Verwaltungsgericht Düsseldorf Beschluss, 05. Juni 2015 - 13 L 1253/15.A
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
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Gründe:
2Der am 2. April 2015 bei Gericht gestellte Antrag,
3die aufschiebende Wirkung der Klage 13 K 2511/15.A gegen die Abschiebungsanordnung unter Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 19. März 2015 anzuordnen,
4zu dessen Entscheidung die Einzelrichterin gemäß § 76 Absatz 4 Satz 1 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) berufen ist, hat keinen Erfolg. Er ist unbegründet.
5Die im summarischen Eilverfahren gebotene Abwägung des öffentlichen Interesses der Antragsgegnerin an der sofortigen Vollziehung mit dem privaten Aussetzungsinteresse der Antragsteller fällt zu Lasten der Antragsteller aus, weil der angefochtene Bescheid des Bundesamtes keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet. Er ist weder in formeller (I.) noch in materieller Hinsicht (II.) zu beanstanden.
6I. Entgegen der Ansicht der Antragsteller, ist der angegriffene Bescheid in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden.
71. Das Bundesamt war für den Erlass des Bescheides zuständig. Dies folgt aus § 5 Absatz 1 Satz 1 AsylVfG, wonach über Asylanträge das Bundesamt entscheidet. Aus § 31 Absatz 1 Satz 4 AsylVfG ergibt sich unmittelbar, dass auch die Ablehnung eines Asylantrags als unzulässig nach § 27a AsylVfG, wie sie hier in Rede steht, eine solche Entscheidung über den Asylantrag darstellt. Ferner bestimmt § 34a Absatz 1 Satz 1 AsylVfG, dass das Bundesamt in seinem solchen Fall die Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat anordnet. Die sich hieraus ergebende Zuständigkeit des Bundesamtes wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass in der auf § 88 Absatz 1 AsylVfG beruhenden Verordnung zur Neufassung der Asylzuständigkeitsverordnung vom 2. April 2008 (AsylZBV) die Zuständigkeit des Bundesamtes für die Ausführung der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO), keine Erwähnung findet. Die Vorschriften der AsylZBV lassen die bereits kraft Gesetzes bestehende Zuständigkeit des Bundesamtes für Entscheidungen nach § 27a AsylVfG unberührt. Sie regeln lediglich nähere Einzelheiten im Zusammenhang mit der Übermittlung von Auf- und Wiederaufnahmeersuchen an die anderen Mitgliedstaaten sowie die Festlegung der Modalitäten der Überstellung (§ 2 Absatz 1 Nr. 1 AsylZBV), der Entscheidung über Auf- und Wiederaufnahmeersuchen der anderen Staaten sowie die Festlegung der Modalitäten der Überstellung (Nr. 2 der Vorschrift) und den Informationsaustausch sowie die notwendigen Mitteilungen an die betroffenen Drittstaatsangehörigen (Nr. 3) und erklären hierfür ebenfalls die Zuständigkeit des Bundesamtes. Inwiefern sich an dieser Rechtslage durch das Inkrafttreten der Dublin III-VO etwas geändert haben sollte, ist nicht ersichtlich.
8VG Düsseldorf, Beschluss vom 9. Dezember 2014 – 13 L 2565/14.A –, juris, Rn. 5.
92. Soweit die Antragsteller darauf hinweisen, sie seien entgegen Artikel 4 Dublin III-VO nicht über die Anwendung der Dublin-Verordnung informiert worden, vermögen sie damit nicht durchzudringen. Zwar entspricht das von der Antragsgegnerin verwendete Merkblatt über das Dublin-Verfahren nicht dem ausführlicheren Merkblatt, das die EU-Kommission in Anlage X ihrer „Durchführungsverordnung (EU) Nr. 118/2014 vom 30. Januar 2014 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist“ vorgesehen hat. Der wesentliche Inhalt des Dublin-Verfahrens wird den Antragstellern aber durch das vom Bundesamt verwendete Merkblatt und die weiteren den Antragstellern gegebenen Informationen ausreichend näher gebracht. Insofern liegt nach Auffassung des Gerichts bereits kein Verfahrensfehler vor. Aus Artikel 4 Absatz 3 Dublin III-VO folgt insbesondere nicht, dass das Merkblatt der EU-Kommission zur Unterrichtung im Dublin-Verfahren für die Durchführung des Verfahrens von wesentlicher Bedeutung ist. Deshalb spricht auch einiges dafür, dass nach den allgemeinen, in § 46 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) zum Ausdruck kommenden Rechtsgrundsätzen ein diesbezüglicher Verfahrensfehler jedenfalls unbeachtlich wäre. Nach § 46 VwVfG darf ein Verwaltungsakt nicht allein deshalb aufgehoben werden, weil sie unter Verletzung von Verfahrens-, Form oder Zuständigkeitsbestimmungen zustande gekommen ist, wenn offensichtlich eine gleichlautende Entscheidung zu treffen wäre.
10VG Schwerin, Beschluss vom 17. März 2015 – 3 B 687/15 As –, juris, Rn. 9.
11Anderes folgt im vorliegenden Fall auch nicht aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EUGH) zum harmless error principle. Danach führen wesentliche Verfahrensfehler (vgl. Artikel 263 Absatz 2 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union [AEUV]) zur Aufhebung der entsprechenden Verwaltungsentscheidung, wenn sie geeignet sind, sich auf die inhaltliche Entscheidung auszuwirken und deshalb ein Kausalzusammenhang zwischen dem Fehler und der Verwaltungsentscheidung besteht.
12Vgl. ausführlich zum Verhältnis von §§ 45, 46 VwVfG zu den vom EuGH entwickelten Verfahrensprinzipien, Kahl, VerwArch 95 (2004), 1 (22 ff.) m. umfassenden Nachweisen; ferner Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 46 Rn. 85a m. § 45 Rn. 158 ff.; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 13. Aufl. 2012, § 46 Rn. 5a je m.w.N.
13Aus einer fehlenden oder unzureichenden Information zum Verfahren nach der Dublin III-VO kann nicht zwingend geschlossen werden, dass der Fehler für die spätere Entscheidung kausal gewesen ist. Das Informationsrecht nach Artikel 4 Dublin III-VO zielt darauf ab, die Antragsteller über ihre Rechte zu informieren, damit sie diese wahren können. Der maßgebende Sachverhalt wird aber erst in der persönlichen Anhörung nach Artikel 5 Dublin III-VO bzw. § 25 AsylVfG geklärt, worauf auch Artikel 4 Absatz 2 Unterabsatz 2 Dublin III-VO verweist.
14VG Schwerin, Beschluss vom 17. März 2015 – 3 B 687/15 As –, juris, Rn. 11.
153. Schließlich ist der streitgegenständliche Bescheid auch nicht aufgrund einer unzureichenden Begründung rechtswidrig. Gemäß § 31 Absatz 1 Satz 2 AsylVfG sind Entscheidungen des Bundesamtes über Asylanträge schriftlich zu begründen. In der Begründung sind gemäß § 39 Absatz 1 Satz 2 VwVfG die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitzuteilen, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen haben. Diesen Anforderungen genügt die Begründung des angegriffenen Bescheides. Die Antragsgegnerin ist auf alle für ihre Entscheidung maßgeblichen Gründe eingegangen. In dem letzten Absatz von Ziffer 1 des Bescheides gibt die Antragsgegnerin die in Artikel 29 Dublin III-VO enthaltene Regelung zur Überstellungsfrist wieder. Der Beginn und das voraussichtliche Ende der Überstellungsfrist lassen sich daher ohne Weiteres aus der Mitteilung des Zeitpunkts, in dem die ungarischen Behörden das Übernahmeersuchen angenommen haben, bestimmen. Ob die Überstellungsfrist regulär nach sechs Monaten endet, oder ob sich die Überstellungsfrist nach Artikel 29 Absatz 2 Satz 2 Dublin III-VO auf ein Jahr bzw. achtzehn Monate verlängert, steht im Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung ohnehin noch nicht fest.
16II. Der Bescheid ist auch materiell rechtmäßig. Das Bundesamt hat den Asylantrag der Antragsteller zu Recht als unzulässig abgelehnt, weil Ungarn für dessen Prüfung zuständig ist. Gemäß § 27a AsylVfG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. In einem solchen Fall prüft die Antragsgegnerin den Asylantrag nicht, sondern ordnet die Abschiebung in den zuständigen Staat an (§ 34a Absatz 1 Satz 1 AsylVfG).
17Die Antragsgegnerin ist zutreffend davon ausgegangen, dass Ungarn grundsätzlich der für die Durchführung des Asylverfahrens der Antragsteller zuständige Mitgliedstaat ist (1.). Auch steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Überstellung der Antragsteller nach Ungarn durchgeführt werden kann; das ungarische Asylverfahren insbesondere nicht an systemischen Mängeln leidet und auch keine Abschiebungshindernisse vorliegen (2.).
181. Nach den Vorschriften der Dublin III-VO ist Ungarn der zuständige Staat für die Prüfung dieser Asylanträge.
19Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 22 Absatz 3 dieser Verordnung genannten Verzeichnissen, einschließlich der Daten nach der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 festgestellt, dass ein Antragsteller aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat gemäß Artikel 13 Absatz 1 Dublin III-VO für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig. Die Antragsteller haben sich ausweislich der Abfrage des Bundesamtes in der Eurodac-Datenbank vom 6. Februar 2015 vor ihrer Einreise in die Bundesrepublik Deutschland in Ungarn aufgehalten. Auf das Übernahmeersuchen der Bundesrepublik Deutschland vom 12. Februar 2015 erklärten die ungarischen Behörden unter dem 18. März 2015, und damit innerhalb der nach Artikel 25 Absatz 1 Satz 2 Dublin III-VO im Falle eines Eurodac-Treffers maßgeblichen Frist von 2 Wochen nach Stellung des Wiederaufnahmeersuchens, die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens der Antragsteller und sich zu ihrer Wiederaufnahme bereit. Ungarn ist daher gemäß Artikel 29 Absatz 1 Unterabsatz 1 Dublin III-VO grundsätzlich verpflichtet, die Antragsteller innerhalb einer Frist von sechs Monaten, nachdem es die Wiederaufnahme akzeptiert hat, bzw. innerhalb von sechs Monaten nach der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat, wieder aufzunehmen. Diese Frist ist noch nicht abgelaufen.
20Lediglich vorsorglich weist das Gericht darauf hin, dass sich die Antragsteller auf einen etwaigen Verstoß gegen diese Fristenregelung auch nicht berufen könnten, da die Vorschrift ihnen kein subjektives Recht einräumt.
21Vgl. hierzu ausführlich Verwaltungsgericht Düsseldorf, Kammerurteil vom 12. September 2014– 13 K 8286/13.A –, juris.
22Den Antragsteller bleibt es unbenommen, sich freiwillig bei den zuständigen Behörden in Italien zu melden und hierdurch selbst das Verfahren zu beschleunigen. Dies betreffend regelt Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe a) der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 der Kommission vom 2. September 2003 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist, die ausweislich der der Dublin III-VO vorangestellten Erwägungen (Nr. 24) entsprechend anwendbar ist, dass die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat auch auf Initiative des Asylbewerbers erfolgen kann.
23Vgl. hierzu Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, Stand: 98. Ergänzungslieferung, November 2013, § 27a, Rn. 231 m.w.N.
24Hat es der Asylbewerber folglich selbst in der Hand, wann die Überstellung erfolgt und dass sie überhaupt erfolgt, kann er mithin selbst zu der von ihm gewünschten Beschleunigung beitragen, verbietet schon der allgemeine – aus dem Gebot von Treu und Glauben nach § 242 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) abgeleitete – Grundsatz des Verbots widersprüchlichen Verhaltens („venire contra factum proprium“), sich auf eine verspätete Überstellung seitens der Bundesrepublik Deutschland zu berufen.
252. Es liegen auch keine Gründe vor, die trotz der genannten Zuständigkeit Ungarns eine Verpflichtung der Antragsgegnerin begründen könnten, vom Selbsteintrittsrecht nach Artikel 17 Absatz 1 Dublin III-VO Gebrauch zu machen oder es ausschließen würden, die Antragsteller nach Ungarn abzuschieben.
26Ein subjektives Recht auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Artikel 17 Absatz 1 Dublin III-VO durch die Bundesrepublik Deutschland besteht ohnehin nicht. Die Dublin‑Verordnungen sehen ein nach objektiven Kriterien ausgerichtetes Verfahren der Zuständigkeitsverteilung zwischen den Mitgliedstaaten vor. Sie sind im Grundsatz nicht darauf ausgerichtet, Ansprüche von Asylbewerbern gegen einen Mitgliedstaat auf Durchführung eines Asylverfahrens durch ihn zu begründen. Ausnahmen bestehen allenfalls bei einzelnen, eindeutig subjektiv-rechtlich ausgestalteten Zuständigkeitstatbeständen (vgl. etwa Artikel 9 Dublin III-VO zugunsten von Familienangehörigen). Die Zuständigkeitsvorschriften der Dublin III-VO begründen zum Zwecke der sachgerechten Verteilung der Asylbewerber vor allem subjektive Rechte der Mitgliedstaaten untereinander. Die Unmöglichkeit der Überstellung eines Asylbewerbers an einen bestimmten Staat hindert daher nur die Überstellung dorthin; sie begründet kein subjektives Recht auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts gegenüber der Antragsgegnerin,
27vgl. Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 10. Dezember 2013 – C-394/12 –, juris, Rn. 60, 62 und Urteil vom 14. November 2013 – C 4/11 –, juris, Rn. 37; Schlussanträge des GA Jääskinnen vom 18. April 2013 – C 4/11 –, juris, Rn. 57 f.; Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Beschluss 19. März 2014 – 10 B 6.14 –, juris, Rn. 7.
28Die Antragsgegnerin ist aber auch nicht – unabhängig von der Frage der Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Artikel 17 Absatz 1 Dublin III-VO zugunsten der Antragsteller – gehindert, diese nach Ungarn zu überstellen, weil es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-GR-Charta) mit sich bringen (vgl. Artikel 3 Absatz 2 Unterabsatz 2 Dublin III-VO). Die Voraussetzungen, unter denen das nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) und des Europäischen Gerichtshofs,
29EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris, Rn. 83 ff., 99; EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 –, NVwZ 2011, S. 413,
30der Fall wäre, liegen nicht vor.
31Vgl. Verwaltungsgericht Düsseldorf, Kammerurteil vom 20. März 2015 – 13 K 501/14.A und 13 K 445/14.A –, zur Veröffentlichung bei juris und www.nrwe.de vorgesehen.
32Systemische Mängel in diesem Sinne können erst angenommen werden, wenn Grundrechtsverletzungen einer Artikel 4 EU-GR-Charta bzw. Artikel 3 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) entsprechenden Gravität nicht nur in Einzelfällen, sondern strukturell bedingt, eben systemisch vorliegen. Diese müssen dabei aus Sicht des überstellenden Staates offensichtlich sein. In der Diktion des Europäischen Gerichtshofs dürfen diese systemischen Mängel dem überstellenden Mitgliedstaat nicht unbekannt sein können,
33EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris, Rn. 94.
34Die im Gemeinsamen Europäischen Asylsystem grundsätzlich bestehende Vermutung, dass jeder Mitgliedstaat ein sicherer Drittstaat ist und die Grundrechte von Asylbewerbern einschließlich des Refoulement-Verbots hinreichend achtet, ist nicht unwiderleglich. Vielmehr hat eine Überstellung in einen Mitgliedstaat zu unterbleiben, wenn ernsthaft zu befürchten ist, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Artikel 4 EU-GR-Charta implizieren,
35EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris, Rn. 86.
36Eine Widerlegung der Vermutung ist aber wegen der gewichtigen Zwecke des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems an hohe Hürden geknüpft: Nicht jede drohende Grundrechtsverletzung oder geringste Verstöße gegen die Richtlinien 2003/9, 2004/83 oder 2005/85 genügen, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln. Das Gericht muss sich vielmehr die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Absatz 1 Satz 1 VwGO) verschaffen, dass der Asylbewerber wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird.
37Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. März 2014 – 10 B 6.14 –, juris, Rn. 6 m.w.N.
38Bei der Bewertung der in Ungarn anzutreffenden Umstände der Durchführung des Asylverfahrens und der Aufnahme von Flüchtlingen sind dabei vorliegend diejenigen Umstände heranzuziehen, die auf die Situation der Antragsteller zutreffen. Abzustellen ist demnach auf die Situation von Flüchtlingen in einer vergleichbaren rechtlichen oder tatsächlichen Lage, wohingegen die Situation von Flüchtlingen in anderen rechtlichen oder tatsächlichen Umständen keine unmittelbare Rolle spielt. Sie kann allenfalls ergänzend herangezogen werden, sofern sich diese Umstände auch auf die Situation des Antragstellers auswirken (können),
39vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Urteil vom 7. März 2014 – 1 A 21/12 –, juris, Rn. 130.
40Damit ist vorliegend in erster Linie die Situation von Dublin-Rückkehren zu betrachten, die wie die Antragsteller vor der Ausreise aus Ungarn dort noch keinen ersten Asylantrag gestellt haben.
41Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage in dem zuständigen Mitgliedstaat sind nach der Rechtsprechung des EuGH im Übrigen die regelmäßigen und übereinstimmenden Berichte von internationalen Nichtregierungsorganisationen, Berichte der Kommission zur Bewertung des Dublin-Systems und Berichte des UNHCR zur Lage von Flüchtlingen und Migranten vor Ort,
42vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C 411/10 et. al. –, juris, Rn. 90 ff.
43Letzteren Informationen kommt bei der Beurteilung der Funktionsfähigkeit des Asylsystems in dem nach der Dublin II-Verordnung zuständigen Mitgliedstaat besondere Relevanz zu. Dies entspricht der Rolle, die dem Amt des UNHCR durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden ist, wobei letztere bei der Auslegung der unionsrechtlichen Asylvorschriften zu beachten ist,
44vgl. EuGH, Urteil vom 30. Mai 2013 – C 528/11 –, juris, Rn. 44.
45Für die Frage, ob in Ungarn „systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber“ im Sinne der zitierten Rechtsprechung vorliegen, kommen dabei allerdings vorliegend von vorne herein nur solche Auskünfte und Berichte der genannten Organisationen in Betracht, die sich mit der Sach- und Rechtslage in Ungarn seit dem 1. Juli 2013 befassen. Für den Zeitraum bis zum 30. Juni 2013, insbesondere ab dem 1. Januar 2013, ist in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte davon auszugehen, dass die in den Jahren bis 2012 festgestellten Mängel des ungarischen Asylsystems und der Aufnahmebedingungen durch zwischenzeitliche weitreichende tatsächliche und rechtliche Verbesserungen, insbesondere die vorübergehende Abschaffung der Inhaftierungsmöglichkeiten für Asylbewerber mit Wirkung zum 1. Januar 2013, entfallen sind,
46vgl. EGMR, Urteil vom 6. Juni 2013 – 2283/12 –, juris, Rn. 105, Mohammed gegen Österreich, in Auszügen veröffentlicht unter asyl.net.
47Zum 1. Juli 2013 wurde das Asylsystem Ungarns allerdings erneut verändert. Insbesondere wurden erneut umfassende Gründe für die Inhaftierung von Asylbewerbern, sog. asylum detention – eine durch die für das Asylverfahren zuständige Behörde angeordnete Verwaltungshaft – in das Asylrecht aufgenommen.
48Der EGMR, dessen Rechtsprechung auf der Ebene des (nationalen) Verfassungsrechts als Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten und rechtsstaatlichen Grundsätzen des Grundgesetzes dienen kann,
49vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 14. Oktober 2004 – 2 BvR 1481/04 –, juris, Rn. 32,
50und dessen Rechtsprechung maßgeblich für die Auslegung der Menschenrechte der EMRK ist, hat mit Urteil vom 3. Juli 2014 das Vorliegen systemischer Mängel in Ungarn unter Berücksichtigung der veränderten Rechtslage verneint. Zur Begründung führte er aus:
51„The country reports showed that there is still a practice of detaining asylum-seekers, and that so-called asylum detention is also applicable to Dublin returnees. The grounds for detention are vaguely formulated, and there is no legal remedy against asylum detention. However, the reports also showed that there is no systematic detention of asylum-seekers anymore, and that alternatives to detention are now provided for by law. The maximum period of detention has been limited to six months. Turning to the conditions of detention, it is noted that while there are still reports of shortcomings in the detention system, from an overall view there seem to have been improvements.
52Moreover, the Court notes that the UNHCR never issued a position paper requesting EU member States to refrain from transferring asylum‑seekers to Hungary under the Dublin II or Dublin III Regulation (compare the situation relating to Greece discussed in M.S.S. v. Belgium and Greece, cited above, § 195, and the UNHCR recommendation of 2 January 2013 to halt transfers to Bulgaria).
53Under those circumstances and as regards the possible detention of the applicant and the related complaints, the Court concludes that in view of the recent reports cited above, the applicant would currently not be at a real and individual risk of being subjected to treatment in violation of Article 3 of the Convention upon a transfer to Hungary under the Dublin Regulation.”
54EGMR, Urteil vom 3. Juli 2014 – 71932/12 –, Mohammadi gegen Österreich, Rn. 68 bis 70.
55Soweit der EGMR mit Urteil vom 10. März 2015 (14097/12, 45135/12, 73712/12, 34001/13, 44055/13, 64586/13) Ungarn wegen der Überfüllung seiner Gefängnisse zu einer Zahlung von Schadenersatz in Höhe von 3.400 bis 26.000 Euro verurteilt hat, weicht er nicht von seiner vorstehend genannten Entscheidung ab. Denn der EGMR hat sich in dieser Entscheidung mit den Haftbedingungen in Strafhaftanstalten beschäftigt. Hingegen erfolgt die Inhaftierung von Asylbewerbern – wie noch weiter ausgeführt werden wird – in getrennten Haftanstalten, in denen keine vergleichbaren Verhältnisse herrschen.
56Auch das erkennende Gericht vermag nach Auswertung der im vorliegenden Verfahren eingeholten aktuellen Auskünfte des UNHCR, des Auswärtigen Amtes und von Pro Asyl ‑ welche dem EGMR bei seiner Entscheidung nicht vorlagen – nicht festzustellen, dass die Antragsteller Gefahr liefen, nach ihrer Rücküberstellung nach Ungarn einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Artikel 4 EU-GR-Charta bzw. im Sinne von Artikel 3 EMRK zu unterfallen. Dies ergibt sich aus folgenden rechtlichen und tatsächlichen Erwägungen:
57Artikel 4 EU-GR-Charta bzw. Artikel 3 EMRK normieren das Verbot der Folter und unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung. Eine Behandlung ist „unmenschlich”, wenn sie vorsätzlich und ohne Unterbrechung über Stunden zugefügt wurde und entweder körperliche Verletzungen oder intensives physisches oder psychisches Leid verursacht hat. „Erniedrigend” ist eine Behandlung, wenn sie eine Person demütigt oder erniedrigt, es an Achtung für ihre Menschenwürde fehlen lässt oder sie herabsetzt oder in ihr Gefühle der Angst, Beklemmung oder Unterlegenheit erweckt, geeignet, den moralischen oder körperlichen Widerstand zu brechen. Es kann ausreichen, dass ein Opfer in seinen Augen erniedrigt ist, auch wenn andere das nicht so sehen. Ob Zweck der Behandlung war, das Opfer zu erniedrigen oder zu demütigen, ist zu berücksichtigen, aber auch wenn das nicht gewollt war, schließt das die Feststellung einer Verletzung von Artikel 3 EMRK nicht zwingend aus.
58EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 –, NVwZ 2011, 413, Rn. 220 m.w.N.
59Eine Behandlung in diesem Sinne kann nach den Ergebnissen der Beweisaufnahme zumindest nicht positiv festgestellt werden.
60Zwar hat sich nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen bestätigt, dass Dublin-Rückkehrer flächendeckend – so der UNHCR – bzw. regelmäßig – so Pro Asyl – inhaftiert werden.
61Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 30. September 2014 zu Frage 3, Seite 2; Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 31. Oktober 2014 zu Frage 3 b), Seite.
62Indes begründet die Tatsache, dass das ungarische Asylrecht seit der erneuten Rechtsänderung zum 1. Juli 2013 – wieder – Inhaftierungsgründe für Asylbewerber enthält und Ungarn auf dieser Grundlage praktisch alle Dublin-Rückkehr – so der UNHCR – bzw. regelmäßig, allerdings nicht sämtliche Dublin-Rückkehrer – so Pro Asyl – inhaftiert, für sich genommen noch keinen begründeten Anhaltspunkt für das Vorliegen systemischer Mängel des Asylsystems. Vielmehr verpflichtet Artikel 3 EMRK die Mitgliedstaaten, sich zu vergewissern, dass die Bedingungen der Haft mit der Achtung der Menschenwürde vereinbar sind und dass Art und Methode des Vollzugs der Maßnahme den Gefangenen nicht Leid oder Härten unterwirft, die das mit einer Haft unvermeidbar verbundene Maß an Leiden übersteigt, und dass seine Gesundheit und sein Wohlbefinden unter Berücksichtigung der praktischen Bedürfnisse der Haft angemessen sichergestellt sind.
63Vgl. EGMR, Urteile vom 21. Januar 2011 – 30696/09 –, juris, Rn. 221, und 15. Juli 2002 – 47095/99 –, Rn. 95.
64Die Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (AufnahmeRL), enthält für die Inhaftierung von Asylbewerbern Mindeststandards, zu denen auch die Benennung von Haftgründen gehört. Anhaltspunkte dafür, dass diese Mindeststandards ihrerseits nicht genügen, um die Asylbewerber vor einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung zu schützen, liegen dem Gericht nicht vor. Danach darf Haft nicht allein deswegen angeordnet werden, weil der Betroffene einen Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes gestellt hat, sondern nur in Ausnahmefällen, insbesondere zur Überprüfung seiner Identität oder Staatsangehörigkeit, im Falle notwendiger Beweissicherung, insbesondere bei Fluchtgefahr, zur Prüfung des Einreiserechts, zur Durch- oder Fortführung eines Abschiebeverfahrens, wenn die Gefahr der Verzögerung oder der Vereitelung durch den Betroffenen besteht und bei Gefahr für die nationale Sicherheit und Ordnung (Artikel 8 Absatz 1 und 3 AufnahmeRL). Die Inhaftierung darf nur für den kürzest möglichen Zeitraum und nur so lange, wie die Gründe gemäß Artikel 8 Absatz 3 bestehen, angeordnet werden (Artikel 9 Absatz 1 Satz 1 AufnahmeRL). Die Haftanordnung ist zu begründen (Artikel 9 Absatz 2 AufnahmeRL); bei einer Anordnung durch eine Verwaltungsbehörde ist eine zügige Überprüfung durch ein Gericht herbeizuführen (Artikel 9 Absatz 3 AufnahmeRL). In diesem Fall soll dem Betroffenen unentgeltlicher Rechtsbeistand zur Verfügung stehen (Artikel 9 Absatz 6 AufnahmeRL). Auch im Übrigen ist eine turnusmäßige Haftüberprüfung von Amts wegen vorzusehen (Artikel 9 Absatz 5 AufnahmeRL). Die Schutzsuchenden sind in speziellen Hafteinrichtungen unterzubringen, auf jeden Fall aber getrennt von gewöhnlichen Strafgefangenen (Artikel 10 Absatz 1 AufnahmeRL). Die Inhaftierung von besonders schutzbedürftigen Personen ist nur im Ausnahmefall und unter weiteren sehr eingeschränkten Bedingungen zulässig (Artikel 11 AufnahmeRL).
65Dahingestellt bleiben kann, wann ein Verstoß gegen diese Mindeststandards die Annahme systemischer Mängel indiziert, da die gesetzlichen Regelungen Ungarns zur Inhaftierung von Asylbewerbern (Act LXXX of 2007 on Asylum, im Folgenden: Asylum Act Hungary) den vorstehend genannten Vorgaben im Wesentlichen gerecht werden:
66Gemäß § 31/B Absatz 1 Asylum Act Hungary darf eine Inhaftierung nicht alleine deswegen erfolgen, weil die Antragsteller einen Asylantrag gestellt haben. Die in § 31/A Absatz 1 Asylum Act Hungary genannten Haftgründe entsprechen ganz überwiegend denen des Artikel 8 Absatz 3 der AufnahmeRL; insbesondere wird auch die Fluchtgefahr als ein Haftgrund genannt (Buchstabe c). Dabei darf entsprechend den Vorgaben der AufnahmeRL nach § 31/A Absatz 3 des ungarischen Gesetzes eine Inhaftierung nur aufgrund einer individuellen Ermessensentscheidung erfolgen und nur, wenn nicht durch andere Maßnahmen sichergestellt werden kann, dass der Asylbewerber sich dem Asylverfahren nicht entzieht. Unbegleitete Minderjährige dürfen gemäß § 31/B Absatz 2 Asylum Act Hungary nicht inhaftiert werden; Familien mit Minderjährigen dürfen nur ultima ratio inhaftiert werden, wobei das Kindeswohl vorrangig zu berücksichtigen ist. Gemäß § 31/A Absatz 10 Asylum Act Hungary soll Asylhaft nur in speziellen Einrichtungen vollzogen werden. Dabei soll die Inhaftierung von Männern und Frauen sowie Familien mit Minderjährigen jeweils getrennt erfolgen (§ 31/F Absatz 1 Asylum Act Hungary). Die zulässige Höchstdauer von Asylhaft regelt § 31/A Absatz 7 Asylum Act Hungary. Danach soll die Haft maximal sechs Monate dauern; bei Familien mit Kindern nicht länger als 30 Tage. Gemäß § 31/A Absatz 6 Asylum Act Hungary kann die Flüchtlingsbehörde innerhalb von 24 Stunden seit der Haftanordnung die Verlängerung der Inhaftierung auf mehr als 72 Stunden bei dem örtlich zuständigen Amtsgericht beantragen. Das Gericht kann die Haftdauer sodann auf höchstens 60 Tage verlängern. Eine Verlängerung auf weitere 60 Tage ist nach einem erneuten Antrag der Flüchtlingsbehörde durch das zuständige Amtsgericht möglich. Hieraus folgt, dass eine Überprüfung der Inhaftierung von Amts wegen nach 72 Stunden und anschließend nach 60 Tagen erfolgt. Darüber hinaus besteht gemäß § 31/C Absatz 3 Asylum Act Hungary die Möglichkeit gegen die Inhaftierung Einspruch einzulegen. Gemäß § 31/E Absatz 1 Asylum Act Hungary sollen inhaftierte Asylbewerber über ihre Rechte und Pflichten in ihrer Muttersprache oder einer anderen Sprache, die sie verstehen können, informiert werden. Gemäß § 31/D Absatz 4 Asylum Act Hungary soll das Gericht einen Vormund bestellen, wenn der Asylbewerber kein ungarisch spricht und nicht in der Lage ist seine Vertretung durch einen Bevollmächtigten sicherzustellen. § 31/A Absatz 8 Asylum Act Hungary zählt schließlich auf, in welchen Fällen die Inhaftierung unverzüglich zu beenden ist. Danach endet die Haft unter anderem, wenn der Haftgrund entfallen ist.
67Ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass die ungarischen Behörden diese Vorgaben bei ihrer Entscheidung über die Inhaftierung von Asylbewerbern – speziell Dublin-Rückkehrern – nicht nur in Einzelfällen, sondern systemisch nicht beachten und sich hieraus eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung im oben genannten Sinne ergibt, liegen nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht vor.
68Das Gericht hat im Rahmen der Beweisaufnahme unter anderem danach gefragt, auf welche konkreten Haftgründe die Inhaftierungen seit dem 1. Juli 2013 gestützt werden (Frage 4).
69Pro Asyl gab an, dass laut dem Hungarian Helsinki Committee (HHC) in der Praxis vor allem der Haftgrund „risk of absconding“ (c) bzw. der Haftgrund „risk of absconding“ in Verbindung mit „establishment of identiy“ (a) Anwendung finde. Weiterhin würden Inhaftierungen auf dem Haftgrund „previous absconding“ (b) basieren.
70Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 31. Oktober 2014 zu Frage 4, Seite 3.
71Bei diesen Haftgründen, welche dazu dienen, einer bestehende Fluchtgefahr zu begegnen oder die Identität des Asylbewerbers festzustellen, handelt es sich um Haftgründe, die den in Artikel 8 Absatz 3 AufnahmeRL genannten entsprechen. Allerdings hat Pro Asyl im Rahmen der Beantwortung von Frage 9 unter Bezugnahme auf die Ausführungen des HHC angegeben, dass in der Mehrheit der Haftanordnungen weiterhin auf Gründe verwiesen werde, die nicht unter die im „Asylum Act“ definierten Haftgründe fallen würden. Das HHC führt diesbezüglich auf Seite 6 der „INFORMATION NOTE ON ASYLUM-SEEKERS IN DETENTION AND IN DUBLIN PROCEDURES IN HUNGARY“ von Mai 2014 aus, dass viele Entscheidungen verschiedene Umstände und Gründe benennen würden, die oftmals über die zulässigen Haftgründe nach dem Asylum Act Hungary hinausgingen. Beispielsweise genannt werden der unrechtmäßige Aufenthalt, die Einreise auf irreguläre Weise, das Fehlen ausreichender finanzieller Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts und das Fehlen von Verbindungen nach Ungarn. Dahingestellt bleiben kann, inwieweit die vorstehend genannten Beispiele unter einen der in Artikel 8 Absatz 3 AufnahmeRL bzw. § 31/A Absatz 1 Asylum Act Hungary genannten Haftgründe subsumiert werden können. Zunächst liegen dem Gericht keine Erkenntnisse vor, wonach diese Haftgründe auch bei Dublin-Rückkehrern angewandt werden. Sodann bestehen nach dem oben Ausgeführten tragfähige Anhaltspunkte, die die häufige Heranziehung des auch in der AufnahmeRL aufgeführten Haftgrundes der Fluchtgefahr belegen. Schließlich lässt sich jedenfalls nicht allein aus einer etwaigen europarechtswidrigen Annahme eines Haftgrundes ohne weiteres auf das Vorliegen einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Artikel 3 EMRK bzw. Artikel 4 EU-GR-Charta schließen. Entscheidend ist vielmehr, dass das ungarische Recht den Asylbewerbern in solchen Fällen ermöglicht, sich gegen eine unrechtmäßige Inhaftierung zu wehren.
72Zwar gibt es gemäß § 31/C Absatz 2 Asylum Act Hungary keine individuellen Rechtsmittel, sondern gemäß Absatz 3 nur die Möglichkeit eines Einspruchs („objection“), gegen die Haftanordnung.
73Vgl auch Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 31. Oktober 2014 zu Frage 11, Seite 9 und Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 30. September 2014 zu Frage 11, Seite 7.
74Dahingestellt bleiben kann, inwieweit dieser Rechtsbehelf hinreichenden Rechtschutz zu gewähren vermag. Denn die Asylbewerber haben jedenfalls die Möglichkeit, die Rechtswidrigkeit ihrer Inhaftierung im Rahmen der von Amts wegen erfolgenden Überprüfung nach 72 Stunden bzw. 60 Tagen vor dem Amtsgericht geltend zu machen. Anhaltspunkte dafür, dass diese Fristregelungen gegen Artikel 9 Absatz 3 AufnahmeRL ‑ der seinerseits keine konkreten Fristvorgaben enthält – verstoßen und/oder diese Vorgaben in der Praxis nicht umgesetzt werden, sind nicht ersichtlich. Ebenso wenig steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die vorgeschriebenen gerichtlichen Haftüberprüfungen nicht geeignet sind, den Asylbewerbern effektiven Rechtschutz zu gewähren. Zwar kritisieren Pro Asyl und der UNHCR, dass es in der Praxis so gut wie nie zu einer Entlassung komme.
75Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 31. Oktober 2014 zu Frage 11, Seite 10 und Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 30. September 2014 zu Frage 11, Seite 7.
76Zum einen konnte keine der drei befragten Organisationen verlässliche Auskünfte zu der Frage, wie viele der nach dem 1. Juli 2013 erlassenen Anordnungen von Asylhaft aufgrund der bestehenden Rechtschutzmöglichkeiten tatsächlich aufgehoben worden sind, geben.
77Vgl. die Antworten des Auswärtigen Amtes, UNHCR und von Pro Asyl zu Frage 12 des Beweisbeschlusses.
78Zum anderen ließe sich allein aus einer geringen Erfolgsquote der Rechtsbehelfe auch nicht ohne weiteres darauf schließen, dass die ungarischen Gerichte keinen effektiven Rechtschutz gewährleisten. Dass derartige Haftprüfungsanträge durch die Gerichte angeblich mit schematisierten Entscheidungen abgelehnt werden und die Verhandlungen nur wenige Minuten dauern, muss nicht bedeuten, dass diese Rechtsbehelfe nicht individuell geprüft würden. Vielmehr kann in Haftsachen, die Massenverfahren darstellen, aus Gründen der Vereinfachung auch eine individuelle richterliche Überprüfung zu einer schematisierten Begründung führen, wenn das Gericht keine besonders begründungsbedürftigen Umstände des Einzelfalles angenommen hat, ohne dass grundlegende rechtsstaatliche Garantien verletzt wären; die Annahme von (fortbestehender) Fluchtgefahr bei Personen, die sich dem Asylverfahren bereits in der Vergangenheit entzogen haben, erscheint dem erkennenden Gericht zumindest nicht unvertretbar.
79Vgl. Verwaltungsgericht Würzburg, Urteil vom 23. September 2014 – W 1 K 14.50050 –, juris, Rn. 37.
80Gleichfalls steht nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Inhaftierung von Dublin-Rückkehrern in der Praxis entgegen den Vorgaben des Artikel 8 Absatz 2 AufnahmeRL und § 31/A Absatz 2 Asylum Act Hungary erfolgt. Danach dürfen die Mitgliedstaaten in Fällen, in denen es erforderlich ist, auf der Grundlage einer Einzelfallprüfung den Antragsteller in Haft nehmen, wenn sich weniger einschneidende Maßnahmen nicht wirksam anwenden lassen.
81Zwar spricht vieles dafür, dass die Haftanordnung regelmäßig schematisch erfolgt und eine auf den konkreten Einzelfall bezogene Argumentation unter Abwägung der Rechts- bzw. Verhältnismäßigkeit in der Regel nicht stattfindet.
82Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 31. Oktober 2014 zu Frage 9, Seite 8.
83Indes lässt sich daraus bereits nicht ableiten, dass eine Einzelfallprüfung auch tatsächlich nicht stattgefunden hat. Vielmehr erscheint es dem Gericht nachvollziehbar, dass die Haftanordnungen größtenteils inhaltlich identisch aussehen und von einer individuellen Begründung absehen, da die Haftanordnung bei Dublin Rückkehrern regelmäßig auf den Haftgrund der Fluchtgefahr gestützt wird. Vor dem Hintergrund, dass die Dublin-Rückkehr bereits einmal aus Ungarn geflohen sind, erscheint diese Annahme auch nicht willkürlich (s.o.).
84Ungeachtet dessen widerlegt die Tatsache, dass es auch Fälle gibt, in denen die Haftanordnung auch individuelle Einzelheiten berücksichtigt,
85vgl. HHC “INFORMATION NOTE ON ASYLUM-SEEKERS IN DETENTION AND IN DUBLIN PROCEDURES IN HUNGARY“, Seite 6,
86die Annahme der fehlenden individuellen Einzelfallprüfung. Auch spricht für die Durchführung einer Einzelfallprüfung, dass Familien und besonders schutzbedürftige Personen in der Regel nicht inhaftiert werden, obwohl die Inhaftierung dieser Personengruppen ebenfalls rechtlich möglich wäre.
87Vgl. Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 30. September 2014 zu Frage 6, Seite 6.
88Zudem wird zumindest auch in vereinzelten Fällen von den im ungarischen Recht vorgesehenen Haftalternativen Gebrauch gemacht. Laut dem HHC sei in 13 der 107 untersuchten Haftentscheidungen begründet worden, warum nicht auf Haftalternativen zurückgegriffen worden sei. Im Zeitraum vom 1. Juli 2013 bis zum 17. April 2014 sei in 32 Fällen eine Kaution angeordnet worden. Die Betroffenen seien vorab gefragt worden, ob sie Geld besäßen bzw. jemand Geld schicken könne.
89Vgl. Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 30. September 2014 zu Frage 10, Seite 9; dem UNHCR liegen hierzu keine Informationen vor.
90Daraus geht hervor, dass die gesetzlich vorgesehenen Haftalternativen in der Praxis – wenn auch nur in Ausnahmefällen – tatsächlich angewendet werden. Dass die Anzahl von Fällen, in denen eine Kaution angeordnet wurde gering ausfällt überrascht das Gericht nicht, da Flüchtlinge in der Regel nicht über entsprechende finanzielle Mittel verfügen werden, um eine Kaution in Höhe von 962,00 und 2.000,00 Euro bezahlen zu können.
91Vgl. Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 30. September 2014 zu Frage 10, Seite 9.
92Unter Berücksichtigung der Funktion einer Kaution als eine Sicherheitsleistung, welche nur bei einer gewissen – für den Betroffenen spürbaren – Höhe erfüllt werden kann, bestehen keine Bedenken gegen die geforderte Höhe. Auch spricht der Umstand, dass die Höhe der geforderten Kaution variiert, dafür, dass die Höhe der Kaution im jeweiligen Einzelfall entsprechend der wirtschaftlichen Verhältnisse des Inhaftierten festgesetzt wird.
93Aus den vorstehenden Ausführungen folgt überdies, dass die Haftanordnung in Übereinstimmung mit Artikel 9 Absatz 2 AufnahmeRL schriftlich unter Angabe der sachlichen und rechtlichen Gründe für die Haft, die letztlich eine Überprüfbarkeit gewährleisten, ergeht. Diese werden den Asylsuchenden auch verbal übersetzt.
94Vgl. Auskunft Pro Asyl an das Verwaltungsgericht München vom 30. Oktober 2014 zu Frage 1.
95Damit wird dem durch Artikel 5 Absatz 2 EMRK gewährleisteten Recht eines jeden Festgenommenen auf Unterrichtung hinreichend entsprochen. Eine mündliche Unterrichtung genügt insoweit.
96Vgl. Dörr, in: Grote/Marahun, EMRK/GG, S. 574, Rn. 36.
97Auch aus den Erkenntnissen des Gerichts zur Haftdauer lässt sich keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung von Dublin-Rückkehrern ableiten. Vielmehr steht die Rechtslage und tatsächlich gelebte Praxis in Ungarn auch insoweit in Einklang mit den europarechtlichen Vorgaben. Laut Auskunft von Pro Asyl beobachtete das HHC in der Vergangenheit, dass die maximale Haftdauer von sechs Monaten in vielen Fällen ausgeschöpft worden sei. Seit Kurzem würden inhaftierte Asylsuchende aus der Asylhaft entlassen, sobald das OIN im „in-merit procedure“ über das Asylgesuch entschieden hat und zwar auch dann, wenn diese Entscheidung negativ ausgefallen sei und der Betroffene Rechtmitte eingelegt habe. Demgegenüber ist nicht ersichtlich, dass die Höchstgrenze der zulässigen Haftdauer überschritten wird.
98vgl. Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 31. Oktober 2014 zu Frage 2 Buchstabe, Seite 2.
99Es erscheint zumindest nicht unvertretbar, bei Dublin-Rückkehrern anzunehmen, dass der Haftgrund der Fluchtgefahr – bis zu einer Entscheidung über das Asylbegehren bzw. unter Umständen auch nach einer ablehnenden Entscheidung – fortlaufend gegeben ist.
100Vgl. Verwaltungsgericht Stade, Beschluss vom 14. Juli 2014 – 1 B 862/14 –, juris, Rn. 15.
101Hinzu kommt, dass die Inhaftierung von Amts wegen alle 60 Tage überprüft wird (s.o.), die Asylbewerber mithin die Möglichkeit haben, ihre Inhaftierung auf die fortbestehende Rechtmäßigkeit hin überprüfen zu lassen.
102Schließlich kann das Gericht den aktuellen Auskünften nicht entnehmen, dass die konkreten Haftbedingungen in Ungarn systemisch eine unmenschliche, erniedrigende Behandlung der Dublin-Rückkehrer darstellen.
103Hinsichtlich der Haftbedingungen in den Asylhaftanstalten liegen dem Gericht im Wesentlichen die folgenden Erkenntnisse vor:
104Die Asylhafteinrichtungen seien nicht überbelegt. Die gesetzliche Mindestvorgabe von 5 m² pro Person werde in allen Einrichtungen gewahrt. Asylbewerber könnten sich innerhalb der Hafteinrichtungen zwischen 6 und 23 Uhr frei bewegen. Außerhalb der Einrichtungen, auf dem Weg zum Krankenhaus oder zum Gericht, würden die Asylbewerber hingegen an einer Leine geführt. Zur Freizeitgestaltung gebe es in den Hafteinrichtungen Computerräume mit Internetzugang, Fitnessräume und Gemeinschaftsräume, in denen ein Fernseher stehe. Bezüglich der hygienischen Verhältnisse in den Asylhafteinrichtungen lägen Mängel vor. In Békéscaba hätten einige der Toiletten keine Türen gehabt und einige Wasserhähne würden nicht funktionieren, weshalb der Zugang zu warmen Wasser nicht immer gewährleistet sei. In Nyírbátor habe eine unzureichende Versorgung mit Putzutensilien und Reinigungsmitteln zur Reinigung der Toiletten und Duschen stattgefunden. Der Waschraum im ersten Stock sei permanent dreckig gewesen und würde stinken. Auch sei das Wasser von mangelhafter Qualität gewesen, was zu Hautausschlägen geführt habe. In Debrecen seien Duschen im zweiten Stock häufig verstopft und daher unbenutzbar gewesen. Eine Versorgung mit Lebensmitteln erfolge entsprechend einer Verordnung des Innenministeriums. Religiöse und medizinische Besonderheiten würden in der Regel berücksichtigt. Kritisiert werde aber die schlechte Qualität des Essens. Eine medizinische Grundversorgung werde gewährleistet, auch wenn diese oft als unzureichend empfunden werde. Sanitäter bzw. Krankenschwestern seien permanent anwesend; Allgemeinmediziner würden die Einrichtungen zweitweise besuchen. In schwerwiegenden Fällen könne eine Zuweisung zu den Allgemein- oder Spezialeinrichtungen des Gesundheitssystems erfolgen. Die Kosten der Behandlung trage der ungarische Staat bzw. seine Gesundheitseinrichtung. In der Aufnahmeeinrichtung Békéscaba werde zudem psychologische Betreuung durch Spezialisten und Psychologen der D. Stiftung gewährt.
105Vgl. Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 31. Oktober 2014 zu Frage 5 b) bis f), Seite 3 ff.; Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 30. September 2014 zu Frage 5 b) bis f), Seite 3 f.; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 19. November 2014 zu Frage 5 b) bis f), Seite 3 f.; HHC “INFORMATION NOTE ON ASYLUM-SEEKERS IN DETENTION AND IN DUBLIN PROCEDURES IN HUNGARY“, S. 15 ff.
106Obschon das Gericht nicht verkennt, dass Defizite in den Haftbedingungen bestehen, erreichen diese jedenfalls nicht das erforderliche Mindestmaß an Schwere, um von systemischen Mängeln in dem geschilderten Sinne ausgehen zu können. Die Beurteilung dieses Mindestmaßes ist relativ und hängt von allen Umständen des Einzelfalls ab, wie die Dauer der Behandlung und ihre physischen und psychischen Wirkungen und manchmal das Geschlecht, das Alter und der Gesundheitszustand des Opfers.
107Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 – M.S. S./Belgien u. Griechenland, Rn. 219.
108Die vorstehend genannten hygienischen, medizinischen und sonstigen Mängel in den Asylhaftanstalten, insbesondere auch die Vorfälle, in denen Asylbewerber von „armed security guards“ misshandelt worden sind, sind zwar nicht zu vernachlässigen. Indes lässt sich daraus nicht ableiten, dass die inhaftierten Asylbewerber in Ungarn nicht nur vereinzelt sondern gerade systematisch einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterliegen. Vielmehr zeigt ein Vergleich mit der früheren Lage in Ungarn, dass zwischenzeitlich weitreichende tatsächliche und rechtliche Verbesserungen eingetreten sind.
109So auch EGMR, Urteil vom 3. Juli 2014 – 71932/12 – Mohammadi gegen Österreich, Rn. 68.
110Soweit die Bedingungen in einzelnen Aufnahmeeinrichtungen noch verbesserungswürdig sind, ist darauf hinzuweisen, dass einzelne Missstände, die in bestimmten Aufnahmeeinrichtungen auftreten, das Asyl- und Aufnahmesystem nicht insgesamt tangieren. Auch der Umstand, dass sich die Situation in Ungarn deutlich schlechter darstellen mag als in der Bundesrepublik Deutschland, begründet für sich keinen systemischen Mangel.
111Vgl. EGMR, Urteil vom 3. Juli 2014 – 71932/12 – Mohammadi gegen Österreich, Rn. 69; Verwaltungsgericht Düsseldorf, Beschluss vom 30. Januar 2015 – 13 L 58/15.A –, juris, Rn. 43 m.w.N.
112Lediglich ergänzend weist das Gericht darauf hin, dass der UNHCR – auch nach einer intensiven Auseinandersetzung mit der Inhaftierungspraxis Ungarns infolge der durch das Gericht veranlassten Beweisaufnahme – keine systemischen Mängel des Asylverfahrens oder Aufnahmebedingungen in Ungarn explizit festgestellt und keine generelle Empfehlung ausgesprochen hat, im Rahmen des Dublin-Verfahrens Asylbewerber nicht nach Ungarn zu überstellen. Dem Fehlen einer solchen generellen Empfehlung des UNHCR kommt insoweit besondere Bedeutung zu. Denn die vom Amt des UNHCR herausgegebenen Dokumente sind im Rahmen der Beurteilung der Funktionsfähigkeit des Asylsystems in einem Mitgliedstaat angesichts der Rolle, die dem UNHCR durch die – bei der Auslegung des unionsrechtlichen Asylverfahrensrechts zu beachtende – Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden ist, besonders relevant.
113So auch Verwaltungsgericht Augsburg, Beschluss vom 26. Januar 2015 – Au 7 S 15.50015 –, juris, Rn. 31.
114Schließlich liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass Dublin-Rückkehrer entgegen des Refoulement-Verbots ohne eine Entscheidung über ihren Asyl(folge)antrag in ihr Herkunftsland abgeschoben werden, wenn – wie vorliegend – noch kein Asylantrag in Ungarn gestellt worden ist. Diejenigen Antragsteller, die anlässlich ihres ersten Aufenthalts in Ungarn keinen Asylantrag gestellt haben werden im Rahmen der Einreisebefragung gefragt, ob sie das zuvor in einem Mitgliedstaat gestellte Asylbegehren in Ungarn fortführen wollen oder nicht. Sollte ersteres der Fall sein, wird entsprechend der nationalen Regelungen ein Asylverfahren initiiert und der Ausländer erhält ein Aufenthaltsrecht in Ungarn für die Dauer des Asylverfahrens. Andernfalls richtet sich die weitere Vorgehensweise nach sonstigen allgemeinen Regelungen.
115Vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Verwaltungsgericht München vom 2. März 2015 zu Frage 2, Seite 3.
116Steht nach alldem nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass das ungarische Asylverfahren an systemischen Mängeln leidet, geht dieser Umstand – nach den Grundsätzen der materiellen Beweislast – zu Lasten der Antragsteller. Bereits aus dem eingangs dargestellten Erfordernis, dass sich das Gericht zur Widerlegung der auf dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens unter den Mitgliedstaaten gründenden Vermutung, die Behandlung der Asylbewerber stehe in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechte-Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK, die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Absatz 1 Satz 1 VwGO) verschaffen muss, dass der Asylbewerber wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird (S. 10),
117BVerwG, Beschluss vom 15. April 2014 – 10 B 16.14 –, juris, S. 5,
118folgt, dass es zu Lasten des Asylbewerbers geht, wenn das Gericht – wie vorliegend – nicht zu dieser Überzeugungsgewissheit gelangt. Gleiches ergibt sich auch aus der Diktion des EuGH, wonach ein Asylbewerber seiner Überstellung in den eigentlich zuständigen Mitgliedstaat nur damit entgegentreten kann, dass er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat geltend macht (Hervorhebung durch das Gericht), die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Artikel 4 der Charta ausgesetzt zu werden.
119Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 – C-394/12 –, juris, Rn. 62.
120Gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung nach § 34a Absatz 1 AsylVfG bestehen im Ergebnis daher keine Bedenken. Danach ordnet das Bundesamt die Abschiebung in den zuständigen Mitgliedsstaat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Das ist hier der Fall. Nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Überprüfung liegen weder zielstaatsbezogene (a) noch in der Person der Antragsteller bestehende, also inlandsbezogene (b) Abschiebungshindernisse, vor.
121a) Ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis liegt bei den Antragstellern nicht vor.
122Ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis im Sinne des § 60a Absatz 2 Satz 1 AufenthG in Gestalt einer krankheitsbedingten Reiseunfähigkeit liegt vor, wenn krankheitsbedingt schon keine Transportfähigkeit besteht (Reiseunfähigkeit im engeren Sinne) oder wenn mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten ist, dass sich der Gesundheitszustand als unmittelbare Folge der Abschiebung erheblich verschlechtern wird (Reiseunfähigkeit im weiteren Sinne).
123Bei einer psychischen Erkrankung, wie sie hier bei den Antragstellern in Rede steht, kann vom Vorliegen eines inlandsbezogenen Vollstreckungshindernisses im genannten Sinn außer in Fällen einer Flugreise- bzw. Transportuntauglichkeit im engeren Sinne nur dann ausgegangen werden, wenn entweder im Rahmen einer Abschiebung die ernsthafte Gefahr einer Selbsttötung des Ausländers droht, der auch nicht durch ärztliche Hilfen oder in sonstiger Weise wirksam begegnet werden kann, oder wenn dem Ausländer unmittelbar durch die Abschiebung bzw. als unmittelbare Folge davon sonst konkret eine erhebliche und nachhaltige Verschlechterung des Gesundheitszustands droht, die allerdings – in Abgrenzung zu zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernissen – nicht wesentlich (erst) durch die Konfrontation des Betreffenden mit den Gegebenheiten im Zielstaat bewirkt werden darf. Ferner kann ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis aufgrund einer (auch psychischen) Erkrankung vorliegen, wenn dem Ausländer bei seiner Ankunft im Zielstaat eine Gefährdung im Sinne des oben aufgezeigten Maßstabs droht, weil es an einer erforderlichen, unmittelbar nach der Ankunft einsetzenden Versorgung und Betreuung fehlt.
124OVG NRW, Beschluss vom 29. November 2010 – 18 B 910/10 –, juris, Rn. 15 f. m.w.N.
125Einen diesen Anforderungen genügenden Nachweis einer Vorerkrankung, die zur Annahme der Reiseunfähigkeit führen könnte, haben die Antragsteller nicht erbracht.
126Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gehört zur Substantiierung eines Vorbringens einer Erkrankung an posttraumatischer Belastungsstörung (sowie eines entsprechenden Beweisantrages) angesichts der Unschärfen des Krankheitsbildes sowie seiner vielfältigen Symptomatik regelmäßig die Vorlage eines gewissen Mindestanforderungen genügenden fachärztlichen Attestes. Aus diesem muss sich nachvollziehbar ergeben, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Dazu gehören etwa Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden. Des Weiteren sollte das Attest Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) geben. Wird das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland gestützt und werden die Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen, so ist in der Regel auch eine Begründung dafür erforderlich, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist. Diese Anforderungen an die Substantiierung ergeben sich aus der Pflicht des Beteiligten, an der Erforschung des Sachverhalts mitzuwirken (§ 86 Absatz 1 Satz 1 Halbsatz 2 VwGO), die in besonderem Maße für Umstände gilt, die in die eigene Sphäre des Beteiligten fallen.
127VG Düsseldorf, Beschluss vom 17. März 2015 – 13 L 937/15.A –, juris, Rn. 14.
128(1) Die vom Antragsteller zu 1.) vorgelegten Atteste genügen den vorstehend genannten Anforderungen nicht.
129Zwar werden dem Antragsteller zu 1.) in dem vorgelegten ärztlichen Attest vom 31. März 2015 eine „leichte depressive Episode, Panikstörung, Balbuties, Unruhezustand, Insomnie und Meralgia paraesthetica rechts“ diagnostiziert und eine Reiseunfähigkeit prognostiziert. Auch handelt es sich bei dem den Antragsteller zu 1.) behandelnden Dr. med. Heimbrand um einen Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Indes genügt diese Bescheinigung schon nicht den vorstehend dargestellten Anforderungen, die an die Substantiierung eines Vorbringens einer solchen Erkrankung zu stellen sind. Es fehlt an jeglichen Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Antragsteller zu 1.) in der ärztlicher Behandlung des Herrn Dr. med. I. befunden hat, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Insbesondere gibt das Attest nicht Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf. Überdies fehlt es auch an einer nachvollziehbaren und substantiierten Begründung, warum der Antragsteller zu 1.) „aufgrund seiner Erkrankung auf absehbare Zeit nicht reisefähig“ sein soll.
130In dem vorläufigen Arztbericht der Evangelischen Stiftung U. vom 20. Mai 2015 wird dem Antragsteller das Vorliegen einer schweren depressiven Episode ohne psychotische Symptome, einer posttraumatischen Belastungsstörung und einer meralgia paraesthetica diagnostiziert. Indes enthält der Arztbericht ebenfalls keine hinreichenden Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Reiseunfähigkeit im engeren und/oder weiteren Sinne. Insoweit ist zudem nicht ersichtlich, dass der den Antragsteller zu 1.) untersuchende J. Pourfard über die erforderliche Ausbildung verfügt, um fundiert eine am ICD-10 orientierte Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung und/oder Depression bei dem Antragsteller zu 1.) stellen zu können. Über eine Facharztausbildung, die ihn zur Feststellung einer etwaigen Reiseunfähigkeit befähigen könnte, verfügt er offenbar nicht.
131VG Düsseldorf, Beschluss vom 17. März 2015 – 13 L 937/15.A –, juris, Rn. 16 m.w.N.
132Dem ärztlichen Attest der Evangelischen Stiftung U. vom 21. Mai 2015 lassen sich schließlich ebenfalls keine hinreichenden Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Reiseunfähigkeit entnehmen. Vielmehr heißt es darin, dass sich der psychische Zustand des Antragstellers zu 1.) besserte und er sich von akuter Suizidalität ausreichend und glaubhaft distanziert habe.
133(2) Hinsichtlich der Antragstellerin zu 2.) sowie den Antragstellern zu 3.) bis 5.) liegen schon keine ärztlichen Atteste vor, aus denen sich hinreichende Anhaltspunkte für das Vorliegen einer krankheitsbedingten Reiseunfähigkeit ergeben könnten. Die vorgelegten Überweisungsscheine und das Schreiben des I1. Klinikums X. genügen den vorstehend dargestellten Mindestanforderungen an die Substantiierung eines Vorbringens einer Erkrankung an einer posttraumatischen Belastungsstörung bei weitem nicht. Soweit hinsichtlich der Antragstellerin zu 5.) in dem Überweisungsschein vom 21. Mai 2015 Zöliakie diagnostiziert wird, fehlt es ebenfalls an überprüfbaren Anhaltspunkten, dass sie aufgrund dessen nicht reisefähig ist.
134b) Ebenso wenig liegt ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis vor.
135Gemäß § 60 Absatz 7 Satz 1 AsylVfG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben oder Freiheit besteht. Leidet der Ausländer bereits vor der Abschiebung unter einer Erkrankung, ist von einer solchen Gefahr auszugehen, wenn sich die Erkrankung aufgrund zielstaatsbezogener Umstände nach der Abschiebung voraussichtlich in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben führt, d.h. dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht,
136BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 2006 – 1 C 18.05 –, BVerwGE 127,33 = juris Rn. 15.
137Dies ist der Fall, wenn die befürchtete Verschlimmerung der gesundheitlichen Beeinträchtigungen etwa als Folge fehlender Behandlungsmöglichkeiten im Zielland der Abschiebung zu einer erheblichen Gesundheitsgefahr führt, das heißt eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität erwarten lässt,
138vgl. OVG NRW, Beschluss vom 26. April 2007 – 13 A 4611/04.A –, juris Rn. 32 = NRWE.
139Die Gefahr einer solchen Gesundheitsbeeinträchtigung besonderer Intensität ist hier nicht ersichtlich. Insoweit wird auf die vorstehenden Ausführungen zur fehlenden Substantiierung der (psychischen) Erkrankungen Bezug genommen. Daher kann vorliegend dahingestellt bleiben, ob in Ungarn eine hinreichende Behandlung der Antragsteller gewährleistet wäre.
140Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Absatz 1 VwGO, § 83b AsylVfG.
141Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Absatz 1 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG).
142Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).
ra.de-Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht Düsseldorf Beschluss, 05. Juni 2015 - 13 L 1253/15.A
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Referenzen - Gesetze
Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154
Gesetz über das Wohnungseigentum und das Dauerwohnrecht
Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 242 Leistung nach Treu und Glauben
Gesetz über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte
Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 108
Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 60a Vorübergehende Aussetzung der Abschiebung (Duldung)
Verwaltungsverfahrensgesetz - VwVfG | § 45 Heilung von Verfahrens- und Formfehlern
Verwaltungsverfahrensgesetz - VwVfG | § 46 Folgen von Verfahrens- und Formfehlern
Verwaltungsverfahrensgesetz - VwVfG | § 39 Begründung des Verwaltungsaktes
Verordnung zur Neufassung der Asylzuständigkeitsbestimmungsverordnung - AsylZBV 2008 | § 2
Referenzen - Urteile
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Die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 44 nichtig ist, kann nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat.
(1) Eine Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften, die nicht den Verwaltungsakt nach § 44 nichtig macht, ist unbeachtlich, wenn
- 1.
der für den Erlass des Verwaltungsaktes erforderliche Antrag nachträglich gestellt wird; - 2.
die erforderliche Begründung nachträglich gegeben wird; - 3.
die erforderliche Anhörung eines Beteiligten nachgeholt wird; - 4.
der Beschluss eines Ausschusses, dessen Mitwirkung für den Erlass des Verwaltungsaktes erforderlich ist, nachträglich gefasst wird; - 5.
die erforderliche Mitwirkung einer anderen Behörde nachgeholt wird.
(2) Handlungen nach Absatz 1 können bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden.
(3) Fehlt einem Verwaltungsakt die erforderliche Begründung oder ist die erforderliche Anhörung eines Beteiligten vor Erlass des Verwaltungsaktes unterblieben und ist dadurch die rechtzeitige Anfechtung des Verwaltungsaktes versäumt worden, so gilt die Versäumung der Rechtsbehelfsfrist als nicht verschuldet. Das für die Wiedereinsetzungsfrist nach § 32 Abs. 2 maßgebende Ereignis tritt im Zeitpunkt der Nachholung der unterlassenen Verfahrenshandlung ein.
Die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 44 nichtig ist, kann nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat.
(1) Ein schriftlicher oder elektronischer sowie ein schriftlich oder elektronisch bestätigter Verwaltungsakt ist mit einer Begründung zu versehen. In der Begründung sind die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitzuteilen, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen haben. Die Begründung von Ermessensentscheidungen soll auch die Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist.
(2) Einer Begründung bedarf es nicht,
- 1.
soweit die Behörde einem Antrag entspricht oder einer Erklärung folgt und der Verwaltungsakt nicht in Rechte eines anderen eingreift; - 2.
soweit demjenigen, für den der Verwaltungsakt bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, die Auffassung der Behörde über die Sach- und Rechtslage bereits bekannt oder auch ohne Begründung für ihn ohne weiteres erkennbar ist; - 3.
wenn die Behörde gleichartige Verwaltungsakte in größerer Zahl oder Verwaltungsakte mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlässt und die Begründung nach den Umständen des Einzelfalls nicht geboten ist; - 4.
wenn sich dies aus einer Rechtsvorschrift ergibt; - 5.
wenn eine Allgemeinverfügung öffentlich bekannt gegeben wird.
Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 Prozent des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
1
Tatbestand:
2Der Kläger ist ghanaischer Staatsangehöriger. Er reiste nach eigenen Angaben am 15. August 2013 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) seine Anerkennung als Asylberechtigter.
3In der Befragung beim Bundesamt vom 28. Oktober 2013 gab er unter anderem an, er habe im Jahr 2009 sein Heimatland verlassen und sei über die Türkei nach Griechenland gereist. Nach etwa drei Jahren sei er über Mazedonien und Serbien nach Ungarn weitergereist. In Ungarn beantragte der Kläger ausweislich der Abfrage des Bundesamtes in der Eurodac-Datenbank am 15. Juni 2013 Asyl.
4Das Bundesamt richtete am 12. Dezember 2013 ein Übernahmeersuchen nach der Dublin II-VO an Ungarn. Die ungarischen Behörden erklärten mit Schreiben vom 19. Dezember 2013 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags gemäß Artikel 16 Absatz 1 Buchstabe c Dublin II-VO.
5Mit Bescheid vom 16. Januar 2014, dem Kläger zugestellt am 21. Januar 2014, lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers gemäß § 27a Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung nach Ungarn an.
6Am 28. Januar 2014 hat der Kläger Klage erhoben und einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Absatz 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) gestellt (13 L 172/14.A).
7Er ist der Ansicht Deutschland sei für die Prüfung seines Asylantrags zuständig, da er Ungarn für mehr als drei Monate verlassen habe. Im Übrigen lägen in Ungarn systemische Mängel vor. Sog. Dublin-Rückkehrer müssten in Ungarn mit ihrer Inhaftierung und Abschiebung rechnen.
8Der Kläger beantragt,
9die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 16. Januar 2014 zu verpflichten, ein Asylverfahren durchzuführen.
10Die Beklagte beantragt,
11die Klage abzuweisen.
12Zur Begründung bezieht sie sich auf ihr bisheriges Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren.
13Das Gericht hat mit Beschlüssen vom 28. Mai und 23. Juni 2014 Beweis erhoben durch Einholung von Auskünften des Auswärtigen Amtes, der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, des UNHCR und von Pro Asyl zu den in den Beweisbeschlüssen genannten Fragen. Die Schweizerische Flüchtlingshilfe teilte dem Gericht mit Schreiben vom 6. Juni 2014 mit, dass sie aus Kapazitätsgründen keine Anfragen zu den sog. „Dublin-Ländern“ bearbeite. Auf den Inhalt der erstatteten Gutachten vom 30. September 2014 (UNHCR), 31. Oktober 2014 (Pro Asyl) und 19. November 2014 (Auswärtiges Amt) wird Bezug genommen.
14Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten ergänzend Bezug genommen.
15Entscheidungsgründe:
16Das Gericht konnte trotz Ausbleibens der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten ordnungsgemäß geladen worden sind und in den Ladungen vom 27. Januar 2015 zudem gemäß § 102 Absatz 2 VwGO darauf hingewiesen worden sind, dass bei Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann.
17Die Klage ist teilweise unzulässig (I.) und soweit sie zulässig ist unbegründet (II.).
18I. Die als Verpflichtungsklage erhobene Klage ist teilweise unzulässig.
19Statthafte Klageart ist allein die Anfechtungsklage gemäß § 42 Absatz 1, 1. Variante VwGO. In dem vom Kläger geltend gemachten Verpflichtungsbegehren ist das – zulässige – Anfechtungsbegehren, gerichtet auf die Aufhebung des Bescheides vom 16. Januar 2014 enthalten. Mit diesem Teil ist die Klage zulässig. Der Erhebung einer vorrangigen Verpflichtungsklage – gerichtet auf das Rechtsschutzziel, dass die Beklagte das Asylverfahren durchführt – bedarf es hingegen nicht. Insoweit ist die Klage unzulässig.
20Der Kläger begehrt die Aufhebung des ihn belastenden Bescheides vom 16. Januar 2014, in welchem die Beklagte seinen Asylantrag gemäß § 27a AsylVfG als unzulässig abgelehnt hat. Gegen eine solche Unzulässigkeitsentscheidung ist ein isoliertes Aufhebungsbegehren statthaft. Die Entscheidungen nach § 27a und § 34a Absatz 1 Satz 1 AsylVfG stellen Verwaltungsakte im Sinne des § 35 Satz 1 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) dar, deren isolierte Aufhebung – anders als in sonstigen Fällen eines Verpflichtungsbegehrens – ausnahmsweise zulässig ist, weil schon ihre Beseitigung grundsätzlich zur formellen und materiellen Prüfung des gestellten Asylantrages und damit zu dem erstrebten Rechtschutzziel führt. Denn das Bundesamt ist nach Aufhebung des Bescheides bereits gesetzlich verpflichtet, das Asylverfahren durchzuführen, §§ 31, 24 AsylVfG. Das Bundesamt hat sich in den Fällen des § 27a AsylVfG lediglich mit der – einer materiellen Prüfung des Asylbegehrens vorgelagerten – Frage befasst, welcher Staat nach den Rechtsvorschriften der Europäischen Union für die Prüfung des Asylbegehrens des Klägers zuständig ist; eine Prüfung des Asylbegehrens ist in der Sache nicht erfolgt. Mit der Aufhebung des Bescheides wird ein Verfahrenshindernis für die inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens beseitigt, und das Asylverfahren ist in dem Stadium, in dem es zu Unrecht beendet worden ist, durch das Bundesamt weiterzuführen.
21Vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Urteil vom 7. März 2014 – 1 A 21/12.A –, juris, Rn. 28 ff.; Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, juris, Rn. 21 f.; Verwaltungsgericht Düsseldorf, Urteile vom 27. Juni 2014 – 13 K 654/14.A –, juris, Rn. 22, ; 26. April 2013 – 17 K 1777/12.A –, juris, Rn. 14 und 15. Januar 2010, – 11 K 8136/09.A –, Seite 4; Verwaltungsgericht Köln, Urteil vom 27. Mai 2014 – 2 K 2273/13.A –, juris, Rn. 14; Verwaltungsgericht München, Gerichtsbescheid vom 21. Mai 2014 – M 21 K 14.30286 –, juris, Rn. 15 m.w.N.; Verwaltungsgericht Regensburg, Urteil vom 18. Juli 2013 – RN 5 K 13.30027 –, juris, Rn. 19; VerwaltungsgerichtHamburg, Urteil vom 15. März 2012 – 10 A 227/11 –, juris, Rn. 16; Verwaltungsgericht Freiburg (Breisgau), Beschluss vom 2. Februar 2012 – A 4 K 2203/11 –, juris, Rn. 2; Verwaltungsgericht Weimar, Urteil vom 23. November 2011 – 5 K 20196/10 –, juris, Seite 5;Verwaltungsgericht Trier, Urteil vom 18. Mai 2011 – 5 K 198/11.TR –, juris, Rn. 16; Verwaltungsgericht Karlsruhe, Urteil vom 3. März 2010 – A 4 K 4052/08 –, Seite 4; Verwaltungsgericht Ansbach, Urteil vom 16. September 2009 – AN 11 K 09.30200 –, juris, Rn. 22; Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand: 101. Erg.lieferg. Juni 2014, § 27a Rn. 21, § 34a Rn. 64 f.
22Diese Verfahrenssituation ist vergleichbar mit derjenigen, die im Falle der Einstellung des Asylverfahrens wegen Nichtbetreibens nach den §§ 33, 32 AsylVfG entsteht. In letzterer Konstellation ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) eine Anfechtungsklage allein gegen den Einstellungsbescheid des Bundesamtes statthaft. Mit der Aufhebung des Einstellungsbescheids wird nämlich ein Verfahrenshindernis für die inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens beseitigt und das Asylverfahren ist in dem Stadium, in dem es zu Unrecht beendet worden ist, durch das Bundesamt weiterzuführen.
23Vgl. BVerwG, Urteil vom 7. März 1995 – 9 C 264.94 –, juris, Rn. 15 ff.
24Ergänzend hierzu weist das Gericht – ohne dass es vorliegend darauf ankäme – auf Folgendes hin: Eine Verpflichtungsklage, die unmittelbar auf die Anerkennung als Asylberechtigter, die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylVfG oder aber – hilfsweise – die Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylVfG und die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Absatz 5 und 7 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) gerichtet ist, scheidet ebenso aus. Denn eine Verpflichtung für das Gericht, die Sache selbst spruchreif zu machen, besteht nur dann, wenn ein „mit seinem Asylantrag beim Bundesamt erfolglos gebliebener Ausländer“ den Klageweg beschreitet.
25BVerwG, Urteil vom 6. Juli 1998 – 9 C 45.97 – BVerwGE 107, 128 ff. = juris, Rn. 10.
26Zwar ist bei fehlerhafter oder verweigerter sachlicher Entscheidung der Behörde im Falle eines gebundenen begünstigenden Verwaltungsakts regelmäßig die dem Rechtsschutzbegehren des Klägers allein entsprechende Verpflichtungsklage die richtige Klageart mit der Konsequenz, dass das Gericht die Sache spruchreif zu machen hat und sich nicht auf eine Entscheidung über die Anfechtungsklage beschränken darf, die im Ergebnis einer Zurückverweisung an die Verwaltungsbehörde gleichkäme.
27Vgl. BVerwG, Urteil vom 7. März 1995 – 9 C 264.94 –, juris, Rn. 15.
28Dieser auch im Asylverfahren geltende Grundsatz kann jedoch auf behördliche Entscheidungen, die – wie hier – auf der Grundlage von § 27a AsylVfG ergangen sind, keine Anwendung finden. Denn im Falle einer fehlerhaften Ablehnung des Asylantrags als unzulässig mangels Zuständigkeit ist der Antrag in der Sache von der zuständigen Behörde noch gar nicht geprüft worden. Wäre nunmehr das Gericht verpflichtet, die Sache spruchreif zu machen und durchzuentscheiden, ginge dem Kläger eine Tatsacheninstanz verloren, die mit umfassenderen Verfahrensgarantien ausgestattet ist. Das gilt sowohl für die Verpflichtung der Behörde zur persönlichen Anhörung (§ 24 Absatz 1 Satz 3 AsylVfG) als auch zur umfassenden Sachaufklärung sowie der Erhebung der erforderlichen Beweise von Amts wegen (§ 24 Absatz 1 Satz 1 AsylVfG) ohne die einmonatige Präklusionsfrist, wie sie für das Gerichtsverfahren in § 74 Absatz 2 AsylVfG in Verbindung mit § 87b Absatz 3 VwGO vorgesehen ist. Im Übrigen führte ein Durchentscheiden des Gerichts im Ergebnis dazu, dass das Gericht nicht eine Entscheidung der Behörde kontrollieren würde, sondern anstelle der Behörde selbst entschiede, was im Hinblick auf den Grundsatz der Gewaltenteilung aus Artikel 20 Absatz 2 Grundgesetz (GG) zumindest bedenklich wäre.
29Verwaltungsgericht Düsseldorf, Urteile vom 27. Juni 2014 – 13 K 654/14.A –, juris, Rn. 30, 26. April 2013 – 17 K 1777/12.A –, juris, Rn. 18 und 19. März 2013 – 6 K 2643/12.A –, juris, Rn. 16; Verwaltungsgericht München, Gerichtsbescheid vom 21. Mai 2014 – M 21 K 14.30286 –, juris, Rn. 17 f.; Verwaltungsgericht Hamburg, Urteil vom 23. April 2014 – 10 A 1242/12 –, juris, Rn. 19; Verwaltungsgericht Regensburg, Urteil vom 18. Juli 2013 – RN 5 K 13.30027 –, juris, Rn. 20; Verwaltungsgericht Hannover, Urteil vom 7. November 2013 – 2 A 4696/12 –, juris, Rn. 20; Verwaltungsgericht Hamburg, Urteil vom 18. Juli 2013 – 10 A 581/13 –, juris, Rn. 18; Verwaltungsgericht Gießen, Urteil vom 24. Januar 2013 – 6 K 1329/12.GI.A –, juris, Rn. 16 f.; Verwaltungsgericht Stuttgart, Urteil vom 20. September 2012 – A 11 K 2519/12 –, juris, Rn. 15; VerwaltungsgerichtHamburg, Urteil vom 15. März 2012, – 10 A 227/11 –, juris, Rn. 16;Verwaltungsgericht Karlsruhe, Urteil vom 3. März 2010, – A 4 K 4052/08 –, Seite 5; vgl. zum vergleichbaren Fall der Verfahrenseinstellung nach § 33 AsylVfG: BVerwG, Urteil vom 7. März 1995 – 9 C 264.94 –, juris, Rn. 15 ff.
30Überdies würden die vom Gesetzgeber im Bemühen um Verfahrensbeschleunigung dem Bundesamt zugewiesenen Gestaltungsmöglichkeiten unterlaufen, wenn eine Verpflichtung des Gerichts zur Spruchreifmachung und damit zum „Durchentscheiden“ bestünde. Gelangt das Bundesamt nämlich nach sachlicher Prüfung des Asylbegehrens zu dem Ergebnis, das Begehren sei gemäß §§ 29a, 30 AsylVfG offensichtlich unbegründet, so bestimmt § 36 AsylVfG das weitere Verfahren und sieht eine starke Beschleunigung der gerichtlichen Kontrolle und ggf. eine kurzfristige Beendigung des Aufenthalts des Klägers vor. Eine vergleichbare Möglichkeit steht dem Gericht nicht zu. Stellt sich nämlich das Asylbegehren nach gerichtlicher Prüfung als schlicht unbegründet dar, bemisst § 38 Absatz 1 AsylVfG die Ausreisefrist auf 30 Tage. Allerdings müsste sie, da sie nicht vom Gericht ausgesprochen werden kann, nachträglich von der Behörde festgesetzt werden, was im Widerspruch zu dem Beschleunigungsgedanken des Asylverfahrensgesetzes stünde.
31Verwaltungsgericht München, Gerichtsbescheid vom 21. Mai 2014 – M 21 K 14.30286 –, juris, Rn. 16.
32Im Falle der Aufhebung eines auf der Grundlage von § 27a AsylVfG ergangenen Bescheides ist daher das Asylverfahren durch die Beklagte weiterzuführen und das Asylbegehren von ihr in der Sache zu prüfen.
33II. Die Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Der Bescheid der Beklagten vom 16. Januar 2014 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Absatz 1 Satz 1 VwGO).
34Das Bundesamt hat den Asylantrag des Klägers zu Recht nach § 27a AsylVfG als unzulässig abgelehnt und auf der Grundlage des § 34a Absatz 1 Satz 1 AsylVfG die Abschiebung des Klägers nach Ungarn angeordnet. Gemäß § 27a AsylVfG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. In einem solchen Fall prüft die Beklagte den Asylantrag nicht, sondern ordnet die Abschiebung in den zuständigen Staat an (§ 34a Absatz 1 Satz 1 AsylVfG).
35Die Beklagte ist zutreffend davon ausgegangen, dass Ungarn grundsätzlich der für die Durchführung des Asylverfahrens des Klägers zuständige Mitgliedstaat ist (1.). Auch steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Überstellung des Klägers nach Ungarn durchgeführt werden kann; das ungarische Asylverfahren leidet insbesondere nicht an systemischen Mängeln (2.).
361. Maßgebliche Rechtsvorschrift zur Bestimmung des zuständigen Staates ist die Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (Dublin II-VO). Diese findet auf den Asylantrag des Klägers Anwendung, obwohl gemäß § 77 Absatz 1 Satz 1 AsylVfG auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw. bei Entscheidungen ohne mündliche Verhandlung auf den Zeitpunkt der Entscheidung abzustellen ist und die Nachfolgevorschrift der Dublin II-VO, die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO), bereits am 19. Juli 2013 in Kraft getreten ist. Denn gemäß Artikel 49 Unterabsatz 2 Satz 2 Dublin III-VO bleibt die Dublin II-VO anwendbar für Asylanträge, die vor dem 1. Januar 2014 gestellt werden. Anderes gilt allenfalls im Falle von Gesuchen um Aufnahme oder Wiederaufnahme, die ab dem 1. Januar 2014 gestellt werden (Artikel 49 Unterabsatz 2 Satz 1 Dublin III-VO), was hier jedoch nicht der Fall ist,
37vgl. bereits Verwaltungsgericht Düsseldorf, Urteil vom 27. Juni 2014 – 13 K 654/14.A –, juris, Rn. 55; Beschlüsse vom 12. Februar 2014 – 13 L 2428/13.A –, juris, Rn. 13 und 8. Mai 2014 – 13 L 126/14.A –, juris, Rn. 11.
38Nach den Vorschriften der Dublin II-VO ist Ungarn der zuständige Staat für die Prüfung des durch den Kläger gestellten Asylantrags. Der Kläger hat ausweislich der Abfrage des Bundesamtes in der Eurodac-Datenbank sowie nach seinen eigenen Angaben im Rahmen der Anhörung durch das Bundesamt am 28. Oktober 2013 bereits am 15. Juni 2013 in Ungarn einen Asylantrag gestellt. Ungarn hat auf das am 12. Dezember 2013 vom Bundesamt gestellte Ersuchen um Wiederaufnahme des Klägers nach Artikel 16 Absatz 1 Buchstabe c Dublin II-VO bereits am 19. Dezember 2013, und damit innerhalb der nach Artikel 20 Absatz 1 Satz 1 Buchstabe c Dublin II-VO im Falle eines Eurodac-Treffers maßgeblichen Frist von 2 Wochen nach Stellung des Wiederaufnahmeersuchens, seine Zuständigkeit für die Prüfung des Asylantrags des Klägers erklärt. Ungarn ist daher gemäß Artikel 20 Absatz 1 Satz 1 Buchstabe d Dublin II-VO grundsätzlich verpflichtet, den Kläger innerhalb einer Frist von sechs Monaten, nachdem es die Wiederaufnahme akzeptiert hat, bzw. innerhalb von sechs Monaten nach der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat, wieder aufzunehmen. Diese Frist ist noch nicht abgelaufen, da das Gericht mit Beschluss vom 28. Mai 2014 die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet hat.
39Zum fehlenden subjektiven Recht des Ausländers sich auf den Ablauf der Überstellungsfrist zu berufen siehe Verwaltungsgericht Düsseldorf, Kammerurteil vom 12. September 2014 – 13 K 8286/13.A –, juris.
40Der Überstellung des Klägers nach Ungarn steht auch nicht entgegen, dass zwischen der Antragstellung am 15. August 2013 und der Stellung des Übernahmeersuchens an Ungarn am 12. Dezember 2013 knapp 4 Monate vergangen sind. Fristvorgaben enthält die Dublin-II-VO insoweit allein für Aufnahmeersuchen (Artikel 17 Absatz 1 Dublin II-VO), also Ersuchen, die darauf gerichtet sind, dass der erstmalige Asylantrag von einem anderen Mitgliedstaat geprüft werde. Wird wie hier nach der Stellung eines Asylantrags in einem anderen Mitgliedstaat (Ungarn) ein weiterer Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland gestellt und ersucht die Beklagte daraufhin den Staat der ersten Asylantragstellung um Übernahme des Asylbewerbers, handelt es sich um ein Wiederaufnahmeersuchen nach Artikel 20 Dublin II-VO, das nicht der Fristregelung des Artikel 17 Dublin II-VO unterfällt,
41vgl. Verwaltungsgericht Düsseldorf, Beschluss vom 6. Februar 2014 – 17 L 150/13.A –, juris Rn. 40; Verwaltungsgericht Regensburg, Beschluss vom 5. Juli 2013 – RN 5 S 13.30273 –, juris Rn. 24; Verwaltungsgericht Berlin, Beschluss vom 7. Oktober 2013 – 33 L 403.13 A –, juris Rn. 8.
42Es liegt auch kein Fall vor, in dem es zum Schutz der Grundrechte des Klägers aufgrund einer unangemessen langen Verfahrensdauer der Beklagten verwehrt ist, sich auf die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats zu berufen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) hat der an sich nach der Dublin II-VO unzuständige Mitgliedstaat darauf zu achten, dass eine Situation, in der die Grundrechte des Asylbewerbers verletzt werden, nicht durch ein unangemessen langes Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats verschlimmert wird. Erforderlichenfalls muss er den Antrag nach den Modalitäten des Artikel 3 Absatz 2 Dublin II-VO selbst prüfen,
43vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris Rn. 108.
44Dahingestellt bleiben kann, ob diese Vorgabe des EuGH auch bei Wiederaufnahmeersuchen nach Artikel 20 Dublin II-VO, noch dazu in Fällen, in denen sich der Asylbewerber – wie vorliegend der Kläger – während der Überprüfung seines Asylbegehrens durch den eigentlich zuständigen Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat begibt, zu beachten ist. Denn jedenfalls lag keine unangemessen lange Verfahrensdauer vor.
45Anhaltspunkte, ab wann von einer unangemessen langen Verfahrensdauer auszugehen ist, hat der Europäische Gerichtshof nicht gegeben. Nach Auffassung des Gerichts ist insoweit aber zunächst zu berücksichtigen, dass schon die Regelung des Artikel 17 Absatz 2 Dublin II-VO für Aufnahmeersuchen und nunmehr auch Artikel 23 Absatz 2 Dublin III-VO für Wiederaufnahmeersuchen eine regelmäßige Frist von zwei bzw. drei Monaten vorsieht. Deren Überschreiten kann dabei nicht gleichgesetzt werden mit der vom Europäischen Gerichtshof angesprochenen, die Grundrechte des Asylbewerbers beeinträchtigenden unangemessen langen Verfahrensdauer. Der gesetzlichen Wertung des § 24 Absatz 4 AsylVfG folgend geht das Gericht davon aus, dass frühestens nach dem Verstreichen eines Zeitraums, der der regelmäßigen Frist des Artikel 17 Dublin II-VO von drei Monaten zuzüglich der durch Artikel 24 Absatz 4 AsylVfG für die innerstaatlich für die Entscheidung über den Asylantrag im Regelfall vorgesehenen Frist von sechs Monaten, also insgesamt von neun Monaten, entspricht, von einer unangemessen langen Verfahrensdauer ausgegangen werden kann,
46vgl. Verwaltungsgericht Düsseldorf, Urteile vom 9. Dezember 2014 – 13 K 399/14.A –, S. 5 f. des Urteilsabdrucks, 27. August 2013 – 17 K 4737/12.A –, S. 8 des Urteilsabdrucks, n.v; Beschlüsse vom 26. Februar 2013 – 13 L 396/14.A. – und vom 31. März 2014 – 13 L 119/14.A – beide juris.
47Hier sind seit der Asylantragstellung am 15. August 2013 bis zur Stellung des Übernahmeersuchens am 12. Dezember 2013 erst knapp 4 Monate verstrichen, so dass unter keinen Umständen von einer unangemessen langen Frist auszugehen ist.
48Schließlich ist die Pflicht Ungarns zur Wiederaufnahme des Klägers auch nicht gemäß Artikel 16 Absatz 3 Dublin II-VO erloschen. Danach erlöschen die Verpflichtungen nach Absatz 1, wenn der Drittstaatsangehörige das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten für mindestens drei Monate verlassen hat. Entgegen der Ansicht des Klägers erlischt die Pflicht eines eigentlich zuständigen Mitgliedstaats zur Wiederaufnahme des Asylbewerbers nicht bereits durch das Verlassen des Hoheitsgebiets dieses Mitgliedstaats. Vielmehr muss der Ausländer das Hoheitsgebiet aller Mitgliedstaaten für diesen Zeitraum verlassen haben. Hierfür ist aber nichts ersichtlich.
492. Es liegen auch keine Gründe vor, die trotz der genannten Zuständigkeit Ungarns eine Verpflichtung der Beklagten begründen könnten, vom Selbsteintrittsrecht nach Artikel 3 Absatz 2 Dublin II-VO Gebrauch zu machen oder es ausschließen würden, den Kläger nach Ungarn abzuschieben.
50Ein subjektives Recht auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Artikel 3 Absatz 2 Dublin II-VO durch die Bundesrepublik Deutschland besteht ohnehin nicht. Die Dublin‑Verordnungen sehen ein nach objektiven Kriterien ausgerichtetes Verfahren der Zuständigkeitsverteilung zwischen den Mitgliedstaaten vor. Sie sind im Grundsatz nicht darauf ausgerichtet, Ansprüche von Asylbewerbern gegen einen Mitgliedstaat auf Durchführung eines Asylverfahrens durch ihn zu begründen. Ausnahmen bestehen allenfalls bei einzelnen, eindeutig subjektiv-rechtlich ausgestalteten Zuständigkeitstatbeständen (vgl. etwa Artikel 8 Dublin II-VO zugunsten von Familienangehörigen). Die Zuständigkeitsvorschriften der Dublin II-VO begründen – wie die der Dublin III‑VO – zum Zwecke der sachgerechten Verteilung der Asylbewerber vor allem subjektive Rechte der Mitgliedstaaten untereinander. Die Unmöglichkeit der Überstellung eines Asylbewerbers an einen bestimmten Staat hindert daher nur die Überstellung dorthin; sie begründet kein subjektives Recht auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts gegenüber der Beklagten,
51vgl. Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 10. Dezember 2013 – C-394/12 –, juris, Rn. 60, 62 und Urteil vom 14. November 2013 – C 4/11 –, juris, Rn. 37; Schlussanträge des GA Jääskinnen vom 18. April 2013 – C 4/11 –, juris, Rn. 57 f.; BVerwG, Beschluss 19. März 2014 – 10 B 6.14 –, juris, Rn. 7.
52Die Beklagte ist aber auch nicht – unabhängig von der Frage der Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Artikel 3 Absatz 2 Dublin II-VO zugunsten des Klägers –gehindert, diesen nach Ungarn zu überstellen, weil es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-GR-Charta) mit sich bringen. Die Voraussetzungen, unter denen das nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) und des Europäischen Gerichtshofs,
53EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris, Rn. 83 ff., 99; EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 –, NVwZ 2011, S. 413,
54der Fall wäre, liegen nicht vor. Systemische Mängel in diesem Sinne können erst angenommen werden, wenn Grundrechtsverletzungen einer Artikel 4 EU-GR-Charta bzw. Artikel 3 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) entsprechenden Gravität nicht nur in Einzelfällen, sondern strukturell bedingt, eben systemisch vorliegen. Diese müssen dabei aus Sicht des überstellenden Staates offensichtlich sein. In der Diktion des Europäischen Gerichtshofs dürfen diese systemischen Mängel dem überstellenden Mitgliedstaat nicht unbekannt sein können,
55EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris, Rn. 94.
56Die im Gemeinsamen Europäischen Asylsystem grundsätzlich bestehende Vermutung, dass jeder Mitgliedstaat ein sicherer Drittstaat ist und die Grundrechte von Asylbewerbern einschließlich des Refoulement-Verbots hinreichend achtet, ist nicht unwiderleglich. Vielmehr hat eine Überstellung in einen Mitgliedstaat zu unterbleiben, wenn ernsthaft zu befürchten ist, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Artikel 4 EU-GR-Charta implizieren,
57EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris, Rn. 86.
58Eine Widerlegung der Vermutung ist aber wegen der gewichtigen Zwecke des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems an hohe Hürden geknüpft: Nicht jede drohende Grundrechtsverletzung oder geringste Verstöße gegen die Richtlinien 2003/9, 2004/83 oder 2005/85 genügen, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln. Das Gericht muss sich vielmehr die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Absatz 1 Satz 1 VwGO) verschaffen, dass der Asylbewerber wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird.
59Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. März 2014 – 10 B 6.14 –, juris, Rn. 6 m.w.N.
60Bei der Bewertung der in Ungarn anzutreffenden Umstände der Durchführung des Asylverfahrens und der Aufnahme von Flüchtlingen sind dabei vorliegend diejenigen Umstände heranzuziehen, die auf die Situation des Klägers zutreffen. Abzustellen ist demnach auf die Situation von Flüchtlingen in einer vergleichbaren rechtlichen oder tatsächlichen Lage, wohingegen die Situation von Flüchtlingen in anderen rechtlichen oder tatsächlichen Umständen keine unmittelbare Rolle spielt. Sie kann allenfalls ergänzend herangezogen werden, sofern sich diese Umstände auch auf die Situation des Klägers auswirken (können),
61vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 – 1 A 21/12 –, juris, Rn. 130.
62Damit ist vorliegend in erster Linie die Situation von Dublin-Rückkehren zu betrachten, die wie der Kläger vor der Ausreise aus Ungarn dort bereits einen ersten Asylantrag gestellt haben, über den materiell noch nicht entschieden worden ist.
63Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage in dem zuständigen Mitgliedstaat sind nach der Rechtsprechung des EuGH im Übrigen die regelmäßigen und übereinstimmenden Berichte von internationalen Nichtregierungsorganisationen, Berichte der Kommission zur Bewertung des Dublin-Systems und Berichte des UNHCR zur Lage von Flüchtlingen und Migranten vor Ort,
64vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C 411/10 et. al. –, juris, Rn. 90 ff.
65Letzteren Informationen kommt bei der Beurteilung der Funktionsfähigkeit des Asylsystems in dem nach der Dublin II-Verordnung zuständigen Mitgliedstaat besondere Relevanz zu. Dies entspricht der Rolle, die dem Amt des UNHCR durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden ist, wobei letztere bei der Auslegung der unionsrechtlichen Asylvorschriften zu beachten ist,
66vgl. EuGH, Urteil vom 30. Mai 2013 – C 528/11 –, juris, Rn. 44.
67Für die Frage, ob in Ungarn „systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber“ im Sinne der zitierten Rechtsprechung vorliegen, kommen dabei allerdings vorliegend von vorne herein nur solche Auskünfte und Berichte der genannten Organisationen in Betracht, die sich mit der Sach- und Rechtslage in Ungarn seit dem 1. Juli 2013 befassen. Für den Zeitraum bis zum 30. Juni 2013, insbesondere ab dem 1. Januar 2013, ist in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte davon auszugehen, dass die in den Jahren bis 2012 festgestellten Mängel des ungarischen Asylsystems und der Aufnahmebedingungen durch zwischenzeitliche weitreichende tatsächliche und rechtliche Verbesserungen, insbesondere die vorübergehende Abschaffung der Inhaftierungsmöglichkeiten für Asylbewerber mit Wirkung zum 1. Januar 2013, entfallen sind,
68vgl. EGMR, Urteil vom 6. Juni 2013 – 2283/12 –, juris, Rn. 105, Mohammed gegen Österreich, in Auszügen veröffentlicht unter asyl.net.
69Zum 1. Juli 2013 wurde das Asylsystem Ungarns allerdings erneut verändert. Insbesondere wurden erneut umfassende Gründe für die Inhaftierung von Asylbewerbern, sog. asylum detention – eine durch die für das Asylverfahren zuständige Behörde angeordnete Verwaltungshaft – in das Asylrecht aufgenommen.
70Der EGMR, dessen Rechtsprechung auf der Ebene des (nationalen) Verfassungsrechts als Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten und rechtsstaatlichen Grundsätzen des Grundgesetzes dienen kann,
71vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 14. Oktober 2004 – 2 BvR 1481/04 –, juris, Rn. 32,
72und dessen Rechtsprechung maßgeblich für die Auslegung der Menschenrechte der EMRK ist, hat mit Urteil vom 3. Juli 2014 das Vorliegen systemischer Mängel in Ungarn unter Berücksichtigung der veränderten Rechtslage verneint. Zur Begründung führte er aus:
73„The country reports showed that there is still a practice of detaining asylum-seekers, and that so-called asylum detention is also applicable to Dublin returnees. The grounds for detention are vaguely formulated, and there is no legal remedy against asylum detention. However, the reports also showed that there is no systematic detention of asylum-seekers anymore, and that alternatives to detention are now provided for by law. The maximum period of detention has been limited to six months. Turning to the conditions of detention, it is noted that while there are still reports of shortcomings in the detention system, from an overall view there seem to have been improvements.
74Moreover, the Court notes that the UNHCR never issued a position paper requesting EU member States to refrain from transferring asylum‑seekers to Hungary under the Dublin II or Dublin III Regulation (compare the situation relating to Greece discussed in M.S.S. v. Belgium and Greece, cited above, § 195, and the UNHCR recommendation of 2 January 2013 to halt transfers to Bulgaria).
75Under those circumstances and as regards the possible detention of the applicant and the related complaints, the Court concludes that in view of the recent reports cited above, the applicant would currently not be at a real and individual risk of being subjected to treatment in violation of Article 3 of the Convention upon a transfer to Hungary under the Dublin Regulation.”
76EGMR, Urteil vom 3. Juli 2014 – 71932/12 –, Mohammadi gegen Österreich, Rn. 68 bis 70.
77Auch das erkennende Gericht vermag nach Auswertung der im vorliegenden Verfahren eingeholten aktuellen Auskünfte des UNHCR, des Auswärtigen Amtes und von Pro Asyl – welche dem EGMR bei seiner Entscheidung nicht vorlagen – nicht festzustellen, dass der Kläger Gefahr liefe, nach seiner Rücküberstellung nach Ungarn einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Artikel 4 EU-GR-Charta bzw. im Sinne von Artikel 3 EMRK zu unterfallen. Dies ergibt sich aus folgenden rechtlichen und tatsächlichen Erwägungen:
78Artikel 4 EU-GR-Charta bzw. Artikel 3 EMRK normieren das Verbot der Folter und unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung. Eine Behandlung ist „unmenschlich”, wenn sie vorsätzlich und ohne Unterbrechung über Stunden zugefügt wurde und entweder körperliche Verletzungen oder intensives physisches oder psychisches Leid verursacht hat. „Erniedrigend” ist eine Behandlung, wenn sie eine Person demütigt oder erniedrigt, es an Achtung für ihre Menschenwürde fehlen lässt oder sie herabsetzt oder in ihr Gefühle der Angst, Beklemmung oder Unterlegenheit erweckt, geeignet, den moralischen oder körperlichen Widerstand zu brechen. Es kann ausreichen, dass ein Opfer in seinen Augen erniedrigt ist, auch wenn andere das nicht so sehen. Ob Zweck der Behandlung war, das Opfer zu erniedrigen oder zu demütigen, ist zu berücksichtigen, aber auch wenn das nicht gewollt war, schließt das die Feststellung einer Verletzung von Artikel 3 EMRK nicht zwingend aus.
79EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 –, NVwZ 2011, 413, Rn. 220 m.w.N.
80Eine Behandlung in diesem Sinne kann nach den Ergebnissen der Beweisaufnahme zumindest nicht positiv festgestellt werden.
81Zwar hat sich nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen bestätigt, dass Dublin-Rückkehrer flächendeckend – so der UNHCR – bzw. regelmäßig – so Pro Asyl – inhaftiert werden.
82Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 30. September 2014 zu Frage 3, Seite 2; Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 31. Oktober 2014 zu Frage 3 b), Seite.
83Indes begründet die Tatsache, dass das ungarische Asylrecht seit der erneuten Rechtsänderung zum 1. Juli 2013 – wieder – Inhaftierungsgründe für Asylbewerber enthält und Ungarn auf dieser Grundlage praktisch alle Dublin-Rückkehr – so der UNHCR – bzw. regelmäßig, allerdings nicht sämtliche Dublin-Rückkehrer – so Pro Asyl – inhaftiert, für sich genommen noch keinen begründeten Anhaltspunkt für das Vorliegen systemischer Mängel des Asylsystems. Vielmehr verpflichtet Artikel 3 EMRK die Mitgliedstaaten, sich zu vergewissern, dass die Bedingungen der Haft mit der Achtung der Menschenwürde vereinbar sind und dass Art und Methode des Vollzugs der Maßnahme den Gefangenen nicht Leid oder Härten unterwirft, die das mit einer Haft unvermeidbar verbundene Maß an Leiden übersteigt, und dass seine Gesundheit und sein Wohlbefinden unter Berücksichtigung der praktischen Bedürfnisse der Haft angemessen sichergestellt sind.
84Vgl. EGMR, Urteile vom 21. Januar 2011 – 30696/09 –, juris, Rn. 221, und 15. Juli 2002 – 47095/99 –, Rn. 95.
85Die Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (AufnahmeRL), enthält für die Inhaftierung von Asylbewerbern Mindeststandards, zu denen auch die Benennung von Haftgründen gehört. Anhaltspunkte dafür, dass diese Mindeststandards ihrerseits nicht genügen, um die Asylbewerber vor einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung zu schützen, liegen dem Gericht nicht vor. Danach darf Haft nicht allein deswegen angeordnet werden, weil der Betroffene einen Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes gestellt hat, sondern nur in Ausnahmefällen, insbesondere zur Überprüfung seiner Identität oder Staatsangehörigkeit, im Falle notwendiger Beweissicherung, insbesondere bei Fluchtgefahr, zur Prüfung des Einreiserechts, zur Durch- oder Fortführung eines Abschiebeverfahrens, wenn die Gefahr der Verzögerung oder der Vereitelung durch den Betroffenen besteht und bei Gefahr für die nationale Sicherheit und Ordnung (Artikel 8 Absatz 1 und 3 AufnahmeRL). Die Inhaftierung darf nur für den kürzest möglichen Zeitraum und nur so lange, wie die Gründe gemäß Artikel 8 Absatz 3 bestehen, angeordnet werden (Artikel 9 Absatz 1 Satz 1 AufnahmeRL). Die Haftanordnung ist zu begründen (Artikel 9 Absatz 2 AufnahmeRL); bei einer Anordnung durch eine Verwaltungsbehörde ist eine zügige Überprüfung durch ein Gericht herbeizuführen (Artikel 9 Absatz 3 AufnahmeRL). In diesem Fall soll dem Betroffenen unentgeltlicher Rechtsbeistand zur Verfügung stehen (Artikel 9 Absatz 6 AufnahmeRL). Auch im Übrigen ist eine turnusmäßige Haftüberprüfung von Amts wegen vorzusehen (Artikel 9 Absatz 5 AufnahmeRL). Die Schutzsuchenden sind in speziellen Hafteinrichtungen unterzubringen, auf jeden Fall aber getrennt von gewöhnlichen Strafgefangenen (Artikel 10 Absatz 1 AufnahmeRL). Die Inhaftierung von besonders schutzbedürftigen Personen ist nur im Ausnahmefall und unter weiteren sehr eingeschränkten Bedingungen zulässig (Artikel 11 AufnahmeRL).
86Dahingestellt bleiben kann, wann ein Verstoß gegen diese Mindeststandards die Annahme systemischer Mängel indiziert, da die gesetzlichen Regelungen Ungarns zur Inhaftierung von Asylbewerbern (Act LXXX of 2007 on Asylum, im Folgenden: Asylum Act Hungary) den vorstehend genannten Vorgaben im Wesentlichen gerecht werden:
87Gemäß § 31/B Absatz 1 Asylum Act Hungary darf eine Inhaftierung nicht alleine deswegen erfolgen, weil die Antragsteller einen Asylantrag gestellt haben. Die in § 31/A Absatz 1 Asylum Act Hungary genannten Haftgründe entsprechen ganz überwiegend denen des Artikel 8 Absatz 3 der AufnahmeRL; insbesondere wird auch die Fluchtgefahr als ein Haftgrund genannt (Buchstabe c). Dabei darf entsprechend den Vorgaben der AufnahmeRL nach § 31/A Absatz 3 des ungarischen Gesetzes eine Inhaftierung nur aufgrund einer individuellen Ermessensentscheidung erfolgen und nur, wenn nicht durch andere Maßnahmen sichergestellt werden kann, dass der Asylbewerber sich dem Asylverfahren nicht entzieht. Unbegleitete Minderjährige dürfen gemäß § 31/B Absatz 2 Asylum Act Hungary nicht inhaftiert werden; Familien mit Minderjährigen dürfen nur ultima ratio inhaftiert werden, wobei das Kindeswohl vorrangig zu berücksichtigen ist. Gemäß § 31/A Absatz 10 Asylum Act Hungary soll Asylhaft nur in speziellen Einrichtungen vollzogen werden. Dabei soll die Inhaftierung von Männern und Frauen sowie Familien mit Minderjährigen jeweils getrennt erfolgen (§ 31/F Absatz 1 Asylum Act Hungary). Die zulässige Höchstdauer von Asylhaft regelt § 31/A Absatz 7 Asylum Act Hungary. Danach soll die Haft maximal sechs Monate dauern; bei Familien mit Kindern nicht länger als 30 Tage. Gemäß § 31/A Absatz 6 Asylum Act Hungary kann die Flüchtlingsbehörde innerhalb von 24 Stunden seit der Haftanordnung die Verlängerung der Inhaftierung auf mehr als 72 Stunden bei dem örtlich zuständigen Amtsgericht beantragen. Das Gericht kann die Haftdauer sodann auf höchstens 60 Tage verlängern. Eine Verlängerung auf weitere 60 Tage ist nach einem erneuten Antrag der Flüchtlingsbehörde durch das zuständige Amtsgericht möglich. Hieraus folgt, dass eine Überprüfung der Inhaftierung von Amts wegen nach 72 Stunden und anschließend nach 60 Tagen erfolgt. Darüber hinaus besteht gemäß § 31/C Absatz 3 Asylum Act Hungary die Möglichkeit gegen die Inhaftierung Einspruch einzulegen. Gemäß § 31/E Absatz 1 Asylum Act Hungary sollen inhaftierte Asylbewerber über ihre Rechte und Pflichten in ihrer Muttersprache oder einer anderen Sprache, die sie verstehen können, informiert werden. Gemäß § 31/D Absatz 4 Asylum Act Hungary soll das Gericht einen Vormund bestellen, wenn der Asylbewerber kein ungarisch spricht und nicht in der Lage ist seine Vertretung durch einen Bevollmächtigten sicherzustellen. § 31/A Absatz 8 Asylum Act Hungary zählt schließlich auf, in welchen Fällen die Inhaftierung unverzüglich zu beenden ist. Danach endet die Haft unter anderem, wenn der Haftgrund entfallen ist.
88Ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass die ungarischen Behörden diese Vorgaben bei ihrer Entscheidung über die Inhaftierung von Asylbewerbern – speziell Dublin-Rückkehrern – nicht nur in Einzelfällen, sondern systemisch nicht beachten und sich hieraus eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung im oben genannten Sinne ergibt, liegen nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht vor.
89Das Gericht hat im Rahmen der Beweisaufnahme unter anderem danach gefragt, auf welche konkreten Haftgründe die Inhaftierungen seit dem 1. Juli 2013 gestützt werden (Frage 4).
90Pro Asyl gab an, dass laut dem Hungarian Helsinki Committee (HHC) in der Praxis vor allem der Haftgrund „risk of absconding“ (c) bzw. der Haftgrund „risk of absconding“ in Verbindung mit „establishment of identiy“ (a) Anwendung finde. Weiterhin würden Inhaftierungen auf dem Haftgrund „previous absconding“ (b) basieren.
91Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 31. Oktober 2014 zu Frage 4, Seite 3.
92Bei diesen Haftgründen, welche dazu dienen, einer bestehende Fluchtgefahr zu begegnen oder die Identität des Asylbewerbers festzustellen, handelt es sich um Haftgründe, die den in Artikel 8 Absatz 3 AufnahmeRL genannten entsprechen. Allerdings hat Pro Asyl im Rahmen der Beantwortung von Frage 9 unter Bezugnahme auf die Ausführungen des HHC angegeben, dass in der Mehrheit der Haftanordnungen weiterhin auf Gründe verwiesen werde, die nicht unter die im „Asylum Act“ definierten Haftgründe fallen würden. Das HHC führt diesbezüglich auf Seite 6 der „INFORMATION NOTE ON ASYLUM-SEEKERS IN DETENTION AND IN DUBLIN PROCEDURES IN HUNGARY“ von Mai 2014 aus, dass viele Entscheidungen verschiedene Umstände und Gründe benennen würden, die oftmals über die zulässigen Haftgründe nach dem Asylum Act Hungary hinausgingen. Beispielsweise genannt werden der unrechtmäßige Aufenthalt, die Einreise auf irreguläre Weise, das Fehlen ausreichender finanzieller Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts und das Fehlen von Verbindungen nach Ungarn. Dahingestellt bleiben kann, inwieweit die vorstehend genannten Beispiele unter einen der in Artikel 8 Absatz 3 AufnahmeRL bzw. § 31/A Absatz 1 Asylum Act Hungary genannten Haftgründe subsumiert werden können. Zunächst liegen dem Gericht keine Erkenntnisse vor, wonach diese Haftgründe auch bei Dublin-Rückkehrern angewandt werden. Sodann bestehen nach dem oben Ausgeführten tragfähige Anhaltspunkte, die die häufige Heranziehung des auch in der AufnahmeRL aufgeführten Haftgrundes der Fluchtgefahr belegen. Schließlich lässt sich jedenfalls nicht allein aus einer etwaigen europarechtswidrigen Annahme eines Haftgrundes ohne weiteres auf das Vorliegen einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Artikel 3 EMRK bzw. Artikel 4 EU-GR-Charta schließen. Entscheidend ist vielmehr, dass das ungarische Recht den Asylbewerbern in solchen Fällen ermöglicht, sich gegen eine unrechtmäßige Inhaftierung zu wehren.
93Zwar gibt es gemäß § 31/C Absatz 2 Asylum Act Hungary keine individuellen Rechtsmittel, sondern gemäß Absatz 3 nur die Möglichkeit eines Einspruchs („objection“), gegen die Haftanordnung.
94Vgl auch Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 31. Oktober 2014 zu Frage 11, Seite 9 und Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 30. September 2014 zu Frage 11, Seite 7.
95Dahingestellt bleiben kann, inwieweit dieser Rechtsbehelf hinreichenden Rechtschutz zu gewähren vermag. Denn die Asylbewerber haben jedenfalls die Möglichkeit, die Rechtswidrigkeit ihrer Inhaftierung im Rahmen der von Amts wegen erfolgenden Überprüfung nach 72 Stunden bzw. 60 Tagen vor dem Amtsgericht geltend zu machen. Anhaltspunkte dafür, dass diese Fristregelungen gegen Artikel 9 Absatz 3 AufnahmeRL – der seinerseits keine konkreten Fristvorgaben enthält – verstoßen und/oder diese Vorgaben in der Praxis nicht umgesetzt werden, sind nicht ersichtlich. Ebenso wenig steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die vorgeschriebenen gerichtlichen Haftüberprüfungen nicht geeignet sind, den Asylbewerbern effektiven Rechtschutz zu gewähren. Zwar kritisieren Pro Asyl und der UNHCR, dass es in der Praxis so gut wie nie zu einer Entlassung komme.
96Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 31. Oktober 2014 zu Frage 11, Seite 10 und Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 30. September 2014 zu Frage 11, Seite 7.
97Zum einen konnte keine der drei befragten Organisationen verlässliche Auskünfte zu der Frage, wie viele der nach dem 1. Juli 2013 erlassenen Anordnungen von Asylhaft aufgrund der bestehenden Rechtschutzmöglichkeiten tatsächlich aufgehoben worden sind, geben.
98Vgl. die Antworten des Auswärtigen Amtes, UNHCR und von Pro Asyl zu Frage 12 des Beweisbeschlusses.
99Zum anderen ließe sich allein aus einer geringen Erfolgsquote der Rechtsbehelfe auch nicht ohne weiteres darauf schließen, dass die ungarischen Gerichte keinen effektiven Rechtschutz gewährleisten. Dass derartige Haftprüfungsanträge durch die Gerichte angeblich mit schematisierten Entscheidungen abgelehnt werden und die Verhandlungen nur wenige Minuten dauern, muss nicht bedeuten, dass diese Rechtsbehelfe nicht individuell geprüft würden. Vielmehr kann in Haftsachen, die Massenverfahren darstellen, aus Gründen der Vereinfachung auch eine individuelle richterliche Überprüfung zu einer schematisierten Begründung führen, wenn das Gericht keine besonders begründungsbedürftigen Umstände des Einzelfalles angenommen hat, ohne dass grundlegende rechtsstaatliche Garantien verletzt wären; die Annahme von (fortbestehender) Fluchtgefahr bei Personen, die sich dem Asylverfahren bereits in der Vergangenheit entzogen haben, erscheint dem erkennenden Gericht zumindest nicht unvertretbar.
100Vgl. Verwaltungsgericht Würzburg, Urteil vom 23. September 2014 – W 1 K 14.50050 –, juris, Rn. 37.
101Gleichfalls steht nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Inhaftierung von Dublin-Rückkehrern in der Praxis entgegen den Vorgaben des Artikel 8 Absatz 2 AufnahmeRL und § 31/A Absatz 2 Asylum Act Hungary erfolgt. Danach dürfen die Mitgliedstaaten in Fällen, in denen es erforderlich ist, auf der Grundlage einer Einzelfallprüfung den Antragsteller in Haft nehmen, wenn sich weniger einschneidende Maßnahmen nicht wirksam anwenden lassen.
102Zwar spricht vieles dafür, dass die Haftanordnung regelmäßig schematisch erfolgt und eine auf den konkreten Einzelfall bezogene Argumentation unter Abwägung der Rechts- bzw. Verhältnismäßigkeit in der Regel nicht stattfindet.
103Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 31. Oktober 2014 zu Frage 9, Seite 8.
104Indes lässt sich daraus bereits nicht ableiten, dass eine Einzelfallprüfung auch tatsächlich nicht stattgefunden hat. Vielmehr erscheint es dem Gericht nachvollziehbar, dass die Haftanordnungen größtenteils inhaltlich identisch aussehen und von einer individuellen Begründung absehen, da die Haftanordnung bei Dublin Rückkehrern regelmäßig auf den Haftgrund der Fluchtgefahr gestützt wird. Vor dem Hintergrund, dass die Dublin-Rückkehr bereits einmal aus Ungarn geflohen sind, erscheint diese Annahme auch nicht willkürlich (s.o.).
105Ungeachtet dessen widerlegt die Tatsache, dass es auch Fälle gibt, in denen die Haftanordnung auch individuelle Einzelheiten berücksichtigt,
106vgl. HHC “INFORMATION NOTE ON ASYLUM-SEEKERS IN DETENTION AND IN DUBLIN PROCEDURES IN HUNGARY“, Seite 6,
107die Annahme der fehlenden individuellen Einzelfallprüfung. Auch spricht für die Durchführung einer Einzelfallprüfung, dass Familien und besonders schutzbedürftige Personen in der Regel nicht inhaftiert werden, obwohl die Inhaftierung dieser Personengruppen ebenfalls rechtlich möglich wäre.
108Vgl. Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 30. September 2014 zu Frage 6, Seite 6.
109Zudem wird zumindest auch in vereinzelten Fällen von den im ungarischen Recht vorgesehenen Haftalternativen Gebrauch gemacht. Laut dem HHC sei in 13 der 107 untersuchten Haftentscheidungen begründet worden, warum nicht auf Haftalternativen zurückgegriffen worden sei. Im Zeitraum vom 1. Juli 2013 bis zum 17. April 2014 sei in 32 Fällen eine Kaution angeordnet worden. Die Betroffenen seien vorab gefragt worden, ob sie Geld besäßen bzw. jemand Geld schicken könne.
110Vgl. Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 30. September 2014 zu Frage 10, Seite 9; dem UNHCR liegen hierzu keine Informationen vor.
111Daraus geht hervor, dass die gesetzlich vorgesehenen Haftalternativen in der Praxis –wenn auch nur in Ausnahmefällen – tatsächlich angewendet werden. Dass die Anzahl von Fällen, in denen eine Kaution angeordnet wurde, gering ausfällt überrascht das Gericht nicht, da Flüchtlinge in der Regel nicht über entsprechende finanzielle Mittel verfügen werden, um eine Kaution in Höhe von 962,00 und 2.000,00 Euro bezahlen zu können.
112Vgl. Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 30. September 2014 zu Frage 10, Seite 9.
113Unter Berücksichtigung der Funktion einer Kaution als eine Sicherheitsleistung, welche nur bei einer gewissen – für den Betroffenen spürbaren – Höhe erfüllt werden kann, bestehen keine Bedenken gegen die geforderte Höhe. Auch spricht der Umstand, dass die Höhe der geforderten Kaution variiert, dafür, dass die Höhe der Kaution im jeweiligen Einzelfall entsprechend der wirtschaftlichen Verhältnisse des Inhaftierten festgesetzt wird.
114Aus den vorstehenden Ausführungen folgt überdies, dass die Haftanordnung in Übereinstimmung mit Artikel 9 Absatz 2 AufnahmeRL schriftlich unter Angabe der sachlichen und rechtlichen Gründe für die Haft, die letztlich eine Überprüfbarkeit gewährleisten, ergeht. Diese werden den Asylsuchenden auch verbal übersetzt.
115Vgl. Auskunft Pro Asyl an das Verwaltungsgericht München vom 30. Oktober 2014 zu Frage 1.
116Damit wird dem durch Artikel 5 Absatz 2 EMRK gewährleisteten Recht eines jeden Festgenommenen auf Unterrichtung hinreichend entsprochen. Eine mündliche Unterrichtung genügt insoweit.
117Vgl. Dörr, in: Grote/Marahun, EMRK/GG, S. 574, Rn. 36.
118Auch aus den Erkenntnissen des Gerichts zur Haftdauer lässt sich keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung von Dublin-Rückkehrern ableiten. Vielmehr steht die Rechtslage und tatsächlich gelebte Praxis in Ungarn auch insoweit in Einklang mit den europarechtlichen Vorgaben. Laut Auskunft von Pro Asyl beobachtete das HHC in der Vergangenheit, dass die maximale Haftdauer von sechs Monaten in vielen Fällen ausgeschöpft worden sei. Seit Kurzem würden inhaftierte Asylsuchende aus der Asylhaft entlassen, sobald das OIN im „in-merit procedure“ über das Asylgesuch entschieden hat und zwar auch dann, wenn diese Entscheidung negativ ausgefallen sei und der Betroffene Rechtmitte eingelegt habe. Demgegenüber ist nicht ersichtlich, dass die Höchstgrenze der zulässigen Haftdauer überschritten wird.
119vgl. Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 31. Oktober 2014 zu Frage 2 Buchstabe, Seite 2.
120Es erscheint zumindest nicht unvertretbar, bei Dublin-Rückkehrern anzunehmen, dass der Haftgrund der Fluchtgefahr – bis zu einer Entscheidung über das Asylbegehren bzw. unter Umständen auch nach einer ablehnenden Entscheidung – fortlaufend gegeben ist.
121Vgl. Verwaltungsgericht Stade, Beschluss vom 14. Juli 2014 – 1 B 862/14 –, juris, Rn. 15.
122Hinzu kommt, dass die Inhaftierung von Amts wegen alle 60 Tage überprüft wird (s.o.), die Asylbewerber mithin die Möglichkeit haben, ihre Inhaftierung auf die fortbestehende Rechtmäßigkeit hin überprüfen zu lassen.
123Schließlich kann das Gericht den aktuellen Auskünften nicht entnehmen, dass die konkreten Haftbedingungen in Ungarn systemisch eine unmenschliche, erniedrigende Behandlung der Dublin-Rückkehrer darstellen.
124Hinsichtlich der Haftbedingungen in den Asylhaftanstalten liegen dem Gericht im Wesentlichen die folgenden Erkenntnisse vor:
125Die Asylhafteinrichtungen seien nicht überbelegt. Die gesetzliche Mindestvorgabe von 5 m² pro Person werde in allen Einrichtungen gewahrt. Asylbewerber könnten sich innerhalb der Hafteinrichtungen zwischen 6 und 23 Uhr frei bewegen. Außerhalb der Einrichtungen, auf dem Weg zum Krankenhaus oder zum Gericht, würden die Asylbewerber hingegen an einer Leine geführt. Zur Freizeitgestaltung gebe es in den Hafteinrichtungen Computerräume mit Internetzugang, Fitnessräume und Gemeinschaftsräume, in denen ein Fernseher stehe. Bezüglich der hygienischen Verhältnisse in den Asylhafteinrichtungen lägen Mängel vor. In Békéscaba hätten einige der Toiletten keine Türen gehabt und einige Wasserhähne würden nicht funktionieren, weshalb der Zugang zu warmen Wasser nicht immer gewährleistet sei. In Nyírbátor habe eine unzureichende Versorgung mit Putzutensilien und Reinigungsmitteln zur Reinigung der Toiletten und Duschen stattgefunden. Der Waschraum im ersten Stock sei permanent dreckig gewesen und würde stinken. Auch sei das Wasser von mangelhafter Qualität gewesen, was zu Hautausschlägen geführt habe. In Debrecen seien Duschen im zweiten Stock häufig verstopft und daher unbenutzbar gewesen. Eine Versorgung mit Lebensmitteln erfolge entsprechend einer Verordnung des Innenministeriums. Religiöse und medizinische Besonderheiten würden in der Regel berücksichtigt. Kritisiert werde aber die schlechte Qualität des Essens. Eine medizinische Grundversorgung werde gewährleistet, auch wenn diese oft als unzureichend empfunden werde. Sanitäter bzw. Krankenschwestern seien permanent anwesend; Allgemeinmediziner würden die Einrichtungen zweitweise besuchen. In schwerwiegenden Fällen könne eine Zuweisung zu den Allgemein- oder Spezialeinrichtungen des Gesundheitssystems erfolgen. Die Kosten der Behandlung trage der ungarische Staat bzw. seine Gesundheitseinrichtung. In der Aufnahmeeinrichtung Békéscaba werde zudem psychologische Betreuung durch Spezialisten und Psychologen der Cordelia Stiftung gewährt.
126Vgl. Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 31. Oktober 2014 zu Frage 5 b) bis f), Seite 3 ff.; Auskunft des UNHCR an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 30. September 2014 zu Frage 5 b) bis f), Seite 3 f.; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 19. November 2014 zu Frage 5 b) bis f), Seite 3 f.; HHC “INFORMATION NOTE ON ASYLUM-SEEKERS IN DETENTION AND IN DUBLIN PROCEDURES IN HUNGARY“, S. 15 ff.
127Obschon das Gericht nicht verkennt, dass Defizite in den Haftbedingungen bestehen, erreichen diese jedenfalls nicht das erforderliche Mindestmaß an Schwere, um von systemischen Mängeln in dem geschilderten Sinne ausgehen zu können. Die Beurteilung dieses Mindestmaßes ist relativ und hängt von allen Umständen des Einzelfalls ab, wie die Dauer der Behandlung und ihre physischen und psychischen Wirkungen und manchmal das Geschlecht, das Alter und der Gesundheitszustand des Opfers.
128Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 – M.S. S./Belgien u. Griechenland, Rn. 219.
129Die vorstehend genannten hygienischen, medizinischen und sonstigen Mängel in den Asylhaftanstalten, insbesondere auch die Vorfälle, in denen Asylbewerber von „armed security guards“ misshandelt worden sind, sind zwar nicht zu vernachlässigen. Indes lässt sich daraus nicht ableiten, dass die inhaftierten Asylbewerber in Ungarn nicht nur vereinzelt, sondern gerade systematisch einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterliegen. Vielmehr zeigt ein Vergleich mit der früheren Lage in Ungarn, dass zwischenzeitlich weitreichende tatsächliche und rechtliche Verbesserungen eingetreten sind.
130So auch EGMR, Urteil vom 3. Juli 2014 – 71932/12 – Mohammadi gegen Österreich, Rn. 68.
131Soweit die Bedingungen in einzelnen Aufnahmeeinrichtungen noch verbesserungswürdig sind, ist darauf hinzuweisen, dass einzelne Missstände, die in bestimmten Aufnahmeeinrichtungen auftreten, das Asyl- und Aufnahmesystem nicht insgesamt tangieren. Auch der Umstand, dass sich die Situation in Ungarn deutlich schlechter darstellen mag als in der Bundesrepublik Deutschland, begründet für sich keinen systemischen Mangel.
132Vgl. EGMR, Urteil vom 3. Juli 2014 – 71932/12 – Mohammadi gegen Österreich, Rn. 69; Verwaltungsgericht Düsseldorf, Beschluss vom 30. Januar 2015 – 13 L 58/15.A –, juris, Rn. 43 m.w.N.
133Lediglich ergänzend weist das Gericht darauf hin, dass der UNHCR – auch nach einer intensiven Auseinandersetzung mit der Inhaftierungspraxis Ungarns infolge der durch das Gericht veranlassten Beweisaufnahme – keine systemischen Mängel des Asylverfahrens oder Aufnahmebedingungen in Ungarn explizit festgestellt und keine generelle Empfehlung ausgesprochen hat, im Rahmen des Dublin-Verfahrens Asylbewerber nicht nach Ungarn zu überstellen. Dem Fehlen einer solchen generellen Empfehlung des UNHCR kommt insoweit besondere Bedeutung zu. Denn die vom Amt des UNHCR herausgegebenen Dokumente sind im Rahmen der Beurteilung der Funktionsfähigkeit des Asylsystems in einem Mitgliedstaat angesichts der Rolle, die dem UNHCR durch die – bei der Auslegung des unionsrechtlichen Asylverfahrensrechts zu beachtende – Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden ist, besonders relevant.
134So auch Verwaltungsgericht Augsburg, Beschluss vom 26. Januar 2015 – Au 7 S 15.50015 –, juris, Rn. 31.
135Schließlich liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass Dublin-Rückkehrer entgegen des Refoulement-Verbots ohne eine Entscheidung über ihren Asyl(folge)antrag in ihr Herkunftsland abgeschoben werden, wenn – wie vorliegend – über den Asylantrag des Asylbewerbers noch nicht entschieden worden ist, weil dieser infolge des Verlassens Ungarns während des Asylverfahrens als zurückgenommen gilt.
136Vgl. Auskunft von Pro Asyl an das Verwaltungsgericht München vom 31. Oktober 2014 zu Frage 2, Seite 2 f.; HHC “INFORMATION NOTE ON ASYLUM-SEEKERS IN DETENTION AND IN DUBLIN PROCEDURES IN HUNGARY“, S. 20.
137Dass das Asylverfahren des Klägers in Ungarn eingestellt worden ist, ohne dass über seinen Asylantrag entschieden worden ist, steht zur Überzeugung des Gerichts aufgrund der auf Artikel 16 Absatz 1 Buchstabe c) Dublin II-VO gestützten Zustimmung Ungarns zur Übernahme des Klägers fest. Danach ist ein Mitgliedstaat verpflichtet einen Drittstaatangehörigen oder einen Staatenlosen, der seinen Antrag während der Antragsprüfung zurückgezogen und in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder sich ohne Aufenthaltstitel im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats befindet nach Maßgabe des Artikel 20 wieder aufzunehmen.
138Steht nach alldem nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass das ungarische Asylverfahren an systemischen Mängeln leidet, geht dieser Umstand – nach den Grundsätzen der materiellen Beweislast – zu Lasten des Klägers. Bereits aus dem eingangs dargestellten Erfordernis, dass sich das Gericht zur Widerlegung der auf dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens unter den Mitgliedstaaten gründenden Vermutung, die Behandlung der Asylbewerber stehe in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechte-Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK, die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Absatz 1 Satz 1 VwGO) verschaffen muss, dass der Asylbewerber wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird (S. 10),
139BVerwG, Beschluss vom 15. April 2014 – 10 B 16.14 –, juris, S. 5,
140folgt, dass es zu Lasten des Asylbewerbers geht, wenn das Gericht – wie vorliegend – nicht zu dieser Überzeugungsgewissheit gelangt. Gleiches ergibt sich auch aus der Diktion des EuGH, wonach ein Asylbewerber seiner Überstellung in den eigentlich zuständigen Mitgliedstaat nur damit entgegentreten kann, dass er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat geltend macht (Hervorhebung durch das Gericht), die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Artikel 4 der Charta ausgesetzt zu werden.
141Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 – C-394/12 –, juris, Rn. 62.
142Gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung nach § 34a Absatz 1 AsylVfG bestehen im Ergebnis daher keine Bedenken. Es sind auch keine zielstaatsbezogenen oder in der Person des Klägers liegenden, also inlandsbezogenen, Abschiebungshindernisse ersichtlich.
143Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Absatz 1 VwGO, § 83b AsylVfG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).
(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.
(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
1
Gründe:
2Der am 9. Januar 2015 bei Gericht gestellte Antrag,
3die aufschiebende Wirkung der Klage 13 K 182/15.A gegen die Abschiebungsanordnung unter Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 5. Dezember 2014 anzuordnen,
4zu dessen Entscheidung die Einzelrichterin gemäß § 76 Absatz 4 Satz 1 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) berufen ist, hat keinen Erfolg. Er ist zulässig (I.), aber unbegründet (II.).
5I. Der hier gestellte Antrag nach § 80 Absatz 5 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ist statthaft, da der in der Hauptsache erhobenen Klage nach § 80 Absatz 2 Satz 1 Nummer 3 VwGO in Verbindung mit § 75 Absatz 1 AsylVfG keine aufschiebende Wirkung zukommt.
6Der Antragsteller hat den Eilantrag auch innerhalb von einer Woche nach Bekanntgabe des angegriffenen Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 5. Dezember 2014 und damit fristgerecht im Sinne von § 34a Absatz 2 Satz 1 AsylVfG gestellt. Der auf die Unzulässigkeit des Asylantrags gemäß § 27a AsylVfG gestützte Bescheid wurde ausweislich der im Verwaltungsvorgang enthaltenen Postzustellungsurkunde (Bl. 63 f. Verwaltungsvorgang) am 2. Januar 2014 gemäß §§ 31 Absatz 1 Satz 4 AsylVfG, 10 Absatz 5 AsylVfG in Verbindung mit § 178 Absatz 1 Nr. 3 Zivilprozessordnung (ZPO) dem Antragsteller persönlich zugestellt. Die einwöchige Antragsfrist begann demnach gemäß §§ 57 Absatz 2 VwGO, 222 Absatz 1 ZPO, 187 Absatz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) am 3. Januar 2015 und endete gemäß §§ 57 Absatz 2 VwGO, 222 Absatz 1 ZPO, 188 Absatz 1 BGB mit Ablauf des 9. Januar 2015. Der Antragsteller hat am 9. Januar 2015 die Anordnung der aufschiebenden Wirkung beantragt und Klage erhoben.
7II. Der Antrag hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
8Die im summarischen Eilverfahren gebotene Abwägung des öffentlichen Interesses der Antragsgegnerin an der sofortigen Vollziehung mit dem privaten Aussetzungsinteresse des Antragstellers fällt zu Lasten des Antragstellers aus, weil der angefochtene Bescheid des Bundesamtes keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet.
9Das Bundesamt hat den Asylantrag des Antragstellers zu Recht als unzulässig abgelehnt, weil Bulgarien für dessen Prüfung zuständig ist. Gemäß § 27a AsylVfG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. In einem solchen Fall prüft die Antragsgegnerin den Asylantrag nicht, sondern ordnet die Abschiebung in den zuständigen Staat an (§ 34a Absatz 1 Satz 1 AsylVfG).
10Maßgebliche Rechtsvorschrift zur Bestimmung des zuständigen Staates ist die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO). Diese findet gemäß ihrem Artikel 49 Unterabsatz 2 Satz 1 auf Schutzgesuche Anwendung, die nach dem 31. Dezember 2013 gestellt werden, also auch auf den Asylantrag des Antragsteller vom 29. September 2014.
11Nach den Vorschriften der Dublin III-VO ist Bulgarien der zuständige Staat für die Prüfung dieses Asylantrags.
12Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien aus der EURODAC-Datei festgestellt, dass ein Asylbewerber aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat gemäß Artikel 13 Absatz 1 Satz 1 Dublin III-VO für die Prüfung des Asylantrags zuständig. Der Antragsteller ist nach seinen eigenen Angaben in der Befragung durch das Bundesamt vom 19. September 2014 vor seiner Einreise in die Bundesrepublik in Bulgarien gewesen. Überdies folgt aus dem im Verwaltungsvorgang enthaltenen Vermerk des Bundesamtes vom 26. September 2014 (Bl. 30 des Verwaltungsvorgangs), dass ein entsprechender Eurodac-Treffer vorlag. Das Gericht hat keinen Anlass hieran zu zweifeln, zumal Bulgarien das Übernahmeersuchen der Bundesrepublik Deutschland vom 1. November 2014 (Bl. 33 ff. des Verwaltungsvorgangs) am 1. Dezember 2014 unter Bezugnahme auf Artikel 13 Absatz 1 Dublin III-VO angenommen hat (Bl. 48 des Verwaltungsvorgangs).
13Bulgarien ist daher grundsätzlich verpflichtet, den Antragsteller innerhalb einer Frist von sechs Monaten, nachdem es die Aufnahme akzeptiert hat, bzw. innerhalb von sechs Monaten nach der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat, aufzunehmen (Artikel 29 Absatz 1 Unterabsatz 1 Dublin III-VO). Diese Frist ist noch nicht abgelaufen; sie endet erst am 1. Juni 2015. Lediglich vorsorglich weist das Gericht darauf hin, dass sich der Antragsteller auf einen etwaigen Verstoß gegen diese Fristenregelung auch nicht berufen könnte, da die Vorschrift ihm kein subjektives Recht einräumt.
14Vgl. hierzu ausführlich Verwaltungsgericht Düsseldorf, Kammerurteil vom 12. September 2014– 13 K 8286/13.A –, juris.
15Dem Antragsteller bleibt es unbenommen, sich freiwillig bei den zuständigen Behörden in Bulgarien zu melden und hierdurch selbst das Verfahren zu beschleunigen. Dies betreffend regelt Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe a) der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 der Kommission vom 2. September 2003 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist, die ausweislich der der Dublin III-VO vorangestellten Erwägungen (Nr. 24) entsprechend anwendbar ist, dass die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat auch auf Initiative des Asylbewerbers erfolgen kann.
16Vgl. hierzu Funke-Kaiser, GK-AsylVfG, Stand: 98. Ergänzungslieferung, November 2013, § 27a, Rn. 231 m.w.N.
17Hat es der Asylbewerber folglich selbst in der Hand, wann die Überstellung erfolgt und dass sie überhaupt erfolgt, kann er mithin selbst zu der von ihm gewünschten Beschleunigung beitragen, verbietet schon der allgemeine – aus dem Gebot von Treu und Glauben nach § 242 BGB abgeleitete – Grundsatz des Verbots widersprüchlichen Verhaltens („venire contra factum proprium“), sich auf eine verspätete Überstellung seitens der Bundesrepublik Deutschland zu berufen.
18Es liegen auch keine Gründe vor, die trotz der Zuständigkeit Bulgariens eine Verpflichtung der Antragsgegnerin begründen könnten, von dem Selbsteintrittsrecht nach Artikel 17 Absatz 1 Dublin III-VO Gebrauch zu machen oder es ausschließen würden, den Antragsteller nach Bulgarien abzuschieben.
19Ein subjektives Recht auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Artikel 17 Absatz 1 Dublin III-VO durch die Bundesrepublik Deutschland besteht ohnehin nicht. Die jeweiligen Dublin-Verordnungen sehen ein nach objektiven Kriterien ausgerichtetes Verfahren der Zuständigkeitsverteilung zwischen den Mitgliedstaaten vor. Sie sind im Grundsatz nicht darauf ausgerichtet, Ansprüche von Asylbewerbern gegen einen Mitgliedstaat auf Durchführung eines Asylverfahrens durch ihn zu begründen. Ausnahmen bestehen allenfalls bei einzelnen, eindeutig subjektiv-rechtlich ausgestalteten Zuständigkeitstatbeständen (vgl. etwa Artikel 9 Dublin III-VO zugunsten von Familienangehörigen). Die Zuständigkeitsvorschriften der Dublin III-VO begründen – wie die der bisherigen Dublin II VO – zum Zwecke der sachgerechten Verteilung der Asylbewerber vor allem subjektive Rechte der Mitgliedstaaten untereinander. Die Unmöglichkeit der Überstellung eines Asylbewerbers an einen bestimmten Staat hindert daher nur die Überstellung dorthin; sie begründet kein subjektives Recht auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts gegenüber der Antragsgegnerin.
20Vgl. Europäischer Gerichtshof (EuGH), Urteile vom 10. Dezember 2013 – C 394/12 –, juris, Rn. 60, 62 und 14. November 2013 – C 4/11 –, juris, Rn. 37; Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Beschluss vom 19. März 2014 – 10 B 6.14 –, juris, Rn. 7.
21Die Antragsgegnerin ist aber auch nicht – unabhängig von der Frage der Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Artikel 17 Absatz 1 Dublin III-VO zugunsten des Antragstellers – nach Artikel 3 Absatz 2 Unterabsatz 2 Dublin III-VO gehindert, diesen nach Bulgarien zu überstellen, weil es wesentliche Gründe für die Annahme gäbe, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylantragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufwiesen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-GR-Charta) mit sich brächten. Die Voraussetzungen, unter denen dies nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) und des Europäischen Gerichtshofs,
22EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris, Rn. 83 ff., 99; EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 –, NVwZ 2011, 413,
23der Fall wäre, liegen hier nicht vor. Systemische Mängel in diesem Sinne können erst angenommen werden, wenn Grundrechtsverletzungen einer Artikel 4 EU-GR-Charta bzw. Artikel 3 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) entsprechenden Schwere nicht nur in Einzelfällen, sondern strukturell bedingt, eben syste-misch vorliegen. Diese müssen dabei aus Sicht des überstellenden Staates offensichtlich sein. In der Diktion des Europäischen Gerichtshofs dürfen diese systemischen Mängel dem überstellenden Mitgliedstaat nicht unbekannt sein können.
24Vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris, Rn. 94.
25Die im Gemeinsamen Europäischen Asylsystem grundsätzlich bestehende Vermutung, dass jeder Mitgliedstaat ein sicherer Drittstaat ist und die Grundrechte von Asylbewerbern einschließlich des Refoulement-Verbots hinreichend achtet, ist nicht unwiderleglich. Vielmehr hat eine Überstellung in einen Mitgliedstaat zu unterbleiben, wenn ernsthaft zu befürchten ist, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Artikel 4 EU-GR-Charta implizieren,
26EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 et al. –, juris, Rn. 86.
27Eine Widerlegung der Vermutung hat er aber wegen der gewichtigen Zwecke des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems an hohe Hürden geknüpft: Nicht jede drohende Grundrechtsverletzung oder geringste Verstöße gegen die Richtlinien 2003/9, 2004/83 oder 2005/85 genügen, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln. Das Gericht muss sich vielmehr die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Absatz 1 Satz 1 VwGO) verschaffen, dass der Asylbewerber wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird.
28Vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 19. März 2014 – 10 B 6.14 –, juris, Rn. 6 m.w.N.
29Im Eilverfahren bedeutet dies, dass das erkennende Gericht bei der nur möglichen summarischen Prüfung anhand der tatsächlichen Erkenntnislage im Zeitpunkt seiner Entscheidung festzustellen hat, ob der aufnehmende Mitgliedstaat trotz möglicher Mängel in der Durchführung des Asylverfahrens seine Verpflichtungen jedenfalls soweit einhält, dass eine Rückführung zumutbar erscheint.
30Verwaltungsgericht Berlin, Beschlüsse vom 15. Januar 2015 – 23 L 899.14 A –, juris, Rn. 6 m.w.N. und 4. August 2014 – 34 L 78.14 A –, juris, Rn. 9.
31Bei der Bewertung der in Bulgarien anzutreffenden Umstände der Durchführung des Asylverfahrens und der Aufnahme von Flüchtlingen sind dabei vorliegend diejenigen Umstände heranzuziehen, die auf die Situation des Antragstellers zutreffen. Abzustellen ist demnach auf die Situation von Flüchtlingen in einer vergleichbaren rechtlichen oder tatsächlichen Lage, wohingegen die Situation von Flüchtlingen in anderen rechtlichen oder tatsächlichen Umständen keine unmittelbare Rolle spielt. Sie kann allenfalls ergänzend herangezogen werden, sofern sich diese Umstände auch auf die Situation des Antragstellers auswirken (können),
32vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Urteil vom 7. März 2014 – 1 A 21/12 –, juris, Rn. 130.
33Damit ist vorliegend in erster Linie die Situation von Dublin-Rückkehren zu betrachten, die – wie der Antragsteller – vor der Ausreise aus Belgien dort noch keinen ersten Asylantrag gestellt haben.
34Gemessen hieran und unter Berücksichtigung der dem Gericht vorliegenden Erkenntnismittel ist nicht ersichtlich, dass der Antragsteller Gefahr liefe, nach der Rücküberstellung nach Bulgarien einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Artikel 4 EU-GR-Charta bzw. im Sinne von Artikel 3 EMRK zu unterfallen.
35Das Gericht verkennt zwar nicht das Bestehen der in den vorliegenden Berichten dargestellten Missstände in Bulgarien. Diese begründen jedoch für sich keine systemischen Mängel. So listen Amnesty International in seinem Bericht vom März 2014 sowie European Council on Refugees and Exiles (ECRE) in seiner Stellungnahme vom 7. April 2014 – trotz Anerkennung gewisser Verbesserungen – weiterhin mangelhafte Bedingungen auf und plädieren dafür, von einer Überstellung von Flüchtlingen nach Bulgarien abzusehen. Auch Bordermonitoring führt in seinem Bericht vom 7. Juli 2014 über die Situation von Asylsuchenden und Flüchtlingen in Bulgarien Missstände auf und spricht sich gegen Überstellungen im Dublin-Verfahren nach Bulgarien aus, solange in Bulgarien keine menschliche Behandlung aller Asylsuchenden gewährleistet ist.
36VG Würzburg, Beschluss vom 18. August 2014 – W 6 S 14.50098 –, juris, Rn. 17.
37Indes ist für das Gericht entscheidend, dass UNHCR in seiner aktualisierten Bestandsaufnahme vom April 2014 („UNHCR Observations: Current Situation of Asylum in Bulgaria – April 2014“) nicht mehr darauf beharrt, von Dublin-Rücküberstellungen von Asylsuchenden nach Bulgarien abzusehen. Das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (European Asylum Support Office – EASO) hat ebenfalls keine Empfehlung ausgesprochen, von der Rückstellung nach Bulgarien abzusehen. Dies ist deshalb von erheblicher Bedeutung, weil die vom Amt des UNHCR herausgegebenen Dokumente im Rahmen der Beurteilung der Funktionsfähigkeit des Asylsystems in dem Drittstaat, der nach den Kriterien der Dublin-III-VO als zuständiger Staat bestimmt wird, angesichts der Rolle, die dem Amt des UNHCR durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden ist, die bei der Auslegung des unionsrechtlichen Asylverfahrens zu beachten ist, besonders relevant sind,
38vgl. EuGH, Urteil vom 30. Mai 2013 – C 528/11 –, NVwZ-RR 2013, 660.
39Maßgebend für UNHCR war, dass die bulgarischen Behörden und ihre Partner in den letzten drei Monaten signifikante Anstrengungen mit Blick auf die Lebensbedingungen für Asylsuchende und das Asylsystem unternommen haben. Die Bedingungen in den Aufnahmezentren haben sich verbessert. Es gibt Zugang zur medizinischen Versorgung. Auch die Unterstützung durch EASO brachte erhebliche Verbesserungen. In dem Bericht des UNHCR ist ausgeführt, trotz weiter gegebener Schwächen und Defizite des Asylsystems in Bulgarien sei angesichts der zwischenzeitlich eingetretenen, zahlreichen Verbesserungen eine allgemeine Aussetzung von Dublin-Überstellungen nach Bulgarien – mit Ausnahme besonders schutzwürdiger Personen – nicht mehr angezeigt. Die in den Aufnahmezentren festgestellten Bedingungen hätten sich seit Dezember 2013 spürbar verbessert; dies betreffe den Zugang zur medizinischen Primärversorgung, Unterstützung durch Dolmetscherdienste im Anmelde- und Asylverfahren, bei der Unterkunft und der finanziellen Unterstützung. Bulgarien sei von der EU finanziell, logistisch und personell unterstützt worden. Die bulgarische Regierung hab sich dem Problem nicht verschlossen, sondern konstruktiv mit UNHCR und EASO zusammengearbeitet.
40VG Würzburg, Beschluss vom 18. August 2014 – W 6 S 14.50098 –, juris Rn. 18; VG Bremen, Urteil vom 16. Juli 2014 – 1 K 152/14 –, juris Rn. 32; VG Ansbach, Urteil vom 10. Juli 2014 – AN 11 K 14.30366 –, juris, Rn. 27; VG München, Beschluss vom 07. Mai 2014 – M 11 S 14.50163 –, juris, Rn. 17 ff.
41Dabei ist zu betonen, dass es sich hier bei der Beurteilung des Antragstellers nicht allgemein um einen Flüchtling handelt, der etwa erneut illegal über die Außengrenzen einreist, sondern dass es vorliegend um die Rückführung im Rahmen einer Dublin-Überstellung von der Bundesrepublik Deutschland nach Bulgarien geht. Asylbewerber, die wie der Antragsteller aus anderen Mitgliedsstaaten der EU nach Bulgarien zurückkehren, haben aber grundsätzlich keine Hindernisse beim Zugang zum Asylverfahren aufgrund ihrer Rückkehr. Anders mag es aussehen, wenn die Statusentscheidung in der ersten Instanz bereits in Abwesenheit getroffen und endgültig wurde,
42vgl. hierzu UNHCR, Observations On The Current Situation Of Asylum In Bulgaria vom 2. Januar 2014, S. 5; AIDA, Asylum Information Database, “National Country Report Bulgaria” vom April 2014, S. 24.
43Der Antragsteller hat in Bulgarien aber noch kein Asyl beantragt, weshalb er mit den in den vorstehend zitierten Berichten genannten Schwierigkeiten nicht zu rechnen braucht und das Gericht demnach im vorliegenden Verfahren auch nicht darüber zu befinden hat, ob sich hieraus hinreichende Anhaltspunkte für die Annahme systemischer Mängel ergäben.
44Bei einer Gesamtwürdigung der dargestellten Erkenntnisse geht das Gericht im Ergebnis davon aus, dass die noch bestehenden Umstände jedenfalls nicht die Qualität systemischer Mängel erreichen. Soweit die Bedingungen in einzelnen Aufnahmeeinrichtungen noch verbesserungswürdig sind, ist darauf hinzuweisen, dass einzelne Missstände, die in bestimmten Aufnahmeeinrichtungen auftreten, das Asyl- und Aufnahmesystem nicht insgesamt tangieren. Auch der Umstand, dass sich die Situation in Bulgarien deutlich schlechter darstellen mag als in der Bundesrepublik Deutschland, begründet für sich keinen systemischen Mangel.
45Vgl. VG Würzburg, Beschluss vom 18. August 2014 – W 6 S 14.50098 –, juris Rn. 19.
46Schließlich bestehen auch gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung nach § 34a Absatz 1 AsylVfG keine Bedenken. Es sind weder zielstaatsbezogene noch in der Person der Antragstellers, also inlandsbezogene, Abschiebungshindernisse ersichtlich.
47Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Absatz 1 VwGO, § 83b AsylVfG. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Absatz 1 Satz 1 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG).
48Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylVfG.
Tenor
I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
I.
Hier weiter
II.
(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.
(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.
(1) Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird. Für einen Zeitraum von länger als sechs Monaten gilt § 23 Abs. 1.
(2) Die Abschiebung eines Ausländers ist auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Die Abschiebung eines Ausländers ist auch auszusetzen, wenn seine vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen eines Verbrechens von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre. Einem Ausländer kann eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Soweit die Beurkundung der Anerkennung einer Vaterschaft oder der Zustimmung der Mutter für die Durchführung eines Verfahrens nach § 85a ausgesetzt wird, wird die Abschiebung des ausländischen Anerkennenden, der ausländischen Mutter oder des ausländischen Kindes ausgesetzt, solange das Verfahren nach § 85a nicht durch vollziehbare Entscheidung abgeschlossen ist.
(2a) Die Abschiebung eines Ausländers wird für eine Woche ausgesetzt, wenn seine Zurückschiebung oder Abschiebung gescheitert ist, Abschiebungshaft nicht angeordnet wird und die Bundesrepublik Deutschland auf Grund einer Rechtsvorschrift, insbesondere des Artikels 6 Abs. 1 der Richtlinie 2003/110/EG des Rates vom 25. November 2003 über die Unterstützung bei der Durchbeförderung im Rahmen von Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg (ABl. EU Nr. L 321 S. 26), zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist. Die Aussetzung darf nicht nach Satz 1 verlängert werden. Die Einreise des Ausländers ist zuzulassen.
(2b) Solange ein Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Absatz 1 besitzt, minderjährig ist, soll die Abschiebung seiner Eltern oder eines allein personensorgeberechtigten Elternteils sowie der minderjährigen Kinder, die mit den Eltern oder dem allein personensorgeberechtigten Elternteil in familiärer Lebensgemeinschaft leben, ausgesetzt werden.
(2c) Es wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Zur Behandlung der Erkrankung erforderliche Medikamente müssen mit der Angabe ihrer Wirkstoffe und diese mit ihrer international gebräuchlichen Bezeichnung aufgeführt sein.
(2d) Der Ausländer ist verpflichtet, der zuständigen Behörde die ärztliche Bescheinigung nach Absatz 2c unverzüglich vorzulegen. Verletzt der Ausländer die Pflicht zur unverzüglichen Vorlage einer solchen ärztlichen Bescheinigung, darf die zuständige Behörde das Vorbringen des Ausländers zu seiner Erkrankung nicht berücksichtigen, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Einholung einer solchen Bescheinigung gehindert oder es liegen anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, vor. Legt der Ausländer eine Bescheinigung vor und ordnet die Behörde daraufhin eine ärztliche Untersuchung an, ist die Behörde berechtigt, die vorgetragene Erkrankung nicht zu berücksichtigen, wenn der Ausländer der Anordnung ohne zureichenden Grund nicht Folge leistet. Der Ausländer ist auf die Verpflichtungen und auf die Rechtsfolgen einer Verletzung dieser Verpflichtungen nach diesem Absatz hinzuweisen.
(3) Die Ausreisepflicht eines Ausländers, dessen Abschiebung ausgesetzt ist, bleibt unberührt.
(4) Über die Aussetzung der Abschiebung ist dem Ausländer eine Bescheinigung auszustellen.
(5) Die Aussetzung der Abschiebung erlischt mit der Ausreise des Ausländers. Sie wird widerrufen, wenn die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe entfallen. Der Ausländer wird unverzüglich nach dem Erlöschen ohne erneute Androhung und Fristsetzung abgeschoben, es sei denn, die Aussetzung wird erneuert. Ist die Abschiebung länger als ein Jahr ausgesetzt, ist die durch Widerruf vorgesehene Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen; die Ankündigung ist zu wiederholen, wenn die Aussetzung für mehr als ein Jahr erneuert wurde. Satz 4 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe durch vorsätzlich falsche Angaben oder durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit selbst herbeiführt oder zumutbare Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen nicht erfüllt.
(6) Einem Ausländer, der eine Duldung besitzt, darf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn
- 1.
er sich in das Inland begeben hat, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen, - 2.
aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können oder - 3.
er Staatsangehöriger eines sicheren Herkunftsstaates nach § 29a des Asylgesetzes ist und sein nach dem 31. August 2015 gestellter Asylantrag abgelehnt oder zurückgenommen wurde, es sei denn, die Rücknahme erfolgte auf Grund einer Beratung nach § 24 Absatz 1 des Asylgesetzes beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, oder ein Asylantrag nicht gestellt wurde.
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
1
Gründe:
2Der am 16. März 2015 sinngemäß bei Gericht anhängig gemachte Antrag,
3den Beschluss des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 22. Januar 2015 (13 L 3236/14.A) abzuändern und die aufschiebende Wirkung der Klage 13 K 8755/14.A gegen Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 4. Dezember 2014 anzuordnen,
4zu dessen Entscheidung die Einzelrichterin gemäß § 76 Absatz 4 Satz 1 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) berufen ist, hat keinen Erfolg. Er ist unzulässig (I.), und hat auch in der Sache keinen Erfolg (II.).
5I. Der Antrag nach § 80 Absatz 7 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ist bereits unzulässig.
6Gemäß § 80 Absatz 7 VwGO kann das Gericht der Hauptsache jederzeit, d.h. ohne Bindung an Fristen, von Amts wegen oder – wie hier – auf Antrag eines Beteiligten einen Beschluss über die Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ändern oder aufheben. Das Verfahren trägt dem Umstand Rechnung, dass Veränderungen während des Hauptsacheverfahrens eintreten, auf die trotz Rechtskraft des Beschlusses zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes reagiert werden muss. Es dient nicht in der Art eines Rechtsmittelverfahrens der Überprüfung, ob die vorangegangene Entscheidung formell und materiell richtig ist. Maßgeblich ist somit eine entscheidungserhebliche Änderung der Sach- und Rechtslage. Prüfungsmaßstab für die Entscheidung ist allein, ob nach der jetzigen Sach- und Rechtslage die Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage geboten ist. Soweit ein Beteiligter den Antrag stellt, kann der Antrag nur damit begründet werden, dass sich entscheidungserhebliche Umstände, auf denen die ursprüngliche Entscheidung beruhte, geändert haben oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemacht werden konnten (§ 80 Absatz 7 Satz 2 VwGO). Prozessrechtliche Voraussetzung für die Ausübung der dem Gericht der Hauptsache eröffneten Abänderungsbefugnis ist somit eine Änderung der maßgeblichen Umstände, auf die die frühere Entscheidung gestützt war. Liegt eine derartige Änderung nicht vor, ist dem Gericht eine Entscheidung in der Sache verwehrt, weil sie auf eine unzulässige Rechtsmittelentscheidung hinausliefe.
7vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Beschlüsse vom 25. August 2008 – 2 VR 1.08 –, juris, Rn. 4 ff. und 29. Januar 1999, – 11 VR 13.98 – , juris; VG Augsburg, Beschluss vom 25. Juli 2014– Au 7 S 14.50183 –, juris, Rn. 15; VG Oldenburg (Oldenburg), Beschluss vom 20. Juni 2014 – 12 B 1903/14 –, juris, Rn. 2; Kopp/Schenke, VwGO, 19. Auflage 2013, § 80 Rn. 197.
8Unter Berücksichtigung dieser Voraussetzungen ist bereits nicht ersichtlich, dass der Antragsteller eine etwaige psychische Erkrankung ohne Verschulden im ursprünglichen Verfahren nicht geltend gemacht hat. Der Antragsteller hat erst mit Schriftsatz vom 16. März 2015 unter Vorlage einer „Bestätigung“ des Psychosozialen Zentrums für Flüchtlinge Düsseldorf vom 10. März 2015 auf das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung und depressiven Symptomatik hingewiesen. Weder im gerichtlichen Verfahren noch beim Bundesamt hat er auf seinen Gesundheitszustand aufmerksam gemacht. Es ist auch nicht ersichtlich, dass ihm ein dahingehender Vortrag nicht bereits zu einem früheren Zeitpunkt möglich gewesen wäre.
9II. Ungeachtet dessen ist der Antrag auch nicht begründet, da die im Rahmen des Änderungsverfahrens vorgebrachten Gründe zu keinem anderen Ergebnis führen. Insoweit kommt auch keine Abänderung des Beschlusses vom 22. Januar 2015 nach § 80 Absatz 7 Satz 1 VwGO von Amts wegen in Betracht.
10Trotz der in der „Bestätigung“ des Psychosozialen Zentrums für Flüchtlinge E. vom 10. März 2015 benannten Diagnose der Posttraumatischen Belastungsstörung (F43.1) ist weder ein inlandsbezogenes (1.) noch ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis (2.) ersichtlich.
111. Ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis im Sinne des § 60a Absatz 2 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) in Gestalt einer krankheitsbedingten Reiseunfähigkeit liegt vor, wenn krankheitsbedingt schon keine Transportfähigkeit besteht (Reiseunfähigkeit im engeren Sinne) oder wenn mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten ist, dass sich der Gesundheitszustand als unmittelbare Folge der Abschiebung erheblich verschlechtern wird (Reiseunfähigkeit im weiteren Sinne).
12Bei einer psychischen Erkrankung, wie sie hier in Rede steht, kann vom Vorliegen eines inlandsbezogenen Vollstreckungshindernisses im genannten Sinn außer in Fällen einer Flugreise- bzw. Transportuntauglichkeit im engeren Sinne nur dann ausgegangen werden, wenn entweder im Rahmen einer Abschiebung die ernsthafte Gefahr einer Selbsttötung des Ausländers droht, der auch nicht durch ärztliche Hilfen oder in sonstiger Weise wirksam begegnet werden kann, oder wenn dem Ausländer unmittelbar durch die Abschiebung bzw. als unmittelbare Folge davon sonst konkret eine erhebliche und nachhaltige Verschlechterung des Gesundheitszustands droht, die allerdings – in Abgrenzung zu zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernissen – nicht wesentlich (erst) durch die Konfrontation des Betreffenden mit den Gegebenheiten im Zielstaat bewirkt werden darf. Ferner kann ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis aufgrund einer (auch psychischen) Erkrankung vorliegen, wenn dem Ausländer bei seiner Ankunft im Zielstaat eine Gefährdung im Sinne des oben aufgezeigten Maßstabs droht, weil es an einer erforderlichen, unmittelbar nach der Ankunft einsetzenden Versorgung und Betreuung fehlt.
13Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschluss vom 29. November 2010 – 18 B 910/10 –, juris, Rn. 15 f. m.w.N.
14Einen diesen Anforderungen genügenden Nachweis einer Vorerkrankung, die zur Annahme der Reiseunfähigkeit führen könnte, hat der Antragsteller nicht erbracht. Zwar diagnostiziert die den Antragsteller untersuchende Frau Dr. des. E1. A. ihm eine schwere Posttraumatische Belastungsstörung sowie eine starke depressive Symptomatik und schätzt ihn als nicht reisefähig an. Allerdings genügt diese Bescheinigung schon nicht den Anforderungen, die an die Substantiierung eines Vorbringens einer solchen Erkrankung zu stellen sind.
15Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gehört zur Substantiierung eines Vorbringens einer Erkrankung an posttraumatischer Belastungsstörung (sowie eines entsprechenden Beweisantrages) angesichts der Unschärfen des Krankheitsbildes sowie seiner vielfältigen Symptomatik regelmäßig die Vorlage eines gewissen Mindestanforderungen genügenden fachärztlichen Attestes. Aus diesem muss sich nachvollziehbar ergeben, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Dazu gehören etwa Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden. Des Weiteren sollte das Attest Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) geben. Wird das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland gestützt und werden die Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen, so ist in der Regel auch eine Begründung dafür erforderlich, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist. Diese Anforderungen an die Substantiierung ergeben sich aus der Pflicht des Beteiligten, an der Erforschung des Sachverhalts mitzuwirken (§ 86 Absatz 1 Satz 1 Halbsatz 2 VwGO), die in besonderem Maße für Umstände gilt, die in die eigene Sphäre des Beteiligten fallen.
16Die vorgelegte „Bestätigung“ des Psychosozialen Zentrums für Flüchtlinge E. vom 10. März 2015 vermag diese Anforderungen ersichtlich nicht zu erfüllen.
17Zunächst ist bereits nicht ersichtlich, dass die den Antragsteller untersuchende Frau Dr. des. E1. A. als eine „Systemsiche Traumatherapeutin und Traumatherapeutin für Kinder und Jugendliche, Systemische Therapeutin und Famlientherapeutin (DGSF), Heilpraktikerin für Psychotherapie“ über die erforderliche Ausbildung verfügt, um fundiert eine am ICD-10 orientierte Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung und/oder Depression bei dem Antragsteller stellen zu können. Über eine Facharztausbildung, die sie zur Feststellung einer etwaigen Reiseunfähigkeit befähigen könnte, verfügt sie nicht.
18Vgl. hierzu VG Augsburg, Beschluss vom 27. Mai 2014 – Au 7 S 14.50094 –, juris, Rn. 56 m.w.N.
19Ungeachtet dessen fehlt es an einer ausreichenden Exploration, da die Diagnose ausschließlich auf der Grundlage eines einzigen Gesprächstermins getroffen worden ist und allein auf den nicht weiter überprüften und hinterfragten Angaben des Antragstellers zu seinem angeblichen Verfolgungsschicksal beruht, die dieser erstmals ihr gegenüber gemacht hat und denen sie ohne weiteres Glauben geschenkt hat. Dies wird durch die in der „Bestätigung“ verwendeten Formulierungen der Heilpraktikerin für Psychotherapie veranschaulicht. So heißt es im Anschluss an die Wiedergabe der Schilderung des Antragstellers:
20„Herr H. berichtet von massiven, kumulativen traumatogenen Situationen (Erwartung der Hinrichtung in Somalia, Misshandlung in Lybien, Lebensgefahr und Zeugenschaft beim Tod von Menschen während der Überfahrt nach Italien), die geeignet sind, die Symptomatik auszulösen. Dies lässt auf das Vorliegen einer schweren Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS, F 43.1) schließen. Dieser Eindruck deckt sich mit der Verhaltensbeobachtung (starke Unruhe, der immer wieder abwesende Blick lässt auf Dissoziationen schließen). Darüber hinaus berichtet Herr H. von einer starken depressiven Symptomatik (extreme Schlaflosigkeit, deutlicher Gewichtsverlust, ständiges Grübeln…).“
21Gleichfalls fehlt es an einer schlüssigen und nachvollziehbaren Begründung hinsichtlich der Einschätzung der Heilpraktikerin für Psychotherapie des Antragstellers als reiseunfähig. Dem Gericht erschließt sich nicht ohne weiteres, weshalb eine Rückführung des Antragstellers nach Italien „extrem angstbesetzt“ und „eine psychische Dekompensation mit möglicherweise lebensbedrohlichen Folgen […] mit hoher Wahrscheinlichkeit sowohl kurz vor als auch alsbald nach einer zwangsweisen Rückführung vorzusehen“ sei. Diese völlig unsubstaniierte Einschätzung bzw. Vorausschau der Heilpraktikerin für Psychotherapie lässt sich insbesondere auch nicht aus den vom Antragsteller geschilderten Erlebnissen ableiten, da diese den Bezug zu Italien vermissen lassen. Insoweit hat der Antragsteller lediglich geschildert, dass er auf der Straße habe leben müssen und die Situation schrecklich gewesen sei. Dass diese Erlebnisse zu einer etwaigen psychischen Erkrankung beigetragen haben, ist dagegen nicht ersichtlich. Auch führt die Heilpraktikerin im Rahmen der Aufzählung der traumatogenen Situationen die Erlebnisse des Antragstellers in Italien nicht mit auf.
22Schließlich fehlt es auch an einer Begründung des Antragstellers, warum er seine Erkrankung nicht früher geltend gemacht hat. Während er gegenüber dem Bundesamt in seiner Anhörung vom 11. Juni 2014 keinerlei Gründe geltend gemacht hat, die seiner Rückführung nach Italien entgegenstünden, hat er gegenüber dem Gericht lediglich vorgetragen, dass er die erneute Obdachlosigkeit fürchte und es in Italien derzeit kalt sei. Indes wäre zu erwarten gewesen, dass Ausführungen zum Gesundheitszustand des Antragstellers bei einer tatsächlichen psychischen Erkrankung bereits in diesem Rahmen erfolgt wären und nicht erst kurz vor der bevorstehenden Überstellung nach Italien erstmalig geltend gemacht werden.
232. Dem ärztlichen Attest lässt sich auch nichts für das Vorliegen eines zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisses im Sinne von § 60 Absatz 7 Satz 1 AufenthG entnehmen.
24Gemäß § 60 Absatz 7 Satz 1 AsylVfG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben oder Freiheit besteht. Leidet der Ausländer bereits vor der Abschiebung unter einer Erkrankung, ist von einer solchen Gefahr auszugehen, wenn sich die Erkrankung aufgrund zielstaatsbezogener Umstände nach der Abschiebung voraussichtlich in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben führt, d.h. dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht,
25BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 2006 – 1 C 18.05 –, BVerwGE 127,33 = juris Rn. 15.
26Dies ist der Fall, wenn die befürchtete Verschlimmerung der gesundheitlichen Beeinträchtigungen etwa als Folge fehlender Behandlungsmöglichkeiten im Zielland der Abschiebung zu einer erheblichen Gesundheitsgefahr führt, das heißt eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität erwarten lässt,
27vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 26. April 2007 – 13 A 4611/04.A –, juris Rn. 32 = NRWE.
28Die Gefahr einer solchen Gesundheitsbeeinträchtigung besonderer Intensität ist hier nicht ersichtlich. Insoweit wird zunächst auf die vorstehenden Ausführungen zur fehlenden Substantiierung der psychischen Erkrankung Bezug genommen. Überdies sind keine Umstände ersichtlich oder vorgetragen, die einen Anhaltspunkt dafür geben könnten, dass eine - gegebenenfalls erforderliche - Behandlung gerade nur in der Bundesrepublik Deutschland erfolgen kann und nicht auch in Italien möglich ist. Das Gericht weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Behandlung einer psychischen Erkrankung des Antragstellers auch in Italien in ausreichendem Umfang gewährleistet ist. Nach der bestehenden Auskunftslage sind Asylbewerber in Fragen der Gesundheitsversorgung den italienischen Staatsbürgern gleichgestellt. Die Anmeldung beim nationalen Gesundheitsdienst ermöglicht die Ausstellung eines Gesundheitsausweises, der zur Inanspruchnahme medizinischer Leistungen nicht nur im Rahmen der Notfallversorgung, sondern auch hinsichtlich der Behandlung bei Spezialisten, etc. berechtigt. Die Überweisungen an Spezialisten sind zudem für Asylbewerber kostenfrei. Darüber hinaus besteht gerade für Asylbewerber die Möglichkeit, an Projekten von Nichtregierungsorganisationen oder anderen privaten Trägern, deren Mitarbeiter speziell auf die Behandlung psychischer Krankheiten von Flüchtlingen ausgebildet sind, teilzunehmen.
29VG Ansbach, Beschluss vom 8. Dezember 2014 – AN 14 K 14.50187b, AN 14 SAN 14 S 14.50186 –, juris, Rn. 33 m.w.N.; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 23. Oktober 2014 – 5a K 2360/13.A –, Rn. juris, 51 ff. m.w.N.
30Soweit die Heilpraktikerin für Psychotherapie ausführt, der Antragsteller sei aufgrund seiner schweren psychischen Erkrankung nicht in der Lage, die Lebensbedingungen in Italien zu bewältigen, die bereits für einen gesunden Menschen überfordernd sein können, bleibt es bei einer bloßen Behauptung, die erneut allein auf der Grundlage der Schilderungen des Antragstellers aufgestellt wird. Lediglich ergänzend weist das Gericht darauf hin, dass die rechtliche Bewertung der Lebensbedingungen für Asylbewerber in Italien dem Gericht obliegt. Dieser Aufgabe ist das Gericht in seinem Beschluss vom 22. Januar 2015 bereits hinreichend nachgekommen.
31Sollte sich aufgrund gesundheitlicher Erwägungen womöglich eine Abschiebung in den Herkunftsstaat verbieten, ist ein entsprechender Einwand in dem zuständigen Mitgliedstaat, also Italien, zu erheben. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass dies dem Antragsteller nicht möglich sein soll.
32Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Absatz 1 VwGO, § 83b AsylVfG. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Absatz 1 Satz1 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG).
33Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.