Verwaltungsgericht Augsburg Urteil, 14. Dez. 2017 - Au 5 K 17.569

published on 14/12/2017 00:00
Verwaltungsgericht Augsburg Urteil, 14. Dez. 2017 - Au 5 K 17.569
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Gericht

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Tenor

I. Der Vorbescheid der Beklagten vom 27. März 2017 wird insoweit aufgehoben, als darin die mit Bauantrag vom 13. April 2016 gestellten Fragen hinsichtlich Haus B positiv beantwortet wurden.

II. Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger Vorsicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Kläger wandte sich mit seiner Klage zunächst gegen einen der Beigeladenen erteilten Bauvorbescheid für den Neubau von zwei Mehrfamilienhäusern mit Tiefgarage auf dem Grundstück Fl.Nr. ... der Gemarkung ... (...). Nach Zurücknahme der Klage gegen den Vorbescheid betreffend Haus A am 12. Oktober 2017 ist Gegenstand des Klageverfahrens nur mehr der erteilte Vorbescheid für den Neubau von Haus B.

Der Kläger ist Eigentümer des östlich an das vorgesehene Baugrundstück gelegenen Grundstücks Fl.Nr. ... der Gemarkung ... (...).

Mit Formblatt vom 13. April 2016 beantragte die Beigeladene bei der Beklagten die Erteilung eines Bauvorbescheides für den Neubau von zwei Mehrfamilienhäusern mit Tiefgarage auf dem Grundstück Fl.Nr. ... der Gemarkung .... Das Bauvorhaben sieht dabei eine teilweise Beseitigung des auf dem Baugrundstück vorhandenen Gebäudebestandes (Garagenhof) vor.

Mit dem Bauvorbescheid wurden folgende Fragen gestellt:

1. Ist das Bauvorhaben grundsätzlich planungsrechtlich zulässig?

2. Ist die geplante Lage auf dem Baugrundstück zulässig?

3. Kann eine Abweichung wegen Nichteinhaltung der erforderlichen Abstandsflächen mit Unterschriftsbeteiligung der Nachbarn in Aussicht gestellt werden?

4. Kann eine Abweichung wegen Nichteinhaltung der erforderlichen Abstandsflächen auch ohne Unterschriftsbeteiligung der Nachbarn in Aussicht gestellt werden?

Für die streitgegenständlichen Grundstücke besteht kein Bebauungsplan. Die Grundstücke sind innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteiles gelegen. Das Baugrundstück liegt darüber hinaus innerhalb des Altstadtensembles und innerhalb des förmlich festgelegten Sanierungsgebietes „...“ der Beklagten.

Der Kläger hat die Baupläne der Beigeladenen nicht unterzeichnet.

Mit Bauvorbescheid der Beklagten vom 27. März 2017 (Gz.: ...) wurde festgestellt, dass das streitgegenständliche Bauvorhaben im Rahmen der Voranfrage nach Maßgabe des Bescheides baurechtlich möglich sei. Das Bauvorhaben sei gemäß Art. 55 Bayerische Bauordnung (BayBO) genehmigungspflichtig. Die von der Beigeladenen gestellten Fragen würden wie folgt beantwortet. Fragen 1 und 2 würden einer gemeinsamen Beantwortung zugeführt. Das Bauvorhaben sei mit der geplanten Lage auf dem Baugrundstück planungsrechtlich zulässig. Für das streitgegenständliche Anwesen bestünden keine Festsetzungen im Sinne des § 30 Baugesetzbuch (BauGB). Planungsrechtliche Beurteilungsgrundlage bilde § 34 BauGB. Die zur Bebauung anstehenden Flächen lägen im Inneren eines Quartiers, das von den Straßen,, ... und ... begrenzt werde. Die Flächen könnten ausschließlich über eine Durchfahrt im Vordergebäude ... erschlossen werden. Beabsichtigt seien zum einen ein profilgleicher Anbau an das grenzständige Nachbargebäude, sowie ein rückwärtiger Anbau an das Gebäude .... Im Umgriff des Vorhabens befänden sich drei- bis fünfgeschossige, teilweise sehr lange Baukörper. Hinterliegende Bebauung fände sich z.B. im, ... und .... Einem Anbau an das Gebäude ... könne planungsrechtlich zugestimmt werden, wenn der Anbau profilgleich erfolge. Der geplante Anbau an das Gebäude ... sei aufgrund des fehlenden Sockels zum Bestandsgebäude bezüglich der Geschossdecken versetzt. Zu Frage 3 könnten die erforderlichen Abweichungen von den Abstandsflächen mit Zustimmung der Nachbarn, durch Unterschrift auf den Plänen, in Aussicht gestellt werden. Derzeit lägen diese Zustimmungen jedoch nicht vor. Zu Frage 4 ist ausgeführt, dass die umliegende Bebauung geprägt von gewachsener dichter, typisch innenstädtischer Altstadtbebauung sei, die großteils die Abstandsflächen selbst nicht einhalte. Es würden durch die vorhandene Bebauung immer wieder freie, teils begrünte Innenhöfe ausgebildet. Der Innenhof des vorliegenden Grundstücks sei bebaut mit einem erdgeschossigen Garagenhof, welcher die Belichtung und Belüftung der umliegenden Gebäude aufgrund der geringen Höhe nicht beeinträchtigt habe. Bei einer nachträglichen Verdichtung der Innenhöfe sollten die Abstandsflächen analog zu einem Kerngebiet von mindestens ½ H zu der vorhandenen dichten, innerstädtischen Bebauung eingehalten werden, um Belichtung und Belüftung, sowie Wohnfrieden nicht zu beeinträchtigen. Zur Einhaltung der östlichen Abstandsfläche zum Grundstück des Klägers ist in Frage 4a ausgeführt, dass eine Abweichung ohne Zustimmung der betroffenen Nachbarn in Aussicht gestellt werden könne. Das Gebäude auf Fl.Nr. ... halte selbst die Abstandsfläche nicht ein. Die Mindestanforderung von ½ H, welche in Kerngebieten erforderlich wäre, werde seitens des Bauvorhabens zum Grundstück des Klägers annähernd eingehalten; es finde nur eine geringfügige Überschreitung dieser Mindestanforderung statt.

Im Übrigen wird auf den Inhalt des Bauvorbescheides vom 27. März 2017 verwiesen.

Mit Änderungsbescheid der Beklagten vom 20. April 2017 (Gz.: ...) wurde der Vorbescheid vom 27. März 2017 in Frage 4e wie folgt abgeändert. Eine Abweichung von der Abstandsfläche zu Fl.Nr. ... und ... der Gemarkung ... wird auch ohne Zustimmung der betroffenen Nachbarn in Aussicht gestellt. Die Gebäude auf den Fl.Nrn. ... und ... hielten selbst die Abstandsfläche zum streitgegenständlichen Baugrundstück nicht ein. Das Baugrundstück werde durch die Bestandsbebauung auf den vorbezeichneten Grundstücken mehr beeinträchtigt als die vorhandenen Gebäude durch die beabsichtigte Bebauung der Beigeladenen. Auf den weiteren Inhalt des Änderungsbescheides der Beklagten vom 20. April 2017 wird ergänzend Bezug genommen.

Der Kläger hat gegen den Bauvorbescheid der Beklagten vom 27. März 2017 mit Schriftsatz vom 19. April 2017 Klage erhoben.

Mit weiterem Schriftsatz vom 22. Mai 2017 wurde die Klage dahingehend erweitert, dass auch der Änderungsbescheid vom 20. April 2017 Gegenstand der Klage sei.

In der mündlichen Verhandlung vom 14. Dezember 2017 hat der Kläger beantragt,

den Vorbescheid der Beklagten vom 27. März 2017 insoweit aufzuheben, als darin die im Bauantrag gestellten Fragen zu Haus B positiv beantwortet wurden.

Die Klage wurde mit Schriftsatz vom 5. Oktober 2017, auf dessen Inhalt verwiesen wird, begründet.

Mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 24. April 2017 wurde die Bauherrin zum Verfahren notwendig beigeladen. Eine Äußerung bzw. Antragstellung der Beigeladenen ist nicht erfolgt.

Die Beklagte ist der Klage mit Schriftsatz vom 30. Mai 2017 entgegengetreten und hat in der mündlichen Verhandlung vom 14. Dezember 2017 beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung wurde zunächst auf die angegriffenen Bescheide Bezug genommen.

Am 12. Oktober 2017 fand die erste mündliche Verhandlung statt. Für den Hergang der Sitzung wird auf die hierüber gefertigte Niederschrift verwiesen.

Der Kläger hat in der vorbezeichneten Verhandlung die Klage hinsichtlich des Vorbescheides für Haus A zurückgenommen. Daraufhin wurde mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 12. Oktober 2017 das Verfahren betreffend den Vorbescheid von Haus A vom Verfahren Au 5 K 17.569 abgetrennt und zunächst unter dem Az. Au 5 K 17.1554 fortgeführt. Das abgetrennte Verfahren Au 5 K 17.1554 wurde eingestellt.

Hinsichtlich des verbliebenen Klagegegenstandes (Haus B) wurde vereinbart, dass die Beteiligten bis Ende November 2017 Gespräche mit dem Ziel führen sollten, ob es eine Variante gebe, mit der der Kläger sich einverstanden erklären könnte und die genehmigungsfähig sei.

Mit Schriftsatz der Beklagten vom 16. November 2017 wurde dem Gericht mitgeteilt, dass eine vergleichsweise Einigung der Beteiligten bezüglich der Ausgestaltung und Situierung von Haus B nicht gefunden werden konnte. Fortsetzung der mündlichen Verhandlung wurde beantragt.

Materiell-rechtlich wurde ausgeführt, dass die erteilte Abweichung von den bauordnungsrechtlichen Vorschriften des Abstandsflächenrechts keinen rechtlichen Bedenken begegne. Nach Art. 63 Abs. 1 BayBO könnten Abweichungen von den Anforderungen des bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenrechts zugelassen werden, wenn sie unter Berücksichtigung des Zweckes der jeweiligen Anforderung und unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange mit den öffentlichen Belangen vereinbar seien. Einigkeit bestehe insoweit, dass der Anbau nicht isoliert zu betrachten sei. Anbau und Altbestand bildeten einen einheitlichen Baukörper und seien ganzheitlich zu betrachten. Der Gesamtbaukörper einschließlich Neubauvorhaben überdecke das klägerische Grundstück unter Ansatz von 1 H formal betrachtet mit Ausnahme von nur ca. 22 m² nahezu vollständig. Der Neubaukörper selbst führe aber rechnerisch lediglich zu einer geringfügigen Zusatzbelastung von nur ca. 25 bis 30 m², welche insgesamt nicht ins Gewicht fallen würde. Die Abweichung setze einen von der Regel abweichenden Sonderfall voraus, der Einbußen an geschützten Nachbarrechtspositionen als vertretbar erscheinen ließe. Vorliegend halte das klägerische Wohngebäude zwar selbst nicht die Anforderungen des Abstandsflächenrechts ein. Lediglich ca. 80 bis 90 m² Abstandsfläche fielen auf das Vorhabensgrundstück der Beigeladenen. Dies sei jedoch unerheblich, da andere Gründe für das Vorliegen eines atypischen Sachverhaltes sprechen würden. Bereits die planungsrechtlich verfestigte, städtebauliche Situation spreche für das Erfordernis einer Abweichung. Entlang des Oberen Grabens bis in die ... finde sich entlang des Straßenverlaufs geschlossene Bauweise, welche sich erst ab dem Gebäude ... langsam auflockere. Der Straßenverlauf bilde eine Baulinie aus, auf welche nach den Vorgaben des Planungsrechts zwingend zu bauen sei. In diesem städtebaulichen Ordnungssystem bildeten lediglich das klägerische Grundstück ... und das Grundstück ... einen Fremdkörper. Die dortigen Gebäudebestände hielten die zwingende Baulinie nicht ein, seien zurückversetzt und würden die verfestigte Situation durch ihre deutlich von der umgebenden Bebauung abweichende geringere Höhenentwicklung durchbrechen. Für eine Atypik spreche auch, dass mit Blick auf die Gebäude ..., ... und ... unter Einbeziehung des klägerischen Grundstücks durchaus von einer einheitlich abweichenden Abstandsflächenbetrachtung gesprochen werden könne. Diese Grundstücke würden sich dadurch auszeichnen, dass über die vorhandene Straßenrandbebauung hinaus weitere Baukörper nach Norden in die jeweiligen Hinterhöfe zahnten. Das Baugrundstück weise zudem die Besonderheit auf, dass es sich um einen völlig atypischen Grundstückszuschnitt im historisch gewachsenen Innenstadtbereich handele. Nahezu kein Vorhaben halte die Vorgaben des Abstandsflächenrechts ein. Bei Forderung eines wechselseitigen gleichgewichtigen Austauschverhältnisses wäre die großzügige Innenhofsituation zum Zwecke der Nachverdichtung überhaupt nicht bebaubar. Die Abweichung habe daher ermessensfehlerfrei unter Würdigung der nachbarlichen Belange erteilt werden können. Die ohnehin schon vorhandene Abstandsflächenüberdeckung auf dem klägerischen Grundstück betrage lediglich ca. 25 bis 30 m² durch die angedachte Neubebauung.

Auf den weiteren Vortrag im Schriftsatz vom 16. November 2017 wird ergänzend verwiesen.

Am 14. Dezember 2017 fand weitere mündliche Verhandlung statt. Für den Hergang der Sitzung wird auf die hierüber gefertigte Niederschrift Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und auf die von der Beklagten vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage hat Erfolg. Der mit der Klage angegriffene Vorbescheid der Beklagten vom 27. März 2017 ist insoweit rechtswidrig und geeignet, den Kläger in seinen Rechten zu verletzen, als darin die planungsrechtliche Zulässigkeit der Errichtung von Haus B unter Erteilung einer Abweichung von den geltenden Abstandsflächenvorschriften (Art. 6 BayBO) in Aussicht gestellt wurde (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VerwaltungsgerichtsordnungVwGO).

1. Für Rechtsbehelfe gegen den auf der Grundlage des Art. 71 BayBO erteilten Vorbescheid gelten dieselben Grundsätze wie für Rechtsbehelfe gegen die Baugenehmigung selbst (Decker in Simon/Busse, BayBO, Stand: Mai 2017, Art. 71 Rn. 149).

Bei der Klage eines Dritten – hier eines baurechtlichen Nachbarn – hat dieser aus § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO nämlich nicht schon dann einen Anspruch auf Aufhebung des an einen anderen – hier die Beigeladene – gerichteten, diesen begünstigenden Verwaltungsakt, wenn dieser lediglich objektiv rechtswidrig ist; vielmehr muss sich die Rechtswidrigkeit gerade aus solchen Normen ergeben, die zum behördlichen Prüfungsumfang gehören (vgl. Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO; BayVGH, B.v. 10.10.2013 – 15 ZB 11.1480 – juris Rn. 9) und zugleich auch dem Schutz dieses Dritten dienen (sogenannte Schutznormtheorie) (vgl. BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20). Eine Rechtsverletzung des Klägers durch den streitgegenständlichen Vorbescheid kommt daher nur in Betracht, soweit die darin getroffenen Feststellungen zur bauplanungsrechtlichen bzw. bauordnungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens gegen den nachbarschützenden Gehalt der im Verfahren geprüften Normen verstoßen. Dies ist vorliegend nach Auffassung der Kammer der Fall. Der Kläger wird durch die in Aussicht gestellte Abweichung von den einzuhaltenden Abstandsflächen (Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO, Art. 6 BayBO) in seinen Rechten verletzt. Folge der aus Sicht der Kammer nicht vorliegenden Voraussetzungen für die Erteilung einer Abweichung auf der Grundlage von Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO ist, dass das Bauvorhaben gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstößt und insoweit auch planungsrechtlich in der zur Prüfung der Genehmigungsfähigkeit gestellten Ausführung, wie sie den streitgegenständlichen Bauvorbescheid vom 27. März 2017 zugrunde liegt, gegen nachbarschützende Bestimmungen verstößt.

2. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des mit dem Vorbescheid der Beklagten vom 27. März 2017 für genehmigungsfähig erachteten Bauvorhabens der Beigeladenen richtet sich vorliegend nach § 34 Abs. 1 bzw. 2 BauGB, wonach innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ein Vorhaben zulässig ist, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Ein Vorhaben fügt sich im Allgemeinen ein, wenn es sich innerhalb des Rahmens hält, der durch die in der Umgebung vorhandene Bebauung gezogen wird. Ein den Rahmen überschreitendes Vorhaben ist ausnahmsweise dann zulässig, wenn es keine „städtebauliche Spannungen“ hervorruft (vgl. BVerwG, U.v. 26.5.1978 – 4 C 9.77 – BayVBl. 1979, 152 ff.).

a) Ein Erfolg der Klage ergibt sich nicht bereits aus der von der Beigeladenen beabsichtigten künftigen Wohnnutzung auf dem Grundstück Fl.Nr. ... der Gemarkung .... Hinsichtlich der Art der künftigen baulichen Nutzung des Grundstücks ist dieses bauplanungsrechtlich zulässig. Es hält sich innerhalb der in der näheren Umgebung vorzufindenden Variationsbreite prägender Nutzungen. Der in § 34 Abs. 1 bzw. Abs. 2 BauGB verwendete Begriff der näheren Umgebung stellt dabei auf die wechselseitige Prägung von Bauvorhaben und Umgebung ab. Maßgeblich ist insoweit das Straßengeviert, in welches das künftige Bauvorhaben eingebettet ist. Dieses wird vorliegend nach Auswertung der Luftbildaufnahmen und Katasterpläne gebildet aus,, ... und der Straße „...“. Hier findet sich zum weit überwiegenden Teil reine Wohnnutzung. Unabhängig von der Frage, ob sich die nähere Umgebung als (faktisches) allgemeines oder reines Wohngebiet darstellt, ist die von der Beigeladenen geplante Wohnnutzung jedenfalls allgemein zulässig (vgl. § 4 Abs. 2 Nr. 1 bzw. § 3 Abs. 2 Nr. 1 BaunutzungsverordnungBauNVO). Im Übrigen könnte nach § 34 Abs. 3a Satz 1 BauGB vom Erfordernis des Einfügens in die Eigenart der näheren Umgebung im Einzelfall abgewichen werden, wenn die Abweichung unter anderem der Erweiterung, Änderung oder Erneuerung einer zulässigerweise errichteten, Wohnzwecken dienenden baulichen Anlage dient (Nr. 1), städtebaulich vertretbar (Nr. 2) und auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist (Nr. 3). Bezüglich der Art der beabsichtigten künftigen Nutzung hat der Kläger aber auch bereits keine Einwände erhoben.

Ob im Hinblick auf die Höhenentwicklung des geplanten Haus B ein Verstoß des angegriffenen Bauvorbescheids hinsichtlich des Kriteriums des „Einfügens“ bezüglich des Maßes der baulichen Nutzung (§ 34 Abs. 1 BauGB, §§ 16 bis 21 BauNVO) gegeben ist, kann vorliegend dahinstehen. Die das Maß der baulichen Nutzung betreffenden Vorschriften vermitteln grundsätzlich keinen Nachbarschutz, weil sie in aller Regel den Gebietscharakter unberührt lassen und – anders als die Bestimmungen über die Art zulässiger Nutzungen – kein nachbarliches Austauschverhältnis betroffener Grundstücke begründen. Regelungen über das Maß der baulichen Nutzung sind grundsätzlich ausschließlich im öffentlichen Interesse an der Erhaltung und Fortentwicklung der städtebaulichen Ordnung erlassen und nicht (auch) dem Schutz der Nachbarn zu dienen bestimmt (vgl. BVerwGE, B.v. 19.10.1995 – 4 B 215/95 – BauR 1996,83 f.; BayVGH, B.v. 25.1.2013 – 15 ZB 13.68 – juris).

b) Die von der Beigeladenen geplante Erweiterung (Anbau) des vorhandenen Altbestandes auf Grundstück Fl.Nr. ... der Gemarkung ... verstößt jedoch nach Auffassung der Kammer gegen das Gebot der Rücksichtnahme, da insbesondere die Voraussetzungen für die von der Beklagten in Aussicht gestellte Abweichung von den einzuhaltenden Abstandsflächen (Art. 6 BayBO) nicht gegeben sind.

Die im Rahmen des Rücksichtnahmegebots vorzunehmende Interessenabwägung hat sich daran zu orientieren, was dem Rücksichtnahmebegünstigten einerseits und dem Rücksichtnahmeverpflichteten andererseits nach der jeweiligen Situation der benachbarten Grundstücke nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Auswirkungen eines Vorhabens auf das Nachbargrundstück sind unzumutbar, wenn unter Berücksichtigung der Schutzwürdigkeit der Betroffenen, der Intensität der Beeinträchtigung und der wechselseitigen Interessen das Maß dessen, was der Nachbar billigerweise hinnehmen muss, überschritten wird (vgl. BayVGH, B.v. 15.7.2011 – 14 CS 11.814 – juris Rn. 20). Eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots kommt vor allem dann in Betracht, wenn durch die Verwirklichung des genehmigten bzw. in Aussicht gestellten Vorhabens ein in der unmittelbaren Nachbarschaft befindliches Wohngebäude „eingemauert“ oder „erdrückt“ wird (BayVGH, B.v. 15.7.2011, a.a.O.). Eine solche „einmauernde“ oder „erdrückende“ Wirkung kommt vor allem bei nach Höhe und Volumen übergroßen Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht (vgl. BVerwGE, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1.78 – juris; U.v. 23.5.1986 – 4 C 34.85 – juris). Ob der beabsichtigte Anbau von Haus B an den vorhandenen Altbestand mit einer Höhe von 11,705 (Oberkante Attika) bzw. 12,55 (OK Dachterrasse) eine „erdrückende“ Wirkung auf das Wohngebäude des Klägers hat, bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Denn jedenfalls führt die von der Beklagten in Aussicht gestellte Abweichung von den einzuhaltenden Abstandsflächenvorschriften (Art. 6 BayBO) zu einer Verletzung des Klägers in eigenen Rechten. Die Voraussetzungen für eine nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO erforderlich werdende Abweichung liegen nach Auffassung der Kammer nämlich nicht vor.

Im Hinblick auf die im Vorbescheidsverfahren erfolgte Fragestellung und die von der Beklagten hierauf in Aussicht gestellte Abweichung gemäß Art. 63 Abs. 1 BayBO gehört das Abstandsflächenrecht des Art. 6 BayBO gemäß Art. 71 Satz 4 BayBO, Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO, Art. 59 Satz 1 Nr. 2 BayBO zum Prüfumfang des hier in Streit stehenden Bauvorbescheides der Beklagten. Dies gilt unabhängig davon, dass für das Bauvorhaben selbst (Haus B) ein vereinfachtes Baugenehmigungsverfahren nach Art. 59 BayBO durchzuführen ist, da das beantragte Vorhaben keinen Sonderbau im Sinne von Art. 2 Abs. 4 BayBO darstellt.

Bei der Zulassung einer Abweichung von einer dem Nachbarschutz dienenden Vorschrift des Bauordnungsrechts kann der Nachbar nicht nur eine ausreichende Berücksichtigung seiner Interessen beanspruchen, sondern ist er auch dann bereits in seinen Rechten verletzt, wenn die Abweichung aus einem anderen Grunde objektiv rechtswidrig ist (BayVGH, B.v. 17.7.2007 – 1 CS 07.1340 – juris Rn. 17). Die Vorschriften des Abstandsflächenrechts dienen ihrer Gesamtheit dem Schutz der Nachbarn (BayVGH, U.v. 14.10.1985 – 14 B 85 A. 1224 – BayVBl. 1986, 143 ff.).

Gemäß Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO kann die Bauaufsichtsbehörde Abweichungen von bauaufsichtlichen Anforderungen zulassen, wenn sie unter Berücksichtigung der jeweiligen Anforderung und unter Würdigung der nachbarlichen Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar sind. Während bei bautechnischen Anforderungen der Zweck der Vorschriften vielfach auch durch eine andere als die gesetzlich vorgesehene Bauausführung gewahrt werden kann, wird der Zweck des Abstandsflächenrechts, der vor allem darin besteht, eine ausreichende Belichtung und Belüftung der Gebäude zu gewährleisten und die für Nebenanlagen erforderlichen Freiflächen zu sichern, regelmäßig nur dann erreicht, wenn die Abstandsflächen in dem gesetzlich festgelegten Umfang eingehalten werden. Da somit jede Abweichung von den Anforderungen des Art. 6 BayBO zur Folge hat, dass die Ziele des Abstandflächenrechts nur unvollkommen verwirklicht werden, setzt die Zulassung einer Abweichung Gründe von ausreichendem Gewicht voraus, durch die sich das Vorhaben vom Regelfall unterscheidet und die die Einbuße an Belichtung und Belüftung im konkreten Fall als vertretbar erscheinen lassen. Es muss sich um eine atypische, von der gesetzlichen Regel nicht zureichend erfasste oder bedachte Fallgestaltung handeln (BayVGH, B.v. 13.2.2002 – 2 CS 01.1506 – juris Rn. 16; B.v. 15.11.2005 – 2 CS 05.2817 – juris Rn. 2; B.v. 4.8.2011 – 2 CS 11.997 – juris Rn. 23; U.v. 22.12.2011 – 2 B 11.2231 – BayVBl. 2012, 535). Diese kann sich etwa aus einem besonderen Grundstückszuschnitt, einer aus dem Rahmen fallenden Bebauung auf dem Bau- oder Nachbargrundstück oder einer besonderen städtebaulichen Situation, wie der Lage des Baugrundstücks in einem historischen Ortskern, ergeben (BayVGH, B.v. 17.7.2007 – 1 CS 07.1340 – juris Rn. 16; B.v. 22.9.2006 – 25 ZB 01.1004 – juris Rn. 4). In solchen Lagen kann im Einzelfall auch das Interesse des Grundstückseigentümers, vorhandene Bausubstanz zu erhalten und sinnvoll zu nutzen oder bestehenden Wohnraum zu modernisieren, eine Verkürzung der Abstandsflächen durch Zulassung einer Abweichung rechtfertigen.

Weitere Voraussetzung ist die Vereinbarkeit der Abweichung mit den öffentlichen Belangen unter Würdigung nachbarlicher Interessen. Mit der Verpflichtung zur Würdigung nachbarlicher Interessen verlangt das Gesetz – wie beim bauplanungsrechtlichen Gebot der Rücksichtnahme – eine Abwägung zwischen den für das Vorhaben sprechenden Gründern und den Belangen des Nachbarn (BayVGH, B.v. 17.7.2007, a.a.O., juris Rn. 17). Ob eine Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften zugelassen werden kann, beurteilt sich dabei nicht allein danach, wie stark die Interessen des betroffenen Nachbarn beeinträchtigt werden. Es ist stets auch zu prüfen, ob die Schmälerung der nachbarlichen Interessen durch überwiegende Interessen des Bauherrn oder überwiegende öffentliche Belange gerechtfertigt ist (BayVGH, B.v. 17.7.2007, a.a.O., juris Rn. 20).

Dies zugrunde gelegt ergibt sich vorliegend, dass die Voraussetzungen für die Erteilung einer Abweichung entgegen der Auffassung der Beklagten nicht gegeben sind. Dies insbesondere aufgrund der Tatsache, dass vorliegend zunächst eine abstandsflächenrechtliche Gesamtbetrachtung von Altbestand und geplantem Anbau (Haus B) geboten ist.

(1) Wenn bestehende Gebäude, die die nach geltendem Recht einzuhaltenden Abstandsflächen nicht wahren, baulich geändert werden, ist abstandsflächenrechtlich eine Gesamtbetrachtung des neuen Gebäudes als Einheit vorzunehmen. Dies gilt auch dann, wenn die Änderung für sich genommen abstandsflächenneutral ist bzw. wäre (vgl. OVG LSA, U.v. 9.11.2016 – 2 L 10/15 – juris Rn. 41). Eine bauliche Änderung ist in einem solchen Fall regelmäßig nur dann zulässig, wenn auch der Altbestand nach geltendem Abstandsflächenrecht genehmigungsfähig ist. Da vorliegend nicht lediglich eine Nutzungsänderung des auf dem Grundstück Fl.Nr. ... vorhandenen Altbestandes in Frage steht, sondern vielmehr ein Anbau mit einer isoliert betrachteten Länge von 11,74 Metern ist die Frage der Einhaltung der Abstandsflächen (Art. 6 BayBO) erneut zu prüfen.

Vorliegend ist eine abstandsflächenrechtliche Gesamtbetrachtung von Altbestand und geplantem Anbau (Haus B) vorzunehmen. Wird durch einen Anbau eine neue einheitliche Außenwand hergestellt, die auch horizontal oder vertikal versetzt sein kann, so ist eine abstandsflächenrechtliche Betrachtung der gesamten Außenwand erforderlich, d.h. auch der vorhandene Altbestand muss ebenso wie der hinzugekommene Wandteil die Anforderungen des Art. 6 BayBO erfüllen, selbst wenn der Altbestand im Zeitpunkt seiner Errichtung keinen vergleichbaren Anforderungen unterworfen war oder wenn er die zum damaligen Zeitpunkt geltenden Anforderungen erfüllt hat (vgl. BayVGH, U.v. 20.12.1988 – 20 B 88.00137 – BayVBl. 1989, 721; U.v. 20.2.1990 – 14 B 8802464 – BayVBl. 1990, 500). Ob eine neue einheitliche Außenwand nach der Änderung vorliegt, ist unter Berücksichtigung technischer und funktioneller Gesichtspunkte aufgrund einer natürlichen Betrachtungsweise festzustellen. Entscheidend für die abstandsflächenrechtliche Gesamtbetrachtung ist dabei zunächst eine Veränderung der für die Ermittlung der Abstandsflächentiefe relevanten Merkmale; dazu gehören die Wandhöhe und die Wandlänge, insbesondere im Zusammenhang mit dem in Art. 6 Abs. 6 BayBO geregelten 16-Meter-Privileg. Es ist daher zu prüfen, ob die Änderung die durch das Abstandsflächenrecht geschützten Belange (Belichtung, Belüftung, Wohnfrieden) im Vergleich zum bisherigen Zustand negativ beeinflussen kann. Ist eine Verschlechterung der abstandsflächenrechtlichen Situation nicht erkennbar, so bedarf die Änderung keiner abstandsflächenrechtlichen Gesamtbeurteilung (vgl. BayBGH, B.v. 9.10.2003 – 25 CS 03.897 – BayVBl. 2004, 149).

Bei der gebotenen natürlichen Betrachtungsweise entsteht hier auf der östlichen, dem Kläger zugewandten Seite des geplanten Baukörpers bestehend aus Altbestand und Anbau (Haus B) eine abstandsflächenrechtlich einheitlich zu beurteilende Außenwand. Dies gilt ungeachtet der unterschiedlichen Höhe von Altbestand und Neubau sowie dem zwischen Altbau und Anbau vorgesehenen Versatz im Umfang von 0,4 Meter.

Die abstandsflächenrechtlich gebotene Gesamtbetrachtung schließt die Anwendung des in Art. 6 Abs. 6 Satz 1 BayBO geregelten 16-Meter-Privilegs aus. Nach Art. 6 Abs. 6 Satz 1 BayBO genügt vor zwei Außenwänden von nicht mehr als 16 Meter Länge als Tiefe der Abstandsflächen die Hälfte der nach Art. 6 Abs. 5 BayBO erforderlichen Abstandsflächentiefe, mindestens jedoch drei Meter. Ist die abstandsflächenrelevante Außenwand – wie hier – bei der erforderlichen Gesamtbetrachtung länger als 16 Meter, so müssen die einzelnen Wandteile jeweils die volle Abstandsflächentiefe (Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO) einhalten. Nicht möglich ist es hingegen, eine einheitliche Außenwand so aufzuteilen, dass auf einer Länge von 16 Meter nur die halbierte Abstandsflächentiefe aus Art. 6 Abs. 6 Satz 1 Halbs. 1 BayBO eingehalten wird und für den übrigen Außenwandteil eine Abweichung nach Art. 63 Abs. 1 BayBO erteilt wird.

Ebenfalls ausgeschlossen ist es, für den geplanten Anbau an Haus B die Regelung in Art. 6 Abs. 5 Satz 2 BayBO heranzuziehen, wonach in Kerngebieten eine Tiefe von 0,5 H als Abstandsfläche genügt. Die maßgebliche nähere Umgebung stellt sich hier bereits nicht als Kerngebiet im Sinne von § 7 Abs. 1 BauNVO dar. Auch liegt keine abweichende Regelung der Beklagten gemäß Art. 6 Abs. 7 Nr. 2 BayBO vor, wonach die Tiefe der Abstandsfläche durch Satzung auf 0,4 H beschränkt werden kann. Damit verbleibt es für die aus Altbestand und Anbau Haus B entstehende einheitliche Außenwand des Baukörpers bei der grundsätzlich gebotenen Beachtung des Maßes von 1 H aus Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO.

(2) Vorliegend hält weder der auf dem Grundstück Fl.Nr. ... vorhandene Altbestand noch der geplante Anbau von Haus B die gesetzlich geforderte Abstandsfläche von 1 H zum Grundstück des Klägers ein. Dieser Umstand ist isoliert für sich betrachtet jedoch noch nicht geeignet, die für die Erteilung einer Abweichung von den gesetzlichen Abstandsflächen erforderliche Atypik zu verneinen.

In Fällen, in denen wie hier auf dem klägerischen Grundstück selbst Gebäude stehen, die die Abstandsflächen zum Grundstück der Beigeladenen nicht einhalten, ist ein Nachbar nach dem Grundsatz von Treu und Glauben daran gehindert, die Verletzung nachbarschützender Vorschriften zu rügen, wenn auch die Bebauung auf seinem Grundstück nicht diesen Vorschriften entspricht und wenn die beiderseitigen Abweichungen von den gesetzlichen Abstandsflächen etwa gleichgewichtig sind und nicht – gemessen am Schutzzweck der Vorschrift – zu schlechthin untragbaren, als Misstand zu qualifizierenden Verhältnissen führen (vgl. BayVGH, U.v. 4.2.2011 – 1 BV 08.531 – juris Rn. 37). Bei der Frage, ob wechselseitige Verletzungen der Abstandsflächenvorschriften annähernd gleichgewichtig sind, ist keine zentimetergenaue quantitative Entsprechung gefordert, sondern es ist eine wertende Betrachtung in Bezug auf die Qualität der mit der Verletzung der Abstandsflächenvorschriften einhergehenden Beeinträchtigungen anzustellen (vgl. VG Ansbach, U.v. 15.11.2017 – AN 9 K 16.00651 – juris Rn. 41). Ebenfalls ist für die zutreffende Entscheidung irrelevant, ob die baulichen Anlagen auf dem Grundstück des klagenden Nachbarn seinerzeit in Übereinstimmung mit den geltenden Bauvorschriften errichtet worden sind. Dieser Umstand ist nicht geeignet, dem Vorwurf einer unzulässigen Rechtsausübung entfallen zu lassen (vgl. BayVGH, B.v. 1.9.2016 – 2 ZB 14.2605 – juris Rn.10).

Dies zugrunde gelegt kann vorliegend bei Verwirklichung der streitgegenständlichen Variante von Haus B nicht von einer Gleichwertigkeit des Abstandsflächenverstoßes ausgegangen werden. Für den auf dem Grundstück der Beigeladenen vorhandenen baulichen Altbestand fällt bei einer maßgeblichen Höhe der baulichen Anlage von 15,82 Metern die gesetzlich geforderte Abstandsfläche in einem Umfang von ca. 120 bis 125 m² auf das Grundstück des Klägers. Umgekehrt fällt für die für das Gebäude des Klägers erforderliche Abstandsfläche (abstandsflächenrelevante Höhe von ca. acht Meter) im Umfang von etwa 90 m² auf das Grundstück der Beigeladenen. Für den geplanten Anbau (Haus B) fallen nochmals ca. 25 bis 30 m² auf das Grundstück des Klägers.

Wenn man anstelle der Flächenbetrachtung vom jeweils gebotenen Maß H ausgeht (vgl. BayVGH, B.v. 26.9.2016 – 15 CS 16.1348 – juris Rn. 40), ergibt sich Folgendes. Der Altbestand der Beigeladenen, soweit er nicht als unmittelbarer Grenzanbau verwirklicht ist, liegt an der nördlichen Gebäudeabschlusskante mit 0,67 H auf dem Grundstück des Klägers. An der südlichen Gebäudeabschlusskante liegt das Maß H zu 0,87 auf dem Grundstück des Klägers. Umgekehrt betrachtet fällt die erforderliche Abstandsfläche für das Wohnhaus des Klägers an der nördlichen Gebäudeseite mit 0,75 H auf das Grundstück der Beigeladenen. An der südlichen Gebäudeabschlusskante befinden sich 0,63 H auf dem Grundstück der Beigeladenen. Die isoliert an Maß H ausgerichtete Betrachtung führt vorliegend allerdings nicht zu aussagekräftigen Ergebnissen in Bezug auf das Vorliegen einer Atypik, da die wechselseitige Überschreitungen des Maßes H wesentliche Folge des nichteinheitlichen Grenzverlaufes zwischen den betroffenen Grundstücken sowie der Anordnung des Altbestandes (nach Westen orientiert) auf Grundstück Fl.Nr. ... der Gemarkung ... sind.

Unter Berücksichtigung des wechselseitig vorliegenden Abstandsflächenverstoßes liegt kein atypischer Fall vor, der eine Abweichung zulässt. Jedenfalls gilt dies für die von der Beigeladenen im streitgegenständlichen Bauvorbescheidsverfahren gewählte und als von der Beklagten als genehmigungsfähig beurteilte Variante des Anbaus von Haus B.

Von Bedeutung ist bei der Beurteilung des Vorliegens der erforderlichen Atypik insbesondere, ob eine sinnvolle Ausnutzung des Baugrundstücks unter Beachtung der Anforderungen des Art. 6 Abs. 5 BayBO unmöglich oder unzumutbar ist (BayVGH, B.v. 30.8.2011 – 15 CS 11.1640 – juris Rn. 16). Zu berücksichtigen ist weiter, dass tatsächlich vorhandene abstandsflächenwidrige Bebauungsverhältnisse, wie sie vorliegend festzustellen sind, nach Möglichkeit bereinigt und nicht verewigt werden sollen (vgl. BayVGH, U.v. 22.11.2006 – 25 B 05.1714 – BayVBl. 2007, 276), weshalb eine Abstandsflächenüberschreitung durch einen Altbestand als solche und für sich allein nicht geeignet ist, die nach Art. 63 Abs. 1 BayBO erforderliche Atypik zu begründen. Die erforderliche Atypik ist in Bezug auf die Einhaltung der Abstandsflächen des Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO nicht stets allein schon deshalb gegeben, weil das Vorhaben Außenwände eines Altbestandes einbezieht, der seinerseits die Abstandsflächenvorschrift nicht einhält (BayVGH, B. v. 23.5.2005 – 25 ZB 03.881 – juris Rn.8). Die gesetzlichen Ziele, ein bestimmtes Mindestmaß an Belichtung, Belüftung und Wohnfrieden sicherzustellen, gelten vielmehr für Neubauten und Umbauten / Anbauten gleichermaßen. Das der Bauherr dadurch vor die Wahl gestellt ist, entweder seinen vom Gesetz abweichenden Altbestand im bisherigen Umfang weiter zu nutzen oder bei einer neuen Genehmigung das geltende Recht einzuhalten, ist im Gesetz selbst angelegt und kann nicht als anormaler, nicht bedachter Ausnahmefall angesehen werden (BayVGH, B.v. 23.5.2005, a.a.O.). Das Vorhandensein eines Altbestandes stellt lediglich eine objektive Gegebenheit dar, die bei Hinzutreten weiterer objektiver Umstände – z.B. Anforderung der Stadtgestaltung – im Einzelfall eine Atypik begründen kann.

Gemessen an diesen Maßstäben liegt nach Auffassung der Kammer jedenfalls in der beabsichtigten Bauausführung von Haus B kein atypischer Fall vor, der eine Abweichung zulässt. Die Kammer vermag eine atypische Sondersituation nicht zu erkennen. Bereits der dem Gebäude des Klägers gegenüberliegende Altbestand mit einer abstandsflächenrechtlich relevanten Höhe von 15,82 m nutzt die in ihm angelegten wirtschaftlichen Verwertungsmöglichkeiten unter relevanter Verkürzung der Abstandsflächen zum Grundstück des Klägers aus.

Entscheidend gegen das Vorliegen einer Atypik in der vorgeschlagenen Bauausführung spricht insbesondere, dass der Anbau unter Herstellung einer einheitlichen Außenwand auf der dem Wohngebäude des Klägers gegenüberliegenden Seite unter Vertiefung des bereits vorhandenen erheblichen Abstandsflächenverstoßes des Altbestandes zusätzliche Bausubstanz schaffen soll und der Anbau gerade nicht Folge einer durch den Altbestand vorgegebenen Zwangslage ist (vgl. BayVGH, B.v. 23.5.2005 – 25 ZB 03.881 – a.a.O.). Auch verhält es sich gerade nicht so, dass das Grundstück der Beigeladenen eine irgendwie geartete Bebauung nicht zuließe bzw. die Nutzung des vorhandenen Altbestandes nicht auch in einer abstandsflächenrechtlich verträglicheren baulichen Lösung durch weiteres Abrücken von Haus B am klägerischen Grundstück verwirklicht werden könnte. Insbesondere bleibt festzuhalten, dass das Grundstück Fl.Nr. ... der Beigeladenen durchaus, wenn auch in geringerem Umfang, bebaubar ist. Zum einen ist hier auf den bereits vorhandenen Altbestand als auch auf die nachbarrechtlich unproblematische Bebauung mit Haus A zu verweisen. Überdies wäre ein Anbau im Osten des Grundstücks baurechtlich denkbar, der den vorgegebenen Abstandsflächenverstoß nicht vertieft bzw. perpetuiert. Dies wäre durch ein weiteres Abrücken von Haus B von der gemeinsamen Grundstücksgrenze zum Kläger erreichbar. Wenn Ziel der künftigen Bebauung – wie hier – die Schaffung zusätzlicher Bausubstanz und neuen Wohnraumes sein soll, hat dieser, um das Vorliegen einer Atypik zu begründen, nachbarverträglich zu erfolgen. Dies lässt der hier in Streit stehende Anbau von Haus B in der gewählten Ausführungsvariante vermissen. Das Erfordernis größtmöglicher Nachbarverträglichkeit folgt hier insbesondere aus der Tatsache, dass zwischen dem Altbestand auf dem Grundstück der Beigeladenen und dem Wohngebäude des Klägers eine deutliche, optisch wahrnehmbare Zäsur in der vorhandenen Baustruktur stattfindet. Es erfolgt gerade an der gemeinsamen Grundstücksgrenze der Übergang von sehr hohen, unmittelbar zur ... ausgerichteten Gebäuden zu zwei den Abschluss der Bebauung bildenden, deutlich niedrigeren und räumlich abgesetzten Wohngebäuden, wobei das Wohnhaus des Klägers am unmittelbaren Übergang der unterschiedlichen Baustrukturen gelegen ist. Verschärft wird dieser Eindruck noch dadurch, dass das Wohngebäude des Klägers geländetopografisch noch ca. einen Meter tiefer gelegen ist als der Altbestand auf dem Grundstück der Beigeladenen. Auch dieser letztgenannte Umstand begründet letztlich, dass die gewählte Bauausführung, wie sie dem Bauvorbescheid der Beklagten vom 27. März 2017 zugrunde liegt, keine atypische Grundstückssituation, wie sie für die Erteilung einer Abweichung erforderlich wäre, in Anspruch nehmen kann. In der gewählten Bauausführung kann der Anbau von Haus B nicht als anormaler, vom Gesetzgeber nicht bedachter Ausnahmefall angesehen werden. Hieraus folgt auch die Unzulässigkeit des im streitgegenständlichen Bauvorbescheid behandelten Vorhabens im Übrigen.

Nach allem war der streitgegenständliche Bauvorbescheid der Beklagten vom 27. März 2017 daher betreffend der in Aussicht gestellten Genehmigung in Haus B aufzuheben.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. VwGO. Als im Verfahren unterlegen hat die Beklagte die Kosten des Verfahrens zu tragen. Nachdem die Beigeladene im Verfahren keinen Antrag auf Klageabweisung gestellt hat, entspricht es der Billigkeit, dass sie ihre außergerichtlichen Aufwendungen selbst zu tragen hat (§ 162 Abs. 3 VwGO). Eine Kostenauferlegung gemäß § 154 Abs. 3 VwGO scheidet mangels Antragstellung im Verfahren aus.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).

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(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au
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published on 15/11/2017 00:00

Tenor 1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen außergerichtlichen Aufwendungen der Beigeladenen. 3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheits
published on 26/09/2016 00:00

Tenor I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen. II. Die Antragsteller tragen gesamtschuldnerisch die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen. III. Der Stre
published on 09/11/2016 00:00

Tatbestand 1 Die Klägerin begehrt die Aufhebung einer den Beigeladenen erteilten Baugenehmigung. 2 Sie ist Eigentümerin des Grundstücks K-Straße 4a in A-Stadt (Flurstück 58/3 der Flur A der Gemarkung A-Stadt), welches mit einer Doppelhaushälfte
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Annotations

(1) Im Geltungsbereich eines Bebauungsplans, der allein oder gemeinsam mit sonstigen baurechtlichen Vorschriften mindestens Festsetzungen über die Art und das Maß der baulichen Nutzung, die überbaubaren Grundstücksflächen und die örtlichen Verkehrsflächen enthält, ist ein Vorhaben zulässig, wenn es diesen Festsetzungen nicht widerspricht und die Erschließung gesichert ist.

(2) Im Geltungsbereich eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans nach § 12 ist ein Vorhaben zulässig, wenn es dem Bebauungsplan nicht widerspricht und die Erschließung gesichert ist.

(3) Im Geltungsbereich eines Bebauungsplans, der die Voraussetzungen des Absatzes 1 nicht erfüllt (einfacher Bebauungsplan), richtet sich die Zulässigkeit von Vorhaben im Übrigen nach § 34 oder § 35.

(1) Innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ist ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse müssen gewahrt bleiben; das Ortsbild darf nicht beeinträchtigt werden.

(2) Entspricht die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete, die in der auf Grund des § 9a erlassenen Verordnung bezeichnet sind, beurteilt sich die Zulässigkeit des Vorhabens nach seiner Art allein danach, ob es nach der Verordnung in dem Baugebiet allgemein zulässig wäre; auf die nach der Verordnung ausnahmsweise zulässigen Vorhaben ist § 31 Absatz 1, im Übrigen ist § 31 Absatz 2 entsprechend anzuwenden.

(3) Von Vorhaben nach Absatz 1 oder 2 dürfen keine schädlichen Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden zu erwarten sein.

(3a) Vom Erfordernis des Einfügens in die Eigenart der näheren Umgebung nach Absatz 1 Satz 1 kann im Einzelfall abgewichen werden, wenn die Abweichung

1.
einem der nachfolgend genannten Vorhaben dient:
a)
der Erweiterung, Änderung, Nutzungsänderung oder Erneuerung eines zulässigerweise errichteten Gewerbe- oder Handwerksbetriebs,
b)
der Erweiterung, Änderung oder Erneuerung eines zulässigerweise errichteten, Wohnzwecken dienenden Gebäudes oder
c)
der Nutzungsänderung einer zulässigerweise errichteten baulichen Anlage zu Wohnzwecken, einschließlich einer erforderlichen Änderung oder Erneuerung,
2.
städtebaulich vertretbar ist und
3.
auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.
Satz 1 findet keine Anwendung auf Einzelhandelsbetriebe, die die verbrauchernahe Versorgung der Bevölkerung beeinträchtigen oder schädliche Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden haben können. In den Fällen des Satzes 1 Nummer 1 Buchstabe b und c kann darüber hinaus vom Erfordernis des Einfügens im Einzelfall im Sinne des Satzes 1 in mehreren vergleichbaren Fällen abgewichen werden, wenn die übrigen Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und die Aufstellung eines Bebauungsplans nicht erforderlich ist.

(4) Die Gemeinde kann durch Satzung

1.
die Grenzen für im Zusammenhang bebaute Ortsteile festlegen,
2.
bebaute Bereiche im Außenbereich als im Zusammenhang bebaute Ortsteile festlegen, wenn die Flächen im Flächennutzungsplan als Baufläche dargestellt sind,
3.
einzelne Außenbereichsflächen in die im Zusammenhang bebauten Ortsteile einbeziehen, wenn die einbezogenen Flächen durch die bauliche Nutzung des angrenzenden Bereichs entsprechend geprägt sind.
Die Satzungen können miteinander verbunden werden.

(5) Voraussetzung für die Aufstellung von Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 und 3 ist, dass

1.
sie mit einer geordneten städtebaulichen Entwicklung vereinbar sind,
2.
die Zulässigkeit von Vorhaben, die einer Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach Anlage 1 zum Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung oder nach Landesrecht unterliegen, nicht begründet wird und
3.
keine Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung der in § 1 Absatz 6 Nummer 7 Buchstabe b genannten Schutzgüter oder dafür bestehen, dass bei der Planung Pflichten zur Vermeidung oder Begrenzung der Auswirkungen von schweren Unfällen nach § 50 Satz 1 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes zu beachten sind.
In den Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 und 3 können einzelne Festsetzungen nach § 9 Absatz 1 und 3 Satz 1 sowie Absatz 4 getroffen werden. § 9 Absatz 6 und § 31 sind entsprechend anzuwenden. Auf die Satzung nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 3 sind ergänzend § 1a Absatz 2 und 3 und § 9 Absatz 1a entsprechend anzuwenden; ihr ist eine Begründung mit den Angaben entsprechend § 2a Satz 2 Nummer 1 beizufügen.

(6) Bei der Aufstellung der Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 und 3 sind die Vorschriften über die Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung nach § 13 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und 3 sowie Satz 2 entsprechend anzuwenden. Auf die Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 1 bis 3 ist § 10 Absatz 3 entsprechend anzuwenden.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Reine Wohngebiete dienen dem Wohnen.

(2) Zulässig sind

1.
Wohngebäude,
2.
Anlagen zur Kinderbetreuung, die den Bedürfnissen der Bewohner des Gebiets dienen.

(3) Ausnahmsweise können zugelassen werden

1.
Läden und nicht störende Handwerksbetriebe, die zur Deckung des täglichen Bedarfs für die Bewohner des Gebiets dienen, sowie kleine Betriebe des Beherbergungsgewerbes,
2.
sonstige Anlagen für soziale Zwecke sowie den Bedürfnissen der Bewohner des Gebiets dienende Anlagen für kirchliche, kulturelle, gesundheitliche und sportliche Zwecke.

(4) Zu den nach Absatz 2 sowie den §§ 2, 4 bis 7 zulässigen Wohngebäuden gehören auch solche, die ganz oder teilweise der Betreuung und Pflege ihrer Bewohner dienen.

(1) Innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ist ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse müssen gewahrt bleiben; das Ortsbild darf nicht beeinträchtigt werden.

(2) Entspricht die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete, die in der auf Grund des § 9a erlassenen Verordnung bezeichnet sind, beurteilt sich die Zulässigkeit des Vorhabens nach seiner Art allein danach, ob es nach der Verordnung in dem Baugebiet allgemein zulässig wäre; auf die nach der Verordnung ausnahmsweise zulässigen Vorhaben ist § 31 Absatz 1, im Übrigen ist § 31 Absatz 2 entsprechend anzuwenden.

(3) Von Vorhaben nach Absatz 1 oder 2 dürfen keine schädlichen Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden zu erwarten sein.

(3a) Vom Erfordernis des Einfügens in die Eigenart der näheren Umgebung nach Absatz 1 Satz 1 kann im Einzelfall abgewichen werden, wenn die Abweichung

1.
einem der nachfolgend genannten Vorhaben dient:
a)
der Erweiterung, Änderung, Nutzungsänderung oder Erneuerung eines zulässigerweise errichteten Gewerbe- oder Handwerksbetriebs,
b)
der Erweiterung, Änderung oder Erneuerung eines zulässigerweise errichteten, Wohnzwecken dienenden Gebäudes oder
c)
der Nutzungsänderung einer zulässigerweise errichteten baulichen Anlage zu Wohnzwecken, einschließlich einer erforderlichen Änderung oder Erneuerung,
2.
städtebaulich vertretbar ist und
3.
auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.
Satz 1 findet keine Anwendung auf Einzelhandelsbetriebe, die die verbrauchernahe Versorgung der Bevölkerung beeinträchtigen oder schädliche Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden haben können. In den Fällen des Satzes 1 Nummer 1 Buchstabe b und c kann darüber hinaus vom Erfordernis des Einfügens im Einzelfall im Sinne des Satzes 1 in mehreren vergleichbaren Fällen abgewichen werden, wenn die übrigen Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und die Aufstellung eines Bebauungsplans nicht erforderlich ist.

(4) Die Gemeinde kann durch Satzung

1.
die Grenzen für im Zusammenhang bebaute Ortsteile festlegen,
2.
bebaute Bereiche im Außenbereich als im Zusammenhang bebaute Ortsteile festlegen, wenn die Flächen im Flächennutzungsplan als Baufläche dargestellt sind,
3.
einzelne Außenbereichsflächen in die im Zusammenhang bebauten Ortsteile einbeziehen, wenn die einbezogenen Flächen durch die bauliche Nutzung des angrenzenden Bereichs entsprechend geprägt sind.
Die Satzungen können miteinander verbunden werden.

(5) Voraussetzung für die Aufstellung von Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 und 3 ist, dass

1.
sie mit einer geordneten städtebaulichen Entwicklung vereinbar sind,
2.
die Zulässigkeit von Vorhaben, die einer Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach Anlage 1 zum Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung oder nach Landesrecht unterliegen, nicht begründet wird und
3.
keine Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung der in § 1 Absatz 6 Nummer 7 Buchstabe b genannten Schutzgüter oder dafür bestehen, dass bei der Planung Pflichten zur Vermeidung oder Begrenzung der Auswirkungen von schweren Unfällen nach § 50 Satz 1 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes zu beachten sind.
In den Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 und 3 können einzelne Festsetzungen nach § 9 Absatz 1 und 3 Satz 1 sowie Absatz 4 getroffen werden. § 9 Absatz 6 und § 31 sind entsprechend anzuwenden. Auf die Satzung nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 3 sind ergänzend § 1a Absatz 2 und 3 und § 9 Absatz 1a entsprechend anzuwenden; ihr ist eine Begründung mit den Angaben entsprechend § 2a Satz 2 Nummer 1 beizufügen.

(6) Bei der Aufstellung der Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 und 3 sind die Vorschriften über die Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung nach § 13 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und 3 sowie Satz 2 entsprechend anzuwenden. Auf die Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 1 bis 3 ist § 10 Absatz 3 entsprechend anzuwenden.

(1) Kerngebiete dienen vorwiegend der Unterbringung von Handelsbetrieben sowie der zentralen Einrichtungen der Wirtschaft, der Verwaltung und der Kultur.

(2) Zulässig sind

1.
Geschäfts- , Büro- und Verwaltungsgebäude,
2.
Einzelhandelsbetriebe, Schank- und Speisewirtschaften, Betriebe des Beherbergungsgewerbes und Vergnügungsstätten,
3.
sonstige nicht wesentlich störende Gewerbebetriebe,
4.
Anlagen für kirchliche, kulturelle, soziale, gesundheitliche und sportliche Zwecke,
5.
Tankstellen im Zusammenhang mit Parkhäusern und Großgaragen,
6.
Wohnungen für Aufsichts- und Bereitschaftspersonen sowie für Betriebsinhaber und Betriebsleiter,
7.
sonstige Wohnungen nach Maßgabe von Festsetzungen des Bebauungsplans.

(3) Ausnahmsweise können zugelassen werden

1.
Tankstellen, die nicht unter Absatz 2 Nummer 5 fallen,
2.
Wohnungen, die nicht unter Absatz 2 Nummer 6 und 7 fallen.

(4) Für Teile eines Kerngebiets kann, wenn besondere städtebauliche Gründe dies rechtfertigen (§ 9 Absatz 3 des Baugesetzbuchs), festgesetzt werden, dass

1.
oberhalb eines im Bebauungsplan bestimmten Geschosses nur Wohnungen zulässig sind oder
2.
in Gebäuden ein im Bebauungsplan bestimmter Anteil der zulässigen Geschossfläche oder eine bestimmte Größe der Geschossfläche für Wohnungen zu verwenden ist.
Dies gilt auch, wenn durch solche Festsetzungen dieser Teil des Kerngebiets nicht vorwiegend der Unterbringung von Handelsbetrieben sowie der zentralen Einrichtungen der Wirtschaft, der Verwaltung und der Kultur dient.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Kosten sind die Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten einschließlich der Kosten des Vorverfahrens.

(2) Die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines Rechtsbeistands, in den in § 67 Absatz 2 Satz 2 Nummer 3 und 3a genannten Angelegenheiten auch einer der dort genannten Personen, sind stets erstattungsfähig. Soweit ein Vorverfahren geschwebt hat, sind Gebühren und Auslagen erstattungsfähig, wenn das Gericht die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig erklärt. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können an Stelle ihrer tatsächlichen notwendigen Aufwendungen für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen den in Nummer 7002 der Anlage 1 zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz bestimmten Höchstsatz der Pauschale fordern.

(3) Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nur erstattungsfähig, wenn sie das Gericht aus Billigkeit der unterliegenden Partei oder der Staatskasse auferlegt.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.