Verwaltungsgericht Düsseldorf Urteil, 11. Nov. 2014 - 22 K 6836/13
Tenor
Die Ziffern 1 und 2 der Ordnungsverfügung vom 10. Juli 2013 werden aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Hinterlegung oder Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in dieser Höhe leistet.
1
Tatbestand:
2Der am 0.0.1995 im Bundesgebiet in X. geborene Kläger ist polnischer Staatsangehöriger. Seine Mutter ist ebenfalls polnische Staatsangehörige, sein Vater stammt aus Jordanien. Von diesem leitet er nach seinen Angaben zusätzlich die jordanische Staatsangehörigkeit ab. Als der Kläger ein Jahr alt war, trennten sich seine Eltern. Sein Vater lebte fortan in Jordanien. Seine Mutter zog zunächst mit dem Kläger und seinem älteren Bruder wieder nach Polen. Dort besuchte der Kläger Kindergarten und Grundschule. Im Jahr 2006 reiste zunächst die Mutter des Klägers alleine wieder nach Deutschland ein. Der Kläger und sein Bruder blieben zunächst bei der Großmutter in Polen. Am 8. November 2007 meldete die Mutter des Klägers ihre beiden Söhne wieder im Bundesgebiet an und bat um die Ausstellung einer Freizügigkeitsbescheinigung-EU für diese. In der Folgezeit ist der Kläger vielfach strafrechtlich in Erscheinung getreten. Das erste Ermittlungsverfahren gegen ihn (wegen gefährlicher Körperverletzung) wurde im August 2008 eingeleitet, aber gemäß § 19 StGB (Schuldunfähigkeit eines Kindes, das bei der Begehung der Tat noch nicht 14 Jahre alt war) eingestellt. Das folgende Ermittlungsverfahren (wegen Ladendiebstahls) aus Februar 2010 wurde wegen Geringfügigkeit eingestellt. Ferner waren gegen den Kläger im Jahr 2010 Ermittlungsverfahren wegen Diebstahls (00 Js 0000/10), wegen gefährlicher Körperverletzung (00 Js 0000/10), wegen räuberischer Erpressung (00 Js 0000/10), wegen Raubes (00 Js 0000/10) und wegen Körperverletzung (00 Js 0000/10) bei der Staatsanwaltschaft E. anhängig. Am 4. November 2010 wurde der Kläger von Amts wegen nach unbekannt abgemeldet. Am gleichen Tag ordnete das Amtsgericht O. mit Haftbefehl die Untersuchungshaft gegen den Kläger an, da er zum Hauptverhandlungstermin in der Strafsache 00 Ls‑00 Js 0000/10‑000/10 beim Amtsgericht O. am 4. November 2010 unentschuldigt nicht erschienen war und sich laut Angaben seiner Mutter bei seinem Vater in Jordanien aufhalte.
3Bei einer örtlichen Überprüfung der Anschrift seiner Mutter durch Mitarbeiter der Ausländerbehörde der Beklagten am 25. Februar 2011 gab die Mutter des Klägers an, der Kläger sei etwa 6 Monate zuvor nach Jordanien verzogen.
4Am 14. Juli 2011 meldete sich der Kläger wieder unter der Anschrift seiner Mutter in O. an. Mit Urteil vom 4. August 2011 (00 Ls‑00 Js 0000/10‑000/10) verhängte das Amtsgericht O. gegen den Kläger wegen gefährlicher Körperverletzung, Diebstahls und Raubes in zwei Fällen einen Dauerarrest von zwei Wochen und verpflichtete ihn zu 100 Arbeitsstunden sowie der Teilnahme an einem Anti-Aggressionstraining. Die in diesem Strafverfahren beteiligte Jugendgerichtshilfe berichtete über den Kläger, dass dieser bei seiner Wiedereinreise nach Deutschland im Jahr 2007 wegen seiner geringen Deutschkenntnisse zunächst auf der Hauptschule eingeschult worden, auf Grund guter Leistungen nach einem halben Jahr aber auf ein Gymnasium gewechselt sei. Nach kurzer Zeit sei es dort zu einem starken Leistungsabfall gekommen, sodass der Kläger ab Januar 2010 eine Gesamtschule besucht habe, zuletzt im Herbst 2010 die 9. Klasse. Seit seiner Ausreise nach Jordanien habe er keine Schule mehr besucht. Zeitgleich zu den schulischen Problemen hätten Probleme zu Hause begonnen. Der Kläger habe sich dort an keine Regeln mehr gehalten. Ohne Wissen seiner Mutter habe er die Ausreise zu seinem Vater nach Jordanien arrangiert und sei im Herbst 2010 dorthin entwichen. Dort habe er nach seinen Angaben keine guten Erfahrungen gemacht. Von seinem Vater sei er einmal massiv geschlagen worden. Er habe über das Internet Kontakt zu seiner Mutter aufgenommen, die sich um seine Rückführung nach Deutschland bemüht habe, was im Frühjahr 2011 ohne Wissen des Vaters gelungen sei. Zum Vater wolle er keinen Kontakt mehr haben. Die Mutter des Klägers habe im Gespräch mit der Jugendgerichtshilfe ge-äußert, dass sie sich Sorgen um die Entwicklung ihres Sohnes mache. Auch die Jugendlichen, mit denen der Kläger Kontakt habe, schätze die Mutter als problematisch ein.
5Am frühen Morgen des 1. November 2011 erstattete der Kläger bei der Kreispolizeibehörde O. Anzeige gegen Herrn C. B. wegen Körperverletzung. Er gab an, am 31. Oktober 2011 gegen 17.00 Uhr zum Gebet in die Moschee in O. ‑X1. , C1. -M. -Straße, gegangen zu sein. Dort sei er von dem Vorbeter, Herrn C. B. , angeschrien worden, weil er und sein Freund das Gebet gestört hätten. Ferner sei er von Herrn B. zur Ausgangstüre geführt und dort von ihm geschubst worden, so dass er mit der rechten Kopfseite gegen den Metallrahmen der Türe geknallt sei. Er sei gestürzt und habe sich auch am Arm wehgetan. Anschließend sei er in das M1. -Krankenhaus gegangen. Ausweislich des vom Kläger vorgelegten Notfallscheins des M1. -Krankenhauses vom 31. Oktober 2014 wurden bei ihm eine Schwellung und ein Hämatom an der Schläfe festgestellt. Diese Angaben führten zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen Herrn B. .
6Mit Urteil vom 1. Dezember 2011 (00 Ls‑00 Js 00000/11‑000/11) verurteilte das Amtsgericht O. den Kläger wegen Beleidigung in zwei Fällen und Bedrohung zu einer Einheitsjugendstrafe von 6 Monaten auf Bewährung. Die Aussetzung der Bewährung wurde mit Auflagen verbunden und für den Fall einer Zuwiderhandlung gegen die Auflagen die Verhängung eines bis zu vierwöchigen Arrests angedroht. Die in diesem Verfahren beteiligte Jugendgerichtshilfe berichtete über den Kläger, dass dieser seit dem letzten Bericht zunächst eine Schulwerkstatt beim L. -Bildungswerk besucht habe, dieser Maßnahme jedoch nach vorheriger Abmahnung verwiesen worden sei, weil er sich vielfach nicht an die Regeln gehalten und sich vor allem weiblichem Personal gegenüber zeitweise respektlos verhalten habe. Nach Angaben seiner Mutter sei er seit ein paar Monaten in einer islamischen Gemeinschaft aktiv und habe sich verändert. So mache und höre er keine Musik mehr ‑ was ihm bis vor kurzem wichtig gewesen sei ‑, weil ihm das von der religiösen Gruppe verboten worden sei.
7Die Ausländerbehörde der Beklagten verwarnte den Kläger mit Schreiben vom 12. Januar 2012 und wies ihn darauf hin, dass er im Falle der Begehung weiterer Straftaten damit rechnen müsse, ausgewiesen zu werden.
8Im Juli 2012 wandte sich der polizeiliche Staatsschutz an die Ausländerbehörde der Beklagten und bat um Akteneinsicht. Hintergrund waren Informationen der Polizei, dass sich der Kläger an Ausschreitungen bei Demonstrationen im Mai 2012 beteiligt habe. Ein Verfahren gegen den Kläger wegen Versammlungssprengung (Tatzeit am 4. Mai 2012, Tatort E. , Az.: 00 Js 000/12) wurde laut Mitteilung der Staatsanwaltschaft E. vom 20. Oktober 2012 gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.
9In der Strafsache gegen Herrn B. , der die Anzeige des Klägers zu Grunde lag, kam es am 13. September 2012 zur Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht O. (0 Cs‑00 Js 0000/11-00/12). Der Kläger gab ‑ als Zeuge befragt ‑ an, er habe an dem betreffenden Tag Marihuana geraucht und das Gebet durch Lachen gestört. Herr B. habe ihn gebeten, die Moschee zu verlassen. Da er sich geweigert habe, habe Herr B. ihn zur Tür gebracht. Dort sei er gestolpert. Herr B. habe ihn nur leicht geschubst. Er sei zur Polizei gegangen, weil er wegen des Marihuana-Konsums "komisch drauf" gewesen und etwas sauer gewesen sei. Seine Mutter habe seine beiden Pässe in Besitz genommen. Er habe die Anzeige erstatten müssen, um seinen Pass zurück zu bekommen. Herr B. ist sodann von dem Vorwurf der Körperverletzung freigesprochen worden. Gegen den Kläger leitete die Staatsanwaltschaft E. ein Strafverfahren wegen falscher Verdächtigung ein (00 Js 00000/12).
10Das Polizeipräsidium E. ‑ Staatsschutzabteilung ‑ gab der Ausländerbehörde der Beklagten im August 2012 zur Kenntnis, dass der Kläger seinen jordanischen Pass als verloren gemeldet habe und seine Mutter ohne sein Wissen seinen polnischen Pass aufbewahre. In einer weiteren Mitteilung vom 29. Oktober 2012 gab sie zudem an, der Kläger sei vermutlich zu seinem Vater nach Jordanien ausgereist.
11Am 13. Juni 2013 stellte das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) ein Behördenzeugnis betreffend den Kläger aus. Darin heißt es:
12„Der jordanische und polnische Staatsangehörige B1. B2. O1. , geboren 0.0.1995 in X. /Deutschland, wurde dem BfV im Februar 2012 bekannt, da er sich zu dieser Zeit intensiv dem Islam zuwandte und sich zusehends radikalisierte. In der Folge unterhielt B2. O1. Kontakte zu Angehörigen der zwischenzeitlich verbotenen „Millatu Ibrahim“ Bewegung. Er war zu diesem Zeitpunkt dem salafistischen Personenumfeld im Raum T. /E. zuzuordnen.
13B1. B2. O1. war Teilnehmer an den gewalttätigen Ausschreitungen von Salafisten am 5. Mai 2012 in C2. . Weiter soll er nach Erkenntnissen des BfV im Vorfeld einer Demonstration am 4. Mai 2012 in E. sogenannte Molotov‑Cocktails vorbereitet und den Einsatz derselben bei einer Demonstration beabsichtigt haben. B1. B2. O1. wurde diesen Erkenntnissen zufolge neben anderen Personen im Vorfeld der Demonstration von der Polizei in Gewahrsam genommen, dabei seien bei B2. O1. ein Teleskop-Schlagstock und Reizgas sichergestellt worden. Nach Verbüßung eines vierwöchigen Jugendarrestes im Zeitraum von 4. Juni 2012 bis zum 3. Juli 2012 rief er zur „Unterstützung muslimischer Gefangener“ auf.
14Dem zu diesem Zeitpunkt noch minderjährigen B2. O1. gelang am 1. Oktober 2012, mutmaßlich mit Falschdokumenten, die Ausreise zu seinem leiblichen Vater nach Jordanien. Die Mutter von B2. O1. zeigte bei der Polizei dessen Ausreise in ein „Terrorcamp“ an. Seit spätestens Januar 2013 hält sich B2. O1. nach Informationen des BfV in Syrien auf. Dem BfV liegen darüber hinaus Erkenntnisse vor, dass B1. B2. O1. sich der in Syrien kämpfenden jihadistischen Gruppe „Ansar B2. -Sham“ angeschlossen hat.“
15Mit Schreiben vom 21. Juni 2013 teilte das Polizeipräsidium E. der Ausländerbehörde der Beklagten in Bezug auf das vorstehend zitierte Behördenzeugnis des Bundesamtes für Verfassungsschutz mit, dass der Kläger tatsächlich kurz vor der Demonstration am 4. Mai 2012 gestoppt worden sei, da er zwei schwarze Metallstangen (jeweils ca. 100 cm lang mit Gewinde) und Reizgas mit sich geführt habe. Er sei mit anderen Personen, die ebenfalls Reizgas mit sich geführt hätten, daraufhin der Gefangenensammelstelle im Polizeipräsidium E. zugeführt worden. Die im Behördenzeugnis aufgeführten Gegenstände seien bei dem Kläger nicht gefunden worden. Zu dem Kläger bestünden umfangreiche, allgemein-kriminalpolizeiliche Erkenntnisse. Er habe 2012 in C2. an einer Gegendemonstration anlässlich der Wahlkampftour der Bürgerbewegung Q. O2. teilgenommen, auf der es zu massiven Auseinandersetzungen mit der Polizei gekommen sei. Auf der Titelseite der E1. „F. “ Ausgabe vom 6. Mai 2012 sei der Kläger schlagbereit mit einer erhobenen Latte abgebildet.
16Am 24. Juni 2013 gefertigte Ausdrucke von Internet-Presseartikeln über gewalttätige Ausschreitungen radikaler Salafisten am Samstag, den 5. Mai 2012, anlässlich einer Wahlkampfveranstaltung von Q. O2. in C2. wurden zur Ausländerakte genommen. Einer dieser Presseartikel (veröffentlicht unter „www.F1. .de“) beinhaltet auch ein dpa‑Foto, auf dem laut Bildunterschrift ein islamistischer Demonstrant eine Latte in der Hand hält. Die abgebildete Person weist Ähnlichkeit auf mit Aufnahmen, die vom Kläger anlässlich erkennungsdienstlicher Behandlungen im Juni 2010 und im August 2012 gefertigt wurden.
17Die Mutter des Klägers erklärte bei einer Vorsprache bei der Ausländerbehörde der Beklagten am 1. Juli 2013, sie wisse nicht, wo sich dieser aufhalte. Er habe sich am 29. September 2012 ohne ihr Wissen und ihre Zustimmung ins Ausland abgesetzt. Daraufhin habe sie sich bei der Polizei gemeldet und dort um Hilfe gebeten. Durch neue Freunde habe sich sein Verhalten sehr islamisiert. Er sei nach dem Urlaub bei seinem Vater und durch Freunde in die islamistische Szene in X1. geraten. Sie habe seinen polnischen Reisepass versteckt, ihn hierdurch aber nicht an einer Ausreise hindern können. Sie werde sich bei der Ausländerbehörde melden, sobald sie wieder etwas von ihrem Sohn höre.
18Mit Ordnungsverfügung vom 10. Juli 2013 stellte die Beklagte den Verlust des Rechts des Klägers auf Freizügigkeit im Bundesgebiet gemäß § 6 Abs. 1 FreizügG/EU fest. Ferner drohte die Beklagte dem Kläger an, ihn nach Polen abzuschieben, wenn er das Bundesgebiet nicht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Bescheides verlasse. Die sofortige Vollziehung der Verlustfeststellung wurde gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO angeordnet. Die Beklagte stützte die Verlustfeststellung auf die Angaben in den Behördenzeugnissen des Bundesamtes für Verfassungsschutz und des Polizeilichen Staatsschutzes und führte ergänzend aus: Die Entscheidung stehe im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde. Der Kläger habe durch sein aktives Verhalten deutlich gemacht, dass er den Werten einer rechtsstaatlichen Demokratie ablehnend gegenüberstehe. Er setze sich aktiv für die Abschaffung der hier herrschenden Gesellschaftsordnung, auch unter Anwendung von Gewalt, ein. Dass er sogar bereit sei, für seine Überzeugungen zu kämpfen und zu sterben, zeige die Tatsache, dass er sich der in Syrien kämpfenden jihadistischen Gruppe „Ansar B2. -Sham“ angeschlossen habe. Es bestehe auf Grundlage der Erkenntnislage der Sicherheitsbehörden konkret und gegenwärtig die Gefahr, dass er weiterhin und mit erheblicher Intensität gewalttätig werde, um seine religiösen Vorstellungen umzusetzen und dadurch erheblich und schwerwiegend die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Bundesgebiet gefährden werde. In Anbetracht der Eindeutigkeit seines Verhaltens sei es für dessen Bewertung unerheblich, welcher salafistischen Gruppierung er genau zugeneigt sei. Schutzwürdige familiäre Bindungen des Klägers lägen eingeschränkt vor. Zwar lebten seine Mutter und sein Bruder in O. , jedoch habe er sich von seiner Mutter abgewandt. Seine Ausreisen zu seinem Vater nach Jordanien im November 2010 und nochmals im Oktober 2012 zeigten, dass er seinen familiären Bindungen keine große Bedeutung beimesse. Er habe sich ganz seinen religiösen Vorstellungen verschrieben und alle Brücken hinter sich abgebrochen. Wirtschaftlich und sozial sei keine Integration erfolgt. Er verfüge über keinen Schulabschluss. Die Verlustfeststellung greife auch nicht unverhältnismäßig in Rechte des Klägers aus Art. 8 EMRK und Art. 6 GG ein. Sie erfolge aus besonders schwerwiegenden Gründen. Besondere Umstände, die gleichwohl eine Unverhältnismäßigkeit der Maßnahme begründen könnten, seien nicht ersichtlich. Insbesondere könne keine tiefgreifende Verwurzelung festgestellt werden. Es könne offen bleiben, ob der Kläger sich auf § 6 Abs. 5 FreizügG/EU berufen könne. Denn die dort genannten Voraussetzungen für die Verlustfeststellung lägen vor, da von dem Verhalten des Klägers ein außergewöhnliches Gefährdungspotential ausgehe. Die Ordnungsverfügung wurde dem Kläger am 25. Juli 2013 öffentlich zugestellt.
19Im 24. Juli 2013 wurde der Kläger von der Ausländerbehörde des Beklagten zur Festnahme wegen „Ausweisung/Abschiebung/Zurückschiebung“ ausgeschrieben.
20Am 7. August 2013 wurde der Kläger von E. kommend am Hauptbahnhof O. polizeilich kontrolliert. Aufgrund der von der Ausländerbehörde der Beklagten veranlassten Fahndungsausschreibung wurde der Kläger festgenommen und sodann auf Grund des Beschlusses des Amtsgerichts O. vom 8. August 2013 in Abschiebehaft genommen. Bei seiner Anhörung durch den Haftrichter gab der Kläger an, er halte sich seit einer Woche wieder bei seiner Mutter auf. Es sei richtig, dass er in die islamistische Szene geraten sei, das sei aber Vergangenheit. Im Oktober 2012 sei er zu seinem Vater nach Jordanien ausgereist. Auf Vorschlag seines Vaters sei er in die Türkei gereist, um dort in einem Flüchtlingscamp syrischen Flüchtlingen zu helfen. Dort sei er mit Angehörigen der freien syrischen Armee in Kontakt gekommen. Diese hätten ihm anboten, mit ihnen nach Syrien in die befreiten Gebiete zu gehen und dort Wachaufgaben wahrzunehmen. Er sei mit ihnen nach Syrien gereist. Dort sei ihm jedoch klar geworden, dass er so nicht weiter leben wolle und sei daher wieder zurück nach Deutschland gereist. Mit den Salafisten habe er nichts mehr zu tun. Er habe auch keine Moschee mehr besucht. Er wolle den Hauptschulabschluss und anschließend den Realschulabschluss machen. Zudem habe er sich bereits um eine Beschäftigung in einem Call-Center bemüht. Die Reise in die Türkei habe er mit seinem jordanischen Pass unternommen. Nach Deutschland sei er mit seinem polnischen Pass gereist, den er in der polnischen Botschaft in Jordanien bekommen habe. In Syrien habe er lediglich gezeigt bekommen, wie man mit einer Kalaschnikow umgehe, sie auseinander- und wieder zusammenbaue und lade. Eine weitere Ausbildung habe er nicht erfahren. Die auf seinem linken Unterarm eintätowierte Zahl „187“ stamme noch aus seiner X2. „Gang“ vor einigen Jahren.
21Die Mutter des Klägers erklärte bei ihrer Vorsprache bei der Ausländerbehörde der Beklagten am 12. August 2013, sie wolle ihrem Sohn eine letzte Chance geben. Er habe ihr erklärt, dass er nichts mehr mit seinen „alten Leuten“ zu tun haben wolle. Auch habe er seit seiner Rückkehr zu ihr weder gebetet noch in „irgendwelchen komischen Büchern“ gelesen. Schließlich übergab sie den polnischen Pass des Klägers an die Ausländerbehörde.
22Am 22. August 2013 wurde der Kläger nach Polen abgeschoben.
23Der Kläger hat am Montag, dem 26. August 2013 Klage erhoben, mit der er sich gegen den Bescheid der Beklagten vom 10. Juli 2013 wendet.
24Die Ausländerbehörde der Beklagten hat sich mit Schreiben vom 29. August 2013 beim Bundesamt für Verfassungsschutz sowie beim Polizeilichen Staatsschutz O2. (Polizeipräsidium E. ) unter Hinweis auf das anhängige Klageverfahren erkundigt, ob die im Behördenzeugnis des Bundesamtes für Verfassungsschutz vom 13. Juni 2012 dargestellte Gefährlichkeit des Klägers weiterhin bestehe. Hierauf hat das Bundesamt für Verfassungsschutz in einem Schreiben vom 12. September 2013 gegenüber dem Ministerium für Inneres und Kommunales des Landes O2. erklärt, es lägen keine neuen Erkenntnisse zur Person des Klägers vor, die in ein Rechtsbehelfsverfahren gegen die Abschiebung/Ausweisung des Klägers einfließen könnten; die Einschätzung in dem bereits vorliegenden Behördenzeugnis zur Person des Klägers werde nach wie vor aufrecht erhalten. Das Polizeipräsidium E. hat der Ausländerbehörde mit Schreiben vom 16. September 2013 mitgeteilt, es gebe hinsichtlich der Gefährlichkeit des Klägers nach Einschätzung der Sicherheitsbehörden sowie des Polizeipräsidiums E. „keine gegenteiligen Informationen“. Der Kläger habe, wie bereits im Behördenzeugnis dokumentiert, für die Q1. -O2. -Demonstration in E. Molotow-Cocktails vorbereitet (auch wenn diese Gegenstände bei seinem Ergreifen am 4. Mai 2012 nicht haben sichergestellt werden können). Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat in einem weiteren Behördenzeugnis vom 9. Oktober 2013 erklärt, es lägen Informationen vor, die darauf hindeuteten, dass der Kläger seinen zuletzt nach außen präsentierten westlichen Lebensstil nur vortäusche, um aus dem Fokus der Sicherheitsbehörden zu geraten. Es könne deshalb davon ausgegangen werden, dass er sich nach wie vor nicht von seiner jihadistischen Einstellung distanziert habe.
25Der Kläger ist am 5. Februar 2014 bei der Einreise aus den Niederlanden grenzpolizeilich kontrolliert worden. Eine Festnahme erfolgte nicht. Er konnte seine Reise in das Bundesgebiet fortsetzen.
26Am 11. Februar 2014 ist der Kläger gegen 21.15 Uhr im Regionalexpress auf der Strecke W. (NL) – I. erneut grenzpolizeilich kontrolliert worden. Aufgrund der ausländerbehördlichen Fahndungsausschreibung ist der Kläger in Polizeigewahrsam genommen und am 12. Februar 2014 dem Haftrichter beim Amtsgericht O. vorgeführt worden. Dort hat er angegeben, er habe in Polen ein neues Leben beginnen wollen, das sei ihm aber nicht gelungen. Er habe in Polen eine Tante, bei der er gewohnt habe. Er sei mit dem Flugzeug von Polen nach F2. (NL) geflogen. Da er nicht gewusst habe, wo er schlafen solle, sei er mit dem Zug Richtung O. gefahren. Seine Mutter, die in O. lebe, habe von seiner Flugreise gewusst. Sie habe ihm das Geld gegeben. Der Salafisten‑Szene habe er mittlerweile abgeschworen. Er habe losen Kontakt zu seinem Vater, der in Jordanien lebe. Der Haftrichter hat die Abschiebehaft angeordnet. Am 20. Februar 2014 ist der Kläger auf dem Landweg nach Polen abgeschoben worden.
27Mit Leistungsbescheid vom 17. April 2014 hat die Beklagte den Kläger zu Abschiebungskosten für die Abschiebungen am 22. August 2013 und 20. Februar 2014 in Höhe von insgesamt 4.077,69 € herangezogen. Der Kläger hat hiergegen am 26. Mai 2014 Klage erhoben (22 K 3546/14).
28Ausweislich eines Aktenvermerks einer Mitarbeiterin der Ausländerbehörde der Beklagten vom 16. April 2014 hat diese den Kläger am 9. April 2014 in einem Bus der städtischen Buslinie 000 auf der Fahrt aus der O3. Innenstand nach X1. gesehen. Auf Antrag der Ausländerbehörde der Beklagten hat das Amtsgericht O. am 24. April 2014 einen Durchsuchungsbeschluss für die Wohnung des Mutters des Klägers in O. erlassen sowie am 28. April 2014 ohne Anhörung des Klägers im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig die Abschiebehaft gegenüber dem Kläger angeordnet. Am 15. Mai 2014 ist der Kläger bei der Durchführung der angeordneten Durchsuchung in der Wohnung seiner Mutter angetroffen und festgenommen worden. Bei seiner Anhörung durch den Haftrichter am gleichen Tage hat er angegeben: Er wolle den Ausgang seines Klageverfahrens gegen die Ausweisungsverfügung gerne in Deutschland abwarten. Er könne in Polen nicht leben, dort habe er Selbstmordgedanken. Er sei bereit, sich täglich bei der Polizei zu melden, um damit zu belegen, dass er nicht gefährlich sei. Er wolle eine Ausbildung machen, bisher habe er lediglich das Abgangszeugnis nach Klasse 8. Das Amtsgericht O. hat die Abschiebehaft mit Beschluss vom gleichen Tage (endgültig) angeordnet.
29Mit Ordnungsverfügung vom 15. Mai 2014 hat die Ausländerbehörde der Beklagten dem Kläger die Abschiebung nach Polen angedroht. Von einer Fristsetzung zur Befolgung der Ausreisepflicht hat sie abgesehen, da sich der Kläger in Abschiebehaft befinde und aus der Haft heraus abgeschoben werden solle. Diese Ordnungsverfügung ist dem Kläger am gleichen Tage durch Übergabe bekannt gegeben worden. Am 12. Juni 2014 ist der Kläger wiederum auf dem Landweg nach Polen abgeschoben worden.
30Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat unter dem 31. Oktober 2014 dem Gericht eine ergänzende Stellungnahme bezüglich des Klägers vorgelegt. Darin wird ergänzend zu den bisherigen Behördenzeugnissen im Wesentlichen ausgeführt: Der Kläger habe sich während seines Syrienaufenthalts der jihadistischen Gruppierung "Ansar B2. -Sham" angeschlossen. Diese habe sich mit anderen jihadistischen Gruppierungen zu der sogenannten "Islamischen Front" zusammengeschlossen. Die Erkenntnisse über den Syrienaufenthalt des Klägers seien auf nachrichtendienstlichem Weg gewonnen worden und könnten deshalb nicht detaillierter erläutert werden. Der Kläger sei mehrmals illegal nach Deutschland eingereist. Bei seiner Überprüfung im Zusammenhang mit seiner Einreise am 5. Februar 2014 mit dem Zug aus den Niederlanden sei die Fahndungsnotierung zur Grenzfahndung (Beobachtung) vom Bundesamt für Verfassungsschutz festgestellt worden. Ihm sei die Weiterreise gestattet worden. Am 15. Mai 2014 habe sich der Kläger - wiederum unerlaubt - im Bundesgebiet bei seiner Mutter aufgehalten. Den Polizeikräften habe er trotz mehrfachen Klingelns nicht geöffnet. Seine Mutter habe an diesem Tag gegenüber Polizeikräften angegeben, nicht zu wissen, wo sich der Kläger aufhalte. Er sei zwar zwischenzeitlich bei ihr in der Wohnung gewesen, dann aber auch wieder in X1. . In X1. könne er den Moscheeverein von C. B. besucht haben. B. sei der salafistischen Szene zuzurechnen und stehe im Verdacht, mit sogenannten Hilfskonvois unter einem humanitären Deckmantel Gelder, Hilfsgüter und Personen zu jihadistischen Gruppierungen nach Syrien zu verbringen. Weitere Informationen über die illegalen Aufenthalte des Klägers in Deutschland lägen nicht vor. Der Hinweis auf Aufenthalte in X1. und der mögliche Kontakt mit B. lasse jedoch zumindest die Vermutung zu, dass der Kläger sich nicht von der salafistischen bzw. jihadistischen Ideologie abgewendet habe.
31Nach Anhörung des Klägers hat die Beklagte mit Bescheid vom 5. November 2014 die Wirkung des Einreise- und Aufenthaltsverbots vom 10. Juli 2013 einschließlich der Wirkungen des Einreise- und Aufenthaltsverbots der Abschiebungen vom 22. August 2013, 20. Februar 2014 und 12. Juni 2014 auf den 11. Juni 2020 befristet. Zur Begründung heißt es im Wesentlichen: Vom Kläger gehe eine große Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung aus. Seinem Vorbringen, dass er seine Gesinnung geändert habe, fehle es an einer persönlichen konkreten Erläuterung, insbesondere an der Angabe eines konkreten Anlasses für seine Abkehr. Zu seinen Lasten müsse auch berücksichtigt werden, dass er nach erfolgter Abschiebung noch zweimal unerlaubt in das Bundesgebiet eingereist sei. Er habe damit gezeigt, dass er nicht gewillt sei, sich an die geltende Rechtsordnung zu halten. Die Bemessung der Frist müsse jedoch den besonderen Grundfreiheiten des Klägers als Unionsbürger gerecht werden. Ferner werde der Tatsache Rechnung getragen, dass der Kläger erst 19 Jahre alt sei und ihm aufgrund dieses Alters eine breitere Perspektive seiner Persönlichkeitsentwicklung zugestanden werden müsse. Auch müsse sich die Frist an höherrangigem Recht, das heißt verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen sowie Vorgaben aus der Grundrechte-Charta und der Europäischen Menschenrechtskonvention messen lassen. Seine schutzwürdigen Interessen seien eher als gering anzusehen. Seine Aufenthalte in Polen überwögen deutlich seine Aufenthaltszeiten im Bundesgebiet. Es sei ihm zuzumuten, die schutzwürdigen Kontakte zu seiner Mutter auch in Polen zu pflegen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot werde nach alledem auf sechs Jahre nach seiner letzten Ausreise (Abschiebung) befristet.
32Zur Begründung der vorliegenden Klage macht der Kläger im Wesentlichen geltend, er habe sich seit Anfang 2013 vom Islamismus und von den Salafisten distanziert. Er habe sich in einem syrischen Flüchtlingslager in der Türkei (Provinz I1. ) der „Freien Syrischen Armee“ angeschlossen, um sich ein Bild vom Krieg machen zu können. Dort habe er negative und schlimme Erfahrungen gemacht, Gewalt, Tote und Anschläge erlebt, die ihn in eine massive Angst versetzt und ihn zum Nachdenken angeregt hätten. anschließend habe er seinen Vater gebeten, ihn wieder in Jordanien aufzunehmen. Dieser Bitte habe sein Vater entsprochen. Von dort aus sei er dann in die Niederlande gereist und weiter nach Deutschland. Die Erlebnisse hätten ihn stark geprägt. Er wolle ein Leben in Frieden im Kreise seiner Familie und seinen Mitmenschen führen. Er habe weder Kontakt zu früheren Bekannten noch suche er danach. Er lehne jede Gewalt ab und wolle keinen anderen Menschen schaden. Die Pubertät und das Gefühl, nicht zu wissen, wo er im Leben stehe, hätten ihn geblendet und naiv gemacht. Er habe in jenen Gruppierungen nach Anerkennung und Gemeinschaftsgefühlen gesucht. Er habe mittlerweile erkannt, dass es ein Fehler gewesen sei und er lediglich ein Mitläufer-Dasein geführt habe. Seine Erlebnisse hätten ihn erwachsener und selbständiger gemacht, so dass er erkannt habe, dass dies der falsche Weg gewesen sei. Er wolle in Deutschland ein neues Leben anfangen. Seine Verwandten (Mutter, Bruder u.a.) lebten hier in Deutschland, in Polen lebe lediglich eine Großtante mütterlicherseits, die er kaum kenne. Er wolle in Deutschland einen Schulabschluss und eine Ausbildung machen. Er habe Unterstützung von seinen früheren Schulfreunden aus O. , mit denen er in gutem Kontakt über das Internet stehe. Er sei ein ganz normaler Muslim, halte sich von Hetze, Politik usw. fern, versuche sich auf sein Gebet zu konzentrieren. Er provoziere niemanden und versuche, Konflikten aus dem Weg zu gehen.
33Der Kläger beantragt,
34den Bescheid der Beklagten vom 10. Juli 2013 aufzuheben,
35hilfsweise, die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 5. November 2014 zu verpflichten, das Einreiseverbot auf sofort zu befristen.
36Die Beklagte beantragt,
37die Klage abzuweisen.
38Zur Begründung nimmt sie im Wesentlichen Bezug auf die angefochtene Ordnungsverfügung und führt ergänzend aus, der Kläger zeige mit seinen wiederholten illegalen Einreisen, dass er nicht gewillt sei, sich an die geltende Rechtsordnung zu halten. Auch die Sicherheitsbehörden gingen in ihren Stellungnahmen vom 12. und 16. September 2013 sowie 9. Oktober 2013 von einer fortbestehenden Gefährlichkeit des Klägers aus.
39Zum Zwecke der Teilnahme an der mündlichen Verhandlung hat die Ausländerbehörde der Beklagten dem Kläger eine Betretenserlaubnis für die Zeit vom 10. November 2014, 10.00 Uhr bis zum 11. November 2014, 20.30 Uhr erteilt. Der Kläger ist in der mündlichen Verhandlung persönlich angehört worden. Ferner ist in der mündlichen Verhandlung eine amtliche Auskunft des Ministeriums für Inneres und Kommunales des Landes O2. eingeholt worden.
40Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten und der beigezogenen Akten der Staatsanwaltschaft E. Bezug genommen.
41Entscheidungsgründe:
42Die Klage ist mit dem Hauptantrag in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zulässig und begründet. Im Übrigen ist der Hauptantrag unzulässig. Da der Hauptantrag in dem aus dem Tenor ersichtlichen Teil Erfolg hatte, war über den Hilfsantrag nicht zu entscheiden.
43Die Klage ist unzulässig, soweit sich der Hauptantrag gegen Ziffern 3 bis 7 des angefochtenen Bescheides der Beklagten vom 10. Juli 2013 richtet.
44Im Hinblick auf die in den Ziffern 3, 4 und 6 des Bescheides gesetzte Ausreisefrist und Abschiebungsandrohung fehlt dem Kläger das erforderliche Rechtsschutzinteresse. Von der auf § 7 Abs. 1 Satz 2 und 3 FreizügG/EU gestützten Abschiebungsandrohung gehen keine unmittelbaren Rechtswirkungen mehr aus, zu deren Beseitigung der Kläger der Durchführung der vorliegenden Anfechtungsklage bedürfte. Die Abschiebungsandrohung ist mit der Abschiebung des Klägers am 22. August 2013 verbraucht, das heißt sie kann ‑ auch im Falle einer späteren Wiedereinreise des Klägers in das Bundesgebiet ‑ nicht mehr Grundlage einer erneuten Abschiebung des Klägers sein.
45Vor diesem Hintergrund entfaltet die Abschiebungsandrohung auch keine sonstigen unmittelbaren Rechtswirkungen mehr, insbesondere weder in Bezug auf das Bestehen einer Einreisesperre nach § 11 Abs. 2 FreizügG/EU i.V.m. § 11 Abs. 1 AufenthG noch hinsichtlich einer Pflicht zur Tragung von Abschiebungskosten. Denn diese Rechtsfolgen knüpfen nicht an die Wirksamkeit der Abschiebungsandrohung an, die mit der vorliegenden Anfechtungsklage beseitigt werden könnte, sondern an eine (rechtmäßige) Abschiebung. Sollte einer Einreise des Klägers eine abschiebungsbedingte Einreisesperre nach § 11 Abs. 2 FreizügG/EU i.V.m. § 11 Abs. 1 AufenthG entgegengehalten werden, so könnte er hiergegen (erforderlichenfalls auch einstweiligen) Rechtsschutz in Anspruch nehmen. Hierauf ist der Kläger jedenfalls im vorliegenden Fall zu verweisen, in dem eine abschiebungsbedingte Einreisesperre nach § 11 Abs. 2 FreizügG/EU i.V.m. § 11 Abs. 1 AufenthG ohnehin ausscheidet, wenn die mit dem vorliegenden Urteil ausgesprochene Aufhebung der Feststellung des Verlusts der Freizügigkeit in Rechtskraft erwächst. Denn dann findet § 11 Abs. 1 AufenthG auf den Kläger keine Anwendung. Rechtsschutz gegen die Festsetzung von Abschiebungskosten kann der Kläger zumutbar mit der (bereits beim Gericht anhängigen) Anfechtungsklage gegen den entsprechenden Kostenbescheid erlangen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass sich die Rechtmäßigkeit einer Abschiebung regelmäßig nach der zum Zeitpunkt ihrer Vollziehung maßgeblichen Sach- und Rechtslage beurteilt und daher eine erst nach vollzogener Abschiebung ergangene gerichtliche Entscheidung nicht zwangsläufig Auswirkungen auf die rechtliche Bewertung früherer Abschiebungsmaßnahmen hat,
46vgl. zur Aufhebung einer Ausweisung ex tunc: BVerwG, Urteil vom 4. Oktober 2012 ‑ 1 C 13/11 -, Rdn. 29, juris.
47Soweit sich die Klage gegen Ziffern 5 und 7 des angefochtenen Bescheides richtet, ist sie nicht statthaft, da diese Ziffern keinen Verwaltungsakt im Sinne des § 35 VwVfG O2. beinhalten. Die unter Ziffer 5 des Bescheides ausgesprochene Anordnung der sofortigen Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO trifft lediglich eine vorübergehende Vollziehungsregelung, gegen die dem Kläger der Rechtsbehelf nach § 80 Abs. 5 VwGO zur Verfügung steht, nicht jedoch eine Anfechtungsklage nach § 40 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch in Ziffer 7 des Bescheides, der Kläger habe die Kosten der Abschiebung zu tragen, ist – wie auch aus der diesbezüglichen Begründung des Bescheides zu ersehen ist – lediglich als Hinweis auf die gesetzliche Kostentragungspflicht nach § 66 Abs. 1 AufenthG zu verstehen. Eine Kostenfestsetzung ist hiermit noch nicht verbunden, allzumal zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides noch nicht feststand, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe Abschiebungskosten anfallen und gegenüber dem Kläger geltend gemacht werden.
48Soweit sich die Klage mit dem Hauptantrag gegen Ziffern 1 und 2 des angefochtenen Bescheides vom 10. Juli 2014 richtet, ist sie zulässig und begründet.
49Die Feststellung des Verlusts des Freizügigkeitsrechts des Klägers in Ziffer 1 des Bescheides ist in dem für die gerichtliche Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung,
50vgl. BVerwG, Urteil vom 3. August 2004 – 1 C 30/02 –, Rdn. 28 ff, BVerwGE 121, 297-315 und juris; OVG NRW, Urteil vom 14. März 2013 – 18 A 2263/08 –, Rdn. 26 m.w.N., juris,
51rechtswidrig und der Kläger hierdurch in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Verlustfeststellung findet ihre Rechtsgrundlage nicht in der hier allein als Ermächtigungsgrundlage in Betracht kommenden Regelung des § 6 FreizügG/EU.
52Einreise und Aufenthalt des Klägers richten sich gemäß § 1 FreizügG/EU nach diesem Gesetz, da er als polnischer Staatsangehöriger seit dem Beitritt der Republik Polen zur Europäischen Union am 1. Mai 2004 Unionsbürger ist (vgl. Art. 20 Abs. 1 Satz 2 AEUV) und als solcher nach Maßgabe der in den Verträgen und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen freizügigkeitsberechtigt ist (vgl. Art. 20 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a), Satz 3, Art. 21 Abs. 1 AEUV). Hierzu zählt das Recht auf Einreise und Aufenthalt für einen Zeitraum bis zu drei Monaten, wobei der Unionsbürger lediglich im Besitz eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses sein muss und ansonsten keine weiteren Bedingungen zu erfüllen oder Formalitäten zu erledigen braucht (vgl. Art. 6 der Richtlinie 2004/38/EG vom 29. April 2004 – UnionsbürgerRL ‑). Dieses Recht ist in § 2 Abs. 1 i.V.m. dessen Abs. 4 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 FreizügG/EU in nationales Recht umgesetzt worden.
53Der Verlust des Rechtes aus § 2 Abs. 1 FreizügG/EU kann nach § 6 Abs. 1 S. 1 FreizügG/EU nur aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit festgestellt werden. Nach § 6 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU dürfen hierfür nur solche Umstände berücksichtigt werden, die ein persönliches Verhalten des betreffenden Ausländers erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt. Nach § 6 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU muss es sich um eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung handeln, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.
54Vgl. BVerwG, Urteil vom 3. August 2004 – 1 C 30/02 –, Rdn. 16 ff, BVerwGE 121, 297-315 und juris.
55Ferner darf die Verlustfeststellung nur auf der Grundlage einer Ermessensentscheidung erfolgen.
56Vgl. BVerwG, Urteil vom 3. August 2004 – 1 C 30/02 –, Rdn. 16 ff, BVerwGE 121, 297-315 und juris; zum Fall eines assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen: BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 ‑ 1 C 19.11 ‑, Rdn. 20 m.w.N., juris.
57Unter bestimmten Voraussetzungen sind gemäß § 6 Abs. 4 und 5 FreizügG/EU weitere, gesteigerte Anforderungen an eine Verlustfeststellung zu beachten. Ob diese strengeren Anforderungen hier Anwendung finden, kann jedoch offen bleiben. Denn vorliegend sind bereits die materiell-rechtlichen Vorgaben des § 6 Abs. 1 bis 3 FreizügG/EU nicht erfüllt, an denen jede Verlustfeststellung zu messen ist.
58Jede Feststellung des Verlust der Freizügigkeit aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit setzt nach § 6 Abs. 1 bis 3 FreizügG/EU, durch die die unionsrechtlichen Anforderungen nach Art. 27, 28 der UnionsbürgerRL in nationales Recht umgesetzt wurden, voraus, dass das persönliche Verhalten des Betroffenen eine tatsächliche und gegenwärtige Gefahr darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt,
59vgl. EuGH, Urteil vom 22. Mai 2012, C-348/09, juris; BVerwG, Urteil vom 3. August 2004 ‑ 1 C 30/02 ‑, Rdn. 21 ff m.w.N., BVerwGE 121, 297-315 und juris.
60Hierfür genügt nicht schon die in jeder Gesetzesverletzung liegende Störung der öffentlichen Ordnung. Das persönliche Verhalten des Betroffenen muss vielmehr eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung begründen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.
61BVerwG, Urteil vom 3. August 2004 ‑ 1 C 30/02 ‑, Rdn. 24 m.w.N., BVerwGE 121, 297-315 und juris.
62Zu den Grundinteressen der Gesellschaft gehört die Sicherung des friedlichen Zusammenlebens der Einwohner eines Staates unter Beachtung der geltenden Rechtsordnung, insbesondere in ihrer strafrechtlichen Ausprägung.
63Vgl. zum Fall eines assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen: BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 – 1 C 19.11 ‑, Rdn. 15, juris.
64Nach diesen Maßstäben ist die Annahme der Beklagten nicht zu beanstanden, dass eine vom Kläger ausgehende Gefahr islamistisch motivierter Gewalttaten von erheblicher Intensität (womöglich unter Einsatz von Waffengewalt) ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.
65Es lässt sich jedoch nicht feststellen, dass das persönliche Verhalten des Klägers gegenwärtig (noch) eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung in diesem Sinne darstellt. Das Erfordernis einer gegenwärtigen Gefährdung der öffentlichen Ordnung besagt nicht, dass eine "gegenwärtige Gefahr" im Sinne des deutschen Polizeirechts vorliegen müsste, die voraussetzt, dass der Eintritt des Schadens sofort und nahezu mit Gewissheit zu erwarten ist. Es verlangt vielmehr eine hinreichende - unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit nach dem Ausmaß des möglichen Schadens und dem Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts differenzierende - Wahrscheinlichkeit, dass der Ausländer künftig die öffentliche Ordnung im Sinne der Art. 27, 28 der UnionsbürgerRL beeinträchtigen wird.
66Vgl. BVerwG, Urteil vom 3. August 2004 ‑ 1 C 30/02 ‑, Rdn. 26 m.w.N., BVerwGE 121, 297-315 und juris.
67Für die Beurteilung der Gefahr kommt dem Rang des bedrohten Rechtsguts Bedeutung zu. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist. Bei bedrohten Rechtsgütern mit einer hervorgehobenen Bedeutung gelten demgemäß eher geringere Anforderungen. Im Hinblick auf die Bedeutung des Grundsatzes der Freizügigkeit sind an die nach dem Ausmaß des möglichen Schadens differenzierte hinreichende Wahrscheinlichkeit allerdings keine zu geringen Anforderungen zu stellen.
68Vgl. OVG NRW, Urteil vom 14. März 2013 – 18 A 2263/08 –, Rdn. 37, juris sowie in Bezug auf die Ausweisung eines assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen: BVerwG, Urteile vom 10. Juli 2012 – 1 C 19.11 ‑, Rdn. 16, juris und vom 4. Oktober 2012 – 1 C 13/11 –, Rdn. 18, juris.
69Die befürchteten, vom Kläger ausgehenden Gewalttaten, die die Beklagte zu der streitgegenständlichen Verlustfeststellung veranlasst hat, richten sich gegen die besonders schutzwürdigen Rechtsgüter des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit und wiegen daher besonders schwer. Zudem werden islamistisch motivierte Gewalttaten erfahrungsgemäß häufig mit der Absicht oder zumindest unter Inkaufnahme einer Vielzahl von Opfern begangen, um durch die Gewaltanwendung und Drohung mit weiterer Gewalt größtmöglichen gesellschaftlichen und politischen Druck auszuüben, wie beispielsweise durch Sprengstoffanschläge oder den Einsatz von Schusswaffen. Die Kammer verkennt auch nicht, dass die befürchteten Taten häufig im öffentlichen Raum begangen werden und gegen (viele) beliebige Opfer in der Zivilgesellschaft gerichtet sind, so dass die Präventionsmöglichkeiten sehr begrenzt sind. Insbesondere bestehen kaum Möglichkeiten, in Betracht kommende Tatorte zu sichern oder eventuellen Opfern erhöhten Schutz zu bieten. An den Grad der Wahrscheinlichkeit der Begehung solcher Taten durch den Kläger sind daher äußerst geringe Anforderungen zu stellen.
70Für die Annahme einer Wahrscheinlichkeit, der Kläger werde Gewalttaten begehen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühren, genügt indes ‑ auch bei den hier in Rede stehenden schwer wiegenden Rechtsgutsverletzungen ‑ nicht, dass lediglich der durch bestimmte Tatsachen begründete Verdacht für das Vorliegen einer Gefahr besteht,
71anders etwa beim Passversagungstatbestand in § 7 Abs. 1 Nr. 1 PassG, vgl. hierzu OVG NRW, Beschluss vom 16. April 2014 ‑ 19 B 59/14 ‑, juris.
72Denn § 6 Abs. 1 bis 3 FreizügG/EU setzt tatbestandlich nicht nur – wie etwa § 7 Abs. 1 Nr. 1 PassG – voraus, dass „bestimmte Tatsachen die Annahme begründen“, dass eine Gefahr besteht. Erforderlich ist vielmehr, dass eine tatsächliche gegenwärtige Gefahr besteht. Dafür muss der gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO zur Überzeugung des Gerichts feststehende Sachverhalt mit hinreichender Wahrscheinlichkeit den Schadenseintritt erwarten lassen.
73Daran fehlt es hier. Feststellungen dazu, dass der Kläger bislang im Bundesgebiet religiös motivierte Straftaten begangen hat, liegen nicht vor. Soweit im Zusammenhang mit seiner polizeilichen Überprüfung vor einer Demonstration am 4. Mai 2012 gegen den Kläger strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet wurden, sind diese gemäß § 170 Abs. 2 StPO, das heißt also mangels hinreichenden Tatverdachts, eingestellt worden. Zu einer etwaigen Beteiligung des Klägers an gewalttätigen Ausschreitungen von Salafisten am 5. Mai 2012 in C2. liegen keine polizeilichen Erkenntnisse vor, die über das in der Presse veröffentlichte Foto eines ‑ womöglich den Kläger darstellenden ‑ Demonstranten mit einer erhobenen Latte in den Händen hinausgeht. Aus dem Pressefoto kann, selbst wenn es den Kläger darstellen und in räumlicher und zeitlicher Nähe mit den Ausschreitungen vom 5. Mai 2012 aufgenommen worden sein sollte, nicht auf eine Beteiligung des Klägers an einer Gewalttat geschlossen werden. Zwar kann die Latte oder Stange, die die Person in der Hand hält, durchaus als Waffe eingesetzt werden; ob sie als solche verwendet wurde, lässt das Foto aber nicht erkennen. Das Pressefoto hat – soweit ersichtlich – auch weder für sich genommen noch im Zusammenhang mit anderen polizeilichen Erkenntnissen über Vorkommnisse am 5. Mai 2012 Anlass zu polizeilichen Maßnahmen oder strafrechtlichen Ermittlungen gegen den Kläger gegeben. Die vorangegangenen Straftaten, wegen derer der Kläger am 4. August 2011 und am 1. Dezember 2011 zu einem zweiwöchigen Jugendarrest, zu 100 Arbeitsstunden, zur Teilnahme an einem Anti-Aggressionstraining sowie zu einer zur Bewährung ausgesetzten Einheitsjugendstrafe von sechs Monaten verurteilt wurde, hatten keinerlei erkennbaren religiösen oder politischen Hintergrund. Diese Straftaten sind vielmehr dem Bereich der einfachen Kriminalität zuzuordnen. Sie lassen auch unter Berücksichtigung der Tatbegehung sowie der bedrohten Rechtsgüter keinen Rückschluss darauf zu, der Kläger werde in Zukunft Straftaten von erheblichem Gewicht verüben.
74Ferner kann nach Würdigung aller Umstände des vorliegenden Einzelfalles auch nicht aus dem Verhalten des Klägers im Ausland auf eine hinreichende gegenwärtige Gefahr geschlossen werden, er werde Gewalttaten im Bundesgebiet begehen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühren. Zwar hat der Kläger mit der auf seinem freien Entschluss beruhenden Beteiligung am bewaffneten Kampf der islamistischen Verbände im syrischen Bürgerkrieg ab Ende 2012 oder Anfang 2013 bis Juni oder Juli 2013 gezeigt, dass er nicht vor dem Einsatz von Waffengewalt zurückschreckte, um seine (damaligen) religiösen und politischen Ziele zu verwirklichen. Diesem Kampf räumte er den Vorrang ein vor seinen Bindungen zu seinen in Deutschland lebenden Familienangehörigen (insbesondere Mutter und Bruder). Auch sonstige Bindungen im Bundesgebiet hielten ihn nicht von seiner Reise in das Kriegsgebiet und dem Einsatz von Waffen ab. Vielmehr war sein privates Umfeld geprägt von Anhängern salafistischer Überzeugungen, von denen jedenfalls einige die Bereitschaft des Klägers, sich an islamistisch motivierten Kampfhandlungen im Ausland zu beteiligen, förderten. Konkrete schulische oder berufliche Bezüge hatte der Kläger bei seiner Ausreise in Richtung Syrien Anfang Oktober 2012 ohnehin nicht mehr, nachdem er im Herbst 2010 den Besuch der Gesamtschule abgebrochen hatte und der kurze Besuch einer Schulwerkstatt beim L. -Bildungswerk im Jahr 2011 damit endete, dass er wegen Regelverstößen dieser Bildungsmaßnahme verwiesen wurde.
75Gleichwohl vermag das Gericht eine hinreichende gegenwärtige Gefahr der Begehung von Gewalttaten durch den Kläger im Bundesgebiet nicht festzustellen. Das Gericht hat die Überzeugung gewonnen, dass der Kläger sich nachhaltig von seinem früheren islamistischen Weltbild und seiner früheren Bereitschaft zur Gewaltanwendung gelöst hat. Bereits bei seiner Anhörung durch den Haftrichter am 8. August 2013 gab der Kläger an, ihm sei in Syrien klar geworden, dass er so nicht weiter leben wolle, sondern in Deutschland einen Schulabschluss und eine Ausbildung machen wolle; mit Salafisten habe er nichts mehr zu tun. Auch seine Mutter schilderte im August 2013 gegenüber der Ausländerbehörde der Beklagten, dass der Kläger ihr erklärt habe, er wolle nichts mehr mit seinem früheren Umfeld zu tun haben und dass sein Verhalten nach ihrem Eindruck auch ‑ im Gegensatz zu früher ‑ keine islamistischen Einflüsse mehr erkennen lasse; sie wolle ihm daher eine letzte Chance geben. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger detailliert und nachvollziehbar erläutert, mit welcher Überzeugung er nach Syrien reiste und sich dort an Kampfhandlungen beteiligte, aber auch wie und warum er sich entschieden hat, diesen Kampf nicht mehr unterstützen zu wollen. Die Schilderung des Klägers ließ keine Tendenzen erkennen, seine frühere Zugehörigkeit zu salafistischen, extremistischen und zum Teil auch jihadistischen Kreisen zu verharmlosen oder in einem milderen Licht erscheinen zu lassen. Er hat auf die an ihn gerichteten Fragen zu seinen damaligen Kontaktpersonen und deren Einfluss auf ihn bereitwillig Auskunft gegeben. Seine Angaben zu seinen Erlebnissen im Bürgerkrieg, beginnend mit seinem Weg zu der islamistischen Kampfeinheit Ansar B2. -Sham in Syrien, seiner militärischen Ausbildung und Ausstattung, seiner Einsatzorte und Aufgaben waren detailliert und widerspruchsfrei. Bei der Schilderung des Kerngeschehens, das ihn zum Umdenken veranlasst hat, war deutlich erkennbar, wie sehr ihn diese Erlebnisse emotional bewegt haben (und noch bewegen) mit der Folge, dass sich sein Blick auf das eigene Leben nachhaltig veränderte. Es liegen keine Anhaltpunkte dafür vor, dass der Kläger Geschehnisse geschildert haben könnte, die er nicht persönlich erfahren hat. Dies gilt auch für seine Angaben zu seinem Austritt aus dem islamistischen Kampfverband und seiner Rückkehr nach Europa.
76Das Gericht geht aufgrund des festgestellten Sachverhalts davon aus, dass der Kläger für sich persönlich den Einsatz von Gewalt zur Durchsetzung religiöser Ziele mittlerweile ablehnt, und zwar auf der Grundlage eigener intensiver Erfahrungen. Dagegen spricht auch nicht, dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung wörtlich äußerte: „Ich habe gedacht, dass mein Krieg zu Hause ist.“ Diese Äußerung ist nicht etwa dahingehend zu verstehen, dass er den jihadistischen Krieg in Deutschland fortsetzen wolle. Vielmehr wollte der Kläger erkennbar zum Ausdruck bringen, dass er alle seine Anstrengungen darauf setzen wolle, ein geregeltes und den Erwartungen seiner Mutter entsprechendes Leben in Deutschland zu führen. Dies wird deutlich durch den Zusammenhang, in dem er diese Äußerung tätigte: „Da habe ich direkt nachgedacht. Ich habe an meine Familie gedacht. Ich habe daran gedacht, dass das nicht mein Krieg ist und ich habe mich gefragt, warum ich mein Leben verschwenden soll. Ich habe gedacht, dass mein Krieg zu Hause ist. Ich habe an meine Mutter gedacht, was sie für mich getan hat und dass sie zufrieden mit mir sein soll.“
77Das Gericht verkennt nicht, dass die Angaben des Klägers und sein nach außen erkennbares Verhalten seit seiner Rückkehr aus dem syrischen Bürgerkrieg nach Europa taktisch geprägt sein könnten, um durch Täuschung Sicherheitsbedenken der zuständigen Behörden zu zerstreuen und letztlich islamistische motivierte Gewalttaten in Deutschland begehen zu können.
78Ein rein taktisches Verhalten kann dem Kläger aber nicht unterstellt werden, solange keine Tatsachen festzustellen sind, die Zweifel an seiner Darstellung begründen. So liegt der Fall hier. Insbesondere vermögen die Behördenzeugnisse und Stellungnahmen des Bundesamtes für Verfassungsschutz, des Landesamtes für Verfassungsschutz und des Polizeipräsidiums E. keine durchgreifenden Zweifel am Vorbringen des Klägers oder aus anderen Gründen eine hinreichende gegenwärtige Wahrscheinlichkeit der Begehung von Gewalttaten durch den Kläger in Deutschland zu begründen. Der Umstand, dass eine Verfassungsschutzbehörde eine bestimmte Gefahrenprognose anstellt, ist noch kein Indiz dafür, dass diese Gefahr tatsächlich besteht. Vielmehr unterliegt auch diese behördliche Gefahreneinschätzung in vollem Umfang der gerichtlichen Überprüfung.
79OVG NRW, Beschluss vom 16. April 2014 – 19 B 29/14 – Rdn. 15, m.w.N., juris.
80Ein Behördenzeugnis einer Verfassungsschutzbehörde, mit der diese ihre eigene Gefahrenprognose sowie gegebenenfalls die ihr zugrunde liegenden Feststellungen ihrer Mitarbeiter oder Informanten wiedergibt, ist lediglich Erkenntnisquelle, also Beweismittel, nicht aber Indiztatsache,
81vgl. zur Gefahrenprognose im Rahmen des § 7 Abs. 1 Nr. 1 PassG: OVG NRW, Beschluss vom 16. April 2014 – 19 B 29/14 – Rdn. 15, m.w.N., juris.
82Dem Vorbringen des Klägers widersprechende Tatsachen, wie etwa Erkenntnisse über fortbestehende Kontakte des Klägers zu islamistischen Kreisen, Verlautbarungen des Klägers mit islamistischem oder jihadistischem Inhalt oder entsprechend motivierte Handlungen des Klägers lassen sich den Behördenzeugnissen und Stellungnahmen der Verfassungsschutz- und Polizeibehörden nicht entnehmen. Das Polizeipräsidium E. hat sich in seiner letzten Stellungnahme vom 16. September 2013 auf die Mitteilung beschränkt, es gebe hinsichtlich der Gefährlichkeit des Klägers „keine gegenteiligen Informationen“. Im Behördenzeugnis des Bundesamtes für Verfassungsschutz vom 9. Oktober 2013 wird zwar auf Informationen verwiesen, die darauf hindeuteten, dass der Kläger seinen zuletzt nach außen präsentierten westlichen Lebensstil nur vortäusche, um aus dem Fokus der Sicherheitsbehörden zu geraten und deshalb anzunehmen sei, dass er sich nach wie vor nicht von seiner jihadistischen Einstellung distanziert habe. Die Informationen, auf die diese Einschätzung gestützt wird, werden jedoch nicht benannt. Die jüngste Stellungnahme des Bundesamtes für Verfassungsschutz vom 31. Oktober 2014 beinhaltet ebenfalls keine aktuellen Tatsachenfeststellungen, auf die sich eine gegenwärtige hinreichende Gefährlichkeit des Klägers stützen ließe. Dass der Kläger im Mai 2014 Kontakt zu dem von Herrn B. geleiteten Moscheeverein in X1. gehabt habe, wird lediglich aufgrund einer Äußerung der Mutter des Klägers, dieser halte sich eventuell in X1. auf, vermutet. Das Gericht vermag nicht festzustellen, dass der vermutete Kontakt tatsächlich oder mit hinreichender Wahrscheinlichkeit stattgefunden hat. Selbst wenn der Kläger sich in X1. aufhielt, lässt dies den von der Verfassungsschutzbehörde vorgenommenen Rückschluss nicht zu. Denn der Kläger verfügte und verfügt nach seinen unwidersprochenen und glaubhaften Angaben über enge und bereits seit Jahren bestehende Kontakte zu Personen, die in X1. wohnen und in keinem erkennbaren Zusammenhang mit dem dortigen Moscheeverein standen oder stehen. Schließlich konnten auch den behördlichen Auskünften des Mitarbeiters des Landesamtes für Verfassungsschutz in der mündlichen Verhandlung keine Tatsachen entnommen werden, die dem Vorbringen des Klägers widersprechen oder sonst geeignet sind, eine von ihm gegenwärtig ausgehende Gefahr der Begehung von Gewalttaten in Deutschland zu begründen. Zwar gab der Behördenvertreter an, Maßnahmen des Verfassungsschutzes hätten zu der Erkenntnis geführt, dass der Kläger nach seiner Rückkehr aus dem syrischen Bürgerkrieg nach Deutschland und vor seiner Abschiebung nach Polen am 22. August 2013 Anschluss zu den Kreisen gesucht habe, zu denen er auch vorher Anschluss gehabt habe, und zwar auch zu Vertretern salafistischer Strömungen. Ergänzend gab er hierzu an: Es könne sich um Kontakte zu Personen gehandelt haben, die selbst keine starken Akteure im Rahmen extremistischer salafistischer Bestrebungen sind, hiermit jedoch im Zusammenhang stehen. Fakten, die eine für sich sprechende Verbindung des Klägers zu starken Akteuren salafistischer Bestrebungen belegen, könne er nicht nennen. Die Gefahreneinschätzung in Bezug auf den Kläger beruhe auf Vorfällen im Zusammenhang mit Syrienrückkehrern, die man auch jeden Tag in der Zeitung lesen könne. Die Bewertung dieser Sachverhalte löse beim Landesamt für Verfassungsschutz die höchste Alarmstufe aus. Diese Angaben lassen insgesamt erkennen, dass die Gefahreneinschätzung der Landesverfassungsschutzbehörde geprägt ist durch generelle Erfahrungswerte in Bezug auf Syrienrückkehrer. Abgesehen davon, dass der Kläger zu den Syrienrückkehrern zählt, lassen die Ausführungen hingegen keine Erkenntnisse zur aktuellen persönlichen Situation des Klägers, auf die sich eine gegenwärtige Gefahreneinschätzung stützen ließe, entnehmen.
83Auch im Übrigen lassen sich keine Tatsachen feststellen, aus denen sich eine tatsächliche und gegenwärtige, vom Kläger ausgehende Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft schließen lassen.
84Ist nach alledem die Feststellung des Verlusts des Freizügigkeitsrechts des Klägers in Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheides aufzuheben, entfällt auch das Einreise- und Aufenthaltsverbot für die Bundesrepublik Deutschland nach § 7 Abs. 2 Satz 1 FreizügG/EU, auf das Ziffer 2 des Bescheides verweist.
85Der vom Kläger hilfsweise beantragten gerichtlichen Überprüfung der Befristung dieses Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 7 Abs. 2 Satz 1 FreizügG/EU mit Bescheid vom 5. November 2014 bedarf es nicht. Denn diese Befristung wird durch den Erfolg des Hauptantrages in Bezug auf die Ziffern 1 und 2 des streitgegenständlichen Bescheides vom 10. Juli 2013 gegenstandslos.
86Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 und Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
ra.de-Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht Düsseldorf Urteil, 11. Nov. 2014 - 22 K 6836/13
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Urteil einreichenVerwaltungsgericht Düsseldorf Urteil, 11. Nov. 2014 - 22 K 6836/13 zitiert oder wird zitiert von 1 Urteil(en).
Schuldunfähig ist, wer bei Begehung der Tat noch nicht vierzehn Jahre alt ist.
(1) Bieten die Ermittlungen genügenden Anlaß zur Erhebung der öffentlichen Klage, so erhebt die Staatsanwaltschaft sie durch Einreichung einer Anklageschrift bei dem zuständigen Gericht.
(2) Andernfalls stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein. Hiervon setzt sie den Beschuldigten in Kenntnis, wenn er als solcher vernommen worden ist oder ein Haftbefehl gegen ihn erlassen war; dasselbe gilt, wenn er um einen Bescheid gebeten hat oder wenn ein besonderes Interesse an der Bekanntgabe ersichtlich ist.
(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).
(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur
- 1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten, - 2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten, - 3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen, - 3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen, - 4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.
(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.
(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn
- 1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder - 2.
eine Vollstreckung droht.
(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.
(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.
(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.
(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.
(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.
(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.
(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.
(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.
(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.
(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.
(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.
(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.
(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.
(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.
(7) Gegen einen Ausländer,
- 1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder - 2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.
(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.
Verwaltungsakt ist jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Allgemeinverfügung ist ein Verwaltungsakt, der sich an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis richtet oder die öffentlich-rechtliche Eigenschaft einer Sache oder ihre Benutzung durch die Allgemeinheit betrifft.
(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).
(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur
- 1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten, - 2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten, - 3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen, - 3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen, - 4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.
(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.
(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn
- 1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder - 2.
eine Vollstreckung droht.
(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.
(1) Der Verwaltungsrechtsweg ist in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind. Öffentlich-rechtliche Streitigkeiten auf dem Gebiet des Landesrechts können einem anderen Gericht auch durch Landesgesetz zugewiesen werden.
(2) Für vermögensrechtliche Ansprüche aus Aufopferung für das gemeine Wohl und aus öffentlich-rechtlicher Verwahrung sowie für Schadensersatzansprüche aus der Verletzung öffentlich-rechtlicher Pflichten, die nicht auf einem öffentlich-rechtlichen Vertrag beruhen, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben; dies gilt nicht für Streitigkeiten über das Bestehen und die Höhe eines Ausgleichsanspruchs im Rahmen des Artikels 14 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes. Die besonderen Vorschriften des Beamtenrechts sowie über den Rechtsweg bei Ausgleich von Vermögensnachteilen wegen Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte bleiben unberührt.
(1) Kosten, die durch die Durchsetzung einer räumlichen Beschränkung, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung entstehen, hat der Ausländer zu tragen.
(2) Neben dem Ausländer haftet für die in Absatz 1 bezeichneten Kosten, wer sich gegenüber der Ausländerbehörde oder der Auslandsvertretung verpflichtet hat, für die Ausreisekosten des Ausländers aufzukommen.
(3) In den Fällen des § 64 Abs. 1 und 2 haftet der Beförderungsunternehmer neben dem Ausländer für die Kosten der Rückbeförderung des Ausländers und für die Kosten, die von der Ankunft des Ausländers an der Grenzübergangsstelle bis zum Vollzug der Entscheidung über die Einreise entstehen. Ein Beförderungsunternehmer, der schuldhaft einer Verfügung nach § 63 Abs. 2 zuwiderhandelt, haftet neben dem Ausländer für sonstige Kosten, die in den Fällen des § 64 Abs. 1 durch die Zurückweisung und in den Fällen des § 64 Abs. 2 durch die Abschiebung entstehen.
(4) Für die Kosten der Abschiebung oder Zurückschiebung haftet:
- 1.
wer als Arbeitgeber den Ausländer als Arbeitnehmer beschäftigt hat, dem die Ausübung der Erwerbstätigkeit nach den Vorschriften dieses Gesetzes nicht erlaubt war; - 2.
ein Unternehmer, für den ein Arbeitgeber als unmittelbarer Auftragnehmer Leistungen erbracht hat, wenn ihm bekannt war oder er bei Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen müssen, dass der Arbeitgeber für die Erbringung der Leistung den Ausländer als Arbeitnehmer eingesetzt hat, dem die Ausübung der Erwerbstätigkeit nach den Vorschriften dieses Gesetzes nicht erlaubt war; - 3.
wer als Generalunternehmer oder zwischengeschalteter Unternehmer ohne unmittelbare vertragliche Beziehungen zu dem Arbeitgeber Kenntnis von der Beschäftigung des Ausländers hat, dem die Ausübung der Erwerbstätigkeit nach den Vorschriften dieses Gesetzes nicht erlaubt war; - 4.
wer eine nach § 96 strafbare Handlung begeht; - 5.
der Ausländer, soweit die Kosten von den anderen Kostenschuldnern nicht beigetrieben werden können.
(4a) Die Haftung nach Absatz 4 Nummer 1 entfällt, wenn der Arbeitgeber seinen Verpflichtungen nach § 4a Absatz 5 sowie seiner Meldepflicht nach § 28a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch in Verbindung mit den §§ 6, 7 und 13 der Datenerfassungs- und -übermittlungsverordnung oder nach § 18 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes nachgekommen ist, es sei denn, er hatte Kenntnis davon, dass der Aufenthaltstitel oder die Bescheinigung über die Aufenthaltsgestattung oder die Aussetzung der Abschiebung des Ausländers gefälscht war.
(5) Von dem Kostenschuldner kann eine Sicherheitsleistung verlangt werden. Die Anordnung einer Sicherheitsleistung des Ausländers oder des Kostenschuldners nach Absatz 4 Satz 1 und 2 kann von der Behörde, die sie erlassen hat, ohne vorherige Vollstreckungsanordnung und Fristsetzung vollstreckt werden, wenn andernfalls die Erhebung gefährdet wäre. Zur Sicherung der Ausreisekosten können Rückflugscheine und sonstige Fahrausweise beschlagnahmt werden, die im Besitz eines Ausländers sind, der zurückgewiesen, zurückgeschoben, ausgewiesen oder abgeschoben werden soll oder dem Einreise und Aufenthalt nur wegen der Stellung eines Asylantrages gestattet wird.
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
Tatbestand
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Der Kläger, ein im Jahre 1966 geborener türkischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen seine unbefristete Ausweisung.
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Der Kläger kam nach Heirat einer türkischen Staatsangehörigen 1991 im Wege des Ehegattennachzugs nach Deutschland. Aus der Ehe sind zwei Kinder hervorgegangen, eine 1993 geborene Tochter und ein 2002 geborener Sohn. 1996 erhielt der Kläger eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis, die 2007 als Niederlassungserlaubnis in seinen Reisepass übertragen wurde.
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2003 verlor der Kläger durch Konkurs des Arbeitgebers nach zwölf Jahren ununterbrochener Beschäftigung als Lagerarbeiter und Maschinenführer seinen Arbeitsplatz. Danach gelang es ihm nicht, erneut eine dauerhafte Beschäftigung zu finden. Im Mai 2003 wurde die Ehe geschieden. Nach einer Versöhnung lebte der Kläger vorübergehend wieder mit seiner Familie zusammen. Im Mai 2008 kam es zur endgültigen Trennung.
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Dies führte beim Kläger zu psychischen Problemen. Er steigerte sich in die Vorstellung hinein, seine geschiedene Frau sei für sein Schicksal verantwortlich, kümmere sich nicht um die gemeinsamen Kinder und versuche, den Kontakt mit diesen zu verhindern. Diese Negativentwicklung gipfelte darin, dass er am 14. Dezember 2008 gegen 23.30 Uhr in die frühere Familienwohnung eindrang. Dabei führte er eine Rolle Klebeband, zwei Messer und einen Brief mit sich, in dem er ankündigte, sich und seine Kinder zu töten. In der Wohnung traf er auf seine Frau, schlug ihr mehrfach heftig ins Gesicht und drohte ihr mit der Tötung der Kinder. Durch das Eingreifen einer Freundin der Frau gelang es, die Situation bis zum Eintreffen der Polizei zu entspannen. Bei seiner Festnahme drohte der Kläger, seine frühere Ehefrau umzubringen. Er wurde in Untersuchungshaft genommen und mit Urteil des Amtsgerichts Stuttgart vom 23. März 2009 wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung, Nötigung und Hausfriedensbruch zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt, die wegen der Gefahr neuer Straftaten zum Nachteil der Familie nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde.
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Mit Bescheid vom 27. Juli 2009 wies das Regierungspräsidium Stuttgart den Kläger aus und drohte ihm die Abschiebung unmittelbar aus der Haft heraus in die Türkei an. Zur Begründung wurde ausgeführt, vom Kläger gehe eine massive Gefahr für die öffentliche Sicherheit aus. Seine unbefristete Ausweisung sei daher auch bei einer zu seinen Gunsten unterstellten Rechtsstellung nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 gerechtfertigt. Hiergegen erhob der Kläger Klage. Während des Klageverfahrens wurde die Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe vom Landgericht Stuttgart im Dezember 2009 zur Bewährung ausgesetzt und der Kläger aus der Haft entlassen. Daraufhin setzte das Regierungspräsidium dem Kläger mit Bescheid vom 16. Dezember 2009 eine Ausreisefrist bis 17. Januar 2010. Diese Änderung wurde im Wege der Klageerweiterung in das Klageverfahren einbezogen.
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Das Verwaltungsgericht hat der Klage mit Urteil vom 17. Dezember 2010 stattgegeben und die angegriffenen Bescheide aufgehoben. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat nach Ablehnung eines Antrags des Beklagten auf Einholung eines fachpsychiatrischen Gutachtens dessen Berufung mit Urteil vom 9. August 2011 zurückgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt: Der Kläger besitze jedenfalls nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 eine assoziationsrechtliche Rechtsstellung. Er dürfe daher nach § 55 Abs. 1 AufenthG i.V.m. Art. 14 Abs. 1 ARB 1 /80 nur ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung darstelle, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Dabei gelte entgegen der Annahme des Bundesverwaltungsgerichts nicht ein differenzierter, mit zunehmendem Ausmaß des möglichen Schadens abgesenkter Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts. Maßgeblich sei allein der jeweilige Einzelfall, der eine umfassende Würdigung aller wesentlichen Umstände der Tat und der Persönlichkeit des Betroffenen erfordere. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe gehe vom Kläger gegenwärtig keine Wiederholungsgefahr aus. Der Einholung eines Gutachtens habe es nicht bedurft. Es lägen keine besonderen tat- oder persönlichkeitsbezogenen Umstände vor, aufgrund derer die Gefahrenprognose nicht ohne spezielle Sachkunde getroffen werden könne. Mehr als anderthalb Jahre nach der Strafaussetzung zur Bewährung und unter Berücksichtigung des zwischenzeitlichen Verhaltens des Klägers sowie der recht spezifischen Umstände, die im Dezember 2008 zur Straftat geführt hätten, bestünden keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger erneut vergleichbare Straftaten insbesondere zum Nachteil seiner geschiedenen Ehefrau oder seiner Kinder begehen werde. Die vom Beklagten (hilfsweise) begehrte Aufhebung der Ausweisung mit Wirkung ex nunc - primär um ein Wiederaufleben der Niederlassungserlaubnis des Klägers zu verhindern - komme nicht in Betracht. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO lasse sowohl eine Aufhebung ex tunc als auch ex nunc zu. Auch § 84 Abs. 2 AufenthG sei zu dieser Frage keine klare Entscheidung zu entnehmen. Gegen eine zeitliche begrenzte Aufhebung der Ausweisungsverfügung sprächen vor allem die europa- und verfassungsrechtlichen Vorgaben, die für die Zeitpunktverschiebung im Ausweisungsrecht maßgebend gewesen seien, aber auch pragmatische Gründe, da das Gericht den genauen Stichtag - etwa des Wegfalls der Wiederholungsgefahr - regelmäßig nur schwer ermitteln könne. Möglich dürfte allein die Feststellung sein, dass die Ausweisung zu einem bestimmten Zeitpunkt rechtswidrig oder rechtmäßig gewesen sei. Insoweit könne der Ausländerbehörde eventuell mittels eines Feststellungsausspruchs analog § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO geholfen werden, der ggf. auch im Wege der Widerklage oder Anschlussberufung durchsetzbar sei. Einen solchen Antrag habe der Beklagte nicht gestellt. Da der Aufenthalt nicht beendet worden sei, fehle es auch an einem besonderen Feststellungsinteresse.
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Der Beklagte rügt mit der Revision eine Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör wegen der Ablehnung seines Beweisantrags. Außerdem ist er der Auffassung, dass eine Ausweisung nach Wegfall der Wiederholungsgefahr im gerichtlichen Verfahren nur mit Wirkung ex nunc aufgehoben werden dürfe.
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Der Kläger verteidigt die angegriffene Entscheidung, hilfsweise begehrt er eine Befristung der in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG genannten gesetzlichen Wirkungen der Ausweisung mit sofortiger Wirkung.
Entscheidungsgründe
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Die Revision, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 101 Abs. 2 i.V.m. § 141 Satz 1 und § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO), ist zulässig und begründet. Die Verfahrensrüge des Beklagten greift durch. Das Berufungsgericht hat den vom Beklagten in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag auf Einholung eines fachpsychiatrischen Gutachtens unter Verstoß gegen das Recht auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) abgelehnt. Der Beweisantrag zielte auf die Aufklärung der Tatsache, ob der Kläger die psychische Situation und die Denk- und Wahrnehmungsmuster, die dem Verfassen des Abschiedsbriefs vom 14. Dezember 2008 und der abgeurteilten Straftat von demselben Tag zugrunde liegen, so weit überwunden hat, dass von ihm keine Gefahr weiterer vergleichbarer Straftaten gegen seine geschiedene Frau und seine Kinder mehr ausgeht. Da das Berufungsurteil auf diesem Verfahrensmangel beruht, ist es schon deshalb aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
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1. Das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs verpflichtet die Gerichte, die Ausführungen der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen. Als Prozessgrundrecht soll es sicherstellen, dass die gerichtliche Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, die ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme oder Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. In diesem Sinne gebietet Art. 103 Abs. 1 GG es, dass das Gericht einem Beweisangebot nachgeht, wenn die unter Beweis gestellte Tatsachenbehauptung nach seinem Rechtsstandpunkt erheblich ist und die Nichtberücksichtigung des Beweisangebots im Prozessrecht keine Stütze findet (stRspr, vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 22. Januar 2001 - 1 BvR 2075/98 - NJW-RR 2001, 1006 m.w.N.).
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Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts können die Tatsacheninstanzen einen Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens im Allgemeinen nach tatrichterlichem Ermessen gemäß § 98 VwGO in entsprechender Anwendung des § 412 ZPO oder mit dem Hinweis auf die eigene Sachkunde verfahrensfehlerfrei ablehnen. Das Tatsachengericht muss seine Entscheidung für die Beteiligten und das Rechtsmittelgericht aber nachvollziehbar begründen und ggf. angeben, woher es seine Sachkunde hat. Wie konkret der Hinweis auf die eigene Sachkunde des Gerichts zu sein hat, hängt dabei von den Umständen des Einzelfalls ab (vgl. Beschluss vom 27. Februar 2001 - BVerwG 1 B 206.00 - Buchholz 310 § 86 Abs. 2 VwGO Nr. 46 m.w.N.). Die Nichteinholung eines Sachverständigengutachtens ist hingegen verfahrensfehlerhaft, wenn das Gericht für sich eine ihm nicht zur Verfügung stehende Sachkunde in Anspruch nimmt oder sich in einer Frage für sachkundig hält, in der seine Sachkunde ernstlich zweifelhaft ist, ohne dass es überzeugend darlegt, weshalb ihm die erforderliche Sachkunde zur Verfügung steht, oder wenn sonst seine Entscheidung auf mangelnde Sachkunde schließen lässt (Beschluss vom 24. November 1997 - BVerwG 1 B 224.97 - juris Rn. 6 m.w.N.).
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In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist weiter geklärt, dass bei der gerichtlichen Überprüfung der Ausweisung eines strafgerichtlich verurteilten Ausländers hinsichtlich der gebotenen Gefahrenprognose nicht allein auf das Strafurteil und die diesem zugrunde liegende Straftat, sondern auf die Gesamtpersönlichkeit abzustellen ist und dabei auch nachträgliche Entwicklungen einzubeziehen sind. Bei dieser Prognoseentscheidung bewegt sich das Gericht regelmäßig in Lebens- und Erkenntnisbereichen, die dem Richter allgemein zugänglich sind. Der Hinzuziehung eines Sachverständigen bedarf es nur ausnahmsweise, wenn die Prognose aufgrund besonderer Umstände - etwa bei der Beurteilung psychischer Erkrankungen - nicht ohne spezielle, dem Gericht nicht zur Verfügung stehende fachliche Kenntnisse erstellt werden kann (vgl. Beschlüsse vom 4. Mai 1990 - BVerwG 1 B 82.89 - Buchholz 402.24 § 10 AuslG Nr. 124 und vom 14. März 1997 - BVerwG 1 B 63.97 - Buchholz 402.240 § 45 AuslG 1990 Nr. 10 m.w.N.).
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Von einem derartigen Sonderfall ist vorliegend auszugehen. Aufgrund der beim Kläger anlässlich der endgültigen Trennung von seiner geschiedenen Ehefrau aufgetretenen massiven psychischen Probleme, die letztlich zu der Tat vom Dezember 2008 und den ernst zu nehmenden Todesdrohungen gegen seine geschiedene Ehefrau und die gemeinsamen Kinder geführt haben, liegen Hinweise dafür vor, dass die Persönlichkeit des Klägers nicht allein auf der Grundlage allgemeiner Lebenserfahrung zutreffend beurteilt werden kann. Vielmehr bedarf es hierfür - ungeachtet des zwischenzeitlichen Verhaltens des Klägers - einer speziellen, einem Laien regelmäßig nicht zur Verfügung stehenden medizinischen Sachkunde. Dies gilt umso mehr, als die Hintergründe der Tat im Strafverfahren weitgehend im Dunkeln geblieben sind und der Kläger ausweislich der im Berufungsverfahren vorgelegten Bescheinigung der ihn behandelnden Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie vom 28. Juli 2011 in den zehn seit seiner Entlassung durchgeführten therapeutischen Sitzungen wenig offen für das Aufarbeiten von Vergangenem war und - hierauf angesprochen - Gefühle von Kränkung und Wut zeigte.
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Den Ausführungen des Berufungsgerichts ist nicht zu entnehmen, dass es selbst über die erforderliche Sachkunde für das Erfassen und Bewerten eines nach der Vorgeschichte nicht auszuschließenden psychisch krankhaften Verhaltens des Klägers verfügt. Insoweit kann es sich insbesondere nicht auf die ihm vorgelegte ärztliche Bescheinigung stützen. In dieser wird eine Anpassungsstörung mit gemischter Störung von Gefühlen und Sozialverhalten diagnostiziert. Zur Frage der (fortbestehenden) Gefährlichkeit des Klägers enthält die Bescheinigung keine abschließende Aussage, sondern nur den Hinweis, dass innerhalb der Behandlungsgespräche zu keinem Zeitpunkt selbst- oder fremdgefährdende Einstellungen oder Verhaltensweisen aufgefallen seien. Auch das unauffällige Verhalten des Klägers seit seiner Freilassung, die im Wesentlichen positiven Stellungnahmen der ihn betreuenden sozialen Einrichtungen und das Einhalten der Bewährungsauflagen, insbesondere das Beachten des Kontaktverbots zu seiner geschiedenen Ehefrau und den Kindern, ändern nichts daran, dass eine zuverlässige Würdigung der klägerischen Persönlichkeit im Rahmen der dem Gericht obliegenden Prognoseentscheidung nach den in der Vergangenheit gezeigten psychischen Auffälligkeiten einer besonderen Sachkunde bedarf. Damit findet die Ablehnung des Beweisantrags des Beklagten im Prozessrecht keine Stütze. Das Verfahren ist schon deshalb wegen Verstoßes gegen das Recht auf rechtliches Gehör an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
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2. Für das erneute Berufungsverfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
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2.1 Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung, der noch nicht vollzogenen Abschiebungsandrohung und der vom Kläger erstmals im Revisionsverfahren hilfsweise begehrten Befristung ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts (stRspr, vgl. Urteil vom 10. Juli 2012 - BVerwG 1 C 19.11 - zur Veröffentlichung in der Sammlung BVerwGE vorgesehen - Rn. 12 m.w.N.).
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2.2 Die angefochtene Ausweisung findet ihre Rechtsgrundlage in § 55 Abs. 1, § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG i.V.m. Art. 14 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei über die Entwicklung der Assoziation (ANBA 1981, 4) - ARB 1/80 -. Zu Recht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass der Kläger jedenfalls als türkischer Arbeitnehmer nach Art. 6 Abs. 1 Spiegelstrich 3 ARB 1/80 ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht erworben hat. Dieses geht nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union - EuGH - nicht durch eine ihrer Natur nach vorübergehende Abwesenheit vom Arbeitsmarkt, etwa infolge unfreiwilliger Arbeitslosigkeit oder Verbüßung einer Freiheitsstrafe, verloren (EuGH, Urteil vom 7. Juli 2005 - Rs. C-383/03, Dogan - Slg. 2005 I-6237 Rn. 19 und 22). Der Kläger kann daher nach Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 nur ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland darstellt und die Maßnahme für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 - Rs. C-371/08, Ziebell - NVwZ 2012, 422). Zur Bestimmung der Bedeutung und der Tragweite des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 hat der EuGH in der Vergangenheit auf die Richtlinie 64/221/EWG abgestellt. Nachdem diese Richtlinie inzwischen durch die Richtlinie 2004/38/EG - Unionsbürgerrichtlinie - aufgehoben wurde, gilt für assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige nunmehr ein anderer unionsrechtlicher Bezugsrahmen. Dieser wird für einen Ausländer, der sich - wie der Kläger - seit mehr als zehn Jahren ununterbrochen rechtmäßig im Aufnahmemitgliedstaat aufhält, mangels günstigerer Vorschriften im Assoziationsrecht EWG-Türkei durch Art. 12 der Richtlinie 2003/109/EG - Daueraufenthaltsrichtlinie - gebildet, die eine Vorschrift zum Mindestschutz vor Ausweisungen von Drittstaatsangehörigen darstellt, die in einem Mitgliedstaat die Rechtsstellung von langfristig Aufenthaltsberechtigten besitzen (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 a.a.O. Rn. 79; zu den Anforderungen an die Ausweisung eines assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen nach Aufhebung der Richtlinie 64/221/EWG vgl. auch Senatsurteil vom 10. Juli 2012 a.a.O. Rn. 14 ff.).
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Für die danach im Rahmen tatrichterlicher Prognose festzustellende Wiederholungsgefahr gilt entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ein mit zunehmendem Ausmaß des möglichen Schadens abgesenkter Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts. Die Kritik des Berufungsgerichts an diesem differenzierenden Wahrscheinlichkeitsmaßstab verkennt, dass jede sicherheitsrechtliche Gefahrenprognose nach den allgemeinen Grundsätzen des Gefahrenabwehrrechts eine Korrelation aus Eintrittswahrscheinlichkeit und (möglichem) Schadensausmaß ist. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist. Auch die den nationalen Gerichten obliegende und auf der Grundlage aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Beurteilung, ob das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft darstellt, kann im Hinblick auf die erforderliche Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts den Rang des bedrohten Rechtsguts nicht außer Acht lassen, denn dieser bestimmt die mögliche Schadenshöhe. Das bedeutet aber nicht, dass bei hochrangigen Rechtsgütern bereits jede auch nur entfernte Möglichkeit eine Wiederholungsgefahr begründet. Der Senat hat schon zu § 12 Abs. 3 AufenthG/EWG entschieden, dass im Hinblick auf die Bedeutung des Grundsatzes der Freizügigkeit an die nach dem Ausmaß des möglichen Schadens differenzierende hinreichende Wahrscheinlichkeit keine zu geringen Anforderungen gestellt werden dürfen (vgl. Urteil vom 10. Juli 2012 a.a.O. Rn. 16 m.w.N.).
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In diesem Zusammenhang wird das Berufungsgericht, nachdem es sich die erforderliche Sachkunde für eine zuverlässige Beurteilung der klägerischen Persönlichkeit - durch Einholung des vom Beklagten beantragten fachpsychiatrischen Gutachtens oder auf andere Weise, etwa durch Anhörung der den Kläger behandelnden Ärztin - verschafft hat, zunächst zu klären haben, ob vom Kläger gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung ausgeht, weil schwere Straftaten zum Nachteil seiner geschiedenen Ehefrau und der gemeinsamen Kinder zu befürchten sind.
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2.3 Sollte das Berufungsgericht hierbei zu dem Ergebnis kommen, dass vom Kläger im für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung keine Wiederholungsgefahr (mehr) ausgeht, wäre die Ausweisung schon deshalb rechtswidrig und mit Wirkung ex tunc aufzuheben, ohne dass es darauf ankäme, ob die Behörde ihr Ermessen bei Erlass der Ausweisungsverfügung ordnungsgemäß ausgeübt und während des Verfahrens entsprechend aktualisiert hat.
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Das Prozessrecht enthält zu der Frage, in welchem Umfang eine ursprünglich rechtmäßige, im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung aber wegen einer zwischenzeitlichen Änderung der Sach- oder Rechtslage rechtswidrig gewordene Ausweisung aufzuheben ist, keine verbindliche Regelung. Soweit es in § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO heißt, dass ein Verwaltungsakt aufzuheben ist, "soweit" er sich als rechtswidrig erweist, lässt diese Vorschrift sowohl eine Aufhebung ex tunc als auch ex nunc zu. Ob ein Verwaltungsakt aber in inhaltlicher oder auch in zeitlicher Hinsicht teilbar ist, ist eine Frage des jeweiligen materiellen Rechts. Diesem sind nicht nur die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes zu entnehmen, sondern es bestimmt auch, zu welchem Zeitpunkt diese Voraussetzungen bei einer gerichtlichen Überprüfung vorliegen müssen, und ob eine ursprünglich rechtmäßige, während des gerichtlichen Verfahrens aber rechtswidrig gewordene Verfügung "in der Zeit" teilbar ist.
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Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Aufenthaltsgesetz an die Ausweisung kraft Gesetzes bestimmte Rechtsfolgen knüpft. Diese sind nur teilweise - etwa das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot (§ 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG) und die Titelerteilungssperre (§ 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG) - einer zeitlichen Limitierung zugänglich (vgl. insoweit auch die Befristungsmöglichkeit nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG). Die titelvernichtende Wirkung der Ausweisung (§ 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG) und die damit einhergehende Ausreisepflicht (§ 50 Abs. 1 AufenthG) können hingegen nach der gesetzlichen Konzeption nur durch eine auf den Erlasszeitpunkt rückwirkende Aufhebung beseitigt werden. Damit unterscheidet sich die Ausweisung in ihren Folgen von einem - auf der Zeitachse teilbaren - Dauerverwaltungsakt.
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Entgegen der Auffassung des Beklagten ergibt sich die Möglichkeit einer Aufhebung mit Wirkung ex nunc auch nicht aus § 84 Abs. 2 Satz 3 AufenthG. Danach tritt eine Unterbrechung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts nicht ein, wenn der Verwaltungsakt durch eine behördliche oder unanfechtbare gerichtliche Entscheidung aufgehoben wird. Diese Vorschrift knüpft an die Regelung in § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG an. Danach lassen Widerspruch und Klage unbeschadet ihrer aufschiebenden Wirkung die Wirksamkeit der Ausweisung und eines sonstigen Verwaltungsaktes, der die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts beendet, unberührt. Die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts entfällt folglich mit dem Erlass der Ausweisungsverfügung, ohne dass es auf deren vorläufige Vollziehbarkeit ankommt. § 84 Abs. 2 Satz 3 AufenthG stellt klar, dass diese aufenthaltsrechtliche Folge nicht eintritt, wenn der die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts beendende Verwaltungsakt nachträglich durch eine behördliche oder unanfechtbare gerichtliche Entscheidung aufgehoben wird. Die Vorschrift verhält sich indes nicht zu der hier entscheidungserheblichen Frage der Teilbarkeit der Ausweisung "in der Zeit".
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Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Umstand, dass § 84 Abs. 2 Satz 3 AufenthG ausdrücklich nur die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts anspricht. Das Aufenthaltsgesetz unterscheidet zwar grundsätzlich zwischen dem Besitz eines Aufenthaltstitels und der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts. Der Regelung in § 84 Abs. 2 Satz 3 AufenthG, wonach im Falle einer späteren Aufhebung keine Unterbrechung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts eintritt, kann aber nicht im Umkehrschluss entnommen werden, dass in Fällen, in denen der die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts beendende Verwaltungsakt zugleich zum Erlöschen eines Aufenthaltstitels führt, dieser Aufenthaltstitel bei einer späteren Aufhebung des Verwaltungsakts nicht wieder auflebt. So geht selbst der Beklagte davon aus, dass eine von Anfang an rechtswidrige Ausweisung mit Wirkung ex tunc aufzuheben ist und zu einem Wiederaufleben führt.
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Auch den Gesetzesmaterialien zu § 84 Abs. 2 Satz 3 AufenthG und der wortgleichen Vorgängerregelung in § 72 Abs. 2 Satz 3 AuslG 1990 kann nicht entnommen werden, dass mit diesen Vorschriften die rechtlichen Konsequenzen einer Aufhebung ex nunc geregelt werden sollten. Die Regelung in § 72 Abs. 2 Satz 3 AuslG 1990 stammt aus einer Zeit, als sich die Rechtmäßigkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen im gerichtlichen Verfahren allein nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung richtete. Gleiches galt - von unionsrechtlichen Ausnahmen abgesehen - auch noch bei Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes Anfang 2005. Entsprechend findet sich in der Begründung zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung zum Ausländergesetz 1990 nur der allgemeine Hinweis, dass die "ex tunc-Wirkung" der Aufhebung gewährleiste, dass die Unterbrechung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts beseitigt werde (BTDrucks 11/6321 S. 81). Auch in der Begründung zu § 84 AufenthG im Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Zuwanderungsgesetz wird lediglich darauf verwiesen, dass die Vorschrift § 72 AuslG entspreche (BTDrucks 15/420 S. 97).
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Das Berufungsgericht ist daher zutreffend davon ausgegangen, dass mit der Regelung in § 84 Abs. 2 Satz 3 AufenthG lediglich klargestellt werden soll, dass im Falle einer Aufhebung ex tunc die alte Rechtsstellung in vollem Umfang wieder auflebt, der Betroffene also so stehen soll, als wenn die Ausweisung nie verfügt worden wäre. Dieses Verständnis der Vorschrift liegt im Übrigen auch der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift des Bundesministeriums des Innern zum Aufenthaltsgesetz vom 26. Oktober 2009 zugrunde (vgl. Nr. 84.2.3 der VwV-AufenthG).
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Würde eine Ausweisung, die nur infolge einer nachträglichen Änderung der Sach- und Rechtslage - etwa wegen Wegfalls der Wiederholungsgefahr -rechtswidrig ist, nicht ex tunc, sondern nur mit Wirkung ex nunc oder bezogen auf den Zeitpunkt, in dem die ursprünglich rechtmäßige Ausweisung rechtswidrig geworden ist, aufgehoben, bliebe es für die Vergangenheit bei einer wirksamen Ausweisung mit allen daran anknüpfenden gesetzlichen Folgen. Dies wäre mit Blick auf die titelvernichtende Wirkung der Ausweisung nach § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG und die daran anknüpfende gesetzliche Ausreisepflicht nach § 50 Abs. 1 AufenthG problematisch. Denn diese gesetzlichen Folgen hängen allein vom wirksamen Erlass einer Ausweisungsverfügung ab (§ 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG). Ein nach § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG kraft Gesetzes erloschener Aufenthaltstitel könnte daher bei einer nicht auf den Erlasszeitpunkt rückwirkenden Aufhebung nicht wieder aufleben. Der Ausländer wäre weiterhin nach § 50 Abs. 1 AufenthG ausreisepflichtig. Einen neuen Aufenthaltstitel könnte er nur auf Antrag erhalten, falls er die rechtlichen Voraussetzungen hierfür erfüllt.
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Mit Blick auf diese - im Fall einer nicht auf den Erlasszeitpunkt rückwirkenden Aufhebung fortbestehenden - gesetzlichen Rechtswirkungen der Ausweisung sprechen daher die gleichen Erwägungen, die den Senat in seinem Urteil vom 15. November 2007 - BVerwG 1 C 45.06 - (BVerwGE 130, 20) bewogen haben, bei der gerichtlichen Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Ausweisung zukünftig bei allen Ausländern einheitlich auf die Sach- oder Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen, gegen eine Teilbarkeit der Ausweisung "in der Zeit". Damit ist eine Ausweisungsverfügung auch in Fällen, in denen die Ausweisung nur wegen einer nachträglichen Änderung der Sach- oder Rechtslage im für die Beurteilung ihrer Rechtmäßigkeit maßgeblichen Zeitpunkt rechtswidrig geworden ist, ex nunc aufzuheben. Der Senat hat die generelle Zeitpunktverschiebung vor allem damit begründet, dass nach der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Bundesverfassungsgerichts zur Verhältnismäßigkeit von Ausweisungen im Hinblick auf einen möglichen Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens aus Art. 8 Abs. 1 EMRK und das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG auf freie Entfaltung der Persönlichkeit auf eine möglichst aktuelle Tatsachengrundlage abzustellen ist und zudem der Kreis derjenigen Ausländer, die kraft Unionsrechts nur bei Vorliegen einer gegenwärtigen Gefahr ausgewiesen werden dürfen, durch dem Richtlinienumsetzungsgesetz 2007 zugrunde liegende EU-Richtlinien nochmals erweitert worden ist (Urteil vom 15. November 2007 a.a.O. Rn. 15 ff.). Das dabei verfolgte Ziel, in einem Verfahren auf aktueller Grundlage abschließend über die Aufenthaltsbeendigung zu entscheiden, würde unterlaufen, wenn die Ausweisung bei einer entscheidungserheblichen nachträglichen Änderung der Sach- und Rechtslage zugunsten des Ausländers nicht rückwirkend aufgehoben und der dem Ausländer vor Erlass der Ausweisung zustehende Aufenthaltstitel nicht wieder aufleben würde. Denn in diesem Fall müsste der Streit über seinen weiteren Verbleib im Bundesgebiet im Rahmen eines neuen Aufenthaltserlaubnisverfahrens ausgetragen werden. Dass folglich auch eine im für die gerichtliche Überprüfung maßgeblichen Zeitpunkt mangels Wiederholungsgefahr rechtswidrige Ausweisung unabhängig von ihrer ursprünglichen Rechtmäßigkeit mit Wirkung ex tunc aufzuheben ist, ist daher letztlich eine weitere Konsequenz der Senatsrechtsprechung zur generellen Zeitpunktverlagerung. Diese verstößt weder gegen das Rechtsstaatsprinzip noch gegen Art. 3 GG. Das mit der Rechtsprechung des Senats zur generellen Zeitpunktverschiebung verfolgte Ziel, in einem Verfahren auf aktueller Grundlage abschließend über die Aufenthaltsbeendigung zu entscheiden, dient vor allem dem Grundrechtsschutz des Ausländers und der Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und beruht damit auf einer hinreichenden sachlichen Rechtfertigung.
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2.4 Zur Klarstellung weist der Senat allerdings daraufhin, dass in Fällen, in denen die Ausweisung ursprünglich rechtmäßig war und nur aufgrund einer nachträglichen Änderung der Sach- und Rechtslage rechtswidrig geworden ist, ihre Aufhebung mit Wirkung ex tunc nicht zur Folge hat, dass damit frühere Abschiebungsmaßnahmen zwangsläufig rechtswidrig sind und hierfür vom Ausländer oder einem gesetzlichen Haftungsschuldner keine Kosten erhoben werden können. Denn die rückwirkende Aufhebung einer Ausweisung wirkt sich nach nationalem Recht nicht auf frühere Vollstreckungsmaßnahmen aus, die zum damaligen Zeitpunkt rechtmäßig waren. Die Rechtmäßigkeit einer Abschiebung beurteilt sich vielmehr nach der zum Zeitpunkt ihrer Vollziehung maßgeblichen Sach- und Rechtslage. Ob dies auch in - wie vorliegend - unionsrechtlich geprägten Fallgestaltungen gilt oder ob hier - mit Blick auf die vom EuGH festgestellte Pflicht zur Berücksichtigung neuer Tatsachen bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Ausweisung - ausnahmsweise auch für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit bereits vollzogener Abschiebungsmaßnahmen und die Festsetzung von Abschiebungskosten etwas anderes gilt, bedarf keiner Entscheidung. Denn das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Beklagte weder einen Antrag auf Feststellung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung bezogen auf einen früheren Zeitpunkt gestellt hat noch ein besonderes Interesse an einer entsprechenden Feststellung besteht, da der Kläger nicht abgeschoben worden ist.
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2.5 Sollte das Berufungsgericht nach fachkundiger Abklärung bei der Gefahrenprognose zu dem Ergebnis kommen, dass vom Kläger weiterhin eine Wiederholungsgefahr ausgeht und die Ausweisung auch im Übrigen rechtmäßig ist, wird es auch über den vom Kläger erstmals im Revisionsverfahren gestellten Hilfsantrag zu entscheiden haben, mit dem dieser eine sofortige Befristung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG begehrt (vgl. dazu Senatsurteil vom 10. Juli 2012 a.a.O. Rn. 27 ff.).
(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.
(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.
(1) Bieten die Ermittlungen genügenden Anlaß zur Erhebung der öffentlichen Klage, so erhebt die Staatsanwaltschaft sie durch Einreichung einer Anklageschrift bei dem zuständigen Gericht.
(2) Andernfalls stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein. Hiervon setzt sie den Beschuldigten in Kenntnis, wenn er als solcher vernommen worden ist oder ein Haftbefehl gegen ihn erlassen war; dasselbe gilt, wenn er um einen Bescheid gebeten hat oder wenn ein besonderes Interesse an der Bekanntgabe ersichtlich ist.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.
Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:
- 1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen; - 2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a; - 3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird; - 4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden; - 5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären; - 6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden; - 7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen; - 8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht; - 9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung; - 10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist; - 11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.