten Gruppen haben tausende Familien gezwungen, in größeren Städten Schutz zu suchen. Zehntausende intern Vertriebene leben in Slums rund um Kabul und Herat. UNHCR schätzte im Januar 2009, dass ca. 235.000 Menschen neu vertrieben wurden (SFH vom 11.03.2009). Auch die Versorgung der ländlichen Gebiete mit Hilfsgütern ist aufgrund der schwierigen Sicherheitslage nur noch eingeschränkt möglich. Die Kosten für eine LKW-Fuhre mit Hilfsgütern von Kabul nach Kandahar etwa haben sich wegen der „Gefahrenzulagen“ von 1.800 Dollar im Frühjahr 2008 auf nunmehr fast 18.000 US-Dollar verzehnfacht (Der Spiegel vom 13.10.2008). Afghanistan ist heute eines der am stärksten verminten Länder der Welt (SFH vom 21.08.2008). Für die internationalen Truppen war 2008 das verlustreichste Jahr seit dem Sturz des Taliban-Regimes Ende 2001. Allein in den ersten acht Monaten des Jahres 2008 hat der Konflikt am Hindukusch nach UN-Angaben mehr als 4.000 Menschen das Leben gekostet, über ein Drittel davon Zivilisten; andere Schätzungen gehen von über 2000 getöteten Zivilisten im letzten Jahr aus (FAZ vom 18.02.2009). Deutschen Soldaten ist es in Kabul verboten, sich zu Fuß oder mit ungepanzerten Fahrzeugen zu bewegen; vom Elend der Flüchtlinge bekommen sie kaum etwas mit (SZ vom 02.09.2008). An eine rein militärische Konfliktlösung glaubt inzwischen offenbar niemand mehr. Präsident Karzai hat den Taliban wiederholt Verhandlungen angeboten, die jedoch abgelehnt wurden, solange ausländische Truppen im Land sind (FR vom 27.02.2009). Im Süden, Osten und Westen konnten die Taliban immer näher an Kabul heranrücken. Sie seien bereits auf 72 % des afghanischen Territoriums „dauerhaft präsent“ (dpa-News vom 10.10.2008). US-Präsident Obama’s angekündigte Offensive und Truppenaufstockungen um mindestens 17.000 weitere Soldaten (Die Welt vom 19.02.2009) bedeuteten noch mehr Kämpfe und Gewalt, denn die Aufständischen seien mächtig wie nie (BNN vom 17.12.2008; FAZ vom 22.12.2008). Aber nicht nur die Taliban, auch kriminelle Banden machen das Land und selbst die Hauptstadt Kabul unsicher (dpa-News vom 29.01.2009). Hinzu kommt, dass die Grenzen zwischen organisierter Kriminalität, ehemaligen Warlords, die ihre Einflussbereiche nun als Gouverneure oder Distriktchefs sichern, bis hin zu Gruppierungen der Taliban oder anderen militanten Kräften fließend verlaufen (Wegweiser zur Geschichte - Afghanistan, 2009 S. 10). Kabul, jahrelang als „letzte sichere Insel im von Gewalt zerrütteten Land am Hindukusch“ bezeichnet, erscheint im Frühjahr 2009 „alles andere als sicher“ (Der Spiegel vom 25.01.2009). Die Zahl der registrierten Bombenanschläge (ca. 2.000) und Entführungen (ca. 300) hat sich laut US-Angaben 2008 etwa verdoppelt (taz vom 30.12.2008). Zudem habe sich zwischenzeitlich eine Art „Entführungsindustrie“ entwickelt, die jeden treffen könne (SZ vom 24.10.2008). Auch das Auswärtige Amt warnt deshalb dringend vor Reisen nach Kabul und Afghanistan. Das Risiko, Opfer einer Entführung zu werden, bestehe landesweit. Auch in der Hauptstadt Kabul könnten Überfälle und Entführungen nicht ausgeschlossen werden; im übrigen Land bestünden teilweise noch deutlich höhere Sicherheitsrisiken. Wer sich dennoch nach Afghanistan begebe, müsse sich der Gefährdung durch terroristisch oder kriminell motivierte Gewaltakte bewusst sein. Trotz Präsenz der Internationalen Schutztruppe ISAF komme es überall zu Attentaten. Die Sicherheitskräfte der Regierung seien nicht in der Lage, Ruhe und Ordnung zu gewährleisten. Zudem sei die medizinische Versorgung, insbesondere die stationäre Behandlungsmöglichkeit, völlig unzureichend und in etlichen Landesteilen nahezu nicht existent bzw. nicht nutzbar (www.auswaertiges-amt.de; Zugriff vom 16.03.2009).
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In einer Gesamtgefahrenschau muss vor diesem Hintergrund im konkreten Einzelfall des Klägers eine extreme Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bejaht werden.
III.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO und § 83 b AsylVfG. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein gesetzlicher Zulassungsgrund vorliegt (§ 132 Abs. 2 VwGO).

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 16. September 2011 - A 8 K 744/10 - geändert. Die Klage wird insgesamt abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des gesamten - gerichtskostenfreien - Verfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger, ein am 01.08.1986 in Helmand geborener afghanischer Staatsangehöriger schiitischen Glaubens vom Volk der Hazara, reiste am im Februar 2009 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 05.03.009 stellte er einen Asylantrag mit der Begründung, mit der Tochter seines Onkels zusammen gewesen zu sein. Diese sei schwanger geworden, was eine Schande sei. Aus Angst vor seinem Onkel sei er zunächst mit ihr nach Kabul und dann weiter zu seiner Schwester in den Iran gegangen. Im Iran sei er zum Christentum konvertiert.
Die Beklagte lehnte den Asylantrag des Klägers mit Bescheid des Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 17.03.2010 ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht vorliegen sowie auch Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht gegeben sind und drohte ihm die Abschiebung nach Afghanistan an.
Am 29.03.2010 erhob der Kläger hiergegen beim Verwaltungsgericht Karlsruhe Klage. In der mündlichen Verhandlung nahm er die Klage bezüglich der Asylanerkennung zurück und trug u.a. ergänzend vor, seine Lebensgefährtin lebe derzeit bei seiner Schwester im Iran. Der Übertritt zum Christentum schon im Iran entspreche nicht der Wahrheit. Inzwischen habe er jedoch hier in Deutschland seit zwei Jahren zu einer Christin Kontakt und sei Christ geworden. Wegen seiner Arbeit bei einer Fast-Food-Kette gehe er derzeit aber nur an den Wochenenden zum Beten. In Kabul habe er keine Verwandten. Ohnehin seien alle seine Verwandten wegen des Krieges in den Iran oder nach Pakistan gegangen. Seit einem Jahr hätten sie sich in alle Länder zerstreut. Sein Onkel, vor dem er nach wie vor Angst habe, sei aber wohl noch in Helmand, wie ihm seine Lebensgefährtin gesagt habe.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage hinsichtlich des Asylbegehrens eingestellt, die Beklagte unter diesbezüglicher Aufhebung des Bundesamtsbescheids vom 17.03.2010 zur Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG hinsichtlich Afghanistans verpflichtet und die Klage im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung des Urteils vom 16.09.2011 - A 8 K 744/10 - hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Verfolgungsgeschichte des Klägers und seine Konversion zum Christentum seien nicht glaubhaft, weswegen die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG ausscheide. Er habe allenfalls ein gewisses Interesse für das Christentum dargelegt. Auch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 oder Abs. 3 Satz 1 AufenthG seien nicht gegeben. Dem Kläger stehe hingegen ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG zu, weil in seiner Heimatprovinz Helmand ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt herrsche, wie das Verwaltungsgericht Ansbach mit Urteil vom 03.03.2011 (AN 11 K 10.30515) überzeugend dargelegt habe. Der Kläger könne auch nicht auf internen Schutz außerhalb der Provinz Helmand verwiesen werden, weil dort nach Überzeugung des Gerichts keine Familienangehörigen lebten. Auch in Kabul aber sei das Existenzminimum des Klägers nach der Erkenntnismittellage derzeit nicht gesichert.
Mit ihrer vom erkennenden Gerichtshof mit Beschluss vom 17.11.2011 - A 11 S 2877/11 - zugelassenen Berufung macht die Beklagte im Wesentlichen geltend, die Gewährung eines unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG scheide aus. Da bezogen auf die ca. 821.800 Einwohner der Provinz Helmand im Jahr 2010 nur 0,34 % getötete Zivilisten zu verzeichnen und nur 0,87 % der Zivilisten von Übergriffen betroffen gewesen seien, 2009 sogar nur 0,73 % der Zivilisten, fehle es schon an der erforderlichen Gefahrendichte. Auch bestehe jedenfalls in Kabul eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative. Ein nationaler Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG sei im Falle des Klägers ebenfalls nicht gegeben.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 16. September 2011 - A 8 K 744/10 - zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise die Beklagte unter diesbezüglicher Aufhebung des Bescheids des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 17.03.2010 zu verpflichten festzustellen, dass ein nationales Abschiebungsverbot (§ 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG) hinsichtlich Afghanistans gegeben ist.
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Er ergänzt im Wesentlichen, es herrsche in ganz Afghanistan ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Hervorzuheben seien die zahlreichen Anschläge. Bei einer Rückkehr in seine Heimat wäre er den dortigen Risiken schutzlos ausgeliefert. Auch Kabul scheide deshalb als innerstaatliche Fluchtalternative aus, denn er verfüge dort über keinen Rückhalt durch Familienangehörige. Des Weiteren läge auch deshalb eine extreme Gefahrenlage im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor, weil 2011 ein Jahr der Dürre gewesen sei und der Kläger der Volksgruppe der Hazara angehöre, die gerade in Kabul einen besonders schweren Stand hätten.
11 
Der Senat hat den Kläger in der Berufungsverhandlung am 27.04.2012 informatorisch angehört. Dabei betonte er, heute in ganz Afghanistan, auch in seiner Heimatprovinz Helmand, keinerlei aufnahmebereite Verwandte und Bekannte und dort auch keine Existenzgrundlage mehr zu haben. Nach Helmand werde er schon wegen des weiterhin dort lebenden Onkels, dessen Tochter er geschwängert und vor dem er bis heute Angst habe, sowie der besonderen Diskriminierung seiner Volksgruppe in dieser Region, bei einer Rückkehr nach Afghanistan ganz sicher nicht mehr gehen. Auf die Konversion zum Christentum beziehe er sich nicht mehr; das habe sich gewissermaßen erledigt. Bezüglich der Frage der erforderlichen Gefährdungsdichte müsse der Europäische Gerichtshof gefragt werden, ob der Maßstab des Bundesverwaltungsgerichts im Urteil vom 27.02.2010 - 10 C 4.09 - mit Art. 15 lit. c QRL vereinbar sei.
12 
Die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes ergeben sich aus den Gerichtsakten sowie den Verfahrensakten des Bundesamts. Dem Senat liegen des Weiteren die Akte des Verwaltungsgerichts Karlsruhe in dem Verfahren A 8 K 744/10 sowie die Erkenntnisquellen, die den Beteiligten mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung bzw. in der mündlichen Verhandlung mitgeteilt worden sind, vor. Die beigezogenen Akten und Erkenntnisquellen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

 
13 
Die zulässige, insbesondere rechtzeitig unter Stellung eines Antrags und unter Bezugnahme auf die ausführliche Begründung des Zulassungsantrags begründete Berufung (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 -NVwZ 2006, 1420 m.w.N.) der Beklagten hat Erfolg. Der Senat geht davon aus, dass der Kläger die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (- Aufenthaltsgesetz -) in der Fassung der Änderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der EU vom 19.08.2007 (- 1. Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 28.08.2007, BGBl I 1970) sowie das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der EU und zur Anpassung nationaler Rechtvorschriften an den EU-Visakodex vom 22.11.2011 (- 2. Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 26.11.2011, BGBl I 2258) nicht beanspruchen kann. Dem Kläger steht in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) weder ein unionsrechtlich begründeter noch im Übrigen ein nationaler Abschiebungsschutz zu.
14 
I. Da die Berufung nur insoweit zugelassen wurde, ist Gegenstand des Berufungsverfahrens zunächst das Verpflichtungsbegehren des Klägers auf Gewährung subsidiären unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG (entsprechend den Voraussetzungen für den subsidiären Schutz in Art. 15 der sog. Qualifikations-Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes; ABlEU Nr. L 304 S. 12; ber. ABlEU vom 05.08.2005 Nr. L 204 S. 24, neugefasst mit Umsetzungsfrist bis 21.12.2013 als Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011, ABlEU vom 20.12.2011 Nr. L 337 S. 9; - QRL -). Nur hilfsweise ist Gegenstand des Berufungsverfahrens der nationale Abschiebungsschutz, d.h. die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung (BVerwG, Urteil vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - juris Rn. 11). Sowohl der (weitergehende) unionsrechtlich begründete Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG als auch der nationale Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 und 3 AufenthG bilden jeweils einen einheitlichen, in sich nicht weiter teilbaren Streitgegenstand (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 11). In dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der erneuten mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) besteht zu Gunsten des Klägers hinsichtlich Afghanistans jedoch weder ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG noch nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung.
15 
II. Unionsrechtlich begründeter Abschiebungsschutz ist im Falle des Klägers derzeit nicht gegeben.
16 
1. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG ist nicht erkennbar.
17 
a) Nach dieser Norm darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Unter „Folter“ ist in Anlehnung an die Definition von Art. 1 des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (BGBl. 1990 II S. 247, BGBl. 1993 II S. 715) eine Behandlung zu verstehen, die einer Person vorsätzlich schwere Schmerzen oder Leiden körperlicher oder geistig-seelischer Art zufügt, um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erzwingen, sie oder einen Dritten zu bestrafen, einzuschüchtern oder zu nötigen oder mit diskriminierender Absicht zu verfolgen. Wann eine „unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung“ vorliegt, hängt nach der insoweit vor allem maßgebenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom Einzelfall ab. Eine Schlechtbehandlung einschließlich Bestrafung muss jedenfalls ein Minimum an Schwere erreichen, um in den mit § 60 Abs. 2 AufenthG und Art. 15 lit. b QRL insoweit identischen Schutzbereich von Art. 3 EMRK zu fallen. Die Bewertung dieses Minimums ist nach Natur der Sache relativ. Kriterien hierfür sind abzuleiten aus allen Umständen des Einzelfalles, wie etwa der Art der Behandlung oder Bestrafung und dem Zusammenhang, in dem sie erfolgte, der Art und Weise ihrer Vollstreckung, ihrer zeitlichen Dauer, ihrer physischen und geistigen Wirkungen, sowie gegebenenfalls abgestellt auf Geschlecht, Alter bzw. Gesundheitszustand des Opfers. Abstrakt formuliert sind unter einer menschenrechtswidrigen Schlechtbehandlung Maßnahmen zu verstehen, mit denen unter Missachtung der Menschenwürde absichtlich schwere psychische oder physische Leiden zugefügt werden und mit denen nach Art und Ausmaß besonders schwer und krass gegen Menschenrechte verstoßen wird (Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 34 f., m.w.N.). Im Rahmen der Prüfung, ob eine konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung besteht, ist der asylrechtliche Prognosemaßstab der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ anzulegen, wobei allerdings das Element der Konkretheit der Gefahr das zusätzliche Erfordernis einer einzelfallbezogenen, individuell bestimmten und erheblichen Gefährdungssituation kennzeichnet (ausführlich: Senatsurteil vom 06.03.2011 - 11 S 3070/11 - juris; BVerwG, Beschluss vom 10.04.2008 - 10 B 28.08 - juris Rn. 6; Urteil vom 14.12.1993 - 9 C 45.92 - juris Rn. 10 f.).
18 
b) Im Falle des Klägers gibt es keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Annahme, es bestünde für ihn bei einer Rückkehr nach Afghanistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit im dargelegten Sinne die konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung (vgl. zum Urteil des EGMR vom 21.01.2011 - Nr. 30696/09 - das Senatsurteil vom 06.03.2012 - A 11 S 3177/11 - juris).
19 
2. Ebenso ist kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 3 AufenthG erkennbar, wonach ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden darf, wenn ihn dieser Staat wegen einer Straftat sucht und dort aufgrund konkreter und ernsthafter Anhaltspunkte die Gefahr der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe besteht (ausführlich: Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 39 ff., m.w.N.). Hierzu fehlen im Falle des Klägers jegliche Anhaltspunkte.
20 
3. Nach Auffassung des Senats liegt derzeit auch kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vor. Hiernach ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist.
21 
a) Diese Bestimmung entspricht nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts trotz geringfügig abweichender Formulierungen den Vorgaben des Art. 15 lit. c QRL und ist in diesem Sinne auszulegen (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 14). Nach Art. 15 lit. c QRL gilt als ernsthafter Schaden „eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts“.
22 
(1) Bei der Frage, ob ein internationaler oder innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, sind hiernach die vier Genfer Konventionen zum humanitären Völkerrecht von 1949 und insbesondere das Zusatzprotokoll II von 1977 (BGBl 1990 II S. 1637; - ZP II -) zu berücksichtigen. Das ZP II definiert in Art. 1 Nr. 1 den Begriff des nicht internationalen bewaffneten Konflikts wie folgt: „Dieses Protokoll, das den den Genfer Abkommen vom 12.08.1949 gemeinsamen Art. 3 weiterentwickelt und ergänzt, ohne die bestehenden Voraussetzungen für seine Anwendung zu ändern, findet auf alle bewaffneten Konflikte Anwendung, die von Art. 1 des Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vorn 12.08.1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I) nicht erfasst sind und die im Hoheitsgebiet einer Hohen Vertragspartei zwischen deren Streitkräften und abtrünnigen Streitkräften oder anderen organisierten bewaffneten Gruppen stattfinden, die unter einer verantwortlichen Führung eine solche Kontrolle über einen Teil des Hoheitsgebiets der Hohen Vertragspartei ausüben, dass sie anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen durchführen und dieses Protokoll anzuwenden vermögen.“ In seinem Art. 2 grenzt das ZP II sodann von Fällen bloßer "innerer Unruhen und Spannungen" ab, die nicht unter diesen Begriff fallen. Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts liegt demnach jedenfalls dann vor, wenn der Konflikt die Kriterien des Art. 1 Nr. 1 ZP II erfüllt. Er liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn die Ausschlusstatbestände des Art. 1 Nr. 2 ZP II erfüllt sind, es sich also nur um innere Unruhen und Spannungen handelt wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen, die nicht als bewaffnete Konflikte gelten. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinne von Art. 15 lit. c QRL nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss hierfür aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen. Typische Beispiele sind Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfe. Der völkerrechtliche Begriff des "bewaffneten Konflikts" wurde gewählt, um klarzustellen, dass nur Auseinandersetzungen von einer bestimmten Größenordnung an in den Regelungsbereich der Vorschrift fallen. Dennoch setzt ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt nicht zwingend einen so hohen Organisationsgrad und eine solche Kontrolle der Konfliktparteien über einen Teil des Staatsgebiets voraus, wie sie für die Erfüllung der Verpflichtungen nach den Genfer Konventionen von 1949 erforderlich sind. Ohnehin findet die Orientierung an den Kriterien des humanitären Völkerrechts ihre Grenze jedenfalls dort, wo ihr der Zweck der Schutzgewährung für in Drittstaaten Zuflucht Suchende nach Art. 15 lit. c QRL widerspricht. Weitere Anhaltspunkte für die Auslegung des Begriffs des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts können sich aus dem Völkerstrafrecht ergeben, insbesondere aus der Rechtsprechung der Internationalen Strafgerichtshöfe. Hiernach dürfte kriminelle Gewalt bei der Feststellung, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, jedenfalls dann keine Berücksichtigung finden, wenn sie nicht von einer der Konfliktparteien begangen wird (ausführlich: BVerwG, Urteile vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - juris Rn. 19 ff. und vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 -juris Rn. 23).
23 
(2) Bezüglich der Frage, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, ist zunächst das gesamte Staatsgebiet in den Blick zu nehmen. Besteht ein bewaffneter Konflikt jedoch nicht landesweit, kommt eine individuelle Bedrohung in Betracht, wenn sich der Konflikt auf die Herkunftsregion des Ausländers erstreckt, in der er zuletzt gelebt hat bzw. in die er typischerweise zurückkehren kann und voraussichtlich auch wird, d.h. auf seinen "tatsächlichen Zielort" bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat (EuGH, Urteil vom 17.02.2009, Rs. C-465/07 Rn. 40). Auf einen bewaffneten Konflikt außerhalb der Herkunftsregion des Ausländers kann es hingegen nur ausnahmsweise ankommen. In diesem Fall muss der Betreffende stichhaltige Gründe dafür vorbringen, dass für ihn eine Rückkehr in seine Herkunftsregion ausscheidet und nur eine Rückkehr gerade in die Gefahrenzone in Betracht kommt (BVerwG, Urteil vom 14.07.2009 - 10 C 9.08 - juris Rn. 17).
24 
(3) Konnte ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt zumindest im tatsächlichen Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat festgestellt werden, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts weiter zu fragen, ob ihm dort infolgedessen auch eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben infolge willkürlicher Gewalt droht. Hierfür sind Feststellungen über das Niveau willkürlicher Gewalt bzw. zu der sogenannten Gefahrendichte erforderlich, d.h. (1.) eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen und (2.) der Akte willkürlicher Gewalt, die von den Konfliktparteien gegen Leib und Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie (3.) eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung. Hierzu gehört auch die Würdigung der medizinischen Versorgungslage in dem jeweiligen Gebiet, von deren Qualität und Erreichbarkeit die Schwere eingetretener körperlicher Verletzungen mit Blick auf die den Opfern dauerhaft verbleibenden Verletzungsfolgen abhängen kann. Im Übrigen können die für die Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts entwickelten Kriterien entsprechend herangezogen werden. In jedem Fall setzt § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG für die Annahme einer erheblichen individuellen Gefahr voraus, dass dem Betroffenen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Schaden an den Rechtsgütern Leib oder Leben droht. Gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG gilt auch für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG u.a. die Beweisregel des Art. 4 Abs. 4 QRL (ausführlich: BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 - juris Rn. 32 ff.; vgl. auch Dolk, Asylmagazin 12/2011, 418 ff., m.w.N.).
25 
(4) Bei der Prüfung, ob dem Ausländer zumindest im tatsächlichen Zielort aufgrund eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben droht, sind gegebenenfalls gefahrerhöhende persönliche Umstände zu berücksichtigen. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich. Liegen hingegen gefahrerhöhende persönliche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt. Zu diesen gefahrerhöhenden Umständen gehören in erster Linie solche persönlichen Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen - z.B. als Arzt oder Journalist - gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Dazu können aber nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts auch solche persönlichen Umstände gerechnet werden, aufgrund derer der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte - etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit - ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht schon eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt. Auch im Fall gefahrerhöhender persönlicher Umstände muss aber ein hohes Niveau willkürlicher Gewalt bzw. eine hohe Gefahrendichte für die Zivilbevölkerung in dem fraglichen Gebiet festgestellt werden. Allein das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts und die Feststellung eines gefahrerhöhenden Umstandes in der Person des Antragstellers reichen hierfür nicht aus. Allerdings kann eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr auch dann, wenn individuelle gefahrerhöhende Umstände fehlen, ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 18 ff.).
26 
(5) Schließlich darf für den Ausländer keine Möglichkeit internen Schutzes gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 8 QRL bestehen. Nach Art. 8 Abs. 1 QRL können die Mitgliedstaaten bei der Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz feststellen, dass ein Antragsteller keinen internationalen Schutz benötigt, sofern in einem Teil des Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung bzw. keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht und von dem Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil aufhält. Nach Absatz 2 der Norm berücksichtigen die Mitgliedstaaten bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Antragstellers zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag. Nach Absatz 3 der Norm kann Absatz 1 kann auch dann angewandt werden, wenn praktische Hindernisse für eine Rückkehr in das Herkunftsland bestehen. Zur Frage, wann von dem Ausländer „vernünftigerweise erwartet werden kann“, dass er sich in dem verfolgungsfreien Landesteil aufhält, verweist das Bundesverwaltungsgericht auf die Begründung zum Regierungsentwurf des Richtlinienumsetzungsgesetzes (BT-Drs. 16/5065 S. 185). Hier wird ausgeführt, dass dies dann der Fall sei, wenn der Ausländer am Zufluchtsort eine ausreichende Lebensgrundlage vorfinde, d.h. dort das Existenzminimum gewährleistet sei. Ausdrücklich offen gelassen wurde, welche darüber hinausgehenden wirtschaftlichen und sozialen Standards erfüllt sein müssen. Allerdings spreche einiges dafür, dass die gemäß Art. 8 Abs. 2 QRL zu berücksichtigenden allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftslandes - oberhalb der Schwelle des Existenzminimums - auch den Zumutbarkeitsmaßstab prägen (BVerwG, Urteil vom 29.05.2008 - 10 C 11.07 - juris Rn. 32/35). Dem schließt sich der Senat an, denn hierfür spricht im Übrigen auch der Umstand, dass andernfalls der richtlinienkonforme Ausschluss der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG für die Fälle des Art. 15 lit. c QRL über die an den internen Schutz gestellten Anforderungen unterlaufen würde (Hess. VGH, Urteil vom 25.08.2011 - 8 A 1657/10.A - juris Rn. 91). Nach diesen Grundsätzen bietet ein verfolgungssicherer Ort erwerbsfähigen Personen eine wirtschaftliche Lebensgrundlage etwa dann, wenn sie dort, sei es durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem angemessenen Lebensunterhalt Erforderliche erlangen können. Zu den danach zumutbaren Arbeiten gehören auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, beispielsweise in der Landwirtschaft oder auf dem Bausektor, ausgeübt werden können. Nicht zumutbar sind hingegen jedenfalls die entgeltliche Erwerbstätigkeit für eine kriminelle Organisation, die in der fortgesetzten Begehung von oder Teilnahme an Verbrechen besteht. Ein verfolgungssicherer Ort, an dem selbst das Existenzminimum nur durch derartiges kriminelles Handeln erlangt werden kann, kann keine innerstaatliche Fluchtalternative sein. Bei der Prüfung des internen Schutzes muss mithin insbesondere gefragt werden, ob der Betreffende seine Existenz am Ort der Fluchtalternative auch ohne förmliche Gewährung eines Aufenthaltsrechts und ohne Inanspruchnahme staatlicher Sozialleistungen in zumutbarer Weise - etwa im Rahmen eines Familienverbandes - und ohne ein Leben in der Illegalität, das ihn jederzeit der Gefahr polizeilicher Kontrollen und der strafrechtlichen Sanktionierung aussetzt, angemessen sichern kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 01.02.2007 - 1 C 24.06 - juris Rn. 11 f.).
27 
b) Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts kann der Senat nicht erkennen, dass im Falle des Klägers derzeit die dargestellten Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vorliegen würden. Der Senat ist vielmehr auf der Grundlage der insoweit weitgehend übereinstimmenden aktuellen Erkenntnisquellen davon überzeugt, dass in dem "tatsächlichen Zielort" bei einer Rückkehr des Klägers, d.h. in Kabul, schon kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne von Art. 15 lit. c QRL (mehr) gegeben ist. Aus diesem Grund scheidet die angeregte Vorlage des Falles an den Europäischen Gerichtshof hier von vorneherein aus. Der Kläger hat wiederholt und glaubhaft vorgetragen, dass er in seiner Heimatregion Helmand keinerlei aufnahmebereite Bekannte oder Verwandte und dort auch keine Existenzgrundlage mehr habe. Zudem habe er Angst vor dem weiterhin dort lebenden Onkel, dessen Tochter er geschwängert habe, sowie vor Diskriminierungen, denen seine Volksgruppe dort in besonderem Maße ausgesetzt sei. Da der Kläger mithin keinesfalls nach Helmand zurückkehren will bzw. wird, muss hier insoweit auch nicht auf die Herkunftsregion Helmand, sondern das derzeit einzig mögliche Abschiebungsziel Kabul (Lagebericht AA vom 10.01.2012, S. 29 f.) abgestellt werden. Denn Art. 15 lit. c QRL entfaltet nach Auffassung des Senats keinen Abschiebungsschutz bezüglich fiktiver oder theoretisch möglicher Zielorte, sondern hinsichtlich des aller Wahrscheinlichkeit nach tatsächlich zu erwartenden Zielortes des Ausländers im Falle einer Rückkehr in seine Heimat. Die Sicherheitslage in Kabul wird aber, abgesehen von einigen spektakulären Anschlägen, die sich jedoch, wie zuletzt die Anschlagsserie im April 2012 wieder gezeigt hat, im Wesentlichen gegen „prominente Ziele“ wie den Präsidentenpalast, militärische Einrichtungen oder Botschaften gerichtet haben, relativ einheitlich als stabil und weiterhin deutlich ruhiger als noch etwa vor zwei Jahren bewertet. Vor der von dem Kläger zitierten Anschlagsserie bzw. der Anschlagserie im April 2012 hat es offenbar sogar eine praktisch anschlagsfreie Zeit von fast 18 Monaten gegeben (Lagebericht AA vom 10.01.2012, S. 12; Kermani, Die Zeit vom 05.01.2012, 11 f.; Asylmagazin 12/2011, 418; SZ vom 16.04.2012). Der Senat vermag deshalb insbesondere der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Gießen (Urteil vom 20.06.2011 - 2 K 499/11.GI.A - www.asyl.net) nicht zu folgen, die in der Begründung vor allem auf die Konfliktgebiete im Süden bzw. Osten Afghanistans Bezug nimmt, und daher hinsichtlich des Leitsatzes, in ganz Afghanistan herrsche ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, zu wenig regional differenziert. Im dortigen Fall ging es im Übrigen, wenig vergleichbar, um einen alleinstehenden Jugendlichen im Alter von 15 Jahren aus der doch recht anders gelagerten Herkunftsregion Wardak. Bezüglich Kabuls selbst hebt das Verwaltungsgericht im Wesentlichen auf fünf Anschläge zwischen Januar und Mai 2011 ab. Insoweit handelt es sich aber um Fälle "innerer Unruhen und Spannungen" im Sinne von Art. 2 des ZP II, die gerade nicht unter den Begriff des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts zu subsumieren sind. In Übereinstimmung hiermit hat auch der Hessische Verwaltungsgerichtshof entschieden, dass in Kabul, trotz gegebener Übergriffe, kein bewaffneter Konflikt von solcher Dichte herrscht, dass darauf § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG angewandt werden könnte. Jedenfalls resultiere hieraus für Rückkehrer keine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben infolge willkürlicher Gewalt (Urteil vom 16.06.2011 - 8 A 2011/10.A - juris). Der Senat kommt zum gegenwärtigen Zeitpunkt und für die Situation des Klägers zu derselben Einschätzung.
28 
III. Im Falle des Klägers liegt auch der somit hilfsweise zu prüfende nationale Abschiebungsschutz derzeit nicht vor. Zu seinen Gunsten besteht kein Abschiebungsverbot hinsichtlich Afghanistans gemäß des einheitlichen Streitgegenstands nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung.
29 
1. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (- EMRK -, BGBl 1952 II 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Über diese Norm werden die Schutzregeln der EMRK in innerstaatliches Recht inkorporiert. Sowohl aus Systematik als auch Entstehungsgeschichte folgt jedoch, dass es insoweit nur um zielstaatsbezogenen Abschiebungsschutz geht. Inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse, abgeleitet etwa aus Art. 8 EMRK, ziehen hingegen regelmäßig nur eine Duldung gemäß § 60 a Abs. 2 AufenthG nach sich. Bezüglich Art. 3 EMRK ist zudem die weitergehende und „unionsrechtlich aufgeladene“ Schutznorm des § 60 Abs. 2 AufenthG vorrangig, d.h. im vorliegenden Falle nicht zu prüfen (vgl. zu § 60 Abs. 5: Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 45 ff., m.w.N.). Ob im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG auch nach Umsetzung der Qualifikationsrichtlinie 2004/83/EG alle Gefährdungen grundsätzlich irrelevant sind, die von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen (so noch BVerwG, Urteil vom 15.04.1997 - 9 C 38.96 - zur Vorgängernorm des § 53 Abs. 4 AuslG, juris Rn. 10), kann vorliegend dahingestellt bleiben. Es ist nicht ersichtlich, welches Menschenrecht der EMRK im konkreten Fall des Klägers ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG begründen könnte.
30 
2. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kann von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn für ihn dort eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Allerdings sind Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG bei Abschiebestopp-Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Denn hinsichtlich des Schutzes vor allgemeinen Gefahren im Zielstaat soll Raum sein für ausländerpolitische Entscheidungen, was die Anwendbarkeit von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG insoweit grundsätzlich sperrt und zwar selbst dann, wenn diese Gefahren den einzelnen Ausländer zugleich in konkreter und individualisierbarer Weise betreffen (BVerwG, Urteil vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324). Aus diesem Normzweck folgt weiter, dass sich die „Allgemeinheit“ der Gefahr nicht danach bestimmt, ob diese sich auf die Bevölkerung oder bestimmte Bevölkerungsgruppen gleichartig auswirkt, wie das bei Hungersnöten, Seuchen, Bürgerkriegswirren oder Naturkatastrophen der Fall sein kann. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG kann vielmehr auch bei eher diffusen Gefährdungslagen greifen, etwa dann, wenn Gefahren für Leib und Leben aus den allgemein schlechten Lebensverhältnissen (soziale und wirtschaftliche Missstände) im Zielstaat hergeleitet werden. Denn soweit es um den Schutz vor den einer Vielzahl von Personen im Zielstaat drohenden typischen Gefahren solcher Missstände wie etwa Lebensmittelknappheit, Obdachlosigkeit oder gesundheitliche Gefährdungen geht, ist die Notwendigkeit einer politischen Leitentscheidung in gleicher Weise gegeben (BVerwG, Urteil vom 12.07.2001 - 1 C 5.01 - BVerwGE 115, 1). Für die Personengruppe, der der Kläger angehört, besteht eine solche politische Abschiebestopp-Anordnung gemäß § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG in Baden-Württemberg derzeit nicht (mehr), seit mit Schreiben des Innenministeriums Baden-Württemberg vom 15.04.2005 (geändert am 01.08.2005, vgl. 21. Fortschreibung vom 23.01.2009, Az.: 4-13-AFG/8) in Umsetzung entsprechender Beschlüsse der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder bezüglich der Rückführung afghanischer Staatsangehöriger entschieden wurde, dass „volljährige, allein stehende männliche afghanische Staatsangehörige, die sich zum Zeitpunkt der Beschlussfassung am 24. Juni 2005 noch keine sechs Jahre im Bundesgebiet aufgehalten haben, mit Vorrang zurückzuführen sind“. Im konkreten Einzelfall des Klägers greift die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG auch unter Berücksichtigung von Verfassungsrecht.
31 
a) Die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG greift aufgrund der Schutzwirkungen der Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nur dann ausnahmsweise nicht, wenn der Ausländer im Zielstaat landesweit einer extrem zugespitzten allgemeinen Gefahr dergestalt ausgesetzt wäre, dass er „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert“ würde (st. Rspr. des BVerwG, s. Urteile vom 29.09.2011 - 10 C 24.10 - juris Rn. 20, vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324 und vom 19.11.1996 - 1 C 6.95 - BVerwGE 102, 249 zur Vorgängerregelung in § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG). Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassung wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar ist (BVerwG, Urteil vom 29.09.2011 - 10 C 24.10 - juris Rn. 20). Das Vorliegen der Voraussetzungen ist im Wege einer Gesamtgefahrenschau zu ermitteln (BVerwG, Beschluss vom 23.03.1999 - 9 B 866.98 - juris Rn. 7).
32 
b) Im Fall einer allgemein schlechten Versorgungslage sind Besonderheiten zu berücksichtigen. Denn hieraus resultierende Gefährdungen entspringen keinem zielgerichteten Handeln, sondern treffen die Bevölkerung gleichsam schicksalhaft. Sie wirken sich nicht gleichartig und in jeder Hinsicht zwangsläufig aus und setzen sich aus einer Vielzahl verschiedener Risikofaktoren zusammen, denen der Einzelne in ganz unterschiedlicher Weise ausgesetzt ist und denen er gegebenenfalls auch ausweichen kann. Intensität, Konkretheit und zeitliche Nähe der Gefahr können deshalb auch nicht generell, sondern nur unter Berücksichtigung aller Einzelfallumstände beurteilt werden (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 13.11.2002 - A 6 S 967/01 - juris Rn. 48 ff.). Um dem Erfordernis des unmittelbaren - zeitlichen - Zusammenhangs zwischen Abschiebung und drohender Rechtsgutverletzung zu entsprechen, kann hinsichtlich einer allgemein schlechten Versorgungslage eine extreme Gefahrensituation zudem nur dann angenommen werden, wenn der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr in sein Heimatland in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien kann. Mit dem Begriff „alsbald“ ist dabei einerseits kein nur in unbestimmter zeitlicher Ferne liegender Termin gemeint (BVerwG, Urteil vom 27.04.1998 - 9 C 13.97 - juris Rn. 8). Andererseits setzt die Annahme einer extremen allgemeinen Gefahrenlage nicht voraus, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Ankunft im Abschiebezielstaat, eintreten. Eine extreme Gefahrenlage besteht auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert sein würde (BVerwG, Urteil vom 29.06.2010 - 10 C 10.09 - juris Rn. 15).
33 
c) Diese Voraussetzungen sind im Falle des Klägers heute jedenfalls nicht mehr gegeben. In Übereinstimmung mit anderen Obergerichten (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 06.05.2008 - 6 A 10749/07 - AuAS 2008, 188; Hess. VGH, Urteil vom 26.11.2009 - 8 A 1862/07.A - NVwZ-RR 2010, 331) hatte der Senat mit Urteil vom 14.05.2009 - A 11 S 610/08 - (DVBl 2009, 1327) entschieden, dass für Ausländer aus der Personengruppe der beruflich nicht besonders qualifizierten afghanischen männlichen Staatsangehörigen, die in ihrer Heimat ohne Rückhalt und Unterstützung durch Familie oder Bekannte sind und dort weder über Grundbesitz noch über nennenswerte Ersparnisse verfügen, aufgrund der katastrophalen Versorgungslage bei einer Abschiebung nach Kabul eine extreme Gefahrensituation im dargelegten Sinne bestehe. Das Bundesverwaltungsgericht hat (auch) diese Entscheidung mit Urteil vom 08.09.2011 - 10 C 16.10 - (juris) aufgehoben. Insbesondere die Feststellungen zum Vorliegen einer extremen Gefahr im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan verletzten Bundesrecht und würden einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht standhalten, denn die Entscheidung sei insbesondere hinsichtlich der festgestellten drohenden Mangelernährung und den damit verbundenen gesundheitlichen Risiken auf eine zu schmale Tatsachengrundlage gestützt. Das Bundesverwaltungsgericht betont: „‘Hunger‘ führt nicht zwangsläufig zum Tod, 'gesundheitliche Risiken' führen nicht notwendigerweise zu schwersten Gesundheitsschäden.“ Damit verfehle das Berufungsgericht den Begriff der Extremgefahr (so im Urteil vom 29.09.2011 - 10 C 23.10 - juris Rn. 24 bzgl. einer Parallelentscheidung des Hess.VGH). Bei der erneuten Befassung mit der Sache sei der Senat gehalten, sich auch mit der gegenteiligen Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte (insbesondere: Bay.VGH, Urteil vom 03.02.2011 - 13a B 10.30394 - juris) auseinanderzusetzen.
34 
Es sei dahingestellt, ob ein Obergericht revisionsrechtlich dazu verpflichtet werden kann, sich mit der abweichenden Einschätzung anderer Obergerichte auseinanderzusetzen (kritisch: Hess.VGH, Urteil vom 25.08.2011 - 8 A 1657/10.A - juris Rn. 77). Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof vertritt jedenfalls in dem zur besonderen Beachtung benannten Urteil die Auffassung, dass für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige angesichts der aktuellen Auskunftslage im Allgemeinen derzeit nicht von einer extremen Gefahrenlage auszugehen sei, die zu einem Abschiebungsverbot in entsprechender Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde. Zwar sei zweifellos von einer äußerst schlechten Versorgungslage in Afghanistan auszugehen. Im Wege einer Gesamtgefahrenschau sei jedoch nicht anzunehmen, dass dort alsbald der sichere Tod drohe oder schwerste Gesundheitsbeeinträchtigungen zu erwarten wären. Bei der Wirtschaftslage bzw. den ökonomischen Rahmenbedingungen würden durchaus positive Tendenzen gesehen. Es sei mit einem realen jährlichen Wirtschaftswachstum zwischen 6 und 8 % zu rechnen. Auch hätten bessere Ernten zu einer Verbesserung der Gesamtversorgungslage geführt. Zwar sei die Versorgung mit Wohnraum zu angemessenen Preisen in den Städten nach wie vor schwierig. Das Ministerium für Flüchtlinge und Rückkehrer bemühe sich jedoch um eine Ansiedlung der Flüchtlinge in Neubausiedlungen. Wenn es heiße, dass der Zugang für Rückkehrer zu Arbeit, Wasser und Gesundheitsversorgung häufig nur sehr eingeschränkt möglich sei, bedeute dies andererseits, dass jedenfalls der Tod oder schwerste Gesundheitsgefährdungen alsbald nach der Rückkehr nicht zu befürchten seien. Dies ergebe sich auch aus dem Afghanistan Report 2010 von amnesty international, wonach Tausende von Vertriebenen in Behelfslagern lebten, wo sie nur begrenzten Zugang zu Lebensmitteln und Trinkwasser, Gesundheitsversorgung und Bildung erhalten würden. Eine Mindestversorgung sei damit aber gegeben. Auch sei eine hinreichende zeitliche Nähe („alsbald“) zwischen Rückkehr und lebensbedrohlichem Zustand aufgrund von Mangelernährung, unzureichenden Wohnverhältnissen und schwieriger Arbeitssuche nicht ersichtlich. Insgesamt sei davon auszugehen, dass ein 25-jähriger lediger und gesunder Afghane, der mangels familiärer Bindungen keine Unterhaltslasten trage, auch ohne nennenswertes Vermögen und ohne abgeschlossene Berufsausbildung im Falle einer Abschiebung nach Kabul dort in der Lage wäre, durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen zu erzielen, damit ein Leben am Rande des Existenzminimums zu finanzieren und sich allmählich wieder in die afghanische Gesellschaft zu integrieren.
35 
Dies entspricht im Wesentlichen der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (vgl. Beschluss vom 26.10.2010 - 20 A 964/10.A -; Urteil vom 19.06.2008 - 20 A 4676/06.A - beide juris). Das Oberverwaltungsgericht vermochte dem Aspekt, dass positive Feststellungen zu den Modalitäten der Beschaffung des Lebensnotwendigen nicht zu treffen seien, kein entscheidendes Gewicht zu geben vor dem Umstand, dass die zahlreich vorliegenden Berichte für eine extreme Verelendung nichts hergeben würden, obwohl angesichts der hohen Rückkehrerzahlen aus den Nachbarländern und der Binnenfluchtbewegungen nicht davon ausgegangen werden könne, dass es an jeglichem Potential für Vergleichsfälle fehle (Urteil vom 19.06.2008, juris Rn. 80).
36 
Der Senat schließt sich der Rechtsprechung der zitierten Gerichte nunmehr an, weil auch er eine gewisse Verbesserung der allgemeinen Versorgungslage in Kabul erkennen kann, die nach den strengen Maßstäben des Bundesverwaltungsgerichts im Rahmen einer wertenden Gesamtschau der Annahme einer alsbald nach der Abschiebung eintretenden Extremgefahr für gesunde ledige afghanische Männer auch ohne Vermögen oder lokale Familien- bzw. Stammesstrukturen entgegenstehen.
37 
Dem zentralen Argument des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen, dass Fälle extremer Verelendung von Rückkehrern dokumentiert sein müssten, vermag der Senat keine aussagekräftigen Erkenntnisquellen entgegen zu setzen; es lässt sich nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand nicht widerlegen. Insbesondere sind Erkenntnisquellen, die den Hungertod von Rückkehrern in Kabul dokumentieren, auch dem Senat nicht bekannt (ebenso: UNHCR vom 11.11.2011, 10 f.). Und in der Tat sind seit 2002 vor allem mit Hilfe des UNHCR insgesamt rund vier Millionen Flüchtlinge nach Afghanistan zurückgekehrt, wenn auch davon nur ca. 15.000 aus anderen Ländern als Pakistan und dem Iran (Gietmann, Asylmagazin 12/2011, 413, m.w.N.). Infolgedessen gehört Kabul heute zu den Städten mit dem weltweit stärksten Bevölkerungswachstum. Betrug die Einwohnerzahl 2001 noch rund 1,5 Millionen, wurde sie von der Stadtverwaltung im Juni 2010 auf über 5 Millionen geschätzt. Der Bevölkerungsanteil der Rückkehrer und Binnenvertriebenen wird auf 70 % geschätzt (Yoshimura, Asylmagazin 12/2011, 408, m.w.N.).
38 
Allerdings sind sämtliche Informationen, die der Senat über die Situation in der Stadt finden kann, durchaus ambivalent. Einerseits heißt es, 23 % der Bevölkerung lebten dort unterhalb der Armutsgrenze. Insgesamt seien die Lebenshaltungskosten in Kabul im Laufe der vergangenen Jahre um 30 bis 50 % gestiegen. Bewohner seien auch beim Erwerb zahlreicher, selbst legaler Güter des Alltags gezwungen, Bestechungsgelder zu bezahlen. Die Kriminalität und Gefahr, Opfer von Überfällen zu werden, sei hoch (Landinfo 2011, Part II, 17). Kabul würde einer Stadt im permanenten Ausnahmezustand ähneln (Dr. Danesch vom 07.10.2010, Logar, 3). Nur 55,9 % der Haushalte verfügten über Zugang zu sauberem Wasser. Zahlreiche Brunnen im Stadtgebiet seien aufgrund der steigenden Inanspruchnahme ausgetrocknet bzw. erschöpft (ai vom 29.09.2009, 2). Bezahlbarer Strom liege für ärmere Kabuler Familien außerhalb der finanziellen Möglichkeiten. Die Arbeitslosenrate in Kabul werde auf bis zu 50 % geschätzt. Infolge des Mangels an bezahlbarem Wohnraum würden sich zahllose Menschen gezwungen sehen, in prekären Unterkünften wie Lehmhütten, Zelten oder alten beschädigten Gebäuden zu hausen. Die Bewohner dieser „informellen Siedlungen“ würden außerhalb des sozialen Sicherheitsnetzes leben und ihren Lebensunterhalt durch Betteln, den Verkauf von Müll und andere gering bezahlte Tätigkeiten bestreiten müssen. Über Nacht entstünden neue Armenviertel und Slums, in denen es weder Kanalisation noch Müllentsorgung und kaum sauberes Wasser, Elektrizität oder medizinische Hilfe gebe. Die Zahl derer, die auf der Flucht vor Krieg, Rechtlosigkeit, Willkürherrschaft und Armut in die Städte strömten, vergrößere sich tagtäglich. Besonders dramatisch nehme deshalb gerade in Kabul die Zahl von Obdachlosen und Drogenabhängigen zu. Ohnehin befinde sich Afghanistan auf dem Weg in einen Drogenstaat. 2011 sei erneut ein Dürrejahr gewesen und vor allem im Norden, dem friedlichen Teil des Landes, herrsche Hunger. Zusammenfassend sei eine Rückkehr nach Kabul ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen schlicht unzumutbar (vgl. ai vom 20.12.2010; Asylmagazin 12/2011, 408-414, m.w.N.).
39 
Andererseits wird berichtet, gerade in Kabul existiere eine rege Bautätigkeit. In den vergangenen Jahren seien zahlreiche Immobilienprojekte in Angriff genommen worden. In Folge dessen gebe es nunmehr vor allem im Bausektor, wenn auch schlecht bezahlte Tageslohnarbeit. Viele Stadtteile Kabuls würden seit 2009 zwischenzeitlich 24 Stunden am Tag mit Strom versorgt. Seit kurzem boome in einigen Städten wie Kabul und Masar-i-Scharif der Handel. Geschäfte würden über Nacht eröffnet und man habe mittlerweile ein großes, kaum einen Wunsch offenlassendes Warenangebot. Die Lage sei nicht gut, aber sie sei besser geworden. Jedenfalls im Stadtzentrum sei auch die Armut nicht mehr so offensichtlich. Es gebe nicht mehr überall bettelnde Frauen in Burkas und keine Banden von Kindern, die sich an Klebstoff berauschten. Dafür hätten unzählige Kebab-Stände eröffnet. Überhaupt gebe es deutlich zahlreichere Geschäfte als noch vor wenigen Jahren und sogar eine Müllabfuhr sowie ein Mindestmaß an Ordnung bzw. überhaupt wieder so etwas wie ein Stadtleben. Auch die Sicherheitslage in Kabul sei, abgesehen von einigen spektakulären Anschlägen, unverändert stabil und weiterhin deutlich ruhiger als noch vor zwei Jahren (vgl. Lagebericht AA vom 10.01.2012; Kermani, Die Zeit vom 05.01.2012, 11 ff; Asylmagazin 12/2011, 408-414, m.w.N.; SZ vom 16.04.2012).
40 
Vor diesem Hintergrund kann heute - trotz der ambivalenten Erkenntnisquellen - aufgrund der hohen Hürden des Bundesverwaltungsgerichts für die Annahme einer extremen allgemeinen Gefahrenlage für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige eine solche Extremgefahr nicht mehr begründet werden. Anders als noch 2009 sieht auch der Senat keine hinreichenden Anhaltspunkte mehr dafür, dass bei dieser Personengruppe im Falle der Abschiebung alsbald der Tod oder schwerste gesundheitliche Beeinträchtigungen zu erwarten wären. Die Einschätzung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, es sei vielmehr zu erwarten, dass Rückkehrer in Kabul durch Gelegenheitsarbeiten „ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren könnten“, trifft heute auch nach Überzeugung des Senats zu. Zwar dürfte aufgrund der schlechten Gesamtsituation ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen in der Tat eine Rückkehr nach Kabul selbst für gesunde alleinstehende Männer unter humanitären Gesichtspunkten kaum zumutbar sein. Diese Zumutbarkeit ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts jedoch kein zentraler Maßstab für die Bestimmung einer extremen Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
41 
Im Falle des Klägers sind schließlich auch keine hinreichenden individuellen Faktoren gegeben, die ausnahmsweise eine extreme Gefahrenlage begründen könnten.
42 
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO und § 83 b AsylVfG.
43 
IV. Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung im Hinblick auf die Frage des Abstellens auf die Heimatregion oder aber den „tatsächlichen Zielort“ im Rahmen von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG zugelassen (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

Gründe

 
13 
Die zulässige, insbesondere rechtzeitig unter Stellung eines Antrags und unter Bezugnahme auf die ausführliche Begründung des Zulassungsantrags begründete Berufung (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 -NVwZ 2006, 1420 m.w.N.) der Beklagten hat Erfolg. Der Senat geht davon aus, dass der Kläger die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (- Aufenthaltsgesetz -) in der Fassung der Änderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der EU vom 19.08.2007 (- 1. Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 28.08.2007, BGBl I 1970) sowie das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der EU und zur Anpassung nationaler Rechtvorschriften an den EU-Visakodex vom 22.11.2011 (- 2. Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 26.11.2011, BGBl I 2258) nicht beanspruchen kann. Dem Kläger steht in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) weder ein unionsrechtlich begründeter noch im Übrigen ein nationaler Abschiebungsschutz zu.
14 
I. Da die Berufung nur insoweit zugelassen wurde, ist Gegenstand des Berufungsverfahrens zunächst das Verpflichtungsbegehren des Klägers auf Gewährung subsidiären unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG (entsprechend den Voraussetzungen für den subsidiären Schutz in Art. 15 der sog. Qualifikations-Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes; ABlEU Nr. L 304 S. 12; ber. ABlEU vom 05.08.2005 Nr. L 204 S. 24, neugefasst mit Umsetzungsfrist bis 21.12.2013 als Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011, ABlEU vom 20.12.2011 Nr. L 337 S. 9; - QRL -). Nur hilfsweise ist Gegenstand des Berufungsverfahrens der nationale Abschiebungsschutz, d.h. die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung (BVerwG, Urteil vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - juris Rn. 11). Sowohl der (weitergehende) unionsrechtlich begründete Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG als auch der nationale Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 und 3 AufenthG bilden jeweils einen einheitlichen, in sich nicht weiter teilbaren Streitgegenstand (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 11). In dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der erneuten mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) besteht zu Gunsten des Klägers hinsichtlich Afghanistans jedoch weder ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG noch nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung.
15 
II. Unionsrechtlich begründeter Abschiebungsschutz ist im Falle des Klägers derzeit nicht gegeben.
16 
1. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG ist nicht erkennbar.
17 
a) Nach dieser Norm darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Unter „Folter“ ist in Anlehnung an die Definition von Art. 1 des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (BGBl. 1990 II S. 247, BGBl. 1993 II S. 715) eine Behandlung zu verstehen, die einer Person vorsätzlich schwere Schmerzen oder Leiden körperlicher oder geistig-seelischer Art zufügt, um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erzwingen, sie oder einen Dritten zu bestrafen, einzuschüchtern oder zu nötigen oder mit diskriminierender Absicht zu verfolgen. Wann eine „unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung“ vorliegt, hängt nach der insoweit vor allem maßgebenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom Einzelfall ab. Eine Schlechtbehandlung einschließlich Bestrafung muss jedenfalls ein Minimum an Schwere erreichen, um in den mit § 60 Abs. 2 AufenthG und Art. 15 lit. b QRL insoweit identischen Schutzbereich von Art. 3 EMRK zu fallen. Die Bewertung dieses Minimums ist nach Natur der Sache relativ. Kriterien hierfür sind abzuleiten aus allen Umständen des Einzelfalles, wie etwa der Art der Behandlung oder Bestrafung und dem Zusammenhang, in dem sie erfolgte, der Art und Weise ihrer Vollstreckung, ihrer zeitlichen Dauer, ihrer physischen und geistigen Wirkungen, sowie gegebenenfalls abgestellt auf Geschlecht, Alter bzw. Gesundheitszustand des Opfers. Abstrakt formuliert sind unter einer menschenrechtswidrigen Schlechtbehandlung Maßnahmen zu verstehen, mit denen unter Missachtung der Menschenwürde absichtlich schwere psychische oder physische Leiden zugefügt werden und mit denen nach Art und Ausmaß besonders schwer und krass gegen Menschenrechte verstoßen wird (Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 34 f., m.w.N.). Im Rahmen der Prüfung, ob eine konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung besteht, ist der asylrechtliche Prognosemaßstab der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ anzulegen, wobei allerdings das Element der Konkretheit der Gefahr das zusätzliche Erfordernis einer einzelfallbezogenen, individuell bestimmten und erheblichen Gefährdungssituation kennzeichnet (ausführlich: Senatsurteil vom 06.03.2011 - 11 S 3070/11 - juris; BVerwG, Beschluss vom 10.04.2008 - 10 B 28.08 - juris Rn. 6; Urteil vom 14.12.1993 - 9 C 45.92 - juris Rn. 10 f.).
18 
b) Im Falle des Klägers gibt es keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Annahme, es bestünde für ihn bei einer Rückkehr nach Afghanistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit im dargelegten Sinne die konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung (vgl. zum Urteil des EGMR vom 21.01.2011 - Nr. 30696/09 - das Senatsurteil vom 06.03.2012 - A 11 S 3177/11 - juris).
19 
2. Ebenso ist kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 3 AufenthG erkennbar, wonach ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden darf, wenn ihn dieser Staat wegen einer Straftat sucht und dort aufgrund konkreter und ernsthafter Anhaltspunkte die Gefahr der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe besteht (ausführlich: Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 39 ff., m.w.N.). Hierzu fehlen im Falle des Klägers jegliche Anhaltspunkte.
20 
3. Nach Auffassung des Senats liegt derzeit auch kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vor. Hiernach ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist.
21 
a) Diese Bestimmung entspricht nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts trotz geringfügig abweichender Formulierungen den Vorgaben des Art. 15 lit. c QRL und ist in diesem Sinne auszulegen (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 14). Nach Art. 15 lit. c QRL gilt als ernsthafter Schaden „eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts“.
22 
(1) Bei der Frage, ob ein internationaler oder innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, sind hiernach die vier Genfer Konventionen zum humanitären Völkerrecht von 1949 und insbesondere das Zusatzprotokoll II von 1977 (BGBl 1990 II S. 1637; - ZP II -) zu berücksichtigen. Das ZP II definiert in Art. 1 Nr. 1 den Begriff des nicht internationalen bewaffneten Konflikts wie folgt: „Dieses Protokoll, das den den Genfer Abkommen vom 12.08.1949 gemeinsamen Art. 3 weiterentwickelt und ergänzt, ohne die bestehenden Voraussetzungen für seine Anwendung zu ändern, findet auf alle bewaffneten Konflikte Anwendung, die von Art. 1 des Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vorn 12.08.1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I) nicht erfasst sind und die im Hoheitsgebiet einer Hohen Vertragspartei zwischen deren Streitkräften und abtrünnigen Streitkräften oder anderen organisierten bewaffneten Gruppen stattfinden, die unter einer verantwortlichen Führung eine solche Kontrolle über einen Teil des Hoheitsgebiets der Hohen Vertragspartei ausüben, dass sie anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen durchführen und dieses Protokoll anzuwenden vermögen.“ In seinem Art. 2 grenzt das ZP II sodann von Fällen bloßer "innerer Unruhen und Spannungen" ab, die nicht unter diesen Begriff fallen. Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts liegt demnach jedenfalls dann vor, wenn der Konflikt die Kriterien des Art. 1 Nr. 1 ZP II erfüllt. Er liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn die Ausschlusstatbestände des Art. 1 Nr. 2 ZP II erfüllt sind, es sich also nur um innere Unruhen und Spannungen handelt wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen, die nicht als bewaffnete Konflikte gelten. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinne von Art. 15 lit. c QRL nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss hierfür aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen. Typische Beispiele sind Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfe. Der völkerrechtliche Begriff des "bewaffneten Konflikts" wurde gewählt, um klarzustellen, dass nur Auseinandersetzungen von einer bestimmten Größenordnung an in den Regelungsbereich der Vorschrift fallen. Dennoch setzt ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt nicht zwingend einen so hohen Organisationsgrad und eine solche Kontrolle der Konfliktparteien über einen Teil des Staatsgebiets voraus, wie sie für die Erfüllung der Verpflichtungen nach den Genfer Konventionen von 1949 erforderlich sind. Ohnehin findet die Orientierung an den Kriterien des humanitären Völkerrechts ihre Grenze jedenfalls dort, wo ihr der Zweck der Schutzgewährung für in Drittstaaten Zuflucht Suchende nach Art. 15 lit. c QRL widerspricht. Weitere Anhaltspunkte für die Auslegung des Begriffs des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts können sich aus dem Völkerstrafrecht ergeben, insbesondere aus der Rechtsprechung der Internationalen Strafgerichtshöfe. Hiernach dürfte kriminelle Gewalt bei der Feststellung, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, jedenfalls dann keine Berücksichtigung finden, wenn sie nicht von einer der Konfliktparteien begangen wird (ausführlich: BVerwG, Urteile vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - juris Rn. 19 ff. und vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 -juris Rn. 23).
23 
(2) Bezüglich der Frage, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, ist zunächst das gesamte Staatsgebiet in den Blick zu nehmen. Besteht ein bewaffneter Konflikt jedoch nicht landesweit, kommt eine individuelle Bedrohung in Betracht, wenn sich der Konflikt auf die Herkunftsregion des Ausländers erstreckt, in der er zuletzt gelebt hat bzw. in die er typischerweise zurückkehren kann und voraussichtlich auch wird, d.h. auf seinen "tatsächlichen Zielort" bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat (EuGH, Urteil vom 17.02.2009, Rs. C-465/07 Rn. 40). Auf einen bewaffneten Konflikt außerhalb der Herkunftsregion des Ausländers kann es hingegen nur ausnahmsweise ankommen. In diesem Fall muss der Betreffende stichhaltige Gründe dafür vorbringen, dass für ihn eine Rückkehr in seine Herkunftsregion ausscheidet und nur eine Rückkehr gerade in die Gefahrenzone in Betracht kommt (BVerwG, Urteil vom 14.07.2009 - 10 C 9.08 - juris Rn. 17).
24 
(3) Konnte ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt zumindest im tatsächlichen Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat festgestellt werden, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts weiter zu fragen, ob ihm dort infolgedessen auch eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben infolge willkürlicher Gewalt droht. Hierfür sind Feststellungen über das Niveau willkürlicher Gewalt bzw. zu der sogenannten Gefahrendichte erforderlich, d.h. (1.) eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen und (2.) der Akte willkürlicher Gewalt, die von den Konfliktparteien gegen Leib und Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie (3.) eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung. Hierzu gehört auch die Würdigung der medizinischen Versorgungslage in dem jeweiligen Gebiet, von deren Qualität und Erreichbarkeit die Schwere eingetretener körperlicher Verletzungen mit Blick auf die den Opfern dauerhaft verbleibenden Verletzungsfolgen abhängen kann. Im Übrigen können die für die Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts entwickelten Kriterien entsprechend herangezogen werden. In jedem Fall setzt § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG für die Annahme einer erheblichen individuellen Gefahr voraus, dass dem Betroffenen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Schaden an den Rechtsgütern Leib oder Leben droht. Gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG gilt auch für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG u.a. die Beweisregel des Art. 4 Abs. 4 QRL (ausführlich: BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 - juris Rn. 32 ff.; vgl. auch Dolk, Asylmagazin 12/2011, 418 ff., m.w.N.).
25 
(4) Bei der Prüfung, ob dem Ausländer zumindest im tatsächlichen Zielort aufgrund eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben droht, sind gegebenenfalls gefahrerhöhende persönliche Umstände zu berücksichtigen. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich. Liegen hingegen gefahrerhöhende persönliche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt. Zu diesen gefahrerhöhenden Umständen gehören in erster Linie solche persönlichen Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen - z.B. als Arzt oder Journalist - gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Dazu können aber nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts auch solche persönlichen Umstände gerechnet werden, aufgrund derer der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte - etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit - ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht schon eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt. Auch im Fall gefahrerhöhender persönlicher Umstände muss aber ein hohes Niveau willkürlicher Gewalt bzw. eine hohe Gefahrendichte für die Zivilbevölkerung in dem fraglichen Gebiet festgestellt werden. Allein das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts und die Feststellung eines gefahrerhöhenden Umstandes in der Person des Antragstellers reichen hierfür nicht aus. Allerdings kann eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr auch dann, wenn individuelle gefahrerhöhende Umstände fehlen, ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 18 ff.).
26 
(5) Schließlich darf für den Ausländer keine Möglichkeit internen Schutzes gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 8 QRL bestehen. Nach Art. 8 Abs. 1 QRL können die Mitgliedstaaten bei der Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz feststellen, dass ein Antragsteller keinen internationalen Schutz benötigt, sofern in einem Teil des Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung bzw. keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht und von dem Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil aufhält. Nach Absatz 2 der Norm berücksichtigen die Mitgliedstaaten bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Antragstellers zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag. Nach Absatz 3 der Norm kann Absatz 1 kann auch dann angewandt werden, wenn praktische Hindernisse für eine Rückkehr in das Herkunftsland bestehen. Zur Frage, wann von dem Ausländer „vernünftigerweise erwartet werden kann“, dass er sich in dem verfolgungsfreien Landesteil aufhält, verweist das Bundesverwaltungsgericht auf die Begründung zum Regierungsentwurf des Richtlinienumsetzungsgesetzes (BT-Drs. 16/5065 S. 185). Hier wird ausgeführt, dass dies dann der Fall sei, wenn der Ausländer am Zufluchtsort eine ausreichende Lebensgrundlage vorfinde, d.h. dort das Existenzminimum gewährleistet sei. Ausdrücklich offen gelassen wurde, welche darüber hinausgehenden wirtschaftlichen und sozialen Standards erfüllt sein müssen. Allerdings spreche einiges dafür, dass die gemäß Art. 8 Abs. 2 QRL zu berücksichtigenden allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftslandes - oberhalb der Schwelle des Existenzminimums - auch den Zumutbarkeitsmaßstab prägen (BVerwG, Urteil vom 29.05.2008 - 10 C 11.07 - juris Rn. 32/35). Dem schließt sich der Senat an, denn hierfür spricht im Übrigen auch der Umstand, dass andernfalls der richtlinienkonforme Ausschluss der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG für die Fälle des Art. 15 lit. c QRL über die an den internen Schutz gestellten Anforderungen unterlaufen würde (Hess. VGH, Urteil vom 25.08.2011 - 8 A 1657/10.A - juris Rn. 91). Nach diesen Grundsätzen bietet ein verfolgungssicherer Ort erwerbsfähigen Personen eine wirtschaftliche Lebensgrundlage etwa dann, wenn sie dort, sei es durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem angemessenen Lebensunterhalt Erforderliche erlangen können. Zu den danach zumutbaren Arbeiten gehören auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, beispielsweise in der Landwirtschaft oder auf dem Bausektor, ausgeübt werden können. Nicht zumutbar sind hingegen jedenfalls die entgeltliche Erwerbstätigkeit für eine kriminelle Organisation, die in der fortgesetzten Begehung von oder Teilnahme an Verbrechen besteht. Ein verfolgungssicherer Ort, an dem selbst das Existenzminimum nur durch derartiges kriminelles Handeln erlangt werden kann, kann keine innerstaatliche Fluchtalternative sein. Bei der Prüfung des internen Schutzes muss mithin insbesondere gefragt werden, ob der Betreffende seine Existenz am Ort der Fluchtalternative auch ohne förmliche Gewährung eines Aufenthaltsrechts und ohne Inanspruchnahme staatlicher Sozialleistungen in zumutbarer Weise - etwa im Rahmen eines Familienverbandes - und ohne ein Leben in der Illegalität, das ihn jederzeit der Gefahr polizeilicher Kontrollen und der strafrechtlichen Sanktionierung aussetzt, angemessen sichern kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 01.02.2007 - 1 C 24.06 - juris Rn. 11 f.).
27 
b) Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts kann der Senat nicht erkennen, dass im Falle des Klägers derzeit die dargestellten Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vorliegen würden. Der Senat ist vielmehr auf der Grundlage der insoweit weitgehend übereinstimmenden aktuellen Erkenntnisquellen davon überzeugt, dass in dem "tatsächlichen Zielort" bei einer Rückkehr des Klägers, d.h. in Kabul, schon kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne von Art. 15 lit. c QRL (mehr) gegeben ist. Aus diesem Grund scheidet die angeregte Vorlage des Falles an den Europäischen Gerichtshof hier von vorneherein aus. Der Kläger hat wiederholt und glaubhaft vorgetragen, dass er in seiner Heimatregion Helmand keinerlei aufnahmebereite Bekannte oder Verwandte und dort auch keine Existenzgrundlage mehr habe. Zudem habe er Angst vor dem weiterhin dort lebenden Onkel, dessen Tochter er geschwängert habe, sowie vor Diskriminierungen, denen seine Volksgruppe dort in besonderem Maße ausgesetzt sei. Da der Kläger mithin keinesfalls nach Helmand zurückkehren will bzw. wird, muss hier insoweit auch nicht auf die Herkunftsregion Helmand, sondern das derzeit einzig mögliche Abschiebungsziel Kabul (Lagebericht AA vom 10.01.2012, S. 29 f.) abgestellt werden. Denn Art. 15 lit. c QRL entfaltet nach Auffassung des Senats keinen Abschiebungsschutz bezüglich fiktiver oder theoretisch möglicher Zielorte, sondern hinsichtlich des aller Wahrscheinlichkeit nach tatsächlich zu erwartenden Zielortes des Ausländers im Falle einer Rückkehr in seine Heimat. Die Sicherheitslage in Kabul wird aber, abgesehen von einigen spektakulären Anschlägen, die sich jedoch, wie zuletzt die Anschlagsserie im April 2012 wieder gezeigt hat, im Wesentlichen gegen „prominente Ziele“ wie den Präsidentenpalast, militärische Einrichtungen oder Botschaften gerichtet haben, relativ einheitlich als stabil und weiterhin deutlich ruhiger als noch etwa vor zwei Jahren bewertet. Vor der von dem Kläger zitierten Anschlagsserie bzw. der Anschlagserie im April 2012 hat es offenbar sogar eine praktisch anschlagsfreie Zeit von fast 18 Monaten gegeben (Lagebericht AA vom 10.01.2012, S. 12; Kermani, Die Zeit vom 05.01.2012, 11 f.; Asylmagazin 12/2011, 418; SZ vom 16.04.2012). Der Senat vermag deshalb insbesondere der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Gießen (Urteil vom 20.06.2011 - 2 K 499/11.GI.A - www.asyl.net) nicht zu folgen, die in der Begründung vor allem auf die Konfliktgebiete im Süden bzw. Osten Afghanistans Bezug nimmt, und daher hinsichtlich des Leitsatzes, in ganz Afghanistan herrsche ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, zu wenig regional differenziert. Im dortigen Fall ging es im Übrigen, wenig vergleichbar, um einen alleinstehenden Jugendlichen im Alter von 15 Jahren aus der doch recht anders gelagerten Herkunftsregion Wardak. Bezüglich Kabuls selbst hebt das Verwaltungsgericht im Wesentlichen auf fünf Anschläge zwischen Januar und Mai 2011 ab. Insoweit handelt es sich aber um Fälle "innerer Unruhen und Spannungen" im Sinne von Art. 2 des ZP II, die gerade nicht unter den Begriff des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts zu subsumieren sind. In Übereinstimmung hiermit hat auch der Hessische Verwaltungsgerichtshof entschieden, dass in Kabul, trotz gegebener Übergriffe, kein bewaffneter Konflikt von solcher Dichte herrscht, dass darauf § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG angewandt werden könnte. Jedenfalls resultiere hieraus für Rückkehrer keine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben infolge willkürlicher Gewalt (Urteil vom 16.06.2011 - 8 A 2011/10.A - juris). Der Senat kommt zum gegenwärtigen Zeitpunkt und für die Situation des Klägers zu derselben Einschätzung.
28 
III. Im Falle des Klägers liegt auch der somit hilfsweise zu prüfende nationale Abschiebungsschutz derzeit nicht vor. Zu seinen Gunsten besteht kein Abschiebungsverbot hinsichtlich Afghanistans gemäß des einheitlichen Streitgegenstands nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung.
29 
1. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (- EMRK -, BGBl 1952 II 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Über diese Norm werden die Schutzregeln der EMRK in innerstaatliches Recht inkorporiert. Sowohl aus Systematik als auch Entstehungsgeschichte folgt jedoch, dass es insoweit nur um zielstaatsbezogenen Abschiebungsschutz geht. Inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse, abgeleitet etwa aus Art. 8 EMRK, ziehen hingegen regelmäßig nur eine Duldung gemäß § 60 a Abs. 2 AufenthG nach sich. Bezüglich Art. 3 EMRK ist zudem die weitergehende und „unionsrechtlich aufgeladene“ Schutznorm des § 60 Abs. 2 AufenthG vorrangig, d.h. im vorliegenden Falle nicht zu prüfen (vgl. zu § 60 Abs. 5: Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 45 ff., m.w.N.). Ob im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG auch nach Umsetzung der Qualifikationsrichtlinie 2004/83/EG alle Gefährdungen grundsätzlich irrelevant sind, die von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen (so noch BVerwG, Urteil vom 15.04.1997 - 9 C 38.96 - zur Vorgängernorm des § 53 Abs. 4 AuslG, juris Rn. 10), kann vorliegend dahingestellt bleiben. Es ist nicht ersichtlich, welches Menschenrecht der EMRK im konkreten Fall des Klägers ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG begründen könnte.
30 
2. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kann von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn für ihn dort eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Allerdings sind Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG bei Abschiebestopp-Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Denn hinsichtlich des Schutzes vor allgemeinen Gefahren im Zielstaat soll Raum sein für ausländerpolitische Entscheidungen, was die Anwendbarkeit von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG insoweit grundsätzlich sperrt und zwar selbst dann, wenn diese Gefahren den einzelnen Ausländer zugleich in konkreter und individualisierbarer Weise betreffen (BVerwG, Urteil vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324). Aus diesem Normzweck folgt weiter, dass sich die „Allgemeinheit“ der Gefahr nicht danach bestimmt, ob diese sich auf die Bevölkerung oder bestimmte Bevölkerungsgruppen gleichartig auswirkt, wie das bei Hungersnöten, Seuchen, Bürgerkriegswirren oder Naturkatastrophen der Fall sein kann. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG kann vielmehr auch bei eher diffusen Gefährdungslagen greifen, etwa dann, wenn Gefahren für Leib und Leben aus den allgemein schlechten Lebensverhältnissen (soziale und wirtschaftliche Missstände) im Zielstaat hergeleitet werden. Denn soweit es um den Schutz vor den einer Vielzahl von Personen im Zielstaat drohenden typischen Gefahren solcher Missstände wie etwa Lebensmittelknappheit, Obdachlosigkeit oder gesundheitliche Gefährdungen geht, ist die Notwendigkeit einer politischen Leitentscheidung in gleicher Weise gegeben (BVerwG, Urteil vom 12.07.2001 - 1 C 5.01 - BVerwGE 115, 1). Für die Personengruppe, der der Kläger angehört, besteht eine solche politische Abschiebestopp-Anordnung gemäß § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG in Baden-Württemberg derzeit nicht (mehr), seit mit Schreiben des Innenministeriums Baden-Württemberg vom 15.04.2005 (geändert am 01.08.2005, vgl. 21. Fortschreibung vom 23.01.2009, Az.: 4-13-AFG/8) in Umsetzung entsprechender Beschlüsse der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder bezüglich der Rückführung afghanischer Staatsangehöriger entschieden wurde, dass „volljährige, allein stehende männliche afghanische Staatsangehörige, die sich zum Zeitpunkt der Beschlussfassung am 24. Juni 2005 noch keine sechs Jahre im Bundesgebiet aufgehalten haben, mit Vorrang zurückzuführen sind“. Im konkreten Einzelfall des Klägers greift die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG auch unter Berücksichtigung von Verfassungsrecht.
31 
a) Die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG greift aufgrund der Schutzwirkungen der Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nur dann ausnahmsweise nicht, wenn der Ausländer im Zielstaat landesweit einer extrem zugespitzten allgemeinen Gefahr dergestalt ausgesetzt wäre, dass er „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert“ würde (st. Rspr. des BVerwG, s. Urteile vom 29.09.2011 - 10 C 24.10 - juris Rn. 20, vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324 und vom 19.11.1996 - 1 C 6.95 - BVerwGE 102, 249 zur Vorgängerregelung in § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG). Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassung wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar ist (BVerwG, Urteil vom 29.09.2011 - 10 C 24.10 - juris Rn. 20). Das Vorliegen der Voraussetzungen ist im Wege einer Gesamtgefahrenschau zu ermitteln (BVerwG, Beschluss vom 23.03.1999 - 9 B 866.98 - juris Rn. 7).
32 
b) Im Fall einer allgemein schlechten Versorgungslage sind Besonderheiten zu berücksichtigen. Denn hieraus resultierende Gefährdungen entspringen keinem zielgerichteten Handeln, sondern treffen die Bevölkerung gleichsam schicksalhaft. Sie wirken sich nicht gleichartig und in jeder Hinsicht zwangsläufig aus und setzen sich aus einer Vielzahl verschiedener Risikofaktoren zusammen, denen der Einzelne in ganz unterschiedlicher Weise ausgesetzt ist und denen er gegebenenfalls auch ausweichen kann. Intensität, Konkretheit und zeitliche Nähe der Gefahr können deshalb auch nicht generell, sondern nur unter Berücksichtigung aller Einzelfallumstände beurteilt werden (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 13.11.2002 - A 6 S 967/01 - juris Rn. 48 ff.). Um dem Erfordernis des unmittelbaren - zeitlichen - Zusammenhangs zwischen Abschiebung und drohender Rechtsgutverletzung zu entsprechen, kann hinsichtlich einer allgemein schlechten Versorgungslage eine extreme Gefahrensituation zudem nur dann angenommen werden, wenn der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr in sein Heimatland in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien kann. Mit dem Begriff „alsbald“ ist dabei einerseits kein nur in unbestimmter zeitlicher Ferne liegender Termin gemeint (BVerwG, Urteil vom 27.04.1998 - 9 C 13.97 - juris Rn. 8). Andererseits setzt die Annahme einer extremen allgemeinen Gefahrenlage nicht voraus, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Ankunft im Abschiebezielstaat, eintreten. Eine extreme Gefahrenlage besteht auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert sein würde (BVerwG, Urteil vom 29.06.2010 - 10 C 10.09 - juris Rn. 15).
33 
c) Diese Voraussetzungen sind im Falle des Klägers heute jedenfalls nicht mehr gegeben. In Übereinstimmung mit anderen Obergerichten (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 06.05.2008 - 6 A 10749/07 - AuAS 2008, 188; Hess. VGH, Urteil vom 26.11.2009 - 8 A 1862/07.A - NVwZ-RR 2010, 331) hatte der Senat mit Urteil vom 14.05.2009 - A 11 S 610/08 - (DVBl 2009, 1327) entschieden, dass für Ausländer aus der Personengruppe der beruflich nicht besonders qualifizierten afghanischen männlichen Staatsangehörigen, die in ihrer Heimat ohne Rückhalt und Unterstützung durch Familie oder Bekannte sind und dort weder über Grundbesitz noch über nennenswerte Ersparnisse verfügen, aufgrund der katastrophalen Versorgungslage bei einer Abschiebung nach Kabul eine extreme Gefahrensituation im dargelegten Sinne bestehe. Das Bundesverwaltungsgericht hat (auch) diese Entscheidung mit Urteil vom 08.09.2011 - 10 C 16.10 - (juris) aufgehoben. Insbesondere die Feststellungen zum Vorliegen einer extremen Gefahr im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan verletzten Bundesrecht und würden einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht standhalten, denn die Entscheidung sei insbesondere hinsichtlich der festgestellten drohenden Mangelernährung und den damit verbundenen gesundheitlichen Risiken auf eine zu schmale Tatsachengrundlage gestützt. Das Bundesverwaltungsgericht betont: „‘Hunger‘ führt nicht zwangsläufig zum Tod, 'gesundheitliche Risiken' führen nicht notwendigerweise zu schwersten Gesundheitsschäden.“ Damit verfehle das Berufungsgericht den Begriff der Extremgefahr (so im Urteil vom 29.09.2011 - 10 C 23.10 - juris Rn. 24 bzgl. einer Parallelentscheidung des Hess.VGH). Bei der erneuten Befassung mit der Sache sei der Senat gehalten, sich auch mit der gegenteiligen Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte (insbesondere: Bay.VGH, Urteil vom 03.02.2011 - 13a B 10.30394 - juris) auseinanderzusetzen.
34 
Es sei dahingestellt, ob ein Obergericht revisionsrechtlich dazu verpflichtet werden kann, sich mit der abweichenden Einschätzung anderer Obergerichte auseinanderzusetzen (kritisch: Hess.VGH, Urteil vom 25.08.2011 - 8 A 1657/10.A - juris Rn. 77). Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof vertritt jedenfalls in dem zur besonderen Beachtung benannten Urteil die Auffassung, dass für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige angesichts der aktuellen Auskunftslage im Allgemeinen derzeit nicht von einer extremen Gefahrenlage auszugehen sei, die zu einem Abschiebungsverbot in entsprechender Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde. Zwar sei zweifellos von einer äußerst schlechten Versorgungslage in Afghanistan auszugehen. Im Wege einer Gesamtgefahrenschau sei jedoch nicht anzunehmen, dass dort alsbald der sichere Tod drohe oder schwerste Gesundheitsbeeinträchtigungen zu erwarten wären. Bei der Wirtschaftslage bzw. den ökonomischen Rahmenbedingungen würden durchaus positive Tendenzen gesehen. Es sei mit einem realen jährlichen Wirtschaftswachstum zwischen 6 und 8 % zu rechnen. Auch hätten bessere Ernten zu einer Verbesserung der Gesamtversorgungslage geführt. Zwar sei die Versorgung mit Wohnraum zu angemessenen Preisen in den Städten nach wie vor schwierig. Das Ministerium für Flüchtlinge und Rückkehrer bemühe sich jedoch um eine Ansiedlung der Flüchtlinge in Neubausiedlungen. Wenn es heiße, dass der Zugang für Rückkehrer zu Arbeit, Wasser und Gesundheitsversorgung häufig nur sehr eingeschränkt möglich sei, bedeute dies andererseits, dass jedenfalls der Tod oder schwerste Gesundheitsgefährdungen alsbald nach der Rückkehr nicht zu befürchten seien. Dies ergebe sich auch aus dem Afghanistan Report 2010 von amnesty international, wonach Tausende von Vertriebenen in Behelfslagern lebten, wo sie nur begrenzten Zugang zu Lebensmitteln und Trinkwasser, Gesundheitsversorgung und Bildung erhalten würden. Eine Mindestversorgung sei damit aber gegeben. Auch sei eine hinreichende zeitliche Nähe („alsbald“) zwischen Rückkehr und lebensbedrohlichem Zustand aufgrund von Mangelernährung, unzureichenden Wohnverhältnissen und schwieriger Arbeitssuche nicht ersichtlich. Insgesamt sei davon auszugehen, dass ein 25-jähriger lediger und gesunder Afghane, der mangels familiärer Bindungen keine Unterhaltslasten trage, auch ohne nennenswertes Vermögen und ohne abgeschlossene Berufsausbildung im Falle einer Abschiebung nach Kabul dort in der Lage wäre, durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen zu erzielen, damit ein Leben am Rande des Existenzminimums zu finanzieren und sich allmählich wieder in die afghanische Gesellschaft zu integrieren.
35 
Dies entspricht im Wesentlichen der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (vgl. Beschluss vom 26.10.2010 - 20 A 964/10.A -; Urteil vom 19.06.2008 - 20 A 4676/06.A - beide juris). Das Oberverwaltungsgericht vermochte dem Aspekt, dass positive Feststellungen zu den Modalitäten der Beschaffung des Lebensnotwendigen nicht zu treffen seien, kein entscheidendes Gewicht zu geben vor dem Umstand, dass die zahlreich vorliegenden Berichte für eine extreme Verelendung nichts hergeben würden, obwohl angesichts der hohen Rückkehrerzahlen aus den Nachbarländern und der Binnenfluchtbewegungen nicht davon ausgegangen werden könne, dass es an jeglichem Potential für Vergleichsfälle fehle (Urteil vom 19.06.2008, juris Rn. 80).
36 
Der Senat schließt sich der Rechtsprechung der zitierten Gerichte nunmehr an, weil auch er eine gewisse Verbesserung der allgemeinen Versorgungslage in Kabul erkennen kann, die nach den strengen Maßstäben des Bundesverwaltungsgerichts im Rahmen einer wertenden Gesamtschau der Annahme einer alsbald nach der Abschiebung eintretenden Extremgefahr für gesunde ledige afghanische Männer auch ohne Vermögen oder lokale Familien- bzw. Stammesstrukturen entgegenstehen.
37 
Dem zentralen Argument des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen, dass Fälle extremer Verelendung von Rückkehrern dokumentiert sein müssten, vermag der Senat keine aussagekräftigen Erkenntnisquellen entgegen zu setzen; es lässt sich nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand nicht widerlegen. Insbesondere sind Erkenntnisquellen, die den Hungertod von Rückkehrern in Kabul dokumentieren, auch dem Senat nicht bekannt (ebenso: UNHCR vom 11.11.2011, 10 f.). Und in der Tat sind seit 2002 vor allem mit Hilfe des UNHCR insgesamt rund vier Millionen Flüchtlinge nach Afghanistan zurückgekehrt, wenn auch davon nur ca. 15.000 aus anderen Ländern als Pakistan und dem Iran (Gietmann, Asylmagazin 12/2011, 413, m.w.N.). Infolgedessen gehört Kabul heute zu den Städten mit dem weltweit stärksten Bevölkerungswachstum. Betrug die Einwohnerzahl 2001 noch rund 1,5 Millionen, wurde sie von der Stadtverwaltung im Juni 2010 auf über 5 Millionen geschätzt. Der Bevölkerungsanteil der Rückkehrer und Binnenvertriebenen wird auf 70 % geschätzt (Yoshimura, Asylmagazin 12/2011, 408, m.w.N.).
38 
Allerdings sind sämtliche Informationen, die der Senat über die Situation in der Stadt finden kann, durchaus ambivalent. Einerseits heißt es, 23 % der Bevölkerung lebten dort unterhalb der Armutsgrenze. Insgesamt seien die Lebenshaltungskosten in Kabul im Laufe der vergangenen Jahre um 30 bis 50 % gestiegen. Bewohner seien auch beim Erwerb zahlreicher, selbst legaler Güter des Alltags gezwungen, Bestechungsgelder zu bezahlen. Die Kriminalität und Gefahr, Opfer von Überfällen zu werden, sei hoch (Landinfo 2011, Part II, 17). Kabul würde einer Stadt im permanenten Ausnahmezustand ähneln (Dr. Danesch vom 07.10.2010, Logar, 3). Nur 55,9 % der Haushalte verfügten über Zugang zu sauberem Wasser. Zahlreiche Brunnen im Stadtgebiet seien aufgrund der steigenden Inanspruchnahme ausgetrocknet bzw. erschöpft (ai vom 29.09.2009, 2). Bezahlbarer Strom liege für ärmere Kabuler Familien außerhalb der finanziellen Möglichkeiten. Die Arbeitslosenrate in Kabul werde auf bis zu 50 % geschätzt. Infolge des Mangels an bezahlbarem Wohnraum würden sich zahllose Menschen gezwungen sehen, in prekären Unterkünften wie Lehmhütten, Zelten oder alten beschädigten Gebäuden zu hausen. Die Bewohner dieser „informellen Siedlungen“ würden außerhalb des sozialen Sicherheitsnetzes leben und ihren Lebensunterhalt durch Betteln, den Verkauf von Müll und andere gering bezahlte Tätigkeiten bestreiten müssen. Über Nacht entstünden neue Armenviertel und Slums, in denen es weder Kanalisation noch Müllentsorgung und kaum sauberes Wasser, Elektrizität oder medizinische Hilfe gebe. Die Zahl derer, die auf der Flucht vor Krieg, Rechtlosigkeit, Willkürherrschaft und Armut in die Städte strömten, vergrößere sich tagtäglich. Besonders dramatisch nehme deshalb gerade in Kabul die Zahl von Obdachlosen und Drogenabhängigen zu. Ohnehin befinde sich Afghanistan auf dem Weg in einen Drogenstaat. 2011 sei erneut ein Dürrejahr gewesen und vor allem im Norden, dem friedlichen Teil des Landes, herrsche Hunger. Zusammenfassend sei eine Rückkehr nach Kabul ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen schlicht unzumutbar (vgl. ai vom 20.12.2010; Asylmagazin 12/2011, 408-414, m.w.N.).
39 
Andererseits wird berichtet, gerade in Kabul existiere eine rege Bautätigkeit. In den vergangenen Jahren seien zahlreiche Immobilienprojekte in Angriff genommen worden. In Folge dessen gebe es nunmehr vor allem im Bausektor, wenn auch schlecht bezahlte Tageslohnarbeit. Viele Stadtteile Kabuls würden seit 2009 zwischenzeitlich 24 Stunden am Tag mit Strom versorgt. Seit kurzem boome in einigen Städten wie Kabul und Masar-i-Scharif der Handel. Geschäfte würden über Nacht eröffnet und man habe mittlerweile ein großes, kaum einen Wunsch offenlassendes Warenangebot. Die Lage sei nicht gut, aber sie sei besser geworden. Jedenfalls im Stadtzentrum sei auch die Armut nicht mehr so offensichtlich. Es gebe nicht mehr überall bettelnde Frauen in Burkas und keine Banden von Kindern, die sich an Klebstoff berauschten. Dafür hätten unzählige Kebab-Stände eröffnet. Überhaupt gebe es deutlich zahlreichere Geschäfte als noch vor wenigen Jahren und sogar eine Müllabfuhr sowie ein Mindestmaß an Ordnung bzw. überhaupt wieder so etwas wie ein Stadtleben. Auch die Sicherheitslage in Kabul sei, abgesehen von einigen spektakulären Anschlägen, unverändert stabil und weiterhin deutlich ruhiger als noch vor zwei Jahren (vgl. Lagebericht AA vom 10.01.2012; Kermani, Die Zeit vom 05.01.2012, 11 ff; Asylmagazin 12/2011, 408-414, m.w.N.; SZ vom 16.04.2012).
40 
Vor diesem Hintergrund kann heute - trotz der ambivalenten Erkenntnisquellen - aufgrund der hohen Hürden des Bundesverwaltungsgerichts für die Annahme einer extremen allgemeinen Gefahrenlage für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige eine solche Extremgefahr nicht mehr begründet werden. Anders als noch 2009 sieht auch der Senat keine hinreichenden Anhaltspunkte mehr dafür, dass bei dieser Personengruppe im Falle der Abschiebung alsbald der Tod oder schwerste gesundheitliche Beeinträchtigungen zu erwarten wären. Die Einschätzung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, es sei vielmehr zu erwarten, dass Rückkehrer in Kabul durch Gelegenheitsarbeiten „ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren könnten“, trifft heute auch nach Überzeugung des Senats zu. Zwar dürfte aufgrund der schlechten Gesamtsituation ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen in der Tat eine Rückkehr nach Kabul selbst für gesunde alleinstehende Männer unter humanitären Gesichtspunkten kaum zumutbar sein. Diese Zumutbarkeit ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts jedoch kein zentraler Maßstab für die Bestimmung einer extremen Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
41 
Im Falle des Klägers sind schließlich auch keine hinreichenden individuellen Faktoren gegeben, die ausnahmsweise eine extreme Gefahrenlage begründen könnten.
42 
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO und § 83 b AsylVfG.
43 
IV. Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung im Hinblick auf die Frage des Abstellens auf die Heimatregion oder aber den „tatsächlichen Zielort“ im Rahmen von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG zugelassen (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 11. Oktober 2011 - A 6 K 1088/11 - wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des - gerichtskostenfreien - Berufungsverfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger, ein am … 1995 in Gardez geborener afghanischer Staatsangehöriger schiitischen Glaubens reiste im August 2010 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein. Die Stadt Karlsruhe - Jugendamt - beantragte für ihn als Vormund am 25.08.2010 Asyl; inzwischen ist die AGDW Vormund des Klägers. Bei seiner Anhörung am 27.10.2010 gab der Kläger beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) u.a. an, seine Mutter sei gestorben, als er 10 Jahre alt gewesen sei. Sein Vater habe erneut geheiratet. Er habe zwei leibliche Geschwister und zwei Stiefgeschwister. In Afghanistan habe er lediglich die Koranschule besucht. Zu seinem Vater, der bei der Armee als Koch beschäftigt gewesen sei und Probleme mit den Taliban gehabt hätte, habe er seit etwa einem Jahr keinen Kontakt mehr; er sei seither fort. Die Taliban seien immer wieder am Abend vermummt gekommen und hätten vor allem Vater und Bruder geschlagen und mit Enthauptungen gedroht. Bei der Flucht habe er seine Geschwister verloren.
Die Beklagte lehnte den Asylantrag des Klägers mit Bundesamtsbescheid vom 15.03.2011 ab, stellte fest, dass weder die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft noch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen und drohte ihm die Abschiebung nach Afghanistan an. Asyl scheide aufgrund der Drittstaatenregelung aus. Die Flüchtlingseigenschaft könne nicht zuerkannt werden, weil der Sachvortrag des Klägers zu unsubstantiiert und damit nicht glaubhaft sei. Unionsrechtlich begründete Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG seien nicht gegeben; insbesondere eine Feststellung gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG scheitere daran, dass keine dem Kläger im Rahmen eines bewaffneten Konflikts drohende erhebliche individuelle Gefahren für Leib oder Leben vorliege. Auch nationale Abschiebungsverbote seien nicht gegeben. Vor allem in Kabul drohe dem Kläger keine extreme Gefahrenlage, sodass eine Feststellung nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausscheide.
Am 28.03.2011 hat die Stadt Karlsruhe für den minderjährigen Kläger beim Verwaltungsgericht Stuttgart Klage erhoben und beantragt, die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen sowie Abschiebungsverbote festzustellen. Der heutige Prozessbevollmächtigte nahm nach seiner Legitimation durch Schriftsatz vom 14.04.2011 die Klage hinsichtlich der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zurück. Ergänzend trug er u.a. vor, dass es mit Hilfe eines in Stuttgart lebenden Onkels gelungen sei, Kontakt zu den Geschwistern aufzunehmen, die sich nunmehr in Teheran aufhalten würden. Hierüber habe der Kläger erfahren, dass sein Vater von den Taliban totgeprügelt worden sei.
Mit Urteil vom 11.10.2011 - A 6 K 1088/11 - hat das Verwaltungsgericht das Verfahren hinsichtlich der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft eingestellt und die Beklagte zur Feststellung eines Abschiebungsverbots hinsichtlich Afghanistans gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG verpflichtet und insoweit den Bundesamtsbescheid vom 15.03.2011 aufgehoben. Ein unionsrechtliches Abschiebungsverbot liege nicht vor. Wegen der in Afghanistan bestehenden unzureichenden Versorgungslage bestehe für den Kläger jedoch bei einer Rückkehr dorthin eine extreme Gefahrensituation, sodass ein nationales Abschiebungsverbot gegeben sei. Nach den glaubhaften Angaben des Klägers könne er wegen der Bedrohung durch die Taliban nicht in seine Heimatregion zurück; in Kabul könne er auch aufgrund seiner Jugend ohne Rückhalt und Unterstützung durch die Familie nicht existieren.
Mit ihrer vom Senat mit Beschluss vom 21.12.2011 - A 11 S 3034/11 - zugelassenen Berufung macht die Beklagte geltend, eine extreme Gefahrensituation könne hier auch wegen der Unterstützungsmöglichkeiten durch die in Deutschland lebenden Familienmitglieder nicht angenommen werden. Geldüberweisungen seien mittlerweile an 17 Banken in Afghanistan möglich. Außerdem stelle die dem Einzelnen subjektiv-öffentliche Rechte vermittelnde Regelung des § 58 Abs. 1a AufenthG, die für unbegleitete minderjährige Ausländer einer allgemeinen Erlasslage im Sinne des § 60 a AufenthG gleichstehe, hinreichend sicher, dass der Kläger nicht in ungesicherte Verhältnisse ohne aufnahmebereites Umfeld abgeschoben werde.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 11.10.2011 - A 6 K 1088/11 - zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
10 
Er trägt im Wesentlichen vor, weder irgendwelches Vermögen noch in Afghanistan heute unterstützungsbereite Familienangehörige mehr zu haben; diese seien entweder tot oder in andere Länder geflohen. Aus diesem Grund und wegen der katastrophalen Versorgungssituation in seiner Heimat lägen für ihn als unbegleiteten Minderjährigen die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor.
11 
Der Senat hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung am 27.04.2012 informatorisch angehört. Der Kläger vertiefte hierbei sein Vorbringen und trug im Wesentlichen vor, im heutigen Afghanistan keinerlei Verwandte oder Bekannte mehr zu haben. Sollte er nach Kabul abgeschoben werden, wüsste er nicht, an wen er sich wenden könnte. Auch die Regelung des § 58 Abs. 1a AufenthG schütze nicht hinreichend vor einer Verelendung nach Übergabe an die dort genannten Personen. Die Bundesrepublik Deutschland habe sich zudem in der UN-Kinderrechtskonvention verpflichtet, das Wohl von Kindern und Jugendlichen besonders zu beachten.
12 
Die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes ergeben sich aus der Gerichtsakte sowie den Verfahrensakten des Bundesamts. Dem Senat liegen des Weiteren die Akte des Verwaltungsgerichts Stuttgart im Verfahren A 6 K 1088/11 sowie die Erkenntnisquellen, die den Beteiligten mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung mitgeteilt worden sind, vor. Die beigezogenen Akten und die Erkenntnisquellen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

 
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Die zulässige, insbesondere rechtzeitig unter Stellung eines Antrags und unter Bezugnahme auf die ausführliche Begründung des Zulassungsantrags begründete Berufung (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 -NVwZ 2006, 1420 m.w.N.) der Beklagten hat keinen Erfolg. Mit dem Verwaltungsgericht geht der Senat davon aus, dass der Kläger die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (- Aufenthaltsgesetz -) in der Fassung der Änderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der EU vom 19.08.2007 (- 1. Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 28.08.2007, BGBl I 1970) sowie das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der EU und zur Anpassung nationaler Rechtvorschriften an den EU-Visakodex vom 22.11.2011 (- 2. Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 26.11.2011, BGBl I 2258) als unbegleiteter Minderjähriger heute beanspruchen kann.
I.
14 
Insbesondere das grundsätzlich vorrangige Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG i.V.m. Art. 15 c der Qualifikationsrichtlinie 2004/83/ EG ist vom Senat im vorliegenden Berufungsverfahren nicht zu prüfen. Zwar ist ein Antrag auf Verpflichtung zur Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG in Bezug auf das Herkunftsland seit Inkrafttreten des 1. Richtlinienumsetzungsgesetzes im Asylprozess sachdienlich dahin auszulegen, dass in erster Linie die Feststellung des - unionsrechtlich begründeten (weitergehenden) - Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG und nur hilfsweise die Feststellung des – nationalen – Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung begehrt wird (BVerwG, Urteil vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - juris Rn. 11). Sowohl der Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG als auch der Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 und 3 AufenthG bilden dabei jeweils einen einheitlichen, in sich nicht weiter teilbaren Streitgegenstand (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 11). Dieses gerichtliche Prüfprogramm ist für die Verfahrensbeteiligten selbst in Übergangsfällen nicht disponibel (BVerwG, Urteil vom 08.09.2011 - 10 C 14.10 -juris Rn. 13). Im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts war § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG in seiner heutigen Fassung bereits in Kraft und der Kläger hatte insbesondere auch die Feststellung eines solchen Abschiebungsverbots beantragt. Das Verwaltungsgericht hat jedoch nach erkennbarer Sachprüfung der entsprechenden Anspruchsgrundlagen über alle unionsrechtlichen Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG entschieden und der unterlegene Kläger hat dies unangefochten gelassen. In dieser Situation scheidet der - rechtskräftig entschiedene - unionsrechtlich begründete Abschiebungsschutz selbst in Übergangsfällen aus dem gerichtlichen Verfahren aus (BVerwG, Urteil vom 08.09.2011 - 10 C 14.10 - juris Rn. 13).
II.
15 
In dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) besteht zu Gunsten des Klägers ein nationales Abschiebungsverbot hinsichtlich Afghanistans gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung.
16 
1. Ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG scheidet aus. Hiernach darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 04.11.1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (- EMRK -, BGBl 1952 II 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Über diese Norm werden die Schutzregeln der EMRK in innerstaatliches Recht inkorporiert. Sowohl aus Systematik als auch Entstehungsgeschichte folgt jedoch, dass es insoweit nur um zielstaatsbezogenen Abschiebungsschutz geht. Inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse, abgeleitet etwa aus Art. 8 EMRK, ziehen hingegen regelmäßig nur eine Duldung gemäß § 60 a Abs. 2 AufenthG nach sich. Bezüglich Art. 3 EMRK ist zudem die weitergehende und „unionsrechtlich aufgeladene“ Schutznorm des § 60 Abs. 2 AufenthG vorrangig, d.h. im vorliegenden Falle nicht zu prüfen (vgl. zu § 60 Abs. 5: Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 45 ff., m.w.N.). Ob im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG auch nach Umsetzung der Qualifikationsrichtlinie 2004/83/EG alle Gefährdungen grundsätzlich irrelevant sind, die von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen (so noch BVerwG, Urteil vom 15.04.1997 - 9 C 38.96 - zur Vorgängernorm des § 53 Abs. 4 AuslG, juris Rn. 10), kann vorliegend dahingestellt bleiben. Denn es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, welches Menschenrecht der EMRK im konkreten Fall des Klägers ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG begründen könnte.
17 
2. Nach Auffassung des Senats ergibt sich jedoch für unbegleitete Kinder und Jugendliche aus Afghanistan derzeit regelmäßig ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Hiernach kann von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn für ihn dort eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Allerdings sind Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG bei Abschiebestopp-Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Denn hinsichtlich des Schutzes vor allgemeinen Gefahren im Zielstaat soll Raum sein für ausländerpolitische Entscheidungen, was die Anwendbarkeit von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG insoweit grundsätzlich sperrt und zwar selbst dann, wenn diese Gefahren den einzelnen Ausländer zugleich in konkreter und individualisierbarer Weise betreffen (BVerwG, Urteil vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324). Aus diesem Normzweck folgt weiter, dass sich die „Allgemeinheit“ der Gefahr nicht danach bestimmt, ob diese sich auf die Bevölkerung oder bestimmte Bevölkerungsgruppen gleichartig auswirkt, wie das bei Hungersnöten, Seuchen, Bürgerkriegswirren oder Naturkatastrophen der Fall sein kann. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG kann vielmehr auch bei eher diffusen Gefährdungslagen greifen, etwa dann, wenn Gefahren für Leib und Leben aus den allgemein schlechten Lebensverhältnissen (soziale und wirtschaftliche Missstände) im Zielstaat hergeleitet werden. Denn soweit es um den Schutz vor den einer Vielzahl von Personen im Zielstaat drohenden typischen Gefahren solcher Missstände wie etwa Lebensmittelknappheit, Obdachlosigkeit oder gesundheitliche Gefährdungen geht, ist die Notwendigkeit einer politischen Leitentscheidung in gleicher Weise gegeben (BVerwG, Urteil vom 12.07.2001 - 1 C 5.01 - BVerwGE 115, 1). Für die Personengruppe, der der Kläger angehört, besteht eine solche politische Abschiebestopp-Anordnung gemäß § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG in Baden-Württemberg derzeit nicht (vgl. das Schreiben des Innenministeriums Baden -Württemberg vom 15.04.2005 (geändert am 01.08.2005, 21. Fortschreibung vom 23.01.2009, Az.: 4-13-AFG/8, in Umsetzung entsprechender Beschlüsse der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder bezüglich der Rückführung afghanischer Staatsangehöriger). Im konkreten Einzelfall des Klägers greift die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG unter Berücksichtigung von Verfassungsrecht jedoch nicht.
18 
a) Die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG greift aufgrund der Schutzwirkungen der Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG dann nicht, wenn der Ausländer im Zielstaat landesweit einer extrem zugespitzten allgemeinen Gefahr dergestalt ausgesetzt wäre, dass er „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert“ würde (st. Rspr. des BVerwG, s. Urteile vom 29.09.2011 - 10 C 24.10 - juris Rn. 20, vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324 und vom 19.11.1996 - 1 C 6.95 - BVerwGE 102, 249 zur Vorgängerregelung in § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG). Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassung wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint (BVerwG, Urteil vom 29.09.2011 - 10 C 24.10 - juris Rn. 20). Das Vorliegen der Voraussetzungen ist im Wege einer Gesamtgefahrenschau zu ermitteln (BVerwG, Beschluss vom 23.03.1999 - 9 B 866.98 - juris Rn. 7).
19 
b) Im Fall einer allgemein schlechten Versorgungslage sind Besonderheiten zu berücksichtigen. Denn hieraus resultierende Gefährdungen entspringen keinem zielgerichteten Handeln, sondern treffen die Bevölkerung gleichsam schicksalhaft. Sie wirken sich nicht gleichartig und in jeder Hinsicht zwangsläufig aus und setzen sich aus einer Vielzahl verschiedener Risikofaktoren zusammen, denen der Einzelne in ganz unterschiedlicher Weise ausgesetzt ist und denen er gegebenenfalls auch ausweichen kann. Intensität, Konkretheit und zeitliche Nähe der Gefahr können deshalb auch nicht generell, sondern nur unter Berücksichtigung aller Einzelfallumstände beurteilt werden (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 13.11.2002 - A 6 S 967/01 - juris Rn. 48 ff.). Um dem Erfordernis des unmittelbaren - zeitlichen - Zusammenhangs zwischen Abschiebung und drohender Rechtsgutverletzung zu entsprechen, kann hinsichtlich einer allgemein schlechten Versorgungslage eine extreme Gefahrensituation zudem nur dann angenommen werden, wenn der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr in sein Heimatland in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien kann. Mit dem Begriff „alsbald“ ist dabei einerseits kein nur in unbestimmter zeitlicher Ferne liegender Termin gemeint (BVerwG, Urteil vom 27.04.1998 - 9 C 13.97 - juris Rn. 8). Andererseits setzt die Annahme einer extremen allgemeinen Gefahrenlage nicht voraus, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Ankunft im Abschiebezielstaat, eintreten. Eine extreme Gefahrenlage besteht auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert sein würde (BVerwG, Urteil vom 29.06.2010 - 10 C 10.09 - juris Rn. 15).
20 
c) Diese Voraussetzungen sind im Falle des minderjährigen Klägers gegeben, der in der mündlichen Verhandlung glaubhaft dargelegt hat, heute keinerlei Verwandte oder Bekannte mehr in Afghanistan zu haben.
21 
In seinem Grundsatzurteil vom 06.03.2012 - A 11 S 3177/11 - (juris) hatte der Senat für volljährige gesunde Männer den Leitsatz gebildet, dass für die Personengruppe der beruflich nicht besonders qualifizierten afghanischen Staatsangehörigen, die in Kabul ohne Rückhalt und Unterstützung durch Familie oder Bekannte sind und dort weder über Grundbesitz noch über nennenswerte Ersparnisse verfügen, trotz der schlechten Versorgungslage bei einer Abschiebung nach Kabul regelmäßig keine extreme Gefahrensituation mehr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG besteht. Zur Begründung hat der Senat ausgeführt:
22 
„In Übereinstimmung mit anderen Obergerichten (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 06.05.2008 - 6 A 10749/07 - AuAS 2008, 188; Hess. VGH, Urteil vom 26.11.2009 - 8 A 1862/07.A - NVwZ-RR 2010, 331) hatte der Senat mit Urteil vom 14.05.2009 - A 11 S 610/08 - (DVBl 2009, 1327) entschieden, dass für Ausländer aus der Personengruppe der beruflich nicht besonders qualifizierten afghanischen männlichen Staatsangehörigen, die in ihrer Heimat ohne Rückhalt und Unterstützung durch Familie oder Bekannte sind und dort weder über Grundbesitz noch über nennenswerte Ersparnisse verfügen, aufgrund der katastrophalen Versorgungslage bei einer Abschiebung nach Kabul eine extreme Gefahrensituation im dargelegten Sinne bestehe. Das Bundesverwaltungsgericht hat (auch) diese Entscheidung mit Urteil vom 08.09.2011 - 10 C 16.10 - (juris) aufgehoben. Insbesondere die Feststellungen zum Vorliegen einer extremen Gefahr im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan verletzten Bundesrecht und würden einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht standhalten, denn die Entscheidung sei insbesondere hinsichtlich der festgestellten drohenden Mangelernährung und den damit verbundenen gesundheitlichen Risiken auf eine zu schmale Tatsachengrundlage gestützt. Das Bundesverwaltungsgericht betont: „‘Hunger‘ führt nicht zwangsläufig zum Tod, 'gesundheitliche Risiken' führen nicht notwendigerweise zu schwersten Gesundheitsschäden.“ Damit verfehle das Berufungsgericht den Begriff der Extremgefahr (so im Urteil vom 29.09.2011 - 10 C 23.10 - juris Rn. 24 bzgl. einer Parallelentscheidung des Hess.VGH). Bei der erneuten Befassung mit der Sache sei der Senat gehalten, sich auch mit der gegenteiligen Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte (insbesondere: Bay.VGH, Urteil vom 03.02.2011 - 13a B 10.30394 - juris) auseinanderzusetzen.
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Es sei dahingestellt, ob ein Obergericht revisionsrechtlich dazu verpflichtet werden kann, sich mit der abweichenden Einschätzung anderer Obergerichte auseinanderzusetzen (kritisch: Hess.VGH, Urteil vom 25.08.2011 - 8 A 1657/10.A - juris Rn. 77). Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof vertritt jedenfalls in dem zur besonderen Beachtung benannten Urteil die Auffassung, dass für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige angesichts der aktuellen Auskunftslage im Allgemeinen derzeit nicht von einer extremen Gefahrenlage auszugehen sei, die zu einem Abschiebungsverbot in entsprechender Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde. Zwar sei zweifellos von einer äußerst schlechten Versorgungslage in Afghanistan auszugehen. Im Wege einer Gesamtgefahrenschau sei jedoch nicht anzunehmen, dass dort alsbald der sichere Tod drohe oder schwerste Gesundheitsbeeinträchtigungen zu erwarten wären. Bei der Wirtschaftslage bzw. den ökonomischen Rahmenbedingungen würden durchaus positive Tendenzen gesehen. Es sei mit einem realen jährlichen Wirtschaftswachstum zwischen 6 und 8 % zu rechnen. Auch hätten bessere Ernten zu einer Verbesserung der Gesamtversorgungslage geführt. Zwar sei die Versorgung mit Wohnraum zu angemessenen Preisen in den Städten nach wie vor schwierig. Das Ministerium für Flüchtlinge und Rückkehrer bemühe sich jedoch um eine Ansiedlung der Flüchtlinge in Neubausiedlungen. Wenn es heiße, dass der Zugang für Rückkehrer zu Arbeit, Wasser und Gesundheitsversorgung häufig nur sehr eingeschränkt möglich sei, bedeute dies andererseits, dass jedenfalls der Tod oder schwerste Gesundheitsgefährdungen alsbald nach der Rückkehr nicht zu befürchten seien. Dies ergebe sich auch aus dem Afghanistan Report 2010 von amnesty international, wonach Tausende von Vertriebenen in Behelfslagern lebten, wo sie nur begrenzten Zugang zu Lebensmitteln und Trinkwasser, Gesundheitsversorgung und Bildung erhalten würden. Eine Mindestversorgung sei damit aber gegeben. Auch sei eine hinreichende zeitliche Nähe („alsbald“) zwischen Rückkehr und lebensbedrohlichem Zustand aufgrund von Mangelernährung, unzureichenden Wohnverhältnissen und schwieriger Arbeitssuche nicht ersichtlich. Insgesamt sei davon auszugehen, dass ein 25-jähriger lediger und gesunder Afghane, der mangels familiärer Bindungen keine Unterhaltslasten trage, auch ohne nennenswertes Vermögen und ohne abgeschlossene Berufsausbildung im Falle einer Abschiebung nach Kabul dort in der Lage wäre, durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen zu erzielen, damit ein Leben am Rande des Existenzminimums zu finanzieren und sich allmählich wieder in die afghanische Gesellschaft zu integrieren.
24 
Dies entspricht im Wesentlichen der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (vgl. Beschluss vom 26.10.2010 - 20 A 964/10.A -; Urteil vom 19.06.2008 - 20 A 4676/06.A - beide juris). Das Oberverwaltungsgericht vermochte dem Aspekt, dass positive Feststellungen zu den Modalitäten der Beschaffung des Lebensnotwendigen nicht zu treffen seien, kein entscheidendes Gewicht zu geben vor dem Umstand, dass die zahlreich vorliegenden Berichte für eine extreme Verelendung nichts hergeben würden, obwohl angesichts der hohen Rückkehrerzahlen aus den Nachbarländern und der Binnenfluchtbewegungen nicht davon ausgegangen werden könne, dass es an jeglichem Potential für Vergleichsfälle fehle (Urteil vom 19.06.2008, juris Rn. 80).
25 
Der Senat schließt sich der Rechtsprechung der zitierten Gerichte nunmehr an, weil auch er eine gewisse Verbesserung der allgemeinen Versorgungslage in Kabul - dem derzeit einzig möglichen Abschiebungsziel (Lagebericht AA vom 10.01.2012, S. 29 f.) - erkennen kann, die nach den strengen Maßstäben des Bundesverwaltungsgerichts im Rahmen einer wertenden Gesamtschau der Annahme einer alsbald nach der Abschiebung eintretenden Extremgefahr für gesunde ledige afghanische Männer auch ohne Vermögen oder lokale Familien- bzw. Stammesstrukturen entgegenstehen.
26 
Dem zentralen Argument des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen, dass Fälle extremer Verelendung von Rückkehrern dokumentiert sein müssten, vermag der Senat keine aussagekräftigen Erkenntnisquellen entgegen zu setzen; es lässt sich nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand nicht widerlegen. Insbesondere sind Erkenntnisquellen, die den Hungertod von Rückkehrern in Kabul dokumentieren, auch dem Senat nicht bekannt (ebenso: UNHCR vom 11.11.2011, 10 f.). Und in der Tat sind seit 2002 vor allem mit Hilfe des UNHCR insgesamt rund vier Millionen Flüchtlinge nach Afghanistan zurückgekehrt, wenn auch davon nur ca. 15.000 aus anderen Ländern als Pakistan und dem Iran (Gietmann, Asylmagazin 12/2011, 413, m.w.N.). Infolgedessen gehört Kabul heute zu den Städten mit dem weltweit stärksten Bevölkerungswachstum. Betrug die Einwohnerzahl 2001 noch rund 1,5 Millionen, wurde sie von der Stadtverwaltung im Juni 2010 auf über 5 Millionen geschätzt. Der Bevölkerungsanteil der Rückkehrer und Binnenvertriebenen wird auf 70 % geschätzt (Yoshimura, Asylmagazin 12/2011, 408, m.w.N.).
27 
Allerdings sind sämtliche Informationen, die der Senat über die Situation in der Stadt finden kann, durchaus ambivalent. Einerseits heißt es, 23 % der Bevölkerung lebten dort unterhalb der Armutsgrenze. Insgesamt seien die Lebenshaltungskosten in Kabul im Laufe der vergangenen Jahre um 30 bis 50 % gestiegen. Bewohner seien auch beim Erwerb zahlreicher, selbst legaler Güter des Alltags gezwungen, Bestechungsgelder zu bezahlen. Die Kriminalität und Gefahr, Opfer von Überfällen zu werden, sei hoch (Landinfo 2011, Part II, 17). Kabul ähnle einer Stadt im permanenten Ausnahmezustand (Dr. Danesch vom 07.10.2010, Logar, 3). Nur 55,9 % der Haushalte verfügten über Zugang zu sauberem Wasser. Zahlreiche Brunnen im Stadtgebiet seien aufgrund der steigenden Inanspruchnahme ausgetrocknet bzw. erschöpft (ai vom 29.09.2009, 2). Bezahlbarer Strom liege für ärmere Kabuler Familien außerhalb der finanziellen Möglichkeiten. Die Arbeitslosenrate in Kabul werde auf bis zu 50 % geschätzt. Infolge des Mangels an bezahlbarem Wohnraum sähen sich zahllose Menschen gezwungen, in prekären Unterkünften wie Lehmhütten, Zelten oder alten beschädigten Gebäuden zu hausen. Die Bewohner dieser „informellen Siedlungen“ würden außerhalb des sozialen Sicherheitsnetzes leben und ihren Lebensunterhalt durch Betteln, den Verkauf von Müll und andere gering bezahlte Tätigkeiten bestreiten müssen. Über Nacht entstünden neue Armenviertel und Slums, in denen es weder Kanalisation noch Müllentsorgung und kaum sauberes Wasser, Elektrizität oder medizinische Hilfe gebe. Die Zahl derer, die auf der Flucht vor Krieg, Rechtlosigkeit, Willkürherrschaft und Armut in die Städte strömten, vergrößere sich tagtäglich. Besonders dramatisch nehme deshalb gerade in Kabul die Zahl von Obdachlosen und Drogenabhängigen zu. Ohnehin befinde sich Afghanistan auf dem Weg in einen Drogenstaat. 2011 sei erneut ein Dürrejahr gewesen und vor allem im Norden, dem friedlichen Teil des Landes, herrsche Hunger. Zusammenfassend sei eine Rückkehr nach Kabul ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen schlicht unzumutbar (vgl. ai vom 20.12.2010; Asylmagazin 12/2011, 408-414, m.w.N.).
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Andererseits wird berichtet, gerade in Kabul existiere eine rege Bautätigkeit. In den vergangenen Jahren seien zahlreiche Immobilienprojekte in Angriff genommen worden. In Folge dessen gebe es nunmehr vor allem im Bausektor, wenn auch schlecht bezahlte Tageslohnarbeit. Viele Stadtteile Kabuls würden seit 2009 zwischenzeitlich 24 Stunden am Tag mit Strom versorgt. Seit kurzem boome in einigen Städten wie Kabul und Masar-i-Scharif der Handel. Geschäfte würden über Nacht eröffnet und man habe mittlerweile ein großes, kaum einen Wunsch offenlassendes Warenangebot. Die Lage sei nicht gut, aber sie sei besser geworden. Jedenfalls im Stadtzentrum sei auch die Armut nicht mehr so offensichtlich. Es gebe nicht mehr überall bettelnde Frauen in Burkas und keine Banden von Kindern, die sich an Klebstoff berauschten. Dafür hätten unzählige Kebab-Stände eröffnet. Überhaupt gebe es deutlich zahlreichere Geschäfte als noch vor wenigen Jahren und sogar eine Müllabfuhr sowie ein Mindestmaß an Ordnung bzw. überhaupt wieder so etwas wie ein Stadtleben. Auch die Sicherheitslage in Kabul sei, abgesehen von einigen spektakulären Anschlägen, unverändert stabil und weiterhin deutlich ruhiger als noch vor zwei Jahren (vgl. Lagebericht AA vom 10.01.2012; Kermani, Die Zeit vom 05.01.2012, 11 ff; Asylmagazin 12/2011, 408-414, m.w.N.).
29 
Vor diesem Hintergrund kann heute - trotz der ambivalenten Erkenntnisquellen - aufgrund der hohen Hürden des Bundesverwaltungsgerichts für die Annahme einer extremen allgemeinen Gefahrenlage für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige eine solche Extremgefahr nicht mehr begründet werden. Anders als noch 2009 sieht auch der Senat keine hinreichenden Anhaltspunkte mehr dafür, dass bei dieser Personengruppe im Falle der Abschiebung alsbald der Tod oder schwerste gesundheitliche Beeinträchtigungen zu erwarten wären. Die Einschätzung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, es sei vielmehr zu erwarten, dass Rückkehrer in Kabul durch Gelegenheitsarbeiten „ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren könnten“, trifft heute auch nach Überzeugung des Senats zu. Zwar dürfte aufgrund der schlechten Gesamtsituation ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen in der Tat eine Rückkehr nach Kabul selbst für gesunde alleinstehende Männer unter humanitären Gesichtspunkten kaum zumutbar sein. Diese Zumutbarkeit ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts jedoch kein zentraler Maßstab für die Bestimmung einer extremen Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.“
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Im Falle von unbegleiteten Kindern und Jugendlichen, die in Afghanistan keine Verwandten oder Bekannten mehr haben, kann dies nach Auffassung des Senats jedoch regelmäßig nicht gelten. Für diese Personengruppe ist vielmehr - auch im Lichte von deren besonderer Schutzbedürftigkeit insbesondere nach Art. 3 Abs. 1 der UN-Kinderrechtskonvention vom 20.11.1989 (BGBl. 1992 II S. 122) - weiterhin regelmäßig vom Bestehen einer extremen Gefahrenlage auszugehen. Denn anders als bei volljährigen jungen Männern ist bei auf sich selbst gestellten Kindern und Jugendlichen regelmäßig nicht davon auszugehen, dass sie sich insbesondere in einer Großstadt wie Kabul zurechtfinden und etwa eine Tageslohnarbeit auf dem Bau finden und sich damit notdürftig ernähren können. Nach den zitierten Erkenntnisquellen ist ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen stattdessen davon auszugehen, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit alsbald zumindest schwerste gesundheitliche Beeinträchtigungen eintreten. Dies kann Kindern und Jugendlichen auch nach den Vorgaben etwa von Art. 22 der UN-Kinderrechtskonvention keinesfalls zugemutet werden.
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Vor dem Eintritt solcher Extremgefahren schützen auch nicht in Deutschland bzw. außerhalb Afghanistans lebende Familienangehörige. Zwar mag es zutreffen, dass heute Gelder aus Deutschland im Geschäftsverkehr auf afghanische Konten überwiesen werden können. Der Kläger verfügt nach seinen glaubhaften Angaben jedoch nicht über eine Bankverbindung in Afghanistan und könnte sich eine solche dort auch nicht mit hinreichender Sicherheit verschaffen.
32 
Hinreichenden Schutz vor Extremgefahren entfaltet schließlich auch nicht die Regelung des § 58 Abs. 1a AufenthG. Anders als die Beklagte geht der Senat nicht davon aus, dass diese Norm eine extreme Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG für unbegleitete Kinder und Jugendliche generell ausschließt; der Senat hält einen solchen Ansatz vielmehr nicht für vertretbar. Zwar hat sich gemäß § 58 Abs. 1a AufenthG „die Behörde vor der Abschiebung eines unbegleiteten minderjährigen Ausländers zu vergewissern, dass dieser im Rückkehrstaat einem Mitglied seiner Familie, einer zur Personensorge berechtigten Person oder einer geeigneten Aufnahmeeinrichtung übergeben wird.“ Diese Norm, die Art. 10 Abs. 2 der Rückführungsrichtlinie 2008/115/EG umsetzt (vgl. BT-Drs. 17/5470, S. 24) und damit nach Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie im Übrigen primär für illegal sich im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats sich aufhaltende Drittstaatsangehörige gelten soll, greift jedoch - strikt einzelfallbezogen - erst auf der, auch zeitlich verschiedenen Ebene der Vollstreckung. Sie kann deshalb - und vor allem aufgrund ihrer Funktion als Schutznorm für Kinder und Jugendliche - schon dogmatisch im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht als Anspruchsausschluss gelesen werden. Ansonsten wäre die nicht plausible Situation gegeben, dass bei Vorliegen einer Extremgefahr gerade Kinder und Jugendliche wegen einer speziell sie schützenden Norm keinen Abschiebungsschutz (und entsprechenden Aufenthaltsstatus) erlangen bzw. dann erst (nur) durch Vollendung des 18. Lebensjahres im Rahmen eines Folgeantrags erhalten könnten. Zudem bestehen erhebliche praktische Bedenken und Einwände gegen den Denkansatz der Beklagten. Denn es ist heute nicht absehbar, welche Ausländerbehörde für eine in der Zukunft liegende Abschiebung des Minderjährigen eigentlich zuständig sein wird. Schon deshalb ist im heutigen Zeitpunkt der Entscheidung über das Abschiebungsverbot nicht hinreichend gesichert, dass das „Mitglied der Familie“, die „zur Personensorge berechtigte Person“ oder „eine geeignete Aufnahmeeinrichtung“ auch tatsächlich ausreichenden Schutz vor einer bestehenden Extremgefahr bieten kann. Jedenfalls solange weder die handelnde Behörde noch die Empfangsperson bzw. die aufnehmende Einrichtung im Zielstaat der Abschiebung feststeht, kann nicht davon ausgegangen werden, dass allein die gesetzliche Regelung des § 58 Abs. 1a AufenthG Kinder und Jugendliche vor einer aktuell bestehenden Extremgefahr hinreichend schützt. Im vorliegenden Fall hat im Übrigen auch die Beklagte keine den Kläger, der heute in Afghanistan weder Familienmitglieder noch personensorgeberechtigte Personen hat, bei einer Abschiebung nach Kabul sicher aufnehmende „geeignete Aufnahmeeinrichtung“ benannt; für den Senat ist die Existenz einer solchen Aufnahmeeinrichtung etwa im kriegsversehrten Kabul nach den vorliegenden Erkenntnisquellen auch nicht ersichtlich. Mithin liegt hier allein durch die gesetzliche Regelung des § 58 Abs. 1a AufenthG kein im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 12.07.2001 - 1 C 2/01 - und Beschluss vom 23.08.2006 - 1 B 60/06 - beide juris) „gleichwertiger Schutz“ vor, wie ihn § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG entfaltet. Anders als etwa ein Abschiebestopp-Erlass sichert allein diese gesetzliche Regelung keineswegs unabhängig vom konkreten Einzelfall, dass der Eintritt einer extremen Gefahrenlage ausgeschlossen ist.
33 
Im Falle des Klägers sind für den Senat auch keine individuellen Faktoren erkennbar, die der Annahme einer extremen Gefahrenlage bei einer unbegleiteten Rückkehr nach Afghanistan heute entgegenstehen könnten.
III.
34 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO und § 83 b AsylVfG.
IV.
35 
Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung im Hinblick auf das Zusammenspiel von § 60 Abs. 7 Satz 1 mit § 58 Abs. 1a AufenthG zugelassen (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

Gründe

 
13 
Die zulässige, insbesondere rechtzeitig unter Stellung eines Antrags und unter Bezugnahme auf die ausführliche Begründung des Zulassungsantrags begründete Berufung (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 -NVwZ 2006, 1420 m.w.N.) der Beklagten hat keinen Erfolg. Mit dem Verwaltungsgericht geht der Senat davon aus, dass der Kläger die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (- Aufenthaltsgesetz -) in der Fassung der Änderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der EU vom 19.08.2007 (- 1. Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 28.08.2007, BGBl I 1970) sowie das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der EU und zur Anpassung nationaler Rechtvorschriften an den EU-Visakodex vom 22.11.2011 (- 2. Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 26.11.2011, BGBl I 2258) als unbegleiteter Minderjähriger heute beanspruchen kann.
I.
14 
Insbesondere das grundsätzlich vorrangige Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG i.V.m. Art. 15 c der Qualifikationsrichtlinie 2004/83/ EG ist vom Senat im vorliegenden Berufungsverfahren nicht zu prüfen. Zwar ist ein Antrag auf Verpflichtung zur Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG in Bezug auf das Herkunftsland seit Inkrafttreten des 1. Richtlinienumsetzungsgesetzes im Asylprozess sachdienlich dahin auszulegen, dass in erster Linie die Feststellung des - unionsrechtlich begründeten (weitergehenden) - Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG und nur hilfsweise die Feststellung des – nationalen – Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung begehrt wird (BVerwG, Urteil vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - juris Rn. 11). Sowohl der Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG als auch der Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 und 3 AufenthG bilden dabei jeweils einen einheitlichen, in sich nicht weiter teilbaren Streitgegenstand (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 11). Dieses gerichtliche Prüfprogramm ist für die Verfahrensbeteiligten selbst in Übergangsfällen nicht disponibel (BVerwG, Urteil vom 08.09.2011 - 10 C 14.10 -juris Rn. 13). Im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts war § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG in seiner heutigen Fassung bereits in Kraft und der Kläger hatte insbesondere auch die Feststellung eines solchen Abschiebungsverbots beantragt. Das Verwaltungsgericht hat jedoch nach erkennbarer Sachprüfung der entsprechenden Anspruchsgrundlagen über alle unionsrechtlichen Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG entschieden und der unterlegene Kläger hat dies unangefochten gelassen. In dieser Situation scheidet der - rechtskräftig entschiedene - unionsrechtlich begründete Abschiebungsschutz selbst in Übergangsfällen aus dem gerichtlichen Verfahren aus (BVerwG, Urteil vom 08.09.2011 - 10 C 14.10 - juris Rn. 13).
II.
15 
In dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) besteht zu Gunsten des Klägers ein nationales Abschiebungsverbot hinsichtlich Afghanistans gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung.
16 
1. Ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG scheidet aus. Hiernach darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 04.11.1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (- EMRK -, BGBl 1952 II 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Über diese Norm werden die Schutzregeln der EMRK in innerstaatliches Recht inkorporiert. Sowohl aus Systematik als auch Entstehungsgeschichte folgt jedoch, dass es insoweit nur um zielstaatsbezogenen Abschiebungsschutz geht. Inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse, abgeleitet etwa aus Art. 8 EMRK, ziehen hingegen regelmäßig nur eine Duldung gemäß § 60 a Abs. 2 AufenthG nach sich. Bezüglich Art. 3 EMRK ist zudem die weitergehende und „unionsrechtlich aufgeladene“ Schutznorm des § 60 Abs. 2 AufenthG vorrangig, d.h. im vorliegenden Falle nicht zu prüfen (vgl. zu § 60 Abs. 5: Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 45 ff., m.w.N.). Ob im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG auch nach Umsetzung der Qualifikationsrichtlinie 2004/83/EG alle Gefährdungen grundsätzlich irrelevant sind, die von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen (so noch BVerwG, Urteil vom 15.04.1997 - 9 C 38.96 - zur Vorgängernorm des § 53 Abs. 4 AuslG, juris Rn. 10), kann vorliegend dahingestellt bleiben. Denn es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, welches Menschenrecht der EMRK im konkreten Fall des Klägers ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG begründen könnte.
17 
2. Nach Auffassung des Senats ergibt sich jedoch für unbegleitete Kinder und Jugendliche aus Afghanistan derzeit regelmäßig ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Hiernach kann von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn für ihn dort eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Allerdings sind Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG bei Abschiebestopp-Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Denn hinsichtlich des Schutzes vor allgemeinen Gefahren im Zielstaat soll Raum sein für ausländerpolitische Entscheidungen, was die Anwendbarkeit von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG insoweit grundsätzlich sperrt und zwar selbst dann, wenn diese Gefahren den einzelnen Ausländer zugleich in konkreter und individualisierbarer Weise betreffen (BVerwG, Urteil vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324). Aus diesem Normzweck folgt weiter, dass sich die „Allgemeinheit“ der Gefahr nicht danach bestimmt, ob diese sich auf die Bevölkerung oder bestimmte Bevölkerungsgruppen gleichartig auswirkt, wie das bei Hungersnöten, Seuchen, Bürgerkriegswirren oder Naturkatastrophen der Fall sein kann. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG kann vielmehr auch bei eher diffusen Gefährdungslagen greifen, etwa dann, wenn Gefahren für Leib und Leben aus den allgemein schlechten Lebensverhältnissen (soziale und wirtschaftliche Missstände) im Zielstaat hergeleitet werden. Denn soweit es um den Schutz vor den einer Vielzahl von Personen im Zielstaat drohenden typischen Gefahren solcher Missstände wie etwa Lebensmittelknappheit, Obdachlosigkeit oder gesundheitliche Gefährdungen geht, ist die Notwendigkeit einer politischen Leitentscheidung in gleicher Weise gegeben (BVerwG, Urteil vom 12.07.2001 - 1 C 5.01 - BVerwGE 115, 1). Für die Personengruppe, der der Kläger angehört, besteht eine solche politische Abschiebestopp-Anordnung gemäß § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG in Baden-Württemberg derzeit nicht (vgl. das Schreiben des Innenministeriums Baden -Württemberg vom 15.04.2005 (geändert am 01.08.2005, 21. Fortschreibung vom 23.01.2009, Az.: 4-13-AFG/8, in Umsetzung entsprechender Beschlüsse der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder bezüglich der Rückführung afghanischer Staatsangehöriger). Im konkreten Einzelfall des Klägers greift die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG unter Berücksichtigung von Verfassungsrecht jedoch nicht.
18 
a) Die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG greift aufgrund der Schutzwirkungen der Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG dann nicht, wenn der Ausländer im Zielstaat landesweit einer extrem zugespitzten allgemeinen Gefahr dergestalt ausgesetzt wäre, dass er „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert“ würde (st. Rspr. des BVerwG, s. Urteile vom 29.09.2011 - 10 C 24.10 - juris Rn. 20, vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324 und vom 19.11.1996 - 1 C 6.95 - BVerwGE 102, 249 zur Vorgängerregelung in § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG). Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassung wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint (BVerwG, Urteil vom 29.09.2011 - 10 C 24.10 - juris Rn. 20). Das Vorliegen der Voraussetzungen ist im Wege einer Gesamtgefahrenschau zu ermitteln (BVerwG, Beschluss vom 23.03.1999 - 9 B 866.98 - juris Rn. 7).
19 
b) Im Fall einer allgemein schlechten Versorgungslage sind Besonderheiten zu berücksichtigen. Denn hieraus resultierende Gefährdungen entspringen keinem zielgerichteten Handeln, sondern treffen die Bevölkerung gleichsam schicksalhaft. Sie wirken sich nicht gleichartig und in jeder Hinsicht zwangsläufig aus und setzen sich aus einer Vielzahl verschiedener Risikofaktoren zusammen, denen der Einzelne in ganz unterschiedlicher Weise ausgesetzt ist und denen er gegebenenfalls auch ausweichen kann. Intensität, Konkretheit und zeitliche Nähe der Gefahr können deshalb auch nicht generell, sondern nur unter Berücksichtigung aller Einzelfallumstände beurteilt werden (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 13.11.2002 - A 6 S 967/01 - juris Rn. 48 ff.). Um dem Erfordernis des unmittelbaren - zeitlichen - Zusammenhangs zwischen Abschiebung und drohender Rechtsgutverletzung zu entsprechen, kann hinsichtlich einer allgemein schlechten Versorgungslage eine extreme Gefahrensituation zudem nur dann angenommen werden, wenn der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr in sein Heimatland in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien kann. Mit dem Begriff „alsbald“ ist dabei einerseits kein nur in unbestimmter zeitlicher Ferne liegender Termin gemeint (BVerwG, Urteil vom 27.04.1998 - 9 C 13.97 - juris Rn. 8). Andererseits setzt die Annahme einer extremen allgemeinen Gefahrenlage nicht voraus, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Ankunft im Abschiebezielstaat, eintreten. Eine extreme Gefahrenlage besteht auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert sein würde (BVerwG, Urteil vom 29.06.2010 - 10 C 10.09 - juris Rn. 15).
20 
c) Diese Voraussetzungen sind im Falle des minderjährigen Klägers gegeben, der in der mündlichen Verhandlung glaubhaft dargelegt hat, heute keinerlei Verwandte oder Bekannte mehr in Afghanistan zu haben.
21 
In seinem Grundsatzurteil vom 06.03.2012 - A 11 S 3177/11 - (juris) hatte der Senat für volljährige gesunde Männer den Leitsatz gebildet, dass für die Personengruppe der beruflich nicht besonders qualifizierten afghanischen Staatsangehörigen, die in Kabul ohne Rückhalt und Unterstützung durch Familie oder Bekannte sind und dort weder über Grundbesitz noch über nennenswerte Ersparnisse verfügen, trotz der schlechten Versorgungslage bei einer Abschiebung nach Kabul regelmäßig keine extreme Gefahrensituation mehr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG besteht. Zur Begründung hat der Senat ausgeführt:
22 
„In Übereinstimmung mit anderen Obergerichten (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 06.05.2008 - 6 A 10749/07 - AuAS 2008, 188; Hess. VGH, Urteil vom 26.11.2009 - 8 A 1862/07.A - NVwZ-RR 2010, 331) hatte der Senat mit Urteil vom 14.05.2009 - A 11 S 610/08 - (DVBl 2009, 1327) entschieden, dass für Ausländer aus der Personengruppe der beruflich nicht besonders qualifizierten afghanischen männlichen Staatsangehörigen, die in ihrer Heimat ohne Rückhalt und Unterstützung durch Familie oder Bekannte sind und dort weder über Grundbesitz noch über nennenswerte Ersparnisse verfügen, aufgrund der katastrophalen Versorgungslage bei einer Abschiebung nach Kabul eine extreme Gefahrensituation im dargelegten Sinne bestehe. Das Bundesverwaltungsgericht hat (auch) diese Entscheidung mit Urteil vom 08.09.2011 - 10 C 16.10 - (juris) aufgehoben. Insbesondere die Feststellungen zum Vorliegen einer extremen Gefahr im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan verletzten Bundesrecht und würden einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht standhalten, denn die Entscheidung sei insbesondere hinsichtlich der festgestellten drohenden Mangelernährung und den damit verbundenen gesundheitlichen Risiken auf eine zu schmale Tatsachengrundlage gestützt. Das Bundesverwaltungsgericht betont: „‘Hunger‘ führt nicht zwangsläufig zum Tod, 'gesundheitliche Risiken' führen nicht notwendigerweise zu schwersten Gesundheitsschäden.“ Damit verfehle das Berufungsgericht den Begriff der Extremgefahr (so im Urteil vom 29.09.2011 - 10 C 23.10 - juris Rn. 24 bzgl. einer Parallelentscheidung des Hess.VGH). Bei der erneuten Befassung mit der Sache sei der Senat gehalten, sich auch mit der gegenteiligen Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte (insbesondere: Bay.VGH, Urteil vom 03.02.2011 - 13a B 10.30394 - juris) auseinanderzusetzen.
23 
Es sei dahingestellt, ob ein Obergericht revisionsrechtlich dazu verpflichtet werden kann, sich mit der abweichenden Einschätzung anderer Obergerichte auseinanderzusetzen (kritisch: Hess.VGH, Urteil vom 25.08.2011 - 8 A 1657/10.A - juris Rn. 77). Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof vertritt jedenfalls in dem zur besonderen Beachtung benannten Urteil die Auffassung, dass für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige angesichts der aktuellen Auskunftslage im Allgemeinen derzeit nicht von einer extremen Gefahrenlage auszugehen sei, die zu einem Abschiebungsverbot in entsprechender Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde. Zwar sei zweifellos von einer äußerst schlechten Versorgungslage in Afghanistan auszugehen. Im Wege einer Gesamtgefahrenschau sei jedoch nicht anzunehmen, dass dort alsbald der sichere Tod drohe oder schwerste Gesundheitsbeeinträchtigungen zu erwarten wären. Bei der Wirtschaftslage bzw. den ökonomischen Rahmenbedingungen würden durchaus positive Tendenzen gesehen. Es sei mit einem realen jährlichen Wirtschaftswachstum zwischen 6 und 8 % zu rechnen. Auch hätten bessere Ernten zu einer Verbesserung der Gesamtversorgungslage geführt. Zwar sei die Versorgung mit Wohnraum zu angemessenen Preisen in den Städten nach wie vor schwierig. Das Ministerium für Flüchtlinge und Rückkehrer bemühe sich jedoch um eine Ansiedlung der Flüchtlinge in Neubausiedlungen. Wenn es heiße, dass der Zugang für Rückkehrer zu Arbeit, Wasser und Gesundheitsversorgung häufig nur sehr eingeschränkt möglich sei, bedeute dies andererseits, dass jedenfalls der Tod oder schwerste Gesundheitsgefährdungen alsbald nach der Rückkehr nicht zu befürchten seien. Dies ergebe sich auch aus dem Afghanistan Report 2010 von amnesty international, wonach Tausende von Vertriebenen in Behelfslagern lebten, wo sie nur begrenzten Zugang zu Lebensmitteln und Trinkwasser, Gesundheitsversorgung und Bildung erhalten würden. Eine Mindestversorgung sei damit aber gegeben. Auch sei eine hinreichende zeitliche Nähe („alsbald“) zwischen Rückkehr und lebensbedrohlichem Zustand aufgrund von Mangelernährung, unzureichenden Wohnverhältnissen und schwieriger Arbeitssuche nicht ersichtlich. Insgesamt sei davon auszugehen, dass ein 25-jähriger lediger und gesunder Afghane, der mangels familiärer Bindungen keine Unterhaltslasten trage, auch ohne nennenswertes Vermögen und ohne abgeschlossene Berufsausbildung im Falle einer Abschiebung nach Kabul dort in der Lage wäre, durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen zu erzielen, damit ein Leben am Rande des Existenzminimums zu finanzieren und sich allmählich wieder in die afghanische Gesellschaft zu integrieren.
24 
Dies entspricht im Wesentlichen der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (vgl. Beschluss vom 26.10.2010 - 20 A 964/10.A -; Urteil vom 19.06.2008 - 20 A 4676/06.A - beide juris). Das Oberverwaltungsgericht vermochte dem Aspekt, dass positive Feststellungen zu den Modalitäten der Beschaffung des Lebensnotwendigen nicht zu treffen seien, kein entscheidendes Gewicht zu geben vor dem Umstand, dass die zahlreich vorliegenden Berichte für eine extreme Verelendung nichts hergeben würden, obwohl angesichts der hohen Rückkehrerzahlen aus den Nachbarländern und der Binnenfluchtbewegungen nicht davon ausgegangen werden könne, dass es an jeglichem Potential für Vergleichsfälle fehle (Urteil vom 19.06.2008, juris Rn. 80).
25 
Der Senat schließt sich der Rechtsprechung der zitierten Gerichte nunmehr an, weil auch er eine gewisse Verbesserung der allgemeinen Versorgungslage in Kabul - dem derzeit einzig möglichen Abschiebungsziel (Lagebericht AA vom 10.01.2012, S. 29 f.) - erkennen kann, die nach den strengen Maßstäben des Bundesverwaltungsgerichts im Rahmen einer wertenden Gesamtschau der Annahme einer alsbald nach der Abschiebung eintretenden Extremgefahr für gesunde ledige afghanische Männer auch ohne Vermögen oder lokale Familien- bzw. Stammesstrukturen entgegenstehen.
26 
Dem zentralen Argument des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen, dass Fälle extremer Verelendung von Rückkehrern dokumentiert sein müssten, vermag der Senat keine aussagekräftigen Erkenntnisquellen entgegen zu setzen; es lässt sich nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand nicht widerlegen. Insbesondere sind Erkenntnisquellen, die den Hungertod von Rückkehrern in Kabul dokumentieren, auch dem Senat nicht bekannt (ebenso: UNHCR vom 11.11.2011, 10 f.). Und in der Tat sind seit 2002 vor allem mit Hilfe des UNHCR insgesamt rund vier Millionen Flüchtlinge nach Afghanistan zurückgekehrt, wenn auch davon nur ca. 15.000 aus anderen Ländern als Pakistan und dem Iran (Gietmann, Asylmagazin 12/2011, 413, m.w.N.). Infolgedessen gehört Kabul heute zu den Städten mit dem weltweit stärksten Bevölkerungswachstum. Betrug die Einwohnerzahl 2001 noch rund 1,5 Millionen, wurde sie von der Stadtverwaltung im Juni 2010 auf über 5 Millionen geschätzt. Der Bevölkerungsanteil der Rückkehrer und Binnenvertriebenen wird auf 70 % geschätzt (Yoshimura, Asylmagazin 12/2011, 408, m.w.N.).
27 
Allerdings sind sämtliche Informationen, die der Senat über die Situation in der Stadt finden kann, durchaus ambivalent. Einerseits heißt es, 23 % der Bevölkerung lebten dort unterhalb der Armutsgrenze. Insgesamt seien die Lebenshaltungskosten in Kabul im Laufe der vergangenen Jahre um 30 bis 50 % gestiegen. Bewohner seien auch beim Erwerb zahlreicher, selbst legaler Güter des Alltags gezwungen, Bestechungsgelder zu bezahlen. Die Kriminalität und Gefahr, Opfer von Überfällen zu werden, sei hoch (Landinfo 2011, Part II, 17). Kabul ähnle einer Stadt im permanenten Ausnahmezustand (Dr. Danesch vom 07.10.2010, Logar, 3). Nur 55,9 % der Haushalte verfügten über Zugang zu sauberem Wasser. Zahlreiche Brunnen im Stadtgebiet seien aufgrund der steigenden Inanspruchnahme ausgetrocknet bzw. erschöpft (ai vom 29.09.2009, 2). Bezahlbarer Strom liege für ärmere Kabuler Familien außerhalb der finanziellen Möglichkeiten. Die Arbeitslosenrate in Kabul werde auf bis zu 50 % geschätzt. Infolge des Mangels an bezahlbarem Wohnraum sähen sich zahllose Menschen gezwungen, in prekären Unterkünften wie Lehmhütten, Zelten oder alten beschädigten Gebäuden zu hausen. Die Bewohner dieser „informellen Siedlungen“ würden außerhalb des sozialen Sicherheitsnetzes leben und ihren Lebensunterhalt durch Betteln, den Verkauf von Müll und andere gering bezahlte Tätigkeiten bestreiten müssen. Über Nacht entstünden neue Armenviertel und Slums, in denen es weder Kanalisation noch Müllentsorgung und kaum sauberes Wasser, Elektrizität oder medizinische Hilfe gebe. Die Zahl derer, die auf der Flucht vor Krieg, Rechtlosigkeit, Willkürherrschaft und Armut in die Städte strömten, vergrößere sich tagtäglich. Besonders dramatisch nehme deshalb gerade in Kabul die Zahl von Obdachlosen und Drogenabhängigen zu. Ohnehin befinde sich Afghanistan auf dem Weg in einen Drogenstaat. 2011 sei erneut ein Dürrejahr gewesen und vor allem im Norden, dem friedlichen Teil des Landes, herrsche Hunger. Zusammenfassend sei eine Rückkehr nach Kabul ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen schlicht unzumutbar (vgl. ai vom 20.12.2010; Asylmagazin 12/2011, 408-414, m.w.N.).
28 
Andererseits wird berichtet, gerade in Kabul existiere eine rege Bautätigkeit. In den vergangenen Jahren seien zahlreiche Immobilienprojekte in Angriff genommen worden. In Folge dessen gebe es nunmehr vor allem im Bausektor, wenn auch schlecht bezahlte Tageslohnarbeit. Viele Stadtteile Kabuls würden seit 2009 zwischenzeitlich 24 Stunden am Tag mit Strom versorgt. Seit kurzem boome in einigen Städten wie Kabul und Masar-i-Scharif der Handel. Geschäfte würden über Nacht eröffnet und man habe mittlerweile ein großes, kaum einen Wunsch offenlassendes Warenangebot. Die Lage sei nicht gut, aber sie sei besser geworden. Jedenfalls im Stadtzentrum sei auch die Armut nicht mehr so offensichtlich. Es gebe nicht mehr überall bettelnde Frauen in Burkas und keine Banden von Kindern, die sich an Klebstoff berauschten. Dafür hätten unzählige Kebab-Stände eröffnet. Überhaupt gebe es deutlich zahlreichere Geschäfte als noch vor wenigen Jahren und sogar eine Müllabfuhr sowie ein Mindestmaß an Ordnung bzw. überhaupt wieder so etwas wie ein Stadtleben. Auch die Sicherheitslage in Kabul sei, abgesehen von einigen spektakulären Anschlägen, unverändert stabil und weiterhin deutlich ruhiger als noch vor zwei Jahren (vgl. Lagebericht AA vom 10.01.2012; Kermani, Die Zeit vom 05.01.2012, 11 ff; Asylmagazin 12/2011, 408-414, m.w.N.).
29 
Vor diesem Hintergrund kann heute - trotz der ambivalenten Erkenntnisquellen - aufgrund der hohen Hürden des Bundesverwaltungsgerichts für die Annahme einer extremen allgemeinen Gefahrenlage für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige eine solche Extremgefahr nicht mehr begründet werden. Anders als noch 2009 sieht auch der Senat keine hinreichenden Anhaltspunkte mehr dafür, dass bei dieser Personengruppe im Falle der Abschiebung alsbald der Tod oder schwerste gesundheitliche Beeinträchtigungen zu erwarten wären. Die Einschätzung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, es sei vielmehr zu erwarten, dass Rückkehrer in Kabul durch Gelegenheitsarbeiten „ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren könnten“, trifft heute auch nach Überzeugung des Senats zu. Zwar dürfte aufgrund der schlechten Gesamtsituation ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen in der Tat eine Rückkehr nach Kabul selbst für gesunde alleinstehende Männer unter humanitären Gesichtspunkten kaum zumutbar sein. Diese Zumutbarkeit ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts jedoch kein zentraler Maßstab für die Bestimmung einer extremen Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.“
30 
Im Falle von unbegleiteten Kindern und Jugendlichen, die in Afghanistan keine Verwandten oder Bekannten mehr haben, kann dies nach Auffassung des Senats jedoch regelmäßig nicht gelten. Für diese Personengruppe ist vielmehr - auch im Lichte von deren besonderer Schutzbedürftigkeit insbesondere nach Art. 3 Abs. 1 der UN-Kinderrechtskonvention vom 20.11.1989 (BGBl. 1992 II S. 122) - weiterhin regelmäßig vom Bestehen einer extremen Gefahrenlage auszugehen. Denn anders als bei volljährigen jungen Männern ist bei auf sich selbst gestellten Kindern und Jugendlichen regelmäßig nicht davon auszugehen, dass sie sich insbesondere in einer Großstadt wie Kabul zurechtfinden und etwa eine Tageslohnarbeit auf dem Bau finden und sich damit notdürftig ernähren können. Nach den zitierten Erkenntnisquellen ist ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen stattdessen davon auszugehen, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit alsbald zumindest schwerste gesundheitliche Beeinträchtigungen eintreten. Dies kann Kindern und Jugendlichen auch nach den Vorgaben etwa von Art. 22 der UN-Kinderrechtskonvention keinesfalls zugemutet werden.
31 
Vor dem Eintritt solcher Extremgefahren schützen auch nicht in Deutschland bzw. außerhalb Afghanistans lebende Familienangehörige. Zwar mag es zutreffen, dass heute Gelder aus Deutschland im Geschäftsverkehr auf afghanische Konten überwiesen werden können. Der Kläger verfügt nach seinen glaubhaften Angaben jedoch nicht über eine Bankverbindung in Afghanistan und könnte sich eine solche dort auch nicht mit hinreichender Sicherheit verschaffen.
32 
Hinreichenden Schutz vor Extremgefahren entfaltet schließlich auch nicht die Regelung des § 58 Abs. 1a AufenthG. Anders als die Beklagte geht der Senat nicht davon aus, dass diese Norm eine extreme Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG für unbegleitete Kinder und Jugendliche generell ausschließt; der Senat hält einen solchen Ansatz vielmehr nicht für vertretbar. Zwar hat sich gemäß § 58 Abs. 1a AufenthG „die Behörde vor der Abschiebung eines unbegleiteten minderjährigen Ausländers zu vergewissern, dass dieser im Rückkehrstaat einem Mitglied seiner Familie, einer zur Personensorge berechtigten Person oder einer geeigneten Aufnahmeeinrichtung übergeben wird.“ Diese Norm, die Art. 10 Abs. 2 der Rückführungsrichtlinie 2008/115/EG umsetzt (vgl. BT-Drs. 17/5470, S. 24) und damit nach Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie im Übrigen primär für illegal sich im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats sich aufhaltende Drittstaatsangehörige gelten soll, greift jedoch - strikt einzelfallbezogen - erst auf der, auch zeitlich verschiedenen Ebene der Vollstreckung. Sie kann deshalb - und vor allem aufgrund ihrer Funktion als Schutznorm für Kinder und Jugendliche - schon dogmatisch im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht als Anspruchsausschluss gelesen werden. Ansonsten wäre die nicht plausible Situation gegeben, dass bei Vorliegen einer Extremgefahr gerade Kinder und Jugendliche wegen einer speziell sie schützenden Norm keinen Abschiebungsschutz (und entsprechenden Aufenthaltsstatus) erlangen bzw. dann erst (nur) durch Vollendung des 18. Lebensjahres im Rahmen eines Folgeantrags erhalten könnten. Zudem bestehen erhebliche praktische Bedenken und Einwände gegen den Denkansatz der Beklagten. Denn es ist heute nicht absehbar, welche Ausländerbehörde für eine in der Zukunft liegende Abschiebung des Minderjährigen eigentlich zuständig sein wird. Schon deshalb ist im heutigen Zeitpunkt der Entscheidung über das Abschiebungsverbot nicht hinreichend gesichert, dass das „Mitglied der Familie“, die „zur Personensorge berechtigte Person“ oder „eine geeignete Aufnahmeeinrichtung“ auch tatsächlich ausreichenden Schutz vor einer bestehenden Extremgefahr bieten kann. Jedenfalls solange weder die handelnde Behörde noch die Empfangsperson bzw. die aufnehmende Einrichtung im Zielstaat der Abschiebung feststeht, kann nicht davon ausgegangen werden, dass allein die gesetzliche Regelung des § 58 Abs. 1a AufenthG Kinder und Jugendliche vor einer aktuell bestehenden Extremgefahr hinreichend schützt. Im vorliegenden Fall hat im Übrigen auch die Beklagte keine den Kläger, der heute in Afghanistan weder Familienmitglieder noch personensorgeberechtigte Personen hat, bei einer Abschiebung nach Kabul sicher aufnehmende „geeignete Aufnahmeeinrichtung“ benannt; für den Senat ist die Existenz einer solchen Aufnahmeeinrichtung etwa im kriegsversehrten Kabul nach den vorliegenden Erkenntnisquellen auch nicht ersichtlich. Mithin liegt hier allein durch die gesetzliche Regelung des § 58 Abs. 1a AufenthG kein im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 12.07.2001 - 1 C 2/01 - und Beschluss vom 23.08.2006 - 1 B 60/06 - beide juris) „gleichwertiger Schutz“ vor, wie ihn § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG entfaltet. Anders als etwa ein Abschiebestopp-Erlass sichert allein diese gesetzliche Regelung keineswegs unabhängig vom konkreten Einzelfall, dass der Eintritt einer extremen Gefahrenlage ausgeschlossen ist.
33 
Im Falle des Klägers sind für den Senat auch keine individuellen Faktoren erkennbar, die der Annahme einer extremen Gefahrenlage bei einer unbegleiteten Rückkehr nach Afghanistan heute entgegenstehen könnten.
III.
34 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO und § 83 b AsylVfG.
IV.
35 
Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung im Hinblick auf das Zusammenspiel von § 60 Abs. 7 Satz 1 mit § 58 Abs. 1a AufenthG zugelassen (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 23. Januar 2008 - A 11 K 521/06 - geändert. Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des gesamten - gerichtskostenfreien - Verfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger, ein am … 1969 in Kabul geborener lediger und kinderloser afghanischer Staatsangehöriger sunnitischen Glaubens vom Volk der Tadschiken, reiste am 20.05.2002 auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 23.05.2002 stellte er einen Asylantrag mit der Begründung, seine gesamte Familie sei Opfer des Krieges geworden. Seine Eltern, zwei Schwestern und drei Brüder seien bei einem Bombenangriff auf das Elternhaus ums Leben gekommen. Er sei zu diesem Zeitpunkt zufällig bei den Schwiegereltern seines Bruders gewesen. Als er zurückgekommen sei, habe man drei Tage lang nach den Leichen suchen müssen. Während der 40-tägigen Trauerzeit sei er bei einem Onkel geblieben. Bei diesem Onkel, dem einzigen in Afghanistan verbliebenen Familienangehörigen, habe er aber nicht bleiben können. Er habe große psychische Probleme bekommen; mit seiner Erinnerung habe er nicht mehr in Afghanistan leben können. Er sei dann über Jalalabad zu einem Cousin nach Islamabad gegangen. Dort habe er sich fünf Wochen aufgehalten und sei schließlich mit dem Flugzeug nach Frankfurt/Main geflogen. Eine Tante und ein anderer Cousin lebten seit langem in Heidelberg; zu diesen Familienangehörigen sei er gegangen.
Die Beklagte lehnte den Asylantrag des Klägers mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (heute: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt -) vom 05.11.2003 ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 des Ausländergesetzes - AuslG - nicht vorliegen sowie auch Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht gegeben sind und drohte ihm die Abschiebung nach Afghanistan an. Die hiergegen beim Verwaltungsgericht Karlsruhe erhobene Klage nahm der Kläger nach Hinweis des Gerichts zurück, dass aufgrund des Erlasses des Innenministeriums Baden-Württemberg vom 29.07.2004 ein hinreichender Abschiebungsschutz gegeben sei (A 10 K 12733/03).
Unter Berufung auf die erforderliche ärztliche Behandlung seiner Depression, die in Afghanistan nicht gewährleistet sei, stellte der Kläger am 02.03.2006 ein Folgeschutzgesuch insbesondere hinsichtlich eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 des Aufenthaltsgesetzes (- AufenthG -). Mit Bescheid vom 27.03.2006 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Abänderung des Bescheids vom 05.11.2003 bezüglich der Feststellung zu § 53 Abs. 1 bis 6 AuslG ab. Die vorgelegten Atteste würden keine Änderung der Sachlage nachweisen. In Kabul und anderen großen Städten Afghanistans könnten psychotherapeutische Behandlungen durchgeführt werden. Auch seien in Kabul Antidepressiva im erforderlichen Umfang erhältlich.
Am 11.04.2006 hat der Kläger unter Berufung auf seine Erkrankung beim Verwaltungsgericht Karlsruhe Klage erhoben und beantragt, die Beklagte zu der Feststellung zu verpflichten, dass ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in Bezug auf Afghanistan vorliegt. Seine Erkrankung habe sich durch die Behandlung in Deutschland zunächst gebessert. In Afghanistan erscheine eine adäquate weitere Behandlung ausgeschlossen, was fachärztliche Atteste bestätigten. In der mündlichen Verhandlung hat er am 23.01.2008 ergänzt, dass seine psychische Situation zwischenzeitlich wieder schlechter geworden sei. Der Onkel in Afghanistan sei schon vor eineinhalb Jahren verstorben. In Afghanistan habe und kenne er heute niemanden mehr. Er habe keinerlei Kontakte in seine Heimat.
Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte unter Aufhebung des Bundesamtsbescheids vom 27.03.2006 zur Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG verpflichtet. Zur Begründung des Urteils vom 23.01.2008 - A 11 K 521/06 - hat es im Wesentlichen ausgeführt, wegen der in Afghanistan bestehenden unzureichenden Versorgungslage bestehe für den Kläger eine extreme Gefahrenlage. Da er in Afghanistan nicht auf die Hilfe von Familienangehörigen zurückgreifen könne, müsse davon ausgegangen werden, dass er dort über keine hinreichenden finanziellen Mittel zur Existenzsicherung verfüge. Aufgrund der schwerwiegenden Depression sei seine Leistungsfähigkeit reduziert, was die Möglichkeit schmälere, sich in seiner Heimat eine Lebensgrundlage zu schaffen. Auch könne nicht davon ausgegangen werden, dass die im Ausland lebenden Familienangehörigen den Kläger über einen längeren Zeitraum hinweg hinreichend finanziell unterstützen würden. Bei einer Berücksichtigung dieser Gesamtsituation müsse davon ausgegangen werden, dass der Kläger bei einer Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert werde.
Mit ihrer vom erkennenden Gerichtshof mit Beschluss vom 03.03.2008 - A 8 S 545/08 - zugelassenen Berufung macht die Beklagte geltend, eine extreme Gefahrenlage könne jedenfalls für alleinstehende arbeitsfähige männliche afghanische Rückkehrer nicht angenommen werden. Die Versorgungslage in Kabul sei für diese Personengruppe nicht derart schlecht, dass von der Gefahr schwerster Verletzungen oder dem sicheren Tod ausgegangen werden könne. In der ersten Berufungsverhandlung vom 16.09.2009 hat der Vertreter der Beklagten klargestellt, der angegriffene Bescheid vom 27.03.2006 sei so zu verstehen, dass das Bundesamt das Verfahren in Bezug auf ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG von Amts wegen wiederaufgegriffen und zur Sache entschieden habe. Der Kläger führte im Rahmen der informatorischen Anhörung aus, er habe keinerlei Kontakte mehr nach Afghanistan und besitze dort auch kein Land. Auch in Kabul kenne er heute niemanden mehr. In Deutschland arbeite er Teilzeit in einem Restaurant und verdiene im Monat ca. 360 EUR netto. Über Ersparnisse verfüge er nicht.
Mit Urteil vom 16.09.2009 - A 11 S 654/08 - hat der Senat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Aufgrund der katastrophalen Versorgungslage bestehe für den Kläger in Bezug auf Afghanistan ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Mit Urteil vom 08.09.2011 - 10 C 20.10 - hat das Bundesverwaltungsgericht das Urteil des Senats vom 16.09.2009 aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen. Mit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2007 sei der unionsrechtlich begründete Abschiebungsschutz im gerichtlichen Verfahren insbesondere aufgrund der Konzentrations- und Beschleunigungsmaxime angewachsen. Der Senat hätte diesen für die Beteiligten nicht disponiblen Streitgegenstand nicht ungeprüft lassen dürfen. Zudem sei die Entscheidung zur extremen Gefahrenlage im Rahmen des nachrangigen nationalen Abschiebungsschutzes auf eine zu schmale Tatsachengrundlage gestützt. Das Urteil ging dem Senat am 28.11.2011 zu.
Die Beklagte trägt ergänzend vor, im Falle des Klägers greife kein unionsrechtlicher Abschiebungsschutz. Für eine Feststellung gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG fehle es in Kabul an einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt. Auch eine extreme Gefahrenlage gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG könne nicht bejaht werden. Der Kläger könne gegebenenfalls auf die Unterstützung seiner im Ausland lebenden Verwandten zählen. Mittlerweile seien in Afghanistan an 17 verschiedenen Banken Geldüberweisungen möglich.
10 
Die Beklagte beantragt,
11 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 23. Januar 2008 - A 11 K 521/06 - zu ändern und die Klage abzuweisen.
12 
Der Kläger beantragt,
13 
die Berufung zurückzuweisen.
14 
Er ergänzt im Wesentlichen, es herrsche in ganz Afghanistan ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Hervorzuheben seien die zahlreichen Anschläge in Kabul. Bei einer Rückkehr in seine Heimat wäre er den dortigen Risiken schutzlos ausgeliefert. Er sei seit nunmehr fast 10 Jahren nicht mehr in Kabul gewesen, das sich vollständig verändert habe. Auch verfüge er in seiner Heimat über keinen Rückhalt durch Familienangehörige. Deshalb läge nach wie vor eine extreme Gefahrenlage im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor, auch nachdem 2011 ein Jahr der Dürre gewesen sei. Der Kläger sei mit 43 Jahren im heutigen Afghanistan durchaus schon im vorgerückten Alter, d.h. kein junger kräftiger Mann mehr. Schließlich könne die derzeit eingegrenzte psychische Erkrankung wieder aufbrechen.
15 
Der Senat hat den Kläger in der zweiten Berufungsverhandlung am 06.03.2012 erneut informatorisch angehört. Dabei verwies der Kläger insbesondere auf die schlechte Situation und Perspektive in Kabul und die dortige hohe Arbeitslosigkeit, betonte sein für afghanische Verhältnisse vorgerücktes Alter und die dort fehlenden Unterstützungsmöglichkeiten durch einen Familienverband sowie die zahlreichen Anschläge in Kabul. Im Übrigen habe der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Abschiebung sogar nach Griechenland für menschenrechtswidrig erachtet, was dann erst recht hinsichtlich Afghanistans gelten müsse.
16 
Die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes ergeben sich aus den Gerichtsakten sowie den Verfahrensakten des Bundesamts. Dem Senat liegen des Weiteren die Akte des Verwaltungsgerichts Karlsruhe in dem Verfahren A 11 K 521/06, die Akten des Bundesverwaltungsgerichts in dem Verfahren 10 C 20.10 sowie die Erkenntnisquellen, die den Beteiligten mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung bzw. in der mündlichen Verhandlung mitgeteilt worden sind, vor. Die beigezogenen Akten und Erkenntnisquellen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

 
17 
Die zulässige, insbesondere rechtzeitig unter Stellung eines Antrags und unter Bezugnahme auf die ausführliche Begründung des Zulassungsantrags begründete Berufung (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 - NVwZ 2006, 1420 m.w.N.) der Beklagten hat Erfolg. Der Senat geht nunmehr davon aus, dass der Kläger die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (- Aufenthaltsgesetz -) in der Fassung der Änderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der EU vom 19.08.2007 (- 1. Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 28.08.2007, BGBl I 1970) sowie das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der EU und zur Anpassung nationaler Rechtvorschriften an den EU-Visakodex vom 22.11.2011 (- 2. Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 26.11.2011, BGBl I 2258) nicht mehr beanspruchen kann. Dem Kläger steht in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) weder ein unionsrechtlich begründeter noch ein nationaler Abschiebungsschutz zu.
I.
18 
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist im vorliegenden Übergangsfall zunächst das - angewachsene und für die Beteiligten nicht disponible - Verpflichtungsbegehren des Klägers auf Gewährung subsidiären unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG (entsprechend den Voraussetzungen für den subsidiären Schutz in Art. 15 der sog. Qualifikations-Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes; ABlEU Nr. L 304 S. 12; ber. ABlEU vom 05.08.2005 Nr. L 204 S. 24, neugefasst mit Umsetzungsfrist bis 21.12.2013 als Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011, ABlEU vom 20.12.2011 Nr. L 337 S. 9; - QRL -). Nur hilfsweise ist Gegenstand des Berufungsverfahrens der nationale Abschiebungsschutz, d.h. die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung (BVerwG, Urteil vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - juris Rn. 11). Sowohl der (weitergehende) unionsrechtlich begründete Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG als auch der nationale Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 und 3 AufenthG bilden jeweils einen einheitlichen, in sich nicht weiter teilbaren Streitgegenstand (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 11). In dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der erneuten mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) besteht zu Gunsten des Klägers hinsichtlich Afghanistans weder ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG noch nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung.
II.
19 
Unionsrechtlich begründeter Abschiebungsschutz ist im Falle des Klägers derzeit nicht gegeben.
20 
1. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG ist nicht erkennbar.
21 
a) Nach dieser Norm darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Unter „Folter“ ist in Anlehnung an die Definition von Art. 1 des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (BGBl. 1990 II S. 247, BGBl. 1993 II S. 715) eine Behandlung zu verstehen, die einer Person vorsätzlich schwere Schmerzen oder Leiden körperlicher oder geistig-seelischer Art zufügt, um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erzwingen, sie oder einen Dritten zu bestrafen, einzuschüchtern oder zu nötigen oder mit diskriminierender Absicht zu verfolgen. Wann eine „unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung“ vorliegt, hängt nach der insoweit vor allem maßgebenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom Einzelfall ab. Eine Schlechtbehandlung einschließlich Bestrafung muss jedenfalls ein Minimum an Schwere erreichen, um in den mit § 60 Abs. 2 AufenthG und Art. 15 lit. b QRL insoweit identischen Schutzbereich von Art. 3 EMRK zu fallen. Die Bewertung dieses Minimums ist nach Natur der Sache relativ. Kriterien hierfür sind abzuleiten aus allen Umständen des Einzelfalles, wie etwa der Art der Behandlung oder Bestrafung und dem Zusammenhang, in dem sie erfolgte, der Art und Weise ihrer Vollstreckung, ihrer zeitlichen Dauer, ihrer physischen und geistigen Wirkungen, sowie gegebenenfalls abgestellt auf Geschlecht, Alter bzw. Gesundheitszustand des Opfers. Abstrakt formuliert sind unter einer menschenrechtswidrigen Schlechtbehandlung Maßnahmen zu verstehen, mit denen unter Missachtung der Menschenwürde absichtlich schwere psychische oder physische Leiden zugefügt werden und mit denen nach Art und Ausmaß besonders schwer und krass gegen Menschenrechte verstoßen wird (Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 34 f., m.w.N.). Im Rahmen der Prüfung, ob eine konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung besteht, ist der asylrechtliche Prognosemaßstab der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ anzulegen, wobei allerdings das Element der Konkretheit der Gefahr das zusätzliche Erfordernis einer einzelfallbezogenen, individuell bestimmten und erheblichen Gefährdungssituation kennzeichnet (ausführlich: Senatsurteil vom 06.03.2011 - 11 S 3070/11 - juris; BVerwG, Beschluss vom 10.04.2008 - 10 B 28.08 - juris Rn. 6; Urteil vom 14.12.1993 - 9 C 45.92 - juris Rn. 10 f.).
22 
b) Im Falle des Klägers gibt es keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Annahme, es bestünde für ihn bei einer Rückkehr nach Kabul mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit im dargelegten Sinne die konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung. Eine solche konkrete Gefahr lässt sich auch nicht mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 21.01.2011 (Nr. 30696/09 - ) begründen. Wie sich aus der Urteilsbegründung (insbes. Rn. 261 bis 263) ergibt, wurde im dortigen Fall eine Verletzung von Art. 3 EMRK insbesondere bejaht, weil sich Griechenland nicht an die europarechtlichen Verfahrensregeln und Mindeststandards für Asylbewerber gehalten hat und deshalb menschenrechtswidrige Haft- und Lebensbedingungen bestanden. Der Gerichtshof geht mithin davon aus, dass ein Konventionsstaat Art. 3 EMRK verletzen kann, wenn er die sich selbst gegebenen asylverfahrensrechtlichen Mindeststandards im Einzelfall unterschreitet. Hieraus lässt sich jedoch nicht ableiten, dass solche Standards weltweit gelten müssten und das Fehlen derselben eine Abschiebung etwa nach Kabul sperren könnte. Im Hinblick auf die allgemeinen (unzureichenden) Lebensbedingungen sowie die Versorgungslage (auch in medizinischer Hinsicht) kann eine Verletzung von Art. 3 EMRK nach der ständigen Rechtsprechung des Straßburger Gerichtshofs durch den abschiebenden Staat vielmehr nur in extremen Ausnahmefällen in Betracht gezogen werden (Nachweise bei Hailbronner, AuslR, 10/2008, § 60 AufenthG, Rn. 119 ff). Solche können jedoch - wie unter III. 2. ausgeführt - derzeit in Bezug auf Kabul nicht festgestellt werden.
23 
2. Ebenso ist kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 3 AufenthG erkennbar, wonach ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden darf, wenn ihn dieser Staat wegen einer Straftat sucht und dort aufgrund konkreter und ernsthafter Anhaltspunkte die Gefahr der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe besteht (ausführlich: Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 39 ff., m.w.N.). Hierzu fehlen im Falle des Klägers jegliche Anhaltspunkte.
24 
3. Nach Auffassung des Senats liegt derzeit auch kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vor. Hiernach ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist.
25 
a) Diese Bestimmung entspricht nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts trotz geringfügig abweichender Formulierungen den Vorgaben des Art. 15 lit. c QRL und ist in diesem Sinne auszulegen (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 14). Nach Art. 15 lit. c QRL gilt als ernsthafter Schaden „eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts“.
26 
(1) Bei der Frage, ob ein internationaler oder innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, sind hiernach die vier Genfer Konventionen zum humanitären Völkerrecht von 1949 und insbesondere das Zusatzprotokoll II von 1977 (BGBl 1990 II S. 1637; - ZP II -) zu berücksichtigen. Das ZP II definiert in Art. 1 Nr. 1 den Begriff des nicht internationalen bewaffneten Konflikts wie folgt: „Dieses Protokoll, das den den Genfer Abkommen vom 12.08.1949 gemeinsamen Art. 3 weiterentwickelt und ergänzt, ohne die bestehenden Voraussetzungen für seine Anwendung zu ändern, findet auf alle bewaffneten Konflikte Anwendung, die von Art. 1 des Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vorn 12.08.1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I) nicht erfasst sind und die im Hoheitsgebiet einer Hohen Vertragspartei zwischen deren Streitkräften und abtrünnigen Streitkräften oder anderen organisierten bewaffneten Gruppen stattfinden, die unter einer verantwortlichen Führung eine solche Kontrolle über einen Teil des Hoheitsgebiets der Hohen Vertragspartei ausüben, dass sie anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen durchführen und dieses Protokoll anzuwenden vermögen.“ In seinem Art. 2 grenzt das ZP II sodann von Fällen bloßer "innerer Unruhen und Spannungen" ab, die nicht unter diesen Begriff fallen. Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts liegt demnach jedenfalls dann vor, wenn der Konflikt die Kriterien des Art. 1 Nr. 1 ZP II erfüllt. Er liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn die Ausschlusstatbestände des Art. 1 Nr. 2 ZP II erfüllt sind, es sich also nur um innere Unruhen und Spannungen handelt wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen, die nicht als bewaffnete Konflikte gelten. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinne von Art. 15 lit. c QRL nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss hierfür aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen. Typische Beispiele sind Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfe. Der völkerrechtliche Begriff des "bewaffneten Konflikts" wurde gewählt, um klarzustellen, dass nur Auseinandersetzungen von einer bestimmten Größenordnung an in den Regelungsbereich der Vorschrift fallen. Dennoch setzt ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt nicht zwingend einen so hohen Organisationsgrad und eine solche Kontrolle der Konfliktparteien über einen Teil des Staatsgebiets voraus, wie sie für die Erfüllung der Verpflichtungen nach den Genfer Konventionen von 1949 erforderlich sind. Ohnehin findet die Orientierung an den Kriterien des humanitären Völkerrechts ihre Grenze jedenfalls dort, wo ihr der Zweck der Schutzgewährung für in Drittstaaten Zuflucht Suchende nach Art. 15 lit. c QRL widerspricht. Weitere Anhaltspunkte für die Auslegung des Begriffs des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts können sich aus dem Völkerstrafrecht ergeben, insbesondere aus der Rechtsprechung der Internationalen Strafgerichtshöfe. Hiernach dürfte kriminelle Gewalt bei der Feststellung, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, jedenfalls dann keine Berücksichtigung finden, wenn sie nicht von einer der Konfliktparteien begangen wird (ausführlich: BVerwG, Urteile vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - juris Rn. 19 ff. und vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 -juris Rn. 23).
27 
(2) Bezüglich der Frage, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, ist zunächst das gesamte Staatsgebiet in den Blick zu nehmen. Besteht ein bewaffneter Konflikt jedoch nicht landesweit, kommt eine individuelle Bedrohung in Betracht, wenn sich der Konflikt auf die Herkunftsregion des Ausländers erstreckt, in der er zuletzt gelebt hat bzw. in die er typischerweise zurückkehren kann und voraussichtlich auch wird, d.h. auf seinen "tatsächlichen Zielort" bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat (EuGH, Urteil vom 17.02.2009, Rs. C-465/07 Rn. 40). Auf einen bewaffneten Konflikt außerhalb der Herkunftsregion des Ausländers kann es hingegen nur ausnahmsweise ankommen. In diesem Fall muss der Betreffende stichhaltige Gründe dafür vorbringen, dass für ihn eine Rückkehr in seine Herkunftsregion ausscheidet und nur eine Rückkehr gerade in die Gefahrenzone in Betracht kommt (BVerwG, Urteil vom 14.07.2009 - 10 C 9.08 - juris Rn. 17).
28 
(3) Konnte ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt zumindest im tatsächlichen Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat festgestellt werden, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts weiter zu fragen, ob ihm dort infolgedessen auch eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben infolge willkürlicher Gewalt droht. Hierfür sind Feststellungen über das Niveau willkürlicher Gewalt bzw. zu der sogenannten Gefahrendichte erforderlich, d.h. (1.) eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen und (2.) der Akte willkürlicher Gewalt, die von den Konfliktparteien gegen Leib und Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie (3.) eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung. Hierzu gehört auch die Würdigung der medizinischen Versorgungslage in dem jeweiligen Gebiet, von deren Qualität und Erreichbarkeit die Schwere eingetretener körperlicher Verletzungen mit Blick auf die den Opfern dauerhaft verbleibenden Verletzungsfolgen abhängen kann. Im Übrigen können die für die Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts entwickelten Kriterien entsprechend herangezogen werden. In jedem Fall setzt § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG für die Annahme einer erheblichen individuellen Gefahr voraus, dass dem Betroffenen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Schaden an den Rechtsgütern Leib oder Leben droht. Gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG gilt auch für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG u.a. die Beweisregel des Art. 4 Abs. 4 QRL (ausführlich: BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 - juris Rn. 32 ff.; vgl. auch Dolk, Asylmagazin 12/2011, 418 ff., m.w.N.).
29 
(4) Bei der Prüfung, ob dem Ausländer zumindest in seiner Herkunftsregion aufgrund eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben droht, sind gegebenenfalls gefahrerhöhende persönliche Umstände zu berücksichtigen. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich. Liegen hingegen gefahrerhöhende persönliche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt. Zu diesen gefahrerhöhenden Umständen gehören in erster Linie solche persönlichen Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen - z.B. als Arzt oder Journalist - gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Dazu können aber nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts auch solche persönlichen Umstände gerechnet werden, aufgrund derer der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte - etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit - ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht schon eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt. Auch im Fall gefahrerhöhender persönlicher Umstände muss aber ein hohes Niveau willkürlicher Gewalt bzw. eine hohe Gefahrendichte für die Zivilbevölkerung in dem fraglichen Gebiet festgestellt werden. Allein das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts und die Feststellung eines gefahrerhöhenden Umstandes in der Person des Antragstellers reichen hierfür nicht aus. Allerdings kann eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr auch dann, wenn individuelle gefahrerhöhende Umstände fehlen, ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 18 ff.).
30 
(5) Schließlich darf für den Ausländer keine Möglichkeit internen Schutzes gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 8 QRL bestehen. Nach Art. 8 Abs. 1 QRL können die Mitgliedstaaten bei der Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz feststellen, dass ein Antragsteller keinen internationalen Schutz benötigt, sofern in einem Teil des Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung bzw. keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht und von dem Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil aufhält. Nach Absatz 2 der Norm berücksichtigen die Mitgliedstaaten bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Antragstellers zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag. Nach Absatz 3 der Norm kann Absatz 1 kann auch dann angewandt werden, wenn praktische Hindernisse für eine Rückkehr in das Herkunftsland bestehen. Zur Frage, wann von dem Ausländer „vernünftigerweise erwartet werden kann“, dass er sich in dem verfolgungsfreien Landesteil aufhält, verweist das Bundesverwaltungsgericht auf die Begründung zum Regierungsentwurf des Richtlinienumsetzungsgesetzes (BT-Drs. 16/5065 S. 185). Hier wird ausgeführt, dass dies dann der Fall sei, wenn der Ausländer am Zufluchtsort eine ausreichende Lebensgrundlage vorfinde, d.h. dort das Existenzminimum gewährleistet sei. Ausdrücklich offen gelassen wurde, welche darüber hinausgehenden wirtschaftlichen und sozialen Standards erfüllt sein müssen. Allerdings spreche einiges dafür, dass die gemäß Art. 8 Abs. 2 QRL zu berücksichtigenden allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftslandes - oberhalb der Schwelle des Existenzminimums - auch den Zumutbarkeitsmaßstab prägen (BVerwG, Urteil vom 29.05.2008 - 10 C 11.07 - juris Rn. 32/35). Dem schließt sich der Senat an, denn hierfür spricht im Übrigen auch der Umstand, dass andernfalls der richtlinienkonforme Ausschluss der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG für die Fälle des Art. 15 lit. c QRL über die an den internen Schutz gestellten Anforderungen unterlaufen würde (Hess. VGH, Urteil vom 25.08.2011 - 8 A 1657/10.A - juris Rn. 91). Nach diesen Grundsätzen bietet ein verfolgungssicherer Ort erwerbsfähigen Personen eine wirtschaftliche Lebensgrundlage etwa dann, wenn sie dort, sei es durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem angemessenen Lebensunterhalt Erforderliche erlangen können. Zu den danach zumutbaren Arbeiten gehören auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, beispielsweise in der Landwirtschaft oder auf dem Bausektor, ausgeübt werden können. Nicht zumutbar sind hingegen jedenfalls die entgeltliche Erwerbstätigkeit für eine kriminelle Organisation, die in der fortgesetzten Begehung von oder Teilnahme an Verbrechen besteht. Ein verfolgungssicherer Ort, an dem selbst das Existenzminimum nur durch derartiges kriminelles Handeln erlangt werden kann, kann keine innerstaatliche Fluchtalternative sein. Bei der Prüfung des internen Schutzes muss mithin insbesondere gefragt werden, ob der Betreffende seine Existenz am Ort der Fluchtalternative auch ohne förmliche Gewährung eines Aufenthaltsrechts und ohne Inanspruchnahme staatlicher Sozialleistungen in zumutbarer Weise - etwa im Rahmen eines Familienverbandes - und ohne ein Leben in der Illegalität, das ihn jederzeit der Gefahr polizeilicher Kontrollen und der strafrechtlichen Sanktionierung aussetzt, angemessen sichern kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 01.02.2007 - 1 C 24.06 - juris Rn. 11 f.).
31 
b) Entgegen der Auffassung des Klägers kann der Senat in seinem Fall nicht erkennen, dass derzeit die dargestellten Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vorliegen würden. Der Senat ist vielmehr auf der Grundlage der insoweit weitgehend übereinstimmenden aktuellen Erkenntnisquellen davon überzeugt, dass in der Heimatregion des Klägers, d.h. in Kabul, schon kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne von Art. 15 lit. c QRL (mehr) gegeben ist. Die dortige Sicherheitslage wird, abgesehen von einigen spektakulären Anschlägen, die sich jedoch primär auf „prominente Ziele“ gerichtet haben, relativ einheitlich als stabil und weiterhin deutlich ruhiger als noch etwa vor zwei Jahren bewertet. Vor der von dem Kläger zitierten Anschlagsserie hat es offenbar sogar eine praktisch anschlagsfreie Zeit von fast 18 Monaten gegeben (Lagebericht AA vom 10.01.2012, S. 12; Kermani, Die Zeit vom 05.01.2012, 11 f.; Asylmagazin 12/2011, 418). Der Senat vermag deshalb der von dem Kläger zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Gießen (Urteil vom 20.06.2011 - 2 K 499/11.GI.A - www.asyl.net) nicht zu folgen, die in der Begründung vor allem auf die Konfliktgebiete im Süden bzw. Osten Afghanistans Bezug nimmt, und daher hinsichtlich des Leitsatzes, in ganz Afghanistan herrsche ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, zu wenig regional differenziert. Im dortigen Fall ging es im Übrigen, wenig vergleichbar, um einen alleinstehenden Jugendlichen im Alter von 15 Jahren aus der doch recht anders gelagerten Herkunftsregion Wardak. Bezüglich Kabuls selbst hebt das Verwaltungsgericht im Wesentlichen auf fünf Anschläge zwischen Januar und Mai 2011 ab. Insoweit handelt es sich aber um Fälle "innerer Unruhen und Spannungen" im Sinne von Art. 2 des ZP II, die gerade nicht unter den Begriff des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts zu subsumieren sind. In Übereinstimmung hiermit hat auch der Hessische Verwaltungsgerichtshof entschieden, dass in Kabul, trotz gegebener Übergriffe, kein bewaffneter Konflikt von solcher Dichte herrscht, dass darauf § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG angewandt werden könnte. Jedenfalls resultiere hieraus für Rückkehrer keine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben infolge willkürlicher Gewalt (Urteil vom 16.06.2011 - 8 A 2011/10.A - juris). Der Senat kommt zum gegenwärtigen Zeitpunkt und für die Situation des Klägers zu derselben Einschätzung.
III.
32 
Im Falle des Klägers liegt auch der somit hilfsweise zu prüfende nationale Abschiebungsschutz derzeit nicht vor. Zu seinen Gunsten besteht kein Abschiebungsverbot (mehr) hinsichtlich Afghanistans gemäß des einheitlichen Streitgegenstands nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung.
33 
1. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (- EMRK -, BGBl 1952 II 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Über diese Norm werden die Schutzregeln der EMRK in innerstaatliches Recht inkorporiert. Sowohl aus Systematik als auch Entstehungsgeschichte folgt jedoch, dass es insoweit nur um zielstaatsbezogenen Abschiebungsschutz geht. Inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse, abgeleitet etwa aus Art. 8 EMRK, ziehen hingegen regelmäßig nur eine Duldung gemäß § 60 a Abs. 2 AufenthG nach sich. Bezüglich Art. 3 EMRK ist zudem die weitergehende und „unionsrechtlich aufgeladene“ Schutznorm des § 60 Abs. 2 AufenthG vorrangig, d.h. im vorliegenden Falle nicht zu prüfen (vgl. zu § 60 Abs. 5: Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 45 ff., m.w.N.). Ob im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG auch nach Umsetzung der Qualifikationsrichtlinie 2004/83/EG alle Gefährdungen grundsätzlich irrelevant sind, die von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen (so noch BVerwG, Urteil vom 15.04.1997 - 9 C 38.96 - zur Vorgängernorm des § 53 Abs. 4 AuslG, juris Rn. 10), kann vorliegend dahingestellt bleiben. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, welches Menschenrecht der EMRK im konkreten Fall des Klägers ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG begründen könnte.
34 
2. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kann von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn für ihn dort eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Allerdings sind Gefahren der die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG bei Abschiebestopp-Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Denn hinsichtlich des Schutzes vor allgemeinen Gefahren im Zielstaat soll Raum sein für ausländerpolitische Entscheidungen, was die Anwendbarkeit von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG insoweit grundsätzlich sperrt und zwar selbst dann, wenn diese Gefahren den einzelnen Ausländer zugleich in konkreter und individualisierbarer Weise betreffen (BVerwG, Urteil vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324). Aus diesem Normzweck folgt weiter, dass sich die „Allgemeinheit“ der Gefahr nicht danach bestimmt, ob diese sich auf die Bevölkerung oder bestimmte Bevölkerungsgruppen gleichartig auswirkt, wie das bei Hungersnöten, Seuchen, Bürgerkriegswirren oder Naturkatastrophen der Fall sein kann. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG kann vielmehr auch bei eher diffusen Gefährdungslagen greifen, etwa dann, wenn Gefahren für Leib und Leben aus den allgemein schlechten Lebensverhältnissen (soziale und wirtschaftliche Missstände) im Zielstaat hergeleitet werden. Denn soweit es um den Schutz vor den einer Vielzahl von Personen im Zielstaat drohenden typischen Gefahren solcher Missstände wie etwa Lebensmittelknappheit, Obdachlosigkeit oder gesundheitliche Gefährdungen geht, ist die Notwendigkeit einer politischen Leitentscheidung in gleicher Weise gegeben (BVerwG, Urteil vom 12.07.2001 - 1 C 5.01 - BVerwGE 115, 1). Für die Personengruppe, der der Kläger angehört, besteht eine solche politische Abschiebestopp-Anordnung gemäß § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG in Baden-Württemberg derzeit nicht (mehr), seit mit Schreiben des Innenministeriums Baden-Württemberg vom 15.04.2005 (geändert am 01.08.2005, vgl. 21. Fortschreibung vom 23.01.2009, Az.: 4-13-AFG/8) in Umsetzung entsprechender Beschlüsse der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder bezüglich der Rückführung afghanischer Staatsangehöriger entschieden wurde, dass „volljährige, allein stehende männliche afghanische Staatsangehörige, die sich zum Zeitpunkt der Beschlussfassung am 24. Juni 2005 noch keine sechs Jahre im Bundesgebiet aufgehalten haben, mit Vorrang zurückzuführen sind“. Im konkreten Einzelfall des Klägers greift die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG auch unter Berücksichtigung von Verfassungsrecht.
35 
a) Die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG greift aufgrund der Schutzwirkungen der Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nur dann ausnahmsweise nicht, wenn der Ausländer im Zielstaat landesweit einer extrem zugespitzten allgemeinen Gefahr dergestalt ausgesetzt wäre, dass er „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert“ würde (st. Rspr. des BVerwG, s. Urteile vom 29.09.2011 - 10 C 24.10 - juris Rn. 20, vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324 und vom 19.11.1996 - 1 C 6.95 - BVerwGE 102, 249 zur Vorgängerregelung in § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG). Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassung wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar ist (BVerwG, Urteil vom 29.09.2011 - 10 C 24.10 - juris Rn. 20). Das Vorliegen der Voraussetzungen ist im Wege einer Gesamtgefahrenschau zu ermitteln (BVerwG, Beschluss vom 23.03.1999 - 9 B 866.98 - juris Rn. 7).
36 
b) Im Fall einer allgemein schlechten Versorgungslage sind Besonderheiten zu berücksichtigen. Denn hieraus resultierende Gefährdungen entspringen keinem zielgerichteten Handeln, sondern treffen die Bevölkerung gleichsam schicksalhaft. Sie wirken sich nicht gleichartig und in jeder Hinsicht zwangsläufig aus und setzen sich aus einer Vielzahl verschiedener Risikofaktoren zusammen, denen der Einzelne in ganz unterschiedlicher Weise ausgesetzt ist und denen er gegebenenfalls auch ausweichen kann. Intensität, Konkretheit und zeitliche Nähe der Gefahr können deshalb auch nicht generell, sondern nur unter Berücksichtigung aller Einzelfallumstände beurteilt werden (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 13.11.2002 - A 6 S 967/01 - juris Rn. 48 ff.). Um dem Erfordernis des unmittelbaren - zeitlichen - Zusammenhangs zwischen Abschiebung und drohender Rechtsgutverletzung zu entsprechen, kann hinsichtlich einer allgemein schlechten Versorgungslage eine extreme Gefahrensituation zudem nur dann angenommen werden, wenn der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr in sein Heimatland in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien kann. Mit dem Begriff „alsbald“ ist dabei einerseits kein nur in unbestimmter zeitlicher Ferne liegender Termin gemeint (BVerwG, Urteil vom 27.04.1998 - 9 C 13.97 - juris Rn. 8). Andererseits setzt die Annahme einer extremen allgemeinen Gefahrenlage nicht voraus, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Ankunft im Abschiebezielstaat, eintreten. Eine extreme Gefahrenlage besteht auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert sein würde (BVerwG, Urteil vom 29.06.2010 - 10 C 10.09 - juris Rn. 15).
37 
c) Diese Voraussetzungen sind im Falle des Klägers heute jedenfalls nicht mehr gegeben. In Übereinstimmung mit anderen Obergerichten (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 06.05.2008 - 6 A 10749/07 - AuAS 2008, 188; Hess. VGH, Urteil vom 26.11.2009 - 8 A 1862/07.A - NVwZ-RR 2010, 331) hatte der Senat mit Urteil vom 14.05.2009 - A 11 S 610/08 - (DVBl 2009, 1327) entschieden, dass für Ausländer aus der Personengruppe der beruflich nicht besonders qualifizierten afghanischen männlichen Staatsangehörigen, die in ihrer Heimat ohne Rückhalt und Unterstützung durch Familie oder Bekannte sind und dort weder über Grundbesitz noch über nennenswerte Ersparnisse verfügen, aufgrund der katastrophalen Versorgungslage bei einer Abschiebung nach Kabul eine extreme Gefahrensituation im dargelegten Sinne bestehe. Das Bundesverwaltungsgericht hat (auch) diese Entscheidung mit Urteil vom 08.09.2011 - 10 C 16.10 - (juris) aufgehoben. Insbesondere die Feststellungen zum Vorliegen einer extremen Gefahr im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan verletzten Bundesrecht und würden einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht standhalten, denn die Entscheidung sei insbesondere hinsichtlich der festgestellten drohenden Mangelernährung und den damit verbundenen gesundheitlichen Risiken auf eine zu schmale Tatsachengrundlage gestützt. Das Bundesverwaltungsgericht betont: „‘Hunger‘ führt nicht zwangsläufig zum Tod, 'gesundheitliche Risiken' führen nicht notwendigerweise zu schwersten Gesundheitsschäden.“ Damit verfehle das Berufungsgericht den Begriff der Extremgefahr (so im Urteil vom 29.09.2011 - 10 C 23.10 - juris Rn. 24 bzgl. einer Parallelentscheidung des Hess.VGH). Bei der erneuten Befassung mit der Sache sei der Senat gehalten, sich auch mit der gegenteiligen Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte (insbesondere: Bay.VGH, Urteil vom 03.02.2011 - 13a B 10.30394 - juris) auseinanderzusetzen.
38 
Es sei dahingestellt, ob ein Obergericht revisionsrechtlich dazu verpflichtet werden kann, sich mit der abweichenden Einschätzung anderer Obergerichte auseinanderzusetzen (kritisch: Hess.VGH, Urteil vom 25.08.2011 - 8 A 1657/10.A - juris Rn. 77). Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof vertritt jedenfalls in dem zum besonderen Studium aufgegebenen Urteil die Auffassung, dass für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige angesichts der aktuellen Auskunftslage im Allgemeinen derzeit nicht von einer extremen Gefahrenlage auszugehen sei, die zu einem Abschiebungsverbot in entsprechender Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde. Zwar sei zweifellos von einer äußerst schlechten Versorgungslage in Afghanistan auszugehen. Im Wege einer Gesamtgefahrenschau sei jedoch nicht anzunehmen, dass dort alsbald der sichere Tod drohe oder schwerste Gesundheitsbeeinträchtigungen zu erwarten wären. Bei der Wirtschaftslage bzw. den ökonomischen Rahmenbedingungen würden durchaus positive Tendenzen gesehen. Es sei mit einem realen jährlichen Wirtschaftswachstum zwischen 6 und 8 % zu rechnen. Auch hätten bessere Ernten zu einer Verbesserung der Gesamtversorgungslage geführt. Zwar sei die Versorgung mit Wohnraum zu angemessenen Preisen in den Städten nach wie vor schwierig. Das Ministerium für Flüchtlinge und Rückkehrer bemühe sich jedoch um eine Ansiedlung der Flüchtlinge in Neubausiedlungen. Wenn es heiße, dass der Zugang für Rückkehrer zu Arbeit, Wasser und Gesundheitsversorgung häufig nur sehr eingeschränkt möglich sei, bedeute dies andererseits, dass jedenfalls der Tod oder schwerste Gesundheitsgefährdungen alsbald nach der Rückkehr nicht zu befürchten seien. Dies ergebe sich auch aus dem Afghanistan Report 2010 von amnesty international, wonach Tausende von Vertriebenen in Behelfslagern lebten, wo sie nur begrenzten Zugang zu Lebensmitteln und Trinkwasser, Gesundheitsversorgung und Bildung erhalten würden. Eine Mindestversorgung sei damit aber gegeben. Auch sei eine hinreichende zeitliche Nähe („alsbald“) zwischen Rückkehr und lebensbedrohlichem Zustand aufgrund von Mangelernährung, unzureichenden Wohnverhältnissen und schwieriger Arbeitssuche nicht ersichtlich. Insgesamt sei davon auszugehen, dass ein 25-jähriger lediger und gesunder Afghane, der mangels familiärer Bindungen keine Unterhaltslasten trage, auch ohne nennenswertes Vermögen und ohne abgeschlossene Berufsausbildung im Falle einer Abschiebung nach Kabul dort in der Lage wäre, durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen zu erzielen, damit ein Leben am Rande des Existenzminimums zu finanzieren und sich allmählich wieder in die afghanische Gesellschaft zu integrieren.
39 
Dies entspricht im Wesentlichen der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (vgl. Beschluss vom 26.10.2010 - 20 A 964/10.A -; Urteil vom 19.06.2008 - 20 A 4676/06.A - beide juris). Das Oberverwaltungsgericht vermochte dem Aspekt, dass positive Feststellungen zu den Modalitäten der Beschaffung des Lebensnotwendigen nicht zu treffen seien, kein entscheidendes Gewicht zu geben vor dem Umstand, dass die zahlreich vorliegenden Berichte für eine extreme Verelendung nichts hergeben würden, obwohl angesichts der hohen Rückkehrerzahlen aus den Nachbarländern und der Binnenfluchtbewegungen nicht davon ausgegangen werden könne, dass es an jeglichem Potential für Vergleichsfälle fehle (Urteil vom 19.06.2008, juris Rn. 80).
40 
Der Senat schließt sich der Rechtsprechung der zitierten Gerichte nunmehr an, weil auch er eine gewisse Verbesserung der allgemeinen Versorgungslage in Kabul - dem derzeit einzig möglichen Abschiebungsziel (Lagebericht AA v. 10.01.2012, S. 29 f.) - erkennen kann, die nach den strengen Maßstäben des Bundesverwaltungsgerichts im Rahmen einer wertenden Gesamtschau der Annahme einer alsbald nach der Abschiebung eintretenden Extremgefahr für gesunde ledige afghanische Männer auch ohne Vermögen oder lokale Familien- bzw. Stammesstrukturen entgegenstehen.
41 
Dem zentralen Argument des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen, dass Fälle extremer Verelendung von Rückkehrern dokumentiert sein müssten, vermag der Senat keine aussagekräftigen Erkenntnisquellen entgegen zu setzen; es lässt sich nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand nicht widerlegen. Insbesondere sind Erkenntnisquellen, die den Hungertod von Rückkehrern in Kabul dokumentieren, auch dem Senat nicht bekannt (ebenso: UNHCR vom 11.11.2011, 10 f.). Und in der Tat sind seit 2002 vor allem mit Hilfe des UNHCR insgesamt rund vier Millionen Flüchtlinge nach Afghanistan zurückgekehrt, wenn auch davon nur ca. 15.000 aus anderen Ländern als Pakistan und dem Iran (Gietmann, Asylmagazin 12/2011, 413, m.w.N.). Infolgedessen gehört Kabul heute zu den Städten mit dem weltweit stärksten Bevölkerungswachstum. Betrug die Einwohnerzahl 2001 noch rund 1,5 Millionen, wurde sie von der Stadtverwaltung im Juni 2010 auf über 5 Millionen geschätzt. Der Bevölkerungsanteil der Rückkehrer und Binnenvertriebenen wird auf 70 % geschätzt (Yoshimura, Asylmagazin 12/2011, 408, m.w.N.).
42 
Allerdings sind sämtliche Informationen, die der Senat über die Situation in der Stadt finden kann, durchaus ambivalent. Einerseits heißt es, 23 % der Bevölkerung lebten dort unterhalb der Armutsgrenze. Insgesamt seien die Lebenshaltungskosten in Kabul im Laufe der vergangenen Jahre um 30 bis 50 % gestiegen. Bewohner seien auch beim Erwerb zahlreicher, selbst legaler Güter des Alltags gezwungen, Bestechungsgelder zu bezahlen. Die Kriminalität und Gefahr, Opfer von Überfällen zu werden, sei hoch (Landinfo 2011, Part II, 17). Kabul würde einer Stadt im permanenten Ausnahmezustand ähneln (Dr. Danesch vom 07.10.2010, Logar, 3). Nur 55,9 % der Haushalte verfügten über Zugang zu sauberem Wasser. Zahlreiche Brunnen im Stadtgebiet seien aufgrund der steigenden Inanspruchnahme ausgetrocknet bzw. erschöpft (ai vom 29.09.2009, 2). Bezahlbarer Strom liege für ärmere Kabuler Familien außerhalb der finanziellen Möglichkeiten. Die Arbeitslosenrate in Kabul werde auf bis zu 50 % geschätzt. Infolge des Mangels an bezahlbarem Wohnraum würden sich zahllose Menschen gezwungen sehen, in prekären Unterkünften wie Lehmhütten, Zelten oder alten beschädigten Gebäuden zu hausen. Die Bewohner dieser „informellen Siedlungen“ würden außerhalb des sozialen Sicherheitsnetzes leben und ihren Lebensunterhalt durch Betteln, den Verkauf von Müll und andere gering bezahlte Tätigkeiten bestreiten müssen. Über Nacht entstünden neue Armenviertel und Slums, in denen es weder Kanalisation noch Müllentsorgung und kaum sauberes Wasser, Elektrizität oder medizinische Hilfe gebe. Die Zahl derer, die auf der Flucht vor Krieg, Rechtlosigkeit, Willkürherrschaft und Armut in die Städte strömten, vergrößere sich tagtäglich. Besonders dramatisch nehme deshalb gerade in Kabul die Zahl von Obdachlosen und Drogenabhängigen zu. Ohnehin befinde sich Afghanistan auf dem Weg in einen Drogenstaat. 2011 sei erneut ein Dürrejahr gewesen und vor allem im Norden, dem friedlichen Teil des Landes, herrsche Hunger. Zusammenfassend sei eine Rückkehr nach Kabul ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen schlicht unzumutbar (vgl. ai vom 20.12.2010; Asylmagazin 12/2011, 408-414, m.w.N.).
43 
Andererseits wird berichtet, gerade in Kabul existiere eine rege Bautätigkeit. In den vergangenen Jahren seien zahlreiche Immobilienprojekte in Angriff genommen worden. In Folge dessen gebe es nunmehr vor allem im Bausektor, wenn auch schlecht bezahlte Tageslohnarbeit. Viele Stadtteile Kabuls würden seit 2009 zwischenzeitlich 24 Stunden am Tag mit Strom versorgt. Seit kurzem boome in einigen Städten wie Kabul und Masar-i-Scharif der Handel. Geschäfte würden über Nacht eröffnet und man habe mittlerweile ein großes, kaum einen Wunsch offenlassendes Warenangebot. Die Lage sei nicht gut, aber sie sei besser geworden. Jedenfalls im Stadtzentrum sei auch die Armut nicht mehr so offensichtlich. Es gebe nicht mehr überall bettelnde Frauen in Burkas und keine Banden von Kindern, die sich an Klebstoff berauschten. Dafür hätten unzählige Kebab-Stände eröffnet. Überhaupt gebe es deutlich zahlreichere Geschäfte als noch vor wenigen Jahren und sogar eine Müllabfuhr sowie ein Mindestmaß an Ordnung bzw. überhaupt wieder so etwas wie ein Stadtleben. Auch die Sicherheitslage in Kabul sei, abgesehen von einigen spektakulären Anschlägen, unverändert stabil und weiterhin deutlich ruhiger als noch vor zwei Jahren (vgl. Lagebericht AA vom 10.01.2012; Kermani, Die Zeit vom 05.01.2012, 11 ff; Asylmagazin 12/2011, 408-414, m.w.N.).
44 
Vor diesem Hintergrund kann heute - trotz der ambivalenten Erkenntnisquellen - aufgrund der hohen Hürden des Bundesverwaltungsgerichts für die Annahme einer extremen allgemeinen Gefahrenlage für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige eine solche Extremgefahr nicht mehr begründet werden. Anders als noch 2009 sieht auch der Senat keine hinreichenden Anhaltspunkte mehr dafür, dass bei dieser Personengruppe im Falle der Abschiebung alsbald der Tod oder schwerste gesundheitliche Beeinträchtigungen zu erwarten wären. Die Einschätzung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, es sei vielmehr zu erwarten, dass Rückkehrer in Kabul durch Gelegenheitsarbeiten „ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren könnten“, trifft heute auch nach Überzeugung des Senats zu. Zwar dürfte aufgrund der schlechten Gesamtsituation ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen in der Tat eine Rückkehr nach Kabul selbst für gesunde alleinstehende Männer unter humanitären Gesichtspunkten kaum zumutbar sein. Diese Zumutbarkeit ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts jedoch kein zentraler Maßstab für die Bestimmung einer extremen Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
45 
Im Falle des Klägers sind schließlich auch keine hinreichenden individuellen Faktoren gegeben, die ausnahmsweise eine extreme Gefahrenlage begründen könnten. Der Kläger leidet derzeit unter keinen gesundheitlichen Beeinträchtigungen mehr und ist, wie seine Beschäftigung in einem Restaurant verdeutlicht, arbeitsfähig. Allein aufgrund des für die Verhältnisse in Afghanistan, wo junge Burschen häufig mit 15 Jahren verheiratet werden und ein 20-jähriger Mann meist bereits mehrere Kinder hat (so Dr. Danesch vom 07.10.2010, Paktia, S. 6), in der Tat fortgeschrittenen Alters kann deshalb keine extreme Gefahrenlage erkannt werden. Auf die von der Beklagten aufgeworfene Frage, ob es aufgrund der dem Kläger seit längerem und bis heute erteilten Duldungen an einer Schutzlücke für eine verfassungskonforme Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG oder gar schon dem Rechtsschutzinteresse fehlt (vgl. BVerwG, Urteile vom 12.07.2001 - 1 C 2.01 - BVerwGE 114, 378 und vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 12), kommt es damit nicht an.
III.
46 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO und § 83 b AsylVfG.
IV.
47 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein gesetzlicher Zulassungsgrund vorliegt (§ 132 Abs. 2 VwGO).

Gründe

 
17 
Die zulässige, insbesondere rechtzeitig unter Stellung eines Antrags und unter Bezugnahme auf die ausführliche Begründung des Zulassungsantrags begründete Berufung (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 - NVwZ 2006, 1420 m.w.N.) der Beklagten hat Erfolg. Der Senat geht nunmehr davon aus, dass der Kläger die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (- Aufenthaltsgesetz -) in der Fassung der Änderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der EU vom 19.08.2007 (- 1. Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 28.08.2007, BGBl I 1970) sowie das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der EU und zur Anpassung nationaler Rechtvorschriften an den EU-Visakodex vom 22.11.2011 (- 2. Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 26.11.2011, BGBl I 2258) nicht mehr beanspruchen kann. Dem Kläger steht in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) weder ein unionsrechtlich begründeter noch ein nationaler Abschiebungsschutz zu.
I.
18 
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist im vorliegenden Übergangsfall zunächst das - angewachsene und für die Beteiligten nicht disponible - Verpflichtungsbegehren des Klägers auf Gewährung subsidiären unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG (entsprechend den Voraussetzungen für den subsidiären Schutz in Art. 15 der sog. Qualifikations-Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes; ABlEU Nr. L 304 S. 12; ber. ABlEU vom 05.08.2005 Nr. L 204 S. 24, neugefasst mit Umsetzungsfrist bis 21.12.2013 als Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011, ABlEU vom 20.12.2011 Nr. L 337 S. 9; - QRL -). Nur hilfsweise ist Gegenstand des Berufungsverfahrens der nationale Abschiebungsschutz, d.h. die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung (BVerwG, Urteil vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - juris Rn. 11). Sowohl der (weitergehende) unionsrechtlich begründete Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG als auch der nationale Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 und 3 AufenthG bilden jeweils einen einheitlichen, in sich nicht weiter teilbaren Streitgegenstand (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 11). In dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der erneuten mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) besteht zu Gunsten des Klägers hinsichtlich Afghanistans weder ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG noch nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung.
II.
19 
Unionsrechtlich begründeter Abschiebungsschutz ist im Falle des Klägers derzeit nicht gegeben.
20 
1. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG ist nicht erkennbar.
21 
a) Nach dieser Norm darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Unter „Folter“ ist in Anlehnung an die Definition von Art. 1 des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (BGBl. 1990 II S. 247, BGBl. 1993 II S. 715) eine Behandlung zu verstehen, die einer Person vorsätzlich schwere Schmerzen oder Leiden körperlicher oder geistig-seelischer Art zufügt, um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erzwingen, sie oder einen Dritten zu bestrafen, einzuschüchtern oder zu nötigen oder mit diskriminierender Absicht zu verfolgen. Wann eine „unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung“ vorliegt, hängt nach der insoweit vor allem maßgebenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom Einzelfall ab. Eine Schlechtbehandlung einschließlich Bestrafung muss jedenfalls ein Minimum an Schwere erreichen, um in den mit § 60 Abs. 2 AufenthG und Art. 15 lit. b QRL insoweit identischen Schutzbereich von Art. 3 EMRK zu fallen. Die Bewertung dieses Minimums ist nach Natur der Sache relativ. Kriterien hierfür sind abzuleiten aus allen Umständen des Einzelfalles, wie etwa der Art der Behandlung oder Bestrafung und dem Zusammenhang, in dem sie erfolgte, der Art und Weise ihrer Vollstreckung, ihrer zeitlichen Dauer, ihrer physischen und geistigen Wirkungen, sowie gegebenenfalls abgestellt auf Geschlecht, Alter bzw. Gesundheitszustand des Opfers. Abstrakt formuliert sind unter einer menschenrechtswidrigen Schlechtbehandlung Maßnahmen zu verstehen, mit denen unter Missachtung der Menschenwürde absichtlich schwere psychische oder physische Leiden zugefügt werden und mit denen nach Art und Ausmaß besonders schwer und krass gegen Menschenrechte verstoßen wird (Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 34 f., m.w.N.). Im Rahmen der Prüfung, ob eine konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung besteht, ist der asylrechtliche Prognosemaßstab der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ anzulegen, wobei allerdings das Element der Konkretheit der Gefahr das zusätzliche Erfordernis einer einzelfallbezogenen, individuell bestimmten und erheblichen Gefährdungssituation kennzeichnet (ausführlich: Senatsurteil vom 06.03.2011 - 11 S 3070/11 - juris; BVerwG, Beschluss vom 10.04.2008 - 10 B 28.08 - juris Rn. 6; Urteil vom 14.12.1993 - 9 C 45.92 - juris Rn. 10 f.).
22 
b) Im Falle des Klägers gibt es keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Annahme, es bestünde für ihn bei einer Rückkehr nach Kabul mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit im dargelegten Sinne die konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung. Eine solche konkrete Gefahr lässt sich auch nicht mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 21.01.2011 (Nr. 30696/09 - ) begründen. Wie sich aus der Urteilsbegründung (insbes. Rn. 261 bis 263) ergibt, wurde im dortigen Fall eine Verletzung von Art. 3 EMRK insbesondere bejaht, weil sich Griechenland nicht an die europarechtlichen Verfahrensregeln und Mindeststandards für Asylbewerber gehalten hat und deshalb menschenrechtswidrige Haft- und Lebensbedingungen bestanden. Der Gerichtshof geht mithin davon aus, dass ein Konventionsstaat Art. 3 EMRK verletzen kann, wenn er die sich selbst gegebenen asylverfahrensrechtlichen Mindeststandards im Einzelfall unterschreitet. Hieraus lässt sich jedoch nicht ableiten, dass solche Standards weltweit gelten müssten und das Fehlen derselben eine Abschiebung etwa nach Kabul sperren könnte. Im Hinblick auf die allgemeinen (unzureichenden) Lebensbedingungen sowie die Versorgungslage (auch in medizinischer Hinsicht) kann eine Verletzung von Art. 3 EMRK nach der ständigen Rechtsprechung des Straßburger Gerichtshofs durch den abschiebenden Staat vielmehr nur in extremen Ausnahmefällen in Betracht gezogen werden (Nachweise bei Hailbronner, AuslR, 10/2008, § 60 AufenthG, Rn. 119 ff). Solche können jedoch - wie unter III. 2. ausgeführt - derzeit in Bezug auf Kabul nicht festgestellt werden.
23 
2. Ebenso ist kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 3 AufenthG erkennbar, wonach ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden darf, wenn ihn dieser Staat wegen einer Straftat sucht und dort aufgrund konkreter und ernsthafter Anhaltspunkte die Gefahr der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe besteht (ausführlich: Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 39 ff., m.w.N.). Hierzu fehlen im Falle des Klägers jegliche Anhaltspunkte.
24 
3. Nach Auffassung des Senats liegt derzeit auch kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vor. Hiernach ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist.
25 
a) Diese Bestimmung entspricht nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts trotz geringfügig abweichender Formulierungen den Vorgaben des Art. 15 lit. c QRL und ist in diesem Sinne auszulegen (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 14). Nach Art. 15 lit. c QRL gilt als ernsthafter Schaden „eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts“.
26 
(1) Bei der Frage, ob ein internationaler oder innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, sind hiernach die vier Genfer Konventionen zum humanitären Völkerrecht von 1949 und insbesondere das Zusatzprotokoll II von 1977 (BGBl 1990 II S. 1637; - ZP II -) zu berücksichtigen. Das ZP II definiert in Art. 1 Nr. 1 den Begriff des nicht internationalen bewaffneten Konflikts wie folgt: „Dieses Protokoll, das den den Genfer Abkommen vom 12.08.1949 gemeinsamen Art. 3 weiterentwickelt und ergänzt, ohne die bestehenden Voraussetzungen für seine Anwendung zu ändern, findet auf alle bewaffneten Konflikte Anwendung, die von Art. 1 des Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vorn 12.08.1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I) nicht erfasst sind und die im Hoheitsgebiet einer Hohen Vertragspartei zwischen deren Streitkräften und abtrünnigen Streitkräften oder anderen organisierten bewaffneten Gruppen stattfinden, die unter einer verantwortlichen Führung eine solche Kontrolle über einen Teil des Hoheitsgebiets der Hohen Vertragspartei ausüben, dass sie anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen durchführen und dieses Protokoll anzuwenden vermögen.“ In seinem Art. 2 grenzt das ZP II sodann von Fällen bloßer "innerer Unruhen und Spannungen" ab, die nicht unter diesen Begriff fallen. Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts liegt demnach jedenfalls dann vor, wenn der Konflikt die Kriterien des Art. 1 Nr. 1 ZP II erfüllt. Er liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn die Ausschlusstatbestände des Art. 1 Nr. 2 ZP II erfüllt sind, es sich also nur um innere Unruhen und Spannungen handelt wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen, die nicht als bewaffnete Konflikte gelten. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinne von Art. 15 lit. c QRL nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss hierfür aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen. Typische Beispiele sind Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfe. Der völkerrechtliche Begriff des "bewaffneten Konflikts" wurde gewählt, um klarzustellen, dass nur Auseinandersetzungen von einer bestimmten Größenordnung an in den Regelungsbereich der Vorschrift fallen. Dennoch setzt ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt nicht zwingend einen so hohen Organisationsgrad und eine solche Kontrolle der Konfliktparteien über einen Teil des Staatsgebiets voraus, wie sie für die Erfüllung der Verpflichtungen nach den Genfer Konventionen von 1949 erforderlich sind. Ohnehin findet die Orientierung an den Kriterien des humanitären Völkerrechts ihre Grenze jedenfalls dort, wo ihr der Zweck der Schutzgewährung für in Drittstaaten Zuflucht Suchende nach Art. 15 lit. c QRL widerspricht. Weitere Anhaltspunkte für die Auslegung des Begriffs des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts können sich aus dem Völkerstrafrecht ergeben, insbesondere aus der Rechtsprechung der Internationalen Strafgerichtshöfe. Hiernach dürfte kriminelle Gewalt bei der Feststellung, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, jedenfalls dann keine Berücksichtigung finden, wenn sie nicht von einer der Konfliktparteien begangen wird (ausführlich: BVerwG, Urteile vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - juris Rn. 19 ff. und vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 -juris Rn. 23).
27 
(2) Bezüglich der Frage, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, ist zunächst das gesamte Staatsgebiet in den Blick zu nehmen. Besteht ein bewaffneter Konflikt jedoch nicht landesweit, kommt eine individuelle Bedrohung in Betracht, wenn sich der Konflikt auf die Herkunftsregion des Ausländers erstreckt, in der er zuletzt gelebt hat bzw. in die er typischerweise zurückkehren kann und voraussichtlich auch wird, d.h. auf seinen "tatsächlichen Zielort" bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat (EuGH, Urteil vom 17.02.2009, Rs. C-465/07 Rn. 40). Auf einen bewaffneten Konflikt außerhalb der Herkunftsregion des Ausländers kann es hingegen nur ausnahmsweise ankommen. In diesem Fall muss der Betreffende stichhaltige Gründe dafür vorbringen, dass für ihn eine Rückkehr in seine Herkunftsregion ausscheidet und nur eine Rückkehr gerade in die Gefahrenzone in Betracht kommt (BVerwG, Urteil vom 14.07.2009 - 10 C 9.08 - juris Rn. 17).
28 
(3) Konnte ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt zumindest im tatsächlichen Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat festgestellt werden, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts weiter zu fragen, ob ihm dort infolgedessen auch eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben infolge willkürlicher Gewalt droht. Hierfür sind Feststellungen über das Niveau willkürlicher Gewalt bzw. zu der sogenannten Gefahrendichte erforderlich, d.h. (1.) eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen und (2.) der Akte willkürlicher Gewalt, die von den Konfliktparteien gegen Leib und Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie (3.) eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung. Hierzu gehört auch die Würdigung der medizinischen Versorgungslage in dem jeweiligen Gebiet, von deren Qualität und Erreichbarkeit die Schwere eingetretener körperlicher Verletzungen mit Blick auf die den Opfern dauerhaft verbleibenden Verletzungsfolgen abhängen kann. Im Übrigen können die für die Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts entwickelten Kriterien entsprechend herangezogen werden. In jedem Fall setzt § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG für die Annahme einer erheblichen individuellen Gefahr voraus, dass dem Betroffenen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Schaden an den Rechtsgütern Leib oder Leben droht. Gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG gilt auch für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG u.a. die Beweisregel des Art. 4 Abs. 4 QRL (ausführlich: BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 - juris Rn. 32 ff.; vgl. auch Dolk, Asylmagazin 12/2011, 418 ff., m.w.N.).
29 
(4) Bei der Prüfung, ob dem Ausländer zumindest in seiner Herkunftsregion aufgrund eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben droht, sind gegebenenfalls gefahrerhöhende persönliche Umstände zu berücksichtigen. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich. Liegen hingegen gefahrerhöhende persönliche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt. Zu diesen gefahrerhöhenden Umständen gehören in erster Linie solche persönlichen Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen - z.B. als Arzt oder Journalist - gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Dazu können aber nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts auch solche persönlichen Umstände gerechnet werden, aufgrund derer der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte - etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit - ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht schon eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt. Auch im Fall gefahrerhöhender persönlicher Umstände muss aber ein hohes Niveau willkürlicher Gewalt bzw. eine hohe Gefahrendichte für die Zivilbevölkerung in dem fraglichen Gebiet festgestellt werden. Allein das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts und die Feststellung eines gefahrerhöhenden Umstandes in der Person des Antragstellers reichen hierfür nicht aus. Allerdings kann eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr auch dann, wenn individuelle gefahrerhöhende Umstände fehlen, ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 18 ff.).
30 
(5) Schließlich darf für den Ausländer keine Möglichkeit internen Schutzes gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 8 QRL bestehen. Nach Art. 8 Abs. 1 QRL können die Mitgliedstaaten bei der Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz feststellen, dass ein Antragsteller keinen internationalen Schutz benötigt, sofern in einem Teil des Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung bzw. keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht und von dem Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil aufhält. Nach Absatz 2 der Norm berücksichtigen die Mitgliedstaaten bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Antragstellers zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag. Nach Absatz 3 der Norm kann Absatz 1 kann auch dann angewandt werden, wenn praktische Hindernisse für eine Rückkehr in das Herkunftsland bestehen. Zur Frage, wann von dem Ausländer „vernünftigerweise erwartet werden kann“, dass er sich in dem verfolgungsfreien Landesteil aufhält, verweist das Bundesverwaltungsgericht auf die Begründung zum Regierungsentwurf des Richtlinienumsetzungsgesetzes (BT-Drs. 16/5065 S. 185). Hier wird ausgeführt, dass dies dann der Fall sei, wenn der Ausländer am Zufluchtsort eine ausreichende Lebensgrundlage vorfinde, d.h. dort das Existenzminimum gewährleistet sei. Ausdrücklich offen gelassen wurde, welche darüber hinausgehenden wirtschaftlichen und sozialen Standards erfüllt sein müssen. Allerdings spreche einiges dafür, dass die gemäß Art. 8 Abs. 2 QRL zu berücksichtigenden allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftslandes - oberhalb der Schwelle des Existenzminimums - auch den Zumutbarkeitsmaßstab prägen (BVerwG, Urteil vom 29.05.2008 - 10 C 11.07 - juris Rn. 32/35). Dem schließt sich der Senat an, denn hierfür spricht im Übrigen auch der Umstand, dass andernfalls der richtlinienkonforme Ausschluss der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG für die Fälle des Art. 15 lit. c QRL über die an den internen Schutz gestellten Anforderungen unterlaufen würde (Hess. VGH, Urteil vom 25.08.2011 - 8 A 1657/10.A - juris Rn. 91). Nach diesen Grundsätzen bietet ein verfolgungssicherer Ort erwerbsfähigen Personen eine wirtschaftliche Lebensgrundlage etwa dann, wenn sie dort, sei es durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem angemessenen Lebensunterhalt Erforderliche erlangen können. Zu den danach zumutbaren Arbeiten gehören auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, beispielsweise in der Landwirtschaft oder auf dem Bausektor, ausgeübt werden können. Nicht zumutbar sind hingegen jedenfalls die entgeltliche Erwerbstätigkeit für eine kriminelle Organisation, die in der fortgesetzten Begehung von oder Teilnahme an Verbrechen besteht. Ein verfolgungssicherer Ort, an dem selbst das Existenzminimum nur durch derartiges kriminelles Handeln erlangt werden kann, kann keine innerstaatliche Fluchtalternative sein. Bei der Prüfung des internen Schutzes muss mithin insbesondere gefragt werden, ob der Betreffende seine Existenz am Ort der Fluchtalternative auch ohne förmliche Gewährung eines Aufenthaltsrechts und ohne Inanspruchnahme staatlicher Sozialleistungen in zumutbarer Weise - etwa im Rahmen eines Familienverbandes - und ohne ein Leben in der Illegalität, das ihn jederzeit der Gefahr polizeilicher Kontrollen und der strafrechtlichen Sanktionierung aussetzt, angemessen sichern kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 01.02.2007 - 1 C 24.06 - juris Rn. 11 f.).
31 
b) Entgegen der Auffassung des Klägers kann der Senat in seinem Fall nicht erkennen, dass derzeit die dargestellten Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vorliegen würden. Der Senat ist vielmehr auf der Grundlage der insoweit weitgehend übereinstimmenden aktuellen Erkenntnisquellen davon überzeugt, dass in der Heimatregion des Klägers, d.h. in Kabul, schon kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne von Art. 15 lit. c QRL (mehr) gegeben ist. Die dortige Sicherheitslage wird, abgesehen von einigen spektakulären Anschlägen, die sich jedoch primär auf „prominente Ziele“ gerichtet haben, relativ einheitlich als stabil und weiterhin deutlich ruhiger als noch etwa vor zwei Jahren bewertet. Vor der von dem Kläger zitierten Anschlagsserie hat es offenbar sogar eine praktisch anschlagsfreie Zeit von fast 18 Monaten gegeben (Lagebericht AA vom 10.01.2012, S. 12; Kermani, Die Zeit vom 05.01.2012, 11 f.; Asylmagazin 12/2011, 418). Der Senat vermag deshalb der von dem Kläger zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Gießen (Urteil vom 20.06.2011 - 2 K 499/11.GI.A - www.asyl.net) nicht zu folgen, die in der Begründung vor allem auf die Konfliktgebiete im Süden bzw. Osten Afghanistans Bezug nimmt, und daher hinsichtlich des Leitsatzes, in ganz Afghanistan herrsche ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, zu wenig regional differenziert. Im dortigen Fall ging es im Übrigen, wenig vergleichbar, um einen alleinstehenden Jugendlichen im Alter von 15 Jahren aus der doch recht anders gelagerten Herkunftsregion Wardak. Bezüglich Kabuls selbst hebt das Verwaltungsgericht im Wesentlichen auf fünf Anschläge zwischen Januar und Mai 2011 ab. Insoweit handelt es sich aber um Fälle "innerer Unruhen und Spannungen" im Sinne von Art. 2 des ZP II, die gerade nicht unter den Begriff des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts zu subsumieren sind. In Übereinstimmung hiermit hat auch der Hessische Verwaltungsgerichtshof entschieden, dass in Kabul, trotz gegebener Übergriffe, kein bewaffneter Konflikt von solcher Dichte herrscht, dass darauf § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG angewandt werden könnte. Jedenfalls resultiere hieraus für Rückkehrer keine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben infolge willkürlicher Gewalt (Urteil vom 16.06.2011 - 8 A 2011/10.A - juris). Der Senat kommt zum gegenwärtigen Zeitpunkt und für die Situation des Klägers zu derselben Einschätzung.
III.
32 
Im Falle des Klägers liegt auch der somit hilfsweise zu prüfende nationale Abschiebungsschutz derzeit nicht vor. Zu seinen Gunsten besteht kein Abschiebungsverbot (mehr) hinsichtlich Afghanistans gemäß des einheitlichen Streitgegenstands nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung.
33 
1. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (- EMRK -, BGBl 1952 II 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Über diese Norm werden die Schutzregeln der EMRK in innerstaatliches Recht inkorporiert. Sowohl aus Systematik als auch Entstehungsgeschichte folgt jedoch, dass es insoweit nur um zielstaatsbezogenen Abschiebungsschutz geht. Inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse, abgeleitet etwa aus Art. 8 EMRK, ziehen hingegen regelmäßig nur eine Duldung gemäß § 60 a Abs. 2 AufenthG nach sich. Bezüglich Art. 3 EMRK ist zudem die weitergehende und „unionsrechtlich aufgeladene“ Schutznorm des § 60 Abs. 2 AufenthG vorrangig, d.h. im vorliegenden Falle nicht zu prüfen (vgl. zu § 60 Abs. 5: Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 45 ff., m.w.N.). Ob im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG auch nach Umsetzung der Qualifikationsrichtlinie 2004/83/EG alle Gefährdungen grundsätzlich irrelevant sind, die von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen (so noch BVerwG, Urteil vom 15.04.1997 - 9 C 38.96 - zur Vorgängernorm des § 53 Abs. 4 AuslG, juris Rn. 10), kann vorliegend dahingestellt bleiben. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, welches Menschenrecht der EMRK im konkreten Fall des Klägers ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG begründen könnte.
34 
2. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kann von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn für ihn dort eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Allerdings sind Gefahren der die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG bei Abschiebestopp-Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Denn hinsichtlich des Schutzes vor allgemeinen Gefahren im Zielstaat soll Raum sein für ausländerpolitische Entscheidungen, was die Anwendbarkeit von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG insoweit grundsätzlich sperrt und zwar selbst dann, wenn diese Gefahren den einzelnen Ausländer zugleich in konkreter und individualisierbarer Weise betreffen (BVerwG, Urteil vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324). Aus diesem Normzweck folgt weiter, dass sich die „Allgemeinheit“ der Gefahr nicht danach bestimmt, ob diese sich auf die Bevölkerung oder bestimmte Bevölkerungsgruppen gleichartig auswirkt, wie das bei Hungersnöten, Seuchen, Bürgerkriegswirren oder Naturkatastrophen der Fall sein kann. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG kann vielmehr auch bei eher diffusen Gefährdungslagen greifen, etwa dann, wenn Gefahren für Leib und Leben aus den allgemein schlechten Lebensverhältnissen (soziale und wirtschaftliche Missstände) im Zielstaat hergeleitet werden. Denn soweit es um den Schutz vor den einer Vielzahl von Personen im Zielstaat drohenden typischen Gefahren solcher Missstände wie etwa Lebensmittelknappheit, Obdachlosigkeit oder gesundheitliche Gefährdungen geht, ist die Notwendigkeit einer politischen Leitentscheidung in gleicher Weise gegeben (BVerwG, Urteil vom 12.07.2001 - 1 C 5.01 - BVerwGE 115, 1). Für die Personengruppe, der der Kläger angehört, besteht eine solche politische Abschiebestopp-Anordnung gemäß § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG in Baden-Württemberg derzeit nicht (mehr), seit mit Schreiben des Innenministeriums Baden-Württemberg vom 15.04.2005 (geändert am 01.08.2005, vgl. 21. Fortschreibung vom 23.01.2009, Az.: 4-13-AFG/8) in Umsetzung entsprechender Beschlüsse der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder bezüglich der Rückführung afghanischer Staatsangehöriger entschieden wurde, dass „volljährige, allein stehende männliche afghanische Staatsangehörige, die sich zum Zeitpunkt der Beschlussfassung am 24. Juni 2005 noch keine sechs Jahre im Bundesgebiet aufgehalten haben, mit Vorrang zurückzuführen sind“. Im konkreten Einzelfall des Klägers greift die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG auch unter Berücksichtigung von Verfassungsrecht.
35 
a) Die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG greift aufgrund der Schutzwirkungen der Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nur dann ausnahmsweise nicht, wenn der Ausländer im Zielstaat landesweit einer extrem zugespitzten allgemeinen Gefahr dergestalt ausgesetzt wäre, dass er „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert“ würde (st. Rspr. des BVerwG, s. Urteile vom 29.09.2011 - 10 C 24.10 - juris Rn. 20, vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324 und vom 19.11.1996 - 1 C 6.95 - BVerwGE 102, 249 zur Vorgängerregelung in § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG). Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassung wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar ist (BVerwG, Urteil vom 29.09.2011 - 10 C 24.10 - juris Rn. 20). Das Vorliegen der Voraussetzungen ist im Wege einer Gesamtgefahrenschau zu ermitteln (BVerwG, Beschluss vom 23.03.1999 - 9 B 866.98 - juris Rn. 7).
36 
b) Im Fall einer allgemein schlechten Versorgungslage sind Besonderheiten zu berücksichtigen. Denn hieraus resultierende Gefährdungen entspringen keinem zielgerichteten Handeln, sondern treffen die Bevölkerung gleichsam schicksalhaft. Sie wirken sich nicht gleichartig und in jeder Hinsicht zwangsläufig aus und setzen sich aus einer Vielzahl verschiedener Risikofaktoren zusammen, denen der Einzelne in ganz unterschiedlicher Weise ausgesetzt ist und denen er gegebenenfalls auch ausweichen kann. Intensität, Konkretheit und zeitliche Nähe der Gefahr können deshalb auch nicht generell, sondern nur unter Berücksichtigung aller Einzelfallumstände beurteilt werden (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 13.11.2002 - A 6 S 967/01 - juris Rn. 48 ff.). Um dem Erfordernis des unmittelbaren - zeitlichen - Zusammenhangs zwischen Abschiebung und drohender Rechtsgutverletzung zu entsprechen, kann hinsichtlich einer allgemein schlechten Versorgungslage eine extreme Gefahrensituation zudem nur dann angenommen werden, wenn der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr in sein Heimatland in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien kann. Mit dem Begriff „alsbald“ ist dabei einerseits kein nur in unbestimmter zeitlicher Ferne liegender Termin gemeint (BVerwG, Urteil vom 27.04.1998 - 9 C 13.97 - juris Rn. 8). Andererseits setzt die Annahme einer extremen allgemeinen Gefahrenlage nicht voraus, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Ankunft im Abschiebezielstaat, eintreten. Eine extreme Gefahrenlage besteht auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert sein würde (BVerwG, Urteil vom 29.06.2010 - 10 C 10.09 - juris Rn. 15).
37 
c) Diese Voraussetzungen sind im Falle des Klägers heute jedenfalls nicht mehr gegeben. In Übereinstimmung mit anderen Obergerichten (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 06.05.2008 - 6 A 10749/07 - AuAS 2008, 188; Hess. VGH, Urteil vom 26.11.2009 - 8 A 1862/07.A - NVwZ-RR 2010, 331) hatte der Senat mit Urteil vom 14.05.2009 - A 11 S 610/08 - (DVBl 2009, 1327) entschieden, dass für Ausländer aus der Personengruppe der beruflich nicht besonders qualifizierten afghanischen männlichen Staatsangehörigen, die in ihrer Heimat ohne Rückhalt und Unterstützung durch Familie oder Bekannte sind und dort weder über Grundbesitz noch über nennenswerte Ersparnisse verfügen, aufgrund der katastrophalen Versorgungslage bei einer Abschiebung nach Kabul eine extreme Gefahrensituation im dargelegten Sinne bestehe. Das Bundesverwaltungsgericht hat (auch) diese Entscheidung mit Urteil vom 08.09.2011 - 10 C 16.10 - (juris) aufgehoben. Insbesondere die Feststellungen zum Vorliegen einer extremen Gefahr im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan verletzten Bundesrecht und würden einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht standhalten, denn die Entscheidung sei insbesondere hinsichtlich der festgestellten drohenden Mangelernährung und den damit verbundenen gesundheitlichen Risiken auf eine zu schmale Tatsachengrundlage gestützt. Das Bundesverwaltungsgericht betont: „‘Hunger‘ führt nicht zwangsläufig zum Tod, 'gesundheitliche Risiken' führen nicht notwendigerweise zu schwersten Gesundheitsschäden.“ Damit verfehle das Berufungsgericht den Begriff der Extremgefahr (so im Urteil vom 29.09.2011 - 10 C 23.10 - juris Rn. 24 bzgl. einer Parallelentscheidung des Hess.VGH). Bei der erneuten Befassung mit der Sache sei der Senat gehalten, sich auch mit der gegenteiligen Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte (insbesondere: Bay.VGH, Urteil vom 03.02.2011 - 13a B 10.30394 - juris) auseinanderzusetzen.
38 
Es sei dahingestellt, ob ein Obergericht revisionsrechtlich dazu verpflichtet werden kann, sich mit der abweichenden Einschätzung anderer Obergerichte auseinanderzusetzen (kritisch: Hess.VGH, Urteil vom 25.08.2011 - 8 A 1657/10.A - juris Rn. 77). Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof vertritt jedenfalls in dem zum besonderen Studium aufgegebenen Urteil die Auffassung, dass für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige angesichts der aktuellen Auskunftslage im Allgemeinen derzeit nicht von einer extremen Gefahrenlage auszugehen sei, die zu einem Abschiebungsverbot in entsprechender Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde. Zwar sei zweifellos von einer äußerst schlechten Versorgungslage in Afghanistan auszugehen. Im Wege einer Gesamtgefahrenschau sei jedoch nicht anzunehmen, dass dort alsbald der sichere Tod drohe oder schwerste Gesundheitsbeeinträchtigungen zu erwarten wären. Bei der Wirtschaftslage bzw. den ökonomischen Rahmenbedingungen würden durchaus positive Tendenzen gesehen. Es sei mit einem realen jährlichen Wirtschaftswachstum zwischen 6 und 8 % zu rechnen. Auch hätten bessere Ernten zu einer Verbesserung der Gesamtversorgungslage geführt. Zwar sei die Versorgung mit Wohnraum zu angemessenen Preisen in den Städten nach wie vor schwierig. Das Ministerium für Flüchtlinge und Rückkehrer bemühe sich jedoch um eine Ansiedlung der Flüchtlinge in Neubausiedlungen. Wenn es heiße, dass der Zugang für Rückkehrer zu Arbeit, Wasser und Gesundheitsversorgung häufig nur sehr eingeschränkt möglich sei, bedeute dies andererseits, dass jedenfalls der Tod oder schwerste Gesundheitsgefährdungen alsbald nach der Rückkehr nicht zu befürchten seien. Dies ergebe sich auch aus dem Afghanistan Report 2010 von amnesty international, wonach Tausende von Vertriebenen in Behelfslagern lebten, wo sie nur begrenzten Zugang zu Lebensmitteln und Trinkwasser, Gesundheitsversorgung und Bildung erhalten würden. Eine Mindestversorgung sei damit aber gegeben. Auch sei eine hinreichende zeitliche Nähe („alsbald“) zwischen Rückkehr und lebensbedrohlichem Zustand aufgrund von Mangelernährung, unzureichenden Wohnverhältnissen und schwieriger Arbeitssuche nicht ersichtlich. Insgesamt sei davon auszugehen, dass ein 25-jähriger lediger und gesunder Afghane, der mangels familiärer Bindungen keine Unterhaltslasten trage, auch ohne nennenswertes Vermögen und ohne abgeschlossene Berufsausbildung im Falle einer Abschiebung nach Kabul dort in der Lage wäre, durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen zu erzielen, damit ein Leben am Rande des Existenzminimums zu finanzieren und sich allmählich wieder in die afghanische Gesellschaft zu integrieren.
39 
Dies entspricht im Wesentlichen der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (vgl. Beschluss vom 26.10.2010 - 20 A 964/10.A -; Urteil vom 19.06.2008 - 20 A 4676/06.A - beide juris). Das Oberverwaltungsgericht vermochte dem Aspekt, dass positive Feststellungen zu den Modalitäten der Beschaffung des Lebensnotwendigen nicht zu treffen seien, kein entscheidendes Gewicht zu geben vor dem Umstand, dass die zahlreich vorliegenden Berichte für eine extreme Verelendung nichts hergeben würden, obwohl angesichts der hohen Rückkehrerzahlen aus den Nachbarländern und der Binnenfluchtbewegungen nicht davon ausgegangen werden könne, dass es an jeglichem Potential für Vergleichsfälle fehle (Urteil vom 19.06.2008, juris Rn. 80).
40 
Der Senat schließt sich der Rechtsprechung der zitierten Gerichte nunmehr an, weil auch er eine gewisse Verbesserung der allgemeinen Versorgungslage in Kabul - dem derzeit einzig möglichen Abschiebungsziel (Lagebericht AA v. 10.01.2012, S. 29 f.) - erkennen kann, die nach den strengen Maßstäben des Bundesverwaltungsgerichts im Rahmen einer wertenden Gesamtschau der Annahme einer alsbald nach der Abschiebung eintretenden Extremgefahr für gesunde ledige afghanische Männer auch ohne Vermögen oder lokale Familien- bzw. Stammesstrukturen entgegenstehen.
41 
Dem zentralen Argument des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen, dass Fälle extremer Verelendung von Rückkehrern dokumentiert sein müssten, vermag der Senat keine aussagekräftigen Erkenntnisquellen entgegen zu setzen; es lässt sich nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand nicht widerlegen. Insbesondere sind Erkenntnisquellen, die den Hungertod von Rückkehrern in Kabul dokumentieren, auch dem Senat nicht bekannt (ebenso: UNHCR vom 11.11.2011, 10 f.). Und in der Tat sind seit 2002 vor allem mit Hilfe des UNHCR insgesamt rund vier Millionen Flüchtlinge nach Afghanistan zurückgekehrt, wenn auch davon nur ca. 15.000 aus anderen Ländern als Pakistan und dem Iran (Gietmann, Asylmagazin 12/2011, 413, m.w.N.). Infolgedessen gehört Kabul heute zu den Städten mit dem weltweit stärksten Bevölkerungswachstum. Betrug die Einwohnerzahl 2001 noch rund 1,5 Millionen, wurde sie von der Stadtverwaltung im Juni 2010 auf über 5 Millionen geschätzt. Der Bevölkerungsanteil der Rückkehrer und Binnenvertriebenen wird auf 70 % geschätzt (Yoshimura, Asylmagazin 12/2011, 408, m.w.N.).
42 
Allerdings sind sämtliche Informationen, die der Senat über die Situation in der Stadt finden kann, durchaus ambivalent. Einerseits heißt es, 23 % der Bevölkerung lebten dort unterhalb der Armutsgrenze. Insgesamt seien die Lebenshaltungskosten in Kabul im Laufe der vergangenen Jahre um 30 bis 50 % gestiegen. Bewohner seien auch beim Erwerb zahlreicher, selbst legaler Güter des Alltags gezwungen, Bestechungsgelder zu bezahlen. Die Kriminalität und Gefahr, Opfer von Überfällen zu werden, sei hoch (Landinfo 2011, Part II, 17). Kabul würde einer Stadt im permanenten Ausnahmezustand ähneln (Dr. Danesch vom 07.10.2010, Logar, 3). Nur 55,9 % der Haushalte verfügten über Zugang zu sauberem Wasser. Zahlreiche Brunnen im Stadtgebiet seien aufgrund der steigenden Inanspruchnahme ausgetrocknet bzw. erschöpft (ai vom 29.09.2009, 2). Bezahlbarer Strom liege für ärmere Kabuler Familien außerhalb der finanziellen Möglichkeiten. Die Arbeitslosenrate in Kabul werde auf bis zu 50 % geschätzt. Infolge des Mangels an bezahlbarem Wohnraum würden sich zahllose Menschen gezwungen sehen, in prekären Unterkünften wie Lehmhütten, Zelten oder alten beschädigten Gebäuden zu hausen. Die Bewohner dieser „informellen Siedlungen“ würden außerhalb des sozialen Sicherheitsnetzes leben und ihren Lebensunterhalt durch Betteln, den Verkauf von Müll und andere gering bezahlte Tätigkeiten bestreiten müssen. Über Nacht entstünden neue Armenviertel und Slums, in denen es weder Kanalisation noch Müllentsorgung und kaum sauberes Wasser, Elektrizität oder medizinische Hilfe gebe. Die Zahl derer, die auf der Flucht vor Krieg, Rechtlosigkeit, Willkürherrschaft und Armut in die Städte strömten, vergrößere sich tagtäglich. Besonders dramatisch nehme deshalb gerade in Kabul die Zahl von Obdachlosen und Drogenabhängigen zu. Ohnehin befinde sich Afghanistan auf dem Weg in einen Drogenstaat. 2011 sei erneut ein Dürrejahr gewesen und vor allem im Norden, dem friedlichen Teil des Landes, herrsche Hunger. Zusammenfassend sei eine Rückkehr nach Kabul ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen schlicht unzumutbar (vgl. ai vom 20.12.2010; Asylmagazin 12/2011, 408-414, m.w.N.).
43 
Andererseits wird berichtet, gerade in Kabul existiere eine rege Bautätigkeit. In den vergangenen Jahren seien zahlreiche Immobilienprojekte in Angriff genommen worden. In Folge dessen gebe es nunmehr vor allem im Bausektor, wenn auch schlecht bezahlte Tageslohnarbeit. Viele Stadtteile Kabuls würden seit 2009 zwischenzeitlich 24 Stunden am Tag mit Strom versorgt. Seit kurzem boome in einigen Städten wie Kabul und Masar-i-Scharif der Handel. Geschäfte würden über Nacht eröffnet und man habe mittlerweile ein großes, kaum einen Wunsch offenlassendes Warenangebot. Die Lage sei nicht gut, aber sie sei besser geworden. Jedenfalls im Stadtzentrum sei auch die Armut nicht mehr so offensichtlich. Es gebe nicht mehr überall bettelnde Frauen in Burkas und keine Banden von Kindern, die sich an Klebstoff berauschten. Dafür hätten unzählige Kebab-Stände eröffnet. Überhaupt gebe es deutlich zahlreichere Geschäfte als noch vor wenigen Jahren und sogar eine Müllabfuhr sowie ein Mindestmaß an Ordnung bzw. überhaupt wieder so etwas wie ein Stadtleben. Auch die Sicherheitslage in Kabul sei, abgesehen von einigen spektakulären Anschlägen, unverändert stabil und weiterhin deutlich ruhiger als noch vor zwei Jahren (vgl. Lagebericht AA vom 10.01.2012; Kermani, Die Zeit vom 05.01.2012, 11 ff; Asylmagazin 12/2011, 408-414, m.w.N.).
44 
Vor diesem Hintergrund kann heute - trotz der ambivalenten Erkenntnisquellen - aufgrund der hohen Hürden des Bundesverwaltungsgerichts für die Annahme einer extremen allgemeinen Gefahrenlage für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige eine solche Extremgefahr nicht mehr begründet werden. Anders als noch 2009 sieht auch der Senat keine hinreichenden Anhaltspunkte mehr dafür, dass bei dieser Personengruppe im Falle der Abschiebung alsbald der Tod oder schwerste gesundheitliche Beeinträchtigungen zu erwarten wären. Die Einschätzung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, es sei vielmehr zu erwarten, dass Rückkehrer in Kabul durch Gelegenheitsarbeiten „ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren könnten“, trifft heute auch nach Überzeugung des Senats zu. Zwar dürfte aufgrund der schlechten Gesamtsituation ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen in der Tat eine Rückkehr nach Kabul selbst für gesunde alleinstehende Männer unter humanitären Gesichtspunkten kaum zumutbar sein. Diese Zumutbarkeit ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts jedoch kein zentraler Maßstab für die Bestimmung einer extremen Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
45 
Im Falle des Klägers sind schließlich auch keine hinreichenden individuellen Faktoren gegeben, die ausnahmsweise eine extreme Gefahrenlage begründen könnten. Der Kläger leidet derzeit unter keinen gesundheitlichen Beeinträchtigungen mehr und ist, wie seine Beschäftigung in einem Restaurant verdeutlicht, arbeitsfähig. Allein aufgrund des für die Verhältnisse in Afghanistan, wo junge Burschen häufig mit 15 Jahren verheiratet werden und ein 20-jähriger Mann meist bereits mehrere Kinder hat (so Dr. Danesch vom 07.10.2010, Paktia, S. 6), in der Tat fortgeschrittenen Alters kann deshalb keine extreme Gefahrenlage erkannt werden. Auf die von der Beklagten aufgeworfene Frage, ob es aufgrund der dem Kläger seit längerem und bis heute erteilten Duldungen an einer Schutzlücke für eine verfassungskonforme Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG oder gar schon dem Rechtsschutzinteresse fehlt (vgl. BVerwG, Urteile vom 12.07.2001 - 1 C 2.01 - BVerwGE 114, 378 und vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 12), kommt es damit nicht an.
III.
46 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO und § 83 b AsylVfG.
IV.
47 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein gesetzlicher Zulassungsgrund vorliegt (§ 132 Abs. 2 VwGO).

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 19. Dezember 2006 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Koblenz abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten beider Rechtszüge zu tragen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Der am … in Mazar-i Sharif geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger tadschikischer Volkszugehörigkeit. Er begehrt die Verpflichtung der Beklagten zu der Feststellung, dass in seinem Fall die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 AufenthG vorliegen.

2

Nachdem er nach eigenen Angaben am 31. März 2004 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland eingereist war, beantragte er unter dem 7. April 2004, als Asylberechtigter anerkannt zu werden.

3

Zur Begründung seines Asylbegehrens führte er in seiner Anhörung vom 20. April 2004 an, dass er gemeinsam mit seiner Schwester und seiner Mutter in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sei. Sein Vater sei etwa eine Woche vor der Ausreise verstorben. Der Kläger habe die Koranschule besucht und danach im Geschäft des Vaters mitgearbeitet. Dieser sei Teppichhändler gewesen. Die Familie habe sich in einer guten wirtschaftlichen Lage befunden. Vor der Ausreise habe sein Vater allerdings etwa 60.000 Dollar Schulden gehabt. Die Gläubiger hätten die Familie bedroht. Grund für die Schulden sei gewesen, dass drei Ladungen Teppiche auf dem Weg nach Pakistan gestohlen worden seien. Ein Freund seines Vaters habe die Ausreise organisiert. Hierzu habe der Kläger aus dem Haus der Familie Geld geholt, das dort versteckt gewesen sei. An den Schlepper habe die Familie 20.000 Dollar bezahlt. Die Verwandten des Klägers lebten in Deutschland oder der Türkei.

4

Mit Bescheid vom 15. November 2005 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Klägers als Asylberechtigter ab und stellte fest, dass in seinem Fall die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 sowie des § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen. Sie forderte den Kläger zur Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland auf und drohte ihm die Abschiebung nach Afghanistan an.

5

Am 1. Dezember 2005 hat der Kläger Klage erhoben, die er auf die Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beschränkt hat.

6

Mit Urteil vom 19. Dezember 2006 hat das Verwaltungsgericht die Beklagte zu der Feststellung verpflichtet, dass im Falle des Klägers die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Afghanistan vorliegen und den Bescheid der Beklagten vom 15. November 2005 insoweit aufgehoben, als er dieser Feststellung entgegensteht. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht darauf abgestellt, dass der Kläger bei einer Rückkehr in sein Heimatland wegen der dortigen unzureichenden Versorgungslage einer extremen Gefahr ausgesetzt wäre.

7

Zur Begründung ihrer vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Berufung hat die Beklagte angeführt, dass die vom Verwaltungsgericht angenommene extreme Gefahrenlage nicht vorliege. Die Sicherheits- und Versorgungslage insbesondere im Raum Kabul sei nicht derart schlecht, dass der Kläger bei einer Rückkehr dorthin gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde. Für einen jungen, gesunden und arbeitsfähigen Mann wie den Kläger sei davon auszugehen, dass er im Raum Kabul eine vergleichsweise stabile Existenz sichern könne.

8

Der Kläger ist der Berufung unter Verweis auf die Begründung des verwaltungsgerichtlichen Urteils entgegengetreten.

9

Mit Urteil vom 6. Mai 2008 hat das Oberverwaltungsgericht die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es angeführt, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan in hinreichender zeitlicher Nähe in einen unausweichlich lebensbedrohlichen Zustand geraten würde. Er könne seinen Lebensunterhalt weder aus eigener Kraft noch durch Zuwendungen Dritter bestreiten. Auch ein Zugang zu medizinischer Versorgung sei nahezu ausgeschlossen. Insoweit gerate er zwangsläufig in einen fortschreitenden Prozess körperlichen Verfalls mit lebensbedrohlichen Folgen.

10

Auf die Revision der Beklagten hat das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 29. Juni 2010 – 10 C 9.09 − die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

11

Die Beklagte führt im weiteren Verfahren ergänzend aus, dass im Falle des Klägers auch kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG anzuerkennen sei. Im Herkunftsgebiet des Klägers, dem Bereich um die Stadt Mazar-i Sharif könne nicht von dem Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgegangen werden. Zudem sei angesichts der Strukturen in der afghanischen Gesellschaft damit zu rechnen, dass der Kläger Unterstützung durch einen Stammes- oder Familienverband finden werde.

12

Die Beklagte beantragt,

13

unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 19. Dezember 2006 die Klage insgesamt abzuweisen.

14

Der Kläger beantragt,

15

die Berufung mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass vorrangig das Vorliegen eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungshindernisses festgestellt wird.

16

Er ist der Auffassung, dass die eingeholten Gutachten die Einschätzung des Oberverwaltungsgerichts in seinem Urteil vom 6. Mai 2008 bestätigten. Er laufe Gefahr, bei einer Rückkehr in sein Heimatland an Mangelernährung zu sterben.

17

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung von Gutachten der Sachverständigen P. R., Dr. B. G. sowie Dr. K. L. und durch Einholung einer amtlichen Auskunft des Auswärtigen Amtes. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.

18

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, die Verwaltungsakte sowie die in das Verfahren eigeführten Erkenntnismittel verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe

19

Die zulässige Berufung hat Erfolg.

20

Die Klage ist in vollem Umfang abzuweisen.

21

Dem Kläger steht weder ein Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG zu, noch sind in seinem Fall die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG gegeben.

22

1. In die Entscheidung des Senates waren – worauf bereits das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil hingewiesen hat – die Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG vorrangig vor dem Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, zu dessen Feststellung das Verwaltungsgericht die Beklagte verpflichtet hat, einzubeziehen.

23

Die unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbote, zu denen neben § 60 Abs. 2 und 3 AufenthG auch § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG gehört und deren Grundlagen sich aus Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes - Qualifikationsrichtlinie – ergeben, sind mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union - Richtlinienumsetzungsgesetz - (BGBl. I 2007, 1970) im August 2007 Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Ablehnungsbescheid der Beklagten – wie hier − sämtliche zielstaatsbezogenen ausländerrechtlichen Abschiebungsverbote erfasst und der Kläger die unionsrechtlichen Abschiebungsverbote in sein Verfahren einbezogen hat. Die unionsrechtlichen Abschiebungsverbote bilden einen eigenständigen, vorrangig vor den nationalen Abschiebungsverboten zu prüfenden Streitgegenstand (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 – 10 C 4/09 ─, BVerwGE 136, 360 und juris, Rn. 16; Urteil vom 29. Juni 2010 - 10 C 10.09 -, BVerwGE 137, 226 und juris, Rn. 6).

24

2. Im Falle des Klägers liegen indessen die Voraussetzungen eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbotes nicht vor.

25

a. Was die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 2 oder 3 AufenthG angeht, so hat sich der Kläger nicht hierauf berufen. Es ergeben sich auch ansonsten keine Hinweise darauf, dass er bei seiner Rückkehr der Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung sowie der Gefahr der Todesstrafe ausgesetzt wäre. Soweit er die Befürchtung geäußert hat, er könne von den Gläubigern seines Vaters misshandelt werden, kann es – ungeachtet der Frage, wie derartige Übergriffe Privater rechtlich einzuordnen sind – nicht als beachtlich wahrscheinlich angesehen werden, dass der Aufenthaltsort des Klägers bei einer Rückkehr von diesen Personen ermittelt und er von ihnen aufgegriffen werden kann.

26

b. Auch die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG liegen nicht vor.

27

aa. Nach dieser Vorschrift ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist.

28

Im Falle des Klägers kann dahinstehen, ob in seiner Herkunftsregion, der Provinz Balkh, ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne dieser Vorschrift vorliegt. Denn jedenfalls kann nicht festgestellt werden, dass er infolge eines solchen Konfliktes einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt wäre. Eine mögliche bewaffnete Auseinandersetzung erreicht in der Provinz Balkh keine solche Gefahrendichte, dass sich aus der allgemeinen Lage bereits eine individuelle ernsthafte Bedrohung für jede Person ergibt, die sich dort aufhält.

29

bb. Was eine sich im Rahmen einer allgemeinen Gefahrenlage bestehende Bedrohung angeht, so ist § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG zunächst richtlinienkonform dahin auszulegen, dass der bei Vorliegen des subsidiären Schutzes nach Art. 15 Buchst. c der Qualifikationsrichtlinie, der durch § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG in nationales Recht umgesetzt wurde, keine Sperrwirkung entfaltet. Der Betroffene muss sich bei einer allgemeinen Gefahr nicht mit der in § 60 a Abs. 1 AufenthG vorgesehenen Aussetzung der Abschiebung zufriedengeben, da ihm nach Art. 24 Abs. 2 der Qualifikationsrichtlinie ein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zusteht (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2008 - 10 C 43.07 -, BVerwGE 131, 191 und juris, Rn. 31).

30

cc. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit dann anzunehmen, wenn der Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht hat, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das Land oder die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften Bedrohung ausgesetzt zu sein. Mit einer solchen Auslegung wird dem Erwägungsgrund 26 der Qualifikationsrichtlinie Rechnung getragen, wonach Gefahren, denen die Bevölkerung oder eine Bevölkerungsgruppe allgemein ausgesetzt ist, für sich genommen normalerweise keine individuelle Bedrohung darstellen. Hiernach verlangt eine dennoch erfolgende Berücksichtigung eine Ausnahmesituation mit einem hohen Gefahrengrad. Hingegen kann der zur Gewährung subsidiären Schutzes erforderliche Grad willkürlicher Gewalt umso geringer sein, je mehr der Betroffene zu belegen vermag, dass er aufgrund von in seiner persönlichen Situation innewohnenden Umstände in besonderem Maße hierdurch betroffen ist (vgl. EuGH, Urteil vom 17. Februar 2009 - Rechtssache C-465/07 Elgafaji, Rn. 35 bis 39).

31

Für die Annahme einer entsprechenden Bedrohung ist dabei auch nach nationalem Recht erforderlich, dass sie durch willkürliche Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen Konfliktes ausgelöst wird. Das entsprechende Tatbestandsmerkmal von Art. 15 Buchst. c der Qualifikationsrichtlinie ist auch Bestandteil der gesetzlichen Regelung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG geworden. Wie sich der Begründung des Regierungsentwurfs zu diesem Gesetz entnehmen lässt (BT-Drs. 16/5065, S. 187), war es Absicht des Gesetzgebers, den Tatbestand des Art. 15 Buchst. c der Qualifikationsrichtlinie und damit auch das Erfordernis willkürlicher Gewalt in vollem Umfang in nationales Recht umzusetzen (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 - 10 C 4.09 -, a.a.O. und juris, Rn. 32). Von willkürlicher Gewalt ist auszugehen, wenn sich die in Frage stehende Gewalt auf Personen ungeachtet ihrer persönlichen Situation erstrecken kann (vgl. EuGH, Urteil vom 17. Februar 2009, a.a.O., Rn. 34).

32

Hiernach ist dann ein besonders hohes Maß willkürlicher Gewalt erforderlich, wenn keine persönlichen gefahrerhöhenden Umstände vorliegen. Liegen solche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt. Zu den gefahrerhöhenden Umständen gehören solche persönlichen Besonderheiten, die den Rückkehrer von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, wie etwa eine berufliche Verpflichtung sich in Gefahrennähe aufzuhalten. Hierzu können aber auch persönliche Umstände gerechnet werden, wie etwa die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion oder Ethnie, aufgrund derer der Betroffene zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte ausgesetzt ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 - 10 C 4.09 -, a.a.O. und juris, Rn. 33; Urteil vom 17. November 2011 – 10 C 13/10 −, juris Rn. 18). Beschränkt sich ein bewaffneter Konflikt auf einzelne Landesteile, so kommt eine individuelle Bedrohung in der Regel nur in Betracht, wenn der Konflikt sich auf die Herkunftsregion des Betroffenen erstreckt, in die er typischerweise zurückkehren muss. Bei der Feststellung, ob eine entsprechende individuelle erhebliche Gefahr gegeben ist, ist eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, erforderlich, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden. Weiterhin bedarf es einer wertenden Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen bei der Zivilbevölkerung (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 - 10 C 4.09 -, a.a.O. und juris, Rn. 33). Die entsprechende Gefahr muss dem Betroffenen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. November 2011, a.a.O., juris Rn. 20). Was die im Rahmen der Gesamtbetrachtung zu berücksichtigende quantitative Beurteilung angeht, hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 17. November 2011 (- 10 C 13/10 -, juris Rn. 22 f.) das Risiko, bei innerstaatlichen Auseinandersetzungen mit einer Wahrscheinlichkeit von 1 : 800 verletzt oder getötet zu werden, als für die Annahme einer individuellen Gefahr keinesfalls hinreichend angesehen.

33

dd. Nach diesen Kriterien ist der Kläger aufgrund der allgemeinen Situation in seiner Herkunftsprovinz keiner individuellen Bedrohung ausgesetzt.

34

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist insgesamt dadurch gekennzeichnet, dass es landesweit in unterschiedlicher Intensität zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen afghanischen Regierungstruppen und der unter Führung der NATO operierenden internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe (ISAF) auf der einen sowie den Taliban und anderen bewaffneten Gruppen auf der anderen Seite kommt. Das Land ist durch eine andauernde Instabilität geprägt. Insgesamt ist in den Jahren 2010 und 2011 eine Verschlechterung der Sicherheitslage festzustellen. Die Zahl der Anschläge hat sich im Jahr 2010 im Vergleich zum Vorjahr um 65 % erhöht. Während nach wie vor ein Schwerpunkt der sicherheitsrelevanten Zwischenfälle im Land in den südlichen und südöstlichen Regionen festzustellen ist, lässt sich gleichzeitig eine stärkere geografische Verteilung entsprechender Vorfälle konstatieren (vgl. UNHCR, Gutachten vom 11. November 2011 an das OVG Rheinland-Pfalz; ders., Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylbewerber vom 21. März 2011; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update - Die aktuelle Sicherheitslage vom 23. August 2011). Die für das Jahr 2010 genannte Zahl getöteter Zivilpersonen schwankt in einzelnen Quellen zwischen 2.428 (amnesty international, Report 2011 Afghanistan vom 18. August 2011) und 2.777 (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update - Die aktuelle Sicherheitslage vom 23. August 2011). Landesweit ist im 1. Halbjahr 2011 ein Anstieg der Zahl der getöteten Zivilsten um 15 % festzustellen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update - Die aktuelle Sicherheitslage vom 23. August 2011). Für das gesamte Jahr 2011 wird eine Zahl von 3021 ziviler Todesopfer genannt (United Nations Assistance Mission in Afghanistan – UNAMA, Annual Report 2011, Februar 2012), so dass erneut von einem beträchtlichen Anstieg auszugehen ist. Die Zahl der im Land insgesamt gemeldeten Angriffe bewaffneter oppositioneller Gruppierungen belief sich im Jahr 2011 auf 13.983 (The Afghanistan NGO Safety Office – ANSO, Quaterly Data Report Q.4 2011, Januar 2012).

35

Demgegenüber zeigt sich in der Provinz Balkh durch die Anwesenheit internationaler Organisationen und Militärs ein vergleichsweise sicheres Umfeld. Als problematisch hat sich in den vergangenen Jahren eher die hohe Kriminalitätsrate erwiesen. Die Situation in dieser Region wird als vergleichsweise friedlich eingeschätzt. Sie gehört zu den Provinzen, die in den zurückliegenden Jahren vom Konflikt am wenigsten betroffen waren (D-A-CH Kooperation Asylwesen Deutschland – Österreich – Schweiz, Sicherheitslage in Afghanistan, Juni 2010). War in den Jahren 2009 und 2010 im Verantwortungsbereich des Regionalkommandos Nord, zu dem auch die Provinz Balkh gehört und das in der Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif seinen Sitz hat, ein signifikanter Anstieg der Auseinandersetzungen festzustellen, kam es im ersten Halbjahr 2011 wieder zu einem Rückgang der Übergriffe um 50 %. Dabei ist es den afghanischen Sicherheitskräften und den ISAF-Einheiten gelungen, in den Regionen Kundus und Nord-Baghlan die regierungsfeindlichen Kräfte weitgehend aus ihren traditionellen Hochburgen zu verdrängen. Auch in den nordwestlichen Provinzen und damit in Balkh konnten – wenn auch nicht in diesem Ausmaß − militärische Fortschritte erzielt werden (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 10. Januar 2012). Mit diesem Vorgehen dürfte auch der seit 2008 feststellbaren und als problematisch angesehenen Infiltration des Nordens Afghanistans durch regierungsfeindliche Gruppierungen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update Die aktuelle Sicherheitslage vom 23. August 2011) entgegengewirkt worden sein. In der Provinz Balkh ereigneten sich im Jahr 2010 183 Angriffe oppositioneller bewaffneter Gruppierungen. Diese Anzahl ging im Jahr 2011 auf 144 zurück (ANSO, Quarterly Data Report, 4/2011, Januar 2012).

36

Bei einer Bevölkerungszahl in der Provinz von 1,2 Mio. Einwohnern, die sich auf 17.000 km² erstreckt (71 Einwohner pro km²; vgl.: D-A-CH-Kooperation Asylwesen Deutschland – Österreich − Schweiz, Sicherheitslage in Afghanistan, Juni 2010), entfiel bei 144 registrierten Anschlägen oppositioneller Gruppierungen ein solcher Vorfall auf etwa 8300 Einwohner. Demgegenüber ereignet sich in Afghanistan insgesamt bei etwa 31 Mio. Einwohnern und 13.983 Übergriffen landesweit (ANSO, Quarterly Data Report, 4/2011, Januar 2012) ein Angriff je 2.200 Einwohner. Wenngleich auf die Region bezogene Opferzahlen nicht ersichtlich sind, so kann doch aus der allgemeinen Einschätzung der Sicherheitslage und der vergleichsweise niedrigen Zahl der Anschläge geschlossen werden, dass nur eine geringe Wahrscheinlichkeit besteht, in einen derartigen Vorfall als Zivilperson einbezogen zu werden und damit einer ernsthaften Gefährdung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit ausgesetzt zu sein.

37

Angesichts dieser Gesamtsituation wirkt es sich auch nicht zugunsten des Klägers aus, dass die medizinische Versorgungslage in Afghanistan – insbesondere in ländlichen Bereichen − weiterhin als unzureichend angesehen werden muss und ein Zugang zu Gesundheitseinrichtungen nicht gewährleistet ist (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes, Januar 2012; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update vom 23. August 2011). Vielmehr lässt sich schon allein anhand der Gefahrendichte feststellen, dass sich nicht für jeden Rückkehrer allein wegen seines Aufenthaltes in der Provinz eine ernsthafte individuelle Bedrohung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ergibt, so dass es insoweit nicht mehr entscheidend darauf ankommt, ob die Folgen einer Verletzung durch eine schnelle und wirksame medizinische Behandlung gemindert werden können (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. November 2011, a.a.O., juris Rn. 23).

38

ee. Besondere persönliche Umstände, die sich gefahrerhöhend auswirkten, sind im Falle des Klägers ebenfalls nicht ersichtlich. Er gehört in seiner Heimatregion der Bevölkerungsmehrheit der Tadschiken an. Soweit der Kläger in seinem Asylverfahren darauf verwiesen hat, dass die Familie von den Gläubigern seines Vaters bedroht worden sei, steht dieser Vorfall in keinem Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen zwischen regierungsfeindlichen Gruppierungen und den Sicherheitskräften sowie den ISAF-Einheiten.

39

3. Kann hiernach auch das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nicht festgestellt werden, so gilt dies gleichermaßen für das gegenüber den unionsrechtlichen Abschiebungsverboten nachrangig zu prüfende nationale Abschiebungsverbot in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 und Satz 3 AufenthG.

40

a. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für ihn eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Nach Satz 3 dieser Regelung sind Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Der Kläger beruft sich indessen im Wesentlichen gerade auf die allgemein ungünstigen Verhältnisse in seinem Heimatland. Bei diesen der Bevölkerung allgemein drohenden Gefahren gilt nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG jedoch der Vorrang einer politischen Leitentscheidung im Wege einer generellen Aussetzung der Abschiebung. Soweit der Kläger daneben auf die Gefahr abstellt, Opfer der Gläubiger seines Vaters zu werden, fehlt es bereits an hinreichenden Anhaltspunkten, dass er als dessen Sohn mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von diesen Personen ausfindig gemacht werden kann.

41

Die nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG bestehende Sperrwirkung ist allerdings im Wege der verfassungskonformen Auslegung dann einzuschränken, wenn der Ausländer bei einer Rückkehr in sein Heimatland eine extreme Gefahrenlage dergestalt zu gewärtigen hätte, dass er gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgesetzt sein würde und die obersten Landesbehörden von der nach § 60 a Abs. 1 AufenthG bestehenden Ermächtigung, die Abschiebung auszusetzen, keinen Gebrauch gemacht haben (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 1995 - 9 C 9.95 -, BVerwGE 99, 324 und juris, Rn. 14; Urteil vom 12. Juli 2001 - 1 C 5.01 -, BVerwGE 115, 1 und juris, Rn. 16; Urteil vom 29. September 2011 - 10 C 24.10 - juris, Rn. 19). Die Gefahrenlage muss landesweit bestehen (VGH BW, Urteil vom 14. Mai 2009 - A 11 S 610/08 -, juris, Rn. 20).

42

Was die für die Abweichung von der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG erforderliche Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahr angeht, so ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes von einem gegenüber dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Die extremen Gefahren müssen dem Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Zudem müssen sich die Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Dies bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert sein würde (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. September 2011, a.a.O., juris, Rn. 15).

43

b. Im Falle des Klägers kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Anforderungen an das Vorliegen einer extremen Gefahrenlage bei einer Rückkehr nach Afghanistan erfüllt sind.

44

Jedenfalls bei einer Rückkehr nach Kabul ist nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit mit seinem alsbaldigen Tod oder schwersten gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu rechnen. Dabei verkennt das Gericht nicht, dass Afghanistan durch eine problematische wirtschaftliche Situation geprägt ist, die zu einer schwierigen Versorgungslage führt. Afghanistan ist eines der ärmsten Länder der Welt. Die verbreitete Armut führt landesweit nach wie vor vielfach zu Mangelernährung. Im Jahr 2011 war die Getreideernte nach überdurchschnittlichen Ernten in den Jahren 2009 und 2010 wieder signifikant niedriger als in den Vorjahren. Staatliche soziale Sicherungssysteme existieren praktisch nicht. Die soziale Absicherung liegt traditionell bei den Familien- und Stammesverbänden. Der IWF rechnet indessen für das laufende afghanische Fiskaljahr mit einem Wachstum von 8 % des Bruttoinlandsproduktes außerhalb des Landwirtschaftssektors. Langfristig rechnen Experten bis zum Jahr 2030 mit einer durchschnittlichen jährlichen Steigerungsrate von 5 % (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 10. Januar 2012), so dass sich mittelfristig die Perspektive einer Besserung der Verhältnisse ergibt. Erwerbsmöglichkeiten sind für einen Großteil der Bevölkerung nur eingeschränkt vorhanden. Die Arbeitslosenrate liegt bei etwa 40 %. Etwa 80 % der Bevölkerung sind in der Landwirtschaft tätig. Selbst nicht arbeitslose Afghanen erzielen durch ihre Arbeit nur in 13,5 % der Fälle regelmäßige Einkünfte. Unproblematisch ist die Situation lediglich für hochqualifizierte Kräfte wie Ingenieure, Finanz- und Verwaltungsfachleute. Für die Möglichkeit, seinen Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit sicherzustellen, kommt es wesentlich auf die Einbindung des Betroffenen in den erweiterten Familien- oder Bekanntenkreis an, der auch das soziale Sicherheitsnetz begründet (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft vom 31. Oktober 2011 an das OVG Rheinland-Pfalz; UNHCR, Auskunft vom 11. November 2011 an das OVG Rheinland-Pfalz; Dr. L., Stellungnahme vom 8. Juni 2011 an das OVG Rheinland-Pfalz; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update - Die aktuelle Sicherheitslage vom 23. August 2011 -).

45

Dem Kläger droht indes auch vor dem Hintergrund der geschilderten allgemeinen Lage in der Hauptstadt Kabul keine extreme Gefahrenlage. Die Lage dort ist durch eine positive Wirtschaftsentwicklung geprägt. Dies führt allerdings dazu, dass sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt wegen der steigenden Zahl der Binnenvertriebenen und der wirtschaftlichen Migration aus anderen Landesteilen weiter verschärft. Weitere Folge dieser starken Zuwanderung aus anderen Landesteilen ist, dass die Lebenshaltungskosten und damit die Kosten für eine Unterkunft bedeutend höher liegen als in anderen Landesteilen (vgl. Gutachterliche Stellungnahme von Dr. K. L. an das OVG Rheinland-Pfalz vom 09. Juni 2011; Gutachten des UNHCR an das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz vom 11. November 2011).

46

Als unwahrscheinlich ist zudem die Option anzusehen, dass der Kläger nach seiner Rückkehr eine Arbeitsstelle findet, die seinen Lebensunterhalt dauerhaft gewährleistet. Vielmehr wird er voraussichtlich darauf angewiesen sein, sich als Tagelöhner zu verdingen (vgl. Gutachten von P. R. an das OVG Rheinland-Pfalz vom 15. Januar 2008). Grundlage hierfür ist insbesondere der Bauboom in der Hauptstadt, der die entsprechenden Möglichkeiten erheblich ausgeweitet hat. Bei der Arbeitssuche kommt überdies der Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppierung in der Hauptstadt, da diese multiethnisch und kosmopolitisch geprägt ist, keine so große Bedeutung zu, wie es in der Provinz der Fall ist (Gutachten von Dr. B. G. an das OVG Rheinland-Pfalz vom 31. August 2008). Insoweit wird der Kläger nicht in gleichem Maße auf die Unterstützung durch seinen Stammes- oder Familienclan angewiesen sein, wie dies in anderen Regionen seines Heimatlandes der Fall wäre.

47

Was die Möglichkeit angeht, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, so ist in seinem Falle weiterhin zu berücksichtigen, dass er alleinstehend ist und daher nicht in der Verantwortung steht, den Unterhalt von Ehefrau oder Kindern gleichfalls sicherzustellen. Hiernach ist aber bereits nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Kläger bei einer Rückkehr in sein Heimatland ohne Unterstützung durch Familien- oder Stammesangehörige nicht in der Lage wäre, durch eine - wenn auch unregelmäßige - Erwerbstätigkeit seinen Lebensunterhalt zumindest in bescheidenem Umfang durch eine Tagelöhnertätigkeit zu erzielen (vgl. Amtliche Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz vom 31. Oktober 2011). Insoweit ergibt sich auch keine ernstliche Verschlechterung der Situation dadurch, dass er sich längere Zeit, nämlich seit dem Jahre 2004, außerhalb seines Heimatlandes aufgehalten hat. Selbst wenn sich hieraus eine Erschwernis bei der Arbeitssuche ergeben sollte (vgl. Amtliche Auskunft des Auswärtigen Amtes an das OVG RP vom 31. Oktober 2011), so besteht jedoch keine Einschränkung der Eignung für einfache körperliche Tätigkeiten. Insoweit sind es gerade junge, kräftige Männer, die am ehesten die Chance haben, sich auf dem Arbeitsmarkt für Tätigkeiten durchzusetzen, bei denen harte körperliche Arbeit gefragt ist (vgl. Gutachten von Dr. Mostafa Danesch an den HessVGH vom 07. Oktober 2010 – Logar). Was den Kläger angeht, kommt hinzu, dass er vor seiner Ausreise im Teppichhandel seines Vaters mitgeholfen und dadurch Erfahrungen im Wirtschaftsleben seines Heimatlandes erworben hat.

48

Auch die allgemeine Versorgungslage in Afghanistan lässt nicht zwingend den Schluss zu, dass der Kläger als alleinstehender junger Mann bei einer Rückkehr mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Zwar ist in Afghanistan etwa ein Drittel der Bevölkerung von Mangelernährung betroffen, die dadurch gekennzeichnet ist, dass den Betroffenen keine ausreichende Nahrung für ein gesundes und aktives Leben zur Verfügung steht (Stellungnahme des UNHCR vom 11. November 2011 an das OVG Rheinland-Pfalz). Dies bedeutet indessen nicht, dass bei diesem Bevölkerungsanteil bereits gesundheitliche Beeinträchtigungen in erheblichem Ausmaß eingetreten sind. Vielmehr wird damit lediglich zum Ausdruck gebracht, dass bei etwa einem Drittel der afghanischen Bevölkerung die Gefahr gesundheitlicher Beeinträchtigung durch Mangelernährung besteht. Die von Frau Dr. T. in der mündlichen Verhandlung vom 06. Mai 2008 geschilderten Folgen der Mangelernährung können in einem solchen Fall eintreten; sie sind aber nicht zwingend. Hinzu kommt, dass es auch bei der Gefahr von Armut und Mangelernährung demographische Risikogruppen gibt. Bei der Definition der Begriffe der absoluten Armut (1 Dollar und weniger pro Tag), von der etwa 36 % der Afghanen betroffen sind, und des Lebens knapp über der Armutsgrenze (2 bis 3 Dollar), das 37 % der afghanischen Bevölkerung führen, wird auf die Verhältnisse einer sechs- bis achtköpfigen Großfamilie abgestellt (vgl. Gutachten von Dr. M. D. an den Hessischen VGH vom 07. Oktober 2010 – Logar). Dies bestätigt aber die Annahme, dass gerade nicht junge, alleinstehende Männer, sondern eher Familien mit mehreren Kindern in besonderem Maße in Afghanistan existentiell gefährdet sind.

49

Da der Kläger nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit der Gefahr ernsthafter gesundheitlicher Beeinträchtigungen ausgesetzt ist, kann bei ihm, der keine Vorerkrankungen dargelegt hat, auch nicht mit einer alsbald nach der Rückkehr drohenden extremen Gefahrenlage allein wegen der – insbesondere in ländlichen Bereichen – unzureichenden medizinischen Versorgungslage in Afghanistan (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes, Januar 2012; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update vom 23. August 2011) gerechnet werden.

50

Insgesamt kann hiernach zwar nicht ausgeschlossen werden, dass der Kläger in seinem Heimatland in eine ernsthafte Gefahrenlage gerät, für deren alsbald nach der Rückkehr erfolgenden Eintritt spricht aber keine hohe Wahrscheinlichkeit.

51

Die Ansicht, dass für junge, männliche afghanische Staatsangehörige, die beruflich nicht besonders qualifiziert sind und nicht auf den Rückhalt von Familie oder Bekannten zurückgreifen können, in Kabul keine extreme Gefahrensituation besteht, wird von der überwiegenden Zahl der Obergerichte geteilt (vgl. VGH BW, Urteil vom 06. März 2012 – A 11 S 610/08 −; BayVGH, Urteil vom 03. Februar 2011 – 13a B 10.30394 −, juris Rn. 37; OVG NW, Urteil vom 19. Juni 2008 – 20 A 4676/06.A −, juris Rn. 68 und Beschluss vom 26. Oktober 2010 – 20 A 964/10.A −, juris Rn. 7; OVG SH, Urteil vom 10. Dezember 2008 – 2 LB 23/08 −, juris Rn. 34; a.A. wohl: HessVGH, Urteil vom 25.08.2011 – 8 A 1659/10.A −, Juris Rn. 93 ).

52

Was einen möglichen Aufenthalt des Klägers in Kabul angeht, so liegen auch in diesem Bereich die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nicht vor. Ausweislich des Lageberichtes des Auswärtigen Amtes vom 10. Januar 2012 kann die Sicherheitslage in Kabul weiterhin als stabil angesehen werden. Zwar hätten sich seit Januar 2011 in der Hauptstadt mehrere spektakuläre Selbstmordanschläge ereignet. Zuvor sei es allerdings über einen Zeitraum von fast 18 Monaten hinweg zu praktisch keinerlei Anschlägen gekommen. Es handelte sich um einzelne spektakuläre Anschläge auf exponierte Ziele (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update - Die aktuelle Sicherheitslage vom 23. August 2011). Insgesamt waren 71 Tote in der Zivilbevölkerung Kabuls zu verzeichnen, wovon 67 Personen Opfer von sechs Selbstmordanschlägen wurden (vgl. UNAMA, Afghanistan, Annual Report 2011, Februar 2012). Diese Umstände sprechen bereits dagegen, in Kabul einen innerstaatlichen bewaffneten Konflikt anzunehmen (vgl. VGH BW, Urteil vom 06. März 2012 – A 11 S 3177/11 −). Jedenfalls ergibt sich aber keine erhebliche Gefahr für jeden Rückkehrer, Opfer einer bewaffneten Auseinandersetzung zu werden. Bei einer Gesamteinwohnerzahl von etwa 3,5 bis 4,5 Mio. Menschen (D-A-CH-Kooperation Asylwesen Deutschland – Österreich – Schweiz, Sicherheitslage in Afghanistan, Juni 2010) und einer Konzentration der Übergriffe auf wenige Vorfälle fehlt es an der erforderlichen Gefahrendichte.

53

Die von der Beklagten verfügte Abschiebungsandrohung findet ihre Rechtsgrundlage in § 34 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 59 AufenthG.

54

Soweit der Kläger sich mit Schriftsatz vom 01. April 2012 an den Senat gewandt hat, bestand kein Anlass, erneut in eine mündliche Verhandlung einzutreten, da er seinen bisherigen Vortrag lediglich konkretisiert hat.

55

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § § 83 b AsylVfG nicht erhoben.

56

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. 708 ff. ZPO.

57

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 23. Januar 2008 - A 11 K 521/06 - geändert. Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des gesamten - gerichtskostenfreien - Verfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger, ein am … 1969 in Kabul geborener lediger und kinderloser afghanischer Staatsangehöriger sunnitischen Glaubens vom Volk der Tadschiken, reiste am 20.05.2002 auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 23.05.2002 stellte er einen Asylantrag mit der Begründung, seine gesamte Familie sei Opfer des Krieges geworden. Seine Eltern, zwei Schwestern und drei Brüder seien bei einem Bombenangriff auf das Elternhaus ums Leben gekommen. Er sei zu diesem Zeitpunkt zufällig bei den Schwiegereltern seines Bruders gewesen. Als er zurückgekommen sei, habe man drei Tage lang nach den Leichen suchen müssen. Während der 40-tägigen Trauerzeit sei er bei einem Onkel geblieben. Bei diesem Onkel, dem einzigen in Afghanistan verbliebenen Familienangehörigen, habe er aber nicht bleiben können. Er habe große psychische Probleme bekommen; mit seiner Erinnerung habe er nicht mehr in Afghanistan leben können. Er sei dann über Jalalabad zu einem Cousin nach Islamabad gegangen. Dort habe er sich fünf Wochen aufgehalten und sei schließlich mit dem Flugzeug nach Frankfurt/Main geflogen. Eine Tante und ein anderer Cousin lebten seit langem in Heidelberg; zu diesen Familienangehörigen sei er gegangen.
Die Beklagte lehnte den Asylantrag des Klägers mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (heute: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt -) vom 05.11.2003 ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 des Ausländergesetzes - AuslG - nicht vorliegen sowie auch Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht gegeben sind und drohte ihm die Abschiebung nach Afghanistan an. Die hiergegen beim Verwaltungsgericht Karlsruhe erhobene Klage nahm der Kläger nach Hinweis des Gerichts zurück, dass aufgrund des Erlasses des Innenministeriums Baden-Württemberg vom 29.07.2004 ein hinreichender Abschiebungsschutz gegeben sei (A 10 K 12733/03).
Unter Berufung auf die erforderliche ärztliche Behandlung seiner Depression, die in Afghanistan nicht gewährleistet sei, stellte der Kläger am 02.03.2006 ein Folgeschutzgesuch insbesondere hinsichtlich eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 des Aufenthaltsgesetzes (- AufenthG -). Mit Bescheid vom 27.03.2006 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Abänderung des Bescheids vom 05.11.2003 bezüglich der Feststellung zu § 53 Abs. 1 bis 6 AuslG ab. Die vorgelegten Atteste würden keine Änderung der Sachlage nachweisen. In Kabul und anderen großen Städten Afghanistans könnten psychotherapeutische Behandlungen durchgeführt werden. Auch seien in Kabul Antidepressiva im erforderlichen Umfang erhältlich.
Am 11.04.2006 hat der Kläger unter Berufung auf seine Erkrankung beim Verwaltungsgericht Karlsruhe Klage erhoben und beantragt, die Beklagte zu der Feststellung zu verpflichten, dass ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in Bezug auf Afghanistan vorliegt. Seine Erkrankung habe sich durch die Behandlung in Deutschland zunächst gebessert. In Afghanistan erscheine eine adäquate weitere Behandlung ausgeschlossen, was fachärztliche Atteste bestätigten. In der mündlichen Verhandlung hat er am 23.01.2008 ergänzt, dass seine psychische Situation zwischenzeitlich wieder schlechter geworden sei. Der Onkel in Afghanistan sei schon vor eineinhalb Jahren verstorben. In Afghanistan habe und kenne er heute niemanden mehr. Er habe keinerlei Kontakte in seine Heimat.
Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte unter Aufhebung des Bundesamtsbescheids vom 27.03.2006 zur Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG verpflichtet. Zur Begründung des Urteils vom 23.01.2008 - A 11 K 521/06 - hat es im Wesentlichen ausgeführt, wegen der in Afghanistan bestehenden unzureichenden Versorgungslage bestehe für den Kläger eine extreme Gefahrenlage. Da er in Afghanistan nicht auf die Hilfe von Familienangehörigen zurückgreifen könne, müsse davon ausgegangen werden, dass er dort über keine hinreichenden finanziellen Mittel zur Existenzsicherung verfüge. Aufgrund der schwerwiegenden Depression sei seine Leistungsfähigkeit reduziert, was die Möglichkeit schmälere, sich in seiner Heimat eine Lebensgrundlage zu schaffen. Auch könne nicht davon ausgegangen werden, dass die im Ausland lebenden Familienangehörigen den Kläger über einen längeren Zeitraum hinweg hinreichend finanziell unterstützen würden. Bei einer Berücksichtigung dieser Gesamtsituation müsse davon ausgegangen werden, dass der Kläger bei einer Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert werde.
Mit ihrer vom erkennenden Gerichtshof mit Beschluss vom 03.03.2008 - A 8 S 545/08 - zugelassenen Berufung macht die Beklagte geltend, eine extreme Gefahrenlage könne jedenfalls für alleinstehende arbeitsfähige männliche afghanische Rückkehrer nicht angenommen werden. Die Versorgungslage in Kabul sei für diese Personengruppe nicht derart schlecht, dass von der Gefahr schwerster Verletzungen oder dem sicheren Tod ausgegangen werden könne. In der ersten Berufungsverhandlung vom 16.09.2009 hat der Vertreter der Beklagten klargestellt, der angegriffene Bescheid vom 27.03.2006 sei so zu verstehen, dass das Bundesamt das Verfahren in Bezug auf ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG von Amts wegen wiederaufgegriffen und zur Sache entschieden habe. Der Kläger führte im Rahmen der informatorischen Anhörung aus, er habe keinerlei Kontakte mehr nach Afghanistan und besitze dort auch kein Land. Auch in Kabul kenne er heute niemanden mehr. In Deutschland arbeite er Teilzeit in einem Restaurant und verdiene im Monat ca. 360 EUR netto. Über Ersparnisse verfüge er nicht.
Mit Urteil vom 16.09.2009 - A 11 S 654/08 - hat der Senat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Aufgrund der katastrophalen Versorgungslage bestehe für den Kläger in Bezug auf Afghanistan ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Mit Urteil vom 08.09.2011 - 10 C 20.10 - hat das Bundesverwaltungsgericht das Urteil des Senats vom 16.09.2009 aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen. Mit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2007 sei der unionsrechtlich begründete Abschiebungsschutz im gerichtlichen Verfahren insbesondere aufgrund der Konzentrations- und Beschleunigungsmaxime angewachsen. Der Senat hätte diesen für die Beteiligten nicht disponiblen Streitgegenstand nicht ungeprüft lassen dürfen. Zudem sei die Entscheidung zur extremen Gefahrenlage im Rahmen des nachrangigen nationalen Abschiebungsschutzes auf eine zu schmale Tatsachengrundlage gestützt. Das Urteil ging dem Senat am 28.11.2011 zu.
Die Beklagte trägt ergänzend vor, im Falle des Klägers greife kein unionsrechtlicher Abschiebungsschutz. Für eine Feststellung gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG fehle es in Kabul an einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt. Auch eine extreme Gefahrenlage gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG könne nicht bejaht werden. Der Kläger könne gegebenenfalls auf die Unterstützung seiner im Ausland lebenden Verwandten zählen. Mittlerweile seien in Afghanistan an 17 verschiedenen Banken Geldüberweisungen möglich.
10 
Die Beklagte beantragt,
11 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 23. Januar 2008 - A 11 K 521/06 - zu ändern und die Klage abzuweisen.
12 
Der Kläger beantragt,
13 
die Berufung zurückzuweisen.
14 
Er ergänzt im Wesentlichen, es herrsche in ganz Afghanistan ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Hervorzuheben seien die zahlreichen Anschläge in Kabul. Bei einer Rückkehr in seine Heimat wäre er den dortigen Risiken schutzlos ausgeliefert. Er sei seit nunmehr fast 10 Jahren nicht mehr in Kabul gewesen, das sich vollständig verändert habe. Auch verfüge er in seiner Heimat über keinen Rückhalt durch Familienangehörige. Deshalb läge nach wie vor eine extreme Gefahrenlage im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor, auch nachdem 2011 ein Jahr der Dürre gewesen sei. Der Kläger sei mit 43 Jahren im heutigen Afghanistan durchaus schon im vorgerückten Alter, d.h. kein junger kräftiger Mann mehr. Schließlich könne die derzeit eingegrenzte psychische Erkrankung wieder aufbrechen.
15 
Der Senat hat den Kläger in der zweiten Berufungsverhandlung am 06.03.2012 erneut informatorisch angehört. Dabei verwies der Kläger insbesondere auf die schlechte Situation und Perspektive in Kabul und die dortige hohe Arbeitslosigkeit, betonte sein für afghanische Verhältnisse vorgerücktes Alter und die dort fehlenden Unterstützungsmöglichkeiten durch einen Familienverband sowie die zahlreichen Anschläge in Kabul. Im Übrigen habe der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Abschiebung sogar nach Griechenland für menschenrechtswidrig erachtet, was dann erst recht hinsichtlich Afghanistans gelten müsse.
16 
Die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes ergeben sich aus den Gerichtsakten sowie den Verfahrensakten des Bundesamts. Dem Senat liegen des Weiteren die Akte des Verwaltungsgerichts Karlsruhe in dem Verfahren A 11 K 521/06, die Akten des Bundesverwaltungsgerichts in dem Verfahren 10 C 20.10 sowie die Erkenntnisquellen, die den Beteiligten mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung bzw. in der mündlichen Verhandlung mitgeteilt worden sind, vor. Die beigezogenen Akten und Erkenntnisquellen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

 
17 
Die zulässige, insbesondere rechtzeitig unter Stellung eines Antrags und unter Bezugnahme auf die ausführliche Begründung des Zulassungsantrags begründete Berufung (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 - NVwZ 2006, 1420 m.w.N.) der Beklagten hat Erfolg. Der Senat geht nunmehr davon aus, dass der Kläger die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (- Aufenthaltsgesetz -) in der Fassung der Änderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der EU vom 19.08.2007 (- 1. Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 28.08.2007, BGBl I 1970) sowie das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der EU und zur Anpassung nationaler Rechtvorschriften an den EU-Visakodex vom 22.11.2011 (- 2. Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 26.11.2011, BGBl I 2258) nicht mehr beanspruchen kann. Dem Kläger steht in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) weder ein unionsrechtlich begründeter noch ein nationaler Abschiebungsschutz zu.
I.
18 
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist im vorliegenden Übergangsfall zunächst das - angewachsene und für die Beteiligten nicht disponible - Verpflichtungsbegehren des Klägers auf Gewährung subsidiären unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG (entsprechend den Voraussetzungen für den subsidiären Schutz in Art. 15 der sog. Qualifikations-Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes; ABlEU Nr. L 304 S. 12; ber. ABlEU vom 05.08.2005 Nr. L 204 S. 24, neugefasst mit Umsetzungsfrist bis 21.12.2013 als Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011, ABlEU vom 20.12.2011 Nr. L 337 S. 9; - QRL -). Nur hilfsweise ist Gegenstand des Berufungsverfahrens der nationale Abschiebungsschutz, d.h. die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung (BVerwG, Urteil vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - juris Rn. 11). Sowohl der (weitergehende) unionsrechtlich begründete Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG als auch der nationale Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 und 3 AufenthG bilden jeweils einen einheitlichen, in sich nicht weiter teilbaren Streitgegenstand (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 11). In dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der erneuten mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) besteht zu Gunsten des Klägers hinsichtlich Afghanistans weder ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG noch nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung.
II.
19 
Unionsrechtlich begründeter Abschiebungsschutz ist im Falle des Klägers derzeit nicht gegeben.
20 
1. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG ist nicht erkennbar.
21 
a) Nach dieser Norm darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Unter „Folter“ ist in Anlehnung an die Definition von Art. 1 des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (BGBl. 1990 II S. 247, BGBl. 1993 II S. 715) eine Behandlung zu verstehen, die einer Person vorsätzlich schwere Schmerzen oder Leiden körperlicher oder geistig-seelischer Art zufügt, um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erzwingen, sie oder einen Dritten zu bestrafen, einzuschüchtern oder zu nötigen oder mit diskriminierender Absicht zu verfolgen. Wann eine „unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung“ vorliegt, hängt nach der insoweit vor allem maßgebenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom Einzelfall ab. Eine Schlechtbehandlung einschließlich Bestrafung muss jedenfalls ein Minimum an Schwere erreichen, um in den mit § 60 Abs. 2 AufenthG und Art. 15 lit. b QRL insoweit identischen Schutzbereich von Art. 3 EMRK zu fallen. Die Bewertung dieses Minimums ist nach Natur der Sache relativ. Kriterien hierfür sind abzuleiten aus allen Umständen des Einzelfalles, wie etwa der Art der Behandlung oder Bestrafung und dem Zusammenhang, in dem sie erfolgte, der Art und Weise ihrer Vollstreckung, ihrer zeitlichen Dauer, ihrer physischen und geistigen Wirkungen, sowie gegebenenfalls abgestellt auf Geschlecht, Alter bzw. Gesundheitszustand des Opfers. Abstrakt formuliert sind unter einer menschenrechtswidrigen Schlechtbehandlung Maßnahmen zu verstehen, mit denen unter Missachtung der Menschenwürde absichtlich schwere psychische oder physische Leiden zugefügt werden und mit denen nach Art und Ausmaß besonders schwer und krass gegen Menschenrechte verstoßen wird (Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 34 f., m.w.N.). Im Rahmen der Prüfung, ob eine konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung besteht, ist der asylrechtliche Prognosemaßstab der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ anzulegen, wobei allerdings das Element der Konkretheit der Gefahr das zusätzliche Erfordernis einer einzelfallbezogenen, individuell bestimmten und erheblichen Gefährdungssituation kennzeichnet (ausführlich: Senatsurteil vom 06.03.2011 - 11 S 3070/11 - juris; BVerwG, Beschluss vom 10.04.2008 - 10 B 28.08 - juris Rn. 6; Urteil vom 14.12.1993 - 9 C 45.92 - juris Rn. 10 f.).
22 
b) Im Falle des Klägers gibt es keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Annahme, es bestünde für ihn bei einer Rückkehr nach Kabul mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit im dargelegten Sinne die konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung. Eine solche konkrete Gefahr lässt sich auch nicht mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 21.01.2011 (Nr. 30696/09 - ) begründen. Wie sich aus der Urteilsbegründung (insbes. Rn. 261 bis 263) ergibt, wurde im dortigen Fall eine Verletzung von Art. 3 EMRK insbesondere bejaht, weil sich Griechenland nicht an die europarechtlichen Verfahrensregeln und Mindeststandards für Asylbewerber gehalten hat und deshalb menschenrechtswidrige Haft- und Lebensbedingungen bestanden. Der Gerichtshof geht mithin davon aus, dass ein Konventionsstaat Art. 3 EMRK verletzen kann, wenn er die sich selbst gegebenen asylverfahrensrechtlichen Mindeststandards im Einzelfall unterschreitet. Hieraus lässt sich jedoch nicht ableiten, dass solche Standards weltweit gelten müssten und das Fehlen derselben eine Abschiebung etwa nach Kabul sperren könnte. Im Hinblick auf die allgemeinen (unzureichenden) Lebensbedingungen sowie die Versorgungslage (auch in medizinischer Hinsicht) kann eine Verletzung von Art. 3 EMRK nach der ständigen Rechtsprechung des Straßburger Gerichtshofs durch den abschiebenden Staat vielmehr nur in extremen Ausnahmefällen in Betracht gezogen werden (Nachweise bei Hailbronner, AuslR, 10/2008, § 60 AufenthG, Rn. 119 ff). Solche können jedoch - wie unter III. 2. ausgeführt - derzeit in Bezug auf Kabul nicht festgestellt werden.
23 
2. Ebenso ist kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 3 AufenthG erkennbar, wonach ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden darf, wenn ihn dieser Staat wegen einer Straftat sucht und dort aufgrund konkreter und ernsthafter Anhaltspunkte die Gefahr der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe besteht (ausführlich: Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 39 ff., m.w.N.). Hierzu fehlen im Falle des Klägers jegliche Anhaltspunkte.
24 
3. Nach Auffassung des Senats liegt derzeit auch kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vor. Hiernach ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist.
25 
a) Diese Bestimmung entspricht nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts trotz geringfügig abweichender Formulierungen den Vorgaben des Art. 15 lit. c QRL und ist in diesem Sinne auszulegen (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 14). Nach Art. 15 lit. c QRL gilt als ernsthafter Schaden „eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts“.
26 
(1) Bei der Frage, ob ein internationaler oder innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, sind hiernach die vier Genfer Konventionen zum humanitären Völkerrecht von 1949 und insbesondere das Zusatzprotokoll II von 1977 (BGBl 1990 II S. 1637; - ZP II -) zu berücksichtigen. Das ZP II definiert in Art. 1 Nr. 1 den Begriff des nicht internationalen bewaffneten Konflikts wie folgt: „Dieses Protokoll, das den den Genfer Abkommen vom 12.08.1949 gemeinsamen Art. 3 weiterentwickelt und ergänzt, ohne die bestehenden Voraussetzungen für seine Anwendung zu ändern, findet auf alle bewaffneten Konflikte Anwendung, die von Art. 1 des Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vorn 12.08.1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I) nicht erfasst sind und die im Hoheitsgebiet einer Hohen Vertragspartei zwischen deren Streitkräften und abtrünnigen Streitkräften oder anderen organisierten bewaffneten Gruppen stattfinden, die unter einer verantwortlichen Führung eine solche Kontrolle über einen Teil des Hoheitsgebiets der Hohen Vertragspartei ausüben, dass sie anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen durchführen und dieses Protokoll anzuwenden vermögen.“ In seinem Art. 2 grenzt das ZP II sodann von Fällen bloßer "innerer Unruhen und Spannungen" ab, die nicht unter diesen Begriff fallen. Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts liegt demnach jedenfalls dann vor, wenn der Konflikt die Kriterien des Art. 1 Nr. 1 ZP II erfüllt. Er liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn die Ausschlusstatbestände des Art. 1 Nr. 2 ZP II erfüllt sind, es sich also nur um innere Unruhen und Spannungen handelt wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen, die nicht als bewaffnete Konflikte gelten. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinne von Art. 15 lit. c QRL nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss hierfür aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen. Typische Beispiele sind Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfe. Der völkerrechtliche Begriff des "bewaffneten Konflikts" wurde gewählt, um klarzustellen, dass nur Auseinandersetzungen von einer bestimmten Größenordnung an in den Regelungsbereich der Vorschrift fallen. Dennoch setzt ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt nicht zwingend einen so hohen Organisationsgrad und eine solche Kontrolle der Konfliktparteien über einen Teil des Staatsgebiets voraus, wie sie für die Erfüllung der Verpflichtungen nach den Genfer Konventionen von 1949 erforderlich sind. Ohnehin findet die Orientierung an den Kriterien des humanitären Völkerrechts ihre Grenze jedenfalls dort, wo ihr der Zweck der Schutzgewährung für in Drittstaaten Zuflucht Suchende nach Art. 15 lit. c QRL widerspricht. Weitere Anhaltspunkte für die Auslegung des Begriffs des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts können sich aus dem Völkerstrafrecht ergeben, insbesondere aus der Rechtsprechung der Internationalen Strafgerichtshöfe. Hiernach dürfte kriminelle Gewalt bei der Feststellung, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, jedenfalls dann keine Berücksichtigung finden, wenn sie nicht von einer der Konfliktparteien begangen wird (ausführlich: BVerwG, Urteile vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - juris Rn. 19 ff. und vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 -juris Rn. 23).
27 
(2) Bezüglich der Frage, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, ist zunächst das gesamte Staatsgebiet in den Blick zu nehmen. Besteht ein bewaffneter Konflikt jedoch nicht landesweit, kommt eine individuelle Bedrohung in Betracht, wenn sich der Konflikt auf die Herkunftsregion des Ausländers erstreckt, in der er zuletzt gelebt hat bzw. in die er typischerweise zurückkehren kann und voraussichtlich auch wird, d.h. auf seinen "tatsächlichen Zielort" bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat (EuGH, Urteil vom 17.02.2009, Rs. C-465/07 Rn. 40). Auf einen bewaffneten Konflikt außerhalb der Herkunftsregion des Ausländers kann es hingegen nur ausnahmsweise ankommen. In diesem Fall muss der Betreffende stichhaltige Gründe dafür vorbringen, dass für ihn eine Rückkehr in seine Herkunftsregion ausscheidet und nur eine Rückkehr gerade in die Gefahrenzone in Betracht kommt (BVerwG, Urteil vom 14.07.2009 - 10 C 9.08 - juris Rn. 17).
28 
(3) Konnte ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt zumindest im tatsächlichen Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat festgestellt werden, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts weiter zu fragen, ob ihm dort infolgedessen auch eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben infolge willkürlicher Gewalt droht. Hierfür sind Feststellungen über das Niveau willkürlicher Gewalt bzw. zu der sogenannten Gefahrendichte erforderlich, d.h. (1.) eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen und (2.) der Akte willkürlicher Gewalt, die von den Konfliktparteien gegen Leib und Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie (3.) eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung. Hierzu gehört auch die Würdigung der medizinischen Versorgungslage in dem jeweiligen Gebiet, von deren Qualität und Erreichbarkeit die Schwere eingetretener körperlicher Verletzungen mit Blick auf die den Opfern dauerhaft verbleibenden Verletzungsfolgen abhängen kann. Im Übrigen können die für die Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts entwickelten Kriterien entsprechend herangezogen werden. In jedem Fall setzt § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG für die Annahme einer erheblichen individuellen Gefahr voraus, dass dem Betroffenen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Schaden an den Rechtsgütern Leib oder Leben droht. Gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG gilt auch für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG u.a. die Beweisregel des Art. 4 Abs. 4 QRL (ausführlich: BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 - juris Rn. 32 ff.; vgl. auch Dolk, Asylmagazin 12/2011, 418 ff., m.w.N.).
29 
(4) Bei der Prüfung, ob dem Ausländer zumindest in seiner Herkunftsregion aufgrund eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben droht, sind gegebenenfalls gefahrerhöhende persönliche Umstände zu berücksichtigen. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich. Liegen hingegen gefahrerhöhende persönliche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt. Zu diesen gefahrerhöhenden Umständen gehören in erster Linie solche persönlichen Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen - z.B. als Arzt oder Journalist - gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Dazu können aber nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts auch solche persönlichen Umstände gerechnet werden, aufgrund derer der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte - etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit - ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht schon eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt. Auch im Fall gefahrerhöhender persönlicher Umstände muss aber ein hohes Niveau willkürlicher Gewalt bzw. eine hohe Gefahrendichte für die Zivilbevölkerung in dem fraglichen Gebiet festgestellt werden. Allein das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts und die Feststellung eines gefahrerhöhenden Umstandes in der Person des Antragstellers reichen hierfür nicht aus. Allerdings kann eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr auch dann, wenn individuelle gefahrerhöhende Umstände fehlen, ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 18 ff.).
30 
(5) Schließlich darf für den Ausländer keine Möglichkeit internen Schutzes gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 8 QRL bestehen. Nach Art. 8 Abs. 1 QRL können die Mitgliedstaaten bei der Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz feststellen, dass ein Antragsteller keinen internationalen Schutz benötigt, sofern in einem Teil des Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung bzw. keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht und von dem Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil aufhält. Nach Absatz 2 der Norm berücksichtigen die Mitgliedstaaten bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Antragstellers zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag. Nach Absatz 3 der Norm kann Absatz 1 kann auch dann angewandt werden, wenn praktische Hindernisse für eine Rückkehr in das Herkunftsland bestehen. Zur Frage, wann von dem Ausländer „vernünftigerweise erwartet werden kann“, dass er sich in dem verfolgungsfreien Landesteil aufhält, verweist das Bundesverwaltungsgericht auf die Begründung zum Regierungsentwurf des Richtlinienumsetzungsgesetzes (BT-Drs. 16/5065 S. 185). Hier wird ausgeführt, dass dies dann der Fall sei, wenn der Ausländer am Zufluchtsort eine ausreichende Lebensgrundlage vorfinde, d.h. dort das Existenzminimum gewährleistet sei. Ausdrücklich offen gelassen wurde, welche darüber hinausgehenden wirtschaftlichen und sozialen Standards erfüllt sein müssen. Allerdings spreche einiges dafür, dass die gemäß Art. 8 Abs. 2 QRL zu berücksichtigenden allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftslandes - oberhalb der Schwelle des Existenzminimums - auch den Zumutbarkeitsmaßstab prägen (BVerwG, Urteil vom 29.05.2008 - 10 C 11.07 - juris Rn. 32/35). Dem schließt sich der Senat an, denn hierfür spricht im Übrigen auch der Umstand, dass andernfalls der richtlinienkonforme Ausschluss der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG für die Fälle des Art. 15 lit. c QRL über die an den internen Schutz gestellten Anforderungen unterlaufen würde (Hess. VGH, Urteil vom 25.08.2011 - 8 A 1657/10.A - juris Rn. 91). Nach diesen Grundsätzen bietet ein verfolgungssicherer Ort erwerbsfähigen Personen eine wirtschaftliche Lebensgrundlage etwa dann, wenn sie dort, sei es durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem angemessenen Lebensunterhalt Erforderliche erlangen können. Zu den danach zumutbaren Arbeiten gehören auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, beispielsweise in der Landwirtschaft oder auf dem Bausektor, ausgeübt werden können. Nicht zumutbar sind hingegen jedenfalls die entgeltliche Erwerbstätigkeit für eine kriminelle Organisation, die in der fortgesetzten Begehung von oder Teilnahme an Verbrechen besteht. Ein verfolgungssicherer Ort, an dem selbst das Existenzminimum nur durch derartiges kriminelles Handeln erlangt werden kann, kann keine innerstaatliche Fluchtalternative sein. Bei der Prüfung des internen Schutzes muss mithin insbesondere gefragt werden, ob der Betreffende seine Existenz am Ort der Fluchtalternative auch ohne förmliche Gewährung eines Aufenthaltsrechts und ohne Inanspruchnahme staatlicher Sozialleistungen in zumutbarer Weise - etwa im Rahmen eines Familienverbandes - und ohne ein Leben in der Illegalität, das ihn jederzeit der Gefahr polizeilicher Kontrollen und der strafrechtlichen Sanktionierung aussetzt, angemessen sichern kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 01.02.2007 - 1 C 24.06 - juris Rn. 11 f.).
31 
b) Entgegen der Auffassung des Klägers kann der Senat in seinem Fall nicht erkennen, dass derzeit die dargestellten Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vorliegen würden. Der Senat ist vielmehr auf der Grundlage der insoweit weitgehend übereinstimmenden aktuellen Erkenntnisquellen davon überzeugt, dass in der Heimatregion des Klägers, d.h. in Kabul, schon kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne von Art. 15 lit. c QRL (mehr) gegeben ist. Die dortige Sicherheitslage wird, abgesehen von einigen spektakulären Anschlägen, die sich jedoch primär auf „prominente Ziele“ gerichtet haben, relativ einheitlich als stabil und weiterhin deutlich ruhiger als noch etwa vor zwei Jahren bewertet. Vor der von dem Kläger zitierten Anschlagsserie hat es offenbar sogar eine praktisch anschlagsfreie Zeit von fast 18 Monaten gegeben (Lagebericht AA vom 10.01.2012, S. 12; Kermani, Die Zeit vom 05.01.2012, 11 f.; Asylmagazin 12/2011, 418). Der Senat vermag deshalb der von dem Kläger zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Gießen (Urteil vom 20.06.2011 - 2 K 499/11.GI.A - www.asyl.net) nicht zu folgen, die in der Begründung vor allem auf die Konfliktgebiete im Süden bzw. Osten Afghanistans Bezug nimmt, und daher hinsichtlich des Leitsatzes, in ganz Afghanistan herrsche ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, zu wenig regional differenziert. Im dortigen Fall ging es im Übrigen, wenig vergleichbar, um einen alleinstehenden Jugendlichen im Alter von 15 Jahren aus der doch recht anders gelagerten Herkunftsregion Wardak. Bezüglich Kabuls selbst hebt das Verwaltungsgericht im Wesentlichen auf fünf Anschläge zwischen Januar und Mai 2011 ab. Insoweit handelt es sich aber um Fälle "innerer Unruhen und Spannungen" im Sinne von Art. 2 des ZP II, die gerade nicht unter den Begriff des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts zu subsumieren sind. In Übereinstimmung hiermit hat auch der Hessische Verwaltungsgerichtshof entschieden, dass in Kabul, trotz gegebener Übergriffe, kein bewaffneter Konflikt von solcher Dichte herrscht, dass darauf § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG angewandt werden könnte. Jedenfalls resultiere hieraus für Rückkehrer keine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben infolge willkürlicher Gewalt (Urteil vom 16.06.2011 - 8 A 2011/10.A - juris). Der Senat kommt zum gegenwärtigen Zeitpunkt und für die Situation des Klägers zu derselben Einschätzung.
III.
32 
Im Falle des Klägers liegt auch der somit hilfsweise zu prüfende nationale Abschiebungsschutz derzeit nicht vor. Zu seinen Gunsten besteht kein Abschiebungsverbot (mehr) hinsichtlich Afghanistans gemäß des einheitlichen Streitgegenstands nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung.
33 
1. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (- EMRK -, BGBl 1952 II 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Über diese Norm werden die Schutzregeln der EMRK in innerstaatliches Recht inkorporiert. Sowohl aus Systematik als auch Entstehungsgeschichte folgt jedoch, dass es insoweit nur um zielstaatsbezogenen Abschiebungsschutz geht. Inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse, abgeleitet etwa aus Art. 8 EMRK, ziehen hingegen regelmäßig nur eine Duldung gemäß § 60 a Abs. 2 AufenthG nach sich. Bezüglich Art. 3 EMRK ist zudem die weitergehende und „unionsrechtlich aufgeladene“ Schutznorm des § 60 Abs. 2 AufenthG vorrangig, d.h. im vorliegenden Falle nicht zu prüfen (vgl. zu § 60 Abs. 5: Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 45 ff., m.w.N.). Ob im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG auch nach Umsetzung der Qualifikationsrichtlinie 2004/83/EG alle Gefährdungen grundsätzlich irrelevant sind, die von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen (so noch BVerwG, Urteil vom 15.04.1997 - 9 C 38.96 - zur Vorgängernorm des § 53 Abs. 4 AuslG, juris Rn. 10), kann vorliegend dahingestellt bleiben. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, welches Menschenrecht der EMRK im konkreten Fall des Klägers ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG begründen könnte.
34 
2. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kann von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn für ihn dort eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Allerdings sind Gefahren der die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG bei Abschiebestopp-Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Denn hinsichtlich des Schutzes vor allgemeinen Gefahren im Zielstaat soll Raum sein für ausländerpolitische Entscheidungen, was die Anwendbarkeit von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG insoweit grundsätzlich sperrt und zwar selbst dann, wenn diese Gefahren den einzelnen Ausländer zugleich in konkreter und individualisierbarer Weise betreffen (BVerwG, Urteil vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324). Aus diesem Normzweck folgt weiter, dass sich die „Allgemeinheit“ der Gefahr nicht danach bestimmt, ob diese sich auf die Bevölkerung oder bestimmte Bevölkerungsgruppen gleichartig auswirkt, wie das bei Hungersnöten, Seuchen, Bürgerkriegswirren oder Naturkatastrophen der Fall sein kann. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG kann vielmehr auch bei eher diffusen Gefährdungslagen greifen, etwa dann, wenn Gefahren für Leib und Leben aus den allgemein schlechten Lebensverhältnissen (soziale und wirtschaftliche Missstände) im Zielstaat hergeleitet werden. Denn soweit es um den Schutz vor den einer Vielzahl von Personen im Zielstaat drohenden typischen Gefahren solcher Missstände wie etwa Lebensmittelknappheit, Obdachlosigkeit oder gesundheitliche Gefährdungen geht, ist die Notwendigkeit einer politischen Leitentscheidung in gleicher Weise gegeben (BVerwG, Urteil vom 12.07.2001 - 1 C 5.01 - BVerwGE 115, 1). Für die Personengruppe, der der Kläger angehört, besteht eine solche politische Abschiebestopp-Anordnung gemäß § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG in Baden-Württemberg derzeit nicht (mehr), seit mit Schreiben des Innenministeriums Baden-Württemberg vom 15.04.2005 (geändert am 01.08.2005, vgl. 21. Fortschreibung vom 23.01.2009, Az.: 4-13-AFG/8) in Umsetzung entsprechender Beschlüsse der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder bezüglich der Rückführung afghanischer Staatsangehöriger entschieden wurde, dass „volljährige, allein stehende männliche afghanische Staatsangehörige, die sich zum Zeitpunkt der Beschlussfassung am 24. Juni 2005 noch keine sechs Jahre im Bundesgebiet aufgehalten haben, mit Vorrang zurückzuführen sind“. Im konkreten Einzelfall des Klägers greift die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG auch unter Berücksichtigung von Verfassungsrecht.
35 
a) Die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG greift aufgrund der Schutzwirkungen der Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nur dann ausnahmsweise nicht, wenn der Ausländer im Zielstaat landesweit einer extrem zugespitzten allgemeinen Gefahr dergestalt ausgesetzt wäre, dass er „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert“ würde (st. Rspr. des BVerwG, s. Urteile vom 29.09.2011 - 10 C 24.10 - juris Rn. 20, vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324 und vom 19.11.1996 - 1 C 6.95 - BVerwGE 102, 249 zur Vorgängerregelung in § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG). Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassung wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar ist (BVerwG, Urteil vom 29.09.2011 - 10 C 24.10 - juris Rn. 20). Das Vorliegen der Voraussetzungen ist im Wege einer Gesamtgefahrenschau zu ermitteln (BVerwG, Beschluss vom 23.03.1999 - 9 B 866.98 - juris Rn. 7).
36 
b) Im Fall einer allgemein schlechten Versorgungslage sind Besonderheiten zu berücksichtigen. Denn hieraus resultierende Gefährdungen entspringen keinem zielgerichteten Handeln, sondern treffen die Bevölkerung gleichsam schicksalhaft. Sie wirken sich nicht gleichartig und in jeder Hinsicht zwangsläufig aus und setzen sich aus einer Vielzahl verschiedener Risikofaktoren zusammen, denen der Einzelne in ganz unterschiedlicher Weise ausgesetzt ist und denen er gegebenenfalls auch ausweichen kann. Intensität, Konkretheit und zeitliche Nähe der Gefahr können deshalb auch nicht generell, sondern nur unter Berücksichtigung aller Einzelfallumstände beurteilt werden (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 13.11.2002 - A 6 S 967/01 - juris Rn. 48 ff.). Um dem Erfordernis des unmittelbaren - zeitlichen - Zusammenhangs zwischen Abschiebung und drohender Rechtsgutverletzung zu entsprechen, kann hinsichtlich einer allgemein schlechten Versorgungslage eine extreme Gefahrensituation zudem nur dann angenommen werden, wenn der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr in sein Heimatland in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien kann. Mit dem Begriff „alsbald“ ist dabei einerseits kein nur in unbestimmter zeitlicher Ferne liegender Termin gemeint (BVerwG, Urteil vom 27.04.1998 - 9 C 13.97 - juris Rn. 8). Andererseits setzt die Annahme einer extremen allgemeinen Gefahrenlage nicht voraus, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Ankunft im Abschiebezielstaat, eintreten. Eine extreme Gefahrenlage besteht auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert sein würde (BVerwG, Urteil vom 29.06.2010 - 10 C 10.09 - juris Rn. 15).
37 
c) Diese Voraussetzungen sind im Falle des Klägers heute jedenfalls nicht mehr gegeben. In Übereinstimmung mit anderen Obergerichten (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 06.05.2008 - 6 A 10749/07 - AuAS 2008, 188; Hess. VGH, Urteil vom 26.11.2009 - 8 A 1862/07.A - NVwZ-RR 2010, 331) hatte der Senat mit Urteil vom 14.05.2009 - A 11 S 610/08 - (DVBl 2009, 1327) entschieden, dass für Ausländer aus der Personengruppe der beruflich nicht besonders qualifizierten afghanischen männlichen Staatsangehörigen, die in ihrer Heimat ohne Rückhalt und Unterstützung durch Familie oder Bekannte sind und dort weder über Grundbesitz noch über nennenswerte Ersparnisse verfügen, aufgrund der katastrophalen Versorgungslage bei einer Abschiebung nach Kabul eine extreme Gefahrensituation im dargelegten Sinne bestehe. Das Bundesverwaltungsgericht hat (auch) diese Entscheidung mit Urteil vom 08.09.2011 - 10 C 16.10 - (juris) aufgehoben. Insbesondere die Feststellungen zum Vorliegen einer extremen Gefahr im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan verletzten Bundesrecht und würden einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht standhalten, denn die Entscheidung sei insbesondere hinsichtlich der festgestellten drohenden Mangelernährung und den damit verbundenen gesundheitlichen Risiken auf eine zu schmale Tatsachengrundlage gestützt. Das Bundesverwaltungsgericht betont: „‘Hunger‘ führt nicht zwangsläufig zum Tod, 'gesundheitliche Risiken' führen nicht notwendigerweise zu schwersten Gesundheitsschäden.“ Damit verfehle das Berufungsgericht den Begriff der Extremgefahr (so im Urteil vom 29.09.2011 - 10 C 23.10 - juris Rn. 24 bzgl. einer Parallelentscheidung des Hess.VGH). Bei der erneuten Befassung mit der Sache sei der Senat gehalten, sich auch mit der gegenteiligen Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte (insbesondere: Bay.VGH, Urteil vom 03.02.2011 - 13a B 10.30394 - juris) auseinanderzusetzen.
38 
Es sei dahingestellt, ob ein Obergericht revisionsrechtlich dazu verpflichtet werden kann, sich mit der abweichenden Einschätzung anderer Obergerichte auseinanderzusetzen (kritisch: Hess.VGH, Urteil vom 25.08.2011 - 8 A 1657/10.A - juris Rn. 77). Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof vertritt jedenfalls in dem zum besonderen Studium aufgegebenen Urteil die Auffassung, dass für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige angesichts der aktuellen Auskunftslage im Allgemeinen derzeit nicht von einer extremen Gefahrenlage auszugehen sei, die zu einem Abschiebungsverbot in entsprechender Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde. Zwar sei zweifellos von einer äußerst schlechten Versorgungslage in Afghanistan auszugehen. Im Wege einer Gesamtgefahrenschau sei jedoch nicht anzunehmen, dass dort alsbald der sichere Tod drohe oder schwerste Gesundheitsbeeinträchtigungen zu erwarten wären. Bei der Wirtschaftslage bzw. den ökonomischen Rahmenbedingungen würden durchaus positive Tendenzen gesehen. Es sei mit einem realen jährlichen Wirtschaftswachstum zwischen 6 und 8 % zu rechnen. Auch hätten bessere Ernten zu einer Verbesserung der Gesamtversorgungslage geführt. Zwar sei die Versorgung mit Wohnraum zu angemessenen Preisen in den Städten nach wie vor schwierig. Das Ministerium für Flüchtlinge und Rückkehrer bemühe sich jedoch um eine Ansiedlung der Flüchtlinge in Neubausiedlungen. Wenn es heiße, dass der Zugang für Rückkehrer zu Arbeit, Wasser und Gesundheitsversorgung häufig nur sehr eingeschränkt möglich sei, bedeute dies andererseits, dass jedenfalls der Tod oder schwerste Gesundheitsgefährdungen alsbald nach der Rückkehr nicht zu befürchten seien. Dies ergebe sich auch aus dem Afghanistan Report 2010 von amnesty international, wonach Tausende von Vertriebenen in Behelfslagern lebten, wo sie nur begrenzten Zugang zu Lebensmitteln und Trinkwasser, Gesundheitsversorgung und Bildung erhalten würden. Eine Mindestversorgung sei damit aber gegeben. Auch sei eine hinreichende zeitliche Nähe („alsbald“) zwischen Rückkehr und lebensbedrohlichem Zustand aufgrund von Mangelernährung, unzureichenden Wohnverhältnissen und schwieriger Arbeitssuche nicht ersichtlich. Insgesamt sei davon auszugehen, dass ein 25-jähriger lediger und gesunder Afghane, der mangels familiärer Bindungen keine Unterhaltslasten trage, auch ohne nennenswertes Vermögen und ohne abgeschlossene Berufsausbildung im Falle einer Abschiebung nach Kabul dort in der Lage wäre, durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen zu erzielen, damit ein Leben am Rande des Existenzminimums zu finanzieren und sich allmählich wieder in die afghanische Gesellschaft zu integrieren.
39 
Dies entspricht im Wesentlichen der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (vgl. Beschluss vom 26.10.2010 - 20 A 964/10.A -; Urteil vom 19.06.2008 - 20 A 4676/06.A - beide juris). Das Oberverwaltungsgericht vermochte dem Aspekt, dass positive Feststellungen zu den Modalitäten der Beschaffung des Lebensnotwendigen nicht zu treffen seien, kein entscheidendes Gewicht zu geben vor dem Umstand, dass die zahlreich vorliegenden Berichte für eine extreme Verelendung nichts hergeben würden, obwohl angesichts der hohen Rückkehrerzahlen aus den Nachbarländern und der Binnenfluchtbewegungen nicht davon ausgegangen werden könne, dass es an jeglichem Potential für Vergleichsfälle fehle (Urteil vom 19.06.2008, juris Rn. 80).
40 
Der Senat schließt sich der Rechtsprechung der zitierten Gerichte nunmehr an, weil auch er eine gewisse Verbesserung der allgemeinen Versorgungslage in Kabul - dem derzeit einzig möglichen Abschiebungsziel (Lagebericht AA v. 10.01.2012, S. 29 f.) - erkennen kann, die nach den strengen Maßstäben des Bundesverwaltungsgerichts im Rahmen einer wertenden Gesamtschau der Annahme einer alsbald nach der Abschiebung eintretenden Extremgefahr für gesunde ledige afghanische Männer auch ohne Vermögen oder lokale Familien- bzw. Stammesstrukturen entgegenstehen.
41 
Dem zentralen Argument des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen, dass Fälle extremer Verelendung von Rückkehrern dokumentiert sein müssten, vermag der Senat keine aussagekräftigen Erkenntnisquellen entgegen zu setzen; es lässt sich nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand nicht widerlegen. Insbesondere sind Erkenntnisquellen, die den Hungertod von Rückkehrern in Kabul dokumentieren, auch dem Senat nicht bekannt (ebenso: UNHCR vom 11.11.2011, 10 f.). Und in der Tat sind seit 2002 vor allem mit Hilfe des UNHCR insgesamt rund vier Millionen Flüchtlinge nach Afghanistan zurückgekehrt, wenn auch davon nur ca. 15.000 aus anderen Ländern als Pakistan und dem Iran (Gietmann, Asylmagazin 12/2011, 413, m.w.N.). Infolgedessen gehört Kabul heute zu den Städten mit dem weltweit stärksten Bevölkerungswachstum. Betrug die Einwohnerzahl 2001 noch rund 1,5 Millionen, wurde sie von der Stadtverwaltung im Juni 2010 auf über 5 Millionen geschätzt. Der Bevölkerungsanteil der Rückkehrer und Binnenvertriebenen wird auf 70 % geschätzt (Yoshimura, Asylmagazin 12/2011, 408, m.w.N.).
42 
Allerdings sind sämtliche Informationen, die der Senat über die Situation in der Stadt finden kann, durchaus ambivalent. Einerseits heißt es, 23 % der Bevölkerung lebten dort unterhalb der Armutsgrenze. Insgesamt seien die Lebenshaltungskosten in Kabul im Laufe der vergangenen Jahre um 30 bis 50 % gestiegen. Bewohner seien auch beim Erwerb zahlreicher, selbst legaler Güter des Alltags gezwungen, Bestechungsgelder zu bezahlen. Die Kriminalität und Gefahr, Opfer von Überfällen zu werden, sei hoch (Landinfo 2011, Part II, 17). Kabul würde einer Stadt im permanenten Ausnahmezustand ähneln (Dr. Danesch vom 07.10.2010, Logar, 3). Nur 55,9 % der Haushalte verfügten über Zugang zu sauberem Wasser. Zahlreiche Brunnen im Stadtgebiet seien aufgrund der steigenden Inanspruchnahme ausgetrocknet bzw. erschöpft (ai vom 29.09.2009, 2). Bezahlbarer Strom liege für ärmere Kabuler Familien außerhalb der finanziellen Möglichkeiten. Die Arbeitslosenrate in Kabul werde auf bis zu 50 % geschätzt. Infolge des Mangels an bezahlbarem Wohnraum würden sich zahllose Menschen gezwungen sehen, in prekären Unterkünften wie Lehmhütten, Zelten oder alten beschädigten Gebäuden zu hausen. Die Bewohner dieser „informellen Siedlungen“ würden außerhalb des sozialen Sicherheitsnetzes leben und ihren Lebensunterhalt durch Betteln, den Verkauf von Müll und andere gering bezahlte Tätigkeiten bestreiten müssen. Über Nacht entstünden neue Armenviertel und Slums, in denen es weder Kanalisation noch Müllentsorgung und kaum sauberes Wasser, Elektrizität oder medizinische Hilfe gebe. Die Zahl derer, die auf der Flucht vor Krieg, Rechtlosigkeit, Willkürherrschaft und Armut in die Städte strömten, vergrößere sich tagtäglich. Besonders dramatisch nehme deshalb gerade in Kabul die Zahl von Obdachlosen und Drogenabhängigen zu. Ohnehin befinde sich Afghanistan auf dem Weg in einen Drogenstaat. 2011 sei erneut ein Dürrejahr gewesen und vor allem im Norden, dem friedlichen Teil des Landes, herrsche Hunger. Zusammenfassend sei eine Rückkehr nach Kabul ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen schlicht unzumutbar (vgl. ai vom 20.12.2010; Asylmagazin 12/2011, 408-414, m.w.N.).
43 
Andererseits wird berichtet, gerade in Kabul existiere eine rege Bautätigkeit. In den vergangenen Jahren seien zahlreiche Immobilienprojekte in Angriff genommen worden. In Folge dessen gebe es nunmehr vor allem im Bausektor, wenn auch schlecht bezahlte Tageslohnarbeit. Viele Stadtteile Kabuls würden seit 2009 zwischenzeitlich 24 Stunden am Tag mit Strom versorgt. Seit kurzem boome in einigen Städten wie Kabul und Masar-i-Scharif der Handel. Geschäfte würden über Nacht eröffnet und man habe mittlerweile ein großes, kaum einen Wunsch offenlassendes Warenangebot. Die Lage sei nicht gut, aber sie sei besser geworden. Jedenfalls im Stadtzentrum sei auch die Armut nicht mehr so offensichtlich. Es gebe nicht mehr überall bettelnde Frauen in Burkas und keine Banden von Kindern, die sich an Klebstoff berauschten. Dafür hätten unzählige Kebab-Stände eröffnet. Überhaupt gebe es deutlich zahlreichere Geschäfte als noch vor wenigen Jahren und sogar eine Müllabfuhr sowie ein Mindestmaß an Ordnung bzw. überhaupt wieder so etwas wie ein Stadtleben. Auch die Sicherheitslage in Kabul sei, abgesehen von einigen spektakulären Anschlägen, unverändert stabil und weiterhin deutlich ruhiger als noch vor zwei Jahren (vgl. Lagebericht AA vom 10.01.2012; Kermani, Die Zeit vom 05.01.2012, 11 ff; Asylmagazin 12/2011, 408-414, m.w.N.).
44 
Vor diesem Hintergrund kann heute - trotz der ambivalenten Erkenntnisquellen - aufgrund der hohen Hürden des Bundesverwaltungsgerichts für die Annahme einer extremen allgemeinen Gefahrenlage für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige eine solche Extremgefahr nicht mehr begründet werden. Anders als noch 2009 sieht auch der Senat keine hinreichenden Anhaltspunkte mehr dafür, dass bei dieser Personengruppe im Falle der Abschiebung alsbald der Tod oder schwerste gesundheitliche Beeinträchtigungen zu erwarten wären. Die Einschätzung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, es sei vielmehr zu erwarten, dass Rückkehrer in Kabul durch Gelegenheitsarbeiten „ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren könnten“, trifft heute auch nach Überzeugung des Senats zu. Zwar dürfte aufgrund der schlechten Gesamtsituation ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen in der Tat eine Rückkehr nach Kabul selbst für gesunde alleinstehende Männer unter humanitären Gesichtspunkten kaum zumutbar sein. Diese Zumutbarkeit ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts jedoch kein zentraler Maßstab für die Bestimmung einer extremen Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
45 
Im Falle des Klägers sind schließlich auch keine hinreichenden individuellen Faktoren gegeben, die ausnahmsweise eine extreme Gefahrenlage begründen könnten. Der Kläger leidet derzeit unter keinen gesundheitlichen Beeinträchtigungen mehr und ist, wie seine Beschäftigung in einem Restaurant verdeutlicht, arbeitsfähig. Allein aufgrund des für die Verhältnisse in Afghanistan, wo junge Burschen häufig mit 15 Jahren verheiratet werden und ein 20-jähriger Mann meist bereits mehrere Kinder hat (so Dr. Danesch vom 07.10.2010, Paktia, S. 6), in der Tat fortgeschrittenen Alters kann deshalb keine extreme Gefahrenlage erkannt werden. Auf die von der Beklagten aufgeworfene Frage, ob es aufgrund der dem Kläger seit längerem und bis heute erteilten Duldungen an einer Schutzlücke für eine verfassungskonforme Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG oder gar schon dem Rechtsschutzinteresse fehlt (vgl. BVerwG, Urteile vom 12.07.2001 - 1 C 2.01 - BVerwGE 114, 378 und vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 12), kommt es damit nicht an.
III.
46 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO und § 83 b AsylVfG.
IV.
47 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein gesetzlicher Zulassungsgrund vorliegt (§ 132 Abs. 2 VwGO).

Gründe

 
17 
Die zulässige, insbesondere rechtzeitig unter Stellung eines Antrags und unter Bezugnahme auf die ausführliche Begründung des Zulassungsantrags begründete Berufung (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 - NVwZ 2006, 1420 m.w.N.) der Beklagten hat Erfolg. Der Senat geht nunmehr davon aus, dass der Kläger die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (- Aufenthaltsgesetz -) in der Fassung der Änderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der EU vom 19.08.2007 (- 1. Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 28.08.2007, BGBl I 1970) sowie das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der EU und zur Anpassung nationaler Rechtvorschriften an den EU-Visakodex vom 22.11.2011 (- 2. Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 26.11.2011, BGBl I 2258) nicht mehr beanspruchen kann. Dem Kläger steht in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) weder ein unionsrechtlich begründeter noch ein nationaler Abschiebungsschutz zu.
I.
18 
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist im vorliegenden Übergangsfall zunächst das - angewachsene und für die Beteiligten nicht disponible - Verpflichtungsbegehren des Klägers auf Gewährung subsidiären unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG (entsprechend den Voraussetzungen für den subsidiären Schutz in Art. 15 der sog. Qualifikations-Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes; ABlEU Nr. L 304 S. 12; ber. ABlEU vom 05.08.2005 Nr. L 204 S. 24, neugefasst mit Umsetzungsfrist bis 21.12.2013 als Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011, ABlEU vom 20.12.2011 Nr. L 337 S. 9; - QRL -). Nur hilfsweise ist Gegenstand des Berufungsverfahrens der nationale Abschiebungsschutz, d.h. die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung (BVerwG, Urteil vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - juris Rn. 11). Sowohl der (weitergehende) unionsrechtlich begründete Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG als auch der nationale Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 und 3 AufenthG bilden jeweils einen einheitlichen, in sich nicht weiter teilbaren Streitgegenstand (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 11). In dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der erneuten mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) besteht zu Gunsten des Klägers hinsichtlich Afghanistans weder ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG noch nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung.
II.
19 
Unionsrechtlich begründeter Abschiebungsschutz ist im Falle des Klägers derzeit nicht gegeben.
20 
1. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG ist nicht erkennbar.
21 
a) Nach dieser Norm darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Unter „Folter“ ist in Anlehnung an die Definition von Art. 1 des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (BGBl. 1990 II S. 247, BGBl. 1993 II S. 715) eine Behandlung zu verstehen, die einer Person vorsätzlich schwere Schmerzen oder Leiden körperlicher oder geistig-seelischer Art zufügt, um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erzwingen, sie oder einen Dritten zu bestrafen, einzuschüchtern oder zu nötigen oder mit diskriminierender Absicht zu verfolgen. Wann eine „unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung“ vorliegt, hängt nach der insoweit vor allem maßgebenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom Einzelfall ab. Eine Schlechtbehandlung einschließlich Bestrafung muss jedenfalls ein Minimum an Schwere erreichen, um in den mit § 60 Abs. 2 AufenthG und Art. 15 lit. b QRL insoweit identischen Schutzbereich von Art. 3 EMRK zu fallen. Die Bewertung dieses Minimums ist nach Natur der Sache relativ. Kriterien hierfür sind abzuleiten aus allen Umständen des Einzelfalles, wie etwa der Art der Behandlung oder Bestrafung und dem Zusammenhang, in dem sie erfolgte, der Art und Weise ihrer Vollstreckung, ihrer zeitlichen Dauer, ihrer physischen und geistigen Wirkungen, sowie gegebenenfalls abgestellt auf Geschlecht, Alter bzw. Gesundheitszustand des Opfers. Abstrakt formuliert sind unter einer menschenrechtswidrigen Schlechtbehandlung Maßnahmen zu verstehen, mit denen unter Missachtung der Menschenwürde absichtlich schwere psychische oder physische Leiden zugefügt werden und mit denen nach Art und Ausmaß besonders schwer und krass gegen Menschenrechte verstoßen wird (Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 34 f., m.w.N.). Im Rahmen der Prüfung, ob eine konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung besteht, ist der asylrechtliche Prognosemaßstab der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ anzulegen, wobei allerdings das Element der Konkretheit der Gefahr das zusätzliche Erfordernis einer einzelfallbezogenen, individuell bestimmten und erheblichen Gefährdungssituation kennzeichnet (ausführlich: Senatsurteil vom 06.03.2011 - 11 S 3070/11 - juris; BVerwG, Beschluss vom 10.04.2008 - 10 B 28.08 - juris Rn. 6; Urteil vom 14.12.1993 - 9 C 45.92 - juris Rn. 10 f.).
22 
b) Im Falle des Klägers gibt es keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Annahme, es bestünde für ihn bei einer Rückkehr nach Kabul mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit im dargelegten Sinne die konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung. Eine solche konkrete Gefahr lässt sich auch nicht mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 21.01.2011 (Nr. 30696/09 - ) begründen. Wie sich aus der Urteilsbegründung (insbes. Rn. 261 bis 263) ergibt, wurde im dortigen Fall eine Verletzung von Art. 3 EMRK insbesondere bejaht, weil sich Griechenland nicht an die europarechtlichen Verfahrensregeln und Mindeststandards für Asylbewerber gehalten hat und deshalb menschenrechtswidrige Haft- und Lebensbedingungen bestanden. Der Gerichtshof geht mithin davon aus, dass ein Konventionsstaat Art. 3 EMRK verletzen kann, wenn er die sich selbst gegebenen asylverfahrensrechtlichen Mindeststandards im Einzelfall unterschreitet. Hieraus lässt sich jedoch nicht ableiten, dass solche Standards weltweit gelten müssten und das Fehlen derselben eine Abschiebung etwa nach Kabul sperren könnte. Im Hinblick auf die allgemeinen (unzureichenden) Lebensbedingungen sowie die Versorgungslage (auch in medizinischer Hinsicht) kann eine Verletzung von Art. 3 EMRK nach der ständigen Rechtsprechung des Straßburger Gerichtshofs durch den abschiebenden Staat vielmehr nur in extremen Ausnahmefällen in Betracht gezogen werden (Nachweise bei Hailbronner, AuslR, 10/2008, § 60 AufenthG, Rn. 119 ff). Solche können jedoch - wie unter III. 2. ausgeführt - derzeit in Bezug auf Kabul nicht festgestellt werden.
23 
2. Ebenso ist kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 3 AufenthG erkennbar, wonach ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden darf, wenn ihn dieser Staat wegen einer Straftat sucht und dort aufgrund konkreter und ernsthafter Anhaltspunkte die Gefahr der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe besteht (ausführlich: Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 39 ff., m.w.N.). Hierzu fehlen im Falle des Klägers jegliche Anhaltspunkte.
24 
3. Nach Auffassung des Senats liegt derzeit auch kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vor. Hiernach ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist.
25 
a) Diese Bestimmung entspricht nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts trotz geringfügig abweichender Formulierungen den Vorgaben des Art. 15 lit. c QRL und ist in diesem Sinne auszulegen (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 14). Nach Art. 15 lit. c QRL gilt als ernsthafter Schaden „eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts“.
26 
(1) Bei der Frage, ob ein internationaler oder innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, sind hiernach die vier Genfer Konventionen zum humanitären Völkerrecht von 1949 und insbesondere das Zusatzprotokoll II von 1977 (BGBl 1990 II S. 1637; - ZP II -) zu berücksichtigen. Das ZP II definiert in Art. 1 Nr. 1 den Begriff des nicht internationalen bewaffneten Konflikts wie folgt: „Dieses Protokoll, das den den Genfer Abkommen vom 12.08.1949 gemeinsamen Art. 3 weiterentwickelt und ergänzt, ohne die bestehenden Voraussetzungen für seine Anwendung zu ändern, findet auf alle bewaffneten Konflikte Anwendung, die von Art. 1 des Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vorn 12.08.1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I) nicht erfasst sind und die im Hoheitsgebiet einer Hohen Vertragspartei zwischen deren Streitkräften und abtrünnigen Streitkräften oder anderen organisierten bewaffneten Gruppen stattfinden, die unter einer verantwortlichen Führung eine solche Kontrolle über einen Teil des Hoheitsgebiets der Hohen Vertragspartei ausüben, dass sie anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen durchführen und dieses Protokoll anzuwenden vermögen.“ In seinem Art. 2 grenzt das ZP II sodann von Fällen bloßer "innerer Unruhen und Spannungen" ab, die nicht unter diesen Begriff fallen. Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts liegt demnach jedenfalls dann vor, wenn der Konflikt die Kriterien des Art. 1 Nr. 1 ZP II erfüllt. Er liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn die Ausschlusstatbestände des Art. 1 Nr. 2 ZP II erfüllt sind, es sich also nur um innere Unruhen und Spannungen handelt wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen, die nicht als bewaffnete Konflikte gelten. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinne von Art. 15 lit. c QRL nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss hierfür aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen. Typische Beispiele sind Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfe. Der völkerrechtliche Begriff des "bewaffneten Konflikts" wurde gewählt, um klarzustellen, dass nur Auseinandersetzungen von einer bestimmten Größenordnung an in den Regelungsbereich der Vorschrift fallen. Dennoch setzt ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt nicht zwingend einen so hohen Organisationsgrad und eine solche Kontrolle der Konfliktparteien über einen Teil des Staatsgebiets voraus, wie sie für die Erfüllung der Verpflichtungen nach den Genfer Konventionen von 1949 erforderlich sind. Ohnehin findet die Orientierung an den Kriterien des humanitären Völkerrechts ihre Grenze jedenfalls dort, wo ihr der Zweck der Schutzgewährung für in Drittstaaten Zuflucht Suchende nach Art. 15 lit. c QRL widerspricht. Weitere Anhaltspunkte für die Auslegung des Begriffs des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts können sich aus dem Völkerstrafrecht ergeben, insbesondere aus der Rechtsprechung der Internationalen Strafgerichtshöfe. Hiernach dürfte kriminelle Gewalt bei der Feststellung, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, jedenfalls dann keine Berücksichtigung finden, wenn sie nicht von einer der Konfliktparteien begangen wird (ausführlich: BVerwG, Urteile vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - juris Rn. 19 ff. und vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 -juris Rn. 23).
27 
(2) Bezüglich der Frage, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, ist zunächst das gesamte Staatsgebiet in den Blick zu nehmen. Besteht ein bewaffneter Konflikt jedoch nicht landesweit, kommt eine individuelle Bedrohung in Betracht, wenn sich der Konflikt auf die Herkunftsregion des Ausländers erstreckt, in der er zuletzt gelebt hat bzw. in die er typischerweise zurückkehren kann und voraussichtlich auch wird, d.h. auf seinen "tatsächlichen Zielort" bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat (EuGH, Urteil vom 17.02.2009, Rs. C-465/07 Rn. 40). Auf einen bewaffneten Konflikt außerhalb der Herkunftsregion des Ausländers kann es hingegen nur ausnahmsweise ankommen. In diesem Fall muss der Betreffende stichhaltige Gründe dafür vorbringen, dass für ihn eine Rückkehr in seine Herkunftsregion ausscheidet und nur eine Rückkehr gerade in die Gefahrenzone in Betracht kommt (BVerwG, Urteil vom 14.07.2009 - 10 C 9.08 - juris Rn. 17).
28 
(3) Konnte ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt zumindest im tatsächlichen Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat festgestellt werden, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts weiter zu fragen, ob ihm dort infolgedessen auch eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben infolge willkürlicher Gewalt droht. Hierfür sind Feststellungen über das Niveau willkürlicher Gewalt bzw. zu der sogenannten Gefahrendichte erforderlich, d.h. (1.) eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen und (2.) der Akte willkürlicher Gewalt, die von den Konfliktparteien gegen Leib und Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie (3.) eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung. Hierzu gehört auch die Würdigung der medizinischen Versorgungslage in dem jeweiligen Gebiet, von deren Qualität und Erreichbarkeit die Schwere eingetretener körperlicher Verletzungen mit Blick auf die den Opfern dauerhaft verbleibenden Verletzungsfolgen abhängen kann. Im Übrigen können die für die Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts entwickelten Kriterien entsprechend herangezogen werden. In jedem Fall setzt § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG für die Annahme einer erheblichen individuellen Gefahr voraus, dass dem Betroffenen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Schaden an den Rechtsgütern Leib oder Leben droht. Gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG gilt auch für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG u.a. die Beweisregel des Art. 4 Abs. 4 QRL (ausführlich: BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 - juris Rn. 32 ff.; vgl. auch Dolk, Asylmagazin 12/2011, 418 ff., m.w.N.).
29 
(4) Bei der Prüfung, ob dem Ausländer zumindest in seiner Herkunftsregion aufgrund eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben droht, sind gegebenenfalls gefahrerhöhende persönliche Umstände zu berücksichtigen. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich. Liegen hingegen gefahrerhöhende persönliche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt. Zu diesen gefahrerhöhenden Umständen gehören in erster Linie solche persönlichen Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen - z.B. als Arzt oder Journalist - gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Dazu können aber nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts auch solche persönlichen Umstände gerechnet werden, aufgrund derer der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte - etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit - ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht schon eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt. Auch im Fall gefahrerhöhender persönlicher Umstände muss aber ein hohes Niveau willkürlicher Gewalt bzw. eine hohe Gefahrendichte für die Zivilbevölkerung in dem fraglichen Gebiet festgestellt werden. Allein das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts und die Feststellung eines gefahrerhöhenden Umstandes in der Person des Antragstellers reichen hierfür nicht aus. Allerdings kann eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr auch dann, wenn individuelle gefahrerhöhende Umstände fehlen, ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 18 ff.).
30 
(5) Schließlich darf für den Ausländer keine Möglichkeit internen Schutzes gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 8 QRL bestehen. Nach Art. 8 Abs. 1 QRL können die Mitgliedstaaten bei der Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz feststellen, dass ein Antragsteller keinen internationalen Schutz benötigt, sofern in einem Teil des Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung bzw. keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht und von dem Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil aufhält. Nach Absatz 2 der Norm berücksichtigen die Mitgliedstaaten bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Antragstellers zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag. Nach Absatz 3 der Norm kann Absatz 1 kann auch dann angewandt werden, wenn praktische Hindernisse für eine Rückkehr in das Herkunftsland bestehen. Zur Frage, wann von dem Ausländer „vernünftigerweise erwartet werden kann“, dass er sich in dem verfolgungsfreien Landesteil aufhält, verweist das Bundesverwaltungsgericht auf die Begründung zum Regierungsentwurf des Richtlinienumsetzungsgesetzes (BT-Drs. 16/5065 S. 185). Hier wird ausgeführt, dass dies dann der Fall sei, wenn der Ausländer am Zufluchtsort eine ausreichende Lebensgrundlage vorfinde, d.h. dort das Existenzminimum gewährleistet sei. Ausdrücklich offen gelassen wurde, welche darüber hinausgehenden wirtschaftlichen und sozialen Standards erfüllt sein müssen. Allerdings spreche einiges dafür, dass die gemäß Art. 8 Abs. 2 QRL zu berücksichtigenden allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftslandes - oberhalb der Schwelle des Existenzminimums - auch den Zumutbarkeitsmaßstab prägen (BVerwG, Urteil vom 29.05.2008 - 10 C 11.07 - juris Rn. 32/35). Dem schließt sich der Senat an, denn hierfür spricht im Übrigen auch der Umstand, dass andernfalls der richtlinienkonforme Ausschluss der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG für die Fälle des Art. 15 lit. c QRL über die an den internen Schutz gestellten Anforderungen unterlaufen würde (Hess. VGH, Urteil vom 25.08.2011 - 8 A 1657/10.A - juris Rn. 91). Nach diesen Grundsätzen bietet ein verfolgungssicherer Ort erwerbsfähigen Personen eine wirtschaftliche Lebensgrundlage etwa dann, wenn sie dort, sei es durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem angemessenen Lebensunterhalt Erforderliche erlangen können. Zu den danach zumutbaren Arbeiten gehören auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, beispielsweise in der Landwirtschaft oder auf dem Bausektor, ausgeübt werden können. Nicht zumutbar sind hingegen jedenfalls die entgeltliche Erwerbstätigkeit für eine kriminelle Organisation, die in der fortgesetzten Begehung von oder Teilnahme an Verbrechen besteht. Ein verfolgungssicherer Ort, an dem selbst das Existenzminimum nur durch derartiges kriminelles Handeln erlangt werden kann, kann keine innerstaatliche Fluchtalternative sein. Bei der Prüfung des internen Schutzes muss mithin insbesondere gefragt werden, ob der Betreffende seine Existenz am Ort der Fluchtalternative auch ohne förmliche Gewährung eines Aufenthaltsrechts und ohne Inanspruchnahme staatlicher Sozialleistungen in zumutbarer Weise - etwa im Rahmen eines Familienverbandes - und ohne ein Leben in der Illegalität, das ihn jederzeit der Gefahr polizeilicher Kontrollen und der strafrechtlichen Sanktionierung aussetzt, angemessen sichern kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 01.02.2007 - 1 C 24.06 - juris Rn. 11 f.).
31 
b) Entgegen der Auffassung des Klägers kann der Senat in seinem Fall nicht erkennen, dass derzeit die dargestellten Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vorliegen würden. Der Senat ist vielmehr auf der Grundlage der insoweit weitgehend übereinstimmenden aktuellen Erkenntnisquellen davon überzeugt, dass in der Heimatregion des Klägers, d.h. in Kabul, schon kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne von Art. 15 lit. c QRL (mehr) gegeben ist. Die dortige Sicherheitslage wird, abgesehen von einigen spektakulären Anschlägen, die sich jedoch primär auf „prominente Ziele“ gerichtet haben, relativ einheitlich als stabil und weiterhin deutlich ruhiger als noch etwa vor zwei Jahren bewertet. Vor der von dem Kläger zitierten Anschlagsserie hat es offenbar sogar eine praktisch anschlagsfreie Zeit von fast 18 Monaten gegeben (Lagebericht AA vom 10.01.2012, S. 12; Kermani, Die Zeit vom 05.01.2012, 11 f.; Asylmagazin 12/2011, 418). Der Senat vermag deshalb der von dem Kläger zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Gießen (Urteil vom 20.06.2011 - 2 K 499/11.GI.A - www.asyl.net) nicht zu folgen, die in der Begründung vor allem auf die Konfliktgebiete im Süden bzw. Osten Afghanistans Bezug nimmt, und daher hinsichtlich des Leitsatzes, in ganz Afghanistan herrsche ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, zu wenig regional differenziert. Im dortigen Fall ging es im Übrigen, wenig vergleichbar, um einen alleinstehenden Jugendlichen im Alter von 15 Jahren aus der doch recht anders gelagerten Herkunftsregion Wardak. Bezüglich Kabuls selbst hebt das Verwaltungsgericht im Wesentlichen auf fünf Anschläge zwischen Januar und Mai 2011 ab. Insoweit handelt es sich aber um Fälle "innerer Unruhen und Spannungen" im Sinne von Art. 2 des ZP II, die gerade nicht unter den Begriff des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts zu subsumieren sind. In Übereinstimmung hiermit hat auch der Hessische Verwaltungsgerichtshof entschieden, dass in Kabul, trotz gegebener Übergriffe, kein bewaffneter Konflikt von solcher Dichte herrscht, dass darauf § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG angewandt werden könnte. Jedenfalls resultiere hieraus für Rückkehrer keine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben infolge willkürlicher Gewalt (Urteil vom 16.06.2011 - 8 A 2011/10.A - juris). Der Senat kommt zum gegenwärtigen Zeitpunkt und für die Situation des Klägers zu derselben Einschätzung.
III.
32 
Im Falle des Klägers liegt auch der somit hilfsweise zu prüfende nationale Abschiebungsschutz derzeit nicht vor. Zu seinen Gunsten besteht kein Abschiebungsverbot (mehr) hinsichtlich Afghanistans gemäß des einheitlichen Streitgegenstands nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung.
33 
1. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (- EMRK -, BGBl 1952 II 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Über diese Norm werden die Schutzregeln der EMRK in innerstaatliches Recht inkorporiert. Sowohl aus Systematik als auch Entstehungsgeschichte folgt jedoch, dass es insoweit nur um zielstaatsbezogenen Abschiebungsschutz geht. Inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse, abgeleitet etwa aus Art. 8 EMRK, ziehen hingegen regelmäßig nur eine Duldung gemäß § 60 a Abs. 2 AufenthG nach sich. Bezüglich Art. 3 EMRK ist zudem die weitergehende und „unionsrechtlich aufgeladene“ Schutznorm des § 60 Abs. 2 AufenthG vorrangig, d.h. im vorliegenden Falle nicht zu prüfen (vgl. zu § 60 Abs. 5: Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 45 ff., m.w.N.). Ob im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG auch nach Umsetzung der Qualifikationsrichtlinie 2004/83/EG alle Gefährdungen grundsätzlich irrelevant sind, die von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen (so noch BVerwG, Urteil vom 15.04.1997 - 9 C 38.96 - zur Vorgängernorm des § 53 Abs. 4 AuslG, juris Rn. 10), kann vorliegend dahingestellt bleiben. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, welches Menschenrecht der EMRK im konkreten Fall des Klägers ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG begründen könnte.
34 
2. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kann von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn für ihn dort eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Allerdings sind Gefahren der die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG bei Abschiebestopp-Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Denn hinsichtlich des Schutzes vor allgemeinen Gefahren im Zielstaat soll Raum sein für ausländerpolitische Entscheidungen, was die Anwendbarkeit von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG insoweit grundsätzlich sperrt und zwar selbst dann, wenn diese Gefahren den einzelnen Ausländer zugleich in konkreter und individualisierbarer Weise betreffen (BVerwG, Urteil vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324). Aus diesem Normzweck folgt weiter, dass sich die „Allgemeinheit“ der Gefahr nicht danach bestimmt, ob diese sich auf die Bevölkerung oder bestimmte Bevölkerungsgruppen gleichartig auswirkt, wie das bei Hungersnöten, Seuchen, Bürgerkriegswirren oder Naturkatastrophen der Fall sein kann. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG kann vielmehr auch bei eher diffusen Gefährdungslagen greifen, etwa dann, wenn Gefahren für Leib und Leben aus den allgemein schlechten Lebensverhältnissen (soziale und wirtschaftliche Missstände) im Zielstaat hergeleitet werden. Denn soweit es um den Schutz vor den einer Vielzahl von Personen im Zielstaat drohenden typischen Gefahren solcher Missstände wie etwa Lebensmittelknappheit, Obdachlosigkeit oder gesundheitliche Gefährdungen geht, ist die Notwendigkeit einer politischen Leitentscheidung in gleicher Weise gegeben (BVerwG, Urteil vom 12.07.2001 - 1 C 5.01 - BVerwGE 115, 1). Für die Personengruppe, der der Kläger angehört, besteht eine solche politische Abschiebestopp-Anordnung gemäß § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG in Baden-Württemberg derzeit nicht (mehr), seit mit Schreiben des Innenministeriums Baden-Württemberg vom 15.04.2005 (geändert am 01.08.2005, vgl. 21. Fortschreibung vom 23.01.2009, Az.: 4-13-AFG/8) in Umsetzung entsprechender Beschlüsse der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder bezüglich der Rückführung afghanischer Staatsangehöriger entschieden wurde, dass „volljährige, allein stehende männliche afghanische Staatsangehörige, die sich zum Zeitpunkt der Beschlussfassung am 24. Juni 2005 noch keine sechs Jahre im Bundesgebiet aufgehalten haben, mit Vorrang zurückzuführen sind“. Im konkreten Einzelfall des Klägers greift die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG auch unter Berücksichtigung von Verfassungsrecht.
35 
a) Die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG greift aufgrund der Schutzwirkungen der Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nur dann ausnahmsweise nicht, wenn der Ausländer im Zielstaat landesweit einer extrem zugespitzten allgemeinen Gefahr dergestalt ausgesetzt wäre, dass er „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert“ würde (st. Rspr. des BVerwG, s. Urteile vom 29.09.2011 - 10 C 24.10 - juris Rn. 20, vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324 und vom 19.11.1996 - 1 C 6.95 - BVerwGE 102, 249 zur Vorgängerregelung in § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG). Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassung wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar ist (BVerwG, Urteil vom 29.09.2011 - 10 C 24.10 - juris Rn. 20). Das Vorliegen der Voraussetzungen ist im Wege einer Gesamtgefahrenschau zu ermitteln (BVerwG, Beschluss vom 23.03.1999 - 9 B 866.98 - juris Rn. 7).
36 
b) Im Fall einer allgemein schlechten Versorgungslage sind Besonderheiten zu berücksichtigen. Denn hieraus resultierende Gefährdungen entspringen keinem zielgerichteten Handeln, sondern treffen die Bevölkerung gleichsam schicksalhaft. Sie wirken sich nicht gleichartig und in jeder Hinsicht zwangsläufig aus und setzen sich aus einer Vielzahl verschiedener Risikofaktoren zusammen, denen der Einzelne in ganz unterschiedlicher Weise ausgesetzt ist und denen er gegebenenfalls auch ausweichen kann. Intensität, Konkretheit und zeitliche Nähe der Gefahr können deshalb auch nicht generell, sondern nur unter Berücksichtigung aller Einzelfallumstände beurteilt werden (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 13.11.2002 - A 6 S 967/01 - juris Rn. 48 ff.). Um dem Erfordernis des unmittelbaren - zeitlichen - Zusammenhangs zwischen Abschiebung und drohender Rechtsgutverletzung zu entsprechen, kann hinsichtlich einer allgemein schlechten Versorgungslage eine extreme Gefahrensituation zudem nur dann angenommen werden, wenn der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr in sein Heimatland in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien kann. Mit dem Begriff „alsbald“ ist dabei einerseits kein nur in unbestimmter zeitlicher Ferne liegender Termin gemeint (BVerwG, Urteil vom 27.04.1998 - 9 C 13.97 - juris Rn. 8). Andererseits setzt die Annahme einer extremen allgemeinen Gefahrenlage nicht voraus, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Ankunft im Abschiebezielstaat, eintreten. Eine extreme Gefahrenlage besteht auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert sein würde (BVerwG, Urteil vom 29.06.2010 - 10 C 10.09 - juris Rn. 15).
37 
c) Diese Voraussetzungen sind im Falle des Klägers heute jedenfalls nicht mehr gegeben. In Übereinstimmung mit anderen Obergerichten (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 06.05.2008 - 6 A 10749/07 - AuAS 2008, 188; Hess. VGH, Urteil vom 26.11.2009 - 8 A 1862/07.A - NVwZ-RR 2010, 331) hatte der Senat mit Urteil vom 14.05.2009 - A 11 S 610/08 - (DVBl 2009, 1327) entschieden, dass für Ausländer aus der Personengruppe der beruflich nicht besonders qualifizierten afghanischen männlichen Staatsangehörigen, die in ihrer Heimat ohne Rückhalt und Unterstützung durch Familie oder Bekannte sind und dort weder über Grundbesitz noch über nennenswerte Ersparnisse verfügen, aufgrund der katastrophalen Versorgungslage bei einer Abschiebung nach Kabul eine extreme Gefahrensituation im dargelegten Sinne bestehe. Das Bundesverwaltungsgericht hat (auch) diese Entscheidung mit Urteil vom 08.09.2011 - 10 C 16.10 - (juris) aufgehoben. Insbesondere die Feststellungen zum Vorliegen einer extremen Gefahr im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan verletzten Bundesrecht und würden einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht standhalten, denn die Entscheidung sei insbesondere hinsichtlich der festgestellten drohenden Mangelernährung und den damit verbundenen gesundheitlichen Risiken auf eine zu schmale Tatsachengrundlage gestützt. Das Bundesverwaltungsgericht betont: „‘Hunger‘ führt nicht zwangsläufig zum Tod, 'gesundheitliche Risiken' führen nicht notwendigerweise zu schwersten Gesundheitsschäden.“ Damit verfehle das Berufungsgericht den Begriff der Extremgefahr (so im Urteil vom 29.09.2011 - 10 C 23.10 - juris Rn. 24 bzgl. einer Parallelentscheidung des Hess.VGH). Bei der erneuten Befassung mit der Sache sei der Senat gehalten, sich auch mit der gegenteiligen Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte (insbesondere: Bay.VGH, Urteil vom 03.02.2011 - 13a B 10.30394 - juris) auseinanderzusetzen.
38 
Es sei dahingestellt, ob ein Obergericht revisionsrechtlich dazu verpflichtet werden kann, sich mit der abweichenden Einschätzung anderer Obergerichte auseinanderzusetzen (kritisch: Hess.VGH, Urteil vom 25.08.2011 - 8 A 1657/10.A - juris Rn. 77). Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof vertritt jedenfalls in dem zum besonderen Studium aufgegebenen Urteil die Auffassung, dass für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige angesichts der aktuellen Auskunftslage im Allgemeinen derzeit nicht von einer extremen Gefahrenlage auszugehen sei, die zu einem Abschiebungsverbot in entsprechender Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde. Zwar sei zweifellos von einer äußerst schlechten Versorgungslage in Afghanistan auszugehen. Im Wege einer Gesamtgefahrenschau sei jedoch nicht anzunehmen, dass dort alsbald der sichere Tod drohe oder schwerste Gesundheitsbeeinträchtigungen zu erwarten wären. Bei der Wirtschaftslage bzw. den ökonomischen Rahmenbedingungen würden durchaus positive Tendenzen gesehen. Es sei mit einem realen jährlichen Wirtschaftswachstum zwischen 6 und 8 % zu rechnen. Auch hätten bessere Ernten zu einer Verbesserung der Gesamtversorgungslage geführt. Zwar sei die Versorgung mit Wohnraum zu angemessenen Preisen in den Städten nach wie vor schwierig. Das Ministerium für Flüchtlinge und Rückkehrer bemühe sich jedoch um eine Ansiedlung der Flüchtlinge in Neubausiedlungen. Wenn es heiße, dass der Zugang für Rückkehrer zu Arbeit, Wasser und Gesundheitsversorgung häufig nur sehr eingeschränkt möglich sei, bedeute dies andererseits, dass jedenfalls der Tod oder schwerste Gesundheitsgefährdungen alsbald nach der Rückkehr nicht zu befürchten seien. Dies ergebe sich auch aus dem Afghanistan Report 2010 von amnesty international, wonach Tausende von Vertriebenen in Behelfslagern lebten, wo sie nur begrenzten Zugang zu Lebensmitteln und Trinkwasser, Gesundheitsversorgung und Bildung erhalten würden. Eine Mindestversorgung sei damit aber gegeben. Auch sei eine hinreichende zeitliche Nähe („alsbald“) zwischen Rückkehr und lebensbedrohlichem Zustand aufgrund von Mangelernährung, unzureichenden Wohnverhältnissen und schwieriger Arbeitssuche nicht ersichtlich. Insgesamt sei davon auszugehen, dass ein 25-jähriger lediger und gesunder Afghane, der mangels familiärer Bindungen keine Unterhaltslasten trage, auch ohne nennenswertes Vermögen und ohne abgeschlossene Berufsausbildung im Falle einer Abschiebung nach Kabul dort in der Lage wäre, durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen zu erzielen, damit ein Leben am Rande des Existenzminimums zu finanzieren und sich allmählich wieder in die afghanische Gesellschaft zu integrieren.
39 
Dies entspricht im Wesentlichen der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (vgl. Beschluss vom 26.10.2010 - 20 A 964/10.A -; Urteil vom 19.06.2008 - 20 A 4676/06.A - beide juris). Das Oberverwaltungsgericht vermochte dem Aspekt, dass positive Feststellungen zu den Modalitäten der Beschaffung des Lebensnotwendigen nicht zu treffen seien, kein entscheidendes Gewicht zu geben vor dem Umstand, dass die zahlreich vorliegenden Berichte für eine extreme Verelendung nichts hergeben würden, obwohl angesichts der hohen Rückkehrerzahlen aus den Nachbarländern und der Binnenfluchtbewegungen nicht davon ausgegangen werden könne, dass es an jeglichem Potential für Vergleichsfälle fehle (Urteil vom 19.06.2008, juris Rn. 80).
40 
Der Senat schließt sich der Rechtsprechung der zitierten Gerichte nunmehr an, weil auch er eine gewisse Verbesserung der allgemeinen Versorgungslage in Kabul - dem derzeit einzig möglichen Abschiebungsziel (Lagebericht AA v. 10.01.2012, S. 29 f.) - erkennen kann, die nach den strengen Maßstäben des Bundesverwaltungsgerichts im Rahmen einer wertenden Gesamtschau der Annahme einer alsbald nach der Abschiebung eintretenden Extremgefahr für gesunde ledige afghanische Männer auch ohne Vermögen oder lokale Familien- bzw. Stammesstrukturen entgegenstehen.
41 
Dem zentralen Argument des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen, dass Fälle extremer Verelendung von Rückkehrern dokumentiert sein müssten, vermag der Senat keine aussagekräftigen Erkenntnisquellen entgegen zu setzen; es lässt sich nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand nicht widerlegen. Insbesondere sind Erkenntnisquellen, die den Hungertod von Rückkehrern in Kabul dokumentieren, auch dem Senat nicht bekannt (ebenso: UNHCR vom 11.11.2011, 10 f.). Und in der Tat sind seit 2002 vor allem mit Hilfe des UNHCR insgesamt rund vier Millionen Flüchtlinge nach Afghanistan zurückgekehrt, wenn auch davon nur ca. 15.000 aus anderen Ländern als Pakistan und dem Iran (Gietmann, Asylmagazin 12/2011, 413, m.w.N.). Infolgedessen gehört Kabul heute zu den Städten mit dem weltweit stärksten Bevölkerungswachstum. Betrug die Einwohnerzahl 2001 noch rund 1,5 Millionen, wurde sie von der Stadtverwaltung im Juni 2010 auf über 5 Millionen geschätzt. Der Bevölkerungsanteil der Rückkehrer und Binnenvertriebenen wird auf 70 % geschätzt (Yoshimura, Asylmagazin 12/2011, 408, m.w.N.).
42 
Allerdings sind sämtliche Informationen, die der Senat über die Situation in der Stadt finden kann, durchaus ambivalent. Einerseits heißt es, 23 % der Bevölkerung lebten dort unterhalb der Armutsgrenze. Insgesamt seien die Lebenshaltungskosten in Kabul im Laufe der vergangenen Jahre um 30 bis 50 % gestiegen. Bewohner seien auch beim Erwerb zahlreicher, selbst legaler Güter des Alltags gezwungen, Bestechungsgelder zu bezahlen. Die Kriminalität und Gefahr, Opfer von Überfällen zu werden, sei hoch (Landinfo 2011, Part II, 17). Kabul würde einer Stadt im permanenten Ausnahmezustand ähneln (Dr. Danesch vom 07.10.2010, Logar, 3). Nur 55,9 % der Haushalte verfügten über Zugang zu sauberem Wasser. Zahlreiche Brunnen im Stadtgebiet seien aufgrund der steigenden Inanspruchnahme ausgetrocknet bzw. erschöpft (ai vom 29.09.2009, 2). Bezahlbarer Strom liege für ärmere Kabuler Familien außerhalb der finanziellen Möglichkeiten. Die Arbeitslosenrate in Kabul werde auf bis zu 50 % geschätzt. Infolge des Mangels an bezahlbarem Wohnraum würden sich zahllose Menschen gezwungen sehen, in prekären Unterkünften wie Lehmhütten, Zelten oder alten beschädigten Gebäuden zu hausen. Die Bewohner dieser „informellen Siedlungen“ würden außerhalb des sozialen Sicherheitsnetzes leben und ihren Lebensunterhalt durch Betteln, den Verkauf von Müll und andere gering bezahlte Tätigkeiten bestreiten müssen. Über Nacht entstünden neue Armenviertel und Slums, in denen es weder Kanalisation noch Müllentsorgung und kaum sauberes Wasser, Elektrizität oder medizinische Hilfe gebe. Die Zahl derer, die auf der Flucht vor Krieg, Rechtlosigkeit, Willkürherrschaft und Armut in die Städte strömten, vergrößere sich tagtäglich. Besonders dramatisch nehme deshalb gerade in Kabul die Zahl von Obdachlosen und Drogenabhängigen zu. Ohnehin befinde sich Afghanistan auf dem Weg in einen Drogenstaat. 2011 sei erneut ein Dürrejahr gewesen und vor allem im Norden, dem friedlichen Teil des Landes, herrsche Hunger. Zusammenfassend sei eine Rückkehr nach Kabul ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen schlicht unzumutbar (vgl. ai vom 20.12.2010; Asylmagazin 12/2011, 408-414, m.w.N.).
43 
Andererseits wird berichtet, gerade in Kabul existiere eine rege Bautätigkeit. In den vergangenen Jahren seien zahlreiche Immobilienprojekte in Angriff genommen worden. In Folge dessen gebe es nunmehr vor allem im Bausektor, wenn auch schlecht bezahlte Tageslohnarbeit. Viele Stadtteile Kabuls würden seit 2009 zwischenzeitlich 24 Stunden am Tag mit Strom versorgt. Seit kurzem boome in einigen Städten wie Kabul und Masar-i-Scharif der Handel. Geschäfte würden über Nacht eröffnet und man habe mittlerweile ein großes, kaum einen Wunsch offenlassendes Warenangebot. Die Lage sei nicht gut, aber sie sei besser geworden. Jedenfalls im Stadtzentrum sei auch die Armut nicht mehr so offensichtlich. Es gebe nicht mehr überall bettelnde Frauen in Burkas und keine Banden von Kindern, die sich an Klebstoff berauschten. Dafür hätten unzählige Kebab-Stände eröffnet. Überhaupt gebe es deutlich zahlreichere Geschäfte als noch vor wenigen Jahren und sogar eine Müllabfuhr sowie ein Mindestmaß an Ordnung bzw. überhaupt wieder so etwas wie ein Stadtleben. Auch die Sicherheitslage in Kabul sei, abgesehen von einigen spektakulären Anschlägen, unverändert stabil und weiterhin deutlich ruhiger als noch vor zwei Jahren (vgl. Lagebericht AA vom 10.01.2012; Kermani, Die Zeit vom 05.01.2012, 11 ff; Asylmagazin 12/2011, 408-414, m.w.N.).
44 
Vor diesem Hintergrund kann heute - trotz der ambivalenten Erkenntnisquellen - aufgrund der hohen Hürden des Bundesverwaltungsgerichts für die Annahme einer extremen allgemeinen Gefahrenlage für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige eine solche Extremgefahr nicht mehr begründet werden. Anders als noch 2009 sieht auch der Senat keine hinreichenden Anhaltspunkte mehr dafür, dass bei dieser Personengruppe im Falle der Abschiebung alsbald der Tod oder schwerste gesundheitliche Beeinträchtigungen zu erwarten wären. Die Einschätzung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, es sei vielmehr zu erwarten, dass Rückkehrer in Kabul durch Gelegenheitsarbeiten „ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren könnten“, trifft heute auch nach Überzeugung des Senats zu. Zwar dürfte aufgrund der schlechten Gesamtsituation ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen in der Tat eine Rückkehr nach Kabul selbst für gesunde alleinstehende Männer unter humanitären Gesichtspunkten kaum zumutbar sein. Diese Zumutbarkeit ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts jedoch kein zentraler Maßstab für die Bestimmung einer extremen Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
45 
Im Falle des Klägers sind schließlich auch keine hinreichenden individuellen Faktoren gegeben, die ausnahmsweise eine extreme Gefahrenlage begründen könnten. Der Kläger leidet derzeit unter keinen gesundheitlichen Beeinträchtigungen mehr und ist, wie seine Beschäftigung in einem Restaurant verdeutlicht, arbeitsfähig. Allein aufgrund des für die Verhältnisse in Afghanistan, wo junge Burschen häufig mit 15 Jahren verheiratet werden und ein 20-jähriger Mann meist bereits mehrere Kinder hat (so Dr. Danesch vom 07.10.2010, Paktia, S. 6), in der Tat fortgeschrittenen Alters kann deshalb keine extreme Gefahrenlage erkannt werden. Auf die von der Beklagten aufgeworfene Frage, ob es aufgrund der dem Kläger seit längerem und bis heute erteilten Duldungen an einer Schutzlücke für eine verfassungskonforme Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG oder gar schon dem Rechtsschutzinteresse fehlt (vgl. BVerwG, Urteile vom 12.07.2001 - 1 C 2.01 - BVerwGE 114, 378 und vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 12), kommt es damit nicht an.
III.
46 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO und § 83 b AsylVfG.
IV.
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Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein gesetzlicher Zulassungsgrund vorliegt (§ 132 Abs. 2 VwGO).

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.