Verwaltungsgericht Augsburg Beschluss, 05. Okt. 2016 - Au 3 K 15.1425

published on 05/10/2016 00:00
Verwaltungsgericht Augsburg Beschluss, 05. Okt. 2016 - Au 3 K 15.1425
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Gericht

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Tenor

Das Verfahren wird bis zur ordnungsgemäßen Durchführung des Überdenkungsverfahrens durch einen neuen Zweitprüfer ausgesetzt.

Gründe

I.

Der Kläger wendet sich gegen sein Nichtbestehen der IHK-Prüfung „Geprüfte/r Industriemeister/-in Fachrichtung Kunststoff und Kautschuk“.

1. Der 1980 geborene Kläger absolviert seit 2013 bei der Beklagten eine Weiterbildung zum „Geprüfte/r Industriemeister/-in Fachrichtung Kunststoff und Kautschuk“.

2. Mit Prüfungsbescheid der Beklagten vom 29. Januar 2015 wurde dem Kläger mitgeteilt, dass der fachrichtungsspezifische Prüfungsteil - und damit die Prüfung zum „Industriemeister/-in Fachrichtung Kunststoff und Kautschuk“ insgesamt - nicht bestanden sei. Maßgeblich sei, dass er in mehr als einem Fach - konkret den Fächern „Technologie der Werk- und Hilfsstoffe“ (36 P.) sowie „Produktionstechnik“ (48 P.) - nur unzureichende Leistungen erbracht habe.

Gegen den Prüfungsbescheid legte der Kläger nach Einsicht in die Prüfungsunterlagen mit anwaltlichem Schreiben vom 26. Februar 2015 Widerspruch ein, der zunächst nicht begründet wurde. Mit E-Mail vom 8. Mai 2015 teilte die Beklagte der Klägerseite mit, dass am selben Tag der aus drei Mitgliedern bestehende Prüfungsausschuss „im Überdenkungsverfahren“ die beiden nicht bestandenen Einzelprüfungen einer vollständigen Neubewertung unterzogen habe. Diese habe jeweils sogar eine für den Kläger leicht schlechtere Bewertung ergeben, im Fach „Technologie der Werk- und Hilfsstoffe“ von 34 P. (statt 36 P.) sowie im Fach „Produktionstechnik“ von 46 P. (statt 48 P.).

Mit anwaltlichem Schreiben vom 15. Juli 2015 - eingegangen am 28. Juli 2015 - begründete der Kläger seinen Widerspruch. Es wurden insoweit ausschließlich Einwendungen gegen die Bewertung von Prüfungsfrage Nr. 14 im Fach „Produktionstechnik“ (48 P.) erhoben. Hier habe der Kläger nur einen Punkt von maximal fünf Punkten erzielt, obwohl seine Beantwortung vollständig den Ausführungen aus dem Fachbuch „Kunststofftechnik - Aufgaben“ von Bischoff/Ebeling entspreche; richtigerweise habe der Kläger somit die Höchstpunktzahl erzielen müssen.

Mit E-Mail vom 28. Juli 2015 - in Kopie versandt an den Zweitkorrektor und das weitere Mitglied des Prüfungsausschusses - nahm der Erstkorrektor der Prüfungsarbeit im Fach „Produktionstechnik“ gegenüber der Beklagten zur Einwendung des Klägers Stellung. Es wurde u. a. ausgeführt, dass es sich bei der klägerseitig benannten Publikation um ein bloßes Prüfungsfragebuch, nicht jedoch um ein Lehrbuch oder einschlägige Fachliteratur handele. Den Ausführungen im genannten Prüfungsfragebuch fehle insbesondere der umfassende fachliche Hintergrund. Maßgeblich für die Beantwortung sei stets die konkrete Fragestellung und nicht etwa eine artverwandte Frage aus einem Prüfungsfragebuch, so dass keine Veranlassung bestehe, die bisherige Bewertung zu ändern. Der Erstkorrektor gab an, dass er seiner fachlichen Bewertung das Buch „Kunststofftechnik“ (Europa Lehrmittel, S. 321-324) zugrunde gelegt habe; nach diesem sei er auch als Dozent im Meisterlehrgang im Fach „Wesentliche Produktionsverfahren“ beim Thema „Spritzgießen“ vorgegangen, das Buch liege überdies auch den Meisterschülern vor. Eine Stellungnahme des Zweitkorrektors holte die Beklagte nicht ein.

3. Sodann wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 26. August 2015 - zugestellt per Postzustellungsurkunde am 28. August 2015 - zurück. Der Prüfungsausschuss halte an seiner Bewertung des Nichtbestehens aufgrund zweier nicht bestandener Prüfungsfächer fest.

4. Hiergegen hat der Kläger am 28. September 2015 Klage erhoben. Er beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 29. Januar 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. August 2015 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, das Prüfungsverfahren unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts durch Neubewertung der im Fach Produktionstechnik gefertigten Prüfungsarbeit durch einen anderen, hilfsweise denselben Prüfungsausschuss fortzusetzen.

Weiter hilfsweise:

den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 26. August 2015 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Widerspruch des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu verbescheiden.

Zur Begründung wurde u. a. ausgeführt, dass die Prüfer bei Frage 14 der Prüfungsarbeit den prüfungsspezifischen Beurteilungsspielraum verletzt hätten. Die vom Kläger gegebene Antwort entspreche im Kern den Fragen und Antworten von Nr. 8.2.17 und 8.2.18 im Lehrbuch „Kunststofftechnik - Aufgaben“ von Bischoff/Ebeling und sei damit richtig bzw. jedenfalls fachlich vertretbar. Zudem sei das erforderliche Überdenkungsverfahren nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden. Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens sei zunächst ohne Anlass und Notwendigkeit - insbesondere zum fraglichen Zeitpunkt ohne konkrete Bewertungsrügen - eine vollständige Neubewertung der Prüfungsarbeit des Klägers im Fach „Produktionstechnik“ durch alle drei Mitglieder des Prüfungsausschusses vorgenommen worden. Dies stelle einen Verstoß gegen die Chancengleichheit anderer Prüflinge dar. Zudem müsse davon ausgegangen werden, dass die Prüfer auf diese schlechte Bewertung nunmehr festgelegt seien und keine Offenheit mehr für eine bessere Bewertung der Prüfungsleistung des Klägers bestehe. Richtigerweise hätten zudem nur die beiden ursprünglichen Prüfer ihre Einzelbewertungen überdenken müssen und dürfen.

5. Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung wurde u. a. ausgeführt, dass materielle Bewertungsfehler nicht gegeben seien. Insbesondere sei der zulässige Antwortspielraum des Prüflings beachtet worden. Im Überdenkungsverfahren sei die Neubewertung durch die drei Prüfungsausschussmitglieder unabhängig voneinander erfolgt und erst anschließend erneut ein gemeinsamer Beschluss gefasst worden. Zum Zeitpunkt der Widerspruchsbegründung am 15. Juli 2015 sei das Überdenkungsverfahren überdies bereits abgeschlossen gewesen; der Kläger habe daher keinen Anspruch mehr auf eine nochmalige Auseinandersetzung des Prüfungsausschusses mit seinen - unsubstantiierten - Rügen aus der Widerspruchsbegründung gehabt. Ohnehin habe der Kläger nur fachspezifische Wertungen und damit Rechtsfehler gerügt, die gar kein Überdenkungsverfahren erforderten. Auch ohne substantiierte Bewertungsrügen hätten die Prüfer jedoch das Recht gehabt, weiteren Einwendungen des Klägers auch außerhalb eines Überdenkungsverfahrens entgegenzutreten.

6. Mit Schriftsatz vom 25. Juli 2016 legte die Beklagte ergänzend Stellungnahmen des Erstkorrektors (v. 23.7.2016) und des Zweitkorrektors (v. 22.7.2016) sowie des dritten Mitglieds des Prüfungsausschusses (undatiert) vor. Ferner wurde eine gemeinsame Stellungnahme aller drei Mitglieder des Prüfungsausschusses vom 25. Juli 2016 vorgelegt. Keiner Stellungnahme war zu entnehmen, dass an der bisherigen Bewertung nicht weiter festgehalten werde.

7. Am 26. Juli 2016 wurde die Verwaltungsstreitsache mündlich verhandelt. Das Gericht hat insoweit Beweis erhoben durch Einvernahme des Erst- und Zweitkorrektors der Prüfungsarbeit „Produktionstechnik“ als Zeugen; hinsichtlich der Aussagen wird auf die Niederschrift zur mündlichen Verhandlung vom verwiesen.

8. Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 9. August 2016 vertrat die Klägerseite die Auffassung, dass die nunmehr vorgelegte Einzelstellungnahme des Zweitkorrektors vom 22. Juli 2016 inhaltlich völlig unzureichend sei, da sie sich mit den Einwänden des Klägers überhaupt nicht auseinandersetze. Ein fehlerhaftes Überdenkungsverfahren könne auch grundsätzlich nicht durch Stellungnahmen in der mündlichen Verhandlung ersetzt werden. Eine fachspezifische Rüge des sog. Antwortspielraums sei überdies mit einer prüfungsspezifischen Bewertungsrüge untrennbar verknüpft, so dass auch hier ein Überdenkungsverfahren erforderlich sei.

Mit Schriftsatz vom 30. September 2016 legte die Beklagte eine ergänzende Stellungnahme des Zweitkorrektors vom 15. September 2016 vor, in der dieser seine Korrektur nochmals erläutert und zum Schluss gelangt, dass die erfolgte Punktevergabe der Prüfungsleistung entspreche. Die Beklagte vertrat die Auffassung, dass jedenfalls nunmehr ein ordnungsgemäßes Überdenken vorliege.

9. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.

II.

1. Das Verfahren wird von Amts wegen bis zur ordnungsgemäßen Durchführung des Überdenkungsverfahrens durch einen neuen Zweitprüfer gemäß § 94 VwGO ausgesetzt.

a) Grund hierfür ist, dass bislang hinsichtlich der Bewertung der streitgegenständlichen Aufgabe 14 im Fach „Produktionstechnik“ kein ordnungsgemäßes Überdenkungsverfahren stattgefunden hat, soweit es den Zweitprüfer betrifft.

aa) Der bei berufsbezogenen Prüfungen bestehende Anspruch des Prüflings auf ein Überdenken der Bewertungen seiner Prüfungsleistungen durch den Prüfer im Rahmen eines verwaltungsinternen Kontrollverfahrens besteht zusätzlich zu seinem Anspruch auf gerichtlichen Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG. Da die gerichtliche Kontrolle der Prüfungsentscheidung hinsichtlich prüfungsspezifischer Wertungen, bei denen dem Prüfer ein Beurteilungsspielraum verbleibt, nur eingeschränkt erfolgen kann, erfüllt das verwaltungsinterne Kontrollverfahren als Verfahrensgewährleistung eine Komplementärfunktion für die Durchsetzung des Grundrechts der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG (vgl. zum Ganzen: BVerwG, B. v. 9.8.2012 - 6 B 19/12 - juris Rn. 5; U. v. 24.2.1993 - 6 C 32/92 - juris Rn. 17).

Die Einleitung eines eigenständigen Überdenkungsverfahrens setzt seitens des Prüflings die Erhebung substantiierter Einwände gegen die Leistungsbewertung voraus, d. h. gegen die mit einem prüfungsrechtlichen Bewertungsspielraum verbundene Einordnung der erbrachten Leistungen in ein Bewertungssystem. Der Prüfling muss wirkungsvolle Hinweise geben, d. h. die Einwände müssen konkret und nachvollziehbar begründet werden (vgl. zum Ganzen: BVerwG, B. v. 5.10.2009 - 6 PKH 6/09 - juris Rn. 5; B. v. 18.12.2008 - 6 B 70/08 u. a. - juris Rn. 7; B. v. 8.11.2005 - 6 B 45/05 - juris Rn. 10; U. v. 24.2.1993 - 6 C 32/92 - juris Rn. 19).

Damit das Verfahren des Überdenkens der Prüfungsentscheidung seinen Zweck, das Grundrecht der Berufsfreiheit des Prüflings effektiv zu schützen, konkret erfüllen kann, muss gewährleistet sein, dass die Prüfer ihre Bewertungen hinreichend begründen, dass der Prüfling seine Prüfungsakten mit den Korrekturbemerkungen der Prüfer einsehen kann, dass die daraufhin vom Prüfling erhobenen substantiierten Einwände durch die Prüfungsbehörde sämtlichen beteiligten Prüfern zugeleitet werden, dass die Prüfer sich mit sämtlichen Einwänden des Prüflings auseinandersetzen und, soweit diese berechtigt sind, ihre Bewertung der betroffenen (Einzel)-Prüfungsleistung korrigieren sowie alsdann auf dieser - möglicherweise veränderten - Grundlage erneut über das (End-)Ergebnis der Prüfung entscheiden. Das Überdenken der Prüfungsbewertung findet für jeden beteiligten Prüfer seinen Abschluss mit der jeweiligen schriftlichen Niederlegung des Ergebnisses (vgl. zum Ganzen: BVerwG, B. v. 19.5.2016 - 6 B 1/16 - juris Rn. 14; B. v. 9.10.2012 - 6 B 39/12 - juris Rn. 6/9; B. v. 10.10.1994 - 6 B 73/94 - juris Rn. 20; U. v. 30.6.1994 - 6 C 4/93 - juris Rn. 22; U. v. 24.2.1993 - 6 C 32/92 - juris Rn. 18).

Im Lichte des Gebots der persönlichen unmittelbaren Kenntnisnahme der Prüfungsleistung durch jeden Prüfer dürfen die beteiligten Prüfer im Rahmen des Überdenkungsverfahrens keine gemeinsame Stellungnahme zu den substantiierten Einwendungen des Prüflings gegen ihre Bewertungen abgeben, soweit die Prüfer zuvor das Ergebnis ihres Überdenkens nicht jeweils gesondert schriftlich niedergelegt haben. Sämtliche mit einer Bewertung betrauten Prüfer müssen vielmehr das Überdenken jeweils eigenständig und unabhängig voneinander vornehmen, selbst wenn sich der Zweitprüfer im Rahmen der ursprünglichen Korrektur der Bewertung des Erstprüfers zulässigerweise ohne eingehende inhaltliche Begründung angeschlossen hatte. Die gebotene Eigenständigkeit wird durch die Kenntnis der jeweils anderen Stellungnahme jedoch nicht in Frage gestellt (vgl. zum Ganzen: BVerwG; B. v. 19.5.2016 - 6 B 1/16 - juris Rn. 28; B. v. 9.10.2012 - 6 B 39/12 - juris Rn. 6 f.; B. v. 18.12.1997 - 6 B 69/97 - juris Rn. 6).

Ein gebotenes Überdenkungsverfahren kann zeitlich grundsätzlich auch noch während eines bereits anhängigen verwaltungsgerichtlichen Verfahrens durchgeführt bzw. nachgeholt werden. Der Anspruch des Prüflings auf Überdenken ist insbesondere auch erfüllt, wenn im verwaltungsgerichtlichen Verfahren die Stellungnahmen der Prüfer zu den beanstandeten Bewertungen eingeholt worden sind und dem Prüfling Gelegenheit gegeben worden ist, hierzu Stellung zu nehmen. Auch - ggf. ergänzende - Stellungnahmen der Prüfer in der mündlichen Verhandlung können den Überdenkungsanspruch erfüllen (vgl. zum Ganzen: BVerwG, B. v. 2.5.1996 - 6 B 75/95 - juris Rn. 8; B. v. 15.9.1994 - 6 B 42/94 - juris Rn. 4; BayVGH, U. v. 19.3.2004 - 7 BV 03.1953 - juris Rn. 49; VG Augsburg, U. v. 18.3.2015 - Au 3 K 14.881 - juris Rn. 49).

bb) Unter Berücksichtigung obiger Grundsätze gilt, dass vorliegend hinsichtlich des Zweitprüfers kein ordnungsgemäßes Überdenken stattgefunden hat.

(1) Vorliegend waren hinreichend substantiierte Bewertungsrügen des Klägers gegeben, die geeignet waren, ein Überdenkungsverfahren zu bedingen.

Die im anwaltlichen Schreiben des Klägers vom 15. Juli 2015 (Blatt 69 der Verwaltungsakte) erhobenen Einwände waren aufgrund der Bezugnahme auf die beigefügten Auszüge aus dem Prüfungsaufgabenbuch „Kunststofftechnik“ von Bischoff/Ebeling zu den Aufgaben 8.2.17 und 8.2.18 (Blatt 70-73 der Verwaltungsakte) inhaltlich hinreichend substantiiert.

Zwar gilt, dass bei reinen fachlichen Meinungsverschiedenheiten zwischen Prüfern und Prüfling das Gericht aufgrund hinreichend substantiierter Einwendungen des Prüflings notfalls mit sachverständiger Hilfe darüber zu befinden hat, ob die von dem Prüfer als falsch bewertete Lösung im Gegenteil richtig oder jedenfalls vertretbar ist. Derartige fachspezifische Rügen zielen auf eine Korrektur von Rechtsfehlern und unterliegen daher der uneingeschränkten gerichtlichen Kontrolle. Dagegen betrifft der Anspruch auf ein Überdenken von Prüfungsleistungen durch die mit der Bewertung befassten Prüfer in erster Linie die mit einem prüfungsrechtlichen Bewertungsspielraum verbundene Einordnung der erbrachten Leistungen in ein Bewertungssystem (vgl. zum Ganzen: BVerfG, B. v. 17.4.1991 - 1 BvR 419/81 u. a. - juris Rn. 57 f.; BVerwG, B. v. 10.10.1994 - 6 B 73/94 - juris Rn. 14; BVerwG, B. v. 18.12.2008 - 6 B 70/08 u. a. - juris Rn. 7; U. v. 21.10.1993 - 6 C 12/92 - juris Rn. 20; Niehues, Prüfungsrecht, 6. Aufl. 2014, Rn. 790).

Es kann offenbleiben, ob im Lichte obiger Grundsätze bei reinen fachspezifischen Rügen einer Verletzung des sog. Antwortspielraums ein Überdenkungsverfahren stets nicht erforderlich ist. Denn vorliegend ist aus Sicht des Gerichts davon auszugehen, dass die Rüge im anwaltlichen Schreiben des Klägers vom 15. Juli 2015 (Blatt 69 der Verwaltungsakte) auch als materielle, die konkrete Bepunktung der Aufgabe 14 betreffende Bewertungsrüge zu verstehen war. Oftmals betreffen die Einwendungen des Prüflings sowohl die fachspezifische als auch die prüfungsspezifische Ebene, die insbesondere dann kaum zu trennen sind, wenn die Kritik an der einschätzenden Bewertung des Prüfers sich zugleich auf die Missachtung allgemeiner Bewertungsgrundsätze stützt (vgl. Niehues, Prüfungsrecht, 6. Aufl. 2014, Rn. 790). So liegt der Fall auch hier.

Das erst am 28. Juli 2015 eingegangene klägerische Schreiben vom 15. Juli 2015 war auch zeitlich geeignet, die Durchführung eines Überdenkungsverfahrens zu bedingen. Insoweit ist Voraussetzung für die Erforderlichkeit eines Überdenkungsverfahrens aufgrund substantiierter Rügen des Prüflings grundsätzlich nur, dass gegen die Prüfungsentscheidung selbst noch Rechtschutz möglich ist (vgl. VG Berlin, U. v. 21.5.2015 - 12 K 1265.13 - juris Rn. 25). Ausnahmen hiervon gelten nur dann, wenn (1.) bereits zuvor ein aufgrund substantiierter Bewertungsrügen eingeleitetes Überdenkungsverfahren ordnungsgemäß abgeschlossen worden ist oder (2.) substantiierte Bewertungsrügen erst nach Abschluss des Widerspruchsverfahrens erhoben werden (vgl. OVG BE-BB, U. v. 13.9.2012 - OVG 10 B 5.11 - juris Rn. 69 m. w. N.; OVG NW, B. v. 4.4.2014 - 14 A 968/12 - juris Rn. 67; Niehues, Prüfungsrecht, 6. Aufl. 2014, Rn. 799).

Hiervon ausgehend war jedoch vorliegend - entgegen der Auffassung der Beklagten - das Überdenkungsverfahren noch nicht durch die am 8. Mai 2015 erfolgte „komplette Neubewertung“ der klägerischen Prüfungsarbeit (Blatt 78-81 der Verwaltungsakte) durch den dreiköpfigen Prüfungsausschuss abgeschlossen. Dem steht bereits entgegen, dass vor Eingang des anwaltlichen Schreibens des Klägers am 28. Juli 2015 mangels substantiierter Bewertungsrügen des Klägers gar kein Überdenkungsverfahren im Rechtssinne bei der Beklagten anhängig war; bis zu diesem Zeitpunkt war vielmehr bei der Beklagten lediglich ein Widerspruchsverfahren anhängig (vgl. zu dieser rechtlichen Differenzierung: BayVGH, U. v. 30.4.1998 - 7 B 97.2986 - juris Rn. 27).

Insoweit einiges vieles dafür, dass die seitens der Beklagten zum damaligen Zeitpunkt ohne substantiierte Bewertungsrügen des Klägers durchgeführte Beteiligung der Prüfer im Hinblick auf den Grundsatz der Chancengleichheit rechtlich bedenklich war, da der Kläger so eine voraussetzungslose Chance einer Zweitbewertung erhalten hat (vgl. zum Ganzen: RhPfOVG, U. v. 30.7.2003 - 2 A 10770/03 - juris Rn. 35 f.; VG Mainz, U. v. 21.3.2013 - 1 K 919/12.MZ - juris Rn. 34; Niehues, Prüfungsrecht, 6. Aufl. 2014, Rn. 789). Nur der Vollständigkeit halber wird in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass das dritte Prüfungsausschussmitglied, das hier weder Erst- noch Zweitkorrektor gewesen ist, ohnehin nicht zum Überdenken berufen gewesen wäre.

(2) Trotz eines somit erforderlichen Überdenkungsverfahrens hat der Zweitkorrektor jedoch - im Gegensatz zum Erstkorrektor (E-Mail v. 28.7.2015, Blatt 82 der Verwaltungsakte) - keine separate schriftliche Stellungnahme zu den mit anwaltlichem Schreiben vom 15. Juli 2015 nebst Anlagen (Blatt 69-73 der Verwaltungsakte) klägerseitig erhobenen substantiierten Bewertungsrügen zu Aufgabe 14 der Prüfungsarbeit „Produktionstechnik“ abgegeben.

Selbst wenn man die E-Mail des Erstkorrektors vom 28. Juli 2015 (Blatt 82 der Gerichtsakte), die der Zweitkorrektor in Kopie erhalten hat, als gemeinsame Stellungnahme von Erst- und Zweitkorrektor begreifen wollte, ändert sich an diesem Befund nichts; denn eine solche gemeinsame Stellungnahme im Überdenkungsverfahren ist - wie ausgeführt - unzulässig, soweit zuvor keine separaten schriftlichen Stellungnahmen der Prüfer niedergelegt worden sind (BVerwG, B. v. 9.10.2012 - 6 B 39/12 - juris Rn. 5-11). Dies war vorliegend jedoch nicht der Fall, insbesondere ist der bloße separate Neubewertungsbogen des Zweitkorrektors vom 8. Mai 2015 (Blatt 60 der Verwaltungsakte) mangels textlichen Eingehens auf die Einwendungen des Klägers nicht geeignet, eine ordnungsgemäße Stellungnahme im Überdenkungsverfahren darzustellen.

Die im gerichtlichen Verfahren vorgelegte Stellungnahme des Zweitprüfers vom 22. Juli 2016 (Blatt 134 der Gerichtsakte) erfüllt ebenfalls nicht die Voraussetzungen an ein ordnungsgemäßes Überdenken; hier erläutert der Zweitkorrektor nur in einer Aufzählung seine allgemeine Vorgehensweise bei der Bewertung von Prüfungsantworten, ohne jedoch auf die konkreten Einwendungen des Klägers einzugehen. Die gemeinsame Stellungnahme der drei Prüfungsausschussmitglieder vom 25. Juli 2016 (Blatt 140-142 der Gerichtsakte) war im Überdenkungsverfahren - wie ausgeführt - unzulässig.

Ein ordnungsgemäßes Überdenken des Zweitkorrektors hat vorliegend auch nicht durch seine Stellungnahme als Zeuge in der mündlichen Verhandlung vom 26. Juli 2016 stattgefunden. Denn zu diesem Zeitpunkt war der Zweitprüfer zu einem ordnungsgemäßen Überdenken nicht mehr in der Lage, da er bereits endgültig auf sein Bewertungsergebnis festgelegt war. Grund hierfür ist, dass der Zweitprüfer zuvor unzulässigerweise zusammen mit den anderen Mitgliedern des Prüfungsausschusses im Überdenkungsverfahren die gemeinsame Stellungnahme vom 25. Juli 2016 (Blatt 134 der Gerichtsakte) abgegeben hatte. In dieser Konstellation ist aus Sicht des Gerichts eine Fehlerkorrektur nicht mehr durch eine nachträgliche Einzelstellungnahme möglich. Denn es ist nicht realistisch, dass sich der Zweitprüfer bei seiner erneuten Befassung - hier in der mündlichen Verhandlung - von seiner Vorprägung aus der vorangegangen gemeinsamen Stellungnahme lösen konnte, um das gebotene eigenständige und unabhängige Überdenken vorzunehmen (so auch VG Schwerin, U. v. 4.12.2015 - 4 A 769/14 - S. 11 f. des Entscheidungsumdrucks; offen gelassen in: OVG NW, U. v. 18.4.2012 - 14 A 2687/09 - juris Rn. 82-84). Daher konnte auch die seitens der Beklagten vorgelegte ergänzende Stellungnahme des Zweitkorrektors vom 15. September 2016 (Blatt 190 der Gerichtsakte) kein ordnungsgemäßes Überdenken mehr darstellen.

b) Angesichts des bisher somit nicht ordnungsgemäß durchgeführten Überdenkungsverfahrens war das Verfahren gemäß § 94 VwGO auszusetzen, bis die Beklagte ein ergänzendes verwaltungsinternes Kontrollverfahren durchgeführt hat.

Denn aus einem unterbliebenen oder nicht ordnungsgemäß durchgeführten Überdenkungsverfahren folgt nicht, dass deshalb der Prüfungsbescheid verwaltungsgerichtlich aufzuheben wäre. Es handelt sich beim Überdenkungsverfahren um ein eigenständiges verwaltungsinternes Kontrollverfahren. Sein Fehlen oder ein dabei unterlaufener Formfehler kann sich auf die Rechtmäßigkeit der Prüfungsentscheidung nicht unmittelbar auswirken. Derartige Fehler führen lediglich dazu, dass die Sache für das Gericht regelmäßig noch nicht entscheidungsreif ist (vgl. zum Ganzen: BVerwG, U. v. 16.4.1997 - 6 C 9/95 - juris - Rn. 35; U. v. 1.6.1995 - 2 C 16/94 - juris Rn. 23).

Ein anhängiges verwaltungsgerichtliches Verfahren ist daher bei fehlender bzw. nicht ordnungsgemäßer Durchführung des Überdenkungsverfahrens auf Antrag des Prüflings - wie hier - gemäß § 94 VwGO auszusetzen, damit unabhängig von der gerichtlichen Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Prüfungsentscheidung vorrangig in einem verwaltungsinternen Kontrollverfahren die Prüfer selbst überdenken können, ob die substantiierten Einwände des Prüflings gegen ihre Bewertungen berechtigt sind (vgl. zum Ganzen: BVerwG, B. v. 9.8.2012 - 6 B 19/12 - juris Rn. 6; B. v. 5.10.2009 - 6 PKH 6/09 - juris Rn. 5; B. v. 10.7.1998 - 6 B 63/98 - juris Rn. 8; B. v. 2.5.1996 - 6 B 75/96 - juris Rn. 8; U. v. 1.6.1995 - 2 C 16/94 - juris Rn. 23; B. v. 6.3.1995 - 6 B 3 /95 - juris Rn. 13; B. v. 15.9.1994 - 6 B 42/94 - juris Rn. 3 f.; U. v. 24.2.1993 - 6 C 32/92 - juris Rn. 24).

c) Im nunmehr durchzuführenden ergänzenden Überdenkungsverfahren ist seitens der Beklagten ein neuer Zweitprüfer heranzuziehen.

Die Durchführung des verwaltungsinternen Kontrollverfahrens zum Zwecke des Überdenkens der Bewertung ist in der Regel von den ursprünglichen Prüfern durchzuführen. Grundsätzlich sind nur diese imstande, ihre eigenen Erwägungen durch Überdenken der dagegen gerichteten Einwendungen in Frage zu stellen. Der ausnahmsweise Einsatz neuer Prüfer hat zur Voraussetzung, dass der verfassungsrechtliche Anspruch auf Überdenken der Bewertung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht durch Einsatz der ursprünglichen Prüfer erfüllt werden kann, etwa weil deren Befangenheit - z. B. wegen endgültiger Festlegung auf ihr Bewertungsergebnis - zu besorgen ist (vgl. zum Ganzen: BVerwG, U. v. 1.6.1995 - 2 C 16/94 - juris Rn. 22; U. v. 30.6.1994 - 6 C 4/93 - juris Rn. 29).

Hiervon ausgehend ist vorliegend der bisherige Zweitprüfer vom weiteren Überdenkungsverfahren ausgeschlossen, da er - wie ausgeführt - endgültig auf sein Bewertungsergebnis festgelegt ist.

d) Hinsichtlich des Tätigwerdens eines neuen Zweitprüfers im Überdenkungsverfahren weist das Gericht abschließend auf Folgendes hin:

Auch bei Tätigwerden eines neuen Prüfers im Überdenkungsverfahren bleibt die Rechtsnatur des Verfahrens dieselbe. Insbesondere bleibt die bisherige Bewertung wirksam und bildet die Grundlage für das verwaltungsinterne Kontrollverfahren. Auch der neue Prüfer hat nur insoweit die Bewertung zu überdenken, als der Prüfling substantiierte Einwendungen erhoben hat; eine umfassende Neubewertung erfolgt nicht. Ergibt die Prüfung substantiierter Einwände des Prüflings, dass vertretbare Ausführungen als falsch angesehen wurden oder der Sachverhalt infolge des Übersehens zutreffender Ausführungen durch den Prüfer fehlerhaft erfasst wurde, so hat der neue Prüfer dies im Rahmen einer allgemeinen Rechtskontrolle zu berücksichtigen. In den Bereich des Wertungsspielraums fällt hingegen, welche Auswirkungen ein festgestellter Bewertungsfehler auf die Gesamtbewertung der Arbeit hat. Der neue Prüfer ist hier im Interesse der Chancengleichheit gehalten, sich an den erkennbaren Bewertungsmaßstäben der ursprünglichen Prüfer zu orientieren, sofern ihm diese nicht unvertretbar erscheinen. Ergibt die Überprüfung im Überdenkungsverfahren indes, dass die Einwände des Prüflings unberechtigt sind, so hat es damit sein Bewenden und die ursprüngliche Bewertung bleibt in vollem Umfang wirksam (vgl. zum Ganzen: BayVGH, U. v. 22.10.1997 - 7 B 97.1139 - VGHE 50, 171).

2. Nach Abschluss eines ordnungsgemäßen verwaltungsinternen Überdenkungsverfahrens wird das Gericht das Verfahren von Amts wegen unverzüglich fortsetzen (vgl. BayVGH, B. v. 29.6.2016 - 5 BV 16.85 - juris Rn. 5).

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Tenor I. Die Klage wird abgewiesen. II. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen. III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheit
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Tenor Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens auf Zulassung der Berufung. Der Wert des Streitgegenstandes wird auch für das Verfahren auf Zulassung der Berufung auf  15.000,- € festgesetzt.
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Annotations

Das Gericht kann, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, daß die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen sei.

(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.

(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.

(2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.

(3) Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.

Das Gericht kann, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, daß die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen sei.