Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz Urteil, 21. März 2012 - 8 A 11050/10

ECLI:ECLI:DE:OVGRLP:2012:0321.8A11050.10.0A
21.03.2012

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 19. Dezember 2006 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Koblenz abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten beider Rechtszüge zu tragen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Der am … in Mazar-i Sharif geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger tadschikischer Volkszugehörigkeit. Er begehrt die Verpflichtung der Beklagten zu der Feststellung, dass in seinem Fall die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 AufenthG vorliegen.

2

Nachdem er nach eigenen Angaben am 31. März 2004 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland eingereist war, beantragte er unter dem 7. April 2004, als Asylberechtigter anerkannt zu werden.

3

Zur Begründung seines Asylbegehrens führte er in seiner Anhörung vom 20. April 2004 an, dass er gemeinsam mit seiner Schwester und seiner Mutter in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sei. Sein Vater sei etwa eine Woche vor der Ausreise verstorben. Der Kläger habe die Koranschule besucht und danach im Geschäft des Vaters mitgearbeitet. Dieser sei Teppichhändler gewesen. Die Familie habe sich in einer guten wirtschaftlichen Lage befunden. Vor der Ausreise habe sein Vater allerdings etwa 60.000 Dollar Schulden gehabt. Die Gläubiger hätten die Familie bedroht. Grund für die Schulden sei gewesen, dass drei Ladungen Teppiche auf dem Weg nach Pakistan gestohlen worden seien. Ein Freund seines Vaters habe die Ausreise organisiert. Hierzu habe der Kläger aus dem Haus der Familie Geld geholt, das dort versteckt gewesen sei. An den Schlepper habe die Familie 20.000 Dollar bezahlt. Die Verwandten des Klägers lebten in Deutschland oder der Türkei.

4

Mit Bescheid vom 15. November 2005 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Klägers als Asylberechtigter ab und stellte fest, dass in seinem Fall die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 sowie des § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen. Sie forderte den Kläger zur Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland auf und drohte ihm die Abschiebung nach Afghanistan an.

5

Am 1. Dezember 2005 hat der Kläger Klage erhoben, die er auf die Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beschränkt hat.

6

Mit Urteil vom 19. Dezember 2006 hat das Verwaltungsgericht die Beklagte zu der Feststellung verpflichtet, dass im Falle des Klägers die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Afghanistan vorliegen und den Bescheid der Beklagten vom 15. November 2005 insoweit aufgehoben, als er dieser Feststellung entgegensteht. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht darauf abgestellt, dass der Kläger bei einer Rückkehr in sein Heimatland wegen der dortigen unzureichenden Versorgungslage einer extremen Gefahr ausgesetzt wäre.

7

Zur Begründung ihrer vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Berufung hat die Beklagte angeführt, dass die vom Verwaltungsgericht angenommene extreme Gefahrenlage nicht vorliege. Die Sicherheits- und Versorgungslage insbesondere im Raum Kabul sei nicht derart schlecht, dass der Kläger bei einer Rückkehr dorthin gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde. Für einen jungen, gesunden und arbeitsfähigen Mann wie den Kläger sei davon auszugehen, dass er im Raum Kabul eine vergleichsweise stabile Existenz sichern könne.

8

Der Kläger ist der Berufung unter Verweis auf die Begründung des verwaltungsgerichtlichen Urteils entgegengetreten.

9

Mit Urteil vom 6. Mai 2008 hat das Oberverwaltungsgericht die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es angeführt, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan in hinreichender zeitlicher Nähe in einen unausweichlich lebensbedrohlichen Zustand geraten würde. Er könne seinen Lebensunterhalt weder aus eigener Kraft noch durch Zuwendungen Dritter bestreiten. Auch ein Zugang zu medizinischer Versorgung sei nahezu ausgeschlossen. Insoweit gerate er zwangsläufig in einen fortschreitenden Prozess körperlichen Verfalls mit lebensbedrohlichen Folgen.

10

Auf die Revision der Beklagten hat das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 29. Juni 2010 – 10 C 9.09 − die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

11

Die Beklagte führt im weiteren Verfahren ergänzend aus, dass im Falle des Klägers auch kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG anzuerkennen sei. Im Herkunftsgebiet des Klägers, dem Bereich um die Stadt Mazar-i Sharif könne nicht von dem Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgegangen werden. Zudem sei angesichts der Strukturen in der afghanischen Gesellschaft damit zu rechnen, dass der Kläger Unterstützung durch einen Stammes- oder Familienverband finden werde.

12

Die Beklagte beantragt,

13

unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 19. Dezember 2006 die Klage insgesamt abzuweisen.

14

Der Kläger beantragt,

15

die Berufung mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass vorrangig das Vorliegen eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungshindernisses festgestellt wird.

16

Er ist der Auffassung, dass die eingeholten Gutachten die Einschätzung des Oberverwaltungsgerichts in seinem Urteil vom 6. Mai 2008 bestätigten. Er laufe Gefahr, bei einer Rückkehr in sein Heimatland an Mangelernährung zu sterben.

17

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung von Gutachten der Sachverständigen P. R., Dr. B. G. sowie Dr. K. L. und durch Einholung einer amtlichen Auskunft des Auswärtigen Amtes. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.

18

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, die Verwaltungsakte sowie die in das Verfahren eigeführten Erkenntnismittel verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe

19

Die zulässige Berufung hat Erfolg.

20

Die Klage ist in vollem Umfang abzuweisen.

21

Dem Kläger steht weder ein Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG zu, noch sind in seinem Fall die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG gegeben.

22

1. In die Entscheidung des Senates waren – worauf bereits das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil hingewiesen hat – die Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG vorrangig vor dem Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, zu dessen Feststellung das Verwaltungsgericht die Beklagte verpflichtet hat, einzubeziehen.

23

Die unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbote, zu denen neben § 60 Abs. 2 und 3 AufenthG auch § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG gehört und deren Grundlagen sich aus Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes - Qualifikationsrichtlinie – ergeben, sind mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union - Richtlinienumsetzungsgesetz - (BGBl. I 2007, 1970) im August 2007 Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Ablehnungsbescheid der Beklagten – wie hier − sämtliche zielstaatsbezogenen ausländerrechtlichen Abschiebungsverbote erfasst und der Kläger die unionsrechtlichen Abschiebungsverbote in sein Verfahren einbezogen hat. Die unionsrechtlichen Abschiebungsverbote bilden einen eigenständigen, vorrangig vor den nationalen Abschiebungsverboten zu prüfenden Streitgegenstand (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 – 10 C 4/09 ─, BVerwGE 136, 360 und juris, Rn. 16; Urteil vom 29. Juni 2010 - 10 C 10.09 -, BVerwGE 137, 226 und juris, Rn. 6).

24

2. Im Falle des Klägers liegen indessen die Voraussetzungen eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbotes nicht vor.

25

a. Was die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 2 oder 3 AufenthG angeht, so hat sich der Kläger nicht hierauf berufen. Es ergeben sich auch ansonsten keine Hinweise darauf, dass er bei seiner Rückkehr der Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung sowie der Gefahr der Todesstrafe ausgesetzt wäre. Soweit er die Befürchtung geäußert hat, er könne von den Gläubigern seines Vaters misshandelt werden, kann es – ungeachtet der Frage, wie derartige Übergriffe Privater rechtlich einzuordnen sind – nicht als beachtlich wahrscheinlich angesehen werden, dass der Aufenthaltsort des Klägers bei einer Rückkehr von diesen Personen ermittelt und er von ihnen aufgegriffen werden kann.

26

b. Auch die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG liegen nicht vor.

27

aa. Nach dieser Vorschrift ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist.

28

Im Falle des Klägers kann dahinstehen, ob in seiner Herkunftsregion, der Provinz Balkh, ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne dieser Vorschrift vorliegt. Denn jedenfalls kann nicht festgestellt werden, dass er infolge eines solchen Konfliktes einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt wäre. Eine mögliche bewaffnete Auseinandersetzung erreicht in der Provinz Balkh keine solche Gefahrendichte, dass sich aus der allgemeinen Lage bereits eine individuelle ernsthafte Bedrohung für jede Person ergibt, die sich dort aufhält.

29

bb. Was eine sich im Rahmen einer allgemeinen Gefahrenlage bestehende Bedrohung angeht, so ist § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG zunächst richtlinienkonform dahin auszulegen, dass der bei Vorliegen des subsidiären Schutzes nach Art. 15 Buchst. c der Qualifikationsrichtlinie, der durch § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG in nationales Recht umgesetzt wurde, keine Sperrwirkung entfaltet. Der Betroffene muss sich bei einer allgemeinen Gefahr nicht mit der in § 60 a Abs. 1 AufenthG vorgesehenen Aussetzung der Abschiebung zufriedengeben, da ihm nach Art. 24 Abs. 2 der Qualifikationsrichtlinie ein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zusteht (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2008 - 10 C 43.07 -, BVerwGE 131, 191 und juris, Rn. 31).

30

cc. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit dann anzunehmen, wenn der Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht hat, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das Land oder die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften Bedrohung ausgesetzt zu sein. Mit einer solchen Auslegung wird dem Erwägungsgrund 26 der Qualifikationsrichtlinie Rechnung getragen, wonach Gefahren, denen die Bevölkerung oder eine Bevölkerungsgruppe allgemein ausgesetzt ist, für sich genommen normalerweise keine individuelle Bedrohung darstellen. Hiernach verlangt eine dennoch erfolgende Berücksichtigung eine Ausnahmesituation mit einem hohen Gefahrengrad. Hingegen kann der zur Gewährung subsidiären Schutzes erforderliche Grad willkürlicher Gewalt umso geringer sein, je mehr der Betroffene zu belegen vermag, dass er aufgrund von in seiner persönlichen Situation innewohnenden Umstände in besonderem Maße hierdurch betroffen ist (vgl. EuGH, Urteil vom 17. Februar 2009 - Rechtssache C-465/07 Elgafaji, Rn. 35 bis 39).

31

Für die Annahme einer entsprechenden Bedrohung ist dabei auch nach nationalem Recht erforderlich, dass sie durch willkürliche Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen Konfliktes ausgelöst wird. Das entsprechende Tatbestandsmerkmal von Art. 15 Buchst. c der Qualifikationsrichtlinie ist auch Bestandteil der gesetzlichen Regelung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG geworden. Wie sich der Begründung des Regierungsentwurfs zu diesem Gesetz entnehmen lässt (BT-Drs. 16/5065, S. 187), war es Absicht des Gesetzgebers, den Tatbestand des Art. 15 Buchst. c der Qualifikationsrichtlinie und damit auch das Erfordernis willkürlicher Gewalt in vollem Umfang in nationales Recht umzusetzen (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 - 10 C 4.09 -, a.a.O. und juris, Rn. 32). Von willkürlicher Gewalt ist auszugehen, wenn sich die in Frage stehende Gewalt auf Personen ungeachtet ihrer persönlichen Situation erstrecken kann (vgl. EuGH, Urteil vom 17. Februar 2009, a.a.O., Rn. 34).

32

Hiernach ist dann ein besonders hohes Maß willkürlicher Gewalt erforderlich, wenn keine persönlichen gefahrerhöhenden Umstände vorliegen. Liegen solche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt. Zu den gefahrerhöhenden Umständen gehören solche persönlichen Besonderheiten, die den Rückkehrer von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, wie etwa eine berufliche Verpflichtung sich in Gefahrennähe aufzuhalten. Hierzu können aber auch persönliche Umstände gerechnet werden, wie etwa die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion oder Ethnie, aufgrund derer der Betroffene zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte ausgesetzt ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 - 10 C 4.09 -, a.a.O. und juris, Rn. 33; Urteil vom 17. November 2011 – 10 C 13/10 −, juris Rn. 18). Beschränkt sich ein bewaffneter Konflikt auf einzelne Landesteile, so kommt eine individuelle Bedrohung in der Regel nur in Betracht, wenn der Konflikt sich auf die Herkunftsregion des Betroffenen erstreckt, in die er typischerweise zurückkehren muss. Bei der Feststellung, ob eine entsprechende individuelle erhebliche Gefahr gegeben ist, ist eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, erforderlich, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden. Weiterhin bedarf es einer wertenden Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen bei der Zivilbevölkerung (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 - 10 C 4.09 -, a.a.O. und juris, Rn. 33). Die entsprechende Gefahr muss dem Betroffenen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. November 2011, a.a.O., juris Rn. 20). Was die im Rahmen der Gesamtbetrachtung zu berücksichtigende quantitative Beurteilung angeht, hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 17. November 2011 (- 10 C 13/10 -, juris Rn. 22 f.) das Risiko, bei innerstaatlichen Auseinandersetzungen mit einer Wahrscheinlichkeit von 1 : 800 verletzt oder getötet zu werden, als für die Annahme einer individuellen Gefahr keinesfalls hinreichend angesehen.

33

dd. Nach diesen Kriterien ist der Kläger aufgrund der allgemeinen Situation in seiner Herkunftsprovinz keiner individuellen Bedrohung ausgesetzt.

34

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist insgesamt dadurch gekennzeichnet, dass es landesweit in unterschiedlicher Intensität zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen afghanischen Regierungstruppen und der unter Führung der NATO operierenden internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe (ISAF) auf der einen sowie den Taliban und anderen bewaffneten Gruppen auf der anderen Seite kommt. Das Land ist durch eine andauernde Instabilität geprägt. Insgesamt ist in den Jahren 2010 und 2011 eine Verschlechterung der Sicherheitslage festzustellen. Die Zahl der Anschläge hat sich im Jahr 2010 im Vergleich zum Vorjahr um 65 % erhöht. Während nach wie vor ein Schwerpunkt der sicherheitsrelevanten Zwischenfälle im Land in den südlichen und südöstlichen Regionen festzustellen ist, lässt sich gleichzeitig eine stärkere geografische Verteilung entsprechender Vorfälle konstatieren (vgl. UNHCR, Gutachten vom 11. November 2011 an das OVG Rheinland-Pfalz; ders., Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylbewerber vom 21. März 2011; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update - Die aktuelle Sicherheitslage vom 23. August 2011). Die für das Jahr 2010 genannte Zahl getöteter Zivilpersonen schwankt in einzelnen Quellen zwischen 2.428 (amnesty international, Report 2011 Afghanistan vom 18. August 2011) und 2.777 (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update - Die aktuelle Sicherheitslage vom 23. August 2011). Landesweit ist im 1. Halbjahr 2011 ein Anstieg der Zahl der getöteten Zivilsten um 15 % festzustellen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update - Die aktuelle Sicherheitslage vom 23. August 2011). Für das gesamte Jahr 2011 wird eine Zahl von 3021 ziviler Todesopfer genannt (United Nations Assistance Mission in Afghanistan – UNAMA, Annual Report 2011, Februar 2012), so dass erneut von einem beträchtlichen Anstieg auszugehen ist. Die Zahl der im Land insgesamt gemeldeten Angriffe bewaffneter oppositioneller Gruppierungen belief sich im Jahr 2011 auf 13.983 (The Afghanistan NGO Safety Office – ANSO, Quaterly Data Report Q.4 2011, Januar 2012).

35

Demgegenüber zeigt sich in der Provinz Balkh durch die Anwesenheit internationaler Organisationen und Militärs ein vergleichsweise sicheres Umfeld. Als problematisch hat sich in den vergangenen Jahren eher die hohe Kriminalitätsrate erwiesen. Die Situation in dieser Region wird als vergleichsweise friedlich eingeschätzt. Sie gehört zu den Provinzen, die in den zurückliegenden Jahren vom Konflikt am wenigsten betroffen waren (D-A-CH Kooperation Asylwesen Deutschland – Österreich – Schweiz, Sicherheitslage in Afghanistan, Juni 2010). War in den Jahren 2009 und 2010 im Verantwortungsbereich des Regionalkommandos Nord, zu dem auch die Provinz Balkh gehört und das in der Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif seinen Sitz hat, ein signifikanter Anstieg der Auseinandersetzungen festzustellen, kam es im ersten Halbjahr 2011 wieder zu einem Rückgang der Übergriffe um 50 %. Dabei ist es den afghanischen Sicherheitskräften und den ISAF-Einheiten gelungen, in den Regionen Kundus und Nord-Baghlan die regierungsfeindlichen Kräfte weitgehend aus ihren traditionellen Hochburgen zu verdrängen. Auch in den nordwestlichen Provinzen und damit in Balkh konnten – wenn auch nicht in diesem Ausmaß − militärische Fortschritte erzielt werden (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 10. Januar 2012). Mit diesem Vorgehen dürfte auch der seit 2008 feststellbaren und als problematisch angesehenen Infiltration des Nordens Afghanistans durch regierungsfeindliche Gruppierungen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update Die aktuelle Sicherheitslage vom 23. August 2011) entgegengewirkt worden sein. In der Provinz Balkh ereigneten sich im Jahr 2010 183 Angriffe oppositioneller bewaffneter Gruppierungen. Diese Anzahl ging im Jahr 2011 auf 144 zurück (ANSO, Quarterly Data Report, 4/2011, Januar 2012).

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Bei einer Bevölkerungszahl in der Provinz von 1,2 Mio. Einwohnern, die sich auf 17.000 km² erstreckt (71 Einwohner pro km²; vgl.: D-A-CH-Kooperation Asylwesen Deutschland – Österreich − Schweiz, Sicherheitslage in Afghanistan, Juni 2010), entfiel bei 144 registrierten Anschlägen oppositioneller Gruppierungen ein solcher Vorfall auf etwa 8300 Einwohner. Demgegenüber ereignet sich in Afghanistan insgesamt bei etwa 31 Mio. Einwohnern und 13.983 Übergriffen landesweit (ANSO, Quarterly Data Report, 4/2011, Januar 2012) ein Angriff je 2.200 Einwohner. Wenngleich auf die Region bezogene Opferzahlen nicht ersichtlich sind, so kann doch aus der allgemeinen Einschätzung der Sicherheitslage und der vergleichsweise niedrigen Zahl der Anschläge geschlossen werden, dass nur eine geringe Wahrscheinlichkeit besteht, in einen derartigen Vorfall als Zivilperson einbezogen zu werden und damit einer ernsthaften Gefährdung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit ausgesetzt zu sein.

37

Angesichts dieser Gesamtsituation wirkt es sich auch nicht zugunsten des Klägers aus, dass die medizinische Versorgungslage in Afghanistan – insbesondere in ländlichen Bereichen − weiterhin als unzureichend angesehen werden muss und ein Zugang zu Gesundheitseinrichtungen nicht gewährleistet ist (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes, Januar 2012; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update vom 23. August 2011). Vielmehr lässt sich schon allein anhand der Gefahrendichte feststellen, dass sich nicht für jeden Rückkehrer allein wegen seines Aufenthaltes in der Provinz eine ernsthafte individuelle Bedrohung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ergibt, so dass es insoweit nicht mehr entscheidend darauf ankommt, ob die Folgen einer Verletzung durch eine schnelle und wirksame medizinische Behandlung gemindert werden können (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. November 2011, a.a.O., juris Rn. 23).

38

ee. Besondere persönliche Umstände, die sich gefahrerhöhend auswirkten, sind im Falle des Klägers ebenfalls nicht ersichtlich. Er gehört in seiner Heimatregion der Bevölkerungsmehrheit der Tadschiken an. Soweit der Kläger in seinem Asylverfahren darauf verwiesen hat, dass die Familie von den Gläubigern seines Vaters bedroht worden sei, steht dieser Vorfall in keinem Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen zwischen regierungsfeindlichen Gruppierungen und den Sicherheitskräften sowie den ISAF-Einheiten.

39

3. Kann hiernach auch das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nicht festgestellt werden, so gilt dies gleichermaßen für das gegenüber den unionsrechtlichen Abschiebungsverboten nachrangig zu prüfende nationale Abschiebungsverbot in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 und Satz 3 AufenthG.

40

a. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für ihn eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Nach Satz 3 dieser Regelung sind Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Der Kläger beruft sich indessen im Wesentlichen gerade auf die allgemein ungünstigen Verhältnisse in seinem Heimatland. Bei diesen der Bevölkerung allgemein drohenden Gefahren gilt nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG jedoch der Vorrang einer politischen Leitentscheidung im Wege einer generellen Aussetzung der Abschiebung. Soweit der Kläger daneben auf die Gefahr abstellt, Opfer der Gläubiger seines Vaters zu werden, fehlt es bereits an hinreichenden Anhaltspunkten, dass er als dessen Sohn mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von diesen Personen ausfindig gemacht werden kann.

41

Die nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG bestehende Sperrwirkung ist allerdings im Wege der verfassungskonformen Auslegung dann einzuschränken, wenn der Ausländer bei einer Rückkehr in sein Heimatland eine extreme Gefahrenlage dergestalt zu gewärtigen hätte, dass er gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgesetzt sein würde und die obersten Landesbehörden von der nach § 60 a Abs. 1 AufenthG bestehenden Ermächtigung, die Abschiebung auszusetzen, keinen Gebrauch gemacht haben (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 1995 - 9 C 9.95 -, BVerwGE 99, 324 und juris, Rn. 14; Urteil vom 12. Juli 2001 - 1 C 5.01 -, BVerwGE 115, 1 und juris, Rn. 16; Urteil vom 29. September 2011 - 10 C 24.10 - juris, Rn. 19). Die Gefahrenlage muss landesweit bestehen (VGH BW, Urteil vom 14. Mai 2009 - A 11 S 610/08 -, juris, Rn. 20).

42

Was die für die Abweichung von der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG erforderliche Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahr angeht, so ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes von einem gegenüber dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Die extremen Gefahren müssen dem Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Zudem müssen sich die Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Dies bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert sein würde (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. September 2011, a.a.O., juris, Rn. 15).

43

b. Im Falle des Klägers kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Anforderungen an das Vorliegen einer extremen Gefahrenlage bei einer Rückkehr nach Afghanistan erfüllt sind.

44

Jedenfalls bei einer Rückkehr nach Kabul ist nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit mit seinem alsbaldigen Tod oder schwersten gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu rechnen. Dabei verkennt das Gericht nicht, dass Afghanistan durch eine problematische wirtschaftliche Situation geprägt ist, die zu einer schwierigen Versorgungslage führt. Afghanistan ist eines der ärmsten Länder der Welt. Die verbreitete Armut führt landesweit nach wie vor vielfach zu Mangelernährung. Im Jahr 2011 war die Getreideernte nach überdurchschnittlichen Ernten in den Jahren 2009 und 2010 wieder signifikant niedriger als in den Vorjahren. Staatliche soziale Sicherungssysteme existieren praktisch nicht. Die soziale Absicherung liegt traditionell bei den Familien- und Stammesverbänden. Der IWF rechnet indessen für das laufende afghanische Fiskaljahr mit einem Wachstum von 8 % des Bruttoinlandsproduktes außerhalb des Landwirtschaftssektors. Langfristig rechnen Experten bis zum Jahr 2030 mit einer durchschnittlichen jährlichen Steigerungsrate von 5 % (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 10. Januar 2012), so dass sich mittelfristig die Perspektive einer Besserung der Verhältnisse ergibt. Erwerbsmöglichkeiten sind für einen Großteil der Bevölkerung nur eingeschränkt vorhanden. Die Arbeitslosenrate liegt bei etwa 40 %. Etwa 80 % der Bevölkerung sind in der Landwirtschaft tätig. Selbst nicht arbeitslose Afghanen erzielen durch ihre Arbeit nur in 13,5 % der Fälle regelmäßige Einkünfte. Unproblematisch ist die Situation lediglich für hochqualifizierte Kräfte wie Ingenieure, Finanz- und Verwaltungsfachleute. Für die Möglichkeit, seinen Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit sicherzustellen, kommt es wesentlich auf die Einbindung des Betroffenen in den erweiterten Familien- oder Bekanntenkreis an, der auch das soziale Sicherheitsnetz begründet (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft vom 31. Oktober 2011 an das OVG Rheinland-Pfalz; UNHCR, Auskunft vom 11. November 2011 an das OVG Rheinland-Pfalz; Dr. L., Stellungnahme vom 8. Juni 2011 an das OVG Rheinland-Pfalz; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update - Die aktuelle Sicherheitslage vom 23. August 2011 -).

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Dem Kläger droht indes auch vor dem Hintergrund der geschilderten allgemeinen Lage in der Hauptstadt Kabul keine extreme Gefahrenlage. Die Lage dort ist durch eine positive Wirtschaftsentwicklung geprägt. Dies führt allerdings dazu, dass sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt wegen der steigenden Zahl der Binnenvertriebenen und der wirtschaftlichen Migration aus anderen Landesteilen weiter verschärft. Weitere Folge dieser starken Zuwanderung aus anderen Landesteilen ist, dass die Lebenshaltungskosten und damit die Kosten für eine Unterkunft bedeutend höher liegen als in anderen Landesteilen (vgl. Gutachterliche Stellungnahme von Dr. K. L. an das OVG Rheinland-Pfalz vom 09. Juni 2011; Gutachten des UNHCR an das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz vom 11. November 2011).

46

Als unwahrscheinlich ist zudem die Option anzusehen, dass der Kläger nach seiner Rückkehr eine Arbeitsstelle findet, die seinen Lebensunterhalt dauerhaft gewährleistet. Vielmehr wird er voraussichtlich darauf angewiesen sein, sich als Tagelöhner zu verdingen (vgl. Gutachten von P. R. an das OVG Rheinland-Pfalz vom 15. Januar 2008). Grundlage hierfür ist insbesondere der Bauboom in der Hauptstadt, der die entsprechenden Möglichkeiten erheblich ausgeweitet hat. Bei der Arbeitssuche kommt überdies der Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppierung in der Hauptstadt, da diese multiethnisch und kosmopolitisch geprägt ist, keine so große Bedeutung zu, wie es in der Provinz der Fall ist (Gutachten von Dr. B. G. an das OVG Rheinland-Pfalz vom 31. August 2008). Insoweit wird der Kläger nicht in gleichem Maße auf die Unterstützung durch seinen Stammes- oder Familienclan angewiesen sein, wie dies in anderen Regionen seines Heimatlandes der Fall wäre.

47

Was die Möglichkeit angeht, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, so ist in seinem Falle weiterhin zu berücksichtigen, dass er alleinstehend ist und daher nicht in der Verantwortung steht, den Unterhalt von Ehefrau oder Kindern gleichfalls sicherzustellen. Hiernach ist aber bereits nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Kläger bei einer Rückkehr in sein Heimatland ohne Unterstützung durch Familien- oder Stammesangehörige nicht in der Lage wäre, durch eine - wenn auch unregelmäßige - Erwerbstätigkeit seinen Lebensunterhalt zumindest in bescheidenem Umfang durch eine Tagelöhnertätigkeit zu erzielen (vgl. Amtliche Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz vom 31. Oktober 2011). Insoweit ergibt sich auch keine ernstliche Verschlechterung der Situation dadurch, dass er sich längere Zeit, nämlich seit dem Jahre 2004, außerhalb seines Heimatlandes aufgehalten hat. Selbst wenn sich hieraus eine Erschwernis bei der Arbeitssuche ergeben sollte (vgl. Amtliche Auskunft des Auswärtigen Amtes an das OVG RP vom 31. Oktober 2011), so besteht jedoch keine Einschränkung der Eignung für einfache körperliche Tätigkeiten. Insoweit sind es gerade junge, kräftige Männer, die am ehesten die Chance haben, sich auf dem Arbeitsmarkt für Tätigkeiten durchzusetzen, bei denen harte körperliche Arbeit gefragt ist (vgl. Gutachten von Dr. Mostafa Danesch an den HessVGH vom 07. Oktober 2010 – Logar). Was den Kläger angeht, kommt hinzu, dass er vor seiner Ausreise im Teppichhandel seines Vaters mitgeholfen und dadurch Erfahrungen im Wirtschaftsleben seines Heimatlandes erworben hat.

48

Auch die allgemeine Versorgungslage in Afghanistan lässt nicht zwingend den Schluss zu, dass der Kläger als alleinstehender junger Mann bei einer Rückkehr mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Zwar ist in Afghanistan etwa ein Drittel der Bevölkerung von Mangelernährung betroffen, die dadurch gekennzeichnet ist, dass den Betroffenen keine ausreichende Nahrung für ein gesundes und aktives Leben zur Verfügung steht (Stellungnahme des UNHCR vom 11. November 2011 an das OVG Rheinland-Pfalz). Dies bedeutet indessen nicht, dass bei diesem Bevölkerungsanteil bereits gesundheitliche Beeinträchtigungen in erheblichem Ausmaß eingetreten sind. Vielmehr wird damit lediglich zum Ausdruck gebracht, dass bei etwa einem Drittel der afghanischen Bevölkerung die Gefahr gesundheitlicher Beeinträchtigung durch Mangelernährung besteht. Die von Frau Dr. T. in der mündlichen Verhandlung vom 06. Mai 2008 geschilderten Folgen der Mangelernährung können in einem solchen Fall eintreten; sie sind aber nicht zwingend. Hinzu kommt, dass es auch bei der Gefahr von Armut und Mangelernährung demographische Risikogruppen gibt. Bei der Definition der Begriffe der absoluten Armut (1 Dollar und weniger pro Tag), von der etwa 36 % der Afghanen betroffen sind, und des Lebens knapp über der Armutsgrenze (2 bis 3 Dollar), das 37 % der afghanischen Bevölkerung führen, wird auf die Verhältnisse einer sechs- bis achtköpfigen Großfamilie abgestellt (vgl. Gutachten von Dr. M. D. an den Hessischen VGH vom 07. Oktober 2010 – Logar). Dies bestätigt aber die Annahme, dass gerade nicht junge, alleinstehende Männer, sondern eher Familien mit mehreren Kindern in besonderem Maße in Afghanistan existentiell gefährdet sind.

49

Da der Kläger nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit der Gefahr ernsthafter gesundheitlicher Beeinträchtigungen ausgesetzt ist, kann bei ihm, der keine Vorerkrankungen dargelegt hat, auch nicht mit einer alsbald nach der Rückkehr drohenden extremen Gefahrenlage allein wegen der – insbesondere in ländlichen Bereichen – unzureichenden medizinischen Versorgungslage in Afghanistan (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes, Januar 2012; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update vom 23. August 2011) gerechnet werden.

50

Insgesamt kann hiernach zwar nicht ausgeschlossen werden, dass der Kläger in seinem Heimatland in eine ernsthafte Gefahrenlage gerät, für deren alsbald nach der Rückkehr erfolgenden Eintritt spricht aber keine hohe Wahrscheinlichkeit.

51

Die Ansicht, dass für junge, männliche afghanische Staatsangehörige, die beruflich nicht besonders qualifiziert sind und nicht auf den Rückhalt von Familie oder Bekannten zurückgreifen können, in Kabul keine extreme Gefahrensituation besteht, wird von der überwiegenden Zahl der Obergerichte geteilt (vgl. VGH BW, Urteil vom 06. März 2012 – A 11 S 610/08 −; BayVGH, Urteil vom 03. Februar 2011 – 13a B 10.30394 −, juris Rn. 37; OVG NW, Urteil vom 19. Juni 2008 – 20 A 4676/06.A −, juris Rn. 68 und Beschluss vom 26. Oktober 2010 – 20 A 964/10.A −, juris Rn. 7; OVG SH, Urteil vom 10. Dezember 2008 – 2 LB 23/08 −, juris Rn. 34; a.A. wohl: HessVGH, Urteil vom 25.08.2011 – 8 A 1659/10.A −, Juris Rn. 93 ).

52

Was einen möglichen Aufenthalt des Klägers in Kabul angeht, so liegen auch in diesem Bereich die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nicht vor. Ausweislich des Lageberichtes des Auswärtigen Amtes vom 10. Januar 2012 kann die Sicherheitslage in Kabul weiterhin als stabil angesehen werden. Zwar hätten sich seit Januar 2011 in der Hauptstadt mehrere spektakuläre Selbstmordanschläge ereignet. Zuvor sei es allerdings über einen Zeitraum von fast 18 Monaten hinweg zu praktisch keinerlei Anschlägen gekommen. Es handelte sich um einzelne spektakuläre Anschläge auf exponierte Ziele (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update - Die aktuelle Sicherheitslage vom 23. August 2011). Insgesamt waren 71 Tote in der Zivilbevölkerung Kabuls zu verzeichnen, wovon 67 Personen Opfer von sechs Selbstmordanschlägen wurden (vgl. UNAMA, Afghanistan, Annual Report 2011, Februar 2012). Diese Umstände sprechen bereits dagegen, in Kabul einen innerstaatlichen bewaffneten Konflikt anzunehmen (vgl. VGH BW, Urteil vom 06. März 2012 – A 11 S 3177/11 −). Jedenfalls ergibt sich aber keine erhebliche Gefahr für jeden Rückkehrer, Opfer einer bewaffneten Auseinandersetzung zu werden. Bei einer Gesamteinwohnerzahl von etwa 3,5 bis 4,5 Mio. Menschen (D-A-CH-Kooperation Asylwesen Deutschland – Österreich – Schweiz, Sicherheitslage in Afghanistan, Juni 2010) und einer Konzentration der Übergriffe auf wenige Vorfälle fehlt es an der erforderlichen Gefahrendichte.

53

Die von der Beklagten verfügte Abschiebungsandrohung findet ihre Rechtsgrundlage in § 34 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 59 AufenthG.

54

Soweit der Kläger sich mit Schriftsatz vom 01. April 2012 an den Senat gewandt hat, bestand kein Anlass, erneut in eine mündliche Verhandlung einzutreten, da er seinen bisherigen Vortrag lediglich konkretisiert hat.

55

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § § 83 b AsylVfG nicht erhoben.

56

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. 708 ff. ZPO.

57

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.

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(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten im vorliegenden Verfahren nur noch um die Feststellung eines Abschiebungsverbots in Bezug auf Afghanistan nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG i.V.m. Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG (sog. Qualifikationsrichtlinie).

2

Der 1972 geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger paschtunischer Volkszugehörigkeit. Er stammt aus der südöstlich von Kabul gelegenen Provinz Paktia. Im Februar 2001 reiste er nach Deutschland ein und beantragte Asyl. Zur Begründung trug er im Wesentlichen vor, er habe Afghanistan verlassen, um sich einer erzwungenen Rekrutierung durch die Taliban zu entziehen.

3

Im Juli 2001 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) - im Folgenden: Bundesamt - den Antrag auf Asyl- und Flüchtlingsanerkennung ab und verneinte das Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 1 bis 4 AuslG, stellte aber fest, dass zu Gunsten des Klägers ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG hinsichtlich Afghanistans besteht. Zur Begründung führte es aus, die vom Kläger geschilderte Rekrutierung durch die Taliban könne nicht zur Asyl- oder Flüchtlingsanerkennung führen, da sie nicht an asylerhebliche Merkmale anknüpfe. Sie begründe jedoch ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG. Zwangsrekrutierungen junger Männer durch die Taliban oder die Nordallianz seien im ganzen Land üblich und drohten auch dem Kläger bei einer Rückkehr. Wenn der Kläger in die Armee gepresst und praktisch unvorbereitet in den heftig geführten Kämpfen eingesetzt werde, bestehe akute Gefahr für Leib und Leben.

4

Im Februar 2006 leitete das Bundesamt hinsichtlich des zuerkannten Abschiebungshindernisses ein Widerrufsverfahren ein, weil durch den Sturz der Taliban die Gefahr der Zwangsrekrutierung für den Kläger entfallen sei. Im Rahmen der Anhörung machte dieser geltend, bei ihm lägen nach wie vor individuelle Gründe für die Gewährung von Abschiebungsschutz vor. Sein Heimatdorf in der Provinz Paktia liege nahe der pakistanischen Grenze. Dort sei auch gegenwärtig eines der Hauptoperationsgebiete der Taliban. Für ihn bestehe die Gefahr einer Bestrafung durch die Taliban, weil er sich seinerzeit der Zwangsrekrutierung entzogen habe. Auch die Gefahr der Zwangsrekrutierung bestehe weiterhin. Er wisse von keinen in Afghanistan lebenden Verwandten mehr, die ihm Schutz oder Hilfe geben könnten. Sein Heimatdorf sei bombardiert und das Familienhaus zerstört worden. Seine dort lebende Verwandtschaft solle dabei ums Leben gekommen sein. Seine Ehefrau sei mit den Kindern nach Pakistan geflohen und habe dort in einem Dorf gelebt, das im Oktober 2005 durch ein Erdbeben zerstört worden sei. Seitdem habe er von ihnen kein Lebenszeichen mehr erhalten. Zudem träten bei ihm seit seiner Kindheit drei- bis viermal monatlich epileptische Anfälle auf, die sowohl ärztliche Behandlung als auch teure Medikamente erforderten. Außerdem leide er an einer posttraumatischen Belastungsstörung.

5

Mit Bescheid vom 29. Mai 2006 widerrief das Bundesamt gemäß § 73 Abs. 3 AsylVfG den zuerkannten Abschiebungsschutz und stellte fest, dass sonstige Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 6 AufenthG ebenfalls nicht vorliegen. Zumindest im Raum Kabul sei die Sicherheits- und Versorgungslage nicht derart schlecht, dass der Kläger bei einer Rückkehr dorthin "gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde". Im Hinblick auf die persönliche Lebenssituation des Klägers als alleinstehender männlicher Erwachsener sei davon auszugehen, dass er im Kabuler Raum eine vergleichsweise stabile Existenzgrundlage finden werde. Er gehöre nicht zu den Personen, die aufgrund ihrer individuellen Situation besonders schutzbedürftig seien. Auch seine epileptischen Anfälle könnten in Kabul ebenso wie seine posttraumatische Belastungsstörung behandelt werden.

6

Die dagegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht im September 2007 abgewiesen. Der Widerruf sei zu Recht erfolgt, weil im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ein Abschiebungsverbot nach der jetzt maßgeblichen Nachfolgevorschrift zu § 53 Abs. 6 AuslG, dem § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, nicht bestehe. Auch das in Umsetzung von Art. 15 Buchst. c der Qualifikationsrichtlinie nunmehr neu eingeführte Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG liege im Falle des Klägers nicht vor. Ebenso wenig bestünden sonstige Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, 3 und 5 AufenthG. Nach dem Sturz des Taliban-Regimes brauche der Kläger eine Zwangsrekrutierung durch die Taliban nicht mehr zu befürchten. Dass in der Provinz Paktia die Taliban wieder erstarkt und aktiv seien, sei unerheblich, weil der Kläger sich im Raum Kabul niederlassen könne. Dort sei auch eine Behandlung seiner Erkrankungen möglich. Für den Großraum Kabul könne ein internationaler oder innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, der zu einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit des Klägers infolge willkürlicher Gewalt nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG führe, nicht angenommen werden.

7

Die dagegen gerichtete Berufung des Klägers hatte Erfolg. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat mit Urteil vom 11. Dezember 2008 das erstinstanzliche Urteil abgeändert, den Bescheid der Beklagten vom 29. Mai 2006 aufgehoben, soweit die Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG widerrufen worden ist, und das Bundesamt verpflichtet, in Bezug auf Afghanistan das Vorliegen der Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG festzustellen. Für den Kläger lägen in Bezug auf Afghanistan die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG vor. Dabei sei nach der zwischenzeitlichen Rechtsänderung durch Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes am 28. August 2007 aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes vorrangig auf das neu eingefügte Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG abzustellen. Die Voraussetzungen für ein solches Abschiebungsverbot lägen vor. In der Heimatregion des Klägers, der Provinz Paktia, herrsche derzeit ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt in Form von Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfen zwischen der afghanischen Regierungsarmee/ISAF/NATO einerseits und den Taliban und anderen oppositionellen Kräften andererseits. Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt erfordere keine landesweite Konfliktsituation, sondern liege schon dann vor, wenn seine Voraussetzungen nur in einem Teil des Staatsgebietes erfüllt seien. Die Provinz Paktia liege im südöstlichen Afghanistan im sog. Paschtunengürtel und werde von Hilfsorganisationen und ausländischen Militärs inzwischen als eine der gefährlichsten Gegenden der Welt beschrieben. Die Taliban gewönnen im gesamten Südosten Afghanistans wieder an Stärke und betrachteten Paktia als Rückzugs- und Transitraum. Der Gouverneur der Provinz sei am 10. September 2006 von den Taliban ermordet worden, die während der Beerdigung noch ein Selbstmordattentat verübt hätten. Die Infiltration der Guerilla über die nahe pakistanische Grenze habe rapide zugenommen. In diesem paschtunisch geprägten Gebiet fänden vermehrt Überfälle und Selbstmordattentate der "Fundis der Neo-Taliban" statt. Der Verwaltungsgerichtshof stützt sich dabei auf ein Gutachten von Dr. D. vom Dezember 2006, einen Bericht von Amnesty International vom Januar 2007 sowie den Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom März 2008 über den Anstieg gewaltsamer Übergriffe regruppierter Taliban und anderer regierungsfeindlicher Kräfte im Süden und Südosten Afghanistans.

8

Von diesem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt gingen für eine Vielzahl von Zivilpersonen Gefahren aus, die sich in der Person des Klägers im Falle seiner Rückkehr so verdichten würden, dass sie für ihn als Angehörigen der Zivilbevölkerung eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib oder Leben gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG in Form von Bestrafung und/oder Zwangsrekrutierung durch die Taliban begründen würden, zumal zu seinen Gunsten im Sinne einer Beweislastumkehr der herabgemilderte Prognosemaßstab gemäß Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie heranzuziehen sei: Es sei nämlich davon auszugehen, dass der Kläger im Februar 2001 vor einer ihm drohenden Zwangsrekrutierung und/oder Bestrafung durch die Taliban aus seinem Heimatdorf geflüchtet sei. Die Schilderung des Klägers decke sich mit der Beschreibung der Zwangsrekrutierungspraktiken der Taliban in den Erkenntnismitteln des Bundesamts. Deshalb könne seinen Angaben auch nach Auffassung des Senats geglaubt werden. Es sprächen keine stichhaltigen Gründe dagegen, dass er bei einer Rückkehr wegen seiner Vorgeschichte von einer Bestrafung oder einer Zwangsrekrutierung durch die mit großem Rückhalt der dortigen Bevölkerung agierenden Taliban bedroht würde. Da die dem Kläger infolge des bewaffneten Konflikts drohende Gefahr danach nicht auf neuen, andersartigen verfolgungsbegründenden Umständen beruhe, sondern in einem inneren Zusammenhang mit den für seine Ausreise maßgeblichen Gründen stehe, sei die Anwendung der Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie gerechtfertigt.

9

Der Kläger könne schließlich nicht auf einen internen Schutz in einem anderen Teil Afghanistans verwiesen werden. Denn in anderen Landesteilen, insbesondere in dem wohl allein hier infrage kommenden Bereich der Hauptstadt Kabul, könne der aus der ländlichen Provinz stammende, ungelernte, kranke und seit knapp acht Jahren in Deutschland lebende Kläger angesichts der angespannten Arbeitsmarktsituation und der schlechten Sicherheits- und Versorgungslage sein Existenzminimum nicht sichern. Er verfüge in Kabul über keinerlei familiäres oder soziales Netzwerk oder über Ortskenntnisse. Zu den allgemeinen schwierigen Lebensbedingungen komme hinzu, dass er wegen seiner nachgewiesenen Epilepsie-Erkrankung zusätzlich gesundheitlich gefährdet und deshalb auch nur als sehr eingeschränkt arbeitsfähig anzusehen sei. In diesem Fall seien daher auch nach den vom Senat bisher zu Grunde gelegten strengen Maßstäben sogar die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach nationalem Recht in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen. Auch deshalb sei der angefochtene Widerrufsbescheid aufzuheben.

10

Die Beklagte wendet sich mit der vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Revision nicht gegen die Aufhebung des Widerrufs des nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, sondern nur noch gegen die Verpflichtung zur zusätzlichen Feststellung eines gemeinschaftsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Sie macht geltend, es sei bereits fraglich, ob der Verwaltungsgerichtshof ordnungsgemäß nach den Vorgaben der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts das Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts festgestellt habe. Jedenfalls habe er keine hinreichend nachvollziehbaren Feststellungen dazu getroffen, warum gerade der Kläger aufgrund dieses Konflikts in eine Gefahr für Leib oder Leben geraten solle. Es sei weder festgestellt noch ersichtlich, dass der Kläger etwa einer Personengruppe angehöre, die aufgrund ihrer Stellung und Funktion besonderen Verfolgungsrisiken seitens fanatischer Islamisten ausgesetzt sein könnte. Er gehöre auch keiner religiösen oder ethnischen Minderheit an. Er sei vielmehr ein einfacher Bauer, der Afghanistan wegen seiner damaligen Befürchtung, zwangsrekrutiert zu werden, schon vor über acht Jahren verlassen habe. Dass genau diese Gefahr heute noch bestehen solle, nachdem der Kläger mit 36 Jahren zwar noch im wehrfähigen Alter, aber nach allen Feststellungen ein kranker Mann sei, sei nicht nachvollziehbar. Die Anwendung von Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie sei rechtsfehlerhaft, weil die frühere und die etwaige künftige Gefahr nicht gleichartig seien. Von einer derartig hohen Gefahr, dass jedenfalls in der Provinz Paktia praktisch jeder überall und jederzeit einer Gefahr für Leib oder gar Leben ausgesetzt wäre, könne nach den Darstellungen des Verwaltungsgerichtshofs nicht gesprochen werden. Außerdem rügt die Beklagte in der Revisionsverhandlung zusätzlich eine Verletzung des rechtlichen Gehörs durch den Verwaltungsgerichtshof. Dieser habe über das erst in der Berufungsverhandlung vom Hilfsantrag zum Hauptantrag aufgewertete Begehren auf Feststellung des neuen gemeinschaftsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG entschieden, ohne der in der Berufungsverhandlung nicht anwesenden Beklagten Gelegenheit zum Tatsachen- und Rechtsvortrag hierzu zu geben.

11

Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil.

12

Der Vertreter des Bundesinteresses beteiligt sich am Verfahren und ist der Auffassung, der Verwaltungsgerichtshof habe zwar zutreffend einen innerstaatlichen bewaffneten Konflikt im Süden und Osten Afghanistans angenommen, er habe aber keine ausreichenden Feststellungen dazu getroffen, dass dem Kläger eine individuelle erhebliche Gefahr infolge willkürlicher Gewalt drohe. Er habe insoweit Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie rechtsfehlerhaft angewandt. Insbesondere habe er nicht geprüft, ob stichhaltige Gründe dagegen sprächen, dass der Kläger heute noch eine Zwangsrekrutierung durch die Taliban zu befürchten hätte. Hierzu hätte aber unter anderem angesichts des Alters und des Gesundheitszustandes des Klägers sowie der veränderten politischen Verhältnisse in Afghanistan Anlass bestanden. Das Berufungsgericht habe auch keine ausreichenden tatsächlichen Feststellungen zu den allgemeinen Konfliktgefahren wie etwa den Auswirkungen von Kampfhandlungen, Minen oder Bombardierungen für die Zivilbevölkerung im Herkunftsgebiet des Klägers getroffen.

Entscheidungsgründe

13

Die Revision der Beklagten, die sich nicht gegen die Aufhebung des Widerrufsbescheides durch das Berufungsgericht, sondern nur gegen die zusätzliche Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG richtet, ist begründet. Zwar ist die von der Beklagten erhobene Verfahrensrüge unzulässig (1.), die Rüge der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) hat indes Erfolg (2.). Das Berufungsgericht hat einen Anspruch des Klägers auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG mit einer Begründung bejaht, die mit Bundesrecht nicht in vollem Umfang vereinbar ist. Da der Senat mangels ausreichender Feststellungen im Berufungsurteil in der Sache nicht abschließend entscheiden kann, ist das Verfahren an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

14

1. Die von der Beklagten erhobene Verfahrensrüge ist schon deshalb unzulässig, weil sie nicht, wie nach § 139 Abs. 3 VwGO erforderlich, innerhalb der Revisionsbegründungsfrist geltend gemacht worden ist. Die Einhaltung dieser Frist war entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht ausnahmsweise entbehrlich. Im Übrigen fehlt es an der schlüssigen Darlegung der behaupteten Verletzung des rechtlichen Gehörs. Denn die Beklagte zeigt nicht auf, welches entscheidungserhebliche Vorbringen ihr durch die Heraufstufung des bisherigen Hilfsantrags des Klägers zu § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG zum (weiteren) Hauptantrag in der Berufungsverhandlung abgeschnitten worden ist. Ihre Einwände gegenüber dem Begehren auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG hätte sie schon angesichts des entsprechenden Hilfsantrags vorbringen können und müssen.

15

2. Die Revision rügt dagegen zu Recht, dass die Berufungsentscheidung, soweit sie sich auf das Verpflichtungsbegehren auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG bezieht, mit Bundesrecht nicht vereinbar ist.

16

a) Zutreffend ist der Verwaltungsgerichtshof allerdings davon ausgegangen, dass der (weitere) Hauptantrag auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG zulässig ist. Zwar hat die Beklagte in der angefochtenen Widerrufsentscheidung vom 29. Mai 2006 nur das Vorliegen der seinerzeit geltenden ausländerrechtlichen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 3 bis 6 AufenthG a.F. verneint. Dies hindert aber nicht, die mit Wirkung vom 28. August 2007 in das Aufenthaltsgesetz aufgenommenen neuen unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, Abs. 3 und Abs. 7 Satz 2 AufenthG, auf die sich der Kläger von Anfang an auch berufen hat, in das vorliegende gerichtliche Verfahren einzubeziehen. Diese Abschiebungsverbote beruhen auf Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl EU Nr. L 304 S. 12) - sog. Qualifikationsrichtlinie - und sind durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl I S. 1970) - im Folgenden: Richtlinienumsetzungsgesetz - in das Aufenthaltsgesetz aufgenommen worden. Sie bilden nach der Rechtsprechung des Senats einen eigenständigen, vorrangig vor den verbleibenden nationalen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu prüfenden Streitgegenstand (vgl. Urteile vom 14. Juli 2009 - BVerwG 10 C 9.08 - BVerwGE 134, 188 Rn. 9 und vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 Rn. 11 ff.). Ob und unter welchen Voraussetzungen dieser neue Streitgegenstand - ebenso wie in asylrechtlichen Antragsverfahren - auch in Widerrufsfällen hinsichtlich des subsidiären Schutzes nach § 73 Abs. 3 AsylVfG mit Inkrafttreten des Umsetzungsgesetzes am 28. August 2007 im gerichtlichen Verfahren kraft Gesetzes angewachsen ist, kann hier dahinstehen. Denn jedenfalls dann, wenn das Bundesamt in dem Widerrufsbescheid - wie hier - über sämtliche zielstaatsbezogenen ausländerrechtlichen Abschiebungsverbote sachlich entschieden hat, kann der Kläger die neuen, auf der Richtlinie beruhende subsidiären Abschiebungsverbote in das anhängige gerichtliche Verfahren einbeziehen. Insoweit bedarf es nicht eines erneuten Antrags beim Bundesamt und der Durchführung eines vorherigen Verwaltungsverfahrens. Damit wird auch der den Asylprozess beherrschenden Beschleunigungs- und Konzentrationsmaxime Rechnung getragen, nach der am Ende eines gerichtlichen Verfahrens grundsätzlich geklärt sein soll, ob und welchen (zielstaatsbezogenen) Abschiebungsschutz der Kläger zu diesem Zeitpunkt (vgl. § 77 Abs. 1 AsylVfG) genießt.

17

Der Zulässigkeit des Verpflichtungsbegehrens auf Feststellung eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots steht entgegen der Ansicht der Beklagten auch nicht entgegen, dass das Berufungsgericht dem ersten Hauptantrag des Klägers (auf Aufhebung des Widerrufs der Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots) entsprochen hat und damit zu Gunsten des Klägers weiterhin ein Abschiebungsverbot nach nationalem Recht (jetzt nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG) besteht. Denn ebenso wie der Ausländer im Antragsverfahren verlangen kann, dass vorrangig über das Vorliegen eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2, Abs. 3 und Abs. 7 Satz 2 AufenthG entschieden wird, und die Feststellung eines nachrangigen Abschiebungsverbots nach nationalem Recht einer solchen Entscheidung nicht entgegensteht, kann er auch im Widerrufsverfahren eine Klärung seiner vorrangigen Ansprüche in Bezug auf die unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbote erstreiten. Er muss sich nicht darauf verweisen lassen, dass ihm bereits ein nachrangiges Abschiebungsverbot nach nationalem Recht zusteht. Der Kläger konnte daher sein Begehren auf Feststellung eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots neben seinem Antrag auf Aufhebung des Widerrufsbescheides in zulässiger Weise zum Gegenstand eines (weiteren) Hauptantrags machen.

18

Das danach zulässige Verpflichtungsbegehren des Klägers auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2, Abs. 3 oder Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist auch nicht deshalb unzulässig geworden, weil das Rechtsschutzinteresse des Klägers an einer solchen Feststellung im Lauf des Revisionsverfahrens entfallen wäre. Zwar ist dem Kläger - wie zwischen den Beteiligten unstreitig ist - nach rechtskräftig gewordener Aufhebung des Widerrufs des Abschiebungsverbots nach § 53 Abs. 6 AuslG 1990/§ 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG durch das Berufungsurteil inzwischen von der Ausländerbehörde eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG erteilt worden. Dies führt indes nicht zum Wegfall des Rechtsschutzinteresses an der Zuerkennung eines unionsrechtlich begründeten subsidiären Abschiebungsverbots. Denn die mit dem subsidiären Schutzstatus nach der Richtlinie verbundenen Rechte erschöpfen sich nicht in der Erteilung einer (befristeten) Aufenthaltserlaubnis, sondern können sich auch sonst in vielfältiger Weise zu Gunsten des Klägers auswirken (vgl. Art. 20 ff. der Richtlinie). Zudem würde es dem Sinn und Zweck der Richtlinie, die von einer Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus (Art. 18 der Richtlinie) ausgeht, widersprechen, wenn dem Kläger mit Rücksicht auf einen nach nationalem Recht erteilten befristeten Aufenthaltstitel eine Entscheidung über das Vorliegen eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots versagt würde.

19

b) Die Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs, dass im Falle des Klägers die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG in Bezug auf Afghanistan vorliegen, hält dagegen einer revisionsgerichtlichen Prüfung nicht stand.

20

Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist. Diese Bestimmung entspricht nach der Rechtsprechung des Senats trotz teilweise geringfügig abweichender Formulierungen den Vorgaben des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie (Urteile vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 Rn. 17, 36 und vom 14. Juli 2009 - BVerwG 10 C 9.08 - BVerwGE 134, 188 Rn. 11) und ist in diesem Sinne auszulegen.

21

Das Berufungsgericht hat zwar das Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Herkunftsgebiet des Klägers zutreffend bejaht (aa). Seine Auffassung, dass der Kläger im Rahmen dieses Konflikts einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben infolge willkürlicher Gewalt ausgesetzt wäre, ist aber mit den rechtlichen Anforderungen des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nicht in vollem Umfang vereinbar. Insbesondere reichen die Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs nicht für die Annahme aus, dass dem Kläger wegen eines vor der Ausreise erlittenen oder unmittelbar drohenden ernsthaften Schadens die Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie zugute kommt (bb). Außerdem fehlt es auch an ausreichenden Feststellungen dazu, dass die Situation in der Herkunftsregion des Klägers durch einen so hohen Grad willkürlicher Gewalt gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit dort einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre oder zumindest der Kläger als Zivilperson aufgrund gefahrerhöhender persönlicher Umstände in dieser Weise individuell bedroht wäre (cc).

22

aa) Bei der Prüfung des Vorliegens eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist der Verwaltungsgerichtshof von den im Urteil des Senats vom 24. Juni 2008 (a.a.O. Rn. 19 ff.) entwickelten Grundsätzen ausgegangen und hat den Begriff des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts unter Berücksichtigung der Bedeutung dieses Begriffs im humanitären Völkerrecht ausgelegt, insbesondere in den vier Genfer Konventionen vom 12. August 1949 einschließlich der Zusatzprotokolle I und II vom 8. Juni 1977 - hier einschlägig: Art. 1 des Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer nicht internationaler bewaffneter Konflikte - Zusatzprotokoll II - ZP II - (BGBl 1990 II S. 1550 <1637>). Dies ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. An diesem Ansatz hält der Senat auch angesichts des inzwischen ergangenen Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 17. Februar 2009 - Rs. C-465/07 - (Elgafaji, ABl EU 2009, Nr. C 90, 4) fest, das sich mit diesem Tatbestandsmerkmal nicht näher befasst hat. Auch soweit die Gerichte des Vereinigten Königreichs in ihrer neueren Rechtsprechung eine eigenständige Auslegung der Voraussetzungen des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie allein nach dessen Sinn und Zweck befürworten (Urteil des Court of Appeal vom 24. Juni 2009, QD and AH v. Secretary of State for the Home Department <2009> EWCA Civ. 620), gibt dies aus Sicht des Senats keinen Anlass, bei der Auslegung des Begriffs des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts von dem bisherigen Ansatz abzurücken.

23

Der Ansatz des Senats sieht, wie sich aus den Ausführungen im Urteil vom 24. Juni 2008 (a.a.O. Rn. 19 ff.) im Einzelnen ergibt, keineswegs eine bedingungslose Übernahme der Anforderungen des Art. 1 ZP II vor, sondern zielt auf eine Orientierung an diesen Kriterien, wobei daneben oder ergänzend auch die Auslegung dieses Begriffs im Völkerstrafrecht berücksichtigt werden kann (Urteil vom 24. Juni 2008 a.a.O. Rn. 23). Die Orientierung am humanitären Völkerrecht bedeutet danach, dass einerseits - am unteren Rand der Skala - Fälle innerer Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen nicht als innerstaatlicher bewaffneter Konflikt gelten (Art. 1 Abs. 2 ZP II) und andererseits - am oberen Rand der Skala - jedenfalls dann ein solcher Konflikt vorliegt, wenn die Kriterien des Art. 1 Abs. 1 ZP II erfüllt sind, d.h. wenn bewaffnete Konflikte im Hoheitsgebiet eines Staates zwischen dessen Streitkräften und abtrünnigen Streitkräften oder anderen organisierten Gruppen stattfinden, die unter einer verantwortlichen Führung eine solche Kontrolle über einen Teil des Hoheitsgebietes des Staates ausüben, dass sie anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen durchführen und dieses Protokoll (ZP II) anzuwenden vermögen. Für zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegende Konflikte ist die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinne von Art. 15 Buchst. c der Richtlinie nicht von vornherein ausgeschlossen. Typische Beispiele sind Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfe. Der Konflikt muss aber jedenfalls ein gewisses Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen. Wie der Senat ausdrücklich hervorgehoben hat, findet die Orientierung an den Kriterien des humanitären Völkerrechts jedenfalls dort ihre Grenze, wo ihr der Zweck der Schutzgewährung für Zivilpersonen, die in ihrem Herkunftsstaat von willkürlicher Gewalt in bewaffneten Konflikten bedroht sind, entgegensteht. Mit Blick auf diesen Zweck setzt nach Auffassung des Senats das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts im Sinne von Art. 15 Buchst. c der Richtlinie nicht zwingend voraus, dass die Konfliktparteien einen so hohen Organisationsgrad erreicht haben müssen, wie er für die Erfüllung der Verpflichtungen nach den Genfer Konventionen von 1949 und für den Einsatz des Internationalen Roten Kreuzes erforderlich ist (vgl. Art. 1 Abs. 1 ZP II; im Urteil vom 24. Juni 2008 a.a.O. Rn. 22 noch offengelassen). Vielmehr kann es bei einer Gesamtwürdigung der Umstände auch genügen, dass die Konfliktparteien in der Lage sind, anhaltende und koordinierte Kampfhandlungen von solcher Intensität und Dauerhaftigkeit durchzuführen, dass die Zivilbevölkerung davon typischerweise erheblich in Mitleidenschaft gezogen wird. Entsprechendes dürfte auch für das Erfordernis gelten, dass die den staatlichen Streitkräften gegenüberstehende Konfliktpartei eine effektive Kontrolle über einen Teil des Staatsgebietes ausüben muss. Das bedeutet allerdings nicht, dass das Vorliegen eines dieser Merkmale bei der Gesamtwürdigung nicht als Indiz für die Intensität und Dauerhaftigkeit des Konflikts von Bedeutung sein kann.

24

Zusammenfassend betrachtet ist damit dem von der neueren britischen Rechtsprechung betonten Anliegen, die unterschiedlichen Zielsetzungen des humanitären Völkerrechts einerseits und des internationalen Schutzes nach der Qualifikationsrichtlinie andererseits zu beachten, hinreichend Rechnung getragen, ohne dass das Merkmal des bewaffneten Konflikts völlig losgelöst vom bisherigen Verständnis desselben Begriffs im humanitären Völkerrecht interpretiert und damit konturenlos und - entgegen dem Wortlaut der Vorschrift - praktisch entbehrlich würde.

25

Gemessen an diesen Kriterien reichen die Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs für die Annahme eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Herkunftsgebiet des Klägers, der Provinz Paktia, aus. Nach den Feststellungen im Berufungsurteil finden im Osten und Süden Afghanistans zwischen den Truppen der ISAF/NATO und der afghanischen Armee einerseits und den Taliban und anderen oppositionellen Kräften andererseits bürgerkriegsähnliche bewaffnete Auseinandersetzungen statt. Dies betreffe auch die im südöstlichen Afghanistan im sog. Paschtunengürtel gelegene Provinz Paktia. Auch diese Region werde von den zunehmenden Kämpfen gegen die Taliban erfasst, deren Angriffe kriegsähnliche Dimensionen annähmen. Dies entspreche auch dem Bericht des Auswärtigen Amtes vom 7. März 2008, wonach seit Frühjahr 2007 vor allem im Süden und Osten des Landes ein Anstieg der gewaltsamen Übergriffe regruppierter Taliban und anderer regierungsfeindlicher Kräfte zu verzeichnen sei (UA S. 19 ff.). Diese Feststellungen sind jedenfalls mit Blick auf den Bericht des Auswärtigen Amtes noch ausreichend aktuell, um den Schluss auf einen innerstaatlichen bewaffneten Konflikt in der Herkunftsregion des Klägers zum Zeitpunkt der Berufungsverhandlung zu rechtfertigen. Dass der Verwaltungsgerichtshof zum Organisationsgrad der Taliban keine ausdrücklichen Feststellungen getroffen hat, ist nach den oben dargestellten Auslegungsmaßstäben unschädlich, da angesichts der festgestellten militärischen Stärke und "Erfolge" der Taliban in Teilen Afghanistans keine Zweifel am Vorliegen eines ausreichend intensiven und dauerhaften bewaffneten Konflikts bestehen. Vom Vorliegen eines nichtinternationalen bewaffneten Konflikts im Sinne des Völkerstrafrechts geht im Übrigen auch der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof für die Auseinandersetzungen zwischen den aufständischen Taliban und der afghanischen Regierung sowie der ISAF in Afghanistan aus (Presseerklärung vom 19. April 2010 Nr. 8/2010; vgl. hierzu auch Ambos, NJW 2010, 1725).

26

bb) Die Annahme des Berufungsgerichts, dass der Kläger bei einer Rückkehr als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib und Leben (einschließlich körperlicher Unversehrtheit) infolge willkürlicher Gewalt ausgesetzt wäre, hält dagegen einer revisionsgerichtlichen Prüfung nicht stand. Das Berufungsgericht hat dies unter Anwendung der Beweiserleichterung nach § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie bejaht. Es ist davon ausgegangen, dass der Kläger 2001 vor einer ihm drohenden Zwangsrekrutierung oder/und Bestrafung durch die Taliban aus seinem Heimatdorf in der Provinz Paktia geflüchtet ist und keine stichhaltigen Gründe dagegensprechen, dass er bei einer Rückkehr dorthin wegen seiner Vorgeschichte von einer Bestrafung oder jedenfalls wegen seiner Zugehörigkeit zur Gruppe der paschtunischen Männer im wehrfähigen Alter von einer Zwangsrekrutierung durch die Taliban bedroht würde. Da die den Kläger infolge des bewaffneten Konflikts bedrohende Leib- und Lebensgefahr danach nicht auf neuen, andersartigen verfolgungsbegründenden Umständen beruhe, sondern in einem inneren Zusammenhang mit den zu seiner Ausreise führenden Gründen stehe, sei die Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie gerechtfertigt (UA S. 23 f.). Die so begründete Anwendung der Beweiserleichterung im Rahmen des subsidiären Schutzes ist mit Bundesrecht nicht vereinbar.

27

(1) Nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder solchem Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder solchem Schaden bedroht wird. Diese Beweiserleichterung in Gestalt einer widerleglichen gesetzlichen Vermutung gilt sowohl für den Flüchtlingsschutz als auch für den subsidiären Schutz nach der Richtlinie (vgl. auch § 60 Abs. 11 AufenthG). Sie setzt für den subsidiären Schutz voraus, dass der Antragsteller im Herkunftsstaat bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat oder von einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war (Vorschädigung). Was unter einem ernsthaften Schaden im Sinne der Richtlinie zu verstehen ist, ist in Art. 15 Buchst. a bis c der Richtlinie definiert.

28

Die Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs rechtfertigen schon nicht den Schluss, dass der Kläger vor seiner Ausreise unmittelbar von einem ernsthaften Schaden in diesem Sinne bedroht war und damit die Voraussetzungen für das Eingreifen der Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie überhaupt vorliegen. Dass der Kläger als Zivilperson einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Art. 15 Buchst. c der Richtlinie) ausgesetzt war, hat der Verwaltungsgerichtshof nicht festgestellt. Insofern fehlt es für den Zeitraum vor der Ausreise des Klägers sowohl an Feststellungen zum Vorliegen eines bewaffneten Konflikts in der Heimatprovinz des Klägers als auch an jeglichen Feststellungen zum Niveau willkürlicher Gewalt und ihren Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung. Ferner fehlt es an Feststellungen zum Bestehen einer Gefahr für Leib oder Leben des Klägers als Zivilperson.

29

Auch wenn man zu Gunsten des Klägers davon ausgeht, dass der vor der Ausreise erlittene oder unmittelbar drohende Schaden nicht notwendig ein solcher im Sinne des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie sein muss, sondern auch ein Schaden nach den anderen Alternativen dieser Vorschrift sein kann - jedenfalls sofern ein innerer Zusammenhang mit dem aktuell drohenden Schaden besteht - , reichen die Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs für die Annahme eines dem Kläger vor der Ausreise unmittelbar drohenden ernsthaften Schadens nach den anderen Alternativen des Art. 15 der Richtlinie nicht aus. Der Sache nach käme vorliegend nur ein Schaden im Sinne von Art. 15 Buchst. b der Richtlinie, also eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung, wegen der vom Verwaltungsgerichtshof angenommenen, im Jahr 2001 drohenden Zwangsrekrutierung des Klägers seitens der Taliban oder einer damit zusammenhängenden Bestrafung in Betracht. Die Feststellungen im Berufungsurteil über die Umstände der Zwangsrekrutierung reichen indes für die Annahme einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung im Sinne von Art. 3 EMRK nicht aus. Der Verwaltungsgerichtshof hat zwar die Überzeugung gewonnen, dass dem Kläger damals eine Zwangsrekrutierung durch die Taliban drohte, und hat auch die näheren Umstände einer derartigen Rekrutierung (willkürlich, nach Gutdünken, ohne Rechtsgrundlage, Abtransport ohne Umstände in Militärfahrzeugen) festgestellt (UA S. 23), er hat aber keine Ausführungen dazu gemacht, dass und inwiefern darin oder in einer eventuellen Bestrafung im Falle der Verweigerung eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK zu sehen ist. Die Zwangsrekrutierung zum Kriegsdienst stellt als solche ebenso wie die Tötung oder Verletzung im Krieg nicht ohne Weiteres eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung in diesem Sinne dar. Zur Art und Weise einer Bestrafung enthält das Urteil ebenfalls keinerlei Feststellungen. Auch die Bezugnahme des Verwaltungsgerichtshofs auf die Zuerkennung von Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 AuslG 1990 durch den bestandskräftig gewordenen Bescheid des Bundesamts vom 18. Juli 2001 genügt insoweit nicht. Dieser betraf nicht die Zuerkennung von Abschiebungsschutz wegen Verletzung von Art. 3 EMRK (damals nach § 53 Abs. 4 AuslG 1990), sondern von nationalem subsidiären Abschiebungsschutz wegen sonstiger Gefahren. Dabei wurde auf die akute Gefahr für Leib und Leben durch den unvorbereiteten Einsatz in der Armee bei heftig geführten Kämpfen abgestellt und damit auf eine Gefahr, die als solche keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK darstellt.

30

Da es an ausreichenden Feststellungen dazu fehlt, ob der Kläger vor der Ausreise von einem ernsthaften Schaden im Sinne von Art. 15 der Richtlinie unmittelbar bedroht war, besteht schon keine ausreichende Tatsachengrundlage für die Anwendung der Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie. Auf die Frage des Zusammenhangs zwischen dem vor der Ausreise erlittenen oder unmittelbar drohenden Schaden und dem aktuell drohenden Schaden sowie auf die Frage, ob stichhaltige Gründe dagegensprechen, dass der Kläger erneut von einem solchen Schaden bedroht wird, kommt es daher nicht mehr an.

31

Der Senat bemerkt allerdings, dass für das Eingreifen der Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie nicht nur im Rahmen des Flüchtlingsschutzes sondern auch im Rahmen des subsidiären Schutzes erforderlich ist, dass ein innerer Zusammenhang zwischen dem früher erlittenen oder unmittelbar drohenden Schaden und dem befürchteten künftigen Schaden besteht. Denn die der Vorschrift zu Grunde liegende Vermutung, erneut von einer solchen Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht zu sein, beruht wesentlich auch auf der Vorstellung, dass eine Verfolgungs- oder Schadenswiederholung - bei gleichbleibender Ausgangssituation - aus tatsächlichen Gründen naheliegt (vgl. auch Urteil vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 5.09 - Rn. 21 zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen). Es ist deshalb im Einzelfall jeweils zu prüfen und festzustellen, auf welche tatsächlichen Schadensumstände sich die Vermutungswirkung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie erstreckt. Dabei erscheint es nicht ausgeschlossen, dass etwa ein erlittener Eingriff in die körperliche Unversehrtheit nach Art. 15 Buchst. b der Richtlinie durch eine der Konfliktparteien eines später entstandenen bewaffneten Konflikts, sofern nicht ohnehin eine Schutzgewährung nach dieser Alternative des Art. 15 der Richtlinie geboten ist, auch als ernsthafter Hinweis auf einen persönlichen gefahrerhöhenden Umstand im Sinne von Art. 15 Buchst. c der Richtlinie angesehen werden kann, der geeignet ist, schon bei einem nicht extrem hohen Niveau willkürlicher Gewalt im Rahmen eines bewaffneten Konflikts eine erhebliche individuelle Bedrohung der betroffenen Zivilperson an Leib oder Leben anzunehmen. Dagegen dürfte sich die Vermutungswirkung insoweit nicht etwa auf das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts oder auf ein hohes Niveau willkürlicher Gewalt gegen die Zivilbevölkerung erstrecken (vgl. hierzu unten (2)).

32

(2) Für die Zuerkennung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG fehlt es auch an ausreichenden Feststellungen dazu, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan als Zivilperson einer ernsthaften individuellen Bedrohung für Leib oder Leben infolge willkürlicher Gewalt ausgesetzt wäre. Das in Art. 15 Buchst. c der Richtlinie genannte Merkmal der Bedrohung "infolge willkürlicher Gewalt" ist auch in der nationalen Umsetzungsvorschrift des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG sinngemäß enthalten (Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - a.a.O. Rn. 36). Der Gerichtshof der Europäischen Union hat in seinem Urteil vom 17. Februar 2009 - Rs. C-465/07 - (Elgafaji a.a.O.) das Erfordernis einer ernsthaften individuellen Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt im Sinne von Art. 15 Buchst. c der Richtlinie dahingehend ausgelegt, dass es sich auf schädigende Eingriffe beziehe, die sich gegen Zivilpersonen ungeachtet ihrer Identität richteten, wenn der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreiche, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestünden, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder gegebenenfalls die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit im Gebiet dieses Landes oder dieser Region tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften Bedrohung im Sinne der Richtlinie ausgesetzt zu sein (Rn. 35). Mit Blick auf den 26. Erwägungsgrund und die Systematik des Art. 15 der Richtlinie bleibe dies allerdings einer außergewöhnlichen Situation vorbehalten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet sei, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestünden, dass die fragliche Person dieser Gefahr individuell ausgesetzt wäre (Rn. 36, 37). Dies sei dahin zu präzisieren, dass der Grad willkürlicher Gewalt, der vorliegen müsse, damit der Antragsteller Anspruch auf subsidiären Schutz habe, um so geringer sein werde, je mehr er möglicherweise zu belegen vermöge, dass er aufgrund von seiner persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen sei (Rn. 39).

33

Aus diesem Verständnis der Vorschrift, das nach Auffassung des Senats der Sache nach den Ausführungen in seinem Urteil vom 24. Juni 2008 entspricht (vgl. Urteil vom 14. Juli 2009 - BVerwG 10 C 9.08 - BVerwGE 134, 188 Rn. 15), folgt, dass in jedem Fall Feststellungen über das Niveau willkürlicher Gewalt in dem betreffenden Gebiet getroffen werden müssen. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich; liegen gefahrerhöhende persönliche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt. Zu diesen gefahrerhöhenden Umständen gehören in erster Linie solche persönlichen Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen - z.B. als Arzt oder Journalist - gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Dazu können aber nach Auffassung des Senats auch solche persönlichen Umstände gerechnet werden, aufgrund derer der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte - etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit - ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht schon eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt. Auch im Fall gefahrerhöhender persönlicher Umstände muss aber ein hohes Niveau willkürlicher Gewalt bzw. eine hohe Gefahrendichte für die Zivilbevölkerung in dem fraglichen Gebiet festgestellt werden. Allein das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts und die Feststellung eines gefahrerhöhenden Umstandes in der Person des Antragstellers reichen hierfür nicht aus. Erforderlich ist vielmehr eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung. Insoweit können auch die für die Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts entwickelten Kriterien entsprechend herangezogen werden (vgl. Beschluss vom 7. August 2008 - BVerwG 10 B 39.08 - juris Rn. 4 unter Hinweis auf das Urteil vom 24. Juni 2008 a.a.O. Rn. 35; ebenso das britische AIT, Urteil aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 22./23. Juli 2009, Afghanistan CG <2009> UKAIT 00044, Rn. 124 ff.).

34

Hierbei ist nach den Ausführungen des Gerichtshofs der Europäischen Union in seinem Urteil vom 17. Februar 2009 (Elgafaji) davon auszugehen, dass nicht nur solche Gewaltakte zu berücksichtigen sind, die die Regeln des humanitären Völkerrechts verletzen (vgl. zu dieser Auffassung auch Urteil des Senats vom 24. Juni 2008 a.a.O. Rn. 37), sondern auch andere Gewaltakte, die nicht zielgerichtet gegen bestimmte Personen oder Personengruppen, sondern wahllos ausgeübt werden und sich auf Zivilpersonen ungeachtet ihrer persönlichen Situation erstrecken (vgl. EuGH a.a.O. Rn. 34). Angesichts der Auslegung des Begriffs der willkürlichen Gewalt durch den Gerichtshof, aber auch mit Blick auf Sinn und Zweck der Schutzgewährung nach Art. 15 Buchst. c der Richtlinie kann dieser Vorschrift eine Beschränkung auf gegen das humanitäre Völkerrecht verstoßenden Gewaltakte, zu denen etwa unvorhersehbare Kollateralschäden nicht zählen würden, nicht entnommen werden (so auch die neuere britische Rechtsprechung, Urteil des Court of Appeal vom 24. Juni 2009, QD and AH v. Secretary of State for the Home Department <2009> EWCA Civ. 620).

35

Den vorgenannten Anforderungen an die Feststellung des Niveaus willkürlicher Gewalt bzw. der Gefahrendichte genügt das Berufungsurteil nicht. So fehlt es schon an der zumindest annähernd ermittelten Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet zum maßgeblichen Zeitpunkt lebenden Zivilpersonen. Auch die Feststellungen zur Größenordnung der zivilen Opfer sind nur kursorisch und beziehen sich auf einen länger zurückliegenden Zeitpunkt (UA S. 20). Auch deshalb kann die Berufungsentscheidung insoweit keinen Bestand haben.

36

3. Eine abschließende Entscheidung des Senats auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts ist weder zu Gunsten noch zu Lasten des Klägers möglich. Insbesondere reichen, wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, die Feststellungen des Berufungsgerichts über das Niveau willkürlicher Gewalt in der Herkunftsregion des Klägers in keinem Fall aus, um unabhängig von einer etwaigen zusätzlichen Bedrohung aufgrund gefahrerhöhender persönlicher Umstände eine individuelle Betroffenheit des Klägers im Sinne von Art. 15 Buchst. c der Richtlinie allein aufgrund seiner Anwesenheit in diesem Gebiet zu bejahen.

37

Das Verfahren ist deshalb an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Bei der erneuten Prüfung wird es gegebenenfalls auch die Gelegenheit haben, auf die von der Revision und dem Vertreter des Bundesinteresses in den Vordergrund gestellte Frage einzugehen, ob die inzwischen bekannt gewordene Erkrankung des Klägers an Epilepsie und sein aktueller Gesundheitszustand der Gefahr einer Zwangsrekrutierung entgegensteht.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Tatbestand

1

Der Kläger, ein irakischer Staatsangehöriger, erstrebt Abschiebungsschutz wegen ihm im Irak drohender Gefahren.

2

Der 1976 in Mosul geborene Kläger ist kurdischer Volkszugehöriger sunnitischen Glaubens. Zur Begründung des im Juli 2001 beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt -) gestellten Asylantrags gab er an, dass er in Mosul ein Lebensmittelgeschäft betrieben habe. Eine von einem Kunden in seinem Laden abgestellte Tasche, die Flugblätter von Schiiten enthalten habe, sei von einem Unbekannten inspiziert worden. Sein Vater habe ihm daraufhin zur Flucht geraten und sei seinetwegen später verhaftet worden. Er befürchte, wegen des Vorfalls getötet oder lebenslang inhaftiert zu werden. Mit Bescheid vom 14. September 2001 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers ab, stellte jedoch fest, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 51 Abs. 1 AuslG 1990 (inzwischen § 60 Abs. 1 AufenthG) hinsichtlich des Irak vorliegen. Es sei davon auszugehen, dass der Kläger aufgrund der illegalen Ausreise und der Asylantragstellung verfolgt werde.

3

Wegen der veränderten politischen Verhältnisse im Irak widerrief das Bundesamt am 16. März 2006 die Flüchtlingsanerkennung und stellte zugleich fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen.

4

Die hiergegen erhobene Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Urteil vom 1. Februar 2007 im Wesentlichen ausgeführt, der Widerruf sei rechtmäßig, weil der Kläger im Irak nach dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein keine Verfolgung mehr zu befürchten habe. Er könne auch keine Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG bzw. subsidiären Schutz gemäß Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG beanspruchen. Im Irak liege kein landesweiter innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vor. Zudem habe der Kläger die Möglichkeit, in Teilen des Irak internen Schutz zu finden. Im Übrigen stehe die Erlasslage des Bayerischen Staatsministeriums des Innern, die bei allgemeinen Gefahren vergleichbaren Abschiebungsschutz biete, der Gewährung richtliniengemäßen subsidiären Schutzes entgegen.

5

Während des Revisionsverfahrens hat der Kläger seine Revision hinsichtlich des Widerrufs der Flüchtlingsanerkennung zurückgenommen. Der erkennende Senat hat mit Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 44.07 - das Revisionsverfahren insoweit eingestellt. Im Übrigen hat er, soweit die Verpflichtung zur Feststellung unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes aus § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG und hilfsweise nationalen Abschiebungsschutzes aus § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG begehrt wird, das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Zur Begründung hat er darauf abgestellt, dass § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG keinen landesweiten bewaffneten Konflikt voraussetze. Die zusätzliche Annahme des Berufungsgerichts, der Kläger könne innerhalb des Irak internen Schutz finden, beruhe auf einer zu schmalen Tatsachengrundlage. Schließlich verletze der Verweis auf die Aussetzung von Abschiebungen durch ministerielle Erlasse revisibles Recht. Denn § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG sei richtlinienkonform dahin auszulegen, dass die Sperrwirkung nicht greife, wenn die Voraussetzungen des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG erfüllt seien.

6

Während des neuen Berufungsverfahrens hat die Beklagte darauf hingewiesen, dass der Kläger im Besitz einer Niederlassungserlaubnis sei. Damit sei sein Aufenthalt gesichert und es komme auf subsidiären Schutz nicht mehr an.

7

Der Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung des Klägers mit Urteil vom 21. Januar 2010 zurückgewiesen, soweit sie sich auf das noch anhängige Begehren zur Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG bezieht. Die Berufung sei zulässig, denn für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG bestehe ein Rechtsschutzbedürfnis, obwohl der Kläger mittlerweile im Besitz einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG sei. Die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach Art. 18 der Richtlinie 2004/83/EG könne dem Kläger eine zusätzliche Rechtsposition vermitteln. Die Berufung sei aber unbegründet. Mit Blick auf § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG führt das Berufungsgericht aus, es könne dahinstehen, ob die im Irak seit 2003 andauernden und durch staatliche Sicherheitskräfte bekämpften terroristischen Handlungen nach Intensität und Größenordnung als innerstaatlicher bewaffneter Konflikt zu qualifizieren seien. Jedenfalls sei der Kläger keiner erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt. An seinem Herkunftsort in Mosul bestehe keine so hohe Gefahrendichte, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt sei. Dies ergebe sich aus der Zahl der Anschläge und der Anzahl der Opfer im Verhältnis zur Einwohnerzahl. Die Wahrscheinlichkeit, durch einen Terroranschlag in der Provinz Ninive verletzt oder getötet zu werden, habe 2009 ca. 0,12 % oder ca. 1:800 pro Jahr betragen. Für eine Verschärfung der Sicherheitslage gebe es keine Anhaltspunkte. Gefahrerhöhende individuelle Umstände seien bei dem Kläger nicht ersichtlich. Die Voraussetzungen des hilfsweise begehrten nationalen Abschiebungsschutzes (§ 60 Abs. 7 Satz 1 und § 60 Abs. 5 AufenthG) lägen ebenfalls nicht vor.

8

Mit seiner vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Revision wendet sich der Kläger allein gegen die Ablehnung der Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Er rügt, der Verwaltungsgerichtshof habe bei der Ermittlung der Gefahrendichte auf die im Rahmen der Gruppenverfolgung entwickelten Kriterien der Verfolgungsdichte abgestellt, ohne zwischen den Schutzsystemen zu differenzieren und die Besonderheiten des subsidiären Schutzes zu berücksichtigen. Auch seien die in das Verfahren eingeführten Quellen zur Häufigkeit von Anschlägen im Irak und zur Zahl der Toten und Verletzten nicht interpretiert und bewertet worden.

9

Die Beklagte verteidigt das Berufungsurteil.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision des Klägers, über die der Senat im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 101 Abs. 2 i.V.m. § 141 Satz 1 und § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO), ist unbegründet. Das Berufungsgericht hat die begehrte Verpflichtung zur Gewährung subsidiären unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes ohne Verstoß gegen revisibles Recht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) abgelehnt.

11

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur noch das Verpflichtungsbegehren auf Gewährung subsidiären unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes. Die darüber hinausgehende Beschränkung des Revisionsantrags auf das Vorliegen eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG erweist sich als unwirksam. Denn der geltend gemachte Anspruch auf Verpflichtung zur Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG (entsprechend den Voraussetzungen für den subsidiären Schutz in Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl EU Nr. L 304 S. 12; ber. ABl EU vom 5. August 2005 Nr. L 204 S. 24) bildet nach dem dafür maßgeblichen materiellen Recht einen einheitlichen, in sich nicht weiter teilbaren Streitgegenstand (Urteile vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 Rn. 11 und vom 8. September 2011 - BVerwG 10 C 14.10 - zur Veröffentlichung in der Sammlung BVerwGE vorgesehen - Rn. 16). Eine Revision kann daher nicht wirksam auf einzelne materielle Anspruchsgrundlagen dieses einheitlichen prozessualen Anspruchs beschränkt werden (Urteil vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 5.09 - BVerwGE 136, 377 Rn. 13).

12

Für diesen Verpflichtungsantrag ist, obwohl der Kläger mittlerweile eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG besitzt, entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten das Rechtsschutzinteresse nicht entfallen. Dieses Interesse fehlt nur, wenn die Klage für den Kläger offensichtlich keinerlei rechtliche oder tatsächliche Vorteile bringen kann (Urteil vom 29. April 2004 - BVerwG 3 C 25.03 - BVerwGE 121, 1 <3>). Der Beklagten ist einzuräumen, dass sich nach nationalem Aufenthaltsrecht die Rechtsstellung eines Ausländers in der Situation des Klägers, der im Besitz einer Niederlassungserlaubnis gemäß § 26 Abs. 4 AufenthG ist, durch die Zuerkennung unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes derzeit nicht verbessern kann. Diese Betrachtung greift aber zu kurz. Denn aus dem Umsetzungsdefizit des deutschen Gesetzgebers, der - entgegen den unionsrechtlichen Vorgaben der Richtlinie 2004/83/EG im 5. Erwägungsgrund, in Art. 2 Buchst. f und in Art. 18 - den Status des subsidiär Schutzberechtigten im nationalen Recht nicht explizit ausgeformt hat, darf für den Kläger kein Nachteil entstehen (vgl. auch Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 Rn. 13). Er hat daher ein legitimes Interesse, dass trotz seiner gesicherten aufenthaltsrechtlichen Stellung mit Blick auf diesen Schutzstatus und die damit einhergehenden Vergünstigungen über das Bestehen eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots entschieden wird.

13

Die zulässige Klage ist aber unbegründet. Auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen, nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und das Revisionsgericht daher bindenden tatsächlichen Feststellungen (§ 137 Abs. 2 VwGO) greift keines der auf Unionsrecht beruhenden Abschiebungsverbote (§ 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG).

14

1. Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist. Diese Bestimmung entspricht nach der Rechtsprechung des Senats trotz geringfügig abweichender Formulierungen den Vorgaben des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG und ist in diesem Sinne auszulegen (Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 Rn. 17 und Rn. 36).

15

Das Berufungsgericht hat offen gelassen, ob die im Irak seit 2003 andauernden und durch staatliche Sicherheitskräfte bekämpften terroristischen Handlungen nach Intensität und Größenordnung als innerstaatlicher bewaffneter Konflikt anzusprechen sind, weil der Kläger auch bei Annahme eines derartigen Konflikts keiner erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt wären. Das hält revisionsgerichtlicher Nachprüfung stand.

16

a) Für seine Prognose, ob der Kläger bei Rückkehr in den Irak einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben infolge willkürlicher Gewalt ausgesetzt ist, hat der Verwaltungsgerichtshof zu Recht auf die tatsächlichen Verhältnisse in seiner Herkunftsregion Mosul abgestellt. Dort hat der Kläger zuletzt gelebt, so dass die Annahme gerechtfertigt ist, dass er dorthin zurückkehren wird (Urteil vom 14. Juli 2009 - BVerwG 10 C 9.08 - BVerwGE 134, 188 Rn. 17).

17

b) Das Berufungsgericht hat des Weiteren zutreffend geprüft, ob von dem - zugunsten des Klägers unterstellten - bewaffneten Konflikt in der Region von Mosul für eine Vielzahl von Zivilpersonen eine allgemeine Gefahr ausgeht, die sich in der Person des Klägers so verdichtet, dass sie für diesen eine erhebliche individuelle Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG darstellt. Denn auch eine von einem bewaffneten Konflikt ausgehende allgemeine Gefahr kann sich individuell verdichten und damit die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG und des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG erfüllen (Urteil vom 24. Juni 2008 a.a.O. Rn. 34).

18

Eine derartige Individualisierung kann sich bei einem hohen Niveau willkürlicher Gewalt für die Zivilbevölkerung aus gefahrerhöhenden Umständen in der Person des Betroffenen ergeben. Dazu gehören in erster Linie persönliche Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen - z.B. als Arzt oder Journalist - gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Möglich sind aber auch solche persönlichen Umstände, aufgrund derer der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte - etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit - ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht bereits die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt (Urteil vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 4.09 - BVerwGE 136, 360 Rn. 33). Gefahrerhöhende individuelle Umstände hat das Berufungsgericht bei dem Kläger nicht festgestellt (UA S. 12); dem ist der Kläger mit der Revision auch nicht entgegengetreten.

19

Eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr kann aber auch dann, wenn individuelle gefahrerhöhende Umstände fehlen, ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (Urteil vom 14. Juli 2009 a.a.O. Rn. 15 mit Verweis auf EuGH, Urteil vom 17. Februar 2009 - Rs. C-465/07, Elgafaji - Slg. 2009, I-921 = NVwZ 2009, 705). Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich (Urteil vom 27. April 2010 a.a.O. Rn. 33).

20

In jedem Fall setzt § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG für die Annahme einer erheblichen individuellen Gefahr voraus, dass dem Betroffenen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Schaden an den Rechtsgütern Leib oder Leben droht. Das ergibt sich aus dem Tatbestandsmerkmal "... tatsächlich Gefahr liefe ..." in Art. 2 Buchst. e der Richtlinie 2004/83/EG. Der darin enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Dieser stellt bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr ab ("real risk"; vgl. nur EGMR (GK), Urteil vom 28. Februar 2008 - Nr. 37201/06, Saadi/Italien - NVwZ 2008, 1330 ); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (Urteil vom 27. April 2010 a.a.O. Rn. 22 zu § 60 Abs. 2 AufenthG und Art. 15 Buchst. b Richtlinie 2004/83/EG).

21

Gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG gilt für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG u.a. die Beweisregel des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG. Danach ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Diese Beweiserleichterung in Gestalt einer widerleglichen tatsächlichen Vermutung setzt aber auch im Rahmen des subsidiären Schutzes voraus, dass ein innerer Zusammenhang zwischen dem vor der Ausreise erlittenen oder damals unmittelbar drohenden Schaden (Vorschädigung) und dem befürchteten künftigen Schaden besteht. Denn die der Vorschrift zugrunde liegende Wiederholungsvermutung beruht wesentlich auf der Vorstellung, dass eine Verfolgungs- oder Schadenswiederholung - bei gleichbleibender Ausgangssituation - aus tatsächlichen Gründen naheliegt (Urteil vom 27. April 2010 a.a.O. Rn. 31).

22

Eine für die Annahme einer erheblichen individuellen Gefahr ausreichende Gefahrendichte hat das Berufungsgericht für den Bereich der Stadt Mosul verneint. Es hat - in Anlehnung an die Vorgehensweise zur Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts (vgl. dazu Urteil vom 18. Juli 2006 - BVerwG 1 C 15.05 - BVerwGE 126, 243 Rn. 20 ff.) - aufgrund aktueller Quellen die Gesamtzahl der in der Provinz Ninive und deren Hauptstadt Mosul lebenden Zivilpersonen annäherungsweise ermittelt und dazu die Häufigkeit von Akten willkürlicher Gewalt sowie der Zahl der dabei Verletzten und Getöteten in Beziehung gesetzt. Dabei hat es festgestellt, dass das Risiko, in der Provinz Ninive verletzt oder getötet zu werden, für das gesamte Jahr 2009 ungefähr 1:800 betrug. Einen Trend zur Verschlechterung der Sicherheitslage vermochte es nicht festzustellen (UA S. 12). Seine auf der Grundlage dieser Feststellungen gezogene Schlussfolgerung, dass der Kläger bei seiner Rückkehr in sein Herkunftsland keiner erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben infolge willkürlicher Gewalt ausgesetzt ist, ist revisionsgerichtlich im Ergebnis nicht zu beanstanden.

23

Zwar bedarf es - wie die Revision im Ansatz zu Recht rügt - neben dieser quantitativen Ermittlung auch einer wertenden Gesamtbetrachtung des statistischen Materials mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung (Urteil vom 27. April 2010 a.a.O. Rn. 33). Zu dieser wertenden Betrachtung gehört jedenfalls auch die Würdigung der medizinischen Versorgungslage in dem jeweiligen Gebiet, von deren Qualität und Erreichbarkeit die Schwere eingetretener körperlicher Verletzungen mit Blick auf die den Opfern dauerhaft verbleibenden Verletzungsfolgen abhängen kann. Der Mangel in der Vorgehensweise des Berufungsgerichts bleibt aber im vorliegenden Fall ohne Folgen. Denn die Höhe des vom Berufungsgericht festgestellten Risikos eines dem Kläger drohenden Schadens ist so weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt, dass sich der Mangel im Ergebnis nicht auszuwirken vermag.

24

Auch der Umstand, dass der Verwaltungsgerichtshof nicht auf die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG eingegangen ist, verhilft der Revision nicht zum Erfolg, denn das Vorfluchtschicksal des Klägers gab dazu keinen Anlass. Dieses lässt keine Beeinträchtigung erkennen, die auch unter dem Blickwinkel des Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG die Qualität einer Vorschädigung erreichen könnte. Zudem bestünde kein sachlicher Zusammenhang mit den nunmehr im Irak drohenden Gefahren.

25

2. Das Berufungsgericht hat auch die Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 2 und 3 AufenthG in den Blick genommen, sie aber nicht als durchgreifend angesehen. Dagegen bestehen aus revisionsgerichtlicher Sicht keine Bedenken.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 19. September 2007 - A 6 K 4738/07 - wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des - gerichtskostenfreien - Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger, ein am 05.02.1986 im Dorf Tschardehi in der Provinz Ghorband/Distrikt Parwan geborener lediger und kinderloser afghanischer Staatsangehöriger sunnitischen Glaubens vom Volk der Tadschiken reiste am 03.10.2003 auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 21.10.2003 stellte er einen Asylantrag mit der Begründung, sein Vater und Bruder sowie zwei Vettern seien im Rahmen eines blutigen Familienstreits um die Verheiratung eines Mädchens ums Leben gekommen. Aus Rache werde der Kläger bis heute von seinen Vettern mit dem Tode bedroht. Seine Mutter und ein Onkel lebten zwischenzeitlich im vom Familiendorf etwa 3 ½ Autostunden entfernten Kabul. Die Ausreise Anfang Oktober 2003 über den Flughafen Kabul sei mit Hilfe von Schleppern gegen Bezahlung von 15.000 US-Dollar gelungen.
Die Beklagte lehnte den Asylantrag des Klägers mit Bescheid des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (heute: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt -) vom 28.10.2003 als offensichtlich unbegründet ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 des Ausländergesetzes - AuslG - offensichtlich nicht vorliegen sowie Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht gegeben sind, und drohte ihm die Abschiebung nach Afghanistan an. Der Bescheid wurde am 11.11.2003 bestandskräftig.
Unter Berufung auf neuere Rechtsprechung zum Vorliegen einer extremen Gefahrenlage in Afghanistan auch für alleinstehende Männer stellte der Kläger am 16.05.2007 einen so genannten Folgeschutzantrag hinsichtlich eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG.
Mit Bescheid vom 16.08.2007 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Änderung des Bescheids vom 28.10.2003 bezüglich der Feststellungen zu § 53 Abs. 1 bis 6 AuslG ab. Die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens seien nicht erfüllt. Weder führe die Zugehörigkeit des Klägers zur Volksgruppe der Tadschiken in Afghanistan zu einer landesweiten Verfolgungsgefahr noch ergebe sich aus der dortigen allgemeinen Versorgungslage eine extreme Gefahrensituation für den Kläger. Jedenfalls in Kabul könne er sein Existenzminimum sichern.
Am 30.08.2007 hat der Kläger unter Bezugnahme auf sein bisheriges Vorbringen beim Verwaltungsgericht Stuttgart Klage erhoben und beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamts vom 16.08.2007 zu der Feststellung zu verpflichten, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG in Bezug auf Afghanistan vorliegen.
Mit Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 19.09.2007 - A 6 K 4738/07 - hat das Verwaltungsgericht die Beklagte zur Feststellung eines Abschiebungsverbot hinsichtlich Afghanistans gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG verpflichtet, insoweit den Bundesamtsbescheid vom 16.08.2007 aufgehoben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung des stattgebenden Teils seines Urteils hat es im Wesentlichen ausgeführt, wegen der in Afghanistan bestehenden unzureichenden Versorgungslage bestehe für den Kläger bei einer Rückkehr dorthin eine extreme Gefahrensituation. Da der Vater des Klägers bereits vor dessen Ausreise aus Afghanistan verstorben sei, müsse davon ausgegangen werden, dass der Kläger in seiner Heimat über keine hinreichenden finanziellen Mittel zur Existenzsicherung verfüge. Bei einer Abschiebung werde er gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert. Zu einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG äußert sich die übrige Begründung des Urteils nicht.
Der Kläger hat keinen Zulassungsantrag gestellt.
Mit ihrer vom erkennenden Gerichtshof mit Beschluss vom 28.02.2008 - A 8 S 2412/07 - zugelassenen Berufung macht die Beklagte geltend, eine extreme Gefahrensituation könne jedenfalls für alleinstehende, arbeitsfähige, männliche afghanische Rückkehrer nicht angenommen werden. Die Versorgungslage in Kabul sei für diese Personengruppe nicht derart schlecht, dass eine Hungerkatastrophe befürchtet werden müsse. Unterstützung gebe es für Rückkehrer durch internationale Organisationen, auch bei der Unterkunftsbeschaffung. In der Berufungsverhandlung hat die Vertreterin der Beklagten klargestellt, der angegriffene Bescheid vom 16.08.2007 sei so zu verstehen, dass das Bundesamt das Verfahren in Bezug auf ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG von Amts wegen wiederaufgegriffen und zur Sache entschieden habe.
Die Beklagte beantragt,
10 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 19. September 2007 - A 6 K 4738/07 - zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
11 
Der Kläger beantragt,
12 
die Berufung zurückzuweisen.
13 
Er trägt im Wesentlichen vor, in Afghanistan heute keinerlei unterstützungsbereite Familienangehörige mehr zu haben; diese seien entweder tot oder geflohen. Aus diesem Grund und wegen der katastrophalen Versorgungssituation in seiner Heimat lägen die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor.
14 
Der Senat hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung am 14.05.2009 informatorisch angehört. Dabei gab er an, seine Heimat wegen einer Familienfehde verlassen zu haben. Sein Vater habe zwei Brüder gehabt, die mit Ehefrauen und vier Söhnen bzw. einer Tochter ebenfalls im Dorf Tschardehi gelebt hätten. Ein Vetter des Klägers habe die Tochter des anderen, verstorbenen Onkels heiraten wollen, was diese jedoch vehement abgelehnt habe. Hierüber sei es zu einem blutigen Streit gekommen, in dessen Rahmen sowohl der Vater des Klägers als auch dessen Bruder zu Tode gekommen seien. Daraufhin seien der Kläger und seine Mutter zu einem Onkel mütterlicherseits nach Kabul geflüchtet, der dort ein Geschäft betrieben habe. Dieser Onkel habe die Mutter versorgt und dem Kläger die Ausreise nach Deutschland organisiert und bezahlt. Die Mutter habe später den gesamten Familienbesitz im Dorf Tschardehi verkauft. Sowohl mit seiner Mutter als auch mit dem Onkel in Kabul habe er bis 2005 Telefonkontakt gehabt. Seine Mutter habe über ein Mobiltelefon verfügt. Im letzten Telefonat sei ihm mitgeteilt worden, dass insbesondere die wirtschaftliche Lage sehr schlecht sei und man beabsichtige, das Land zu verlassen. Dann sei der Kontakt abgerissen. Wo seine Mutter oder sein Onkel oder sonstige Familienangehörigen heute seien, wisse er nicht. Es sei ihm seit 2005 nicht mehr gelungen, irgendeinen Familienkontakt herzustellen. In Deutschland arbeite er seit etwa neun Monaten; zuerst bei einer Leiharbeitsfirma, seit Januar 2009 in einer Pizzeria. Er verdiene derzeit netto ca. 700 EUR monatlich. Seine Mietkosten beliefen sich auf monatlich ca. 200 EUR. Relevante Ersparnisse habe er nicht.
15 
Die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes ergeben sich aus der Gerichtsakte sowie den Verfahrensakten des Bundesamts. Dem Senat liegen des Weiteren die Akte des Verwaltungsgerichts Stuttgart im Verfahren A 6 K 4738/07 sowie die Erkenntnisquellen, die den Beteiligten mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung und in der mündlichen Verhandlung mitgeteilt worden sind, vor. Die beigezogenen Akten und die Erkenntnisquellen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

 
16 
Die zulässige, insbesondere rechtzeitig unter Stellung eines Antrags und unter Bezugnahme auf die ausführliche Begründung des Zulassungsantrags begründete Berufung (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 - NVwZ 2006, 1420 m.w.N.) der Beklagten ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend entschieden, dass der Kläger die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (- Aufenthaltsgesetz -) in der Fassung der Änderung durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.08.2007 (- Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 28.08.2007, BGBl I 1970) beanspruchen kann. Die Zulässigkeit des so genannten Folgeschutzantrags des Klägers vom 16.05.2007 insbesondere hinsichtlich § 51 Abs. 2 und 3 VwVfG bedarf keiner Klärung, weil die Beklagte klargestellt hat, dass das Bundesamt das Verfahren im angefochtenen Bescheid - jedenfalls - in Bezug auf ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG von Amts wegen wiederaufgegriffen und zur Sache entschieden hat.
I.
17 
Das grundsätzlich vorrangige - europarechtlich begründete - Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG i.V.m. Art. 15 c der Qualifikationsrichtlinie 2004/83/EG ist vom Senat im vorliegenden Berufungsverfahren nicht zu prüfen. Zwar ist ein Antrag auf Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG in Bezug auf das Herkunftsland seit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes im Asylprozess sachdienlich dahin auszulegen, dass in erster Linie die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG und hilfsweise die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG begehrt wird (BVerwG, Urteil vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 = NVwZ 2008, 1241). Auch war im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG in seiner heutigen Fassung bereits in Kraft und der Kläger hatte die Feststellung von Abschiebungsverboten „nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG“ beantragt. Das Verwaltungsgericht hat über das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG jedoch - rechtsirrtümlich - nicht entschieden. Da es nach den Urteilsgründen keinerlei Anhaltspunkte dafür gibt, dass das Verwaltungsgericht bewusst nur über einen Teil des Streitgegenstandes entscheiden und den Rest einer späteren Entscheidung vorbehalten wollte, liegt kein Teilurteil im Sinne des § 110 VwGO vor. Das Urteil ist vielmehr bezüglich des nicht erwähnten Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG fehlerhaft. Es verstößt gegen § 88 VwGO, weil es über das europarechtliche Abschiebungsverbot rechtsirrtümlich nicht vorrangig entscheidet. Gemäß § 88 VwGO darf das Gericht einerseits nicht über das Klagebegehren hinausgehen, muss dieses andererseits aber erschöpfen. Das Verwaltungsgericht hat die Eigenständigkeit des Streitgegenstands bzw. abtrennbaren Streitgegenstandsteils des § 60 Abs. 7 Satz 2 VwGO, die das Bundesverwaltungsgericht im Übrigen erstmals mit Urteil vom 24.06.2008 (a.a.O.) rechtsgrundsätzlich geklärt hat, nicht erkannt und diesen Streitgegenstandsteil irrtümlich als nicht rechtshängig angesehen. Damit wäre insoweit ein Urteilsergänzungsverfahren nach § 120 VwGO von vorneherein nicht in Betracht gekommen, weil kein „Übergehen“ im Rechtssinne vorliegt (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.03.1994 - 9 C 529.93 - BVerwGE 95, 269), sondern nur ein Antrag auf Zulassung der Berufung gemäß § 78 Abs. 2 AsylVfG. Der Kläger hat jedoch keinen Zulassungsantrag gestellt und der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung war auf den stattgebenden Teil des angefochtenen Urteils, also das - nationale - Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begrenzt; nur insoweit wurde vom Senat die Berufung zugelassen. Nach dem Verfahrensgrundsatz der Dispositionsmaxime ist der Streitgegenstand des Berufungsverfahrens damit hierauf beschränkt (vgl. §§ 128 Satz 1, 129 VwGO). Mit der rechtskräftigen Abweisung der Klage durch das Verwaltungsgericht im Übrigen ist die Rechtshängigkeit des unbeschieden gebliebenen europarechtlich begründeten Abschiebungsverbots des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG entfallen (ausführlich hierzu: BVerwG, Urteil vom 22.03.1994, a.a.O.). Selbst wenn insoweit von einem Übergehen des Antrags im Sinne des § 120 Abs. 1 VwGO ausgegangen würde, wäre ein Urteilsergänzungsverfahren ausgeschlossen, weil binnen der Zweiwochenfrist des § 120 Abs. 2 VwGO kein entsprechender Antrag gestellt worden ist.
II.
18 
Im für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) besteht zu Gunsten des Klägers ein Abschiebungsverbot hinsichtlich Afghanistans gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Hiernach kann von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn für ihn dort eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Das ist beim Kläger aufgrund der in Afghanistan derzeit vorherrschenden katastrophalen Versorgungslage der Fall.
19 
Allerdings sind Gefahren der die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Denn hinsichtlich des Schutzes vor allgemeinen Gefahren im Zielstaat soll Raum sein für ausländerpolitische Entscheidungen, was die Anwendbarkeit von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG insoweit grundsätzlich sperrt und zwar selbst dann, wenn diese Gefahren den einzelnen Ausländer zugleich in konkreter und individualisierbarer Weise betreffen (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324). Aus diesem Normzweck folgt weiter, dass sich die „Allgemeinheit“ der Gefahr nicht danach bestimmt, ob diese sich auf die Bevölkerung oder bestimmte Bevölkerungsgruppen gleichartig auswirkt, wie das bei Hungersnöten, Seuchen, Bürgerkriegswirren oder Naturkatastrophen der Fall sein kann. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG kann vielmehr auch bei eher diffusen Gefährdungslagen greifen, etwa dann, wenn Gefahren für Leib und Leben aus den allgemein schlechten Lebensverhältnissen (soziale und wirtschaftliche Missstände) im Zielstaat hergeleitet werden. Denn soweit es um den Schutz vor den einer Vielzahl von Personen im Zielstaat drohenden typischen Gefahren solcher Missstände wie etwa Lebensmittelknappheit, Obdachlosigkeit oder gesundheitliche Gefährdungen geht, ist die Notwendigkeit einer politischen Leitentscheidung in gleicher Weise gegeben (vgl. BVerwG, Urteil vom 12.07.2001 - 1 C 5.01 - BVerwGE 115, 1). Für die Personengruppe, der der Kläger angehört, besteht eine solche politische Abschiebestopp-Anordnung gemäß § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG in Baden-Württemberg derzeit nicht (mehr), seit mit Schreiben des Innenministeriums Baden-Württemberg vom 15.04.2005 (geändert am 01.08.2005, vgl. 21. Fortschreibung vom 23.01.2009, Az.: 4-13-AFG/8) in Umsetzung entsprechender Beschlüsse der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder bezüglich der Rückführung afghanischer Staatsangehöriger entschieden wurde, dass „volljährige, allein stehende männliche afghanische Staatsangehörige, die sich zum Zeitpunkt der Beschlussfassung am 24. Juni 2005 noch keine sechs Jahre im Bundesgebiet aufgehalten haben, mit Vorrang zurückzuführen sind“. Im konkreten Einzelfall greift die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG gleichwohl aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht ein.
20 
1. Die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG greift aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht ein, wenn der Ausländer im Zielstaat landesweit einer extrem zugespitzten allgemeinen Gefahr dergestalt ausgesetzt wäre, dass er „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert“ würde (st. Rspr. des BVerwG, s. Urteile vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324 und vom 19.11.1996 - 1 C 6.95 - BVerwGE 102, 249 zur Vorgängerregelung in § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG und Beschluss vom 14.11.2007 - 10 B 47.07 - juris zu § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Damit sind nicht nur Art und Intensität der drohenden Rechtsgutsverletzungen, sondern auch die Unmittelbarkeit der Gefahr und ihr hoher Wahrscheinlichkeitsgrad angesprochen (vgl. BVerwG, Urteil vom 19.11.1996 - 1 C 9.95 - BVerwGE 102, 249). Das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist im Wege einer Gesamtgefahrenschau zu ermitteln (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23.03.1999 - 9 B 866.98 - juris).
21 
Im Fall einer allgemein schlechten Versorgungslage sind insoweit Besonderheiten zu berücksichtigen. Denn hieraus resultierende Gefährdungen entspringen keinem zielgerichteten Handeln, sondern treffen die Bevölkerung gleichsam schicksalhaft. Sie wirken sich nicht gleichartig und in jeder Hinsicht zwangsläufig aus und setzen sich aus einer Vielzahl verschiedener Risikofaktoren zusammen, denen der Einzelne in ganz unterschiedlicher Weise ausgesetzt ist und denen er gegebenenfalls auch ausweichen kann. Intensität, Konkretheit und zeitliche Nähe der Gefahr können deshalb auch nicht generell, sondern nur unter Berücksichtigung aller Einzelfallumstände beurteilt werden (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 13.11.2002 - A 6 S 967/01 - juris). Um dem Erfordernis des unmittelbaren - zeitlichen - Zusammenhangs zwischen Abschiebung und drohender Rechtsgutverletzung zu entsprechen, kann hinsichtlich einer allgemein schlechten Versorgungslage eine extreme Gefahrensituation zudem nur dann angenommen werden, wenn der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr in sein Heimatland in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien kann. Mit dem Begriff „alsbald“ ist dabei einerseits kein nur in unbestimmter zeitlicher Ferne liegender Termin gemeint (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.04.1998 - 9 C 13.97 - NVwZ 1998, 973). Andererseits setzt die Annahme einer extremen allgemeinen Gefahrenlage nicht voraus, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Ankunft im Abschiebezielstaat, eintreten. Eine extreme Gefahrenlage besteht auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert sein würde (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26.01.1999 - 9 B 617.98 - InfAuslR 1999, 265).
22 
2. Diese Voraussetzungen sind im Fall des Klägers gegeben. Denn er gehört zu der Gruppe der beruflich nicht besonders qualifizierten afghanischen Staatsangehörigen, die in ihrer Heimat ohne Rückhalt und Unterstützung durch Familie oder Bekannte sind und dort weder über Grundbesitz noch über nennenswerte Ersparnisse verfügen. Für diese Personengruppe besteht aufgrund der derzeit katastrophalen Versorgungslage bei einer Abschiebung nach Kabul eine extreme Gefahrensituation im dargelegten Sinne (ebenso: OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 06.05.2008 - 6 A 10749/07 - AuAS 2008, 188).
23 
a) Der Kläger wäre bei einer Abschiebung nach Kabul ohne Rückhalt und Unterstützung durch Familie oder Bekannte. In der mündlichen Verhandlung hat er glaubhaft und überzeugend ausgeführt, dass sein Vater und Bruder getötet worden sind, er in seinem Heimatdorf Tschardehi keine Unterstützung erlangen könnte, seine Mutter den Familienbesitz veräußert sowie mit dem Onkel aus Kabul Afghanistan - wohl schon 2005 - verlassen hat und dass seither kein Kontakt mehr zu irgendwelchen Personen in seiner Heimat besteht. Der Senat ist aufgrund des schlüssigen Vortrags des Klägers zudem überzeugt, dass er in Deutschland bisher keine nennenswerten Ersparnisse machen konnte. Der gesamte Vortrag des Klägers ist widerspruchsfrei und fügt sich stimmig in seine dokumentierten Angaben vor dem Bundesamt bei der Erstanhörung am 22.10.2003. Hinreichende Anhaltspunkte für die Annahme, dass der Kläger die Unwahrheit sagt, ergeben sich für den Senat nicht.
24 
b) Aufgrund der nachfolgend (aa) bis cc)) im Einzelnen dargelegten Erkenntnisse und Wertungen ist der Senat überzeugt, dass der Kläger ohne Ersparnisse, Grundbesitz und Unterstützung durch Familie oder Bekannte bei einer Abschiebung nach Kabul mangels jeglicher Lebensgrundlage unausweichlich dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert wäre. Im Falle der zur Zeit allenfalls nach Kabul tatsächlich möglichen Abschiebung (vgl. AA, Lagebericht vom 03.02.2009, S. 30) müsste er dort mit hoher Wahrscheinlichkeit zunächst mit einem kriminell motivierten Überfall oder einer Entführung rechnen, weil Rückkehrern aus Europa offenbar häufig der Besitz von finanziellen Mitteln unterstellt wird. Da sich die Sicherheitslage auf den Straßen nach und aus Kabul aufgrund der Bürgerkriegssituation schon seit 2007 deutlich verschlechtert hat, wäre dem Kläger ein Ausweichen in andere Landesteile ohne extreme Gefährdung von Leib und Leben nicht möglich; ohnehin verfügt er dort über keine familiäre, tribale oder soziale Vernetzung. In Kabul würde er ohne finanzielle Mittel keinen Wohnraum finden, weil dieser dort knapp und nur zu hohen Preisen erhältlich ist. Der Kläger, der weder eine Schule noch eine Ausbildung durchlaufen hat und nicht über besondere berufliche Qualifikationen verfügt, hätte in Kabul keine Möglichkeit einer legalen Erwerbstätigkeit. Aufgrund der Nahrungsmittelkrise wäre er darauf verwiesen, sich, wenn überhaupt, dauerhaft ausschließlich von Brot und Tee zu ernähren. Dadurch würde er alsbald und unausweichlich in einen fortschreitenden Prozess körperlichen Verfalls mit lebensbedrohlichen Folgen geraten, weil eine hinreichende medizinische Versorgung in Kabul nicht gegeben ist. Der Kläger würde mithin durch eine Abschiebung nach Kabul mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert. Im Einzelnen:
25 
aa) Zur Einschätzung der Gefahren für Leib und Leben eines afghanischen Staatsangehörigen, der aus Europa ohne Vermögen oder (groß-)familiäre Unterstützung nach Afghanistan zurückkehrt, hat das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz in seinem Urteil vom 06.05.2008 - 6 A 10749/07 - (AuAS 2008, 188) unter Auswertung auch vom Senat beigezogener Erkenntnisquellen in einem vergleichbaren Fall ausgeführt:
26 
„aa. Im Falle seiner Abschiebung nach Afghanistan würde der Kläger das zum Leben Notwendige an Nahrungsmitteln nicht aus eigener Kraft sichern können.
27 
(…) Der Kläger würde vielmehr in Kabul mit einem geringen Barbetrag und der „Starthilfe“ des UNHCR, der alle Rückkehrer mit 12 US-Dollar (vgl. Dr. Danesch, Gutachten vom 4. Dezember 2006 an HessVGH und vom 18. Mai 2007 an VG Koblenz; Panhölzl, Humanitäre Lage in Kabul, in: Informationsverbund Asyl e.V., Zur Lage in Afghanistan, 2006, S. 9 ff.) unterstützt, darauf angewiesen sein, sich durch eine kleingewerbliche Tätigkeit oder eine abhängige Beschäftigung den Lebensunterhalt zu verdienen. Das wird ihm mit hoher Wahrscheinlichkeit weder in Kabul noch in einer Provinz gelingen. Der Sachverständige Rieck, der als Senior Advisor für Arbeitsmarktfragen im Auftrag der International Labour Organisation in Afghanistan tätig war, hat in seinem dem Senat erstatteten Gutachten vom 15. Januar 2008 ausgeführt, auf dem afghanischen Arbeitsmarkt sei die Wahrscheinlichkeit gering, dass an- und ungelernte Arbeitskräfte eine auf Dauer angelegte und den Lebensunterhalt sichernde Erwerbsmöglichkeit finden. Selbst wenn einem Rückkehrer berufliche Bildungsangebote unterbreitet würden, erlange er durch solche in der Regel keine am Arbeitsmarkt verwertbaren beruflichen Kenntnisse. Fachkräfte aus Handwerksberufen könnten jedoch häufig in Arbeit vermittelt werden. Die Rekrutierung von Arbeitskräften sei so stark von persönlichen Beziehungen geprägt, dass private und öffentliche Arbeitgeber Medien oder Arbeitsvermittlungsbüros erst dann einschalteten, wenn das persönliche Beziehungsgeflecht bei der Stellenbesetzung nicht zum Erfolg geführt habe. Bestätigt wird diese Einschätzung durch die gutachterliche Stellungnahme vom 31. Januar 2008, die Dr. Glatzer dem Senat gegenüber abgegeben hat. Danach sind für alleinstehende, arbeitsfähige, männliche Afghanen, die unfreiwillig aus Deutschland nach Kabul zurückkehren und dort nicht mit der Hilfe von Verwandten oder Bekannten bei ihrer Wiedereingliederung rechnen können, legale Erwerbsmöglichkeiten – wenn man die Faktoren Zufall oder Glück außer Acht lässt – kaum gegeben, wenn diese Personen nicht über besondere professionelle Qualifikationen verfügen. Die Arbeitsmarktsituation in den Provinzen sei deutlich ungünstiger als in Kabul. Afghanistan leide unter einer Arbeitslosigkeit von ca. 65 v. H. der arbeitsfähigen Bevölkerung, wobei der Bedarf an ungelernten Arbeitern wegen der sich verschlechternden Sicherheitslage eher zurückgehe. Selbst in Boomzeiten gebe es viel mehr Arbeitswillige als Arbeitsplätze, um die hart und rücksichtslos gekämpft werde. Dr. Danesch (Gutachten vom 18. Mai 2007 an VG Koblenz und vom 24. August 2007) spricht von einer Arbeitslosigkeit im Umfang von 70 bis 80 v. H. der afghanischen Männer. Panhölzl (Humanitäre Lage in Kabul, a.a.O. S. 13) referiert eine Studie der Afghanistan Research and Evaluation Unit (AREU) vom April 2006, derzufolge von den befragten armen und armutsgefährdeten Haushalten ein Viertel der Arbeitskräfte maximal 54 Tage im Jahr Zugang zu Arbeit, die Hälfte 131 Tage oder weniger und nur 25 v. H. für 193 und mehr Tage im Jahr eine Arbeitsmöglichkeit hatten. Als Rückkehrer ohne persönliche Bindungen oder Beziehungen und ohne verwertbare berufliche Qualifikation müsste der Kläger der erstgenannten Gruppe zugerechnet werden, also in jeder Woche durchschnittlich für einen Tag eine Aushilfstätigkeit finden, was ihm einen wöchentlichen Durchschnittsverdienst von ca. einem bis zwei US-Dollar verschaffen würde (Dr. Danesch, Gutachten vom 18. Mai 2007 an VG Koblenz und vom 24. August 2007; Panhölzl, Humanitäre Lage in Kabul, a.a.O.). Ein selbständiges Kleingewerbe als Schuhputzer (vgl. Rieck, Gutachten vom 15. Januar 2008) bzw. Karrenzieher oder Straßenverkäufer verspricht keine gegenüber der abhängigen Beschäftigung besseren Erwerbsmöglichkeiten (Panhölzl, Humanitäre Lage in Kabul, a.a.O. S. 13) (…)
28 
Unter diesen wirtschaftlichen Verhältnissen würden dem Kläger ausschließlich Tee und Brot als Nahrungsmittel zur Verfügung stehen. Er würde zu der Hälfte der Bevölkerung Kabuls gehören, die sich - wie dem Schriftsatz der Beklagten vom 26. Februar 2008 im Verfahren 6 A 10230/08.OVG entnommen werden kann, der insoweit auf Erkenntnisse der Hilfsorganisation „Action contre la faim“ Bezug nimmt – nur von Tee und Brot ernähren und dafür den größten Teil ihres Einkommens verwenden muss. Auch das Auswärtige Amt erwähnt in seinem Lagebericht vom 7. März 2008, dass fast ein Viertel aller Haushalte in Afghanistan die Grundversorgung an Nahrungsmitteln nicht selbständig sichern kann. Dem Gutachten Dr. Daneschs vom 18. Mai 2007 (an VG Koblenz) zufolge leiden 8,9 v. H. der Kabuler Bevölkerung unter akuter Unterernährung. Auf seiner Homepage (www.auswaertiges-amt.de) bezeichnet das Auswärtige Amt die Nahrungmittelunsicherheit, chronische Mangelernährung, fehlenden Zugang zu sauberem Trinkwasser und Mangel an medizinischer Versorgung als die humanitären Hauptprobleme Afghanistans; der Anstieg der Weizenpreise im Laufe des Jahres 2007 um durchschnittlich 60 Prozent habe die Versorgungslage der besonders bedürftigen Bevölkerungsschichten wie Flüchtlinge und Binnenvertriebene sowie werdender Mütter und Kinder weiter verschlechtert.
29 
bb. Diese Versorgungssituation wird auch nicht durch Unterstützungsmaßnahmen der afghanischen Regierung oder internationaler Organisationen in wesentlichem Umfang verbessert (vgl. auch HessVGH, 8 UE 1913/06.A., juris; OVG B-B, 12 B 9.05, juris). Staatliche soziale Sicherungssysteme sind nicht vorhanden; vielmehr übernehmen Familien und Stammesverbände die soziale Absicherung (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7. März 2008). Deshalb stoßen nach diesem Lagebericht Rückkehrer, die außerhalb des Familienverbands oder nach einer längeren Abwesenheit im westlich geprägten Ausland zurückkehren, auf größere Schwierigkeiten als Rückkehrer, die in Familienverbänden geflüchtet sind oder in einen solchen zurückkehren, wenn ihnen das notwendige soziale oder familiäre Netzwerk sowie die notwendigen Kenntnisse der örtlichen Verhältnisse fehlen.
30 
Zwar erwähnt der Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7. März 2008, dass die Vereinten Nationen Millionen von Afghanen mit Nahrungsmitteln und Hilfsgütern versorgen und sich die Versorgungslage in Kabul grundsätzlich verbessert habe, schränkt dies aber insoweit ein, als mangels Kaufkraft längst nicht alle Bevölkerungsschichten davon profitierten. Darüber hinaus weist das Auswärtige Amt in diesem Lagebericht auf die Schwierigkeiten humanitärer Nothilfeleistungen infolge schlecht ausgebauter Verkehrswege, widriger Witterungsverhältnisse und wegen Sicherheitsproblemen hin. Dass die Vereinten Nationen Millionen von Afghanen mit Nahrungsmitteln und Hilfsgütern (in einem nicht näher bezeichneten Umfang) versorgen, erklärt sich ohne Weiteres aus der eine solche Verantwortlichkeit begründenden Hilfe, die der UNHCR bei der Rückkehr von ca. vier Millionen Afghanen aus Pakistan und dem Iran geleistet hat und die zu einem guten Teil auf den verstärkten „Rückführungsbemühungen“ der pakistanischen und der iranischen Regierung beruhen (vgl. hierzu Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7. März 2008). Nach der Auskunft, die amnesty international dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof unter dem 17. Januar 2007 erteilt hat, kann die Versorgung der bedürftigen Bevölkerung angesichts der enorm großen Zahl von Rückkehrern und der prekären Sicherheitslage nicht durch Angebote internationaler Hilfsorganisationen aufgefangen werden, zumal viele dieser Organisationen ihre Aktivitäten aufgrund von Sicherheitsbedenken immer stärker einschränken müssten. Dr. Glatzer teilt diese Einschätzung in seinem Gutachten vom 31. Januar 2008. Auch das Auswärtige Amt (Lagebericht vom 7. März 2008) bestätigt, dass sich die Sicherheitslage für Mitarbeiter internationaler Hilfsorganisationen durch regelmäßige Anschläge seit dem Jahr 2006 und durch Entführungen verschlechtert und sich das subjektive Unsicherheitsgefühl in den Reihen der internationalen Gemeinschaft seit dem Anschlag vom 24. Januar 2008 auf das Hotel Kabul Serena erheblich verstärkt habe. Dass internationale Hilfsorganisationen nicht einmal eine notdürftige Nahrungsmittelversorgung der Bevölkerung Kabuls sicherstellen, ist den Gutachten Dr. Daneschs vom 18. Mai 2007 (an VG Koblenz) und vom 24. August 2007 zu entnehmen. Danach gibt es keine Grundversorgung der Flüchtlinge durch internationale Hilfsorganisationen in Kabul. Die Lebensbedingungen der Kabuler hätten sich seit dem Jahre 2001 drastisch verschlechtert. Tag für Tag verhungerten in Kabul Menschen, nach denen in Afghanistan "kein Hahn kräht". Konkrete Zahlen über Todesfälle unter der armen Bevölkerung ließen sich in einem Land, in dem es keine Meldepflicht gebe, nicht erlangen, da sie nicht aktenkundig würden. Außerdem sei unter den afghanischen Verhältnissen die Grenze fließend zwischen regelrechtem Verhungern und Erkrankungen, die aufgrund von Mangelernährung, katastrophaler Hygiene, Kälte bzw. fehlender ärztlicher Behandlung tödlich verliefen. Allein in den drei von der „Action contre la faim“ betreuten Krankenhäusern stürben täglich zwischen fünf und sieben Personen allein wegen Unterernährung, obwohl diese zu den „wenigen Glücklichen“ gehörten, die überhaupt in ein Krankenhaus kämen. Menschen, die Mangelernährung und Krankheiten erlägen, würden ohne viel Umstände verscharrt. Die durch das jahrelange Elend abgestumpfte Bevölkerung nehme solche Todesfälle oft fatalistisch hin.
31 
cc. Auch die Möglichkeiten, eine winterfeste Unterkunft zu erlangen, sind für einen mittellosen Rückkehrer, der nicht auf (groß-)familiäre Hilfe zurückgreifen kann, minimal. Der Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7. März 2008 führt hierzu aus, die Wohnraumversorgung sei unzureichend; Wohnraum sei knapp und die Preise in Kabul seien hoch. Freiwillig zu ihren Angehörigen zurückkehrende Afghanen strapazierten die nur sehr knappen Ressourcen an Wohnraum und Versorgung weiter. Eine zunehmende Zahl von Rückkehrern verfüge zudem nicht mehr über solche Anschlussmöglichkeiten. Bemühungen des Flüchtlingshilfswerks UNHCR und anderer Einrichtungen um die Errichtung von Unterkünften hätten nur geringe Wirkung gehabt. Das afghanische Ministerium für Flüchtlinge und Rückkehrer beabsichtige, Rückkehrer in Neubausiedlungen unterzubringen, von denen ein Großteil für eine dauerhafte Ansiedlung ungeeignet sei, so dass von einem „Aussetzen in der Wüste“ gesprochen werden könne. Nichtregierungsorganisationen leisteten hier humanitäre Hilfe. Von dem „Auffangwohnheim“ auf dem Gelände des Flüchtlingsministeriums, das das Auswärtige Amt in seiner Auskunft vom 29. Mai 2007 an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof erwähnt und in dem Rückkehrer für eine Übergangszeit Unterkunft finden konnten, ist im Lagebericht vom 7. März 2008 nicht (mehr) die Rede.
32 
Dr. Danesch (Gutachten vom 18. Mai 2007 an VG Koblenz und vom 24. August 2007) berichtet, dass ein einfaches Zimmer bis zu 20 US-Dollar im Monat koste. Dafür erhalte man eine Unterkunft in weitab vom Zentrum gelegenen Außenbezirken, wo es oft nicht die geringste Infrastruktur gebe. Erschwinglicher Wohnraum außerhalb der Flüchtlingslager existiere für Rückkehrer nicht.
33 
Nach der Auskunft, die amnesty international dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof unter dem 17. Januar 2007 erteilte, hat der enorme Bevölkerungszuwachs in Kabul einen akuten Mangel an Wohnraum verursacht, so dass sich große Slumviertel gebildet hätten. Viele Menschen lebten in Ruinen. Nach Schätzungen der Caritas verfüge etwa eine Million Menschen in Kabul weder über ausreichenden und winterfesten Wohnraum noch über regelmäßiges Trinkwasser. Die hygienischen Verhältnisse in den Armenvierteln seien katastrophal.
34 
Das Rückkehrerprogramm "Return, Reception and Reintegration of Afghan Nationals to Afghanistan (RANA)" ist nach Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 29. Mai 2007 an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof Ende April 2007 ausgelaufen, so dass auf die Darlegungen von Herrn D…, der während einer Beurlaubung als Beamter der Beklagten im Rahmen des RANA-Programms in Kabul bis zum 22. Mai 2006 tätig war und wegen dieser Tätigkeit von dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg am 24. März 2006 als sachverständiger Zeuge vernommen worden ist, nicht eingegangen werden muss.
35 
dd. Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass die medizinische Versorgung selbst in Kabul völlig unzureichend ist (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7. März 2008). Amnesty international berichtet dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof unter dem 17. Januar 2007, dass viele Menschen wegen der desolaten Verhältnisse im Gesundheitswesen unter Infektionskrankheiten, Tuberkulose etc. litten. Eine Behandlung sei in der Regel nicht möglich, weil die Gesundheitsversorgung in Afghanistan unzulänglich sei. Während es auf dem Land oft überhaupt keine Versorgung gebe, sei es in Kabul, wo einige Krankenhäuser vorhanden seien, meist nur über Beziehungen oder gegen Bestechung möglich, auch tatsächlich behandelt zu werden. Diese Situation erkläre die geringe Lebenserwartung und eine der weltweit höchsten Kindersterblichkeitsraten. Auch Panhölzl (Humanitäre Lage in Kabul, a.a.O.) referiert, dass die Kosten für einen Arztbesuch fast den Tageslohn eines einfachen Arbeiters – Transportkosten nicht inbegriffen – ausmachen; die Mehrheit der Ärzte in öffentlichen Krankenhäusern betrieben nebenbei private Kliniken und verwiesen die Patienten in diese, was sich die Ärmeren aber nicht leisten könnten.
36 
ee. Ist mithin davon auszugehen, dass der Kläger im Falle seiner Rückkehr nur eine notdürftige und nicht winterfeste Unterkunft finden würde, nahezu ohne medizinische Versorgung unter hygienisch völlig unzureichenden Verhältnissen leben müsste und darauf verwiesen wäre, sich ausschließlich von Brot und Tee zu ernähren, besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass er durch seine Abschiebung nach Afghanistan zwangsläufig in einen fortschreitenden Prozess körperlichen Verfalls mit lebensbedrohlichen Folgen geraten würde. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus den in sich schlüssigen ernährungsmedizinischen Ausführungen der Sachverständigen Dr. med. T.. Danach führt eine erzwungene Mangelernährung, die aus Brot und Tee besteht, selbst bei ausreichender Kalorienzufuhr, d.h. einer Menge von 1.000g bis 1.500g Weißbrot pro Tag, zu einem verstärkten Abbau von Eiweiß und Fett und insbesondere zu einem Eisenmangel. Die dadurch bedingte Beeinträchtigung der Sauerstoffversorgung habe erhebliche Auswirkungen auf das Gehirn und das Herz und schwäche die Körperimmunabwehr. Dies wiederum könne zu Organschäden am Herzen bis hin zum Herzinfarkt führen. Die Schwächung der Immunabwehr führe in der Regel spätestens nach sechs Monaten zum Ausbruch der Eisenmangelanämie. Die genannten Symptome träten unter den in Afghanistan herrschenden Lebensbedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit noch früher ein, zumal bei einem Rückkehrer nach einem fünf Jahre langen Aufenthalt in Deutschland wegen der erheblichen Klimaumstellungen mit schwerwiegenden Infektionen der Atmungs- und Verdauungsorgane bis hin zur Tuberkulose gerechnet werden müsse. Unter den im Winter in Afghanistan gegebenen Klimabedingungen bestehe die Gefahr von Lungeninfekten. Sie könnten insbesondere dann zum Tod führen, wenn der Organismus bereits zuvor durch Eisenmangel und andere Infekte geschwächt sei. Bei einer Rückkehr nach Kabul im Sommer sei mit Darminfektionen zu rechnen. Unter diesen Umständen könnten bis zu zwei Durchfallerkrankungen möglicherweise ohne große Schäden überwunden werden. Ab der dritten entsprechenden Erkrankung müsse dann aber mit lebensbedrohlichen Entwicklungen gerechnet werden. Eine Anpassung des Körpers im Sinne einer zunehmenden Immunität sei in diesen Fällen ausgeschlossen. Insbesondere im Sommer komme es darüber hinaus auch durch das Trinken von nicht abgekochtem Wasser zu gesundheitlichen Schäden.
37 
Aus diesen sachverständigen Ausführungen ergibt sich, dass vergleichsweise junge Männer, die in gutem Ernährungs- und Gesundheitszustand aus Europa nach Kabul zurückkehren, nicht etwa über körperliche „Reserven“ verfügen, die ihnen ein Überleben auf längere Sicht erleichtern. Vielmehr erweist sich die über mehrere Jahre vollzogene Anpassung an die in Europa herrschenden klimatischen und hygienischen Bedingungen als Nachteil beispielsweise gegenüber afghanischen Rückkehrern aus Pakistan oder dem Iran. Insbesondere die dadurch erhöhte Infektanfälligkeit wird in Verbindung mit dem ernährungsbedingten Eisenmangel zu schwerwiegenden Infektionen der Atmungs- und Verdauungsorgane führen und mit hoher Wahrscheinlichkeit einen fortschreitenden Prozess körperlichen Verfalls mit lebensbedrohlichen Folgen auslösen.
38 
Diese schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen reichen aus, um eine zwangsweise Rückkehr als unzumutbar erscheinen zu lassen, auch wenn sehr viele Afghanen in der beschriebenen Weise unterhalb des Existenzminimums „dahinvegetieren“ und keine Berichte über eine Hungersnot in Kabul vorliegen, wie das Sächsische Oberverwaltungsgericht (A 1 B 58/06, AuAS 2007, 5, juris) bemerkt. Gerade den bereits zitierten Ausführungen Dr. Daneschs vom 18. Mai 2007 (an VG Koblenz) und vom 24. August 2007 ist zu entnehmen, aus welchen Gründen sich Angaben über diese Zustände einer „weiteren Präzisierung“, die das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen (20 A 5164/04.A, juris) vermisst, entziehen und über Hungertote oder an den Folgeerkrankungen der chronischen Mangelernährung Verstorbene nicht im Einzelnen berichtet wird. Im Übrigen beruhen die Entscheidungen des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts (A 1 B 58/06, AuAS 2007, 5, juris) und des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (20 A 5164/04.A, juris) wesentlich auf den wegen des inzwischen ausgelaufenen RANA-Programms nicht mehr aktuellen Bekundungen des Herrn D.. Zwar geht auch der Hessische Verwaltungsgerichtshof (8 UE 1913/06.A, juris) davon aus, dass ein junger, allein stehender Afghane ohne nennenswertes Vermögen und ohne abgeschlossene Berufsausbildung wahrscheinlich in der Lage wäre, durch Gelegenheitsarbeiten wenigstens ein kümmerliches Einkommen zu erzielen, damit ein Leben am Rande des Existenzminimums zu finanzieren und sich allmählich wieder in die afghanische Gesellschaft zu integrieren; er räumt aber ein, manche von den Gutachtern mitgeteilte Details sprächen auch für die gegenteilige Schlussfolgerung. Soweit das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (12 B 9.05, juris) für männliche Flüchtlinge mittleren Alters im Falle der Rückkehr nach Afghanistan in der Regel keine extremen allgemeinen Gefahren sieht, lagen der Entscheidung tatsächliche Besonderheiten in der Person des Klägers zugrunde, der aus einer wohlhabenden Familie mit einflussreichen Kontakten auch in Kabul stammte (…). Ebenso wenig vergleichbar sind die Entscheidungen anderer Oberverwaltungsgerichte (OVG S-H, 2 LB 38/07, juris; OVG B-B, 12 B 11.05, juris), deren abweichende Einschätzung der Gefährdungslage darauf beruht, dass die um Abschiebungsschutz nachsuchenden afghanischen Staatsangehörigen in ein (groß-)familiäres Umfeld zurückkehren konnten.“
39 
Dieser überzeugenden Einschätzung schließt sich der Senat an. Die seit Ergehen dieses Urteils eingegangenen weiteren Erkenntnismittel belegen die Richtigkeit dieser Einschätzung und zeigen zudem eine weitere Verschärfung der Situation auf.
40 
bb) Seit Mai 2008 hat sich die Versorgungssituation für Rückkehrer aus Europa ohne Vermögen oder (groß-)familiären Rückhalt in Afghanistan weiter verschlechtert. Auch wenn die Lage in einzelnen Provinzen und Distrikten erhebliche Unterschiede aufweist (Wegweiser zur Geschichte - Afghanistan, 2009 S. 9), befindet sich das Land insgesamt gesehen in einer "Abwärtsspirale" (FAZ vom 07.02.2009). US-Geheimdienste zeichnen ein „äußerst düsteres Bild“ (SZ vom 10.10.2008). Versorgungsengpässe sind an der Tagesordnung, und dies nicht nur in abgelegenen Gebieten oder den Elendsvierteln von Kabul. Die Einwohnerzahl Kabuls explodierte auch aufgrund von Landflucht sowie der massenhaften Rückkehr von Flüchtlingen in den letzten Jahren von circa einer auf nunmehr weit über drei Millionen Menschen (Wegweiser zur Geschichte - Afghanistan, 2009 S. 224). Im neuesten Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 03.02.2009 heißt es, Afghanistan durchlebe insbesondere eine Nahrungsmittelkrise. Das Land gelte zwischenzeitlich in Asien als das ärmste. Die Lebensbedingungen seien landesweit schlecht. Seit dem Winter 2007/08 habe sich die Lage mit den weltweit steigenden Nahrungsmittelpreisen, verbunden mit Exportbeschränkungen der Nachbarländer für Weizen und einer Dürre in einigen Landesteilen, noch einmal erheblich verschärft. Eine weitere Verschlechterung im Winter 2008/09 und in der folgenden „mageren Jahreszeit“ im ersten Halbjahr 2009 sei wahrscheinlich. Besonders problematisch sei die Lage in den ländlichen Gebieten, deren Versorgung oftmals sehr schwierig, im Winter überhaupt nicht möglich sei. Aber auch in Kabul und zunehmend in anderen großen Städten sei die Lage nicht wesentlich besser. Wegen sinkender oder ganz fehlender Kaufkraft profitiere von einer seit 2001 zwar grundsätzlich verbesserten Versorgungslage derzeit allenfalls eine kleine Bevölkerungsschicht. Angemessener Wohnraum sei knapp und nur zu hohen Preisen erhältlich. Selbst Kabul habe keine geregelte Stromversorgung. Staatliche soziale Sicherungssysteme seien weiterhin praktisch nicht vorhanden; Korruption sei weit verbreitet, der Verwaltungsapparat sei hoch ineffizient. Die medizinische Versorgung sei immer noch unzureichend. Selbst die Ansiedlung organisiert zurückgeführter Flüchtlinge in vorgesehene „townships“ erfolge etwa wegen fehlender Wasserversorgung und abseitiger Lage unter „schwierigen Rahmenbedingungen“ und gleiche, trotz humanitärer Hilfe von Nichtregierungsorganisationen, teilweise weiterhin einem „Aussetzen in der Wüste“. Der Zugang zu Arbeit, Wasser bzw. Grundversorgung sei häufig nur sehr eingeschränkt möglich. Ohne familiäre oder soziale Netzwerke und ohne notwendige Kenntnisse der örtlichen Verhältnisse würden Rückkehrer „auf größere Schwierigkeiten“ stoßen. Sie könnten zudem auf übersteigerte Erwartungen ihrer finanziellen Möglichkeiten treffen und mit überhöhten Preisen konfrontiert werden. Von den im Land gebliebenen Landsleuten würden Rückkehrer im Übrigen häufig nicht als vollwertige Afghanen akzeptiert. Hinzu komme, dass die Gefährdung des Einzelnen, zu einem Opfer von Gewalt zu werden, im ganzen Land gegeben sei. Die afghanische Nationalpolizei werde ihrer Aufgabe bei der Durchsetzung von Recht und Gesetz nicht gerecht und gelte wegen Korruption und niedrigem Ausbildungsstand an vielen Orten selbst als Unsicherheitsfaktor. Von der sich verschlechternden Sicherheitslage seien inzwischen fast alle Landesteile betroffen. Auch die Gefahr, Opfer der deutlich zugenommenen Entführungen zwecks Erpressung von Lösegeld zu werden, treffe Rückkehrer, wenn ihnen ausreichende finanzielle Mittel für einen Freikauf unterstellt würden. Ob sich eine Person diesen Gefahren entziehen könne, hänge maßgeblich von dem Grad ihrer familiären, tribalen und sozialen Vernetzung ab.
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Weitere aktuelle Erkenntnisquellen geben kein besseres Bild von der in der Gesamtschau für Rückkehrer ohne Vermögen oder (groß-)familiären Rückhalt katastrophalen Lage: Gemeinhin wird davon ausgegangen, dass die Situation 2009 noch schlechter werde; „so viel Pessimismus war nie“ (Der Spiegel vom 13.10.2008). Die Schere zwischen Reich und Arm klafft immer weiter auseinander. Einerseits lassen sich Drogenbarone und Warlords in Kabul „protzige Villen“ bauen. Andererseits leben immer mehr Menschen in nicht winterfesten Unterkünften, oftmals Ruinen (SFH vom 21.08.2008 u. 26.02.2009), und es müssen nach einer repräsentativen Erhebung von ARD, ABC und BBC zwischenzeitlich über die Hälfte aller Haushalte (54 %) mit weniger als umgerechnet 100 Dollar (ca. 78 EUR) im Monat auskommen. Gerade noch rund ein Drittel der afghanischen Bevölkerung (37 %) gibt an, sich notwendige Lebensmittel leisten zu können. Und nur noch 31 % der Bevölkerung ist in der Lage, den Preis für Heizöl zu bezahlen (dpa-News vom 09.02.2009). Alles sei dramatisch teurer geworden, vor allem Lebensmittel, Brennholz, Benzin, Gas und Baumaterialien (SZ vom 24.10.2008); insbesondere die Lebensmittelpreise sind zwischen Februar 2008 und Februar 2009 um bis zu 130 % gestiegen (SFH vom 26.02.2009) Nach UN-Angaben müssen heute 42 % der Afghanen von weniger als einem Dollar am Tag leben (ai-Pressespiegel 2/2009, S. 46). Die Arbeitslosenrate liege zwischen 32 und 60 Prozent; ein Großteil der arbeitenden Bevölkerung versuche, sich als Tagelöhner zu verdingen (SFH vom 26.02.2009). Überall könne man Armut sehen, etwa Leute, die sich „nur von Wasser, Brot und ein bisschen Tomatenpüree oder allenfalls mal von einem Teller Reis“ ernähren (SZ vom 24.10.2008). Für die große Mehrheit der Afghanen würden Armut, Krankheit, Dürreperioden und interne Konflikte noch größere Bedrohungen darstellen als das Risiko, durch kriegerische oder terroristische Attacken verletzt oder getötet zu werden. Die Richtigkeit dieser Einschätzung illustrieren auch Indikatoren zum Gesundheitszustand der Bevölkerung: So stirbt heute in Afghanistan durchschnittlich alle 30 Minuten eine Frau aufgrund von Komplikationen während Schwangerschaft oder Geburt. Die Hälfte der Kinder bis zum Alter von fünf Jahren gelten als chronisch unterernährt. Lediglich zwei von zehn ländlichen Haushalten verfügen über sauberes Trinkwasser, was wiederum dazu führt, dass 85.000 Kinder im Alter unter fünf Jahren jährlich an den Folgen von Magen- und Darmerkrankungen sterben. Jedenfalls für die Mehrheit der auf dem Land lebenden Afghanen gibt es weder eine medizinische Grundversorgung noch Ernährungssicherheit (Wegweiser zur Geschichte - Afghanistan, 2009 S. 105 f.). Die Lebenserwartung der afghanischen Bevölkerung gehört heute mit 42 Jahren zu den geringsten der Welt (SFH vom 26.02.2009). Zudem verläuft der Wiederaufbau offenbar überall schleppend. Die Korruption habe „atemberaubende Ausmaße“ angenommen. Einer der wenigen funktionierenden Erwerbszweige sei die Drogenökonomie. Afghanistan hat zwischenzeitlich beinahe ein weltweites Monopol für Schlafmohn, aus dem Heroin gewonnen wird (dpa-News vom 29.01.2009). Mit den Erlösen aus Schlafmohnanbau und Drogenhandel füllen nicht nur, aber vor allem die Taliban ihre Kriegskasse (dpa-News vom 13.02.2009). Jeder zehnte Afghane baut nach UN-Berichten oftmals notgedrungen Schlafmohn an; das entspricht rund 2,5 Millionen Menschen. Hinzu kommen noch diejenigen, die Drogen schmuggeln, veredeln und weiterverkaufen. Niemand wage, ihre Zahl zu schätzen. Den Wert ihrer Früchte dagegen schon: Allein die 7,7 Tonnen Rohopium, die 2008 in Afghanistan geerntet wurden (93 % der Weltopiumsproduktion), haben einen Marktwert von 3,5 Milliarden Dollar. Ein Kilo Heroin hat derzeit in Afghanistan den Gegenwert von 30 Maschinengewehren. Täglich starten aus Girdi Jungal und Baramcha schwer bewachte Konvois mit mehreren Hundert Kilo Heroin an Bord Richtung Iran. An der Grenze zu Pakistan wurden Labore zur Veredelung des Rohopiums von fabrikartigen Ausmaßen errichtet, in denen mehrere Hundert Menschen arbeiten sollen. Rund 90% der Ernte wird inzwischen in Afghanistan selbst zu Heroin und Morphiumprodukten verarbeitet (Wegweiser zur Geschichte - Afghanistan, 2009 S. 231). Ein US-Militär brachte die Verbindung zwischen Taliban-Renaissance und Drogenschmuggel lakonisch auf den Punkt: "Drogen raus, Waffen rein." Hochrangige Regierungsvertreter und sogar der Bruder von Präsident Karzai sollen sich nach Ansicht des Weißen Hauses an Drogengeschäften beteiligen (ZEIT-online vom 04.02.2009), weshalb die Bevölkerung Drogenbekämpfungsmaßnahmen als Ausdruck von Doppelmoral ansieht. Vernichtungskampagnen würden vor allem jenen verarmten Bevölkerungsteil treffen, der existenziell auf den Schlafmohnanbau angewiesen sei. Die Nato-Truppen haben dennoch beschlossen, nunmehr aktiv die Drogenproduktion zu bekämpfen; ein durchgreifender Erfolg dieser Aktionen erscheint jedoch außerordentlich fraglich (taz vom 13.10.2008). Die Schwierigkeiten Afghanistans dürften zudem kaum trennbar mit denen Pakistans verbunden sein. Die Problemzone Afghanistan besteht gewissermaßen aus einem Rumpfstaat um Kabul, dessen Aufbau nicht vorankommt, während bei seinem atomar bewaffneten Nachbarn „ein beängstigender Staatszerfall“ stattfindet. Die in der Regierung von Präsident Karzai wütende Korruption habe den Zusammenbruch zentraler Autorität ebenso beschleunigt wie die wachsende Gewalt durch Militante aus Zufluchtsorten in Pakistan (netzwerk-afghanistan.info vom 09.10.2008). Die pakistanische Regierung verliere immer mehr den Zugriff auf ihre nordwestliche Grenzregion. Islamabad hat nun verkündet, man werde dort ein System islamischer Gerichtsbarkeit im Gegenzug für einen Waffenstillstand mit den Taliban akzeptieren (Die Zeit vom 19.02.2009).
42 
cc) Die ohnehin katastrophale Versorgungssituation in Afghanistan wird zudem durch die inzwischen landesweit schwierige Sicherheitslage verschärft. Die Kämpfe zwischen verschiedenen bewaffneten Gruppen haben tausende Familien gezwungen, in größeren Städten Schutz zu suchen. Zehntausende intern Vertriebene leben in Slums rund um Kabul und Herat. UNHCR schätzte im Januar 2009, dass ca. 235.000 Menschen neu vertrieben wurden (SFH vom 11.03.2009). Auch die Versorgung der ländlichen Gebiete mit Hilfsgütern ist aufgrund der schwierigen Sicherheitslage nur noch eingeschränkt möglich. Die Kosten für eine LKW-Fuhre mit Hilfsgütern von Kabul nach Kandahar etwa haben sich wegen der „Gefahrenzulagen“ von 1.800 Dollar im Frühjahr 2008 auf nunmehr fast 18.000 US-Dollar verzehnfacht (Der Spiegel vom 13.10.2008). Afghanistan ist heute eines der am stärksten verminten Länder der Welt (SFH vom 21.08.2008). Für die internationalen Truppen war 2008 das verlustreichste Jahr seit dem Sturz des Taliban-Regimes Ende 2001. Allein in den ersten acht Monaten des Jahres 2008 hat der Konflikt am Hindukusch nach UN-Angaben mehr als 4.000 Menschen das Leben gekostet, über ein Drittel davon Zivilisten; andere Schätzungen gehen von über 2000 getöteten Zivilisten im letzten Jahr aus (FAZ vom 18.02.2009). Deutschen Soldaten ist es in Kabul verboten, sich zu Fuß oder mit ungepanzerten Fahrzeugen zu bewegen; vom Elend der Flüchtlinge bekommen sie kaum etwas mit (SZ vom 02.09.2008). An eine rein militärische Konfliktlösung glaubt inzwischen offenbar niemand mehr. Präsident Karzai hat den Taliban wiederholt Verhandlungen angeboten, die jedoch abgelehnt wurden, solange ausländische Truppen im Land sind (FR vom 27.02.2009). Im Süden, Osten und Westen konnten die Taliban immer näher an Kabul heranrücken. Sie seien bereits auf 72 % des afghanischen Territoriums „dauerhaft präsent“ (dpa-News vom 10.10.2008). US-Präsident Obama’s angekündigte Offensive und Truppenaufstockungen um mindestens 17.000 weitere Soldaten (Die Welt vom 19.02.2009) bedeuteten noch mehr Kämpfe und Gewalt, denn die Aufständischen seien mächtig wie nie (BNN vom 17.12.2008; FAZ vom 22.12.2008). Aber nicht nur die Taliban, auch kriminelle Banden machen das Land und selbst die Hauptstadt Kabul unsicher (dpa-News vom 29.01.2009). Hinzu kommt, dass die Grenzen zwischen organisierter Kriminalität, ehemaligen Warlords, die ihre Einflussbereiche nun als Gouverneure oder Distriktchefs sichern, bis hin zu Gruppierungen der Taliban oder anderen militanten Kräften fließend verlaufen (Wegweiser zur Geschichte - Afghanistan, 2009 S. 10). Kabul, jahrelang als „letzte sichere Insel im von Gewalt zerrütteten Land am Hindukusch“ bezeichnet, erscheint im Frühjahr 2009 „alles andere als sicher“ (Der Spiegel vom 25.01.2009). Die Zahl der registrierten Bombenanschläge (ca. 2.000) und Entführungen (ca. 300) hat sich laut US-Angaben 2008 etwa verdoppelt (taz vom 30.12.2008). Zudem habe sich zwischenzeitlich eine Art „Entführungsindustrie“ entwickelt, die jeden treffen könne (SZ vom 24.10.2008). Auch das Auswärtige Amt warnt deshalb dringend vor Reisen nach Kabul und Afghanistan. Das Risiko, Opfer einer Entführung zu werden, bestehe landesweit. Auch in der Hauptstadt Kabul könnten Überfälle und Entführungen nicht ausgeschlossen werden; im übrigen Land bestünden teilweise noch deutlich höhere Sicherheitsrisiken. Wer sich dennoch nach Afghanistan begebe, müsse sich der Gefährdung durch terroristisch oder kriminell motivierte Gewaltakte bewusst sein. Trotz Präsenz der Internationalen Schutztruppe ISAF komme es überall zu Attentaten. Die Sicherheitskräfte der Regierung seien nicht in der Lage, Ruhe und Ordnung zu gewährleisten. Zudem sei die medizinische Versorgung, insbesondere die stationäre Behandlungsmöglichkeit, völlig unzureichend und in etlichen Landesteilen nahezu nicht existent bzw. nicht nutzbar (www.auswaertiges-amt.de; Zugriff vom 16.03.2009).
43 
In einer Gesamtgefahrenschau muss vor diesem Hintergrund im konkreten Einzelfall des Klägers eine extreme Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bejaht werden.
III.
44 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO und § 83 b AsylVfG. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein gesetzlicher Zulassungsgrund vorliegt (§ 132 Abs. 2 VwGO).

Gründe

 
16 
Die zulässige, insbesondere rechtzeitig unter Stellung eines Antrags und unter Bezugnahme auf die ausführliche Begründung des Zulassungsantrags begründete Berufung (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 - NVwZ 2006, 1420 m.w.N.) der Beklagten ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend entschieden, dass der Kläger die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (- Aufenthaltsgesetz -) in der Fassung der Änderung durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.08.2007 (- Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 28.08.2007, BGBl I 1970) beanspruchen kann. Die Zulässigkeit des so genannten Folgeschutzantrags des Klägers vom 16.05.2007 insbesondere hinsichtlich § 51 Abs. 2 und 3 VwVfG bedarf keiner Klärung, weil die Beklagte klargestellt hat, dass das Bundesamt das Verfahren im angefochtenen Bescheid - jedenfalls - in Bezug auf ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG von Amts wegen wiederaufgegriffen und zur Sache entschieden hat.
I.
17 
Das grundsätzlich vorrangige - europarechtlich begründete - Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG i.V.m. Art. 15 c der Qualifikationsrichtlinie 2004/83/EG ist vom Senat im vorliegenden Berufungsverfahren nicht zu prüfen. Zwar ist ein Antrag auf Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG in Bezug auf das Herkunftsland seit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes im Asylprozess sachdienlich dahin auszulegen, dass in erster Linie die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG und hilfsweise die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG begehrt wird (BVerwG, Urteil vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 = NVwZ 2008, 1241). Auch war im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG in seiner heutigen Fassung bereits in Kraft und der Kläger hatte die Feststellung von Abschiebungsverboten „nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG“ beantragt. Das Verwaltungsgericht hat über das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG jedoch - rechtsirrtümlich - nicht entschieden. Da es nach den Urteilsgründen keinerlei Anhaltspunkte dafür gibt, dass das Verwaltungsgericht bewusst nur über einen Teil des Streitgegenstandes entscheiden und den Rest einer späteren Entscheidung vorbehalten wollte, liegt kein Teilurteil im Sinne des § 110 VwGO vor. Das Urteil ist vielmehr bezüglich des nicht erwähnten Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG fehlerhaft. Es verstößt gegen § 88 VwGO, weil es über das europarechtliche Abschiebungsverbot rechtsirrtümlich nicht vorrangig entscheidet. Gemäß § 88 VwGO darf das Gericht einerseits nicht über das Klagebegehren hinausgehen, muss dieses andererseits aber erschöpfen. Das Verwaltungsgericht hat die Eigenständigkeit des Streitgegenstands bzw. abtrennbaren Streitgegenstandsteils des § 60 Abs. 7 Satz 2 VwGO, die das Bundesverwaltungsgericht im Übrigen erstmals mit Urteil vom 24.06.2008 (a.a.O.) rechtsgrundsätzlich geklärt hat, nicht erkannt und diesen Streitgegenstandsteil irrtümlich als nicht rechtshängig angesehen. Damit wäre insoweit ein Urteilsergänzungsverfahren nach § 120 VwGO von vorneherein nicht in Betracht gekommen, weil kein „Übergehen“ im Rechtssinne vorliegt (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.03.1994 - 9 C 529.93 - BVerwGE 95, 269), sondern nur ein Antrag auf Zulassung der Berufung gemäß § 78 Abs. 2 AsylVfG. Der Kläger hat jedoch keinen Zulassungsantrag gestellt und der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung war auf den stattgebenden Teil des angefochtenen Urteils, also das - nationale - Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begrenzt; nur insoweit wurde vom Senat die Berufung zugelassen. Nach dem Verfahrensgrundsatz der Dispositionsmaxime ist der Streitgegenstand des Berufungsverfahrens damit hierauf beschränkt (vgl. §§ 128 Satz 1, 129 VwGO). Mit der rechtskräftigen Abweisung der Klage durch das Verwaltungsgericht im Übrigen ist die Rechtshängigkeit des unbeschieden gebliebenen europarechtlich begründeten Abschiebungsverbots des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG entfallen (ausführlich hierzu: BVerwG, Urteil vom 22.03.1994, a.a.O.). Selbst wenn insoweit von einem Übergehen des Antrags im Sinne des § 120 Abs. 1 VwGO ausgegangen würde, wäre ein Urteilsergänzungsverfahren ausgeschlossen, weil binnen der Zweiwochenfrist des § 120 Abs. 2 VwGO kein entsprechender Antrag gestellt worden ist.
II.
18 
Im für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) besteht zu Gunsten des Klägers ein Abschiebungsverbot hinsichtlich Afghanistans gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Hiernach kann von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn für ihn dort eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Das ist beim Kläger aufgrund der in Afghanistan derzeit vorherrschenden katastrophalen Versorgungslage der Fall.
19 
Allerdings sind Gefahren der die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Denn hinsichtlich des Schutzes vor allgemeinen Gefahren im Zielstaat soll Raum sein für ausländerpolitische Entscheidungen, was die Anwendbarkeit von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG insoweit grundsätzlich sperrt und zwar selbst dann, wenn diese Gefahren den einzelnen Ausländer zugleich in konkreter und individualisierbarer Weise betreffen (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324). Aus diesem Normzweck folgt weiter, dass sich die „Allgemeinheit“ der Gefahr nicht danach bestimmt, ob diese sich auf die Bevölkerung oder bestimmte Bevölkerungsgruppen gleichartig auswirkt, wie das bei Hungersnöten, Seuchen, Bürgerkriegswirren oder Naturkatastrophen der Fall sein kann. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG kann vielmehr auch bei eher diffusen Gefährdungslagen greifen, etwa dann, wenn Gefahren für Leib und Leben aus den allgemein schlechten Lebensverhältnissen (soziale und wirtschaftliche Missstände) im Zielstaat hergeleitet werden. Denn soweit es um den Schutz vor den einer Vielzahl von Personen im Zielstaat drohenden typischen Gefahren solcher Missstände wie etwa Lebensmittelknappheit, Obdachlosigkeit oder gesundheitliche Gefährdungen geht, ist die Notwendigkeit einer politischen Leitentscheidung in gleicher Weise gegeben (vgl. BVerwG, Urteil vom 12.07.2001 - 1 C 5.01 - BVerwGE 115, 1). Für die Personengruppe, der der Kläger angehört, besteht eine solche politische Abschiebestopp-Anordnung gemäß § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG in Baden-Württemberg derzeit nicht (mehr), seit mit Schreiben des Innenministeriums Baden-Württemberg vom 15.04.2005 (geändert am 01.08.2005, vgl. 21. Fortschreibung vom 23.01.2009, Az.: 4-13-AFG/8) in Umsetzung entsprechender Beschlüsse der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder bezüglich der Rückführung afghanischer Staatsangehöriger entschieden wurde, dass „volljährige, allein stehende männliche afghanische Staatsangehörige, die sich zum Zeitpunkt der Beschlussfassung am 24. Juni 2005 noch keine sechs Jahre im Bundesgebiet aufgehalten haben, mit Vorrang zurückzuführen sind“. Im konkreten Einzelfall greift die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG gleichwohl aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht ein.
20 
1. Die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG greift aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht ein, wenn der Ausländer im Zielstaat landesweit einer extrem zugespitzten allgemeinen Gefahr dergestalt ausgesetzt wäre, dass er „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert“ würde (st. Rspr. des BVerwG, s. Urteile vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324 und vom 19.11.1996 - 1 C 6.95 - BVerwGE 102, 249 zur Vorgängerregelung in § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG und Beschluss vom 14.11.2007 - 10 B 47.07 - juris zu § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Damit sind nicht nur Art und Intensität der drohenden Rechtsgutsverletzungen, sondern auch die Unmittelbarkeit der Gefahr und ihr hoher Wahrscheinlichkeitsgrad angesprochen (vgl. BVerwG, Urteil vom 19.11.1996 - 1 C 9.95 - BVerwGE 102, 249). Das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist im Wege einer Gesamtgefahrenschau zu ermitteln (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23.03.1999 - 9 B 866.98 - juris).
21 
Im Fall einer allgemein schlechten Versorgungslage sind insoweit Besonderheiten zu berücksichtigen. Denn hieraus resultierende Gefährdungen entspringen keinem zielgerichteten Handeln, sondern treffen die Bevölkerung gleichsam schicksalhaft. Sie wirken sich nicht gleichartig und in jeder Hinsicht zwangsläufig aus und setzen sich aus einer Vielzahl verschiedener Risikofaktoren zusammen, denen der Einzelne in ganz unterschiedlicher Weise ausgesetzt ist und denen er gegebenenfalls auch ausweichen kann. Intensität, Konkretheit und zeitliche Nähe der Gefahr können deshalb auch nicht generell, sondern nur unter Berücksichtigung aller Einzelfallumstände beurteilt werden (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 13.11.2002 - A 6 S 967/01 - juris). Um dem Erfordernis des unmittelbaren - zeitlichen - Zusammenhangs zwischen Abschiebung und drohender Rechtsgutverletzung zu entsprechen, kann hinsichtlich einer allgemein schlechten Versorgungslage eine extreme Gefahrensituation zudem nur dann angenommen werden, wenn der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr in sein Heimatland in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien kann. Mit dem Begriff „alsbald“ ist dabei einerseits kein nur in unbestimmter zeitlicher Ferne liegender Termin gemeint (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.04.1998 - 9 C 13.97 - NVwZ 1998, 973). Andererseits setzt die Annahme einer extremen allgemeinen Gefahrenlage nicht voraus, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Ankunft im Abschiebezielstaat, eintreten. Eine extreme Gefahrenlage besteht auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert sein würde (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26.01.1999 - 9 B 617.98 - InfAuslR 1999, 265).
22 
2. Diese Voraussetzungen sind im Fall des Klägers gegeben. Denn er gehört zu der Gruppe der beruflich nicht besonders qualifizierten afghanischen Staatsangehörigen, die in ihrer Heimat ohne Rückhalt und Unterstützung durch Familie oder Bekannte sind und dort weder über Grundbesitz noch über nennenswerte Ersparnisse verfügen. Für diese Personengruppe besteht aufgrund der derzeit katastrophalen Versorgungslage bei einer Abschiebung nach Kabul eine extreme Gefahrensituation im dargelegten Sinne (ebenso: OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 06.05.2008 - 6 A 10749/07 - AuAS 2008, 188).
23 
a) Der Kläger wäre bei einer Abschiebung nach Kabul ohne Rückhalt und Unterstützung durch Familie oder Bekannte. In der mündlichen Verhandlung hat er glaubhaft und überzeugend ausgeführt, dass sein Vater und Bruder getötet worden sind, er in seinem Heimatdorf Tschardehi keine Unterstützung erlangen könnte, seine Mutter den Familienbesitz veräußert sowie mit dem Onkel aus Kabul Afghanistan - wohl schon 2005 - verlassen hat und dass seither kein Kontakt mehr zu irgendwelchen Personen in seiner Heimat besteht. Der Senat ist aufgrund des schlüssigen Vortrags des Klägers zudem überzeugt, dass er in Deutschland bisher keine nennenswerten Ersparnisse machen konnte. Der gesamte Vortrag des Klägers ist widerspruchsfrei und fügt sich stimmig in seine dokumentierten Angaben vor dem Bundesamt bei der Erstanhörung am 22.10.2003. Hinreichende Anhaltspunkte für die Annahme, dass der Kläger die Unwahrheit sagt, ergeben sich für den Senat nicht.
24 
b) Aufgrund der nachfolgend (aa) bis cc)) im Einzelnen dargelegten Erkenntnisse und Wertungen ist der Senat überzeugt, dass der Kläger ohne Ersparnisse, Grundbesitz und Unterstützung durch Familie oder Bekannte bei einer Abschiebung nach Kabul mangels jeglicher Lebensgrundlage unausweichlich dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert wäre. Im Falle der zur Zeit allenfalls nach Kabul tatsächlich möglichen Abschiebung (vgl. AA, Lagebericht vom 03.02.2009, S. 30) müsste er dort mit hoher Wahrscheinlichkeit zunächst mit einem kriminell motivierten Überfall oder einer Entführung rechnen, weil Rückkehrern aus Europa offenbar häufig der Besitz von finanziellen Mitteln unterstellt wird. Da sich die Sicherheitslage auf den Straßen nach und aus Kabul aufgrund der Bürgerkriegssituation schon seit 2007 deutlich verschlechtert hat, wäre dem Kläger ein Ausweichen in andere Landesteile ohne extreme Gefährdung von Leib und Leben nicht möglich; ohnehin verfügt er dort über keine familiäre, tribale oder soziale Vernetzung. In Kabul würde er ohne finanzielle Mittel keinen Wohnraum finden, weil dieser dort knapp und nur zu hohen Preisen erhältlich ist. Der Kläger, der weder eine Schule noch eine Ausbildung durchlaufen hat und nicht über besondere berufliche Qualifikationen verfügt, hätte in Kabul keine Möglichkeit einer legalen Erwerbstätigkeit. Aufgrund der Nahrungsmittelkrise wäre er darauf verwiesen, sich, wenn überhaupt, dauerhaft ausschließlich von Brot und Tee zu ernähren. Dadurch würde er alsbald und unausweichlich in einen fortschreitenden Prozess körperlichen Verfalls mit lebensbedrohlichen Folgen geraten, weil eine hinreichende medizinische Versorgung in Kabul nicht gegeben ist. Der Kläger würde mithin durch eine Abschiebung nach Kabul mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert. Im Einzelnen:
25 
aa) Zur Einschätzung der Gefahren für Leib und Leben eines afghanischen Staatsangehörigen, der aus Europa ohne Vermögen oder (groß-)familiäre Unterstützung nach Afghanistan zurückkehrt, hat das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz in seinem Urteil vom 06.05.2008 - 6 A 10749/07 - (AuAS 2008, 188) unter Auswertung auch vom Senat beigezogener Erkenntnisquellen in einem vergleichbaren Fall ausgeführt:
26 
„aa. Im Falle seiner Abschiebung nach Afghanistan würde der Kläger das zum Leben Notwendige an Nahrungsmitteln nicht aus eigener Kraft sichern können.
27 
(…) Der Kläger würde vielmehr in Kabul mit einem geringen Barbetrag und der „Starthilfe“ des UNHCR, der alle Rückkehrer mit 12 US-Dollar (vgl. Dr. Danesch, Gutachten vom 4. Dezember 2006 an HessVGH und vom 18. Mai 2007 an VG Koblenz; Panhölzl, Humanitäre Lage in Kabul, in: Informationsverbund Asyl e.V., Zur Lage in Afghanistan, 2006, S. 9 ff.) unterstützt, darauf angewiesen sein, sich durch eine kleingewerbliche Tätigkeit oder eine abhängige Beschäftigung den Lebensunterhalt zu verdienen. Das wird ihm mit hoher Wahrscheinlichkeit weder in Kabul noch in einer Provinz gelingen. Der Sachverständige Rieck, der als Senior Advisor für Arbeitsmarktfragen im Auftrag der International Labour Organisation in Afghanistan tätig war, hat in seinem dem Senat erstatteten Gutachten vom 15. Januar 2008 ausgeführt, auf dem afghanischen Arbeitsmarkt sei die Wahrscheinlichkeit gering, dass an- und ungelernte Arbeitskräfte eine auf Dauer angelegte und den Lebensunterhalt sichernde Erwerbsmöglichkeit finden. Selbst wenn einem Rückkehrer berufliche Bildungsangebote unterbreitet würden, erlange er durch solche in der Regel keine am Arbeitsmarkt verwertbaren beruflichen Kenntnisse. Fachkräfte aus Handwerksberufen könnten jedoch häufig in Arbeit vermittelt werden. Die Rekrutierung von Arbeitskräften sei so stark von persönlichen Beziehungen geprägt, dass private und öffentliche Arbeitgeber Medien oder Arbeitsvermittlungsbüros erst dann einschalteten, wenn das persönliche Beziehungsgeflecht bei der Stellenbesetzung nicht zum Erfolg geführt habe. Bestätigt wird diese Einschätzung durch die gutachterliche Stellungnahme vom 31. Januar 2008, die Dr. Glatzer dem Senat gegenüber abgegeben hat. Danach sind für alleinstehende, arbeitsfähige, männliche Afghanen, die unfreiwillig aus Deutschland nach Kabul zurückkehren und dort nicht mit der Hilfe von Verwandten oder Bekannten bei ihrer Wiedereingliederung rechnen können, legale Erwerbsmöglichkeiten – wenn man die Faktoren Zufall oder Glück außer Acht lässt – kaum gegeben, wenn diese Personen nicht über besondere professionelle Qualifikationen verfügen. Die Arbeitsmarktsituation in den Provinzen sei deutlich ungünstiger als in Kabul. Afghanistan leide unter einer Arbeitslosigkeit von ca. 65 v. H. der arbeitsfähigen Bevölkerung, wobei der Bedarf an ungelernten Arbeitern wegen der sich verschlechternden Sicherheitslage eher zurückgehe. Selbst in Boomzeiten gebe es viel mehr Arbeitswillige als Arbeitsplätze, um die hart und rücksichtslos gekämpft werde. Dr. Danesch (Gutachten vom 18. Mai 2007 an VG Koblenz und vom 24. August 2007) spricht von einer Arbeitslosigkeit im Umfang von 70 bis 80 v. H. der afghanischen Männer. Panhölzl (Humanitäre Lage in Kabul, a.a.O. S. 13) referiert eine Studie der Afghanistan Research and Evaluation Unit (AREU) vom April 2006, derzufolge von den befragten armen und armutsgefährdeten Haushalten ein Viertel der Arbeitskräfte maximal 54 Tage im Jahr Zugang zu Arbeit, die Hälfte 131 Tage oder weniger und nur 25 v. H. für 193 und mehr Tage im Jahr eine Arbeitsmöglichkeit hatten. Als Rückkehrer ohne persönliche Bindungen oder Beziehungen und ohne verwertbare berufliche Qualifikation müsste der Kläger der erstgenannten Gruppe zugerechnet werden, also in jeder Woche durchschnittlich für einen Tag eine Aushilfstätigkeit finden, was ihm einen wöchentlichen Durchschnittsverdienst von ca. einem bis zwei US-Dollar verschaffen würde (Dr. Danesch, Gutachten vom 18. Mai 2007 an VG Koblenz und vom 24. August 2007; Panhölzl, Humanitäre Lage in Kabul, a.a.O.). Ein selbständiges Kleingewerbe als Schuhputzer (vgl. Rieck, Gutachten vom 15. Januar 2008) bzw. Karrenzieher oder Straßenverkäufer verspricht keine gegenüber der abhängigen Beschäftigung besseren Erwerbsmöglichkeiten (Panhölzl, Humanitäre Lage in Kabul, a.a.O. S. 13) (…)
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Unter diesen wirtschaftlichen Verhältnissen würden dem Kläger ausschließlich Tee und Brot als Nahrungsmittel zur Verfügung stehen. Er würde zu der Hälfte der Bevölkerung Kabuls gehören, die sich - wie dem Schriftsatz der Beklagten vom 26. Februar 2008 im Verfahren 6 A 10230/08.OVG entnommen werden kann, der insoweit auf Erkenntnisse der Hilfsorganisation „Action contre la faim“ Bezug nimmt – nur von Tee und Brot ernähren und dafür den größten Teil ihres Einkommens verwenden muss. Auch das Auswärtige Amt erwähnt in seinem Lagebericht vom 7. März 2008, dass fast ein Viertel aller Haushalte in Afghanistan die Grundversorgung an Nahrungsmitteln nicht selbständig sichern kann. Dem Gutachten Dr. Daneschs vom 18. Mai 2007 (an VG Koblenz) zufolge leiden 8,9 v. H. der Kabuler Bevölkerung unter akuter Unterernährung. Auf seiner Homepage (www.auswaertiges-amt.de) bezeichnet das Auswärtige Amt die Nahrungmittelunsicherheit, chronische Mangelernährung, fehlenden Zugang zu sauberem Trinkwasser und Mangel an medizinischer Versorgung als die humanitären Hauptprobleme Afghanistans; der Anstieg der Weizenpreise im Laufe des Jahres 2007 um durchschnittlich 60 Prozent habe die Versorgungslage der besonders bedürftigen Bevölkerungsschichten wie Flüchtlinge und Binnenvertriebene sowie werdender Mütter und Kinder weiter verschlechtert.
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bb. Diese Versorgungssituation wird auch nicht durch Unterstützungsmaßnahmen der afghanischen Regierung oder internationaler Organisationen in wesentlichem Umfang verbessert (vgl. auch HessVGH, 8 UE 1913/06.A., juris; OVG B-B, 12 B 9.05, juris). Staatliche soziale Sicherungssysteme sind nicht vorhanden; vielmehr übernehmen Familien und Stammesverbände die soziale Absicherung (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7. März 2008). Deshalb stoßen nach diesem Lagebericht Rückkehrer, die außerhalb des Familienverbands oder nach einer längeren Abwesenheit im westlich geprägten Ausland zurückkehren, auf größere Schwierigkeiten als Rückkehrer, die in Familienverbänden geflüchtet sind oder in einen solchen zurückkehren, wenn ihnen das notwendige soziale oder familiäre Netzwerk sowie die notwendigen Kenntnisse der örtlichen Verhältnisse fehlen.
30 
Zwar erwähnt der Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7. März 2008, dass die Vereinten Nationen Millionen von Afghanen mit Nahrungsmitteln und Hilfsgütern versorgen und sich die Versorgungslage in Kabul grundsätzlich verbessert habe, schränkt dies aber insoweit ein, als mangels Kaufkraft längst nicht alle Bevölkerungsschichten davon profitierten. Darüber hinaus weist das Auswärtige Amt in diesem Lagebericht auf die Schwierigkeiten humanitärer Nothilfeleistungen infolge schlecht ausgebauter Verkehrswege, widriger Witterungsverhältnisse und wegen Sicherheitsproblemen hin. Dass die Vereinten Nationen Millionen von Afghanen mit Nahrungsmitteln und Hilfsgütern (in einem nicht näher bezeichneten Umfang) versorgen, erklärt sich ohne Weiteres aus der eine solche Verantwortlichkeit begründenden Hilfe, die der UNHCR bei der Rückkehr von ca. vier Millionen Afghanen aus Pakistan und dem Iran geleistet hat und die zu einem guten Teil auf den verstärkten „Rückführungsbemühungen“ der pakistanischen und der iranischen Regierung beruhen (vgl. hierzu Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7. März 2008). Nach der Auskunft, die amnesty international dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof unter dem 17. Januar 2007 erteilt hat, kann die Versorgung der bedürftigen Bevölkerung angesichts der enorm großen Zahl von Rückkehrern und der prekären Sicherheitslage nicht durch Angebote internationaler Hilfsorganisationen aufgefangen werden, zumal viele dieser Organisationen ihre Aktivitäten aufgrund von Sicherheitsbedenken immer stärker einschränken müssten. Dr. Glatzer teilt diese Einschätzung in seinem Gutachten vom 31. Januar 2008. Auch das Auswärtige Amt (Lagebericht vom 7. März 2008) bestätigt, dass sich die Sicherheitslage für Mitarbeiter internationaler Hilfsorganisationen durch regelmäßige Anschläge seit dem Jahr 2006 und durch Entführungen verschlechtert und sich das subjektive Unsicherheitsgefühl in den Reihen der internationalen Gemeinschaft seit dem Anschlag vom 24. Januar 2008 auf das Hotel Kabul Serena erheblich verstärkt habe. Dass internationale Hilfsorganisationen nicht einmal eine notdürftige Nahrungsmittelversorgung der Bevölkerung Kabuls sicherstellen, ist den Gutachten Dr. Daneschs vom 18. Mai 2007 (an VG Koblenz) und vom 24. August 2007 zu entnehmen. Danach gibt es keine Grundversorgung der Flüchtlinge durch internationale Hilfsorganisationen in Kabul. Die Lebensbedingungen der Kabuler hätten sich seit dem Jahre 2001 drastisch verschlechtert. Tag für Tag verhungerten in Kabul Menschen, nach denen in Afghanistan "kein Hahn kräht". Konkrete Zahlen über Todesfälle unter der armen Bevölkerung ließen sich in einem Land, in dem es keine Meldepflicht gebe, nicht erlangen, da sie nicht aktenkundig würden. Außerdem sei unter den afghanischen Verhältnissen die Grenze fließend zwischen regelrechtem Verhungern und Erkrankungen, die aufgrund von Mangelernährung, katastrophaler Hygiene, Kälte bzw. fehlender ärztlicher Behandlung tödlich verliefen. Allein in den drei von der „Action contre la faim“ betreuten Krankenhäusern stürben täglich zwischen fünf und sieben Personen allein wegen Unterernährung, obwohl diese zu den „wenigen Glücklichen“ gehörten, die überhaupt in ein Krankenhaus kämen. Menschen, die Mangelernährung und Krankheiten erlägen, würden ohne viel Umstände verscharrt. Die durch das jahrelange Elend abgestumpfte Bevölkerung nehme solche Todesfälle oft fatalistisch hin.
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cc. Auch die Möglichkeiten, eine winterfeste Unterkunft zu erlangen, sind für einen mittellosen Rückkehrer, der nicht auf (groß-)familiäre Hilfe zurückgreifen kann, minimal. Der Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7. März 2008 führt hierzu aus, die Wohnraumversorgung sei unzureichend; Wohnraum sei knapp und die Preise in Kabul seien hoch. Freiwillig zu ihren Angehörigen zurückkehrende Afghanen strapazierten die nur sehr knappen Ressourcen an Wohnraum und Versorgung weiter. Eine zunehmende Zahl von Rückkehrern verfüge zudem nicht mehr über solche Anschlussmöglichkeiten. Bemühungen des Flüchtlingshilfswerks UNHCR und anderer Einrichtungen um die Errichtung von Unterkünften hätten nur geringe Wirkung gehabt. Das afghanische Ministerium für Flüchtlinge und Rückkehrer beabsichtige, Rückkehrer in Neubausiedlungen unterzubringen, von denen ein Großteil für eine dauerhafte Ansiedlung ungeeignet sei, so dass von einem „Aussetzen in der Wüste“ gesprochen werden könne. Nichtregierungsorganisationen leisteten hier humanitäre Hilfe. Von dem „Auffangwohnheim“ auf dem Gelände des Flüchtlingsministeriums, das das Auswärtige Amt in seiner Auskunft vom 29. Mai 2007 an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof erwähnt und in dem Rückkehrer für eine Übergangszeit Unterkunft finden konnten, ist im Lagebericht vom 7. März 2008 nicht (mehr) die Rede.
32 
Dr. Danesch (Gutachten vom 18. Mai 2007 an VG Koblenz und vom 24. August 2007) berichtet, dass ein einfaches Zimmer bis zu 20 US-Dollar im Monat koste. Dafür erhalte man eine Unterkunft in weitab vom Zentrum gelegenen Außenbezirken, wo es oft nicht die geringste Infrastruktur gebe. Erschwinglicher Wohnraum außerhalb der Flüchtlingslager existiere für Rückkehrer nicht.
33 
Nach der Auskunft, die amnesty international dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof unter dem 17. Januar 2007 erteilte, hat der enorme Bevölkerungszuwachs in Kabul einen akuten Mangel an Wohnraum verursacht, so dass sich große Slumviertel gebildet hätten. Viele Menschen lebten in Ruinen. Nach Schätzungen der Caritas verfüge etwa eine Million Menschen in Kabul weder über ausreichenden und winterfesten Wohnraum noch über regelmäßiges Trinkwasser. Die hygienischen Verhältnisse in den Armenvierteln seien katastrophal.
34 
Das Rückkehrerprogramm "Return, Reception and Reintegration of Afghan Nationals to Afghanistan (RANA)" ist nach Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 29. Mai 2007 an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof Ende April 2007 ausgelaufen, so dass auf die Darlegungen von Herrn D…, der während einer Beurlaubung als Beamter der Beklagten im Rahmen des RANA-Programms in Kabul bis zum 22. Mai 2006 tätig war und wegen dieser Tätigkeit von dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg am 24. März 2006 als sachverständiger Zeuge vernommen worden ist, nicht eingegangen werden muss.
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dd. Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass die medizinische Versorgung selbst in Kabul völlig unzureichend ist (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7. März 2008). Amnesty international berichtet dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof unter dem 17. Januar 2007, dass viele Menschen wegen der desolaten Verhältnisse im Gesundheitswesen unter Infektionskrankheiten, Tuberkulose etc. litten. Eine Behandlung sei in der Regel nicht möglich, weil die Gesundheitsversorgung in Afghanistan unzulänglich sei. Während es auf dem Land oft überhaupt keine Versorgung gebe, sei es in Kabul, wo einige Krankenhäuser vorhanden seien, meist nur über Beziehungen oder gegen Bestechung möglich, auch tatsächlich behandelt zu werden. Diese Situation erkläre die geringe Lebenserwartung und eine der weltweit höchsten Kindersterblichkeitsraten. Auch Panhölzl (Humanitäre Lage in Kabul, a.a.O.) referiert, dass die Kosten für einen Arztbesuch fast den Tageslohn eines einfachen Arbeiters – Transportkosten nicht inbegriffen – ausmachen; die Mehrheit der Ärzte in öffentlichen Krankenhäusern betrieben nebenbei private Kliniken und verwiesen die Patienten in diese, was sich die Ärmeren aber nicht leisten könnten.
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ee. Ist mithin davon auszugehen, dass der Kläger im Falle seiner Rückkehr nur eine notdürftige und nicht winterfeste Unterkunft finden würde, nahezu ohne medizinische Versorgung unter hygienisch völlig unzureichenden Verhältnissen leben müsste und darauf verwiesen wäre, sich ausschließlich von Brot und Tee zu ernähren, besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass er durch seine Abschiebung nach Afghanistan zwangsläufig in einen fortschreitenden Prozess körperlichen Verfalls mit lebensbedrohlichen Folgen geraten würde. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus den in sich schlüssigen ernährungsmedizinischen Ausführungen der Sachverständigen Dr. med. T.. Danach führt eine erzwungene Mangelernährung, die aus Brot und Tee besteht, selbst bei ausreichender Kalorienzufuhr, d.h. einer Menge von 1.000g bis 1.500g Weißbrot pro Tag, zu einem verstärkten Abbau von Eiweiß und Fett und insbesondere zu einem Eisenmangel. Die dadurch bedingte Beeinträchtigung der Sauerstoffversorgung habe erhebliche Auswirkungen auf das Gehirn und das Herz und schwäche die Körperimmunabwehr. Dies wiederum könne zu Organschäden am Herzen bis hin zum Herzinfarkt führen. Die Schwächung der Immunabwehr führe in der Regel spätestens nach sechs Monaten zum Ausbruch der Eisenmangelanämie. Die genannten Symptome träten unter den in Afghanistan herrschenden Lebensbedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit noch früher ein, zumal bei einem Rückkehrer nach einem fünf Jahre langen Aufenthalt in Deutschland wegen der erheblichen Klimaumstellungen mit schwerwiegenden Infektionen der Atmungs- und Verdauungsorgane bis hin zur Tuberkulose gerechnet werden müsse. Unter den im Winter in Afghanistan gegebenen Klimabedingungen bestehe die Gefahr von Lungeninfekten. Sie könnten insbesondere dann zum Tod führen, wenn der Organismus bereits zuvor durch Eisenmangel und andere Infekte geschwächt sei. Bei einer Rückkehr nach Kabul im Sommer sei mit Darminfektionen zu rechnen. Unter diesen Umständen könnten bis zu zwei Durchfallerkrankungen möglicherweise ohne große Schäden überwunden werden. Ab der dritten entsprechenden Erkrankung müsse dann aber mit lebensbedrohlichen Entwicklungen gerechnet werden. Eine Anpassung des Körpers im Sinne einer zunehmenden Immunität sei in diesen Fällen ausgeschlossen. Insbesondere im Sommer komme es darüber hinaus auch durch das Trinken von nicht abgekochtem Wasser zu gesundheitlichen Schäden.
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Aus diesen sachverständigen Ausführungen ergibt sich, dass vergleichsweise junge Männer, die in gutem Ernährungs- und Gesundheitszustand aus Europa nach Kabul zurückkehren, nicht etwa über körperliche „Reserven“ verfügen, die ihnen ein Überleben auf längere Sicht erleichtern. Vielmehr erweist sich die über mehrere Jahre vollzogene Anpassung an die in Europa herrschenden klimatischen und hygienischen Bedingungen als Nachteil beispielsweise gegenüber afghanischen Rückkehrern aus Pakistan oder dem Iran. Insbesondere die dadurch erhöhte Infektanfälligkeit wird in Verbindung mit dem ernährungsbedingten Eisenmangel zu schwerwiegenden Infektionen der Atmungs- und Verdauungsorgane führen und mit hoher Wahrscheinlichkeit einen fortschreitenden Prozess körperlichen Verfalls mit lebensbedrohlichen Folgen auslösen.
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Diese schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen reichen aus, um eine zwangsweise Rückkehr als unzumutbar erscheinen zu lassen, auch wenn sehr viele Afghanen in der beschriebenen Weise unterhalb des Existenzminimums „dahinvegetieren“ und keine Berichte über eine Hungersnot in Kabul vorliegen, wie das Sächsische Oberverwaltungsgericht (A 1 B 58/06, AuAS 2007, 5, juris) bemerkt. Gerade den bereits zitierten Ausführungen Dr. Daneschs vom 18. Mai 2007 (an VG Koblenz) und vom 24. August 2007 ist zu entnehmen, aus welchen Gründen sich Angaben über diese Zustände einer „weiteren Präzisierung“, die das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen (20 A 5164/04.A, juris) vermisst, entziehen und über Hungertote oder an den Folgeerkrankungen der chronischen Mangelernährung Verstorbene nicht im Einzelnen berichtet wird. Im Übrigen beruhen die Entscheidungen des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts (A 1 B 58/06, AuAS 2007, 5, juris) und des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (20 A 5164/04.A, juris) wesentlich auf den wegen des inzwischen ausgelaufenen RANA-Programms nicht mehr aktuellen Bekundungen des Herrn D.. Zwar geht auch der Hessische Verwaltungsgerichtshof (8 UE 1913/06.A, juris) davon aus, dass ein junger, allein stehender Afghane ohne nennenswertes Vermögen und ohne abgeschlossene Berufsausbildung wahrscheinlich in der Lage wäre, durch Gelegenheitsarbeiten wenigstens ein kümmerliches Einkommen zu erzielen, damit ein Leben am Rande des Existenzminimums zu finanzieren und sich allmählich wieder in die afghanische Gesellschaft zu integrieren; er räumt aber ein, manche von den Gutachtern mitgeteilte Details sprächen auch für die gegenteilige Schlussfolgerung. Soweit das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (12 B 9.05, juris) für männliche Flüchtlinge mittleren Alters im Falle der Rückkehr nach Afghanistan in der Regel keine extremen allgemeinen Gefahren sieht, lagen der Entscheidung tatsächliche Besonderheiten in der Person des Klägers zugrunde, der aus einer wohlhabenden Familie mit einflussreichen Kontakten auch in Kabul stammte (…). Ebenso wenig vergleichbar sind die Entscheidungen anderer Oberverwaltungsgerichte (OVG S-H, 2 LB 38/07, juris; OVG B-B, 12 B 11.05, juris), deren abweichende Einschätzung der Gefährdungslage darauf beruht, dass die um Abschiebungsschutz nachsuchenden afghanischen Staatsangehörigen in ein (groß-)familiäres Umfeld zurückkehren konnten.“
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Dieser überzeugenden Einschätzung schließt sich der Senat an. Die seit Ergehen dieses Urteils eingegangenen weiteren Erkenntnismittel belegen die Richtigkeit dieser Einschätzung und zeigen zudem eine weitere Verschärfung der Situation auf.
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bb) Seit Mai 2008 hat sich die Versorgungssituation für Rückkehrer aus Europa ohne Vermögen oder (groß-)familiären Rückhalt in Afghanistan weiter verschlechtert. Auch wenn die Lage in einzelnen Provinzen und Distrikten erhebliche Unterschiede aufweist (Wegweiser zur Geschichte - Afghanistan, 2009 S. 9), befindet sich das Land insgesamt gesehen in einer "Abwärtsspirale" (FAZ vom 07.02.2009). US-Geheimdienste zeichnen ein „äußerst düsteres Bild“ (SZ vom 10.10.2008). Versorgungsengpässe sind an der Tagesordnung, und dies nicht nur in abgelegenen Gebieten oder den Elendsvierteln von Kabul. Die Einwohnerzahl Kabuls explodierte auch aufgrund von Landflucht sowie der massenhaften Rückkehr von Flüchtlingen in den letzten Jahren von circa einer auf nunmehr weit über drei Millionen Menschen (Wegweiser zur Geschichte - Afghanistan, 2009 S. 224). Im neuesten Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 03.02.2009 heißt es, Afghanistan durchlebe insbesondere eine Nahrungsmittelkrise. Das Land gelte zwischenzeitlich in Asien als das ärmste. Die Lebensbedingungen seien landesweit schlecht. Seit dem Winter 2007/08 habe sich die Lage mit den weltweit steigenden Nahrungsmittelpreisen, verbunden mit Exportbeschränkungen der Nachbarländer für Weizen und einer Dürre in einigen Landesteilen, noch einmal erheblich verschärft. Eine weitere Verschlechterung im Winter 2008/09 und in der folgenden „mageren Jahreszeit“ im ersten Halbjahr 2009 sei wahrscheinlich. Besonders problematisch sei die Lage in den ländlichen Gebieten, deren Versorgung oftmals sehr schwierig, im Winter überhaupt nicht möglich sei. Aber auch in Kabul und zunehmend in anderen großen Städten sei die Lage nicht wesentlich besser. Wegen sinkender oder ganz fehlender Kaufkraft profitiere von einer seit 2001 zwar grundsätzlich verbesserten Versorgungslage derzeit allenfalls eine kleine Bevölkerungsschicht. Angemessener Wohnraum sei knapp und nur zu hohen Preisen erhältlich. Selbst Kabul habe keine geregelte Stromversorgung. Staatliche soziale Sicherungssysteme seien weiterhin praktisch nicht vorhanden; Korruption sei weit verbreitet, der Verwaltungsapparat sei hoch ineffizient. Die medizinische Versorgung sei immer noch unzureichend. Selbst die Ansiedlung organisiert zurückgeführter Flüchtlinge in vorgesehene „townships“ erfolge etwa wegen fehlender Wasserversorgung und abseitiger Lage unter „schwierigen Rahmenbedingungen“ und gleiche, trotz humanitärer Hilfe von Nichtregierungsorganisationen, teilweise weiterhin einem „Aussetzen in der Wüste“. Der Zugang zu Arbeit, Wasser bzw. Grundversorgung sei häufig nur sehr eingeschränkt möglich. Ohne familiäre oder soziale Netzwerke und ohne notwendige Kenntnisse der örtlichen Verhältnisse würden Rückkehrer „auf größere Schwierigkeiten“ stoßen. Sie könnten zudem auf übersteigerte Erwartungen ihrer finanziellen Möglichkeiten treffen und mit überhöhten Preisen konfrontiert werden. Von den im Land gebliebenen Landsleuten würden Rückkehrer im Übrigen häufig nicht als vollwertige Afghanen akzeptiert. Hinzu komme, dass die Gefährdung des Einzelnen, zu einem Opfer von Gewalt zu werden, im ganzen Land gegeben sei. Die afghanische Nationalpolizei werde ihrer Aufgabe bei der Durchsetzung von Recht und Gesetz nicht gerecht und gelte wegen Korruption und niedrigem Ausbildungsstand an vielen Orten selbst als Unsicherheitsfaktor. Von der sich verschlechternden Sicherheitslage seien inzwischen fast alle Landesteile betroffen. Auch die Gefahr, Opfer der deutlich zugenommenen Entführungen zwecks Erpressung von Lösegeld zu werden, treffe Rückkehrer, wenn ihnen ausreichende finanzielle Mittel für einen Freikauf unterstellt würden. Ob sich eine Person diesen Gefahren entziehen könne, hänge maßgeblich von dem Grad ihrer familiären, tribalen und sozialen Vernetzung ab.
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Weitere aktuelle Erkenntnisquellen geben kein besseres Bild von der in der Gesamtschau für Rückkehrer ohne Vermögen oder (groß-)familiären Rückhalt katastrophalen Lage: Gemeinhin wird davon ausgegangen, dass die Situation 2009 noch schlechter werde; „so viel Pessimismus war nie“ (Der Spiegel vom 13.10.2008). Die Schere zwischen Reich und Arm klafft immer weiter auseinander. Einerseits lassen sich Drogenbarone und Warlords in Kabul „protzige Villen“ bauen. Andererseits leben immer mehr Menschen in nicht winterfesten Unterkünften, oftmals Ruinen (SFH vom 21.08.2008 u. 26.02.2009), und es müssen nach einer repräsentativen Erhebung von ARD, ABC und BBC zwischenzeitlich über die Hälfte aller Haushalte (54 %) mit weniger als umgerechnet 100 Dollar (ca. 78 EUR) im Monat auskommen. Gerade noch rund ein Drittel der afghanischen Bevölkerung (37 %) gibt an, sich notwendige Lebensmittel leisten zu können. Und nur noch 31 % der Bevölkerung ist in der Lage, den Preis für Heizöl zu bezahlen (dpa-News vom 09.02.2009). Alles sei dramatisch teurer geworden, vor allem Lebensmittel, Brennholz, Benzin, Gas und Baumaterialien (SZ vom 24.10.2008); insbesondere die Lebensmittelpreise sind zwischen Februar 2008 und Februar 2009 um bis zu 130 % gestiegen (SFH vom 26.02.2009) Nach UN-Angaben müssen heute 42 % der Afghanen von weniger als einem Dollar am Tag leben (ai-Pressespiegel 2/2009, S. 46). Die Arbeitslosenrate liege zwischen 32 und 60 Prozent; ein Großteil der arbeitenden Bevölkerung versuche, sich als Tagelöhner zu verdingen (SFH vom 26.02.2009). Überall könne man Armut sehen, etwa Leute, die sich „nur von Wasser, Brot und ein bisschen Tomatenpüree oder allenfalls mal von einem Teller Reis“ ernähren (SZ vom 24.10.2008). Für die große Mehrheit der Afghanen würden Armut, Krankheit, Dürreperioden und interne Konflikte noch größere Bedrohungen darstellen als das Risiko, durch kriegerische oder terroristische Attacken verletzt oder getötet zu werden. Die Richtigkeit dieser Einschätzung illustrieren auch Indikatoren zum Gesundheitszustand der Bevölkerung: So stirbt heute in Afghanistan durchschnittlich alle 30 Minuten eine Frau aufgrund von Komplikationen während Schwangerschaft oder Geburt. Die Hälfte der Kinder bis zum Alter von fünf Jahren gelten als chronisch unterernährt. Lediglich zwei von zehn ländlichen Haushalten verfügen über sauberes Trinkwasser, was wiederum dazu führt, dass 85.000 Kinder im Alter unter fünf Jahren jährlich an den Folgen von Magen- und Darmerkrankungen sterben. Jedenfalls für die Mehrheit der auf dem Land lebenden Afghanen gibt es weder eine medizinische Grundversorgung noch Ernährungssicherheit (Wegweiser zur Geschichte - Afghanistan, 2009 S. 105 f.). Die Lebenserwartung der afghanischen Bevölkerung gehört heute mit 42 Jahren zu den geringsten der Welt (SFH vom 26.02.2009). Zudem verläuft der Wiederaufbau offenbar überall schleppend. Die Korruption habe „atemberaubende Ausmaße“ angenommen. Einer der wenigen funktionierenden Erwerbszweige sei die Drogenökonomie. Afghanistan hat zwischenzeitlich beinahe ein weltweites Monopol für Schlafmohn, aus dem Heroin gewonnen wird (dpa-News vom 29.01.2009). Mit den Erlösen aus Schlafmohnanbau und Drogenhandel füllen nicht nur, aber vor allem die Taliban ihre Kriegskasse (dpa-News vom 13.02.2009). Jeder zehnte Afghane baut nach UN-Berichten oftmals notgedrungen Schlafmohn an; das entspricht rund 2,5 Millionen Menschen. Hinzu kommen noch diejenigen, die Drogen schmuggeln, veredeln und weiterverkaufen. Niemand wage, ihre Zahl zu schätzen. Den Wert ihrer Früchte dagegen schon: Allein die 7,7 Tonnen Rohopium, die 2008 in Afghanistan geerntet wurden (93 % der Weltopiumsproduktion), haben einen Marktwert von 3,5 Milliarden Dollar. Ein Kilo Heroin hat derzeit in Afghanistan den Gegenwert von 30 Maschinengewehren. Täglich starten aus Girdi Jungal und Baramcha schwer bewachte Konvois mit mehreren Hundert Kilo Heroin an Bord Richtung Iran. An der Grenze zu Pakistan wurden Labore zur Veredelung des Rohopiums von fabrikartigen Ausmaßen errichtet, in denen mehrere Hundert Menschen arbeiten sollen. Rund 90% der Ernte wird inzwischen in Afghanistan selbst zu Heroin und Morphiumprodukten verarbeitet (Wegweiser zur Geschichte - Afghanistan, 2009 S. 231). Ein US-Militär brachte die Verbindung zwischen Taliban-Renaissance und Drogenschmuggel lakonisch auf den Punkt: "Drogen raus, Waffen rein." Hochrangige Regierungsvertreter und sogar der Bruder von Präsident Karzai sollen sich nach Ansicht des Weißen Hauses an Drogengeschäften beteiligen (ZEIT-online vom 04.02.2009), weshalb die Bevölkerung Drogenbekämpfungsmaßnahmen als Ausdruck von Doppelmoral ansieht. Vernichtungskampagnen würden vor allem jenen verarmten Bevölkerungsteil treffen, der existenziell auf den Schlafmohnanbau angewiesen sei. Die Nato-Truppen haben dennoch beschlossen, nunmehr aktiv die Drogenproduktion zu bekämpfen; ein durchgreifender Erfolg dieser Aktionen erscheint jedoch außerordentlich fraglich (taz vom 13.10.2008). Die Schwierigkeiten Afghanistans dürften zudem kaum trennbar mit denen Pakistans verbunden sein. Die Problemzone Afghanistan besteht gewissermaßen aus einem Rumpfstaat um Kabul, dessen Aufbau nicht vorankommt, während bei seinem atomar bewaffneten Nachbarn „ein beängstigender Staatszerfall“ stattfindet. Die in der Regierung von Präsident Karzai wütende Korruption habe den Zusammenbruch zentraler Autorität ebenso beschleunigt wie die wachsende Gewalt durch Militante aus Zufluchtsorten in Pakistan (netzwerk-afghanistan.info vom 09.10.2008). Die pakistanische Regierung verliere immer mehr den Zugriff auf ihre nordwestliche Grenzregion. Islamabad hat nun verkündet, man werde dort ein System islamischer Gerichtsbarkeit im Gegenzug für einen Waffenstillstand mit den Taliban akzeptieren (Die Zeit vom 19.02.2009).
42 
cc) Die ohnehin katastrophale Versorgungssituation in Afghanistan wird zudem durch die inzwischen landesweit schwierige Sicherheitslage verschärft. Die Kämpfe zwischen verschiedenen bewaffneten Gruppen haben tausende Familien gezwungen, in größeren Städten Schutz zu suchen. Zehntausende intern Vertriebene leben in Slums rund um Kabul und Herat. UNHCR schätzte im Januar 2009, dass ca. 235.000 Menschen neu vertrieben wurden (SFH vom 11.03.2009). Auch die Versorgung der ländlichen Gebiete mit Hilfsgütern ist aufgrund der schwierigen Sicherheitslage nur noch eingeschränkt möglich. Die Kosten für eine LKW-Fuhre mit Hilfsgütern von Kabul nach Kandahar etwa haben sich wegen der „Gefahrenzulagen“ von 1.800 Dollar im Frühjahr 2008 auf nunmehr fast 18.000 US-Dollar verzehnfacht (Der Spiegel vom 13.10.2008). Afghanistan ist heute eines der am stärksten verminten Länder der Welt (SFH vom 21.08.2008). Für die internationalen Truppen war 2008 das verlustreichste Jahr seit dem Sturz des Taliban-Regimes Ende 2001. Allein in den ersten acht Monaten des Jahres 2008 hat der Konflikt am Hindukusch nach UN-Angaben mehr als 4.000 Menschen das Leben gekostet, über ein Drittel davon Zivilisten; andere Schätzungen gehen von über 2000 getöteten Zivilisten im letzten Jahr aus (FAZ vom 18.02.2009). Deutschen Soldaten ist es in Kabul verboten, sich zu Fuß oder mit ungepanzerten Fahrzeugen zu bewegen; vom Elend der Flüchtlinge bekommen sie kaum etwas mit (SZ vom 02.09.2008). An eine rein militärische Konfliktlösung glaubt inzwischen offenbar niemand mehr. Präsident Karzai hat den Taliban wiederholt Verhandlungen angeboten, die jedoch abgelehnt wurden, solange ausländische Truppen im Land sind (FR vom 27.02.2009). Im Süden, Osten und Westen konnten die Taliban immer näher an Kabul heranrücken. Sie seien bereits auf 72 % des afghanischen Territoriums „dauerhaft präsent“ (dpa-News vom 10.10.2008). US-Präsident Obama’s angekündigte Offensive und Truppenaufstockungen um mindestens 17.000 weitere Soldaten (Die Welt vom 19.02.2009) bedeuteten noch mehr Kämpfe und Gewalt, denn die Aufständischen seien mächtig wie nie (BNN vom 17.12.2008; FAZ vom 22.12.2008). Aber nicht nur die Taliban, auch kriminelle Banden machen das Land und selbst die Hauptstadt Kabul unsicher (dpa-News vom 29.01.2009). Hinzu kommt, dass die Grenzen zwischen organisierter Kriminalität, ehemaligen Warlords, die ihre Einflussbereiche nun als Gouverneure oder Distriktchefs sichern, bis hin zu Gruppierungen der Taliban oder anderen militanten Kräften fließend verlaufen (Wegweiser zur Geschichte - Afghanistan, 2009 S. 10). Kabul, jahrelang als „letzte sichere Insel im von Gewalt zerrütteten Land am Hindukusch“ bezeichnet, erscheint im Frühjahr 2009 „alles andere als sicher“ (Der Spiegel vom 25.01.2009). Die Zahl der registrierten Bombenanschläge (ca. 2.000) und Entführungen (ca. 300) hat sich laut US-Angaben 2008 etwa verdoppelt (taz vom 30.12.2008). Zudem habe sich zwischenzeitlich eine Art „Entführungsindustrie“ entwickelt, die jeden treffen könne (SZ vom 24.10.2008). Auch das Auswärtige Amt warnt deshalb dringend vor Reisen nach Kabul und Afghanistan. Das Risiko, Opfer einer Entführung zu werden, bestehe landesweit. Auch in der Hauptstadt Kabul könnten Überfälle und Entführungen nicht ausgeschlossen werden; im übrigen Land bestünden teilweise noch deutlich höhere Sicherheitsrisiken. Wer sich dennoch nach Afghanistan begebe, müsse sich der Gefährdung durch terroristisch oder kriminell motivierte Gewaltakte bewusst sein. Trotz Präsenz der Internationalen Schutztruppe ISAF komme es überall zu Attentaten. Die Sicherheitskräfte der Regierung seien nicht in der Lage, Ruhe und Ordnung zu gewährleisten. Zudem sei die medizinische Versorgung, insbesondere die stationäre Behandlungsmöglichkeit, völlig unzureichend und in etlichen Landesteilen nahezu nicht existent bzw. nicht nutzbar (www.auswaertiges-amt.de; Zugriff vom 16.03.2009).
43 
In einer Gesamtgefahrenschau muss vor diesem Hintergrund im konkreten Einzelfall des Klägers eine extreme Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bejaht werden.
III.
44 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO und § 83 b AsylVfG. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein gesetzlicher Zulassungsgrund vorliegt (§ 132 Abs. 2 VwGO).

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 19. September 2007 - A 6 K 4738/07 - wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des - gerichtskostenfreien - Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger, ein am 05.02.1986 im Dorf Tschardehi in der Provinz Ghorband/Distrikt Parwan geborener lediger und kinderloser afghanischer Staatsangehöriger sunnitischen Glaubens vom Volk der Tadschiken reiste am 03.10.2003 auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 21.10.2003 stellte er einen Asylantrag mit der Begründung, sein Vater und Bruder sowie zwei Vettern seien im Rahmen eines blutigen Familienstreits um die Verheiratung eines Mädchens ums Leben gekommen. Aus Rache werde der Kläger bis heute von seinen Vettern mit dem Tode bedroht. Seine Mutter und ein Onkel lebten zwischenzeitlich im vom Familiendorf etwa 3 ½ Autostunden entfernten Kabul. Die Ausreise Anfang Oktober 2003 über den Flughafen Kabul sei mit Hilfe von Schleppern gegen Bezahlung von 15.000 US-Dollar gelungen.
Die Beklagte lehnte den Asylantrag des Klägers mit Bescheid des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (heute: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt -) vom 28.10.2003 als offensichtlich unbegründet ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 des Ausländergesetzes - AuslG - offensichtlich nicht vorliegen sowie Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht gegeben sind, und drohte ihm die Abschiebung nach Afghanistan an. Der Bescheid wurde am 11.11.2003 bestandskräftig.
Unter Berufung auf neuere Rechtsprechung zum Vorliegen einer extremen Gefahrenlage in Afghanistan auch für alleinstehende Männer stellte der Kläger am 16.05.2007 einen so genannten Folgeschutzantrag hinsichtlich eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG.
Mit Bescheid vom 16.08.2007 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Änderung des Bescheids vom 28.10.2003 bezüglich der Feststellungen zu § 53 Abs. 1 bis 6 AuslG ab. Die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens seien nicht erfüllt. Weder führe die Zugehörigkeit des Klägers zur Volksgruppe der Tadschiken in Afghanistan zu einer landesweiten Verfolgungsgefahr noch ergebe sich aus der dortigen allgemeinen Versorgungslage eine extreme Gefahrensituation für den Kläger. Jedenfalls in Kabul könne er sein Existenzminimum sichern.
Am 30.08.2007 hat der Kläger unter Bezugnahme auf sein bisheriges Vorbringen beim Verwaltungsgericht Stuttgart Klage erhoben und beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamts vom 16.08.2007 zu der Feststellung zu verpflichten, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG in Bezug auf Afghanistan vorliegen.
Mit Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 19.09.2007 - A 6 K 4738/07 - hat das Verwaltungsgericht die Beklagte zur Feststellung eines Abschiebungsverbot hinsichtlich Afghanistans gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG verpflichtet, insoweit den Bundesamtsbescheid vom 16.08.2007 aufgehoben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung des stattgebenden Teils seines Urteils hat es im Wesentlichen ausgeführt, wegen der in Afghanistan bestehenden unzureichenden Versorgungslage bestehe für den Kläger bei einer Rückkehr dorthin eine extreme Gefahrensituation. Da der Vater des Klägers bereits vor dessen Ausreise aus Afghanistan verstorben sei, müsse davon ausgegangen werden, dass der Kläger in seiner Heimat über keine hinreichenden finanziellen Mittel zur Existenzsicherung verfüge. Bei einer Abschiebung werde er gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert. Zu einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG äußert sich die übrige Begründung des Urteils nicht.
Der Kläger hat keinen Zulassungsantrag gestellt.
Mit ihrer vom erkennenden Gerichtshof mit Beschluss vom 28.02.2008 - A 8 S 2412/07 - zugelassenen Berufung macht die Beklagte geltend, eine extreme Gefahrensituation könne jedenfalls für alleinstehende, arbeitsfähige, männliche afghanische Rückkehrer nicht angenommen werden. Die Versorgungslage in Kabul sei für diese Personengruppe nicht derart schlecht, dass eine Hungerkatastrophe befürchtet werden müsse. Unterstützung gebe es für Rückkehrer durch internationale Organisationen, auch bei der Unterkunftsbeschaffung. In der Berufungsverhandlung hat die Vertreterin der Beklagten klargestellt, der angegriffene Bescheid vom 16.08.2007 sei so zu verstehen, dass das Bundesamt das Verfahren in Bezug auf ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG von Amts wegen wiederaufgegriffen und zur Sache entschieden habe.
Die Beklagte beantragt,
10 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 19. September 2007 - A 6 K 4738/07 - zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
11 
Der Kläger beantragt,
12 
die Berufung zurückzuweisen.
13 
Er trägt im Wesentlichen vor, in Afghanistan heute keinerlei unterstützungsbereite Familienangehörige mehr zu haben; diese seien entweder tot oder geflohen. Aus diesem Grund und wegen der katastrophalen Versorgungssituation in seiner Heimat lägen die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor.
14 
Der Senat hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung am 14.05.2009 informatorisch angehört. Dabei gab er an, seine Heimat wegen einer Familienfehde verlassen zu haben. Sein Vater habe zwei Brüder gehabt, die mit Ehefrauen und vier Söhnen bzw. einer Tochter ebenfalls im Dorf Tschardehi gelebt hätten. Ein Vetter des Klägers habe die Tochter des anderen, verstorbenen Onkels heiraten wollen, was diese jedoch vehement abgelehnt habe. Hierüber sei es zu einem blutigen Streit gekommen, in dessen Rahmen sowohl der Vater des Klägers als auch dessen Bruder zu Tode gekommen seien. Daraufhin seien der Kläger und seine Mutter zu einem Onkel mütterlicherseits nach Kabul geflüchtet, der dort ein Geschäft betrieben habe. Dieser Onkel habe die Mutter versorgt und dem Kläger die Ausreise nach Deutschland organisiert und bezahlt. Die Mutter habe später den gesamten Familienbesitz im Dorf Tschardehi verkauft. Sowohl mit seiner Mutter als auch mit dem Onkel in Kabul habe er bis 2005 Telefonkontakt gehabt. Seine Mutter habe über ein Mobiltelefon verfügt. Im letzten Telefonat sei ihm mitgeteilt worden, dass insbesondere die wirtschaftliche Lage sehr schlecht sei und man beabsichtige, das Land zu verlassen. Dann sei der Kontakt abgerissen. Wo seine Mutter oder sein Onkel oder sonstige Familienangehörigen heute seien, wisse er nicht. Es sei ihm seit 2005 nicht mehr gelungen, irgendeinen Familienkontakt herzustellen. In Deutschland arbeite er seit etwa neun Monaten; zuerst bei einer Leiharbeitsfirma, seit Januar 2009 in einer Pizzeria. Er verdiene derzeit netto ca. 700 EUR monatlich. Seine Mietkosten beliefen sich auf monatlich ca. 200 EUR. Relevante Ersparnisse habe er nicht.
15 
Die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes ergeben sich aus der Gerichtsakte sowie den Verfahrensakten des Bundesamts. Dem Senat liegen des Weiteren die Akte des Verwaltungsgerichts Stuttgart im Verfahren A 6 K 4738/07 sowie die Erkenntnisquellen, die den Beteiligten mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung und in der mündlichen Verhandlung mitgeteilt worden sind, vor. Die beigezogenen Akten und die Erkenntnisquellen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

 
16 
Die zulässige, insbesondere rechtzeitig unter Stellung eines Antrags und unter Bezugnahme auf die ausführliche Begründung des Zulassungsantrags begründete Berufung (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 - NVwZ 2006, 1420 m.w.N.) der Beklagten ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend entschieden, dass der Kläger die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (- Aufenthaltsgesetz -) in der Fassung der Änderung durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.08.2007 (- Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 28.08.2007, BGBl I 1970) beanspruchen kann. Die Zulässigkeit des so genannten Folgeschutzantrags des Klägers vom 16.05.2007 insbesondere hinsichtlich § 51 Abs. 2 und 3 VwVfG bedarf keiner Klärung, weil die Beklagte klargestellt hat, dass das Bundesamt das Verfahren im angefochtenen Bescheid - jedenfalls - in Bezug auf ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG von Amts wegen wiederaufgegriffen und zur Sache entschieden hat.
I.
17 
Das grundsätzlich vorrangige - europarechtlich begründete - Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG i.V.m. Art. 15 c der Qualifikationsrichtlinie 2004/83/EG ist vom Senat im vorliegenden Berufungsverfahren nicht zu prüfen. Zwar ist ein Antrag auf Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG in Bezug auf das Herkunftsland seit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes im Asylprozess sachdienlich dahin auszulegen, dass in erster Linie die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG und hilfsweise die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG begehrt wird (BVerwG, Urteil vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 = NVwZ 2008, 1241). Auch war im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG in seiner heutigen Fassung bereits in Kraft und der Kläger hatte die Feststellung von Abschiebungsverboten „nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG“ beantragt. Das Verwaltungsgericht hat über das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG jedoch - rechtsirrtümlich - nicht entschieden. Da es nach den Urteilsgründen keinerlei Anhaltspunkte dafür gibt, dass das Verwaltungsgericht bewusst nur über einen Teil des Streitgegenstandes entscheiden und den Rest einer späteren Entscheidung vorbehalten wollte, liegt kein Teilurteil im Sinne des § 110 VwGO vor. Das Urteil ist vielmehr bezüglich des nicht erwähnten Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG fehlerhaft. Es verstößt gegen § 88 VwGO, weil es über das europarechtliche Abschiebungsverbot rechtsirrtümlich nicht vorrangig entscheidet. Gemäß § 88 VwGO darf das Gericht einerseits nicht über das Klagebegehren hinausgehen, muss dieses andererseits aber erschöpfen. Das Verwaltungsgericht hat die Eigenständigkeit des Streitgegenstands bzw. abtrennbaren Streitgegenstandsteils des § 60 Abs. 7 Satz 2 VwGO, die das Bundesverwaltungsgericht im Übrigen erstmals mit Urteil vom 24.06.2008 (a.a.O.) rechtsgrundsätzlich geklärt hat, nicht erkannt und diesen Streitgegenstandsteil irrtümlich als nicht rechtshängig angesehen. Damit wäre insoweit ein Urteilsergänzungsverfahren nach § 120 VwGO von vorneherein nicht in Betracht gekommen, weil kein „Übergehen“ im Rechtssinne vorliegt (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.03.1994 - 9 C 529.93 - BVerwGE 95, 269), sondern nur ein Antrag auf Zulassung der Berufung gemäß § 78 Abs. 2 AsylVfG. Der Kläger hat jedoch keinen Zulassungsantrag gestellt und der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung war auf den stattgebenden Teil des angefochtenen Urteils, also das - nationale - Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begrenzt; nur insoweit wurde vom Senat die Berufung zugelassen. Nach dem Verfahrensgrundsatz der Dispositionsmaxime ist der Streitgegenstand des Berufungsverfahrens damit hierauf beschränkt (vgl. §§ 128 Satz 1, 129 VwGO). Mit der rechtskräftigen Abweisung der Klage durch das Verwaltungsgericht im Übrigen ist die Rechtshängigkeit des unbeschieden gebliebenen europarechtlich begründeten Abschiebungsverbots des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG entfallen (ausführlich hierzu: BVerwG, Urteil vom 22.03.1994, a.a.O.). Selbst wenn insoweit von einem Übergehen des Antrags im Sinne des § 120 Abs. 1 VwGO ausgegangen würde, wäre ein Urteilsergänzungsverfahren ausgeschlossen, weil binnen der Zweiwochenfrist des § 120 Abs. 2 VwGO kein entsprechender Antrag gestellt worden ist.
II.
18 
Im für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) besteht zu Gunsten des Klägers ein Abschiebungsverbot hinsichtlich Afghanistans gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Hiernach kann von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn für ihn dort eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Das ist beim Kläger aufgrund der in Afghanistan derzeit vorherrschenden katastrophalen Versorgungslage der Fall.
19 
Allerdings sind Gefahren der die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Denn hinsichtlich des Schutzes vor allgemeinen Gefahren im Zielstaat soll Raum sein für ausländerpolitische Entscheidungen, was die Anwendbarkeit von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG insoweit grundsätzlich sperrt und zwar selbst dann, wenn diese Gefahren den einzelnen Ausländer zugleich in konkreter und individualisierbarer Weise betreffen (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324). Aus diesem Normzweck folgt weiter, dass sich die „Allgemeinheit“ der Gefahr nicht danach bestimmt, ob diese sich auf die Bevölkerung oder bestimmte Bevölkerungsgruppen gleichartig auswirkt, wie das bei Hungersnöten, Seuchen, Bürgerkriegswirren oder Naturkatastrophen der Fall sein kann. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG kann vielmehr auch bei eher diffusen Gefährdungslagen greifen, etwa dann, wenn Gefahren für Leib und Leben aus den allgemein schlechten Lebensverhältnissen (soziale und wirtschaftliche Missstände) im Zielstaat hergeleitet werden. Denn soweit es um den Schutz vor den einer Vielzahl von Personen im Zielstaat drohenden typischen Gefahren solcher Missstände wie etwa Lebensmittelknappheit, Obdachlosigkeit oder gesundheitliche Gefährdungen geht, ist die Notwendigkeit einer politischen Leitentscheidung in gleicher Weise gegeben (vgl. BVerwG, Urteil vom 12.07.2001 - 1 C 5.01 - BVerwGE 115, 1). Für die Personengruppe, der der Kläger angehört, besteht eine solche politische Abschiebestopp-Anordnung gemäß § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG in Baden-Württemberg derzeit nicht (mehr), seit mit Schreiben des Innenministeriums Baden-Württemberg vom 15.04.2005 (geändert am 01.08.2005, vgl. 21. Fortschreibung vom 23.01.2009, Az.: 4-13-AFG/8) in Umsetzung entsprechender Beschlüsse der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder bezüglich der Rückführung afghanischer Staatsangehöriger entschieden wurde, dass „volljährige, allein stehende männliche afghanische Staatsangehörige, die sich zum Zeitpunkt der Beschlussfassung am 24. Juni 2005 noch keine sechs Jahre im Bundesgebiet aufgehalten haben, mit Vorrang zurückzuführen sind“. Im konkreten Einzelfall greift die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG gleichwohl aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht ein.
20 
1. Die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG greift aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht ein, wenn der Ausländer im Zielstaat landesweit einer extrem zugespitzten allgemeinen Gefahr dergestalt ausgesetzt wäre, dass er „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert“ würde (st. Rspr. des BVerwG, s. Urteile vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324 und vom 19.11.1996 - 1 C 6.95 - BVerwGE 102, 249 zur Vorgängerregelung in § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG und Beschluss vom 14.11.2007 - 10 B 47.07 - juris zu § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Damit sind nicht nur Art und Intensität der drohenden Rechtsgutsverletzungen, sondern auch die Unmittelbarkeit der Gefahr und ihr hoher Wahrscheinlichkeitsgrad angesprochen (vgl. BVerwG, Urteil vom 19.11.1996 - 1 C 9.95 - BVerwGE 102, 249). Das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist im Wege einer Gesamtgefahrenschau zu ermitteln (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23.03.1999 - 9 B 866.98 - juris).
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Im Fall einer allgemein schlechten Versorgungslage sind insoweit Besonderheiten zu berücksichtigen. Denn hieraus resultierende Gefährdungen entspringen keinem zielgerichteten Handeln, sondern treffen die Bevölkerung gleichsam schicksalhaft. Sie wirken sich nicht gleichartig und in jeder Hinsicht zwangsläufig aus und setzen sich aus einer Vielzahl verschiedener Risikofaktoren zusammen, denen der Einzelne in ganz unterschiedlicher Weise ausgesetzt ist und denen er gegebenenfalls auch ausweichen kann. Intensität, Konkretheit und zeitliche Nähe der Gefahr können deshalb auch nicht generell, sondern nur unter Berücksichtigung aller Einzelfallumstände beurteilt werden (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 13.11.2002 - A 6 S 967/01 - juris). Um dem Erfordernis des unmittelbaren - zeitlichen - Zusammenhangs zwischen Abschiebung und drohender Rechtsgutverletzung zu entsprechen, kann hinsichtlich einer allgemein schlechten Versorgungslage eine extreme Gefahrensituation zudem nur dann angenommen werden, wenn der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr in sein Heimatland in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien kann. Mit dem Begriff „alsbald“ ist dabei einerseits kein nur in unbestimmter zeitlicher Ferne liegender Termin gemeint (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.04.1998 - 9 C 13.97 - NVwZ 1998, 973). Andererseits setzt die Annahme einer extremen allgemeinen Gefahrenlage nicht voraus, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Ankunft im Abschiebezielstaat, eintreten. Eine extreme Gefahrenlage besteht auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert sein würde (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26.01.1999 - 9 B 617.98 - InfAuslR 1999, 265).
22 
2. Diese Voraussetzungen sind im Fall des Klägers gegeben. Denn er gehört zu der Gruppe der beruflich nicht besonders qualifizierten afghanischen Staatsangehörigen, die in ihrer Heimat ohne Rückhalt und Unterstützung durch Familie oder Bekannte sind und dort weder über Grundbesitz noch über nennenswerte Ersparnisse verfügen. Für diese Personengruppe besteht aufgrund der derzeit katastrophalen Versorgungslage bei einer Abschiebung nach Kabul eine extreme Gefahrensituation im dargelegten Sinne (ebenso: OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 06.05.2008 - 6 A 10749/07 - AuAS 2008, 188).
23 
a) Der Kläger wäre bei einer Abschiebung nach Kabul ohne Rückhalt und Unterstützung durch Familie oder Bekannte. In der mündlichen Verhandlung hat er glaubhaft und überzeugend ausgeführt, dass sein Vater und Bruder getötet worden sind, er in seinem Heimatdorf Tschardehi keine Unterstützung erlangen könnte, seine Mutter den Familienbesitz veräußert sowie mit dem Onkel aus Kabul Afghanistan - wohl schon 2005 - verlassen hat und dass seither kein Kontakt mehr zu irgendwelchen Personen in seiner Heimat besteht. Der Senat ist aufgrund des schlüssigen Vortrags des Klägers zudem überzeugt, dass er in Deutschland bisher keine nennenswerten Ersparnisse machen konnte. Der gesamte Vortrag des Klägers ist widerspruchsfrei und fügt sich stimmig in seine dokumentierten Angaben vor dem Bundesamt bei der Erstanhörung am 22.10.2003. Hinreichende Anhaltspunkte für die Annahme, dass der Kläger die Unwahrheit sagt, ergeben sich für den Senat nicht.
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b) Aufgrund der nachfolgend (aa) bis cc)) im Einzelnen dargelegten Erkenntnisse und Wertungen ist der Senat überzeugt, dass der Kläger ohne Ersparnisse, Grundbesitz und Unterstützung durch Familie oder Bekannte bei einer Abschiebung nach Kabul mangels jeglicher Lebensgrundlage unausweichlich dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert wäre. Im Falle der zur Zeit allenfalls nach Kabul tatsächlich möglichen Abschiebung (vgl. AA, Lagebericht vom 03.02.2009, S. 30) müsste er dort mit hoher Wahrscheinlichkeit zunächst mit einem kriminell motivierten Überfall oder einer Entführung rechnen, weil Rückkehrern aus Europa offenbar häufig der Besitz von finanziellen Mitteln unterstellt wird. Da sich die Sicherheitslage auf den Straßen nach und aus Kabul aufgrund der Bürgerkriegssituation schon seit 2007 deutlich verschlechtert hat, wäre dem Kläger ein Ausweichen in andere Landesteile ohne extreme Gefährdung von Leib und Leben nicht möglich; ohnehin verfügt er dort über keine familiäre, tribale oder soziale Vernetzung. In Kabul würde er ohne finanzielle Mittel keinen Wohnraum finden, weil dieser dort knapp und nur zu hohen Preisen erhältlich ist. Der Kläger, der weder eine Schule noch eine Ausbildung durchlaufen hat und nicht über besondere berufliche Qualifikationen verfügt, hätte in Kabul keine Möglichkeit einer legalen Erwerbstätigkeit. Aufgrund der Nahrungsmittelkrise wäre er darauf verwiesen, sich, wenn überhaupt, dauerhaft ausschließlich von Brot und Tee zu ernähren. Dadurch würde er alsbald und unausweichlich in einen fortschreitenden Prozess körperlichen Verfalls mit lebensbedrohlichen Folgen geraten, weil eine hinreichende medizinische Versorgung in Kabul nicht gegeben ist. Der Kläger würde mithin durch eine Abschiebung nach Kabul mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert. Im Einzelnen:
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aa) Zur Einschätzung der Gefahren für Leib und Leben eines afghanischen Staatsangehörigen, der aus Europa ohne Vermögen oder (groß-)familiäre Unterstützung nach Afghanistan zurückkehrt, hat das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz in seinem Urteil vom 06.05.2008 - 6 A 10749/07 - (AuAS 2008, 188) unter Auswertung auch vom Senat beigezogener Erkenntnisquellen in einem vergleichbaren Fall ausgeführt:
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„aa. Im Falle seiner Abschiebung nach Afghanistan würde der Kläger das zum Leben Notwendige an Nahrungsmitteln nicht aus eigener Kraft sichern können.
27 
(…) Der Kläger würde vielmehr in Kabul mit einem geringen Barbetrag und der „Starthilfe“ des UNHCR, der alle Rückkehrer mit 12 US-Dollar (vgl. Dr. Danesch, Gutachten vom 4. Dezember 2006 an HessVGH und vom 18. Mai 2007 an VG Koblenz; Panhölzl, Humanitäre Lage in Kabul, in: Informationsverbund Asyl e.V., Zur Lage in Afghanistan, 2006, S. 9 ff.) unterstützt, darauf angewiesen sein, sich durch eine kleingewerbliche Tätigkeit oder eine abhängige Beschäftigung den Lebensunterhalt zu verdienen. Das wird ihm mit hoher Wahrscheinlichkeit weder in Kabul noch in einer Provinz gelingen. Der Sachverständige Rieck, der als Senior Advisor für Arbeitsmarktfragen im Auftrag der International Labour Organisation in Afghanistan tätig war, hat in seinem dem Senat erstatteten Gutachten vom 15. Januar 2008 ausgeführt, auf dem afghanischen Arbeitsmarkt sei die Wahrscheinlichkeit gering, dass an- und ungelernte Arbeitskräfte eine auf Dauer angelegte und den Lebensunterhalt sichernde Erwerbsmöglichkeit finden. Selbst wenn einem Rückkehrer berufliche Bildungsangebote unterbreitet würden, erlange er durch solche in der Regel keine am Arbeitsmarkt verwertbaren beruflichen Kenntnisse. Fachkräfte aus Handwerksberufen könnten jedoch häufig in Arbeit vermittelt werden. Die Rekrutierung von Arbeitskräften sei so stark von persönlichen Beziehungen geprägt, dass private und öffentliche Arbeitgeber Medien oder Arbeitsvermittlungsbüros erst dann einschalteten, wenn das persönliche Beziehungsgeflecht bei der Stellenbesetzung nicht zum Erfolg geführt habe. Bestätigt wird diese Einschätzung durch die gutachterliche Stellungnahme vom 31. Januar 2008, die Dr. Glatzer dem Senat gegenüber abgegeben hat. Danach sind für alleinstehende, arbeitsfähige, männliche Afghanen, die unfreiwillig aus Deutschland nach Kabul zurückkehren und dort nicht mit der Hilfe von Verwandten oder Bekannten bei ihrer Wiedereingliederung rechnen können, legale Erwerbsmöglichkeiten – wenn man die Faktoren Zufall oder Glück außer Acht lässt – kaum gegeben, wenn diese Personen nicht über besondere professionelle Qualifikationen verfügen. Die Arbeitsmarktsituation in den Provinzen sei deutlich ungünstiger als in Kabul. Afghanistan leide unter einer Arbeitslosigkeit von ca. 65 v. H. der arbeitsfähigen Bevölkerung, wobei der Bedarf an ungelernten Arbeitern wegen der sich verschlechternden Sicherheitslage eher zurückgehe. Selbst in Boomzeiten gebe es viel mehr Arbeitswillige als Arbeitsplätze, um die hart und rücksichtslos gekämpft werde. Dr. Danesch (Gutachten vom 18. Mai 2007 an VG Koblenz und vom 24. August 2007) spricht von einer Arbeitslosigkeit im Umfang von 70 bis 80 v. H. der afghanischen Männer. Panhölzl (Humanitäre Lage in Kabul, a.a.O. S. 13) referiert eine Studie der Afghanistan Research and Evaluation Unit (AREU) vom April 2006, derzufolge von den befragten armen und armutsgefährdeten Haushalten ein Viertel der Arbeitskräfte maximal 54 Tage im Jahr Zugang zu Arbeit, die Hälfte 131 Tage oder weniger und nur 25 v. H. für 193 und mehr Tage im Jahr eine Arbeitsmöglichkeit hatten. Als Rückkehrer ohne persönliche Bindungen oder Beziehungen und ohne verwertbare berufliche Qualifikation müsste der Kläger der erstgenannten Gruppe zugerechnet werden, also in jeder Woche durchschnittlich für einen Tag eine Aushilfstätigkeit finden, was ihm einen wöchentlichen Durchschnittsverdienst von ca. einem bis zwei US-Dollar verschaffen würde (Dr. Danesch, Gutachten vom 18. Mai 2007 an VG Koblenz und vom 24. August 2007; Panhölzl, Humanitäre Lage in Kabul, a.a.O.). Ein selbständiges Kleingewerbe als Schuhputzer (vgl. Rieck, Gutachten vom 15. Januar 2008) bzw. Karrenzieher oder Straßenverkäufer verspricht keine gegenüber der abhängigen Beschäftigung besseren Erwerbsmöglichkeiten (Panhölzl, Humanitäre Lage in Kabul, a.a.O. S. 13) (…)
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Unter diesen wirtschaftlichen Verhältnissen würden dem Kläger ausschließlich Tee und Brot als Nahrungsmittel zur Verfügung stehen. Er würde zu der Hälfte der Bevölkerung Kabuls gehören, die sich - wie dem Schriftsatz der Beklagten vom 26. Februar 2008 im Verfahren 6 A 10230/08.OVG entnommen werden kann, der insoweit auf Erkenntnisse der Hilfsorganisation „Action contre la faim“ Bezug nimmt – nur von Tee und Brot ernähren und dafür den größten Teil ihres Einkommens verwenden muss. Auch das Auswärtige Amt erwähnt in seinem Lagebericht vom 7. März 2008, dass fast ein Viertel aller Haushalte in Afghanistan die Grundversorgung an Nahrungsmitteln nicht selbständig sichern kann. Dem Gutachten Dr. Daneschs vom 18. Mai 2007 (an VG Koblenz) zufolge leiden 8,9 v. H. der Kabuler Bevölkerung unter akuter Unterernährung. Auf seiner Homepage (www.auswaertiges-amt.de) bezeichnet das Auswärtige Amt die Nahrungmittelunsicherheit, chronische Mangelernährung, fehlenden Zugang zu sauberem Trinkwasser und Mangel an medizinischer Versorgung als die humanitären Hauptprobleme Afghanistans; der Anstieg der Weizenpreise im Laufe des Jahres 2007 um durchschnittlich 60 Prozent habe die Versorgungslage der besonders bedürftigen Bevölkerungsschichten wie Flüchtlinge und Binnenvertriebene sowie werdender Mütter und Kinder weiter verschlechtert.
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bb. Diese Versorgungssituation wird auch nicht durch Unterstützungsmaßnahmen der afghanischen Regierung oder internationaler Organisationen in wesentlichem Umfang verbessert (vgl. auch HessVGH, 8 UE 1913/06.A., juris; OVG B-B, 12 B 9.05, juris). Staatliche soziale Sicherungssysteme sind nicht vorhanden; vielmehr übernehmen Familien und Stammesverbände die soziale Absicherung (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7. März 2008). Deshalb stoßen nach diesem Lagebericht Rückkehrer, die außerhalb des Familienverbands oder nach einer längeren Abwesenheit im westlich geprägten Ausland zurückkehren, auf größere Schwierigkeiten als Rückkehrer, die in Familienverbänden geflüchtet sind oder in einen solchen zurückkehren, wenn ihnen das notwendige soziale oder familiäre Netzwerk sowie die notwendigen Kenntnisse der örtlichen Verhältnisse fehlen.
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Zwar erwähnt der Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7. März 2008, dass die Vereinten Nationen Millionen von Afghanen mit Nahrungsmitteln und Hilfsgütern versorgen und sich die Versorgungslage in Kabul grundsätzlich verbessert habe, schränkt dies aber insoweit ein, als mangels Kaufkraft längst nicht alle Bevölkerungsschichten davon profitierten. Darüber hinaus weist das Auswärtige Amt in diesem Lagebericht auf die Schwierigkeiten humanitärer Nothilfeleistungen infolge schlecht ausgebauter Verkehrswege, widriger Witterungsverhältnisse und wegen Sicherheitsproblemen hin. Dass die Vereinten Nationen Millionen von Afghanen mit Nahrungsmitteln und Hilfsgütern (in einem nicht näher bezeichneten Umfang) versorgen, erklärt sich ohne Weiteres aus der eine solche Verantwortlichkeit begründenden Hilfe, die der UNHCR bei der Rückkehr von ca. vier Millionen Afghanen aus Pakistan und dem Iran geleistet hat und die zu einem guten Teil auf den verstärkten „Rückführungsbemühungen“ der pakistanischen und der iranischen Regierung beruhen (vgl. hierzu Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7. März 2008). Nach der Auskunft, die amnesty international dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof unter dem 17. Januar 2007 erteilt hat, kann die Versorgung der bedürftigen Bevölkerung angesichts der enorm großen Zahl von Rückkehrern und der prekären Sicherheitslage nicht durch Angebote internationaler Hilfsorganisationen aufgefangen werden, zumal viele dieser Organisationen ihre Aktivitäten aufgrund von Sicherheitsbedenken immer stärker einschränken müssten. Dr. Glatzer teilt diese Einschätzung in seinem Gutachten vom 31. Januar 2008. Auch das Auswärtige Amt (Lagebericht vom 7. März 2008) bestätigt, dass sich die Sicherheitslage für Mitarbeiter internationaler Hilfsorganisationen durch regelmäßige Anschläge seit dem Jahr 2006 und durch Entführungen verschlechtert und sich das subjektive Unsicherheitsgefühl in den Reihen der internationalen Gemeinschaft seit dem Anschlag vom 24. Januar 2008 auf das Hotel Kabul Serena erheblich verstärkt habe. Dass internationale Hilfsorganisationen nicht einmal eine notdürftige Nahrungsmittelversorgung der Bevölkerung Kabuls sicherstellen, ist den Gutachten Dr. Daneschs vom 18. Mai 2007 (an VG Koblenz) und vom 24. August 2007 zu entnehmen. Danach gibt es keine Grundversorgung der Flüchtlinge durch internationale Hilfsorganisationen in Kabul. Die Lebensbedingungen der Kabuler hätten sich seit dem Jahre 2001 drastisch verschlechtert. Tag für Tag verhungerten in Kabul Menschen, nach denen in Afghanistan "kein Hahn kräht". Konkrete Zahlen über Todesfälle unter der armen Bevölkerung ließen sich in einem Land, in dem es keine Meldepflicht gebe, nicht erlangen, da sie nicht aktenkundig würden. Außerdem sei unter den afghanischen Verhältnissen die Grenze fließend zwischen regelrechtem Verhungern und Erkrankungen, die aufgrund von Mangelernährung, katastrophaler Hygiene, Kälte bzw. fehlender ärztlicher Behandlung tödlich verliefen. Allein in den drei von der „Action contre la faim“ betreuten Krankenhäusern stürben täglich zwischen fünf und sieben Personen allein wegen Unterernährung, obwohl diese zu den „wenigen Glücklichen“ gehörten, die überhaupt in ein Krankenhaus kämen. Menschen, die Mangelernährung und Krankheiten erlägen, würden ohne viel Umstände verscharrt. Die durch das jahrelange Elend abgestumpfte Bevölkerung nehme solche Todesfälle oft fatalistisch hin.
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cc. Auch die Möglichkeiten, eine winterfeste Unterkunft zu erlangen, sind für einen mittellosen Rückkehrer, der nicht auf (groß-)familiäre Hilfe zurückgreifen kann, minimal. Der Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7. März 2008 führt hierzu aus, die Wohnraumversorgung sei unzureichend; Wohnraum sei knapp und die Preise in Kabul seien hoch. Freiwillig zu ihren Angehörigen zurückkehrende Afghanen strapazierten die nur sehr knappen Ressourcen an Wohnraum und Versorgung weiter. Eine zunehmende Zahl von Rückkehrern verfüge zudem nicht mehr über solche Anschlussmöglichkeiten. Bemühungen des Flüchtlingshilfswerks UNHCR und anderer Einrichtungen um die Errichtung von Unterkünften hätten nur geringe Wirkung gehabt. Das afghanische Ministerium für Flüchtlinge und Rückkehrer beabsichtige, Rückkehrer in Neubausiedlungen unterzubringen, von denen ein Großteil für eine dauerhafte Ansiedlung ungeeignet sei, so dass von einem „Aussetzen in der Wüste“ gesprochen werden könne. Nichtregierungsorganisationen leisteten hier humanitäre Hilfe. Von dem „Auffangwohnheim“ auf dem Gelände des Flüchtlingsministeriums, das das Auswärtige Amt in seiner Auskunft vom 29. Mai 2007 an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof erwähnt und in dem Rückkehrer für eine Übergangszeit Unterkunft finden konnten, ist im Lagebericht vom 7. März 2008 nicht (mehr) die Rede.
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Dr. Danesch (Gutachten vom 18. Mai 2007 an VG Koblenz und vom 24. August 2007) berichtet, dass ein einfaches Zimmer bis zu 20 US-Dollar im Monat koste. Dafür erhalte man eine Unterkunft in weitab vom Zentrum gelegenen Außenbezirken, wo es oft nicht die geringste Infrastruktur gebe. Erschwinglicher Wohnraum außerhalb der Flüchtlingslager existiere für Rückkehrer nicht.
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Nach der Auskunft, die amnesty international dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof unter dem 17. Januar 2007 erteilte, hat der enorme Bevölkerungszuwachs in Kabul einen akuten Mangel an Wohnraum verursacht, so dass sich große Slumviertel gebildet hätten. Viele Menschen lebten in Ruinen. Nach Schätzungen der Caritas verfüge etwa eine Million Menschen in Kabul weder über ausreichenden und winterfesten Wohnraum noch über regelmäßiges Trinkwasser. Die hygienischen Verhältnisse in den Armenvierteln seien katastrophal.
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Das Rückkehrerprogramm "Return, Reception and Reintegration of Afghan Nationals to Afghanistan (RANA)" ist nach Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 29. Mai 2007 an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof Ende April 2007 ausgelaufen, so dass auf die Darlegungen von Herrn D…, der während einer Beurlaubung als Beamter der Beklagten im Rahmen des RANA-Programms in Kabul bis zum 22. Mai 2006 tätig war und wegen dieser Tätigkeit von dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg am 24. März 2006 als sachverständiger Zeuge vernommen worden ist, nicht eingegangen werden muss.
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dd. Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass die medizinische Versorgung selbst in Kabul völlig unzureichend ist (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7. März 2008). Amnesty international berichtet dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof unter dem 17. Januar 2007, dass viele Menschen wegen der desolaten Verhältnisse im Gesundheitswesen unter Infektionskrankheiten, Tuberkulose etc. litten. Eine Behandlung sei in der Regel nicht möglich, weil die Gesundheitsversorgung in Afghanistan unzulänglich sei. Während es auf dem Land oft überhaupt keine Versorgung gebe, sei es in Kabul, wo einige Krankenhäuser vorhanden seien, meist nur über Beziehungen oder gegen Bestechung möglich, auch tatsächlich behandelt zu werden. Diese Situation erkläre die geringe Lebenserwartung und eine der weltweit höchsten Kindersterblichkeitsraten. Auch Panhölzl (Humanitäre Lage in Kabul, a.a.O.) referiert, dass die Kosten für einen Arztbesuch fast den Tageslohn eines einfachen Arbeiters – Transportkosten nicht inbegriffen – ausmachen; die Mehrheit der Ärzte in öffentlichen Krankenhäusern betrieben nebenbei private Kliniken und verwiesen die Patienten in diese, was sich die Ärmeren aber nicht leisten könnten.
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ee. Ist mithin davon auszugehen, dass der Kläger im Falle seiner Rückkehr nur eine notdürftige und nicht winterfeste Unterkunft finden würde, nahezu ohne medizinische Versorgung unter hygienisch völlig unzureichenden Verhältnissen leben müsste und darauf verwiesen wäre, sich ausschließlich von Brot und Tee zu ernähren, besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass er durch seine Abschiebung nach Afghanistan zwangsläufig in einen fortschreitenden Prozess körperlichen Verfalls mit lebensbedrohlichen Folgen geraten würde. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus den in sich schlüssigen ernährungsmedizinischen Ausführungen der Sachverständigen Dr. med. T.. Danach führt eine erzwungene Mangelernährung, die aus Brot und Tee besteht, selbst bei ausreichender Kalorienzufuhr, d.h. einer Menge von 1.000g bis 1.500g Weißbrot pro Tag, zu einem verstärkten Abbau von Eiweiß und Fett und insbesondere zu einem Eisenmangel. Die dadurch bedingte Beeinträchtigung der Sauerstoffversorgung habe erhebliche Auswirkungen auf das Gehirn und das Herz und schwäche die Körperimmunabwehr. Dies wiederum könne zu Organschäden am Herzen bis hin zum Herzinfarkt führen. Die Schwächung der Immunabwehr führe in der Regel spätestens nach sechs Monaten zum Ausbruch der Eisenmangelanämie. Die genannten Symptome träten unter den in Afghanistan herrschenden Lebensbedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit noch früher ein, zumal bei einem Rückkehrer nach einem fünf Jahre langen Aufenthalt in Deutschland wegen der erheblichen Klimaumstellungen mit schwerwiegenden Infektionen der Atmungs- und Verdauungsorgane bis hin zur Tuberkulose gerechnet werden müsse. Unter den im Winter in Afghanistan gegebenen Klimabedingungen bestehe die Gefahr von Lungeninfekten. Sie könnten insbesondere dann zum Tod führen, wenn der Organismus bereits zuvor durch Eisenmangel und andere Infekte geschwächt sei. Bei einer Rückkehr nach Kabul im Sommer sei mit Darminfektionen zu rechnen. Unter diesen Umständen könnten bis zu zwei Durchfallerkrankungen möglicherweise ohne große Schäden überwunden werden. Ab der dritten entsprechenden Erkrankung müsse dann aber mit lebensbedrohlichen Entwicklungen gerechnet werden. Eine Anpassung des Körpers im Sinne einer zunehmenden Immunität sei in diesen Fällen ausgeschlossen. Insbesondere im Sommer komme es darüber hinaus auch durch das Trinken von nicht abgekochtem Wasser zu gesundheitlichen Schäden.
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Aus diesen sachverständigen Ausführungen ergibt sich, dass vergleichsweise junge Männer, die in gutem Ernährungs- und Gesundheitszustand aus Europa nach Kabul zurückkehren, nicht etwa über körperliche „Reserven“ verfügen, die ihnen ein Überleben auf längere Sicht erleichtern. Vielmehr erweist sich die über mehrere Jahre vollzogene Anpassung an die in Europa herrschenden klimatischen und hygienischen Bedingungen als Nachteil beispielsweise gegenüber afghanischen Rückkehrern aus Pakistan oder dem Iran. Insbesondere die dadurch erhöhte Infektanfälligkeit wird in Verbindung mit dem ernährungsbedingten Eisenmangel zu schwerwiegenden Infektionen der Atmungs- und Verdauungsorgane führen und mit hoher Wahrscheinlichkeit einen fortschreitenden Prozess körperlichen Verfalls mit lebensbedrohlichen Folgen auslösen.
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Diese schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen reichen aus, um eine zwangsweise Rückkehr als unzumutbar erscheinen zu lassen, auch wenn sehr viele Afghanen in der beschriebenen Weise unterhalb des Existenzminimums „dahinvegetieren“ und keine Berichte über eine Hungersnot in Kabul vorliegen, wie das Sächsische Oberverwaltungsgericht (A 1 B 58/06, AuAS 2007, 5, juris) bemerkt. Gerade den bereits zitierten Ausführungen Dr. Daneschs vom 18. Mai 2007 (an VG Koblenz) und vom 24. August 2007 ist zu entnehmen, aus welchen Gründen sich Angaben über diese Zustände einer „weiteren Präzisierung“, die das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen (20 A 5164/04.A, juris) vermisst, entziehen und über Hungertote oder an den Folgeerkrankungen der chronischen Mangelernährung Verstorbene nicht im Einzelnen berichtet wird. Im Übrigen beruhen die Entscheidungen des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts (A 1 B 58/06, AuAS 2007, 5, juris) und des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (20 A 5164/04.A, juris) wesentlich auf den wegen des inzwischen ausgelaufenen RANA-Programms nicht mehr aktuellen Bekundungen des Herrn D.. Zwar geht auch der Hessische Verwaltungsgerichtshof (8 UE 1913/06.A, juris) davon aus, dass ein junger, allein stehender Afghane ohne nennenswertes Vermögen und ohne abgeschlossene Berufsausbildung wahrscheinlich in der Lage wäre, durch Gelegenheitsarbeiten wenigstens ein kümmerliches Einkommen zu erzielen, damit ein Leben am Rande des Existenzminimums zu finanzieren und sich allmählich wieder in die afghanische Gesellschaft zu integrieren; er räumt aber ein, manche von den Gutachtern mitgeteilte Details sprächen auch für die gegenteilige Schlussfolgerung. Soweit das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (12 B 9.05, juris) für männliche Flüchtlinge mittleren Alters im Falle der Rückkehr nach Afghanistan in der Regel keine extremen allgemeinen Gefahren sieht, lagen der Entscheidung tatsächliche Besonderheiten in der Person des Klägers zugrunde, der aus einer wohlhabenden Familie mit einflussreichen Kontakten auch in Kabul stammte (…). Ebenso wenig vergleichbar sind die Entscheidungen anderer Oberverwaltungsgerichte (OVG S-H, 2 LB 38/07, juris; OVG B-B, 12 B 11.05, juris), deren abweichende Einschätzung der Gefährdungslage darauf beruht, dass die um Abschiebungsschutz nachsuchenden afghanischen Staatsangehörigen in ein (groß-)familiäres Umfeld zurückkehren konnten.“
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Dieser überzeugenden Einschätzung schließt sich der Senat an. Die seit Ergehen dieses Urteils eingegangenen weiteren Erkenntnismittel belegen die Richtigkeit dieser Einschätzung und zeigen zudem eine weitere Verschärfung der Situation auf.
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bb) Seit Mai 2008 hat sich die Versorgungssituation für Rückkehrer aus Europa ohne Vermögen oder (groß-)familiären Rückhalt in Afghanistan weiter verschlechtert. Auch wenn die Lage in einzelnen Provinzen und Distrikten erhebliche Unterschiede aufweist (Wegweiser zur Geschichte - Afghanistan, 2009 S. 9), befindet sich das Land insgesamt gesehen in einer "Abwärtsspirale" (FAZ vom 07.02.2009). US-Geheimdienste zeichnen ein „äußerst düsteres Bild“ (SZ vom 10.10.2008). Versorgungsengpässe sind an der Tagesordnung, und dies nicht nur in abgelegenen Gebieten oder den Elendsvierteln von Kabul. Die Einwohnerzahl Kabuls explodierte auch aufgrund von Landflucht sowie der massenhaften Rückkehr von Flüchtlingen in den letzten Jahren von circa einer auf nunmehr weit über drei Millionen Menschen (Wegweiser zur Geschichte - Afghanistan, 2009 S. 224). Im neuesten Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 03.02.2009 heißt es, Afghanistan durchlebe insbesondere eine Nahrungsmittelkrise. Das Land gelte zwischenzeitlich in Asien als das ärmste. Die Lebensbedingungen seien landesweit schlecht. Seit dem Winter 2007/08 habe sich die Lage mit den weltweit steigenden Nahrungsmittelpreisen, verbunden mit Exportbeschränkungen der Nachbarländer für Weizen und einer Dürre in einigen Landesteilen, noch einmal erheblich verschärft. Eine weitere Verschlechterung im Winter 2008/09 und in der folgenden „mageren Jahreszeit“ im ersten Halbjahr 2009 sei wahrscheinlich. Besonders problematisch sei die Lage in den ländlichen Gebieten, deren Versorgung oftmals sehr schwierig, im Winter überhaupt nicht möglich sei. Aber auch in Kabul und zunehmend in anderen großen Städten sei die Lage nicht wesentlich besser. Wegen sinkender oder ganz fehlender Kaufkraft profitiere von einer seit 2001 zwar grundsätzlich verbesserten Versorgungslage derzeit allenfalls eine kleine Bevölkerungsschicht. Angemessener Wohnraum sei knapp und nur zu hohen Preisen erhältlich. Selbst Kabul habe keine geregelte Stromversorgung. Staatliche soziale Sicherungssysteme seien weiterhin praktisch nicht vorhanden; Korruption sei weit verbreitet, der Verwaltungsapparat sei hoch ineffizient. Die medizinische Versorgung sei immer noch unzureichend. Selbst die Ansiedlung organisiert zurückgeführter Flüchtlinge in vorgesehene „townships“ erfolge etwa wegen fehlender Wasserversorgung und abseitiger Lage unter „schwierigen Rahmenbedingungen“ und gleiche, trotz humanitärer Hilfe von Nichtregierungsorganisationen, teilweise weiterhin einem „Aussetzen in der Wüste“. Der Zugang zu Arbeit, Wasser bzw. Grundversorgung sei häufig nur sehr eingeschränkt möglich. Ohne familiäre oder soziale Netzwerke und ohne notwendige Kenntnisse der örtlichen Verhältnisse würden Rückkehrer „auf größere Schwierigkeiten“ stoßen. Sie könnten zudem auf übersteigerte Erwartungen ihrer finanziellen Möglichkeiten treffen und mit überhöhten Preisen konfrontiert werden. Von den im Land gebliebenen Landsleuten würden Rückkehrer im Übrigen häufig nicht als vollwertige Afghanen akzeptiert. Hinzu komme, dass die Gefährdung des Einzelnen, zu einem Opfer von Gewalt zu werden, im ganzen Land gegeben sei. Die afghanische Nationalpolizei werde ihrer Aufgabe bei der Durchsetzung von Recht und Gesetz nicht gerecht und gelte wegen Korruption und niedrigem Ausbildungsstand an vielen Orten selbst als Unsicherheitsfaktor. Von der sich verschlechternden Sicherheitslage seien inzwischen fast alle Landesteile betroffen. Auch die Gefahr, Opfer der deutlich zugenommenen Entführungen zwecks Erpressung von Lösegeld zu werden, treffe Rückkehrer, wenn ihnen ausreichende finanzielle Mittel für einen Freikauf unterstellt würden. Ob sich eine Person diesen Gefahren entziehen könne, hänge maßgeblich von dem Grad ihrer familiären, tribalen und sozialen Vernetzung ab.
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Weitere aktuelle Erkenntnisquellen geben kein besseres Bild von der in der Gesamtschau für Rückkehrer ohne Vermögen oder (groß-)familiären Rückhalt katastrophalen Lage: Gemeinhin wird davon ausgegangen, dass die Situation 2009 noch schlechter werde; „so viel Pessimismus war nie“ (Der Spiegel vom 13.10.2008). Die Schere zwischen Reich und Arm klafft immer weiter auseinander. Einerseits lassen sich Drogenbarone und Warlords in Kabul „protzige Villen“ bauen. Andererseits leben immer mehr Menschen in nicht winterfesten Unterkünften, oftmals Ruinen (SFH vom 21.08.2008 u. 26.02.2009), und es müssen nach einer repräsentativen Erhebung von ARD, ABC und BBC zwischenzeitlich über die Hälfte aller Haushalte (54 %) mit weniger als umgerechnet 100 Dollar (ca. 78 EUR) im Monat auskommen. Gerade noch rund ein Drittel der afghanischen Bevölkerung (37 %) gibt an, sich notwendige Lebensmittel leisten zu können. Und nur noch 31 % der Bevölkerung ist in der Lage, den Preis für Heizöl zu bezahlen (dpa-News vom 09.02.2009). Alles sei dramatisch teurer geworden, vor allem Lebensmittel, Brennholz, Benzin, Gas und Baumaterialien (SZ vom 24.10.2008); insbesondere die Lebensmittelpreise sind zwischen Februar 2008 und Februar 2009 um bis zu 130 % gestiegen (SFH vom 26.02.2009) Nach UN-Angaben müssen heute 42 % der Afghanen von weniger als einem Dollar am Tag leben (ai-Pressespiegel 2/2009, S. 46). Die Arbeitslosenrate liege zwischen 32 und 60 Prozent; ein Großteil der arbeitenden Bevölkerung versuche, sich als Tagelöhner zu verdingen (SFH vom 26.02.2009). Überall könne man Armut sehen, etwa Leute, die sich „nur von Wasser, Brot und ein bisschen Tomatenpüree oder allenfalls mal von einem Teller Reis“ ernähren (SZ vom 24.10.2008). Für die große Mehrheit der Afghanen würden Armut, Krankheit, Dürreperioden und interne Konflikte noch größere Bedrohungen darstellen als das Risiko, durch kriegerische oder terroristische Attacken verletzt oder getötet zu werden. Die Richtigkeit dieser Einschätzung illustrieren auch Indikatoren zum Gesundheitszustand der Bevölkerung: So stirbt heute in Afghanistan durchschnittlich alle 30 Minuten eine Frau aufgrund von Komplikationen während Schwangerschaft oder Geburt. Die Hälfte der Kinder bis zum Alter von fünf Jahren gelten als chronisch unterernährt. Lediglich zwei von zehn ländlichen Haushalten verfügen über sauberes Trinkwasser, was wiederum dazu führt, dass 85.000 Kinder im Alter unter fünf Jahren jährlich an den Folgen von Magen- und Darmerkrankungen sterben. Jedenfalls für die Mehrheit der auf dem Land lebenden Afghanen gibt es weder eine medizinische Grundversorgung noch Ernährungssicherheit (Wegweiser zur Geschichte - Afghanistan, 2009 S. 105 f.). Die Lebenserwartung der afghanischen Bevölkerung gehört heute mit 42 Jahren zu den geringsten der Welt (SFH vom 26.02.2009). Zudem verläuft der Wiederaufbau offenbar überall schleppend. Die Korruption habe „atemberaubende Ausmaße“ angenommen. Einer der wenigen funktionierenden Erwerbszweige sei die Drogenökonomie. Afghanistan hat zwischenzeitlich beinahe ein weltweites Monopol für Schlafmohn, aus dem Heroin gewonnen wird (dpa-News vom 29.01.2009). Mit den Erlösen aus Schlafmohnanbau und Drogenhandel füllen nicht nur, aber vor allem die Taliban ihre Kriegskasse (dpa-News vom 13.02.2009). Jeder zehnte Afghane baut nach UN-Berichten oftmals notgedrungen Schlafmohn an; das entspricht rund 2,5 Millionen Menschen. Hinzu kommen noch diejenigen, die Drogen schmuggeln, veredeln und weiterverkaufen. Niemand wage, ihre Zahl zu schätzen. Den Wert ihrer Früchte dagegen schon: Allein die 7,7 Tonnen Rohopium, die 2008 in Afghanistan geerntet wurden (93 % der Weltopiumsproduktion), haben einen Marktwert von 3,5 Milliarden Dollar. Ein Kilo Heroin hat derzeit in Afghanistan den Gegenwert von 30 Maschinengewehren. Täglich starten aus Girdi Jungal und Baramcha schwer bewachte Konvois mit mehreren Hundert Kilo Heroin an Bord Richtung Iran. An der Grenze zu Pakistan wurden Labore zur Veredelung des Rohopiums von fabrikartigen Ausmaßen errichtet, in denen mehrere Hundert Menschen arbeiten sollen. Rund 90% der Ernte wird inzwischen in Afghanistan selbst zu Heroin und Morphiumprodukten verarbeitet (Wegweiser zur Geschichte - Afghanistan, 2009 S. 231). Ein US-Militär brachte die Verbindung zwischen Taliban-Renaissance und Drogenschmuggel lakonisch auf den Punkt: "Drogen raus, Waffen rein." Hochrangige Regierungsvertreter und sogar der Bruder von Präsident Karzai sollen sich nach Ansicht des Weißen Hauses an Drogengeschäften beteiligen (ZEIT-online vom 04.02.2009), weshalb die Bevölkerung Drogenbekämpfungsmaßnahmen als Ausdruck von Doppelmoral ansieht. Vernichtungskampagnen würden vor allem jenen verarmten Bevölkerungsteil treffen, der existenziell auf den Schlafmohnanbau angewiesen sei. Die Nato-Truppen haben dennoch beschlossen, nunmehr aktiv die Drogenproduktion zu bekämpfen; ein durchgreifender Erfolg dieser Aktionen erscheint jedoch außerordentlich fraglich (taz vom 13.10.2008). Die Schwierigkeiten Afghanistans dürften zudem kaum trennbar mit denen Pakistans verbunden sein. Die Problemzone Afghanistan besteht gewissermaßen aus einem Rumpfstaat um Kabul, dessen Aufbau nicht vorankommt, während bei seinem atomar bewaffneten Nachbarn „ein beängstigender Staatszerfall“ stattfindet. Die in der Regierung von Präsident Karzai wütende Korruption habe den Zusammenbruch zentraler Autorität ebenso beschleunigt wie die wachsende Gewalt durch Militante aus Zufluchtsorten in Pakistan (netzwerk-afghanistan.info vom 09.10.2008). Die pakistanische Regierung verliere immer mehr den Zugriff auf ihre nordwestliche Grenzregion. Islamabad hat nun verkündet, man werde dort ein System islamischer Gerichtsbarkeit im Gegenzug für einen Waffenstillstand mit den Taliban akzeptieren (Die Zeit vom 19.02.2009).
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cc) Die ohnehin katastrophale Versorgungssituation in Afghanistan wird zudem durch die inzwischen landesweit schwierige Sicherheitslage verschärft. Die Kämpfe zwischen verschiedenen bewaffneten Gruppen haben tausende Familien gezwungen, in größeren Städten Schutz zu suchen. Zehntausende intern Vertriebene leben in Slums rund um Kabul und Herat. UNHCR schätzte im Januar 2009, dass ca. 235.000 Menschen neu vertrieben wurden (SFH vom 11.03.2009). Auch die Versorgung der ländlichen Gebiete mit Hilfsgütern ist aufgrund der schwierigen Sicherheitslage nur noch eingeschränkt möglich. Die Kosten für eine LKW-Fuhre mit Hilfsgütern von Kabul nach Kandahar etwa haben sich wegen der „Gefahrenzulagen“ von 1.800 Dollar im Frühjahr 2008 auf nunmehr fast 18.000 US-Dollar verzehnfacht (Der Spiegel vom 13.10.2008). Afghanistan ist heute eines der am stärksten verminten Länder der Welt (SFH vom 21.08.2008). Für die internationalen Truppen war 2008 das verlustreichste Jahr seit dem Sturz des Taliban-Regimes Ende 2001. Allein in den ersten acht Monaten des Jahres 2008 hat der Konflikt am Hindukusch nach UN-Angaben mehr als 4.000 Menschen das Leben gekostet, über ein Drittel davon Zivilisten; andere Schätzungen gehen von über 2000 getöteten Zivilisten im letzten Jahr aus (FAZ vom 18.02.2009). Deutschen Soldaten ist es in Kabul verboten, sich zu Fuß oder mit ungepanzerten Fahrzeugen zu bewegen; vom Elend der Flüchtlinge bekommen sie kaum etwas mit (SZ vom 02.09.2008). An eine rein militärische Konfliktlösung glaubt inzwischen offenbar niemand mehr. Präsident Karzai hat den Taliban wiederholt Verhandlungen angeboten, die jedoch abgelehnt wurden, solange ausländische Truppen im Land sind (FR vom 27.02.2009). Im Süden, Osten und Westen konnten die Taliban immer näher an Kabul heranrücken. Sie seien bereits auf 72 % des afghanischen Territoriums „dauerhaft präsent“ (dpa-News vom 10.10.2008). US-Präsident Obama’s angekündigte Offensive und Truppenaufstockungen um mindestens 17.000 weitere Soldaten (Die Welt vom 19.02.2009) bedeuteten noch mehr Kämpfe und Gewalt, denn die Aufständischen seien mächtig wie nie (BNN vom 17.12.2008; FAZ vom 22.12.2008). Aber nicht nur die Taliban, auch kriminelle Banden machen das Land und selbst die Hauptstadt Kabul unsicher (dpa-News vom 29.01.2009). Hinzu kommt, dass die Grenzen zwischen organisierter Kriminalität, ehemaligen Warlords, die ihre Einflussbereiche nun als Gouverneure oder Distriktchefs sichern, bis hin zu Gruppierungen der Taliban oder anderen militanten Kräften fließend verlaufen (Wegweiser zur Geschichte - Afghanistan, 2009 S. 10). Kabul, jahrelang als „letzte sichere Insel im von Gewalt zerrütteten Land am Hindukusch“ bezeichnet, erscheint im Frühjahr 2009 „alles andere als sicher“ (Der Spiegel vom 25.01.2009). Die Zahl der registrierten Bombenanschläge (ca. 2.000) und Entführungen (ca. 300) hat sich laut US-Angaben 2008 etwa verdoppelt (taz vom 30.12.2008). Zudem habe sich zwischenzeitlich eine Art „Entführungsindustrie“ entwickelt, die jeden treffen könne (SZ vom 24.10.2008). Auch das Auswärtige Amt warnt deshalb dringend vor Reisen nach Kabul und Afghanistan. Das Risiko, Opfer einer Entführung zu werden, bestehe landesweit. Auch in der Hauptstadt Kabul könnten Überfälle und Entführungen nicht ausgeschlossen werden; im übrigen Land bestünden teilweise noch deutlich höhere Sicherheitsrisiken. Wer sich dennoch nach Afghanistan begebe, müsse sich der Gefährdung durch terroristisch oder kriminell motivierte Gewaltakte bewusst sein. Trotz Präsenz der Internationalen Schutztruppe ISAF komme es überall zu Attentaten. Die Sicherheitskräfte der Regierung seien nicht in der Lage, Ruhe und Ordnung zu gewährleisten. Zudem sei die medizinische Versorgung, insbesondere die stationäre Behandlungsmöglichkeit, völlig unzureichend und in etlichen Landesteilen nahezu nicht existent bzw. nicht nutzbar (www.auswaertiges-amt.de; Zugriff vom 16.03.2009).
43 
In einer Gesamtgefahrenschau muss vor diesem Hintergrund im konkreten Einzelfall des Klägers eine extreme Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bejaht werden.
III.
44 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO und § 83 b AsylVfG. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein gesetzlicher Zulassungsgrund vorliegt (§ 132 Abs. 2 VwGO).

Gründe

 
16 
Die zulässige, insbesondere rechtzeitig unter Stellung eines Antrags und unter Bezugnahme auf die ausführliche Begründung des Zulassungsantrags begründete Berufung (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 - NVwZ 2006, 1420 m.w.N.) der Beklagten ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend entschieden, dass der Kläger die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (- Aufenthaltsgesetz -) in der Fassung der Änderung durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.08.2007 (- Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 28.08.2007, BGBl I 1970) beanspruchen kann. Die Zulässigkeit des so genannten Folgeschutzantrags des Klägers vom 16.05.2007 insbesondere hinsichtlich § 51 Abs. 2 und 3 VwVfG bedarf keiner Klärung, weil die Beklagte klargestellt hat, dass das Bundesamt das Verfahren im angefochtenen Bescheid - jedenfalls - in Bezug auf ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG von Amts wegen wiederaufgegriffen und zur Sache entschieden hat.
I.
17 
Das grundsätzlich vorrangige - europarechtlich begründete - Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG i.V.m. Art. 15 c der Qualifikationsrichtlinie 2004/83/EG ist vom Senat im vorliegenden Berufungsverfahren nicht zu prüfen. Zwar ist ein Antrag auf Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG in Bezug auf das Herkunftsland seit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes im Asylprozess sachdienlich dahin auszulegen, dass in erster Linie die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG und hilfsweise die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG begehrt wird (BVerwG, Urteil vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198 = NVwZ 2008, 1241). Auch war im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG in seiner heutigen Fassung bereits in Kraft und der Kläger hatte die Feststellung von Abschiebungsverboten „nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG“ beantragt. Das Verwaltungsgericht hat über das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG jedoch - rechtsirrtümlich - nicht entschieden. Da es nach den Urteilsgründen keinerlei Anhaltspunkte dafür gibt, dass das Verwaltungsgericht bewusst nur über einen Teil des Streitgegenstandes entscheiden und den Rest einer späteren Entscheidung vorbehalten wollte, liegt kein Teilurteil im Sinne des § 110 VwGO vor. Das Urteil ist vielmehr bezüglich des nicht erwähnten Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG fehlerhaft. Es verstößt gegen § 88 VwGO, weil es über das europarechtliche Abschiebungsverbot rechtsirrtümlich nicht vorrangig entscheidet. Gemäß § 88 VwGO darf das Gericht einerseits nicht über das Klagebegehren hinausgehen, muss dieses andererseits aber erschöpfen. Das Verwaltungsgericht hat die Eigenständigkeit des Streitgegenstands bzw. abtrennbaren Streitgegenstandsteils des § 60 Abs. 7 Satz 2 VwGO, die das Bundesverwaltungsgericht im Übrigen erstmals mit Urteil vom 24.06.2008 (a.a.O.) rechtsgrundsätzlich geklärt hat, nicht erkannt und diesen Streitgegenstandsteil irrtümlich als nicht rechtshängig angesehen. Damit wäre insoweit ein Urteilsergänzungsverfahren nach § 120 VwGO von vorneherein nicht in Betracht gekommen, weil kein „Übergehen“ im Rechtssinne vorliegt (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.03.1994 - 9 C 529.93 - BVerwGE 95, 269), sondern nur ein Antrag auf Zulassung der Berufung gemäß § 78 Abs. 2 AsylVfG. Der Kläger hat jedoch keinen Zulassungsantrag gestellt und der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung war auf den stattgebenden Teil des angefochtenen Urteils, also das - nationale - Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begrenzt; nur insoweit wurde vom Senat die Berufung zugelassen. Nach dem Verfahrensgrundsatz der Dispositionsmaxime ist der Streitgegenstand des Berufungsverfahrens damit hierauf beschränkt (vgl. §§ 128 Satz 1, 129 VwGO). Mit der rechtskräftigen Abweisung der Klage durch das Verwaltungsgericht im Übrigen ist die Rechtshängigkeit des unbeschieden gebliebenen europarechtlich begründeten Abschiebungsverbots des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG entfallen (ausführlich hierzu: BVerwG, Urteil vom 22.03.1994, a.a.O.). Selbst wenn insoweit von einem Übergehen des Antrags im Sinne des § 120 Abs. 1 VwGO ausgegangen würde, wäre ein Urteilsergänzungsverfahren ausgeschlossen, weil binnen der Zweiwochenfrist des § 120 Abs. 2 VwGO kein entsprechender Antrag gestellt worden ist.
II.
18 
Im für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) besteht zu Gunsten des Klägers ein Abschiebungsverbot hinsichtlich Afghanistans gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Hiernach kann von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn für ihn dort eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Das ist beim Kläger aufgrund der in Afghanistan derzeit vorherrschenden katastrophalen Versorgungslage der Fall.
19 
Allerdings sind Gefahren der die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Denn hinsichtlich des Schutzes vor allgemeinen Gefahren im Zielstaat soll Raum sein für ausländerpolitische Entscheidungen, was die Anwendbarkeit von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG insoweit grundsätzlich sperrt und zwar selbst dann, wenn diese Gefahren den einzelnen Ausländer zugleich in konkreter und individualisierbarer Weise betreffen (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324). Aus diesem Normzweck folgt weiter, dass sich die „Allgemeinheit“ der Gefahr nicht danach bestimmt, ob diese sich auf die Bevölkerung oder bestimmte Bevölkerungsgruppen gleichartig auswirkt, wie das bei Hungersnöten, Seuchen, Bürgerkriegswirren oder Naturkatastrophen der Fall sein kann. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG kann vielmehr auch bei eher diffusen Gefährdungslagen greifen, etwa dann, wenn Gefahren für Leib und Leben aus den allgemein schlechten Lebensverhältnissen (soziale und wirtschaftliche Missstände) im Zielstaat hergeleitet werden. Denn soweit es um den Schutz vor den einer Vielzahl von Personen im Zielstaat drohenden typischen Gefahren solcher Missstände wie etwa Lebensmittelknappheit, Obdachlosigkeit oder gesundheitliche Gefährdungen geht, ist die Notwendigkeit einer politischen Leitentscheidung in gleicher Weise gegeben (vgl. BVerwG, Urteil vom 12.07.2001 - 1 C 5.01 - BVerwGE 115, 1). Für die Personengruppe, der der Kläger angehört, besteht eine solche politische Abschiebestopp-Anordnung gemäß § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG in Baden-Württemberg derzeit nicht (mehr), seit mit Schreiben des Innenministeriums Baden-Württemberg vom 15.04.2005 (geändert am 01.08.2005, vgl. 21. Fortschreibung vom 23.01.2009, Az.: 4-13-AFG/8) in Umsetzung entsprechender Beschlüsse der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder bezüglich der Rückführung afghanischer Staatsangehöriger entschieden wurde, dass „volljährige, allein stehende männliche afghanische Staatsangehörige, die sich zum Zeitpunkt der Beschlussfassung am 24. Juni 2005 noch keine sechs Jahre im Bundesgebiet aufgehalten haben, mit Vorrang zurückzuführen sind“. Im konkreten Einzelfall greift die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG gleichwohl aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht ein.
20 
1. Die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG greift aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht ein, wenn der Ausländer im Zielstaat landesweit einer extrem zugespitzten allgemeinen Gefahr dergestalt ausgesetzt wäre, dass er „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert“ würde (st. Rspr. des BVerwG, s. Urteile vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324 und vom 19.11.1996 - 1 C 6.95 - BVerwGE 102, 249 zur Vorgängerregelung in § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG und Beschluss vom 14.11.2007 - 10 B 47.07 - juris zu § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Damit sind nicht nur Art und Intensität der drohenden Rechtsgutsverletzungen, sondern auch die Unmittelbarkeit der Gefahr und ihr hoher Wahrscheinlichkeitsgrad angesprochen (vgl. BVerwG, Urteil vom 19.11.1996 - 1 C 9.95 - BVerwGE 102, 249). Das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist im Wege einer Gesamtgefahrenschau zu ermitteln (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23.03.1999 - 9 B 866.98 - juris).
21 
Im Fall einer allgemein schlechten Versorgungslage sind insoweit Besonderheiten zu berücksichtigen. Denn hieraus resultierende Gefährdungen entspringen keinem zielgerichteten Handeln, sondern treffen die Bevölkerung gleichsam schicksalhaft. Sie wirken sich nicht gleichartig und in jeder Hinsicht zwangsläufig aus und setzen sich aus einer Vielzahl verschiedener Risikofaktoren zusammen, denen der Einzelne in ganz unterschiedlicher Weise ausgesetzt ist und denen er gegebenenfalls auch ausweichen kann. Intensität, Konkretheit und zeitliche Nähe der Gefahr können deshalb auch nicht generell, sondern nur unter Berücksichtigung aller Einzelfallumstände beurteilt werden (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 13.11.2002 - A 6 S 967/01 - juris). Um dem Erfordernis des unmittelbaren - zeitlichen - Zusammenhangs zwischen Abschiebung und drohender Rechtsgutverletzung zu entsprechen, kann hinsichtlich einer allgemein schlechten Versorgungslage eine extreme Gefahrensituation zudem nur dann angenommen werden, wenn der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr in sein Heimatland in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien kann. Mit dem Begriff „alsbald“ ist dabei einerseits kein nur in unbestimmter zeitlicher Ferne liegender Termin gemeint (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.04.1998 - 9 C 13.97 - NVwZ 1998, 973). Andererseits setzt die Annahme einer extremen allgemeinen Gefahrenlage nicht voraus, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Ankunft im Abschiebezielstaat, eintreten. Eine extreme Gefahrenlage besteht auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert sein würde (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26.01.1999 - 9 B 617.98 - InfAuslR 1999, 265).
22 
2. Diese Voraussetzungen sind im Fall des Klägers gegeben. Denn er gehört zu der Gruppe der beruflich nicht besonders qualifizierten afghanischen Staatsangehörigen, die in ihrer Heimat ohne Rückhalt und Unterstützung durch Familie oder Bekannte sind und dort weder über Grundbesitz noch über nennenswerte Ersparnisse verfügen. Für diese Personengruppe besteht aufgrund der derzeit katastrophalen Versorgungslage bei einer Abschiebung nach Kabul eine extreme Gefahrensituation im dargelegten Sinne (ebenso: OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 06.05.2008 - 6 A 10749/07 - AuAS 2008, 188).
23 
a) Der Kläger wäre bei einer Abschiebung nach Kabul ohne Rückhalt und Unterstützung durch Familie oder Bekannte. In der mündlichen Verhandlung hat er glaubhaft und überzeugend ausgeführt, dass sein Vater und Bruder getötet worden sind, er in seinem Heimatdorf Tschardehi keine Unterstützung erlangen könnte, seine Mutter den Familienbesitz veräußert sowie mit dem Onkel aus Kabul Afghanistan - wohl schon 2005 - verlassen hat und dass seither kein Kontakt mehr zu irgendwelchen Personen in seiner Heimat besteht. Der Senat ist aufgrund des schlüssigen Vortrags des Klägers zudem überzeugt, dass er in Deutschland bisher keine nennenswerten Ersparnisse machen konnte. Der gesamte Vortrag des Klägers ist widerspruchsfrei und fügt sich stimmig in seine dokumentierten Angaben vor dem Bundesamt bei der Erstanhörung am 22.10.2003. Hinreichende Anhaltspunkte für die Annahme, dass der Kläger die Unwahrheit sagt, ergeben sich für den Senat nicht.
24 
b) Aufgrund der nachfolgend (aa) bis cc)) im Einzelnen dargelegten Erkenntnisse und Wertungen ist der Senat überzeugt, dass der Kläger ohne Ersparnisse, Grundbesitz und Unterstützung durch Familie oder Bekannte bei einer Abschiebung nach Kabul mangels jeglicher Lebensgrundlage unausweichlich dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert wäre. Im Falle der zur Zeit allenfalls nach Kabul tatsächlich möglichen Abschiebung (vgl. AA, Lagebericht vom 03.02.2009, S. 30) müsste er dort mit hoher Wahrscheinlichkeit zunächst mit einem kriminell motivierten Überfall oder einer Entführung rechnen, weil Rückkehrern aus Europa offenbar häufig der Besitz von finanziellen Mitteln unterstellt wird. Da sich die Sicherheitslage auf den Straßen nach und aus Kabul aufgrund der Bürgerkriegssituation schon seit 2007 deutlich verschlechtert hat, wäre dem Kläger ein Ausweichen in andere Landesteile ohne extreme Gefährdung von Leib und Leben nicht möglich; ohnehin verfügt er dort über keine familiäre, tribale oder soziale Vernetzung. In Kabul würde er ohne finanzielle Mittel keinen Wohnraum finden, weil dieser dort knapp und nur zu hohen Preisen erhältlich ist. Der Kläger, der weder eine Schule noch eine Ausbildung durchlaufen hat und nicht über besondere berufliche Qualifikationen verfügt, hätte in Kabul keine Möglichkeit einer legalen Erwerbstätigkeit. Aufgrund der Nahrungsmittelkrise wäre er darauf verwiesen, sich, wenn überhaupt, dauerhaft ausschließlich von Brot und Tee zu ernähren. Dadurch würde er alsbald und unausweichlich in einen fortschreitenden Prozess körperlichen Verfalls mit lebensbedrohlichen Folgen geraten, weil eine hinreichende medizinische Versorgung in Kabul nicht gegeben ist. Der Kläger würde mithin durch eine Abschiebung nach Kabul mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert. Im Einzelnen:
25 
aa) Zur Einschätzung der Gefahren für Leib und Leben eines afghanischen Staatsangehörigen, der aus Europa ohne Vermögen oder (groß-)familiäre Unterstützung nach Afghanistan zurückkehrt, hat das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz in seinem Urteil vom 06.05.2008 - 6 A 10749/07 - (AuAS 2008, 188) unter Auswertung auch vom Senat beigezogener Erkenntnisquellen in einem vergleichbaren Fall ausgeführt:
26 
„aa. Im Falle seiner Abschiebung nach Afghanistan würde der Kläger das zum Leben Notwendige an Nahrungsmitteln nicht aus eigener Kraft sichern können.
27 
(…) Der Kläger würde vielmehr in Kabul mit einem geringen Barbetrag und der „Starthilfe“ des UNHCR, der alle Rückkehrer mit 12 US-Dollar (vgl. Dr. Danesch, Gutachten vom 4. Dezember 2006 an HessVGH und vom 18. Mai 2007 an VG Koblenz; Panhölzl, Humanitäre Lage in Kabul, in: Informationsverbund Asyl e.V., Zur Lage in Afghanistan, 2006, S. 9 ff.) unterstützt, darauf angewiesen sein, sich durch eine kleingewerbliche Tätigkeit oder eine abhängige Beschäftigung den Lebensunterhalt zu verdienen. Das wird ihm mit hoher Wahrscheinlichkeit weder in Kabul noch in einer Provinz gelingen. Der Sachverständige Rieck, der als Senior Advisor für Arbeitsmarktfragen im Auftrag der International Labour Organisation in Afghanistan tätig war, hat in seinem dem Senat erstatteten Gutachten vom 15. Januar 2008 ausgeführt, auf dem afghanischen Arbeitsmarkt sei die Wahrscheinlichkeit gering, dass an- und ungelernte Arbeitskräfte eine auf Dauer angelegte und den Lebensunterhalt sichernde Erwerbsmöglichkeit finden. Selbst wenn einem Rückkehrer berufliche Bildungsangebote unterbreitet würden, erlange er durch solche in der Regel keine am Arbeitsmarkt verwertbaren beruflichen Kenntnisse. Fachkräfte aus Handwerksberufen könnten jedoch häufig in Arbeit vermittelt werden. Die Rekrutierung von Arbeitskräften sei so stark von persönlichen Beziehungen geprägt, dass private und öffentliche Arbeitgeber Medien oder Arbeitsvermittlungsbüros erst dann einschalteten, wenn das persönliche Beziehungsgeflecht bei der Stellenbesetzung nicht zum Erfolg geführt habe. Bestätigt wird diese Einschätzung durch die gutachterliche Stellungnahme vom 31. Januar 2008, die Dr. Glatzer dem Senat gegenüber abgegeben hat. Danach sind für alleinstehende, arbeitsfähige, männliche Afghanen, die unfreiwillig aus Deutschland nach Kabul zurückkehren und dort nicht mit der Hilfe von Verwandten oder Bekannten bei ihrer Wiedereingliederung rechnen können, legale Erwerbsmöglichkeiten – wenn man die Faktoren Zufall oder Glück außer Acht lässt – kaum gegeben, wenn diese Personen nicht über besondere professionelle Qualifikationen verfügen. Die Arbeitsmarktsituation in den Provinzen sei deutlich ungünstiger als in Kabul. Afghanistan leide unter einer Arbeitslosigkeit von ca. 65 v. H. der arbeitsfähigen Bevölkerung, wobei der Bedarf an ungelernten Arbeitern wegen der sich verschlechternden Sicherheitslage eher zurückgehe. Selbst in Boomzeiten gebe es viel mehr Arbeitswillige als Arbeitsplätze, um die hart und rücksichtslos gekämpft werde. Dr. Danesch (Gutachten vom 18. Mai 2007 an VG Koblenz und vom 24. August 2007) spricht von einer Arbeitslosigkeit im Umfang von 70 bis 80 v. H. der afghanischen Männer. Panhölzl (Humanitäre Lage in Kabul, a.a.O. S. 13) referiert eine Studie der Afghanistan Research and Evaluation Unit (AREU) vom April 2006, derzufolge von den befragten armen und armutsgefährdeten Haushalten ein Viertel der Arbeitskräfte maximal 54 Tage im Jahr Zugang zu Arbeit, die Hälfte 131 Tage oder weniger und nur 25 v. H. für 193 und mehr Tage im Jahr eine Arbeitsmöglichkeit hatten. Als Rückkehrer ohne persönliche Bindungen oder Beziehungen und ohne verwertbare berufliche Qualifikation müsste der Kläger der erstgenannten Gruppe zugerechnet werden, also in jeder Woche durchschnittlich für einen Tag eine Aushilfstätigkeit finden, was ihm einen wöchentlichen Durchschnittsverdienst von ca. einem bis zwei US-Dollar verschaffen würde (Dr. Danesch, Gutachten vom 18. Mai 2007 an VG Koblenz und vom 24. August 2007; Panhölzl, Humanitäre Lage in Kabul, a.a.O.). Ein selbständiges Kleingewerbe als Schuhputzer (vgl. Rieck, Gutachten vom 15. Januar 2008) bzw. Karrenzieher oder Straßenverkäufer verspricht keine gegenüber der abhängigen Beschäftigung besseren Erwerbsmöglichkeiten (Panhölzl, Humanitäre Lage in Kabul, a.a.O. S. 13) (…)
28 
Unter diesen wirtschaftlichen Verhältnissen würden dem Kläger ausschließlich Tee und Brot als Nahrungsmittel zur Verfügung stehen. Er würde zu der Hälfte der Bevölkerung Kabuls gehören, die sich - wie dem Schriftsatz der Beklagten vom 26. Februar 2008 im Verfahren 6 A 10230/08.OVG entnommen werden kann, der insoweit auf Erkenntnisse der Hilfsorganisation „Action contre la faim“ Bezug nimmt – nur von Tee und Brot ernähren und dafür den größten Teil ihres Einkommens verwenden muss. Auch das Auswärtige Amt erwähnt in seinem Lagebericht vom 7. März 2008, dass fast ein Viertel aller Haushalte in Afghanistan die Grundversorgung an Nahrungsmitteln nicht selbständig sichern kann. Dem Gutachten Dr. Daneschs vom 18. Mai 2007 (an VG Koblenz) zufolge leiden 8,9 v. H. der Kabuler Bevölkerung unter akuter Unterernährung. Auf seiner Homepage (www.auswaertiges-amt.de) bezeichnet das Auswärtige Amt die Nahrungmittelunsicherheit, chronische Mangelernährung, fehlenden Zugang zu sauberem Trinkwasser und Mangel an medizinischer Versorgung als die humanitären Hauptprobleme Afghanistans; der Anstieg der Weizenpreise im Laufe des Jahres 2007 um durchschnittlich 60 Prozent habe die Versorgungslage der besonders bedürftigen Bevölkerungsschichten wie Flüchtlinge und Binnenvertriebene sowie werdender Mütter und Kinder weiter verschlechtert.
29 
bb. Diese Versorgungssituation wird auch nicht durch Unterstützungsmaßnahmen der afghanischen Regierung oder internationaler Organisationen in wesentlichem Umfang verbessert (vgl. auch HessVGH, 8 UE 1913/06.A., juris; OVG B-B, 12 B 9.05, juris). Staatliche soziale Sicherungssysteme sind nicht vorhanden; vielmehr übernehmen Familien und Stammesverbände die soziale Absicherung (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7. März 2008). Deshalb stoßen nach diesem Lagebericht Rückkehrer, die außerhalb des Familienverbands oder nach einer längeren Abwesenheit im westlich geprägten Ausland zurückkehren, auf größere Schwierigkeiten als Rückkehrer, die in Familienverbänden geflüchtet sind oder in einen solchen zurückkehren, wenn ihnen das notwendige soziale oder familiäre Netzwerk sowie die notwendigen Kenntnisse der örtlichen Verhältnisse fehlen.
30 
Zwar erwähnt der Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7. März 2008, dass die Vereinten Nationen Millionen von Afghanen mit Nahrungsmitteln und Hilfsgütern versorgen und sich die Versorgungslage in Kabul grundsätzlich verbessert habe, schränkt dies aber insoweit ein, als mangels Kaufkraft längst nicht alle Bevölkerungsschichten davon profitierten. Darüber hinaus weist das Auswärtige Amt in diesem Lagebericht auf die Schwierigkeiten humanitärer Nothilfeleistungen infolge schlecht ausgebauter Verkehrswege, widriger Witterungsverhältnisse und wegen Sicherheitsproblemen hin. Dass die Vereinten Nationen Millionen von Afghanen mit Nahrungsmitteln und Hilfsgütern (in einem nicht näher bezeichneten Umfang) versorgen, erklärt sich ohne Weiteres aus der eine solche Verantwortlichkeit begründenden Hilfe, die der UNHCR bei der Rückkehr von ca. vier Millionen Afghanen aus Pakistan und dem Iran geleistet hat und die zu einem guten Teil auf den verstärkten „Rückführungsbemühungen“ der pakistanischen und der iranischen Regierung beruhen (vgl. hierzu Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7. März 2008). Nach der Auskunft, die amnesty international dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof unter dem 17. Januar 2007 erteilt hat, kann die Versorgung der bedürftigen Bevölkerung angesichts der enorm großen Zahl von Rückkehrern und der prekären Sicherheitslage nicht durch Angebote internationaler Hilfsorganisationen aufgefangen werden, zumal viele dieser Organisationen ihre Aktivitäten aufgrund von Sicherheitsbedenken immer stärker einschränken müssten. Dr. Glatzer teilt diese Einschätzung in seinem Gutachten vom 31. Januar 2008. Auch das Auswärtige Amt (Lagebericht vom 7. März 2008) bestätigt, dass sich die Sicherheitslage für Mitarbeiter internationaler Hilfsorganisationen durch regelmäßige Anschläge seit dem Jahr 2006 und durch Entführungen verschlechtert und sich das subjektive Unsicherheitsgefühl in den Reihen der internationalen Gemeinschaft seit dem Anschlag vom 24. Januar 2008 auf das Hotel Kabul Serena erheblich verstärkt habe. Dass internationale Hilfsorganisationen nicht einmal eine notdürftige Nahrungsmittelversorgung der Bevölkerung Kabuls sicherstellen, ist den Gutachten Dr. Daneschs vom 18. Mai 2007 (an VG Koblenz) und vom 24. August 2007 zu entnehmen. Danach gibt es keine Grundversorgung der Flüchtlinge durch internationale Hilfsorganisationen in Kabul. Die Lebensbedingungen der Kabuler hätten sich seit dem Jahre 2001 drastisch verschlechtert. Tag für Tag verhungerten in Kabul Menschen, nach denen in Afghanistan "kein Hahn kräht". Konkrete Zahlen über Todesfälle unter der armen Bevölkerung ließen sich in einem Land, in dem es keine Meldepflicht gebe, nicht erlangen, da sie nicht aktenkundig würden. Außerdem sei unter den afghanischen Verhältnissen die Grenze fließend zwischen regelrechtem Verhungern und Erkrankungen, die aufgrund von Mangelernährung, katastrophaler Hygiene, Kälte bzw. fehlender ärztlicher Behandlung tödlich verliefen. Allein in den drei von der „Action contre la faim“ betreuten Krankenhäusern stürben täglich zwischen fünf und sieben Personen allein wegen Unterernährung, obwohl diese zu den „wenigen Glücklichen“ gehörten, die überhaupt in ein Krankenhaus kämen. Menschen, die Mangelernährung und Krankheiten erlägen, würden ohne viel Umstände verscharrt. Die durch das jahrelange Elend abgestumpfte Bevölkerung nehme solche Todesfälle oft fatalistisch hin.
31 
cc. Auch die Möglichkeiten, eine winterfeste Unterkunft zu erlangen, sind für einen mittellosen Rückkehrer, der nicht auf (groß-)familiäre Hilfe zurückgreifen kann, minimal. Der Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7. März 2008 führt hierzu aus, die Wohnraumversorgung sei unzureichend; Wohnraum sei knapp und die Preise in Kabul seien hoch. Freiwillig zu ihren Angehörigen zurückkehrende Afghanen strapazierten die nur sehr knappen Ressourcen an Wohnraum und Versorgung weiter. Eine zunehmende Zahl von Rückkehrern verfüge zudem nicht mehr über solche Anschlussmöglichkeiten. Bemühungen des Flüchtlingshilfswerks UNHCR und anderer Einrichtungen um die Errichtung von Unterkünften hätten nur geringe Wirkung gehabt. Das afghanische Ministerium für Flüchtlinge und Rückkehrer beabsichtige, Rückkehrer in Neubausiedlungen unterzubringen, von denen ein Großteil für eine dauerhafte Ansiedlung ungeeignet sei, so dass von einem „Aussetzen in der Wüste“ gesprochen werden könne. Nichtregierungsorganisationen leisteten hier humanitäre Hilfe. Von dem „Auffangwohnheim“ auf dem Gelände des Flüchtlingsministeriums, das das Auswärtige Amt in seiner Auskunft vom 29. Mai 2007 an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof erwähnt und in dem Rückkehrer für eine Übergangszeit Unterkunft finden konnten, ist im Lagebericht vom 7. März 2008 nicht (mehr) die Rede.
32 
Dr. Danesch (Gutachten vom 18. Mai 2007 an VG Koblenz und vom 24. August 2007) berichtet, dass ein einfaches Zimmer bis zu 20 US-Dollar im Monat koste. Dafür erhalte man eine Unterkunft in weitab vom Zentrum gelegenen Außenbezirken, wo es oft nicht die geringste Infrastruktur gebe. Erschwinglicher Wohnraum außerhalb der Flüchtlingslager existiere für Rückkehrer nicht.
33 
Nach der Auskunft, die amnesty international dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof unter dem 17. Januar 2007 erteilte, hat der enorme Bevölkerungszuwachs in Kabul einen akuten Mangel an Wohnraum verursacht, so dass sich große Slumviertel gebildet hätten. Viele Menschen lebten in Ruinen. Nach Schätzungen der Caritas verfüge etwa eine Million Menschen in Kabul weder über ausreichenden und winterfesten Wohnraum noch über regelmäßiges Trinkwasser. Die hygienischen Verhältnisse in den Armenvierteln seien katastrophal.
34 
Das Rückkehrerprogramm "Return, Reception and Reintegration of Afghan Nationals to Afghanistan (RANA)" ist nach Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 29. Mai 2007 an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof Ende April 2007 ausgelaufen, so dass auf die Darlegungen von Herrn D…, der während einer Beurlaubung als Beamter der Beklagten im Rahmen des RANA-Programms in Kabul bis zum 22. Mai 2006 tätig war und wegen dieser Tätigkeit von dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg am 24. März 2006 als sachverständiger Zeuge vernommen worden ist, nicht eingegangen werden muss.
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dd. Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass die medizinische Versorgung selbst in Kabul völlig unzureichend ist (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7. März 2008). Amnesty international berichtet dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof unter dem 17. Januar 2007, dass viele Menschen wegen der desolaten Verhältnisse im Gesundheitswesen unter Infektionskrankheiten, Tuberkulose etc. litten. Eine Behandlung sei in der Regel nicht möglich, weil die Gesundheitsversorgung in Afghanistan unzulänglich sei. Während es auf dem Land oft überhaupt keine Versorgung gebe, sei es in Kabul, wo einige Krankenhäuser vorhanden seien, meist nur über Beziehungen oder gegen Bestechung möglich, auch tatsächlich behandelt zu werden. Diese Situation erkläre die geringe Lebenserwartung und eine der weltweit höchsten Kindersterblichkeitsraten. Auch Panhölzl (Humanitäre Lage in Kabul, a.a.O.) referiert, dass die Kosten für einen Arztbesuch fast den Tageslohn eines einfachen Arbeiters – Transportkosten nicht inbegriffen – ausmachen; die Mehrheit der Ärzte in öffentlichen Krankenhäusern betrieben nebenbei private Kliniken und verwiesen die Patienten in diese, was sich die Ärmeren aber nicht leisten könnten.
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ee. Ist mithin davon auszugehen, dass der Kläger im Falle seiner Rückkehr nur eine notdürftige und nicht winterfeste Unterkunft finden würde, nahezu ohne medizinische Versorgung unter hygienisch völlig unzureichenden Verhältnissen leben müsste und darauf verwiesen wäre, sich ausschließlich von Brot und Tee zu ernähren, besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass er durch seine Abschiebung nach Afghanistan zwangsläufig in einen fortschreitenden Prozess körperlichen Verfalls mit lebensbedrohlichen Folgen geraten würde. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus den in sich schlüssigen ernährungsmedizinischen Ausführungen der Sachverständigen Dr. med. T.. Danach führt eine erzwungene Mangelernährung, die aus Brot und Tee besteht, selbst bei ausreichender Kalorienzufuhr, d.h. einer Menge von 1.000g bis 1.500g Weißbrot pro Tag, zu einem verstärkten Abbau von Eiweiß und Fett und insbesondere zu einem Eisenmangel. Die dadurch bedingte Beeinträchtigung der Sauerstoffversorgung habe erhebliche Auswirkungen auf das Gehirn und das Herz und schwäche die Körperimmunabwehr. Dies wiederum könne zu Organschäden am Herzen bis hin zum Herzinfarkt führen. Die Schwächung der Immunabwehr führe in der Regel spätestens nach sechs Monaten zum Ausbruch der Eisenmangelanämie. Die genannten Symptome träten unter den in Afghanistan herrschenden Lebensbedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit noch früher ein, zumal bei einem Rückkehrer nach einem fünf Jahre langen Aufenthalt in Deutschland wegen der erheblichen Klimaumstellungen mit schwerwiegenden Infektionen der Atmungs- und Verdauungsorgane bis hin zur Tuberkulose gerechnet werden müsse. Unter den im Winter in Afghanistan gegebenen Klimabedingungen bestehe die Gefahr von Lungeninfekten. Sie könnten insbesondere dann zum Tod führen, wenn der Organismus bereits zuvor durch Eisenmangel und andere Infekte geschwächt sei. Bei einer Rückkehr nach Kabul im Sommer sei mit Darminfektionen zu rechnen. Unter diesen Umständen könnten bis zu zwei Durchfallerkrankungen möglicherweise ohne große Schäden überwunden werden. Ab der dritten entsprechenden Erkrankung müsse dann aber mit lebensbedrohlichen Entwicklungen gerechnet werden. Eine Anpassung des Körpers im Sinne einer zunehmenden Immunität sei in diesen Fällen ausgeschlossen. Insbesondere im Sommer komme es darüber hinaus auch durch das Trinken von nicht abgekochtem Wasser zu gesundheitlichen Schäden.
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Aus diesen sachverständigen Ausführungen ergibt sich, dass vergleichsweise junge Männer, die in gutem Ernährungs- und Gesundheitszustand aus Europa nach Kabul zurückkehren, nicht etwa über körperliche „Reserven“ verfügen, die ihnen ein Überleben auf längere Sicht erleichtern. Vielmehr erweist sich die über mehrere Jahre vollzogene Anpassung an die in Europa herrschenden klimatischen und hygienischen Bedingungen als Nachteil beispielsweise gegenüber afghanischen Rückkehrern aus Pakistan oder dem Iran. Insbesondere die dadurch erhöhte Infektanfälligkeit wird in Verbindung mit dem ernährungsbedingten Eisenmangel zu schwerwiegenden Infektionen der Atmungs- und Verdauungsorgane führen und mit hoher Wahrscheinlichkeit einen fortschreitenden Prozess körperlichen Verfalls mit lebensbedrohlichen Folgen auslösen.
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Diese schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen reichen aus, um eine zwangsweise Rückkehr als unzumutbar erscheinen zu lassen, auch wenn sehr viele Afghanen in der beschriebenen Weise unterhalb des Existenzminimums „dahinvegetieren“ und keine Berichte über eine Hungersnot in Kabul vorliegen, wie das Sächsische Oberverwaltungsgericht (A 1 B 58/06, AuAS 2007, 5, juris) bemerkt. Gerade den bereits zitierten Ausführungen Dr. Daneschs vom 18. Mai 2007 (an VG Koblenz) und vom 24. August 2007 ist zu entnehmen, aus welchen Gründen sich Angaben über diese Zustände einer „weiteren Präzisierung“, die das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen (20 A 5164/04.A, juris) vermisst, entziehen und über Hungertote oder an den Folgeerkrankungen der chronischen Mangelernährung Verstorbene nicht im Einzelnen berichtet wird. Im Übrigen beruhen die Entscheidungen des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts (A 1 B 58/06, AuAS 2007, 5, juris) und des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (20 A 5164/04.A, juris) wesentlich auf den wegen des inzwischen ausgelaufenen RANA-Programms nicht mehr aktuellen Bekundungen des Herrn D.. Zwar geht auch der Hessische Verwaltungsgerichtshof (8 UE 1913/06.A, juris) davon aus, dass ein junger, allein stehender Afghane ohne nennenswertes Vermögen und ohne abgeschlossene Berufsausbildung wahrscheinlich in der Lage wäre, durch Gelegenheitsarbeiten wenigstens ein kümmerliches Einkommen zu erzielen, damit ein Leben am Rande des Existenzminimums zu finanzieren und sich allmählich wieder in die afghanische Gesellschaft zu integrieren; er räumt aber ein, manche von den Gutachtern mitgeteilte Details sprächen auch für die gegenteilige Schlussfolgerung. Soweit das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (12 B 9.05, juris) für männliche Flüchtlinge mittleren Alters im Falle der Rückkehr nach Afghanistan in der Regel keine extremen allgemeinen Gefahren sieht, lagen der Entscheidung tatsächliche Besonderheiten in der Person des Klägers zugrunde, der aus einer wohlhabenden Familie mit einflussreichen Kontakten auch in Kabul stammte (…). Ebenso wenig vergleichbar sind die Entscheidungen anderer Oberverwaltungsgerichte (OVG S-H, 2 LB 38/07, juris; OVG B-B, 12 B 11.05, juris), deren abweichende Einschätzung der Gefährdungslage darauf beruht, dass die um Abschiebungsschutz nachsuchenden afghanischen Staatsangehörigen in ein (groß-)familiäres Umfeld zurückkehren konnten.“
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Dieser überzeugenden Einschätzung schließt sich der Senat an. Die seit Ergehen dieses Urteils eingegangenen weiteren Erkenntnismittel belegen die Richtigkeit dieser Einschätzung und zeigen zudem eine weitere Verschärfung der Situation auf.
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bb) Seit Mai 2008 hat sich die Versorgungssituation für Rückkehrer aus Europa ohne Vermögen oder (groß-)familiären Rückhalt in Afghanistan weiter verschlechtert. Auch wenn die Lage in einzelnen Provinzen und Distrikten erhebliche Unterschiede aufweist (Wegweiser zur Geschichte - Afghanistan, 2009 S. 9), befindet sich das Land insgesamt gesehen in einer "Abwärtsspirale" (FAZ vom 07.02.2009). US-Geheimdienste zeichnen ein „äußerst düsteres Bild“ (SZ vom 10.10.2008). Versorgungsengpässe sind an der Tagesordnung, und dies nicht nur in abgelegenen Gebieten oder den Elendsvierteln von Kabul. Die Einwohnerzahl Kabuls explodierte auch aufgrund von Landflucht sowie der massenhaften Rückkehr von Flüchtlingen in den letzten Jahren von circa einer auf nunmehr weit über drei Millionen Menschen (Wegweiser zur Geschichte - Afghanistan, 2009 S. 224). Im neuesten Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 03.02.2009 heißt es, Afghanistan durchlebe insbesondere eine Nahrungsmittelkrise. Das Land gelte zwischenzeitlich in Asien als das ärmste. Die Lebensbedingungen seien landesweit schlecht. Seit dem Winter 2007/08 habe sich die Lage mit den weltweit steigenden Nahrungsmittelpreisen, verbunden mit Exportbeschränkungen der Nachbarländer für Weizen und einer Dürre in einigen Landesteilen, noch einmal erheblich verschärft. Eine weitere Verschlechterung im Winter 2008/09 und in der folgenden „mageren Jahreszeit“ im ersten Halbjahr 2009 sei wahrscheinlich. Besonders problematisch sei die Lage in den ländlichen Gebieten, deren Versorgung oftmals sehr schwierig, im Winter überhaupt nicht möglich sei. Aber auch in Kabul und zunehmend in anderen großen Städten sei die Lage nicht wesentlich besser. Wegen sinkender oder ganz fehlender Kaufkraft profitiere von einer seit 2001 zwar grundsätzlich verbesserten Versorgungslage derzeit allenfalls eine kleine Bevölkerungsschicht. Angemessener Wohnraum sei knapp und nur zu hohen Preisen erhältlich. Selbst Kabul habe keine geregelte Stromversorgung. Staatliche soziale Sicherungssysteme seien weiterhin praktisch nicht vorhanden; Korruption sei weit verbreitet, der Verwaltungsapparat sei hoch ineffizient. Die medizinische Versorgung sei immer noch unzureichend. Selbst die Ansiedlung organisiert zurückgeführter Flüchtlinge in vorgesehene „townships“ erfolge etwa wegen fehlender Wasserversorgung und abseitiger Lage unter „schwierigen Rahmenbedingungen“ und gleiche, trotz humanitärer Hilfe von Nichtregierungsorganisationen, teilweise weiterhin einem „Aussetzen in der Wüste“. Der Zugang zu Arbeit, Wasser bzw. Grundversorgung sei häufig nur sehr eingeschränkt möglich. Ohne familiäre oder soziale Netzwerke und ohne notwendige Kenntnisse der örtlichen Verhältnisse würden Rückkehrer „auf größere Schwierigkeiten“ stoßen. Sie könnten zudem auf übersteigerte Erwartungen ihrer finanziellen Möglichkeiten treffen und mit überhöhten Preisen konfrontiert werden. Von den im Land gebliebenen Landsleuten würden Rückkehrer im Übrigen häufig nicht als vollwertige Afghanen akzeptiert. Hinzu komme, dass die Gefährdung des Einzelnen, zu einem Opfer von Gewalt zu werden, im ganzen Land gegeben sei. Die afghanische Nationalpolizei werde ihrer Aufgabe bei der Durchsetzung von Recht und Gesetz nicht gerecht und gelte wegen Korruption und niedrigem Ausbildungsstand an vielen Orten selbst als Unsicherheitsfaktor. Von der sich verschlechternden Sicherheitslage seien inzwischen fast alle Landesteile betroffen. Auch die Gefahr, Opfer der deutlich zugenommenen Entführungen zwecks Erpressung von Lösegeld zu werden, treffe Rückkehrer, wenn ihnen ausreichende finanzielle Mittel für einen Freikauf unterstellt würden. Ob sich eine Person diesen Gefahren entziehen könne, hänge maßgeblich von dem Grad ihrer familiären, tribalen und sozialen Vernetzung ab.
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Weitere aktuelle Erkenntnisquellen geben kein besseres Bild von der in der Gesamtschau für Rückkehrer ohne Vermögen oder (groß-)familiären Rückhalt katastrophalen Lage: Gemeinhin wird davon ausgegangen, dass die Situation 2009 noch schlechter werde; „so viel Pessimismus war nie“ (Der Spiegel vom 13.10.2008). Die Schere zwischen Reich und Arm klafft immer weiter auseinander. Einerseits lassen sich Drogenbarone und Warlords in Kabul „protzige Villen“ bauen. Andererseits leben immer mehr Menschen in nicht winterfesten Unterkünften, oftmals Ruinen (SFH vom 21.08.2008 u. 26.02.2009), und es müssen nach einer repräsentativen Erhebung von ARD, ABC und BBC zwischenzeitlich über die Hälfte aller Haushalte (54 %) mit weniger als umgerechnet 100 Dollar (ca. 78 EUR) im Monat auskommen. Gerade noch rund ein Drittel der afghanischen Bevölkerung (37 %) gibt an, sich notwendige Lebensmittel leisten zu können. Und nur noch 31 % der Bevölkerung ist in der Lage, den Preis für Heizöl zu bezahlen (dpa-News vom 09.02.2009). Alles sei dramatisch teurer geworden, vor allem Lebensmittel, Brennholz, Benzin, Gas und Baumaterialien (SZ vom 24.10.2008); insbesondere die Lebensmittelpreise sind zwischen Februar 2008 und Februar 2009 um bis zu 130 % gestiegen (SFH vom 26.02.2009) Nach UN-Angaben müssen heute 42 % der Afghanen von weniger als einem Dollar am Tag leben (ai-Pressespiegel 2/2009, S. 46). Die Arbeitslosenrate liege zwischen 32 und 60 Prozent; ein Großteil der arbeitenden Bevölkerung versuche, sich als Tagelöhner zu verdingen (SFH vom 26.02.2009). Überall könne man Armut sehen, etwa Leute, die sich „nur von Wasser, Brot und ein bisschen Tomatenpüree oder allenfalls mal von einem Teller Reis“ ernähren (SZ vom 24.10.2008). Für die große Mehrheit der Afghanen würden Armut, Krankheit, Dürreperioden und interne Konflikte noch größere Bedrohungen darstellen als das Risiko, durch kriegerische oder terroristische Attacken verletzt oder getötet zu werden. Die Richtigkeit dieser Einschätzung illustrieren auch Indikatoren zum Gesundheitszustand der Bevölkerung: So stirbt heute in Afghanistan durchschnittlich alle 30 Minuten eine Frau aufgrund von Komplikationen während Schwangerschaft oder Geburt. Die Hälfte der Kinder bis zum Alter von fünf Jahren gelten als chronisch unterernährt. Lediglich zwei von zehn ländlichen Haushalten verfügen über sauberes Trinkwasser, was wiederum dazu führt, dass 85.000 Kinder im Alter unter fünf Jahren jährlich an den Folgen von Magen- und Darmerkrankungen sterben. Jedenfalls für die Mehrheit der auf dem Land lebenden Afghanen gibt es weder eine medizinische Grundversorgung noch Ernährungssicherheit (Wegweiser zur Geschichte - Afghanistan, 2009 S. 105 f.). Die Lebenserwartung der afghanischen Bevölkerung gehört heute mit 42 Jahren zu den geringsten der Welt (SFH vom 26.02.2009). Zudem verläuft der Wiederaufbau offenbar überall schleppend. Die Korruption habe „atemberaubende Ausmaße“ angenommen. Einer der wenigen funktionierenden Erwerbszweige sei die Drogenökonomie. Afghanistan hat zwischenzeitlich beinahe ein weltweites Monopol für Schlafmohn, aus dem Heroin gewonnen wird (dpa-News vom 29.01.2009). Mit den Erlösen aus Schlafmohnanbau und Drogenhandel füllen nicht nur, aber vor allem die Taliban ihre Kriegskasse (dpa-News vom 13.02.2009). Jeder zehnte Afghane baut nach UN-Berichten oftmals notgedrungen Schlafmohn an; das entspricht rund 2,5 Millionen Menschen. Hinzu kommen noch diejenigen, die Drogen schmuggeln, veredeln und weiterverkaufen. Niemand wage, ihre Zahl zu schätzen. Den Wert ihrer Früchte dagegen schon: Allein die 7,7 Tonnen Rohopium, die 2008 in Afghanistan geerntet wurden (93 % der Weltopiumsproduktion), haben einen Marktwert von 3,5 Milliarden Dollar. Ein Kilo Heroin hat derzeit in Afghanistan den Gegenwert von 30 Maschinengewehren. Täglich starten aus Girdi Jungal und Baramcha schwer bewachte Konvois mit mehreren Hundert Kilo Heroin an Bord Richtung Iran. An der Grenze zu Pakistan wurden Labore zur Veredelung des Rohopiums von fabrikartigen Ausmaßen errichtet, in denen mehrere Hundert Menschen arbeiten sollen. Rund 90% der Ernte wird inzwischen in Afghanistan selbst zu Heroin und Morphiumprodukten verarbeitet (Wegweiser zur Geschichte - Afghanistan, 2009 S. 231). Ein US-Militär brachte die Verbindung zwischen Taliban-Renaissance und Drogenschmuggel lakonisch auf den Punkt: "Drogen raus, Waffen rein." Hochrangige Regierungsvertreter und sogar der Bruder von Präsident Karzai sollen sich nach Ansicht des Weißen Hauses an Drogengeschäften beteiligen (ZEIT-online vom 04.02.2009), weshalb die Bevölkerung Drogenbekämpfungsmaßnahmen als Ausdruck von Doppelmoral ansieht. Vernichtungskampagnen würden vor allem jenen verarmten Bevölkerungsteil treffen, der existenziell auf den Schlafmohnanbau angewiesen sei. Die Nato-Truppen haben dennoch beschlossen, nunmehr aktiv die Drogenproduktion zu bekämpfen; ein durchgreifender Erfolg dieser Aktionen erscheint jedoch außerordentlich fraglich (taz vom 13.10.2008). Die Schwierigkeiten Afghanistans dürften zudem kaum trennbar mit denen Pakistans verbunden sein. Die Problemzone Afghanistan besteht gewissermaßen aus einem Rumpfstaat um Kabul, dessen Aufbau nicht vorankommt, während bei seinem atomar bewaffneten Nachbarn „ein beängstigender Staatszerfall“ stattfindet. Die in der Regierung von Präsident Karzai wütende Korruption habe den Zusammenbruch zentraler Autorität ebenso beschleunigt wie die wachsende Gewalt durch Militante aus Zufluchtsorten in Pakistan (netzwerk-afghanistan.info vom 09.10.2008). Die pakistanische Regierung verliere immer mehr den Zugriff auf ihre nordwestliche Grenzregion. Islamabad hat nun verkündet, man werde dort ein System islamischer Gerichtsbarkeit im Gegenzug für einen Waffenstillstand mit den Taliban akzeptieren (Die Zeit vom 19.02.2009).
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cc) Die ohnehin katastrophale Versorgungssituation in Afghanistan wird zudem durch die inzwischen landesweit schwierige Sicherheitslage verschärft. Die Kämpfe zwischen verschiedenen bewaffneten Gruppen haben tausende Familien gezwungen, in größeren Städten Schutz zu suchen. Zehntausende intern Vertriebene leben in Slums rund um Kabul und Herat. UNHCR schätzte im Januar 2009, dass ca. 235.000 Menschen neu vertrieben wurden (SFH vom 11.03.2009). Auch die Versorgung der ländlichen Gebiete mit Hilfsgütern ist aufgrund der schwierigen Sicherheitslage nur noch eingeschränkt möglich. Die Kosten für eine LKW-Fuhre mit Hilfsgütern von Kabul nach Kandahar etwa haben sich wegen der „Gefahrenzulagen“ von 1.800 Dollar im Frühjahr 2008 auf nunmehr fast 18.000 US-Dollar verzehnfacht (Der Spiegel vom 13.10.2008). Afghanistan ist heute eines der am stärksten verminten Länder der Welt (SFH vom 21.08.2008). Für die internationalen Truppen war 2008 das verlustreichste Jahr seit dem Sturz des Taliban-Regimes Ende 2001. Allein in den ersten acht Monaten des Jahres 2008 hat der Konflikt am Hindukusch nach UN-Angaben mehr als 4.000 Menschen das Leben gekostet, über ein Drittel davon Zivilisten; andere Schätzungen gehen von über 2000 getöteten Zivilisten im letzten Jahr aus (FAZ vom 18.02.2009). Deutschen Soldaten ist es in Kabul verboten, sich zu Fuß oder mit ungepanzerten Fahrzeugen zu bewegen; vom Elend der Flüchtlinge bekommen sie kaum etwas mit (SZ vom 02.09.2008). An eine rein militärische Konfliktlösung glaubt inzwischen offenbar niemand mehr. Präsident Karzai hat den Taliban wiederholt Verhandlungen angeboten, die jedoch abgelehnt wurden, solange ausländische Truppen im Land sind (FR vom 27.02.2009). Im Süden, Osten und Westen konnten die Taliban immer näher an Kabul heranrücken. Sie seien bereits auf 72 % des afghanischen Territoriums „dauerhaft präsent“ (dpa-News vom 10.10.2008). US-Präsident Obama’s angekündigte Offensive und Truppenaufstockungen um mindestens 17.000 weitere Soldaten (Die Welt vom 19.02.2009) bedeuteten noch mehr Kämpfe und Gewalt, denn die Aufständischen seien mächtig wie nie (BNN vom 17.12.2008; FAZ vom 22.12.2008). Aber nicht nur die Taliban, auch kriminelle Banden machen das Land und selbst die Hauptstadt Kabul unsicher (dpa-News vom 29.01.2009). Hinzu kommt, dass die Grenzen zwischen organisierter Kriminalität, ehemaligen Warlords, die ihre Einflussbereiche nun als Gouverneure oder Distriktchefs sichern, bis hin zu Gruppierungen der Taliban oder anderen militanten Kräften fließend verlaufen (Wegweiser zur Geschichte - Afghanistan, 2009 S. 10). Kabul, jahrelang als „letzte sichere Insel im von Gewalt zerrütteten Land am Hindukusch“ bezeichnet, erscheint im Frühjahr 2009 „alles andere als sicher“ (Der Spiegel vom 25.01.2009). Die Zahl der registrierten Bombenanschläge (ca. 2.000) und Entführungen (ca. 300) hat sich laut US-Angaben 2008 etwa verdoppelt (taz vom 30.12.2008). Zudem habe sich zwischenzeitlich eine Art „Entführungsindustrie“ entwickelt, die jeden treffen könne (SZ vom 24.10.2008). Auch das Auswärtige Amt warnt deshalb dringend vor Reisen nach Kabul und Afghanistan. Das Risiko, Opfer einer Entführung zu werden, bestehe landesweit. Auch in der Hauptstadt Kabul könnten Überfälle und Entführungen nicht ausgeschlossen werden; im übrigen Land bestünden teilweise noch deutlich höhere Sicherheitsrisiken. Wer sich dennoch nach Afghanistan begebe, müsse sich der Gefährdung durch terroristisch oder kriminell motivierte Gewaltakte bewusst sein. Trotz Präsenz der Internationalen Schutztruppe ISAF komme es überall zu Attentaten. Die Sicherheitskräfte der Regierung seien nicht in der Lage, Ruhe und Ordnung zu gewährleisten. Zudem sei die medizinische Versorgung, insbesondere die stationäre Behandlungsmöglichkeit, völlig unzureichend und in etlichen Landesteilen nahezu nicht existent bzw. nicht nutzbar (www.auswaertiges-amt.de; Zugriff vom 16.03.2009).
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In einer Gesamtgefahrenschau muss vor diesem Hintergrund im konkreten Einzelfall des Klägers eine extreme Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bejaht werden.
III.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO und § 83 b AsylVfG. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein gesetzlicher Zulassungsgrund vorliegt (§ 132 Abs. 2 VwGO).

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 23. Januar 2008 - A 11 K 521/06 - geändert. Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des gesamten - gerichtskostenfreien - Verfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger, ein am … 1969 in Kabul geborener lediger und kinderloser afghanischer Staatsangehöriger sunnitischen Glaubens vom Volk der Tadschiken, reiste am 20.05.2002 auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 23.05.2002 stellte er einen Asylantrag mit der Begründung, seine gesamte Familie sei Opfer des Krieges geworden. Seine Eltern, zwei Schwestern und drei Brüder seien bei einem Bombenangriff auf das Elternhaus ums Leben gekommen. Er sei zu diesem Zeitpunkt zufällig bei den Schwiegereltern seines Bruders gewesen. Als er zurückgekommen sei, habe man drei Tage lang nach den Leichen suchen müssen. Während der 40-tägigen Trauerzeit sei er bei einem Onkel geblieben. Bei diesem Onkel, dem einzigen in Afghanistan verbliebenen Familienangehörigen, habe er aber nicht bleiben können. Er habe große psychische Probleme bekommen; mit seiner Erinnerung habe er nicht mehr in Afghanistan leben können. Er sei dann über Jalalabad zu einem Cousin nach Islamabad gegangen. Dort habe er sich fünf Wochen aufgehalten und sei schließlich mit dem Flugzeug nach Frankfurt/Main geflogen. Eine Tante und ein anderer Cousin lebten seit langem in Heidelberg; zu diesen Familienangehörigen sei er gegangen.
Die Beklagte lehnte den Asylantrag des Klägers mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (heute: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt -) vom 05.11.2003 ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 des Ausländergesetzes - AuslG - nicht vorliegen sowie auch Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht gegeben sind und drohte ihm die Abschiebung nach Afghanistan an. Die hiergegen beim Verwaltungsgericht Karlsruhe erhobene Klage nahm der Kläger nach Hinweis des Gerichts zurück, dass aufgrund des Erlasses des Innenministeriums Baden-Württemberg vom 29.07.2004 ein hinreichender Abschiebungsschutz gegeben sei (A 10 K 12733/03).
Unter Berufung auf die erforderliche ärztliche Behandlung seiner Depression, die in Afghanistan nicht gewährleistet sei, stellte der Kläger am 02.03.2006 ein Folgeschutzgesuch insbesondere hinsichtlich eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 des Aufenthaltsgesetzes (- AufenthG -). Mit Bescheid vom 27.03.2006 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Abänderung des Bescheids vom 05.11.2003 bezüglich der Feststellung zu § 53 Abs. 1 bis 6 AuslG ab. Die vorgelegten Atteste würden keine Änderung der Sachlage nachweisen. In Kabul und anderen großen Städten Afghanistans könnten psychotherapeutische Behandlungen durchgeführt werden. Auch seien in Kabul Antidepressiva im erforderlichen Umfang erhältlich.
Am 11.04.2006 hat der Kläger unter Berufung auf seine Erkrankung beim Verwaltungsgericht Karlsruhe Klage erhoben und beantragt, die Beklagte zu der Feststellung zu verpflichten, dass ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in Bezug auf Afghanistan vorliegt. Seine Erkrankung habe sich durch die Behandlung in Deutschland zunächst gebessert. In Afghanistan erscheine eine adäquate weitere Behandlung ausgeschlossen, was fachärztliche Atteste bestätigten. In der mündlichen Verhandlung hat er am 23.01.2008 ergänzt, dass seine psychische Situation zwischenzeitlich wieder schlechter geworden sei. Der Onkel in Afghanistan sei schon vor eineinhalb Jahren verstorben. In Afghanistan habe und kenne er heute niemanden mehr. Er habe keinerlei Kontakte in seine Heimat.
Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte unter Aufhebung des Bundesamtsbescheids vom 27.03.2006 zur Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG verpflichtet. Zur Begründung des Urteils vom 23.01.2008 - A 11 K 521/06 - hat es im Wesentlichen ausgeführt, wegen der in Afghanistan bestehenden unzureichenden Versorgungslage bestehe für den Kläger eine extreme Gefahrenlage. Da er in Afghanistan nicht auf die Hilfe von Familienangehörigen zurückgreifen könne, müsse davon ausgegangen werden, dass er dort über keine hinreichenden finanziellen Mittel zur Existenzsicherung verfüge. Aufgrund der schwerwiegenden Depression sei seine Leistungsfähigkeit reduziert, was die Möglichkeit schmälere, sich in seiner Heimat eine Lebensgrundlage zu schaffen. Auch könne nicht davon ausgegangen werden, dass die im Ausland lebenden Familienangehörigen den Kläger über einen längeren Zeitraum hinweg hinreichend finanziell unterstützen würden. Bei einer Berücksichtigung dieser Gesamtsituation müsse davon ausgegangen werden, dass der Kläger bei einer Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert werde.
Mit ihrer vom erkennenden Gerichtshof mit Beschluss vom 03.03.2008 - A 8 S 545/08 - zugelassenen Berufung macht die Beklagte geltend, eine extreme Gefahrenlage könne jedenfalls für alleinstehende arbeitsfähige männliche afghanische Rückkehrer nicht angenommen werden. Die Versorgungslage in Kabul sei für diese Personengruppe nicht derart schlecht, dass von der Gefahr schwerster Verletzungen oder dem sicheren Tod ausgegangen werden könne. In der ersten Berufungsverhandlung vom 16.09.2009 hat der Vertreter der Beklagten klargestellt, der angegriffene Bescheid vom 27.03.2006 sei so zu verstehen, dass das Bundesamt das Verfahren in Bezug auf ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG von Amts wegen wiederaufgegriffen und zur Sache entschieden habe. Der Kläger führte im Rahmen der informatorischen Anhörung aus, er habe keinerlei Kontakte mehr nach Afghanistan und besitze dort auch kein Land. Auch in Kabul kenne er heute niemanden mehr. In Deutschland arbeite er Teilzeit in einem Restaurant und verdiene im Monat ca. 360 EUR netto. Über Ersparnisse verfüge er nicht.
Mit Urteil vom 16.09.2009 - A 11 S 654/08 - hat der Senat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Aufgrund der katastrophalen Versorgungslage bestehe für den Kläger in Bezug auf Afghanistan ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Mit Urteil vom 08.09.2011 - 10 C 20.10 - hat das Bundesverwaltungsgericht das Urteil des Senats vom 16.09.2009 aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen. Mit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2007 sei der unionsrechtlich begründete Abschiebungsschutz im gerichtlichen Verfahren insbesondere aufgrund der Konzentrations- und Beschleunigungsmaxime angewachsen. Der Senat hätte diesen für die Beteiligten nicht disponiblen Streitgegenstand nicht ungeprüft lassen dürfen. Zudem sei die Entscheidung zur extremen Gefahrenlage im Rahmen des nachrangigen nationalen Abschiebungsschutzes auf eine zu schmale Tatsachengrundlage gestützt. Das Urteil ging dem Senat am 28.11.2011 zu.
Die Beklagte trägt ergänzend vor, im Falle des Klägers greife kein unionsrechtlicher Abschiebungsschutz. Für eine Feststellung gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG fehle es in Kabul an einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt. Auch eine extreme Gefahrenlage gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG könne nicht bejaht werden. Der Kläger könne gegebenenfalls auf die Unterstützung seiner im Ausland lebenden Verwandten zählen. Mittlerweile seien in Afghanistan an 17 verschiedenen Banken Geldüberweisungen möglich.
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Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 23. Januar 2008 - A 11 K 521/06 - zu ändern und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Er ergänzt im Wesentlichen, es herrsche in ganz Afghanistan ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Hervorzuheben seien die zahlreichen Anschläge in Kabul. Bei einer Rückkehr in seine Heimat wäre er den dortigen Risiken schutzlos ausgeliefert. Er sei seit nunmehr fast 10 Jahren nicht mehr in Kabul gewesen, das sich vollständig verändert habe. Auch verfüge er in seiner Heimat über keinen Rückhalt durch Familienangehörige. Deshalb läge nach wie vor eine extreme Gefahrenlage im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor, auch nachdem 2011 ein Jahr der Dürre gewesen sei. Der Kläger sei mit 43 Jahren im heutigen Afghanistan durchaus schon im vorgerückten Alter, d.h. kein junger kräftiger Mann mehr. Schließlich könne die derzeit eingegrenzte psychische Erkrankung wieder aufbrechen.
15 
Der Senat hat den Kläger in der zweiten Berufungsverhandlung am 06.03.2012 erneut informatorisch angehört. Dabei verwies der Kläger insbesondere auf die schlechte Situation und Perspektive in Kabul und die dortige hohe Arbeitslosigkeit, betonte sein für afghanische Verhältnisse vorgerücktes Alter und die dort fehlenden Unterstützungsmöglichkeiten durch einen Familienverband sowie die zahlreichen Anschläge in Kabul. Im Übrigen habe der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Abschiebung sogar nach Griechenland für menschenrechtswidrig erachtet, was dann erst recht hinsichtlich Afghanistans gelten müsse.
16 
Die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes ergeben sich aus den Gerichtsakten sowie den Verfahrensakten des Bundesamts. Dem Senat liegen des Weiteren die Akte des Verwaltungsgerichts Karlsruhe in dem Verfahren A 11 K 521/06, die Akten des Bundesverwaltungsgerichts in dem Verfahren 10 C 20.10 sowie die Erkenntnisquellen, die den Beteiligten mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung bzw. in der mündlichen Verhandlung mitgeteilt worden sind, vor. Die beigezogenen Akten und Erkenntnisquellen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

 
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Die zulässige, insbesondere rechtzeitig unter Stellung eines Antrags und unter Bezugnahme auf die ausführliche Begründung des Zulassungsantrags begründete Berufung (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 - NVwZ 2006, 1420 m.w.N.) der Beklagten hat Erfolg. Der Senat geht nunmehr davon aus, dass der Kläger die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (- Aufenthaltsgesetz -) in der Fassung der Änderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der EU vom 19.08.2007 (- 1. Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 28.08.2007, BGBl I 1970) sowie das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der EU und zur Anpassung nationaler Rechtvorschriften an den EU-Visakodex vom 22.11.2011 (- 2. Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 26.11.2011, BGBl I 2258) nicht mehr beanspruchen kann. Dem Kläger steht in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) weder ein unionsrechtlich begründeter noch ein nationaler Abschiebungsschutz zu.
I.
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Gegenstand des Berufungsverfahrens ist im vorliegenden Übergangsfall zunächst das - angewachsene und für die Beteiligten nicht disponible - Verpflichtungsbegehren des Klägers auf Gewährung subsidiären unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG (entsprechend den Voraussetzungen für den subsidiären Schutz in Art. 15 der sog. Qualifikations-Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes; ABlEU Nr. L 304 S. 12; ber. ABlEU vom 05.08.2005 Nr. L 204 S. 24, neugefasst mit Umsetzungsfrist bis 21.12.2013 als Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011, ABlEU vom 20.12.2011 Nr. L 337 S. 9; - QRL -). Nur hilfsweise ist Gegenstand des Berufungsverfahrens der nationale Abschiebungsschutz, d.h. die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung (BVerwG, Urteil vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - juris Rn. 11). Sowohl der (weitergehende) unionsrechtlich begründete Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG als auch der nationale Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 und 3 AufenthG bilden jeweils einen einheitlichen, in sich nicht weiter teilbaren Streitgegenstand (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 11). In dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der erneuten mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) besteht zu Gunsten des Klägers hinsichtlich Afghanistans weder ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG noch nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung.
II.
19 
Unionsrechtlich begründeter Abschiebungsschutz ist im Falle des Klägers derzeit nicht gegeben.
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1. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG ist nicht erkennbar.
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a) Nach dieser Norm darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Unter „Folter“ ist in Anlehnung an die Definition von Art. 1 des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (BGBl. 1990 II S. 247, BGBl. 1993 II S. 715) eine Behandlung zu verstehen, die einer Person vorsätzlich schwere Schmerzen oder Leiden körperlicher oder geistig-seelischer Art zufügt, um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erzwingen, sie oder einen Dritten zu bestrafen, einzuschüchtern oder zu nötigen oder mit diskriminierender Absicht zu verfolgen. Wann eine „unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung“ vorliegt, hängt nach der insoweit vor allem maßgebenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom Einzelfall ab. Eine Schlechtbehandlung einschließlich Bestrafung muss jedenfalls ein Minimum an Schwere erreichen, um in den mit § 60 Abs. 2 AufenthG und Art. 15 lit. b QRL insoweit identischen Schutzbereich von Art. 3 EMRK zu fallen. Die Bewertung dieses Minimums ist nach Natur der Sache relativ. Kriterien hierfür sind abzuleiten aus allen Umständen des Einzelfalles, wie etwa der Art der Behandlung oder Bestrafung und dem Zusammenhang, in dem sie erfolgte, der Art und Weise ihrer Vollstreckung, ihrer zeitlichen Dauer, ihrer physischen und geistigen Wirkungen, sowie gegebenenfalls abgestellt auf Geschlecht, Alter bzw. Gesundheitszustand des Opfers. Abstrakt formuliert sind unter einer menschenrechtswidrigen Schlechtbehandlung Maßnahmen zu verstehen, mit denen unter Missachtung der Menschenwürde absichtlich schwere psychische oder physische Leiden zugefügt werden und mit denen nach Art und Ausmaß besonders schwer und krass gegen Menschenrechte verstoßen wird (Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 34 f., m.w.N.). Im Rahmen der Prüfung, ob eine konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung besteht, ist der asylrechtliche Prognosemaßstab der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ anzulegen, wobei allerdings das Element der Konkretheit der Gefahr das zusätzliche Erfordernis einer einzelfallbezogenen, individuell bestimmten und erheblichen Gefährdungssituation kennzeichnet (ausführlich: Senatsurteil vom 06.03.2011 - 11 S 3070/11 - juris; BVerwG, Beschluss vom 10.04.2008 - 10 B 28.08 - juris Rn. 6; Urteil vom 14.12.1993 - 9 C 45.92 - juris Rn. 10 f.).
22 
b) Im Falle des Klägers gibt es keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Annahme, es bestünde für ihn bei einer Rückkehr nach Kabul mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit im dargelegten Sinne die konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung. Eine solche konkrete Gefahr lässt sich auch nicht mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 21.01.2011 (Nr. 30696/09 - ) begründen. Wie sich aus der Urteilsbegründung (insbes. Rn. 261 bis 263) ergibt, wurde im dortigen Fall eine Verletzung von Art. 3 EMRK insbesondere bejaht, weil sich Griechenland nicht an die europarechtlichen Verfahrensregeln und Mindeststandards für Asylbewerber gehalten hat und deshalb menschenrechtswidrige Haft- und Lebensbedingungen bestanden. Der Gerichtshof geht mithin davon aus, dass ein Konventionsstaat Art. 3 EMRK verletzen kann, wenn er die sich selbst gegebenen asylverfahrensrechtlichen Mindeststandards im Einzelfall unterschreitet. Hieraus lässt sich jedoch nicht ableiten, dass solche Standards weltweit gelten müssten und das Fehlen derselben eine Abschiebung etwa nach Kabul sperren könnte. Im Hinblick auf die allgemeinen (unzureichenden) Lebensbedingungen sowie die Versorgungslage (auch in medizinischer Hinsicht) kann eine Verletzung von Art. 3 EMRK nach der ständigen Rechtsprechung des Straßburger Gerichtshofs durch den abschiebenden Staat vielmehr nur in extremen Ausnahmefällen in Betracht gezogen werden (Nachweise bei Hailbronner, AuslR, 10/2008, § 60 AufenthG, Rn. 119 ff). Solche können jedoch - wie unter III. 2. ausgeführt - derzeit in Bezug auf Kabul nicht festgestellt werden.
23 
2. Ebenso ist kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 3 AufenthG erkennbar, wonach ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden darf, wenn ihn dieser Staat wegen einer Straftat sucht und dort aufgrund konkreter und ernsthafter Anhaltspunkte die Gefahr der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe besteht (ausführlich: Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 39 ff., m.w.N.). Hierzu fehlen im Falle des Klägers jegliche Anhaltspunkte.
24 
3. Nach Auffassung des Senats liegt derzeit auch kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vor. Hiernach ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist.
25 
a) Diese Bestimmung entspricht nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts trotz geringfügig abweichender Formulierungen den Vorgaben des Art. 15 lit. c QRL und ist in diesem Sinne auszulegen (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 14). Nach Art. 15 lit. c QRL gilt als ernsthafter Schaden „eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts“.
26 
(1) Bei der Frage, ob ein internationaler oder innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, sind hiernach die vier Genfer Konventionen zum humanitären Völkerrecht von 1949 und insbesondere das Zusatzprotokoll II von 1977 (BGBl 1990 II S. 1637; - ZP II -) zu berücksichtigen. Das ZP II definiert in Art. 1 Nr. 1 den Begriff des nicht internationalen bewaffneten Konflikts wie folgt: „Dieses Protokoll, das den den Genfer Abkommen vom 12.08.1949 gemeinsamen Art. 3 weiterentwickelt und ergänzt, ohne die bestehenden Voraussetzungen für seine Anwendung zu ändern, findet auf alle bewaffneten Konflikte Anwendung, die von Art. 1 des Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vorn 12.08.1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I) nicht erfasst sind und die im Hoheitsgebiet einer Hohen Vertragspartei zwischen deren Streitkräften und abtrünnigen Streitkräften oder anderen organisierten bewaffneten Gruppen stattfinden, die unter einer verantwortlichen Führung eine solche Kontrolle über einen Teil des Hoheitsgebiets der Hohen Vertragspartei ausüben, dass sie anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen durchführen und dieses Protokoll anzuwenden vermögen.“ In seinem Art. 2 grenzt das ZP II sodann von Fällen bloßer "innerer Unruhen und Spannungen" ab, die nicht unter diesen Begriff fallen. Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts liegt demnach jedenfalls dann vor, wenn der Konflikt die Kriterien des Art. 1 Nr. 1 ZP II erfüllt. Er liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn die Ausschlusstatbestände des Art. 1 Nr. 2 ZP II erfüllt sind, es sich also nur um innere Unruhen und Spannungen handelt wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen, die nicht als bewaffnete Konflikte gelten. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinne von Art. 15 lit. c QRL nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss hierfür aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen. Typische Beispiele sind Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfe. Der völkerrechtliche Begriff des "bewaffneten Konflikts" wurde gewählt, um klarzustellen, dass nur Auseinandersetzungen von einer bestimmten Größenordnung an in den Regelungsbereich der Vorschrift fallen. Dennoch setzt ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt nicht zwingend einen so hohen Organisationsgrad und eine solche Kontrolle der Konfliktparteien über einen Teil des Staatsgebiets voraus, wie sie für die Erfüllung der Verpflichtungen nach den Genfer Konventionen von 1949 erforderlich sind. Ohnehin findet die Orientierung an den Kriterien des humanitären Völkerrechts ihre Grenze jedenfalls dort, wo ihr der Zweck der Schutzgewährung für in Drittstaaten Zuflucht Suchende nach Art. 15 lit. c QRL widerspricht. Weitere Anhaltspunkte für die Auslegung des Begriffs des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts können sich aus dem Völkerstrafrecht ergeben, insbesondere aus der Rechtsprechung der Internationalen Strafgerichtshöfe. Hiernach dürfte kriminelle Gewalt bei der Feststellung, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, jedenfalls dann keine Berücksichtigung finden, wenn sie nicht von einer der Konfliktparteien begangen wird (ausführlich: BVerwG, Urteile vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - juris Rn. 19 ff. und vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 -juris Rn. 23).
27 
(2) Bezüglich der Frage, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, ist zunächst das gesamte Staatsgebiet in den Blick zu nehmen. Besteht ein bewaffneter Konflikt jedoch nicht landesweit, kommt eine individuelle Bedrohung in Betracht, wenn sich der Konflikt auf die Herkunftsregion des Ausländers erstreckt, in der er zuletzt gelebt hat bzw. in die er typischerweise zurückkehren kann und voraussichtlich auch wird, d.h. auf seinen "tatsächlichen Zielort" bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat (EuGH, Urteil vom 17.02.2009, Rs. C-465/07 Rn. 40). Auf einen bewaffneten Konflikt außerhalb der Herkunftsregion des Ausländers kann es hingegen nur ausnahmsweise ankommen. In diesem Fall muss der Betreffende stichhaltige Gründe dafür vorbringen, dass für ihn eine Rückkehr in seine Herkunftsregion ausscheidet und nur eine Rückkehr gerade in die Gefahrenzone in Betracht kommt (BVerwG, Urteil vom 14.07.2009 - 10 C 9.08 - juris Rn. 17).
28 
(3) Konnte ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt zumindest im tatsächlichen Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat festgestellt werden, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts weiter zu fragen, ob ihm dort infolgedessen auch eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben infolge willkürlicher Gewalt droht. Hierfür sind Feststellungen über das Niveau willkürlicher Gewalt bzw. zu der sogenannten Gefahrendichte erforderlich, d.h. (1.) eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen und (2.) der Akte willkürlicher Gewalt, die von den Konfliktparteien gegen Leib und Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie (3.) eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung. Hierzu gehört auch die Würdigung der medizinischen Versorgungslage in dem jeweiligen Gebiet, von deren Qualität und Erreichbarkeit die Schwere eingetretener körperlicher Verletzungen mit Blick auf die den Opfern dauerhaft verbleibenden Verletzungsfolgen abhängen kann. Im Übrigen können die für die Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts entwickelten Kriterien entsprechend herangezogen werden. In jedem Fall setzt § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG für die Annahme einer erheblichen individuellen Gefahr voraus, dass dem Betroffenen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Schaden an den Rechtsgütern Leib oder Leben droht. Gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG gilt auch für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG u.a. die Beweisregel des Art. 4 Abs. 4 QRL (ausführlich: BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 - juris Rn. 32 ff.; vgl. auch Dolk, Asylmagazin 12/2011, 418 ff., m.w.N.).
29 
(4) Bei der Prüfung, ob dem Ausländer zumindest in seiner Herkunftsregion aufgrund eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben droht, sind gegebenenfalls gefahrerhöhende persönliche Umstände zu berücksichtigen. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich. Liegen hingegen gefahrerhöhende persönliche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt. Zu diesen gefahrerhöhenden Umständen gehören in erster Linie solche persönlichen Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen - z.B. als Arzt oder Journalist - gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Dazu können aber nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts auch solche persönlichen Umstände gerechnet werden, aufgrund derer der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte - etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit - ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht schon eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt. Auch im Fall gefahrerhöhender persönlicher Umstände muss aber ein hohes Niveau willkürlicher Gewalt bzw. eine hohe Gefahrendichte für die Zivilbevölkerung in dem fraglichen Gebiet festgestellt werden. Allein das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts und die Feststellung eines gefahrerhöhenden Umstandes in der Person des Antragstellers reichen hierfür nicht aus. Allerdings kann eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr auch dann, wenn individuelle gefahrerhöhende Umstände fehlen, ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 18 ff.).
30 
(5) Schließlich darf für den Ausländer keine Möglichkeit internen Schutzes gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 8 QRL bestehen. Nach Art. 8 Abs. 1 QRL können die Mitgliedstaaten bei der Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz feststellen, dass ein Antragsteller keinen internationalen Schutz benötigt, sofern in einem Teil des Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung bzw. keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht und von dem Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil aufhält. Nach Absatz 2 der Norm berücksichtigen die Mitgliedstaaten bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Antragstellers zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag. Nach Absatz 3 der Norm kann Absatz 1 kann auch dann angewandt werden, wenn praktische Hindernisse für eine Rückkehr in das Herkunftsland bestehen. Zur Frage, wann von dem Ausländer „vernünftigerweise erwartet werden kann“, dass er sich in dem verfolgungsfreien Landesteil aufhält, verweist das Bundesverwaltungsgericht auf die Begründung zum Regierungsentwurf des Richtlinienumsetzungsgesetzes (BT-Drs. 16/5065 S. 185). Hier wird ausgeführt, dass dies dann der Fall sei, wenn der Ausländer am Zufluchtsort eine ausreichende Lebensgrundlage vorfinde, d.h. dort das Existenzminimum gewährleistet sei. Ausdrücklich offen gelassen wurde, welche darüber hinausgehenden wirtschaftlichen und sozialen Standards erfüllt sein müssen. Allerdings spreche einiges dafür, dass die gemäß Art. 8 Abs. 2 QRL zu berücksichtigenden allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftslandes - oberhalb der Schwelle des Existenzminimums - auch den Zumutbarkeitsmaßstab prägen (BVerwG, Urteil vom 29.05.2008 - 10 C 11.07 - juris Rn. 32/35). Dem schließt sich der Senat an, denn hierfür spricht im Übrigen auch der Umstand, dass andernfalls der richtlinienkonforme Ausschluss der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG für die Fälle des Art. 15 lit. c QRL über die an den internen Schutz gestellten Anforderungen unterlaufen würde (Hess. VGH, Urteil vom 25.08.2011 - 8 A 1657/10.A - juris Rn. 91). Nach diesen Grundsätzen bietet ein verfolgungssicherer Ort erwerbsfähigen Personen eine wirtschaftliche Lebensgrundlage etwa dann, wenn sie dort, sei es durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem angemessenen Lebensunterhalt Erforderliche erlangen können. Zu den danach zumutbaren Arbeiten gehören auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, beispielsweise in der Landwirtschaft oder auf dem Bausektor, ausgeübt werden können. Nicht zumutbar sind hingegen jedenfalls die entgeltliche Erwerbstätigkeit für eine kriminelle Organisation, die in der fortgesetzten Begehung von oder Teilnahme an Verbrechen besteht. Ein verfolgungssicherer Ort, an dem selbst das Existenzminimum nur durch derartiges kriminelles Handeln erlangt werden kann, kann keine innerstaatliche Fluchtalternative sein. Bei der Prüfung des internen Schutzes muss mithin insbesondere gefragt werden, ob der Betreffende seine Existenz am Ort der Fluchtalternative auch ohne förmliche Gewährung eines Aufenthaltsrechts und ohne Inanspruchnahme staatlicher Sozialleistungen in zumutbarer Weise - etwa im Rahmen eines Familienverbandes - und ohne ein Leben in der Illegalität, das ihn jederzeit der Gefahr polizeilicher Kontrollen und der strafrechtlichen Sanktionierung aussetzt, angemessen sichern kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 01.02.2007 - 1 C 24.06 - juris Rn. 11 f.).
31 
b) Entgegen der Auffassung des Klägers kann der Senat in seinem Fall nicht erkennen, dass derzeit die dargestellten Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vorliegen würden. Der Senat ist vielmehr auf der Grundlage der insoweit weitgehend übereinstimmenden aktuellen Erkenntnisquellen davon überzeugt, dass in der Heimatregion des Klägers, d.h. in Kabul, schon kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne von Art. 15 lit. c QRL (mehr) gegeben ist. Die dortige Sicherheitslage wird, abgesehen von einigen spektakulären Anschlägen, die sich jedoch primär auf „prominente Ziele“ gerichtet haben, relativ einheitlich als stabil und weiterhin deutlich ruhiger als noch etwa vor zwei Jahren bewertet. Vor der von dem Kläger zitierten Anschlagsserie hat es offenbar sogar eine praktisch anschlagsfreie Zeit von fast 18 Monaten gegeben (Lagebericht AA vom 10.01.2012, S. 12; Kermani, Die Zeit vom 05.01.2012, 11 f.; Asylmagazin 12/2011, 418). Der Senat vermag deshalb der von dem Kläger zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Gießen (Urteil vom 20.06.2011 - 2 K 499/11.GI.A - www.asyl.net) nicht zu folgen, die in der Begründung vor allem auf die Konfliktgebiete im Süden bzw. Osten Afghanistans Bezug nimmt, und daher hinsichtlich des Leitsatzes, in ganz Afghanistan herrsche ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, zu wenig regional differenziert. Im dortigen Fall ging es im Übrigen, wenig vergleichbar, um einen alleinstehenden Jugendlichen im Alter von 15 Jahren aus der doch recht anders gelagerten Herkunftsregion Wardak. Bezüglich Kabuls selbst hebt das Verwaltungsgericht im Wesentlichen auf fünf Anschläge zwischen Januar und Mai 2011 ab. Insoweit handelt es sich aber um Fälle "innerer Unruhen und Spannungen" im Sinne von Art. 2 des ZP II, die gerade nicht unter den Begriff des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts zu subsumieren sind. In Übereinstimmung hiermit hat auch der Hessische Verwaltungsgerichtshof entschieden, dass in Kabul, trotz gegebener Übergriffe, kein bewaffneter Konflikt von solcher Dichte herrscht, dass darauf § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG angewandt werden könnte. Jedenfalls resultiere hieraus für Rückkehrer keine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben infolge willkürlicher Gewalt (Urteil vom 16.06.2011 - 8 A 2011/10.A - juris). Der Senat kommt zum gegenwärtigen Zeitpunkt und für die Situation des Klägers zu derselben Einschätzung.
III.
32 
Im Falle des Klägers liegt auch der somit hilfsweise zu prüfende nationale Abschiebungsschutz derzeit nicht vor. Zu seinen Gunsten besteht kein Abschiebungsverbot (mehr) hinsichtlich Afghanistans gemäß des einheitlichen Streitgegenstands nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung.
33 
1. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (- EMRK -, BGBl 1952 II 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Über diese Norm werden die Schutzregeln der EMRK in innerstaatliches Recht inkorporiert. Sowohl aus Systematik als auch Entstehungsgeschichte folgt jedoch, dass es insoweit nur um zielstaatsbezogenen Abschiebungsschutz geht. Inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse, abgeleitet etwa aus Art. 8 EMRK, ziehen hingegen regelmäßig nur eine Duldung gemäß § 60 a Abs. 2 AufenthG nach sich. Bezüglich Art. 3 EMRK ist zudem die weitergehende und „unionsrechtlich aufgeladene“ Schutznorm des § 60 Abs. 2 AufenthG vorrangig, d.h. im vorliegenden Falle nicht zu prüfen (vgl. zu § 60 Abs. 5: Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 45 ff., m.w.N.). Ob im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG auch nach Umsetzung der Qualifikationsrichtlinie 2004/83/EG alle Gefährdungen grundsätzlich irrelevant sind, die von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen (so noch BVerwG, Urteil vom 15.04.1997 - 9 C 38.96 - zur Vorgängernorm des § 53 Abs. 4 AuslG, juris Rn. 10), kann vorliegend dahingestellt bleiben. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, welches Menschenrecht der EMRK im konkreten Fall des Klägers ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG begründen könnte.
34 
2. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kann von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn für ihn dort eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Allerdings sind Gefahren der die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG bei Abschiebestopp-Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Denn hinsichtlich des Schutzes vor allgemeinen Gefahren im Zielstaat soll Raum sein für ausländerpolitische Entscheidungen, was die Anwendbarkeit von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG insoweit grundsätzlich sperrt und zwar selbst dann, wenn diese Gefahren den einzelnen Ausländer zugleich in konkreter und individualisierbarer Weise betreffen (BVerwG, Urteil vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324). Aus diesem Normzweck folgt weiter, dass sich die „Allgemeinheit“ der Gefahr nicht danach bestimmt, ob diese sich auf die Bevölkerung oder bestimmte Bevölkerungsgruppen gleichartig auswirkt, wie das bei Hungersnöten, Seuchen, Bürgerkriegswirren oder Naturkatastrophen der Fall sein kann. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG kann vielmehr auch bei eher diffusen Gefährdungslagen greifen, etwa dann, wenn Gefahren für Leib und Leben aus den allgemein schlechten Lebensverhältnissen (soziale und wirtschaftliche Missstände) im Zielstaat hergeleitet werden. Denn soweit es um den Schutz vor den einer Vielzahl von Personen im Zielstaat drohenden typischen Gefahren solcher Missstände wie etwa Lebensmittelknappheit, Obdachlosigkeit oder gesundheitliche Gefährdungen geht, ist die Notwendigkeit einer politischen Leitentscheidung in gleicher Weise gegeben (BVerwG, Urteil vom 12.07.2001 - 1 C 5.01 - BVerwGE 115, 1). Für die Personengruppe, der der Kläger angehört, besteht eine solche politische Abschiebestopp-Anordnung gemäß § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG in Baden-Württemberg derzeit nicht (mehr), seit mit Schreiben des Innenministeriums Baden-Württemberg vom 15.04.2005 (geändert am 01.08.2005, vgl. 21. Fortschreibung vom 23.01.2009, Az.: 4-13-AFG/8) in Umsetzung entsprechender Beschlüsse der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder bezüglich der Rückführung afghanischer Staatsangehöriger entschieden wurde, dass „volljährige, allein stehende männliche afghanische Staatsangehörige, die sich zum Zeitpunkt der Beschlussfassung am 24. Juni 2005 noch keine sechs Jahre im Bundesgebiet aufgehalten haben, mit Vorrang zurückzuführen sind“. Im konkreten Einzelfall des Klägers greift die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG auch unter Berücksichtigung von Verfassungsrecht.
35 
a) Die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG greift aufgrund der Schutzwirkungen der Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nur dann ausnahmsweise nicht, wenn der Ausländer im Zielstaat landesweit einer extrem zugespitzten allgemeinen Gefahr dergestalt ausgesetzt wäre, dass er „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert“ würde (st. Rspr. des BVerwG, s. Urteile vom 29.09.2011 - 10 C 24.10 - juris Rn. 20, vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324 und vom 19.11.1996 - 1 C 6.95 - BVerwGE 102, 249 zur Vorgängerregelung in § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG). Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassung wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar ist (BVerwG, Urteil vom 29.09.2011 - 10 C 24.10 - juris Rn. 20). Das Vorliegen der Voraussetzungen ist im Wege einer Gesamtgefahrenschau zu ermitteln (BVerwG, Beschluss vom 23.03.1999 - 9 B 866.98 - juris Rn. 7).
36 
b) Im Fall einer allgemein schlechten Versorgungslage sind Besonderheiten zu berücksichtigen. Denn hieraus resultierende Gefährdungen entspringen keinem zielgerichteten Handeln, sondern treffen die Bevölkerung gleichsam schicksalhaft. Sie wirken sich nicht gleichartig und in jeder Hinsicht zwangsläufig aus und setzen sich aus einer Vielzahl verschiedener Risikofaktoren zusammen, denen der Einzelne in ganz unterschiedlicher Weise ausgesetzt ist und denen er gegebenenfalls auch ausweichen kann. Intensität, Konkretheit und zeitliche Nähe der Gefahr können deshalb auch nicht generell, sondern nur unter Berücksichtigung aller Einzelfallumstände beurteilt werden (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 13.11.2002 - A 6 S 967/01 - juris Rn. 48 ff.). Um dem Erfordernis des unmittelbaren - zeitlichen - Zusammenhangs zwischen Abschiebung und drohender Rechtsgutverletzung zu entsprechen, kann hinsichtlich einer allgemein schlechten Versorgungslage eine extreme Gefahrensituation zudem nur dann angenommen werden, wenn der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr in sein Heimatland in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien kann. Mit dem Begriff „alsbald“ ist dabei einerseits kein nur in unbestimmter zeitlicher Ferne liegender Termin gemeint (BVerwG, Urteil vom 27.04.1998 - 9 C 13.97 - juris Rn. 8). Andererseits setzt die Annahme einer extremen allgemeinen Gefahrenlage nicht voraus, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Ankunft im Abschiebezielstaat, eintreten. Eine extreme Gefahrenlage besteht auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert sein würde (BVerwG, Urteil vom 29.06.2010 - 10 C 10.09 - juris Rn. 15).
37 
c) Diese Voraussetzungen sind im Falle des Klägers heute jedenfalls nicht mehr gegeben. In Übereinstimmung mit anderen Obergerichten (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 06.05.2008 - 6 A 10749/07 - AuAS 2008, 188; Hess. VGH, Urteil vom 26.11.2009 - 8 A 1862/07.A - NVwZ-RR 2010, 331) hatte der Senat mit Urteil vom 14.05.2009 - A 11 S 610/08 - (DVBl 2009, 1327) entschieden, dass für Ausländer aus der Personengruppe der beruflich nicht besonders qualifizierten afghanischen männlichen Staatsangehörigen, die in ihrer Heimat ohne Rückhalt und Unterstützung durch Familie oder Bekannte sind und dort weder über Grundbesitz noch über nennenswerte Ersparnisse verfügen, aufgrund der katastrophalen Versorgungslage bei einer Abschiebung nach Kabul eine extreme Gefahrensituation im dargelegten Sinne bestehe. Das Bundesverwaltungsgericht hat (auch) diese Entscheidung mit Urteil vom 08.09.2011 - 10 C 16.10 - (juris) aufgehoben. Insbesondere die Feststellungen zum Vorliegen einer extremen Gefahr im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan verletzten Bundesrecht und würden einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht standhalten, denn die Entscheidung sei insbesondere hinsichtlich der festgestellten drohenden Mangelernährung und den damit verbundenen gesundheitlichen Risiken auf eine zu schmale Tatsachengrundlage gestützt. Das Bundesverwaltungsgericht betont: „‘Hunger‘ führt nicht zwangsläufig zum Tod, 'gesundheitliche Risiken' führen nicht notwendigerweise zu schwersten Gesundheitsschäden.“ Damit verfehle das Berufungsgericht den Begriff der Extremgefahr (so im Urteil vom 29.09.2011 - 10 C 23.10 - juris Rn. 24 bzgl. einer Parallelentscheidung des Hess.VGH). Bei der erneuten Befassung mit der Sache sei der Senat gehalten, sich auch mit der gegenteiligen Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte (insbesondere: Bay.VGH, Urteil vom 03.02.2011 - 13a B 10.30394 - juris) auseinanderzusetzen.
38 
Es sei dahingestellt, ob ein Obergericht revisionsrechtlich dazu verpflichtet werden kann, sich mit der abweichenden Einschätzung anderer Obergerichte auseinanderzusetzen (kritisch: Hess.VGH, Urteil vom 25.08.2011 - 8 A 1657/10.A - juris Rn. 77). Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof vertritt jedenfalls in dem zum besonderen Studium aufgegebenen Urteil die Auffassung, dass für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige angesichts der aktuellen Auskunftslage im Allgemeinen derzeit nicht von einer extremen Gefahrenlage auszugehen sei, die zu einem Abschiebungsverbot in entsprechender Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde. Zwar sei zweifellos von einer äußerst schlechten Versorgungslage in Afghanistan auszugehen. Im Wege einer Gesamtgefahrenschau sei jedoch nicht anzunehmen, dass dort alsbald der sichere Tod drohe oder schwerste Gesundheitsbeeinträchtigungen zu erwarten wären. Bei der Wirtschaftslage bzw. den ökonomischen Rahmenbedingungen würden durchaus positive Tendenzen gesehen. Es sei mit einem realen jährlichen Wirtschaftswachstum zwischen 6 und 8 % zu rechnen. Auch hätten bessere Ernten zu einer Verbesserung der Gesamtversorgungslage geführt. Zwar sei die Versorgung mit Wohnraum zu angemessenen Preisen in den Städten nach wie vor schwierig. Das Ministerium für Flüchtlinge und Rückkehrer bemühe sich jedoch um eine Ansiedlung der Flüchtlinge in Neubausiedlungen. Wenn es heiße, dass der Zugang für Rückkehrer zu Arbeit, Wasser und Gesundheitsversorgung häufig nur sehr eingeschränkt möglich sei, bedeute dies andererseits, dass jedenfalls der Tod oder schwerste Gesundheitsgefährdungen alsbald nach der Rückkehr nicht zu befürchten seien. Dies ergebe sich auch aus dem Afghanistan Report 2010 von amnesty international, wonach Tausende von Vertriebenen in Behelfslagern lebten, wo sie nur begrenzten Zugang zu Lebensmitteln und Trinkwasser, Gesundheitsversorgung und Bildung erhalten würden. Eine Mindestversorgung sei damit aber gegeben. Auch sei eine hinreichende zeitliche Nähe („alsbald“) zwischen Rückkehr und lebensbedrohlichem Zustand aufgrund von Mangelernährung, unzureichenden Wohnverhältnissen und schwieriger Arbeitssuche nicht ersichtlich. Insgesamt sei davon auszugehen, dass ein 25-jähriger lediger und gesunder Afghane, der mangels familiärer Bindungen keine Unterhaltslasten trage, auch ohne nennenswertes Vermögen und ohne abgeschlossene Berufsausbildung im Falle einer Abschiebung nach Kabul dort in der Lage wäre, durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen zu erzielen, damit ein Leben am Rande des Existenzminimums zu finanzieren und sich allmählich wieder in die afghanische Gesellschaft zu integrieren.
39 
Dies entspricht im Wesentlichen der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (vgl. Beschluss vom 26.10.2010 - 20 A 964/10.A -; Urteil vom 19.06.2008 - 20 A 4676/06.A - beide juris). Das Oberverwaltungsgericht vermochte dem Aspekt, dass positive Feststellungen zu den Modalitäten der Beschaffung des Lebensnotwendigen nicht zu treffen seien, kein entscheidendes Gewicht zu geben vor dem Umstand, dass die zahlreich vorliegenden Berichte für eine extreme Verelendung nichts hergeben würden, obwohl angesichts der hohen Rückkehrerzahlen aus den Nachbarländern und der Binnenfluchtbewegungen nicht davon ausgegangen werden könne, dass es an jeglichem Potential für Vergleichsfälle fehle (Urteil vom 19.06.2008, juris Rn. 80).
40 
Der Senat schließt sich der Rechtsprechung der zitierten Gerichte nunmehr an, weil auch er eine gewisse Verbesserung der allgemeinen Versorgungslage in Kabul - dem derzeit einzig möglichen Abschiebungsziel (Lagebericht AA v. 10.01.2012, S. 29 f.) - erkennen kann, die nach den strengen Maßstäben des Bundesverwaltungsgerichts im Rahmen einer wertenden Gesamtschau der Annahme einer alsbald nach der Abschiebung eintretenden Extremgefahr für gesunde ledige afghanische Männer auch ohne Vermögen oder lokale Familien- bzw. Stammesstrukturen entgegenstehen.
41 
Dem zentralen Argument des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen, dass Fälle extremer Verelendung von Rückkehrern dokumentiert sein müssten, vermag der Senat keine aussagekräftigen Erkenntnisquellen entgegen zu setzen; es lässt sich nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand nicht widerlegen. Insbesondere sind Erkenntnisquellen, die den Hungertod von Rückkehrern in Kabul dokumentieren, auch dem Senat nicht bekannt (ebenso: UNHCR vom 11.11.2011, 10 f.). Und in der Tat sind seit 2002 vor allem mit Hilfe des UNHCR insgesamt rund vier Millionen Flüchtlinge nach Afghanistan zurückgekehrt, wenn auch davon nur ca. 15.000 aus anderen Ländern als Pakistan und dem Iran (Gietmann, Asylmagazin 12/2011, 413, m.w.N.). Infolgedessen gehört Kabul heute zu den Städten mit dem weltweit stärksten Bevölkerungswachstum. Betrug die Einwohnerzahl 2001 noch rund 1,5 Millionen, wurde sie von der Stadtverwaltung im Juni 2010 auf über 5 Millionen geschätzt. Der Bevölkerungsanteil der Rückkehrer und Binnenvertriebenen wird auf 70 % geschätzt (Yoshimura, Asylmagazin 12/2011, 408, m.w.N.).
42 
Allerdings sind sämtliche Informationen, die der Senat über die Situation in der Stadt finden kann, durchaus ambivalent. Einerseits heißt es, 23 % der Bevölkerung lebten dort unterhalb der Armutsgrenze. Insgesamt seien die Lebenshaltungskosten in Kabul im Laufe der vergangenen Jahre um 30 bis 50 % gestiegen. Bewohner seien auch beim Erwerb zahlreicher, selbst legaler Güter des Alltags gezwungen, Bestechungsgelder zu bezahlen. Die Kriminalität und Gefahr, Opfer von Überfällen zu werden, sei hoch (Landinfo 2011, Part II, 17). Kabul würde einer Stadt im permanenten Ausnahmezustand ähneln (Dr. Danesch vom 07.10.2010, Logar, 3). Nur 55,9 % der Haushalte verfügten über Zugang zu sauberem Wasser. Zahlreiche Brunnen im Stadtgebiet seien aufgrund der steigenden Inanspruchnahme ausgetrocknet bzw. erschöpft (ai vom 29.09.2009, 2). Bezahlbarer Strom liege für ärmere Kabuler Familien außerhalb der finanziellen Möglichkeiten. Die Arbeitslosenrate in Kabul werde auf bis zu 50 % geschätzt. Infolge des Mangels an bezahlbarem Wohnraum würden sich zahllose Menschen gezwungen sehen, in prekären Unterkünften wie Lehmhütten, Zelten oder alten beschädigten Gebäuden zu hausen. Die Bewohner dieser „informellen Siedlungen“ würden außerhalb des sozialen Sicherheitsnetzes leben und ihren Lebensunterhalt durch Betteln, den Verkauf von Müll und andere gering bezahlte Tätigkeiten bestreiten müssen. Über Nacht entstünden neue Armenviertel und Slums, in denen es weder Kanalisation noch Müllentsorgung und kaum sauberes Wasser, Elektrizität oder medizinische Hilfe gebe. Die Zahl derer, die auf der Flucht vor Krieg, Rechtlosigkeit, Willkürherrschaft und Armut in die Städte strömten, vergrößere sich tagtäglich. Besonders dramatisch nehme deshalb gerade in Kabul die Zahl von Obdachlosen und Drogenabhängigen zu. Ohnehin befinde sich Afghanistan auf dem Weg in einen Drogenstaat. 2011 sei erneut ein Dürrejahr gewesen und vor allem im Norden, dem friedlichen Teil des Landes, herrsche Hunger. Zusammenfassend sei eine Rückkehr nach Kabul ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen schlicht unzumutbar (vgl. ai vom 20.12.2010; Asylmagazin 12/2011, 408-414, m.w.N.).
43 
Andererseits wird berichtet, gerade in Kabul existiere eine rege Bautätigkeit. In den vergangenen Jahren seien zahlreiche Immobilienprojekte in Angriff genommen worden. In Folge dessen gebe es nunmehr vor allem im Bausektor, wenn auch schlecht bezahlte Tageslohnarbeit. Viele Stadtteile Kabuls würden seit 2009 zwischenzeitlich 24 Stunden am Tag mit Strom versorgt. Seit kurzem boome in einigen Städten wie Kabul und Masar-i-Scharif der Handel. Geschäfte würden über Nacht eröffnet und man habe mittlerweile ein großes, kaum einen Wunsch offenlassendes Warenangebot. Die Lage sei nicht gut, aber sie sei besser geworden. Jedenfalls im Stadtzentrum sei auch die Armut nicht mehr so offensichtlich. Es gebe nicht mehr überall bettelnde Frauen in Burkas und keine Banden von Kindern, die sich an Klebstoff berauschten. Dafür hätten unzählige Kebab-Stände eröffnet. Überhaupt gebe es deutlich zahlreichere Geschäfte als noch vor wenigen Jahren und sogar eine Müllabfuhr sowie ein Mindestmaß an Ordnung bzw. überhaupt wieder so etwas wie ein Stadtleben. Auch die Sicherheitslage in Kabul sei, abgesehen von einigen spektakulären Anschlägen, unverändert stabil und weiterhin deutlich ruhiger als noch vor zwei Jahren (vgl. Lagebericht AA vom 10.01.2012; Kermani, Die Zeit vom 05.01.2012, 11 ff; Asylmagazin 12/2011, 408-414, m.w.N.).
44 
Vor diesem Hintergrund kann heute - trotz der ambivalenten Erkenntnisquellen - aufgrund der hohen Hürden des Bundesverwaltungsgerichts für die Annahme einer extremen allgemeinen Gefahrenlage für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige eine solche Extremgefahr nicht mehr begründet werden. Anders als noch 2009 sieht auch der Senat keine hinreichenden Anhaltspunkte mehr dafür, dass bei dieser Personengruppe im Falle der Abschiebung alsbald der Tod oder schwerste gesundheitliche Beeinträchtigungen zu erwarten wären. Die Einschätzung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, es sei vielmehr zu erwarten, dass Rückkehrer in Kabul durch Gelegenheitsarbeiten „ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren könnten“, trifft heute auch nach Überzeugung des Senats zu. Zwar dürfte aufgrund der schlechten Gesamtsituation ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen in der Tat eine Rückkehr nach Kabul selbst für gesunde alleinstehende Männer unter humanitären Gesichtspunkten kaum zumutbar sein. Diese Zumutbarkeit ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts jedoch kein zentraler Maßstab für die Bestimmung einer extremen Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
45 
Im Falle des Klägers sind schließlich auch keine hinreichenden individuellen Faktoren gegeben, die ausnahmsweise eine extreme Gefahrenlage begründen könnten. Der Kläger leidet derzeit unter keinen gesundheitlichen Beeinträchtigungen mehr und ist, wie seine Beschäftigung in einem Restaurant verdeutlicht, arbeitsfähig. Allein aufgrund des für die Verhältnisse in Afghanistan, wo junge Burschen häufig mit 15 Jahren verheiratet werden und ein 20-jähriger Mann meist bereits mehrere Kinder hat (so Dr. Danesch vom 07.10.2010, Paktia, S. 6), in der Tat fortgeschrittenen Alters kann deshalb keine extreme Gefahrenlage erkannt werden. Auf die von der Beklagten aufgeworfene Frage, ob es aufgrund der dem Kläger seit längerem und bis heute erteilten Duldungen an einer Schutzlücke für eine verfassungskonforme Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG oder gar schon dem Rechtsschutzinteresse fehlt (vgl. BVerwG, Urteile vom 12.07.2001 - 1 C 2.01 - BVerwGE 114, 378 und vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 12), kommt es damit nicht an.
III.
46 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO und § 83 b AsylVfG.
IV.
47 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein gesetzlicher Zulassungsgrund vorliegt (§ 132 Abs. 2 VwGO).

Gründe

 
17 
Die zulässige, insbesondere rechtzeitig unter Stellung eines Antrags und unter Bezugnahme auf die ausführliche Begründung des Zulassungsantrags begründete Berufung (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 - NVwZ 2006, 1420 m.w.N.) der Beklagten hat Erfolg. Der Senat geht nunmehr davon aus, dass der Kläger die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (- Aufenthaltsgesetz -) in der Fassung der Änderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der EU vom 19.08.2007 (- 1. Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 28.08.2007, BGBl I 1970) sowie das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der EU und zur Anpassung nationaler Rechtvorschriften an den EU-Visakodex vom 22.11.2011 (- 2. Richtlinienumsetzungsgesetz -, in Kraft seit 26.11.2011, BGBl I 2258) nicht mehr beanspruchen kann. Dem Kläger steht in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) weder ein unionsrechtlich begründeter noch ein nationaler Abschiebungsschutz zu.
I.
18 
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist im vorliegenden Übergangsfall zunächst das - angewachsene und für die Beteiligten nicht disponible - Verpflichtungsbegehren des Klägers auf Gewährung subsidiären unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG (entsprechend den Voraussetzungen für den subsidiären Schutz in Art. 15 der sog. Qualifikations-Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes; ABlEU Nr. L 304 S. 12; ber. ABlEU vom 05.08.2005 Nr. L 204 S. 24, neugefasst mit Umsetzungsfrist bis 21.12.2013 als Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011, ABlEU vom 20.12.2011 Nr. L 337 S. 9; - QRL -). Nur hilfsweise ist Gegenstand des Berufungsverfahrens der nationale Abschiebungsschutz, d.h. die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung (BVerwG, Urteil vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - juris Rn. 11). Sowohl der (weitergehende) unionsrechtlich begründete Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG als auch der nationale Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 und 3 AufenthG bilden jeweils einen einheitlichen, in sich nicht weiter teilbaren Streitgegenstand (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 11). In dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der erneuten mündlichen Verhandlung vor dem Senat (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) besteht zu Gunsten des Klägers hinsichtlich Afghanistans weder ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG noch nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung.
II.
19 
Unionsrechtlich begründeter Abschiebungsschutz ist im Falle des Klägers derzeit nicht gegeben.
20 
1. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG ist nicht erkennbar.
21 
a) Nach dieser Norm darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Unter „Folter“ ist in Anlehnung an die Definition von Art. 1 des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (BGBl. 1990 II S. 247, BGBl. 1993 II S. 715) eine Behandlung zu verstehen, die einer Person vorsätzlich schwere Schmerzen oder Leiden körperlicher oder geistig-seelischer Art zufügt, um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erzwingen, sie oder einen Dritten zu bestrafen, einzuschüchtern oder zu nötigen oder mit diskriminierender Absicht zu verfolgen. Wann eine „unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung“ vorliegt, hängt nach der insoweit vor allem maßgebenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom Einzelfall ab. Eine Schlechtbehandlung einschließlich Bestrafung muss jedenfalls ein Minimum an Schwere erreichen, um in den mit § 60 Abs. 2 AufenthG und Art. 15 lit. b QRL insoweit identischen Schutzbereich von Art. 3 EMRK zu fallen. Die Bewertung dieses Minimums ist nach Natur der Sache relativ. Kriterien hierfür sind abzuleiten aus allen Umständen des Einzelfalles, wie etwa der Art der Behandlung oder Bestrafung und dem Zusammenhang, in dem sie erfolgte, der Art und Weise ihrer Vollstreckung, ihrer zeitlichen Dauer, ihrer physischen und geistigen Wirkungen, sowie gegebenenfalls abgestellt auf Geschlecht, Alter bzw. Gesundheitszustand des Opfers. Abstrakt formuliert sind unter einer menschenrechtswidrigen Schlechtbehandlung Maßnahmen zu verstehen, mit denen unter Missachtung der Menschenwürde absichtlich schwere psychische oder physische Leiden zugefügt werden und mit denen nach Art und Ausmaß besonders schwer und krass gegen Menschenrechte verstoßen wird (Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 34 f., m.w.N.). Im Rahmen der Prüfung, ob eine konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung besteht, ist der asylrechtliche Prognosemaßstab der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ anzulegen, wobei allerdings das Element der Konkretheit der Gefahr das zusätzliche Erfordernis einer einzelfallbezogenen, individuell bestimmten und erheblichen Gefährdungssituation kennzeichnet (ausführlich: Senatsurteil vom 06.03.2011 - 11 S 3070/11 - juris; BVerwG, Beschluss vom 10.04.2008 - 10 B 28.08 - juris Rn. 6; Urteil vom 14.12.1993 - 9 C 45.92 - juris Rn. 10 f.).
22 
b) Im Falle des Klägers gibt es keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Annahme, es bestünde für ihn bei einer Rückkehr nach Kabul mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit im dargelegten Sinne die konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung. Eine solche konkrete Gefahr lässt sich auch nicht mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 21.01.2011 (Nr. 30696/09 - ) begründen. Wie sich aus der Urteilsbegründung (insbes. Rn. 261 bis 263) ergibt, wurde im dortigen Fall eine Verletzung von Art. 3 EMRK insbesondere bejaht, weil sich Griechenland nicht an die europarechtlichen Verfahrensregeln und Mindeststandards für Asylbewerber gehalten hat und deshalb menschenrechtswidrige Haft- und Lebensbedingungen bestanden. Der Gerichtshof geht mithin davon aus, dass ein Konventionsstaat Art. 3 EMRK verletzen kann, wenn er die sich selbst gegebenen asylverfahrensrechtlichen Mindeststandards im Einzelfall unterschreitet. Hieraus lässt sich jedoch nicht ableiten, dass solche Standards weltweit gelten müssten und das Fehlen derselben eine Abschiebung etwa nach Kabul sperren könnte. Im Hinblick auf die allgemeinen (unzureichenden) Lebensbedingungen sowie die Versorgungslage (auch in medizinischer Hinsicht) kann eine Verletzung von Art. 3 EMRK nach der ständigen Rechtsprechung des Straßburger Gerichtshofs durch den abschiebenden Staat vielmehr nur in extremen Ausnahmefällen in Betracht gezogen werden (Nachweise bei Hailbronner, AuslR, 10/2008, § 60 AufenthG, Rn. 119 ff). Solche können jedoch - wie unter III. 2. ausgeführt - derzeit in Bezug auf Kabul nicht festgestellt werden.
23 
2. Ebenso ist kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 3 AufenthG erkennbar, wonach ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden darf, wenn ihn dieser Staat wegen einer Straftat sucht und dort aufgrund konkreter und ernsthafter Anhaltspunkte die Gefahr der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe besteht (ausführlich: Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 39 ff., m.w.N.). Hierzu fehlen im Falle des Klägers jegliche Anhaltspunkte.
24 
3. Nach Auffassung des Senats liegt derzeit auch kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vor. Hiernach ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist.
25 
a) Diese Bestimmung entspricht nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts trotz geringfügig abweichender Formulierungen den Vorgaben des Art. 15 lit. c QRL und ist in diesem Sinne auszulegen (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 14). Nach Art. 15 lit. c QRL gilt als ernsthafter Schaden „eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts“.
26 
(1) Bei der Frage, ob ein internationaler oder innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, sind hiernach die vier Genfer Konventionen zum humanitären Völkerrecht von 1949 und insbesondere das Zusatzprotokoll II von 1977 (BGBl 1990 II S. 1637; - ZP II -) zu berücksichtigen. Das ZP II definiert in Art. 1 Nr. 1 den Begriff des nicht internationalen bewaffneten Konflikts wie folgt: „Dieses Protokoll, das den den Genfer Abkommen vom 12.08.1949 gemeinsamen Art. 3 weiterentwickelt und ergänzt, ohne die bestehenden Voraussetzungen für seine Anwendung zu ändern, findet auf alle bewaffneten Konflikte Anwendung, die von Art. 1 des Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vorn 12.08.1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I) nicht erfasst sind und die im Hoheitsgebiet einer Hohen Vertragspartei zwischen deren Streitkräften und abtrünnigen Streitkräften oder anderen organisierten bewaffneten Gruppen stattfinden, die unter einer verantwortlichen Führung eine solche Kontrolle über einen Teil des Hoheitsgebiets der Hohen Vertragspartei ausüben, dass sie anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen durchführen und dieses Protokoll anzuwenden vermögen.“ In seinem Art. 2 grenzt das ZP II sodann von Fällen bloßer "innerer Unruhen und Spannungen" ab, die nicht unter diesen Begriff fallen. Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts liegt demnach jedenfalls dann vor, wenn der Konflikt die Kriterien des Art. 1 Nr. 1 ZP II erfüllt. Er liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn die Ausschlusstatbestände des Art. 1 Nr. 2 ZP II erfüllt sind, es sich also nur um innere Unruhen und Spannungen handelt wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen, die nicht als bewaffnete Konflikte gelten. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinne von Art. 15 lit. c QRL nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss hierfür aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen. Typische Beispiele sind Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfe. Der völkerrechtliche Begriff des "bewaffneten Konflikts" wurde gewählt, um klarzustellen, dass nur Auseinandersetzungen von einer bestimmten Größenordnung an in den Regelungsbereich der Vorschrift fallen. Dennoch setzt ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt nicht zwingend einen so hohen Organisationsgrad und eine solche Kontrolle der Konfliktparteien über einen Teil des Staatsgebiets voraus, wie sie für die Erfüllung der Verpflichtungen nach den Genfer Konventionen von 1949 erforderlich sind. Ohnehin findet die Orientierung an den Kriterien des humanitären Völkerrechts ihre Grenze jedenfalls dort, wo ihr der Zweck der Schutzgewährung für in Drittstaaten Zuflucht Suchende nach Art. 15 lit. c QRL widerspricht. Weitere Anhaltspunkte für die Auslegung des Begriffs des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts können sich aus dem Völkerstrafrecht ergeben, insbesondere aus der Rechtsprechung der Internationalen Strafgerichtshöfe. Hiernach dürfte kriminelle Gewalt bei der Feststellung, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, jedenfalls dann keine Berücksichtigung finden, wenn sie nicht von einer der Konfliktparteien begangen wird (ausführlich: BVerwG, Urteile vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 - juris Rn. 19 ff. und vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 -juris Rn. 23).
27 
(2) Bezüglich der Frage, ob ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vorliegt, ist zunächst das gesamte Staatsgebiet in den Blick zu nehmen. Besteht ein bewaffneter Konflikt jedoch nicht landesweit, kommt eine individuelle Bedrohung in Betracht, wenn sich der Konflikt auf die Herkunftsregion des Ausländers erstreckt, in der er zuletzt gelebt hat bzw. in die er typischerweise zurückkehren kann und voraussichtlich auch wird, d.h. auf seinen "tatsächlichen Zielort" bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat (EuGH, Urteil vom 17.02.2009, Rs. C-465/07 Rn. 40). Auf einen bewaffneten Konflikt außerhalb der Herkunftsregion des Ausländers kann es hingegen nur ausnahmsweise ankommen. In diesem Fall muss der Betreffende stichhaltige Gründe dafür vorbringen, dass für ihn eine Rückkehr in seine Herkunftsregion ausscheidet und nur eine Rückkehr gerade in die Gefahrenzone in Betracht kommt (BVerwG, Urteil vom 14.07.2009 - 10 C 9.08 - juris Rn. 17).
28 
(3) Konnte ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt zumindest im tatsächlichen Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat festgestellt werden, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts weiter zu fragen, ob ihm dort infolgedessen auch eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben infolge willkürlicher Gewalt droht. Hierfür sind Feststellungen über das Niveau willkürlicher Gewalt bzw. zu der sogenannten Gefahrendichte erforderlich, d.h. (1.) eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen und (2.) der Akte willkürlicher Gewalt, die von den Konfliktparteien gegen Leib und Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie (3.) eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung. Hierzu gehört auch die Würdigung der medizinischen Versorgungslage in dem jeweiligen Gebiet, von deren Qualität und Erreichbarkeit die Schwere eingetretener körperlicher Verletzungen mit Blick auf die den Opfern dauerhaft verbleibenden Verletzungsfolgen abhängen kann. Im Übrigen können die für die Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts entwickelten Kriterien entsprechend herangezogen werden. In jedem Fall setzt § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG für die Annahme einer erheblichen individuellen Gefahr voraus, dass dem Betroffenen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Schaden an den Rechtsgütern Leib oder Leben droht. Gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG gilt auch für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG u.a. die Beweisregel des Art. 4 Abs. 4 QRL (ausführlich: BVerwG, Urteil vom 27.04.2010 - 10 C 4.09 - juris Rn. 32 ff.; vgl. auch Dolk, Asylmagazin 12/2011, 418 ff., m.w.N.).
29 
(4) Bei der Prüfung, ob dem Ausländer zumindest in seiner Herkunftsregion aufgrund eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben droht, sind gegebenenfalls gefahrerhöhende persönliche Umstände zu berücksichtigen. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich. Liegen hingegen gefahrerhöhende persönliche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt. Zu diesen gefahrerhöhenden Umständen gehören in erster Linie solche persönlichen Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen - z.B. als Arzt oder Journalist - gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Dazu können aber nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts auch solche persönlichen Umstände gerechnet werden, aufgrund derer der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte - etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit - ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht schon eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt. Auch im Fall gefahrerhöhender persönlicher Umstände muss aber ein hohes Niveau willkürlicher Gewalt bzw. eine hohe Gefahrendichte für die Zivilbevölkerung in dem fraglichen Gebiet festgestellt werden. Allein das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts und die Feststellung eines gefahrerhöhenden Umstandes in der Person des Antragstellers reichen hierfür nicht aus. Allerdings kann eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr auch dann, wenn individuelle gefahrerhöhende Umstände fehlen, ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 18 ff.).
30 
(5) Schließlich darf für den Ausländer keine Möglichkeit internen Schutzes gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 8 QRL bestehen. Nach Art. 8 Abs. 1 QRL können die Mitgliedstaaten bei der Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz feststellen, dass ein Antragsteller keinen internationalen Schutz benötigt, sofern in einem Teil des Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung bzw. keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht und von dem Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil aufhält. Nach Absatz 2 der Norm berücksichtigen die Mitgliedstaaten bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Antragstellers zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag. Nach Absatz 3 der Norm kann Absatz 1 kann auch dann angewandt werden, wenn praktische Hindernisse für eine Rückkehr in das Herkunftsland bestehen. Zur Frage, wann von dem Ausländer „vernünftigerweise erwartet werden kann“, dass er sich in dem verfolgungsfreien Landesteil aufhält, verweist das Bundesverwaltungsgericht auf die Begründung zum Regierungsentwurf des Richtlinienumsetzungsgesetzes (BT-Drs. 16/5065 S. 185). Hier wird ausgeführt, dass dies dann der Fall sei, wenn der Ausländer am Zufluchtsort eine ausreichende Lebensgrundlage vorfinde, d.h. dort das Existenzminimum gewährleistet sei. Ausdrücklich offen gelassen wurde, welche darüber hinausgehenden wirtschaftlichen und sozialen Standards erfüllt sein müssen. Allerdings spreche einiges dafür, dass die gemäß Art. 8 Abs. 2 QRL zu berücksichtigenden allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftslandes - oberhalb der Schwelle des Existenzminimums - auch den Zumutbarkeitsmaßstab prägen (BVerwG, Urteil vom 29.05.2008 - 10 C 11.07 - juris Rn. 32/35). Dem schließt sich der Senat an, denn hierfür spricht im Übrigen auch der Umstand, dass andernfalls der richtlinienkonforme Ausschluss der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG für die Fälle des Art. 15 lit. c QRL über die an den internen Schutz gestellten Anforderungen unterlaufen würde (Hess. VGH, Urteil vom 25.08.2011 - 8 A 1657/10.A - juris Rn. 91). Nach diesen Grundsätzen bietet ein verfolgungssicherer Ort erwerbsfähigen Personen eine wirtschaftliche Lebensgrundlage etwa dann, wenn sie dort, sei es durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem angemessenen Lebensunterhalt Erforderliche erlangen können. Zu den danach zumutbaren Arbeiten gehören auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, beispielsweise in der Landwirtschaft oder auf dem Bausektor, ausgeübt werden können. Nicht zumutbar sind hingegen jedenfalls die entgeltliche Erwerbstätigkeit für eine kriminelle Organisation, die in der fortgesetzten Begehung von oder Teilnahme an Verbrechen besteht. Ein verfolgungssicherer Ort, an dem selbst das Existenzminimum nur durch derartiges kriminelles Handeln erlangt werden kann, kann keine innerstaatliche Fluchtalternative sein. Bei der Prüfung des internen Schutzes muss mithin insbesondere gefragt werden, ob der Betreffende seine Existenz am Ort der Fluchtalternative auch ohne förmliche Gewährung eines Aufenthaltsrechts und ohne Inanspruchnahme staatlicher Sozialleistungen in zumutbarer Weise - etwa im Rahmen eines Familienverbandes - und ohne ein Leben in der Illegalität, das ihn jederzeit der Gefahr polizeilicher Kontrollen und der strafrechtlichen Sanktionierung aussetzt, angemessen sichern kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 01.02.2007 - 1 C 24.06 - juris Rn. 11 f.).
31 
b) Entgegen der Auffassung des Klägers kann der Senat in seinem Fall nicht erkennen, dass derzeit die dargestellten Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vorliegen würden. Der Senat ist vielmehr auf der Grundlage der insoweit weitgehend übereinstimmenden aktuellen Erkenntnisquellen davon überzeugt, dass in der Heimatregion des Klägers, d.h. in Kabul, schon kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne von Art. 15 lit. c QRL (mehr) gegeben ist. Die dortige Sicherheitslage wird, abgesehen von einigen spektakulären Anschlägen, die sich jedoch primär auf „prominente Ziele“ gerichtet haben, relativ einheitlich als stabil und weiterhin deutlich ruhiger als noch etwa vor zwei Jahren bewertet. Vor der von dem Kläger zitierten Anschlagsserie hat es offenbar sogar eine praktisch anschlagsfreie Zeit von fast 18 Monaten gegeben (Lagebericht AA vom 10.01.2012, S. 12; Kermani, Die Zeit vom 05.01.2012, 11 f.; Asylmagazin 12/2011, 418). Der Senat vermag deshalb der von dem Kläger zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Gießen (Urteil vom 20.06.2011 - 2 K 499/11.GI.A - www.asyl.net) nicht zu folgen, die in der Begründung vor allem auf die Konfliktgebiete im Süden bzw. Osten Afghanistans Bezug nimmt, und daher hinsichtlich des Leitsatzes, in ganz Afghanistan herrsche ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt, zu wenig regional differenziert. Im dortigen Fall ging es im Übrigen, wenig vergleichbar, um einen alleinstehenden Jugendlichen im Alter von 15 Jahren aus der doch recht anders gelagerten Herkunftsregion Wardak. Bezüglich Kabuls selbst hebt das Verwaltungsgericht im Wesentlichen auf fünf Anschläge zwischen Januar und Mai 2011 ab. Insoweit handelt es sich aber um Fälle "innerer Unruhen und Spannungen" im Sinne von Art. 2 des ZP II, die gerade nicht unter den Begriff des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts zu subsumieren sind. In Übereinstimmung hiermit hat auch der Hessische Verwaltungsgerichtshof entschieden, dass in Kabul, trotz gegebener Übergriffe, kein bewaffneter Konflikt von solcher Dichte herrscht, dass darauf § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG angewandt werden könnte. Jedenfalls resultiere hieraus für Rückkehrer keine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben infolge willkürlicher Gewalt (Urteil vom 16.06.2011 - 8 A 2011/10.A - juris). Der Senat kommt zum gegenwärtigen Zeitpunkt und für die Situation des Klägers zu derselben Einschätzung.
III.
32 
Im Falle des Klägers liegt auch der somit hilfsweise zu prüfende nationale Abschiebungsschutz derzeit nicht vor. Zu seinen Gunsten besteht kein Abschiebungsverbot (mehr) hinsichtlich Afghanistans gemäß des einheitlichen Streitgegenstands nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 3 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung.
33 
1. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (- EMRK -, BGBl 1952 II 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Über diese Norm werden die Schutzregeln der EMRK in innerstaatliches Recht inkorporiert. Sowohl aus Systematik als auch Entstehungsgeschichte folgt jedoch, dass es insoweit nur um zielstaatsbezogenen Abschiebungsschutz geht. Inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse, abgeleitet etwa aus Art. 8 EMRK, ziehen hingegen regelmäßig nur eine Duldung gemäß § 60 a Abs. 2 AufenthG nach sich. Bezüglich Art. 3 EMRK ist zudem die weitergehende und „unionsrechtlich aufgeladene“ Schutznorm des § 60 Abs. 2 AufenthG vorrangig, d.h. im vorliegenden Falle nicht zu prüfen (vgl. zu § 60 Abs. 5: Renner/Bergmann, AuslR, 9. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 45 ff., m.w.N.). Ob im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG auch nach Umsetzung der Qualifikationsrichtlinie 2004/83/EG alle Gefährdungen grundsätzlich irrelevant sind, die von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen (so noch BVerwG, Urteil vom 15.04.1997 - 9 C 38.96 - zur Vorgängernorm des § 53 Abs. 4 AuslG, juris Rn. 10), kann vorliegend dahingestellt bleiben. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, welches Menschenrecht der EMRK im konkreten Fall des Klägers ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG begründen könnte.
34 
2. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kann von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn für ihn dort eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Allerdings sind Gefahren der die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG bei Abschiebestopp-Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Denn hinsichtlich des Schutzes vor allgemeinen Gefahren im Zielstaat soll Raum sein für ausländerpolitische Entscheidungen, was die Anwendbarkeit von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG insoweit grundsätzlich sperrt und zwar selbst dann, wenn diese Gefahren den einzelnen Ausländer zugleich in konkreter und individualisierbarer Weise betreffen (BVerwG, Urteil vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324). Aus diesem Normzweck folgt weiter, dass sich die „Allgemeinheit“ der Gefahr nicht danach bestimmt, ob diese sich auf die Bevölkerung oder bestimmte Bevölkerungsgruppen gleichartig auswirkt, wie das bei Hungersnöten, Seuchen, Bürgerkriegswirren oder Naturkatastrophen der Fall sein kann. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG kann vielmehr auch bei eher diffusen Gefährdungslagen greifen, etwa dann, wenn Gefahren für Leib und Leben aus den allgemein schlechten Lebensverhältnissen (soziale und wirtschaftliche Missstände) im Zielstaat hergeleitet werden. Denn soweit es um den Schutz vor den einer Vielzahl von Personen im Zielstaat drohenden typischen Gefahren solcher Missstände wie etwa Lebensmittelknappheit, Obdachlosigkeit oder gesundheitliche Gefährdungen geht, ist die Notwendigkeit einer politischen Leitentscheidung in gleicher Weise gegeben (BVerwG, Urteil vom 12.07.2001 - 1 C 5.01 - BVerwGE 115, 1). Für die Personengruppe, der der Kläger angehört, besteht eine solche politische Abschiebestopp-Anordnung gemäß § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG in Baden-Württemberg derzeit nicht (mehr), seit mit Schreiben des Innenministeriums Baden-Württemberg vom 15.04.2005 (geändert am 01.08.2005, vgl. 21. Fortschreibung vom 23.01.2009, Az.: 4-13-AFG/8) in Umsetzung entsprechender Beschlüsse der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder bezüglich der Rückführung afghanischer Staatsangehöriger entschieden wurde, dass „volljährige, allein stehende männliche afghanische Staatsangehörige, die sich zum Zeitpunkt der Beschlussfassung am 24. Juni 2005 noch keine sechs Jahre im Bundesgebiet aufgehalten haben, mit Vorrang zurückzuführen sind“. Im konkreten Einzelfall des Klägers greift die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG auch unter Berücksichtigung von Verfassungsrecht.
35 
a) Die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG greift aufgrund der Schutzwirkungen der Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nur dann ausnahmsweise nicht, wenn der Ausländer im Zielstaat landesweit einer extrem zugespitzten allgemeinen Gefahr dergestalt ausgesetzt wäre, dass er „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert“ würde (st. Rspr. des BVerwG, s. Urteile vom 29.09.2011 - 10 C 24.10 - juris Rn. 20, vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324 und vom 19.11.1996 - 1 C 6.95 - BVerwGE 102, 249 zur Vorgängerregelung in § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG). Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassung wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar ist (BVerwG, Urteil vom 29.09.2011 - 10 C 24.10 - juris Rn. 20). Das Vorliegen der Voraussetzungen ist im Wege einer Gesamtgefahrenschau zu ermitteln (BVerwG, Beschluss vom 23.03.1999 - 9 B 866.98 - juris Rn. 7).
36 
b) Im Fall einer allgemein schlechten Versorgungslage sind Besonderheiten zu berücksichtigen. Denn hieraus resultierende Gefährdungen entspringen keinem zielgerichteten Handeln, sondern treffen die Bevölkerung gleichsam schicksalhaft. Sie wirken sich nicht gleichartig und in jeder Hinsicht zwangsläufig aus und setzen sich aus einer Vielzahl verschiedener Risikofaktoren zusammen, denen der Einzelne in ganz unterschiedlicher Weise ausgesetzt ist und denen er gegebenenfalls auch ausweichen kann. Intensität, Konkretheit und zeitliche Nähe der Gefahr können deshalb auch nicht generell, sondern nur unter Berücksichtigung aller Einzelfallumstände beurteilt werden (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 13.11.2002 - A 6 S 967/01 - juris Rn. 48 ff.). Um dem Erfordernis des unmittelbaren - zeitlichen - Zusammenhangs zwischen Abschiebung und drohender Rechtsgutverletzung zu entsprechen, kann hinsichtlich einer allgemein schlechten Versorgungslage eine extreme Gefahrensituation zudem nur dann angenommen werden, wenn der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Rückkehr in sein Heimatland in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien kann. Mit dem Begriff „alsbald“ ist dabei einerseits kein nur in unbestimmter zeitlicher Ferne liegender Termin gemeint (BVerwG, Urteil vom 27.04.1998 - 9 C 13.97 - juris Rn. 8). Andererseits setzt die Annahme einer extremen allgemeinen Gefahrenlage nicht voraus, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Ankunft im Abschiebezielstaat, eintreten. Eine extreme Gefahrenlage besteht auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert sein würde (BVerwG, Urteil vom 29.06.2010 - 10 C 10.09 - juris Rn. 15).
37 
c) Diese Voraussetzungen sind im Falle des Klägers heute jedenfalls nicht mehr gegeben. In Übereinstimmung mit anderen Obergerichten (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 06.05.2008 - 6 A 10749/07 - AuAS 2008, 188; Hess. VGH, Urteil vom 26.11.2009 - 8 A 1862/07.A - NVwZ-RR 2010, 331) hatte der Senat mit Urteil vom 14.05.2009 - A 11 S 610/08 - (DVBl 2009, 1327) entschieden, dass für Ausländer aus der Personengruppe der beruflich nicht besonders qualifizierten afghanischen männlichen Staatsangehörigen, die in ihrer Heimat ohne Rückhalt und Unterstützung durch Familie oder Bekannte sind und dort weder über Grundbesitz noch über nennenswerte Ersparnisse verfügen, aufgrund der katastrophalen Versorgungslage bei einer Abschiebung nach Kabul eine extreme Gefahrensituation im dargelegten Sinne bestehe. Das Bundesverwaltungsgericht hat (auch) diese Entscheidung mit Urteil vom 08.09.2011 - 10 C 16.10 - (juris) aufgehoben. Insbesondere die Feststellungen zum Vorliegen einer extremen Gefahr im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan verletzten Bundesrecht und würden einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht standhalten, denn die Entscheidung sei insbesondere hinsichtlich der festgestellten drohenden Mangelernährung und den damit verbundenen gesundheitlichen Risiken auf eine zu schmale Tatsachengrundlage gestützt. Das Bundesverwaltungsgericht betont: „‘Hunger‘ führt nicht zwangsläufig zum Tod, 'gesundheitliche Risiken' führen nicht notwendigerweise zu schwersten Gesundheitsschäden.“ Damit verfehle das Berufungsgericht den Begriff der Extremgefahr (so im Urteil vom 29.09.2011 - 10 C 23.10 - juris Rn. 24 bzgl. einer Parallelentscheidung des Hess.VGH). Bei der erneuten Befassung mit der Sache sei der Senat gehalten, sich auch mit der gegenteiligen Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte (insbesondere: Bay.VGH, Urteil vom 03.02.2011 - 13a B 10.30394 - juris) auseinanderzusetzen.
38 
Es sei dahingestellt, ob ein Obergericht revisionsrechtlich dazu verpflichtet werden kann, sich mit der abweichenden Einschätzung anderer Obergerichte auseinanderzusetzen (kritisch: Hess.VGH, Urteil vom 25.08.2011 - 8 A 1657/10.A - juris Rn. 77). Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof vertritt jedenfalls in dem zum besonderen Studium aufgegebenen Urteil die Auffassung, dass für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige angesichts der aktuellen Auskunftslage im Allgemeinen derzeit nicht von einer extremen Gefahrenlage auszugehen sei, die zu einem Abschiebungsverbot in entsprechender Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde. Zwar sei zweifellos von einer äußerst schlechten Versorgungslage in Afghanistan auszugehen. Im Wege einer Gesamtgefahrenschau sei jedoch nicht anzunehmen, dass dort alsbald der sichere Tod drohe oder schwerste Gesundheitsbeeinträchtigungen zu erwarten wären. Bei der Wirtschaftslage bzw. den ökonomischen Rahmenbedingungen würden durchaus positive Tendenzen gesehen. Es sei mit einem realen jährlichen Wirtschaftswachstum zwischen 6 und 8 % zu rechnen. Auch hätten bessere Ernten zu einer Verbesserung der Gesamtversorgungslage geführt. Zwar sei die Versorgung mit Wohnraum zu angemessenen Preisen in den Städten nach wie vor schwierig. Das Ministerium für Flüchtlinge und Rückkehrer bemühe sich jedoch um eine Ansiedlung der Flüchtlinge in Neubausiedlungen. Wenn es heiße, dass der Zugang für Rückkehrer zu Arbeit, Wasser und Gesundheitsversorgung häufig nur sehr eingeschränkt möglich sei, bedeute dies andererseits, dass jedenfalls der Tod oder schwerste Gesundheitsgefährdungen alsbald nach der Rückkehr nicht zu befürchten seien. Dies ergebe sich auch aus dem Afghanistan Report 2010 von amnesty international, wonach Tausende von Vertriebenen in Behelfslagern lebten, wo sie nur begrenzten Zugang zu Lebensmitteln und Trinkwasser, Gesundheitsversorgung und Bildung erhalten würden. Eine Mindestversorgung sei damit aber gegeben. Auch sei eine hinreichende zeitliche Nähe („alsbald“) zwischen Rückkehr und lebensbedrohlichem Zustand aufgrund von Mangelernährung, unzureichenden Wohnverhältnissen und schwieriger Arbeitssuche nicht ersichtlich. Insgesamt sei davon auszugehen, dass ein 25-jähriger lediger und gesunder Afghane, der mangels familiärer Bindungen keine Unterhaltslasten trage, auch ohne nennenswertes Vermögen und ohne abgeschlossene Berufsausbildung im Falle einer Abschiebung nach Kabul dort in der Lage wäre, durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen zu erzielen, damit ein Leben am Rande des Existenzminimums zu finanzieren und sich allmählich wieder in die afghanische Gesellschaft zu integrieren.
39 
Dies entspricht im Wesentlichen der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (vgl. Beschluss vom 26.10.2010 - 20 A 964/10.A -; Urteil vom 19.06.2008 - 20 A 4676/06.A - beide juris). Das Oberverwaltungsgericht vermochte dem Aspekt, dass positive Feststellungen zu den Modalitäten der Beschaffung des Lebensnotwendigen nicht zu treffen seien, kein entscheidendes Gewicht zu geben vor dem Umstand, dass die zahlreich vorliegenden Berichte für eine extreme Verelendung nichts hergeben würden, obwohl angesichts der hohen Rückkehrerzahlen aus den Nachbarländern und der Binnenfluchtbewegungen nicht davon ausgegangen werden könne, dass es an jeglichem Potential für Vergleichsfälle fehle (Urteil vom 19.06.2008, juris Rn. 80).
40 
Der Senat schließt sich der Rechtsprechung der zitierten Gerichte nunmehr an, weil auch er eine gewisse Verbesserung der allgemeinen Versorgungslage in Kabul - dem derzeit einzig möglichen Abschiebungsziel (Lagebericht AA v. 10.01.2012, S. 29 f.) - erkennen kann, die nach den strengen Maßstäben des Bundesverwaltungsgerichts im Rahmen einer wertenden Gesamtschau der Annahme einer alsbald nach der Abschiebung eintretenden Extremgefahr für gesunde ledige afghanische Männer auch ohne Vermögen oder lokale Familien- bzw. Stammesstrukturen entgegenstehen.
41 
Dem zentralen Argument des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen, dass Fälle extremer Verelendung von Rückkehrern dokumentiert sein müssten, vermag der Senat keine aussagekräftigen Erkenntnisquellen entgegen zu setzen; es lässt sich nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand nicht widerlegen. Insbesondere sind Erkenntnisquellen, die den Hungertod von Rückkehrern in Kabul dokumentieren, auch dem Senat nicht bekannt (ebenso: UNHCR vom 11.11.2011, 10 f.). Und in der Tat sind seit 2002 vor allem mit Hilfe des UNHCR insgesamt rund vier Millionen Flüchtlinge nach Afghanistan zurückgekehrt, wenn auch davon nur ca. 15.000 aus anderen Ländern als Pakistan und dem Iran (Gietmann, Asylmagazin 12/2011, 413, m.w.N.). Infolgedessen gehört Kabul heute zu den Städten mit dem weltweit stärksten Bevölkerungswachstum. Betrug die Einwohnerzahl 2001 noch rund 1,5 Millionen, wurde sie von der Stadtverwaltung im Juni 2010 auf über 5 Millionen geschätzt. Der Bevölkerungsanteil der Rückkehrer und Binnenvertriebenen wird auf 70 % geschätzt (Yoshimura, Asylmagazin 12/2011, 408, m.w.N.).
42 
Allerdings sind sämtliche Informationen, die der Senat über die Situation in der Stadt finden kann, durchaus ambivalent. Einerseits heißt es, 23 % der Bevölkerung lebten dort unterhalb der Armutsgrenze. Insgesamt seien die Lebenshaltungskosten in Kabul im Laufe der vergangenen Jahre um 30 bis 50 % gestiegen. Bewohner seien auch beim Erwerb zahlreicher, selbst legaler Güter des Alltags gezwungen, Bestechungsgelder zu bezahlen. Die Kriminalität und Gefahr, Opfer von Überfällen zu werden, sei hoch (Landinfo 2011, Part II, 17). Kabul würde einer Stadt im permanenten Ausnahmezustand ähneln (Dr. Danesch vom 07.10.2010, Logar, 3). Nur 55,9 % der Haushalte verfügten über Zugang zu sauberem Wasser. Zahlreiche Brunnen im Stadtgebiet seien aufgrund der steigenden Inanspruchnahme ausgetrocknet bzw. erschöpft (ai vom 29.09.2009, 2). Bezahlbarer Strom liege für ärmere Kabuler Familien außerhalb der finanziellen Möglichkeiten. Die Arbeitslosenrate in Kabul werde auf bis zu 50 % geschätzt. Infolge des Mangels an bezahlbarem Wohnraum würden sich zahllose Menschen gezwungen sehen, in prekären Unterkünften wie Lehmhütten, Zelten oder alten beschädigten Gebäuden zu hausen. Die Bewohner dieser „informellen Siedlungen“ würden außerhalb des sozialen Sicherheitsnetzes leben und ihren Lebensunterhalt durch Betteln, den Verkauf von Müll und andere gering bezahlte Tätigkeiten bestreiten müssen. Über Nacht entstünden neue Armenviertel und Slums, in denen es weder Kanalisation noch Müllentsorgung und kaum sauberes Wasser, Elektrizität oder medizinische Hilfe gebe. Die Zahl derer, die auf der Flucht vor Krieg, Rechtlosigkeit, Willkürherrschaft und Armut in die Städte strömten, vergrößere sich tagtäglich. Besonders dramatisch nehme deshalb gerade in Kabul die Zahl von Obdachlosen und Drogenabhängigen zu. Ohnehin befinde sich Afghanistan auf dem Weg in einen Drogenstaat. 2011 sei erneut ein Dürrejahr gewesen und vor allem im Norden, dem friedlichen Teil des Landes, herrsche Hunger. Zusammenfassend sei eine Rückkehr nach Kabul ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen schlicht unzumutbar (vgl. ai vom 20.12.2010; Asylmagazin 12/2011, 408-414, m.w.N.).
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Andererseits wird berichtet, gerade in Kabul existiere eine rege Bautätigkeit. In den vergangenen Jahren seien zahlreiche Immobilienprojekte in Angriff genommen worden. In Folge dessen gebe es nunmehr vor allem im Bausektor, wenn auch schlecht bezahlte Tageslohnarbeit. Viele Stadtteile Kabuls würden seit 2009 zwischenzeitlich 24 Stunden am Tag mit Strom versorgt. Seit kurzem boome in einigen Städten wie Kabul und Masar-i-Scharif der Handel. Geschäfte würden über Nacht eröffnet und man habe mittlerweile ein großes, kaum einen Wunsch offenlassendes Warenangebot. Die Lage sei nicht gut, aber sie sei besser geworden. Jedenfalls im Stadtzentrum sei auch die Armut nicht mehr so offensichtlich. Es gebe nicht mehr überall bettelnde Frauen in Burkas und keine Banden von Kindern, die sich an Klebstoff berauschten. Dafür hätten unzählige Kebab-Stände eröffnet. Überhaupt gebe es deutlich zahlreichere Geschäfte als noch vor wenigen Jahren und sogar eine Müllabfuhr sowie ein Mindestmaß an Ordnung bzw. überhaupt wieder so etwas wie ein Stadtleben. Auch die Sicherheitslage in Kabul sei, abgesehen von einigen spektakulären Anschlägen, unverändert stabil und weiterhin deutlich ruhiger als noch vor zwei Jahren (vgl. Lagebericht AA vom 10.01.2012; Kermani, Die Zeit vom 05.01.2012, 11 ff; Asylmagazin 12/2011, 408-414, m.w.N.).
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Vor diesem Hintergrund kann heute - trotz der ambivalenten Erkenntnisquellen - aufgrund der hohen Hürden des Bundesverwaltungsgerichts für die Annahme einer extremen allgemeinen Gefahrenlage für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige eine solche Extremgefahr nicht mehr begründet werden. Anders als noch 2009 sieht auch der Senat keine hinreichenden Anhaltspunkte mehr dafür, dass bei dieser Personengruppe im Falle der Abschiebung alsbald der Tod oder schwerste gesundheitliche Beeinträchtigungen zu erwarten wären. Die Einschätzung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, es sei vielmehr zu erwarten, dass Rückkehrer in Kabul durch Gelegenheitsarbeiten „ein kümmerliches Einkommen erzielen und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren könnten“, trifft heute auch nach Überzeugung des Senats zu. Zwar dürfte aufgrund der schlechten Gesamtsituation ohne schützende Familien- oder Stammesstrukturen in der Tat eine Rückkehr nach Kabul selbst für gesunde alleinstehende Männer unter humanitären Gesichtspunkten kaum zumutbar sein. Diese Zumutbarkeit ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts jedoch kein zentraler Maßstab für die Bestimmung einer extremen Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
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Im Falle des Klägers sind schließlich auch keine hinreichenden individuellen Faktoren gegeben, die ausnahmsweise eine extreme Gefahrenlage begründen könnten. Der Kläger leidet derzeit unter keinen gesundheitlichen Beeinträchtigungen mehr und ist, wie seine Beschäftigung in einem Restaurant verdeutlicht, arbeitsfähig. Allein aufgrund des für die Verhältnisse in Afghanistan, wo junge Burschen häufig mit 15 Jahren verheiratet werden und ein 20-jähriger Mann meist bereits mehrere Kinder hat (so Dr. Danesch vom 07.10.2010, Paktia, S. 6), in der Tat fortgeschrittenen Alters kann deshalb keine extreme Gefahrenlage erkannt werden. Auf die von der Beklagten aufgeworfene Frage, ob es aufgrund der dem Kläger seit längerem und bis heute erteilten Duldungen an einer Schutzlücke für eine verfassungskonforme Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG oder gar schon dem Rechtsschutzinteresse fehlt (vgl. BVerwG, Urteile vom 12.07.2001 - 1 C 2.01 - BVerwGE 114, 378 und vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 12), kommt es damit nicht an.
III.
46 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO und § 83 b AsylVfG.
IV.
47 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein gesetzlicher Zulassungsgrund vorliegt (§ 132 Abs. 2 VwGO).

(1) Die Abschiebung ist unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Ausnahmsweise kann eine kürzere Frist gesetzt oder von einer Fristsetzung abgesehen werden, wenn dies im Einzelfall zur Wahrung überwiegender öffentlicher Belange zwingend erforderlich ist, insbesondere wenn

1.
der begründete Verdacht besteht, dass der Ausländer sich der Abschiebung entziehen will, oder
2.
von dem Ausländer eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht.
Unter den in Satz 2 genannten Voraussetzungen kann darüber hinaus auch von einer Abschiebungsandrohung abgesehen werden, wenn
1.
der Aufenthaltstitel nach § 51 Absatz 1 Nummer 3 bis 5 erloschen ist oder
2.
der Ausländer bereits unter Wahrung der Erfordernisse des § 77 auf das Bestehen seiner Ausreisepflicht hingewiesen worden ist.
Die Ausreisefrist kann unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls angemessen verlängert oder für einen längeren Zeitraum festgesetzt werden. § 60a Absatz 2 bleibt unberührt. Wenn die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht oder der Abschiebungsandrohung entfällt, wird die Ausreisefrist unterbrochen und beginnt nach Wiedereintritt der Vollziehbarkeit erneut zu laufen. Einer erneuten Fristsetzung bedarf es nicht. Nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise darf der Termin der Abschiebung dem Ausländer nicht angekündigt werden.

(2) In der Androhung soll der Staat bezeichnet werden, in den der Ausländer abgeschoben werden soll, und der Ausländer darauf hingewiesen werden, dass er auch in einen anderen Staat abgeschoben werden kann, in den er einreisen darf oder der zu seiner Übernahme verpflichtet ist. Gebietskörperschaften im Sinne der Anhänge I und II der Verordnung (EU) 2018/1806 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind (ABl. L 303 vom 28.11.2018, S. 39), sind Staaten gleichgestellt.

(3) Dem Erlass der Androhung steht das Vorliegen von Abschiebungsverboten und Gründen für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nicht entgegen. In der Androhung ist der Staat zu bezeichnen, in den der Ausländer nicht abgeschoben werden darf. Stellt das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungsverbots fest, so bleibt die Rechtmäßigkeit der Androhung im Übrigen unberührt.

(4) Nach dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung bleiben für weitere Entscheidungen der Ausländerbehörde über die Abschiebung oder die Aussetzung der Abschiebung Umstände unberücksichtigt, die einer Abschiebung in den in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Staat entgegenstehen und die vor dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung eingetreten sind; sonstige von dem Ausländer geltend gemachte Umstände, die der Abschiebung oder der Abschiebung in diesen Staat entgegenstehen, können unberücksichtigt bleiben. Die Vorschriften, nach denen der Ausländer die im Satz 1 bezeichneten Umstände gerichtlich im Wege der Klage oder im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach der Verwaltungsgerichtsordnung geltend machen kann, bleiben unberührt.

(5) In den Fällen des § 58 Abs. 3 Nr. 1 bedarf es keiner Fristsetzung; der Ausländer wird aus der Haft oder dem öffentlichen Gewahrsam abgeschoben. Die Abschiebung soll mindestens eine Woche vorher angekündigt werden.

(6) Über die Fristgewährung nach Absatz 1 wird dem Ausländer eine Bescheinigung ausgestellt.

(7) Liegen der Ausländerbehörde konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der Ausländer Opfer einer in § 25 Absatz 4a Satz 1 oder in § 25 Absatz 4b Satz 1 genannten Straftat wurde, setzt sie abweichend von Absatz 1 Satz 1 eine Ausreisefrist, die so zu bemessen ist, dass er eine Entscheidung über seine Aussagebereitschaft nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 3 oder nach § 25 Absatz 4b Satz 2 Nummer 2 treffen kann. Die Ausreisefrist beträgt mindestens drei Monate. Die Ausländerbehörde kann von der Festsetzung einer Ausreisefrist nach Satz 1 absehen, diese aufheben oder verkürzen, wenn

1.
der Aufenthalt des Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder
2.
der Ausländer freiwillig nach der Unterrichtung nach Satz 4 wieder Verbindung zu den Personen nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 2 aufgenommen hat.
Die Ausländerbehörde oder eine durch sie beauftragte Stelle unterrichtet den Ausländer über die geltenden Regelungen, Programme und Maßnahmen für Opfer von in § 25 Absatz 4a Satz 1 genannten Straftaten.

(8) Ausländer, die ohne die nach § 4a Absatz 5 erforderliche Berechtigung zur Erwerbstätigkeit beschäftigt waren, sind vor der Abschiebung über die Rechte nach Artikel 6 Absatz 2 und Artikel 13 der Richtlinie 2009/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über Mindeststandards für Sanktionen und Maßnahmen gegen Arbeitgeber, die Drittstaatsangehörige ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigen (ABl. L 168 vom 30.6.2009, S. 24), zu unterrichten.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.