Verwaltungsgericht Freiburg Urteil, 04. Feb. 2016 - A 6 K 1356/15

bei uns veröffentlicht am04.02.2016

Tenor

Soweit die Klage zurückgenommen worden ist, wird das Verfahren eingestellt.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Tatbestand

 
Der Kläger, ein am … 1968 geborener pakistanischer Staatsangehöriger, beantragte am 09.02.2015 beim Bundesamt seine Anerkennung als Asylberechtigter, nachdem er am 15.11.2014 nach Deutschland eingereist war. Gemäß Eurodac-Recherche war der Kläger zuvor in Italien im Zusammenhang mit dem illegalen Überschreiten der Grenze registriert worden (Eurodac-Nr. IT2 …). Der Kläger gab bei der Belehrung nach Art. 5 Dublin III-VO an, „ca. am 05.11.2014“ nach Italien eingereist zu sein, und sich dort bis zum 14.11.2014 aufgehalten zu haben. Ein Übernahmeersuchen gemäß Art 13 Abs. 1 Dublin III-VO vom 27.02.2015 beantworteten die italienischen Behörden nicht.
Mit Bescheid vom 08.06.2015, zugestellt am 15.06.2015, lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Ziff. 1) und ordnete die Abschiebung des Klägers nach Italien an (Ziff. 2).
Der Kläger hat am 18.06.2015 Klage erhoben und macht geltend, mit seiner schweren Erkrankung (Leberzirrhose Child A bei chronischer Hepatitis C, Thrombopenie 70000 [Mangel an Blutplättchen mit erhöhter Blutungsneigung]) erhalte er in Italien keinen ausreichenden Zugang zu einer Gesundheitsversorgung. Einem zeitgleich mit der Klage gestellten Eilantrag ist mit Beschluss des Einzelrichters vom 31.07.2014 (A 6 K 1357/15) stattgegeben und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bundesamtsbescheid angeordnet worden.
Der Kläger, der zunächst auch die Verpflichtung der Beklagten begehrt hat, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen sowie ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hat die Klage in der mündlichen Verhandlung insoweit zurückgenommen und beantragt noch,
den Bescheid des Bundesamts vom 08.06.2015 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie den Akteninhalt (ein Heft des Bundesamts sowie ein Heft Gerichtsakte des Eilverfahrens A 6 K 1357/15) verwiesen. Der Kläger ist in der mündlichen Verhandlung informatorisch angehört worden; wegen des Inhalts seiner Angaben wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
I.
Soweit die Klage hinsichtlich des Verpflichtungsantrags zurückgenommen worden ist, war das Verfahren gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen.
II.
10 
Hinsichtlich der Anfechtungsklage ist in der Sache zu entscheiden. Eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung im Anschluss an die nunmehr vorgelegte ärztliche Bescheinigung des Universitätsklinikums Freiburg vom 16.02.2016 erachtet das Gericht nicht für geboten. Denn der Kläger hat diese, wie von ihm im Termin vom 04.02.2016 angekündigt, in Erfüllung der vom Gericht bereits unter dem 31.07.2015 erfolgten Anforderung und zwecks Darstellung seines aktuellen Gesundheitszustands vorgelegt und die Beklagte ist auf diesen Gesichtspunkt des Verfahrens – trotz des Hinweises des Gerichts vom 31.07.2015 - nie eingegangen. Von einem bislang nicht erörterten bzw. nicht hervorgetretenen Gesichtspunkt, den das Gericht zur Grundlage seiner Entscheidung macht, ohne die Beteiligten hierzu zuvor gehört zu haben, kann folglich nicht die Rede sein. Auf die hieraus abgeleitete Rechtsauffassung und Würdigung des Prozessstoffs musste das Gericht nicht hinweisen, da die tatsächliche und rechtliche Würdigung sich erst aufgrund der abschließenden Beratung ergibt (BVerwG, Beschl. v. 07.12.2015 – 1 B 66/15 –, Rn. 16, juris).
11 
Die zulässige Klage ist unbegründet, da der Bescheid des Bundesamts vom 08.06.2015 rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
12 
1.) Die Republik Italien ist gemäß § 27a AsylG i.V.m. Art. 13 Abs. 1 Satz 1 der (gemäß ihrem Art. 49 Unterabs. 2 anzuwendenden) Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (Dublin III-VO) für die weitere Durchführung des Asylverfahrens zuständig. Gemäß Art. 13 Abs.1 Satz 1 Dublin III-VO ist der Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig, dessen Land-, See- oder Luftgrenze der Antragsteller aus einem Drittstaat kommend illegal überschritten hat. Ein solcher Fall liegt hier vor, da der Kläger, wie durch einen Eurodac-Treffer der Kategorie 2 bestätigt, als erstes ohne Aufenthaltstitel und damit illegal die Grenze zum EU-Mitgliedstaat Italien überschritten hat. Auch der Kläger selbst hat eingeräumt, in Italien gewesen zu sein, sich dort 5 bis 6 Tage in einem Asylheim in Sizilien aufgehalten zu haben, ohne aber einen Asylantrag zu stellen.
13 
a.) Ungeachtet dessen, dass sich der Kläger auf eine etwaige Verletzung von Verfahrensvorschriften jedenfalls bei Zustimmung des ersuchten Mitgliedstaates nicht für eine Rechtsverletzung berufen könnte, ist diese für Italien anzunehmende Zuständigkeit auch nicht nachträglich entfallen. Das Bundesamt hat innerhalb der in Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 2 Dublin III-VO genannten Frist bereits am 27.02.2015 ein Aufnahmegesuch an Italien gerichtet. Italien hat hierauf nicht reagiert, sodass gemäß Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO seit Ablauf des 27.04.2015 davon auszugehen ist, dass es dem Aufnahmegesuch zugestimmt hat. Damit ist Italien zur Aufnahme des Klägers sowie dazu verpflichtet, angemessene Vorkehrungen für seine Ankunft zu treffen. Von dieser Aufnahmebereitschaft ist im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung weiterhin auszugehen, so dass auch keine unzumutbare Verzögerung der Durchführung des Aufnahmeverfahrens (auf die sich der Kläger in Abwehr einer subjektiven Rechtsverletzung berufen könnte) eintreten wird. Denn die mit Eintritt der Zustimmungsfiktion am 28.04.2015 beginnende sechsmonatige Überstellungsfrist des Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1, Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO ist aufgrund der mit Eilbeschluss vom 31.07.2015 erfolgten Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gehemmt (zu dieser Wirkung vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 16.04.2014 – A 11 S 1721/13 –, Rn. 33, juris) und folglich tatsächlich noch nicht abgelaufen (Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 i.V.m. Art. Art. 27 Abs. 3 Dublin III-VO). Von einer überlangen, eine Pflicht zum Selbsteintritt des ersuchenden Mitgliedstaats begründende Verfahrensdauer kann angesichts der etwas mehr als zwei Monate zwischen Asylantragstellung und (fingierter) Erteilung der Zustimmung zur Aufnahme nicht die Rede sein (in diesem Sinne sogar für elf Monate: BVerwG, Urt. v. 27.10.2015 – 1 C 32/14 –, Rn. 21, juris). Die Pflicht Italiens schließlich, nach Aufnahme des Klägers den von diesem gestellten Asylantrag zu prüfen, ergibt sich aus Art. 18 Abs. 2 Unterabs. 1 Dublin III-VO.
14 
b.) Die vom Kläger eingewendeten Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO, die eine Pflicht des BAMF bewirkten zu prüfen, ob statt Italiens ein anderer Mitgliedstatt zuständig ist bzw. - bei Verneinung - die Zuständigkeit Deutschlands begründeten, liegen nicht vor. Es erweist sich nicht als unmöglich, den Kläger nach Italien zu überstellen, da es keine wesentlichen Gründe für die Annahme gibt, dass die (im Fall Italiens allein zu untersuchenden) Aufnahmebedingungen für ihn in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU-Grundrechtecharta bzw. Art. 3 EMRK mit sich bringen. Eine solche Rechtsverletzung hätte vorausgesetzt, dass mit Blick auf das Gewicht und Ausmaß einer drohenden Beeinträchtigung dieser Grundrechte mit einem beachtlichen Grad von Wahrscheinlichkeit die reale, nämlich durch eine hinreichend gesicherte Tatsachengrundlage belegte Gefahr besteht, dass der Betroffene in dem Mitgliedstaat, in den er als den nach der Dublin III-VO zuständigen Staat überstellt werden soll, während der Dauer des Asylverfahrens wegen einer grundlegend defizitären Ausstattung mit den notwendigen Mitteln elementare Grundbedürfnisse des Menschen (wie z.B. Unterkunft, Nahrungsaufnahme und Gesundheits-/Hygienebedürfnisse) nicht in einer noch zumutbaren Weise befriedigen kann (vgl. m.w.N. OVG Lüneburg, Urt. v. 25.06.2015 – 11 LB 248/14 –, Rn. 46, juris). Dies ist indessen zu verneinen.
15 
Italien hat zwar Probleme bei der lückenlosen Versorgung von Asylwerbern mit im Rahmen der Aufnahme gewährten materiellen Leistungen. Das Land sah sich im Jahr 2015 mit einer hohen, gegenüber den Vorjahren noch einmal angestiegenen Zahl an Asylbewerbern konfrontiert. Eurostat gibt diesen Zustrom mit 84.085 Asylbewerbern und erstmaligen Asylbewerbern an (Quelle: Europäische Kommission > Eurostat > Statistik nach Themen > Asyl und gesteuerte Migration > Statistiken illustriert > Asylbewerber und erstmalige Asylbewerber [Zahlen dort für 2014: 64.625 und für 2013: 26.620]). Diese Zahl kann angesichts des auch im letzten Quartal 2015 anhaltenden Flüchtlingszustroms als verlässlich zugrundegelegt werden. Die mit 48.307 Asylantragstellern vom UNHCR aufgeführte Zahl (www.unhcr.org > Where We Work > Europe > Northern, Western, Central and Southern Europe > Italy > Statistical Snapshot) widerspricht dem nicht, da sie den Stand (nur von) Juni 2015 abbildet. Entsprechendes gilt für die mit 59.165 Antragstellern genannte Zahl im AIDA-Report vom Dezember 2015 des ECRE (European Council on Refugees and Exiles - Asylum Information Database, Country Report: Italy, Seite 6 [künftig aufgeführt als: AIDA-Report Dezember 2015]), die den Zeitraum (nur) von Januar bis September betrifft.
16 
Von einem systemischen Versagen im Hinblick auf das Aufnahmeverfahren ist indessen nicht auszugehen, da das Land in Reaktion auf diesen Zustrom nicht etwa untätig geblieben ist und bleibt, sondern Maßnahmen zur Problembewältigung ergriffen hat und weiterhin durchführt (vgl. bereits für die Zeitpunkte April und Juni 2015: OVG NRW, Urt. v. 24.04.2015 – 14 A 2356/12.A –, Rn. 41, juris; OVG Lüneburg, Urt. v. 25.06.2015, a.a.O., Rn. 51 ff.). Die Aufnahmekapazitäten sind sukzessive und deutlich erhöht worden. Während Ende Februar 2015 in den Erstaufnahmezentren (CPSA, CARA/CDA) noch 9.504 Unterbringungsplätze vorhanden bzw. belegt waren (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 25.03.2015 an VG Schwerin; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Auskunft vom 23.04.2015 an VG Schwerin), stieg diese Zahl bis Mitte 2015 auf 12.000 Plätze an und soll im Laufe des Jahres 2016 auf zunächst 14.750 und sodann auf 15.550 Plätze ausgeweitet werden (AIDA-Report Dezember 2015, Seite 67). Entsprechendes gilt für die Anschlussunterbringung im SPRAR-System, dessen Kapazität von Ende Februar 2015 (20.596 Plätze - so Auswärtiges Amt und Schweizerische Flüchtlingshilfe, a.a.O.) zunächst bis Ende Mai 2015 auf rund 21.449 Plätze ausgeweitet wurde, zu denen weitere 10.000 ausgeschriebene Plätze hinzukommen, um für das Jahr 2016 eine Anzahl von knapp 32.000 Plätzen zu erreichen (Borderline-Europe, Kurzinformation zur Situation von Geflüchteten in der Region Sizilien, Februar 2016, Seite 4; AIDA-Report Dezember 2015, Seite 68). Was schließlich den Bereich der außerordentlichen Aufnahmezentren (Notfallzentren -CAS) angeht, betrug deren Kapazität Ende Februar 2015 etwa 37.000 Personen (Auswärtiges Amt und Schweizerische Flüchtlingshilfe, a.a.O.) und war bis Ende Juni 2015 auf rund 50.711 Personen angewachsen (AIDA-Report Dezember 2015, Seite 69). Borderline-Europe (a.a.O., Seite 4) berichtet unter Hinweis auf Angaben des italienischen Innenministeriums gar von 70.918 vorhandenen Plätzen in 3.090 Einrichtungen.
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Dass diese Verbesserungen nur vorübergehend wären und bei einer Prognose in Zukunft ein Rückschritt bzw. Verschlechterungen eintreten könnten, ist nicht zu erwarten. Hierbei muss berücksichtigt werden, dass Italien (neben Griechenland) im Zeitraum von 2014 bis 2020 voraussichtlich weiterhin der wichtigste Begünstigte des Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF) sein wird (vgl. Beschluss (EU) 2015/1601 des Rates vom 22.09.2015 zur Einführung von vorläufigen Maßnahmen im Bereich des internationalen Schutzes zu Gunsten von Italien und Griechenland, Erwägungsgrund 15). In Erfüllung seiner aus dem vorgenannten Beschluss (dort Art. 8 Abs. 1 sowie Erwägungsgrund 18) resultierenden Verpflichtung, als Reaktion auf die Krisensituation einen soliden strategischen Rahmen zu schaffen und den bereits eingeleiteten Reformprozess in diesen Bereichen zu verstärken, um so zu einer strukturellen Lösung für die Bewältigung des außergewöhnlichen Drucks auf sein Asyl- und Migrationssystem zu gelangen, hat Italien am 28.09.2015 einen aktualisierten Fahrplan („Roadmap“) vorgelegt (in englischer Zusammenfassung und Kommentierung abgerufen bei www.statewatch.org). Darin werden die oben genannten Aufnahmekapazitäten auch von staatlicher italienischer Seite aufgeführt und im SPRAR-System mittelfristig für den Zeitraum 2016/2017 eine Aufnahmekapazität von mindestens 40.000 Plätzen ins Auge gefasst. Die Zahl der Ende September 2015 vorhandenen Unterbringungsplätze im CAS-System wird mit 68.093 angegeben.
18 
Angesichts dieser Zahlen sowie der im genannten Beschluss des Rates der Europäischen Union vom 22.09.2015 und ferner in dessen vorangegangenem Beschluss (EU) 2015/1523 vom 14.09.2015 vorgesehenen Umsiedlung von mehreren Tausend Antragstellern aus Italien in das Hoheitsgebiet anderer Mitgliedstaaten (mit der dadurch eintretenden Entlastung zugleich des Aufnahmesystems) kann nicht von systemischen Mängeln ausgegangen werden.
19 
Relevant ist mit Blick auf die Situation in Fällen wie den des Klägers ferner die Frage der Aufnahme und Unterbringung von Dublin-Rückkehrern, die erkrankt sind. Bei der Bewertung der in Italien anzutreffenden Umstände der Aufnahme von Flüchtlingen sind diejenigen Umstände heranzuziehen, die auch auf die Situation des Klägers zutreffen. Abzustellen ist demnach auf die Situation von Flüchtlingen in einer vergleichbaren rechtlichen und tatsächlichen Lage, wohingegen die Situation von Flüchtlingen in anderen rechtlichen oder tatsächlichen Umständen keine unmittelbare Rolle spielt. Sie kann allenfalls ergänzend herangezogen werden, sofern sich diese Umstände auch auf die Situation des Klägers auswirken können ( OVG NRW, Urt. v. 07.03.2014 – 1 A 21/12.A –, Rn. 130, juris).
20 
Beim Kläger handelt es sich darüber hinaus um eine chronisch erkrankte Person. Gemäß ärztlichen Bescheinigungen des Universitätsklinikums Freiburg (Leberzentrum) vom 12.04.2015 und (aktualisiert) vom 16.02.2016 leidet der Kläger seit 2011 an einer bereits in Pakistan diagnostizierten (und behandelten) chronischen Hepatitis C-Virusinfektion und einer Thrombopenie 70000 und einer (in Deutschland diagnostizierten) Leberzirrhose Child A infolge der Virusinfektion. Die erforderliche Behandlung besteht in einer antiviralen Therapie sowie ferner halbjährlichen Kontrolluntersuchungen (Labor und Ultraschall) zur Früherkennung eines Leberzellkarzinoms. Die im Fall des Klägers indizierte Therapie über 24 Wochen mit interferonfreien Medikamenten besitzt eine Erfolgsaussicht betreffend die endgültige Ausheilung der Hepatitis C zwischen 60-90 % (zu dieser grundlegenden Umwälzung der Hepatitis-C-Therapie aufgrund direkt antiviral wirkender Substanzen mit der daraus resultierenden hocheffektiven Therapie vgl. auch: Robert Koch Institut, Epidemiologisches Bulletin Nr. 30 vom 27.07.2015, 289 [298]). Die Kosten liegen bei 158.000 EUR. Neuere Therapieoptionen werden im Laufe des Jahres 2016 erwartet (12 Wochen Therapiedauer bei 89% Erfolgsaussicht der Virusausheilung) und sind voraussichtlich deutlich günstiger. Wird der Kläger nicht kurzfristig behandelt, sind keine Folgen zu erwarten (1-Jahres-Überlebensrate bei nahezu 100 %). Mittelfristig, im Bereich von Monaten bis wenigen Jahren, ist der Übergang in eine Leberzirrhose Child B-Stadium zu erwarten, was eine deutlich höhere Rate an Komplikationen der Leberzirrhose nach sich zieht (Ausbildung von Krampfadern der Speiseröhre mit eventuell drohender Blutung, Ausbildung von Bauchwasser, Gerinnungsstörungen, Störungen der Gedächtnisleistung). Die 1-Jahres-Überlebensrate liegt hier bei 85 %. Bleibt die Krankheit langfristig unbehandelt, ist mit einem weiteren Fortschreiten der Leberzirrhose in ein Child C-Stadium zu rechnen mit Dekompensation der Leberzirrhose und dem zusätzlichen Risiko eines Leberzellkrebses. Die 1-Jahres-Überlebensrate liegt hier bei 35 %, so dass die langfristigen Überlebenschancen ohne Therapie der Hepatitis C schlecht sind.
21 
Für die anzustellende Prognose ist davon auszugehen, dass der Kläger bei seiner (unterstellten) Ankunft in Italien einen Asylantrag stellt (bzw., da in Deutschland bereits gestellt, dort formal nach italienischen Bestimmungen registrieren lässt und aufrechterhält) und die dort zur Verfügung stehenden Angebote der (medizinischen) Versorgung im Rahmen des Möglichen tatsächlich nutzt (OVG NRW, Urt. v. 07.03.2014, a.a.O.). Systemische Mängel bei der Aufnahme von Dublin-Rückkehrern sowie in der medizinischen Versorgung kranker Asylantragsteller, welche beachtlich wahrscheinlich eine Gefahr für den Kläger begründen könnten, sind danach zu verneinen:
22 
Dublin-Rückkehrer, die - wie der Kläger - während ihres Aufenthalts in bzw. ihrer Durchreise durch Italien kein Asylgesuch gestellt haben, können den Antrag auf internationalen Schutz dort unter regulären Bedingungen stellen (AIDA-Report Dezember 2015, Seite 40). Das Hauptproblem für sie besteht in der Aufnahme bzw. Unterbringung, wenn sich hier Verzögerungszeiten ergeben, während der eine Versorgung mit materiellen Leistungen möglicherweise nicht gewährleistet ist. Gerade hier waren in den letzten Jahren allerdings Aufnahmesysteme eingerichtet worden, um Dublin-Rückkehrer vorübergehend unterzubringen, bis ihre Verfahrenssituation geklärt oder - im Fall vulnerabler Personen - eine alternative Unterbringung gefunden war. Bis Mitte 2015 waren auf diese Art mit finanzieller Hilfe des Europäischen Flüchtlingsfonds (ERF) 11 Zentren für die Aufnahme von Dublin-Rückkehrern tätig, von denen 7 auf vulnerable Person spezialisiert waren. Diese Zentren in Rom (3), der Provinz Mailand (3), Venedig (2), Bologna (2) und Bari (1) konnten 443 Dublin-Rückkehrer vorübergehend unterbringen (AIDA-Report Januar 2015, Seite 31; AIDA-Report Dezember 2015, Seite 63/64). Seit Juni 2015, dem Ende der ERF-Förderung, werden Dublin-Rückkehrer im regulären Aufnahmesystem untergebracht: Allerdings ist vorgesehen, mit Unterstützung des durch die Verordnung (EU) 516/2014 für den Zeitraum 01.01.2014 bis 31.12.2020 eingerichteten (sich an den ERRF anschließenden) Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF) erneut für eine spezielle Unterbringung dieses Personenkreises zu sorgen (AIDA-Report Dezember 2015, Seite 67). Das von Italien gemäß Art. 14 der Verordnung (EU) 514/2014 für den Zeitraum 01.01.2014 bis 31.12.2020 vorgeschlagene und von der EU-Kommission noch zu genehmigende nationale Programm (Programma Nazionale FAMI - abrufbar unter https://ec.europa.eu/migrant-integration/news/italy-amif-call-for-proposals-now-published?lang=de) sieht erneut Maßnahmen zur Gewährleistung der Aufnahme von und Unterstützungsleistungen für Personen vor, die in Anwendung der Dublin III-VO überstellt werden (Seite 9: Obiettivo specifico - Asilo, unter f) sowie die Verstärkung der Aufnahmedienste, die Unterstützung und räumliche Orientierung solcher Personen (Seite 10: Obiettivo nazionale - Accoglienza/asilo, unter f).
23 
Auch wenn die Umsetzung des Programms im Fall seiner Genehmigung erst im letzten Quartal 2016 beginnen kann (vgl. Europäische Kommission: Asylum, Migration and Integration Fund (2014-2020) - 2015 Call for Proposal, Timetable [abrufbar unter: http://ec.europa.eu/dgs/home-affairs/financing/fundings/migration-asylum-borders/asylum-migration-integration-fund/calls/2015/inte/index_en.htm] sowie Programma Nationale FAMI, a.a.O., Seite 23 [Calendario Indicativo]), belegt die Existenz spezieller Aufnahmeeinrichtungen für Dublin-Rückkehrer in der Vergangenheit sowie deren Planung für die Zukunft, dass Italien ein besonderes Augenmerk auf diesen Personenkreis gelegt hat bzw. weiterhin legt. Anhaltspunkte dafür, der Kläger werde bei Rücküberstellung nicht sofort Unterbringung in einer Aufnahmeeinrichtung erfahren, gibt es nicht. Von zeitlichen Lücken bei der Unterbringung zwischen Einreichen eines Asylgesuchs und dessen formaler Registrierung wird zwar berichtet (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Auskunft vom 23.04.2015 an VG Schwerin; AIDA-Report Dezember 2015, Seite 62/63). Allerdings gibt es keine verlässlichen Hinweise darauf, dass es sich hierbei um ein weitverbreitetes Phänomen handelt. Dem AIDA-Report Dezember 2015 (Seite 67) ist insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Dublin-Rückkehrer gerade nicht zu entnehmen, dass seit Auslaufen der speziellen vorübergehenden Aufnahme seit Mitte 2015 dieser Personenkreis Schwierigkeiten bei der Unterbringung im regulären Aufnahmesystem hätte. Eine besondere Kennzeichnung wäre indessen im Fall einer problematischen Sachlage zu erwarten gewesen, da der Report (Seite 37) die Zahl der an Italien gerichteten Übernahmeersuchen mit 14.019 angibt. Es muss ferner berücksichtigt werden, dass es sich bei Personen wie dem Kläger bereits um Asylantragsteller handelt, deren im Mitgliedstaat Deutschland gestellter Asylantrag nunmehr gemäß Art. 18 Abs. 2 Unterabs. 1 Dublin III-VO von Italien zu prüfen ist. Hinzu kommt ein weiteres: Beim Kläger handelt sich um eine erkrankte Person. Sowohl in der ersten als auch der zweiten Stufe des italienischen Aufnahmesystems wird diesem Umstand bei der Unterbringung aber Rechnung getragen (AIDA-Report Dezember 2015, Seite 61). Gemäß Art. 31 Dublin III-VO i.V.m. Art. 8 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 (Dublin-DVO) und dem für die Übermittlung von Daten verwendeten Standardformblatt (Anhang VI der Dublin-DVO) ist sichergestellt, dass Italien vom Gesundheitszustand des Klägers im Zuge der Überstellung erfährt. Die Dublin-Überstellung ist eine staatlich überwachte und organisierte Ausreise des Betroffenen in einen anderen Mitgliedstaat (BVerwG, Urt. v. 17.09.2015 – 1 C 26/14 –, Rn. 18 und 21, juris).
24 
Auch wenn der Kläger, wie er vorgetragen hat, die wenigen Tage seines Aufenthalts in Italien in einem Asylheim in Sizilien verbracht hat, ist schließlich hinreichend sicher auszuschließen, dass er wegen seiner Weiterwanderung nach Deutschland bei der künftigen Aufnahme/Unterbringung Nachteile zu gewärtigen hätte. Denn ein Asylgesuch bzw. einen Asylantrag hatte er zum damaligen Zeitpunkt nicht gestellt, so dass nicht von einem Fall ausgegangen werden kann, der im Sinne von Art. 20 Abs. 1 der Richtlinie 2013/33/EU (Aufnahmerichtlinie) eine Einschränkung oder den Entzug der im Rahmen der Aufnahme gewährten materiellen Leistungen nach sich zieht (vgl. zu solchen Fällen AIDA-Report Dezember 2015, Seite 74/75).
25 
Eine medizinische Versorgung des Klägers im Sinne von Art. 19 der Aufnahmerichtlinien ist schließlich in Italien gewährleistet (vgl. bereits für frühere Jahre: OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 02.10.2013 – 3 L 643/12 –, Rn. 107 ff., juris; OVG NRW, Urt. v. 07.03.2014 – 1 A 21/12.A –, Rn. 182 ff., juris). Asylwerber und Personen mit einem Schutzstatus in Italien müssen sich beim italienischen Nationalen Gesundheitsdienst registrieren und haben dann dieselben Rechte und Pflichten in Bezug auf medizinische Versorgung wie italienische Staatsbürger. Asylbewerber haben dieses Recht ab Registrierung ihres Asylantrags. Im Zuge der Registrierung wird eine Gesundheitskarte (tessera sanitaria) ausgestellt. Die Registrierung berechtigt zu Leistungen wie u.a. freie Wahl eines Hausarztes (kostenlose Arztbesuche, Hausbesuche, Rezepte, usw.) und kostenlose Aufenthalte in öffentlichen Krankenhäusern. In den ersten 6 Monaten ihres Aufenthalts in Italien, in denen Asylbewerber nicht arbeiten dürfen, sind sie arbeitslosen Staatsbürgern gleichgestellt und müssen keine Praxisgebühr bezahlen. Nach Ablauf der ersten 6 Monate müssen sie sich offiziell arbeitslos melden, um diese Befreiung beibehalten zu können (AIDA-Report Dezember 2015, Seite 83). Es steht ferner außer Frage, dass in Italien die Krankheit des Klägers, sollte sich hierzu akuter Bedarf ergeben, auch ausreichend behandelt werden kann. Der Kläger selbst hat nur behauptet, von Asylbewerbern sei ihm gesagt worden, seine Krankheit werde in Italien nicht behandelt. Entsprechendes ist ihm von öffentlichen Stellen nicht gesagt worden und träfe auch nicht zu. Der in der WHO-Reihe Health Systems in Transition (HiT) erschienene Bericht über das italienische Gesundheitssystem (HiT 2014, 16(4):1–168; abrufbar bei WHO: http://www.euro.who.int/en/countries/italy/publications3/italy-hit-2014) hebt den hohen medizinischen Standard (mit einer daraus folgenden, innerhalb der EU zweithöchsten Lebenserwartung) ebenso wie den Umstand hervor, dass die Gesundheitsleistungen in gleicher Weise Bürgern wie legalen/illegalen Einwanderern zur Verfügung stehen (Seiten 1, 10 und 90). Selbst wenn sich in Italien ein weitergehender Therapiebedarf mit – vorbehaltlich allerdings einer dann zur Verfügung stehenden günstigeren Therapie – den vom Universitätsklinikum angegebenen hohen Kosten ergeben sollte, kann nicht erkannt werden, dass dies dem Kläger verweigert würde. Der EuGH hat im Urteil vom 27.09.2012 (C-179/11 [Cimade] –, juris, Rn. 59 ff.) festgestellt, dass die mit der Gewährleistung der Mindestbedingungen nach der Aufnahmerichtlinie verbundenen finanziellen Belastungen durch den Mitgliedstaat zu tragen sind, den diese Verpflichtung mit Blick auf den Aufenthalt des Asylbewerbers trifft. Diese derzeit Deutschland treffende Verpflichtung würde mit der tatsächlichen Überstellung des Klägers enden und dann Italien treffen. Der EuGH hat ferner darauf hingewiesen, dass mit Blick auf mögliche finanzielle Lasten der Europäische Flüchtlingsfond (jetzt: dessen Nachfolger AMIF) aus diesem Grund vorsieht, dass den Mitgliedstaaten u.a. in Bezug auf Aufnahmebedingungen finanzielle Unterstützung angeboten werden kann.
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Einer individuellen Zusicherung Italiens, wie vom EGMR in der Entscheidung vom 04.11.2014 – 29217/12 [Tarakhel / Schweiz] –, in deutscher Übersetzung veröffentlicht in NVwZ 2015,127 ff.) gefordert, bedurfte es im Fall des Klägers nach Auffassung des Gerichts schließlich nicht (zu Fragen des Inhalts und des Zeitpunktes einer Zusicherung vgl. m.w.N. die Darstellung bei Hocks, Asylmagazin 2015, 5 [8 ff.]). Allerdings wär eine solche wohl kaum zu erwarten gewesen, da auch nach derzeitigem Kenntnisstand Italien keine solchen Zusicherungen mehr gibt (vgl. etwa VG Düsseldorf, Urt. v. 15.12.2015 – 12 K 7303/15.A –, Rn. 63 und 64, juris, unter Hinweis auf eine Auskunft der Liaison-Beamtin des Bundesamtes in Italien vom 13.04.2015; Hinweise darauf auch bereits bei BVerfG, Beschl. v. 22.07.2015 - 2 BvR 746/15 -, NVwZ 2015, 1286). Das Bundesamt war bereits mit gerichtlicher Aufforderung vom 31.07.2015 mit dieser Frage befasst worden, ohne allerdings - was für die obige Annahme sprechen dürfte – zu reagieren. So unterschied sich zum einen hinsichtlich der Kapazität der Aufnahmeeinrichtungen die Sachlage bei Entscheidung des EGMR von derjenigen dieses Verfahrens. Der EGMR (a.a.O., Rn. 108-110) legte die in den Jahren 2011-2013 - gegenüber den oben unter aufgeführten: deutlich - geringeren Kapazitätszahlen zugrunde. Der Gerichtshof betonte immerhin schon im November 2014, dass die damalige allgemeine Situation von Asylsuchenden in Italien keineswegs mit jener in Griechenland, wie sie im Fall M.S.S./Belgien und Griechenland festgestellt worden sei, zu vergleichen sei. Struktur und allgemeine Lage der Aufnahme in Italien allein verhinderten also nicht jegliches Überstellen von Asylbewerbern in dieses Land. Aufgrund ernstlicher Zweifel an der Kapazität des Systems könne indessen die Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden, dass eine erhebliche Zahl von Asylbewerbern keine Unterkunft finde oder in überbelegten Einrichtungen auf engstem Raum oder sogar in gesundheitsschädlichen oder gewalttätigen Verhältnissen untergebracht werde. Der besondere Schutz für Asylbewerber, die eine besonders benachteiligte und verwundbare Bevölkerungsgruppe seien, sei umso wichtiger, wenn die Betroffenen Kinder seien, weil sie besondere Bedürfnisse hätten und extrem verwundbar seien (Rnr. 114-119). Die vom EGMR somit für maßgeblich erachtete extreme Verwundbarkeit eines Kindes (mit Blick auf die Gefahr einer Trennung von seinen Eltern und/oder die Gefahr der Anspannung und Angst mit besonders traumatisierenden Wirkungen für die Psyche) kennzeichnet den Fall des Klägers nicht. Das Gericht verkennt nicht, dass es sich beim Kläger nicht um eine gesunde Person handelt. Er hat in der mündlichen Verhandlung auch darauf hingewiesen, dass er, da er seit 6 bis 7 Monaten keine Medikamente mehr erhalte, ziemlich unerträgliche Schmerzen und Nasenbluten habe. Dass er hierdurch derart geschwächt wäre, dass er bei Rücküberstellung nach Italien dort einer erheblichen, durch materielle Aufnahmeleistungen nicht abwendbaren Gesundheitsverschlechterung unterworfen wäre, kann das Gericht aber nicht sehen. Hierbei muss beachtet werden, dass der Kläger aktuell in Deutschland mangels Kostenzusage nicht behandelt wird, was dafür spricht, dass sein Zustand keine akute Behandlungsbedürftigkeit i.S.v. § 4 AsylbLG (Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände) aufweist. Auch ist von Bedeutung, dass laut Anamnese vom April 2015, als er nach Italien und Deutschland kam, seine Krankheit bereits seit 4 Jahren diagnostiziert und in Pakistan behandelt worden war. Gleichwohl hat der die Reise nach Europa durchführen könne, was auch noch aktuell für eine ausreichende Belastbarkeit im Zuge einer Rücküberstellung spricht.
27 
2.) Auch die auf § 34a AsylG (zu dessen Unionsrechtskonformität vgl. BVerwG, Urt. v. 17.09.2015, a.a.O., Rn. 13 ff.) gestützte Abschiebungsanordnung (Ziff. 2 des Bundesamtsbescheids) ist schließlich rechtlich nicht zu beanstanden. In Fällen eines für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen anderen Staates i.S.v. § 27a AsylG darf die Abschiebung (nur) angeordnet werden, (wenn bzw.) sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Hierbei ist (inzident) auch zu prüfen, ob Abschiebungsverbote oder Duldungsgründe vorliegen (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 31.05.2011 – A 11 S 1523/11 –, Rn. 4, juris). Solche Hinderungsgründe für eine Abschiebung liegen hier nicht vor. Gemäß ärztlicher Bescheinigung vom 16.02.2016 des Universitätsklinikums Freiburg (Leberzentrum) bedarf der Kläger einer antiviralen Therapie sowie halbjährlicher Kontrolluntersuchungen zur Früherkennung eines Leberzellkarzinoms. Eine solche Therapie ist noch nicht begonnen worden, so dass sich die Frage nicht stellt, ob ein bei Rücküberstellung nach Italien eintretender Abbruch bzw. eine Unterbrechung problematisch wäre. Weder unter diesem Gesichtspunkt noch mit Blick auf den aktuellen Zustand des Klägers, wie er ihn in der mündlichen Verhandlung geschildert hat, besteht bei ihm eine Reiseunfähigkeit. Nach dem bereits oben Dargelegten ist ferner davon auszugehen, dass die Erkrankung des Klägers in Italien behandelt werden und somit eine erhebliche Verschlimmerung im Sinne eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG verhindert werden kann.
III.
28 
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 155 Abs. 2, 154 Abs. 1 VwGO, § 83 b AsylG.

Gründe

 
I.
Soweit die Klage hinsichtlich des Verpflichtungsantrags zurückgenommen worden ist, war das Verfahren gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen.
II.
10 
Hinsichtlich der Anfechtungsklage ist in der Sache zu entscheiden. Eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung im Anschluss an die nunmehr vorgelegte ärztliche Bescheinigung des Universitätsklinikums Freiburg vom 16.02.2016 erachtet das Gericht nicht für geboten. Denn der Kläger hat diese, wie von ihm im Termin vom 04.02.2016 angekündigt, in Erfüllung der vom Gericht bereits unter dem 31.07.2015 erfolgten Anforderung und zwecks Darstellung seines aktuellen Gesundheitszustands vorgelegt und die Beklagte ist auf diesen Gesichtspunkt des Verfahrens – trotz des Hinweises des Gerichts vom 31.07.2015 - nie eingegangen. Von einem bislang nicht erörterten bzw. nicht hervorgetretenen Gesichtspunkt, den das Gericht zur Grundlage seiner Entscheidung macht, ohne die Beteiligten hierzu zuvor gehört zu haben, kann folglich nicht die Rede sein. Auf die hieraus abgeleitete Rechtsauffassung und Würdigung des Prozessstoffs musste das Gericht nicht hinweisen, da die tatsächliche und rechtliche Würdigung sich erst aufgrund der abschließenden Beratung ergibt (BVerwG, Beschl. v. 07.12.2015 – 1 B 66/15 –, Rn. 16, juris).
11 
Die zulässige Klage ist unbegründet, da der Bescheid des Bundesamts vom 08.06.2015 rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
12 
1.) Die Republik Italien ist gemäß § 27a AsylG i.V.m. Art. 13 Abs. 1 Satz 1 der (gemäß ihrem Art. 49 Unterabs. 2 anzuwendenden) Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (Dublin III-VO) für die weitere Durchführung des Asylverfahrens zuständig. Gemäß Art. 13 Abs.1 Satz 1 Dublin III-VO ist der Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig, dessen Land-, See- oder Luftgrenze der Antragsteller aus einem Drittstaat kommend illegal überschritten hat. Ein solcher Fall liegt hier vor, da der Kläger, wie durch einen Eurodac-Treffer der Kategorie 2 bestätigt, als erstes ohne Aufenthaltstitel und damit illegal die Grenze zum EU-Mitgliedstaat Italien überschritten hat. Auch der Kläger selbst hat eingeräumt, in Italien gewesen zu sein, sich dort 5 bis 6 Tage in einem Asylheim in Sizilien aufgehalten zu haben, ohne aber einen Asylantrag zu stellen.
13 
a.) Ungeachtet dessen, dass sich der Kläger auf eine etwaige Verletzung von Verfahrensvorschriften jedenfalls bei Zustimmung des ersuchten Mitgliedstaates nicht für eine Rechtsverletzung berufen könnte, ist diese für Italien anzunehmende Zuständigkeit auch nicht nachträglich entfallen. Das Bundesamt hat innerhalb der in Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 2 Dublin III-VO genannten Frist bereits am 27.02.2015 ein Aufnahmegesuch an Italien gerichtet. Italien hat hierauf nicht reagiert, sodass gemäß Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO seit Ablauf des 27.04.2015 davon auszugehen ist, dass es dem Aufnahmegesuch zugestimmt hat. Damit ist Italien zur Aufnahme des Klägers sowie dazu verpflichtet, angemessene Vorkehrungen für seine Ankunft zu treffen. Von dieser Aufnahmebereitschaft ist im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung weiterhin auszugehen, so dass auch keine unzumutbare Verzögerung der Durchführung des Aufnahmeverfahrens (auf die sich der Kläger in Abwehr einer subjektiven Rechtsverletzung berufen könnte) eintreten wird. Denn die mit Eintritt der Zustimmungsfiktion am 28.04.2015 beginnende sechsmonatige Überstellungsfrist des Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1, Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO ist aufgrund der mit Eilbeschluss vom 31.07.2015 erfolgten Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gehemmt (zu dieser Wirkung vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 16.04.2014 – A 11 S 1721/13 –, Rn. 33, juris) und folglich tatsächlich noch nicht abgelaufen (Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 i.V.m. Art. Art. 27 Abs. 3 Dublin III-VO). Von einer überlangen, eine Pflicht zum Selbsteintritt des ersuchenden Mitgliedstaats begründende Verfahrensdauer kann angesichts der etwas mehr als zwei Monate zwischen Asylantragstellung und (fingierter) Erteilung der Zustimmung zur Aufnahme nicht die Rede sein (in diesem Sinne sogar für elf Monate: BVerwG, Urt. v. 27.10.2015 – 1 C 32/14 –, Rn. 21, juris). Die Pflicht Italiens schließlich, nach Aufnahme des Klägers den von diesem gestellten Asylantrag zu prüfen, ergibt sich aus Art. 18 Abs. 2 Unterabs. 1 Dublin III-VO.
14 
b.) Die vom Kläger eingewendeten Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO, die eine Pflicht des BAMF bewirkten zu prüfen, ob statt Italiens ein anderer Mitgliedstatt zuständig ist bzw. - bei Verneinung - die Zuständigkeit Deutschlands begründeten, liegen nicht vor. Es erweist sich nicht als unmöglich, den Kläger nach Italien zu überstellen, da es keine wesentlichen Gründe für die Annahme gibt, dass die (im Fall Italiens allein zu untersuchenden) Aufnahmebedingungen für ihn in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU-Grundrechtecharta bzw. Art. 3 EMRK mit sich bringen. Eine solche Rechtsverletzung hätte vorausgesetzt, dass mit Blick auf das Gewicht und Ausmaß einer drohenden Beeinträchtigung dieser Grundrechte mit einem beachtlichen Grad von Wahrscheinlichkeit die reale, nämlich durch eine hinreichend gesicherte Tatsachengrundlage belegte Gefahr besteht, dass der Betroffene in dem Mitgliedstaat, in den er als den nach der Dublin III-VO zuständigen Staat überstellt werden soll, während der Dauer des Asylverfahrens wegen einer grundlegend defizitären Ausstattung mit den notwendigen Mitteln elementare Grundbedürfnisse des Menschen (wie z.B. Unterkunft, Nahrungsaufnahme und Gesundheits-/Hygienebedürfnisse) nicht in einer noch zumutbaren Weise befriedigen kann (vgl. m.w.N. OVG Lüneburg, Urt. v. 25.06.2015 – 11 LB 248/14 –, Rn. 46, juris). Dies ist indessen zu verneinen.
15 
Italien hat zwar Probleme bei der lückenlosen Versorgung von Asylwerbern mit im Rahmen der Aufnahme gewährten materiellen Leistungen. Das Land sah sich im Jahr 2015 mit einer hohen, gegenüber den Vorjahren noch einmal angestiegenen Zahl an Asylbewerbern konfrontiert. Eurostat gibt diesen Zustrom mit 84.085 Asylbewerbern und erstmaligen Asylbewerbern an (Quelle: Europäische Kommission > Eurostat > Statistik nach Themen > Asyl und gesteuerte Migration > Statistiken illustriert > Asylbewerber und erstmalige Asylbewerber [Zahlen dort für 2014: 64.625 und für 2013: 26.620]). Diese Zahl kann angesichts des auch im letzten Quartal 2015 anhaltenden Flüchtlingszustroms als verlässlich zugrundegelegt werden. Die mit 48.307 Asylantragstellern vom UNHCR aufgeführte Zahl (www.unhcr.org > Where We Work > Europe > Northern, Western, Central and Southern Europe > Italy > Statistical Snapshot) widerspricht dem nicht, da sie den Stand (nur von) Juni 2015 abbildet. Entsprechendes gilt für die mit 59.165 Antragstellern genannte Zahl im AIDA-Report vom Dezember 2015 des ECRE (European Council on Refugees and Exiles - Asylum Information Database, Country Report: Italy, Seite 6 [künftig aufgeführt als: AIDA-Report Dezember 2015]), die den Zeitraum (nur) von Januar bis September betrifft.
16 
Von einem systemischen Versagen im Hinblick auf das Aufnahmeverfahren ist indessen nicht auszugehen, da das Land in Reaktion auf diesen Zustrom nicht etwa untätig geblieben ist und bleibt, sondern Maßnahmen zur Problembewältigung ergriffen hat und weiterhin durchführt (vgl. bereits für die Zeitpunkte April und Juni 2015: OVG NRW, Urt. v. 24.04.2015 – 14 A 2356/12.A –, Rn. 41, juris; OVG Lüneburg, Urt. v. 25.06.2015, a.a.O., Rn. 51 ff.). Die Aufnahmekapazitäten sind sukzessive und deutlich erhöht worden. Während Ende Februar 2015 in den Erstaufnahmezentren (CPSA, CARA/CDA) noch 9.504 Unterbringungsplätze vorhanden bzw. belegt waren (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 25.03.2015 an VG Schwerin; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Auskunft vom 23.04.2015 an VG Schwerin), stieg diese Zahl bis Mitte 2015 auf 12.000 Plätze an und soll im Laufe des Jahres 2016 auf zunächst 14.750 und sodann auf 15.550 Plätze ausgeweitet werden (AIDA-Report Dezember 2015, Seite 67). Entsprechendes gilt für die Anschlussunterbringung im SPRAR-System, dessen Kapazität von Ende Februar 2015 (20.596 Plätze - so Auswärtiges Amt und Schweizerische Flüchtlingshilfe, a.a.O.) zunächst bis Ende Mai 2015 auf rund 21.449 Plätze ausgeweitet wurde, zu denen weitere 10.000 ausgeschriebene Plätze hinzukommen, um für das Jahr 2016 eine Anzahl von knapp 32.000 Plätzen zu erreichen (Borderline-Europe, Kurzinformation zur Situation von Geflüchteten in der Region Sizilien, Februar 2016, Seite 4; AIDA-Report Dezember 2015, Seite 68). Was schließlich den Bereich der außerordentlichen Aufnahmezentren (Notfallzentren -CAS) angeht, betrug deren Kapazität Ende Februar 2015 etwa 37.000 Personen (Auswärtiges Amt und Schweizerische Flüchtlingshilfe, a.a.O.) und war bis Ende Juni 2015 auf rund 50.711 Personen angewachsen (AIDA-Report Dezember 2015, Seite 69). Borderline-Europe (a.a.O., Seite 4) berichtet unter Hinweis auf Angaben des italienischen Innenministeriums gar von 70.918 vorhandenen Plätzen in 3.090 Einrichtungen.
17 
Dass diese Verbesserungen nur vorübergehend wären und bei einer Prognose in Zukunft ein Rückschritt bzw. Verschlechterungen eintreten könnten, ist nicht zu erwarten. Hierbei muss berücksichtigt werden, dass Italien (neben Griechenland) im Zeitraum von 2014 bis 2020 voraussichtlich weiterhin der wichtigste Begünstigte des Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF) sein wird (vgl. Beschluss (EU) 2015/1601 des Rates vom 22.09.2015 zur Einführung von vorläufigen Maßnahmen im Bereich des internationalen Schutzes zu Gunsten von Italien und Griechenland, Erwägungsgrund 15). In Erfüllung seiner aus dem vorgenannten Beschluss (dort Art. 8 Abs. 1 sowie Erwägungsgrund 18) resultierenden Verpflichtung, als Reaktion auf die Krisensituation einen soliden strategischen Rahmen zu schaffen und den bereits eingeleiteten Reformprozess in diesen Bereichen zu verstärken, um so zu einer strukturellen Lösung für die Bewältigung des außergewöhnlichen Drucks auf sein Asyl- und Migrationssystem zu gelangen, hat Italien am 28.09.2015 einen aktualisierten Fahrplan („Roadmap“) vorgelegt (in englischer Zusammenfassung und Kommentierung abgerufen bei www.statewatch.org). Darin werden die oben genannten Aufnahmekapazitäten auch von staatlicher italienischer Seite aufgeführt und im SPRAR-System mittelfristig für den Zeitraum 2016/2017 eine Aufnahmekapazität von mindestens 40.000 Plätzen ins Auge gefasst. Die Zahl der Ende September 2015 vorhandenen Unterbringungsplätze im CAS-System wird mit 68.093 angegeben.
18 
Angesichts dieser Zahlen sowie der im genannten Beschluss des Rates der Europäischen Union vom 22.09.2015 und ferner in dessen vorangegangenem Beschluss (EU) 2015/1523 vom 14.09.2015 vorgesehenen Umsiedlung von mehreren Tausend Antragstellern aus Italien in das Hoheitsgebiet anderer Mitgliedstaaten (mit der dadurch eintretenden Entlastung zugleich des Aufnahmesystems) kann nicht von systemischen Mängeln ausgegangen werden.
19 
Relevant ist mit Blick auf die Situation in Fällen wie den des Klägers ferner die Frage der Aufnahme und Unterbringung von Dublin-Rückkehrern, die erkrankt sind. Bei der Bewertung der in Italien anzutreffenden Umstände der Aufnahme von Flüchtlingen sind diejenigen Umstände heranzuziehen, die auch auf die Situation des Klägers zutreffen. Abzustellen ist demnach auf die Situation von Flüchtlingen in einer vergleichbaren rechtlichen und tatsächlichen Lage, wohingegen die Situation von Flüchtlingen in anderen rechtlichen oder tatsächlichen Umständen keine unmittelbare Rolle spielt. Sie kann allenfalls ergänzend herangezogen werden, sofern sich diese Umstände auch auf die Situation des Klägers auswirken können ( OVG NRW, Urt. v. 07.03.2014 – 1 A 21/12.A –, Rn. 130, juris).
20 
Beim Kläger handelt es sich darüber hinaus um eine chronisch erkrankte Person. Gemäß ärztlichen Bescheinigungen des Universitätsklinikums Freiburg (Leberzentrum) vom 12.04.2015 und (aktualisiert) vom 16.02.2016 leidet der Kläger seit 2011 an einer bereits in Pakistan diagnostizierten (und behandelten) chronischen Hepatitis C-Virusinfektion und einer Thrombopenie 70000 und einer (in Deutschland diagnostizierten) Leberzirrhose Child A infolge der Virusinfektion. Die erforderliche Behandlung besteht in einer antiviralen Therapie sowie ferner halbjährlichen Kontrolluntersuchungen (Labor und Ultraschall) zur Früherkennung eines Leberzellkarzinoms. Die im Fall des Klägers indizierte Therapie über 24 Wochen mit interferonfreien Medikamenten besitzt eine Erfolgsaussicht betreffend die endgültige Ausheilung der Hepatitis C zwischen 60-90 % (zu dieser grundlegenden Umwälzung der Hepatitis-C-Therapie aufgrund direkt antiviral wirkender Substanzen mit der daraus resultierenden hocheffektiven Therapie vgl. auch: Robert Koch Institut, Epidemiologisches Bulletin Nr. 30 vom 27.07.2015, 289 [298]). Die Kosten liegen bei 158.000 EUR. Neuere Therapieoptionen werden im Laufe des Jahres 2016 erwartet (12 Wochen Therapiedauer bei 89% Erfolgsaussicht der Virusausheilung) und sind voraussichtlich deutlich günstiger. Wird der Kläger nicht kurzfristig behandelt, sind keine Folgen zu erwarten (1-Jahres-Überlebensrate bei nahezu 100 %). Mittelfristig, im Bereich von Monaten bis wenigen Jahren, ist der Übergang in eine Leberzirrhose Child B-Stadium zu erwarten, was eine deutlich höhere Rate an Komplikationen der Leberzirrhose nach sich zieht (Ausbildung von Krampfadern der Speiseröhre mit eventuell drohender Blutung, Ausbildung von Bauchwasser, Gerinnungsstörungen, Störungen der Gedächtnisleistung). Die 1-Jahres-Überlebensrate liegt hier bei 85 %. Bleibt die Krankheit langfristig unbehandelt, ist mit einem weiteren Fortschreiten der Leberzirrhose in ein Child C-Stadium zu rechnen mit Dekompensation der Leberzirrhose und dem zusätzlichen Risiko eines Leberzellkrebses. Die 1-Jahres-Überlebensrate liegt hier bei 35 %, so dass die langfristigen Überlebenschancen ohne Therapie der Hepatitis C schlecht sind.
21 
Für die anzustellende Prognose ist davon auszugehen, dass der Kläger bei seiner (unterstellten) Ankunft in Italien einen Asylantrag stellt (bzw., da in Deutschland bereits gestellt, dort formal nach italienischen Bestimmungen registrieren lässt und aufrechterhält) und die dort zur Verfügung stehenden Angebote der (medizinischen) Versorgung im Rahmen des Möglichen tatsächlich nutzt (OVG NRW, Urt. v. 07.03.2014, a.a.O.). Systemische Mängel bei der Aufnahme von Dublin-Rückkehrern sowie in der medizinischen Versorgung kranker Asylantragsteller, welche beachtlich wahrscheinlich eine Gefahr für den Kläger begründen könnten, sind danach zu verneinen:
22 
Dublin-Rückkehrer, die - wie der Kläger - während ihres Aufenthalts in bzw. ihrer Durchreise durch Italien kein Asylgesuch gestellt haben, können den Antrag auf internationalen Schutz dort unter regulären Bedingungen stellen (AIDA-Report Dezember 2015, Seite 40). Das Hauptproblem für sie besteht in der Aufnahme bzw. Unterbringung, wenn sich hier Verzögerungszeiten ergeben, während der eine Versorgung mit materiellen Leistungen möglicherweise nicht gewährleistet ist. Gerade hier waren in den letzten Jahren allerdings Aufnahmesysteme eingerichtet worden, um Dublin-Rückkehrer vorübergehend unterzubringen, bis ihre Verfahrenssituation geklärt oder - im Fall vulnerabler Personen - eine alternative Unterbringung gefunden war. Bis Mitte 2015 waren auf diese Art mit finanzieller Hilfe des Europäischen Flüchtlingsfonds (ERF) 11 Zentren für die Aufnahme von Dublin-Rückkehrern tätig, von denen 7 auf vulnerable Person spezialisiert waren. Diese Zentren in Rom (3), der Provinz Mailand (3), Venedig (2), Bologna (2) und Bari (1) konnten 443 Dublin-Rückkehrer vorübergehend unterbringen (AIDA-Report Januar 2015, Seite 31; AIDA-Report Dezember 2015, Seite 63/64). Seit Juni 2015, dem Ende der ERF-Förderung, werden Dublin-Rückkehrer im regulären Aufnahmesystem untergebracht: Allerdings ist vorgesehen, mit Unterstützung des durch die Verordnung (EU) 516/2014 für den Zeitraum 01.01.2014 bis 31.12.2020 eingerichteten (sich an den ERRF anschließenden) Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF) erneut für eine spezielle Unterbringung dieses Personenkreises zu sorgen (AIDA-Report Dezember 2015, Seite 67). Das von Italien gemäß Art. 14 der Verordnung (EU) 514/2014 für den Zeitraum 01.01.2014 bis 31.12.2020 vorgeschlagene und von der EU-Kommission noch zu genehmigende nationale Programm (Programma Nazionale FAMI - abrufbar unter https://ec.europa.eu/migrant-integration/news/italy-amif-call-for-proposals-now-published?lang=de) sieht erneut Maßnahmen zur Gewährleistung der Aufnahme von und Unterstützungsleistungen für Personen vor, die in Anwendung der Dublin III-VO überstellt werden (Seite 9: Obiettivo specifico - Asilo, unter f) sowie die Verstärkung der Aufnahmedienste, die Unterstützung und räumliche Orientierung solcher Personen (Seite 10: Obiettivo nazionale - Accoglienza/asilo, unter f).
23 
Auch wenn die Umsetzung des Programms im Fall seiner Genehmigung erst im letzten Quartal 2016 beginnen kann (vgl. Europäische Kommission: Asylum, Migration and Integration Fund (2014-2020) - 2015 Call for Proposal, Timetable [abrufbar unter: http://ec.europa.eu/dgs/home-affairs/financing/fundings/migration-asylum-borders/asylum-migration-integration-fund/calls/2015/inte/index_en.htm] sowie Programma Nationale FAMI, a.a.O., Seite 23 [Calendario Indicativo]), belegt die Existenz spezieller Aufnahmeeinrichtungen für Dublin-Rückkehrer in der Vergangenheit sowie deren Planung für die Zukunft, dass Italien ein besonderes Augenmerk auf diesen Personenkreis gelegt hat bzw. weiterhin legt. Anhaltspunkte dafür, der Kläger werde bei Rücküberstellung nicht sofort Unterbringung in einer Aufnahmeeinrichtung erfahren, gibt es nicht. Von zeitlichen Lücken bei der Unterbringung zwischen Einreichen eines Asylgesuchs und dessen formaler Registrierung wird zwar berichtet (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Auskunft vom 23.04.2015 an VG Schwerin; AIDA-Report Dezember 2015, Seite 62/63). Allerdings gibt es keine verlässlichen Hinweise darauf, dass es sich hierbei um ein weitverbreitetes Phänomen handelt. Dem AIDA-Report Dezember 2015 (Seite 67) ist insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Dublin-Rückkehrer gerade nicht zu entnehmen, dass seit Auslaufen der speziellen vorübergehenden Aufnahme seit Mitte 2015 dieser Personenkreis Schwierigkeiten bei der Unterbringung im regulären Aufnahmesystem hätte. Eine besondere Kennzeichnung wäre indessen im Fall einer problematischen Sachlage zu erwarten gewesen, da der Report (Seite 37) die Zahl der an Italien gerichteten Übernahmeersuchen mit 14.019 angibt. Es muss ferner berücksichtigt werden, dass es sich bei Personen wie dem Kläger bereits um Asylantragsteller handelt, deren im Mitgliedstaat Deutschland gestellter Asylantrag nunmehr gemäß Art. 18 Abs. 2 Unterabs. 1 Dublin III-VO von Italien zu prüfen ist. Hinzu kommt ein weiteres: Beim Kläger handelt sich um eine erkrankte Person. Sowohl in der ersten als auch der zweiten Stufe des italienischen Aufnahmesystems wird diesem Umstand bei der Unterbringung aber Rechnung getragen (AIDA-Report Dezember 2015, Seite 61). Gemäß Art. 31 Dublin III-VO i.V.m. Art. 8 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 (Dublin-DVO) und dem für die Übermittlung von Daten verwendeten Standardformblatt (Anhang VI der Dublin-DVO) ist sichergestellt, dass Italien vom Gesundheitszustand des Klägers im Zuge der Überstellung erfährt. Die Dublin-Überstellung ist eine staatlich überwachte und organisierte Ausreise des Betroffenen in einen anderen Mitgliedstaat (BVerwG, Urt. v. 17.09.2015 – 1 C 26/14 –, Rn. 18 und 21, juris).
24 
Auch wenn der Kläger, wie er vorgetragen hat, die wenigen Tage seines Aufenthalts in Italien in einem Asylheim in Sizilien verbracht hat, ist schließlich hinreichend sicher auszuschließen, dass er wegen seiner Weiterwanderung nach Deutschland bei der künftigen Aufnahme/Unterbringung Nachteile zu gewärtigen hätte. Denn ein Asylgesuch bzw. einen Asylantrag hatte er zum damaligen Zeitpunkt nicht gestellt, so dass nicht von einem Fall ausgegangen werden kann, der im Sinne von Art. 20 Abs. 1 der Richtlinie 2013/33/EU (Aufnahmerichtlinie) eine Einschränkung oder den Entzug der im Rahmen der Aufnahme gewährten materiellen Leistungen nach sich zieht (vgl. zu solchen Fällen AIDA-Report Dezember 2015, Seite 74/75).
25 
Eine medizinische Versorgung des Klägers im Sinne von Art. 19 der Aufnahmerichtlinien ist schließlich in Italien gewährleistet (vgl. bereits für frühere Jahre: OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 02.10.2013 – 3 L 643/12 –, Rn. 107 ff., juris; OVG NRW, Urt. v. 07.03.2014 – 1 A 21/12.A –, Rn. 182 ff., juris). Asylwerber und Personen mit einem Schutzstatus in Italien müssen sich beim italienischen Nationalen Gesundheitsdienst registrieren und haben dann dieselben Rechte und Pflichten in Bezug auf medizinische Versorgung wie italienische Staatsbürger. Asylbewerber haben dieses Recht ab Registrierung ihres Asylantrags. Im Zuge der Registrierung wird eine Gesundheitskarte (tessera sanitaria) ausgestellt. Die Registrierung berechtigt zu Leistungen wie u.a. freie Wahl eines Hausarztes (kostenlose Arztbesuche, Hausbesuche, Rezepte, usw.) und kostenlose Aufenthalte in öffentlichen Krankenhäusern. In den ersten 6 Monaten ihres Aufenthalts in Italien, in denen Asylbewerber nicht arbeiten dürfen, sind sie arbeitslosen Staatsbürgern gleichgestellt und müssen keine Praxisgebühr bezahlen. Nach Ablauf der ersten 6 Monate müssen sie sich offiziell arbeitslos melden, um diese Befreiung beibehalten zu können (AIDA-Report Dezember 2015, Seite 83). Es steht ferner außer Frage, dass in Italien die Krankheit des Klägers, sollte sich hierzu akuter Bedarf ergeben, auch ausreichend behandelt werden kann. Der Kläger selbst hat nur behauptet, von Asylbewerbern sei ihm gesagt worden, seine Krankheit werde in Italien nicht behandelt. Entsprechendes ist ihm von öffentlichen Stellen nicht gesagt worden und träfe auch nicht zu. Der in der WHO-Reihe Health Systems in Transition (HiT) erschienene Bericht über das italienische Gesundheitssystem (HiT 2014, 16(4):1–168; abrufbar bei WHO: http://www.euro.who.int/en/countries/italy/publications3/italy-hit-2014) hebt den hohen medizinischen Standard (mit einer daraus folgenden, innerhalb der EU zweithöchsten Lebenserwartung) ebenso wie den Umstand hervor, dass die Gesundheitsleistungen in gleicher Weise Bürgern wie legalen/illegalen Einwanderern zur Verfügung stehen (Seiten 1, 10 und 90). Selbst wenn sich in Italien ein weitergehender Therapiebedarf mit – vorbehaltlich allerdings einer dann zur Verfügung stehenden günstigeren Therapie – den vom Universitätsklinikum angegebenen hohen Kosten ergeben sollte, kann nicht erkannt werden, dass dies dem Kläger verweigert würde. Der EuGH hat im Urteil vom 27.09.2012 (C-179/11 [Cimade] –, juris, Rn. 59 ff.) festgestellt, dass die mit der Gewährleistung der Mindestbedingungen nach der Aufnahmerichtlinie verbundenen finanziellen Belastungen durch den Mitgliedstaat zu tragen sind, den diese Verpflichtung mit Blick auf den Aufenthalt des Asylbewerbers trifft. Diese derzeit Deutschland treffende Verpflichtung würde mit der tatsächlichen Überstellung des Klägers enden und dann Italien treffen. Der EuGH hat ferner darauf hingewiesen, dass mit Blick auf mögliche finanzielle Lasten der Europäische Flüchtlingsfond (jetzt: dessen Nachfolger AMIF) aus diesem Grund vorsieht, dass den Mitgliedstaaten u.a. in Bezug auf Aufnahmebedingungen finanzielle Unterstützung angeboten werden kann.
26 
Einer individuellen Zusicherung Italiens, wie vom EGMR in der Entscheidung vom 04.11.2014 – 29217/12 [Tarakhel / Schweiz] –, in deutscher Übersetzung veröffentlicht in NVwZ 2015,127 ff.) gefordert, bedurfte es im Fall des Klägers nach Auffassung des Gerichts schließlich nicht (zu Fragen des Inhalts und des Zeitpunktes einer Zusicherung vgl. m.w.N. die Darstellung bei Hocks, Asylmagazin 2015, 5 [8 ff.]). Allerdings wär eine solche wohl kaum zu erwarten gewesen, da auch nach derzeitigem Kenntnisstand Italien keine solchen Zusicherungen mehr gibt (vgl. etwa VG Düsseldorf, Urt. v. 15.12.2015 – 12 K 7303/15.A –, Rn. 63 und 64, juris, unter Hinweis auf eine Auskunft der Liaison-Beamtin des Bundesamtes in Italien vom 13.04.2015; Hinweise darauf auch bereits bei BVerfG, Beschl. v. 22.07.2015 - 2 BvR 746/15 -, NVwZ 2015, 1286). Das Bundesamt war bereits mit gerichtlicher Aufforderung vom 31.07.2015 mit dieser Frage befasst worden, ohne allerdings - was für die obige Annahme sprechen dürfte – zu reagieren. So unterschied sich zum einen hinsichtlich der Kapazität der Aufnahmeeinrichtungen die Sachlage bei Entscheidung des EGMR von derjenigen dieses Verfahrens. Der EGMR (a.a.O., Rn. 108-110) legte die in den Jahren 2011-2013 - gegenüber den oben unter aufgeführten: deutlich - geringeren Kapazitätszahlen zugrunde. Der Gerichtshof betonte immerhin schon im November 2014, dass die damalige allgemeine Situation von Asylsuchenden in Italien keineswegs mit jener in Griechenland, wie sie im Fall M.S.S./Belgien und Griechenland festgestellt worden sei, zu vergleichen sei. Struktur und allgemeine Lage der Aufnahme in Italien allein verhinderten also nicht jegliches Überstellen von Asylbewerbern in dieses Land. Aufgrund ernstlicher Zweifel an der Kapazität des Systems könne indessen die Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden, dass eine erhebliche Zahl von Asylbewerbern keine Unterkunft finde oder in überbelegten Einrichtungen auf engstem Raum oder sogar in gesundheitsschädlichen oder gewalttätigen Verhältnissen untergebracht werde. Der besondere Schutz für Asylbewerber, die eine besonders benachteiligte und verwundbare Bevölkerungsgruppe seien, sei umso wichtiger, wenn die Betroffenen Kinder seien, weil sie besondere Bedürfnisse hätten und extrem verwundbar seien (Rnr. 114-119). Die vom EGMR somit für maßgeblich erachtete extreme Verwundbarkeit eines Kindes (mit Blick auf die Gefahr einer Trennung von seinen Eltern und/oder die Gefahr der Anspannung und Angst mit besonders traumatisierenden Wirkungen für die Psyche) kennzeichnet den Fall des Klägers nicht. Das Gericht verkennt nicht, dass es sich beim Kläger nicht um eine gesunde Person handelt. Er hat in der mündlichen Verhandlung auch darauf hingewiesen, dass er, da er seit 6 bis 7 Monaten keine Medikamente mehr erhalte, ziemlich unerträgliche Schmerzen und Nasenbluten habe. Dass er hierdurch derart geschwächt wäre, dass er bei Rücküberstellung nach Italien dort einer erheblichen, durch materielle Aufnahmeleistungen nicht abwendbaren Gesundheitsverschlechterung unterworfen wäre, kann das Gericht aber nicht sehen. Hierbei muss beachtet werden, dass der Kläger aktuell in Deutschland mangels Kostenzusage nicht behandelt wird, was dafür spricht, dass sein Zustand keine akute Behandlungsbedürftigkeit i.S.v. § 4 AsylbLG (Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände) aufweist. Auch ist von Bedeutung, dass laut Anamnese vom April 2015, als er nach Italien und Deutschland kam, seine Krankheit bereits seit 4 Jahren diagnostiziert und in Pakistan behandelt worden war. Gleichwohl hat der die Reise nach Europa durchführen könne, was auch noch aktuell für eine ausreichende Belastbarkeit im Zuge einer Rücküberstellung spricht.
27 
2.) Auch die auf § 34a AsylG (zu dessen Unionsrechtskonformität vgl. BVerwG, Urt. v. 17.09.2015, a.a.O., Rn. 13 ff.) gestützte Abschiebungsanordnung (Ziff. 2 des Bundesamtsbescheids) ist schließlich rechtlich nicht zu beanstanden. In Fällen eines für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen anderen Staates i.S.v. § 27a AsylG darf die Abschiebung (nur) angeordnet werden, (wenn bzw.) sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Hierbei ist (inzident) auch zu prüfen, ob Abschiebungsverbote oder Duldungsgründe vorliegen (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 31.05.2011 – A 11 S 1523/11 –, Rn. 4, juris). Solche Hinderungsgründe für eine Abschiebung liegen hier nicht vor. Gemäß ärztlicher Bescheinigung vom 16.02.2016 des Universitätsklinikums Freiburg (Leberzentrum) bedarf der Kläger einer antiviralen Therapie sowie halbjährlicher Kontrolluntersuchungen zur Früherkennung eines Leberzellkarzinoms. Eine solche Therapie ist noch nicht begonnen worden, so dass sich die Frage nicht stellt, ob ein bei Rücküberstellung nach Italien eintretender Abbruch bzw. eine Unterbrechung problematisch wäre. Weder unter diesem Gesichtspunkt noch mit Blick auf den aktuellen Zustand des Klägers, wie er ihn in der mündlichen Verhandlung geschildert hat, besteht bei ihm eine Reiseunfähigkeit. Nach dem bereits oben Dargelegten ist ferner davon auszugehen, dass die Erkrankung des Klägers in Italien behandelt werden und somit eine erhebliche Verschlimmerung im Sinne eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG verhindert werden kann.
III.
28 
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 155 Abs. 2, 154 Abs. 1 VwGO, § 83 b AsylG.

ra.de-Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht Freiburg Urteil, 04. Feb. 2016 - A 6 K 1356/15

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Verwaltungsgericht Freiburg Urteil, 04. Feb. 2016 - A 6 K 1356/15 zitiert 8 §§.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 113


(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 60 Verbot der Abschiebung


(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalit

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 155


(1) Wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jedem Teil zur Hälfte zur Last. Einem Beteili

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 92


(1) Der Kläger kann bis zur Rechtskraft des Urteils seine Klage zurücknehmen. Die Zurücknahme nach Stellung der Anträge in der mündlichen Verhandlung setzt die Einwilligung des Beklagten und, wenn ein Vertreter des öffentlichen Interesses an der münd

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 34a Abschiebungsanordnung


(1) Soll der Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26a) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Absatz 1 Nummer 1) abgeschoben werden, ordnet das Bundesamt die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht

Asylbewerberleistungsgesetz - AsylbLG | § 4 Leistungen bei Krankheit, Schwangerschaft und Geburt


(1) Zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände sind die erforderliche ärztliche und zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln sowie sonstiger zur Genesung, zur Besserung oder zur Linderung von K

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Verwaltungsgericht Freiburg Urteil, 04. Feb. 2016 - A 6 K 1356/15 zitiert oder wird zitiert von 21 Urteil(en).

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Bundesverwaltungsgericht Beschluss, 07. Dez. 2015 - 1 B 66/15

bei uns veröffentlicht am 07.12.2015

Tenor Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 17. August 2015 wird zurückgewiesen.

Bundesverwaltungsgericht Urteil, 27. Okt. 2015 - 1 C 32/14

bei uns veröffentlicht am 27.10.2015

Tatbestand 1 Die Kläger, eine Mutter und ihr Sohn, sind pakistanische Staatsangehörige und gehören der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya an. Sie wenden sich gegen einen

Bundesverwaltungsgericht Urteil, 17. Sept. 2015 - 1 C 26/14

bei uns veröffentlicht am 17.09.2015

Tatbestand 1 Der Kläger, ein pakistanischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen die Anordnung seiner Abschiebung nach Italien.

Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Urteil, 24. Apr. 2015 - 14 A 2356/12.A

bei uns veröffentlicht am 24.04.2015

Tenor Das angegriffene Urteil wird geändert. Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Vollstrec

Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Urteil, 07. März 2014 - 1 A 21/12.A

bei uns veröffentlicht am 07.03.2014

Tenor Das angefochtene Urteil wird geändert. Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, in beiden Rechtszügen. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläg

Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt Urteil, 02. Okt. 2013 - 3 L 643/12

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Tatbestand 1 Die Klägerin ist am (…) 1947 in H. in Syrien geboren. Sie ist verheiratet, yezidischen Glaubens, kurdische Volkszugehörige und sie besitzt die syrische Staatsangehörigkeit. Nach eigenen Angaben reiste sie – zusammen mit ihrer Tochter
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Verwaltungsgericht Augsburg Beschluss, 01. März 2018 - Au 5 S 18.50329

bei uns veröffentlicht am 01.03.2018

Tenor I. Der Antrag wird abgelehnt. II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Gründe I. Der Antragsteller wendet sich im Wege einstweiligen Re

Verwaltungsgericht Augsburg Beschluss, 22. Feb. 2018 - Au 5 S 18.50273

bei uns veröffentlicht am 22.02.2018

Tenor I. Der Antrag wird abgelehnt. II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Gründe I. Der Antragsteller wendet sich im Wege einstweiligen Re

Verwaltungsgericht Augsburg Beschluss, 20. Feb. 2018 - Au 5 S 18.50257

bei uns veröffentlicht am 20.02.2018

Tenor I. Der Antrag wird abgelehnt. II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Gründe I. Der Antragsteller wendet sich im Wege einstweiligen Re

Verwaltungsgericht Augsburg Beschluss, 15. Feb. 2018 - Au 5 S 18.50245

bei uns veröffentlicht am 15.02.2018

Tenor I. Der Antrag wird abgelehnt. II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Gründe I. Der Antragsteller wendet sich im Wege einstweiligen Re

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(1) Der Kläger kann bis zur Rechtskraft des Urteils seine Klage zurücknehmen. Die Zurücknahme nach Stellung der Anträge in der mündlichen Verhandlung setzt die Einwilligung des Beklagten und, wenn ein Vertreter des öffentlichen Interesses an der mündlichen Verhandlung teilgenommen hat, auch seine Einwilligung voraus. Die Einwilligung gilt als erteilt, wenn der Klagerücknahme nicht innerhalb von zwei Wochen seit Zustellung des die Rücknahme enthaltenden Schriftsatzes widersprochen wird; das Gericht hat auf diese Folge hinzuweisen.

(2) Die Klage gilt als zurückgenommen, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als zwei Monate nicht betreibt. Absatz 1 Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Der Kläger ist in der Aufforderung auf die sich aus Satz 1 und § 155 Abs. 2 ergebenden Rechtsfolgen hinzuweisen. Das Gericht stellt durch Beschluß fest, daß die Klage als zurückgenommen gilt.

(3) Ist die Klage zurückgenommen oder gilt sie als zurückgenommen, so stellt das Gericht das Verfahren durch Beschluß ein und spricht die sich nach diesem Gesetz ergebenden Rechtsfolgen der Zurücknahme aus. Der Beschluß ist unanfechtbar.

Tenor

Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 17. August 2015 wird zurückgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

2

1. Der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht vor.

3

Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne vom § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine abstrakte, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts mit einer über den Einzelfall hinausgehenden allgemeinen Bedeutung aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder im Interesse der Rechtsfortbildung in einem Revisionsverfahren geklärt werden muss. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn sich die aufgeworfene Frage im Revisionsverfahren nicht stellen würde, wenn sie bereits geklärt ist bzw. aufgrund des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Auslegung und auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden kann oder wenn sie einer abstrakten Klärung nicht zugänglich ist (BVerwG, Beschlüsse vom 10. März 2015 - 1 B 7.15 - juris und vom 1. April 2014 - 1 B 1.14 - AuAS 2014, 110).

4

a) Soweit die Beschwerde sinngemäß für grundsätzlich klärungsbedürftig hält, ob bei einer überlangen Dauer des Verfahrens zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates (hier: über neun Monate) eine Pflicht zum Selbsteintritt des ersuchenden Mitgliedstaates nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-Verordnung infolge einer Ermessensreduzierung auf Null besteht, rechtfertigt dies nicht die Zulassung der Revision.

5

Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union lässt sich darüber hinaus eine Pflicht zum Selbsteintritt nur ableiten, wenn in einer Situation, in der Grundrechte des Antragstellers im Falle der Überstellung an den an sich zuständigen Mitgliedstaat wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber verletzt würden, die Lage des Antragstellers durch eine unangemessen lange Verfahrensdauer noch verschlimmert würde (vgl. EuGH, Urteile vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 und C-493/10 [ECLI:EU:C:2011:865], N.S. u.a. - Rn. 98 und vom 14. November 2013 - C-4/11 [ECLI:EU:C:2013:740], Puid - Rn. 35). Das Berufungsgericht nimmt zu Recht an, dass mit einer solchen Konstellation der vorliegende Fall nicht vergleichbar ist. Unabhängig hiervon wäre, selbst wenn man der Rechtsprechung des Gerichtshofs einen allgemeinen Anspruch auf eine angemessene Verfahrensdauer entnehmen wollte, eine Verfahrensdauer von etwas über neun Monaten von der Asylantragstellung bis zur Erteilung der Zustimmung zur Wiederaufnahme nicht unangemessen lang (vgl. zu einer Verfahrensdauer von etwas mehr als elf Monaten: BVerwG, Urteile vom 27. Oktober 2015 - 1 C 32.14, 1 C 33.1 C 33.14 und 1 C 34.1 C 34.14 - jeweils Rn. 21).

6

b) Des Weiteren wirft der Kläger als grundsätzlich klärungsbedürftig die Frage auf,

"ob nicht entsprechend der Dublin III-Verordnung für Wiederaufnahmegesuche eine Frist von nur zwei Monaten bei Vorliegen einer Eurodac-Treffermeldung greift (entsprechend Art. 23 Abs. 2 Dublin III-Verordnung)."

7

Auch diese Frage ist nicht entscheidungserheblich. Denn aus der Übergangsregelung des Art. 49 Abs. 2 Dublin III-Verordnung ergibt sich, dass die Dublin III-Verordnung erst auf Anträge zur Erlangung internationalen Schutzes anwendbar ist, die ab dem 1. Januar 2014 gestellt werden. Im vorliegenden Fall wurde der erneute Asylantrag bereits am 25. Februar 2013 gestellt, weshalb Art. 23 Abs. 2 Dublin III-Verordnung hier nicht zur Anwendung gelangen kann. Gründe für eine analoge Anwendung, die insbesondere eine Regelungslücke voraussetzt, legt die Beschwerde nicht in hinreichender Weise dar.

8

c) Die Kläger halten weiterhin für grundsätzlich klärungsbedürftig,

"ob verneinendenfalls die Überstellungsfrist erst zu laufen beginnt, wenn über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens entschieden ist, wenn auf gerichtliche Anordnung vorher die aufschiebende Wirkung des Rechtsmittels angeordnet wurde, wenn zum Zeitpunkt des Erlasses des ablehnenden Asylbescheides (hier: 27.01.2014) die überlange Verfahrensdauer von neun Monaten unstreitig bereits vorliegt."

9

Wie sich aus den obigen Ausführungen (zu 1. a) ergibt, kann eine Verfahrensdauer von etwas über neun Monaten von der Asylantragstellung bis zur Erteilung der Zustimmung zur Wiederaufnahme bereits nicht als unangemessen lang angesehen werden, weshalb es auf die von den Klägern aufgeworfene Frage nicht entscheidungserheblich ankommt. Darüber hinaus ist die Frage, ab welchem Zeitpunkt die Überstellungsfrist zu laufen beginnt, wenn nach innerstaatlichem Recht einem Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung zukommt, für die Dublin II-Verordnung durch den Gerichtshof der Europäischen Union durch Urteil vom 29. Januar 2009 (C-19/08 [ECLI:EU:C:2009:41], Petrosian - Rn. 42 ff.) geklärt. Der Gerichtshof stellte fest, dass für die entsprechende Regelung bei der Wiederaufnahme eines Asylsuchenden nach Art. 20 Abs. 1 Buchst. d und Art. 20 Abs. 2 Dublin II-Verordnung die Frist für die Durchführung der Überstellung nicht bereits ab der vorläufigen gerichtlichen Entscheidung läuft, mit der die Durchführung des Überstellungsverfahrens ausgesetzt wird, sondern erst ab der gerichtlichen Entscheidung, mit der über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens entschieden wird und die der Durchführung der Überstellung nicht mehr entgegengesetzt werden kann. Die ratio der Entscheidung besteht darin, den Mitgliedstaaten eine Überstellungsfrist von sechs Monaten in vollem Umfang zur Durchführung der Überstellung zu ermöglichen (vgl. EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 - C-19/08 -, Rn. 44).

10

d) Soweit die Kläger ferner für grundsätzlich klärungsbedürftig erachten,

"ob sich der gerichtlich überprüfbare Anspruch des Antragstellers in diesem Fall nur auf systemische Mängel im als verfahrenszuständig bestimmten Staat beschränkt oder darüber hinaus auch weitere Rechtsaspekte, wie z.B. nach Zuzug in die Bundesrepublik Deutschland sich erstmalig ergebende neue Asylgründe, nicht auch hier überprüft werden müssen",

kann auch dies nicht zur Zulassung der Revision führen.

11

Diese Frage ist ebenfalls nicht entscheidungserheblich. Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist das mit der Anfechtungsklage zu verfolgende Begehren auf Aufhebung einer Entscheidung über die Unzuständigkeit Deutschlands für die Prüfung eines Asylantrages nach den unionsrechtlichen Regelungen der Dublin II-Verordnung und nicht eine Verpflichtungsklage, im Rahmen derer über die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens zu entscheiden wäre. Die Beklagte hat in dem angefochtenen Bescheid vom 27. Januar 2014 die Zuständigkeit der Tschechischen Republik für die Durchführung des Asylverfahrens angenommen und ausdrücklich keine materielle Prüfung der Gründe für das Wiederaufgreifen des Verfahrens (§ 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG) vorgenommen.

12

e) Schließlich rechtfertigt auch die von den Klägern aufgeworfene Frage,

"ob die Beklagte und der Bayerische VGH zu Recht für die Tschechische Republik grundsätzlich das Vorliegen von systemischen Mängeln verneint hat",

nicht die Zulassung der Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache.

13

Diese Fragestellung führt auch nicht ansatzweise auf eine in einem Revisionsverfahren klärungsfähige und -bedürftige Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Vielmehr stellt die Beschwerde mit diesem Vorbringen im Gewande der Grundsatzrüge die dem Tatrichter vorbehaltene Feststellung der tatsächlichen Prognosegrundlagen und dessen darauf aufbauende prognostische Würdigung infrage, den Klägern drohe infolge der angeordneten Abschiebung in die Tschechische Republik dort nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen. Die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO vermag die Beschwerde mit diesem Vorbringen nicht zu erreichen.

14

2. Auch die von der Beschwerde geltend gemachten Verfahrensfehler (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) führen nicht zur Zulassung der Revision.

15

a) Die Beschwerde macht als Verfahrensmangel eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 138 Nr. 3 VwGO) geltend. Das Berufungsgericht habe den Vortrag des Prozessbevollmächtigten der Kläger im Schriftsatz vom 13. Juli 2015 in den Entscheidungsgründen nicht erwogen. In diesem Schriftsatz sei ausgeführt worden, dass in der Tschechischen Republik ein rechtsstaatliches Verfahren nicht durchgeführt werde. Den Klägern sei nach Abschluss des Verfahrens ein Dokument in russischer Sprache ausgehändigt worden, wonach sie bei einer weiteren Antragstellung sofort abgeschoben werden würden. Ausweislich der Entscheidungsgründe (S. 8 UA) hat sich das Berufungsgericht indes mit dem entsprechenden Vortrag der Kläger auseinandergesetzt und dargelegt, dass die beschriebene Verfahrensweise geltendem Unionsrecht entspreche und daher keine systemischen Mängel des Asylverfahrens begründeten. Die weiteren, in der Beschwerdeschrift angeführten Gründe für die von den Klägern behaupteten systemischen Mängel des Asylverfahrens in der Tschechischen Republik begründen keine Gehörsverletzung, da diese erstmals im Beschwerdeverfahren vorgebracht wurden und daher vom Berufungsgericht nicht berücksichtigt werden konnten.

16

b) Auch eine den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzende Überraschungsentscheidung liegt nicht vor. Eine solche ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Beschluss vom 27. Juli 2015 - 9 B 33.15 - NJW 2015, 3386 - juris Rn. 8 m.w.N.) gegeben, wenn ein Gericht einen bis dahin nicht erörterten oder sonst hervorgetretenen rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gegeben hat, mit der alle oder einzelne Beteiligte nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchten, und die Beteiligten sich dazu nicht äußern konnten. Ansonsten besteht im Grundsatz keine Pflicht des Gerichts, den Beteiligten seine Auffassung jeweils vor dem Ergehen einer Entscheidung zu offenbaren (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. November 1986 - 1 BvR 706/85 - BVerfGE 74, 1 <5 f.>). Ein Gericht muss die Beteiligten grundsätzlich nicht vorab auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffs hinweisen, weil sich die tatsächliche und rechtliche Würdigung regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Beratung ergibt (stRspr, BVerwG, Beschluss vom 29. Januar 2010 - 5 B 21.9 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 61 - Rn. 18 m.w.N.).

17

Nach diesen Maßstäben sind die Voraussetzungen für einen Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör durch eine unzulässige Überraschungsentscheidung nicht dargetan. Aus Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO ergibt sich, dass eine gerichtliche Entscheidung nur auf solche Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden kann, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten. Das Berufungsgericht hat ausweislich der angefochtenen Entscheidung (UA S. 9 f.) den mit gerichtlichem Schriftsatz vom 17. Juli 2015 eingeführten Erkenntnisquellen entnommen, dass dem Asylsystem der Tschechischen Republik keine systemischen Mängel anhaften. Die Kläger hatten Gelegenheit, sich zu den in das Verfahren eingeführten Erkenntnismitteln zu äußern. Es ist daher nicht ersichtlich, dass das angefochtene Urteil im Hinblick auf die verneinten systemischen Mängel des Asylsystems in der Tschechischen Republik das rechtliche Gehör der Kläger verletzt.

18

c) Die Beschwerde beanstandet schließlich, dass das Berufungsgericht nicht ohne mündliche Verhandlung hätte entscheiden dürfen, weil die Kläger einer Entscheidung gemäß § 130a VwGO ausdrücklich widersprochen hatten. Hätte das Berufungsgericht die Kläger in der mündlichen Verhandlung angehört, hätten sie ihre Angaben zu den systemischen Mängeln in der Tschechischen Republik konkretisieren können.

19

Auch dieses Vorbringen lässt nicht erkennen, dass die angefochtene Entscheidung auf einem Verfahrensmangel beruht. Entgegen der Ansicht der Kläger ist die Entscheidung des Berufungsgerichts nicht deshalb verfahrensfehlerhaft, weil der Verwaltungsgerichtshof, nachdem er die Beteiligten dazu angehört hat, über die Berufung ohne mündliche Verhandlung im vereinfachten Verfahren gemäß § 130a VwGO entschieden hat.

20

Ob ein Berufungsgericht den ihm gemäß § 130a VwGO eröffneten Weg einer Entscheidung im Beschlussverfahren beschreitet, steht in seinem pflichtgemäßen Ermessen, das grundsätzlich nur auf sachfremde Erwägungen und grobe Fehleinschätzungen überprüfbar ist; dabei ist insbesondere die Schwierigkeit der Sache ein im Rahmen der Ermessensausübung zu berücksichtigender wesentlicher Gesichtspunkt (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juni 2004 - 6 C 28.03 - BVerwGE 121, 211 <213 f.>; Beschlüsse vom 27. Januar 2011 - 3 B 63.10 - NJW 2011, 1830 Rn. 8 und vom 7. September 2011 - 9 B 61.11 - Buchholz 310 § 96 VwGO Nr. 61 Rn. 4). Hiernach erweist sich die Entscheidung des Berufungsgerichts für das Beschlussverfahren gemäß § 130a VwGO nicht als sachfremd oder grob fehlerhaft, insbesondere ist nicht ersichtlich, dass der Streitfall einen außergewöhnlichen Schwierigkeitsgrad aufweist. Dass die Kläger einer Entscheidung gemäß § 130a VwGO - hier ohne neuen Sachvortrag oder zusätzliche Beweisangebote - ausdrücklich widersprochen haben, ist unerheblich (BVerwG, Beschluss vom 7. September 2011 - 9 B 61.11 - Buchholz 310 § 96 VwGO Nr. 61 Rn. 4).

21

3. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO). Der Schriftsatz der Beschwerdegegnerin vom 30. November 2015 enthält keinen neuen Sach- oder Rechtsvortrag, so dass er dem Beschwerdeführer nicht vor der Entscheidung zuzuleiten war.

22

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO; Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG; Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Tatbestand

1

Die Kläger, eine Mutter und ihr Sohn, sind pakistanische Staatsangehörige und gehören der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya an. Sie wenden sich gegen einen Bescheid der Beklagten, durch den ihre Asylanträge als unzulässig abgelehnt werden und ihre Abschiebung nach Spanien angeordnet wird.

2

Die Kläger reisten gemeinsam mit zwei weiteren Kindern der Klägerin zu 1 (BVerwG 1 C 33.14 und 1 C 34.14) Anfang Januar 2013 nach Deutschland ein und stellten hier am 14. Januar 2013 Asylanträge. Dabei gaben alle vier Familienmitglieder an, aus religiösen Gründen in Pakistan verfolgt zu werden. Ein noch im gleichen Monat durchgeführter Abgleich der Fingerabdrücke mit Daten aus Eurodac ergab, dass zwar nicht die Klägerin zu 1, wohl aber ihre drei Kinder bereits in Spanien Asylanträge gestellt hatten.

3

Im Mai 2013 wurde die Tochter (BVerwG 1 C 33.14) durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) persönlich angehört. Dabei gab sie - ohne ausdrücklich auch die Klägerin zu 1 einzubeziehen - an, bereits in Spanien einen Asylantrag gestellt zu haben. Sie alle hätten sich im November 2012 für drei oder vier Tage in Spanien aufgehalten und seien dort am Flughafen kontrolliert worden. Es sei kein Dolmetscher zugegen gewesen, und am Ende hätten sie etwas unterschreiben müssen. Sie wisse nicht, was sie unterschrieben habe, aber sie denke, es sei ein Asylantrag gewesen. Ihr eigentliches Ziel sei bereits damals Deutschland gewesen. Von Spanien aus seien sie zunächst nach Pakistan zurückgekehrt. Im Januar 2013 seien sie dann mit dem Flugzeug von Islamabad kommend nach Frankfurt a.M. geflogen. Ein Flugticket habe sie nicht mehr.

4

Am 4. Dezember 2013 richtete die Beklagte unter Bezugnahme auf Art. 16 Abs. 1 Buchst. c Dublin II-VO hinsichtlich sämtlicher vier Familienmitglieder Wiederaufnahmeersuchen an Spanien. Dabei gab sie an, dass es für die Klägerin zu 1 keinen Eurodac-Treffer gebe, diese aber gemeinsam mit ihrem Sohn gereist sei, der nach den aus Eurodac gewonnenen Daten am 1. Dezember 2012 in Malaga einen Asylantrag gestellt habe. Die Tochter (BVerwG 1 C 33.14) habe ebenfalls am 1. Dezember 2012 in Malaga einen Asylantrag gestellt, der älteste Sohn (BVerwG 1 C 34.14) am 3. Dezember 2012. Das spanische Innenministerium teilte mit Schreiben vom 17. Dezember 2013 (BVerwG 1 C 33.14) und 19. Dezember 2013 (BVerwG 1 C 32.14 und 1 C 34.14), gleichfalls unter Bezugnahme auf Art. 16 Abs. 1 Buchst. c Dublin II-VO, mit, dass es die Wiederaufnahme sämtlicher vier Familienmitglieder akzeptiere.

5

Mit Bescheid vom 29. Januar 2014 stellte die Beklagte fest, dass die Asylanträge der Kläger unzulässig sind (Ziffer 1) und ordnete deren Abschiebung nach Spanien an (Ziffer 2). Die Asylanträge seien gemäß § 27a AsylVfG (jetzt: AsylG) unzulässig, da Spanien aufgrund der dort gestellten Asylanträge gemäß Art. 16 Abs. 1 Buchst. c Dublin II-VO für die Behandlung der Asylanträge zuständig sei. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 3 Abs. 2 der Dublin II-VO auszuüben, seien nicht ersichtlich.

6

Mit Beschluss vom 7. März 2014 ordnete das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der erhobenen Klagen gegen die Abschiebungsanordnung an. Mit Urteil vom 22. April 2014 hat es den Bescheid der Beklagten aufgehoben. Die Ablehnung der Asylanträge als unzulässig und die Anordnung der Abschiebung der Kläger seien rechtswidrig. Denn Deutschland sei gemäß Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO für die Behandlung der Asylanträge zuständig, weil es die Wiederaufnahmegesuche an Spanien nicht innerhalb einer Frist von drei Monaten gestellt habe. Hier habe bereits am 16. Januar 2013 aufgrund des Datenabgleichs mit Eurodac ein Hinweis für die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates der EU vorgelegen. Darüber hinaus habe die Tochter bei ihrer Anhörung auf einen Aufenthalt in Spanien und einen dort wahrscheinlich gestellten Asylantrag hingewiesen. Trotz dieser eindeutigen Hinweise habe die Beklagte erst am 4. Dezember 2013 Wiederaufnahmegesuche an Spanien gerichtet. Die in Art. 17 Abs. 1 Satz 1 Dublin II-VO enthaltene Fristenregelung finde nicht nur in Verfahren auf Aufnahme eines Asylbewerbers Anwendung, sondern auch in Verfahren auf Wiederaufnahme.

7

Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Beschluss nach § 130a VwGO vom 25. August 2014 das Urteil des Verwaltungsgerichts aufgehoben und die Klage abgewiesen. Deutschland sei nicht in analoger Anwendung von Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO für die Behandlung der Asylanträge zuständig geworden. Zur Anwendung komme allein das Verfahren zur Wiederaufnahme nach Art. 20 Dublin II-VO, weil die Kläger vor ihrer Einreise nach Deutschland in Spanien um Asyl nachgesucht hätten. Art. 20 der Dublin II-VO enthalte keine dem Art. 17 Abs. 1 Dublin II-VO entsprechende Fristbestimmung. Insoweit sei auch keine Regelungslücke zu erkennen, die durch eine analoge Heranziehung der Fristbestimmungen zur Aufnahme zu schließen wäre. Unabhängig davon könnten sich die Kläger auch nicht auf die Einhaltung der Zuständigkeits- und Fristenregelungen der Dublin II-VO berufen, denn sie dienten allein einer zeitnahen Feststellung des zuständigen Mitgliedstaates.

8

Die Kläger wenden sich mit ihrer Revision gegen die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofs zur Unzuständigkeit Deutschlands wie zur Abschiebungsanordnung. Das Verwaltungsgericht habe mit Recht die Fristenregelung für die Aufnahme auf das Verfahren der Wiederaufnahme übertragen, weil insoweit eine Regelungslücke vorliege. Damit sei Deutschland für die Behandlung der Asylanträge zuständig geworden. Andernfalls würden die Mitgliedstaaten für das Wiederaufnahmeverfahren keiner Fristbestimmung unterliegen. Dies würde der generellen Zielsetzung des Dublin-Regelwerks zuwiderlaufen, eine Beschleunigung der Asylverfahren zu erreichen. Es spreche zudem vieles dafür, dass die Kläger auch in ihren Grundrechten aus Art. 41 der GRC und Art. 6 Abs. 1 EMRK verletzt seien. Insoweit sei zu klären, ob sich ein Asylantragsteller in einem solchen Fall auf die Fristbestimmungen des Dublin-Regelungswerks berufen könne. Des Weiteren habe das Berufungsgericht verkannt, dass die gesetzliche Regelung des § 34a AsylG gegen Unionsrecht verstoße. Die Dublin II-VO sehe bei Unzuständigkeit eines Mitgliedstaates eine "Überstellung" vor. Damit habe das Unionsrecht eine neue Form der Aufenthaltsbeendigung geschaffen, die hinter der Abschiebung im Sinne des deutschen Ausländer- und Asylrechts zurückbleibe. Sowohl die Dublin II-VO als auch das verfassungsrechtliche Übermaßverbot verböten, eine Überstellung eines Asylbewerbers mit dem Zwangsmittel einer Abschiebung durchzuführen.

9

Die Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung.

10

Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht hat sich an dem Verfahren nicht beteiligt.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision der Kläger ist unbegründet. Der Beschluss des Berufungsgerichts steht im Einklang mit revisiblem Recht. Die erhobene Anfechtungsklage ist statthaft (1.). Die Entscheidung der Beklagten, die Asylanträge als unzulässig abzulehnen, verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (2.). Die angefochtene Abschiebungsanordnung erfüllt die gesetzlichen Voraussetzungen des § 34a Abs. 1 AsylG (3.).

12

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des klägerischen Begehrens ist das Asylgesetz i.d.F. der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl. I S. 1798) und das Aufenthaltsgesetz i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162), beide Gesetze zuletzt geändert durch das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz vom 20. Oktober 2015 (BGBl. I S. 1722). Denn nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind Rechtsänderungen, die nach der Berufungsentscheidung eintreten, vom Revisionsgericht zu berücksichtigen, wenn sie das Berufungsgericht, wenn es jetzt entschiede, zu beachten hätte (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. September 2007 - 10 C 8.07 - BVerwGE 129, 251 Rn. 19). Da es sich vorliegend um eine asylverfahrensrechtliche Streitigkeit handelt, bei der das Berufungsgericht nach § 77 Abs. 1 AsylG regelmäßig auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seiner letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung abzustellen hat, müsste es, wenn es jetzt entschiede, die neue Rechtslage zugrunde legen, soweit nicht hiervon - wie im vorliegenden Fall in Bezug auf die maßgebliche Dublin-Verordnung - eine Abweichung aus Gründen des materiellen Rechts geboten ist.

13

1. Die Vorinstanzen haben mit Recht die Anfechtungsklage als die allein statthafte Klageart angesehen, wenn es - wie hier - um das Begehren auf Aufhebung einer Entscheidung über die Unzuständigkeit Deutschlands für die Prüfung eines Asylantrags nach den unionsrechtlichen Regelungen der Dublin II-Verordnung geht (Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist - ABl. L 50 S. 1).

14

Der Erhebung einer auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gerichteten Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO steht entgegen, dass die Dublin II-Verordnung - Dublin II-VO - ein von der materiellen Prüfung eines Asylantrags gesondertes behördliches Verfahren für die Bestimmung des hierfür zuständigen Staats vorsieht (Art. 2 Buchst. e). Die Trennung der Verfahren zur Zuständigkeitsbestimmung und zur materiellen Prüfung des Asylbegehrens darf nicht dadurch umgangen werden, dass das Verwaltungsgericht im Fall der Aufhebung der Zuständigkeitsentscheidung sogleich über die Begründetheit des Asylantrags entscheidet (so auch VGH Mannheim, Urteil vom 16. April 2014 - A 11 S 1721/13 - InfAuslR 2014, 293 - juris Rn. 18). Vielmehr fordert das Dublin-Regelungswerk, dass im Fall einer vom Gericht für fehlerhaft erachteten Verpflichtung eines anderen Staats die für das Dublin-Verfahren zuständige Behörde - hier das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) - die Möglichkeit erhält, einen anderen Mitglied- oder Vertragsstaat, der nachrangig zuständig ist, um die Aufnahme oder Wiederaufnahme des Asylantragstellers zu ersuchen (vgl. EuGH, Urteile vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 u.a. [ECLI:EU:C:2011:865], N.S. u.a. - Rn. 96 und vom 14. November 2013 - C-4/11 [ECLI:EU:C:2013:740], Puid - Rn. 33). Die Stellung eines solchen Ersuchens, das den Lauf von zuständigkeitsbegründenden Fristen auslöst, ist eine dem Bundesamt zugewiesene Aufgabe, die das Gericht im Fall des Durchentscheidens nicht erfüllen könnte (zur Notwendigkeit der Sicherung der dem Bundesamt zugewiesenen Steuerungsfunktion im Fall der gerichtlichen Überprüfung einer Einstellungsentscheidung nach §§ 32, 33 AsylG vgl. schon BVerwG, Urteil vom 7. März 1995 - 9 C 264.94 - Buchholz 402.25 § 33 AsylVfG Nr. 12).

15

Das Bundesamt hat in Ziffer 1 des angefochtenen Bescheids auch eine rechtsgestaltende Regelung über die Zulässigkeit der beiden Asylanträge nach § 27a AsylG getroffen, deren Aufhebung mit der Anfechtungsklage begehrt werden kann. Ungeachtet der gewählten Formulierung des Bundesamts ("Die Asylanträge sind unzulässig") liegt nicht lediglich eine Feststellung vor, sondern eine rechtsgestaltende Entscheidung über die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig, wie das § 31 Abs. 6 AsylG verlangt (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. September 2015 - 1 C 26.14 - juris Rn. 12). Auch für die Aufhebung der in Ziffer 2 des Bescheids getroffenen Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylG ist die Anfechtungsklage die statthafte Klageart.

16

2. Die Entscheidung der Beklagten, die Asylanträge als unzulässig abzulehnen, verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

17

Dabei kann offenbleiben, ob die Beklagte bei Stellung ihres Ersuchens an Spanien in Bezug auf die Klägerin zu 1 die Frist nach Art. 17 Abs. 1 Satz 1 Dublin II-VO zu beachten hatte und im Falle einer durch Fristversäumnis begründeten Zuständigkeit Spaniens für die Prüfung des Asylantrags der Klägerin zu 1 sich diese Zuständigkeit auch auf den Kläger zu 2 als mit der Klägerin zu 1 eingereistes minderjähriges Kind erstreckte (Art. 4 Abs. 3 Dublin II-VO). Denn auf eine etwaige Nichtbeachtung von Fristen für die Aufnahme oder Wiederaufnahme können sich die Kläger nicht berufen, weil die Fristenregelung für sie keine subjektiven Rechte begründet.

18

a) Zwar ist der Verwaltungsgerichtshof zutreffend davon ausgegangen, dass die Drei-Monats-Frist des Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO nur für Aufnahmegesuche gilt, nicht hingegen für Gesuche auf Wiederaufnahme von Asylantragstellern. Der Senat hat bereits entschieden, dass das Fehlen einer Fristvorgabe für die Stellung eines Wiederaufnahmeersuchens in der Dublin II-VO keine Regelungslücke darstellt, die durch eine analoge Anwendung von Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO zu schließen wäre (BVerwG, Beschluss vom 15. April 2014 - 10 B 17.14 - juris Rn. 13; vgl. auch Beschluss vom 21. Mai 2014 - 10 B 31.14 - juris Rn. 5). Es fehlt aber an hinreichenden tatrichterlichen Feststellungen, dass auch die Klägerin zu 1 - wie ihre Kinder - in Spanien einen Asylantrag gestellt hat und deshalb auch auf sie das Verfahren der Wiederaufnahme nach Art. 20 Dublin II-VO Anwendung findet. Hätte die Klägerin zu 1 in Spanien keinen Asylantrag gestellt, fänden auf sie die Dublin-Regeln über die Aufnahme Anwendung und die Beklagte hätte mit der Unterbreitung des Gesuchs an Spanien mehr als zehn Monate nach der Asylantragstellung die Drei-Monats-Frist des Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO verstreichen lassen. Damit wäre Deutschland für die Prüfung des Asylantrags zuständig.

19

b) Die Frage, ob die Klägerin zu 1 in Spanien einen Asylantrag gestellt hat, erweist sich jedoch nicht als entscheidungserheblich. Denn auf eine etwaige Nichtbeachtung der in diesem Fall zu beachtenden Drei-Monats-Frist für die Aufnahme nach Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO können sich die Kläger nicht berufen, weil die Fristenregelung für sie keine subjektiven Rechte begründet.

20

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat in seinem Urteil in der Rechtssache "Abdullahi" entschieden, dass in einer Situation wie der vorliegenden, in der der ersuchte Mitgliedstaat der Aufnahme des Asylbewerbers zugestimmt hat, der Betroffene der Entscheidung, den Asylantrag nicht zu prüfen und den Asylbewerber in einen anderen Mitgliedstaat zu überstellen, nur damit entgegentreten kann, dass er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat geltend macht, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der GRC ausgesetzt zu werden (EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 - C-394/12 [ECLI:EU:C:2013:813], Abdullahi - Rn. 60). Derartige systemische Mängel sind im vorliegenden Verfahren für Spanien weder gerichtlich festgestellt noch von den Verfahrensbeteiligten vorgetragen worden. In diesem Fall kann sich ein Asylbewerber nicht auf einen Fristablauf berufen, weil die Fristbestimmungen des Dublin-Regimes für die (Wieder-)Aufnahme lediglich als zwischen den Mitgliedstaaten wirkende Organisationsvorschriften anzusehen sind. Sie dienen einer zeitnahen Feststellung des zuständigen Mitgliedstaats, ohne dem Antragsteller dadurch einen Anspruch auf Prüfung des Asylantrags durch einen bestimmten Mitgliedstaat zu gewährleisten (so auch Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: März 2015, § 27a AsylVfG Rn. 65; Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, Stand: November 2014, § 27a AsylVfG Rn. 196.1.; Bergmann, ZAR 2015, 81 <84>). Ein erneuter Klärungsbedarf dieser Frage ergibt sich insoweit auch nicht aus zwei anhängigen Vorlageverfahren beim Gerichtshof der Europäischen Union, da sich diese nicht auf die Auslegung der hier maßgeblichen Dublin II-VO beziehen, sondern auf die Frage, ob die Rechtslage bei Anwendung der Dublin III-VO anders zu beurteilen ist (Vorlage der Rechtbank Den Haag/Niederlande vom 12. Februar 2015 - C-63/15 - Ghezelbash und Vorlage des Kammarrätten i Stockholm/Schweden vom 1. April 2015 - C-155/15 - Karim).

21

Unter welchen Voraussetzungen im Fall einer überlangen Verfahrensdauer eine Pflicht zum Selbsteintritt des ersuchenden Mitgliedstaats nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO besteht (vgl. dazu EuGH, Urteile vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 u.a. - Rn. 108 und vom 14. November 2013 - C-4/11 - Rn. 35), braucht nicht entschieden werden. Denn eine Verfahrensdauer von etwas mehr als elf Monaten von der Asylantragstellung bis zur Erteilung der Zustimmung zur Wiederaufnahme weist jedenfalls keine solche Überlänge auf.

22

c) Die Kläger können auch aus dem Recht auf eine gute Verwaltung gemäß Art. 41 Abs. 1 der GRC keinen Anspruch auf Behandlung ihrer Asylanträge durch Deutschland ableiten. Denn in der Rechtsprechung des EuGH ist geklärt, dass sich dieses Recht nach seinem eindeutigen Wortlaut ausschließlich an die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union richtet und nicht an die Mitgliedstaaten, selbst wenn diese Unionsrecht anwenden (EuGH, Urteil vom 11. Dezember 2014 - C-249/13 [ECLI:EU:C:2014:2431], Boudjlida - Rn. 32 m.w.N.).

23

d) Schließlich ergibt sich für die Kläger im Fall einer etwaigen Fristverletzung bei der Stellung eines Aufnahmegesuchs an Spanien auch aus Art. 6 Abs. 1 EMRK kein Anspruch auf Behandlung ihrer Asylanträge durch die Bundesrepublik Deutschland. Art. 6 Abs. 1 EMRK bezieht sich schon seinem Schutzbereich nach nicht auf das Verwaltungsverfahren vor dem Bundesamt, sondern enthält lediglich Verfahrensgarantien für Gerichtsverfahren und im Übrigen auch nur für solche Gerichtsverfahren, die zivilrechtliche Ansprüche oder strafrechtliche Anklagen betreffen. Hierzu gehören Streitigkeiten über Einreise, Aufenthalt und Ausweisung von Ausländern nicht (EGMR, Urteil vom 17. Mai 2011 - Nr. 43408/08, Izevbekhai u.a./Irland - NVwZ 2012, 686 Rn. 83; Entscheidung vom 24. März 2015 - Nr. 37074/13, Kerkez/Deutschland - EuGRZ 2015, 464 Rn. 40).

24

3. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Abschiebungsanordnung in Ziffer 2 des angefochtenen Bescheids zutreffend als rechtmäßig angesehen. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 34a Abs. 1 AsylG. Diese Vorschrift ist mit den unionsrechtlichen Bestimmungen des Dublin-Regelungswerks vereinbar, wie der Senat in seinem Urteil vom 17. September 2015 - 1 C 26.14 - näher ausgeführt hat. Auf die Gründe dieses Urteils wird verwiesen.

25

4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG; Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.

Tenor

Das angegriffene Urteil wird geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Vollstreckungsgläubigerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.


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Tenor

Das angefochtene Urteil wird geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, in beiden Rechtszügen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 vom Hundert des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 vom Hundert des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.


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Tatbestand

1

Der Kläger, ein pakistanischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen die Anordnung seiner Abschiebung nach Italien.

2

Der 1992 geborene Kläger reiste eigenen Angaben zufolge im Oktober 2013 nach Deutschland ein und stellte hier einen Asylantrag. Er gab gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - an, im Monat zuvor mit dem Schiff kommend in Italien eingereist zu sein, wo er auch erkennungsdienstlich behandelt worden sei.

3

Das Bundesamt hielt in seiner "Checkliste Aktenabgabe im Dublin-II-Verfahren" (ohne Datum) fest, dass kein Eurodac-Treffer der "Cat 1" (Asylbewerber) vorliege, wohl aber ein solcher der "Cat 2" (illegal Eingereiste). Am 30. Dezember 2013 richtete das Bundesamt ein Übernahmeersuchen an Italien und stützte dies auf Art. 10 Abs. 1 Dublin II-Verordnung. Da die zuständigen italienischen Stellen hierauf nicht reagierten, wies das Bundesamt das italienische Innenministerium mit Schreiben vom 3. März 2014 darauf hin, dass das Übernahmeersuchen als angenommen gelte.

4

Mit Bescheid vom 12. März 2014 entschied das Bundesamt, dass der Asylantrag unzulässig ist (Ziffer 1 des Bescheids), und ordnete die Abschiebung des Klägers nach Italien gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG an (Ziffer 2 des Bescheids). Ein beim Verwaltungsgericht gestellter Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wurde durch Beschluss vom 7. April 2014 abgelehnt. Im Hauptsacheverfahren hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen.

5

Der Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung gegen das Urteil hinsichtlich der Abschiebungsanordnung (Ziffer 2 des Bundesamtsbescheids) zugelassen, hinsichtlich der Zulässigkeitsentscheidung (Ziffer 1 des Bundesamtsbescheids) jedoch abgelehnt. Durch Urteil vom 27. August 2014 hat der Verwaltungsgerichtshof die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Seine Entscheidung hat er im Wesentlichen wie folgt begründet: Die auf § 34a AsylVfG gestützte Abschiebungsanordnung der Beklagten sei mit Unionsrecht vereinbar, insbesondere mit den Dublin-Verordnungen zur Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats von 2003 und 2013. Es könne offenbleiben, welche dieser Verordnungen in einer Situation wie der vorliegenden anwendbar sei, in der das Aufnahme- bzw. Wiederaufnahmeersuchen während der Geltung der Dublin II-Verordnung gestellt, das hier streitige Überstellungsverfahren aber erst nach Inkrafttreten der Dublin III-Verordnung eingeleitet worden sei. Es widerspreche nicht dem Unionsrecht, wenn nach § 34a AsylVfG zwingend der Erlass einer Abschiebungsanordnung vorgesehen sei. Denn der Wortlaut der Vorschrift sei in einer Weise offen, dass eine Abschiebung nicht ausnahmslos stattfinden müsse, etwa dann nicht, wenn Unionsrecht dem entgegenstehe. Zwar gewährten die Dublin-Regelungen den Mitgliedstaaten insoweit einen gewissen Spielraum, dieser werde aber durch den unionsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beschränkt. Daher sei es unionsrechtlich nicht zulässig, die Überstellung allein im Wege der Abschiebung vorzusehen und durchzuführen. Dies sei bei der Entscheidung über den Vollzug der Überstellungsentscheidung von den hierfür zuständigen Ausländerbehörden der Länder zu beachten. Insoweit bedürfe es keiner Regelung im Bescheid des Bundesamts. Die Verlagerung der Entscheidung über die Modalitäten der Überstellung auf die Ausländerbehörden entspreche der föderalen Struktur Deutschlands. Gegen die Rechtmäßigkeit der verfügten Abschiebungsandrohung könne nicht mit Erfolg eingewendet werden, dass eine Überstellung nach Italien nicht mehr möglich sei. Zum einen sei dies nach wie vor der Fall. Im Übrigen könne sich der Kläger auf einen Rückfall der Zuständigkeit auf Deutschland auch nicht berufen, weil Ziffer 1 des angegriffenen Bescheids in Bestandskraft erwachsen und damit die Zuständigkeitsfrage rechtskräftig geklärt sei.

6

Der Kläger wendet sich mit seiner Revision gegen die Rechtsauslegung des Berufungsgerichts und sieht darin einen Verstoß gegen das im Grundgesetz und im Unionsrecht verankerte Prinzip der Verhältnismäßigkeit. Die Überstellung eines Asylbewerbers diene nur der Durchsetzung einer Zuständigkeitsregelung. Es sei unverhältnismäßig, hierfür allein das Zwangsmittel einer Abschiebungsanordnung vorzusehen. Eine Abschiebung werde typischerweise mit Mitteln des unmittelbaren Zwangs durchgesetzt. Die Anordnung der Abschiebung schließe bei realistischer Betrachtung das abgestufte Regelungswerk unterschiedlicher Modalitäten der Überstellung aus, wie es das Unionsrecht vorgebe. Es sei auch keine unionsrechtskonforme Auslegung oder Handhabung möglich, da der Inhalt des Begriffs der Abschiebungsanordnung einen zwingenden Imperativ enthalte, von dem nicht abgerückt werden könne. Der Verweis des angefochtenen Urteils auf den Handlungsspielraum der Ausländerbehörden beim Vollzug der Überstellung könne eine unionsrechtskonforme Anwendung nicht gewährleisten. Wenn das Bundesamt eine Überstellung durch Erlass einer Abschiebungsanordnung regele, seien die Ausländerbehörden hieran gebunden. Auch spreche viel dafür, dass das Unionsrecht eine einzige Grundentscheidung über die Unzuständigkeit und die Modalitäten der Überstellung fordere und dabei generell die Möglichkeit einer "freiwilligen Selbstüberstellung" einzuräumen sei.

7

Die Beklagte hält die verfügte Abschiebungsanordnung für rechtmäßig. Die unionsrechtlichen Regelungen machten dem nationalen Gesetzgeber keine Vorgaben, welche der unionsrechtlich zulässigen Überstellungsvarianten er vorzusehen habe. Seit April 2015 werde in den Bescheiden des Bundesamts die Möglichkeit der freiwilligen Ausreise angeboten, wenn diese mit allen beteiligten Stellen abgestimmt sei. Hierauf bestehe jedoch kein Rechtsanspruch.

8

Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht hat sich nicht am Verfahren beteiligt.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das Urteil des Berufungsgerichts steht im Einklang mit revisiblem Recht. Die angefochtene Abschiebungsanordnung erfüllt die gesetzlichen Voraussetzungen des § 34a Abs. 1 AsylVfG. Die Rechtsgrundlage ist mit Unionsrecht vereinbar. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist bei der Entscheidung der Ausländerbehörden über den Vollzug der angeordneten Abschiebung zu beachten. Die Anordnung ist auch nicht deshalb aufzuheben, weil die Überstellung nach Italien nicht mehr vollzogen werden könnte.

10

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des klägerischen Begehrens ist das Asylverfahrensgesetz i.d.F. der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl. I S. 1798) und das Aufenthaltsgesetz i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162), das Asylverfahrensgesetz zuletzt geändert durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013 (BGBl. I S. 3474), das Aufenthaltsgesetz zuletzt geändert durch das Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015 (BGBl. I S. 1386). Denn nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind Rechtsänderungen, die nach der Berufungsentscheidung eintreten, vom Revisionsgericht zu berücksichtigen, wenn sie das Berufungsgericht, wenn es jetzt entschiede, zu beachten hätte (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. September 2007 - 10 C 8.07 - BVerwGE 129, 251 Rn. 19). Da es sich vorliegend um eine asylverfahrensrechtliche Streitigkeit handelt, bei der das Berufungsgericht nach § 77 Abs. 1 AsylVfG regelmäßig auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seiner letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung abzustellen hat, müsste es, wenn es jetzt entschiede, die neue Rechtslage zugrunde legen, soweit nicht hiervon - wie im vorliegenden Fall - eine Abweichung aus Gründen des materiellen Rechts geboten ist.

11

Der Verwaltungsgerichtshof ist zutreffend zu dem Ergebnis gekommen, dass die in Ziffer 2 des angefochtenen Bescheids angeordnete Abschiebung des Klägers nach Italien die gesetzlichen Voraussetzungen des § 34a Abs. 1 AsylVfG erfüllt. Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ordnet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) die Abschiebung eines Ausländers in den nach § 27a AsylVfG für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Die Vorschrift dient der Umsetzung der Dublin-Verordnungen der Europäischen Union über die Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist.

12

1. Aufgrund der rechtskräftig gewordenen Entscheidung des Bundesamts in Ziffer 1 des angefochtenen Bescheids steht fest, dass der Asylantrag des Klägers nach § 27a AsylVfG unzulässig ist. Dabei handelt es sich - ungeachtet der gewählten Formulierung des Bundesamts ("Der Asylantrag ist unzulässig") - nicht um eine Feststellung, sondern um eine rechtsgestaltende Entscheidung über die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig, wie das § 31 Abs. 6 AsylVfG verlangt (vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 10. November 2014 - A 11 S 1778/14 - DVBl 2015, 118, 123).

13

2. § 34a Abs. 1 AsylVfG ist mit den unionsrechtlichen Bestimmungen des Dublin-Regelungswerks vereinbar, und zwar sowohl mit der hier anwendbaren Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl. L 50 S. 1) - Dublin II-VO - und der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 der Kommission vom 2. September 2003 mit Durchführungsbestimmungen zur Dublin II-VO (ABl. L 222 S. 3) - Dublin-DVO - als auch mit der hier nicht anwendbaren Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl. L 180 S. 31) - Dublin III-VO -.

14

a) Im vorliegenden Fall ist weiterhin die Dublin II-VO anwendbar. Das ergibt sich aus der Übergangsregelung des Art. 49 Abs. 2 der Dublin III-VO. Nach dieser Vorschrift ist die Dublin III-VO erst auf Anträge zur Erlangung internationalen Schutzes anwendbar, die ab dem ersten Tag des sechsten Monats nach ihrem Inkrafttreten gestellt werden, also ab dem 1. Januar 2014. Hier war der Antrag im Oktober 2013 und damit vor dem maßgeblichen Stichtag gestellt worden. Darüber hinaus gilt die Dublin III-VO zwar ab dem 1. Januar 2014 für alle Gesuche um Aufnahme oder Wiederaufnahme von Antragstellern - ungeachtet des Zeitpunkts der Antragstellung -, dies aber nur dann, wenn sie nicht bereits vor dem 1. Januar 2014 gestellt wurden (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Juni 2014 - 10 C 7.13 - BVerwGE 150, 29 Rn. 27). Hier war der Aufnahmeantrag am 30. Dezember 2013 und damit vor dem maßgeblichen Stichtag gestellt worden. Eine Anwendbarkeit der Dublin III-VO lässt sich auch nicht aus der Überlegung ableiten, dass mit der hier zu beurteilenden Abschiebungsanordnung das Überstellungsverfahren im Sinne von Art. 29 ff. Dublin III-VO und damit ein eigenständiger Verfahrensabschnitt eingeleitet wurde. Denn die Stichtagsregelung in Art. 49 Abs. 2 Dublin III-VO gilt grundsätzlich für alle Anträge auf internationalen Schutz und enthält nur für nach dem Stichtag gestellte Gesuche um Aufnahme und Wiederaufnahme eine Rückausnahme. Da der Aufnahmeantrag hier am 30. Dezember 2013 gestellt worden ist, findet folglich auch auf die das Überstellungsverfahren einleitende Abschiebungsanordnung die Dublin II-VO Anwendung.

15

b) Die Dublin-Verordnungen geben keine Rangfolge hinsichtlich der drei von ihnen vorgesehenen Überstellungsmodalitäten vor. Möglich ist danach eine Überstellung auf Initiative des Asylbewerbers innerhalb einer vorgegebenen Frist (Art. 7 Abs. 1a Dublin-DVO, Art. 19 Abs. 2, Art. 20 Abs. 1e Dublin II-VO, Art. 26 Abs. 2 Dublin III-VO), eine bis zum Besteigen des Beförderungsmittels im Inland von einem Bediensteten des ersuchenden Staates begleitete Überstellung (Art. 7 Abs. 1b Dublin-DVO, Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 2 Dublin III-VO) und eine bis zur Übergabe an die Behörden des zuständigen Staates eskortierte Überstellung (Art. 7 Abs. 1c Dublin-DVO, Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 2 Dublin III-VO -; eine Abgrenzung dieser drei Varianten unternimmt das Urteil des französische Conseil d'Etat vom 11. Oktober 2011 - No. 353002). In welcher dieser Varianten die Überstellung erfolgt, obliegt der Regelungskompetenz des ersuchenden Mitgliedstaats ("gemäß den nationalen Rechtsvorschriften" - so Art. 19 Abs. 3 Dublin II-VO, entsprechend Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO).

16

Ein genereller Vorrang der Überstellung auf Initiative des Asylbewerbers ergibt sich auch nicht daraus, dass Art. 19 Abs. 2 Dublin II-VO (entsprechend Art. 26 Abs. 2 Dublin III-VO) Mitteilungspflichten für den Fall der Überstellung auf eigene Initiative regelt. Denn diese werden ausdrücklich nur für den Fall normiert, dass dem Asylbewerber diese Möglichkeit eingeräumt wird ("gegebenenfalls"). Abweichendes ergibt sich auch nicht aus der hier nicht anwendbaren Dublin III-VO. Nach deren 24. Erwägungsgrund "sollten" sich die Mitgliedstaaten durch entsprechende Information des Antragstellers zwar für Überstellungen auf freiwilliger Basis einsetzen, ein Vorrang der selbstorganisierten Ausreise ergibt sich daraus jedoch nicht.

17

c) Eine Verpflichtung, dem Asylsuchenden zunächst eine Überstellung ohne Verwaltungszwang zu ermöglichen, ergibt sich auch nicht aus Regelungen der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. L 348 S. 98) - Rückführungsrichtlinie. Zwar räumt Art. 7 dieser Richtlinie - anders als die Dublin-Regelungen - dem sich unrechtmäßig aufhaltenden Ausländer im Regelfall die Möglichkeit der freiwilligen Ausreise ein, bevor Zwangsmaßnahmen ergriffen werden dürfen. Die Rückführungsrichtlinie findet grundsätzlich auf alle illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen Anwendung (Art. 2 Abs. 1 Richtlinie). Hierzu gehören auch illegal aus einem Drittstaat eingereiste Asylbewerber, denen gegenüber das Bundesamt das Bestehen einer Ausreisepflicht festgestellt hat (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Stand Dezember 2013, § 34a AsylVfG Rn. 11). Die Dublin-Verordnungen sind hinsichtlich der Modalitäten einer Überstellung aber leges speciales gegenüber den Vorschriften der Rückführungsrichtlinie.

18

Das ergibt sich schon daraus, dass die Rückführungsrichtlinie die Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger regelt. Dieses Ziel ist mit einer freiwilligen Ausreise zu erreichen, die hierfür das mildeste und damit vorrangige Mittel darstellt. Die Überstellungsregelungen der Dublin-Verordnungen dienen hingegen dem Zweck, dass der Asylbewerber im Rahmen eines behördlich überwachten Verfahrens den Behörden des für die Durchführung seines Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaats übergeben wird oder sich selbst bei diesen meldet. Erst mit dem Eintreffen bei der zuständigen Behörde ist die Überstellung vollzogen, bis zu diesem Zeitpunkt läuft die maßgebliche Überstellungsfrist (vgl. Schweizerisches Bundesgericht, Urteil vom 11. November 2013 - 2 C 861/2013 - BGE 140 II 74, 77). Kommt es nicht zu einer fristgerechten Überstellung, geht die Zuständigkeit auf den überstellenden Mitgliedstaat über (vgl. Art. 19 Abs. 4 Dublin II-VO). Eine freiwillige Ausreise im Sinne des Art. 7 Rückführungsrichtlinie vermag den von den Dublin-Regelungen erstrebten Übergang der Verantwortlichkeit auf den zuständigen Mitgliedstaat nicht zu begründen. Deshalb kennen die Dublin-Verordnungen auch nicht das Institut der freiwilligen Ausreise. Jede Dublin-Überstellung ist eine staatlich überwachte Ausreise des Betroffenen in einen anderen Mitgliedstaat, auch wenn sie auf Initiative des Asylbewerbers und ohne Anwendung von Verwaltungszwang erfolgt (vgl. Art. 7 Abs. 1a Dublin-DVO). Sie muss hinsichtlich der Orts- und Terminabstimmung immer behördlich organisiert sein (vgl. Art. 7 bis 10 Dublin-DVO).

19

3. § 34a AsylVfG steht in der vom Senat vorgenommenen Auslegung auch mit dem unionsrechtlichen Gebot der Verhältnismäßigkeit in Einklang.

20

a) Nach dem unionsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dürfen Einschränkungen von Grundrechten (hier: der Freizügigkeit nach Art. 6 GR-Charta) nur vorgenommen werden, wenn sie erforderlich sind und unter anderem den von der Union anerkannten, dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen entsprechen (Art. 52 Abs. 1 Satz 2 GR-Charta). Die gesetzliche Regelung des § 34a AsylVfG dient der Gewährleistung einer den Regeln der Dublin-Verordnungen entsprechenden Überstellung eines Asylantragstellers und damit dem Funktionieren des einheitlichen europäischen Asylsystems. Dies ist ein Gemeinwohlziel im Sinne von Art. 78 Abs. 2 AEUV (vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 und C-493/10 [ECLI:EU:C:2011:865], N.S. - Rn. 79 ff.).

21

Der deutsche Gesetzgeber durfte die Anordnung von Verwaltungszwang auch als grundsätzlich erforderlich zur Durchführung einer fristgerechten Überstellung nach der Dublin-Verordnung ansehen. In den Gesetzgebungsmaterialien wird die Notwendigkeit einer Abschiebungsanordnung damit begründet, dass eine Rückführung in den Drittstaat regelmäßig nur kurzfristig durchgeführt werden kann und die Möglichkeit einer freiwilligen Rückreise in den Drittstaat im Allgemeinen nicht besteht (vgl. BT-Drs. 12/4450 S. 23 zur Rückführung in einen sicheren Drittstaat). Mit dem Richtlinienumsetzungsgesetz 2007 wurde die Regelung auf Überstellung in Dublin-Verfahren erweitert (vgl. BT-Drs. 16/5065 S. 218). Die Möglichkeit der eigenverantwortlichen Ausreise ist deshalb erheblich erschwert, weil der Ausländer zwar regelmäßig ein Recht auf Einreise in den Staat seiner Staatsangehörigkeit besitzt, nicht aber in einen anderen Staat, in dem sein Asylantrag nach den Regeln des Dublin-Verfahrens geprüft werden soll. Zudem ist eine Überstellung ohne staatliche Begleitung nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. a Dublin-DVO im Regelfall auch deshalb kein gleich geeignetes Mittel wie die Überstellung im Wege der Abschiebung, weil ihr Erfolg von der Kooperationsbereitschaft des Asylantragstellers abhängt und die Nichtbeachtung der Überstellungsfristen einen Zuständigkeitswechsel zur Folge hat. Dabei trägt der überstellende Staat die Konsequenzen aus der Wahl einer in der Praxis ungeeigneten Überstellungsmethode (so auch Filzwieser/Sprung, Dublin III-Verordnung, 2014, S. 290 Anm. K2).

22

Die nationale Umsetzung der Dublin-Regelungen durch ein Regel-Ausnahme-System zugunsten der behördlich überwachten Überstellung entspricht auch der Handhabung in anderen am Dublin-Verfahren teilnehmenden Staaten. So hat das Schweizerische Bundesgericht mit Urteil vom 11. November 2013 (2 C 861/2013 - BGE 140 II 74) entschieden, dass die behördlich organisierte Überstellung Vorrang gegenüber einer solchen ohne Verwaltungszwang genießt. Es hat dies nachvollziehbar damit begründet, dass zur Erfüllung der Pflichten nach den Dublin-Verordnungen sichergestellt sein muss, dass der zu überstellende Asylbewerber auch tatsächlich an seinem Bestimmungsort ankommt. Deshalb kommt die freiwillige Rückkehr nach der zitierten Entscheidung nur dann in Betracht, wenn keine Veranlassung zu der Annahme besteht, dass das Rückkehrverfahren dadurch gefährdet wird.

23

b) Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass dem unionsrechtlichen Gebot der Verhältnismäßigkeit im föderalen Gefüge Deutschlands durch die mit dem Vollzug der Überstellungsentscheidung betrauten Ausländerbehörden der Länder Rechnung getragen werden kann. Zur Beachtung der Verhältnismäßigkeit sind diese Behörden auch nach nationalem Recht verpflichtet.

24

Die für den Vollzug einer Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylVfG zuständige Ausländerbehörde darf zwar für den Regelfall davon ausgehen, dass eine Überstellung im Sinne der Dublin-Verordnungen nur im Wege des Verwaltungszwangs vollzogen werden kann, sei es durch Begleitung des Ausländers bis zum Besteigen des Transportmittels, sei es durch Eskortierung bis zur verantwortlichen Behörde im zuständigen Mitgliedstaat. Allerdings kann im Einzelfall ausnahmsweise auch die Überstellung ohne behördliche Überwachung nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. a Dublin-DVO geeignet sein, einen Asylbewerber fristgerecht in die Obhut der Behörden im zuständigen Mitgliedstaat zu bringen. Das ist z.B. denkbar in Fällen der von ihm gewünschten Familienzusammenführung in dem anderen Mitgliedstaat. Die Initiative hierzu muss jedoch vom Asylbewerber ausgehen und er muss sich vorbehaltlich einer entgegenstehenden Regelung (vgl. etwa Art. 30 Abs. 3 Dublin III-VO) grundsätzlich auch die finanziellen Mittel für die Ausreise beschaffen. Erscheint nach Prüfung der Umstände des konkreten Falles eine rechtzeitige Überstellung auch bei einer selbstorganisierten Ausreise gesichert, muss die für den Vollzug zuständige Ausländerbehörde dem Ausländer diese Möglichkeit einräumen. Dies gebietet der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht nur wegen des Eingriffs in die persönliche Freiheit durch den mit einer Abschiebung verbundenen unmittelbaren Zwang, sondern auch wegen der durch eine vollzogene Abschiebung bewirkten Einreisesperre gemäß § 11 AufenthG, die den Ausländer zusätzlich belastet.

25

Eine derartige Verhältnismäßigkeitsprüfung obliegt den Vollstreckungsbehörden auch nach nationalem Verwaltungsvollstreckungsrecht. So hat die Vollstreckungsbehörde nach § 19 Abs. 2 des hier maßgeblichen LVwVG Baden-Württemberg bei der Wahl unter verschiedenen geeigneten Vollstreckungsmitteln dasjenige anzuwenden, das den Pflichtigen und die Allgemeinheit voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt. Aber auch im Rahmen der Anwendung unmittelbaren Zwangs - wie er eine Abschiebung kennzeichnet - ist unter verschiedenen Formen des unmittelbaren Zwangs das jeweils mildeste Mittel zu wählen (vgl. Deusch/Burr, Beck'scher Online-Kommentar VwVG, Stand 1. Juli 2015, § 12 Rn. 4). Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit findet auch in der Rechtsprechung zum sogenannten "Austauschmittel" Ausdruck. Kommen zur Abwehr einer Gefahr mehrere Mittel in Betracht, so genügt es nach dieser Rechtsprechung, wenn eines davon bestimmt wird. Dem Betroffenen ist auf Antrag zu gestatten, ein anderes ebenso wirksames Mittel (Austauschmittel) anzuwenden, sofern die Allgemeinheit dadurch nicht stärker beeinträchtigt wird (vgl. etwa VGH Mannheim, Urteil vom 30. Oktober 1991 - 3 S 2273/90 - juris). Auch hier hat aber die Initiative zur Wahl eines anderen Mittels vom Betroffenen auszugehen - wie bei der selbstorganisierten Überstellung nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. a Dublin-DVO. Durch die den Ausländerbehörden übertragene Prüfung, ob im Einzelfall ausnahmsweise vom Vollzug der Überstellung im Wege der Abschiebung abgesehen werden kann, wird - entgegen der Auffassung der Revision - auch dem nationalen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügt, soweit für diesen neben dem unionsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz noch Raum besteht.

26

Schon der Verwaltungsgerichtshof hat darauf hingewiesen, dass die Zuweisung der Verantwortung an die Ausländerbehörden, die Verhältnismäßigkeit im Einzelfall herzustellen, unter Umständen eine Verdoppelung von Rechtsbehelfen zur Folge hat. Denn der Asylantragsteller, der seinen Antrag in Deutschland beschieden haben will, muss im Falle einer für ihn nachteiligen Zuständigkeitsentscheidung zunächst Rechtsmittel gegen die Verfügung des Bundesamts einlegen und im Fall eines Unterliegens in diesem Verfahren ein zweites gerichtliches Verfahren gegen die Ausländerbehörde einleiten, wenn er seine Überstellung ohne Verwaltungszwang durchsetzen will. Dies ist jedoch die Folge der unterschiedlichen Behördenzuständigkeit in einem föderal gegliederten Staatswesen und entspricht auch der Praxis in anderen föderal gegliederten Staaten wie etwa der Schweiz (Zuständigkeit der Kantonsbehörden; vgl. Schweizerisches Bundesgericht, Urteil vom 11. November 2013 - 2 C 861/2013 - BGE 140 II 74, 75). Zudem erlaubt sie die Berücksichtigung aktueller Entwicklungen, die erst nach Erlass des Bundesamtsbescheids eingetreten sind, etwa die nachträgliche Aufnahme von Familienangehörigen in einem anderen Mitgliedstaat, mit denen der Antragsteller zusammengeführt werden möchte. Auch lässt sich regelmäßig erst in diesem Verfahrensstadium konkretisieren, in welcher Form der Asylsuchende an seiner Überstellung mitwirken kann.

27

c) Der Senat weist darauf hin, dass eine etwaige vom Bundesamt bei Erlass der Abschiebungsanordnung festgesetzte Sperrfrist nach § 11 AufenthG keine Geltung für Fälle der Überstellung ohne Verwaltungszwang nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. a Dublin-DVO besitzt. Denn nur eine vollzogene Abschiebung bewirkt ein Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 AufenthG, die Abschiebungsanordnung allein reicht hierfür nicht. Ferner kann die (nachträgliche) Reduzierung einer festgesetzten Sperrfrist bei Kooperation des Ausländers im Rahmen einer zwangsweisen Überstellung geboten sein, die im Einzelfall sogar zu einer Reduzierung der Sperre auf Null führen kann.

28

4. Der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung in Ziffer 2 des angefochtenen Bescheids steht nicht entgegen, dass dieser keine Belehrung über die Möglichkeit der Beantragung einer Überstellung ohne Verwaltungszwang bei der für den Kläger zuständigen Ausländerbehörde enthält, was die Revision rügt.

29

Zwar ist nach Art. 19 Abs. 2 Satz 2 Dublin II-VO von der zuständigen Behörde "gegebenenfalls der Zeitpunkt und der Ort zu nennen, zu dem bzw. an dem sich der Antragsteller zu melden hat, wenn er sich auf eigene Initiative in den zuständigen Mitgliedstaat begibt". Entsprechende Angaben enthält der angefochtene Bescheid des Bundesamts nicht. Es kann offenbleiben, ob das Fehlen entsprechender Angaben überhaupt Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit der verfügten Abschiebungsanordnung hat. Denn bereits aus dem Wortlaut der Norm ergibt sich, dass entsprechende Angaben nur dann zu machen sind ("gegebenenfalls"), wenn dem Asylbewerber die Möglichkeit der Überstellung auf eigene Initiative eingeräumt wird. Das war hier nicht der Fall und würde zudem - wie oben ausgeführt - der Zuständigkeit der Ausländerbehörde obliegen. Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist aber der Bescheid des Bundesamts und nicht die nachgelagerte Entscheidung der Ausländerbehörde.

30

Allerdings entspricht es dem Ziel der Transparenz des Dublin-Verfahrens, wenn das Bundesamt die Betroffenen auch ohne ausdrückliche Rechtspflicht auf die Möglichkeit der Beantragung einer Überstellung auf eigene Initiative bei der Ausländerbehörde gemäß Art. 7 Abs. 1 Buchst. a Dublin-DVO hinweist und damit der Zielstellung des 24. Erwägungsgrund der Dublin III-VO ("sollte") Rechnung trägt.

31

5. Die angefochtene Abschiebungsanordnung erfüllt auch das gesetzliche Erfordernis des § 34a Abs. 1 AsylVfG, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Der Durchführbarkeit der Abschiebung steht insbesondere nicht ein Verstreichen der Überstellungsfrist nach Art. 19 Abs. 4 Dublin II-VO entgegen. Es kann offenbleiben, ob sich der Kläger überhaupt auf einen möglichen Fristablauf und den damit verbundenen Zuständigkeitswechsel berufen könnte. Denn die Überstellungsfrist war zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs noch nicht verstrichen.

32

Maßgebend sind insoweit - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - die Dublin-Regeln für die Aufnahme. Diese finden auf Asylantragsteller Anwendung, für die ein anderer Mitgliedstaat zuständig ist, ohne dass die Voraussetzungen des Art. 16 Abs. 1 Buchst. c, d oder e Dublin II-VO vorliegen, etwa weil er sich in dem anderen Mitgliedstaat aufgehalten hat, bevor er in denjenigen eingereist ist, in dem er erstmals einen Asylantrag gestellt hat. Hingegen finden die Regeln über die Wiederaufnahme Anwendung, wenn einer der Tatbestände des Art. 16 Abs. 1 Buchst. c, d oder e Dublin II-VO erfüllt ist, wenn der Asylbewerber also - anders als hier - schon in einem anderen Mitgliedstaat einen Asylantrag gestellt hat.

33

Hier finden aus folgenden Gründen die Regeln über die Aufnahme (Art. 19 Dublin II-VO) Anwendung: Der Verwaltungsgerichtshof hat nicht festgestellt, dass der Kläger in Italien einen Asylantrag gestellt hat, das hat dieser auch selbst gar nicht behauptet. Auch das Bundesamt hat die Zuständigkeit Italiens für die Prüfung des Asylantrags des Klägers aus dessen Ersteinreise in dieses Land abgeleitet (Eurodac-Treffer nach Cat 2, nicht nach Cat 1). Dem entsprechend hat es sein Übernahmeersuchen an Italien vom 30. Dezember 2013 auf Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO - illegaler Grenzübertritt - gestützt und nicht auf ein dortiges Asylverfahren gemäß Art. 13 Dublin II-VO. Damit finden die Regeln über die Aufnahme eines Asylantragstellers Anwendung und die Beantwortungsfrist für Italien betrug zwei Monate (Art. 18 Abs. 7 Dublin II-VO). Auf die Zwei-Monats-Frist nach Art. 18 Abs. 7 Dublin II-VO hat sich auch das Bundesamt in dem angefochtenen Bescheid vom 12. März 2014 bezogen, um den erfolgten Zuständigkeitsübergang auf Italien zu begründen.

34

Demgegenüber ist der Verwaltungsgerichtshof zu Unrecht von der Anwendbarkeit der Regeln über die Wiederaufnahme und damit von der Annahme des an Italien gerichteten Gesuchs schon nach zwei Wochen gemäß Art. 20 Abs. 1 Buchst. c Dublin II-VO ausgegangen. Sind aber die Fristen für ein Aufnahmegesuch maßgeblich, war die Überstellungsfrist des Art. 19 Abs. 4 Dublin II-VO zum auch für die Revisionsentscheidung maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vom 27. August 2014 noch nicht abgelaufen.

35

6. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG; Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.

Tatbestand

1

Die Klägerin ist am (…) 1947 in H. in Syrien geboren. Sie ist verheiratet, yezidischen Glaubens, kurdische Volkszugehörige und sie besitzt die syrische Staatsangehörigkeit. Nach eigenen Angaben reiste sie – zusammen mit ihrer Tochter (...) sowie drei weiteren Kindern – von Syrien kommend am 01. August 2011 zunächst nach Italien, wo sie erkennungsdienstlich behandelt wurde und am 21. August 2011 in B-Stadt einen Asylantrag stellte, und alsdann am 07. September 2011 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 12. September 2011 stellte sie bei der Außenstelle des Bundesamtes in H-Stadt einen (weiteren) Asylantrag.

2

Die Beklagte richtete unter dem 07. Februar 2012 an Italien ein Übernahmeersuchen gem. Art. 10 Dublin-II-VO (Verordnung [EG] Nr. 343/2003 des Rates vom 10.02.2003). Mit Schreiben vom 16. Februar 2012 erklärten die italienischen Behörden ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags der Klägerin.

3

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lehnte den Asylantrag der Klägerin mit Bescheid vom 13. Juni 2012 als unzulässig ab und ordnete ihre Abschiebung nach Italien an. Nach der Dublin-Verordnung sei Italien für die Bearbeitung ihres Asylantrags zuständig; außergewöhnliche humanitäre Gründe, welche die Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten, von ihrem Selbsteintrittsrecht nach § 3 Abs. 2 Dublin-II-VO Gebrauch zu machen, seien nicht ersichtlich.

4

Die Klägerin hat am 29. Juni 2012 beim Verwaltungsgericht Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen, sie könne wegen der allgemeinen Situation von Asylbewerbern in Italien nicht darauf verwiesen werden, in Italien ein Asylverfahren durchzuführen, weil davon auszugehen sei, dass das Asylverfahren dort nicht ordnungsgemäß durchgeführt würde. Sie besitze einen Anspruch auf Asyl und Flüchtlingsschutz sowie Abschiebungsschutz; hierüber sei durch das Bundesamt zu entscheiden.

5

Die Klägerin hat beantragt,

6

die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 13. Juni 2012 zu verpflichten, festzustellen, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vorliegen und dass Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG gegeben sind.

7

Die Beklagte hat beantragt,

8

die Klage abzuweisen.

9

Sie hat die Ansicht vertreten, Italien erfülle bei der Durchführung von Asylverfahren die Mindeststandards der Europäischen Union. In den italienischen Aufnahmeeinrichtungen seien zahlreiche humanitäre Organisationen tätig, die dies gewährleisten würden. Insbesondere hätten Asylbewerber in Italien vollen Zugang zum Gesundheitssystem. Anders als im Fall Griechenlands gebe es keine Empfehlung des UNHCR, Flüchtlinge nicht an Italien zu überstellen. Dementsprechend habe das Bundesverfassungsgericht auch Verfassungsbeschwerden gegen erstinstanzliche Entscheidungen, denen zufolge eine Abschiebung nach Italien möglich sei, nicht zur Entscheidung angenommen. Ferner sei eine Vielzahl erstinstanzlicher Entscheidungen ergangen, wonach die asylrechtlichen Mindeststandards in Italien gewährleistet seien und woraus sich ergebe, dass der Bericht von Bethke und Bender zu den Problemen der Flüchtlinge in Italien kritisch zu betrachten sei.

10

Auf den Antrag der Klägerin auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 07. März 2012 – 9 B 57/12 MD – die Beklagte im Wege einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Abschiebung der Klägerin nach Italien vorläufig bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren zu unterlassen.

11

Mit Gerichtsbescheid vom 10. Juli 2012 hat das Verwaltungsgericht die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 13. Juni 2012 verpflichtet, über den Asylantrag der Klägerin in eigener Zuständigkeit zu entscheiden und ein Asylverfahren durchzuführen. Die Klägerin habe nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO einen Anspruch darauf, dass die Beklagte ein Asylverfahren in der Bundesrepublik Deutschland durchführe; das insoweit bestehende Ermessen der Beklagten sei auf Null reduziert. Der Klägerin könne die Durchführung eines Asylverfahrens in Italien nicht zugemutet werden.

12

Der Senat hat auf Antrag der Beklagten mit Beschluss vom 10. Oktober 2012 die Berufung zugelassen. Zur Begründung der Berufung verweist die Beklagte im Wesentlichen auf ihre Ausführungen im Zulassungsantrag, wonach sie an ihrer bisherigen Auffassung festhält, die Klägerin könne in Anbetracht der in Italien gegebenen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse auf die Durchführung eines Asylverfahrens dort verwiesen werden.

13

Die Beklagte beantragt,

14

die Klage unter Abänderung des Gerichtsbescheides des Verwaltungsgerichts Magdeburg - 9. Kammer - vom 10. Juli 2012 abzuweisen.

15

Die Klägerin beantragt,

16

die Berufung zurückzuweisen.

17

Sie macht geltend, die Beklagte beziehe sich zur Begründung ihrer Berufung im Wesentlichen auf bloße Vorschriften und eine nicht mehr aktuelle Rechtsprechung, während neue Berichte nicht zur Kenntnis genommen würden. Der Auffassung der Beklagten sei im Hinblick auf die humanitäre Situation in Italien entgegen zu halten, dass sich die Situation der Flüchtlinge in Italien aufgrund des anhaltenden Flüchtlingsstroms aus Tunesien und anderen nordafrikanischen Staaten dramatisch verschlechtert habe. Italien sei bereits zuvor mit der Aufnahme von Flüchtlingen und deren ordnungsgemäßer Unterbringung überfordert gewesen. Aufgrund des momentanen Flüchtlingsstroms nach Italien habe sich die Situation noch verschlechtert; es sei damit zu rechnen, dass der Klägerin bereits aus diesem Grunde ein ordnungsgemäßes Asylverfahren verwehrt werde und dass sie obdachlos würde. Im Übrigen dürfe nach der Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofs (Urteil v. 21.12.2011 - C-411/11, C-493/10 -) ein Asylbewerber bereits dann nicht an den zuständigen Mitgliedstaat im Sinne der Dublin-II-VO überstellt werden, wenn ernsthafte Hinweise auf systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedsstaat vorlägen, die eine Gefährdung des Asylbewerbers nahe legen würden. Solche ernsthaften Hinweise lägen hier vor. Die vorliegenden Berichte und sonstigen Erkenntnismittel gingen davon aus, dass das staatliche Aufnahmesystem in Italien völlig überlastet sei. Es existierten 3.000 Plätze, die eine Aufnahme von Asylbewerbern für jeweils nur sechs Monate vorsehen würden. Im Jahre 2011 hätten indessen laut Presseberichterstattung (Spiegel online v. 26.04.2011) in Italien bis Anfang Mai bereits 26.000 Flüchtlinge um Schutz nachgesucht.

18

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf das Vorbringen der Beteiligten und auf den Verwaltungsvorgang der Beklagten (Beiakte A) sowie auf die vom Senat in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

19

Die Berufung der Beklagten hat Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat der Klage der Klägerin mit Gerichtsbescheid vom 10. Juli 2012 zu Unrecht stattgegeben.

20

I. Die Klage ist teilweise unzulässig.

21

1. Die als Verpflichtungsklage erhobene Klage ist “lediglich“ als Anfechtungsklage zulässig. Gegen die in dem Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 13. Juni 2012 getroffene Entscheidung, dass der Asylantrag der Klägerin gem. § 27a AsylVfG (wegen fehlender Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland) unzulässig ist, ist allein die Anfechtungsklage gem. § 42 Abs. 1 VwGO statthaft (ebenso: VG Düsseldorf, Urt. v. 15.01. 2010 - 11 K 8136/09 -; VG Frankfurt/Main, Urt. v. 08.07.2009 - 7 K 4376/07.F.A u. a. - InfAuslR 2009,409; Urt. v. 29.09.2009 - 7 K 269/09.F.A -; Urt. v. 23.06. 2010 - 7 K 2789/09.F.A. -; VG Freiburg, Beschl. v. 02.02.2012 - A 4 K 2203/11 -; VG München, Urt. v. 29.11.2011 - M 24 K 11.30219 -; VG Ansbach, Beschl. v. 08.11. 2011 - AN 11 S 11.30508 -; VG Wiesbaden, Urt. v. 17.06.2011 - 7 K 327/11.WI.A -; VG Braunschweig, Urt. v. 01.06.2010 - 1 A 47/10 -; VG Karlsruhe, Urt. v. 07.04.2010 - A 3 K 1580/09 -; VG Augsburg, Beschl. v. 01.02.2010 - Au 5 S 10.30014 -; Beschl. v. 29.09.2009 - 7 K 269.09 F.A. -; VG Neustadt, Urt. v. 16.06.2009 - 5 K 1166/08.NW -, alle: Juris; Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, § 27a Rdnr. 18; a. A. statthaft nur die Verpflichtungsklage: OVG NRW, Urt. v. 10.05.2010 - 3 A 133/10.A - Juris; VG Wiesbaden, Urt. v. 10.03.2010 - 7 K 1389/ 09.WI.A -).

22

Im Fall der Aufhebung einer – wie hier – auf § 27a AsylVfG gestützten Entscheidung wegen Unzulässigkeit des Asylantrages ist der Weg für die Durchführung eines Asylverfahrens („in eigener Zuständigkeit“) vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge auch ohne ein hierauf gerichtetes Verpflichtungsbegehren eröffnet. Denn das Bundesamt ist nach Aufhebung des angefochtenen Bescheides bereits von Gesetzes wegen zur Fortführung des Asylverfahrens verpflichtet (vgl. § 31 Abs. 2 AsylVfG zur Entscheidung des Bundesamtes über beachtliche Asylanträge). Da grundsätzlich davon ausgegangen werden kann, dass die Beklagte ihrer gesetzlichen Verpflichtung nachkommt, bedarf es demzufolge einer Verpflichtungsklage nicht (ebenso: VG Düsseldorf, Urt. v. 15.01.2010, a. a. O.; vgl. auch VG Frankfurt/Main, Urt. v. 29.09.2009, a. a. O.; Urt. v. 08.07.2009, a. a. O.).

23

Überdies muss bezweifelt werden, ob es sich bei der Entscheidung nach Art. 3 Abs. 2 derVerordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist – Dublin-II-VO – [z. T. auch „EG-AsylZustVO“ genannt] – (ABl. L 50 vom 25.02.2003, S. 1 -10) um einen (selbständigen) Verwaltungsakt handelt, so dass eine Verpflichtungsklage bzw. – unter Berücksichtigung des im Rahmen der genannten Vorschrift eingeräumten Ermessens – eine Verpflichtung der Beklagten zur Neubescheidung in Betracht kommt, oder ob es sich bei der gem. § Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO zu treffende Entscheidung nicht um eine bloß inzidente handelt, da es allein um die Feststellung der Zuständigkeit der Beklagten geht.

24

Ebenso scheidet eine Verpflichtungsklage aus, die unmittelbar auf Anerkennung als Asylberechtigter gem. § 16a GG bzw. auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG oder aber - hilfsweise - auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG gerichtet ist. Denn eine Verpflichtung für das Gericht, die Sache selbst spruchreif zu machen, besteht nur dann, wenn ein „mit seinem Asylantrag beim Bundesamt erfolglos gebliebener Ausländer“ den Klageweg beschreitet (BVerwG, Urt. v. 06.07.1998 - 9 C 45.97 - BVerwGE 107, 128 ff.). Hat hingegen das Bundesamt (noch) keine Sachentscheidung getroffen, so würde dem Betroffenen in dem Falle des “Durchentscheidens“ des Gerichts durch Verpflichtungs-urteil eine Tatsacheninstanz genommen, nämlich dass eine inhaltliche Überprüfung seines Asylbegehrens durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erfolgt (ebenso: VG Frankfurt/Main, Urt. v. 08.07.2009, a. a. O.; VG Schleswig, Urt. v. 03.08. 2011 - 1 A 46/11 - und Beschl. v. 12.09.2011 - 12 A 124/10 -; a. A. VG Braunschweig, Urt. v. 21.02.2013 - 2 A 126/11 - u. a. mit Verweis auf VGH Mannheim, Urt. v. 19.06.2012 - A 2 1355/11 -, Juris).

25

Im Übrigen verhält es sich bei der Entscheidung nach § 27a AsylVfG ähnlich wie in Fällen der Entscheidung des Gerichts über eine Einstellung des Asylverfahrens nach§ 32 AsylVfG wegen vermeintlicher Antragsrücknahme bzw. Verzicht nach § 14a Abs. 3 AsylVfG sowie in den Fällen der gerichtlichen Entscheidung bei fiktiver Antragsrücknahme nach§ 33 AsylVfG. In den genannten Fällen ist nach der hierzu ergangenen einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 07.03.1995 - 9 C 264.94 -, NVwZ 1996, S. 80 = Juris; vgl. auch Marx, AsylVfG, 7. Aufl. 2009, § 33 Rdnr. 34 ff. m. w. N.) die Verpflichtungsklage unzulässig, weil die verweigerte sachliche Prüfung des Asylantrages nach den Regelungen des Asylverfahrensgesetzes vorrangig von der Fachbehörde nachzuholen ist.

26

Auch ist im Hinblick auf die mit dem angefochtenen Bescheid angeordnete Abschiebung der Klägerin nach § 34a Abs. 1 AsylVfG die Verpflichtungsklage nicht veranlasst und stattdessen eine Anfechtungsklage gem. § 42 Abs. 1 VwGO ausreichend (vgl. VG Frankfurt/Main, Urt. v. 08.07.2009, a. a. O. und Urt. v. 29.09.2009, a. a. O.; s. auch Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl. 2005, § 34a AsylVfG Rdnr. 6; Funke-Kaiser, a. a. O., § 34a Rdnr. 64). Soweit es nämlich darum geht, dass die Beklagte von einem Selbsteintritt nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO i. V. m. der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 der Kommission vom 02. September 2003 (Abl. L 222 S. 3) Gebrauch macht, bedarf es im Urteil über eine entsprechende inzidente Feststellung hinaus keiner ausdrücklichen Verpflichtung der Beklagten, von einer Abschiebung abzusehen.

27

Es ist vorliegend davon auszugehen, dass die Anfechtungsklage vom Verpflichtungsbegehren der Klägerin (mit-)umfasst ist. Gegenstand der Anfechtungsklage ist nach allem ausschließlich die Frage nach der Zuständigkeit der Beklagten zur Durchführung eines Asylverfahrens, wobei die Frage nach dem rechtlich gebotenen Selbsteintritt der Bundesrepublik Deutschland inzident zu beantworten ist.

28

2) Der Klägerin steht für ihre Klage auch das erforderliche Rechtsschutzinteresse zur Seite, da sie weiterhin nach Italien zurückgeführt bzw. rücküberstellt werden könnte, nachdem die italienischen Behörden mit Schreiben vom 16. Februar 2012 (Bl. 115 d. Sachakte) ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung ihres Asylantrags erklärt haben, indem sie dem Übernahmeersuchen stattgegeben und damit ihrer Rücküberstellung zugestimmt haben.

29

II. Die Klage ist im Übrigen unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 13. Juni 2012 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat den Asylantrag der Klägerin zu Recht als unzulässig abgelehnt und zugleich ihre Abschiebung nach Italien angeordnet. Es musste im vorliegenden Fall insbesondere auch nicht von der Möglichkeit des Selbsteintritts der Beklagten nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO Gebrauch machen.

30

1) Rechtsgrundlage des Bescheides vom 13. Juni 2012, mit dem das Bundesamt den Asylantrag der Klägerin als unzulässig abgelehnt hat, ist § 27a AsylVfG. Danach ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Dies ist hier der Fall. Zu Recht ist die Beklagte im angefochtenen Bescheid davon ausgegangen, dass die Republik Italien für die Durchführung eines Asylverfahrens der Klägerin zuständig ist.

31

a) Die Zuständigkeit Italiens für die Durchführung des Asylverfahrens der Klägerin ergibt sich aus Art. 10 Abs. 1 Satz 1 Dublin-II-VO, sofern nicht die nach Art. 5 Abs. 1 der genannten Verordnung vorrangig zu prüfenden Zuständigkeitskriterien nach Art. 6 bis 9 der Verordnung einschlägig sind.

32

Nach Art. 10 Abs. 1 Satz 1 Dublin-II-VO ist der Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrages zuständig, sofern auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Art. 18 Abs. 3 der Verordnung genannten Verzeichnissen, einschließlich der Daten nach Kapitel III derVerordnung (EG) Nr. 2725/2000, festgestellt wird, dass der Asylbewerber aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze des Mitgliedstaats illegal überschritten hat (vgl. auch Art. 18 Abs. 4 und 5 Dublin-II-VO).

33

Dies bedeutet, dass – soweit nicht die Vorschriften nach Art. 6 bis 9 Dublin-II-VO einschlägig sind – im vorliegenden Fall Italien für die Prüfung des Asylantrags der Klägerin zuständig ist, da sie ihren eigenen Angaben zufolge aus Syrien kommend die Grenze nach Italien illegal überschritten hat (und dort – in B-Stadt – am 21. August 2011 zugleich einen Asylantrag gestellt hat [Bl. 108 ff. d. Sachakte]).

34

Die insoweit gegebene Zuständigkeit endet zwar gem. Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Dublin-II-VO zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts. Die Klägerin hat jedoch am 12. September 2011 und damit noch vor Ablauf der Jahresfrist ihren Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland gestellt, so dass die Zuständigkeit Italiens nicht nach Satz 2 entfallen ist. Die Einreise der Klägerin nach Italien erfolgte am 07. September 2011; die Jahresfrist lief somit am 07. September 2012 ab. Dass die Frist nunmehr abgelaufen ist, ist unschädlich, weil für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates nach Art. 5 Abs. 2 Dublin-II-VO auf die Situation in dem Zeitpunkt abzustellen ist, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt.

35

b) Im Falle der Klägerin sind auch die Voraussetzungen nach Art. 6 bis 9 Dublin-II-VO nicht erfüllt. Dies gilt insbesondere auch hinsichtlich Art. 7 der Verordnung, wonach – soweit die betroffenen Personen dies wünschen – der Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrages zuständig ist, wo ungeachtet dessen, ob die Familie bereits im Herkunftsland bestanden hat, der Asylbewerber einen Familienangehörigen hat, dem das Recht auf Aufenthalt in einem Mitgliedstaat in seiner Eigenschaft als Flüchtling gewährt wurde, sowie hinsichtlich Art. 8 der Verordnung, wonach – soweit die betroffenen Personen dies wünschen – dem Mitgliedstaat die Prüfung des Asylantrages obliegt, in dem der Asylbewerber einen Familienangehörigen hat, über dessen Asylantrag noch keine erste Sachentscheidung getroffen wurde. Die genannten Vorschriften sind im Falle der Klägerin jedoch nicht einschlägig.

36

Es ist schon nicht ersichtlich, dass die nach Art. 7 und 8 der Verordnung genannten Voraussetzungen bei der Tochter der Klägerin, mit der sie zusammen in das Bundesgebiet eingereist ist, oder bei ihren in Deutschland lebenden volljährigen Kindern vorliegen. Dies kann aber auch dahin stehen. Denn jedenfalls gelten die genannten Personen nicht als „Familienangehörige“ i. S. d. Dublin-II-VO. Hierzu gehört nach Art. 1 Buchst. i) der Verordnung nur die Mitglieder der “Kernfamilie“, d. h. die Ehegatten des Asylbewerbers und unter bestimmten Voraussetzungen der nicht verheiratete Partner des Asylbewerbers, die minderjährigen Kinder der genannten Personen sowie bei unverheirateten minderjährigen Antragstellern oder Flüchtlingen der Vater, die Mutter oder der Vormund. Ein solches Verwandtschaftsverhältnis der Klägerin zu den mit einreisenden bzw. in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Kindern besteht jedoch nicht.

37

c) Ebenso sind bei der Klägerin die Voraussetzungen nach Art. 15 Abs. 1 und Abs. 2 Dublin-II-VO nicht erfüllt. Nach Art.15 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung kann jeder Mitgliedstaat aus humanitären Gründen, die sich insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, Familienmitglieder und andere abhängige Familienangehörige zusammenführen, auch wenn er dafür nach den Kriterien der Verordnung nicht zuständig ist. Dass die Klägerin vorliegend aus humanitären Gründen mit ihren Familienangehörigen zusammenzuführen ist und nicht auch auf ein eigenständiges Leben in Italien verwiesen werden kann, zumal ihre Kinder teilweise in Deutschland, teilweise in Österreich leben bzw. teilweise ihr Aufenthalt unbekannt ist, lässt sich nicht feststellen. Die Klägerin befindet sich in Begleitung ihrer volljährigen Tochter; beide sind reisefähig und nach Italien zu überstellen.

38

Ebenso sind die Voraussetzungen nach Art. 15 Abs. 2 Dublin-II-VO nicht erfüllt, wonach im Regelfall von einer Trennung der Familienangehörigen abzusehen bzw. eine Zusammenführung vorzunehmen ist, wenn die betroffene Person u. a. wegen einer schweren Krankheit, einer ernsthaften Behinderung oder hohen Alters auf die Unterstützung durch die anderen Person(en) angewiesen ist. Diese Voraussetzungen liegen bei der 67-jährigen Klägerin nicht vor; entsprechendes ist jedenfalls nicht vorgetragen worden.

39

Eine andere Einschätzung ist auch nicht im Hinblick auf die einleitende Erwägung zu Nr. 6 Dublin-II-VO veranlasst, wonach die Einheit der Familie (grundsätzlich) gewahrt bleiben soll, soweit dies mit den sonstigen Zielen vereinbar ist, die mit den Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrages zuständigen Mitgliedstaats angestrebt werden. Nicht anders verhält es sich mit Blick auf die einleitende Erwägung nach Art. 7 Satz 2 Dublin-II-VO, wonach die Mitgliedstaaten von den Zuständigkeitskriterien abweichen können, um eine räumliche Annäherung von den Familienmitgliedern vorzunehmen, soweit dies aus humanitären Gründen erforderlich ist. Bei den genannten Regelungen handelt es sich indes um bloße programmatische Vorgaben, aus denen sich, unabhängig davon, dass die Voraussetzungen hier nicht vorliegen dürften, für die Asylbewerber keine unmittelbaren Rechte ableiten lassen.

40

d) Die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens ist auch nicht gemäß Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin-II-VO auf die Beklagte übergegangen. Zwar hat das Bundesamt nicht innerhalb von drei Monaten nach Stellung des Asylantrags der Klägerin vom 12. September 2011 ein Wiederaufnahme- bzw. Übernahmeersuchen an die Republik Italien gestellt; das war indes auch nicht erforderlich. Da die Klägerin bereits in Italien einen Asylantrag gestellt hat, steht in ihrem Fall eine Wiederaufnahme durch Italien im Sinne des Art. 16 Abs.1 c) bis e) Dublin-II-VO in Rede, nicht hingegen eine Aufnahme seitens Italiens im Sinne des Art. 16 Abs.1 a) Dublin-II-VO. Die Dublin-II-VO unterscheidet insoweit gem. Art.16 Abs.1 lit. a) einerseits und Art. 16 Abs. 1 lit. c) bis e) andererseits zwischen der Überstellung des Asylsuchenden in einem Aufnahmeverfahren gemäß den Art. 17 bis 19 Dublin-II-VO und einer Überstellung im Wiederaufnahmeverfahren nach Art. 20 Dublin-II-VO. Das Aufnahmeverfahren findet statt, wenn der Asylsuchende im ersuchten Mitgliedstaat noch keinen Asylantrag gestellt hat, während das Wiederaufnahmeverfahren einschlägig ist, wenn dort bereits ein Asylantrag gestellt wurde. Insofern wird der Anwendungsbereich der nachfolgenden Art. 17 bis 20 Dublin-II-VO durch Art. 16 Dublin-II-VO bestimmt.

41

Aus der systematischen Trennung zwischen Aufnahme- und Wiederaufnahmeverfahren folgt, dass im Wiederaufnahmeverfahren keine Frist für das Übernahmeersuchen gilt, denn die insofern allein maßgebliche Regelung des Art. 20 Dublin-II-VO normiert weder selbst eine solche Frist, noch nimmt sie auf die für das Aufnahmeverfahren geltende Regelung in Art. 17 Abs.1 Dublin-II-VO Bezug. Es verhält sich gerade nicht in der Weise, dass Art. 20 Dublin-II-VO nur spezielle Modalitäten für die Wiederaufnahme regelt und im Übrigen die Regelungen der Art. 17 bis 19 Dublin-II-VO anwendbar wären. Vielmehr handelt es sich bei den Art. 17 bis 19 Dublin-II-VO einerseits und dem Art. 20 Dublin-II-VO andererseits um jeweils eigenständige Regelungskomplexe (vgl. VG Düsseldorf, Beschl. v. 06.02.2013 - 17 L 150/13.A -; Beschl. v. 26.04.2013 - 17 K 1777/12.A -; VG Hamburg, Beschl. v. 22.09.2005 - 13 AE 555/05 -; VG Augsburg, Gerichtsbescheid v. 09.05.2011 - Au 3 K 10.30468 - Juris; VG Regensburg, Beschl. v. 05.07.2013 - RN 5 S 13.30273 -; VG Göttingen, Beschl. v. 11.10.2013 - 2 B 805/13 -; a.A.: VG Düsseldorf, Beschl. v. 07.08. 2012 - 22 L 1158/12.A -, alle: Juris).

42

Art. 17 Abs.1 Satz 2 Dublin-II-VO, wonach der Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, zuständig wird, wenn das Gesuch um Aufnahme eines Antragstellers nicht innerhalb einer Frist von drei Monaten unterbreitet wird, findet im Fall der Klägerin folglich keine Anwendung, so dass sich hieraus auch keine Zuständigkeit der Beklagten ergibt. Dementsprechend haben die italienischen Behörden mit Schreiben vom 16. Februar 2012 (Bl. 115 R, 116 d. Sachakte) auch ihre Zustimmung zur Wiederaufnahme bzw. Übernahme der Klägerin erteilt.

43

e) Ferner ist die Zuständigkeit nicht nach Art. 19 Abs. 3 und 4 i. V. m. Art. 20 Abs. 1 Buchst. d) Dublin-II-VO auf die Beklagte übergegangen. Nach Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin-II-VO erfolgt die Überstellung des Schutzsuchenden von dem Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, in den zuständigen Mitgliedstaat gemäß den nationalen Rechtsvorschriften des ersteren Mitgliedstaats nach Abstimmung zwischen den beteiligten Mitgliedstaaten, sobald dies materiell möglich ist und spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab der Annahme des Antrags auf Aufnahme oder nach der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt, geht die Zuständigkeit gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin-II-VO i. V. m. Art. 20 Abs. 1 Buchst. d) Dublin-II-VO auf den Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag eingereicht wurde. Dabei ist unerheblich, dass die Entscheidung der Beklagten nach Art. 19 Abs. 2 Satz 4 der Verordnung grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung hat; allein entscheidend ist, dass ihr eine solche durch eine entsprechende gerichtliche Entscheidung zuerkannt worden ist (vgl. Hess.VGH, Beschl. v. 23.08.2011 - 2 A 1863/10.Z.A -; Nds.OVG, Beschl. v. 02.08.2012 - 4 MC 133/12 -; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 19.06.2012 - A 2 S 1355/11 -; VG Freiburg, Beschl. v. 02.02.2012 - A 4 K 2203/11 -; offengelassen: OVG NRW, Beschl. v. 01.03.2012 - 1 B 234/12.A -, alle: Juris).

44

Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat in seinem Beschluss vom 02. August 2012 - 4 MC 133/12 - (< Rn. 17 zitiert nach Juris >) zu § 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin-II-VO und zu dem in Art. 19 Abs. 2 Satz 4 Dublin-II-VO grundsätzlich vorgesehenen Ausschluss der aufschiebenden Wirkung ausgeführt:

45

„Der Annahme der aufschiebenden Wirkung des hier eingelegten Rechtsbehelfs steht auch nicht die Vorschrift des Art. 19 Abs. 2 Satz 4 derVerordnung (EG) Nr. 343/2003 entgegen. Danach hat ein Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nach Absatz 1 keine aufschiebende Wirkung für die Durchführung der Überstellung, es sei denn, die Gerichte oder zuständigen Stellen entscheiden im Einzelfall nach Maßgabe ihres innerstaatlichen Rechts anders, wenn es nach ihrem inner-staatlichen Recht zulässig ist. Zwar darf nach § 34a Abs. 2 AsylVfG die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a) nicht nach§ 80oder § 123 der Verwaltungsgerichtsordnung ausgesetzt werden. Hieraus folgt jedoch nicht, dass durch diese Vorschrift eine andere Entscheidung im Sinne von Art. 19 Abs. 2 Satz 4 Hs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 nach Maßgabe des innerstaatlichen Rechts ausgeschlossen ist und daher ein Rechtsbehelf wegen § 34a Abs. 2 AsylVfG keine aufschiebende Wirkung im Sinne des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 derVerordnung (EG) Nr. 343/2003 haben kann. Das Bundesverfassungsgericht hat vielmehr ausdrücklich entschieden, dass der Ausschluss des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 34a Abs. 2 AsylVfG in den Fällen, in denen die Abschiebung in einen sicheren Drittstaat (§ 26a AsylVfG) erfolgen soll, in Ausnahmefällen, die nicht vom „normativen Vergewisserungskonzept“ des Gesetzgebers über die Einhaltung der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention in einem sog. sicheren Drittstaat erfasst sind, der Gewährung von vorläufigem Rechtsschutz gegen eine sofortige Überstellung nicht entgegensteht (BVerfG, Urt. v. 14.5. 1996, a. a. O.). Diese Rechtsprechung wird - soweit ersichtlich - von den Verwaltungsgerichten auf die Abschiebung in einen anderen Staat, der nach § 27a AsylVfG für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist, mit der Begründung übertragen, dass die vom Bundesverfassungsgericht angestellten Erwägungen zu § 26a AsylVfG auch auf die Vorschrift des§ 27a AsylVfG zutreffen, weil die nach europäischen Recht für die Asylentscheidung zuständigen Mitgliedstaaten zugleich sichere Drittstaaten im Sinne von § 26a AsylVfG sind (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 1.3.2012 - 1 B 234/12.A - und v. 11.10. 2011 - 14 B 1011/11.A -; ferner Nds. OVG, Beschl. v. 2.5.2012 - 13 MC 22/22 - und Hess. VGH, Beschl. v. 23.8.2011 - 2 A 1863/10.Z.A.-). Unter diesen Umständen kann daher keine Rede davon sein, dass es nach der innerstaatlichen Rechtslage in Deutschland unzulässig sei, die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen eine Überstellung auf der Grundlage der Zuständigkeitsbestimmungen in der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 anzuordnen. Unabhängig davon stellt die für den Fristenbeginn der Überstellung maßgebliche Vorschrift des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 derVerordnung (EG) Nr. 343/2003 nach ihrem Wortlaut auch ausdrücklich darauf ab, dass einem eingelegten Rechtsbehelf tatsächlich aufschiebende Wirkung zukommt und nicht darauf, ob es nach dem innerstaatlichen Recht zulässig ist, die aufschiebende Wirkung anzuordnen (vgl. Hess. VGH, Beschl. v. 23.8.2011 - 2 A 1863/10.Z.A.-).

46

Läuft danach die Frist zur Überstellung aufgrund des von dem Antragsteller eingelegten Rechtsbehelfs erst ab der gerichtlichen Entscheidung, mit der über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens bezüglich der Durchführung der Überstellung entschieden wird und die der Durchführung nicht mehr entgegenstehen kann, kann dahinstehen, ob insoweit das Vorliegen einer gerichtlichen Entscheidung in der Hauptsache für den Fristenbeginn bereits ausreichend ist oder es darüber hinaus der Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung bedarf (so Hess. VGH, Beschl. v. 23.8.2011 - 2 A 1863/10.Z.A.“

47

Der Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an und macht sie sich zu Eigen.

48

Da die Klägerin – nach Erlass des angefochtenen Bescheides vom 13. Juni 2012 – gegen ihre Überstellung innerhalb der Frist, bis zu der gem. Art. 19 Abs. 4 Satz 2 Dublin-II-VO ihre Überstellung nach Italien vorbehaltlich eventuell zu treffender weiterer Maßnahmen erfolgen konnte, einen Rechtsbehelf gegen ihre Überstellung eingelegt hat, dem mit Beschluss des Verwaltungsgerichts vom Beschluss vom 07. März 2012 - 9 B 56/12 MD - aufschiebende Wirkung beigemessen worden ist, beginnt nach Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin-II-VO eine (neue) sechsmonatige Frist zur Überstellung der Klägerin (erst) ab dem Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über die Klage. Diese Frist ist im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats noch nicht abgelaufen, denn der Senat hat dem Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung mit Beschluss vom 10. Oktober 2012 entsprochen. Nach allem kann hier dahingestellt bleiben, ob im Grundsatz das Vorliegen einer gerichtlichen Entscheidung in der Hauptsache für den Fristenbeginn hinsichtlich der Überstellung bereits ausreichend ist oder ob es darüber hinaus der Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung bedarf, da die Klägerin jedenfalls erstinstanzlich obsiegt hat.

49

2) Die Beklagte ist für die Prüfung des Asylantrags der Klägerin auch nicht gem. Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO zuständig, denn die Bundesrepublik Deutschland ist nicht verpflichtet, das Selbsteintrittsrecht auszuüben.

50

Nach Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin-II-VO kann jeder Mitgliedstaat abweichend von den Zuständigkeitskriterien des Kapitels III der Verordnung einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Der betreffende Mitgliedstaat wird dadurch gem. Art. 3 Abs. 2 Satz 2 Dublin-II-VO zum zuständigen Mitgliedstaat im Sinne der Verordnung und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen. Gegebenenfalls unterrichtet er den zuvor zuständigen Mitgliedstaat über den Selbsteintritt (a. a. O. Satz 3). Ob der Mitgliedstaat von dieser Befugnis Gebrauch macht, steht dabei grundsätzlich in seinem Ermessen, welches – weil integraler Bestandteil des im EU-Vertrag vorgesehenen und vom Unionsgesetzgeber ausgearbeiteten gemeinsamen Europäischen Asylsystems (EuGH, Urt. v. 21.12.2011 - C-411/ 10 und C-493/10 -, ) – in Übereinstimmung mit den insoweit geltenden unionsrechtlichen Bestimmungen und von den Mitgliedstaaten verfolgten Zielen auszuüben ist.

51

Art. 3 Dublin-II-VO ist auch geeignet, subjektive Rechte der Klägerin zu begründen, die von ihr gegen eine vorgesehene Überstellung (Rückführung) in den nach dieser Verordnung für die Prüfung des Asylantrags zuständigen Mitgliedstaat geltend gemacht werden können (vgl. dazu den Vorlagebeschluss des Hess.VGH v. 22.12.2010 - 6 A 2717/09.A -; Nds.OVG, Beschl. v. 02. 08.2012 - 4 MC 133/12 - m. w. N., Juris; ferner Funke-Kaiser, a. a. O., § 27a Rdn. 37 ff. m. w. N.). Denn auch wenn es sich bei Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin-II-VO um eine Ermessensvorschrift handelt, kann sich der Betroffene – hier die Klägerin – auf einen subjektiven öffentlich-rechtlichen Anspruch auf den Selbsteintritt der Beklagten gem. Art. 3 Abs. 2 der Verordnung berufen. Diese Bestimmung ist – anders als die Vorgängerregelungen im Schengener Durchführungsübereinkommen und im völkerrechtlichen Dubliner Übereinkommen (vgl. hierzu Funke-Kaiser, a. a. O., § 27a Rdn. 25) – nicht allein im öffentlichen Interesse geschaffen worden, sondern verbürgt den von ihr Betroffenen ein subjektives Recht. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, dass ein Einzelner nicht nur dann aus dem Unionsrecht subjektive Rechte herzuleiten vermag, wenn diese ihm ausdrücklich zugesprochen werden. Vielmehr genügt es, wenn aus einer Rechtsnorm klar und eindeutig eine Begünstigung Einzelner hervorgeht, die keiner Bedingung und keinem zeitlichen Aufschub mehr unterliegt, und weder die Union noch die Mitgliedstaaten einen Spielraum zur Ausgestaltung der Rechtsnorm besitzen (vgl. u. a. EuGH, Urt. v. 05.02.1963 - Rs. 26/62 -, Slg. 1963, 1 [24] = NJW 1973, 1751 - van Gend & Loos vs. Niederlande; EuGH, Urt. v. 04. 12.1974 - Rs. C-41/74 -, Slg. 1974, 1337 [1349] - van Duyn vs. Home Office; EuGH, Urt. v. 19.01.1982 - Rs. C-8/81 -, Slg. 1982, 53 [71] = NJW 1982, 53 - Becker vs. Finanzamt Münster). Diese Voraussetzungen sind im Falle der Dublin-II-VO dem Grunde nach erfüllt (vgl. auch Funke-Kaiser, a. a. O., § 27a Rdnr. 124 m. w. N.). Hiervon geht im Ergebnis auch der Europäische Gerichtshof in dem zur Dublin-II-VO ergangenen Urteil vom 29. Januar 2009 - C-19/08 – (Rdnr. 38, 48 zur Frage des Rechtsschutzes, NVwZ 2009, S. 639 = Juris) aus.

52

Allerdings verbürgt Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO lediglich das Recht auf eine fehlerfreie Ermessensausübung – welches gegebenenfalls aber auf Null reduziert sein kann (vgl. VG Würzburg, Urt. v. 12.03.2009 - W 4 K 08. 30122 -; Funke-Kaiser, a. a. O., § 27a Rdnr. 134 f. und 223 m. w. N.; Marx, a. a. O. § 27a Rdnr. 13; Huber/Göbel-Zimmermann, Ausländer- und Asylrecht, 2. Aufl. 2008, Rdnr. 1886; Filzwieser / Liebminger, Dublin II-Verordnung, Kommentar, 2. Aufl., Wien/ Graz 2007, Art. 3 K 9 unter Verweis auf einschlägige Rechtsprechung des Österreichischen Verfassungsgerichtshofs, Entscheid v. 15.10.2004 - G 237/03 u. a. und des Belgischen Conseil d'Etat / Raad van State vom 28.08.2006, Zl. 162.039; Schröder, Die EU-Verordnung zur Bestimmung des zuständigen Asylstaats, ZAR 2003, S. 124 [131]; Hruschka, Die Dublin II-Verordnung, in: Informationsverbund Asyl e.V. [Hrsg.], Das Dublin-Verfahren, Beilage zum Asylmagazin 1-2/2008, S. 1 [9]; Hruschka, Humanitäre Lösungen in Dublin-Verfahren, Asylmagazin 7-8/2009, S. 5 [7 f. und 9 f.]).

53

Aus dem Wortlaut des Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO ergibt sich eine an die Beklagte gerichtete Ermessensermächtigung, deren Zweck in der Norm selbst nicht seinen Ausdruck gefunden hat (vgl. nur Funke-Kaiser, a. a. O., § 27a Rdnr. 220; Filzwieser / Liebminger, a. a. O., Art. 3 K 8 ff.), sondern sich aus der Zwecksetzung der Verordnung insgesamt und der im Zuge der durch Art. 63 EG-Vertrag in der Fassung des Amsterdamer Vertrages vom 02. Oktober 1997 vorgegebenen gemeinschaftsrechtlichen Asylharmonisierung ergangenen europäischen Richtlinien zum materiellen Asylrecht auf der einen und zum Verfahrensrecht sowie den Aufnahmebedingungen von Flüchtlingen auf der anderen Seite erschließt. Im Einzelnen ist dabei von Folgendem auszugehen:

54

Nach Art. 63 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) EG-Vertrag beschließt der Rat in Übereinstimmung mit der Genfer Flüchtlingskonvention sowie mit einschlägigen anderen Verträgen Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist, den ein Staatsangehöriger eines dritten Landes in einem Mitgliedstaat gestellt hat. Hierauf beruhend wurde die Dublin-II-VO erlassen. Im Erwägungsgrund Nr. 5 wird hierzu ausgeführt, dass bezüglich der schrittweisen Einführung eines Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, das auf längere Sicht zu einem gemeinsamen Asylverfahren und einem unionsweit geltenden einheitlichen Status für die Personen, denen Asyl gewährt wird, führen sollte, im derzeitigen Stadium die Grundsätze des am 15. Juni 1990 in Dublin unterzeichneten Übereinkommens über die Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft gestellten Asylantrags(4) (nachstehend „Dubliner Übereinkommen“ genannt), dessen Durchführung die Harmonisierung der Asylpolitik gefördert hat, mit den aufgrund der bisherigen Erfahrungen erforderlichen Änderungen beibehalten werden sollten. Weiterhin wird insbesondere im Erwägungsgrund Nr. 15 ausgeführt, dass die Verordnung in Einklang mit den Grundrechten und Grundsätzen stehe, die mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union - EuGrdRCh - anerkannt worden seien. Die Verordnung ziele insbesondere darauf ab, die uneingeschränkte Wahrung des in Art. 18 EuGrdRCh verankerten Rechts auf Asyl zu gewährleisten.

55

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, Urt. v. 21.12.2011 - C-411/10 und C-493/10 -, Juris) lässt das im EU-Vertrag vorgesehene und vom Unionsgesetzgeber ausgearbeitete gemeinsame Europäische Asylsystem allerdings die Annahme begründet erscheinen, dass alle daran beteiligten Staaten, ob Mitgliedstaaten oder Drittstaaten, die Grundrechte beachten, einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 (GFK) sowie in der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten - Europäische Menschenrechtskonvention - (EMRK) finden. Es gilt daher grundsätzlich die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Europäischen Grundrechtscharta und der Genfer Flüchtlingskonvention sowie der Europäischen Menschenrechtskonvention steht. M. a. W. ausgehend von der Annahme, dass es sich bei den Mitgliedstaaten der Europäischen Union um sichere Drittstaaten i. S. d. Art. 16a Abs. 2 Grundgesetz (GG) bzw. § 26a AsylVfG handelt, ist aufgrund des diesen Vorschriften zugrunde liegenden „Konzepts der normativen Vergewisserung“ (BVerfG, Urt. v. 14.05.1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 22 BvR 2315/133 - Juris, Rn. 179 ff.) bzw. des „Prinzips des gegenseitigen Vertrauens“ (EuGH, Urt. v. 21.12.2011 - Rs C-411/10 und C-393/10 – Juris, Rn. 79 ff.) grundsätzlich davon auszugehen, dass die Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Grundrechtscharta und der Europäischen Menschenrechtskonvention in diesen Ländern sichergestellt ist. Auch die Dublin-II-Verordnung beruht wie jede andere auf Art. 63 Satz 1 Nr. 1 EG-Vertrag gestützte gemeinschaftsrechtliche Maßnahme auf der Prämisse, dass die zuverlässige Einhaltung der GFK, der EMRK und der EuGrdRCh in allen Mitgliedstaaten gesichert ist (vgl. Begründungserwägung Nr. 2 und Nr. 12 Dublin-II-VO und Art. 6 Abs. 2 sowie Art. 63 Abs. 1 Nr. 1 lit. a EG-Vertrag, - so auch VG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 02.10.2008 - 6 B 56/08-, Juris und VG Regensburg, Beschl. v. 15.09.2008 - RO 3 E 08.30124 - Juris).

56

Dies bedeutet zugleich, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Urt. v. 14.05.1996 - 2 BvR 1938/93 und 2 BvR 2315/93 - BVerfGE 94, 49 = Juris; Beschl. v. 08.09.2009 - 2 BvQ 56/09 -, Juris) ein Ausländer, der in einen sicheren Drittstaat zurück verbracht werden soll, den Schutz der Bundesrepublik Deutschland vor einer politischen Verfolgung oder sonstigen schwerwiegenden Beeinträchtigungen in seinem Herkunftsstaat grundsätzlich nicht mit der Begründung einfordern kann, für ihn bestehe in dem betreffenden Drittstaat keine Sicherheit, weil dort die Verpflichtungen aus der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht erfüllt würden. Für ihn kommen deshalb entsprechend dem mit Art. 16a Abs. 2 GG verfolgten „Konzept normativer Vergewisserung“ über die Sicherheit im Drittstaat auch die materiellen Rechtspositionen, auf die ein Ausländer sich sonst gegen seine Abschiebung stützen kann, grundsätzlich nicht in Betracht.

57

Allerdings hat die Bundesrepublik Deutschland dann Schutz zu gewähren, wenn ein solcher durch Umstände begründet wird, die ihrer Eigenart nach nicht vorweg im Rahmen des „Konzepts normativer Vergewisserung“ durch Gesetz berücksichtigt werden konnten oder aber sich die für die Qualifizierung als “sicher“ maßgeblichen Verhältnisse im Drittstaat schlagartig geändert haben und die gebotene Reaktion der Bundesregierung hierauf noch aussteht. So sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (a. a. O.) Ausnahmen u. a. dann geboten, wenn der Drittstaat gegenüber dem Schutzsuchenden selbst zu Maßnahmen politischer Verfolgung oder unmenschlicher Behandlung greift und dadurch zum Verfolgerstaat wird, oder wenn offen zu Tage tritt, dass der Drittstaat sich von seinen Schutzverpflichtungen lösen und einem bestimmten Ausländer der Schutz dadurch verweigern wird, dass er sich seiner ohne jede Prüfung des Schutzgesuchs entledigt (vgl. zur Problematik der Bestimmung des „sicheren Drittstaates“: BVerfG, Beschl. v. 08.09.2009 - 2 BvQ 56/09 - DVBl. 2009, 1304; Lübbe-Wolff, Das Asylgrundrecht nach den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Mai 1996 - DVBl. 1996, 825 ff.; s. insbesondere auch zur europa-rechtlichen Dimension: Weinzierl / Hruschka, Effektiver Rechtsschutz im Lichte deutscher und europäischer Grundrechte, NVwZ 2009, 1540 ff.).

58

Vergleichbares gilt nach dem Willen des Gesetzgebers, wenn es um die Rückführung eines Ausländers in den für seinen Asylantrag zuständigen Staat im Sinne des § 27a AsylVfG geht. Dies bedeutet, dass auch der Selbsteintritt nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO „nur“ eine Ausnahme darstellt bzw. Sonderfällen vorbehalten ist. Denn eine Prüfung, ob der Zurückweisung in den Drittstaat oder in den nach europäischem Recht oder Völkerrecht für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat ausnahmsweise Hinderungsgründe entgegenstehen, ist nur dann veranlasst, wenn sich aufgrund bestimmter Tatsachen die Annahme aufdrängt, dass der Asylbewerber von einem der im normativen Vergewisserungskonzept des Art. 16a Abs. 2 GG und der §§ 26a, 27a, 34a AsylVfG nicht aufgefangenen Sonderfälle betroffen ist. An die Darlegung eines solchen Sonderfalles sind dabei auch im Rahmen des Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO strenge Anforderungen zu stellen (vgl. BVerfG, Urt. v. 14.05.1996 - 2 BvR 1938/93 und 2 BvR 2315/93 - BVerfGE 94, 49 = Juris; Beschl. v. 08.09.2009 - 2 BvQ 56/09 -, Juris). Die Annahme eines sicheren Drittstaates ist daher nur dann widerlegt, wenn ernsthaft zu befürchten steht, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat grundlegende Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 EuGrdRCh bzw. der inhaltlich identischen Vorschrift des Art. 3 EMRK (vgl. insoweit Art. 52 Abs. 3 Satz 1 EuGRrdRCh) implizieren.

59

Nach der zu Art. 3 EMRK ergangenen Rechtsprechung des EGMR, auf die zur Auslegung von Art. 4 EuGrdRCH zurückzugreifen ist (vgl. EuGH, Urt. v. 21.01.2011, 2011 - No. 30696 – M.S.S. vs. Belgien und Griechenland, Rn. 88 m. w. N. – Juris) ist eine Behandlung unmenschlich, wenn sie absichtlich erfolgt und entweder tatsächliche körperliche Verletzungen oder schwere körperliche oder psychische Leiden verursacht. Eine Behandlung ist hingegen als erniedrigend anzusehen, wenn sie eine Person demütigt oder herabwürdigt und dadurch fehlenden Respekt für ihre Menschenwürde zeigt oder diese herabmindert, oder wenn sie Angst, Furcht oder Unterlegenheit hervorruft, die geeignet sind, den moralischen oder physischen Widerstand der Person zu brechen (vgl. EGMR, Urt. v. 21.01.2011, a. a. O., Rn. 220 m. w. N.).

60

Die ernsthafte Befürchtung grundlegender Mängel besteht nur dann, wenn in einem Mitgliedstaat eine ständige Verletzung der Kernanforderungen des europäischen Asylrechts, wie sie in den Richtlinien und Verordnungen der Europäischen Union ihren Niederschlag gefunden haben, stattfindet und dadurch die Menschenwürde, das Leben und die körperliche Unversehrtheit des Flüchtlings beeinträchtigt wird (vgl. hierzu VG Düsseldorf, Beschl. v. 22.12.2008 - 13 L 1993/08.A - Juris; VG Berlin, Beschl. v. 11.04.2011 - 23 L 84.11 A - Juris; VG Hannover, Beschl. v. 07.06.2011 - 1 B 2106/11 - asyl.net; VG Düsseldorf, Beschl. v. 12.09.2011 - 6 L 866/11.A - Juris; Lehnert / Pelzer, Effektiver Rechtsschutz im Rahmen des EU-Asylzuständigkeitssystems der Dublin II-Verordnung, ZAR 2010, 41 ff.; Lehnert/Pelzer, Der Selbsteintritt der Mitgliedstaaten im Rahmen des EU-Asylzuständigkeitssystems der Dublin-II-Verordnung, NVwZ 2010, 613 ff.). Bei der Beurteilung der Frage, ob für Asylbewerber in Italien dementsprechend ein “richtliniekonformes“ Verfahren gewährleistet ist, ist dabei zunächst das Schutzniveau in den Blick zu nehmen, das sich aus Art. 28 (Sozialleistungen) und Art. 31 (Zugang zu Wohnraum) der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 – Qualifikationsrichtlinie – ergibt und sodann jenes, das sich für das Asylverfahren aus der Dublin-II-VO selbst ergibt. Zugleich ist als Maßstab die Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten heranzuziehen sowie die Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 01. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft. Danach gehören zu den Kernanforderungen des europäischen Asylrechts der Zugang zu einem geordneten Asylverfahren und die Gewährung materieller Aufnahmebedingungen, welche die Grundbedürfnisse nach Unterkunft, Nahrung und medizinischer Versorgung abdecken.

61

Die vorstehend aufgezeigten Grundsätze stehen in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Dieser hat mit Urteil vom 21.12.2011 - C 411/10 und C-493/10 - (Juris) ausgeführt, das Gemeinsame Europäische Asylsystem sei in einem Kontext entworfen, der grundsätzlich die Vermutung rechtfertige, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Europäischen Grundrechtscharta sowie der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention steht. Gleichwohl könne – so der Gerichtshof – nicht ausgeschlossen werden, dass dieses System in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stoße, so dass die ernstzunehmende Gefahr bestehe, dass Asylbewerber bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt würden, die mit den Grundrechten unvereinbar sei. Dabei berühre nicht jede Verletzung eines Grundrechts durch den zuständigen Mitgliedstaat die Verpflichtung der übrigen Mitgliedstaaten zur Beachtung der Dublin-II-VO. Sei jedoch ernsthaft zu befürchten, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufwiesen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 der Grundrechtscharta implizierten, so sei eine Überstellung mit dieser Bestimmung unvereinbar.

62

Bei der Beurteilung der anstehenden Frage nach dem Vorliegen eines systemischen Versagens in Bezug auf das Asyl- und Aufnahmeverfahren in dem Mitgliedstaat ist überdies nicht (allein) darauf abzustellen, welche (abstrakte) Rechtslage dort herrscht, mithin ob etwa die vorgenannten Richtlinien in nationales Recht umgesetzt wurden, sondern es sind (ebenfalls) die konkreten bzw. realen Verhältnisse für die Asylbewerber, mithin die bestehende tatsächliche Verwaltungs- und Rechtspraxis in den Blick zu nehmen (ebenso VG Frankfurt/Main, Urt. v. 08.07.2009 - 7 K 4376/07.F.A u. a. - InfAuslR 2009, 406 = Juris).

63

Ferner ist darauf abzustellen, ob es sich bei eventuell feststellbaren Defiziten und Mängeln, etwa in Form von Rechtsverstößen und zu erwartenden Beeinträchtigungen, nur um Einzelfälle oder – soweit es sich nicht nur um Einzelfälle handelt – um bloße vorübergehende, temporäre Erscheinungen handelt, die etwa einer überraschenden Entwicklung geschuldet sind, denen aber in naher Zukunft voraussichtlich abgeholfen wird. Anders verhält es sich indes in jenen Fällen, in denen aufgrund einer Vielzahl von Referenzfällen hinreichend belegte Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sich die Missstände und Unzulänglichkeiten dauerhaft manifestiert haben. Die insoweit erforderliche Feststellung des Vorliegens systemischer Mängel und Missstände hat somit eine quantitative wie qualitative Komponente. Ob die desolaten Verhältnisse im Mitgliedstaat dabei darauf zurückzuführen sind, dass dieser zur Schaffung geordneter und richtlinienkonformer Verhältnisse nicht bereit oder nicht in der Lage ist, macht dabei grundsätzlich keinen Unterschied.

64

3) In Anwendung der genannten Kriterien ist im Fall der Klägerin von Folgendem auszugehen:

65

Die Bundesrepublik Deutschland ist nicht verpflichtet, in Ausübung des insoweit bestehenden Ermessens von ihrem Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO Gebrauch zu machen. Auch kann sich die Klägerin nicht mit Erfolg darauf berufen, sie besitze zumindest einen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über den Selbsteintritt der Beklagten zur Durchführung eines Asylverfahrens gem. Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO, um als Ausnahme von den sonstigen Zuständigkeitsregeln der genannten Verordnung die Prüfung ihres Asylantrages in der Bundesrepublik Deutschland herbeizuführen. Diesem Recht der Klägerin ist mit dem angefochtenen Bescheid der Beklagten entsprochen worden. Es ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte ihr Ermessen verkannt hätte; auch rechtfertigt sich nicht die Annahme des Vorliegens eines formellen Ermessensfehlers, da keinerlei Gründe vorliegen, die einen sog. Selbsteintritt zu rechtfertigen vermögen.

66

Zur Überzeugung des Senats ist auf der Grundlage des ihm vorliegenden Erkenntnismaterials zur Situation von Asylbewerbern und Flüchtlingen sowie von “Dublin-II-Rückkehrern“ in Italien nicht ernsthaft zu befürchten, dass das Asylverfahren und / oder die Aufnahmebedingungen dort derart grundlegende Mängel aufweisen, dass mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 EuGrdRCh zu erwarten steht. Der Senat ist vielmehr unter Anlegung der zuvor genannten strengen Maßstäbe zur Überzeugung gelangt, dass für die nach der Dublin-II-Verordnung nach Italien zurückkehrenden bzw. rücküberstellten Asylbewerber in der Gesamtschau ein ordnungsgemäßes und richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren gewährleistet ist und dass für den Fall der Abschiebung bzw. Rückführung der betroffenen Asylsuchenden zwecks Durchführung eines Asylverfahrens nicht mit schwerwiegenden Rechtsverstößen und Beeinträchtigungen zu rechnen ist (ebenso oder ähnlich u. a.: OVG Lüneburg, Beschl. v. 02.08.2012 - 4 MC 133/12 -; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 17.06.2013 - OVG 7 S 33.13 -; Beschl. v. 24.06.2013 - OVG 7 S 58.13 –; VG Bremen, Beschl. v. 15.04.2013 - 2 V 440/13.A -; VG Regensburg, Beschl. v. 05.02.2013 - RN 5 S 13.30026 -; Beschl. v. 26.02.2013 - RN 9 K 11.30445 -; VG Düsseldorf, Beschl. v. 17.09.2012 - 13 L 1447/12.A -; Beschl. v. 08.01.2013 - 6 L 104/13.A - und Beschl. v. 06.02. 2013 - 17 L 150/13.A -; VG Augsburg, Urt. v. 11.01.2013 - Au 6 K 12.30358 -; VG Leipzig, Urt. v. 07.12.2012 - A 1 K 973/11 -; VG München, Beschl. v. 08.11.2012 - M 15 E 12.30772 -; VG Würzburg, Beschl. v. 30.10.2012 - W 6 E 12.30288 -; VG Trier, Beschl. v. 25.10.2012 - 5 L 1146/12.TR -; VG Schwerin, Beschl. v. 27.09. 2012 - 8 B 434/12 As -; VG Bayreuth, Urt. v. 12.06.2012 - B 3 K 11.30142 - [bestätigt durch BayVGH, Beschl. v. 6.02.2013 - 20 ZB 12.302856 -]; a. A. oder eine Entscheidung in der Hauptsache vorbehaltend: VG Köln, Beschl. v. 07.05.2013 - 20 L 613/13.A -; VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 30.04.2013 - 10a L 484/13.A -; VG Schwerin, Beschl. v. 15.03.2013 - 3 B 111/13 As -; VG Aachen, Beschl. v. 14.03. 2013 - 9 L 53/13.A -; VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 19.02.2013 - 15a L 194/13.A -; Beschl. v. 27.02.2013 - 15a L 194/13.A -; VG Gießen, Urt. v. 24.01.2013 - 6 K 1329/12.Gl.A -; VG Karlsruhe, Beschl. v. 11.10.2012 - A 9 K 2386/12 - und Beschl. v. 22.01.2013 - A 9 K 179/13 -; VG Stuttgart, Beschl. v. 08.01.2013 - A 7 K 3929/12 -; VG des Saarlandes, Beschl. v. 03.09.2012 - 3 L 789/12 -; VG Düsseldorf, Beschl. v. 29.08.2012 - 14 L 1392/12.A – alle: Juris; VG Freiburg, Beschl. v. 27.10.2011 - A 5 K 2081/11 -; VG Magdeburg, Beschl. v. 17.07.2012 – 9 B 148/12 -; Beschl. v. 21.11.2011 - 9 A 100/11 -; Urt. v. 26.07.2011 - 9 A 346/10 MD -; vgl. auch OVG NRW, Beschl. v. 01.03.2012 - 1 B 234/ 12.A - Juris). Das Asylsystem in Italien mit dem dort geregelten und praktizierten Aufnahme- und Asylverfahren einschließlich der Unterbringungs- und Versorgungslage für die in Italien schutzsuchenden Flüchtlinge und Asylbewerber entspricht den Anforderungen des europäischen Asylsystems, selbst wenn es in Teilbereichen gewisse Mängel und Defizite aufweist. Im Einzelnen ist dabei von Folgendem auszugehen:

67

a) Nach dem dem Senat vorliegenden Erkenntnismaterial ist davon auszugehen, dass für Asylbewerber und Flüchtlinge in Italien, jedenfalls soweit es sich um Dublin-II-Rückkehrer handelt, grundsätzlich ein geordnetes Aufnahmeverfahren und auch ein ungehinderter Zugang zum Asylverfahren gewährleistet sind.

68

Der Senat verkennt nicht, dass es in Italien für Asylbewerber und Flüchtlinge – und zwar bis in die jüngste Vergangenheit hinein – eine Vielzahl von Einreiseverweigerungen und Abschiebungen gegeben hat, bevor ein Asylverfahren durchgeführt werden konnte bzw. ein solches abgewartet worden wäre. Namentlich sind Fälle bekannt geworden, wonach es Zurückweisungen von Flüchtlingen auf hoher See und vor der italienischen Küste, aber auch vom italienischen Territorium gegeben hat, die offenbar darauf abzielten, den Strom von Flüchtlingen – insbesondere aus Nordafrika – abzuwehren, die in Italien Zuflucht haben suchen wollen (vgl. UNHCR, Bericht v. 16.08. 2011: „Hunderte Neuankömmlinge aus Libyen und Tunesien in Italien“, abrufbar unter: http://www.unhcr.de/print/home/artikel/042d9651d6d525aad46e97d7ee7848db/hunde).

69

Trotz der bekannt gewordenen zahlreichen Verstöße gegen das Refoulement-Verbot und teilweise vorhandener unangemessener Erschwernisse beim Zugang zu einem Asylverfahren in Italien in den vergangenen Jahren lässt sich aber – jedenfalls soweit es die aktuellen Verhältnisse im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats betrifft – nicht (mehr) davon ausgehen, dass es, sieht man einmal von Einzelfällen ab, in Italien gegenwärtig noch zu derartigen gravierenden Rechtsverletzungen kommt, wie sie in der Vergangenheit zu beklagen waren.

70

Vielmehr sind nach Auskunft des Auswärtigen Amtes keine Fälle neueren Datums bekannt geworden, in denen Flüchtlingen und Asylsuchenden, die in Italien um Schutz nachsuchen wollten, bei ihrer Einreise auf dem Seeweg oder auf dem Landwege die Einreise oder der Aufenthalt in Italien verweigert worden sind (AA, Auskunft v. 21.02. 2013 an OVG LSA, Anm. 1.1.). Ebenso sind nach Auskunft des Auswärtigen Amtes keine Fälle neueren Datums bekannt geworden, in denen Flüchtlinge und Asylsuchende nach ihrer Einreise nach Italien in ihr Herkunftsland bzw. einen Drittstaat zurückgeführt bzw. abgeschoben worden sind, ohne dass sie in Italien den von ihnen beabsichtigten Asylantrag stellen konnten (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 1.2.). Schließlich sind nach Angaben des Auswärtigen Amtes in jüngster Zeit auch keine Fälle (mehr) bekannt geworden, in denen Flüchtlinge und Asylsuchende trotz eines in Italien gestellten Asylantrages in ihr Herkunftsland bzw. einen Drittstaat zurückgeführt bzw. abgeschoben wurden (AA, a. a. O. Anm. 1.2.). Hiernach lässt sich zumindest gegenwärtig nicht mehr die Feststellung treffen, dass in Italien der Anspruch Schutzsuchender auf Durchführung eines ordnungsgemäßen Asylverfahrens generell oder auch nur regelmäßig vereitelt wird (bereits für die Vergangenheit verneinend u. a.: VG Hannover, Beschl. v. 07.07. 2011 - 1 B 2106/11 - Juris; VG Berlin, Beschl. v. 11.04.2011 - 23 L 84/11 - Juris). Dies bedarf hier indes keiner Vertiefung.

71

Denn jedenfalls lässt sich zur Überzeugung des Senats nicht feststellen, dass für die im Rahmen des Verfahrens nach der Dublin-II-Verordnung nach Italien zurückkehrenden bzw. zurückgeführten Asylbewerber regelmäßig oder sogar überwiegend ein ordnungsgemäßes Asylverfahren nicht gewährleistet ist. Aufgrund eines für diesen Personenkreis gesetzlich speziell geregelten Rückführungsverfahrens ist vielmehr grundsätzlich davon auszugehen, dass diese nach ihrer Rückkehr nach Italien ihren dort bereits gestellten Asylantrag weiterverfolgen bzw. erstmals einen Asylantrag stellen können und ihnen insoweit der Zugang zu einem ordnungsgemäßen Asylverfahren nicht versperrt wird. Im Einzelnen ist dabei von Folgendem auszugehen:

72

Asylbewerber, die gemäß dem Verfahren nach der Dublin-II-Verordnung nach Italien zurückkehren bzw. zurückgeführt werden, treffen in der Regel auf dem Luftweg auf den Flughäfen Fiumicino in Rom, Malpensa in Mailand, Bergamo, Venedig, Bari, Brindisi oder Ancona ein. Dort werden sie – auch wenn es in Italien kein Flughafenverfahren wie in Deutschland gibt (AA, Auskunft v. 11.09.2013 an OVG NRW - zu Frage a.)) – von der Polizei in Empfang genommen und es wird ihnen eine Unterkunft in einer der Aufnahmeeinrichtungen zugeteilt, sofern ein Asylantrag gestellt wird bzw. ein Asylverfahren, bei dem Verfahrensstand, der bei Ausreise aus Italien vorlag, weitergeführt werden soll (zu allem: Schweizerische Flüchtlingshilfe, „Asylverfahren und Aufnahmebedingungen in Italien. Bericht über die Situation von Asylsuchenden, Flüchtlingen und subsidiär oder humanitär aufgenommenen Personen, mit speziellem Fokus auf Dublin-Rückkehrende“, Mai 2011, S. 17 und AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 1.4.). Die Polizei macht in diesen Fällen die verantwortliche Questura ausfindig und fordert die Rückkehrer auf, sich dorthin zu begeben. Dabei werden auch die Reisekosten übernommen (Schweizerischen Flüchtlingshilfe, a. a. O., S. 17) bzw. die Person bekommt, wenn die zuständige Questura weiter entfernt ist (Beispiel: Dublin-Rückkehr nach Rom, zuständige Questura in Catania), ein Zugticket ausgehändigt, um dort hinzureisen (AA, Auskunft v. 11.09.2013 an OVG NRW - zu Frage a.)).

73

Wenn die Dublin-Rückkehrer von deutschen Beamten /Polizisten begleitet werden, gibt es insoweit keine Unterschiede. Bei ihrer Ankunft werden alle Dublin-Rückkehrer von der Polaria (Luftpolizei) am Flughafen Fiumicino empfangen. Sie werden erneut erkennungsdienstlich behandelt und es erfolgt die Feststellung, welche Questura in Italien für die Person zuständig und wie der Stand des Verfahrens ist (AA, Auskunft v. 11. 09.2013 an OVG NRW - zu Frage a.)).

74

Bei ihrer Ankunft werden die Ausländer – so auch die Dublin-II-Rückkehrer – von der am Flughafen zuständigen Hilfsorganisation „Confederazione Nazionale delle Misericordie d’Italia“ betreut und in Anwesenheit von Dolmetschern über den weiteren Verfahrensablauf unterrichtet (AA, Auskunft v. 11.09. 2013 an OVG NRW - zu Frage a.)). Die genannte Hilfsorganisation sucht für die Dublin-II-Rückkehrer zugleich eine (vorläufige) Unterkunft in einem Aufnahmezentrum (z. B. einer Einrichtung der „Centri di accoglienza richiedenti asilo“ - CARA -), welches im Allgemeinen für die Erstaufnahme zuständig ist, bis die Zuweisung zu einer Asylunterkunft am Ort der zuständigen Questura erfolgt ist. Während die Dublin-II-Rückkehrer sofort eine Unterkunft in einem entsprechenden Erstaufnahmezentrum erhalten, kann die Zuweisung zu einer Asylunterkunft für die Dauer des Asylverfahrens einige Zeit dauern, weil es zunächst gewisser Formalien den jeweiligen Asylantrag betreffend bei der zuständigen Questura bedarf. Manchmal beträgt dieser Zeitraum nur einige Tage, manchmal aber auch Wochen, z. B. wenn es sich um große Städte und Ballungszentren handelt. Belastbares Zahlenmaterial bezogen auf die Verweildauer in den Erstaufnahmeeinrichtungen ist mangels statistischer Erhebungen allerdings nicht verfügbar. In den Erstaufnahmeeinrichtungen für Asylbewerber, den bereits erwähnten Einrichtungen der CARA, ist laut Gesetz grundsätzlich ein Verbleib von nicht länger als 20 bis 35 Tagen vorgesehen. Da die Zuweisungsverfahren aber oftmals länger dauern, bleiben die Antragsteller entsprechend länger in diesen Aufnahmezentren (AA, Auskunft v. 11.09.2013 an OVG NRW - zu den Fragen a.), b.) und c.)).

75

Nach den dem Senat vorliegenden Erkenntnismitteln erhalten die Schutzsuchenden nach ihrer Ankunft in Italien zudem Informationsbroschüren über ihre Rechte im Asylverfahren (AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 2.3.). Diese Broschüren existieren in unterschiedlichen sprachlichen Fassungen, so u. a. in persischer, arabischer, französischer, englischer, italienischer, somalischer, spanischer und tigrinischer Sprache (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 2.3.). Darüber hinaus befinden sich in den Aufnahmeeinrichtungen Betreuungsdienste, die den Asylantragstellern zur Unterstützung zur Verfügung stehen. Diese beschäftigen oftmals Mitarbeiter, die die Landessprache der Hauptherkunftsstaaten der Asylantragsteller beherrschen (AA, Auskunft v. 21.02. 2013, Anm. 2.3.).

76

Nach allem besteht für den Senat kein Grund zur Annahme, dass die in Italien Schutzsuchenden nach ihrer Ankunft dort in unangemessener Weise “sich selber überlassen bleiben“ und sich im Hinblick auf das erstrebte Aufnahme- und Asylverfahren nicht zurecht finden können.

77

Im Übrigen ist auch nicht ersichtlich, dass die Rücküberstellung von Asylbewerbern auf der Grundlage der Dublin-II-Verordnung seitens der italienischen Behörden auf Widerstände stößt. Insbesondere bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass es im Rahmen des Dublin-Systems vor einer Asylantragstellung oder während des Asylverfahrens zu Einreiserverweigerungen, Rücküberstellungen oder sonstigen Ausweisungen in die Herkunftsländer der Asylbewerber kommt (vgl. UNHCR, Stellungnahme v. 24.04.2012 an VG Braunschweig, S. 5).

78

b) Der Senat vermag aufgrund der ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel auch nicht zur Einschätzung zu gelangen, dass Asylsuchende und Flüchtlinge – jedenfalls soweit es die aktuellen Verhältnisse im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts betrifft – nach ihrer Einreise und / oder während ihres Asylverfahrens mangels einer (angemessenen) Unterkunft regelmäßig oder auch nur in einer Vielzahl von Fällen in die Obdachlosigkeit geraten, mithin „auf der Straße“ oder in „Elendsquartieren“ leben müssen.

79

aa) Dabei ist zunächst hervorzuheben, dass Asylsuchende während des Asylverfahrens einen Rechtsanspruch auf eine Unterbringung besitzen, und zwar gleichermaßen für die Zeit zwischen Antragstellung und Registrierung wie für die Zeit zwischen Registrierung und Entscheidung über das Asylbegehren (AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 5.1., 5.3. und 6.1.). Dieser Anspruch ist grundsätzlich wohl auch behördlich bzw. gerichtlich durchsetzbar. Dies deckt sich jedenfalls mit einer Antwort der Bundesregierung vom 18. April 2011 auf eine Kleine Anfrage im Bundestag ("Lage von Asylsuchenden und anerkannten Flüchtlingen in Italien" – BT-Drucks. 17/5579), aus der sich ergibt, dass Asylbewerber in Italien einen gerichtlich durchsetzbaren Rechtsanspruch auf Unterkunft haben. Allerdings kommt es für die Beurteilung der in Rede stehenden Frage nicht in erster Linie auf die bestehende Rechtslage an; maßgeblich ist vielmehr auf die tatsächlichen Verhältnisse abzustellen.

80

Nach den aktuellen Auskünften des Auswärtigen Amtes stellt sich indes die tatsächliche Unterbringungssituation im Rahmen des italienischen Aufnahmesystems für Asylbewerber und Flüchtlinge Anfang 2013 (5. Kalenderwoche) wie folgt dar:

81

Die Aufnahmezentren der CARA verfügen über 5.516 Plätze und beherbergen derzeit ca. 5.300 Personen nebst 2.710 Plätzen in den Einrichtungen der CARA von Lampedusa, so dass insgesamt mehr als 8.000 Plätze zur Verfügung stehen. Die Zahlen im Gutachten von Frau Judith Gleitze, borderline-europe e. V. vom Dezember 2012 an das VG Braunschweig (a. a. O. S. 11), wonach 3.163 Personen in den genannten Einrichtungen aufgenommen werden könnten, seien inzwischen überholt (AA, Auskunft v. 24.05.2013 an VG Minden - zu Frage 8.).

82

Darüber hinaus stehen den Asylbewerbern und Flüchtlingen grundsätzlich die staatlichen Aufnahmeeinrichtungen der SPRAR („Sistems di Protezione per Richiedenti Asilo e Refugiati“) zur Verfügung. Die dort vorhandenen Plätze sind laut Auskunft des Auswärtigen Amtes in der Vergangenheit deutlich angestiegen: Bisher habe es 3.000 Plätze gegeben, so dass dort (weil eine Unterbringung regelmäßig nur für 6 Monate vorgesehen sei) insgesamt 6.000 Personen hätten versorgt und untergebracht werden können (vgl. zur Aufnahmekapazität von etwa 3.000 Personen u. a. auch der Bericht der Schweizerische Flüchtlingshilfe, a. a. O. S. 5). Nunmehr aber stehen nach Auskunft des Auswärtigen Amtes - bestätigt durch Auskünfte von Mitarbeitern der SPRAR und des italienischen Innenministeriums – insgesamt 5.000 Plätze zur Verfügung, so dass 8.000 bis 10.000 Personen untergebracht werden könnten, ungeachtet der im Rahmen des EU-finanzierten FER-Projektes für vulnerable Personen und anderer Projekte vorhandenen weiteren Plätze (AA, Auskunft v. 24.05.2013 an VG Minden - zu Frage 8.). Dies entspricht in etwa auch der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 21.02.2013 auf Anfrage des Senats, wonach inzwischen in ganz Italien 40 Aufnahmezentren mit rund 9.000 Plätzen zur Verfügung stehen (AA, a. a. O., Anm. 4.3.).

83

Dem steht z. B. für das Jahr 2012 eine Anzahl von 1.148 Personen gegenüber, die als Rückkehrer im Rahmen der Dublin-II-Verordnung über Rom nach Italien zurückgeschickt wurden und von der Organisation Ariconfraternita am Flughafen von Rom betreut wurden (Gutachten an das VG Braunschweig von Judith Gleitze, borderline-europe e. V. vom Dezember 2012, S. 25 und S. 59 – in Ermangelung der erfassten Gesamtzahlen der Dublin-Rückkehrer nach Italien). Berücksichtigt man überdies, dass die Zahl der Asylbewerber seit 2012 – trotz gewisser Schwankungen – insgesamt rückläufig ist, kann zumindest gegenwärtig nicht (mehr) von unzureichenden Aufnahme- und Unterbringungskapazitäten ausgegangen werden. Zur Überzeugung des Senats dürfte sich somit die aktuelle Situation in Italien soweit entspannt haben, dass sämtliche Asylbewerber, und insbesondere Dublin-II-Rückkehrer, in den öffentlichen Aufnahmeeinrichtungen Platz finden können (ebenso OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 17.06.2013 - OVG 7 S 33.13 - ).

84

Die Annahme fehlender Kapazitäten für die Unterbringung von Dublin-II-Rückkehrern nach Italien ist insbesondere auch nicht deshalb gerechtfertigt, weil es in der Vergangenheit zu einem massiven Zustrom von Flüchtlingen aus Nordafrika gekommen ist und dies zu (nachhaltigen) Engpässen bei der Unterbringung und Versorgung von Asylbewerbern geführt hat.

85

Der UNHCR hat in diesem Zusammenhang in seiner Stellungnahme vom 24. April 2012 an das VG Braunschweig (a. a. O. S. 3) auf Folgendes hingewiesen: Im Jahre 2011 sind nach der Ankunft einer erheblichen Zahl von Personen aus Nordafrika und der darauf folgenden Erklärung des „humanitären Notstandes“ die regionalen Regierungen gebeten worden, zusätzliche Aufnahmeeinrichtungen zu bestimmen, da die bestehenden Aufnahmekapazitäten als unzureichend eingeschätzt wurden. Zwischen den Regierungen und den örtlich zuständigen Behörden (Regionen, bestimmten Provinzen [„Province Autonome“] und Gemeinden) seien Vereinbarungen getroffen worden, in denen Kriterien für die landesweite Verteilung von bis zu 50.000 Personen festgehalten wurden. Die Verantwortlichkeit für den diesbezüglichen Aufnahmeplan liege beim Leiter des Zivilschutzes („Dipartimento di Protezione Civile“). Bis Anfang 2012 seien 20.000 Personen im Rahmen des Plans in den Notunterkünften, meist in Einrichtungen kleiner bis mittlerer Größe, untergebracht worden, die in ganz Italien verteilt sind.

86

Dies deckt sich mit den Auskünften des Auswärtigen Amtes. Danach hätten die vorgehaltenen temporären Aufnahmestrukturen des Zivilschutzes, die anlässlich des Flüchtlingsstromes aus Nordafrika in der Größenordnung von 50.000 Plätzen in den Regionen geschaffen worden seien, die bestehenden Engpässe kompensiert (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 4.3.).

87

Soweit im Gutachten von Judith Gleitze, borderline-europe e. V. vom Dezember 2012 an das VG Braunschweig (a. a. O., S. 15) darauf verwiesen wird, dass die durch den Zivilschutz zusätzlich geschaffenen Unterkünfte nur zeitlich befristet vorgesehen gewesen seien, zunächst wohl nur bis Ende 2011 und alsdann bis Ende 2012, und dass diese inzwischen wieder geschlossen worden seien, so rechtfertigt auch dieser Einwand nach Auffassung des Senats nicht die Annahme, dass es gegenwärtig und zukünftig wieder zu fehlenden Kapazitäten in den staatlichen Einrichtungen kommen wird.

88

Zwar trifft es zu, dass das Notstandsprogramm befristet war und inzwischen wohl offiziell ausgelaufen ist. Allerdings trifft es ebenfalls zu, dass die Einrichtungen derzeit faktisch zumindest in einem beschränkten Umfang fortgeführt werden. Grund für die Schließung der Notunterkünfte war der Umstand, dass die Zahl der Asylbewerber und Flüchtlinge gegenüber den Vorjahren, insbesondere dem Jahr 2011 und 2012, deutlich zurück gegangen war. Allerdings waren nach Auskunft des Auswärtigen Amtes Anfang des Jahres 2013 noch ca. 17.000 Personen in den temporären Einrichtungen des Zivilschutzes untergebracht (AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 4.3.). Das Auswärtige Amt hat unterdessen mit seiner neuesten Auskunft – unter Berufung auf den Leiter des Italienischen Amtes für Aufnahmezentren und Betreuung, Herrn Tommaso Ricciardi vom 04. September 2013 – zum Notstandsprojekt Nordafrika mitgeteilt, dass sich derzeit nur noch etwa 1.000 Personen („vulnerable cases“ und Asylbewerber, die ein Rechtsmittel eingelegt haben) in den Notunterkünften befinden. Offiziell hätten diese nunmehr am 01. September 2013 schließen sollen. Es werde gegenwärtig überlegt, wie die Versorgung dieser Personen weiter gewährleistet werden kann (AA, Auskunft v. 11.09.2013 an OVG NRW – zu Frage e)).

89

Angesichts der aufgezeigten Entwicklung steht auch nicht zu erwarten, dass mit der Schließung der Notunterkünfte die dort untergebrachten bzw. noch verbliebenen Asylbewerber und Flüchtlinge in die staatlichen Unterkünfte drängen und es damit zu erneuten Überbelegungen kommen wird, mithin die Problematik fehlender Kapazitäten in den staatlichen Zentren erneut auftritt. Das Auswärtige Amt weist zudem ausdrücklich darauf hin, dass das Auslaufen des Nordafrika-Programms keine konkreten Auswirkungen auf die Dublin-Rückkehrer hat, da für diesen Personenkreis (der nicht in den Notunterkünften untergebracht wird) von vornherein kein unmittelbarer Zusammenhang zum Programm bestand (AA, Auskunft v. 11.09. 2013 an OVG NRW – zu Frage e)).

90

Gegenteiliges dürfte zur Überzeugung des Senats auch dann nicht anzunehmen sein, wenn es zu einem erneuten Anstieg der Zahl von Asylbewerbern in Italien kommen sollte. Das ausgelaufene Notstandsprogramm belegt, dass Italien Unterbringungsplätze in erheblichen Umfang zusätzlich zur Verfügung stellen kann, wenn der Zustrom von Flüchtlingen dies erfordert. Das geschaffene Notstandsprogramm lässt darauf schließen, dass die verantwortlichen Stellen – selbst wenn sie auf Druck der übrigen EU-Mitgliedstaaten tätig geworden sein sollten – bemüht sind, sich dem jeweiligen unterschiedlichen Unterkunftsbedarf in der gebotenen Weise anzupassen. Dies lässt es insbesondere nicht ausgeschlossen erscheinen, dass bei einem eventuellen erneuten Anstieg der in Italien eintreffenden Flüchtlinge und Asylbewerber entsprechende Programme zur kurzfristigen Schaffung zusätzlicher Unterkünfte neu aufgelegt werden. Dies alles rechtfertigt keine grundlegenden Zweifel daran, dass ein insoweit auch nach Beendigung des Notstandsprogramms fortdauernder Bedarf oder erneute Massenanstürme von Flüchtlingen bewältigt werden können (ebenso: OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 17.06.2013, a. a. O.).

91

Im Übrigen erkennt auch der UNHCR an, dass in den letzten Jahren Verbesserungen des staatlichen Aufnahmesystems stattgefunden haben. Insgesamt seien die Einrichtungen der CARA, CDA und SPRAR (nunmehr) in der Lage, dem Aufnahmebedarf einer „signifikanten Anzahl“ von Asylsuchenden nachzukommen (Stellungnahme vom 24. April 2012 an VG Braunschweig, S. 3). Allerdings macht der UNHCR die Einschränkung, dass die Kapazitäten der genannten Einrichtungen nicht für die Unterbringung aller unterstützungsbedürftigen Asylsuchenden ausreichend sein dürften, wenn Personen in erheblicher Anzahl neu in Italien ankommen würden (UNHCR, a. a. O., S. 3). Indes bestehen z. Z. keine Anhaltspunkte dafür, dass es in Italien derzeit oder in absehbarer Zeit erneut zu einem derartigen Anstieg der Asylbewerberzahlen kommen wird, wie er etwa in den Jahren 2010 und 2011 zu verzeichnen war.

92

Eine andere Bewertung der Unterkunftssituation für Asylbewerber und Flüchtlinge erscheint dem Senat schließlich auch nicht deshalb geboten, weil nach Auffassung des UNHCR (Stellungnahme v. 24.04.2012) in der gegenwärtigen Situation davon auszugehen sei, dass derzeit die überwiegende Anzahl aller Asylverfahren nicht innerhalb von sechs Monaten abgeschlossen werden können, und die Aufnahme in den Aufnahmezentren regelmäßig auf sechs Monate befristet sei. Abgesehen davon, dass der UNHCR selbst einräumt, dass keine konkreten Zahlen zur Dauer der Asylverfahren vorliegen, besteht nach Auskunft des Auswärtigen Amtes die Möglichkeit, dass im Einzelfall – so auch bei Einlegung von Rechtsmitteln – die Aufenthaltsdauer in der Einrichtung verlängert wird.

93

Zudem ist auch dem Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom Mai 2011 zu entnehmen, dass für die Aufnahme von Asylbewerbern eben nicht nur CARA-, CIE- und SPRAR-Zentren zur Verfügung stehen, sondern auch andere Zentren vorhanden sind basierend auf Abkommen zwischen dem Innenministerium und Gemeinden, aber auch von der Stadt – wie etwa Rom - finanzierte und von NGO’s betriebene Zentren (vgl. Schweizerischen Flüchtlingshilfe, Asylverfahren und Aufnahmebedingungen in Italien, Bericht über die Situation von Asylsuchenden, Flüchtlingen und subsidiär oder humanitär aufgenommenen Personen, mit speziellem Fokus auf Dublin-Rückkehrende, S. 19). Nach dem vorgenannten Bericht (a. a. O. S. 19) kommen noch kirchliche und karitative Einrichtungen hinzu. Dass es unter Berücksichtigung der Aufnahmekapazität all dieser öffentlichen und privaten Einrichtungen sowie unter Nutzung des Angebotes des Wohnungsmarktes nicht möglich ist, eine Unterkunft zu finden, ist nicht ersichtlich.

94

Das Auswärtige Amt weist ebenfalls darauf hin, dass neben den staatlichen Unterbringungszentren zusätzlich kommunale und karitative Einrichtungen existieren wie z. B. Caritas, Migrantes in Rom, die Schwestern des Ordens der Mutter Teresa „Suore Missionarie della Carità“ und andere Hilfsorganisationen (Comunità di Sant’Egidio, Opere Antoniane, Stranieri in Italia, Centro Astalle - Jesuiten -), welche die Antragsteller und Asylbewerber versorgen und ihnen Unterkunftsplätze besorgen (AA, Auskunft v. 21.08.2013 an OVG LSA - zur Frage 3.). Dies entspricht zugleich der Einschätzung des Auswärtigen Amtes, wonach nicht davon auszugehen ist, dass jene Personen, die in den staatlichen Aufnahmeeinrichtungen und staatlichen Unterkünften keinen Platz finden, regelmäßig oder überwiegend obdachlos „auf der Straße“ oder in „Elendsquartieren“ leben müssen (AA, a. a. O. Anm. 4.3.).

95

Veranlassung zu einer anderen Einschätzung gibt dem Senat schließlich auch nicht der Bericht von Maria Bethke und Dominik Bender „Zur Situation von Flüchtlingen in Italien“ vom 28. Februar 2011, wonach angeblich davon auszugehen ist, dass „in der Vergangenheit 88 vom Hundert der Dublin-II-Rückkehrer der Gefahr der Obdachlosigkeit überlassen worden seien“. Der Senat geht dabei davon aus, dass diese Aussage nicht bedeutet, dass etwa 88 vom Hundert der Dublin-II-Rückkehrer tatsächlich in die Obdachlosigkeit geraten sind, sondern dass es sich hierbei – da der Bericht lediglich von einer „Gefahr“ einer Obdachlosigkeit spricht – um eine bloße Annahme handelt in Bezug auf das womöglich bestehende Risiko, von einer Obdachlosigkeit betroffen zu werden. Dem Senat erscheint bei dieser Sachlage allerdings nicht nachvollziehbar, wie eine (potentielle) „Gefahr“ prozentual derart exakt prognostiziert werden kann, wie dies im Bericht mit 88 vom Hundert geschehen ist, zumal die Unterbringung in staatlichen und privaten Einrichtungen und auch die Wohnungssuche im Allgemeinen mit einer Fülle von Unwägbarkeiten verbunden ist. Überdies sind die Angaben nur bedingt brauchbar, weil eben nicht erkennbar wird, auf welchen Erkenntnissen diese beruhen und welche zurückliegenden Zeiträume in Bezug genommen werden, wenn davon gesprochen wird, dass sich Aussage auf die „Vergangenheit“ beziehe.

96

bb) Ebenso lässt sich nach Auffassung des Senats nicht feststellen, dass Asylbewerber infolge unzureichender und unzumutbarer Verhältnisse in den staatlichen bzw. privaten Unterkünften, namentlich etwa aufgrund unhygienischer Zustände oder Gewalttätigkeiten und krimineller Delikte wie u. a. Diebstahl, Vergewaltigung oder erheblichen Gefahren für Leib und Leben ausgesetzt sind. Dabei wird nicht verkannt, dass es in Unterkünften mit einer Vielzahl von – teilweise auch traumatisierten – Flüchtlingen unterschiedlicher Nationalität, Religion und Gebräuchen häufiger als in anderen Bereichen der Gesellschaft zu Konflikten und gelegentlich auch gewaltsamen Übergriffen kommen dürfte. Es dürfte sich dabei allerdings um ein allgemeines Phänomen in Gemeinschaftseinrichtungen handeln, dem die staatlichen Stellen nur bedingt wirksam entgegen wirken können. Auch wenn die Aufnahme-, Unterbringungs- und Lebensbedingungen von Asylbewerbern in Italien regelmäßig nicht mit dem hiesigen Standard vergleichbar sein mögen, ist zur Überzeugung des Senats davon auszugehen, dass die Zustände in den Unterkünften im Allgemeinen jedenfalls nicht derart unzumutbar und unhaltbar sind, dass deshalb die Feststellung einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung der Asylbewerber gerechtfertigt erschiene. Dies gilt zum einen hinsichtlich der hygienischen Verhältnisse. So wird nach Auskunft des Auswärtigen Amtes von den staatlichen Aufnahmezentren und Einrichtungen Kleidung gestellt, ebenso Wäsche und Hygieneartikel zum persönlichen Gebrauch (AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 5.1., 5.3. und 6.1.). Überdies teilt das Auswärtige Amt zur Situation in den staatlichen Aufnahmezentren und Unterkünften mit, dass die hygienischen Verhältnisse dort nicht regelmäßig oder sogar überwiegend sich in der Weise darstellen, dass man ernstlich Gefahr läuft zu erkranken. Sie seien auch nicht dergestalt, dass sie nicht den Mindestanforderungen (Kochstellen, Toiletten, Waschräume, fließendes Wasser und Elektrik) genügen würden. Vielmehr seien sie durchweg so beschaffen, dass kleinere Schlafräume in Wohnhäusern oder Containern vorhanden seien, die auch zumeist mit Klimaanlagen und Zentralheizung versehen seien. Insbesondere seien Toilettenräume in ausreichender Zahl und getrennt nach Geschlechtern vorhanden. Gleiches gelte für Waschräume. Die Verpflegung werde vielfach in einem gemeinsamen Speisesaal bereitgestellt. Vereinzelt bestünden auch zusätzliche Möglichkeiten für die eigene Zubereitung von Mahlzeiten. Ferner seien in den Einrichtungen Sozialräume sowie getrennte Räumlichkeiten für medizinische Dienste und Sonderfälle vorhanden. Zur Aufrechterhaltung der Sauberkeit der allgemeinen Räumlichkeiten würden spezielle Reinigungsdienste beschäftigt (vgl. zu allem: AA, Auskunft v. 21.01.2013, Anm. 4.5.).

97

Zum anderen lässt sich aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse auch nicht feststellen, dass sich die Verhältnisse in den staatlichen Aufnahmezentren und Unterkünften in der Weise darstellen, dass die Bewohner in ständiger Angst leben müssten, „angegriffen, ausgeraubt oder gar vergewaltigt“ zu werden. Zwar gibt es Berichte, wonach es zu gewaltsamen Übergriffen von männlichen auf weibliche Bewohner gekommen sein soll; hierbei handelt es sich aber um Einzelfälle, wenngleich statistische Erhebungen zur Kriminalität speziell in den genannten Einrichtungen nicht existieren bzw. nicht bekannt sind. Darüber hinaus werden die Aufnahmeeinrichtungen zumindest durch die Polizei oder Carabinieri überwacht und geschützt; wegen auftretender Spannungen zwischen verschiedenen Ethnien wurden in manchen Einrichtungen zudem zusätzliche Polizeikräfte postiert (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 4.6.).

98

Im Ergebnis vermag der Senat somit nicht festzustellen, dass es – sieht man von Engpässen und Einzelschicksalen ab – mit der Durchführung von Asylverfahren in Italien generell zu Begleiterscheinungen wie etwa Obdachlosigkeit oder aufgrund der Zustände in den Unterkünften zu einer Verwahrlosung der Asylbewerber kommt.

99

c) Der Senat vermag ebenfalls nicht festzustellen, dass Schutzsuchende während des Asylverfahrens in Italien unter Verletzung von Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 EuGrdRCh in materieller Not leben müssen, so dass von einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung auszugehen wäre, oder mit Blick auf die Versorgungssituation und soziale Situation der Asylbewerber und Flüchtlinge gemessen an den Vorgaben des unionsrechtlichen Sekundärrechts sich das Asylsystem als nicht (mehr) richtlinienkonform darstellt.

100

Asylsuchende und Flüchtlinge haben nach Auskunft des Auswärtigen Amtes während des Asylverfahrens einen (Rechts-)Anspruch auf (angemessene) Verpflegung und Versorgung (AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 5.1.). Dieser Verpflichtung wird im Allgemeinen dadurch nachgekommen, dass in den staatlichen Unterkünften und Aufnahmezentren entsprechende Leistungen erbracht werden. Namentlich wird auch Kleidung gestellt, ebenso Wäsche und Hygieneartikel zum persönlichen Gebrauch (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 5.1., 5.3. und 6.1.). Vorgenanntes gilt gleichermaßen für die Zeit zwischen Antragstellung und Registrierung wie für die Zeit zwischen Registrierung und Entscheidung über das Asylbegehren (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 5.1.).

101

Ebenso werden Asylbewerber und Flüchtlinge, die in nichtstaatlichen, namentlich karitativen und kirchlichen Unterkünften leben, mit Nahrung und Kleidung versorgt, wobei insoweit auch private Dienstleister herangezogen werden (vgl. AA, Auskunft v. 21. 02.2013, Anm. 5.2.). Allerdings ist für Asylbewerber und Flüchtlinge außerhalb staatlicher sowie karitativer und kirchlicher Einrichtungen eine staatliche Verpflegung und Versorgung nicht (mehr) gewährleistet. Auch existiert in Italien nur ein sehr eingeschränktes staatliches Sozialhilfesystem; danach erhalten nur Personen über dem 65. Lebensjahr Sozialhilfeleistungen. Im vorliegenden Fall würde dies sogar bedeuten, dass die 65-jährige Klägerin auch staatliche Sozialhilfeleistungen in Anspruch nehmen könnte. Im Übrigen haben die Betroffenen auch als Asylbewerber und schutzsuchende Flüchtlinge einen freien Zugang zum Arbeitsmarkt. Sie können ihren Lebensunterhalt dadurch verdienen, dass sie je nach Ausbildung oder Befähigung einer zumindest einfachen Arbeit nachgehen (vgl. AA, Auskunft v. 21.02. 2013, Anm. 5.1.).

102

In der Praxis kann somit nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass Asylbewerber und Flüchtlinge ihren Lebensunterhalt regelmäßig nicht durch Betteln und / oder Prostitution sichern müssen (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 4.4.). Vielmehr ist insgesamt eine ausreichende Versorgung vorhanden. Einzelfälle sind allenfalls auf das in der aktuellen Wirtschaftskrise insbesondere in italienischen Großstädten zunehmend auftretende Phänomen des Bettelns und die damit einhergehenden erhofften zusätzlichen Einkunftsmöglichkeiten zurückzuführen. Was die Prostitution angeht, so ist nicht völlig auszuschließen, dass weibliche Asylbewerber oder Flüchtlinge in Einzelfällen durch Angehörige der organisierten Kriminalität rekrutiert werden und dann tatsächlich der Prostitution nachgehen. Dies ist aber nicht im kausalen Zusammenhang mit Defiziten im Asylverfahren zu sehen (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 4.4.; Auskunft v. 24.09.2012, S. 3 - Antwort auf Frage b 2)).

103

Im Übrigen folgt aus Art. 3 EMRK und Art. 4 EuGrdRCh auch nicht die Verpflichtung, Asylbewerbern und Flüchtlingen eine finanzielle Unterstützung zu gewähren, um ihnen einen gewissen Lebensstandard zu ermöglichen (vgl. EGMR, Urt. v. 21.02.2011, a. a. O.).

104

Ebenso ist ein Verstoß gegen die Richtlinie 2004/83/EG nicht ersichtlich. Kapitel VII der Richtlinie gestaltet den Inhalt des internationalen Flüchtlingsschutzes zwar u. a. dahin gehend aus, dass Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte grundsätzlich Zugang zu Sozialleistungen (Art. 28), medizinischer Versorgung (Art. 29) und Wohnraum (Art. 31) erhalten. Allerdings gehen die Bestimmungen über die Gebote zur Inländergleichbehandlung (Art. 28, 29) bzw. zur Ausländergleichbehandlung (Art. 31) nicht hinaus. Art. 28 und 29 der Richtlinie gewährleisten die notwendige Sozialhilfe bzw. medizinische Versorgung nur insoweit, wie die Mitgliedstaaten ihren eigenen Staatsangehörigen eine entsprechende Behandlung bzw. Versorgung gewähren; für Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte besteht zudem die Möglichkeit, den Anspruch auf Kernleistungen zu beschränken, die dann im Umfang und unter denselben Voraussetzungen wie für eigene Staatsangehörige zu gewähren sind. Demzufolge muss der in Italien bestehende allgemeine Lebensstandard für andere, vergleichbare Personen mit italienischer Staatsangehörigkeit in den Blick genommen werden, die ebenfalls keine staatlichen Sozialleistungen in Anspruch nehmen können und bei denen ebenfalls nur durch die Aufnahme von Gelegenheitsarbeiten oder aber vermittels von Zuwendungen karitativer oder kirchlicher Organisationen das Existenzminimum gesichert ist.

105

Nach allem lässt sich ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 EuGrdRCh nicht daraus herleiten, dass – worauf in der Rechtsprechung einzelner Verwaltungsgerichte abgestellt wird – ein staatliches Sozialsystem, welches Flüchtlingen und Asylsuchenden zumindest ein Existenzminimum garantiert, nicht zur Verfügung steht und dass die Betroffenen deshalb darauf angewiesen seien, sich „selbst durch das Leben zu schlagen“ (vgl. VG Magdeburg, Beschl. v. 28.03.2011 - 9 B 101/11 MD - Juris; Gerichtsbescheid v. 21.11.2011 - 9 A 351/10 - [S. 5 d. UA]; VG Braunschweig, Beschl. v. 31.05.2011 - 1 B 103/11 - m. w. N. - Juris).

106

Im Übrigen ist in der Stellungnahme der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (a. a. O. S. 22) nicht – wie gelegentlich behauptet wird – die Rede davon, dass der genannte Personenkreis „in extremer Armut lebt und dass sie ihre Lebensbedürfnisse nicht decken können“. Vielmehr ist – wohl mit Bedacht – davon die Rede, dass sie Gefahr laufen, womöglich in eine solche Situation zu geraten; dass sich indes diese Gefahr bereits in eine Vielzahl von Fällen realisiert hätte oder gleichsam regelmäßig bzw. für jeden Asylsuchenden und Flüchtling die konkrete Gefahr bestünde, dass nicht einmal das Existenzminimum gesichert ist, wird nicht behauptet. Dies schließt nicht aus, dass es in Einzelfällen auch zu besonderen Notlagen kommen mag und dass der Lebensstandard der Asylbewerber und Flüchtlinge in Italien im Allgemeinen sehr gering sein dürfte. Gleichwohl vermag der Senat anhand des ihm vorliegenden umfassenden Erkenntnismaterials aber nicht festzustellen, dass die Situation für Flüchtlinge und Asylsuchende in den Zentren und außerhalb derselben derart prekär wäre, dass deshalb von einem Verstoß gegen Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 EuGrdRCh auszugehen ist.

107

d) Soweit es die medizinische Versorgung betrifft, sind alle Mitgliedstaaten aufgrund der EU-Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 verpflichtet, bestimmte Mindeststandards der medizinischen Versorgung zu gewährleisten. So haben alle Mitgliedstaaten nach Art. 15 der genannten Richtlinie dafür Sorge zu tragen, dass Asylbewerber und Flüchtlinge die erforderliche medizinische Versorgung erhalten, die zumindest die Notversorgung für die unbedingt erforderliche Behandlung von Krankheiten umfasst. Dabei ist auch Asylbewerbern mit besonderen Bedürfnissen die erforderliche medizinische und sonstige Hilfe zu gewähren.

108

In Italien ist im Rahmen des nationalen Gesundheitsdienstes grundsätzlich ein medizinischer Mindestbehandlungsstandard gewährleistet. Asylbewerber und Flüchtlinge haben in Italien während des Asylverfahrens einen Anspruch auf eine „freie“ (kostenlose) medizinische Versorgung sowie auch auf psychologische Hilfe, insbesondere auch Minderjährige und traumatisierte Personen (vgl. AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 5.1., 5.3. und 6.3.).

109

Dem entspricht es, wenn im Entscheiderrundbrief des Bundesamtes 7/2011 (a. a. O., S. 8) zur medizinischen Versorgung festgestellt wird, dass bei der Überstellung von kranken bzw. traumatisierten Personen – wie bei jedem italienischen Staatsbürger – die Möglichkeit der (medizinischen) Behandlung besteht. Bereits im Jahre 2009 habe es bei der SPRAR drei Zentren gegeben, in denen auch psychisch kranke Personen hätten behandelt werden können (zwei in Rom, eines in Turin). Für 2011 seien zudem 50 weitere Behandlungsplätze für psychisch kranke Personen bzw. Personen mit besonders schweren Erkrankungen geplant worden. Inzwischen würden bei Dublin-Überstellungen psychisch kranke Personen in Italien als eine besonders „vulnerable Gruppe“ angesehen.

110

Voraussetzung für den Zugang zum staatlichen Gesundheitssystem ist zwar grundsätzlich ein gültiger Aufenthaltstitel bzw. ein rechtmäßiger Aufenthalt; bei im italienischen Asylverfahren befindliche Personen stellt sich dieses Problem aber nicht. Der Zugang zu öffentlichen medizinischen Leistungen ist auch nicht an die Voraussetzung eines ständigen Wohnsitzes bzw. feste Adresse gekoppelt, wie gelegentlich behauptet wird. Vielmehr erhalten Asylbewerber bei Bedarf auch ohne einen solchen ständigen Wohnsitz bzw. feste Anschrift vom nationalen Gesundheitsdienst einen Gesundheitsausweis („tessera sanitara“) und eine Steuernummer („codice fiscale“) (vgl. AA, Auskunft v. 09.10.2012 an VG Minden, S. 2 - zur Frage b) 4; ebenso: AA, Auskunft v. 11.07.2012 an VG Freiburg - S. 2 Ziffer I b)). Sollte hingegen etwas anderes gelten, ist davon auszugehen, dass aufgrund einer aktuellen Vereinbarung zwischen der Zentralregierung und den Regionen zumindest eine Not- und Grundversorgung auch für sich illegal in Italien aufhaltende Personen garantiert ist (AA, Auskunft v. 21.01.2013, Anm. 6.2.).

111

Der Senat vermag angesichts dieser Situation nicht zu erkennen, dass damit den eingangs aufgezeigten Mindeststandards bzw. Kernanforderungen nicht genügt wird. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass in bestimmten Fällen womöglich einzelnen Personen eine nur unzureichende medizinische Versorgung zuteil wurde oder diese aus dem medizinischen Versorgungssystem herausgefallen sind.

112

Aber selbst dann, wenn für kranke, behinderte oder sonst gesundheitlich besonders schutzbedürftige Personen die garantierte medizinische Not- und Grundversorgung nicht als ausreichend angesehen würde, ergäben sich daraus jedenfalls für die Klägerin, die keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen angeführt hat, keine Bedenken gegen ihre Überstellung nach Italien.

113

e) Soweit es das Asylverfahren als solches, namentlich die Qualität und die Dauer des Verfahrens betrifft, lässt sich ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 EMRK und Art. 4 EuGrdRCH sowie gegen die einschlägigen unionsrechtlichen Richtlinien ebenfalls nicht feststellen.

114

Italien gewährleistet entsprechend dem (Grund-)Recht auf Asyl (gem. Art. 10 Abs. 3 der italienischen Verfassung, verschiedenen Einwanderungs- und Asylverfahrensgesetzen, insbesondere nach dem Gesetz No. 25/2008 vom 28. Januar 2008) ein Schutzverfahren, das auch für Überstellungen nach der Dublin-II-Verordnung greift. Besonderheiten bestehen insoweit nicht (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 3.1.).

115

Der Senat hat keine Anhaltspunkte dafür, dass es hinsichtlich der Qualität oder der Dauer der Asylverfahren einen Grund für Beanstandungen gibt. Insbesondere lässt sich nicht feststellen, dass von einer unverhältnismäßig restriktiven Asylpraxis auszugehen ist. Gegen eine solche Annahme sprechen die Zahlen, die vom Auswärtigen Amt zum Asylverfahren benannt werden. Danach wurden im Jahre 2010 über 14.042 Asylanträge entschieden, davon wurden 2.094 Antragsteller nach der Genfer Konvention anerkannt (15 vom Hundert), 1.789 erhielten subsidiären (13 vom Hundert), 3.675 humanitären Schutz (26 vom Hundert), hingegen wurden 4.698 abgelehnt. 520 Personen waren nicht auffindbar (4 vom Hundert) und 1.266 (9 vom Hundert) sind sonstige Fälle. Dementsprechend lag die Quote der Anerkennungen bzw. der Gewährung eines Bleiberechts bei immerhin 54 vom Hundert (vgl. AA, Auskunft v. 21.02. 2013, Anm. 3.2.). Demgegenüber wurden im Jahre 2011 über 25.626 Asylanträge entschieden. Davon wurden 2.057 Antragsteller nach der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt (8 vom Hundert), 2.569 Personen erhielten subsidiären (10 vom Hundert) und 5.662 humanitären Schutz (22 vom Hundert); 11.131 Personen wurden hingegen abgelehnt (44 vom Hundert) und 2.339 Personen waren nicht auffindbar (9 vom Hundert). Die Anerkennungsquote lag 2011 somit bei 40 vom Hundert, was ebenfalls nicht die Annahme einer unverhältnismäßig restriktiven Praxis rechtfertigt (vgl. AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 3.2.; AA, Auskunft v. 11.07.2012 an VG Freiburg, S. 5 unter Hinweis auf eine entsprechende Statistik des Innenministeriums, abrufbar unter: http://www.interno.it/miniinteno/export/sites/default/it/assets/files/21/0551_statistiche_asilo.pdf).

116

Es kommt hinzu, dass sich die für die Entscheidung der Asylverfahren in erster Instanz zuständigen Territorialkommissionen per Dekret des Innenministers in der Weise zusammensetzen, dass auch jeweils ein Vertreter des UNHCR beteiligt ist (Bundesamt für Migration der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Hintergrundnotiz MILA - Italien Asylverfahren, Bericht vom 23.09.2009, S.4). Dies berechtigt zur Annahme, dass der Ordnungsmäßigkeit des Asylverfahrens eine besondere Beachtung geschenkt wird.

117

Hinsichtlich der Dauer des Asylverfahrens in Italien gibt es ebenfalls nichts zu beanstanden. Über den Asylantrag soll an sich innerhalb von 30 Tagen entschieden werden; zudem wird angestrebt, dass das Gesamtverfahren einschließlich gerichtlicher Überprüfung nicht länger als sechs Monaten dauert, auch wenn es immer wieder Fälle gibt, in denen diese Dauer – manchmal bis zu einem Jahr oder auch länger – überschritten wird (AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 3.1., 3.2.; ebenso OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 17.06.2013, a. a. O. Rn. 15).

118

Ferner lässt sich nicht feststellen, dass es in Italien während des Asylverfahrens in nennenswerter Weise faktische Beeinträchtigungen in verfahrensrechtlicher bzw. prozessualer Hinsicht gibt. Art. 16 des italienischen Asylverfahrensgesetzes No. 25 vom 28. Januar 2008 garantiert dem Asylbewerber, dass er nach den einschlägigen Prozessvorschriften Anspruch auf eine Rechtsberatung und einen unentgeltlichen Rechtsbeistand im Verfahren hat (vgl. AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 3.4.). Zwar bestehen Zweifel, ob dies auch in der Praxis ausnahmslos Geltung besitzt, wenn man berücksichtigt, dass für die nach Rom zurückkehrenden Dublin-II-Rückkehrern (und in Rom eintreffenden Asylbewerber) die Prozesskostenhilfe davon abhängig gemacht wird, dass zum Nachweis der wirtschaftlichen Bedürftigkeit eine Bescheinigung der jeweiligen Auslandsvertretung beigebracht werden soll. Allein wegen der Tatsache, dass der Asylbewerber im Einzelfall das Verfahren ohne anwaltlichen Beistand durchzuführen hat, soweit kein Anwaltszwang besteht, kann nicht schon von einem (landesweit bestehenden) systemischen Mangel gesprochen werden, der die Annahme einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i. S. d. Grundrechtscharta und EMRK rechtfertigt. Im Übrigen stehen dem Asylbewerber im Asylverfahren auch Übersetzungsdienste zur Verfügung (vgl. AA, Auskunft an OVG LSA v. 21.02.2013, Anm. 2.3. und 3.3.; AA, Auskunft v. 11.07.2012 an VG Freiburg, S. 3).

119

Insbesondere bestehen auch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass – von Ausnahmen abgesehen – die für die Durchführung des Hauptsacheverfahrens erforderliche Erreichbarkeit des Asylbewerbers in Italien nicht sichergestellt wäre. Für eine solche Annahme fehlt es an hinreichend belegten Referenzfällen. Auch gibt es für Italien keine ernst zu nehmenden Quellen, wonach sich die Wahrnehmung von Verfahrensrechten (Antragstellung, Einlegung von Rechtsbehelfen etc.) regelmäßig als derart schwierig erweist, dass diese Rechte faktisch leer laufen würden.

120

Soweit in der Rechtsprechung dennoch vereinzelt – so u. a. das VG Gießen (Beschl. v. 10.03.2011 - 1 L 468/11.GI.A - Juris) und ihm folgend das VG Magdeburg (Beschl. v. 21.11.2011 - 9 A 351/10 -) – die Auffassung vertreten wird, „es erscheine auch die Qualität der Asylverfahren bedenklich“, wird diese Kritik nicht weiter spezifiziert und auch nicht durch entsprechende Erkenntnismittel belegt.

121

f) Ebenso lässt sich anhand des dem Senat vorliegenden Erkenntnismaterials nicht feststellen, dass im Hinblick auf die rechtliche und soziale Situation anerkannter Asylbewerber sowie der Flüchtlinge mit einem Bleiberecht angesichts der in Italien anzutreffenden Lebens- und Versorgungssituation sowie unter Berücksichtigung der insoweit staatlicherseits unternommenen Integrationsbemühungen das Aufnahme- und Asylverfahren in Italien derartige Mängel aufweist, dass es den Anforderungen des europäischen Asylsystems nicht mehr entspricht.

122

Schutzberechtigte, mithin anerkannte Asylbewerber (Asylberechtigte) und Personen mit subsidiärem Schutzstatus nach der Genfer Flüchtlingskonvention erhalten mit ihrer Anerkennung ein unbegrenztes Aufenthaltsrecht; es wird ihnen eine Aufenthaltsberechtigung („permesso di soggiorno“) ausgestellt. Danach genießen sie in Italien dieselben Rechte wie italienische Staatsangehörige (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 7.2.).

123

Dies bedeutet in der Praxis, dass sie sich – ebenso wie italienische Staatsangehörige – grundsätzlich selbst um eine Unterkunft kümmern und auch in eigener Verantwortung einen Arbeitsplatz suchen müssen. Dafür besteht aber ein freier Zugang zum Arbeitsmarkt (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 7.1.). Alle Personen, die in Italien einen Schutzstatus besitzen, haben auch das Recht zu arbeiten (AA, Auskunft v. 21.02.2013, a. a. O.).

124

Sie können ihren Lebensunterhalt dadurch verdienen, dass sie je nach Ausbildung oder Befähigung einer zumindest einfachen Arbeit nachgehen (vgl. AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 5.1.). Anerkannte Asylbewerber und Personen mit einem subsidiären Schutzstatus haben Zugang zu einer Beschäftigung in Italien, wie dies durch Art. 26 und Art. 28 der Qualifikationsrichtlinie (Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004) garantiert wird.

125

Ein staatliches System finanzieller Hilfeleistungen bzw. ein Sozialhilfesystem existiert hingegen nicht. Denn in Italien gibt es für italienische Staatsangehörige – und somit auch für anerkannte Flüchtlinge und Personen mit subsidiärem Schutzstatus, die ihnen gleichgestellt sind – kein national garantiertes Recht auf Fürsorgeleistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes bzw. (sonstige) staatliche Sozialleistungen, jedenfalls soweit sie nicht das 65. Lebensjahr erreicht haben (AA, Auskunft v. 11.07.2012 an das VG Freiburg). Art. 28 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie gewährt hinsichtlich der Sozialleistungen nur einen Anspruch auf Inländergleichbehandlung, nicht aber einen Anspruch auf Privilegierung des anerkannten Flüchtlings.

126

Zwar entspricht es der italienischen Kultur, dass es einen engen Familienzusammenhalt gibt, der im Notfall zumindest die Chance eröffnet, eine (gewisse) Unterstützung durch Familienangehörige in Anspruch nehmen zu können. Dass es eine solche vergleichbare Unterstützung unter den ausländischen Landsleuten gibt, die sich aufgrund ihres Schutzstatus dauerhaft in Italien aufhalten, erscheint nicht ausgeschlossen, dürfte aber die Ausnahme sein. Gleichwohl lässt dieser Umstand nach Auffassung des Senats für sich allein nicht schon die Annahme gerechtfertigt erscheinen, dass der anerkannte Flüchtling und sonstige Schutzberechtigte in Italien deshalb der konkreten Gefahr ausgesetzt wäre, „auf der Straße“ zu leben und zu verelenden.

127

Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass – ebenso wie italienische Staatsangehörige in einer vergleichbaren Situation – auch anerkannte Asylbewerber und schutzberechtigte Flüchtlinge von nichtstaatlichen Hilfsorganisationen, wie beispielsweise durch die CARITA und CIR, Unterstützung bekommen können (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 7.1.). Die Zuständigkeit für die Festsetzung von derartigen öffentlichen Sozialleistungen liegt grundsätzlich im Kompetenzbereich der Regionen. In bestimmten Regionen (z. B. Toskana, Emilia Romagna) wird die Höhe derartiger Leistungen durch die Kommune festgesetzt; die Leistungen weisen insoweit je nach regionaler und kommunaler Finanzkraft deutliche Unterschiede auf (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 7.1.). Diese Erkenntnis deckt sich im Übrigen mit dem Gutachten der Flüchtlingsorganisation borderline-europe e. V. (Gutachten an das VG Braunschweig vom Dezember 2012) und der Auskunft der italienischen Vereinigung für rechtliche Untersuchungen zur Situation von Einwanderung (ASGI-Bericht vom 20. November 2011, S. 10 f.). Danach erhalten ebenfalls anerkannte Asylbewerber und Personen, denen internationaler Schutz gewährt worden ist, Unterstützungen allgemeiner Art, wie sie auch für andere mittellose Personen in Italien vorgesehen sind.

128

Überdies ist für anerkannte Flüchtlinge und Personen mit subsidiärem Schutzstatus ein kostenfreier Zugang zu allen öffentlichen medizinischen Leistungen wie Arzt, Zahnarzt, Krankenhaus gewährleistet (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 7.1.). Ein Anspruch auf Einhaltung bestimmter Mindeststandards im Hinblick auf die Gewährung von Unterkunft sowie auf eine gewisse materielle Unterstützung besteht für sie auch nach dem Unionsrecht nicht; ein solcher Anspruch besteht nur für Asylbewerber (EGMR, Urt. v. 21.01.2011 - 30696/09 - M.S.S. v. Belgium and Greece; EuGH, Urt. v. 21.12. 2011 - C-411/10 und C-493/10 - N.S. und M.E.), denn nach den Bestimmungen der Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 steht Asylbewerbern und Schutzsuchenden zwar ein subjektives Recht auch auf eine angemessene Fürsorge zu. Nach Art. 3 Abs. 1 der genannten Richtlinie haben Asylbewerber jedoch nur solange Anspruch auf die in Art. 5 ff. der Richtlinie bezeichneten humanitären Leistungen, solange sie „als Asylbewerber im Hoheitsgebiet verbleiben dürfen“. „Asylbewerber“ im Sinne der Richtlinie ist dabei ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser, der einen Asylantrag gestellt hat, über den noch nicht entschieden wurde.

129

Soweit anerkannten Asylbewerbern und schutzberechtigten Flüchtlingen in der Zivilbevölkerung vereinzelt Vorbehalte entgegen gebracht werden und sich diese Vorbehalte womöglich auch im Verhalten von Amtsträgern widerspiegeln sollten, lässt sich diesem Umstand keine selbständige rechtliche Bedeutung beimessen. Die gilt selbst dann, wenn der genannte Personenkreis im Alltag womöglich Benachteiligungen erfahren sollte. Denn die genannten Umstände lassen nicht den Schluss zu, dass das Aufnahme- und Asylverfahren in Italien schon allein aus diesem Grunde den Regeln des europäischen Asylsystems zuwiderläuft.

130

Nach allem erübrigt sich hier die Erörterung der weitergehenden Frage, ob und inwieweit auch möglicherweise jene (unionsrechtlichen) Rechtsverletzungen für die Entscheidung über den Selbsteintritt nach Art. 3 Abs. 2 der Dublin-II-VO relevant sind, die Personen betreffen, bei denen das Asylverfahren bereits mit einer Anerkennung bzw. mit einem subsidiären Schutzstatus abgeschlossen ist (vgl. hierzu VG Regensburg, Beschl. v. 16.08.2012 - RN 7 S 12.30273 -).

131

g) Zur Überzeugung des Senats steht auch bei der gebotenen Zukunftsprognose nicht zu erwarten, dass angesichts eines unvermindert anhaltenden oder wieder zunehmenden Flüchtlingsstroms nach Italien sich die dort anzutreffenden Verhältnisse (wieder) verschlechtern werden. So verhält es sich jedenfalls dann, wenn man bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats Folgendes in Rechnung stellt:

132

Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes ist in Italien gegenwärtig nicht (mehr) von einem Anstieg des Zustroms von Asylbewerbern und Flüchtlingen auszugehen (AA, Auskunft v. 21.02.2013 Anm. 9.1. und 9.2.). Diese Entwicklung wird auch durch das dem Senat vorliegende Zahlenmaterial belegt. Laut Berichterstattung in der Presse (Spiegel online v. 26.04.2011) haben von Januar bis Ende April 2011 allein 26.000 Flüchtlinge in Italien um Schutz nachgesucht. Demgegenüber wurden laut Auskunft des Auswärtigen Amtes im ersten Halbjahr 2012 nur insgesamt 5.580 Asylanträge in Italien gestellt (AA, Auskunft v. 21.01.2013 Anm. 3.2.).

133

Insbesondere ist auch ein deutlicher Rückgang von Anlandungen im Süden Italiens zu verzeichnen. Im Jahr 2011 waren es noch 62.692 Personen, im Jahre 2012 hingegen nur noch 13.267 Personen (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 9.1. und 9.2.). Dies ist – wie das Auswärtige Amt in nachvollziehbarer Weise feststellt – vor allem auf die Beruhigung der Lage in den Nordafrikanischen Staaten zurückzuführen (AA, a. a. O.).

134

Im Übrigen ist auch in der Gesamtschau des letzten Jahrzehnts nicht von einem kontinuierlichen und erheblichen Zuwachs an Asylbewerbern und Flüchtlingen in Italien auszugehen, so dass etwa deshalb die Annahme einer nicht (mehr) zu bewältigenden “Überlastung“ des Asylsystems in Italien begründet wäre. In der ersten Hälfte des letzten Jahrzehnts waren die Zahlen bis 2006 vielmehr rückläufig, die Zahl der Asylantragsteller ging insoweit von 24.000 auf 10.000 zurück. In den Jahren 2008 und 2011 gab es dann in den Spitzen über 30.000 Asylbewerber, während es im Jahre 2012 allerdings wieder weniger als 15.000 Bewerber waren. Bei den genannten Spitzen handelte es sich somit um temporäre Erscheinungen aufgrund der politischen Entwicklungen im Zusammenhang mit dem “arabischen Frühling“ (vgl. AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 9.1.2.). Auch ist nach aktueller Einschätzung, namentlich vor dem Hintergrund der politischen Entwicklung in den Mittelmeer-Anrainerstaaten, nicht damit zu rechnen, dass die Zahl der Asylbewerber und Flüchtlinge in Italien in absehbarer Zeit ansteigen wird (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 9.1.3.).

135

Nach allem erweist sich die in der einschlägigen Rechtsprechung vielfach angeführte Begründung, dass wegen der zu erwartenden weiteren Flüchtlingsströme von Afrika nach Italien infolge der kriegerischen Auseinandersetzungen und der damit einhergehenden instabilen Verhältnisse in Nordafrika sich die Entwicklung in Italien in absehbarer Zeit voraussichtlich nicht verbessern, sondern eher noch verschlechtern wird (so u. a. VG Stuttgart, Beschl. v. 02.07.2012 - A 7 K 1877/12 - ) als nicht (mehr) tragfähig.

136

Insbesondere lässt sich auch der Stellungnahme des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen – UNHCR – vom 24. April 2012 an das Verwaltungsgericht Braunschweig kein Anhaltspunkt dafür entnehmen, dass ernsthaft zu befürchten ist, dass die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Italien grundlegende Mängel im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs aufweisen. Nach dem Inhalt dieser Stellungnahme wurden in Italien die regionalen Regierungen im Jahr 2011 nach Ankunft einer erheblichen Zahl von Personen aus Nordafrika ausdrücklich gebeten, zusätzliche Aufnahmeeinrichtungen zu schaffen. Zwischen den Regierungen und den örtlich zuständigen Behörden wurde zudem eine Vereinbarung getroffen, in der die Kriterien für die landesweite Verteilung von bis zu 50.000 Personen festgehalten wurden. Der UNHCR erkennt vor diesem Hintergrund an, dass in den letzten Jahren Verbesserungen des Aufnahmesystems stattgefunden haben und die CARA-, CDA- und SPRAR-Projekte insgesamt in der Lage sind, dem Aufnahmebedarf einer signifikanten Anzahl von Asylsuchenden nachzukommen (UNHCR, a. a. O. S. 3).

137

Dass die Verhältnisse zwischen Italien und Griechenland – wie gelegentlich behauptet wird – vergleichbar sind, vermag der Senat nicht festzustellen. Dies bedarf aber auch keiner Vertiefung, weil es hierauf nicht entscheidend ankommt. Dennoch bleibt festzustellen, dass der UNHCR – anders als in Bezug auf Griechenland – für Italien jedenfalls keine Empfehlung ausgesprochen hat, von einer Überstellung bzw. Abschiebung von Dublin-II-Flüchtlingen nach Italien abzusehen. Der Senat misst diesem Umstand kein geringes Gewicht bei. Soweit vereinzelt der Einwand erhoben wird, dies sei dem Umstand geschuldet, dass der UNHCR „politische Rücksichten zu nehmen habe“, ist dies durch Nichts belegt. Zwar hat – ausweislich des Tagungsberichts von Nora Markard zum 12. Berliner Symposium zum Flüchtlingsschutz vom 18.-19. Juni 2012 in Berlin (ZAR 10/2012 S. 380 ff. S. 381 zur Situation in Italien) – der UNHCR Senior Regional Protection Associate Jürgen Humberg im Hinblick auf die deutsche Debatte über die Zulässigkeit von Abschiebungen nach Italien angeblich betont, dass der Umstand, dass der UNHCR bisher kein Positionspapier zu Italien veröffentlicht habe, nicht bedeute, dass in Italien „alles in Ordnung sei“; eine solche Schlussfolgerung, den einige Verwaltungsgerichte zögen, sei unzulässig. Auch diese Äußerung veranlasst den Senat nicht zu einer anderen Einschätzung im Hinblick darauf, dass sich der UNHCR – anders als in anderen Fällen – einer entsprechenden offiziellen Stellungnahme bzw. Empfehlung, von einer Rückführung von Asylbewerbern nach Italien abzusehen, enthalten hat. Dies bedeutet keineswegs, dass der Senat der Auffassung wäre, in Italien „sei alles in Ordnung“; hieraus aber folgt eben noch nicht, dass in Bezug auf das Asyl- und Aufnahmeverfahren in Italien systemische Mängel feststellbar sind, die eine Verletzung der Europäischen Grundrechtscharta oder der Menschenrechtskonvention darstellen.

138

Festzustellen bleibt überdies, dass der UNHCR auch in seinem jüngsten Bericht (UNHCR - Recommendations on important aspects of Refugee protection in Italy) vom Juli 2013 trotz zahlreicher kritischer Anmerkungen bei seiner Einschätzung zur aktuellen Lage der Flüchtlinge und Asylbewerber in Italien zu keinem anderen Ergebnis gekommen ist.

139

Schließlich hat auch der EGMR in einer neueren Entscheidung vom 02. April 2013 (Ap-plication No. 27725/10 - Mohammed Hussein vs. the Netherlands and Italy) eine gegen die Dublin-Überstellung von den Niederlanden nach Italien gerichtete Beschwerde als offensichtlich unbegründet abgewiesen. In der Entscheidung hat sich der EGMR mit dem Vorbringen der Beschwerdeführerin, einer nach eigenen Angaben aus Somalia stammenden Frau mit zwei kleinen Kindern, zum Asylverfahren und auch zur Unterbringungssituation in Italien auseinander gesetzt und festgestellt, dass die Situation in Italien keineswegs mit der in Griechenland vergleichbar sei (Entscheidung v. 02.04. 2013, a. a. O. Rdn. 72). Auch aus dem Umstand, dass der EGMR in einer früheren Entscheidung (Application No. 64208/11) die Abschiebung eines Asylbewerbers von Deutschland nach Italien gestoppt hat, lässt sich nicht herleiten, dass Italien generell die Anforderungen des europäischen Asylsystems nicht erfüllt. Die Gründe für den mit der genannten Entscheidung verhängten Abschiebungsstopp sind letztlich nicht bekannt. Dem „Statement of Facts“ ist indes zu entnehmen, dass sich der dortige Antragsteller zwar auch auf die Lebensumstände von Flüchtlingen und Asylsuchenden in Italien berufen hat, jedoch insbesondere im Raum stand, dass er durch die Abschiebung aufgrund unterschiedlicher Entscheidungen der Verwaltungsgerichte Münster und Magdeburg von seiner Frau und seinen Kindern getrennt werden würde, deren Abschiebung gestoppt wurde. Weitere Fälle des EGMR (Application No. 30815/09, Application No. 37159/09, Application No. 56424/10) betrafen unbegleitete Minderjährige und die spezielle Situation einer Mutter mit einem minderjährigen Kind (Application No. 2303/10).

140

Im Übrigen haben sowohl der Österreichische Asylgerichtshof (Spruch v. 03.05. 2010 - S16 412.104-1/2010-4E -, veröffentlicht unter http://www.ris.bka.gv.at, dort insbes. Ziffer 2.2.2.2.1. "Kritik am italienischen Asylwesen" m. w. N.) als auch das Schweizerische Bundesverwaltungsgericht (vgl. u. a. Urt. v. 15.07.2010 - D 4987/ 2010 - und Urt. v. 18.03.2010 - D-1496/2010 -, im Internet abrufbar unter: http://www.bundes verwaltungsgericht.ch/index/entscheide/Jurisdiction-datenbank/Jurisdiction-recht-urteile aza.htm) die Rückführung von Asylsuchenden nach Italien in Ansehung der dortigen Asylverfahrenspraxis grundsätzlich als zulässig angesehen. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf den Inhalt der angeführten Entscheidungen Bezug genommen.

141

Auch der Umstand, dass zahlreiche Verwaltungsgerichte hinsichtlich der Situation der Asylbewerber und Flüchtlinge in Italien zu einer gegenteiligen Einschätzung hinsichtlich der Verhältnisse und des Asylsystems in Italien gelangt sind, veranlasst den Senat nicht zur Annahme, dass die Behandlung der Asylbewerber und Flüchtlinge in Italien nicht in Einklang steht mit den Erfordernissen der Europäischen Grundrechtscharta, der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention. Nach Auffassung des Senats wird in der insoweit einschlägigen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte häufig nicht hinreichend dem Umstand Rechnung getragen, dass es sich bei den zugrunde gelegten Erkenntnismitteln nicht selten um bloße subjektive Einschätzungen handelt, die nicht in der erforderlichen Weise durch Fakten belegt sind. Auch erscheint mitunter fraglich, ob die insoweit festgestellten Mängel und Defizite verallgemeinerungsfähig sind. Nicht zuletzt haben sich die Verhältnisse in Italien – wie dargelegt – zwischenzeitlich teilweise geändert, so etwa in Bezug auf den Flüchtlingsstrom aus Nordafrika und die Anzahl der für die Asylbewerber und Flüchtlinge zur Verfügung stehenden Unterkünfte. Im Übrigen ist Gegenstand der Prüfung nach § 3 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (Dublin-II-VO) nicht die Frage, ob die Aufnahmebedingungen und das Asylverfahren für Flüchtling und Asylbewerber kritikwürdig sind, weil das System zahlreiche Mängel aufweist oder hinter dem Schutzniveau anderer Mitgliedstaat zurückbleibt.

142

Der Senat sieht auch keine Veranlassung, weitere Gutachten, Auskünfte oder Stellungnahmen zur Situation von Asylbewerbern und Flüchtlingen in Italien einzuholen. Nach anerkannter Rechtsauffassung ist die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens nur dann geboten, wenn sich dem Gericht eine weitere Beweiserhebung aufdrängen musste, weil bereits vorliegende Gutachten, Auskünfte oder Stellungnahmen nicht den ihnen obliegenden Zweck erfüllen (konnten), dem Gericht die zur Feststellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts notwendige Sachkunde zu vermitteln und ihm dadurch die Bildung der für die Entscheidung notwendigen Überzeugung zu ermöglichen. In diesem Sinne kann z. B. ein Sachverständigengutachten für die Überzeugungsbildung des Gerichts ungeeignet oder jedenfalls unzureichend sein, wenn es grobe, offen erkennbare Mängel oder unlösbare Widersprüche aufweist, wenn es von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgeht oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde oder der Unparteilichkeit des Gutachters besteht (BVerwG, Beschl. v. 14.04.2011 - 2 B 80/10 - m. w. N., Juris). Dies ist hier aber nicht der Fall. Zwar sind die dem Senat vorliegenden zahlreichen Gutachten, Auskünfte und Stellungnahmen nicht in allen Punkte stets konsistent und völlig frei von gewissen Widersprüchen; soweit es indes die im vorliegenden Fall entscheidungserheblichen Tatsachen und Erkenntnisse betrifft, sind diese aufgrund der herangezogenen Erkenntnismittel zur Überzeugung des Senats hinreichend geklärt und eindeutig und mithin für die Überzeugungsbildung ausreichend.

143

Der Senat sieht insbesondere auch keine Veranlassung, an der Tauglichkeit des vorhandenen Erkenntnismaterials für die hier entscheidungsrelevanten Fragen zu zweifeln. Dies gilt speziell auch hinsichtlich des Beweiswertes der Auskünfte des Auswärtigen Amtes, da sie grundsätzlich eine sich auf unterschiedliche Erkenntnisquellen stützende Gesamtbewertung vornehmen und zudem im Allgemeinen den tatsächlichen Verhältnissen am nächsten kommen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 31.08.2006 - 1 B 24.06 - Juris; Beschl. v. 06.10.1997 - 9 B 803.97 - Juris; Beschl. v. 08.09.1997 - 9 B 401.97 -; Beschl. v. 15.10. 1985 - 9 C 3.85 - Juris sowie Beschl. v. 31.07.1998 - 9 B 71.85 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 28 = Juris). Nicht anders verhält es sich hier. So beruhen die den Auskünften des Auswärtigen Amtes zugrunde liegenden Erkenntnisse auf laufenden Gesprächen der Botschaft Rom mit dem italienischen Flüchtlingsrat CIR, UNHCR und IOM in Rom, den Präsentationen des italienischen Innenministeriums und des statistischen Amtes ISTAT sowie schließlich auf Kontakten zu nichtstaatlichen karitativen Organisationen wie Carita Migrantes, Comunità di Sant’ Egidio u. a..

144

Nach allem vermag der Senat nicht zur Überzeugung zu gelangen, dass ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urt. v. 21.12.2011, a. a. O.) die Annahme rechtfertigen, dass die Klägerin aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Italien im Falle einer Abschiebung bzw. Überstellung dorthin Gefahr laufen wird, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i. S. d. Art. 3 EMRK und § 4 EuGrdRCH ausgesetzt zu werden und dass sich deshalb die Rücküberstellung als rechtswidrig erweist.

III.

145

Soweit das Bundesamt in dem angefochtenen Bescheid zugleich die Abschiebung der Klägerin nach Italien gem. § 34 Abs. 1 AsylVfG angeordnet hat, bestehen gegen die Rechtmäßigkeit dieser Anordnung keine Bedenken.

146

§ 34a AsylVfG überantwortet die Entscheidung über die Abschiebung dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, so dass dieses die Abschiebungsanordnung verfügt. Das Bundesamt ordnet dabei nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a AsylVfG) an, sobald feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Abschiebungsverbote sind nicht ersichtlich.

147

IV. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83b AsylVfG. Die Entscheidung hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 ZPO.

148

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§§ 132 Abs. 2, 137 VwGO).


Tenor

Das angefochtene Urteil wird geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, in beiden Rechtszügen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 vom Hundert des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 vom Hundert des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.


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(1) Zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände sind die erforderliche ärztliche und zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln sowie sonstiger zur Genesung, zur Besserung oder zur Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderlichen Leistungen zu gewähren. Zur Verhütung und Früherkennung von Krankheiten werden Schutzimpfungen entsprechend den §§ 47, 52 Absatz 1 Satz 1 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch und die medizinisch gebotenen Vorsorgeuntersuchungen erbracht. Eine Versorgung mit Zahnersatz erfolgt nur, soweit dies im Einzelfall aus medizinischen Gründen unaufschiebbar ist.

(2) Werdenden Müttern und Wöchnerinnen sind ärztliche und pflegerische Hilfe und Betreuung, Hebammenhilfe, Arznei-, Verband- und Heilmittel zu gewähren.

(3) Die zuständige Behörde stellt die Versorgung mit den Leistungen nach den Absätzen 1 und 2 sicher. Sie stellt auch sicher, dass den Leistungsberechtigten frühzeitig eine Vervollständigung ihres Impfschutzes angeboten wird. Soweit die Leistungen durch niedergelassene Ärzte oder Zahnärzte erfolgen, richtet sich die Vergütung nach den am Ort der Niederlassung des Arztes oder Zahnarztes geltenden Verträgen nach § 72 Absatz 2 und § 132e Absatz 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch. Die zuständige Behörde bestimmt, welcher Vertrag Anwendung findet.

(1) Soll der Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26a) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Absatz 1 Nummer 1) abgeschoben werden, ordnet das Bundesamt die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Dies gilt auch, wenn der Ausländer den Asylantrag in einem anderen auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat gestellt oder vor der Entscheidung des Bundesamtes zurückgenommen hat. Einer vorherigen Androhung und Fristsetzung bedarf es nicht. Kann eine Abschiebungsanordnung nach Satz 1 oder 2 nicht ergehen, droht das Bundesamt die Abschiebung in den jeweiligen Staat an.

(2) Anträge nach § 80 Absatz 5 der Verwaltungsgerichtsordnung gegen die Abschiebungsanordnung sind innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen. Die Abschiebung ist bei rechtzeitiger Antragstellung vor der gerichtlichen Entscheidung nicht zulässig. Anträge auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots durch das Bundesamt nach § 11 Absatz 2 des Aufenthaltsgesetzes sind innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen. Die Vollziehbarkeit der Abschiebungsanordnung bleibt hiervon unberührt.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jedem Teil zur Hälfte zur Last. Einem Beteiligten können die Kosten ganz auferlegt werden, wenn der andere nur zu einem geringen Teil unterlegen ist.

(2) Wer einen Antrag, eine Klage, ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf zurücknimmt, hat die Kosten zu tragen.

(3) Kosten, die durch einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entstehen, fallen dem Antragsteller zur Last.

(4) Kosten, die durch Verschulden eines Beteiligten entstanden sind, können diesem auferlegt werden.

(1) Der Kläger kann bis zur Rechtskraft des Urteils seine Klage zurücknehmen. Die Zurücknahme nach Stellung der Anträge in der mündlichen Verhandlung setzt die Einwilligung des Beklagten und, wenn ein Vertreter des öffentlichen Interesses an der mündlichen Verhandlung teilgenommen hat, auch seine Einwilligung voraus. Die Einwilligung gilt als erteilt, wenn der Klagerücknahme nicht innerhalb von zwei Wochen seit Zustellung des die Rücknahme enthaltenden Schriftsatzes widersprochen wird; das Gericht hat auf diese Folge hinzuweisen.

(2) Die Klage gilt als zurückgenommen, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als zwei Monate nicht betreibt. Absatz 1 Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Der Kläger ist in der Aufforderung auf die sich aus Satz 1 und § 155 Abs. 2 ergebenden Rechtsfolgen hinzuweisen. Das Gericht stellt durch Beschluß fest, daß die Klage als zurückgenommen gilt.

(3) Ist die Klage zurückgenommen oder gilt sie als zurückgenommen, so stellt das Gericht das Verfahren durch Beschluß ein und spricht die sich nach diesem Gesetz ergebenden Rechtsfolgen der Zurücknahme aus. Der Beschluß ist unanfechtbar.

Tenor

Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 17. August 2015 wird zurückgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

2

1. Der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht vor.

3

Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne vom § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine abstrakte, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts mit einer über den Einzelfall hinausgehenden allgemeinen Bedeutung aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder im Interesse der Rechtsfortbildung in einem Revisionsverfahren geklärt werden muss. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn sich die aufgeworfene Frage im Revisionsverfahren nicht stellen würde, wenn sie bereits geklärt ist bzw. aufgrund des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Auslegung und auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden kann oder wenn sie einer abstrakten Klärung nicht zugänglich ist (BVerwG, Beschlüsse vom 10. März 2015 - 1 B 7.15 - juris und vom 1. April 2014 - 1 B 1.14 - AuAS 2014, 110).

4

a) Soweit die Beschwerde sinngemäß für grundsätzlich klärungsbedürftig hält, ob bei einer überlangen Dauer des Verfahrens zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates (hier: über neun Monate) eine Pflicht zum Selbsteintritt des ersuchenden Mitgliedstaates nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-Verordnung infolge einer Ermessensreduzierung auf Null besteht, rechtfertigt dies nicht die Zulassung der Revision.

5

Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union lässt sich darüber hinaus eine Pflicht zum Selbsteintritt nur ableiten, wenn in einer Situation, in der Grundrechte des Antragstellers im Falle der Überstellung an den an sich zuständigen Mitgliedstaat wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber verletzt würden, die Lage des Antragstellers durch eine unangemessen lange Verfahrensdauer noch verschlimmert würde (vgl. EuGH, Urteile vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 und C-493/10 [ECLI:EU:C:2011:865], N.S. u.a. - Rn. 98 und vom 14. November 2013 - C-4/11 [ECLI:EU:C:2013:740], Puid - Rn. 35). Das Berufungsgericht nimmt zu Recht an, dass mit einer solchen Konstellation der vorliegende Fall nicht vergleichbar ist. Unabhängig hiervon wäre, selbst wenn man der Rechtsprechung des Gerichtshofs einen allgemeinen Anspruch auf eine angemessene Verfahrensdauer entnehmen wollte, eine Verfahrensdauer von etwas über neun Monaten von der Asylantragstellung bis zur Erteilung der Zustimmung zur Wiederaufnahme nicht unangemessen lang (vgl. zu einer Verfahrensdauer von etwas mehr als elf Monaten: BVerwG, Urteile vom 27. Oktober 2015 - 1 C 32.14, 1 C 33.1 C 33.14 und 1 C 34.1 C 34.14 - jeweils Rn. 21).

6

b) Des Weiteren wirft der Kläger als grundsätzlich klärungsbedürftig die Frage auf,

"ob nicht entsprechend der Dublin III-Verordnung für Wiederaufnahmegesuche eine Frist von nur zwei Monaten bei Vorliegen einer Eurodac-Treffermeldung greift (entsprechend Art. 23 Abs. 2 Dublin III-Verordnung)."

7

Auch diese Frage ist nicht entscheidungserheblich. Denn aus der Übergangsregelung des Art. 49 Abs. 2 Dublin III-Verordnung ergibt sich, dass die Dublin III-Verordnung erst auf Anträge zur Erlangung internationalen Schutzes anwendbar ist, die ab dem 1. Januar 2014 gestellt werden. Im vorliegenden Fall wurde der erneute Asylantrag bereits am 25. Februar 2013 gestellt, weshalb Art. 23 Abs. 2 Dublin III-Verordnung hier nicht zur Anwendung gelangen kann. Gründe für eine analoge Anwendung, die insbesondere eine Regelungslücke voraussetzt, legt die Beschwerde nicht in hinreichender Weise dar.

8

c) Die Kläger halten weiterhin für grundsätzlich klärungsbedürftig,

"ob verneinendenfalls die Überstellungsfrist erst zu laufen beginnt, wenn über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens entschieden ist, wenn auf gerichtliche Anordnung vorher die aufschiebende Wirkung des Rechtsmittels angeordnet wurde, wenn zum Zeitpunkt des Erlasses des ablehnenden Asylbescheides (hier: 27.01.2014) die überlange Verfahrensdauer von neun Monaten unstreitig bereits vorliegt."

9

Wie sich aus den obigen Ausführungen (zu 1. a) ergibt, kann eine Verfahrensdauer von etwas über neun Monaten von der Asylantragstellung bis zur Erteilung der Zustimmung zur Wiederaufnahme bereits nicht als unangemessen lang angesehen werden, weshalb es auf die von den Klägern aufgeworfene Frage nicht entscheidungserheblich ankommt. Darüber hinaus ist die Frage, ab welchem Zeitpunkt die Überstellungsfrist zu laufen beginnt, wenn nach innerstaatlichem Recht einem Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung zukommt, für die Dublin II-Verordnung durch den Gerichtshof der Europäischen Union durch Urteil vom 29. Januar 2009 (C-19/08 [ECLI:EU:C:2009:41], Petrosian - Rn. 42 ff.) geklärt. Der Gerichtshof stellte fest, dass für die entsprechende Regelung bei der Wiederaufnahme eines Asylsuchenden nach Art. 20 Abs. 1 Buchst. d und Art. 20 Abs. 2 Dublin II-Verordnung die Frist für die Durchführung der Überstellung nicht bereits ab der vorläufigen gerichtlichen Entscheidung läuft, mit der die Durchführung des Überstellungsverfahrens ausgesetzt wird, sondern erst ab der gerichtlichen Entscheidung, mit der über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens entschieden wird und die der Durchführung der Überstellung nicht mehr entgegengesetzt werden kann. Die ratio der Entscheidung besteht darin, den Mitgliedstaaten eine Überstellungsfrist von sechs Monaten in vollem Umfang zur Durchführung der Überstellung zu ermöglichen (vgl. EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 - C-19/08 -, Rn. 44).

10

d) Soweit die Kläger ferner für grundsätzlich klärungsbedürftig erachten,

"ob sich der gerichtlich überprüfbare Anspruch des Antragstellers in diesem Fall nur auf systemische Mängel im als verfahrenszuständig bestimmten Staat beschränkt oder darüber hinaus auch weitere Rechtsaspekte, wie z.B. nach Zuzug in die Bundesrepublik Deutschland sich erstmalig ergebende neue Asylgründe, nicht auch hier überprüft werden müssen",

kann auch dies nicht zur Zulassung der Revision führen.

11

Diese Frage ist ebenfalls nicht entscheidungserheblich. Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist das mit der Anfechtungsklage zu verfolgende Begehren auf Aufhebung einer Entscheidung über die Unzuständigkeit Deutschlands für die Prüfung eines Asylantrages nach den unionsrechtlichen Regelungen der Dublin II-Verordnung und nicht eine Verpflichtungsklage, im Rahmen derer über die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens zu entscheiden wäre. Die Beklagte hat in dem angefochtenen Bescheid vom 27. Januar 2014 die Zuständigkeit der Tschechischen Republik für die Durchführung des Asylverfahrens angenommen und ausdrücklich keine materielle Prüfung der Gründe für das Wiederaufgreifen des Verfahrens (§ 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG) vorgenommen.

12

e) Schließlich rechtfertigt auch die von den Klägern aufgeworfene Frage,

"ob die Beklagte und der Bayerische VGH zu Recht für die Tschechische Republik grundsätzlich das Vorliegen von systemischen Mängeln verneint hat",

nicht die Zulassung der Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache.

13

Diese Fragestellung führt auch nicht ansatzweise auf eine in einem Revisionsverfahren klärungsfähige und -bedürftige Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Vielmehr stellt die Beschwerde mit diesem Vorbringen im Gewande der Grundsatzrüge die dem Tatrichter vorbehaltene Feststellung der tatsächlichen Prognosegrundlagen und dessen darauf aufbauende prognostische Würdigung infrage, den Klägern drohe infolge der angeordneten Abschiebung in die Tschechische Republik dort nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen. Die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO vermag die Beschwerde mit diesem Vorbringen nicht zu erreichen.

14

2. Auch die von der Beschwerde geltend gemachten Verfahrensfehler (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) führen nicht zur Zulassung der Revision.

15

a) Die Beschwerde macht als Verfahrensmangel eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 138 Nr. 3 VwGO) geltend. Das Berufungsgericht habe den Vortrag des Prozessbevollmächtigten der Kläger im Schriftsatz vom 13. Juli 2015 in den Entscheidungsgründen nicht erwogen. In diesem Schriftsatz sei ausgeführt worden, dass in der Tschechischen Republik ein rechtsstaatliches Verfahren nicht durchgeführt werde. Den Klägern sei nach Abschluss des Verfahrens ein Dokument in russischer Sprache ausgehändigt worden, wonach sie bei einer weiteren Antragstellung sofort abgeschoben werden würden. Ausweislich der Entscheidungsgründe (S. 8 UA) hat sich das Berufungsgericht indes mit dem entsprechenden Vortrag der Kläger auseinandergesetzt und dargelegt, dass die beschriebene Verfahrensweise geltendem Unionsrecht entspreche und daher keine systemischen Mängel des Asylverfahrens begründeten. Die weiteren, in der Beschwerdeschrift angeführten Gründe für die von den Klägern behaupteten systemischen Mängel des Asylverfahrens in der Tschechischen Republik begründen keine Gehörsverletzung, da diese erstmals im Beschwerdeverfahren vorgebracht wurden und daher vom Berufungsgericht nicht berücksichtigt werden konnten.

16

b) Auch eine den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzende Überraschungsentscheidung liegt nicht vor. Eine solche ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Beschluss vom 27. Juli 2015 - 9 B 33.15 - NJW 2015, 3386 - juris Rn. 8 m.w.N.) gegeben, wenn ein Gericht einen bis dahin nicht erörterten oder sonst hervorgetretenen rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gegeben hat, mit der alle oder einzelne Beteiligte nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchten, und die Beteiligten sich dazu nicht äußern konnten. Ansonsten besteht im Grundsatz keine Pflicht des Gerichts, den Beteiligten seine Auffassung jeweils vor dem Ergehen einer Entscheidung zu offenbaren (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. November 1986 - 1 BvR 706/85 - BVerfGE 74, 1 <5 f.>). Ein Gericht muss die Beteiligten grundsätzlich nicht vorab auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffs hinweisen, weil sich die tatsächliche und rechtliche Würdigung regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Beratung ergibt (stRspr, BVerwG, Beschluss vom 29. Januar 2010 - 5 B 21.9 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 61 - Rn. 18 m.w.N.).

17

Nach diesen Maßstäben sind die Voraussetzungen für einen Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör durch eine unzulässige Überraschungsentscheidung nicht dargetan. Aus Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO ergibt sich, dass eine gerichtliche Entscheidung nur auf solche Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden kann, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten. Das Berufungsgericht hat ausweislich der angefochtenen Entscheidung (UA S. 9 f.) den mit gerichtlichem Schriftsatz vom 17. Juli 2015 eingeführten Erkenntnisquellen entnommen, dass dem Asylsystem der Tschechischen Republik keine systemischen Mängel anhaften. Die Kläger hatten Gelegenheit, sich zu den in das Verfahren eingeführten Erkenntnismitteln zu äußern. Es ist daher nicht ersichtlich, dass das angefochtene Urteil im Hinblick auf die verneinten systemischen Mängel des Asylsystems in der Tschechischen Republik das rechtliche Gehör der Kläger verletzt.

18

c) Die Beschwerde beanstandet schließlich, dass das Berufungsgericht nicht ohne mündliche Verhandlung hätte entscheiden dürfen, weil die Kläger einer Entscheidung gemäß § 130a VwGO ausdrücklich widersprochen hatten. Hätte das Berufungsgericht die Kläger in der mündlichen Verhandlung angehört, hätten sie ihre Angaben zu den systemischen Mängeln in der Tschechischen Republik konkretisieren können.

19

Auch dieses Vorbringen lässt nicht erkennen, dass die angefochtene Entscheidung auf einem Verfahrensmangel beruht. Entgegen der Ansicht der Kläger ist die Entscheidung des Berufungsgerichts nicht deshalb verfahrensfehlerhaft, weil der Verwaltungsgerichtshof, nachdem er die Beteiligten dazu angehört hat, über die Berufung ohne mündliche Verhandlung im vereinfachten Verfahren gemäß § 130a VwGO entschieden hat.

20

Ob ein Berufungsgericht den ihm gemäß § 130a VwGO eröffneten Weg einer Entscheidung im Beschlussverfahren beschreitet, steht in seinem pflichtgemäßen Ermessen, das grundsätzlich nur auf sachfremde Erwägungen und grobe Fehleinschätzungen überprüfbar ist; dabei ist insbesondere die Schwierigkeit der Sache ein im Rahmen der Ermessensausübung zu berücksichtigender wesentlicher Gesichtspunkt (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juni 2004 - 6 C 28.03 - BVerwGE 121, 211 <213 f.>; Beschlüsse vom 27. Januar 2011 - 3 B 63.10 - NJW 2011, 1830 Rn. 8 und vom 7. September 2011 - 9 B 61.11 - Buchholz 310 § 96 VwGO Nr. 61 Rn. 4). Hiernach erweist sich die Entscheidung des Berufungsgerichts für das Beschlussverfahren gemäß § 130a VwGO nicht als sachfremd oder grob fehlerhaft, insbesondere ist nicht ersichtlich, dass der Streitfall einen außergewöhnlichen Schwierigkeitsgrad aufweist. Dass die Kläger einer Entscheidung gemäß § 130a VwGO - hier ohne neuen Sachvortrag oder zusätzliche Beweisangebote - ausdrücklich widersprochen haben, ist unerheblich (BVerwG, Beschluss vom 7. September 2011 - 9 B 61.11 - Buchholz 310 § 96 VwGO Nr. 61 Rn. 4).

21

3. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO). Der Schriftsatz der Beschwerdegegnerin vom 30. November 2015 enthält keinen neuen Sach- oder Rechtsvortrag, so dass er dem Beschwerdeführer nicht vor der Entscheidung zuzuleiten war.

22

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO; Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG; Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Tatbestand

1

Die Kläger, eine Mutter und ihr Sohn, sind pakistanische Staatsangehörige und gehören der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya an. Sie wenden sich gegen einen Bescheid der Beklagten, durch den ihre Asylanträge als unzulässig abgelehnt werden und ihre Abschiebung nach Spanien angeordnet wird.

2

Die Kläger reisten gemeinsam mit zwei weiteren Kindern der Klägerin zu 1 (BVerwG 1 C 33.14 und 1 C 34.14) Anfang Januar 2013 nach Deutschland ein und stellten hier am 14. Januar 2013 Asylanträge. Dabei gaben alle vier Familienmitglieder an, aus religiösen Gründen in Pakistan verfolgt zu werden. Ein noch im gleichen Monat durchgeführter Abgleich der Fingerabdrücke mit Daten aus Eurodac ergab, dass zwar nicht die Klägerin zu 1, wohl aber ihre drei Kinder bereits in Spanien Asylanträge gestellt hatten.

3

Im Mai 2013 wurde die Tochter (BVerwG 1 C 33.14) durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) persönlich angehört. Dabei gab sie - ohne ausdrücklich auch die Klägerin zu 1 einzubeziehen - an, bereits in Spanien einen Asylantrag gestellt zu haben. Sie alle hätten sich im November 2012 für drei oder vier Tage in Spanien aufgehalten und seien dort am Flughafen kontrolliert worden. Es sei kein Dolmetscher zugegen gewesen, und am Ende hätten sie etwas unterschreiben müssen. Sie wisse nicht, was sie unterschrieben habe, aber sie denke, es sei ein Asylantrag gewesen. Ihr eigentliches Ziel sei bereits damals Deutschland gewesen. Von Spanien aus seien sie zunächst nach Pakistan zurückgekehrt. Im Januar 2013 seien sie dann mit dem Flugzeug von Islamabad kommend nach Frankfurt a.M. geflogen. Ein Flugticket habe sie nicht mehr.

4

Am 4. Dezember 2013 richtete die Beklagte unter Bezugnahme auf Art. 16 Abs. 1 Buchst. c Dublin II-VO hinsichtlich sämtlicher vier Familienmitglieder Wiederaufnahmeersuchen an Spanien. Dabei gab sie an, dass es für die Klägerin zu 1 keinen Eurodac-Treffer gebe, diese aber gemeinsam mit ihrem Sohn gereist sei, der nach den aus Eurodac gewonnenen Daten am 1. Dezember 2012 in Malaga einen Asylantrag gestellt habe. Die Tochter (BVerwG 1 C 33.14) habe ebenfalls am 1. Dezember 2012 in Malaga einen Asylantrag gestellt, der älteste Sohn (BVerwG 1 C 34.14) am 3. Dezember 2012. Das spanische Innenministerium teilte mit Schreiben vom 17. Dezember 2013 (BVerwG 1 C 33.14) und 19. Dezember 2013 (BVerwG 1 C 32.14 und 1 C 34.14), gleichfalls unter Bezugnahme auf Art. 16 Abs. 1 Buchst. c Dublin II-VO, mit, dass es die Wiederaufnahme sämtlicher vier Familienmitglieder akzeptiere.

5

Mit Bescheid vom 29. Januar 2014 stellte die Beklagte fest, dass die Asylanträge der Kläger unzulässig sind (Ziffer 1) und ordnete deren Abschiebung nach Spanien an (Ziffer 2). Die Asylanträge seien gemäß § 27a AsylVfG (jetzt: AsylG) unzulässig, da Spanien aufgrund der dort gestellten Asylanträge gemäß Art. 16 Abs. 1 Buchst. c Dublin II-VO für die Behandlung der Asylanträge zuständig sei. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 3 Abs. 2 der Dublin II-VO auszuüben, seien nicht ersichtlich.

6

Mit Beschluss vom 7. März 2014 ordnete das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der erhobenen Klagen gegen die Abschiebungsanordnung an. Mit Urteil vom 22. April 2014 hat es den Bescheid der Beklagten aufgehoben. Die Ablehnung der Asylanträge als unzulässig und die Anordnung der Abschiebung der Kläger seien rechtswidrig. Denn Deutschland sei gemäß Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO für die Behandlung der Asylanträge zuständig, weil es die Wiederaufnahmegesuche an Spanien nicht innerhalb einer Frist von drei Monaten gestellt habe. Hier habe bereits am 16. Januar 2013 aufgrund des Datenabgleichs mit Eurodac ein Hinweis für die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates der EU vorgelegen. Darüber hinaus habe die Tochter bei ihrer Anhörung auf einen Aufenthalt in Spanien und einen dort wahrscheinlich gestellten Asylantrag hingewiesen. Trotz dieser eindeutigen Hinweise habe die Beklagte erst am 4. Dezember 2013 Wiederaufnahmegesuche an Spanien gerichtet. Die in Art. 17 Abs. 1 Satz 1 Dublin II-VO enthaltene Fristenregelung finde nicht nur in Verfahren auf Aufnahme eines Asylbewerbers Anwendung, sondern auch in Verfahren auf Wiederaufnahme.

7

Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Beschluss nach § 130a VwGO vom 25. August 2014 das Urteil des Verwaltungsgerichts aufgehoben und die Klage abgewiesen. Deutschland sei nicht in analoger Anwendung von Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO für die Behandlung der Asylanträge zuständig geworden. Zur Anwendung komme allein das Verfahren zur Wiederaufnahme nach Art. 20 Dublin II-VO, weil die Kläger vor ihrer Einreise nach Deutschland in Spanien um Asyl nachgesucht hätten. Art. 20 der Dublin II-VO enthalte keine dem Art. 17 Abs. 1 Dublin II-VO entsprechende Fristbestimmung. Insoweit sei auch keine Regelungslücke zu erkennen, die durch eine analoge Heranziehung der Fristbestimmungen zur Aufnahme zu schließen wäre. Unabhängig davon könnten sich die Kläger auch nicht auf die Einhaltung der Zuständigkeits- und Fristenregelungen der Dublin II-VO berufen, denn sie dienten allein einer zeitnahen Feststellung des zuständigen Mitgliedstaates.

8

Die Kläger wenden sich mit ihrer Revision gegen die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofs zur Unzuständigkeit Deutschlands wie zur Abschiebungsanordnung. Das Verwaltungsgericht habe mit Recht die Fristenregelung für die Aufnahme auf das Verfahren der Wiederaufnahme übertragen, weil insoweit eine Regelungslücke vorliege. Damit sei Deutschland für die Behandlung der Asylanträge zuständig geworden. Andernfalls würden die Mitgliedstaaten für das Wiederaufnahmeverfahren keiner Fristbestimmung unterliegen. Dies würde der generellen Zielsetzung des Dublin-Regelwerks zuwiderlaufen, eine Beschleunigung der Asylverfahren zu erreichen. Es spreche zudem vieles dafür, dass die Kläger auch in ihren Grundrechten aus Art. 41 der GRC und Art. 6 Abs. 1 EMRK verletzt seien. Insoweit sei zu klären, ob sich ein Asylantragsteller in einem solchen Fall auf die Fristbestimmungen des Dublin-Regelungswerks berufen könne. Des Weiteren habe das Berufungsgericht verkannt, dass die gesetzliche Regelung des § 34a AsylG gegen Unionsrecht verstoße. Die Dublin II-VO sehe bei Unzuständigkeit eines Mitgliedstaates eine "Überstellung" vor. Damit habe das Unionsrecht eine neue Form der Aufenthaltsbeendigung geschaffen, die hinter der Abschiebung im Sinne des deutschen Ausländer- und Asylrechts zurückbleibe. Sowohl die Dublin II-VO als auch das verfassungsrechtliche Übermaßverbot verböten, eine Überstellung eines Asylbewerbers mit dem Zwangsmittel einer Abschiebung durchzuführen.

9

Die Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung.

10

Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht hat sich an dem Verfahren nicht beteiligt.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision der Kläger ist unbegründet. Der Beschluss des Berufungsgerichts steht im Einklang mit revisiblem Recht. Die erhobene Anfechtungsklage ist statthaft (1.). Die Entscheidung der Beklagten, die Asylanträge als unzulässig abzulehnen, verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (2.). Die angefochtene Abschiebungsanordnung erfüllt die gesetzlichen Voraussetzungen des § 34a Abs. 1 AsylG (3.).

12

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des klägerischen Begehrens ist das Asylgesetz i.d.F. der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl. I S. 1798) und das Aufenthaltsgesetz i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162), beide Gesetze zuletzt geändert durch das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz vom 20. Oktober 2015 (BGBl. I S. 1722). Denn nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind Rechtsänderungen, die nach der Berufungsentscheidung eintreten, vom Revisionsgericht zu berücksichtigen, wenn sie das Berufungsgericht, wenn es jetzt entschiede, zu beachten hätte (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. September 2007 - 10 C 8.07 - BVerwGE 129, 251 Rn. 19). Da es sich vorliegend um eine asylverfahrensrechtliche Streitigkeit handelt, bei der das Berufungsgericht nach § 77 Abs. 1 AsylG regelmäßig auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seiner letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung abzustellen hat, müsste es, wenn es jetzt entschiede, die neue Rechtslage zugrunde legen, soweit nicht hiervon - wie im vorliegenden Fall in Bezug auf die maßgebliche Dublin-Verordnung - eine Abweichung aus Gründen des materiellen Rechts geboten ist.

13

1. Die Vorinstanzen haben mit Recht die Anfechtungsklage als die allein statthafte Klageart angesehen, wenn es - wie hier - um das Begehren auf Aufhebung einer Entscheidung über die Unzuständigkeit Deutschlands für die Prüfung eines Asylantrags nach den unionsrechtlichen Regelungen der Dublin II-Verordnung geht (Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist - ABl. L 50 S. 1).

14

Der Erhebung einer auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gerichteten Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO steht entgegen, dass die Dublin II-Verordnung - Dublin II-VO - ein von der materiellen Prüfung eines Asylantrags gesondertes behördliches Verfahren für die Bestimmung des hierfür zuständigen Staats vorsieht (Art. 2 Buchst. e). Die Trennung der Verfahren zur Zuständigkeitsbestimmung und zur materiellen Prüfung des Asylbegehrens darf nicht dadurch umgangen werden, dass das Verwaltungsgericht im Fall der Aufhebung der Zuständigkeitsentscheidung sogleich über die Begründetheit des Asylantrags entscheidet (so auch VGH Mannheim, Urteil vom 16. April 2014 - A 11 S 1721/13 - InfAuslR 2014, 293 - juris Rn. 18). Vielmehr fordert das Dublin-Regelungswerk, dass im Fall einer vom Gericht für fehlerhaft erachteten Verpflichtung eines anderen Staats die für das Dublin-Verfahren zuständige Behörde - hier das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) - die Möglichkeit erhält, einen anderen Mitglied- oder Vertragsstaat, der nachrangig zuständig ist, um die Aufnahme oder Wiederaufnahme des Asylantragstellers zu ersuchen (vgl. EuGH, Urteile vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 u.a. [ECLI:EU:C:2011:865], N.S. u.a. - Rn. 96 und vom 14. November 2013 - C-4/11 [ECLI:EU:C:2013:740], Puid - Rn. 33). Die Stellung eines solchen Ersuchens, das den Lauf von zuständigkeitsbegründenden Fristen auslöst, ist eine dem Bundesamt zugewiesene Aufgabe, die das Gericht im Fall des Durchentscheidens nicht erfüllen könnte (zur Notwendigkeit der Sicherung der dem Bundesamt zugewiesenen Steuerungsfunktion im Fall der gerichtlichen Überprüfung einer Einstellungsentscheidung nach §§ 32, 33 AsylG vgl. schon BVerwG, Urteil vom 7. März 1995 - 9 C 264.94 - Buchholz 402.25 § 33 AsylVfG Nr. 12).

15

Das Bundesamt hat in Ziffer 1 des angefochtenen Bescheids auch eine rechtsgestaltende Regelung über die Zulässigkeit der beiden Asylanträge nach § 27a AsylG getroffen, deren Aufhebung mit der Anfechtungsklage begehrt werden kann. Ungeachtet der gewählten Formulierung des Bundesamts ("Die Asylanträge sind unzulässig") liegt nicht lediglich eine Feststellung vor, sondern eine rechtsgestaltende Entscheidung über die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig, wie das § 31 Abs. 6 AsylG verlangt (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. September 2015 - 1 C 26.14 - juris Rn. 12). Auch für die Aufhebung der in Ziffer 2 des Bescheids getroffenen Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylG ist die Anfechtungsklage die statthafte Klageart.

16

2. Die Entscheidung der Beklagten, die Asylanträge als unzulässig abzulehnen, verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

17

Dabei kann offenbleiben, ob die Beklagte bei Stellung ihres Ersuchens an Spanien in Bezug auf die Klägerin zu 1 die Frist nach Art. 17 Abs. 1 Satz 1 Dublin II-VO zu beachten hatte und im Falle einer durch Fristversäumnis begründeten Zuständigkeit Spaniens für die Prüfung des Asylantrags der Klägerin zu 1 sich diese Zuständigkeit auch auf den Kläger zu 2 als mit der Klägerin zu 1 eingereistes minderjähriges Kind erstreckte (Art. 4 Abs. 3 Dublin II-VO). Denn auf eine etwaige Nichtbeachtung von Fristen für die Aufnahme oder Wiederaufnahme können sich die Kläger nicht berufen, weil die Fristenregelung für sie keine subjektiven Rechte begründet.

18

a) Zwar ist der Verwaltungsgerichtshof zutreffend davon ausgegangen, dass die Drei-Monats-Frist des Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO nur für Aufnahmegesuche gilt, nicht hingegen für Gesuche auf Wiederaufnahme von Asylantragstellern. Der Senat hat bereits entschieden, dass das Fehlen einer Fristvorgabe für die Stellung eines Wiederaufnahmeersuchens in der Dublin II-VO keine Regelungslücke darstellt, die durch eine analoge Anwendung von Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO zu schließen wäre (BVerwG, Beschluss vom 15. April 2014 - 10 B 17.14 - juris Rn. 13; vgl. auch Beschluss vom 21. Mai 2014 - 10 B 31.14 - juris Rn. 5). Es fehlt aber an hinreichenden tatrichterlichen Feststellungen, dass auch die Klägerin zu 1 - wie ihre Kinder - in Spanien einen Asylantrag gestellt hat und deshalb auch auf sie das Verfahren der Wiederaufnahme nach Art. 20 Dublin II-VO Anwendung findet. Hätte die Klägerin zu 1 in Spanien keinen Asylantrag gestellt, fänden auf sie die Dublin-Regeln über die Aufnahme Anwendung und die Beklagte hätte mit der Unterbreitung des Gesuchs an Spanien mehr als zehn Monate nach der Asylantragstellung die Drei-Monats-Frist des Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO verstreichen lassen. Damit wäre Deutschland für die Prüfung des Asylantrags zuständig.

19

b) Die Frage, ob die Klägerin zu 1 in Spanien einen Asylantrag gestellt hat, erweist sich jedoch nicht als entscheidungserheblich. Denn auf eine etwaige Nichtbeachtung der in diesem Fall zu beachtenden Drei-Monats-Frist für die Aufnahme nach Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO können sich die Kläger nicht berufen, weil die Fristenregelung für sie keine subjektiven Rechte begründet.

20

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat in seinem Urteil in der Rechtssache "Abdullahi" entschieden, dass in einer Situation wie der vorliegenden, in der der ersuchte Mitgliedstaat der Aufnahme des Asylbewerbers zugestimmt hat, der Betroffene der Entscheidung, den Asylantrag nicht zu prüfen und den Asylbewerber in einen anderen Mitgliedstaat zu überstellen, nur damit entgegentreten kann, dass er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat geltend macht, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der GRC ausgesetzt zu werden (EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 - C-394/12 [ECLI:EU:C:2013:813], Abdullahi - Rn. 60). Derartige systemische Mängel sind im vorliegenden Verfahren für Spanien weder gerichtlich festgestellt noch von den Verfahrensbeteiligten vorgetragen worden. In diesem Fall kann sich ein Asylbewerber nicht auf einen Fristablauf berufen, weil die Fristbestimmungen des Dublin-Regimes für die (Wieder-)Aufnahme lediglich als zwischen den Mitgliedstaaten wirkende Organisationsvorschriften anzusehen sind. Sie dienen einer zeitnahen Feststellung des zuständigen Mitgliedstaats, ohne dem Antragsteller dadurch einen Anspruch auf Prüfung des Asylantrags durch einen bestimmten Mitgliedstaat zu gewährleisten (so auch Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: März 2015, § 27a AsylVfG Rn. 65; Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, Stand: November 2014, § 27a AsylVfG Rn. 196.1.; Bergmann, ZAR 2015, 81 <84>). Ein erneuter Klärungsbedarf dieser Frage ergibt sich insoweit auch nicht aus zwei anhängigen Vorlageverfahren beim Gerichtshof der Europäischen Union, da sich diese nicht auf die Auslegung der hier maßgeblichen Dublin II-VO beziehen, sondern auf die Frage, ob die Rechtslage bei Anwendung der Dublin III-VO anders zu beurteilen ist (Vorlage der Rechtbank Den Haag/Niederlande vom 12. Februar 2015 - C-63/15 - Ghezelbash und Vorlage des Kammarrätten i Stockholm/Schweden vom 1. April 2015 - C-155/15 - Karim).

21

Unter welchen Voraussetzungen im Fall einer überlangen Verfahrensdauer eine Pflicht zum Selbsteintritt des ersuchenden Mitgliedstaats nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO besteht (vgl. dazu EuGH, Urteile vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 u.a. - Rn. 108 und vom 14. November 2013 - C-4/11 - Rn. 35), braucht nicht entschieden werden. Denn eine Verfahrensdauer von etwas mehr als elf Monaten von der Asylantragstellung bis zur Erteilung der Zustimmung zur Wiederaufnahme weist jedenfalls keine solche Überlänge auf.

22

c) Die Kläger können auch aus dem Recht auf eine gute Verwaltung gemäß Art. 41 Abs. 1 der GRC keinen Anspruch auf Behandlung ihrer Asylanträge durch Deutschland ableiten. Denn in der Rechtsprechung des EuGH ist geklärt, dass sich dieses Recht nach seinem eindeutigen Wortlaut ausschließlich an die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union richtet und nicht an die Mitgliedstaaten, selbst wenn diese Unionsrecht anwenden (EuGH, Urteil vom 11. Dezember 2014 - C-249/13 [ECLI:EU:C:2014:2431], Boudjlida - Rn. 32 m.w.N.).

23

d) Schließlich ergibt sich für die Kläger im Fall einer etwaigen Fristverletzung bei der Stellung eines Aufnahmegesuchs an Spanien auch aus Art. 6 Abs. 1 EMRK kein Anspruch auf Behandlung ihrer Asylanträge durch die Bundesrepublik Deutschland. Art. 6 Abs. 1 EMRK bezieht sich schon seinem Schutzbereich nach nicht auf das Verwaltungsverfahren vor dem Bundesamt, sondern enthält lediglich Verfahrensgarantien für Gerichtsverfahren und im Übrigen auch nur für solche Gerichtsverfahren, die zivilrechtliche Ansprüche oder strafrechtliche Anklagen betreffen. Hierzu gehören Streitigkeiten über Einreise, Aufenthalt und Ausweisung von Ausländern nicht (EGMR, Urteil vom 17. Mai 2011 - Nr. 43408/08, Izevbekhai u.a./Irland - NVwZ 2012, 686 Rn. 83; Entscheidung vom 24. März 2015 - Nr. 37074/13, Kerkez/Deutschland - EuGRZ 2015, 464 Rn. 40).

24

3. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Abschiebungsanordnung in Ziffer 2 des angefochtenen Bescheids zutreffend als rechtmäßig angesehen. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 34a Abs. 1 AsylG. Diese Vorschrift ist mit den unionsrechtlichen Bestimmungen des Dublin-Regelungswerks vereinbar, wie der Senat in seinem Urteil vom 17. September 2015 - 1 C 26.14 - näher ausgeführt hat. Auf die Gründe dieses Urteils wird verwiesen.

25

4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG; Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.

Tenor

Das angegriffene Urteil wird geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Vollstreckungsgläubigerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.


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Tenor

Das angefochtene Urteil wird geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, in beiden Rechtszügen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 vom Hundert des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 vom Hundert des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.


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Tatbestand

1

Der Kläger, ein pakistanischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen die Anordnung seiner Abschiebung nach Italien.

2

Der 1992 geborene Kläger reiste eigenen Angaben zufolge im Oktober 2013 nach Deutschland ein und stellte hier einen Asylantrag. Er gab gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - an, im Monat zuvor mit dem Schiff kommend in Italien eingereist zu sein, wo er auch erkennungsdienstlich behandelt worden sei.

3

Das Bundesamt hielt in seiner "Checkliste Aktenabgabe im Dublin-II-Verfahren" (ohne Datum) fest, dass kein Eurodac-Treffer der "Cat 1" (Asylbewerber) vorliege, wohl aber ein solcher der "Cat 2" (illegal Eingereiste). Am 30. Dezember 2013 richtete das Bundesamt ein Übernahmeersuchen an Italien und stützte dies auf Art. 10 Abs. 1 Dublin II-Verordnung. Da die zuständigen italienischen Stellen hierauf nicht reagierten, wies das Bundesamt das italienische Innenministerium mit Schreiben vom 3. März 2014 darauf hin, dass das Übernahmeersuchen als angenommen gelte.

4

Mit Bescheid vom 12. März 2014 entschied das Bundesamt, dass der Asylantrag unzulässig ist (Ziffer 1 des Bescheids), und ordnete die Abschiebung des Klägers nach Italien gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG an (Ziffer 2 des Bescheids). Ein beim Verwaltungsgericht gestellter Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wurde durch Beschluss vom 7. April 2014 abgelehnt. Im Hauptsacheverfahren hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen.

5

Der Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung gegen das Urteil hinsichtlich der Abschiebungsanordnung (Ziffer 2 des Bundesamtsbescheids) zugelassen, hinsichtlich der Zulässigkeitsentscheidung (Ziffer 1 des Bundesamtsbescheids) jedoch abgelehnt. Durch Urteil vom 27. August 2014 hat der Verwaltungsgerichtshof die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Seine Entscheidung hat er im Wesentlichen wie folgt begründet: Die auf § 34a AsylVfG gestützte Abschiebungsanordnung der Beklagten sei mit Unionsrecht vereinbar, insbesondere mit den Dublin-Verordnungen zur Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats von 2003 und 2013. Es könne offenbleiben, welche dieser Verordnungen in einer Situation wie der vorliegenden anwendbar sei, in der das Aufnahme- bzw. Wiederaufnahmeersuchen während der Geltung der Dublin II-Verordnung gestellt, das hier streitige Überstellungsverfahren aber erst nach Inkrafttreten der Dublin III-Verordnung eingeleitet worden sei. Es widerspreche nicht dem Unionsrecht, wenn nach § 34a AsylVfG zwingend der Erlass einer Abschiebungsanordnung vorgesehen sei. Denn der Wortlaut der Vorschrift sei in einer Weise offen, dass eine Abschiebung nicht ausnahmslos stattfinden müsse, etwa dann nicht, wenn Unionsrecht dem entgegenstehe. Zwar gewährten die Dublin-Regelungen den Mitgliedstaaten insoweit einen gewissen Spielraum, dieser werde aber durch den unionsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beschränkt. Daher sei es unionsrechtlich nicht zulässig, die Überstellung allein im Wege der Abschiebung vorzusehen und durchzuführen. Dies sei bei der Entscheidung über den Vollzug der Überstellungsentscheidung von den hierfür zuständigen Ausländerbehörden der Länder zu beachten. Insoweit bedürfe es keiner Regelung im Bescheid des Bundesamts. Die Verlagerung der Entscheidung über die Modalitäten der Überstellung auf die Ausländerbehörden entspreche der föderalen Struktur Deutschlands. Gegen die Rechtmäßigkeit der verfügten Abschiebungsandrohung könne nicht mit Erfolg eingewendet werden, dass eine Überstellung nach Italien nicht mehr möglich sei. Zum einen sei dies nach wie vor der Fall. Im Übrigen könne sich der Kläger auf einen Rückfall der Zuständigkeit auf Deutschland auch nicht berufen, weil Ziffer 1 des angegriffenen Bescheids in Bestandskraft erwachsen und damit die Zuständigkeitsfrage rechtskräftig geklärt sei.

6

Der Kläger wendet sich mit seiner Revision gegen die Rechtsauslegung des Berufungsgerichts und sieht darin einen Verstoß gegen das im Grundgesetz und im Unionsrecht verankerte Prinzip der Verhältnismäßigkeit. Die Überstellung eines Asylbewerbers diene nur der Durchsetzung einer Zuständigkeitsregelung. Es sei unverhältnismäßig, hierfür allein das Zwangsmittel einer Abschiebungsanordnung vorzusehen. Eine Abschiebung werde typischerweise mit Mitteln des unmittelbaren Zwangs durchgesetzt. Die Anordnung der Abschiebung schließe bei realistischer Betrachtung das abgestufte Regelungswerk unterschiedlicher Modalitäten der Überstellung aus, wie es das Unionsrecht vorgebe. Es sei auch keine unionsrechtskonforme Auslegung oder Handhabung möglich, da der Inhalt des Begriffs der Abschiebungsanordnung einen zwingenden Imperativ enthalte, von dem nicht abgerückt werden könne. Der Verweis des angefochtenen Urteils auf den Handlungsspielraum der Ausländerbehörden beim Vollzug der Überstellung könne eine unionsrechtskonforme Anwendung nicht gewährleisten. Wenn das Bundesamt eine Überstellung durch Erlass einer Abschiebungsanordnung regele, seien die Ausländerbehörden hieran gebunden. Auch spreche viel dafür, dass das Unionsrecht eine einzige Grundentscheidung über die Unzuständigkeit und die Modalitäten der Überstellung fordere und dabei generell die Möglichkeit einer "freiwilligen Selbstüberstellung" einzuräumen sei.

7

Die Beklagte hält die verfügte Abschiebungsanordnung für rechtmäßig. Die unionsrechtlichen Regelungen machten dem nationalen Gesetzgeber keine Vorgaben, welche der unionsrechtlich zulässigen Überstellungsvarianten er vorzusehen habe. Seit April 2015 werde in den Bescheiden des Bundesamts die Möglichkeit der freiwilligen Ausreise angeboten, wenn diese mit allen beteiligten Stellen abgestimmt sei. Hierauf bestehe jedoch kein Rechtsanspruch.

8

Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht hat sich nicht am Verfahren beteiligt.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das Urteil des Berufungsgerichts steht im Einklang mit revisiblem Recht. Die angefochtene Abschiebungsanordnung erfüllt die gesetzlichen Voraussetzungen des § 34a Abs. 1 AsylVfG. Die Rechtsgrundlage ist mit Unionsrecht vereinbar. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist bei der Entscheidung der Ausländerbehörden über den Vollzug der angeordneten Abschiebung zu beachten. Die Anordnung ist auch nicht deshalb aufzuheben, weil die Überstellung nach Italien nicht mehr vollzogen werden könnte.

10

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des klägerischen Begehrens ist das Asylverfahrensgesetz i.d.F. der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl. I S. 1798) und das Aufenthaltsgesetz i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162), das Asylverfahrensgesetz zuletzt geändert durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013 (BGBl. I S. 3474), das Aufenthaltsgesetz zuletzt geändert durch das Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015 (BGBl. I S. 1386). Denn nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind Rechtsänderungen, die nach der Berufungsentscheidung eintreten, vom Revisionsgericht zu berücksichtigen, wenn sie das Berufungsgericht, wenn es jetzt entschiede, zu beachten hätte (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. September 2007 - 10 C 8.07 - BVerwGE 129, 251 Rn. 19). Da es sich vorliegend um eine asylverfahrensrechtliche Streitigkeit handelt, bei der das Berufungsgericht nach § 77 Abs. 1 AsylVfG regelmäßig auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seiner letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung abzustellen hat, müsste es, wenn es jetzt entschiede, die neue Rechtslage zugrunde legen, soweit nicht hiervon - wie im vorliegenden Fall - eine Abweichung aus Gründen des materiellen Rechts geboten ist.

11

Der Verwaltungsgerichtshof ist zutreffend zu dem Ergebnis gekommen, dass die in Ziffer 2 des angefochtenen Bescheids angeordnete Abschiebung des Klägers nach Italien die gesetzlichen Voraussetzungen des § 34a Abs. 1 AsylVfG erfüllt. Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ordnet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) die Abschiebung eines Ausländers in den nach § 27a AsylVfG für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Die Vorschrift dient der Umsetzung der Dublin-Verordnungen der Europäischen Union über die Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist.

12

1. Aufgrund der rechtskräftig gewordenen Entscheidung des Bundesamts in Ziffer 1 des angefochtenen Bescheids steht fest, dass der Asylantrag des Klägers nach § 27a AsylVfG unzulässig ist. Dabei handelt es sich - ungeachtet der gewählten Formulierung des Bundesamts ("Der Asylantrag ist unzulässig") - nicht um eine Feststellung, sondern um eine rechtsgestaltende Entscheidung über die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig, wie das § 31 Abs. 6 AsylVfG verlangt (vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 10. November 2014 - A 11 S 1778/14 - DVBl 2015, 118, 123).

13

2. § 34a Abs. 1 AsylVfG ist mit den unionsrechtlichen Bestimmungen des Dublin-Regelungswerks vereinbar, und zwar sowohl mit der hier anwendbaren Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl. L 50 S. 1) - Dublin II-VO - und der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 der Kommission vom 2. September 2003 mit Durchführungsbestimmungen zur Dublin II-VO (ABl. L 222 S. 3) - Dublin-DVO - als auch mit der hier nicht anwendbaren Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl. L 180 S. 31) - Dublin III-VO -.

14

a) Im vorliegenden Fall ist weiterhin die Dublin II-VO anwendbar. Das ergibt sich aus der Übergangsregelung des Art. 49 Abs. 2 der Dublin III-VO. Nach dieser Vorschrift ist die Dublin III-VO erst auf Anträge zur Erlangung internationalen Schutzes anwendbar, die ab dem ersten Tag des sechsten Monats nach ihrem Inkrafttreten gestellt werden, also ab dem 1. Januar 2014. Hier war der Antrag im Oktober 2013 und damit vor dem maßgeblichen Stichtag gestellt worden. Darüber hinaus gilt die Dublin III-VO zwar ab dem 1. Januar 2014 für alle Gesuche um Aufnahme oder Wiederaufnahme von Antragstellern - ungeachtet des Zeitpunkts der Antragstellung -, dies aber nur dann, wenn sie nicht bereits vor dem 1. Januar 2014 gestellt wurden (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Juni 2014 - 10 C 7.13 - BVerwGE 150, 29 Rn. 27). Hier war der Aufnahmeantrag am 30. Dezember 2013 und damit vor dem maßgeblichen Stichtag gestellt worden. Eine Anwendbarkeit der Dublin III-VO lässt sich auch nicht aus der Überlegung ableiten, dass mit der hier zu beurteilenden Abschiebungsanordnung das Überstellungsverfahren im Sinne von Art. 29 ff. Dublin III-VO und damit ein eigenständiger Verfahrensabschnitt eingeleitet wurde. Denn die Stichtagsregelung in Art. 49 Abs. 2 Dublin III-VO gilt grundsätzlich für alle Anträge auf internationalen Schutz und enthält nur für nach dem Stichtag gestellte Gesuche um Aufnahme und Wiederaufnahme eine Rückausnahme. Da der Aufnahmeantrag hier am 30. Dezember 2013 gestellt worden ist, findet folglich auch auf die das Überstellungsverfahren einleitende Abschiebungsanordnung die Dublin II-VO Anwendung.

15

b) Die Dublin-Verordnungen geben keine Rangfolge hinsichtlich der drei von ihnen vorgesehenen Überstellungsmodalitäten vor. Möglich ist danach eine Überstellung auf Initiative des Asylbewerbers innerhalb einer vorgegebenen Frist (Art. 7 Abs. 1a Dublin-DVO, Art. 19 Abs. 2, Art. 20 Abs. 1e Dublin II-VO, Art. 26 Abs. 2 Dublin III-VO), eine bis zum Besteigen des Beförderungsmittels im Inland von einem Bediensteten des ersuchenden Staates begleitete Überstellung (Art. 7 Abs. 1b Dublin-DVO, Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 2 Dublin III-VO) und eine bis zur Übergabe an die Behörden des zuständigen Staates eskortierte Überstellung (Art. 7 Abs. 1c Dublin-DVO, Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 2 Dublin III-VO -; eine Abgrenzung dieser drei Varianten unternimmt das Urteil des französische Conseil d'Etat vom 11. Oktober 2011 - No. 353002). In welcher dieser Varianten die Überstellung erfolgt, obliegt der Regelungskompetenz des ersuchenden Mitgliedstaats ("gemäß den nationalen Rechtsvorschriften" - so Art. 19 Abs. 3 Dublin II-VO, entsprechend Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO).

16

Ein genereller Vorrang der Überstellung auf Initiative des Asylbewerbers ergibt sich auch nicht daraus, dass Art. 19 Abs. 2 Dublin II-VO (entsprechend Art. 26 Abs. 2 Dublin III-VO) Mitteilungspflichten für den Fall der Überstellung auf eigene Initiative regelt. Denn diese werden ausdrücklich nur für den Fall normiert, dass dem Asylbewerber diese Möglichkeit eingeräumt wird ("gegebenenfalls"). Abweichendes ergibt sich auch nicht aus der hier nicht anwendbaren Dublin III-VO. Nach deren 24. Erwägungsgrund "sollten" sich die Mitgliedstaaten durch entsprechende Information des Antragstellers zwar für Überstellungen auf freiwilliger Basis einsetzen, ein Vorrang der selbstorganisierten Ausreise ergibt sich daraus jedoch nicht.

17

c) Eine Verpflichtung, dem Asylsuchenden zunächst eine Überstellung ohne Verwaltungszwang zu ermöglichen, ergibt sich auch nicht aus Regelungen der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. L 348 S. 98) - Rückführungsrichtlinie. Zwar räumt Art. 7 dieser Richtlinie - anders als die Dublin-Regelungen - dem sich unrechtmäßig aufhaltenden Ausländer im Regelfall die Möglichkeit der freiwilligen Ausreise ein, bevor Zwangsmaßnahmen ergriffen werden dürfen. Die Rückführungsrichtlinie findet grundsätzlich auf alle illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen Anwendung (Art. 2 Abs. 1 Richtlinie). Hierzu gehören auch illegal aus einem Drittstaat eingereiste Asylbewerber, denen gegenüber das Bundesamt das Bestehen einer Ausreisepflicht festgestellt hat (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Stand Dezember 2013, § 34a AsylVfG Rn. 11). Die Dublin-Verordnungen sind hinsichtlich der Modalitäten einer Überstellung aber leges speciales gegenüber den Vorschriften der Rückführungsrichtlinie.

18

Das ergibt sich schon daraus, dass die Rückführungsrichtlinie die Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger regelt. Dieses Ziel ist mit einer freiwilligen Ausreise zu erreichen, die hierfür das mildeste und damit vorrangige Mittel darstellt. Die Überstellungsregelungen der Dublin-Verordnungen dienen hingegen dem Zweck, dass der Asylbewerber im Rahmen eines behördlich überwachten Verfahrens den Behörden des für die Durchführung seines Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaats übergeben wird oder sich selbst bei diesen meldet. Erst mit dem Eintreffen bei der zuständigen Behörde ist die Überstellung vollzogen, bis zu diesem Zeitpunkt läuft die maßgebliche Überstellungsfrist (vgl. Schweizerisches Bundesgericht, Urteil vom 11. November 2013 - 2 C 861/2013 - BGE 140 II 74, 77). Kommt es nicht zu einer fristgerechten Überstellung, geht die Zuständigkeit auf den überstellenden Mitgliedstaat über (vgl. Art. 19 Abs. 4 Dublin II-VO). Eine freiwillige Ausreise im Sinne des Art. 7 Rückführungsrichtlinie vermag den von den Dublin-Regelungen erstrebten Übergang der Verantwortlichkeit auf den zuständigen Mitgliedstaat nicht zu begründen. Deshalb kennen die Dublin-Verordnungen auch nicht das Institut der freiwilligen Ausreise. Jede Dublin-Überstellung ist eine staatlich überwachte Ausreise des Betroffenen in einen anderen Mitgliedstaat, auch wenn sie auf Initiative des Asylbewerbers und ohne Anwendung von Verwaltungszwang erfolgt (vgl. Art. 7 Abs. 1a Dublin-DVO). Sie muss hinsichtlich der Orts- und Terminabstimmung immer behördlich organisiert sein (vgl. Art. 7 bis 10 Dublin-DVO).

19

3. § 34a AsylVfG steht in der vom Senat vorgenommenen Auslegung auch mit dem unionsrechtlichen Gebot der Verhältnismäßigkeit in Einklang.

20

a) Nach dem unionsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dürfen Einschränkungen von Grundrechten (hier: der Freizügigkeit nach Art. 6 GR-Charta) nur vorgenommen werden, wenn sie erforderlich sind und unter anderem den von der Union anerkannten, dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen entsprechen (Art. 52 Abs. 1 Satz 2 GR-Charta). Die gesetzliche Regelung des § 34a AsylVfG dient der Gewährleistung einer den Regeln der Dublin-Verordnungen entsprechenden Überstellung eines Asylantragstellers und damit dem Funktionieren des einheitlichen europäischen Asylsystems. Dies ist ein Gemeinwohlziel im Sinne von Art. 78 Abs. 2 AEUV (vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 und C-493/10 [ECLI:EU:C:2011:865], N.S. - Rn. 79 ff.).

21

Der deutsche Gesetzgeber durfte die Anordnung von Verwaltungszwang auch als grundsätzlich erforderlich zur Durchführung einer fristgerechten Überstellung nach der Dublin-Verordnung ansehen. In den Gesetzgebungsmaterialien wird die Notwendigkeit einer Abschiebungsanordnung damit begründet, dass eine Rückführung in den Drittstaat regelmäßig nur kurzfristig durchgeführt werden kann und die Möglichkeit einer freiwilligen Rückreise in den Drittstaat im Allgemeinen nicht besteht (vgl. BT-Drs. 12/4450 S. 23 zur Rückführung in einen sicheren Drittstaat). Mit dem Richtlinienumsetzungsgesetz 2007 wurde die Regelung auf Überstellung in Dublin-Verfahren erweitert (vgl. BT-Drs. 16/5065 S. 218). Die Möglichkeit der eigenverantwortlichen Ausreise ist deshalb erheblich erschwert, weil der Ausländer zwar regelmäßig ein Recht auf Einreise in den Staat seiner Staatsangehörigkeit besitzt, nicht aber in einen anderen Staat, in dem sein Asylantrag nach den Regeln des Dublin-Verfahrens geprüft werden soll. Zudem ist eine Überstellung ohne staatliche Begleitung nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. a Dublin-DVO im Regelfall auch deshalb kein gleich geeignetes Mittel wie die Überstellung im Wege der Abschiebung, weil ihr Erfolg von der Kooperationsbereitschaft des Asylantragstellers abhängt und die Nichtbeachtung der Überstellungsfristen einen Zuständigkeitswechsel zur Folge hat. Dabei trägt der überstellende Staat die Konsequenzen aus der Wahl einer in der Praxis ungeeigneten Überstellungsmethode (so auch Filzwieser/Sprung, Dublin III-Verordnung, 2014, S. 290 Anm. K2).

22

Die nationale Umsetzung der Dublin-Regelungen durch ein Regel-Ausnahme-System zugunsten der behördlich überwachten Überstellung entspricht auch der Handhabung in anderen am Dublin-Verfahren teilnehmenden Staaten. So hat das Schweizerische Bundesgericht mit Urteil vom 11. November 2013 (2 C 861/2013 - BGE 140 II 74) entschieden, dass die behördlich organisierte Überstellung Vorrang gegenüber einer solchen ohne Verwaltungszwang genießt. Es hat dies nachvollziehbar damit begründet, dass zur Erfüllung der Pflichten nach den Dublin-Verordnungen sichergestellt sein muss, dass der zu überstellende Asylbewerber auch tatsächlich an seinem Bestimmungsort ankommt. Deshalb kommt die freiwillige Rückkehr nach der zitierten Entscheidung nur dann in Betracht, wenn keine Veranlassung zu der Annahme besteht, dass das Rückkehrverfahren dadurch gefährdet wird.

23

b) Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass dem unionsrechtlichen Gebot der Verhältnismäßigkeit im föderalen Gefüge Deutschlands durch die mit dem Vollzug der Überstellungsentscheidung betrauten Ausländerbehörden der Länder Rechnung getragen werden kann. Zur Beachtung der Verhältnismäßigkeit sind diese Behörden auch nach nationalem Recht verpflichtet.

24

Die für den Vollzug einer Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylVfG zuständige Ausländerbehörde darf zwar für den Regelfall davon ausgehen, dass eine Überstellung im Sinne der Dublin-Verordnungen nur im Wege des Verwaltungszwangs vollzogen werden kann, sei es durch Begleitung des Ausländers bis zum Besteigen des Transportmittels, sei es durch Eskortierung bis zur verantwortlichen Behörde im zuständigen Mitgliedstaat. Allerdings kann im Einzelfall ausnahmsweise auch die Überstellung ohne behördliche Überwachung nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. a Dublin-DVO geeignet sein, einen Asylbewerber fristgerecht in die Obhut der Behörden im zuständigen Mitgliedstaat zu bringen. Das ist z.B. denkbar in Fällen der von ihm gewünschten Familienzusammenführung in dem anderen Mitgliedstaat. Die Initiative hierzu muss jedoch vom Asylbewerber ausgehen und er muss sich vorbehaltlich einer entgegenstehenden Regelung (vgl. etwa Art. 30 Abs. 3 Dublin III-VO) grundsätzlich auch die finanziellen Mittel für die Ausreise beschaffen. Erscheint nach Prüfung der Umstände des konkreten Falles eine rechtzeitige Überstellung auch bei einer selbstorganisierten Ausreise gesichert, muss die für den Vollzug zuständige Ausländerbehörde dem Ausländer diese Möglichkeit einräumen. Dies gebietet der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht nur wegen des Eingriffs in die persönliche Freiheit durch den mit einer Abschiebung verbundenen unmittelbaren Zwang, sondern auch wegen der durch eine vollzogene Abschiebung bewirkten Einreisesperre gemäß § 11 AufenthG, die den Ausländer zusätzlich belastet.

25

Eine derartige Verhältnismäßigkeitsprüfung obliegt den Vollstreckungsbehörden auch nach nationalem Verwaltungsvollstreckungsrecht. So hat die Vollstreckungsbehörde nach § 19 Abs. 2 des hier maßgeblichen LVwVG Baden-Württemberg bei der Wahl unter verschiedenen geeigneten Vollstreckungsmitteln dasjenige anzuwenden, das den Pflichtigen und die Allgemeinheit voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt. Aber auch im Rahmen der Anwendung unmittelbaren Zwangs - wie er eine Abschiebung kennzeichnet - ist unter verschiedenen Formen des unmittelbaren Zwangs das jeweils mildeste Mittel zu wählen (vgl. Deusch/Burr, Beck'scher Online-Kommentar VwVG, Stand 1. Juli 2015, § 12 Rn. 4). Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit findet auch in der Rechtsprechung zum sogenannten "Austauschmittel" Ausdruck. Kommen zur Abwehr einer Gefahr mehrere Mittel in Betracht, so genügt es nach dieser Rechtsprechung, wenn eines davon bestimmt wird. Dem Betroffenen ist auf Antrag zu gestatten, ein anderes ebenso wirksames Mittel (Austauschmittel) anzuwenden, sofern die Allgemeinheit dadurch nicht stärker beeinträchtigt wird (vgl. etwa VGH Mannheim, Urteil vom 30. Oktober 1991 - 3 S 2273/90 - juris). Auch hier hat aber die Initiative zur Wahl eines anderen Mittels vom Betroffenen auszugehen - wie bei der selbstorganisierten Überstellung nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. a Dublin-DVO. Durch die den Ausländerbehörden übertragene Prüfung, ob im Einzelfall ausnahmsweise vom Vollzug der Überstellung im Wege der Abschiebung abgesehen werden kann, wird - entgegen der Auffassung der Revision - auch dem nationalen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügt, soweit für diesen neben dem unionsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz noch Raum besteht.

26

Schon der Verwaltungsgerichtshof hat darauf hingewiesen, dass die Zuweisung der Verantwortung an die Ausländerbehörden, die Verhältnismäßigkeit im Einzelfall herzustellen, unter Umständen eine Verdoppelung von Rechtsbehelfen zur Folge hat. Denn der Asylantragsteller, der seinen Antrag in Deutschland beschieden haben will, muss im Falle einer für ihn nachteiligen Zuständigkeitsentscheidung zunächst Rechtsmittel gegen die Verfügung des Bundesamts einlegen und im Fall eines Unterliegens in diesem Verfahren ein zweites gerichtliches Verfahren gegen die Ausländerbehörde einleiten, wenn er seine Überstellung ohne Verwaltungszwang durchsetzen will. Dies ist jedoch die Folge der unterschiedlichen Behördenzuständigkeit in einem föderal gegliederten Staatswesen und entspricht auch der Praxis in anderen föderal gegliederten Staaten wie etwa der Schweiz (Zuständigkeit der Kantonsbehörden; vgl. Schweizerisches Bundesgericht, Urteil vom 11. November 2013 - 2 C 861/2013 - BGE 140 II 74, 75). Zudem erlaubt sie die Berücksichtigung aktueller Entwicklungen, die erst nach Erlass des Bundesamtsbescheids eingetreten sind, etwa die nachträgliche Aufnahme von Familienangehörigen in einem anderen Mitgliedstaat, mit denen der Antragsteller zusammengeführt werden möchte. Auch lässt sich regelmäßig erst in diesem Verfahrensstadium konkretisieren, in welcher Form der Asylsuchende an seiner Überstellung mitwirken kann.

27

c) Der Senat weist darauf hin, dass eine etwaige vom Bundesamt bei Erlass der Abschiebungsanordnung festgesetzte Sperrfrist nach § 11 AufenthG keine Geltung für Fälle der Überstellung ohne Verwaltungszwang nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. a Dublin-DVO besitzt. Denn nur eine vollzogene Abschiebung bewirkt ein Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 AufenthG, die Abschiebungsanordnung allein reicht hierfür nicht. Ferner kann die (nachträgliche) Reduzierung einer festgesetzten Sperrfrist bei Kooperation des Ausländers im Rahmen einer zwangsweisen Überstellung geboten sein, die im Einzelfall sogar zu einer Reduzierung der Sperre auf Null führen kann.

28

4. Der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung in Ziffer 2 des angefochtenen Bescheids steht nicht entgegen, dass dieser keine Belehrung über die Möglichkeit der Beantragung einer Überstellung ohne Verwaltungszwang bei der für den Kläger zuständigen Ausländerbehörde enthält, was die Revision rügt.

29

Zwar ist nach Art. 19 Abs. 2 Satz 2 Dublin II-VO von der zuständigen Behörde "gegebenenfalls der Zeitpunkt und der Ort zu nennen, zu dem bzw. an dem sich der Antragsteller zu melden hat, wenn er sich auf eigene Initiative in den zuständigen Mitgliedstaat begibt". Entsprechende Angaben enthält der angefochtene Bescheid des Bundesamts nicht. Es kann offenbleiben, ob das Fehlen entsprechender Angaben überhaupt Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit der verfügten Abschiebungsanordnung hat. Denn bereits aus dem Wortlaut der Norm ergibt sich, dass entsprechende Angaben nur dann zu machen sind ("gegebenenfalls"), wenn dem Asylbewerber die Möglichkeit der Überstellung auf eigene Initiative eingeräumt wird. Das war hier nicht der Fall und würde zudem - wie oben ausgeführt - der Zuständigkeit der Ausländerbehörde obliegen. Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist aber der Bescheid des Bundesamts und nicht die nachgelagerte Entscheidung der Ausländerbehörde.

30

Allerdings entspricht es dem Ziel der Transparenz des Dublin-Verfahrens, wenn das Bundesamt die Betroffenen auch ohne ausdrückliche Rechtspflicht auf die Möglichkeit der Beantragung einer Überstellung auf eigene Initiative bei der Ausländerbehörde gemäß Art. 7 Abs. 1 Buchst. a Dublin-DVO hinweist und damit der Zielstellung des 24. Erwägungsgrund der Dublin III-VO ("sollte") Rechnung trägt.

31

5. Die angefochtene Abschiebungsanordnung erfüllt auch das gesetzliche Erfordernis des § 34a Abs. 1 AsylVfG, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Der Durchführbarkeit der Abschiebung steht insbesondere nicht ein Verstreichen der Überstellungsfrist nach Art. 19 Abs. 4 Dublin II-VO entgegen. Es kann offenbleiben, ob sich der Kläger überhaupt auf einen möglichen Fristablauf und den damit verbundenen Zuständigkeitswechsel berufen könnte. Denn die Überstellungsfrist war zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs noch nicht verstrichen.

32

Maßgebend sind insoweit - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - die Dublin-Regeln für die Aufnahme. Diese finden auf Asylantragsteller Anwendung, für die ein anderer Mitgliedstaat zuständig ist, ohne dass die Voraussetzungen des Art. 16 Abs. 1 Buchst. c, d oder e Dublin II-VO vorliegen, etwa weil er sich in dem anderen Mitgliedstaat aufgehalten hat, bevor er in denjenigen eingereist ist, in dem er erstmals einen Asylantrag gestellt hat. Hingegen finden die Regeln über die Wiederaufnahme Anwendung, wenn einer der Tatbestände des Art. 16 Abs. 1 Buchst. c, d oder e Dublin II-VO erfüllt ist, wenn der Asylbewerber also - anders als hier - schon in einem anderen Mitgliedstaat einen Asylantrag gestellt hat.

33

Hier finden aus folgenden Gründen die Regeln über die Aufnahme (Art. 19 Dublin II-VO) Anwendung: Der Verwaltungsgerichtshof hat nicht festgestellt, dass der Kläger in Italien einen Asylantrag gestellt hat, das hat dieser auch selbst gar nicht behauptet. Auch das Bundesamt hat die Zuständigkeit Italiens für die Prüfung des Asylantrags des Klägers aus dessen Ersteinreise in dieses Land abgeleitet (Eurodac-Treffer nach Cat 2, nicht nach Cat 1). Dem entsprechend hat es sein Übernahmeersuchen an Italien vom 30. Dezember 2013 auf Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO - illegaler Grenzübertritt - gestützt und nicht auf ein dortiges Asylverfahren gemäß Art. 13 Dublin II-VO. Damit finden die Regeln über die Aufnahme eines Asylantragstellers Anwendung und die Beantwortungsfrist für Italien betrug zwei Monate (Art. 18 Abs. 7 Dublin II-VO). Auf die Zwei-Monats-Frist nach Art. 18 Abs. 7 Dublin II-VO hat sich auch das Bundesamt in dem angefochtenen Bescheid vom 12. März 2014 bezogen, um den erfolgten Zuständigkeitsübergang auf Italien zu begründen.

34

Demgegenüber ist der Verwaltungsgerichtshof zu Unrecht von der Anwendbarkeit der Regeln über die Wiederaufnahme und damit von der Annahme des an Italien gerichteten Gesuchs schon nach zwei Wochen gemäß Art. 20 Abs. 1 Buchst. c Dublin II-VO ausgegangen. Sind aber die Fristen für ein Aufnahmegesuch maßgeblich, war die Überstellungsfrist des Art. 19 Abs. 4 Dublin II-VO zum auch für die Revisionsentscheidung maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vom 27. August 2014 noch nicht abgelaufen.

35

6. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG; Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.

Tatbestand

1

Die Klägerin ist am (…) 1947 in H. in Syrien geboren. Sie ist verheiratet, yezidischen Glaubens, kurdische Volkszugehörige und sie besitzt die syrische Staatsangehörigkeit. Nach eigenen Angaben reiste sie – zusammen mit ihrer Tochter (...) sowie drei weiteren Kindern – von Syrien kommend am 01. August 2011 zunächst nach Italien, wo sie erkennungsdienstlich behandelt wurde und am 21. August 2011 in B-Stadt einen Asylantrag stellte, und alsdann am 07. September 2011 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 12. September 2011 stellte sie bei der Außenstelle des Bundesamtes in H-Stadt einen (weiteren) Asylantrag.

2

Die Beklagte richtete unter dem 07. Februar 2012 an Italien ein Übernahmeersuchen gem. Art. 10 Dublin-II-VO (Verordnung [EG] Nr. 343/2003 des Rates vom 10.02.2003). Mit Schreiben vom 16. Februar 2012 erklärten die italienischen Behörden ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags der Klägerin.

3

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lehnte den Asylantrag der Klägerin mit Bescheid vom 13. Juni 2012 als unzulässig ab und ordnete ihre Abschiebung nach Italien an. Nach der Dublin-Verordnung sei Italien für die Bearbeitung ihres Asylantrags zuständig; außergewöhnliche humanitäre Gründe, welche die Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten, von ihrem Selbsteintrittsrecht nach § 3 Abs. 2 Dublin-II-VO Gebrauch zu machen, seien nicht ersichtlich.

4

Die Klägerin hat am 29. Juni 2012 beim Verwaltungsgericht Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen, sie könne wegen der allgemeinen Situation von Asylbewerbern in Italien nicht darauf verwiesen werden, in Italien ein Asylverfahren durchzuführen, weil davon auszugehen sei, dass das Asylverfahren dort nicht ordnungsgemäß durchgeführt würde. Sie besitze einen Anspruch auf Asyl und Flüchtlingsschutz sowie Abschiebungsschutz; hierüber sei durch das Bundesamt zu entscheiden.

5

Die Klägerin hat beantragt,

6

die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 13. Juni 2012 zu verpflichten, festzustellen, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vorliegen und dass Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG gegeben sind.

7

Die Beklagte hat beantragt,

8

die Klage abzuweisen.

9

Sie hat die Ansicht vertreten, Italien erfülle bei der Durchführung von Asylverfahren die Mindeststandards der Europäischen Union. In den italienischen Aufnahmeeinrichtungen seien zahlreiche humanitäre Organisationen tätig, die dies gewährleisten würden. Insbesondere hätten Asylbewerber in Italien vollen Zugang zum Gesundheitssystem. Anders als im Fall Griechenlands gebe es keine Empfehlung des UNHCR, Flüchtlinge nicht an Italien zu überstellen. Dementsprechend habe das Bundesverfassungsgericht auch Verfassungsbeschwerden gegen erstinstanzliche Entscheidungen, denen zufolge eine Abschiebung nach Italien möglich sei, nicht zur Entscheidung angenommen. Ferner sei eine Vielzahl erstinstanzlicher Entscheidungen ergangen, wonach die asylrechtlichen Mindeststandards in Italien gewährleistet seien und woraus sich ergebe, dass der Bericht von Bethke und Bender zu den Problemen der Flüchtlinge in Italien kritisch zu betrachten sei.

10

Auf den Antrag der Klägerin auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 07. März 2012 – 9 B 57/12 MD – die Beklagte im Wege einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Abschiebung der Klägerin nach Italien vorläufig bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren zu unterlassen.

11

Mit Gerichtsbescheid vom 10. Juli 2012 hat das Verwaltungsgericht die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 13. Juni 2012 verpflichtet, über den Asylantrag der Klägerin in eigener Zuständigkeit zu entscheiden und ein Asylverfahren durchzuführen. Die Klägerin habe nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO einen Anspruch darauf, dass die Beklagte ein Asylverfahren in der Bundesrepublik Deutschland durchführe; das insoweit bestehende Ermessen der Beklagten sei auf Null reduziert. Der Klägerin könne die Durchführung eines Asylverfahrens in Italien nicht zugemutet werden.

12

Der Senat hat auf Antrag der Beklagten mit Beschluss vom 10. Oktober 2012 die Berufung zugelassen. Zur Begründung der Berufung verweist die Beklagte im Wesentlichen auf ihre Ausführungen im Zulassungsantrag, wonach sie an ihrer bisherigen Auffassung festhält, die Klägerin könne in Anbetracht der in Italien gegebenen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse auf die Durchführung eines Asylverfahrens dort verwiesen werden.

13

Die Beklagte beantragt,

14

die Klage unter Abänderung des Gerichtsbescheides des Verwaltungsgerichts Magdeburg - 9. Kammer - vom 10. Juli 2012 abzuweisen.

15

Die Klägerin beantragt,

16

die Berufung zurückzuweisen.

17

Sie macht geltend, die Beklagte beziehe sich zur Begründung ihrer Berufung im Wesentlichen auf bloße Vorschriften und eine nicht mehr aktuelle Rechtsprechung, während neue Berichte nicht zur Kenntnis genommen würden. Der Auffassung der Beklagten sei im Hinblick auf die humanitäre Situation in Italien entgegen zu halten, dass sich die Situation der Flüchtlinge in Italien aufgrund des anhaltenden Flüchtlingsstroms aus Tunesien und anderen nordafrikanischen Staaten dramatisch verschlechtert habe. Italien sei bereits zuvor mit der Aufnahme von Flüchtlingen und deren ordnungsgemäßer Unterbringung überfordert gewesen. Aufgrund des momentanen Flüchtlingsstroms nach Italien habe sich die Situation noch verschlechtert; es sei damit zu rechnen, dass der Klägerin bereits aus diesem Grunde ein ordnungsgemäßes Asylverfahren verwehrt werde und dass sie obdachlos würde. Im Übrigen dürfe nach der Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofs (Urteil v. 21.12.2011 - C-411/11, C-493/10 -) ein Asylbewerber bereits dann nicht an den zuständigen Mitgliedstaat im Sinne der Dublin-II-VO überstellt werden, wenn ernsthafte Hinweise auf systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedsstaat vorlägen, die eine Gefährdung des Asylbewerbers nahe legen würden. Solche ernsthaften Hinweise lägen hier vor. Die vorliegenden Berichte und sonstigen Erkenntnismittel gingen davon aus, dass das staatliche Aufnahmesystem in Italien völlig überlastet sei. Es existierten 3.000 Plätze, die eine Aufnahme von Asylbewerbern für jeweils nur sechs Monate vorsehen würden. Im Jahre 2011 hätten indessen laut Presseberichterstattung (Spiegel online v. 26.04.2011) in Italien bis Anfang Mai bereits 26.000 Flüchtlinge um Schutz nachgesucht.

18

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf das Vorbringen der Beteiligten und auf den Verwaltungsvorgang der Beklagten (Beiakte A) sowie auf die vom Senat in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

19

Die Berufung der Beklagten hat Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat der Klage der Klägerin mit Gerichtsbescheid vom 10. Juli 2012 zu Unrecht stattgegeben.

20

I. Die Klage ist teilweise unzulässig.

21

1. Die als Verpflichtungsklage erhobene Klage ist “lediglich“ als Anfechtungsklage zulässig. Gegen die in dem Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 13. Juni 2012 getroffene Entscheidung, dass der Asylantrag der Klägerin gem. § 27a AsylVfG (wegen fehlender Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland) unzulässig ist, ist allein die Anfechtungsklage gem. § 42 Abs. 1 VwGO statthaft (ebenso: VG Düsseldorf, Urt. v. 15.01. 2010 - 11 K 8136/09 -; VG Frankfurt/Main, Urt. v. 08.07.2009 - 7 K 4376/07.F.A u. a. - InfAuslR 2009,409; Urt. v. 29.09.2009 - 7 K 269/09.F.A -; Urt. v. 23.06. 2010 - 7 K 2789/09.F.A. -; VG Freiburg, Beschl. v. 02.02.2012 - A 4 K 2203/11 -; VG München, Urt. v. 29.11.2011 - M 24 K 11.30219 -; VG Ansbach, Beschl. v. 08.11. 2011 - AN 11 S 11.30508 -; VG Wiesbaden, Urt. v. 17.06.2011 - 7 K 327/11.WI.A -; VG Braunschweig, Urt. v. 01.06.2010 - 1 A 47/10 -; VG Karlsruhe, Urt. v. 07.04.2010 - A 3 K 1580/09 -; VG Augsburg, Beschl. v. 01.02.2010 - Au 5 S 10.30014 -; Beschl. v. 29.09.2009 - 7 K 269.09 F.A. -; VG Neustadt, Urt. v. 16.06.2009 - 5 K 1166/08.NW -, alle: Juris; Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, § 27a Rdnr. 18; a. A. statthaft nur die Verpflichtungsklage: OVG NRW, Urt. v. 10.05.2010 - 3 A 133/10.A - Juris; VG Wiesbaden, Urt. v. 10.03.2010 - 7 K 1389/ 09.WI.A -).

22

Im Fall der Aufhebung einer – wie hier – auf § 27a AsylVfG gestützten Entscheidung wegen Unzulässigkeit des Asylantrages ist der Weg für die Durchführung eines Asylverfahrens („in eigener Zuständigkeit“) vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge auch ohne ein hierauf gerichtetes Verpflichtungsbegehren eröffnet. Denn das Bundesamt ist nach Aufhebung des angefochtenen Bescheides bereits von Gesetzes wegen zur Fortführung des Asylverfahrens verpflichtet (vgl. § 31 Abs. 2 AsylVfG zur Entscheidung des Bundesamtes über beachtliche Asylanträge). Da grundsätzlich davon ausgegangen werden kann, dass die Beklagte ihrer gesetzlichen Verpflichtung nachkommt, bedarf es demzufolge einer Verpflichtungsklage nicht (ebenso: VG Düsseldorf, Urt. v. 15.01.2010, a. a. O.; vgl. auch VG Frankfurt/Main, Urt. v. 29.09.2009, a. a. O.; Urt. v. 08.07.2009, a. a. O.).

23

Überdies muss bezweifelt werden, ob es sich bei der Entscheidung nach Art. 3 Abs. 2 derVerordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist – Dublin-II-VO – [z. T. auch „EG-AsylZustVO“ genannt] – (ABl. L 50 vom 25.02.2003, S. 1 -10) um einen (selbständigen) Verwaltungsakt handelt, so dass eine Verpflichtungsklage bzw. – unter Berücksichtigung des im Rahmen der genannten Vorschrift eingeräumten Ermessens – eine Verpflichtung der Beklagten zur Neubescheidung in Betracht kommt, oder ob es sich bei der gem. § Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO zu treffende Entscheidung nicht um eine bloß inzidente handelt, da es allein um die Feststellung der Zuständigkeit der Beklagten geht.

24

Ebenso scheidet eine Verpflichtungsklage aus, die unmittelbar auf Anerkennung als Asylberechtigter gem. § 16a GG bzw. auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG oder aber - hilfsweise - auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG gerichtet ist. Denn eine Verpflichtung für das Gericht, die Sache selbst spruchreif zu machen, besteht nur dann, wenn ein „mit seinem Asylantrag beim Bundesamt erfolglos gebliebener Ausländer“ den Klageweg beschreitet (BVerwG, Urt. v. 06.07.1998 - 9 C 45.97 - BVerwGE 107, 128 ff.). Hat hingegen das Bundesamt (noch) keine Sachentscheidung getroffen, so würde dem Betroffenen in dem Falle des “Durchentscheidens“ des Gerichts durch Verpflichtungs-urteil eine Tatsacheninstanz genommen, nämlich dass eine inhaltliche Überprüfung seines Asylbegehrens durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erfolgt (ebenso: VG Frankfurt/Main, Urt. v. 08.07.2009, a. a. O.; VG Schleswig, Urt. v. 03.08. 2011 - 1 A 46/11 - und Beschl. v. 12.09.2011 - 12 A 124/10 -; a. A. VG Braunschweig, Urt. v. 21.02.2013 - 2 A 126/11 - u. a. mit Verweis auf VGH Mannheim, Urt. v. 19.06.2012 - A 2 1355/11 -, Juris).

25

Im Übrigen verhält es sich bei der Entscheidung nach § 27a AsylVfG ähnlich wie in Fällen der Entscheidung des Gerichts über eine Einstellung des Asylverfahrens nach§ 32 AsylVfG wegen vermeintlicher Antragsrücknahme bzw. Verzicht nach § 14a Abs. 3 AsylVfG sowie in den Fällen der gerichtlichen Entscheidung bei fiktiver Antragsrücknahme nach§ 33 AsylVfG. In den genannten Fällen ist nach der hierzu ergangenen einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 07.03.1995 - 9 C 264.94 -, NVwZ 1996, S. 80 = Juris; vgl. auch Marx, AsylVfG, 7. Aufl. 2009, § 33 Rdnr. 34 ff. m. w. N.) die Verpflichtungsklage unzulässig, weil die verweigerte sachliche Prüfung des Asylantrages nach den Regelungen des Asylverfahrensgesetzes vorrangig von der Fachbehörde nachzuholen ist.

26

Auch ist im Hinblick auf die mit dem angefochtenen Bescheid angeordnete Abschiebung der Klägerin nach § 34a Abs. 1 AsylVfG die Verpflichtungsklage nicht veranlasst und stattdessen eine Anfechtungsklage gem. § 42 Abs. 1 VwGO ausreichend (vgl. VG Frankfurt/Main, Urt. v. 08.07.2009, a. a. O. und Urt. v. 29.09.2009, a. a. O.; s. auch Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl. 2005, § 34a AsylVfG Rdnr. 6; Funke-Kaiser, a. a. O., § 34a Rdnr. 64). Soweit es nämlich darum geht, dass die Beklagte von einem Selbsteintritt nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO i. V. m. der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 der Kommission vom 02. September 2003 (Abl. L 222 S. 3) Gebrauch macht, bedarf es im Urteil über eine entsprechende inzidente Feststellung hinaus keiner ausdrücklichen Verpflichtung der Beklagten, von einer Abschiebung abzusehen.

27

Es ist vorliegend davon auszugehen, dass die Anfechtungsklage vom Verpflichtungsbegehren der Klägerin (mit-)umfasst ist. Gegenstand der Anfechtungsklage ist nach allem ausschließlich die Frage nach der Zuständigkeit der Beklagten zur Durchführung eines Asylverfahrens, wobei die Frage nach dem rechtlich gebotenen Selbsteintritt der Bundesrepublik Deutschland inzident zu beantworten ist.

28

2) Der Klägerin steht für ihre Klage auch das erforderliche Rechtsschutzinteresse zur Seite, da sie weiterhin nach Italien zurückgeführt bzw. rücküberstellt werden könnte, nachdem die italienischen Behörden mit Schreiben vom 16. Februar 2012 (Bl. 115 d. Sachakte) ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung ihres Asylantrags erklärt haben, indem sie dem Übernahmeersuchen stattgegeben und damit ihrer Rücküberstellung zugestimmt haben.

29

II. Die Klage ist im Übrigen unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 13. Juni 2012 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat den Asylantrag der Klägerin zu Recht als unzulässig abgelehnt und zugleich ihre Abschiebung nach Italien angeordnet. Es musste im vorliegenden Fall insbesondere auch nicht von der Möglichkeit des Selbsteintritts der Beklagten nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO Gebrauch machen.

30

1) Rechtsgrundlage des Bescheides vom 13. Juni 2012, mit dem das Bundesamt den Asylantrag der Klägerin als unzulässig abgelehnt hat, ist § 27a AsylVfG. Danach ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Dies ist hier der Fall. Zu Recht ist die Beklagte im angefochtenen Bescheid davon ausgegangen, dass die Republik Italien für die Durchführung eines Asylverfahrens der Klägerin zuständig ist.

31

a) Die Zuständigkeit Italiens für die Durchführung des Asylverfahrens der Klägerin ergibt sich aus Art. 10 Abs. 1 Satz 1 Dublin-II-VO, sofern nicht die nach Art. 5 Abs. 1 der genannten Verordnung vorrangig zu prüfenden Zuständigkeitskriterien nach Art. 6 bis 9 der Verordnung einschlägig sind.

32

Nach Art. 10 Abs. 1 Satz 1 Dublin-II-VO ist der Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrages zuständig, sofern auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Art. 18 Abs. 3 der Verordnung genannten Verzeichnissen, einschließlich der Daten nach Kapitel III derVerordnung (EG) Nr. 2725/2000, festgestellt wird, dass der Asylbewerber aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze des Mitgliedstaats illegal überschritten hat (vgl. auch Art. 18 Abs. 4 und 5 Dublin-II-VO).

33

Dies bedeutet, dass – soweit nicht die Vorschriften nach Art. 6 bis 9 Dublin-II-VO einschlägig sind – im vorliegenden Fall Italien für die Prüfung des Asylantrags der Klägerin zuständig ist, da sie ihren eigenen Angaben zufolge aus Syrien kommend die Grenze nach Italien illegal überschritten hat (und dort – in B-Stadt – am 21. August 2011 zugleich einen Asylantrag gestellt hat [Bl. 108 ff. d. Sachakte]).

34

Die insoweit gegebene Zuständigkeit endet zwar gem. Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Dublin-II-VO zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts. Die Klägerin hat jedoch am 12. September 2011 und damit noch vor Ablauf der Jahresfrist ihren Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland gestellt, so dass die Zuständigkeit Italiens nicht nach Satz 2 entfallen ist. Die Einreise der Klägerin nach Italien erfolgte am 07. September 2011; die Jahresfrist lief somit am 07. September 2012 ab. Dass die Frist nunmehr abgelaufen ist, ist unschädlich, weil für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates nach Art. 5 Abs. 2 Dublin-II-VO auf die Situation in dem Zeitpunkt abzustellen ist, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt.

35

b) Im Falle der Klägerin sind auch die Voraussetzungen nach Art. 6 bis 9 Dublin-II-VO nicht erfüllt. Dies gilt insbesondere auch hinsichtlich Art. 7 der Verordnung, wonach – soweit die betroffenen Personen dies wünschen – der Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrages zuständig ist, wo ungeachtet dessen, ob die Familie bereits im Herkunftsland bestanden hat, der Asylbewerber einen Familienangehörigen hat, dem das Recht auf Aufenthalt in einem Mitgliedstaat in seiner Eigenschaft als Flüchtling gewährt wurde, sowie hinsichtlich Art. 8 der Verordnung, wonach – soweit die betroffenen Personen dies wünschen – dem Mitgliedstaat die Prüfung des Asylantrages obliegt, in dem der Asylbewerber einen Familienangehörigen hat, über dessen Asylantrag noch keine erste Sachentscheidung getroffen wurde. Die genannten Vorschriften sind im Falle der Klägerin jedoch nicht einschlägig.

36

Es ist schon nicht ersichtlich, dass die nach Art. 7 und 8 der Verordnung genannten Voraussetzungen bei der Tochter der Klägerin, mit der sie zusammen in das Bundesgebiet eingereist ist, oder bei ihren in Deutschland lebenden volljährigen Kindern vorliegen. Dies kann aber auch dahin stehen. Denn jedenfalls gelten die genannten Personen nicht als „Familienangehörige“ i. S. d. Dublin-II-VO. Hierzu gehört nach Art. 1 Buchst. i) der Verordnung nur die Mitglieder der “Kernfamilie“, d. h. die Ehegatten des Asylbewerbers und unter bestimmten Voraussetzungen der nicht verheiratete Partner des Asylbewerbers, die minderjährigen Kinder der genannten Personen sowie bei unverheirateten minderjährigen Antragstellern oder Flüchtlingen der Vater, die Mutter oder der Vormund. Ein solches Verwandtschaftsverhältnis der Klägerin zu den mit einreisenden bzw. in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Kindern besteht jedoch nicht.

37

c) Ebenso sind bei der Klägerin die Voraussetzungen nach Art. 15 Abs. 1 und Abs. 2 Dublin-II-VO nicht erfüllt. Nach Art.15 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung kann jeder Mitgliedstaat aus humanitären Gründen, die sich insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, Familienmitglieder und andere abhängige Familienangehörige zusammenführen, auch wenn er dafür nach den Kriterien der Verordnung nicht zuständig ist. Dass die Klägerin vorliegend aus humanitären Gründen mit ihren Familienangehörigen zusammenzuführen ist und nicht auch auf ein eigenständiges Leben in Italien verwiesen werden kann, zumal ihre Kinder teilweise in Deutschland, teilweise in Österreich leben bzw. teilweise ihr Aufenthalt unbekannt ist, lässt sich nicht feststellen. Die Klägerin befindet sich in Begleitung ihrer volljährigen Tochter; beide sind reisefähig und nach Italien zu überstellen.

38

Ebenso sind die Voraussetzungen nach Art. 15 Abs. 2 Dublin-II-VO nicht erfüllt, wonach im Regelfall von einer Trennung der Familienangehörigen abzusehen bzw. eine Zusammenführung vorzunehmen ist, wenn die betroffene Person u. a. wegen einer schweren Krankheit, einer ernsthaften Behinderung oder hohen Alters auf die Unterstützung durch die anderen Person(en) angewiesen ist. Diese Voraussetzungen liegen bei der 67-jährigen Klägerin nicht vor; entsprechendes ist jedenfalls nicht vorgetragen worden.

39

Eine andere Einschätzung ist auch nicht im Hinblick auf die einleitende Erwägung zu Nr. 6 Dublin-II-VO veranlasst, wonach die Einheit der Familie (grundsätzlich) gewahrt bleiben soll, soweit dies mit den sonstigen Zielen vereinbar ist, die mit den Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrages zuständigen Mitgliedstaats angestrebt werden. Nicht anders verhält es sich mit Blick auf die einleitende Erwägung nach Art. 7 Satz 2 Dublin-II-VO, wonach die Mitgliedstaaten von den Zuständigkeitskriterien abweichen können, um eine räumliche Annäherung von den Familienmitgliedern vorzunehmen, soweit dies aus humanitären Gründen erforderlich ist. Bei den genannten Regelungen handelt es sich indes um bloße programmatische Vorgaben, aus denen sich, unabhängig davon, dass die Voraussetzungen hier nicht vorliegen dürften, für die Asylbewerber keine unmittelbaren Rechte ableiten lassen.

40

d) Die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens ist auch nicht gemäß Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin-II-VO auf die Beklagte übergegangen. Zwar hat das Bundesamt nicht innerhalb von drei Monaten nach Stellung des Asylantrags der Klägerin vom 12. September 2011 ein Wiederaufnahme- bzw. Übernahmeersuchen an die Republik Italien gestellt; das war indes auch nicht erforderlich. Da die Klägerin bereits in Italien einen Asylantrag gestellt hat, steht in ihrem Fall eine Wiederaufnahme durch Italien im Sinne des Art. 16 Abs.1 c) bis e) Dublin-II-VO in Rede, nicht hingegen eine Aufnahme seitens Italiens im Sinne des Art. 16 Abs.1 a) Dublin-II-VO. Die Dublin-II-VO unterscheidet insoweit gem. Art.16 Abs.1 lit. a) einerseits und Art. 16 Abs. 1 lit. c) bis e) andererseits zwischen der Überstellung des Asylsuchenden in einem Aufnahmeverfahren gemäß den Art. 17 bis 19 Dublin-II-VO und einer Überstellung im Wiederaufnahmeverfahren nach Art. 20 Dublin-II-VO. Das Aufnahmeverfahren findet statt, wenn der Asylsuchende im ersuchten Mitgliedstaat noch keinen Asylantrag gestellt hat, während das Wiederaufnahmeverfahren einschlägig ist, wenn dort bereits ein Asylantrag gestellt wurde. Insofern wird der Anwendungsbereich der nachfolgenden Art. 17 bis 20 Dublin-II-VO durch Art. 16 Dublin-II-VO bestimmt.

41

Aus der systematischen Trennung zwischen Aufnahme- und Wiederaufnahmeverfahren folgt, dass im Wiederaufnahmeverfahren keine Frist für das Übernahmeersuchen gilt, denn die insofern allein maßgebliche Regelung des Art. 20 Dublin-II-VO normiert weder selbst eine solche Frist, noch nimmt sie auf die für das Aufnahmeverfahren geltende Regelung in Art. 17 Abs.1 Dublin-II-VO Bezug. Es verhält sich gerade nicht in der Weise, dass Art. 20 Dublin-II-VO nur spezielle Modalitäten für die Wiederaufnahme regelt und im Übrigen die Regelungen der Art. 17 bis 19 Dublin-II-VO anwendbar wären. Vielmehr handelt es sich bei den Art. 17 bis 19 Dublin-II-VO einerseits und dem Art. 20 Dublin-II-VO andererseits um jeweils eigenständige Regelungskomplexe (vgl. VG Düsseldorf, Beschl. v. 06.02.2013 - 17 L 150/13.A -; Beschl. v. 26.04.2013 - 17 K 1777/12.A -; VG Hamburg, Beschl. v. 22.09.2005 - 13 AE 555/05 -; VG Augsburg, Gerichtsbescheid v. 09.05.2011 - Au 3 K 10.30468 - Juris; VG Regensburg, Beschl. v. 05.07.2013 - RN 5 S 13.30273 -; VG Göttingen, Beschl. v. 11.10.2013 - 2 B 805/13 -; a.A.: VG Düsseldorf, Beschl. v. 07.08. 2012 - 22 L 1158/12.A -, alle: Juris).

42

Art. 17 Abs.1 Satz 2 Dublin-II-VO, wonach der Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, zuständig wird, wenn das Gesuch um Aufnahme eines Antragstellers nicht innerhalb einer Frist von drei Monaten unterbreitet wird, findet im Fall der Klägerin folglich keine Anwendung, so dass sich hieraus auch keine Zuständigkeit der Beklagten ergibt. Dementsprechend haben die italienischen Behörden mit Schreiben vom 16. Februar 2012 (Bl. 115 R, 116 d. Sachakte) auch ihre Zustimmung zur Wiederaufnahme bzw. Übernahme der Klägerin erteilt.

43

e) Ferner ist die Zuständigkeit nicht nach Art. 19 Abs. 3 und 4 i. V. m. Art. 20 Abs. 1 Buchst. d) Dublin-II-VO auf die Beklagte übergegangen. Nach Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin-II-VO erfolgt die Überstellung des Schutzsuchenden von dem Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, in den zuständigen Mitgliedstaat gemäß den nationalen Rechtsvorschriften des ersteren Mitgliedstaats nach Abstimmung zwischen den beteiligten Mitgliedstaaten, sobald dies materiell möglich ist und spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab der Annahme des Antrags auf Aufnahme oder nach der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt, geht die Zuständigkeit gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Dublin-II-VO i. V. m. Art. 20 Abs. 1 Buchst. d) Dublin-II-VO auf den Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag eingereicht wurde. Dabei ist unerheblich, dass die Entscheidung der Beklagten nach Art. 19 Abs. 2 Satz 4 der Verordnung grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung hat; allein entscheidend ist, dass ihr eine solche durch eine entsprechende gerichtliche Entscheidung zuerkannt worden ist (vgl. Hess.VGH, Beschl. v. 23.08.2011 - 2 A 1863/10.Z.A -; Nds.OVG, Beschl. v. 02.08.2012 - 4 MC 133/12 -; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 19.06.2012 - A 2 S 1355/11 -; VG Freiburg, Beschl. v. 02.02.2012 - A 4 K 2203/11 -; offengelassen: OVG NRW, Beschl. v. 01.03.2012 - 1 B 234/12.A -, alle: Juris).

44

Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat in seinem Beschluss vom 02. August 2012 - 4 MC 133/12 - (< Rn. 17 zitiert nach Juris >) zu § 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin-II-VO und zu dem in Art. 19 Abs. 2 Satz 4 Dublin-II-VO grundsätzlich vorgesehenen Ausschluss der aufschiebenden Wirkung ausgeführt:

45

„Der Annahme der aufschiebenden Wirkung des hier eingelegten Rechtsbehelfs steht auch nicht die Vorschrift des Art. 19 Abs. 2 Satz 4 derVerordnung (EG) Nr. 343/2003 entgegen. Danach hat ein Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nach Absatz 1 keine aufschiebende Wirkung für die Durchführung der Überstellung, es sei denn, die Gerichte oder zuständigen Stellen entscheiden im Einzelfall nach Maßgabe ihres innerstaatlichen Rechts anders, wenn es nach ihrem inner-staatlichen Recht zulässig ist. Zwar darf nach § 34a Abs. 2 AsylVfG die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a) nicht nach§ 80oder § 123 der Verwaltungsgerichtsordnung ausgesetzt werden. Hieraus folgt jedoch nicht, dass durch diese Vorschrift eine andere Entscheidung im Sinne von Art. 19 Abs. 2 Satz 4 Hs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 nach Maßgabe des innerstaatlichen Rechts ausgeschlossen ist und daher ein Rechtsbehelf wegen § 34a Abs. 2 AsylVfG keine aufschiebende Wirkung im Sinne des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 derVerordnung (EG) Nr. 343/2003 haben kann. Das Bundesverfassungsgericht hat vielmehr ausdrücklich entschieden, dass der Ausschluss des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 34a Abs. 2 AsylVfG in den Fällen, in denen die Abschiebung in einen sicheren Drittstaat (§ 26a AsylVfG) erfolgen soll, in Ausnahmefällen, die nicht vom „normativen Vergewisserungskonzept“ des Gesetzgebers über die Einhaltung der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention in einem sog. sicheren Drittstaat erfasst sind, der Gewährung von vorläufigem Rechtsschutz gegen eine sofortige Überstellung nicht entgegensteht (BVerfG, Urt. v. 14.5. 1996, a. a. O.). Diese Rechtsprechung wird - soweit ersichtlich - von den Verwaltungsgerichten auf die Abschiebung in einen anderen Staat, der nach § 27a AsylVfG für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist, mit der Begründung übertragen, dass die vom Bundesverfassungsgericht angestellten Erwägungen zu § 26a AsylVfG auch auf die Vorschrift des§ 27a AsylVfG zutreffen, weil die nach europäischen Recht für die Asylentscheidung zuständigen Mitgliedstaaten zugleich sichere Drittstaaten im Sinne von § 26a AsylVfG sind (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 1.3.2012 - 1 B 234/12.A - und v. 11.10. 2011 - 14 B 1011/11.A -; ferner Nds. OVG, Beschl. v. 2.5.2012 - 13 MC 22/22 - und Hess. VGH, Beschl. v. 23.8.2011 - 2 A 1863/10.Z.A.-). Unter diesen Umständen kann daher keine Rede davon sein, dass es nach der innerstaatlichen Rechtslage in Deutschland unzulässig sei, die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen eine Überstellung auf der Grundlage der Zuständigkeitsbestimmungen in der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 anzuordnen. Unabhängig davon stellt die für den Fristenbeginn der Überstellung maßgebliche Vorschrift des Art. 19 Abs. 3 Satz 1 derVerordnung (EG) Nr. 343/2003 nach ihrem Wortlaut auch ausdrücklich darauf ab, dass einem eingelegten Rechtsbehelf tatsächlich aufschiebende Wirkung zukommt und nicht darauf, ob es nach dem innerstaatlichen Recht zulässig ist, die aufschiebende Wirkung anzuordnen (vgl. Hess. VGH, Beschl. v. 23.8.2011 - 2 A 1863/10.Z.A.-).

46

Läuft danach die Frist zur Überstellung aufgrund des von dem Antragsteller eingelegten Rechtsbehelfs erst ab der gerichtlichen Entscheidung, mit der über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens bezüglich der Durchführung der Überstellung entschieden wird und die der Durchführung nicht mehr entgegenstehen kann, kann dahinstehen, ob insoweit das Vorliegen einer gerichtlichen Entscheidung in der Hauptsache für den Fristenbeginn bereits ausreichend ist oder es darüber hinaus der Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung bedarf (so Hess. VGH, Beschl. v. 23.8.2011 - 2 A 1863/10.Z.A.“

47

Der Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an und macht sie sich zu Eigen.

48

Da die Klägerin – nach Erlass des angefochtenen Bescheides vom 13. Juni 2012 – gegen ihre Überstellung innerhalb der Frist, bis zu der gem. Art. 19 Abs. 4 Satz 2 Dublin-II-VO ihre Überstellung nach Italien vorbehaltlich eventuell zu treffender weiterer Maßnahmen erfolgen konnte, einen Rechtsbehelf gegen ihre Überstellung eingelegt hat, dem mit Beschluss des Verwaltungsgerichts vom Beschluss vom 07. März 2012 - 9 B 56/12 MD - aufschiebende Wirkung beigemessen worden ist, beginnt nach Art. 19 Abs. 3 Satz 1 Dublin-II-VO eine (neue) sechsmonatige Frist zur Überstellung der Klägerin (erst) ab dem Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über die Klage. Diese Frist ist im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats noch nicht abgelaufen, denn der Senat hat dem Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung mit Beschluss vom 10. Oktober 2012 entsprochen. Nach allem kann hier dahingestellt bleiben, ob im Grundsatz das Vorliegen einer gerichtlichen Entscheidung in der Hauptsache für den Fristenbeginn hinsichtlich der Überstellung bereits ausreichend ist oder ob es darüber hinaus der Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung bedarf, da die Klägerin jedenfalls erstinstanzlich obsiegt hat.

49

2) Die Beklagte ist für die Prüfung des Asylantrags der Klägerin auch nicht gem. Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO zuständig, denn die Bundesrepublik Deutschland ist nicht verpflichtet, das Selbsteintrittsrecht auszuüben.

50

Nach Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin-II-VO kann jeder Mitgliedstaat abweichend von den Zuständigkeitskriterien des Kapitels III der Verordnung einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Der betreffende Mitgliedstaat wird dadurch gem. Art. 3 Abs. 2 Satz 2 Dublin-II-VO zum zuständigen Mitgliedstaat im Sinne der Verordnung und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen. Gegebenenfalls unterrichtet er den zuvor zuständigen Mitgliedstaat über den Selbsteintritt (a. a. O. Satz 3). Ob der Mitgliedstaat von dieser Befugnis Gebrauch macht, steht dabei grundsätzlich in seinem Ermessen, welches – weil integraler Bestandteil des im EU-Vertrag vorgesehenen und vom Unionsgesetzgeber ausgearbeiteten gemeinsamen Europäischen Asylsystems (EuGH, Urt. v. 21.12.2011 - C-411/ 10 und C-493/10 -, ) – in Übereinstimmung mit den insoweit geltenden unionsrechtlichen Bestimmungen und von den Mitgliedstaaten verfolgten Zielen auszuüben ist.

51

Art. 3 Dublin-II-VO ist auch geeignet, subjektive Rechte der Klägerin zu begründen, die von ihr gegen eine vorgesehene Überstellung (Rückführung) in den nach dieser Verordnung für die Prüfung des Asylantrags zuständigen Mitgliedstaat geltend gemacht werden können (vgl. dazu den Vorlagebeschluss des Hess.VGH v. 22.12.2010 - 6 A 2717/09.A -; Nds.OVG, Beschl. v. 02. 08.2012 - 4 MC 133/12 - m. w. N., Juris; ferner Funke-Kaiser, a. a. O., § 27a Rdn. 37 ff. m. w. N.). Denn auch wenn es sich bei Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin-II-VO um eine Ermessensvorschrift handelt, kann sich der Betroffene – hier die Klägerin – auf einen subjektiven öffentlich-rechtlichen Anspruch auf den Selbsteintritt der Beklagten gem. Art. 3 Abs. 2 der Verordnung berufen. Diese Bestimmung ist – anders als die Vorgängerregelungen im Schengener Durchführungsübereinkommen und im völkerrechtlichen Dubliner Übereinkommen (vgl. hierzu Funke-Kaiser, a. a. O., § 27a Rdn. 25) – nicht allein im öffentlichen Interesse geschaffen worden, sondern verbürgt den von ihr Betroffenen ein subjektives Recht. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, dass ein Einzelner nicht nur dann aus dem Unionsrecht subjektive Rechte herzuleiten vermag, wenn diese ihm ausdrücklich zugesprochen werden. Vielmehr genügt es, wenn aus einer Rechtsnorm klar und eindeutig eine Begünstigung Einzelner hervorgeht, die keiner Bedingung und keinem zeitlichen Aufschub mehr unterliegt, und weder die Union noch die Mitgliedstaaten einen Spielraum zur Ausgestaltung der Rechtsnorm besitzen (vgl. u. a. EuGH, Urt. v. 05.02.1963 - Rs. 26/62 -, Slg. 1963, 1 [24] = NJW 1973, 1751 - van Gend & Loos vs. Niederlande; EuGH, Urt. v. 04. 12.1974 - Rs. C-41/74 -, Slg. 1974, 1337 [1349] - van Duyn vs. Home Office; EuGH, Urt. v. 19.01.1982 - Rs. C-8/81 -, Slg. 1982, 53 [71] = NJW 1982, 53 - Becker vs. Finanzamt Münster). Diese Voraussetzungen sind im Falle der Dublin-II-VO dem Grunde nach erfüllt (vgl. auch Funke-Kaiser, a. a. O., § 27a Rdnr. 124 m. w. N.). Hiervon geht im Ergebnis auch der Europäische Gerichtshof in dem zur Dublin-II-VO ergangenen Urteil vom 29. Januar 2009 - C-19/08 – (Rdnr. 38, 48 zur Frage des Rechtsschutzes, NVwZ 2009, S. 639 = Juris) aus.

52

Allerdings verbürgt Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO lediglich das Recht auf eine fehlerfreie Ermessensausübung – welches gegebenenfalls aber auf Null reduziert sein kann (vgl. VG Würzburg, Urt. v. 12.03.2009 - W 4 K 08. 30122 -; Funke-Kaiser, a. a. O., § 27a Rdnr. 134 f. und 223 m. w. N.; Marx, a. a. O. § 27a Rdnr. 13; Huber/Göbel-Zimmermann, Ausländer- und Asylrecht, 2. Aufl. 2008, Rdnr. 1886; Filzwieser / Liebminger, Dublin II-Verordnung, Kommentar, 2. Aufl., Wien/ Graz 2007, Art. 3 K 9 unter Verweis auf einschlägige Rechtsprechung des Österreichischen Verfassungsgerichtshofs, Entscheid v. 15.10.2004 - G 237/03 u. a. und des Belgischen Conseil d'Etat / Raad van State vom 28.08.2006, Zl. 162.039; Schröder, Die EU-Verordnung zur Bestimmung des zuständigen Asylstaats, ZAR 2003, S. 124 [131]; Hruschka, Die Dublin II-Verordnung, in: Informationsverbund Asyl e.V. [Hrsg.], Das Dublin-Verfahren, Beilage zum Asylmagazin 1-2/2008, S. 1 [9]; Hruschka, Humanitäre Lösungen in Dublin-Verfahren, Asylmagazin 7-8/2009, S. 5 [7 f. und 9 f.]).

53

Aus dem Wortlaut des Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO ergibt sich eine an die Beklagte gerichtete Ermessensermächtigung, deren Zweck in der Norm selbst nicht seinen Ausdruck gefunden hat (vgl. nur Funke-Kaiser, a. a. O., § 27a Rdnr. 220; Filzwieser / Liebminger, a. a. O., Art. 3 K 8 ff.), sondern sich aus der Zwecksetzung der Verordnung insgesamt und der im Zuge der durch Art. 63 EG-Vertrag in der Fassung des Amsterdamer Vertrages vom 02. Oktober 1997 vorgegebenen gemeinschaftsrechtlichen Asylharmonisierung ergangenen europäischen Richtlinien zum materiellen Asylrecht auf der einen und zum Verfahrensrecht sowie den Aufnahmebedingungen von Flüchtlingen auf der anderen Seite erschließt. Im Einzelnen ist dabei von Folgendem auszugehen:

54

Nach Art. 63 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) EG-Vertrag beschließt der Rat in Übereinstimmung mit der Genfer Flüchtlingskonvention sowie mit einschlägigen anderen Verträgen Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist, den ein Staatsangehöriger eines dritten Landes in einem Mitgliedstaat gestellt hat. Hierauf beruhend wurde die Dublin-II-VO erlassen. Im Erwägungsgrund Nr. 5 wird hierzu ausgeführt, dass bezüglich der schrittweisen Einführung eines Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, das auf längere Sicht zu einem gemeinsamen Asylverfahren und einem unionsweit geltenden einheitlichen Status für die Personen, denen Asyl gewährt wird, führen sollte, im derzeitigen Stadium die Grundsätze des am 15. Juni 1990 in Dublin unterzeichneten Übereinkommens über die Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft gestellten Asylantrags(4) (nachstehend „Dubliner Übereinkommen“ genannt), dessen Durchführung die Harmonisierung der Asylpolitik gefördert hat, mit den aufgrund der bisherigen Erfahrungen erforderlichen Änderungen beibehalten werden sollten. Weiterhin wird insbesondere im Erwägungsgrund Nr. 15 ausgeführt, dass die Verordnung in Einklang mit den Grundrechten und Grundsätzen stehe, die mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union - EuGrdRCh - anerkannt worden seien. Die Verordnung ziele insbesondere darauf ab, die uneingeschränkte Wahrung des in Art. 18 EuGrdRCh verankerten Rechts auf Asyl zu gewährleisten.

55

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, Urt. v. 21.12.2011 - C-411/10 und C-493/10 -, Juris) lässt das im EU-Vertrag vorgesehene und vom Unionsgesetzgeber ausgearbeitete gemeinsame Europäische Asylsystem allerdings die Annahme begründet erscheinen, dass alle daran beteiligten Staaten, ob Mitgliedstaaten oder Drittstaaten, die Grundrechte beachten, einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 (GFK) sowie in der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten - Europäische Menschenrechtskonvention - (EMRK) finden. Es gilt daher grundsätzlich die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Europäischen Grundrechtscharta und der Genfer Flüchtlingskonvention sowie der Europäischen Menschenrechtskonvention steht. M. a. W. ausgehend von der Annahme, dass es sich bei den Mitgliedstaaten der Europäischen Union um sichere Drittstaaten i. S. d. Art. 16a Abs. 2 Grundgesetz (GG) bzw. § 26a AsylVfG handelt, ist aufgrund des diesen Vorschriften zugrunde liegenden „Konzepts der normativen Vergewisserung“ (BVerfG, Urt. v. 14.05.1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 22 BvR 2315/133 - Juris, Rn. 179 ff.) bzw. des „Prinzips des gegenseitigen Vertrauens“ (EuGH, Urt. v. 21.12.2011 - Rs C-411/10 und C-393/10 – Juris, Rn. 79 ff.) grundsätzlich davon auszugehen, dass die Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Grundrechtscharta und der Europäischen Menschenrechtskonvention in diesen Ländern sichergestellt ist. Auch die Dublin-II-Verordnung beruht wie jede andere auf Art. 63 Satz 1 Nr. 1 EG-Vertrag gestützte gemeinschaftsrechtliche Maßnahme auf der Prämisse, dass die zuverlässige Einhaltung der GFK, der EMRK und der EuGrdRCh in allen Mitgliedstaaten gesichert ist (vgl. Begründungserwägung Nr. 2 und Nr. 12 Dublin-II-VO und Art. 6 Abs. 2 sowie Art. 63 Abs. 1 Nr. 1 lit. a EG-Vertrag, - so auch VG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 02.10.2008 - 6 B 56/08-, Juris und VG Regensburg, Beschl. v. 15.09.2008 - RO 3 E 08.30124 - Juris).

56

Dies bedeutet zugleich, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Urt. v. 14.05.1996 - 2 BvR 1938/93 und 2 BvR 2315/93 - BVerfGE 94, 49 = Juris; Beschl. v. 08.09.2009 - 2 BvQ 56/09 -, Juris) ein Ausländer, der in einen sicheren Drittstaat zurück verbracht werden soll, den Schutz der Bundesrepublik Deutschland vor einer politischen Verfolgung oder sonstigen schwerwiegenden Beeinträchtigungen in seinem Herkunftsstaat grundsätzlich nicht mit der Begründung einfordern kann, für ihn bestehe in dem betreffenden Drittstaat keine Sicherheit, weil dort die Verpflichtungen aus der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht erfüllt würden. Für ihn kommen deshalb entsprechend dem mit Art. 16a Abs. 2 GG verfolgten „Konzept normativer Vergewisserung“ über die Sicherheit im Drittstaat auch die materiellen Rechtspositionen, auf die ein Ausländer sich sonst gegen seine Abschiebung stützen kann, grundsätzlich nicht in Betracht.

57

Allerdings hat die Bundesrepublik Deutschland dann Schutz zu gewähren, wenn ein solcher durch Umstände begründet wird, die ihrer Eigenart nach nicht vorweg im Rahmen des „Konzepts normativer Vergewisserung“ durch Gesetz berücksichtigt werden konnten oder aber sich die für die Qualifizierung als “sicher“ maßgeblichen Verhältnisse im Drittstaat schlagartig geändert haben und die gebotene Reaktion der Bundesregierung hierauf noch aussteht. So sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (a. a. O.) Ausnahmen u. a. dann geboten, wenn der Drittstaat gegenüber dem Schutzsuchenden selbst zu Maßnahmen politischer Verfolgung oder unmenschlicher Behandlung greift und dadurch zum Verfolgerstaat wird, oder wenn offen zu Tage tritt, dass der Drittstaat sich von seinen Schutzverpflichtungen lösen und einem bestimmten Ausländer der Schutz dadurch verweigern wird, dass er sich seiner ohne jede Prüfung des Schutzgesuchs entledigt (vgl. zur Problematik der Bestimmung des „sicheren Drittstaates“: BVerfG, Beschl. v. 08.09.2009 - 2 BvQ 56/09 - DVBl. 2009, 1304; Lübbe-Wolff, Das Asylgrundrecht nach den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Mai 1996 - DVBl. 1996, 825 ff.; s. insbesondere auch zur europa-rechtlichen Dimension: Weinzierl / Hruschka, Effektiver Rechtsschutz im Lichte deutscher und europäischer Grundrechte, NVwZ 2009, 1540 ff.).

58

Vergleichbares gilt nach dem Willen des Gesetzgebers, wenn es um die Rückführung eines Ausländers in den für seinen Asylantrag zuständigen Staat im Sinne des § 27a AsylVfG geht. Dies bedeutet, dass auch der Selbsteintritt nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO „nur“ eine Ausnahme darstellt bzw. Sonderfällen vorbehalten ist. Denn eine Prüfung, ob der Zurückweisung in den Drittstaat oder in den nach europäischem Recht oder Völkerrecht für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat ausnahmsweise Hinderungsgründe entgegenstehen, ist nur dann veranlasst, wenn sich aufgrund bestimmter Tatsachen die Annahme aufdrängt, dass der Asylbewerber von einem der im normativen Vergewisserungskonzept des Art. 16a Abs. 2 GG und der §§ 26a, 27a, 34a AsylVfG nicht aufgefangenen Sonderfälle betroffen ist. An die Darlegung eines solchen Sonderfalles sind dabei auch im Rahmen des Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO strenge Anforderungen zu stellen (vgl. BVerfG, Urt. v. 14.05.1996 - 2 BvR 1938/93 und 2 BvR 2315/93 - BVerfGE 94, 49 = Juris; Beschl. v. 08.09.2009 - 2 BvQ 56/09 -, Juris). Die Annahme eines sicheren Drittstaates ist daher nur dann widerlegt, wenn ernsthaft zu befürchten steht, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat grundlegende Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 EuGrdRCh bzw. der inhaltlich identischen Vorschrift des Art. 3 EMRK (vgl. insoweit Art. 52 Abs. 3 Satz 1 EuGRrdRCh) implizieren.

59

Nach der zu Art. 3 EMRK ergangenen Rechtsprechung des EGMR, auf die zur Auslegung von Art. 4 EuGrdRCH zurückzugreifen ist (vgl. EuGH, Urt. v. 21.01.2011, 2011 - No. 30696 – M.S.S. vs. Belgien und Griechenland, Rn. 88 m. w. N. – Juris) ist eine Behandlung unmenschlich, wenn sie absichtlich erfolgt und entweder tatsächliche körperliche Verletzungen oder schwere körperliche oder psychische Leiden verursacht. Eine Behandlung ist hingegen als erniedrigend anzusehen, wenn sie eine Person demütigt oder herabwürdigt und dadurch fehlenden Respekt für ihre Menschenwürde zeigt oder diese herabmindert, oder wenn sie Angst, Furcht oder Unterlegenheit hervorruft, die geeignet sind, den moralischen oder physischen Widerstand der Person zu brechen (vgl. EGMR, Urt. v. 21.01.2011, a. a. O., Rn. 220 m. w. N.).

60

Die ernsthafte Befürchtung grundlegender Mängel besteht nur dann, wenn in einem Mitgliedstaat eine ständige Verletzung der Kernanforderungen des europäischen Asylrechts, wie sie in den Richtlinien und Verordnungen der Europäischen Union ihren Niederschlag gefunden haben, stattfindet und dadurch die Menschenwürde, das Leben und die körperliche Unversehrtheit des Flüchtlings beeinträchtigt wird (vgl. hierzu VG Düsseldorf, Beschl. v. 22.12.2008 - 13 L 1993/08.A - Juris; VG Berlin, Beschl. v. 11.04.2011 - 23 L 84.11 A - Juris; VG Hannover, Beschl. v. 07.06.2011 - 1 B 2106/11 - asyl.net; VG Düsseldorf, Beschl. v. 12.09.2011 - 6 L 866/11.A - Juris; Lehnert / Pelzer, Effektiver Rechtsschutz im Rahmen des EU-Asylzuständigkeitssystems der Dublin II-Verordnung, ZAR 2010, 41 ff.; Lehnert/Pelzer, Der Selbsteintritt der Mitgliedstaaten im Rahmen des EU-Asylzuständigkeitssystems der Dublin-II-Verordnung, NVwZ 2010, 613 ff.). Bei der Beurteilung der Frage, ob für Asylbewerber in Italien dementsprechend ein “richtliniekonformes“ Verfahren gewährleistet ist, ist dabei zunächst das Schutzniveau in den Blick zu nehmen, das sich aus Art. 28 (Sozialleistungen) und Art. 31 (Zugang zu Wohnraum) der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 – Qualifikationsrichtlinie – ergibt und sodann jenes, das sich für das Asylverfahren aus der Dublin-II-VO selbst ergibt. Zugleich ist als Maßstab die Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten heranzuziehen sowie die Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 01. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft. Danach gehören zu den Kernanforderungen des europäischen Asylrechts der Zugang zu einem geordneten Asylverfahren und die Gewährung materieller Aufnahmebedingungen, welche die Grundbedürfnisse nach Unterkunft, Nahrung und medizinischer Versorgung abdecken.

61

Die vorstehend aufgezeigten Grundsätze stehen in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Dieser hat mit Urteil vom 21.12.2011 - C 411/10 und C-493/10 - (Juris) ausgeführt, das Gemeinsame Europäische Asylsystem sei in einem Kontext entworfen, der grundsätzlich die Vermutung rechtfertige, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Europäischen Grundrechtscharta sowie der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention steht. Gleichwohl könne – so der Gerichtshof – nicht ausgeschlossen werden, dass dieses System in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stoße, so dass die ernstzunehmende Gefahr bestehe, dass Asylbewerber bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt würden, die mit den Grundrechten unvereinbar sei. Dabei berühre nicht jede Verletzung eines Grundrechts durch den zuständigen Mitgliedstaat die Verpflichtung der übrigen Mitgliedstaaten zur Beachtung der Dublin-II-VO. Sei jedoch ernsthaft zu befürchten, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufwiesen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 der Grundrechtscharta implizierten, so sei eine Überstellung mit dieser Bestimmung unvereinbar.

62

Bei der Beurteilung der anstehenden Frage nach dem Vorliegen eines systemischen Versagens in Bezug auf das Asyl- und Aufnahmeverfahren in dem Mitgliedstaat ist überdies nicht (allein) darauf abzustellen, welche (abstrakte) Rechtslage dort herrscht, mithin ob etwa die vorgenannten Richtlinien in nationales Recht umgesetzt wurden, sondern es sind (ebenfalls) die konkreten bzw. realen Verhältnisse für die Asylbewerber, mithin die bestehende tatsächliche Verwaltungs- und Rechtspraxis in den Blick zu nehmen (ebenso VG Frankfurt/Main, Urt. v. 08.07.2009 - 7 K 4376/07.F.A u. a. - InfAuslR 2009, 406 = Juris).

63

Ferner ist darauf abzustellen, ob es sich bei eventuell feststellbaren Defiziten und Mängeln, etwa in Form von Rechtsverstößen und zu erwartenden Beeinträchtigungen, nur um Einzelfälle oder – soweit es sich nicht nur um Einzelfälle handelt – um bloße vorübergehende, temporäre Erscheinungen handelt, die etwa einer überraschenden Entwicklung geschuldet sind, denen aber in naher Zukunft voraussichtlich abgeholfen wird. Anders verhält es sich indes in jenen Fällen, in denen aufgrund einer Vielzahl von Referenzfällen hinreichend belegte Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sich die Missstände und Unzulänglichkeiten dauerhaft manifestiert haben. Die insoweit erforderliche Feststellung des Vorliegens systemischer Mängel und Missstände hat somit eine quantitative wie qualitative Komponente. Ob die desolaten Verhältnisse im Mitgliedstaat dabei darauf zurückzuführen sind, dass dieser zur Schaffung geordneter und richtlinienkonformer Verhältnisse nicht bereit oder nicht in der Lage ist, macht dabei grundsätzlich keinen Unterschied.

64

3) In Anwendung der genannten Kriterien ist im Fall der Klägerin von Folgendem auszugehen:

65

Die Bundesrepublik Deutschland ist nicht verpflichtet, in Ausübung des insoweit bestehenden Ermessens von ihrem Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO Gebrauch zu machen. Auch kann sich die Klägerin nicht mit Erfolg darauf berufen, sie besitze zumindest einen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über den Selbsteintritt der Beklagten zur Durchführung eines Asylverfahrens gem. Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO, um als Ausnahme von den sonstigen Zuständigkeitsregeln der genannten Verordnung die Prüfung ihres Asylantrages in der Bundesrepublik Deutschland herbeizuführen. Diesem Recht der Klägerin ist mit dem angefochtenen Bescheid der Beklagten entsprochen worden. Es ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte ihr Ermessen verkannt hätte; auch rechtfertigt sich nicht die Annahme des Vorliegens eines formellen Ermessensfehlers, da keinerlei Gründe vorliegen, die einen sog. Selbsteintritt zu rechtfertigen vermögen.

66

Zur Überzeugung des Senats ist auf der Grundlage des ihm vorliegenden Erkenntnismaterials zur Situation von Asylbewerbern und Flüchtlingen sowie von “Dublin-II-Rückkehrern“ in Italien nicht ernsthaft zu befürchten, dass das Asylverfahren und / oder die Aufnahmebedingungen dort derart grundlegende Mängel aufweisen, dass mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 EuGrdRCh zu erwarten steht. Der Senat ist vielmehr unter Anlegung der zuvor genannten strengen Maßstäbe zur Überzeugung gelangt, dass für die nach der Dublin-II-Verordnung nach Italien zurückkehrenden bzw. rücküberstellten Asylbewerber in der Gesamtschau ein ordnungsgemäßes und richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren gewährleistet ist und dass für den Fall der Abschiebung bzw. Rückführung der betroffenen Asylsuchenden zwecks Durchführung eines Asylverfahrens nicht mit schwerwiegenden Rechtsverstößen und Beeinträchtigungen zu rechnen ist (ebenso oder ähnlich u. a.: OVG Lüneburg, Beschl. v. 02.08.2012 - 4 MC 133/12 -; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 17.06.2013 - OVG 7 S 33.13 -; Beschl. v. 24.06.2013 - OVG 7 S 58.13 –; VG Bremen, Beschl. v. 15.04.2013 - 2 V 440/13.A -; VG Regensburg, Beschl. v. 05.02.2013 - RN 5 S 13.30026 -; Beschl. v. 26.02.2013 - RN 9 K 11.30445 -; VG Düsseldorf, Beschl. v. 17.09.2012 - 13 L 1447/12.A -; Beschl. v. 08.01.2013 - 6 L 104/13.A - und Beschl. v. 06.02. 2013 - 17 L 150/13.A -; VG Augsburg, Urt. v. 11.01.2013 - Au 6 K 12.30358 -; VG Leipzig, Urt. v. 07.12.2012 - A 1 K 973/11 -; VG München, Beschl. v. 08.11.2012 - M 15 E 12.30772 -; VG Würzburg, Beschl. v. 30.10.2012 - W 6 E 12.30288 -; VG Trier, Beschl. v. 25.10.2012 - 5 L 1146/12.TR -; VG Schwerin, Beschl. v. 27.09. 2012 - 8 B 434/12 As -; VG Bayreuth, Urt. v. 12.06.2012 - B 3 K 11.30142 - [bestätigt durch BayVGH, Beschl. v. 6.02.2013 - 20 ZB 12.302856 -]; a. A. oder eine Entscheidung in der Hauptsache vorbehaltend: VG Köln, Beschl. v. 07.05.2013 - 20 L 613/13.A -; VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 30.04.2013 - 10a L 484/13.A -; VG Schwerin, Beschl. v. 15.03.2013 - 3 B 111/13 As -; VG Aachen, Beschl. v. 14.03. 2013 - 9 L 53/13.A -; VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 19.02.2013 - 15a L 194/13.A -; Beschl. v. 27.02.2013 - 15a L 194/13.A -; VG Gießen, Urt. v. 24.01.2013 - 6 K 1329/12.Gl.A -; VG Karlsruhe, Beschl. v. 11.10.2012 - A 9 K 2386/12 - und Beschl. v. 22.01.2013 - A 9 K 179/13 -; VG Stuttgart, Beschl. v. 08.01.2013 - A 7 K 3929/12 -; VG des Saarlandes, Beschl. v. 03.09.2012 - 3 L 789/12 -; VG Düsseldorf, Beschl. v. 29.08.2012 - 14 L 1392/12.A – alle: Juris; VG Freiburg, Beschl. v. 27.10.2011 - A 5 K 2081/11 -; VG Magdeburg, Beschl. v. 17.07.2012 – 9 B 148/12 -; Beschl. v. 21.11.2011 - 9 A 100/11 -; Urt. v. 26.07.2011 - 9 A 346/10 MD -; vgl. auch OVG NRW, Beschl. v. 01.03.2012 - 1 B 234/ 12.A - Juris). Das Asylsystem in Italien mit dem dort geregelten und praktizierten Aufnahme- und Asylverfahren einschließlich der Unterbringungs- und Versorgungslage für die in Italien schutzsuchenden Flüchtlinge und Asylbewerber entspricht den Anforderungen des europäischen Asylsystems, selbst wenn es in Teilbereichen gewisse Mängel und Defizite aufweist. Im Einzelnen ist dabei von Folgendem auszugehen:

67

a) Nach dem dem Senat vorliegenden Erkenntnismaterial ist davon auszugehen, dass für Asylbewerber und Flüchtlinge in Italien, jedenfalls soweit es sich um Dublin-II-Rückkehrer handelt, grundsätzlich ein geordnetes Aufnahmeverfahren und auch ein ungehinderter Zugang zum Asylverfahren gewährleistet sind.

68

Der Senat verkennt nicht, dass es in Italien für Asylbewerber und Flüchtlinge – und zwar bis in die jüngste Vergangenheit hinein – eine Vielzahl von Einreiseverweigerungen und Abschiebungen gegeben hat, bevor ein Asylverfahren durchgeführt werden konnte bzw. ein solches abgewartet worden wäre. Namentlich sind Fälle bekannt geworden, wonach es Zurückweisungen von Flüchtlingen auf hoher See und vor der italienischen Küste, aber auch vom italienischen Territorium gegeben hat, die offenbar darauf abzielten, den Strom von Flüchtlingen – insbesondere aus Nordafrika – abzuwehren, die in Italien Zuflucht haben suchen wollen (vgl. UNHCR, Bericht v. 16.08. 2011: „Hunderte Neuankömmlinge aus Libyen und Tunesien in Italien“, abrufbar unter: http://www.unhcr.de/print/home/artikel/042d9651d6d525aad46e97d7ee7848db/hunde).

69

Trotz der bekannt gewordenen zahlreichen Verstöße gegen das Refoulement-Verbot und teilweise vorhandener unangemessener Erschwernisse beim Zugang zu einem Asylverfahren in Italien in den vergangenen Jahren lässt sich aber – jedenfalls soweit es die aktuellen Verhältnisse im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats betrifft – nicht (mehr) davon ausgehen, dass es, sieht man einmal von Einzelfällen ab, in Italien gegenwärtig noch zu derartigen gravierenden Rechtsverletzungen kommt, wie sie in der Vergangenheit zu beklagen waren.

70

Vielmehr sind nach Auskunft des Auswärtigen Amtes keine Fälle neueren Datums bekannt geworden, in denen Flüchtlingen und Asylsuchenden, die in Italien um Schutz nachsuchen wollten, bei ihrer Einreise auf dem Seeweg oder auf dem Landwege die Einreise oder der Aufenthalt in Italien verweigert worden sind (AA, Auskunft v. 21.02. 2013 an OVG LSA, Anm. 1.1.). Ebenso sind nach Auskunft des Auswärtigen Amtes keine Fälle neueren Datums bekannt geworden, in denen Flüchtlinge und Asylsuchende nach ihrer Einreise nach Italien in ihr Herkunftsland bzw. einen Drittstaat zurückgeführt bzw. abgeschoben worden sind, ohne dass sie in Italien den von ihnen beabsichtigten Asylantrag stellen konnten (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 1.2.). Schließlich sind nach Angaben des Auswärtigen Amtes in jüngster Zeit auch keine Fälle (mehr) bekannt geworden, in denen Flüchtlinge und Asylsuchende trotz eines in Italien gestellten Asylantrages in ihr Herkunftsland bzw. einen Drittstaat zurückgeführt bzw. abgeschoben wurden (AA, a. a. O. Anm. 1.2.). Hiernach lässt sich zumindest gegenwärtig nicht mehr die Feststellung treffen, dass in Italien der Anspruch Schutzsuchender auf Durchführung eines ordnungsgemäßen Asylverfahrens generell oder auch nur regelmäßig vereitelt wird (bereits für die Vergangenheit verneinend u. a.: VG Hannover, Beschl. v. 07.07. 2011 - 1 B 2106/11 - Juris; VG Berlin, Beschl. v. 11.04.2011 - 23 L 84/11 - Juris). Dies bedarf hier indes keiner Vertiefung.

71

Denn jedenfalls lässt sich zur Überzeugung des Senats nicht feststellen, dass für die im Rahmen des Verfahrens nach der Dublin-II-Verordnung nach Italien zurückkehrenden bzw. zurückgeführten Asylbewerber regelmäßig oder sogar überwiegend ein ordnungsgemäßes Asylverfahren nicht gewährleistet ist. Aufgrund eines für diesen Personenkreis gesetzlich speziell geregelten Rückführungsverfahrens ist vielmehr grundsätzlich davon auszugehen, dass diese nach ihrer Rückkehr nach Italien ihren dort bereits gestellten Asylantrag weiterverfolgen bzw. erstmals einen Asylantrag stellen können und ihnen insoweit der Zugang zu einem ordnungsgemäßen Asylverfahren nicht versperrt wird. Im Einzelnen ist dabei von Folgendem auszugehen:

72

Asylbewerber, die gemäß dem Verfahren nach der Dublin-II-Verordnung nach Italien zurückkehren bzw. zurückgeführt werden, treffen in der Regel auf dem Luftweg auf den Flughäfen Fiumicino in Rom, Malpensa in Mailand, Bergamo, Venedig, Bari, Brindisi oder Ancona ein. Dort werden sie – auch wenn es in Italien kein Flughafenverfahren wie in Deutschland gibt (AA, Auskunft v. 11.09.2013 an OVG NRW - zu Frage a.)) – von der Polizei in Empfang genommen und es wird ihnen eine Unterkunft in einer der Aufnahmeeinrichtungen zugeteilt, sofern ein Asylantrag gestellt wird bzw. ein Asylverfahren, bei dem Verfahrensstand, der bei Ausreise aus Italien vorlag, weitergeführt werden soll (zu allem: Schweizerische Flüchtlingshilfe, „Asylverfahren und Aufnahmebedingungen in Italien. Bericht über die Situation von Asylsuchenden, Flüchtlingen und subsidiär oder humanitär aufgenommenen Personen, mit speziellem Fokus auf Dublin-Rückkehrende“, Mai 2011, S. 17 und AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 1.4.). Die Polizei macht in diesen Fällen die verantwortliche Questura ausfindig und fordert die Rückkehrer auf, sich dorthin zu begeben. Dabei werden auch die Reisekosten übernommen (Schweizerischen Flüchtlingshilfe, a. a. O., S. 17) bzw. die Person bekommt, wenn die zuständige Questura weiter entfernt ist (Beispiel: Dublin-Rückkehr nach Rom, zuständige Questura in Catania), ein Zugticket ausgehändigt, um dort hinzureisen (AA, Auskunft v. 11.09.2013 an OVG NRW - zu Frage a.)).

73

Wenn die Dublin-Rückkehrer von deutschen Beamten /Polizisten begleitet werden, gibt es insoweit keine Unterschiede. Bei ihrer Ankunft werden alle Dublin-Rückkehrer von der Polaria (Luftpolizei) am Flughafen Fiumicino empfangen. Sie werden erneut erkennungsdienstlich behandelt und es erfolgt die Feststellung, welche Questura in Italien für die Person zuständig und wie der Stand des Verfahrens ist (AA, Auskunft v. 11. 09.2013 an OVG NRW - zu Frage a.)).

74

Bei ihrer Ankunft werden die Ausländer – so auch die Dublin-II-Rückkehrer – von der am Flughafen zuständigen Hilfsorganisation „Confederazione Nazionale delle Misericordie d’Italia“ betreut und in Anwesenheit von Dolmetschern über den weiteren Verfahrensablauf unterrichtet (AA, Auskunft v. 11.09. 2013 an OVG NRW - zu Frage a.)). Die genannte Hilfsorganisation sucht für die Dublin-II-Rückkehrer zugleich eine (vorläufige) Unterkunft in einem Aufnahmezentrum (z. B. einer Einrichtung der „Centri di accoglienza richiedenti asilo“ - CARA -), welches im Allgemeinen für die Erstaufnahme zuständig ist, bis die Zuweisung zu einer Asylunterkunft am Ort der zuständigen Questura erfolgt ist. Während die Dublin-II-Rückkehrer sofort eine Unterkunft in einem entsprechenden Erstaufnahmezentrum erhalten, kann die Zuweisung zu einer Asylunterkunft für die Dauer des Asylverfahrens einige Zeit dauern, weil es zunächst gewisser Formalien den jeweiligen Asylantrag betreffend bei der zuständigen Questura bedarf. Manchmal beträgt dieser Zeitraum nur einige Tage, manchmal aber auch Wochen, z. B. wenn es sich um große Städte und Ballungszentren handelt. Belastbares Zahlenmaterial bezogen auf die Verweildauer in den Erstaufnahmeeinrichtungen ist mangels statistischer Erhebungen allerdings nicht verfügbar. In den Erstaufnahmeeinrichtungen für Asylbewerber, den bereits erwähnten Einrichtungen der CARA, ist laut Gesetz grundsätzlich ein Verbleib von nicht länger als 20 bis 35 Tagen vorgesehen. Da die Zuweisungsverfahren aber oftmals länger dauern, bleiben die Antragsteller entsprechend länger in diesen Aufnahmezentren (AA, Auskunft v. 11.09.2013 an OVG NRW - zu den Fragen a.), b.) und c.)).

75

Nach den dem Senat vorliegenden Erkenntnismitteln erhalten die Schutzsuchenden nach ihrer Ankunft in Italien zudem Informationsbroschüren über ihre Rechte im Asylverfahren (AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 2.3.). Diese Broschüren existieren in unterschiedlichen sprachlichen Fassungen, so u. a. in persischer, arabischer, französischer, englischer, italienischer, somalischer, spanischer und tigrinischer Sprache (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 2.3.). Darüber hinaus befinden sich in den Aufnahmeeinrichtungen Betreuungsdienste, die den Asylantragstellern zur Unterstützung zur Verfügung stehen. Diese beschäftigen oftmals Mitarbeiter, die die Landessprache der Hauptherkunftsstaaten der Asylantragsteller beherrschen (AA, Auskunft v. 21.02. 2013, Anm. 2.3.).

76

Nach allem besteht für den Senat kein Grund zur Annahme, dass die in Italien Schutzsuchenden nach ihrer Ankunft dort in unangemessener Weise “sich selber überlassen bleiben“ und sich im Hinblick auf das erstrebte Aufnahme- und Asylverfahren nicht zurecht finden können.

77

Im Übrigen ist auch nicht ersichtlich, dass die Rücküberstellung von Asylbewerbern auf der Grundlage der Dublin-II-Verordnung seitens der italienischen Behörden auf Widerstände stößt. Insbesondere bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass es im Rahmen des Dublin-Systems vor einer Asylantragstellung oder während des Asylverfahrens zu Einreiserverweigerungen, Rücküberstellungen oder sonstigen Ausweisungen in die Herkunftsländer der Asylbewerber kommt (vgl. UNHCR, Stellungnahme v. 24.04.2012 an VG Braunschweig, S. 5).

78

b) Der Senat vermag aufgrund der ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel auch nicht zur Einschätzung zu gelangen, dass Asylsuchende und Flüchtlinge – jedenfalls soweit es die aktuellen Verhältnisse im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts betrifft – nach ihrer Einreise und / oder während ihres Asylverfahrens mangels einer (angemessenen) Unterkunft regelmäßig oder auch nur in einer Vielzahl von Fällen in die Obdachlosigkeit geraten, mithin „auf der Straße“ oder in „Elendsquartieren“ leben müssen.

79

aa) Dabei ist zunächst hervorzuheben, dass Asylsuchende während des Asylverfahrens einen Rechtsanspruch auf eine Unterbringung besitzen, und zwar gleichermaßen für die Zeit zwischen Antragstellung und Registrierung wie für die Zeit zwischen Registrierung und Entscheidung über das Asylbegehren (AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 5.1., 5.3. und 6.1.). Dieser Anspruch ist grundsätzlich wohl auch behördlich bzw. gerichtlich durchsetzbar. Dies deckt sich jedenfalls mit einer Antwort der Bundesregierung vom 18. April 2011 auf eine Kleine Anfrage im Bundestag ("Lage von Asylsuchenden und anerkannten Flüchtlingen in Italien" – BT-Drucks. 17/5579), aus der sich ergibt, dass Asylbewerber in Italien einen gerichtlich durchsetzbaren Rechtsanspruch auf Unterkunft haben. Allerdings kommt es für die Beurteilung der in Rede stehenden Frage nicht in erster Linie auf die bestehende Rechtslage an; maßgeblich ist vielmehr auf die tatsächlichen Verhältnisse abzustellen.

80

Nach den aktuellen Auskünften des Auswärtigen Amtes stellt sich indes die tatsächliche Unterbringungssituation im Rahmen des italienischen Aufnahmesystems für Asylbewerber und Flüchtlinge Anfang 2013 (5. Kalenderwoche) wie folgt dar:

81

Die Aufnahmezentren der CARA verfügen über 5.516 Plätze und beherbergen derzeit ca. 5.300 Personen nebst 2.710 Plätzen in den Einrichtungen der CARA von Lampedusa, so dass insgesamt mehr als 8.000 Plätze zur Verfügung stehen. Die Zahlen im Gutachten von Frau Judith Gleitze, borderline-europe e. V. vom Dezember 2012 an das VG Braunschweig (a. a. O. S. 11), wonach 3.163 Personen in den genannten Einrichtungen aufgenommen werden könnten, seien inzwischen überholt (AA, Auskunft v. 24.05.2013 an VG Minden - zu Frage 8.).

82

Darüber hinaus stehen den Asylbewerbern und Flüchtlingen grundsätzlich die staatlichen Aufnahmeeinrichtungen der SPRAR („Sistems di Protezione per Richiedenti Asilo e Refugiati“) zur Verfügung. Die dort vorhandenen Plätze sind laut Auskunft des Auswärtigen Amtes in der Vergangenheit deutlich angestiegen: Bisher habe es 3.000 Plätze gegeben, so dass dort (weil eine Unterbringung regelmäßig nur für 6 Monate vorgesehen sei) insgesamt 6.000 Personen hätten versorgt und untergebracht werden können (vgl. zur Aufnahmekapazität von etwa 3.000 Personen u. a. auch der Bericht der Schweizerische Flüchtlingshilfe, a. a. O. S. 5). Nunmehr aber stehen nach Auskunft des Auswärtigen Amtes - bestätigt durch Auskünfte von Mitarbeitern der SPRAR und des italienischen Innenministeriums – insgesamt 5.000 Plätze zur Verfügung, so dass 8.000 bis 10.000 Personen untergebracht werden könnten, ungeachtet der im Rahmen des EU-finanzierten FER-Projektes für vulnerable Personen und anderer Projekte vorhandenen weiteren Plätze (AA, Auskunft v. 24.05.2013 an VG Minden - zu Frage 8.). Dies entspricht in etwa auch der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 21.02.2013 auf Anfrage des Senats, wonach inzwischen in ganz Italien 40 Aufnahmezentren mit rund 9.000 Plätzen zur Verfügung stehen (AA, a. a. O., Anm. 4.3.).

83

Dem steht z. B. für das Jahr 2012 eine Anzahl von 1.148 Personen gegenüber, die als Rückkehrer im Rahmen der Dublin-II-Verordnung über Rom nach Italien zurückgeschickt wurden und von der Organisation Ariconfraternita am Flughafen von Rom betreut wurden (Gutachten an das VG Braunschweig von Judith Gleitze, borderline-europe e. V. vom Dezember 2012, S. 25 und S. 59 – in Ermangelung der erfassten Gesamtzahlen der Dublin-Rückkehrer nach Italien). Berücksichtigt man überdies, dass die Zahl der Asylbewerber seit 2012 – trotz gewisser Schwankungen – insgesamt rückläufig ist, kann zumindest gegenwärtig nicht (mehr) von unzureichenden Aufnahme- und Unterbringungskapazitäten ausgegangen werden. Zur Überzeugung des Senats dürfte sich somit die aktuelle Situation in Italien soweit entspannt haben, dass sämtliche Asylbewerber, und insbesondere Dublin-II-Rückkehrer, in den öffentlichen Aufnahmeeinrichtungen Platz finden können (ebenso OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 17.06.2013 - OVG 7 S 33.13 - ).

84

Die Annahme fehlender Kapazitäten für die Unterbringung von Dublin-II-Rückkehrern nach Italien ist insbesondere auch nicht deshalb gerechtfertigt, weil es in der Vergangenheit zu einem massiven Zustrom von Flüchtlingen aus Nordafrika gekommen ist und dies zu (nachhaltigen) Engpässen bei der Unterbringung und Versorgung von Asylbewerbern geführt hat.

85

Der UNHCR hat in diesem Zusammenhang in seiner Stellungnahme vom 24. April 2012 an das VG Braunschweig (a. a. O. S. 3) auf Folgendes hingewiesen: Im Jahre 2011 sind nach der Ankunft einer erheblichen Zahl von Personen aus Nordafrika und der darauf folgenden Erklärung des „humanitären Notstandes“ die regionalen Regierungen gebeten worden, zusätzliche Aufnahmeeinrichtungen zu bestimmen, da die bestehenden Aufnahmekapazitäten als unzureichend eingeschätzt wurden. Zwischen den Regierungen und den örtlich zuständigen Behörden (Regionen, bestimmten Provinzen [„Province Autonome“] und Gemeinden) seien Vereinbarungen getroffen worden, in denen Kriterien für die landesweite Verteilung von bis zu 50.000 Personen festgehalten wurden. Die Verantwortlichkeit für den diesbezüglichen Aufnahmeplan liege beim Leiter des Zivilschutzes („Dipartimento di Protezione Civile“). Bis Anfang 2012 seien 20.000 Personen im Rahmen des Plans in den Notunterkünften, meist in Einrichtungen kleiner bis mittlerer Größe, untergebracht worden, die in ganz Italien verteilt sind.

86

Dies deckt sich mit den Auskünften des Auswärtigen Amtes. Danach hätten die vorgehaltenen temporären Aufnahmestrukturen des Zivilschutzes, die anlässlich des Flüchtlingsstromes aus Nordafrika in der Größenordnung von 50.000 Plätzen in den Regionen geschaffen worden seien, die bestehenden Engpässe kompensiert (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 4.3.).

87

Soweit im Gutachten von Judith Gleitze, borderline-europe e. V. vom Dezember 2012 an das VG Braunschweig (a. a. O., S. 15) darauf verwiesen wird, dass die durch den Zivilschutz zusätzlich geschaffenen Unterkünfte nur zeitlich befristet vorgesehen gewesen seien, zunächst wohl nur bis Ende 2011 und alsdann bis Ende 2012, und dass diese inzwischen wieder geschlossen worden seien, so rechtfertigt auch dieser Einwand nach Auffassung des Senats nicht die Annahme, dass es gegenwärtig und zukünftig wieder zu fehlenden Kapazitäten in den staatlichen Einrichtungen kommen wird.

88

Zwar trifft es zu, dass das Notstandsprogramm befristet war und inzwischen wohl offiziell ausgelaufen ist. Allerdings trifft es ebenfalls zu, dass die Einrichtungen derzeit faktisch zumindest in einem beschränkten Umfang fortgeführt werden. Grund für die Schließung der Notunterkünfte war der Umstand, dass die Zahl der Asylbewerber und Flüchtlinge gegenüber den Vorjahren, insbesondere dem Jahr 2011 und 2012, deutlich zurück gegangen war. Allerdings waren nach Auskunft des Auswärtigen Amtes Anfang des Jahres 2013 noch ca. 17.000 Personen in den temporären Einrichtungen des Zivilschutzes untergebracht (AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 4.3.). Das Auswärtige Amt hat unterdessen mit seiner neuesten Auskunft – unter Berufung auf den Leiter des Italienischen Amtes für Aufnahmezentren und Betreuung, Herrn Tommaso Ricciardi vom 04. September 2013 – zum Notstandsprojekt Nordafrika mitgeteilt, dass sich derzeit nur noch etwa 1.000 Personen („vulnerable cases“ und Asylbewerber, die ein Rechtsmittel eingelegt haben) in den Notunterkünften befinden. Offiziell hätten diese nunmehr am 01. September 2013 schließen sollen. Es werde gegenwärtig überlegt, wie die Versorgung dieser Personen weiter gewährleistet werden kann (AA, Auskunft v. 11.09.2013 an OVG NRW – zu Frage e)).

89

Angesichts der aufgezeigten Entwicklung steht auch nicht zu erwarten, dass mit der Schließung der Notunterkünfte die dort untergebrachten bzw. noch verbliebenen Asylbewerber und Flüchtlinge in die staatlichen Unterkünfte drängen und es damit zu erneuten Überbelegungen kommen wird, mithin die Problematik fehlender Kapazitäten in den staatlichen Zentren erneut auftritt. Das Auswärtige Amt weist zudem ausdrücklich darauf hin, dass das Auslaufen des Nordafrika-Programms keine konkreten Auswirkungen auf die Dublin-Rückkehrer hat, da für diesen Personenkreis (der nicht in den Notunterkünften untergebracht wird) von vornherein kein unmittelbarer Zusammenhang zum Programm bestand (AA, Auskunft v. 11.09. 2013 an OVG NRW – zu Frage e)).

90

Gegenteiliges dürfte zur Überzeugung des Senats auch dann nicht anzunehmen sein, wenn es zu einem erneuten Anstieg der Zahl von Asylbewerbern in Italien kommen sollte. Das ausgelaufene Notstandsprogramm belegt, dass Italien Unterbringungsplätze in erheblichen Umfang zusätzlich zur Verfügung stellen kann, wenn der Zustrom von Flüchtlingen dies erfordert. Das geschaffene Notstandsprogramm lässt darauf schließen, dass die verantwortlichen Stellen – selbst wenn sie auf Druck der übrigen EU-Mitgliedstaaten tätig geworden sein sollten – bemüht sind, sich dem jeweiligen unterschiedlichen Unterkunftsbedarf in der gebotenen Weise anzupassen. Dies lässt es insbesondere nicht ausgeschlossen erscheinen, dass bei einem eventuellen erneuten Anstieg der in Italien eintreffenden Flüchtlinge und Asylbewerber entsprechende Programme zur kurzfristigen Schaffung zusätzlicher Unterkünfte neu aufgelegt werden. Dies alles rechtfertigt keine grundlegenden Zweifel daran, dass ein insoweit auch nach Beendigung des Notstandsprogramms fortdauernder Bedarf oder erneute Massenanstürme von Flüchtlingen bewältigt werden können (ebenso: OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 17.06.2013, a. a. O.).

91

Im Übrigen erkennt auch der UNHCR an, dass in den letzten Jahren Verbesserungen des staatlichen Aufnahmesystems stattgefunden haben. Insgesamt seien die Einrichtungen der CARA, CDA und SPRAR (nunmehr) in der Lage, dem Aufnahmebedarf einer „signifikanten Anzahl“ von Asylsuchenden nachzukommen (Stellungnahme vom 24. April 2012 an VG Braunschweig, S. 3). Allerdings macht der UNHCR die Einschränkung, dass die Kapazitäten der genannten Einrichtungen nicht für die Unterbringung aller unterstützungsbedürftigen Asylsuchenden ausreichend sein dürften, wenn Personen in erheblicher Anzahl neu in Italien ankommen würden (UNHCR, a. a. O., S. 3). Indes bestehen z. Z. keine Anhaltspunkte dafür, dass es in Italien derzeit oder in absehbarer Zeit erneut zu einem derartigen Anstieg der Asylbewerberzahlen kommen wird, wie er etwa in den Jahren 2010 und 2011 zu verzeichnen war.

92

Eine andere Bewertung der Unterkunftssituation für Asylbewerber und Flüchtlinge erscheint dem Senat schließlich auch nicht deshalb geboten, weil nach Auffassung des UNHCR (Stellungnahme v. 24.04.2012) in der gegenwärtigen Situation davon auszugehen sei, dass derzeit die überwiegende Anzahl aller Asylverfahren nicht innerhalb von sechs Monaten abgeschlossen werden können, und die Aufnahme in den Aufnahmezentren regelmäßig auf sechs Monate befristet sei. Abgesehen davon, dass der UNHCR selbst einräumt, dass keine konkreten Zahlen zur Dauer der Asylverfahren vorliegen, besteht nach Auskunft des Auswärtigen Amtes die Möglichkeit, dass im Einzelfall – so auch bei Einlegung von Rechtsmitteln – die Aufenthaltsdauer in der Einrichtung verlängert wird.

93

Zudem ist auch dem Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom Mai 2011 zu entnehmen, dass für die Aufnahme von Asylbewerbern eben nicht nur CARA-, CIE- und SPRAR-Zentren zur Verfügung stehen, sondern auch andere Zentren vorhanden sind basierend auf Abkommen zwischen dem Innenministerium und Gemeinden, aber auch von der Stadt – wie etwa Rom - finanzierte und von NGO’s betriebene Zentren (vgl. Schweizerischen Flüchtlingshilfe, Asylverfahren und Aufnahmebedingungen in Italien, Bericht über die Situation von Asylsuchenden, Flüchtlingen und subsidiär oder humanitär aufgenommenen Personen, mit speziellem Fokus auf Dublin-Rückkehrende, S. 19). Nach dem vorgenannten Bericht (a. a. O. S. 19) kommen noch kirchliche und karitative Einrichtungen hinzu. Dass es unter Berücksichtigung der Aufnahmekapazität all dieser öffentlichen und privaten Einrichtungen sowie unter Nutzung des Angebotes des Wohnungsmarktes nicht möglich ist, eine Unterkunft zu finden, ist nicht ersichtlich.

94

Das Auswärtige Amt weist ebenfalls darauf hin, dass neben den staatlichen Unterbringungszentren zusätzlich kommunale und karitative Einrichtungen existieren wie z. B. Caritas, Migrantes in Rom, die Schwestern des Ordens der Mutter Teresa „Suore Missionarie della Carità“ und andere Hilfsorganisationen (Comunità di Sant’Egidio, Opere Antoniane, Stranieri in Italia, Centro Astalle - Jesuiten -), welche die Antragsteller und Asylbewerber versorgen und ihnen Unterkunftsplätze besorgen (AA, Auskunft v. 21.08.2013 an OVG LSA - zur Frage 3.). Dies entspricht zugleich der Einschätzung des Auswärtigen Amtes, wonach nicht davon auszugehen ist, dass jene Personen, die in den staatlichen Aufnahmeeinrichtungen und staatlichen Unterkünften keinen Platz finden, regelmäßig oder überwiegend obdachlos „auf der Straße“ oder in „Elendsquartieren“ leben müssen (AA, a. a. O. Anm. 4.3.).

95

Veranlassung zu einer anderen Einschätzung gibt dem Senat schließlich auch nicht der Bericht von Maria Bethke und Dominik Bender „Zur Situation von Flüchtlingen in Italien“ vom 28. Februar 2011, wonach angeblich davon auszugehen ist, dass „in der Vergangenheit 88 vom Hundert der Dublin-II-Rückkehrer der Gefahr der Obdachlosigkeit überlassen worden seien“. Der Senat geht dabei davon aus, dass diese Aussage nicht bedeutet, dass etwa 88 vom Hundert der Dublin-II-Rückkehrer tatsächlich in die Obdachlosigkeit geraten sind, sondern dass es sich hierbei – da der Bericht lediglich von einer „Gefahr“ einer Obdachlosigkeit spricht – um eine bloße Annahme handelt in Bezug auf das womöglich bestehende Risiko, von einer Obdachlosigkeit betroffen zu werden. Dem Senat erscheint bei dieser Sachlage allerdings nicht nachvollziehbar, wie eine (potentielle) „Gefahr“ prozentual derart exakt prognostiziert werden kann, wie dies im Bericht mit 88 vom Hundert geschehen ist, zumal die Unterbringung in staatlichen und privaten Einrichtungen und auch die Wohnungssuche im Allgemeinen mit einer Fülle von Unwägbarkeiten verbunden ist. Überdies sind die Angaben nur bedingt brauchbar, weil eben nicht erkennbar wird, auf welchen Erkenntnissen diese beruhen und welche zurückliegenden Zeiträume in Bezug genommen werden, wenn davon gesprochen wird, dass sich Aussage auf die „Vergangenheit“ beziehe.

96

bb) Ebenso lässt sich nach Auffassung des Senats nicht feststellen, dass Asylbewerber infolge unzureichender und unzumutbarer Verhältnisse in den staatlichen bzw. privaten Unterkünften, namentlich etwa aufgrund unhygienischer Zustände oder Gewalttätigkeiten und krimineller Delikte wie u. a. Diebstahl, Vergewaltigung oder erheblichen Gefahren für Leib und Leben ausgesetzt sind. Dabei wird nicht verkannt, dass es in Unterkünften mit einer Vielzahl von – teilweise auch traumatisierten – Flüchtlingen unterschiedlicher Nationalität, Religion und Gebräuchen häufiger als in anderen Bereichen der Gesellschaft zu Konflikten und gelegentlich auch gewaltsamen Übergriffen kommen dürfte. Es dürfte sich dabei allerdings um ein allgemeines Phänomen in Gemeinschaftseinrichtungen handeln, dem die staatlichen Stellen nur bedingt wirksam entgegen wirken können. Auch wenn die Aufnahme-, Unterbringungs- und Lebensbedingungen von Asylbewerbern in Italien regelmäßig nicht mit dem hiesigen Standard vergleichbar sein mögen, ist zur Überzeugung des Senats davon auszugehen, dass die Zustände in den Unterkünften im Allgemeinen jedenfalls nicht derart unzumutbar und unhaltbar sind, dass deshalb die Feststellung einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung der Asylbewerber gerechtfertigt erschiene. Dies gilt zum einen hinsichtlich der hygienischen Verhältnisse. So wird nach Auskunft des Auswärtigen Amtes von den staatlichen Aufnahmezentren und Einrichtungen Kleidung gestellt, ebenso Wäsche und Hygieneartikel zum persönlichen Gebrauch (AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 5.1., 5.3. und 6.1.). Überdies teilt das Auswärtige Amt zur Situation in den staatlichen Aufnahmezentren und Unterkünften mit, dass die hygienischen Verhältnisse dort nicht regelmäßig oder sogar überwiegend sich in der Weise darstellen, dass man ernstlich Gefahr läuft zu erkranken. Sie seien auch nicht dergestalt, dass sie nicht den Mindestanforderungen (Kochstellen, Toiletten, Waschräume, fließendes Wasser und Elektrik) genügen würden. Vielmehr seien sie durchweg so beschaffen, dass kleinere Schlafräume in Wohnhäusern oder Containern vorhanden seien, die auch zumeist mit Klimaanlagen und Zentralheizung versehen seien. Insbesondere seien Toilettenräume in ausreichender Zahl und getrennt nach Geschlechtern vorhanden. Gleiches gelte für Waschräume. Die Verpflegung werde vielfach in einem gemeinsamen Speisesaal bereitgestellt. Vereinzelt bestünden auch zusätzliche Möglichkeiten für die eigene Zubereitung von Mahlzeiten. Ferner seien in den Einrichtungen Sozialräume sowie getrennte Räumlichkeiten für medizinische Dienste und Sonderfälle vorhanden. Zur Aufrechterhaltung der Sauberkeit der allgemeinen Räumlichkeiten würden spezielle Reinigungsdienste beschäftigt (vgl. zu allem: AA, Auskunft v. 21.01.2013, Anm. 4.5.).

97

Zum anderen lässt sich aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse auch nicht feststellen, dass sich die Verhältnisse in den staatlichen Aufnahmezentren und Unterkünften in der Weise darstellen, dass die Bewohner in ständiger Angst leben müssten, „angegriffen, ausgeraubt oder gar vergewaltigt“ zu werden. Zwar gibt es Berichte, wonach es zu gewaltsamen Übergriffen von männlichen auf weibliche Bewohner gekommen sein soll; hierbei handelt es sich aber um Einzelfälle, wenngleich statistische Erhebungen zur Kriminalität speziell in den genannten Einrichtungen nicht existieren bzw. nicht bekannt sind. Darüber hinaus werden die Aufnahmeeinrichtungen zumindest durch die Polizei oder Carabinieri überwacht und geschützt; wegen auftretender Spannungen zwischen verschiedenen Ethnien wurden in manchen Einrichtungen zudem zusätzliche Polizeikräfte postiert (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 4.6.).

98

Im Ergebnis vermag der Senat somit nicht festzustellen, dass es – sieht man von Engpässen und Einzelschicksalen ab – mit der Durchführung von Asylverfahren in Italien generell zu Begleiterscheinungen wie etwa Obdachlosigkeit oder aufgrund der Zustände in den Unterkünften zu einer Verwahrlosung der Asylbewerber kommt.

99

c) Der Senat vermag ebenfalls nicht festzustellen, dass Schutzsuchende während des Asylverfahrens in Italien unter Verletzung von Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 EuGrdRCh in materieller Not leben müssen, so dass von einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung auszugehen wäre, oder mit Blick auf die Versorgungssituation und soziale Situation der Asylbewerber und Flüchtlinge gemessen an den Vorgaben des unionsrechtlichen Sekundärrechts sich das Asylsystem als nicht (mehr) richtlinienkonform darstellt.

100

Asylsuchende und Flüchtlinge haben nach Auskunft des Auswärtigen Amtes während des Asylverfahrens einen (Rechts-)Anspruch auf (angemessene) Verpflegung und Versorgung (AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 5.1.). Dieser Verpflichtung wird im Allgemeinen dadurch nachgekommen, dass in den staatlichen Unterkünften und Aufnahmezentren entsprechende Leistungen erbracht werden. Namentlich wird auch Kleidung gestellt, ebenso Wäsche und Hygieneartikel zum persönlichen Gebrauch (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 5.1., 5.3. und 6.1.). Vorgenanntes gilt gleichermaßen für die Zeit zwischen Antragstellung und Registrierung wie für die Zeit zwischen Registrierung und Entscheidung über das Asylbegehren (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 5.1.).

101

Ebenso werden Asylbewerber und Flüchtlinge, die in nichtstaatlichen, namentlich karitativen und kirchlichen Unterkünften leben, mit Nahrung und Kleidung versorgt, wobei insoweit auch private Dienstleister herangezogen werden (vgl. AA, Auskunft v. 21. 02.2013, Anm. 5.2.). Allerdings ist für Asylbewerber und Flüchtlinge außerhalb staatlicher sowie karitativer und kirchlicher Einrichtungen eine staatliche Verpflegung und Versorgung nicht (mehr) gewährleistet. Auch existiert in Italien nur ein sehr eingeschränktes staatliches Sozialhilfesystem; danach erhalten nur Personen über dem 65. Lebensjahr Sozialhilfeleistungen. Im vorliegenden Fall würde dies sogar bedeuten, dass die 65-jährige Klägerin auch staatliche Sozialhilfeleistungen in Anspruch nehmen könnte. Im Übrigen haben die Betroffenen auch als Asylbewerber und schutzsuchende Flüchtlinge einen freien Zugang zum Arbeitsmarkt. Sie können ihren Lebensunterhalt dadurch verdienen, dass sie je nach Ausbildung oder Befähigung einer zumindest einfachen Arbeit nachgehen (vgl. AA, Auskunft v. 21.02. 2013, Anm. 5.1.).

102

In der Praxis kann somit nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass Asylbewerber und Flüchtlinge ihren Lebensunterhalt regelmäßig nicht durch Betteln und / oder Prostitution sichern müssen (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 4.4.). Vielmehr ist insgesamt eine ausreichende Versorgung vorhanden. Einzelfälle sind allenfalls auf das in der aktuellen Wirtschaftskrise insbesondere in italienischen Großstädten zunehmend auftretende Phänomen des Bettelns und die damit einhergehenden erhofften zusätzlichen Einkunftsmöglichkeiten zurückzuführen. Was die Prostitution angeht, so ist nicht völlig auszuschließen, dass weibliche Asylbewerber oder Flüchtlinge in Einzelfällen durch Angehörige der organisierten Kriminalität rekrutiert werden und dann tatsächlich der Prostitution nachgehen. Dies ist aber nicht im kausalen Zusammenhang mit Defiziten im Asylverfahren zu sehen (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 4.4.; Auskunft v. 24.09.2012, S. 3 - Antwort auf Frage b 2)).

103

Im Übrigen folgt aus Art. 3 EMRK und Art. 4 EuGrdRCh auch nicht die Verpflichtung, Asylbewerbern und Flüchtlingen eine finanzielle Unterstützung zu gewähren, um ihnen einen gewissen Lebensstandard zu ermöglichen (vgl. EGMR, Urt. v. 21.02.2011, a. a. O.).

104

Ebenso ist ein Verstoß gegen die Richtlinie 2004/83/EG nicht ersichtlich. Kapitel VII der Richtlinie gestaltet den Inhalt des internationalen Flüchtlingsschutzes zwar u. a. dahin gehend aus, dass Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte grundsätzlich Zugang zu Sozialleistungen (Art. 28), medizinischer Versorgung (Art. 29) und Wohnraum (Art. 31) erhalten. Allerdings gehen die Bestimmungen über die Gebote zur Inländergleichbehandlung (Art. 28, 29) bzw. zur Ausländergleichbehandlung (Art. 31) nicht hinaus. Art. 28 und 29 der Richtlinie gewährleisten die notwendige Sozialhilfe bzw. medizinische Versorgung nur insoweit, wie die Mitgliedstaaten ihren eigenen Staatsangehörigen eine entsprechende Behandlung bzw. Versorgung gewähren; für Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte besteht zudem die Möglichkeit, den Anspruch auf Kernleistungen zu beschränken, die dann im Umfang und unter denselben Voraussetzungen wie für eigene Staatsangehörige zu gewähren sind. Demzufolge muss der in Italien bestehende allgemeine Lebensstandard für andere, vergleichbare Personen mit italienischer Staatsangehörigkeit in den Blick genommen werden, die ebenfalls keine staatlichen Sozialleistungen in Anspruch nehmen können und bei denen ebenfalls nur durch die Aufnahme von Gelegenheitsarbeiten oder aber vermittels von Zuwendungen karitativer oder kirchlicher Organisationen das Existenzminimum gesichert ist.

105

Nach allem lässt sich ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 EuGrdRCh nicht daraus herleiten, dass – worauf in der Rechtsprechung einzelner Verwaltungsgerichte abgestellt wird – ein staatliches Sozialsystem, welches Flüchtlingen und Asylsuchenden zumindest ein Existenzminimum garantiert, nicht zur Verfügung steht und dass die Betroffenen deshalb darauf angewiesen seien, sich „selbst durch das Leben zu schlagen“ (vgl. VG Magdeburg, Beschl. v. 28.03.2011 - 9 B 101/11 MD - Juris; Gerichtsbescheid v. 21.11.2011 - 9 A 351/10 - [S. 5 d. UA]; VG Braunschweig, Beschl. v. 31.05.2011 - 1 B 103/11 - m. w. N. - Juris).

106

Im Übrigen ist in der Stellungnahme der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (a. a. O. S. 22) nicht – wie gelegentlich behauptet wird – die Rede davon, dass der genannte Personenkreis „in extremer Armut lebt und dass sie ihre Lebensbedürfnisse nicht decken können“. Vielmehr ist – wohl mit Bedacht – davon die Rede, dass sie Gefahr laufen, womöglich in eine solche Situation zu geraten; dass sich indes diese Gefahr bereits in eine Vielzahl von Fällen realisiert hätte oder gleichsam regelmäßig bzw. für jeden Asylsuchenden und Flüchtling die konkrete Gefahr bestünde, dass nicht einmal das Existenzminimum gesichert ist, wird nicht behauptet. Dies schließt nicht aus, dass es in Einzelfällen auch zu besonderen Notlagen kommen mag und dass der Lebensstandard der Asylbewerber und Flüchtlinge in Italien im Allgemeinen sehr gering sein dürfte. Gleichwohl vermag der Senat anhand des ihm vorliegenden umfassenden Erkenntnismaterials aber nicht festzustellen, dass die Situation für Flüchtlinge und Asylsuchende in den Zentren und außerhalb derselben derart prekär wäre, dass deshalb von einem Verstoß gegen Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 EuGrdRCh auszugehen ist.

107

d) Soweit es die medizinische Versorgung betrifft, sind alle Mitgliedstaaten aufgrund der EU-Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 verpflichtet, bestimmte Mindeststandards der medizinischen Versorgung zu gewährleisten. So haben alle Mitgliedstaaten nach Art. 15 der genannten Richtlinie dafür Sorge zu tragen, dass Asylbewerber und Flüchtlinge die erforderliche medizinische Versorgung erhalten, die zumindest die Notversorgung für die unbedingt erforderliche Behandlung von Krankheiten umfasst. Dabei ist auch Asylbewerbern mit besonderen Bedürfnissen die erforderliche medizinische und sonstige Hilfe zu gewähren.

108

In Italien ist im Rahmen des nationalen Gesundheitsdienstes grundsätzlich ein medizinischer Mindestbehandlungsstandard gewährleistet. Asylbewerber und Flüchtlinge haben in Italien während des Asylverfahrens einen Anspruch auf eine „freie“ (kostenlose) medizinische Versorgung sowie auch auf psychologische Hilfe, insbesondere auch Minderjährige und traumatisierte Personen (vgl. AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 5.1., 5.3. und 6.3.).

109

Dem entspricht es, wenn im Entscheiderrundbrief des Bundesamtes 7/2011 (a. a. O., S. 8) zur medizinischen Versorgung festgestellt wird, dass bei der Überstellung von kranken bzw. traumatisierten Personen – wie bei jedem italienischen Staatsbürger – die Möglichkeit der (medizinischen) Behandlung besteht. Bereits im Jahre 2009 habe es bei der SPRAR drei Zentren gegeben, in denen auch psychisch kranke Personen hätten behandelt werden können (zwei in Rom, eines in Turin). Für 2011 seien zudem 50 weitere Behandlungsplätze für psychisch kranke Personen bzw. Personen mit besonders schweren Erkrankungen geplant worden. Inzwischen würden bei Dublin-Überstellungen psychisch kranke Personen in Italien als eine besonders „vulnerable Gruppe“ angesehen.

110

Voraussetzung für den Zugang zum staatlichen Gesundheitssystem ist zwar grundsätzlich ein gültiger Aufenthaltstitel bzw. ein rechtmäßiger Aufenthalt; bei im italienischen Asylverfahren befindliche Personen stellt sich dieses Problem aber nicht. Der Zugang zu öffentlichen medizinischen Leistungen ist auch nicht an die Voraussetzung eines ständigen Wohnsitzes bzw. feste Adresse gekoppelt, wie gelegentlich behauptet wird. Vielmehr erhalten Asylbewerber bei Bedarf auch ohne einen solchen ständigen Wohnsitz bzw. feste Anschrift vom nationalen Gesundheitsdienst einen Gesundheitsausweis („tessera sanitara“) und eine Steuernummer („codice fiscale“) (vgl. AA, Auskunft v. 09.10.2012 an VG Minden, S. 2 - zur Frage b) 4; ebenso: AA, Auskunft v. 11.07.2012 an VG Freiburg - S. 2 Ziffer I b)). Sollte hingegen etwas anderes gelten, ist davon auszugehen, dass aufgrund einer aktuellen Vereinbarung zwischen der Zentralregierung und den Regionen zumindest eine Not- und Grundversorgung auch für sich illegal in Italien aufhaltende Personen garantiert ist (AA, Auskunft v. 21.01.2013, Anm. 6.2.).

111

Der Senat vermag angesichts dieser Situation nicht zu erkennen, dass damit den eingangs aufgezeigten Mindeststandards bzw. Kernanforderungen nicht genügt wird. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass in bestimmten Fällen womöglich einzelnen Personen eine nur unzureichende medizinische Versorgung zuteil wurde oder diese aus dem medizinischen Versorgungssystem herausgefallen sind.

112

Aber selbst dann, wenn für kranke, behinderte oder sonst gesundheitlich besonders schutzbedürftige Personen die garantierte medizinische Not- und Grundversorgung nicht als ausreichend angesehen würde, ergäben sich daraus jedenfalls für die Klägerin, die keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen angeführt hat, keine Bedenken gegen ihre Überstellung nach Italien.

113

e) Soweit es das Asylverfahren als solches, namentlich die Qualität und die Dauer des Verfahrens betrifft, lässt sich ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 EMRK und Art. 4 EuGrdRCH sowie gegen die einschlägigen unionsrechtlichen Richtlinien ebenfalls nicht feststellen.

114

Italien gewährleistet entsprechend dem (Grund-)Recht auf Asyl (gem. Art. 10 Abs. 3 der italienischen Verfassung, verschiedenen Einwanderungs- und Asylverfahrensgesetzen, insbesondere nach dem Gesetz No. 25/2008 vom 28. Januar 2008) ein Schutzverfahren, das auch für Überstellungen nach der Dublin-II-Verordnung greift. Besonderheiten bestehen insoweit nicht (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 3.1.).

115

Der Senat hat keine Anhaltspunkte dafür, dass es hinsichtlich der Qualität oder der Dauer der Asylverfahren einen Grund für Beanstandungen gibt. Insbesondere lässt sich nicht feststellen, dass von einer unverhältnismäßig restriktiven Asylpraxis auszugehen ist. Gegen eine solche Annahme sprechen die Zahlen, die vom Auswärtigen Amt zum Asylverfahren benannt werden. Danach wurden im Jahre 2010 über 14.042 Asylanträge entschieden, davon wurden 2.094 Antragsteller nach der Genfer Konvention anerkannt (15 vom Hundert), 1.789 erhielten subsidiären (13 vom Hundert), 3.675 humanitären Schutz (26 vom Hundert), hingegen wurden 4.698 abgelehnt. 520 Personen waren nicht auffindbar (4 vom Hundert) und 1.266 (9 vom Hundert) sind sonstige Fälle. Dementsprechend lag die Quote der Anerkennungen bzw. der Gewährung eines Bleiberechts bei immerhin 54 vom Hundert (vgl. AA, Auskunft v. 21.02. 2013, Anm. 3.2.). Demgegenüber wurden im Jahre 2011 über 25.626 Asylanträge entschieden. Davon wurden 2.057 Antragsteller nach der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt (8 vom Hundert), 2.569 Personen erhielten subsidiären (10 vom Hundert) und 5.662 humanitären Schutz (22 vom Hundert); 11.131 Personen wurden hingegen abgelehnt (44 vom Hundert) und 2.339 Personen waren nicht auffindbar (9 vom Hundert). Die Anerkennungsquote lag 2011 somit bei 40 vom Hundert, was ebenfalls nicht die Annahme einer unverhältnismäßig restriktiven Praxis rechtfertigt (vgl. AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 3.2.; AA, Auskunft v. 11.07.2012 an VG Freiburg, S. 5 unter Hinweis auf eine entsprechende Statistik des Innenministeriums, abrufbar unter: http://www.interno.it/miniinteno/export/sites/default/it/assets/files/21/0551_statistiche_asilo.pdf).

116

Es kommt hinzu, dass sich die für die Entscheidung der Asylverfahren in erster Instanz zuständigen Territorialkommissionen per Dekret des Innenministers in der Weise zusammensetzen, dass auch jeweils ein Vertreter des UNHCR beteiligt ist (Bundesamt für Migration der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Hintergrundnotiz MILA - Italien Asylverfahren, Bericht vom 23.09.2009, S.4). Dies berechtigt zur Annahme, dass der Ordnungsmäßigkeit des Asylverfahrens eine besondere Beachtung geschenkt wird.

117

Hinsichtlich der Dauer des Asylverfahrens in Italien gibt es ebenfalls nichts zu beanstanden. Über den Asylantrag soll an sich innerhalb von 30 Tagen entschieden werden; zudem wird angestrebt, dass das Gesamtverfahren einschließlich gerichtlicher Überprüfung nicht länger als sechs Monaten dauert, auch wenn es immer wieder Fälle gibt, in denen diese Dauer – manchmal bis zu einem Jahr oder auch länger – überschritten wird (AA, Auskunft v. 21.02.2013 an OVG LSA, Anm. 3.1., 3.2.; ebenso OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 17.06.2013, a. a. O. Rn. 15).

118

Ferner lässt sich nicht feststellen, dass es in Italien während des Asylverfahrens in nennenswerter Weise faktische Beeinträchtigungen in verfahrensrechtlicher bzw. prozessualer Hinsicht gibt. Art. 16 des italienischen Asylverfahrensgesetzes No. 25 vom 28. Januar 2008 garantiert dem Asylbewerber, dass er nach den einschlägigen Prozessvorschriften Anspruch auf eine Rechtsberatung und einen unentgeltlichen Rechtsbeistand im Verfahren hat (vgl. AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 3.4.). Zwar bestehen Zweifel, ob dies auch in der Praxis ausnahmslos Geltung besitzt, wenn man berücksichtigt, dass für die nach Rom zurückkehrenden Dublin-II-Rückkehrern (und in Rom eintreffenden Asylbewerber) die Prozesskostenhilfe davon abhängig gemacht wird, dass zum Nachweis der wirtschaftlichen Bedürftigkeit eine Bescheinigung der jeweiligen Auslandsvertretung beigebracht werden soll. Allein wegen der Tatsache, dass der Asylbewerber im Einzelfall das Verfahren ohne anwaltlichen Beistand durchzuführen hat, soweit kein Anwaltszwang besteht, kann nicht schon von einem (landesweit bestehenden) systemischen Mangel gesprochen werden, der die Annahme einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i. S. d. Grundrechtscharta und EMRK rechtfertigt. Im Übrigen stehen dem Asylbewerber im Asylverfahren auch Übersetzungsdienste zur Verfügung (vgl. AA, Auskunft an OVG LSA v. 21.02.2013, Anm. 2.3. und 3.3.; AA, Auskunft v. 11.07.2012 an VG Freiburg, S. 3).

119

Insbesondere bestehen auch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass – von Ausnahmen abgesehen – die für die Durchführung des Hauptsacheverfahrens erforderliche Erreichbarkeit des Asylbewerbers in Italien nicht sichergestellt wäre. Für eine solche Annahme fehlt es an hinreichend belegten Referenzfällen. Auch gibt es für Italien keine ernst zu nehmenden Quellen, wonach sich die Wahrnehmung von Verfahrensrechten (Antragstellung, Einlegung von Rechtsbehelfen etc.) regelmäßig als derart schwierig erweist, dass diese Rechte faktisch leer laufen würden.

120

Soweit in der Rechtsprechung dennoch vereinzelt – so u. a. das VG Gießen (Beschl. v. 10.03.2011 - 1 L 468/11.GI.A - Juris) und ihm folgend das VG Magdeburg (Beschl. v. 21.11.2011 - 9 A 351/10 -) – die Auffassung vertreten wird, „es erscheine auch die Qualität der Asylverfahren bedenklich“, wird diese Kritik nicht weiter spezifiziert und auch nicht durch entsprechende Erkenntnismittel belegt.

121

f) Ebenso lässt sich anhand des dem Senat vorliegenden Erkenntnismaterials nicht feststellen, dass im Hinblick auf die rechtliche und soziale Situation anerkannter Asylbewerber sowie der Flüchtlinge mit einem Bleiberecht angesichts der in Italien anzutreffenden Lebens- und Versorgungssituation sowie unter Berücksichtigung der insoweit staatlicherseits unternommenen Integrationsbemühungen das Aufnahme- und Asylverfahren in Italien derartige Mängel aufweist, dass es den Anforderungen des europäischen Asylsystems nicht mehr entspricht.

122

Schutzberechtigte, mithin anerkannte Asylbewerber (Asylberechtigte) und Personen mit subsidiärem Schutzstatus nach der Genfer Flüchtlingskonvention erhalten mit ihrer Anerkennung ein unbegrenztes Aufenthaltsrecht; es wird ihnen eine Aufenthaltsberechtigung („permesso di soggiorno“) ausgestellt. Danach genießen sie in Italien dieselben Rechte wie italienische Staatsangehörige (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 7.2.).

123

Dies bedeutet in der Praxis, dass sie sich – ebenso wie italienische Staatsangehörige – grundsätzlich selbst um eine Unterkunft kümmern und auch in eigener Verantwortung einen Arbeitsplatz suchen müssen. Dafür besteht aber ein freier Zugang zum Arbeitsmarkt (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 7.1.). Alle Personen, die in Italien einen Schutzstatus besitzen, haben auch das Recht zu arbeiten (AA, Auskunft v. 21.02.2013, a. a. O.).

124

Sie können ihren Lebensunterhalt dadurch verdienen, dass sie je nach Ausbildung oder Befähigung einer zumindest einfachen Arbeit nachgehen (vgl. AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 5.1.). Anerkannte Asylbewerber und Personen mit einem subsidiären Schutzstatus haben Zugang zu einer Beschäftigung in Italien, wie dies durch Art. 26 und Art. 28 der Qualifikationsrichtlinie (Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004) garantiert wird.

125

Ein staatliches System finanzieller Hilfeleistungen bzw. ein Sozialhilfesystem existiert hingegen nicht. Denn in Italien gibt es für italienische Staatsangehörige – und somit auch für anerkannte Flüchtlinge und Personen mit subsidiärem Schutzstatus, die ihnen gleichgestellt sind – kein national garantiertes Recht auf Fürsorgeleistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes bzw. (sonstige) staatliche Sozialleistungen, jedenfalls soweit sie nicht das 65. Lebensjahr erreicht haben (AA, Auskunft v. 11.07.2012 an das VG Freiburg). Art. 28 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie gewährt hinsichtlich der Sozialleistungen nur einen Anspruch auf Inländergleichbehandlung, nicht aber einen Anspruch auf Privilegierung des anerkannten Flüchtlings.

126

Zwar entspricht es der italienischen Kultur, dass es einen engen Familienzusammenhalt gibt, der im Notfall zumindest die Chance eröffnet, eine (gewisse) Unterstützung durch Familienangehörige in Anspruch nehmen zu können. Dass es eine solche vergleichbare Unterstützung unter den ausländischen Landsleuten gibt, die sich aufgrund ihres Schutzstatus dauerhaft in Italien aufhalten, erscheint nicht ausgeschlossen, dürfte aber die Ausnahme sein. Gleichwohl lässt dieser Umstand nach Auffassung des Senats für sich allein nicht schon die Annahme gerechtfertigt erscheinen, dass der anerkannte Flüchtling und sonstige Schutzberechtigte in Italien deshalb der konkreten Gefahr ausgesetzt wäre, „auf der Straße“ zu leben und zu verelenden.

127

Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass – ebenso wie italienische Staatsangehörige in einer vergleichbaren Situation – auch anerkannte Asylbewerber und schutzberechtigte Flüchtlinge von nichtstaatlichen Hilfsorganisationen, wie beispielsweise durch die CARITA und CIR, Unterstützung bekommen können (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 7.1.). Die Zuständigkeit für die Festsetzung von derartigen öffentlichen Sozialleistungen liegt grundsätzlich im Kompetenzbereich der Regionen. In bestimmten Regionen (z. B. Toskana, Emilia Romagna) wird die Höhe derartiger Leistungen durch die Kommune festgesetzt; die Leistungen weisen insoweit je nach regionaler und kommunaler Finanzkraft deutliche Unterschiede auf (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 7.1.). Diese Erkenntnis deckt sich im Übrigen mit dem Gutachten der Flüchtlingsorganisation borderline-europe e. V. (Gutachten an das VG Braunschweig vom Dezember 2012) und der Auskunft der italienischen Vereinigung für rechtliche Untersuchungen zur Situation von Einwanderung (ASGI-Bericht vom 20. November 2011, S. 10 f.). Danach erhalten ebenfalls anerkannte Asylbewerber und Personen, denen internationaler Schutz gewährt worden ist, Unterstützungen allgemeiner Art, wie sie auch für andere mittellose Personen in Italien vorgesehen sind.

128

Überdies ist für anerkannte Flüchtlinge und Personen mit subsidiärem Schutzstatus ein kostenfreier Zugang zu allen öffentlichen medizinischen Leistungen wie Arzt, Zahnarzt, Krankenhaus gewährleistet (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 7.1.). Ein Anspruch auf Einhaltung bestimmter Mindeststandards im Hinblick auf die Gewährung von Unterkunft sowie auf eine gewisse materielle Unterstützung besteht für sie auch nach dem Unionsrecht nicht; ein solcher Anspruch besteht nur für Asylbewerber (EGMR, Urt. v. 21.01.2011 - 30696/09 - M.S.S. v. Belgium and Greece; EuGH, Urt. v. 21.12. 2011 - C-411/10 und C-493/10 - N.S. und M.E.), denn nach den Bestimmungen der Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 steht Asylbewerbern und Schutzsuchenden zwar ein subjektives Recht auch auf eine angemessene Fürsorge zu. Nach Art. 3 Abs. 1 der genannten Richtlinie haben Asylbewerber jedoch nur solange Anspruch auf die in Art. 5 ff. der Richtlinie bezeichneten humanitären Leistungen, solange sie „als Asylbewerber im Hoheitsgebiet verbleiben dürfen“. „Asylbewerber“ im Sinne der Richtlinie ist dabei ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser, der einen Asylantrag gestellt hat, über den noch nicht entschieden wurde.

129

Soweit anerkannten Asylbewerbern und schutzberechtigten Flüchtlingen in der Zivilbevölkerung vereinzelt Vorbehalte entgegen gebracht werden und sich diese Vorbehalte womöglich auch im Verhalten von Amtsträgern widerspiegeln sollten, lässt sich diesem Umstand keine selbständige rechtliche Bedeutung beimessen. Die gilt selbst dann, wenn der genannte Personenkreis im Alltag womöglich Benachteiligungen erfahren sollte. Denn die genannten Umstände lassen nicht den Schluss zu, dass das Aufnahme- und Asylverfahren in Italien schon allein aus diesem Grunde den Regeln des europäischen Asylsystems zuwiderläuft.

130

Nach allem erübrigt sich hier die Erörterung der weitergehenden Frage, ob und inwieweit auch möglicherweise jene (unionsrechtlichen) Rechtsverletzungen für die Entscheidung über den Selbsteintritt nach Art. 3 Abs. 2 der Dublin-II-VO relevant sind, die Personen betreffen, bei denen das Asylverfahren bereits mit einer Anerkennung bzw. mit einem subsidiären Schutzstatus abgeschlossen ist (vgl. hierzu VG Regensburg, Beschl. v. 16.08.2012 - RN 7 S 12.30273 -).

131

g) Zur Überzeugung des Senats steht auch bei der gebotenen Zukunftsprognose nicht zu erwarten, dass angesichts eines unvermindert anhaltenden oder wieder zunehmenden Flüchtlingsstroms nach Italien sich die dort anzutreffenden Verhältnisse (wieder) verschlechtern werden. So verhält es sich jedenfalls dann, wenn man bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats Folgendes in Rechnung stellt:

132

Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes ist in Italien gegenwärtig nicht (mehr) von einem Anstieg des Zustroms von Asylbewerbern und Flüchtlingen auszugehen (AA, Auskunft v. 21.02.2013 Anm. 9.1. und 9.2.). Diese Entwicklung wird auch durch das dem Senat vorliegende Zahlenmaterial belegt. Laut Berichterstattung in der Presse (Spiegel online v. 26.04.2011) haben von Januar bis Ende April 2011 allein 26.000 Flüchtlinge in Italien um Schutz nachgesucht. Demgegenüber wurden laut Auskunft des Auswärtigen Amtes im ersten Halbjahr 2012 nur insgesamt 5.580 Asylanträge in Italien gestellt (AA, Auskunft v. 21.01.2013 Anm. 3.2.).

133

Insbesondere ist auch ein deutlicher Rückgang von Anlandungen im Süden Italiens zu verzeichnen. Im Jahr 2011 waren es noch 62.692 Personen, im Jahre 2012 hingegen nur noch 13.267 Personen (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 9.1. und 9.2.). Dies ist – wie das Auswärtige Amt in nachvollziehbarer Weise feststellt – vor allem auf die Beruhigung der Lage in den Nordafrikanischen Staaten zurückzuführen (AA, a. a. O.).

134

Im Übrigen ist auch in der Gesamtschau des letzten Jahrzehnts nicht von einem kontinuierlichen und erheblichen Zuwachs an Asylbewerbern und Flüchtlingen in Italien auszugehen, so dass etwa deshalb die Annahme einer nicht (mehr) zu bewältigenden “Überlastung“ des Asylsystems in Italien begründet wäre. In der ersten Hälfte des letzten Jahrzehnts waren die Zahlen bis 2006 vielmehr rückläufig, die Zahl der Asylantragsteller ging insoweit von 24.000 auf 10.000 zurück. In den Jahren 2008 und 2011 gab es dann in den Spitzen über 30.000 Asylbewerber, während es im Jahre 2012 allerdings wieder weniger als 15.000 Bewerber waren. Bei den genannten Spitzen handelte es sich somit um temporäre Erscheinungen aufgrund der politischen Entwicklungen im Zusammenhang mit dem “arabischen Frühling“ (vgl. AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 9.1.2.). Auch ist nach aktueller Einschätzung, namentlich vor dem Hintergrund der politischen Entwicklung in den Mittelmeer-Anrainerstaaten, nicht damit zu rechnen, dass die Zahl der Asylbewerber und Flüchtlinge in Italien in absehbarer Zeit ansteigen wird (AA, Auskunft v. 21.02.2013, Anm. 9.1.3.).

135

Nach allem erweist sich die in der einschlägigen Rechtsprechung vielfach angeführte Begründung, dass wegen der zu erwartenden weiteren Flüchtlingsströme von Afrika nach Italien infolge der kriegerischen Auseinandersetzungen und der damit einhergehenden instabilen Verhältnisse in Nordafrika sich die Entwicklung in Italien in absehbarer Zeit voraussichtlich nicht verbessern, sondern eher noch verschlechtern wird (so u. a. VG Stuttgart, Beschl. v. 02.07.2012 - A 7 K 1877/12 - ) als nicht (mehr) tragfähig.

136

Insbesondere lässt sich auch der Stellungnahme des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen – UNHCR – vom 24. April 2012 an das Verwaltungsgericht Braunschweig kein Anhaltspunkt dafür entnehmen, dass ernsthaft zu befürchten ist, dass die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Italien grundlegende Mängel im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs aufweisen. Nach dem Inhalt dieser Stellungnahme wurden in Italien die regionalen Regierungen im Jahr 2011 nach Ankunft einer erheblichen Zahl von Personen aus Nordafrika ausdrücklich gebeten, zusätzliche Aufnahmeeinrichtungen zu schaffen. Zwischen den Regierungen und den örtlich zuständigen Behörden wurde zudem eine Vereinbarung getroffen, in der die Kriterien für die landesweite Verteilung von bis zu 50.000 Personen festgehalten wurden. Der UNHCR erkennt vor diesem Hintergrund an, dass in den letzten Jahren Verbesserungen des Aufnahmesystems stattgefunden haben und die CARA-, CDA- und SPRAR-Projekte insgesamt in der Lage sind, dem Aufnahmebedarf einer signifikanten Anzahl von Asylsuchenden nachzukommen (UNHCR, a. a. O. S. 3).

137

Dass die Verhältnisse zwischen Italien und Griechenland – wie gelegentlich behauptet wird – vergleichbar sind, vermag der Senat nicht festzustellen. Dies bedarf aber auch keiner Vertiefung, weil es hierauf nicht entscheidend ankommt. Dennoch bleibt festzustellen, dass der UNHCR – anders als in Bezug auf Griechenland – für Italien jedenfalls keine Empfehlung ausgesprochen hat, von einer Überstellung bzw. Abschiebung von Dublin-II-Flüchtlingen nach Italien abzusehen. Der Senat misst diesem Umstand kein geringes Gewicht bei. Soweit vereinzelt der Einwand erhoben wird, dies sei dem Umstand geschuldet, dass der UNHCR „politische Rücksichten zu nehmen habe“, ist dies durch Nichts belegt. Zwar hat – ausweislich des Tagungsberichts von Nora Markard zum 12. Berliner Symposium zum Flüchtlingsschutz vom 18.-19. Juni 2012 in Berlin (ZAR 10/2012 S. 380 ff. S. 381 zur Situation in Italien) – der UNHCR Senior Regional Protection Associate Jürgen Humberg im Hinblick auf die deutsche Debatte über die Zulässigkeit von Abschiebungen nach Italien angeblich betont, dass der Umstand, dass der UNHCR bisher kein Positionspapier zu Italien veröffentlicht habe, nicht bedeute, dass in Italien „alles in Ordnung sei“; eine solche Schlussfolgerung, den einige Verwaltungsgerichte zögen, sei unzulässig. Auch diese Äußerung veranlasst den Senat nicht zu einer anderen Einschätzung im Hinblick darauf, dass sich der UNHCR – anders als in anderen Fällen – einer entsprechenden offiziellen Stellungnahme bzw. Empfehlung, von einer Rückführung von Asylbewerbern nach Italien abzusehen, enthalten hat. Dies bedeutet keineswegs, dass der Senat der Auffassung wäre, in Italien „sei alles in Ordnung“; hieraus aber folgt eben noch nicht, dass in Bezug auf das Asyl- und Aufnahmeverfahren in Italien systemische Mängel feststellbar sind, die eine Verletzung der Europäischen Grundrechtscharta oder der Menschenrechtskonvention darstellen.

138

Festzustellen bleibt überdies, dass der UNHCR auch in seinem jüngsten Bericht (UNHCR - Recommendations on important aspects of Refugee protection in Italy) vom Juli 2013 trotz zahlreicher kritischer Anmerkungen bei seiner Einschätzung zur aktuellen Lage der Flüchtlinge und Asylbewerber in Italien zu keinem anderen Ergebnis gekommen ist.

139

Schließlich hat auch der EGMR in einer neueren Entscheidung vom 02. April 2013 (Ap-plication No. 27725/10 - Mohammed Hussein vs. the Netherlands and Italy) eine gegen die Dublin-Überstellung von den Niederlanden nach Italien gerichtete Beschwerde als offensichtlich unbegründet abgewiesen. In der Entscheidung hat sich der EGMR mit dem Vorbringen der Beschwerdeführerin, einer nach eigenen Angaben aus Somalia stammenden Frau mit zwei kleinen Kindern, zum Asylverfahren und auch zur Unterbringungssituation in Italien auseinander gesetzt und festgestellt, dass die Situation in Italien keineswegs mit der in Griechenland vergleichbar sei (Entscheidung v. 02.04. 2013, a. a. O. Rdn. 72). Auch aus dem Umstand, dass der EGMR in einer früheren Entscheidung (Application No. 64208/11) die Abschiebung eines Asylbewerbers von Deutschland nach Italien gestoppt hat, lässt sich nicht herleiten, dass Italien generell die Anforderungen des europäischen Asylsystems nicht erfüllt. Die Gründe für den mit der genannten Entscheidung verhängten Abschiebungsstopp sind letztlich nicht bekannt. Dem „Statement of Facts“ ist indes zu entnehmen, dass sich der dortige Antragsteller zwar auch auf die Lebensumstände von Flüchtlingen und Asylsuchenden in Italien berufen hat, jedoch insbesondere im Raum stand, dass er durch die Abschiebung aufgrund unterschiedlicher Entscheidungen der Verwaltungsgerichte Münster und Magdeburg von seiner Frau und seinen Kindern getrennt werden würde, deren Abschiebung gestoppt wurde. Weitere Fälle des EGMR (Application No. 30815/09, Application No. 37159/09, Application No. 56424/10) betrafen unbegleitete Minderjährige und die spezielle Situation einer Mutter mit einem minderjährigen Kind (Application No. 2303/10).

140

Im Übrigen haben sowohl der Österreichische Asylgerichtshof (Spruch v. 03.05. 2010 - S16 412.104-1/2010-4E -, veröffentlicht unter http://www.ris.bka.gv.at, dort insbes. Ziffer 2.2.2.2.1. "Kritik am italienischen Asylwesen" m. w. N.) als auch das Schweizerische Bundesverwaltungsgericht (vgl. u. a. Urt. v. 15.07.2010 - D 4987/ 2010 - und Urt. v. 18.03.2010 - D-1496/2010 -, im Internet abrufbar unter: http://www.bundes verwaltungsgericht.ch/index/entscheide/Jurisdiction-datenbank/Jurisdiction-recht-urteile aza.htm) die Rückführung von Asylsuchenden nach Italien in Ansehung der dortigen Asylverfahrenspraxis grundsätzlich als zulässig angesehen. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf den Inhalt der angeführten Entscheidungen Bezug genommen.

141

Auch der Umstand, dass zahlreiche Verwaltungsgerichte hinsichtlich der Situation der Asylbewerber und Flüchtlinge in Italien zu einer gegenteiligen Einschätzung hinsichtlich der Verhältnisse und des Asylsystems in Italien gelangt sind, veranlasst den Senat nicht zur Annahme, dass die Behandlung der Asylbewerber und Flüchtlinge in Italien nicht in Einklang steht mit den Erfordernissen der Europäischen Grundrechtscharta, der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention. Nach Auffassung des Senats wird in der insoweit einschlägigen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte häufig nicht hinreichend dem Umstand Rechnung getragen, dass es sich bei den zugrunde gelegten Erkenntnismitteln nicht selten um bloße subjektive Einschätzungen handelt, die nicht in der erforderlichen Weise durch Fakten belegt sind. Auch erscheint mitunter fraglich, ob die insoweit festgestellten Mängel und Defizite verallgemeinerungsfähig sind. Nicht zuletzt haben sich die Verhältnisse in Italien – wie dargelegt – zwischenzeitlich teilweise geändert, so etwa in Bezug auf den Flüchtlingsstrom aus Nordafrika und die Anzahl der für die Asylbewerber und Flüchtlinge zur Verfügung stehenden Unterkünfte. Im Übrigen ist Gegenstand der Prüfung nach § 3 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (Dublin-II-VO) nicht die Frage, ob die Aufnahmebedingungen und das Asylverfahren für Flüchtling und Asylbewerber kritikwürdig sind, weil das System zahlreiche Mängel aufweist oder hinter dem Schutzniveau anderer Mitgliedstaat zurückbleibt.

142

Der Senat sieht auch keine Veranlassung, weitere Gutachten, Auskünfte oder Stellungnahmen zur Situation von Asylbewerbern und Flüchtlingen in Italien einzuholen. Nach anerkannter Rechtsauffassung ist die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens nur dann geboten, wenn sich dem Gericht eine weitere Beweiserhebung aufdrängen musste, weil bereits vorliegende Gutachten, Auskünfte oder Stellungnahmen nicht den ihnen obliegenden Zweck erfüllen (konnten), dem Gericht die zur Feststellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts notwendige Sachkunde zu vermitteln und ihm dadurch die Bildung der für die Entscheidung notwendigen Überzeugung zu ermöglichen. In diesem Sinne kann z. B. ein Sachverständigengutachten für die Überzeugungsbildung des Gerichts ungeeignet oder jedenfalls unzureichend sein, wenn es grobe, offen erkennbare Mängel oder unlösbare Widersprüche aufweist, wenn es von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgeht oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde oder der Unparteilichkeit des Gutachters besteht (BVerwG, Beschl. v. 14.04.2011 - 2 B 80/10 - m. w. N., Juris). Dies ist hier aber nicht der Fall. Zwar sind die dem Senat vorliegenden zahlreichen Gutachten, Auskünfte und Stellungnahmen nicht in allen Punkte stets konsistent und völlig frei von gewissen Widersprüchen; soweit es indes die im vorliegenden Fall entscheidungserheblichen Tatsachen und Erkenntnisse betrifft, sind diese aufgrund der herangezogenen Erkenntnismittel zur Überzeugung des Senats hinreichend geklärt und eindeutig und mithin für die Überzeugungsbildung ausreichend.

143

Der Senat sieht insbesondere auch keine Veranlassung, an der Tauglichkeit des vorhandenen Erkenntnismaterials für die hier entscheidungsrelevanten Fragen zu zweifeln. Dies gilt speziell auch hinsichtlich des Beweiswertes der Auskünfte des Auswärtigen Amtes, da sie grundsätzlich eine sich auf unterschiedliche Erkenntnisquellen stützende Gesamtbewertung vornehmen und zudem im Allgemeinen den tatsächlichen Verhältnissen am nächsten kommen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 31.08.2006 - 1 B 24.06 - Juris; Beschl. v. 06.10.1997 - 9 B 803.97 - Juris; Beschl. v. 08.09.1997 - 9 B 401.97 -; Beschl. v. 15.10. 1985 - 9 C 3.85 - Juris sowie Beschl. v. 31.07.1998 - 9 B 71.85 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 28 = Juris). Nicht anders verhält es sich hier. So beruhen die den Auskünften des Auswärtigen Amtes zugrunde liegenden Erkenntnisse auf laufenden Gesprächen der Botschaft Rom mit dem italienischen Flüchtlingsrat CIR, UNHCR und IOM in Rom, den Präsentationen des italienischen Innenministeriums und des statistischen Amtes ISTAT sowie schließlich auf Kontakten zu nichtstaatlichen karitativen Organisationen wie Carita Migrantes, Comunità di Sant’ Egidio u. a..

144

Nach allem vermag der Senat nicht zur Überzeugung zu gelangen, dass ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urt. v. 21.12.2011, a. a. O.) die Annahme rechtfertigen, dass die Klägerin aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Italien im Falle einer Abschiebung bzw. Überstellung dorthin Gefahr laufen wird, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i. S. d. Art. 3 EMRK und § 4 EuGrdRCH ausgesetzt zu werden und dass sich deshalb die Rücküberstellung als rechtswidrig erweist.

III.

145

Soweit das Bundesamt in dem angefochtenen Bescheid zugleich die Abschiebung der Klägerin nach Italien gem. § 34 Abs. 1 AsylVfG angeordnet hat, bestehen gegen die Rechtmäßigkeit dieser Anordnung keine Bedenken.

146

§ 34a AsylVfG überantwortet die Entscheidung über die Abschiebung dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, so dass dieses die Abschiebungsanordnung verfügt. Das Bundesamt ordnet dabei nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a AsylVfG) an, sobald feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Abschiebungsverbote sind nicht ersichtlich.

147

IV. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83b AsylVfG. Die Entscheidung hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 ZPO.

148

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§§ 132 Abs. 2, 137 VwGO).


Tenor

Das angefochtene Urteil wird geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, in beiden Rechtszügen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 vom Hundert des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 vom Hundert des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.


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(1) Zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände sind die erforderliche ärztliche und zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln sowie sonstiger zur Genesung, zur Besserung oder zur Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderlichen Leistungen zu gewähren. Zur Verhütung und Früherkennung von Krankheiten werden Schutzimpfungen entsprechend den §§ 47, 52 Absatz 1 Satz 1 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch und die medizinisch gebotenen Vorsorgeuntersuchungen erbracht. Eine Versorgung mit Zahnersatz erfolgt nur, soweit dies im Einzelfall aus medizinischen Gründen unaufschiebbar ist.

(2) Werdenden Müttern und Wöchnerinnen sind ärztliche und pflegerische Hilfe und Betreuung, Hebammenhilfe, Arznei-, Verband- und Heilmittel zu gewähren.

(3) Die zuständige Behörde stellt die Versorgung mit den Leistungen nach den Absätzen 1 und 2 sicher. Sie stellt auch sicher, dass den Leistungsberechtigten frühzeitig eine Vervollständigung ihres Impfschutzes angeboten wird. Soweit die Leistungen durch niedergelassene Ärzte oder Zahnärzte erfolgen, richtet sich die Vergütung nach den am Ort der Niederlassung des Arztes oder Zahnarztes geltenden Verträgen nach § 72 Absatz 2 und § 132e Absatz 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch. Die zuständige Behörde bestimmt, welcher Vertrag Anwendung findet.

(1) Soll der Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26a) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Absatz 1 Nummer 1) abgeschoben werden, ordnet das Bundesamt die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Dies gilt auch, wenn der Ausländer den Asylantrag in einem anderen auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat gestellt oder vor der Entscheidung des Bundesamtes zurückgenommen hat. Einer vorherigen Androhung und Fristsetzung bedarf es nicht. Kann eine Abschiebungsanordnung nach Satz 1 oder 2 nicht ergehen, droht das Bundesamt die Abschiebung in den jeweiligen Staat an.

(2) Anträge nach § 80 Absatz 5 der Verwaltungsgerichtsordnung gegen die Abschiebungsanordnung sind innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen. Die Abschiebung ist bei rechtzeitiger Antragstellung vor der gerichtlichen Entscheidung nicht zulässig. Anträge auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots durch das Bundesamt nach § 11 Absatz 2 des Aufenthaltsgesetzes sind innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen. Die Vollziehbarkeit der Abschiebungsanordnung bleibt hiervon unberührt.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jedem Teil zur Hälfte zur Last. Einem Beteiligten können die Kosten ganz auferlegt werden, wenn der andere nur zu einem geringen Teil unterlegen ist.

(2) Wer einen Antrag, eine Klage, ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf zurücknimmt, hat die Kosten zu tragen.

(3) Kosten, die durch einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entstehen, fallen dem Antragsteller zur Last.

(4) Kosten, die durch Verschulden eines Beteiligten entstanden sind, können diesem auferlegt werden.