Sozialgericht Würzburg Endurteil, 05. Feb. 2019 - S 11 KR 260/17
Tenor
I. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 05.04.2016, in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.05.2017 sowie des Bescheides vom 06.04.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.05.2018 verurteilt, die Kosten für eine operative Reduktion des Adamsapfels sowie die Korrektur der Stimmbänder bzw. Stimmhöhe zu übernehmen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Beklagte erstattet der Klägerin 2/5 deren außergerichtlichen Kosten.
Tatbestand
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 05.04.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.05.2017 sowie des Bescheides vom 06.04.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.05.2018 zu verurteilen, die Kosten für eine operative Reduktion des Adamsapfels, für die Korrektur der Stimmbänder bzw. Stimmhöhe, die dauerhafte künftige Elektroepilation der Barthaare bei der Kosmetikerin Frau K. und die Gesichtsfeminisation (Abtragung der Gestirnwülste, Brauenwülste und Verweiblichung des Kinns, der Nase und der Wangen, Erniedrigung der Stirnhöhe samt Reduktion des Haaransatzes) sowie der Erstattung der Kosten der Brustvergrößerung in Höhe von 10.618,99 € und der Kosten der bereits stattgefundenen Elektroepilation vom 14.04.2015 bis 09.07.2018 in Höhe von 12.705,00 € als Teil der Behandlung einer Geschlechtsangleichung zu übernehmen.
die Klage abzuweisen.
Gründe
Ansprüche Transsexueller auf geschlechtsangleichende Behandlung im Sinne medizinisch indizierter Maßnahmen sind zusätzlich durch das objektive Erscheinungsbild des angestrebten anderen Geschlechts begrenzt. Die hierdurch gezogenen Grenzen sind allerdings weiter, als sie durch die oben dargelegte Rechtsprechung zur Entstellung gezogen sind. Wer beispielweise als Mann-zu-Frau-Transsexueller - etwa aufgrund einer Hormontherapie - einen Brustansatz entwickelt hat, der die für konfektionierte Damenoberbekleidung vorgesehene Größe A nach DIN EN 13402 bei erfolgter Ausatmung im Rahmen normaler Messung ohne weitere Mittel voll ausfüllt, kann keine Mamaaugmentationsplastik beanspruchen. Das damit erreichte körperliche Erscheinungsbild bewegt sich nämlich - trotz der großen Vielfalt der Phänotypen bei Männern und Frauen - in einem unzweifelhaft geschlechts-typischen Bereich. (BSG, U.v. 11.9.2012 - B 1 KR 9/12 R - juris, Rn.28).
Eine Entstellung liegt bei der Klägerin nicht vor; sie macht dies ebenso wenig geltend wie eine funktionelle organische Störung. Die Ansprüche auf geschlechtsangleichende Operationen erstrecken und zugleich beschränken sich auf einen Zustand, bei dem aus der Sicht eines verständigen Betrachters eine deutliche Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechts eintritt.
aa. Nach diesem rechtlichen Maßstab hat die Klägerin Anspruch auf operative Reduktion des Adamsapfels. Die Kammer hat die übermittelte Fotodokumentation der Klägerin in Augenschein genommen und sich von der persönlich erschienenen Klägerin in der mündlichen Verhandlung am 05.02.2019 selbst ein Bild gemacht. Der Adamsapfel tritt bei der Klägerin deutlich sichtbar hervor und steht im nicht übersehbaren Widerspruch zum gewollten weiblichen Erscheinungsbild. Durch die Reduktion des Adamsapfels kann eine deutliche Annäherung an das Erscheinungsbild des weiblichen Geschlechts herbeigeführt werden. Beim Adamsapfel handelt es sich nicht um ein Körperteil, welches durch angepasste Kleidung ausreichend verdeckbar ist.
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(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.
(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.
(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.
(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.
(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.
(1) Eine Änderung der Klage ist nur zulässig, wenn die übrigen Beteiligten einwilligen oder das Gericht die Änderung für sachdienlich hält.
(2) Die Einwilligung der Beteiligten in die Änderung der Klage ist anzunehmen, wenn sie sich, ohne der Änderung zu widersprechen, in einem Schriftsatz oder in einer mündlichen Verhandlung auf die abgeänderte Klage eingelassen haben.
(3) Als eine Änderung der Klage ist es nicht anzusehen, wenn ohne Änderung des Klagegrunds
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die tatsächlichen oder rechtlichen Ausführungen ergänzt oder berichtigt werden, - 2.
der Klageantrag in der Hauptsache oder in bezug auf Nebenforderungen erweitert oder beschränkt wird, - 3.
statt der ursprünglich geforderten Leistung wegen einer später eingetretenen Veränderung eine andere Leistung verlangt wird.
(4) Die Entscheidung, daß eine Änderung der Klage nicht vorliege oder zuzulassen sei, ist unanfechtbar.
(1) Versicherte haben Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfaßt
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Ärztliche Behandlung einschließlich Psychotherapie als ärztliche und psychotherapeutische Behandlung, - 2.
zahnärztliche Behandlung, - 2a.
Versorgung mit Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und Suprakonstruktionen, - 3.
Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln sowie mit digitalen Gesundheitsanwendungen, - 4.
häusliche Krankenpflege, außerklinische Intensivpflege und Haushaltshilfe, - 5.
Krankenhausbehandlung, - 6.
Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und ergänzende Leistungen.
(1a) Spender von Organen oder Geweben oder von Blut zur Separation von Blutstammzellen oder anderen Blutbestandteilen (Spender) haben bei einer nach den §§ 8 und 8a des Transplantationsgesetzes erfolgenden Spende von Organen oder Geweben oder im Zusammenhang mit einer im Sinne von § 9 des Transfusionsgesetzes erfolgenden Spende zum Zwecke der Übertragung auf Versicherte (Entnahme bei lebenden Spendern) Anspruch auf Leistungen der Krankenbehandlung. Dazu gehören die ambulante und stationäre Behandlung der Spender, die medizinisch erforderliche Vor- und Nachbetreuung, Leistungen zur medizinischen Rehabilitation sowie die Erstattung des Ausfalls von Arbeitseinkünften als Krankengeld nach § 44a und erforderlicher Fahrkosten; dies gilt auch für Leistungen, die über die Leistungen nach dem Dritten Kapitel dieses Gesetzes, auf die ein Anspruch besteht, hinausgehen, soweit sie vom Versicherungsschutz des Spenders umfasst sind. Zuzahlungen sind von den Spendern nicht zu leisten. Zuständig für Leistungen nach den Sätzen 1 und 2 ist die Krankenkasse der Empfänger von Organen, Geweben oder Blutstammzellen sowie anderen Blutbestandteilen (Empfänger). Im Zusammenhang mit der Spende von Knochenmark nach den §§ 8 und 8a des Transplantationsgesetzes, von Blutstammzellen oder anderen Blutbestandteilen nach § 9 des Transfusionsgesetzes können die Erstattung der erforderlichen Fahrkosten des Spenders und die Erstattung der Entgeltfortzahlung an den Arbeitgeber nach § 3a Absatz 2 Satz 1 des Entgeltfortzahlungsgesetzes einschließlich der Befugnis zum Erlass der hierzu erforderlichen Verwaltungsakte auf Dritte übertragen werden. Das Nähere kann der Spitzenverband Bund der Krankenkassen mit den für die nationale und internationale Suche nach nichtverwandten Spendern von Blutstammzellen aus Knochenmark oder peripherem Blut maßgeblichen Organisationen vereinbaren. Für die Behandlung von Folgeerkrankungen der Spender ist die Krankenkasse der Spender zuständig, sofern der Leistungsanspruch nicht nach § 11 Absatz 5 ausgeschlossen ist. Ansprüche nach diesem Absatz haben auch nicht gesetzlich krankenversicherte Personen. Die Krankenkasse der Spender ist befugt, die für die Leistungserbringung nach den Sätzen 1 und 2 erforderlichen personenbezogenen Daten an die Krankenkasse oder das private Krankenversicherungsunternehmen der Empfänger zu übermitteln; dies gilt auch für personenbezogene Daten von nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz Krankenversicherungspflichtigen. Die nach Satz 9 übermittelten Daten dürfen nur für die Erbringung von Leistungen nach den Sätzen 1 und 2 verarbeitet werden. Die Datenverarbeitung nach den Sätzen 9 und 10 darf nur mit schriftlicher Einwilligung der Spender, der eine umfassende Information vorausgegangen ist, erfolgen.
(2) Versicherte, die sich nur vorübergehend im Inland aufhalten, Ausländer, denen eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 bis 5 des Aufenthaltsgesetzes erteilt wurde, sowie
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asylsuchende Ausländer, deren Asylverfahren noch nicht unanfechtbar abgeschlossen ist, - 2.
Vertriebene im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 2 und 3 des Bundesvertriebenengesetzes sowie Spätaussiedler im Sinne des § 4 des Bundesvertriebenengesetzes, ihre Ehegatten, Lebenspartner und Abkömmlinge im Sinne des § 7 Abs. 2 des Bundesvertriebenengesetzes haben Anspruch auf Versorgung mit Zahnersatz, wenn sie unmittelbar vor Inanspruchnahme mindestens ein Jahr lang Mitglied einer Krankenkasse (§ 4) oder nach § 10 versichert waren oder wenn die Behandlung aus medizinischen Gründen ausnahmsweise unaufschiebbar ist.
Tenor
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Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 8. Dezember 2011 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
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Die Beteiligten streiten über die Versorgung der Klägerin mit einer Mamma-Augmentationsplastik (MAP).
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Die 1949 als Mann geborene, bei der beklagten Krankenkasse (KK) versicherte Klägerin wird infolge eines Mann-zu-Frau-Transsexualismus seit März 2005 mit weiblichen Hormonen behandelt. Die Beklagte bewilligte der Klägerin eine geschlechtsangleichende Genitaloperation, die im Oktober 2007 erfolgte, lehnte aber eine MAP ab (Bescheide vom 28.6.2007 und 14.8.2008, Widerspruchsbescheid vom 8.12.2008). Die Brustgröße der Klägerin stelle keinen regelwidrigen Körperzustand dar. Der psychische Leidensdruck der Klägerin sei psychiatrisch oder psychotherapeutisch zu behandeln. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 24.3.2010). Mit ihrer Berufung hat die Klägerin geltend gemacht, trotz der Hormonbehandlung wirke ihre Brust eher männlich. Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen: Der Leidensdruck, der Klägerin, abweichend vom biologischen Geschlecht als Angehöriger des anderen Geschlechts erkannt und anerkannt zu werden, sei eine behandlungsbedürftige Krankheit. Das Behandlungsziel einer nach dem gesamten Erscheinungsbild deutlichen Annäherung an das empfundene Geschlecht sei aber bei dem schlanken Erscheinungsbild der Klägerin mit einer natürlich wirkenden Brust insgesamt erreicht. Für diese auf einen Befundbericht und die Wahrnehmung in der mündlichen Verhandlung gestützte Einschätzung habe es keines medizinischen Fachwissens und keines Sachverständigenbeweises bedurft (Urteil vom 8.12.2011).
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Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 27 Abs 1 S 1 SGB V und des § 103 SGG. Ihr Anspruch auf Krankenbehandlung wegen Transsexualismus umfasse aufgrund der gegebenen medizinischen Indikation auch eine MAP. Sie könne nicht auf die Verwendung von Hilfsmitteln wie zB BH-Einlagen verwiesen werden. Das LSG hätte - wie beantragt - zum Erscheinungsbild ihrer Brust Beweis durch Sachverständige erheben müssen.
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Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 8. Dezember 2011 und das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 24. März 2010 aufzuheben sowie die Bescheide der Beklagten vom 28. Juni 2007 und 14. August 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Dezember 2008 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin mit einer beidseitigen Mamma-Augmentationsplastik zu versorgen,
hilfsweise,
das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 8. Dezember 2011 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
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Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
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Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Revision der Klägerin ist im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170 Abs 2 S 2 SGG). Das angefochtene LSG-Urteil ist aufzuheben, denn es verletzt materielles Recht. Die unangegriffenen, den Senat bindenden (§ 163 SGG) Feststellungen des LSG reichen nicht aus, um abschließend über den geltend gemachten Anspruch auf Versorgung mit einer MAP aus § 27 Abs 1 S 1 SGB V zu entscheiden. Der von der Klägerin bereits durch die Hormonbehandlung erreichte Brustumfang steht nicht fest, so dass der Senat nicht die Erforderlichkeit der von der Klägerin begehrten MAP beurteilen kann.
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Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, dass transsexuelle Versicherte nach § 27 Abs 1 SGB V Anspruch auf geschlechtsangleichende Behandlungsmaßnahmen einschließlich chirurgischer Eingriffe in gesunde Organe zur Minderung ihres psychischen Leidensdrucks haben können, um sich dem Erscheinungsbild des angestrebten anderen Geschlechts deutlich anzunähern(dazu 1.). Die Reichweite des Anspruchs auf geschlechtsangleichende Behandlung bestimmt sich auf der Basis der allgemeinen und besonderen Voraussetzungen des Anspruchs auf Krankenbehandlung nach medizinischen Kriterien (dazu 2.). Die Entscheidung des LSG erweist sich weder ganz noch teilweise aus anderen Gründen als zutreffend. Das LSG wird nunmehr das noch Erforderliche aufzuklären haben (dazu 3.).
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1. Versicherte - wie die Klägerin - haben nach § 27 Abs 1 S 1 SGB V Anspruch auf Krankenbe-handlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Klägerin leidet an Transsexualismus in Gestalt einer psychischen Krankheit, deren Behandlung notwendig ist (dazu a). Obwohl der Anspruch auf Krankenbehandlung psychischer Krankheiten grundsätzlich nicht körperliche Eingriffe in intakte Organsysteme erfasst, können zur notwendigen Krankenbehandlung des Transsexualismus - als Ausnahme von diesem Grundsatz - operative Eingriffe in den gesunden Körper zwecks Veränderung der äußerlich sichtbaren Geschlechtsmerkmale gehören (dazu b). Die genannten operativen Eingriffe in den gesunden Körper müssen medizinisch erforderlich sein (dazu c).
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a) Grundvoraussetzung des Anspruchs Versicherter auf Krankenbehandlung ist, dass sie an einer Krankheit leiden. Krankheit iS von § 27 Abs 1 S 1 SGB V ist ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht(stRspr, vgl nur BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 10 mwN - Zisidentität; zu Bestrebungen, den Transsexualismus zu "entpathologisieren", vgl LSG Baden-Württemberg Urteil vom 25.1.2012 - L 5 KR 375/10 - Juris RdNr 44). Die Klägerin leidet in diesem Sinne an einer Krankheit, nämlich an behandlungsbedürftigem Transsexualismus.
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Transsexualismus ist nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse eine psychische Krankheit. Transsexuelle leben in dem irreversiblen und dauerhaften Bewusstsein, dem Geschlecht anzugehören, dem sie aufgrund ihrer äußeren körperlichen Geschlechtsmerkmale zum Zeitpunkt der Geburt nicht zugeordnet wurden (vgl BVerfGE 128, 109 = NJW 2011, 909, RdNr 34 mwN). Für die Diagnose entscheidend ist die Stabilität des transsexuellen Wunsches, der vollständigen psychischen Identifikation mit dem anderen, dem eigenen Körper widersprechenden Geschlecht (vgl BVerfGE 128, 109 = NJW 2011, 909, RdNr 35 unter Hinweis auf Becker/Berner/Dannecker/Richter-Appelt, Zf Sexualforschung 2001, S 258, 260; Pichlo, in: Groß/Neuschaefer-Grube/Steinmetzer, Transsexualität und Intersexualität, Medizinische, ethische, soziale und juristische Aspekte, 2008, S 121). Die ICD-10-GM Version 2012 ordnet Transsexualismus mit dem Schlüssel F64.0 (Störungen der Geschlechtsidentität) dem Kapitel V zu (Psychische und Verhaltensstörungen
) . F64.0 spricht von dem "Wunsch, als Angehöriger des anderen Geschlechtes zu leben und anerkannt zu werden".
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Die Rechtsordnung erkennt Transsexualismus nicht nur personenstandsrechtlich, sondern auch als behandlungsbedürftige Krankheit an. Der Gesetzgeber hat bereits durch Schaffung des Gesetzes über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen (Transsexuellengesetz
) vom 10.9.1980 (BGBl I 1654; zuletzt geändert durch Beschluss des BVerfG vom 11.1.2011 - 1 BvR 3295/07 - BGBl I 224 = BVerfGE 128, 109 = NJW 2011, 909) bestätigt, dass der Befund des Transsexualismus eine außergewöhnliche rechtliche Bewertung rechtfertigt (BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr 3, RdNr 11; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 17). Inzwischen erstreckt das SGB V ausdrücklich die ambulante spezialfachärztliche Versorgung auf die Diagnostik und Behandlung komplexer, schwer therapierbarer Krankheiten, die je nach Krankheit eine spezielle Qualifikation, eine interdisziplinäre Zusammenarbeit und besondere Ausstattungen erfordern. Hierzu gehört ua Transsexualismus als seltene Erkrankung (vgl § 116b Abs 1 S 2 Nr 2 Buchst i SGB V idF durch Art 1 Nr 44 Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherungvom 22.12.2011, BGBl I 2983; vgl dazu BT-Drucks 17/6906 S 81; vgl zuvor Anlage 2 Nr 9 der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die ambulante Behandlung im Krankenhaus nach § 116b SGB V idF vom 18.10.2005, BAnz Nr 7 S 88 vom 11.1.2006, zuletzt geändert am 15.12.2011, BAnz Nr 197 S 4655, in Kraft getreten am 31.12.2011; zur erstmaligen Berücksichtigung des Transsexualismus als seltene Erkrankung im Rahmen des § 116b SGB V aF vgl die Bekanntmachung des GBA über eine Ergänzung des Katalogs nach § 116b Abs 3 SGB V vom 16.3.2004, BAnz Nr 88 S 10 177).
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b) Das Spektrum medizinisch indizierter Krankenbehandlung des Transsexualismus ist mittlerweile - anknüpfend an den Erkenntnisfortschritt über die Erkrankung - weit gefächert. Für erforderlich werden individuelle therapeutische Lösungen erachtet, die von einem Leben im anderen Geschlecht ohne somatische Maßnahmen über hormonelle Behandlungen bis hin zur weitgehenden operativen Geschlechtsangleichung reichen können (vgl BVerfGE 128, 109 = NJW 2011, 909, RdNr 36 unter Hinweis auf Pichlo in Groß/Neuschaefer-Grube/Steinmetzer, Transsexualität und Intersexualität, Medizinische, ethische, soziale und juristische Aspekte, 2008, 119, 122; Rauchfleisch, Transsexualität - Transidentität, 2006, 17; Becker in Kockott/Fahrner, Sexualstörungen, 2004, 153, 180, 181).
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Während notwendige Krankenbehandlung des Transsexualismus auf psychischer Ebene nach den allgemeinen Grundsätzen zur Ermöglichung und Stützung eines Lebens im anderen Geschlecht ohne somatische Maßnahmen unproblematisch von § 27 Abs 1 S 1 SGB V erfasst ist, versteht sich dies für hormonelle Behandlungen bis hin zur weitgehenden operativen Geschlechtsangleichung nicht in gleicher Weise beinahe von selbst. Der erkennende Senat erachtet dennoch solche Ansprüche weiterhin für möglich.
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Die ständige Rechtsprechung des für diese Frage allein zuständigen erkennenden Senats verneint grundsätzlich eine Behandlungsbedürftigkeit psychischer Krankheiten mittels angestrebter körperlicher Eingriffe, wenn diese Maßnahmen nicht durch körperliche Fehlfunktionen oder durch Entstellung, also nicht durch einen regelwidrigen Körperzustand veranlasst werden (vgl zB BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 13 - Zisidentität; BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14, RdNr 16; BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr 3, RdNr 5; BSGE 82, 158, 163 f = SozR 3-2500 § 39 Nr 5 S 29 f, jeweils mwN). In Bezug auf Operationen am - krankenversicherungsrechtlich betrachtet - gesunden Körper, die psychische Leiden beeinflussen sollen, lässt sich ausgehend von der aufgezeigten Rechtsprechung grundsätzlich eine Behandlungsbedürftigkeit nicht begründen (näher dazu BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 13 mwN - Zisidentität).
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Auch allein das subjektive Empfinden eines Versicherten vermag die Regelwidrigkeit und die daraus abgeleitete Behandlungsbedürftigkeit seines Zustandes nicht zu bestimmen. Maßgeblich sind vielmehr objektive Kriterien, nämlich der allgemein anerkannte Stand der medizinischen Erkenntnisse (§ 2 Abs 1 S 3, § 28 Abs 1 S 1 SGB V; vgl zur Gesetz- und Verfassungsmäßigkeit BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 23 mwN) und - bei der Frage, ob eine Entstellung besteht - der objektive Zustand einer körperlichen Auffälligkeit von so beachtlicher Erheblichkeit, dass sie die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft gefährdet (BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14 LS und RdNr 13 f). Andernfalls würde der Krankheitsbegriff über Gebühr relativiert und an Konturen verlieren. Es würde nicht gezielt gegen die eigentliche Krankheit selbst vorgegangen, sondern nur mittelbar die Besserung eines an sich einem anderen Bereich zugehörigen gesundheitlichen Defizits angestrebt (vgl zum Ganzen BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 14 mwN - Zisidentität). Daran hält der Senat fest.
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Der Senat hat allerdings bisher unter Hinweis auf die Regelungen des TSG eine Ausnahme von den dargestellten Grundsätzen in dem hier betroffenen Bereich im Falle einer besonders tief greifenden Form des Transsexualismus gemacht. Er hat in diesen Fällen einen Anspruch auf medizinisch indizierte Hormonbehandlung und geschlechtsangleichende Operationen bejaht (vgl zum Ganzen BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 15 - Zisidentität),zugleich aber auch - neben § 27 Abs 1 S 1 SGB V - dem Regelungskonzept des TSG Grenzen der Reichweite des Anspruchs auf Krankenbehandlung entnommen(vgl BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 17 - Zisidentität). Die Ansprüche auf geschlechtsangleichende Operationen sind danach beschränkt auf einen Zustand, bei dem aus der Sicht eines verständigen Betrachters eine deutliche Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechts eintritt (vgl BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 15 unter Hinweis ua auf § 8 Abs 1 Nr 4 TSG).
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Der erkennende Senat führt seine Rechtsprechung im Kern trotz der Entscheidung des BVerfG fort, § 8 Abs 1 Nr 4 TSG mit Art 2 Abs 1 und Art 2 Abs 2 iVm Art 1 Abs 1 GG für nicht vereinbar und bis zum Inkrafttreten einer gesetzlichen Neuregelung für nicht anwendbar zu erklären(vgl BVerfGE 128, 109 = NJW 2011, 909). Das BVerfG zielt mit seiner Entscheidung nämlich nur darauf ab, Transsexuelle vor unverhältnismäßigen Belastungen zu schützen. Es sieht - nach näherer Maßgabe der Entscheidungsgründe - die von § 8 Abs 1 Nr 4 TSG zum Erreichen personenstandsrechtlicher Änderungen zwingend vorgegebene deutliche Annäherung der transsexuellen Person an die körperliche Erscheinung des angestrebten anderen Geschlechts im Sinne einer genitalverändernden Operation angesichts der damit verbundenen gesundheitlichen Risiken als unzumutbar an. Es ist danach unzumutbar, von einem Transsexuellen zu verlangen, dass er sich derartigen risikoreichen, mit möglicherweise dauerhaften gesundheitlichen Schädigungen und Beeinträchtigungen verbundenen Operationen unterzieht, wenn sie medizinisch nicht indiziert sind, um damit die Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit seiner Transsexualität unter Beweis zu stellen und die personenstandsrechtliche Anerkennung im empfundenen Geschlecht zu erhalten (BVerfGE 128, 109, 131 f = NJW 2011, 909, RdNr 70). Die operativen Eingriffe als solche stellen dagegen bei wirksamer Einwilligung des Transsexuellen keinen Verstoß gegen seine Menschenwürde, sein Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit und das Sittengesetz dar (vgl zu Letzterem bereits BVerfGE 49, 286, 299 f). Unverändert kann bei Transsexuellen eine Operation zur Herbeiführung einer deutlichen Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechts eine gebotene medizinische Maßnahme sein (BVerfGE 128, 109, 132 = NJW 2011, 909, RdNr 66; vgl auch zur Gesetzesentwicklung und zu § 116b Abs 1 S 2 Nr 2 Buchst i SGB V idF des GKV-VStG oben II 1 a).
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c) Ein Anspruch Versicherter auf geschlechtsangleichende Operationen am - krankenversicherungsrechtlich betrachtet - gesunden Körper zur Behandlung des Transsexualismus bedarf danach zunächst der medizinischen Indikation. Die geschlechtsangleichende Operation muss zudem zur Behandlung erforderlich sein. Daran fehlt es, wenn zum Erreichen der in § 27 Abs 1 S 1 SGB V genannten Therapieziele Behandlungsmaßnahmen ausreichen, die ein Leben im anderen Geschlecht ohne somatische Maßnahmen unterstützen oder sich auf hormonelle Behandlungen ohne Operationen beschränken. Die Erfüllung dieser Voraussetzungen kann nicht losgelöst von der inneren Reichweite des Anspruchs überprüft werden (dazu 2.).
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2. Die Reichweite des Anspruchs Transsexueller auf Krankenbehandlung (§ 27 Abs 1 S 1 SGB V)im Sinne von geschlechtsangleichender Behandlung kann nach der dargelegten Rechtsprechung des BVerfG nicht mehr unter Rückgriff auf Wertungen des § 8 Abs 1 Nr 4 TSG eingegrenzt werden. Das Ausmaß des Anspruchs Transsexueller auf geschlechtsangleichende Behandlung bestimmt sich nunmehr unter Einbeziehung der Wertungen des § 116b Abs 1 S 2 Nr 2 Buchst i SGB V idF des GKV-VStG auf der Basis der allgemeinen und besonderen Voraussetzungen des Anspruchs auf Krankenbehandlung(vgl dazu Hauck, NZS 2007, 461) nach den medizinischen Kriterien des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse (dazu a). Für das erforderliche Ausmaß der Behandlung ist dagegen nicht auf das Erscheinungsbild des Betroffenen im gesellschaftlichen Alltag in dem Sinne abzustellen, dass dem Anspruch bereits mit der Behebung einer Entstellung Genüge getan ist (dazu b).
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a) Besteht eine Indikation für eine begehrte geschlechtsangleichende Operation transsexueller Versicherter, bestimmen vornehmlich objektivierte medizinische Kriterien das erforderliche Ausmaß. Hierbei ist vor allem die Zielsetzung der Therapie zu berücksichtigen, den Leidensdruck der Betroffenen durch solche operativen Eingriffe zu lindern, die darauf gerichtet sind, das körperlich bestehende Geschlecht dem empfundenen Geschlecht anzunähern, es diesem näherungsweise anzupassen.
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Die Begrenzung auf eine bloße Annäherung des körperlichen Erscheinungsbildes an das gefühlte Geschlecht ergibt sich nicht nur aus den faktischen Schranken, die hormonelle Therapie und plastische Chirurgie setzen. Die Einräumung von Ansprüchen für transsexuelle Versicherte führen unverändert nicht dazu, Betroffenen Anspruch auf jegliche Art von geschlechtsangleichenden operativen Maßnahmen im Sinne einer optimalen Annäherung an ein vermeintliches Idealbild und ohne Einhaltung der durch das Recht der GKV vorgegebenen allgemeinen Grenzen einzuräumen (vgl schon bisher BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 15 - Zisidentität; BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr 3, RdNr 11). Die Ansprüche sind vielmehr beschränkt auf einen Zustand, der aus der Sicht eines verständigen Betrachters dem Erscheinungsbild des anderen Geschlechts deutlich angenähert ist.
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Der Anspruch auf Krankenbehandlung hat sich nach § 27 Abs 1 S 1 SGB V iVm § 2 Abs 1 S 3, § 2 Abs 4, § 12 Abs 1 SGB V daran auszurichten, welche Behandlung unter Beachtung des umfassenden Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit notwendig und ausreichend ist, um das angestrebte, in § 27 Abs 1 S 1 SGB V bezeichnete Behandlungsziel zu erreichen. Hierzu ist unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse nicht nur dem Grunde nach, wie das LSG insoweit zutreffend ausgeführt hat, sondern auch dem Umfang nach zu ermitteln, welche Reichweite der Therapie indiziert ist.
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In Abkehr von den bisherigen Überlegungen, Transsexuellen zum Erreichen personenstandsrechtlicher Änderungen nach § 8 Abs 1 Nr 4 TSG (bisherige Fassung) eine genitalverändernde Operation abzuverlangen, können sich hierbei die gebotenen individuellen operativen Therapieansätze lediglich auf MAP ohne genitalverändernde Operationen beschränken. Denn neuere wissenschaftliche Erkenntnisse stützen die Relativierung des Operationswunsches in seiner Bedeutung für Diagnose und Therapie Transsexueller (vgl BVerfGE 128, 109 = NJW 2011, 909, RdNr 35 mwN). Insoweit muss aber medizinisch abgeklärt sein, dass die begehrte Therapie - MAP - geeignet, ausreichend und erforderlich, im Rahmen gleichwertiger Alternativen zudem im engeren Sinne wirtschaftlich ist. Auch der Operationswunsch hinsichtlich einer MAP darf nicht eine Lösungsschablone für etwa verborgene andere psychische Störungen oder Unbehagen mit etablierten Geschlechtsrollenbildern sein, sondern muss aufgrund des Transsexualismus indiziert sein.
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Ist - wie hier - bereits eine genitalverändernde Operation durchgeführt worden, ist vorbehaltlich besonderer Umstände eine erneute Prüfung entbehrlich, ob die Linderung des aus dem Transsexualismus resultierenden psychischen Leidensdrucks allein durch nicht operative Behandlungsmaßnahmen noch in ausreichendem Umfang möglich ist. Dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG sind derartige besondere Umstände nicht zu entnehmen. Davon zu unterscheiden ist die nach rechtlichen Maßstäben zu beantwortende Frage, ob eine MAP im Sinne der Annäherung an das Erscheinungsbild des angestrebten anderen Geschlechts noch objektiv erforderlich ist (näher dazu unter II. 3.).
- 26
-
b) Der gegenüber der bisherigen Rechtslage geänderte rechtliche Ausgangspunkt des Anspruchs Transsexueller auf geschlechtsangleichende Behandlung schließt es aus, die Reichweite des Anspruchs primär anhand von Kriterien des Behandlungsanspruchs wegen Entstellung zu umreißen. Eine Entstellung begründet einen Anspruch auf Krankenbehandlung wegen einer körperlichen, nicht psychischen Krankheit (vgl zum Ganzen grundlegend BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14, RdNr 13 f mwN). Innerer Grund des Anspruchs Transsexueller auf geschlechtsangleichende Operationen ist es dagegen nicht, eine Entstellung zu heilen oder zu lindern. Ein solcher Anspruch, der bei Entstellung für alle Versicherte, auch für transsexuelle Versicherte besteht, bleibt hiervon unberührt.
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3. Das LSG-Urteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als zutreffend. Es steht nicht fest, dass die Klägerin einen Brustumfang hat, der eine MAP nicht mehr erforderlich macht.
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Ansprüche Transsexueller auf geschlechtsangleichende Behandlung im Sinne medizinisch indizierter MAP sind zusätzlich durch das objektive Erscheinungsbild des Brustumfangs begrenzt. Die hierdurch gezogenen Grenzen sind allerdings weiter, als sie durch die oben dargelegte Rechtsprechung zur Entstellung gezogen sind. Wer als Mann-zu-Frau-Transsexueller - etwa aufgrund einer Hormontherapie - einen Brustansatz entwickelt hat, der die für konfektionierte Damenoberbekleidung vorgesehene Größe A nach DIN EN 13402 bei erfolgter Ausatmung im Rahmen normaler Messung ohne weitere Mittel voll ausfüllt, kann keine MAP beanspruchen (vgl zu DIN EN 13402: Größenbezeichnung von Bekleidung (2001) http://www.beuth.de/langanzeige/DIN-EN-13402-1/de/38031428). Das damit erreichte körperliche Erscheinungsbild bewegt sich nämlich - trotz der großen Vielfalt der Phänotypen bei Männern und Frauen - in einem unzweifelhaft geschlechtstypischen Bereich.
- 29
-
Die Grenze trägt auch dem Gleichbehandlungsgebot gemäß Art 3 Abs 1 GG Rechnung. Die Grenzziehung vermeidet es, transsexuellen Versicherten einen umfassenden leistungsrechtlichen Zugang zu kosmetischen Operationen zu eröffnen, der nicht transsexuellen Versicherten von vornherein versperrt ist (vgl dazu zB BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14, RdNr 13 mwN).
- 30
-
Das LSG hat hierzu - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen getroffen. Die Klägerin bestreitet die Entwicklung eines Brustansatzes, der nach den dargelegten Kriterien einen Anspruch auf eine MAP ausschließt. Danach wird das LSG festzustellen haben, dass die Klägerin keinen Brustansatz entwickelt hat, der nach den dargelegten Kriterien einen Anspruch auf eine MAP ausschließt.
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4. Die Kostenentscheidung bleibt dem LSG vorbehalten.
(1) Versicherte haben Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfaßt
- 1.
Ärztliche Behandlung einschließlich Psychotherapie als ärztliche und psychotherapeutische Behandlung, - 2.
zahnärztliche Behandlung, - 2a.
Versorgung mit Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und Suprakonstruktionen, - 3.
Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln sowie mit digitalen Gesundheitsanwendungen, - 4.
häusliche Krankenpflege, außerklinische Intensivpflege und Haushaltshilfe, - 5.
Krankenhausbehandlung, - 6.
Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und ergänzende Leistungen.
(1a) Spender von Organen oder Geweben oder von Blut zur Separation von Blutstammzellen oder anderen Blutbestandteilen (Spender) haben bei einer nach den §§ 8 und 8a des Transplantationsgesetzes erfolgenden Spende von Organen oder Geweben oder im Zusammenhang mit einer im Sinne von § 9 des Transfusionsgesetzes erfolgenden Spende zum Zwecke der Übertragung auf Versicherte (Entnahme bei lebenden Spendern) Anspruch auf Leistungen der Krankenbehandlung. Dazu gehören die ambulante und stationäre Behandlung der Spender, die medizinisch erforderliche Vor- und Nachbetreuung, Leistungen zur medizinischen Rehabilitation sowie die Erstattung des Ausfalls von Arbeitseinkünften als Krankengeld nach § 44a und erforderlicher Fahrkosten; dies gilt auch für Leistungen, die über die Leistungen nach dem Dritten Kapitel dieses Gesetzes, auf die ein Anspruch besteht, hinausgehen, soweit sie vom Versicherungsschutz des Spenders umfasst sind. Zuzahlungen sind von den Spendern nicht zu leisten. Zuständig für Leistungen nach den Sätzen 1 und 2 ist die Krankenkasse der Empfänger von Organen, Geweben oder Blutstammzellen sowie anderen Blutbestandteilen (Empfänger). Im Zusammenhang mit der Spende von Knochenmark nach den §§ 8 und 8a des Transplantationsgesetzes, von Blutstammzellen oder anderen Blutbestandteilen nach § 9 des Transfusionsgesetzes können die Erstattung der erforderlichen Fahrkosten des Spenders und die Erstattung der Entgeltfortzahlung an den Arbeitgeber nach § 3a Absatz 2 Satz 1 des Entgeltfortzahlungsgesetzes einschließlich der Befugnis zum Erlass der hierzu erforderlichen Verwaltungsakte auf Dritte übertragen werden. Das Nähere kann der Spitzenverband Bund der Krankenkassen mit den für die nationale und internationale Suche nach nichtverwandten Spendern von Blutstammzellen aus Knochenmark oder peripherem Blut maßgeblichen Organisationen vereinbaren. Für die Behandlung von Folgeerkrankungen der Spender ist die Krankenkasse der Spender zuständig, sofern der Leistungsanspruch nicht nach § 11 Absatz 5 ausgeschlossen ist. Ansprüche nach diesem Absatz haben auch nicht gesetzlich krankenversicherte Personen. Die Krankenkasse der Spender ist befugt, die für die Leistungserbringung nach den Sätzen 1 und 2 erforderlichen personenbezogenen Daten an die Krankenkasse oder das private Krankenversicherungsunternehmen der Empfänger zu übermitteln; dies gilt auch für personenbezogene Daten von nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz Krankenversicherungspflichtigen. Die nach Satz 9 übermittelten Daten dürfen nur für die Erbringung von Leistungen nach den Sätzen 1 und 2 verarbeitet werden. Die Datenverarbeitung nach den Sätzen 9 und 10 darf nur mit schriftlicher Einwilligung der Spender, der eine umfassende Information vorausgegangen ist, erfolgen.
(2) Versicherte, die sich nur vorübergehend im Inland aufhalten, Ausländer, denen eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 bis 5 des Aufenthaltsgesetzes erteilt wurde, sowie
- 1.
asylsuchende Ausländer, deren Asylverfahren noch nicht unanfechtbar abgeschlossen ist, - 2.
Vertriebene im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 2 und 3 des Bundesvertriebenengesetzes sowie Spätaussiedler im Sinne des § 4 des Bundesvertriebenengesetzes, ihre Ehegatten, Lebenspartner und Abkömmlinge im Sinne des § 7 Abs. 2 des Bundesvertriebenengesetzes haben Anspruch auf Versorgung mit Zahnersatz, wenn sie unmittelbar vor Inanspruchnahme mindestens ein Jahr lang Mitglied einer Krankenkasse (§ 4) oder nach § 10 versichert waren oder wenn die Behandlung aus medizinischen Gründen ausnahmsweise unaufschiebbar ist.
Tenor
-
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 8. Dezember 2011 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
- 1
-
Die Beteiligten streiten über die Versorgung der Klägerin mit einer Mamma-Augmentationsplastik (MAP).
- 2
-
Die 1949 als Mann geborene, bei der beklagten Krankenkasse (KK) versicherte Klägerin wird infolge eines Mann-zu-Frau-Transsexualismus seit März 2005 mit weiblichen Hormonen behandelt. Die Beklagte bewilligte der Klägerin eine geschlechtsangleichende Genitaloperation, die im Oktober 2007 erfolgte, lehnte aber eine MAP ab (Bescheide vom 28.6.2007 und 14.8.2008, Widerspruchsbescheid vom 8.12.2008). Die Brustgröße der Klägerin stelle keinen regelwidrigen Körperzustand dar. Der psychische Leidensdruck der Klägerin sei psychiatrisch oder psychotherapeutisch zu behandeln. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 24.3.2010). Mit ihrer Berufung hat die Klägerin geltend gemacht, trotz der Hormonbehandlung wirke ihre Brust eher männlich. Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen: Der Leidensdruck, der Klägerin, abweichend vom biologischen Geschlecht als Angehöriger des anderen Geschlechts erkannt und anerkannt zu werden, sei eine behandlungsbedürftige Krankheit. Das Behandlungsziel einer nach dem gesamten Erscheinungsbild deutlichen Annäherung an das empfundene Geschlecht sei aber bei dem schlanken Erscheinungsbild der Klägerin mit einer natürlich wirkenden Brust insgesamt erreicht. Für diese auf einen Befundbericht und die Wahrnehmung in der mündlichen Verhandlung gestützte Einschätzung habe es keines medizinischen Fachwissens und keines Sachverständigenbeweises bedurft (Urteil vom 8.12.2011).
- 3
-
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 27 Abs 1 S 1 SGB V und des § 103 SGG. Ihr Anspruch auf Krankenbehandlung wegen Transsexualismus umfasse aufgrund der gegebenen medizinischen Indikation auch eine MAP. Sie könne nicht auf die Verwendung von Hilfsmitteln wie zB BH-Einlagen verwiesen werden. Das LSG hätte - wie beantragt - zum Erscheinungsbild ihrer Brust Beweis durch Sachverständige erheben müssen.
- 4
-
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 8. Dezember 2011 und das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 24. März 2010 aufzuheben sowie die Bescheide der Beklagten vom 28. Juni 2007 und 14. August 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Dezember 2008 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin mit einer beidseitigen Mamma-Augmentationsplastik zu versorgen,
hilfsweise,
das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 8. Dezember 2011 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
- 5
-
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
- 6
-
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Entscheidungsgründe
- 7
-
Die zulässige Revision der Klägerin ist im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170 Abs 2 S 2 SGG). Das angefochtene LSG-Urteil ist aufzuheben, denn es verletzt materielles Recht. Die unangegriffenen, den Senat bindenden (§ 163 SGG) Feststellungen des LSG reichen nicht aus, um abschließend über den geltend gemachten Anspruch auf Versorgung mit einer MAP aus § 27 Abs 1 S 1 SGB V zu entscheiden. Der von der Klägerin bereits durch die Hormonbehandlung erreichte Brustumfang steht nicht fest, so dass der Senat nicht die Erforderlichkeit der von der Klägerin begehrten MAP beurteilen kann.
- 8
-
Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, dass transsexuelle Versicherte nach § 27 Abs 1 SGB V Anspruch auf geschlechtsangleichende Behandlungsmaßnahmen einschließlich chirurgischer Eingriffe in gesunde Organe zur Minderung ihres psychischen Leidensdrucks haben können, um sich dem Erscheinungsbild des angestrebten anderen Geschlechts deutlich anzunähern(dazu 1.). Die Reichweite des Anspruchs auf geschlechtsangleichende Behandlung bestimmt sich auf der Basis der allgemeinen und besonderen Voraussetzungen des Anspruchs auf Krankenbehandlung nach medizinischen Kriterien (dazu 2.). Die Entscheidung des LSG erweist sich weder ganz noch teilweise aus anderen Gründen als zutreffend. Das LSG wird nunmehr das noch Erforderliche aufzuklären haben (dazu 3.).
- 9
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1. Versicherte - wie die Klägerin - haben nach § 27 Abs 1 S 1 SGB V Anspruch auf Krankenbe-handlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Klägerin leidet an Transsexualismus in Gestalt einer psychischen Krankheit, deren Behandlung notwendig ist (dazu a). Obwohl der Anspruch auf Krankenbehandlung psychischer Krankheiten grundsätzlich nicht körperliche Eingriffe in intakte Organsysteme erfasst, können zur notwendigen Krankenbehandlung des Transsexualismus - als Ausnahme von diesem Grundsatz - operative Eingriffe in den gesunden Körper zwecks Veränderung der äußerlich sichtbaren Geschlechtsmerkmale gehören (dazu b). Die genannten operativen Eingriffe in den gesunden Körper müssen medizinisch erforderlich sein (dazu c).
- 10
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a) Grundvoraussetzung des Anspruchs Versicherter auf Krankenbehandlung ist, dass sie an einer Krankheit leiden. Krankheit iS von § 27 Abs 1 S 1 SGB V ist ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht(stRspr, vgl nur BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 10 mwN - Zisidentität; zu Bestrebungen, den Transsexualismus zu "entpathologisieren", vgl LSG Baden-Württemberg Urteil vom 25.1.2012 - L 5 KR 375/10 - Juris RdNr 44). Die Klägerin leidet in diesem Sinne an einer Krankheit, nämlich an behandlungsbedürftigem Transsexualismus.
- 11
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Transsexualismus ist nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse eine psychische Krankheit. Transsexuelle leben in dem irreversiblen und dauerhaften Bewusstsein, dem Geschlecht anzugehören, dem sie aufgrund ihrer äußeren körperlichen Geschlechtsmerkmale zum Zeitpunkt der Geburt nicht zugeordnet wurden (vgl BVerfGE 128, 109 = NJW 2011, 909, RdNr 34 mwN). Für die Diagnose entscheidend ist die Stabilität des transsexuellen Wunsches, der vollständigen psychischen Identifikation mit dem anderen, dem eigenen Körper widersprechenden Geschlecht (vgl BVerfGE 128, 109 = NJW 2011, 909, RdNr 35 unter Hinweis auf Becker/Berner/Dannecker/Richter-Appelt, Zf Sexualforschung 2001, S 258, 260; Pichlo, in: Groß/Neuschaefer-Grube/Steinmetzer, Transsexualität und Intersexualität, Medizinische, ethische, soziale und juristische Aspekte, 2008, S 121). Die ICD-10-GM Version 2012 ordnet Transsexualismus mit dem Schlüssel F64.0 (Störungen der Geschlechtsidentität) dem Kapitel V zu (Psychische und Verhaltensstörungen
) . F64.0 spricht von dem "Wunsch, als Angehöriger des anderen Geschlechtes zu leben und anerkannt zu werden".
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Die Rechtsordnung erkennt Transsexualismus nicht nur personenstandsrechtlich, sondern auch als behandlungsbedürftige Krankheit an. Der Gesetzgeber hat bereits durch Schaffung des Gesetzes über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen (Transsexuellengesetz
) vom 10.9.1980 (BGBl I 1654; zuletzt geändert durch Beschluss des BVerfG vom 11.1.2011 - 1 BvR 3295/07 - BGBl I 224 = BVerfGE 128, 109 = NJW 2011, 909) bestätigt, dass der Befund des Transsexualismus eine außergewöhnliche rechtliche Bewertung rechtfertigt (BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr 3, RdNr 11; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 17). Inzwischen erstreckt das SGB V ausdrücklich die ambulante spezialfachärztliche Versorgung auf die Diagnostik und Behandlung komplexer, schwer therapierbarer Krankheiten, die je nach Krankheit eine spezielle Qualifikation, eine interdisziplinäre Zusammenarbeit und besondere Ausstattungen erfordern. Hierzu gehört ua Transsexualismus als seltene Erkrankung (vgl § 116b Abs 1 S 2 Nr 2 Buchst i SGB V idF durch Art 1 Nr 44 Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherungvom 22.12.2011, BGBl I 2983; vgl dazu BT-Drucks 17/6906 S 81; vgl zuvor Anlage 2 Nr 9 der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die ambulante Behandlung im Krankenhaus nach § 116b SGB V idF vom 18.10.2005, BAnz Nr 7 S 88 vom 11.1.2006, zuletzt geändert am 15.12.2011, BAnz Nr 197 S 4655, in Kraft getreten am 31.12.2011; zur erstmaligen Berücksichtigung des Transsexualismus als seltene Erkrankung im Rahmen des § 116b SGB V aF vgl die Bekanntmachung des GBA über eine Ergänzung des Katalogs nach § 116b Abs 3 SGB V vom 16.3.2004, BAnz Nr 88 S 10 177).
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b) Das Spektrum medizinisch indizierter Krankenbehandlung des Transsexualismus ist mittlerweile - anknüpfend an den Erkenntnisfortschritt über die Erkrankung - weit gefächert. Für erforderlich werden individuelle therapeutische Lösungen erachtet, die von einem Leben im anderen Geschlecht ohne somatische Maßnahmen über hormonelle Behandlungen bis hin zur weitgehenden operativen Geschlechtsangleichung reichen können (vgl BVerfGE 128, 109 = NJW 2011, 909, RdNr 36 unter Hinweis auf Pichlo in Groß/Neuschaefer-Grube/Steinmetzer, Transsexualität und Intersexualität, Medizinische, ethische, soziale und juristische Aspekte, 2008, 119, 122; Rauchfleisch, Transsexualität - Transidentität, 2006, 17; Becker in Kockott/Fahrner, Sexualstörungen, 2004, 153, 180, 181).
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Während notwendige Krankenbehandlung des Transsexualismus auf psychischer Ebene nach den allgemeinen Grundsätzen zur Ermöglichung und Stützung eines Lebens im anderen Geschlecht ohne somatische Maßnahmen unproblematisch von § 27 Abs 1 S 1 SGB V erfasst ist, versteht sich dies für hormonelle Behandlungen bis hin zur weitgehenden operativen Geschlechtsangleichung nicht in gleicher Weise beinahe von selbst. Der erkennende Senat erachtet dennoch solche Ansprüche weiterhin für möglich.
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Die ständige Rechtsprechung des für diese Frage allein zuständigen erkennenden Senats verneint grundsätzlich eine Behandlungsbedürftigkeit psychischer Krankheiten mittels angestrebter körperlicher Eingriffe, wenn diese Maßnahmen nicht durch körperliche Fehlfunktionen oder durch Entstellung, also nicht durch einen regelwidrigen Körperzustand veranlasst werden (vgl zB BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 13 - Zisidentität; BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14, RdNr 16; BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr 3, RdNr 5; BSGE 82, 158, 163 f = SozR 3-2500 § 39 Nr 5 S 29 f, jeweils mwN). In Bezug auf Operationen am - krankenversicherungsrechtlich betrachtet - gesunden Körper, die psychische Leiden beeinflussen sollen, lässt sich ausgehend von der aufgezeigten Rechtsprechung grundsätzlich eine Behandlungsbedürftigkeit nicht begründen (näher dazu BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 13 mwN - Zisidentität).
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Auch allein das subjektive Empfinden eines Versicherten vermag die Regelwidrigkeit und die daraus abgeleitete Behandlungsbedürftigkeit seines Zustandes nicht zu bestimmen. Maßgeblich sind vielmehr objektive Kriterien, nämlich der allgemein anerkannte Stand der medizinischen Erkenntnisse (§ 2 Abs 1 S 3, § 28 Abs 1 S 1 SGB V; vgl zur Gesetz- und Verfassungsmäßigkeit BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 23 mwN) und - bei der Frage, ob eine Entstellung besteht - der objektive Zustand einer körperlichen Auffälligkeit von so beachtlicher Erheblichkeit, dass sie die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft gefährdet (BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14 LS und RdNr 13 f). Andernfalls würde der Krankheitsbegriff über Gebühr relativiert und an Konturen verlieren. Es würde nicht gezielt gegen die eigentliche Krankheit selbst vorgegangen, sondern nur mittelbar die Besserung eines an sich einem anderen Bereich zugehörigen gesundheitlichen Defizits angestrebt (vgl zum Ganzen BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 14 mwN - Zisidentität). Daran hält der Senat fest.
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Der Senat hat allerdings bisher unter Hinweis auf die Regelungen des TSG eine Ausnahme von den dargestellten Grundsätzen in dem hier betroffenen Bereich im Falle einer besonders tief greifenden Form des Transsexualismus gemacht. Er hat in diesen Fällen einen Anspruch auf medizinisch indizierte Hormonbehandlung und geschlechtsangleichende Operationen bejaht (vgl zum Ganzen BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 15 - Zisidentität),zugleich aber auch - neben § 27 Abs 1 S 1 SGB V - dem Regelungskonzept des TSG Grenzen der Reichweite des Anspruchs auf Krankenbehandlung entnommen(vgl BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 17 - Zisidentität). Die Ansprüche auf geschlechtsangleichende Operationen sind danach beschränkt auf einen Zustand, bei dem aus der Sicht eines verständigen Betrachters eine deutliche Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechts eintritt (vgl BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 15 unter Hinweis ua auf § 8 Abs 1 Nr 4 TSG).
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Der erkennende Senat führt seine Rechtsprechung im Kern trotz der Entscheidung des BVerfG fort, § 8 Abs 1 Nr 4 TSG mit Art 2 Abs 1 und Art 2 Abs 2 iVm Art 1 Abs 1 GG für nicht vereinbar und bis zum Inkrafttreten einer gesetzlichen Neuregelung für nicht anwendbar zu erklären(vgl BVerfGE 128, 109 = NJW 2011, 909). Das BVerfG zielt mit seiner Entscheidung nämlich nur darauf ab, Transsexuelle vor unverhältnismäßigen Belastungen zu schützen. Es sieht - nach näherer Maßgabe der Entscheidungsgründe - die von § 8 Abs 1 Nr 4 TSG zum Erreichen personenstandsrechtlicher Änderungen zwingend vorgegebene deutliche Annäherung der transsexuellen Person an die körperliche Erscheinung des angestrebten anderen Geschlechts im Sinne einer genitalverändernden Operation angesichts der damit verbundenen gesundheitlichen Risiken als unzumutbar an. Es ist danach unzumutbar, von einem Transsexuellen zu verlangen, dass er sich derartigen risikoreichen, mit möglicherweise dauerhaften gesundheitlichen Schädigungen und Beeinträchtigungen verbundenen Operationen unterzieht, wenn sie medizinisch nicht indiziert sind, um damit die Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit seiner Transsexualität unter Beweis zu stellen und die personenstandsrechtliche Anerkennung im empfundenen Geschlecht zu erhalten (BVerfGE 128, 109, 131 f = NJW 2011, 909, RdNr 70). Die operativen Eingriffe als solche stellen dagegen bei wirksamer Einwilligung des Transsexuellen keinen Verstoß gegen seine Menschenwürde, sein Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit und das Sittengesetz dar (vgl zu Letzterem bereits BVerfGE 49, 286, 299 f). Unverändert kann bei Transsexuellen eine Operation zur Herbeiführung einer deutlichen Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechts eine gebotene medizinische Maßnahme sein (BVerfGE 128, 109, 132 = NJW 2011, 909, RdNr 66; vgl auch zur Gesetzesentwicklung und zu § 116b Abs 1 S 2 Nr 2 Buchst i SGB V idF des GKV-VStG oben II 1 a).
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c) Ein Anspruch Versicherter auf geschlechtsangleichende Operationen am - krankenversicherungsrechtlich betrachtet - gesunden Körper zur Behandlung des Transsexualismus bedarf danach zunächst der medizinischen Indikation. Die geschlechtsangleichende Operation muss zudem zur Behandlung erforderlich sein. Daran fehlt es, wenn zum Erreichen der in § 27 Abs 1 S 1 SGB V genannten Therapieziele Behandlungsmaßnahmen ausreichen, die ein Leben im anderen Geschlecht ohne somatische Maßnahmen unterstützen oder sich auf hormonelle Behandlungen ohne Operationen beschränken. Die Erfüllung dieser Voraussetzungen kann nicht losgelöst von der inneren Reichweite des Anspruchs überprüft werden (dazu 2.).
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2. Die Reichweite des Anspruchs Transsexueller auf Krankenbehandlung (§ 27 Abs 1 S 1 SGB V)im Sinne von geschlechtsangleichender Behandlung kann nach der dargelegten Rechtsprechung des BVerfG nicht mehr unter Rückgriff auf Wertungen des § 8 Abs 1 Nr 4 TSG eingegrenzt werden. Das Ausmaß des Anspruchs Transsexueller auf geschlechtsangleichende Behandlung bestimmt sich nunmehr unter Einbeziehung der Wertungen des § 116b Abs 1 S 2 Nr 2 Buchst i SGB V idF des GKV-VStG auf der Basis der allgemeinen und besonderen Voraussetzungen des Anspruchs auf Krankenbehandlung(vgl dazu Hauck, NZS 2007, 461) nach den medizinischen Kriterien des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse (dazu a). Für das erforderliche Ausmaß der Behandlung ist dagegen nicht auf das Erscheinungsbild des Betroffenen im gesellschaftlichen Alltag in dem Sinne abzustellen, dass dem Anspruch bereits mit der Behebung einer Entstellung Genüge getan ist (dazu b).
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a) Besteht eine Indikation für eine begehrte geschlechtsangleichende Operation transsexueller Versicherter, bestimmen vornehmlich objektivierte medizinische Kriterien das erforderliche Ausmaß. Hierbei ist vor allem die Zielsetzung der Therapie zu berücksichtigen, den Leidensdruck der Betroffenen durch solche operativen Eingriffe zu lindern, die darauf gerichtet sind, das körperlich bestehende Geschlecht dem empfundenen Geschlecht anzunähern, es diesem näherungsweise anzupassen.
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Die Begrenzung auf eine bloße Annäherung des körperlichen Erscheinungsbildes an das gefühlte Geschlecht ergibt sich nicht nur aus den faktischen Schranken, die hormonelle Therapie und plastische Chirurgie setzen. Die Einräumung von Ansprüchen für transsexuelle Versicherte führen unverändert nicht dazu, Betroffenen Anspruch auf jegliche Art von geschlechtsangleichenden operativen Maßnahmen im Sinne einer optimalen Annäherung an ein vermeintliches Idealbild und ohne Einhaltung der durch das Recht der GKV vorgegebenen allgemeinen Grenzen einzuräumen (vgl schon bisher BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 15 - Zisidentität; BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr 3, RdNr 11). Die Ansprüche sind vielmehr beschränkt auf einen Zustand, der aus der Sicht eines verständigen Betrachters dem Erscheinungsbild des anderen Geschlechts deutlich angenähert ist.
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Der Anspruch auf Krankenbehandlung hat sich nach § 27 Abs 1 S 1 SGB V iVm § 2 Abs 1 S 3, § 2 Abs 4, § 12 Abs 1 SGB V daran auszurichten, welche Behandlung unter Beachtung des umfassenden Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit notwendig und ausreichend ist, um das angestrebte, in § 27 Abs 1 S 1 SGB V bezeichnete Behandlungsziel zu erreichen. Hierzu ist unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse nicht nur dem Grunde nach, wie das LSG insoweit zutreffend ausgeführt hat, sondern auch dem Umfang nach zu ermitteln, welche Reichweite der Therapie indiziert ist.
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In Abkehr von den bisherigen Überlegungen, Transsexuellen zum Erreichen personenstandsrechtlicher Änderungen nach § 8 Abs 1 Nr 4 TSG (bisherige Fassung) eine genitalverändernde Operation abzuverlangen, können sich hierbei die gebotenen individuellen operativen Therapieansätze lediglich auf MAP ohne genitalverändernde Operationen beschränken. Denn neuere wissenschaftliche Erkenntnisse stützen die Relativierung des Operationswunsches in seiner Bedeutung für Diagnose und Therapie Transsexueller (vgl BVerfGE 128, 109 = NJW 2011, 909, RdNr 35 mwN). Insoweit muss aber medizinisch abgeklärt sein, dass die begehrte Therapie - MAP - geeignet, ausreichend und erforderlich, im Rahmen gleichwertiger Alternativen zudem im engeren Sinne wirtschaftlich ist. Auch der Operationswunsch hinsichtlich einer MAP darf nicht eine Lösungsschablone für etwa verborgene andere psychische Störungen oder Unbehagen mit etablierten Geschlechtsrollenbildern sein, sondern muss aufgrund des Transsexualismus indiziert sein.
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Ist - wie hier - bereits eine genitalverändernde Operation durchgeführt worden, ist vorbehaltlich besonderer Umstände eine erneute Prüfung entbehrlich, ob die Linderung des aus dem Transsexualismus resultierenden psychischen Leidensdrucks allein durch nicht operative Behandlungsmaßnahmen noch in ausreichendem Umfang möglich ist. Dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG sind derartige besondere Umstände nicht zu entnehmen. Davon zu unterscheiden ist die nach rechtlichen Maßstäben zu beantwortende Frage, ob eine MAP im Sinne der Annäherung an das Erscheinungsbild des angestrebten anderen Geschlechts noch objektiv erforderlich ist (näher dazu unter II. 3.).
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b) Der gegenüber der bisherigen Rechtslage geänderte rechtliche Ausgangspunkt des Anspruchs Transsexueller auf geschlechtsangleichende Behandlung schließt es aus, die Reichweite des Anspruchs primär anhand von Kriterien des Behandlungsanspruchs wegen Entstellung zu umreißen. Eine Entstellung begründet einen Anspruch auf Krankenbehandlung wegen einer körperlichen, nicht psychischen Krankheit (vgl zum Ganzen grundlegend BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14, RdNr 13 f mwN). Innerer Grund des Anspruchs Transsexueller auf geschlechtsangleichende Operationen ist es dagegen nicht, eine Entstellung zu heilen oder zu lindern. Ein solcher Anspruch, der bei Entstellung für alle Versicherte, auch für transsexuelle Versicherte besteht, bleibt hiervon unberührt.
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3. Das LSG-Urteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als zutreffend. Es steht nicht fest, dass die Klägerin einen Brustumfang hat, der eine MAP nicht mehr erforderlich macht.
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Ansprüche Transsexueller auf geschlechtsangleichende Behandlung im Sinne medizinisch indizierter MAP sind zusätzlich durch das objektive Erscheinungsbild des Brustumfangs begrenzt. Die hierdurch gezogenen Grenzen sind allerdings weiter, als sie durch die oben dargelegte Rechtsprechung zur Entstellung gezogen sind. Wer als Mann-zu-Frau-Transsexueller - etwa aufgrund einer Hormontherapie - einen Brustansatz entwickelt hat, der die für konfektionierte Damenoberbekleidung vorgesehene Größe A nach DIN EN 13402 bei erfolgter Ausatmung im Rahmen normaler Messung ohne weitere Mittel voll ausfüllt, kann keine MAP beanspruchen (vgl zu DIN EN 13402: Größenbezeichnung von Bekleidung (2001) http://www.beuth.de/langanzeige/DIN-EN-13402-1/de/38031428). Das damit erreichte körperliche Erscheinungsbild bewegt sich nämlich - trotz der großen Vielfalt der Phänotypen bei Männern und Frauen - in einem unzweifelhaft geschlechtstypischen Bereich.
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Die Grenze trägt auch dem Gleichbehandlungsgebot gemäß Art 3 Abs 1 GG Rechnung. Die Grenzziehung vermeidet es, transsexuellen Versicherten einen umfassenden leistungsrechtlichen Zugang zu kosmetischen Operationen zu eröffnen, der nicht transsexuellen Versicherten von vornherein versperrt ist (vgl dazu zB BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14, RdNr 13 mwN).
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Das LSG hat hierzu - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen getroffen. Die Klägerin bestreitet die Entwicklung eines Brustansatzes, der nach den dargelegten Kriterien einen Anspruch auf eine MAP ausschließt. Danach wird das LSG festzustellen haben, dass die Klägerin keinen Brustansatz entwickelt hat, der nach den dargelegten Kriterien einen Anspruch auf eine MAP ausschließt.
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4. Die Kostenentscheidung bleibt dem LSG vorbehalten.
(1) Die Krankenkasse darf anstelle der Sach- oder Dienstleistung (§ 2 Abs. 2) Kosten nur erstatten, soweit es dieses oder das Neunte Buch vorsieht.
(2) Versicherte können anstelle der Sach- oder Dienstleistungen Kostenerstattung wählen. Hierüber haben sie ihre Krankenkasse vor Inanspruchnahme der Leistung in Kenntnis zu setzen. Der Leistungserbringer hat die Versicherten vor Inanspruchnahme der Leistung darüber zu informieren, dass Kosten, die nicht von der Krankenkasse übernommen werden, von dem Versicherten zu tragen sind. Eine Einschränkung der Wahl auf den Bereich der ärztlichen Versorgung, der zahnärztlichen Versorgung, den stationären Bereich oder auf veranlasste Leistungen ist möglich. Nicht im Vierten Kapitel genannte Leistungserbringer dürfen nur nach vorheriger Zustimmung der Krankenkasse in Anspruch genommen werden. Eine Zustimmung kann erteilt werden, wenn medizinische oder soziale Gründe eine Inanspruchnahme dieser Leistungserbringer rechtfertigen und eine zumindest gleichwertige Versorgung gewährleistet ist. Die Inanspruchnahme von Leistungserbringern nach § 95b Absatz 3 Satz 1 im Wege der Kostenerstattung ist ausgeschlossen. Anspruch auf Erstattung besteht höchstens in Höhe der Vergütung, die die Krankenkasse bei Erbringung als Sachleistung zu tragen hätte. Die Satzung hat das Verfahren der Kostenerstattung zu regeln. Sie kann dabei Abschläge vom Erstattungsbetrag für Verwaltungskosten in Höhe von höchstens 5 Prozent in Abzug bringen. Im Falle der Kostenerstattung nach § 129 Absatz 1 Satz 6 sind die der Krankenkasse entgangenen Rabatte nach § 130a Absatz 8 sowie die Mehrkosten im Vergleich zur Abgabe eines Arzneimittels nach § 129 Absatz 1 Satz 3 und 5 zu berücksichtigen; die Abschläge sollen pauschaliert werden. Die Versicherten sind an ihre Wahl der Kostenerstattung mindestens ein Kalendervierteljahr gebunden.
(3) Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Die Kosten für selbstbeschaffte Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nach dem Neunten Buch werden nach § 18 des Neunten Buches erstattet. Die Kosten für selbstbeschaffte Leistungen, die durch einen Psychotherapeuten erbracht werden, sind erstattungsfähig, sofern dieser die Voraussetzungen des § 95c erfüllt.
(3a) Die Krankenkasse hat über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des Medizinischen Dienstes, eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten. Der Medizinische Dienst nimmt innerhalb von drei Wochen gutachtlich Stellung. Wird ein im Bundesmantelvertrag für Zahnärzte vorgesehenes Gutachterverfahren gemäß § 87 Absatz 1c durchgeführt, hat die Krankenkasse ab Antragseingang innerhalb von sechs Wochen zu entscheiden; der Gutachter nimmt innerhalb von vier Wochen Stellung. Kann die Krankenkasse Fristen nach Satz 1 oder Satz 4 nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich oder elektronisch mit; für die elektronische Mitteilung gilt § 37 Absatz 2b des Zehnten Buches entsprechend. Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt. Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist die Krankenkasse zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet. Die Krankenkasse berichtet dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen jährlich über die Anzahl der Fälle, in denen Fristen nicht eingehalten oder Kostenerstattungen vorgenommen wurden. Für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation gelten die §§ 14 bis 24 des Neunten Buches zur Koordinierung der Leistungen und zur Erstattung selbst beschaffter Leistungen.
(4) Versicherte sind berechtigt, auch Leistungserbringer in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz anstelle der Sach- oder Dienstleistung im Wege der Kostenerstattung in Anspruch zu nehmen, es sei denn, Behandlungen für diesen Personenkreis im anderen Staat sind auf der Grundlage eines Pauschbetrages zu erstatten oder unterliegen auf Grund eines vereinbarten Erstattungsverzichts nicht der Erstattung. Es dürfen nur solche Leistungserbringer in Anspruch genommen werden, bei denen die Bedingungen des Zugangs und der Ausübung des Berufes Gegenstand einer Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft sind oder die im jeweiligen nationalen System der Krankenversicherung des Aufenthaltsstaates zur Versorgung der Versicherten berechtigt sind. Der Anspruch auf Erstattung besteht höchstens in Höhe der Vergütung, die die Krankenkasse bei Erbringung als Sachleistung im Inland zu tragen hätte. Die Satzung hat das Verfahren der Kostenerstattung zu regeln. Sie hat dabei ausreichende Abschläge vom Erstattungsbetrag für Verwaltungskosten in Höhe von höchstens 5 Prozent vorzusehen sowie vorgesehene Zuzahlungen in Abzug zu bringen. Ist eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit nur in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum möglich, kann die Krankenkasse die Kosten der erforderlichen Behandlung auch ganz übernehmen.
(5) Abweichend von Absatz 4 können in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz Krankenhausleistungen nach § 39 nur nach vorheriger Zustimmung durch die Krankenkassen in Anspruch genommen werden. Die Zustimmung darf nur versagt werden, wenn die gleiche oder eine für den Versicherten ebenso wirksame, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit rechtzeitig bei einem Vertragspartner der Krankenkasse im Inland erlangt werden kann.
(6) § 18 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 gilt in den Fällen der Absätze 4 und 5 entsprechend.
(1) Versicherte haben Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfaßt
- 1.
Ärztliche Behandlung einschließlich Psychotherapie als ärztliche und psychotherapeutische Behandlung, - 2.
zahnärztliche Behandlung, - 2a.
Versorgung mit Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und Suprakonstruktionen, - 3.
Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln sowie mit digitalen Gesundheitsanwendungen, - 4.
häusliche Krankenpflege, außerklinische Intensivpflege und Haushaltshilfe, - 5.
Krankenhausbehandlung, - 6.
Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und ergänzende Leistungen.
(1a) Spender von Organen oder Geweben oder von Blut zur Separation von Blutstammzellen oder anderen Blutbestandteilen (Spender) haben bei einer nach den §§ 8 und 8a des Transplantationsgesetzes erfolgenden Spende von Organen oder Geweben oder im Zusammenhang mit einer im Sinne von § 9 des Transfusionsgesetzes erfolgenden Spende zum Zwecke der Übertragung auf Versicherte (Entnahme bei lebenden Spendern) Anspruch auf Leistungen der Krankenbehandlung. Dazu gehören die ambulante und stationäre Behandlung der Spender, die medizinisch erforderliche Vor- und Nachbetreuung, Leistungen zur medizinischen Rehabilitation sowie die Erstattung des Ausfalls von Arbeitseinkünften als Krankengeld nach § 44a und erforderlicher Fahrkosten; dies gilt auch für Leistungen, die über die Leistungen nach dem Dritten Kapitel dieses Gesetzes, auf die ein Anspruch besteht, hinausgehen, soweit sie vom Versicherungsschutz des Spenders umfasst sind. Zuzahlungen sind von den Spendern nicht zu leisten. Zuständig für Leistungen nach den Sätzen 1 und 2 ist die Krankenkasse der Empfänger von Organen, Geweben oder Blutstammzellen sowie anderen Blutbestandteilen (Empfänger). Im Zusammenhang mit der Spende von Knochenmark nach den §§ 8 und 8a des Transplantationsgesetzes, von Blutstammzellen oder anderen Blutbestandteilen nach § 9 des Transfusionsgesetzes können die Erstattung der erforderlichen Fahrkosten des Spenders und die Erstattung der Entgeltfortzahlung an den Arbeitgeber nach § 3a Absatz 2 Satz 1 des Entgeltfortzahlungsgesetzes einschließlich der Befugnis zum Erlass der hierzu erforderlichen Verwaltungsakte auf Dritte übertragen werden. Das Nähere kann der Spitzenverband Bund der Krankenkassen mit den für die nationale und internationale Suche nach nichtverwandten Spendern von Blutstammzellen aus Knochenmark oder peripherem Blut maßgeblichen Organisationen vereinbaren. Für die Behandlung von Folgeerkrankungen der Spender ist die Krankenkasse der Spender zuständig, sofern der Leistungsanspruch nicht nach § 11 Absatz 5 ausgeschlossen ist. Ansprüche nach diesem Absatz haben auch nicht gesetzlich krankenversicherte Personen. Die Krankenkasse der Spender ist befugt, die für die Leistungserbringung nach den Sätzen 1 und 2 erforderlichen personenbezogenen Daten an die Krankenkasse oder das private Krankenversicherungsunternehmen der Empfänger zu übermitteln; dies gilt auch für personenbezogene Daten von nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz Krankenversicherungspflichtigen. Die nach Satz 9 übermittelten Daten dürfen nur für die Erbringung von Leistungen nach den Sätzen 1 und 2 verarbeitet werden. Die Datenverarbeitung nach den Sätzen 9 und 10 darf nur mit schriftlicher Einwilligung der Spender, der eine umfassende Information vorausgegangen ist, erfolgen.
(2) Versicherte, die sich nur vorübergehend im Inland aufhalten, Ausländer, denen eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 bis 5 des Aufenthaltsgesetzes erteilt wurde, sowie
- 1.
asylsuchende Ausländer, deren Asylverfahren noch nicht unanfechtbar abgeschlossen ist, - 2.
Vertriebene im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 2 und 3 des Bundesvertriebenengesetzes sowie Spätaussiedler im Sinne des § 4 des Bundesvertriebenengesetzes, ihre Ehegatten, Lebenspartner und Abkömmlinge im Sinne des § 7 Abs. 2 des Bundesvertriebenengesetzes haben Anspruch auf Versorgung mit Zahnersatz, wenn sie unmittelbar vor Inanspruchnahme mindestens ein Jahr lang Mitglied einer Krankenkasse (§ 4) oder nach § 10 versichert waren oder wenn die Behandlung aus medizinischen Gründen ausnahmsweise unaufschiebbar ist.
(1) Die Krankenkasse darf anstelle der Sach- oder Dienstleistung (§ 2 Abs. 2) Kosten nur erstatten, soweit es dieses oder das Neunte Buch vorsieht.
(2) Versicherte können anstelle der Sach- oder Dienstleistungen Kostenerstattung wählen. Hierüber haben sie ihre Krankenkasse vor Inanspruchnahme der Leistung in Kenntnis zu setzen. Der Leistungserbringer hat die Versicherten vor Inanspruchnahme der Leistung darüber zu informieren, dass Kosten, die nicht von der Krankenkasse übernommen werden, von dem Versicherten zu tragen sind. Eine Einschränkung der Wahl auf den Bereich der ärztlichen Versorgung, der zahnärztlichen Versorgung, den stationären Bereich oder auf veranlasste Leistungen ist möglich. Nicht im Vierten Kapitel genannte Leistungserbringer dürfen nur nach vorheriger Zustimmung der Krankenkasse in Anspruch genommen werden. Eine Zustimmung kann erteilt werden, wenn medizinische oder soziale Gründe eine Inanspruchnahme dieser Leistungserbringer rechtfertigen und eine zumindest gleichwertige Versorgung gewährleistet ist. Die Inanspruchnahme von Leistungserbringern nach § 95b Absatz 3 Satz 1 im Wege der Kostenerstattung ist ausgeschlossen. Anspruch auf Erstattung besteht höchstens in Höhe der Vergütung, die die Krankenkasse bei Erbringung als Sachleistung zu tragen hätte. Die Satzung hat das Verfahren der Kostenerstattung zu regeln. Sie kann dabei Abschläge vom Erstattungsbetrag für Verwaltungskosten in Höhe von höchstens 5 Prozent in Abzug bringen. Im Falle der Kostenerstattung nach § 129 Absatz 1 Satz 6 sind die der Krankenkasse entgangenen Rabatte nach § 130a Absatz 8 sowie die Mehrkosten im Vergleich zur Abgabe eines Arzneimittels nach § 129 Absatz 1 Satz 3 und 5 zu berücksichtigen; die Abschläge sollen pauschaliert werden. Die Versicherten sind an ihre Wahl der Kostenerstattung mindestens ein Kalendervierteljahr gebunden.
(3) Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Die Kosten für selbstbeschaffte Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nach dem Neunten Buch werden nach § 18 des Neunten Buches erstattet. Die Kosten für selbstbeschaffte Leistungen, die durch einen Psychotherapeuten erbracht werden, sind erstattungsfähig, sofern dieser die Voraussetzungen des § 95c erfüllt.
(3a) Die Krankenkasse hat über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des Medizinischen Dienstes, eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten. Der Medizinische Dienst nimmt innerhalb von drei Wochen gutachtlich Stellung. Wird ein im Bundesmantelvertrag für Zahnärzte vorgesehenes Gutachterverfahren gemäß § 87 Absatz 1c durchgeführt, hat die Krankenkasse ab Antragseingang innerhalb von sechs Wochen zu entscheiden; der Gutachter nimmt innerhalb von vier Wochen Stellung. Kann die Krankenkasse Fristen nach Satz 1 oder Satz 4 nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich oder elektronisch mit; für die elektronische Mitteilung gilt § 37 Absatz 2b des Zehnten Buches entsprechend. Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt. Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist die Krankenkasse zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet. Die Krankenkasse berichtet dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen jährlich über die Anzahl der Fälle, in denen Fristen nicht eingehalten oder Kostenerstattungen vorgenommen wurden. Für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation gelten die §§ 14 bis 24 des Neunten Buches zur Koordinierung der Leistungen und zur Erstattung selbst beschaffter Leistungen.
(4) Versicherte sind berechtigt, auch Leistungserbringer in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz anstelle der Sach- oder Dienstleistung im Wege der Kostenerstattung in Anspruch zu nehmen, es sei denn, Behandlungen für diesen Personenkreis im anderen Staat sind auf der Grundlage eines Pauschbetrages zu erstatten oder unterliegen auf Grund eines vereinbarten Erstattungsverzichts nicht der Erstattung. Es dürfen nur solche Leistungserbringer in Anspruch genommen werden, bei denen die Bedingungen des Zugangs und der Ausübung des Berufes Gegenstand einer Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft sind oder die im jeweiligen nationalen System der Krankenversicherung des Aufenthaltsstaates zur Versorgung der Versicherten berechtigt sind. Der Anspruch auf Erstattung besteht höchstens in Höhe der Vergütung, die die Krankenkasse bei Erbringung als Sachleistung im Inland zu tragen hätte. Die Satzung hat das Verfahren der Kostenerstattung zu regeln. Sie hat dabei ausreichende Abschläge vom Erstattungsbetrag für Verwaltungskosten in Höhe von höchstens 5 Prozent vorzusehen sowie vorgesehene Zuzahlungen in Abzug zu bringen. Ist eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit nur in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum möglich, kann die Krankenkasse die Kosten der erforderlichen Behandlung auch ganz übernehmen.
(5) Abweichend von Absatz 4 können in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz Krankenhausleistungen nach § 39 nur nach vorheriger Zustimmung durch die Krankenkassen in Anspruch genommen werden. Die Zustimmung darf nur versagt werden, wenn die gleiche oder eine für den Versicherten ebenso wirksame, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit rechtzeitig bei einem Vertragspartner der Krankenkasse im Inland erlangt werden kann.
(6) § 18 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 gilt in den Fällen der Absätze 4 und 5 entsprechend.
Tenor
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Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 28. Januar 2014 wird zurückgewiesen.
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Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
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Die Beteiligten streiten über die Kostenerstattung genetischer Präfertilisierungsdiagnostik (Polkörperdiagnostik - PKD).
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Das Erbgut der bei der beklagten Krankenkasse (KK) versicherten, 1978 geborenen Klägerin weist einen X-chromosomal-rezessiven Gendefekt auf. Dieser verursacht bei männlichen Nachkommen eine häufig schon in der dritten Lebensdekade zum Tode führende, zunächst in der Kindheit die Gehfähigkeit und später den gesamten Muskelapparat erfassende Erkrankung mit schwersten Behinderungen (Muskeldystrophie vom Typ Duchenne). Die Klägerin und ihr Ehemann, der an einer Fertilitätsstörung leidet, wollten bei der Verwirklichung ihres Kinderwunsches vermeiden, dass ein Embryo mit diesem Gendefekt gezeugt wird. Mit der PKD wird in Zusammenhang mit In-Vitro-Fertilisations(IVF)-Behandlungszyklen das Erbgut der bei der Reifeteilung der Eizelle entstehenden Polkörper (befruchtungsunfähige, zytoplasmaarme, haploide Zellen) bestimmt, um Rückschlüsse auf das Erbgut der befruchteten Eizelle zu erhalten. Mittels PKD können insbesondere die mit einem X-chromosomalen Gendefekt behafteten, bereits befruchteten, aber sich noch im vorembryonalen Stadium (Vorkernstadium) befindenden Eizellen erkannt und von weiteren Maßnahmen der künstlichen Befruchtung ausgeschlossen werden. Die Beklagte bewilligte der Klägerin Leistungen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft (künstliche Befruchtung), lehnte aber PKD-Leistungen ab (Bescheid vom 15.12.2010, Widerspruchsbescheid vom 11.5.2011). Nach Klageerhebung hat sich die Klägerin IVF-Behandlungszyklen mit PKD auf eigene Kosten selbst verschafft. Das SG hat die Klage auf Kostenerstattung und Freistellung von Kosten für zukünftige PKD-Leistungen abgewiesen (Urteil vom 22.11.2012). Der zweite IVF-Behandlungszyklus hat während des Berufungsverfahrens zur Geburt einer Tochter geführt. Das LSG hat die Berufung der Klägerin, mit der sie zuletzt noch die Erstattung von 10 163,13 Euro PKD-Kosten begehrt hat, zurückgewiesen. Der Klägerin stünden für die Finanzierung der PKD keine Ansprüche gegen die Beklagte zu, weil es sich dabei weder um eine Krankenbehandlung der Klägerin nach § 27 SGB V handele noch die Voraussetzungen für den Anspruch auf künstliche Befruchtung nach § 27a SGB V vorlägen. Die Grundsätze über das Systemversagen kämen mangels einer gesetzlichen Anspruchsgrundlage für die begehrten Leistungen nicht zum Tragen. Der Leistungsausschluss verstoße auch nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Urteil vom 28.1.2014).
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Mit ihrer auf Zahlung von 9730,13 Euro beschränkten Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 27 SGB V. Das LSG habe den Begriff der Krankheit verkannt. Sie sei infolge des Gendefekts krank und habe Anspruch auf Behandlung dieser Krankheit. Teil dieser Krankheit sei die gestörte, der Behandlung bedürftige Funktion, Nachkommen ohne Gendefekt zu zeugen. Diese Fehlfunktion kompensiere die PKD. Nur dadurch werde man dem Programm des Gesetzgebers gerecht, genetisch bedingte, im Erbgang auftretende Erkrankungen zu diagnostizieren und zu behandeln. Jedenfalls bestehe nach § 2 Abs 1a SGB V Anspruch auf Übernahme der PKD-Kosten. Mutter und Embryo seien als Einheit zu sehen. Ein Embryo, der den Gendefekt aufweise, sei aber von Abtreibung und nach der Geburt von schwerem Leiden und frühem Tod bedroht. Dies gelte es zu verhindern.
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Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 28. Januar 2014 und des Sozialgerichts Düsseldorf vom 22. November 2012 aufzuheben sowie den Bescheid der Beklagten vom 15. Dezember 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Mai 2011 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin 9730,13 Euro zu erstatten.
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Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
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Sie hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Revision ist unbegründet. Zu Recht hat das LSG die Berufung der Klägerin gegen das klageabweisende SG-Urteil zurückgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung der im Revisionsverfahren allein noch geltend gemachten 9730,13 Euro Kosten der im Zusammenhang mit zwei IVF-Behandlungszyklen durchgeführten PKD. Die PKD - allein oder wie hier in Kombination mit SGB V-Leistungen zur Überwindung der Fertilitätsstörung eines Ehegatten - unterfällt nicht dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten der selbstverschafften PKD-Leistungen.
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Rechtsgrundlage für die Erstattung der Kosten ist allein § 13 Abs 3 S 1 Fall 2 SGB V(idF durch Art 1 Nr 5 Buchst b Gesetz zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung
vom 21.12.1992, BGBl I 2266). Hat die KK danach eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der KK in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Dieser Kostenerstattungsanspruch reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbstbeschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die KKn allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (stRspr, vgl zB BSGE 79, 125, 126 f = SozR 3-2500 § 13 Nr 11 S 51 f mwN; BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 11 mwN - LITT; BSGE 100, 103 = SozR 4-2500 § 31 Nr 9, RdNr 13 - Lorenzos Öl). Daran fehlt es. Die Klägerin erfüllt weder die Anspruchsvoraussetzungen einer Krankenbehandlung (dazu 1) noch medizinischer Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft im Wege der künstlichen Befruchtung (dazu 2). Die Nichteinbeziehung der PKD in den GKV-Leistungskatalog verstößt nicht gegen Verfassungsrecht (dazu 3).
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1. Als Rechtsgrundlage eines Anspruchs gegen die Beklagte auf Versorgung mit IVF-assoziierter PKD im Rahmen der Krankenbehandlung als Naturalleistung kommt § 27 Abs 1 S 1 und S 2 Nr 1 SGB V sowie S 4 in Betracht. Danach haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst ua ärztliche Behandlung einschließlich Psychotherapie als ärztliche und psychotherapeutische Behandlung. Zur Krankenbehandlung gehören auch Leistungen zur Herstellung der Zeugungs- oder Empfängnisfähigkeit, wenn diese Fähigkeit nicht vorhanden war oder durch Krankheit oder wegen einer durch Krankheit erforderlichen Sterilisation verlorengegangen war. "Krankheit" im Rechtssinne erfordert einen regelwidrigen, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichenden Körper- oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht (stRspr, vgl zB BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 24 RdNr 9; BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14, RdNr 10; BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr 3, RdNr 4 alle mwN).
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Der Senat muss nicht abschließend darüber entscheiden, ob ein Gendefekt, der keine pathophysiologischen Wirkungen beim Träger des Erbguts entfaltet und auch voraussichtlich nicht entfalten wird, aber vererblich ist und uU gravierende Folgen für die Nachkommen haben kann, gleichwohl als gegenwärtig bestehende Krankheit (Konduktoreigenschaft) im Sinne eines regelwidrigen Körper- oder Geisteszustandes anzusehen ist. Selbst wenn die Klägerin wegen ihrer Konduktoreigenschaft hinsichtlich der Muskeldystrophie vom Typ Duchenne als krank anzusehen wäre, ist die von ihr selbst beschaffte PKD keine auf die Behandlung des Gendefekts gerichtete Krankenbehandlung. Durch die PKD-IVF-Behandlung soll bei der Klägerin keine Funktionsbeeinträchtigung erkannt, geheilt, gelindert oder ihre Verschlimmerung verhütet werden (vgl BSG SozR 4-2500 § 18 Nr 7 RdNr 24 - Vitiligo). Die PKD-IVF-Behandlung bezweckt, befruchtete Eizellen im Vorkernstadium zu untersuchen und sie ggf absterben zu lassen, wenn nach ärztlicher Erkenntnis der daraus entstehende Embryo Träger des Gendefekts wird. Wie der erkennende Senat bereits zur Präimplantationsdiagnostik entschieden hat, dient dort die künstliche Erzeugung eines Embryos und dessen Bewertung nach medizinischen Kriterien, um bei ihm und seiner Nachkommenschaft dem Ausbruch schwerwiegender Erbkrankheiten entgegenzuwirken, der Vermeidung zukünftigen Leidens eines eigenständigen Lebewesens, nicht aber der Behandlung eines vorhandenen Leidens. Erst recht gilt nichts anderes für die PKD. § 8 Abs 1 Gesetz zum Schutz von Embryonen (Embryonenschutzgesetz - ESchG) vom 13.12.1990 (BGBl I 2746) bestimmt, dass als Embryo im Sinne des ESchG bereits die befruchtete, entwicklungsfähige menschliche Eizelle vom Zeitpunkt der Kernverschmelzung an gilt, ferner jede einem Embryo entnommene totipotente Zelle, die sich bei Vorliegen der dafür erforderlichen weiteren Voraussetzungen zu teilen und zu einem Individuum zu entwickeln vermag. Die PKD hingegen dient der Ermittlung genetischer Defekte von befruchteten Eizellen der Mutter im Vorkernstadium, also im vorembryonalen Stadium, und erfolgt damit in einem Zeitpunkt vor dem Abschluss der Entstehung neuen Lebens. Die PKD gehört auch nicht zu den Leistungen zur Herstellung der Zeugungsfähigkeit.
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Ein Anspruch der Klägerin auf Früherkennungsuntersuchung (§§ 25 und 26 SGB V) kommt ebenfalls nicht in Betracht: Die PKD bezweckt nicht, die Klägerin zu untersuchen, sondern - wie ausgeführt - befruchtete Eizellen im vorembryonalen Stadium (Vorkernstadium). Eine entsprechende Anwendung des § 24a Abs 2 SGB V (Anspruch auf Versorgung mit empfängnisverhütenden Mitteln oder Notfallkontrazeptiva) scheitert schon aufgrund der mit dieser Vorschrift erfassten völlig anders gelagerten Lebenssachverhalte und Regelungszwecke. Der Gedanke an ein Systemversagen (vgl dazu zB BSGE 113, 241 = SozR 4-2500 § 13 Nr 29 mwN) verbietet sich schon im Ausgangspunkt.
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Gleiches gilt für einen Anspruch nach der grundrechtsorientierten Auslegung des Leistungsrechts (vgl BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 und zB BSG SozR 4-2500 § 18 Nr 8 RdNr 14 mwN zur Rspr; s ferner BSG SozR 4-2500 § 18 Nr 9 RdNr 12 ff) bzw nach § 2 Abs 1a SGB V, der mWv 1.1.2012 (durch Art 1 Nr 1 Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung
vom 22.12.2011, BGBl I 2983) diese Grundsätze kodifiziert hat. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die gezielte Vernichtung von im Werden begriffenem, mit einem definierten Gendefekt belastetem neuen Leben offenkundig keine Maßnahme zu dessen Erhaltung, sondern zu dessen Verhinderung.
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2. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf PKD als Gegenstand der künstlichen Befruchtung, die in § 27a SGB V als GKV-Leistung abschließend geregelt ist. § 27a SGB V setzt als Grund für einen Anspruch auf Leistungen der künstlichen Befruchtung nur die Unfruchtbarkeit des Ehepaares voraus. Die vorgesehenen Maßnahmen müssen zur Herbeiführung der gewünschten Schwangerschaft erforderlich und nach ärztlicher Einschätzung Erfolg versprechend sein. Welche Umstände die Infertilität verursachen und ob ihr eine Krankheit im krankenversicherungsrechtlichen Sinne zugrunde liegt, ist unerheblich. Nicht die Krankheit, sondern die Unfähigkeit des Paares, auf natürlichem Wege Kinder zu zeugen, und die daraus resultierende Notwendigkeit einer künstlichen Befruchtung bildet den Versicherungsfall (stRspr, vgl BSGE 88, 62, 64 = SozR 3-2500 § 27a Nr 3 S 24; BVerfGE 117, 316, 325 f = SozR 4-2500 § 27a Nr 3 RdNr 34; BSG SozR 4-2500 § 27a Nr 5 RdNr 13; BSG SozR 4-2500 § 27a Nr 7 RdNr 14; BSG Urteil vom 18.11.2014 - B 1 KR 19/13 R - Juris RdNr 17, zur Veröffentlichung in SozR 4-1500 § 27 Nr 26 vorgesehen; Hauck SGb 2009, 321, 322 mwN).
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Die PKD ist zur Herbeiführung einer gewünschten Schwangerschaft weder erforderlich noch nach ärztlicher Einschätzung Erfolg versprechend. Sie ist vom Anspruch aus § 27a SGB V nicht umfasst. Ihr Zweck liegt - wie dargelegt - darin, befruchtete Eizellen im Vorkernstadium zu untersuchen und sie ggf absterben zu lassen, wenn sie nach ärztlicher Erkenntnis den die Muskeldystrophie vom Typ Duchenne verursachenden Gendefekt auf dem X-Chromosom der Mutter aufweisen, nicht aber in der Herbeiführung einer Schwangerschaft. Für den Anspruch auf medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft ist es unerheblich, dass die PKD auf den Gesamtvorgang der künstlichen Befruchtung angewiesen ist. Eine PKD ohne beabsichtigte IVF ist medizinisch sinnlos und rechtlich verboten. Nur wer zum Zweck der Herbeiführung einer Schwangerschaft die befruchtete Eizelle im Vorkernstadium untersucht, macht sich nicht nach § 1 Abs 2 ESchG strafbar. Denn nach dieser Vorschrift macht sich strafbar, wer 1. künstlich bewirkt, dass eine menschliche Samenzelle in eine menschliche Eizelle eindringt, oder 2. eine menschliche Samenzelle in eine menschliche Eizelle künstlich verbringt, ohne eine Schwangerschaft der Frau herbeiführen zu wollen, von der die Eizelle stammt (näher dazu Günther in Günther/Taupitz/Kaiser, ESchG, 2. Aufl 2014, C. II. § 1 Abs 2 RdNr 1 ff; zum Ausschluss der PKD aus dem Anwendungsbereich des Gesetzes über genetische Untersuchungen bei Menschen
vgl Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks 16/10532 S 19 f - Zu § 2; s ferner Kern in ders, GenDG, 2012, § 2 RdNr 6; Schillhorn/Heidemann, GenDG, 2011, § 2 RdNr 7). Demgegenüber sind Maßnahmen der künstlichen Befruchtung nicht auf PKD angewiesen. Diese Leistungen erbrachte die Beklagte in Gestalt zweier IVF-Behandlungszyklen. Sie stehen insoweit nicht im Streit.
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3. Die Leistungseingrenzung des § 27a SGB V allein auf medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft ist verfassungsrechtlich unbedenklich. Art 3 Abs 1 GG gebietet es nicht, dass die Gerichte die Behebung einer Fertilitätsstörung mit der Embryonen-Vorauswahl zur Vermeidung erbkranken Nachwuchses bei bestehender Fertilität gleichsetzen (vgl BVerfG
Nichtannahmebeschluss vom 30.11.2001 - 1 BvR 1764/01 - Juris RdNr 2; BSG Urteil vom 18.11.2014 - B 1 KR 19/13 R - Juris RdNr 19, zur Veröffentlichung in SozR 4-1500 § 27 Nr 26 und für BSGE vorgesehen) . Gleiches gilt für die Vorauswahl befruchteter Eizellen im vorembryonalen Stadium (Vorkernstadium).
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Der Verweis der Klägerin darauf, dass eine PKD gegenüber einer grundsätzlich möglichen, zum GKV-Leistungskatalog gehörenden späteren Abtreibung (vgl § 24b SGB V) rechtsethisch vorzugswürdig sei, vermag daran nichts zu ändern und keinen Anspruch auf PKD-Leistungen zu begründen. Der Gesetzgeber ist nicht verpflichtet, jede nicht verbotene Form der "medizinisch unterstützten Erzeugung menschlichen Lebens" (so die Formulierung des Kompetenztitels in Art 74 Abs 1 Nr 26 GG) in den GKV-Leistungskatalog einzubeziehen. § 27a SGB V regelt keinen Kernbereich der Leistungen der GKV, sondern begründet einen eigenständigen Versicherungsfall, vor dem Maßnahmen der Krankenbehandlung Vorrang haben. Es liegt im Rahmen der grundsätzlichen Freiheit des Gesetzgebers, die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen der GKV näher zu bestimmen, auch - wie hier - in einem Grenzbereich zwischen Krankheit und solchen körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen eines Menschen, deren Beseitigung oder Besserung durch Leistungen der GKV nicht von vornherein veranlasst ist (vgl BVerfGE 117, 316, 326 = SozR 4-2500 § 27a Nr 3 RdNr 35).
Tenor
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Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 8. Dezember 2011 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
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Die Beteiligten streiten über die Versorgung der Klägerin mit einer Mamma-Augmentationsplastik (MAP).
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Die 1949 als Mann geborene, bei der beklagten Krankenkasse (KK) versicherte Klägerin wird infolge eines Mann-zu-Frau-Transsexualismus seit März 2005 mit weiblichen Hormonen behandelt. Die Beklagte bewilligte der Klägerin eine geschlechtsangleichende Genitaloperation, die im Oktober 2007 erfolgte, lehnte aber eine MAP ab (Bescheide vom 28.6.2007 und 14.8.2008, Widerspruchsbescheid vom 8.12.2008). Die Brustgröße der Klägerin stelle keinen regelwidrigen Körperzustand dar. Der psychische Leidensdruck der Klägerin sei psychiatrisch oder psychotherapeutisch zu behandeln. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 24.3.2010). Mit ihrer Berufung hat die Klägerin geltend gemacht, trotz der Hormonbehandlung wirke ihre Brust eher männlich. Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen: Der Leidensdruck, der Klägerin, abweichend vom biologischen Geschlecht als Angehöriger des anderen Geschlechts erkannt und anerkannt zu werden, sei eine behandlungsbedürftige Krankheit. Das Behandlungsziel einer nach dem gesamten Erscheinungsbild deutlichen Annäherung an das empfundene Geschlecht sei aber bei dem schlanken Erscheinungsbild der Klägerin mit einer natürlich wirkenden Brust insgesamt erreicht. Für diese auf einen Befundbericht und die Wahrnehmung in der mündlichen Verhandlung gestützte Einschätzung habe es keines medizinischen Fachwissens und keines Sachverständigenbeweises bedurft (Urteil vom 8.12.2011).
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Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 27 Abs 1 S 1 SGB V und des § 103 SGG. Ihr Anspruch auf Krankenbehandlung wegen Transsexualismus umfasse aufgrund der gegebenen medizinischen Indikation auch eine MAP. Sie könne nicht auf die Verwendung von Hilfsmitteln wie zB BH-Einlagen verwiesen werden. Das LSG hätte - wie beantragt - zum Erscheinungsbild ihrer Brust Beweis durch Sachverständige erheben müssen.
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Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 8. Dezember 2011 und das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 24. März 2010 aufzuheben sowie die Bescheide der Beklagten vom 28. Juni 2007 und 14. August 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Dezember 2008 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin mit einer beidseitigen Mamma-Augmentationsplastik zu versorgen,
hilfsweise,
das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 8. Dezember 2011 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
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Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
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Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Revision der Klägerin ist im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170 Abs 2 S 2 SGG). Das angefochtene LSG-Urteil ist aufzuheben, denn es verletzt materielles Recht. Die unangegriffenen, den Senat bindenden (§ 163 SGG) Feststellungen des LSG reichen nicht aus, um abschließend über den geltend gemachten Anspruch auf Versorgung mit einer MAP aus § 27 Abs 1 S 1 SGB V zu entscheiden. Der von der Klägerin bereits durch die Hormonbehandlung erreichte Brustumfang steht nicht fest, so dass der Senat nicht die Erforderlichkeit der von der Klägerin begehrten MAP beurteilen kann.
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Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, dass transsexuelle Versicherte nach § 27 Abs 1 SGB V Anspruch auf geschlechtsangleichende Behandlungsmaßnahmen einschließlich chirurgischer Eingriffe in gesunde Organe zur Minderung ihres psychischen Leidensdrucks haben können, um sich dem Erscheinungsbild des angestrebten anderen Geschlechts deutlich anzunähern(dazu 1.). Die Reichweite des Anspruchs auf geschlechtsangleichende Behandlung bestimmt sich auf der Basis der allgemeinen und besonderen Voraussetzungen des Anspruchs auf Krankenbehandlung nach medizinischen Kriterien (dazu 2.). Die Entscheidung des LSG erweist sich weder ganz noch teilweise aus anderen Gründen als zutreffend. Das LSG wird nunmehr das noch Erforderliche aufzuklären haben (dazu 3.).
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1. Versicherte - wie die Klägerin - haben nach § 27 Abs 1 S 1 SGB V Anspruch auf Krankenbe-handlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Klägerin leidet an Transsexualismus in Gestalt einer psychischen Krankheit, deren Behandlung notwendig ist (dazu a). Obwohl der Anspruch auf Krankenbehandlung psychischer Krankheiten grundsätzlich nicht körperliche Eingriffe in intakte Organsysteme erfasst, können zur notwendigen Krankenbehandlung des Transsexualismus - als Ausnahme von diesem Grundsatz - operative Eingriffe in den gesunden Körper zwecks Veränderung der äußerlich sichtbaren Geschlechtsmerkmale gehören (dazu b). Die genannten operativen Eingriffe in den gesunden Körper müssen medizinisch erforderlich sein (dazu c).
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a) Grundvoraussetzung des Anspruchs Versicherter auf Krankenbehandlung ist, dass sie an einer Krankheit leiden. Krankheit iS von § 27 Abs 1 S 1 SGB V ist ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht(stRspr, vgl nur BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 10 mwN - Zisidentität; zu Bestrebungen, den Transsexualismus zu "entpathologisieren", vgl LSG Baden-Württemberg Urteil vom 25.1.2012 - L 5 KR 375/10 - Juris RdNr 44). Die Klägerin leidet in diesem Sinne an einer Krankheit, nämlich an behandlungsbedürftigem Transsexualismus.
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Transsexualismus ist nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse eine psychische Krankheit. Transsexuelle leben in dem irreversiblen und dauerhaften Bewusstsein, dem Geschlecht anzugehören, dem sie aufgrund ihrer äußeren körperlichen Geschlechtsmerkmale zum Zeitpunkt der Geburt nicht zugeordnet wurden (vgl BVerfGE 128, 109 = NJW 2011, 909, RdNr 34 mwN). Für die Diagnose entscheidend ist die Stabilität des transsexuellen Wunsches, der vollständigen psychischen Identifikation mit dem anderen, dem eigenen Körper widersprechenden Geschlecht (vgl BVerfGE 128, 109 = NJW 2011, 909, RdNr 35 unter Hinweis auf Becker/Berner/Dannecker/Richter-Appelt, Zf Sexualforschung 2001, S 258, 260; Pichlo, in: Groß/Neuschaefer-Grube/Steinmetzer, Transsexualität und Intersexualität, Medizinische, ethische, soziale und juristische Aspekte, 2008, S 121). Die ICD-10-GM Version 2012 ordnet Transsexualismus mit dem Schlüssel F64.0 (Störungen der Geschlechtsidentität) dem Kapitel V zu (Psychische und Verhaltensstörungen
) . F64.0 spricht von dem "Wunsch, als Angehöriger des anderen Geschlechtes zu leben und anerkannt zu werden".
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Die Rechtsordnung erkennt Transsexualismus nicht nur personenstandsrechtlich, sondern auch als behandlungsbedürftige Krankheit an. Der Gesetzgeber hat bereits durch Schaffung des Gesetzes über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen (Transsexuellengesetz
) vom 10.9.1980 (BGBl I 1654; zuletzt geändert durch Beschluss des BVerfG vom 11.1.2011 - 1 BvR 3295/07 - BGBl I 224 = BVerfGE 128, 109 = NJW 2011, 909) bestätigt, dass der Befund des Transsexualismus eine außergewöhnliche rechtliche Bewertung rechtfertigt (BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr 3, RdNr 11; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 17). Inzwischen erstreckt das SGB V ausdrücklich die ambulante spezialfachärztliche Versorgung auf die Diagnostik und Behandlung komplexer, schwer therapierbarer Krankheiten, die je nach Krankheit eine spezielle Qualifikation, eine interdisziplinäre Zusammenarbeit und besondere Ausstattungen erfordern. Hierzu gehört ua Transsexualismus als seltene Erkrankung (vgl § 116b Abs 1 S 2 Nr 2 Buchst i SGB V idF durch Art 1 Nr 44 Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherungvom 22.12.2011, BGBl I 2983; vgl dazu BT-Drucks 17/6906 S 81; vgl zuvor Anlage 2 Nr 9 der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die ambulante Behandlung im Krankenhaus nach § 116b SGB V idF vom 18.10.2005, BAnz Nr 7 S 88 vom 11.1.2006, zuletzt geändert am 15.12.2011, BAnz Nr 197 S 4655, in Kraft getreten am 31.12.2011; zur erstmaligen Berücksichtigung des Transsexualismus als seltene Erkrankung im Rahmen des § 116b SGB V aF vgl die Bekanntmachung des GBA über eine Ergänzung des Katalogs nach § 116b Abs 3 SGB V vom 16.3.2004, BAnz Nr 88 S 10 177).
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b) Das Spektrum medizinisch indizierter Krankenbehandlung des Transsexualismus ist mittlerweile - anknüpfend an den Erkenntnisfortschritt über die Erkrankung - weit gefächert. Für erforderlich werden individuelle therapeutische Lösungen erachtet, die von einem Leben im anderen Geschlecht ohne somatische Maßnahmen über hormonelle Behandlungen bis hin zur weitgehenden operativen Geschlechtsangleichung reichen können (vgl BVerfGE 128, 109 = NJW 2011, 909, RdNr 36 unter Hinweis auf Pichlo in Groß/Neuschaefer-Grube/Steinmetzer, Transsexualität und Intersexualität, Medizinische, ethische, soziale und juristische Aspekte, 2008, 119, 122; Rauchfleisch, Transsexualität - Transidentität, 2006, 17; Becker in Kockott/Fahrner, Sexualstörungen, 2004, 153, 180, 181).
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Während notwendige Krankenbehandlung des Transsexualismus auf psychischer Ebene nach den allgemeinen Grundsätzen zur Ermöglichung und Stützung eines Lebens im anderen Geschlecht ohne somatische Maßnahmen unproblematisch von § 27 Abs 1 S 1 SGB V erfasst ist, versteht sich dies für hormonelle Behandlungen bis hin zur weitgehenden operativen Geschlechtsangleichung nicht in gleicher Weise beinahe von selbst. Der erkennende Senat erachtet dennoch solche Ansprüche weiterhin für möglich.
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Die ständige Rechtsprechung des für diese Frage allein zuständigen erkennenden Senats verneint grundsätzlich eine Behandlungsbedürftigkeit psychischer Krankheiten mittels angestrebter körperlicher Eingriffe, wenn diese Maßnahmen nicht durch körperliche Fehlfunktionen oder durch Entstellung, also nicht durch einen regelwidrigen Körperzustand veranlasst werden (vgl zB BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 13 - Zisidentität; BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14, RdNr 16; BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr 3, RdNr 5; BSGE 82, 158, 163 f = SozR 3-2500 § 39 Nr 5 S 29 f, jeweils mwN). In Bezug auf Operationen am - krankenversicherungsrechtlich betrachtet - gesunden Körper, die psychische Leiden beeinflussen sollen, lässt sich ausgehend von der aufgezeigten Rechtsprechung grundsätzlich eine Behandlungsbedürftigkeit nicht begründen (näher dazu BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 13 mwN - Zisidentität).
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Auch allein das subjektive Empfinden eines Versicherten vermag die Regelwidrigkeit und die daraus abgeleitete Behandlungsbedürftigkeit seines Zustandes nicht zu bestimmen. Maßgeblich sind vielmehr objektive Kriterien, nämlich der allgemein anerkannte Stand der medizinischen Erkenntnisse (§ 2 Abs 1 S 3, § 28 Abs 1 S 1 SGB V; vgl zur Gesetz- und Verfassungsmäßigkeit BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 23 mwN) und - bei der Frage, ob eine Entstellung besteht - der objektive Zustand einer körperlichen Auffälligkeit von so beachtlicher Erheblichkeit, dass sie die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft gefährdet (BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14 LS und RdNr 13 f). Andernfalls würde der Krankheitsbegriff über Gebühr relativiert und an Konturen verlieren. Es würde nicht gezielt gegen die eigentliche Krankheit selbst vorgegangen, sondern nur mittelbar die Besserung eines an sich einem anderen Bereich zugehörigen gesundheitlichen Defizits angestrebt (vgl zum Ganzen BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 14 mwN - Zisidentität). Daran hält der Senat fest.
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Der Senat hat allerdings bisher unter Hinweis auf die Regelungen des TSG eine Ausnahme von den dargestellten Grundsätzen in dem hier betroffenen Bereich im Falle einer besonders tief greifenden Form des Transsexualismus gemacht. Er hat in diesen Fällen einen Anspruch auf medizinisch indizierte Hormonbehandlung und geschlechtsangleichende Operationen bejaht (vgl zum Ganzen BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 15 - Zisidentität),zugleich aber auch - neben § 27 Abs 1 S 1 SGB V - dem Regelungskonzept des TSG Grenzen der Reichweite des Anspruchs auf Krankenbehandlung entnommen(vgl BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 17 - Zisidentität). Die Ansprüche auf geschlechtsangleichende Operationen sind danach beschränkt auf einen Zustand, bei dem aus der Sicht eines verständigen Betrachters eine deutliche Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechts eintritt (vgl BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 15 unter Hinweis ua auf § 8 Abs 1 Nr 4 TSG).
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Der erkennende Senat führt seine Rechtsprechung im Kern trotz der Entscheidung des BVerfG fort, § 8 Abs 1 Nr 4 TSG mit Art 2 Abs 1 und Art 2 Abs 2 iVm Art 1 Abs 1 GG für nicht vereinbar und bis zum Inkrafttreten einer gesetzlichen Neuregelung für nicht anwendbar zu erklären(vgl BVerfGE 128, 109 = NJW 2011, 909). Das BVerfG zielt mit seiner Entscheidung nämlich nur darauf ab, Transsexuelle vor unverhältnismäßigen Belastungen zu schützen. Es sieht - nach näherer Maßgabe der Entscheidungsgründe - die von § 8 Abs 1 Nr 4 TSG zum Erreichen personenstandsrechtlicher Änderungen zwingend vorgegebene deutliche Annäherung der transsexuellen Person an die körperliche Erscheinung des angestrebten anderen Geschlechts im Sinne einer genitalverändernden Operation angesichts der damit verbundenen gesundheitlichen Risiken als unzumutbar an. Es ist danach unzumutbar, von einem Transsexuellen zu verlangen, dass er sich derartigen risikoreichen, mit möglicherweise dauerhaften gesundheitlichen Schädigungen und Beeinträchtigungen verbundenen Operationen unterzieht, wenn sie medizinisch nicht indiziert sind, um damit die Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit seiner Transsexualität unter Beweis zu stellen und die personenstandsrechtliche Anerkennung im empfundenen Geschlecht zu erhalten (BVerfGE 128, 109, 131 f = NJW 2011, 909, RdNr 70). Die operativen Eingriffe als solche stellen dagegen bei wirksamer Einwilligung des Transsexuellen keinen Verstoß gegen seine Menschenwürde, sein Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit und das Sittengesetz dar (vgl zu Letzterem bereits BVerfGE 49, 286, 299 f). Unverändert kann bei Transsexuellen eine Operation zur Herbeiführung einer deutlichen Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechts eine gebotene medizinische Maßnahme sein (BVerfGE 128, 109, 132 = NJW 2011, 909, RdNr 66; vgl auch zur Gesetzesentwicklung und zu § 116b Abs 1 S 2 Nr 2 Buchst i SGB V idF des GKV-VStG oben II 1 a).
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c) Ein Anspruch Versicherter auf geschlechtsangleichende Operationen am - krankenversicherungsrechtlich betrachtet - gesunden Körper zur Behandlung des Transsexualismus bedarf danach zunächst der medizinischen Indikation. Die geschlechtsangleichende Operation muss zudem zur Behandlung erforderlich sein. Daran fehlt es, wenn zum Erreichen der in § 27 Abs 1 S 1 SGB V genannten Therapieziele Behandlungsmaßnahmen ausreichen, die ein Leben im anderen Geschlecht ohne somatische Maßnahmen unterstützen oder sich auf hormonelle Behandlungen ohne Operationen beschränken. Die Erfüllung dieser Voraussetzungen kann nicht losgelöst von der inneren Reichweite des Anspruchs überprüft werden (dazu 2.).
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2. Die Reichweite des Anspruchs Transsexueller auf Krankenbehandlung (§ 27 Abs 1 S 1 SGB V)im Sinne von geschlechtsangleichender Behandlung kann nach der dargelegten Rechtsprechung des BVerfG nicht mehr unter Rückgriff auf Wertungen des § 8 Abs 1 Nr 4 TSG eingegrenzt werden. Das Ausmaß des Anspruchs Transsexueller auf geschlechtsangleichende Behandlung bestimmt sich nunmehr unter Einbeziehung der Wertungen des § 116b Abs 1 S 2 Nr 2 Buchst i SGB V idF des GKV-VStG auf der Basis der allgemeinen und besonderen Voraussetzungen des Anspruchs auf Krankenbehandlung(vgl dazu Hauck, NZS 2007, 461) nach den medizinischen Kriterien des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse (dazu a). Für das erforderliche Ausmaß der Behandlung ist dagegen nicht auf das Erscheinungsbild des Betroffenen im gesellschaftlichen Alltag in dem Sinne abzustellen, dass dem Anspruch bereits mit der Behebung einer Entstellung Genüge getan ist (dazu b).
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a) Besteht eine Indikation für eine begehrte geschlechtsangleichende Operation transsexueller Versicherter, bestimmen vornehmlich objektivierte medizinische Kriterien das erforderliche Ausmaß. Hierbei ist vor allem die Zielsetzung der Therapie zu berücksichtigen, den Leidensdruck der Betroffenen durch solche operativen Eingriffe zu lindern, die darauf gerichtet sind, das körperlich bestehende Geschlecht dem empfundenen Geschlecht anzunähern, es diesem näherungsweise anzupassen.
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Die Begrenzung auf eine bloße Annäherung des körperlichen Erscheinungsbildes an das gefühlte Geschlecht ergibt sich nicht nur aus den faktischen Schranken, die hormonelle Therapie und plastische Chirurgie setzen. Die Einräumung von Ansprüchen für transsexuelle Versicherte führen unverändert nicht dazu, Betroffenen Anspruch auf jegliche Art von geschlechtsangleichenden operativen Maßnahmen im Sinne einer optimalen Annäherung an ein vermeintliches Idealbild und ohne Einhaltung der durch das Recht der GKV vorgegebenen allgemeinen Grenzen einzuräumen (vgl schon bisher BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 20 RdNr 15 - Zisidentität; BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr 3, RdNr 11). Die Ansprüche sind vielmehr beschränkt auf einen Zustand, der aus der Sicht eines verständigen Betrachters dem Erscheinungsbild des anderen Geschlechts deutlich angenähert ist.
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Der Anspruch auf Krankenbehandlung hat sich nach § 27 Abs 1 S 1 SGB V iVm § 2 Abs 1 S 3, § 2 Abs 4, § 12 Abs 1 SGB V daran auszurichten, welche Behandlung unter Beachtung des umfassenden Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit notwendig und ausreichend ist, um das angestrebte, in § 27 Abs 1 S 1 SGB V bezeichnete Behandlungsziel zu erreichen. Hierzu ist unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse nicht nur dem Grunde nach, wie das LSG insoweit zutreffend ausgeführt hat, sondern auch dem Umfang nach zu ermitteln, welche Reichweite der Therapie indiziert ist.
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In Abkehr von den bisherigen Überlegungen, Transsexuellen zum Erreichen personenstandsrechtlicher Änderungen nach § 8 Abs 1 Nr 4 TSG (bisherige Fassung) eine genitalverändernde Operation abzuverlangen, können sich hierbei die gebotenen individuellen operativen Therapieansätze lediglich auf MAP ohne genitalverändernde Operationen beschränken. Denn neuere wissenschaftliche Erkenntnisse stützen die Relativierung des Operationswunsches in seiner Bedeutung für Diagnose und Therapie Transsexueller (vgl BVerfGE 128, 109 = NJW 2011, 909, RdNr 35 mwN). Insoweit muss aber medizinisch abgeklärt sein, dass die begehrte Therapie - MAP - geeignet, ausreichend und erforderlich, im Rahmen gleichwertiger Alternativen zudem im engeren Sinne wirtschaftlich ist. Auch der Operationswunsch hinsichtlich einer MAP darf nicht eine Lösungsschablone für etwa verborgene andere psychische Störungen oder Unbehagen mit etablierten Geschlechtsrollenbildern sein, sondern muss aufgrund des Transsexualismus indiziert sein.
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Ist - wie hier - bereits eine genitalverändernde Operation durchgeführt worden, ist vorbehaltlich besonderer Umstände eine erneute Prüfung entbehrlich, ob die Linderung des aus dem Transsexualismus resultierenden psychischen Leidensdrucks allein durch nicht operative Behandlungsmaßnahmen noch in ausreichendem Umfang möglich ist. Dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG sind derartige besondere Umstände nicht zu entnehmen. Davon zu unterscheiden ist die nach rechtlichen Maßstäben zu beantwortende Frage, ob eine MAP im Sinne der Annäherung an das Erscheinungsbild des angestrebten anderen Geschlechts noch objektiv erforderlich ist (näher dazu unter II. 3.).
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b) Der gegenüber der bisherigen Rechtslage geänderte rechtliche Ausgangspunkt des Anspruchs Transsexueller auf geschlechtsangleichende Behandlung schließt es aus, die Reichweite des Anspruchs primär anhand von Kriterien des Behandlungsanspruchs wegen Entstellung zu umreißen. Eine Entstellung begründet einen Anspruch auf Krankenbehandlung wegen einer körperlichen, nicht psychischen Krankheit (vgl zum Ganzen grundlegend BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14, RdNr 13 f mwN). Innerer Grund des Anspruchs Transsexueller auf geschlechtsangleichende Operationen ist es dagegen nicht, eine Entstellung zu heilen oder zu lindern. Ein solcher Anspruch, der bei Entstellung für alle Versicherte, auch für transsexuelle Versicherte besteht, bleibt hiervon unberührt.
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3. Das LSG-Urteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als zutreffend. Es steht nicht fest, dass die Klägerin einen Brustumfang hat, der eine MAP nicht mehr erforderlich macht.
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Ansprüche Transsexueller auf geschlechtsangleichende Behandlung im Sinne medizinisch indizierter MAP sind zusätzlich durch das objektive Erscheinungsbild des Brustumfangs begrenzt. Die hierdurch gezogenen Grenzen sind allerdings weiter, als sie durch die oben dargelegte Rechtsprechung zur Entstellung gezogen sind. Wer als Mann-zu-Frau-Transsexueller - etwa aufgrund einer Hormontherapie - einen Brustansatz entwickelt hat, der die für konfektionierte Damenoberbekleidung vorgesehene Größe A nach DIN EN 13402 bei erfolgter Ausatmung im Rahmen normaler Messung ohne weitere Mittel voll ausfüllt, kann keine MAP beanspruchen (vgl zu DIN EN 13402: Größenbezeichnung von Bekleidung (2001) http://www.beuth.de/langanzeige/DIN-EN-13402-1/de/38031428). Das damit erreichte körperliche Erscheinungsbild bewegt sich nämlich - trotz der großen Vielfalt der Phänotypen bei Männern und Frauen - in einem unzweifelhaft geschlechtstypischen Bereich.
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Die Grenze trägt auch dem Gleichbehandlungsgebot gemäß Art 3 Abs 1 GG Rechnung. Die Grenzziehung vermeidet es, transsexuellen Versicherten einen umfassenden leistungsrechtlichen Zugang zu kosmetischen Operationen zu eröffnen, der nicht transsexuellen Versicherten von vornherein versperrt ist (vgl dazu zB BSGE 100, 119 = SozR 4-2500 § 27 Nr 14, RdNr 13 mwN).
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Das LSG hat hierzu - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen getroffen. Die Klägerin bestreitet die Entwicklung eines Brustansatzes, der nach den dargelegten Kriterien einen Anspruch auf eine MAP ausschließt. Danach wird das LSG festzustellen haben, dass die Klägerin keinen Brustansatz entwickelt hat, der nach den dargelegten Kriterien einen Anspruch auf eine MAP ausschließt.
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4. Die Kostenentscheidung bleibt dem LSG vorbehalten.
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 7.5.2015 wird zurückgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
- 1
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin gegen die beklagte Krankenkasse einen Anspruch auf Erstattung der Kosten einer selbstbeschafften Brustvergrößerungsoperation in Höhe von 5.015,28 € hat.
- 2
Bei der 1968 geborenen Klägerin besteht ein Mann-zu-Frau-Transsexualismus. Im Dezember 2011 war eine genitalangleichende Operation durchgeführt worden. Unter Vorlage eines Attests der Diplom-Psychologin H beantragte die Klägerin im März 2013 eine Vergrößerung der Brüste auf mindestens Büstenhalter-Körbchengröße A. Die bisherige Hormonbehandlung könne nicht intensiviert werden und habe nur zu einer unzureichenden Brustgröße geführt. Der von der Beklagten beteiligte Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK, Gutachten des Facharztes für Psychiatrie B vom 12.4.2013 und 13.5.2013) kam zu dem Ergebnis, eine medizinische Indikation für brustvergrößernde Maßnahmen liege nicht vor. Aus der von der Klägerin vorgelegten Fotodokumentation ergebe sich, dass eine relevante Asymmetrie der Brüste nicht bestehe; die Brüste zeigten eine weibliche Form, die Brustgröße liege im unteren Normbereich einer weiblichen Brust; bei schlankem Körperbau ergebe sich ein ästhetisches Erscheinungsbild. Eine Entstellung liege nicht vor; es bestehe keine körperliche Auffälligkeit von so beachtlicher Erheblichkeit, dass dadurch die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft gefährdet wäre. Der vorhandene Brustansatz erreiche die für konfektionierte Damenoberbekleidung vorgesehene Größe A nach DIN EN 13402-1. Unter Berufung auf die Beurteilung des MDK lehnte die Beklagte den Antrag ab (Bescheid vom 18.4.2013, Widerspruchsbescheid vom 13.6.2013).
- 3
Hiergegen hat die Klägerin am 22.6.2013 Klage erhoben. Auf Anfrage des Sozialgerichts hat die Klägerin unter Hinweis auf einschlägige Internetausdrucke (Blatt 37 ff. der Gerichtsakte) ausgeführt, Körbchengröße A nach DIN EN 13402 sei erreicht, wenn die Differenz zwischen Brustumfang und Unterbrustumfang 13 cm (lt. Wikipedia, Stichwort Büstenhalter) bzw. 12 bis 14 cm (lt. „buestenhalter.com“) betrage. Im August 2013 hat die Klägerin die Brustvergrößerungsoperation in der M Klinik für Plastische Chirurgie auf eigene Kosten durchführen lassen und für ärztliche Leistungen insgesamt 4.900,28 € sowie weitere 115,00 € für eine im Zusammenhang mit der operativen Maßnahme abgeschlossene Versicherung an die ausführende Klinik gezahlt (insgesamt 5.015,28 €). Die Klägerin hat Fotos ihrer Brust im Zustand vor der Operation vorgelegt (Blatt 30 bis 36 der Gerichtsakte). Die vom Sozialgericht beigezogene Patientenakte der Klinik enthält unter dem Datum 3.6.2011 den Eintrag: „Pat. jetzt 85 A/B -> ausführliches Gespräch über BV“, unter dem 2.4.2013 heißt es: „Pat. wünscht BV + will versuchen, die OP von KK bezahlen zu lassen. Benötigt hierfür Fotos + Brustmaße. Umfang submamär 87 cm, über Mamillen: 94 cm“. Unter dem 1.8.2013 ist in der Patientenakte vermerkt: „Brustumfang 87, Brustumfang über Mamillen 94,5“. In der Operationsvorbereitungsdokumentation ist angegeben: „Brustumfang 95/86,5, BH-Größe 90A“ Auf Anfrage des Sozialgerichts hat der behandelnde Klinikarzt Dr. H mitgeteilt, die Eintragung über die Körbchengröße beziehe sich in der Regel auf Angaben der Patientin. Die Brustmessungen seien an der stehenden Patientin entlang der Brustfalte und entlang der Brustwarze vorgenommen worden, die Maßangaben seien abhängig vom Untersucher und der Atmung der Patientin (tief einatmen oder ausatmen) und könnten bis zu 1 cm plus oder minus variieren; daraus könne nicht geschlossen werden, dass ein Wachstum der Brust stattgefunden habe. Auf Anregung des Sozialgerichts hat die Beklagte ein weiteres Gutachten des Arztes im MDK B vom 16.10.2014 vorgelegt, in dem es heißt: Soweit das Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 11.9.2012 einen Anspruch auf Brustvergrößerung bei Transsexualität verneint habe, wenn der Brustansatz die für konfektionierte Damenoberbekleidung vorgesehene Größe A nach DIN EN 13402 bei erfolgter Ausatmung im Rahmen normaler Messung ohne weitere Hilfsmittel voll ausfülle, werde von einer Kommentierung der Sinnhaftigkeit dieser Kriteriologie abgesehen. Ungeachtet dessen habe die Brustgröße bei der Klägerin vor der Brustvergrößerungsoperation unzweifelhaft in einem geschlechtstypischen Bereich für weibliche Brüste gelegen. Eine medizinische Indikation für eine Brustvergrößerungsoperation habe nicht bestanden.
- 4
Mit Urteil vom 7.5.2015 hat das Sozialgericht Speyer die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die angefochtenen Bescheide der Beklagten seien rechtmäßig. Die Klägerin habe keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Erstattung der Kosten für die im August 2013 durchgeführte Brustvergrößerungsoperation nach § 13 Abs. 3 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V), da sie auch keinen Anspruch nach § 27 SGB V auf die entsprechende Naturalleistung gehabt hätte. Ein Naturalleistungsanspruch bestehe nur, wenn die begehrte Leistung zur Behandlung einer Krankheit bestimmt sei. Eine Krankheit liege nur vor, wenn ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand bestehe, der ärztlicher Behandlung bedürfe oder den Betroffenen arbeitsunfähig mache. Das setze voraus, dass der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt werde oder die anatomische Abweichung entstellend wirke (Hinweis auf BSG 19.10.2004 - B 1 KR 3/03 R). Bei Transsexualismus handle es sich zwar um eine behandlungsbedürftige psychische Krankheit, die unter Berücksichtigung der Regelungen des Transsexuellengesetzes ausnahmsweise einen Anspruch auf medizinisch indizierte Hormonbehandlung und geschlechtsangleichende Operationen begründen könne (Hinweis auf BSG 11.9.2012 - B 1 KR 9/12 R). Der Anspruch auf geschlechtsangleichende Operationen sei jedoch auf die Herbeiführung eines Zustandes begrenzt, bei dem aus der Sicht eines verständigen Betrachters eine deutliche Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechts eintrete. Im vorliegenden Fall sei die von der Klägerin selbstbeschaffte Brustvergrößerungsoperation zur Behandlung des Transsexualismus nicht erforderlich gewesen. Wie sich aus der vorgelegten Fotodokumentation ergebe, habe die Klägerin durch die vorangegangene Hormonbehandlung auch ohne die vorgenommene Operation ein objektives Erscheinungsbild erreicht gehabt, das eine deutliche Annäherung an das Erscheinungsbild des weiblichen Geschlechts dargestellt habe, auch wenn dieses Ergebnis aus Sicht der Klägerin nicht die erwünschte optimale Angleichung an ein vermeintliches Idealbild des weiblichen Geschlechts dargestellt habe. Aus dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 11.9.2012 - B 1 KR 9/12 R - ergebe sich kein weitergehender Anspruch. Nach dieser Entscheidung könne eine Brustvergrößerungsoperation nicht beansprucht werden, wenn eine Mann-zu-Frau-Transsexuelle – etwa aufgrund einer Hormontherapie - einen Brustansatz entwickelt habe, der die für die konfektionierte Damenoberbekleidung vorgesehene Größe A nach DIN EN 13402 bei erfolgter Ausatmung im Rahmen normaler Messung ohne weitere Mittel voll ausfülle, da das damit erreichte körperliche Erscheinungsbild sich trotz der großen Vielfalt der Phänotypen bei Männern und Frauen in einem unzweifelhaft geschlechtstypischen Bereich bewege. Hieraus könne nicht der Umkehrschluss gezogen werden, dass immer dann, wenn der Brustansatz die für die konfektionierte Damenoberbekleidung vorgesehene Körbchengröße A nicht erreiche, die Erforderlichkeit einer Brustvergrößerungsoperation zu bejahen sei. Maßgeblich sei jeweils das objektive Erscheinungsbild. Zudem könne nicht nachvollzogen werden, ob die in der Klinik vorgenommene Messung des Brustumfangs den vom Bundessozialgericht aufgestellten Anforderungen entsprochen habe. Eine detaillierte Dokumentation der Messung liege nicht vor und auf Nachfrage habe der Klinikarzt mitgeteilt, dass die Messung je nach Atmung der Patientin variieren könne. Im Ergebnis könne aber dahinstehen, ob der Brustansatz bei der Klägerin vor der Operation die besagte Größe erreicht gehabt habe, jedenfalls sei nach der Bilddokumentation ein Erscheinungsbild erreicht gewesen, das eine deutliche Annäherung an das weibliche Geschlecht dargestellt habe.
- 5
Gegen das Urteil hat die Klägerin am 29.5.2015 Berufung eingelegt. Sie trägt vor, durch die Hormonbehandlung habe sich lediglich ein minimaler Brustansatz entwickelt. Das werde aus den vorgelegten Fotos deutlich. Zwischen dem Unterbrustumfang von 87 cm und dem Brustumfang über den Mamillen von 94 cm habe lediglich eine Differenz von 7 cm bestanden. Dieser Brustansatz sei in keiner Weise für eine deutliche Annäherung an das Erscheinungsbild des weiblichen Geschlechts hinreichend gewesen. Wegen des nur minimal vorhandenen Brustansatzes habe sie unter einem enormen psychischen Leidensdruck gestanden.
- 6
Die Klägerin beantragt,
- 7
das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 7.5.2015 sowie den Bescheid der Beklagten vom 18.4.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.6.2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an sie 5015,28 € zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
- 10
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
- 11
Zu den weiteren Einzelheiten des Sachverhalts verweist der Senat auf die Gerichtsakte, die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die die Klägerin betreffende Patientenakte der M Klinik für Plastische Chirurgie. Der Inhalt der Akten war Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung.
Entscheidungsgründe
- 12
Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten der selbstbeschafften Brustvergrößerungsoperation. Zur Begründung verweist der Senat gemäß § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf die zutreffenden Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils.
- 13
Das Berufungsvorbringen rechtfertigt keine andere Beurteilung. Der Senat geht mit dem Sozialgericht davon aus, dass sich nicht feststellen lässt, ob die Brustgröße bei der Klägerin vor der Brustvergrößerungsoperation die für konfektionierte Damenoberbekleidung vorgesehene Größe A nach DIN EN 13402 bei erfolgter Ausatmung im Rahmen normaler Messung ohne weitere Mittel voll ausgefüllt hatte und damit den Kriterien entsprochen hatte, bei denen das Bundessozialgericht einen Anspruch auf Brustvergrößerung verneint hat (BSG 11.9.2012 - B 1 KR 3/12 R, juris Rn. 29; B 1 KR 9/12 R, juris Rn. 28; B 1 KR 11/12 R, juris Rn. 27). Soweit der MDK in seinen Gutachten von einer solchen Brustgröße ausgegangen ist, beruht dies allein auf der Anschauung der von der Klägerin vorgelegten Fotos. Eine persönliche Untersuchung der Klägerin durch den MDK mit Messung der Brustgröße lässt sich den Akten nicht entnehmen. Andererseits beruhen die Angaben der Klägerin, die Differenz zwischen Brust- und Unterbrustumfang habe lediglich 7 cm betragen, auf den voroperativen Messungen der behandelnden Klinikärzte. Den entsprechenden Eintragungen in der Patientenakte und der Antwort des Klinikarztes auf die Anfrage des Sozialgerichts lässt sich jedoch nicht entnehmen, ob bei diesen Messungen die vom Bundessozialgericht aufgestellten Anforderungen beachtet wurden, insbesondere ob die Messungen bei erfolgter Ausatmung im Rahmen normaler Messung vorgenommen wurden. Vielmehr hat der Klinikarzt angegeben, dass die Messungen je nach Untersucher und Atmung der Patientin variieren können. Daraus ergibt sich jedenfalls, dass die Klinikärzte bei ihren Messungen kein standardisiertes Verfahren, das den Anforderungen des Bundessozialgerichts genügen würde, angewendet haben. Ungeachtet dessen wird auch in der Literatur darauf hingewiesen, dass Messmethoden mit Schwierigkeiten und Fehlern verbunden sind (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/ Büstenhalter):
- 14
„Jedoch ist die Anatomie des weiblichen Körpers nur bedingt normierbar, und allein die Messung von Brust- und Unterbrustumfang ist oft nicht ausreichend, um eine passende BH-Größe zu finden. Selbst die Messung ist zu wenig standardisiert. Bei Messung des Brustumfangs reichen die Empfehlungen vom Messen im Liegen, über das Messen bei hängenden Brüsten bis hin zur Messung bei angehobenen Brüsten oder Messung in einem gut passenden BH. Erschwerend bei der Wahl der richtigen BH-Größe können neben unterschiedlich großen (asymmetrischen) Brüsten auch zeitlich begrenzte Schwankungen in der Brustgröße sein. Es ist meist nicht angegeben, ob mit einem locker anliegenden oder einem gespannten Maßband gemessen werden soll. Zusätzlich ist der Atemzustand nicht standardisiert. Nach dem Einatmen wird ein deutlich größerer Umfang gemessen als nach dem Ausatmen. BH-Größen, die nach unterschiedlichen Messmethoden und bei unterschiedlicher Füllung der Lunge mit Luft ermittelt werden, variieren bis zu mehreren Größen des Unterbrustbandes und noch deutlicher in der Körbchengröße. …
- 15
Da bei der üblichen Messmethode an zwei verschiedenen Höhen des Rumpfes gemessen wird, der Umfang des Rumpfes zu den Schultern hin im Normalfall aber zunimmt, entsteht ein systematischer Fehler. Athletische Frauen mit ausgeprägt V-förmigem Oberkörper können so bei der traditionellen Bestimmung der BH-Größe einen zu großen Cup erhalten. Einige Messmethoden verwenden daher die Differenz zwischen Brustumfang und Brustkorbumfang (maximaler horizontaler Umfang gemessen bei normaler Atmung und aufrechter Haltung, das Bandmaß über die Schulterblätter, unter den Achseln und über die Brust) zur Ermittlung der Körbchengröße. Im britischen System wird auch der Brustkorbumfang als direktes Maß für die Unterbrustbandgröße verwendet.“
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Die vom Bundessozialgericht aufgestellten Vorgaben für die Messung sind daher nicht geeignet, sämtliche genannten Fehlerquellen zu vermeiden.
- 17
Ungeachtet dessen kann jedoch dahinstehen, ob der Brustansatz der Klägerin vor der Brustvergrößerungsoperation die vom Bundessozialgericht genannte DIN- Körbchengröße A für Büstenhalter ausgefüllt hat. Wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat, kann aus den Entscheidungen des Bundessozialgerichts nicht der Umkehrschluss gezogen werden, dass immer dann, wenn bei Transsexuellen der Brustansatz die DIN-Maße für Körbchengröße A nicht ausfüllt, ein Anspruch auf eine Brustvergrößerungsoperation gegeben ist. Das Bundessozialgericht hat lediglich entschieden, dass bei Erfüllung dieser Voraussetzungen ein Anspruch auf brustvergrößernde Behandlungen nicht (mehr) besteht. Zwar weist das Bundessozialgericht in den zitierten Entscheidungen darauf hin, dass bei Transsexuellen die Reichweite des Anspruchs auf geschlechtsangleichende Behandlung nicht auf die Behebung einer Entstellung beschränkt ist, sondern so zu bestimmen ist, dass die Zielsetzung der Therapie, den Leidensdruck der Betroffenen durch solche operativen Eingriffe zu lindern, nach vornehmlich objektivierten medizinischen Kriterien erreicht wird (BSG 11.9.2012 - 1 KR 9/12 R, juris Rn. 20 ff.). Gleichzeitig betont es, dass Ansprüche auf geschlechtsangleichende Operationen bei Transsexualismus beschränkt sind auf die Herbeiführung eines Zustands, bei dem aus Sicht eines verständigen Betrachters eine deutliche Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechts eintritt (BSG a.a.O. Rn. 17). Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts so zu verstehen, dass auch in Fällen, in denen der Brustansatz die normierte Körbchengröße A nicht ausfüllt, unter Berücksichtigung der Gegebenheiten des Einzelfalls das Erscheinungsbild des Betroffenen bereits dem anderen Geschlecht hinreichend angenähert sein kann und deshalb ein Anspruch auf weitergehende geschlechtsangleichende Behandlungen zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung nicht besteht. Ob dies aus der Sicht eines verständigen Betrachters der Fall ist, haben die Tatsachengerichte durch Inaugenscheinnahme unter Berücksichtigung des Gesamterscheinungsbilds der Betroffenen festzustellen. Auf die subjektiven Wünsche der Betroffenen kommt es dabei nicht entscheidend an. Denn das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz verbietet es, transsexuellen Versicherten einen umfassenderen leistungsrechtlichen Zugang zu kosmetischen Operationen zu eröffnen, der nicht-transsexuellen Versicherten von vornherein versperrt ist (BSG a.a.O. Rn. 29 m.w.N.). Auf Grund der vorgelegten Fotos kommt der Senat - ebenso wie bereits der MDK und das Sozialgericht - zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin bereits vor der Brustvergrößerungsoperation eine hinreichende Annäherung an ein weibliches Erscheinungsbild bestand. Ein Naturalleistungsanspruch auf eine Brustvergrößerung hätte daher nicht bestanden. Deshalb ist auch der Anspruch auf Kostenerstattung ausgeschlossen.
- 19
Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.
(1) Versicherte haben Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfaßt
- 1.
Ärztliche Behandlung einschließlich Psychotherapie als ärztliche und psychotherapeutische Behandlung, - 2.
zahnärztliche Behandlung, - 2a.
Versorgung mit Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und Suprakonstruktionen, - 3.
Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln sowie mit digitalen Gesundheitsanwendungen, - 4.
häusliche Krankenpflege, außerklinische Intensivpflege und Haushaltshilfe, - 5.
Krankenhausbehandlung, - 6.
Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und ergänzende Leistungen.
(1a) Spender von Organen oder Geweben oder von Blut zur Separation von Blutstammzellen oder anderen Blutbestandteilen (Spender) haben bei einer nach den §§ 8 und 8a des Transplantationsgesetzes erfolgenden Spende von Organen oder Geweben oder im Zusammenhang mit einer im Sinne von § 9 des Transfusionsgesetzes erfolgenden Spende zum Zwecke der Übertragung auf Versicherte (Entnahme bei lebenden Spendern) Anspruch auf Leistungen der Krankenbehandlung. Dazu gehören die ambulante und stationäre Behandlung der Spender, die medizinisch erforderliche Vor- und Nachbetreuung, Leistungen zur medizinischen Rehabilitation sowie die Erstattung des Ausfalls von Arbeitseinkünften als Krankengeld nach § 44a und erforderlicher Fahrkosten; dies gilt auch für Leistungen, die über die Leistungen nach dem Dritten Kapitel dieses Gesetzes, auf die ein Anspruch besteht, hinausgehen, soweit sie vom Versicherungsschutz des Spenders umfasst sind. Zuzahlungen sind von den Spendern nicht zu leisten. Zuständig für Leistungen nach den Sätzen 1 und 2 ist die Krankenkasse der Empfänger von Organen, Geweben oder Blutstammzellen sowie anderen Blutbestandteilen (Empfänger). Im Zusammenhang mit der Spende von Knochenmark nach den §§ 8 und 8a des Transplantationsgesetzes, von Blutstammzellen oder anderen Blutbestandteilen nach § 9 des Transfusionsgesetzes können die Erstattung der erforderlichen Fahrkosten des Spenders und die Erstattung der Entgeltfortzahlung an den Arbeitgeber nach § 3a Absatz 2 Satz 1 des Entgeltfortzahlungsgesetzes einschließlich der Befugnis zum Erlass der hierzu erforderlichen Verwaltungsakte auf Dritte übertragen werden. Das Nähere kann der Spitzenverband Bund der Krankenkassen mit den für die nationale und internationale Suche nach nichtverwandten Spendern von Blutstammzellen aus Knochenmark oder peripherem Blut maßgeblichen Organisationen vereinbaren. Für die Behandlung von Folgeerkrankungen der Spender ist die Krankenkasse der Spender zuständig, sofern der Leistungsanspruch nicht nach § 11 Absatz 5 ausgeschlossen ist. Ansprüche nach diesem Absatz haben auch nicht gesetzlich krankenversicherte Personen. Die Krankenkasse der Spender ist befugt, die für die Leistungserbringung nach den Sätzen 1 und 2 erforderlichen personenbezogenen Daten an die Krankenkasse oder das private Krankenversicherungsunternehmen der Empfänger zu übermitteln; dies gilt auch für personenbezogene Daten von nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz Krankenversicherungspflichtigen. Die nach Satz 9 übermittelten Daten dürfen nur für die Erbringung von Leistungen nach den Sätzen 1 und 2 verarbeitet werden. Die Datenverarbeitung nach den Sätzen 9 und 10 darf nur mit schriftlicher Einwilligung der Spender, der eine umfassende Information vorausgegangen ist, erfolgen.
(2) Versicherte, die sich nur vorübergehend im Inland aufhalten, Ausländer, denen eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 bis 5 des Aufenthaltsgesetzes erteilt wurde, sowie
- 1.
asylsuchende Ausländer, deren Asylverfahren noch nicht unanfechtbar abgeschlossen ist, - 2.
Vertriebene im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 2 und 3 des Bundesvertriebenengesetzes sowie Spätaussiedler im Sinne des § 4 des Bundesvertriebenengesetzes, ihre Ehegatten, Lebenspartner und Abkömmlinge im Sinne des § 7 Abs. 2 des Bundesvertriebenengesetzes haben Anspruch auf Versorgung mit Zahnersatz, wenn sie unmittelbar vor Inanspruchnahme mindestens ein Jahr lang Mitglied einer Krankenkasse (§ 4) oder nach § 10 versichert waren oder wenn die Behandlung aus medizinischen Gründen ausnahmsweise unaufschiebbar ist.
(1) Die ärztliche Behandlung umfaßt die Tätigkeit des Arztes, die zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Krankheiten nach den Regeln der ärztlichen Kunst ausreichend und zweckmäßig ist. Zur ärztlichen Behandlung gehört auch die Hilfeleistung anderer Personen, die von dem Arzt angeordnet und von ihm zu verantworten ist. Die Partner der Bundesmantelverträge legen für die ambulante Versorgung beispielhaft fest, bei welchen Tätigkeiten Personen nach Satz 2 ärztliche Leistungen erbringen können und welche Anforderungen an die Erbringung zu stellen sind. Der Bundesärztekammer ist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.
(2) Die zahnärztliche Behandlung umfaßt die Tätigkeit des Zahnarztes, die zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten nach den Regeln der zahnärztlichen Kunst ausreichend und zweckmäßig ist; sie umfasst auch konservierend-chirurgische Leistungen und Röntgenleistungen, die im Zusammenhang mit Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und Suprakonstruktionen erbracht werden. Wählen Versicherte bei Zahnfüllungen eine darüber hinausgehende Versorgung, haben sie die Mehrkosten selbst zu tragen. In diesen Fällen ist von den Kassen die vergleichbare preisgünstigste plastische Füllung als Sachleistung abzurechnen. In Fällen des Satzes 2 ist vor Beginn der Behandlung eine schriftliche Vereinbarung zwischen dem Zahnarzt und dem Versicherten zu treffen. Die Mehrkostenregelung gilt nicht für Fälle, in denen intakte plastische Füllungen ausgetauscht werden. Nicht zur zahnärztlichen Behandlung gehört die kieferorthopädische Behandlung von Versicherten, die zu Beginn der Behandlung das 18. Lebensjahr vollendet haben. Dies gilt nicht für Versicherte mit schweren Kieferanomalien, die ein Ausmaß haben, das kombinierte kieferchirurgische und kieferorthopädische Behandlungsmaßnahmen erfordert. Ebenso gehören funktionsanalytische und funktionstherapeutische Maßnahmen nicht zur zahnärztlichen Behandlung; sie dürfen von den Krankenkassen auch nicht bezuschußt werden. Das Gleiche gilt für implantologische Leistungen, es sei denn, es liegen seltene vom Gemeinsamen Bundesausschuss in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 festzulegende Ausnahmeindikationen für besonders schwere Fälle vor, in denen die Krankenkasse diese Leistung einschließlich der Suprakonstruktion als Sachleistung im Rahmen einer medizinischen Gesamtbehandlung erbringt. Absatz 1 Satz 2 gilt entsprechend.
(3) Die psychotherapeutische Behandlung einer Krankheit wird durch Psychologische Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten nach den §§ 26 und 27 des Psychotherapeutengesetzes und durch Psychotherapeuten nach § 1 Absatz 1 Satz 1 des Psychotherapeutengesetzes (Psychotherapeuten), soweit sie zur psychotherapeutischen Behandlung zugelassen sind, sowie durch Vertragsärzte entsprechend den Richtlinien nach § 92 durchgeführt. Absatz 1 Satz 2 gilt entsprechend. Spätestens nach den probatorischen Sitzungen gemäß § 92 Abs. 6a hat der Psychotherapeut vor Beginn der Behandlung den Konsiliarbericht eines Vertragsarztes zur Abklärung einer somatischen Erkrankung sowie, falls der somatisch abklärende Vertragsarzt dies für erforderlich hält, eines psychiatrisch tätigen Vertragsarztes einzuholen.
(4) (weggefallen)
(1) Versicherte haben Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfaßt
- 1.
Ärztliche Behandlung einschließlich Psychotherapie als ärztliche und psychotherapeutische Behandlung, - 2.
zahnärztliche Behandlung, - 2a.
Versorgung mit Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und Suprakonstruktionen, - 3.
Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln sowie mit digitalen Gesundheitsanwendungen, - 4.
häusliche Krankenpflege, außerklinische Intensivpflege und Haushaltshilfe, - 5.
Krankenhausbehandlung, - 6.
Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und ergänzende Leistungen.
(1a) Spender von Organen oder Geweben oder von Blut zur Separation von Blutstammzellen oder anderen Blutbestandteilen (Spender) haben bei einer nach den §§ 8 und 8a des Transplantationsgesetzes erfolgenden Spende von Organen oder Geweben oder im Zusammenhang mit einer im Sinne von § 9 des Transfusionsgesetzes erfolgenden Spende zum Zwecke der Übertragung auf Versicherte (Entnahme bei lebenden Spendern) Anspruch auf Leistungen der Krankenbehandlung. Dazu gehören die ambulante und stationäre Behandlung der Spender, die medizinisch erforderliche Vor- und Nachbetreuung, Leistungen zur medizinischen Rehabilitation sowie die Erstattung des Ausfalls von Arbeitseinkünften als Krankengeld nach § 44a und erforderlicher Fahrkosten; dies gilt auch für Leistungen, die über die Leistungen nach dem Dritten Kapitel dieses Gesetzes, auf die ein Anspruch besteht, hinausgehen, soweit sie vom Versicherungsschutz des Spenders umfasst sind. Zuzahlungen sind von den Spendern nicht zu leisten. Zuständig für Leistungen nach den Sätzen 1 und 2 ist die Krankenkasse der Empfänger von Organen, Geweben oder Blutstammzellen sowie anderen Blutbestandteilen (Empfänger). Im Zusammenhang mit der Spende von Knochenmark nach den §§ 8 und 8a des Transplantationsgesetzes, von Blutstammzellen oder anderen Blutbestandteilen nach § 9 des Transfusionsgesetzes können die Erstattung der erforderlichen Fahrkosten des Spenders und die Erstattung der Entgeltfortzahlung an den Arbeitgeber nach § 3a Absatz 2 Satz 1 des Entgeltfortzahlungsgesetzes einschließlich der Befugnis zum Erlass der hierzu erforderlichen Verwaltungsakte auf Dritte übertragen werden. Das Nähere kann der Spitzenverband Bund der Krankenkassen mit den für die nationale und internationale Suche nach nichtverwandten Spendern von Blutstammzellen aus Knochenmark oder peripherem Blut maßgeblichen Organisationen vereinbaren. Für die Behandlung von Folgeerkrankungen der Spender ist die Krankenkasse der Spender zuständig, sofern der Leistungsanspruch nicht nach § 11 Absatz 5 ausgeschlossen ist. Ansprüche nach diesem Absatz haben auch nicht gesetzlich krankenversicherte Personen. Die Krankenkasse der Spender ist befugt, die für die Leistungserbringung nach den Sätzen 1 und 2 erforderlichen personenbezogenen Daten an die Krankenkasse oder das private Krankenversicherungsunternehmen der Empfänger zu übermitteln; dies gilt auch für personenbezogene Daten von nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz Krankenversicherungspflichtigen. Die nach Satz 9 übermittelten Daten dürfen nur für die Erbringung von Leistungen nach den Sätzen 1 und 2 verarbeitet werden. Die Datenverarbeitung nach den Sätzen 9 und 10 darf nur mit schriftlicher Einwilligung der Spender, der eine umfassende Information vorausgegangen ist, erfolgen.
(2) Versicherte, die sich nur vorübergehend im Inland aufhalten, Ausländer, denen eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 bis 5 des Aufenthaltsgesetzes erteilt wurde, sowie
- 1.
asylsuchende Ausländer, deren Asylverfahren noch nicht unanfechtbar abgeschlossen ist, - 2.
Vertriebene im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 2 und 3 des Bundesvertriebenengesetzes sowie Spätaussiedler im Sinne des § 4 des Bundesvertriebenengesetzes, ihre Ehegatten, Lebenspartner und Abkömmlinge im Sinne des § 7 Abs. 2 des Bundesvertriebenengesetzes haben Anspruch auf Versorgung mit Zahnersatz, wenn sie unmittelbar vor Inanspruchnahme mindestens ein Jahr lang Mitglied einer Krankenkasse (§ 4) oder nach § 10 versichert waren oder wenn die Behandlung aus medizinischen Gründen ausnahmsweise unaufschiebbar ist.
(1) Versicherte haben Anspruch auf Versorgung mit Heilmitteln, soweit sie nicht nach § 34 ausgeschlossen sind. Ein Anspruch besteht auch auf Versorgung mit Heilmitteln, die telemedizinisch erbracht werden. Für nicht nach Satz 1 ausgeschlossene Heilmittel bleibt § 92 unberührt.
(1a) Der Gemeinsame Bundesausschuss regelt in seiner Richtlinie nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 das Nähere zur Heilmittelversorgung von Versicherten mit langfristigem Behandlungsbedarf. Er hat insbesondere zu bestimmen, wann ein langfristiger Heilmittelbedarf vorliegt, und festzulegen, ob und inwieweit ein Genehmigungsverfahren durchzuführen ist. Ist in der Richtlinie ein Genehmigungsverfahren vorgesehen, so ist über die Anträge innerhalb von vier Wochen zu entscheiden; ansonsten gilt die Genehmigung nach Ablauf der Frist als erteilt. Soweit zur Entscheidung ergänzende Informationen des Antragstellers erforderlich sind, ist der Lauf der Frist bis zum Eingang dieser Informationen unterbrochen.
(1b) Verordnungen, die über die in der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 in Verbindung mit Absatz 6 Satz 1 Nummer 3 geregelte orientierende Behandlungsmenge hinausgehen, bedürfen keiner Genehmigung durch die Krankenkasse.
(1c) (weggefallen)
(2) Versicherte, die das achtzehnte Lebensjahr vollendet haben, haben zu den Kosten der Heilmittel als Zuzahlung den sich nach § 61 Satz 3 ergebenden Betrag an die abgebende Stelle zu leisten. Dies gilt auch, wenn Massagen, Bäder und Krankengymnastik als Bestandteil der ärztlichen Behandlung (§ 27 Absatz 1 Satz 2 Nr. 1) oder bei ambulanter Behandlung in Krankenhäusern, Rehabilitations- oder anderen Einrichtungen abgegeben werden. Die Zuzahlung für die in Satz 2 genannten Heilmittel, die als Bestandteil der ärztlichen Behandlung abgegeben werden, errechnet sich nach den Preisen, die nach § 125 vereinbart oder nach § 125b Absatz 2 festgesetzt worden sind.
(1) Ärztliche oder zahnärztliche Behandlung wird von Ärzten oder Zahnärzten erbracht, soweit nicht in Modellvorhaben nach § 63 Abs. 3c etwas anderes bestimmt ist. Sind Hilfeleistungen anderer Personen erforderlich, dürfen sie nur erbracht werden, wenn sie vom Arzt (Zahnarzt) angeordnet und von ihm verantwortet werden.
(2) Versicherte, die ärztliche, zahnärztliche oder psychotherapeutische Behandlung in Anspruch nehmen, haben dem Arzt, Zahnarzt oder Psychotherapeuten vor Beginn der Behandlung ihre elektronische Gesundheitskarte zum Nachweis der Berechtigung zur Inanspruchnahme von Leistungen auszuhändigen. Ab dem 1. Januar 2024 kann der Versicherte den Nachweis nach Satz 1 auch durch eine digitale Identität nach § 291 Absatz 8 erbringen.
(3) Für die Inanspruchnahme anderer Leistungen stellt die Krankenkasse den Versicherten Berechtigungsscheine aus, soweit es zweckmäßig ist. Der Berechtigungsschein ist vor der Inanspruchnahme der Leistung dem Leistungserbringer auszuhändigen.
(4) In den Berechtigungsscheinen sind die Angaben nach § 291a Absatz 2 Nummer 1 bis 9 und 11, bei befristeter Gültigkeit das Datum des Fristablaufs, aufzunehmen. Weitere Angaben dürfen nicht aufgenommen werden.
(5) In dringenden Fällen kann die elektronische Gesundheitskarte oder der Berechtigungsschein nachgereicht werden.
(6) Jeder Versicherte erhält die elektronische Gesundheitskarte bei der erstmaligen Ausgabe und bei Beginn der Versicherung bei einer Krankenkasse sowie bei jeder weiteren, nicht vom Versicherten verschuldeten erneuten Ausgabe gebührenfrei. Die Krankenkassen haben einem Missbrauch der Karten durch geeignete Maßnahmen entgegenzuwirken. Muß die Karte auf Grund von vom Versicherten verschuldeten Gründen neu ausgestellt werden, kann eine Gebühr von 5 Euro erhoben werden; diese Gebühr ist auch von den nach § 10 Versicherten zu zahlen. Satz 3 gilt entsprechend, wenn die Karte aus vom Versicherten verschuldeten Gründen nicht ausgestellt werden kann und von der Krankenkasse eine zur Überbrückung von Übergangszeiten befristete Ersatzbescheinigung zum Nachweis der Berechtigung zur Inanspruchnahme von Leistungen ausgestellt wird. Die wiederholte Ausstellung einer Bescheinigung nach Satz 4 kommt nur in Betracht, wenn der Versicherte bei der Ausstellung der elektronischen Gesundheitskarte mitwirkt; hierauf ist der Versicherte bei der erstmaligen Ausstellung einer Ersatzbescheinigung hinzuweisen. Die Krankenkasse kann die Aushändigung der elektronischen Gesundheitskarte vom Vorliegen der Meldung nach § 10 Abs. 6 abhängig machen.
Tenor
-
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 26. Januar 2016 wird zurückgewiesen.
-
Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
- 1
-
Die Beteiligten streiten über Erstattung und Freistellung von Kosten einer Psychotherapie.
- 2
-
Die 1969 geborene, Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit beziehende, bei der beklagten Krankenkasse (KK) versicherte Klägerin ist nach schweren, in der Kindheit durch das familiäre Umfeld zugefügten Traumata ua an dissoziativer Störung in der Form einer Multiplen Persönlichkeit(sstörung) erkrankt. Deswegen befand sie sich nach vorausgegangener langjähriger psychiatrischer und psychotherapeutischer Behandlung ua von Juli 2007 bis Mai 2013 in der Behandlung einer Vertragspsychotherapeutin, die der Klägerin die nicht approbierte, als Heilpraktikerin zugelassene Diplom-Psychologin S. (im Folgenden S.) zur Weiterbehandlung empfahl. Die Beklagte lehnte den Antrag der Klägerin (20.9.2013 und 18.10.2013, jeweils mit Eingang bei der Beklagten am 23.10.2013) ab, die Kosten einer Psychotherapie bei S. zu übernehmen (Bescheid vom 25.10.2013, Widerspruchsbescheid vom 8.1.2014). Die Klägerin, die sich nach Klageerhebung ab Oktober 2014 von S. behandeln ließ, ist mit ihrem Begehren beim SG erfolglos geblieben (Urteil vom 28.5.2015). Das LSG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen: Mindestvoraussetzung eines Anspruchs auf Behandlung durch einen Psychologischen Psychotherapeuten sei, dass - anders als hier - der vom Versicherten ausgewählte Therapeut approbiert sei. Dies gelte auch im Falle eines Systemversagens, eines Notfalls oder einer notstandsähnlichen Situation iS von § 2 Abs 1a SGB V. Diese Mindestvoraussetzung sei verfassungskonform (Urteil vom 26.1.2016).
- 3
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Die Klägerin rügt mit ihrer Revision einen Verstoß gegen § 13 Abs 3 und § 28 Abs 3 SGB V. Es liege ein Systemversagen vor, das ausnahmsweise die Übernahme der Kosten einer Behandlung durch eine nicht approbierte, aber fachlich geeignete Diplom-Psychologin rechtfertige. Die Klägerin habe trotz umfänglicher Bemühungen keine wohnortnahe approbierte Psychologische Psychotherapeutin gefunden, die mit der Behandlung ihrer Krankheit vertraut sei und über Behandlungskapazitäten verfüge. S. erfülle die Approbationsvoraussetzungen und verfüge lediglich über keine formale Anerkennung als Psychologische Psychotherapeutin.
- 4
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Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 26. Januar 2016 und des Sozialgerichts Braunschweig vom 28. Mai 2015 sowie den Bescheid der Beklagten vom 25. Oktober 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Januar 2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr 2600 Euro Behandlungskosten für den Zeitraum vom 24. Oktober 2014 bis 16. Dezember 2015 zu erstatten und sie von den Kosten zukünftiger Behandlung durch die Dipl.-Psychologin S. freizustellen.
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Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
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Sie hält die angegriffenen Entscheidungen für zutreffend.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Revision ist unbegründet. Zu Recht hat das LSG die Berufung der Klägerin gegen das klageabweisende SG-Urteil zurückgewiesen. Die Klägerin hat weder Anspruch auf Erstattung von 2600 Euro Kosten für von der Diplom-Psychologin S. bereits erbrachte Behandlungsleistungen noch auf Freistellung von Kosten zukünftiger Behandlung bei S. Rechtsgrundlage für die Erstattung der Kosten ist allein § 13 Abs 3 S 1 Fall 2 SGB V(idF durch Art 1 Nr 5 Buchst b Gesetz zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung
vom 21.12.1992, BGBl I 2266) . Hat die KK danach eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der KK in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Dieser Kostenerstattungsanspruch reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbstbeschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die KKn allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (stRspr, vgl zB BSGE 79, 125, 126 f = SozR 3-2500 § 13 Nr 11 S 51 f mwN; BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 11 mwN - LITT; BSGE 100, 103 = SozR 4-2500 § 31 Nr 9, RdNr 13). Daran fehlt es.
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Der Kostenerstattungsanspruch scheitert trotz des Umstandes, dass das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend der Klägerin während des Berufungsverfahrens aus dem Fonds Sexueller Missbrauch 100 psychotherapeutische Sitzungen bei S. bis zu einem Höchstbetrag von 10 000 Euro bewilligte (Bescheid vom 9.10.2015), allerdings nicht bereits an dem Erfordernis einer fortbestehenden Kostenbelastung. Denn die Bewilligung durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend erfolgte ausdrücklich nur als Vorleistung im Hinblick auf den anhängigen Rechtsstreit. Die bewilligte Leistung soll die Beklagte im Falle ihrer Leistungspflicht - soweit diese reicht - nicht endgültig entlasten (vgl auch BSGE 97, 6 = SozR 4-2500 § 13 Nr 9, RdNr 24). Auch scheitert der Kostenerstattungsanspruch nicht an einer mangelnden Erforderlichkeit der Behandlung. Bislang steht nicht fest, dass die Klägerin keiner weiteren psychotherapeutischen (Langzeit-)Behandlung (§ 27 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB V) bedarf, vielmehr sprechen gewichtige Anhaltspunkte dafür. Das LSG hat aber ausgehend von seiner zutreffenden Rechtsauffassung insoweit zu Recht keine Feststellungen getroffen.
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Die Beklagte darf der Klägerin 2600 Euro Kosten der Behandlung bei S. nicht erstatten, weil sie die von der Klägerin selbstbeschaffte Leistung nicht hätte erbringen dürfen. Die Klägerin hat nach § 28 Abs 3 SGB V keinen Anspruch auf die Behandlung durch Psychotherapeuten, die - wie S. - über keine berufsrechtliche Erlaubnis nach dem Gesetz über die Berufe des Psychologischen Psychotherapeuten und des Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (Psychotherapeutengesetz - PsychThG) vom 16.6.1998 (verkündet als Art 1 Gesetz über die Berufe des Psychologischen Psychotherapeuten und des Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 16.6.1998, BGBl I 1311; hier anzuwenden idF des Art 34a Gesetz zur Verbesserung der Feststellung und Anerkennung im Ausland erworbener Berufsqualifikationen vom 6.12.2011, BGBl I 2515) verfügen und deshalb unter der Berufsbezeichnung Psychologische Psychotherapeuten heilkundliche Psychotherapie nicht erbringen dürfen (dazu 1.). Der auch Kostenerstattungsverfahren erfassende Ausschluss nicht approbierter, als Heilpraktiker tätiger Diplom-Psychologen aus der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) verstößt nicht gegen Verfassungsrecht (dazu 2). Danach scheitert auch der Anspruch der Klägerin auf Freistellung von den Kosten künftiger Behandlung bei S. (dazu 3.).
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1. Die Krankenbehandlung umfasst ärztliche Behandlung einschließlich Psychotherapie als ärztliche und psychotherapeutische Behandlung (§ 27 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB V). Zwingende Voraussetzung ärztlicher und ihr gleichgestellter psychotherapeutischer Krankenbehandlung als ein zentraler Bestandteil des Leistungskatalogs der GKV ist die Approbation der ärztlichen und der psychotherapeutischen Behandler. Dies folgt schon aus dem Wortlaut des § 28 Abs 3 SGB V(dazu a), dem Regelungszusammenhang (dazu b) sowie dem Regelungszweck (dazu c), der im Einklang mit der historischen Entwicklung in der GKV steht, Ansprüche auf Krankenbehandlung von berufsrechtlichen Grundqualifikationen abhängig zu machen, die auch außerhalb der GKV die Berufsausübung regeln (dazu d). Auch im Falle eines Systemversagens besteht kein Anspruch auf Behandlung durch einen nicht approbierten psychotherapeutisch tätigen Behandler (dazu e).
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a) § 28 Abs 3 S 1 SGB V konkretisiert § 27 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB V abschließend dahin, dass die psychotherapeutische Behandlung einer Krankheit nur durch Psychologische Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (Psychotherapeuten), soweit sie zur psychotherapeutischen Behandlung zugelassen sind, sowie durch Vertragsärzte entsprechend den Richtlinien nach § 92 SGB V durchgeführt werden darf.
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b) Die Vorschrift verweist implizit auf den Rechtsbegriff der Psychologischen Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten iS des PsychThG. Denn die sich aus dem PsychThG ergebenden berufsrechtlichen Anforderungen hat sich § 28 Abs 3 S 1 SGB V zu eigen gemacht. Es handelt sich bei den in § 1 Abs 1 PsychThG und in der leistungsrechtlichen Vorschrift des § 28 Abs 3 S 1 SGB V anzutreffenden, gleichlautenden Berufsbezeichnungen nicht um eine bloß zufällige Koinzidenz. § 28 Abs 3 SGB V ist als Art 2 Nr 2 im Gesetz über die Berufe des Psychologischen Psychotherapeuten und des Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 16.6.1998 (BGBl I 1311) gemeinsam mit dem dort als Art 1 geregelten PsychThG und planvoll auf dieses abgestimmt in das SGB V eingefügt worden (vgl auch Begründung des Gesetzentwurfs BT-Drucks 13/8035 S 15 f und S 20). Der Gesetzgeber wollte den Psychotherapeuten iS des PsychThG, aber auch nur diesen, neben den Vertragsärzten den Zugang zur eigenverantwortlichen psychotherapeutischen Krankenbehandlung von Versicherten eröffnen (vgl Begründung des Gesetzentwurfs BT-Drucks 13/8035 S 15 f).
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§ 1 Abs 1 PsychThG bestimmt: "Wer die heilkundliche Psychotherapie unter der Berufsbezeichnung 'Psychologische Psychotherapeutin' oder 'Psychologischer Psychotherapeut' oder die heilkundliche Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie unter der Berufsbezeichnung 'Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin' oder 'Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut' ausüben will, bedarf der Approbation als Psychologischer Psychotherapeut oder Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut. Die vorübergehende Ausübung des Berufs ist auch auf Grund einer befristeten Erlaubnis zulässig. Die Berufsbezeichnungen nach Satz 1 darf nur führen, wer nach Satz 1 oder 2 zur Ausübung der Berufe befugt ist. Die Bezeichnung 'Psychotherapeut' oder 'Psychotherapeutin' darf von anderen Personen als Ärzten, Psychologischen Psychotherapeuten oder Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten nicht geführt werden." Eine Approbation nach § 1 Abs 1 S 1 PsychThG ist auf Antrag zu erteilen, wenn der Antragsteller die vorgeschriebene Ausbildung abgeleistet und die staatliche Prüfung bestanden hat, sich nicht eines Verhaltens schuldig gemacht hat, aus dem sich die Unwürdigkeit oder Unzuverlässigkeit zur Ausübung des Berufs ergibt, nicht in gesundheitlicher Hinsicht zur Ausübung des Berufs ungeeignet ist und über die für die Ausübung der Berufstätigkeit erforderlichen Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt(§ 2 Abs 1 PsychThG). § 5 Abs 1 PsychThG setzt voraus, dass die Ausbildungen zum Psychologischen Psychotherapeuten sowie zum Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten in Vollzeitform jeweils mindestens drei Jahre, in Teilzeitform jeweils mindestens fünf Jahre dauern. Sie bestehen aus einer praktischen Tätigkeit, die von theoretischer und praktischer Ausbildung begleitet wird, und schließen mit Bestehen der staatlichen Prüfung ab. Voraussetzung für den Zugang zu einer Ausbildung zum Psychologischen Psychotherapeuten ist nach § 5 Abs 2 S 1 Nr 1 Buchst a PsychThG - neben gleichgestellten ausländischen Prüfungen - eine im Inland an einer Universität oder gleichstehenden Hochschule bestandene Abschlussprüfung im Studiengang Psychologie, die das Fach Klinische Psychologie einschließt und gemäß § 15 Abs 2 S 1 Hochschulrahmengesetz der Feststellung dient, ob der Student das Ziel des Studiums erreicht hat. Hiernach ist der erfolgreiche Abschluss eines Hochschulstudiums im Studiengang Psychologie eine notwendige fachliche Voraussetzung, die aber allein nicht genügt, um ein vom Gesetzgeber berufsrechtlich für erforderlich gehaltenes fachliches Mindest-Qualifikationsniveau zu erreichen. Hinzukommen muss die in § 5 Abs 1 PsychThG definierte besondere berufsqualifizierende Ausbildung, deren erfolgreicher Abschluss mit der Approbation zur Berufsausübung berechtigt.
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Dem entspricht es krankenversicherungsrechtlich, dass die Aufnahme der Psychotherapeuten in das Arztregister nach § 95c S 1 Nr 1 SGB V die Approbation als Psychotherapeut nach § 2 oder § 12 PsychThG voraussetzt und die Aufnahme in das Arztregister wiederum Voraussetzung für die Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung ist(§ 95 Abs 2 S 1 und 3 SGB V). Danach wird als Psychotherapeut zur vertragsärztlichen Versorgung nur derjenige zugelassen, der - neben dem Nachweis der Qualifikation in den in der GKV anerkannten Behandlungsverfahren (Fachkundenachweis nach § 95c S 1 Nr 2 und S 2 SGB V) - die berufsrechtlichen Voraussetzungen, also die Approbation, erfüllt (vgl auch Begründung des Gesetzentwurfs BT-Drucks 13/8035 S 16 f, S 21
§ 95 abs 2 s 3 nr 1 sgb v> und S 22 § 95c sgb v>).
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c) Das sich aus § 28 Abs 3 SGB V ergebende Erfordernis der Approbation der Psychotherapeuten als Voraussetzung für die eigenverantwortliche Krankenbehandlung Versicherter dient dem Zweck, das Vorliegen der psychotherapeutischen Grundqualifikation nach den Regeln des Berufsrechts nachzuweisen(vgl BSGE 95, 94 RdNr 6 = SozR 4-2500 § 95c Nr 1 RdNr 11). Mit ihr wird ua die fachliche Befähigung zur Ausübung eines akademischen Heilberufes (vgl BSG SozR 4-2500 § 95 Nr 4 RdNr 15), aber insbesondere auch die berufsrechtliche Würdigkeit und die gesundheitliche Eignung belegt. Hierbei handelt es sich insgesamt um Voraussetzungen des öffentlich-rechtlichen Berufsrechts, die dazu dienen, alle Patienten vor fachlich und/oder persönlich ungeeigneten Behandlern zu schützen und möglichen, sich daraus für die Gesundheit der Patienten und die finanziellen Mittel der Kostenträger ergebenden Gefahren vorzubeugen. Die GKV prüft dies nicht eigenständig, sondern knüpft an die Approbation als Ergebnis des Prüfungsvorgangs der zuständigen Landesbehörden an. Die KKn sind weder befugt, diese Grundqualifikation erneut zu überprüfen noch die Approbation durch eine eigene berufsrechtliche Bewertung zu ersetzen (vgl auch rechtsähnlich zur Registerbehörde nach § 95 Abs 2, § 95c SGB V BSGE 95, 94 RdNr 6 = SozR 4-2500 § 95c Nr 1 RdNr 11).
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d) Die Anknüpfung an die Approbation als von anderen staatlichen Stellen durchgeführte Prüfung und Bestätigung der berufsrechtlichen Mindestqualifikation bei Krankenbehandlung durch Behandler in eigener Verantwortung ist ein prägendes Merkmal der GKV von Anbeginn. So sah die RVO schon im Zeitpunkt ihres Inkrafttretens für alle Versicherungszweige in ihrem § 122 vor, dass ärztliche Behandlung iS der RVO nur durch approbierte Ärzte geleistet werden darf. Denn bei ihnen ist in generalisierender Betrachtungsweise - ohne dass im Einzelfall ein Gegenbeweis geführt werden kann - davon auszugehen, dass sie aufgrund ihrer langjährigen theoretischen und praktischen Ausbildung und der Ablegung staatlicher Prüfungen den Anforderungen entsprechen, die für eine effektive, den Wirtschaftlichkeitsmaximen der GKV entsprechende Krankenbehandlung erforderlich sind (vgl BSG Urteil vom 11.10.1994 - 1 RK 26/92 - Juris RdNr 20 = USK 94128). Dementsprechend hatten nichtärztliche Psychotherapeuten unter Geltung der RVO keinen Anspruch auf eigenverantwortliche Behandlung von Versicherten (vgl BSG Urteil vom 11.10.1994 - 1 RK 26/92 - Juris RdNr 18 mwN = USK 94128). Diese Vorschrift ist zwar mit Inkrafttreten des SGB V aufgehoben worden. Auch hat das SGB V in § 15 und § 27 die Approbation als Voraussetzung nicht wieder ausdrücklich erwähnt. Die Rechtslage hat sich mit Inkrafttreten des SGB V jedoch nicht geändert, weil der in den §§ 15 Abs 1, 27 Abs 1 SGB V geregelte Arztvorbehalt mit der Bezugnahme auf den Arzt nur den approbierten Heilbehandler meint. Der in §§ 15 Abs 1 und 27 Abs 1 SGB V geregelte Arztvorbehalt beinhaltet einen generellen Ausschluss nichtärztlicher Heilbehandler von der selbstständigen und eigenverantwortlichen Behandlung der Versicherten der GKV. Die Psychotherapeuten waren bis Ende 1998 Hilfspersonen des approbierten Arztes, die unter dessen Verantwortung bei der Krankenbehandlung der Versicherten mitwirkten ("Delegationsverfahren"; zum "grauen Markt" psychotherapeutischer Leistungserbringung durch nicht am Delegationsverfahren beteiligte Psychologische Psychotherapeuten im Rahmen der GKV vgl Begründung des Gesetzentwurfs des Bundesrats BT-Drucks 13/1206 S 12). Seit 1.1.1999 können Psychotherapeuten eigenverantwortlich und selbstständig psychotherapeutische Krankenbehandlung gleichberechtigt neben Ärzten ausüben (vgl Begründung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P., BT-Drucks 13/8035 S 15). Es ist dann aber - nicht zuletzt wegen des allgemeinen Gleichheitssatzes - zwingend geboten, dass § 28 Abs 3 SGB V durch den impliziten Verweis auf das PsychThG als Mindestqualifikationsniveau die Approbation auch für Psychologische Psychotherapeuten verlangt und sich nur daraus die Gleichstellung mit den approbierten Ärzten rechtfertigt.
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e) Es handelt sich bei dem Erfordernis der Approbation damit nicht bloß um eine spezifisch leistungserbringungsrechtliche Voraussetzung, die im Falle eines Systemversagens verzichtbar wäre, sondern um eine vom SGB V als zwingende berufliche Mindestqualifikation aufgestellte Tatbestandsvoraussetzung für den Behandlungsanspruch.
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2. Der Ausschluss der Heilpraktiker - wie hier der S. - von der selbstständigen Leistungserbringung in der GKV ist mit Art 12 Abs 1 GG zu vereinbaren und verstößt auch nicht gegen Art 3 Abs 1 GG (BVerfGE 78, 155 = SozR 2200 § 368 Nr 11). Das BVerfG hat bezogen auf eine Heilpraktikerbehandlung zudem entschieden, dass sich aus Art 2 Abs 2 S 1 GG kein verfassungsrechtlicher Anspruch Versicherter darauf ergibt, dass ein bestimmter, im SGB V nicht vorgesehener Leistungserbringer im Rahmen der GKV tätig werden darf (BVerfG
Beschluss vom 15.12.1997 - 1 BvR 1953/97 - NJW 1998, 1775). Auch das BSG hat sich mit der Problematik der Erstattungsfähigkeit von Kosten für die Behandlung durch einen Heilpraktiker bereits mehrfach befasst und entschieden, dass der im Recht der GKV geregelte Arztvorbehalt einen generellen Ausschluss nichtärztlicher Heilbehandler von der selbstständigen und eigenverantwortlichen Behandlung der Versicherten beinhaltet und dies verfassungsgemäß ist (BSGE 48, 47 = SozR 2200 § 368 Nr 4; BSGE 72, 227 = SozR 3-2500 § 15 Nr 2; BSG Urteil vom 11.10.1994 - 1 RK 26/92 - Juris = USK 94128; BVerfGE 78, 155 = SozR 2200 § 368 Nr 11). Hieran hält der erkennende Senat fest.
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3. Nach alledem hat die Klägerin auch keinen Anspruch darauf, durch die Beklagte von den Kosten zukünftiger Behandlung durch S. freigestellt zu werden. Die zwischenzeitlich erfolgte Änderung des PsychThG durch Art 6 Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2013/55/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.11.2013 zur Änderung der Richtlinie 2005/36/EG über die Anerkennung von Berufsqualifikationen und der Verordnung (EU) Nr 1024/2012 über die Verwaltungszusammenarbeit mit Hilfe des Binnenmarkt-Informationssystems ("IMI-Verordnung") für bundesrechtlich geregelte Heilberufe und andere Berufe vom 18.4.2016 (BGBl I 886) hat an dem Approbationserfordernis für Psychotherapeuten nichts geändert.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 8. Mai 2008 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Tatbestand
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Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 26.06.2012 geändert. Die Klage wird abgewiesen. Die Beklagte hat der Klägerin die Kosten des Verfahrens zu erstatten.
1
Tatbestand:
2Die Klägerin begehrt die Gewährung einer Nadel- bzw. Elektroepilation als Sachleistung bzw. die Übernahme der dadurch entstehenden Kosten.
3Die 1955 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Aufgrund rechtskräftigen Beschlusses des Amtsgerichts (AG) Dortmund vom 25.03.2008 (302 lll 00/00 T) gehört sie nach § 8 Transsexuellengesetz (TSG) dem weiblichen Geschlecht an. Anfang August 2007 beantragte sie die Übernahme von Kosten der Epilation von Barthaaren. In einem Attest vom 25.06.2007 wies der behandelnde (Haut-) Arzt Q darauf hin, dass eine Hormontherapie bereits eingeleitet worden sei und eine dauerhafte Laser-/BIitzlampenepilation empfohlen werde.
4Die Beklagte erklärte daraufhin, vor einer Entscheidung ihrerseits sei zunächst das Ergebnis des beim AG anhängigen Gerichtsverfahrens zur Änderung des Vornamens abzuwarten. Nach Vorlage des amtsgerichtlichen Beschlusses vom 25.03.2008 (a.a.O.), dem zwei Sachverständigengutachten zu Grunde lagen, erklärte sie in einem Schreiben vom 02.05.2008, eine Iasergestützte Barthaar-Epilation zu finanzieren, wenn aus sozialmedizinischer Sicht die Annahme eines "Versicherungsfalls von Krankheit" begründet werden könne. Hierzu würden weitere medizinische Unterlagen benötigt (u.a. formloser Bericht eines Endokrinologen, formloser Bericht eines Psychotherapeuten, das Original des Attests des Hautarztes Q).
5Mit einem Schreiben vom 07.05.2008 mahnte die Klägerin eine schnellstmögliche Bewilligung an, weil die Barthaare tagtäglich grauer würden, graue Barthaare nicht mittels Laser entfernt werden könnten und dann eine Nachbehandlung im Wege der Nadelepilation erfolgen müsse, die kaum noch jemand ausübe. Ein dementsprechender Antrag werde nachgereicht, wenn er nötig werden sollte.
6Nach Eingang des Befundberichts eines Endokrinologen am 06.06.2008 teilte die Beklagte der Klägerin erst unter dem 24.09.2008 mit, zwischenzeitlich sei eine Grundsatzprüfung erfolgt. Mit Blick auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 10.02.1993 (1 RK 14/92), wonach nicht alle Erscheinungsformen der Transsexualität als Krankheit im versicherungsrechtlichen Sinne verstanden werden könnten, komme nur dann eine Geschlechtsangleichung bzw. Laserepilation der Barthaare in Betracht komme, wenn psychiatrische und psychotherapeutische Mittel das Spannungsverhältnis zwischen dem körperlichen Geschlecht und der seelischen Identifizierung mit dem anderen Geschlecht nicht lindern oder zu beseitigen könnten. Die Klägerin habe entsprechende Nachweise noch nicht erbracht.
7Der behandelnde Facharzt für Psychotherapie Dr. T vermochte dies in einem Schreiben vom 06.10.2008 nicht nachzuvollziehen und wies auf die bereits von ihm vorgelegten Unterlagen hin. Eine Reaktion der Beklagten erfolgte trotz eines Schreibens des Bevollmächtigten der Klägerin vom 24.10.2008 nicht.
8Anfang Dezember 2008 beantragte die Klägerin die Übernahme der Kosten einer geschlechtsangleichenden Operation. Nach neuerlicher anwaltlicher Intervention beauftragte die Beklagte Ende Januar 2009 den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit der Erstellung eines psychiatrischen Gutachtens zur Frage des Vorliegens eines ihre Leistungspflicht auslösenden Versicherungsfalles. Mit Gutachten vom 10.06.2009 gelangte der MDK zu dem Ergebnis, es liege eine manifeste Transsexualität Mann-zu-Frau vor. Gegengeschlechtlich-hormonärztIiche und psychotherapeutisch-psychiatrische Behandlungsmöglichkeiten seien ausgeschöpft. Sowohl die geschlechtsangleichende Operation als auch die Epilation der Barthaare seien medizinisch begründet. Hinsichtlich der Operation bedürfe es einer weiteren Begutachtung.
9Mit Schreiben vom 06.07.2009 erbat der Kläger Mitteilung, zu welchem Ergebnis der MDK gekommen sei und beantragte die Erstattung der ihr durch eine Laserepilation bereits entstandenen Kosten in Höhe von 846,02 EUR. Mit Bescheid vom 30.07.2009 bewilligte die Beklagte eine entsprechende Kostenerstattung.
10Am 10.03.2010 beantragte die Klägerin die Übernahme der Kosten für eine Nadelepilation, weil mittels Laser nur schwarze Haare entfernt werden könnten. Die Beklagte verlangte daraufhin einen Kostenvoranschlag. Die Klägerin wiederum teilte mit sie habe keinen Arzt gefunden, der die Behandlung durchführen wolle.
11Sie überreichte sodann ein Schreiben des Hautarztes Dr. C vom 07.06.2010, ausweislich dessen das virile Erscheinungsbild durch eine kombinierte Lasertherapie aus Rubin/Dioden/ Nd-Yag-Lasertherapie verbessert werden könne.
12Die Beklagte wandte sich daraufhin an die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Nordrhein und erbat Mitteilung, auf welche Leistungserbringer die Klägerin verwiesen werden könne. Nach Weiterleitung der Anfrage an die KV Westfalen-Lippe teilte diese unter Verweis auf ein Schreiben aus Juli 2007 an eine andere Versicherte mit, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass Epilationsbehandlungen bei transsexuellen Patienten in der Vergangenheit im Einzelfall auch von Kollegen als vertragsärztliche Leistungen durchgeführt und mit der Ziffer 10340 EBM abgerechnet worden seien. Regelhaft sei die Therapie jedoch nach dortiger Information von den Krankenkassen im Rahmen von Kostenerstattungen bezahlt worden. Dabei hätten die Patienten die Epilation in speziell hierauf ausgerichteten Institutionen durchführen lassen. Dies auch, da die Behandlung aufgrund ihres Umfanges in einer hautärztlichen Praxis aus Kapazitätsgründen in der Regel schwerlich zu erbringen sei. Das Verhalten der Hautärzte sei nicht zu beanstanden, weil es sich bei der Epilationsbehandlung nicht um eine als GKV-Leistung abrechenbare Kerngebietsleistung des hautärztlichen Fachgebiets handele. Es sei Entscheidung der Krankenkasse, ob die Kosten einer Behandlung durch eine Kosmetikerin erstattet würden.
13Ohne die Klägerin von dem Inhalt dieser Auskunft zu informieren, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 13.08.2010 die Übernahme der Kosten für eine Laserepilation mit der Begründung ab, es liege eine sogenannte neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode vor, für die der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) eine Empfehlung nicht abgegeben habe. Zur zunächst beantragten Nadelepilation verhält sich das Schreiben der Beklagten nicht. ‘
14Den hiergegen gerichteten Widerspruch der Klägerin, die u.a. darauf hinwies, dass bereits Kosten für eine Laserepilationsbehandlung übernommen worden seien, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 04.10.2010 zurück. Die Beklagte führte in Ergänzung des Ablehnungsbescheides aus, die Kostenübernahme durch Bescheid vom 30.07.2009 habe sich auf eine Nadelepilation bezogen. Für eine solche (nach dem EBM abrechenbare Behandlung) könne eine Bewilligung ausgesprochen werden.
15Mit ihrer am 22.10.2010 beim Sozialgericht Gelsenkirchen erhobenen Klage hat die Klägerin zunächst die Übernahme der Kosten für eine Laserepilation entsprechend dem Vorschlag des Dr. C begehrt. Eine Nadelepilation komme mangels zur Behandlung bereiter Vertragsärzte, des Risikos einer Narbenbildung und der Langwierigkeit der Behandlung nicht in Betracht. Durch die Laserepilation könne ein langfristiger Behandlungserfolg erzielt werden. Der MDK habe seinerseits eine Fortführung der Laserepilation befürwortet.
16Die Beklagte hat zunächst an ihrer Auffassung festgehalten, es liege eine nicht anerkannte Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode vor. In der Begutachtungsanleitung ,,Geschlechtsangleichende Maßnahmen bei Transsexualität" werde betont, dass die Epilation mit Laser und artverwandte Verfahren keine langfristig besseren Behandlungserfolge erziele. Die Beklagte sei selbstverständlich bereit, Kosten einer Barthaarentfernung mittels Nadelepilation zu tragen. Dabei sei ihr bekannt, dass die zur vertragsärztlichen Behandlung zugelassenen Ärzte oftmals nicht bereit seien, Nadelepilationen bei größerem Behandlungsbedarf über die Krankenversichertenkarte abzurechnen. Falls es insoweit zu Problemen kommen sollte, werde empfohlen, gegebenenfalls die Dienste eines geeigneten Kosmetikstudios in Anspruch zu nehmen und vor Behandlungsbeginn einen aktuellen und spezifizierten Kostenvoranschlag bei der Beklagten einzureichen.
17Nachfolgend hat die Beklagte mitgeteilt, zur Behandlung bereite Ärzte im Umkreis des Wohnorts der Klägerin könnten nicht benannt werden. Auch zwei Fachverbände für Nadelepilation, denen Elektrologisten angehörten, würden auf ihrer Homepage keine Anbieter in unmitelbarer Nähe des Wohnortes der Klägerin aufführen. Mögliche Anbieter befänden sich beispielsweise in Dortmund, Münster, Raesfeld. Die Nadelepilation werde auch vom Haut-, Allergie- und Venenzentrum Professor Dr. med. A in S als individuelle Gesundheitsleistung angeboten. Selbstverständlich würde die Beklagte auch insoweit die Möglichkeit zur Kostenübernahme der privatärztlichen Behandlung nach Vorlage eines entsprechend spezifizierten Kostenvoranschlags prüfen.
18In einem Erörterungstermin vom 17.11.2011 hat die Kammervorsitzende darauf hingewiesen, dass die Beklagte verpflichtet sein dürfte, der Klägerin die vertragsärztliche Versorgung anzubieten. Die Beklagte gehe selbst davon aus, dass grundsätzlich ein Anspruch auf Nadelepilation bestehe. Die Klägerin möge kurzfristig einen Kostenvoranschlag einer ihr bekannten Kosmetikerin vorlegen. Soweit sich die Beklagte sodann mit diesem Kostenvoranschlag nicht einverstanden erkläre, sei sie verpflichtet, dem Gericht bzw. der Klägerin einen Vertragsarzt zu benennen, der bereit sei, die beanspruchte Leistung zur Verfügung zu stellen. Soweit ein solcher Vertragsarzt nicht benannt werden könne, dürfte sich die Verpflichtung der Beklagten ergeben, die Behandlung der Berücksichtigung des Sachleistungsprinzips über ein Kosmetikinstitut zur Verfügung zu stellen.
19Die Klägerin hat daraufhin ein Schreiben des Hautzentrums I (F) vom 01.12.2011 vorgelegt, in dem für die Bartentfernung der Klägerin bei einem Stundensatz von 70 EUR 250 bis 300 Stunden veranschlagt wurden. Nach den dortigen Erfahrungen mit transidentischen Patienten komme es zu sehr unterschiedlichen Behandlungszeiträumen. Durch die bisherige Behandlung mit einem Laser sei es zwar zu einer zeitweisen Haarreduktion gekommen, Haarfollikel könnten sich allerdings Jahre später wieder erholen und neue Haare ausbilden.
20Die Beklagte hat unter Vorlage einer erneuten Stellungnahme der Grundsatzabteilung ausgeführt, eine Epilationsbehandlung durch eine Kosmetikerin zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung komme nicht in Betracht. Die KV Westfalen-Lippe sei mit der Bitte um Stellungnahme unter Berücksichtigung ihres Sicherstellungsauftrages erneut angeschrieben worden. In der Stellungnahme der Grundsatzabteilung wird darauf hingewiesen, dass eine Berücksichtigung der anfallenden Kosten bei der Ermittlung der gesetzlichen Finanzzuweisungen aus dem Gesundheitsfonds bzw. bei dem morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich ausgeschlossen wäre, weil die Leistung außerhalb des gesetzlichen Sachleistungssystems im Erstattungsverfahren finanziert werden solle. Es werde daher empfohlen, den Kostenantrag zunächst weiterhin zurückzuweisen. Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg (Urteil vom 27.01.2009 - L 11 KR 3126/08) habe ausgeführt, eine Epilationsbehandlung bei einer Transsexuellen durch eine Kosmetikerin dürfe nicht zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht werden, weil diese Behandlung sowohl im EBM als auch in der GOÄ aufgeführt sei und somit dem Bereich der ärztlichen Behandlung im Sinne von § 27 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) zugeordnet werden müsse. Wegen des Arztvorbehaltes sei eine Delegation der Leistung an andere Leistungserbringer unzulässig. Eine besondere Dringlichkeit dafür, dem Kostenerstattungsantrag der Klägerin zur Barthaarentfernung bei der Elektrologistin F zu entsprechen, sei bei der gegebenen Sachlage nicht zu erkennen.
21Die KV Westfalen-Lippe hat mit Schreiben vom 28.02.2012 diverser Ärzte aus dem Kreis S benannt, die nach den Gebührenordnungspositionen (GOP) 02300 sowie 10340 abgerechnet hätten. Dabei sei zu berücksichtigen, dass die Leistung nach GOP 02300 im Kreis von Chirurgen, Gynäkologen, Hausärzten, HNO-Ärzten, Kinderärzten, Orthopäden und Urologen abgerechnet werde.
22Die Klägerin hat sodann mitgeteilt, sie habe 16 von insgesamt 17 durch die Beklagte angegebenen Ärzte angerufen. Ein Arzt sei wegen Urlaubs nicht erreichbar gewesen. Alle erreichten Ärzte hätten angegeben, keine Nadelepilation vorzunehmen.
23In einem weiteren Erörterungstermin vom 20.05.2012 - nach einem Wechsel im Kammervorsitz - hat das Sozialgericht die Beklagte erneut aufgefordert, einen konkreten Vertragsarzt zu benennen, der unter Angabe möglicher Behandlungstermine bereit sei, bei der Klägerin zeit- und wohnortnah eine Nadelepilation durchzuführen.
24Die Beklagte hat daraufhin eine erneute Stellungnahme der KV Westfalen-Lippe vom 12.06.2012 vorgelegt. Darin wird ausgeführt, sichere Information zu Vertragsärzten, die die begehrte Behandlung in Ihrer Praxis noch anböten, seien nicht verfügbar. Für die Leistung gebe es seit Einführung des EBM 2000plus zum 01.04.2005 keine separate Gebührenziffer mehr. Vertragsärzte könnten demnach nicht mehr anhand der Abrechnungsdaten ermittelt werden. Es werde allerdings davon ausgegangen, dass es kaum noch hautärztliche Praxen in Westfalen-Lippe gebe, die die Behandlung im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung anböten. Die Leistungslegenden der GOP 02300 und 10340 seien erst später ergänzt worden. Der Schluss, dass die Nadelepilation in Westfalen-Lippe überhaupt nicht mehr erbracht werde, könne allerdings daraus nicht geschlossen werden.
25Die Beklagte teilte mit Schreiben vom 25.06.2012 mit, die KV habe nunmehr einen konkreten Vertragsarzt benannt, bei dem die begehrte Behandlung durchgeführt werden könne. Es handele sich um die Drs. M und U in E.
26Das Sozialgericht hat die Beklagte mit Urteil vom 26.06.2012 ohne mündliche Verhandlung verpflichtet, die Kosten einer Barthaarepilation nach Maßgabe des Kostenvoranschlages des Hautzentrums I vom 01.12.2011 zu übernehmen. Dabei hat es die im vorhergegangenen Erörterungstermin protokollierten Anträge wie folgt zu Grund gelegt:
27"Die Klägerin beantragt,
28den Bescheid vom 13.08.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.10.2010 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Kosten der Barthaarnadelepilation bei der Klägerin zu übernehmen.
29Die Beklagte beantragt weiterhin,
30die Klage abzuweisen."
31Zwar bestehe grundsätzlich nur ein Anspruch auf Erbringung der Leistung durch einen Vertragsarzt. Im vorliegenden Fall bestehe jedoch eine Versorgungslücke dergestalt, dass die Klägerin einen grundsätzlich bestehenden Sachleistungsanspruch auf Durchführung einer Epilation durch einen zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Hautarzt nicht realisieren könne, da kein zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassener Hautarzt gefunden werden könne, der die Behandlung durchzuführen gewillt sei. Die von der Beklagten zuletzt benannte Praxis Dres. M und U habe nach telefonischer Rücksprache durch die Kammervorsitzende sogar mitgeteilt, dass eine kassenärztliche Erbringung einer wie auch immer gearteten Epilation nicht erfolge, da sich dies wirtschaftlich überhaupt nicht rechne; durch den neuen EBM 2000plus stehe der Aufwand einer solchen Behandlung in keinem Verhältnis mehr zu dem Ertrag. Die Epilation werde immer und ausnahmslos als Privatleistung abgerechnet. Zur Schließung der Versorgungslücke biete § 13 Abs. 2 SGB V die Möglichkeit, dass nicht im Vierten Kapitel genannte Leistungserbringer nach vorheriger Zustimmung der Krankenkasse in Anspruch genommen werden dürften. Voraussetzung hierfür sei, dass Qualität und Sicherung der Leistung vergleichbar sei mit derjenigen eines entsprechenden Vertragsbehandlers. Hiervon sei bei dem Hautzentrum I auszugehen. Die Beklagte hätte die insoweit erforderliche Zustimmung erteilen müssen.
32Gegen das der Beklagten am 13.07.2012 zugestellte Urteil richtet sich deren Berufung vom 10.08.2012. Die Entscheidung des Sozialgerichts beruhe auf schweren Verfahrensfehlern und einer fehlerhaften Anwendung des § 27 Abs. 1 i.V.m. § 13 Abs. 3 SGB V. Es werde gerügt, dass die Entscheidungsgründe weitestgehend wörtlich den Entscheidungsgründen aus dem Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 11.12.2007 (S 4 KR 78/07) entsprechen, also das Urteil nicht mit Gründen versehen sei. Insoweit liege ein absoluter Revisionsgrund im Sinne von § 202 SGG i.V.m. § 547 Nr. 6 ZPO vor. Zudem sei der Beklagten zu dem Ermittlungsergebnis der Kammervorsitzenden, dem Telefonat mit der Praxis Dres. M und U, kein rechtliches Gehör gewährt worden. Weiterhin werde dem Sozialgericht mangelnde Sachverhaltsaufklärung vorgeworfen. Es werde bestritten, dass keiner der von der KV Westfalen-Lippe benannten Ärzte zur Durchführung der streitgegenständlichen Epilation bereit sei.
33Darüber hinaus handele es sich um eine Klageänderung, die zu einer Abweisung der Klage führen müsse, denn das Verwaltungsverfahren nebst Widerspruchverfahren sei dem Antrag entsprechend auf eine Laserepilation durchgeführt worden. Der ursprüngliche Antrag sei durch die Klägerin unter Vorlage des Schreibens von Dr. C vom 07.06.2010 geändert worden. Erst nach Klageerhebung sei erstmals mit Einreichung des Kostenvoranschlags vom 01.12.2011 die Übernahme der Kosten einer Nadelepilation beantragt worden. Die Sachurteilsvoraussetzungen für den geänderten Klagegegenstand lägen nicht vor, die Klage sei als unzulässig abzuweisen.
34Das Sozialgericht habe wegen Übernahme der Entscheidungsgründe aus dem Urteil vom 11.12.2007 (a.a.O.) weitere Rechtsprechung des Themenkreises ignoriert. Insbesondere sei das schon angeführte Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 27.01.2009 (a.a.O.) nicht berücksichtigt worden. Das LSG Baden-Württemberg habe eingeräumt, dass es im Einzelfall schwierig sein könne, einen ärztlichen Behandler für die begehrte Epilation. Das müsse aber ebenso hingenommen werden, wie der Umstand, dass für die Behandlung bei einem Arzt ein längerer Zeitraum als bei einer Kosmetikerin anzusetzen sei. Bestätigt werde der Arztvorbehalt durch das Urteil des Bayerischen LSG vom 07.05.2009 (L 4 KR 465/07). Darin werde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Kosmetikpraxen zur Behandlung im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung nicht zugelassen seien. In diesem Sinne sei auch der Beschluss des erkennenden Senats vom 08.10.2009 (L 16 B 57/09 KR) zu verstehen. Die vermeintliche Versorgungslücke könne über § 13 Abs. 2 SGB V nicht geschlossen werden, da die Behandlung durch ein Kosmetikstudio nicht zustimmungsfähig im Sinne des § 13 Abs. 2 S. 7 S GB V sei (Verweis auf BT-Drs. 15/1525 Seite 80 zu Heilpraktikern). Im Übrigen sei diese Regelung ohnehin nur auf Versicherte anwendbar, die Kostenerstattung nach § 13 Abs. 2 S. 1 und S. 5 SGB V gewählt hätten. Abschließend wird auf das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 16.07.2012 (S 2 KA 172/11) hingewiesen, wonach eine Anrechnung von Kosten für Epilation durch nichtärztliche Kosmetiker auf die Gesamtvergütung ausscheide, da derartige Leistungen im vertragsärztlichen Versorgungssystem nicht vorgesehen seien. Zur Begründung werde auf die vorgenannte Rechtsprechung zum so genannten Arztvorbehalt hingewiesen. Eine verfassungskonforme Auslegung der Vorschriften des SGB V komme nicht in Betracht. Eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Krankheit liege nicht vor. Eine notstandsähnliche Situation liege nicht vor. Es treffe sie angesichts des in § 75 Abs. 1 S. 1 SGB V geregelten Sicherstellungsauftrages keine Verpflichtung, einen zur Verhandlung bereiten Vertragsarzt zu benennen.
35Der Beklagte beantragt,
36das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 26.06.2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
37Die Klägerin beantragt,
38die Berufung zurückzuweisen.
39Die Klägerin weist darauf hin, dass sich durch das gesamte Verfahren wie ein roter Faden ziehe, dass die Beklagte ihr gerichtlich gesetzte Fristen nicht eingehalten habe, stets verspätet und dann auch noch unzutreffend vorgetragen habe, so dass letztlich das Sozialgericht unter Berücksichtigung des Beschleunigungsgrundsatzes entschieden habe. Eine Klageänderung liege nicht vor. Die Klägerin habe lediglich ihren Vortrag dargestellt. Es bleibe der Beklagten unbenommen, diesen Antrag anzuerkennen, unzulässig werde die Klage damit jedenfalls nicht, abgesehen davon, dass dieser vorgetragene Einwand erst in der Berufungsinstanz unbeachtlich sein dürfte, nachdem sich die Beklagte auf den Streitgegenstand in erster Instanz eingelassen habe. Zuerkannt und beantragt worden sei die Übernahme der Kosten einer Barthaarepilation. Tatsache sei, dass - nicht zuletzt wegen des von der Beklagten verschuldeten Zeitablaufs - nunmehr allein einen Nadelepilation in Betracht komme.
40Der Senat hat bei dem Hautzentrum Prof. I in E angefragt, ob mittels des Rubin-Lasers auch helle/graue Haare entfernt werden könnten. Dies hat die Praxis unter dem 08.07.2013 verneint. Die Hautärztin Dr. L aus E hat unter dem 14.03.2013 mitgeteilt, sie biete keine Nadelepilation an. Auf Anfrage teilte die KV Westfalen-Lippe unter dem 19.03.2013 mit, es lägen zwar keine Informationen dazu vor, ob und ggf. welche Vertragsärzte die Nadelepilation anböten. Es sei jedoch davon auszugehen, dass diese Leistung kaum noch angeboten werde, weil sie durch die "moderne" Lasertherapie, die nicht Bestandteil der vertragsärztlichen Versorgung sei, verdrängt worden sei. Die KV Nordrhein hat unter dem 24.04.2013 mitgeteilt, es erscheine angesichts der kalkulierten Kalkulations- bzw. Prüfzeit für den von den GOP 10340 bzw. 02300 erfassten kleinchirurgischen Eingriff fraglich, ob die komplette Entfernung der Barthaare mittels Nadelepilation im Rahmen dieser GOP`en überhaupt erfolgen könne.
41Die Beklagte hat mitgeteilt, die Klinik für Dermatologie und Allergologie am Klinikum W könne mangels entsprechender apparativer Ausstattung keine Nadelepilationen mehr durchführen.
42Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt des Verwaltungsvorgangs der Beklagten sowie der Prozessakte Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
43Entscheidungsgründe:
44Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung ist auch begründet.
45Das Sozialgericht hat die Beklagte mit dem Urteil vom 26.06.2012 zu Unrecht unter Aufhebung des Bescheides vom 13.08.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.10.2010 verurteilt, die Kosten einer Barthaarepilation nach Maßgabe des Kostenvoranschlages des Hautzentrums I vom 01.12.2011 zu übernehmen.
46Das von der Klägerin zunächst im Wege einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 u. 4, § 56 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) verfolgte Begehren, die Beklagte unter Aufhebung des (Ablehnungs-) Bescheides vom 13.08.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.10.2010 (§ 95 SGG) zur Gewährung einer Laserepilation (bzw. Übernahme deren Kosten) entsprechend dem Attest des Dr. C vom 07.06.2010 zu verpflichten, ist von der Klägerin bereits im Klageverfahren nicht mehr weiter verfolgt worden. Vielmehr begehrt sie angesichts der medizinischen Unmöglichkeit der Epilation von zwischenzeitlich ergrauten Barthaaren durch Einsatz eines Lasers (wieder) die im Verwaltungsverfahren zunächst beantragte Gewährung bzw. Kostenübernahme einer Barthaarentfernung durch Nadelepilation.
47In diesem Wechsel von der Laserepilation zur Nadelepilation liegt eine Klageänderung I.S.d. § 99 Abs. 1 SGG, weil statt der vom Sachleistungsanspruch als neuer Methode nicht umfassten Laserepilation (wieder) die Nadelepilation verlangt wird, die grundsätzlich vom Leistungskatalog der GKV umfasst ist. Ein Fall des § 99 Abs. 3 Nr. 3 SGG liegt nicht vor, weil sich die Verfolgung einer grundsätzlich als Sachleistung geschuldeten Leistung gegenüber einer Leistung außerhalb des Leistungskatalogs als Aliud darstellt. Die Klägerin fordert jetzt eine andere Leistung als die ursprünglich mit der Klage beantragte.
48Diese Klageänderung ist zwar nach den Maßgaben des § 99 Abs. 1 SGG zulässig, weil die Beklagte in die Änderung der Klage eingewilligt hat, indem sie sich, ohne der Änderung zu widersprechen, in diversen Schriftsätzen auf die abgeänderte Klage eingelassen hat (vgl. § 99 Abs. 2 SGG). Eine zulässige Klageänderung entbindet das Gericht jedoch nicht von der Verpflichtung, die Zulässigkeit der geänderten Klage zu prüfen. Infolgedessen müssen für die geänderte Klage sämtliche Sachurteilsvoraussetzungen vorliegen (vgl. etwa BSG, Urteil vom 31.07.2002 - B 4 RA 113/00 R m.w.N.; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage 2012, § 99 Rn. 13a m.w.N.).
49Hier fehlt es an der Durchführung des Verwaltungsverfahrens hinsichtlich der Gewährung einer Barthaarentfernung mittels Nadelepilation außerhalb des Sachleistungssystems. Den entsprechenden Antrag vom 10.03.2010 hat die Beklagte zu keinem Zeitpunkt - auch nicht während des anhängigen Klage- und Berufungsverfahrens - beschieden. Soweit der 9. Senat des BSG es für möglich gehalten hat, dass unter bestimmten Voraussetzungen neben der Durchführung des Vorverfahrens (§ 78 SGG) sogar auf die Durchführung eines selbstständigen Verwaltungsverfahrens während eines anhängigen Rechtsstreits verzichtet werden kann (vgl. dazu BSG, Urteil vom 06.10.2011 - B 9 SB 7/10 R = SozR 4-3250 § 145 Nr. 2), kann der Senat dahinstehen lassen, ob - was zweifelhaft erscheint - diese Auffassung zutrifft, denn die vom BSG insoweit geforderten Vorraussetzungen liegen nicht vor. Die Beklagte hat weder durch rügelose Einlassung noch gar durch ausdrückliches Einverständnis auf ihren Vorrang bei der Gesetzesausführung verzichtet, sondern ausdrücklich geltend gemacht, sie habe bisher in der Sache nicht entschieden. Somit ist die auf Gewährung einer Barthaarentfernung mittels Nadelepilation durch einen nichtärztlichen Leistungserbringer gerichtete Klage unzulässig.
50Eine Verpflichtung der Beklagten entsprechend dem erstinstanzlichen Antrag der Klägerin scheidet daher aus. Ohne dass es im Ergebnis darauf ankommt, sieht sich der Senat jedoch vor dem Hintergrund des im gesamten Verfahren wenig zielgerichteten und dem Begehren der Klägerin nicht sachgerecht Rechnung tragenden und damit die Vorgaben des § 17 Abs. 1 Nr. 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) verfehlenden Verhaltens der Beklagten in der Hoffnung, dadurch zu einer jetzt beschleunigten Leistungsgewährung beitragen zu können zu folgenden Hinweisen veranlasst: Wie das Sozialgericht hat der Senat keine durchgreifenden Zweifel daran, dass die Klägerin von der Beklagten die begehrte Nadelepilation (bzw. die entsprechende Kostenübernahme) mangels behandlungsbereiter Ärzte auch durch ein Kosmetikstudio beanspruchen kann. Zwar trifft es zu, dass insoweit grundsätzlich der Arztvorbehalt (§ 15 Abs. 1 SGB V) gilt. Auf der anderen Seite steht aber für den Senat angesichts der von ihm eingeholten Auskünfte der KV Nordrhein und der KV Westfalen-Lippe und der Mitteilungen der befragten Ärzte, die die Beklagten bereits im Verwaltungsverfahren vorliegenden (entsprechenden) Erkenntnisse (die sie gleichwohl nicht daran gehindert haben, noch im Widerspruchsbescheid auf die Nadelepilation durch Vertragsärzte zu verweisen) sowie des Unvermögens der Beklagten zur Behandlung (im System der gesetzlichen Krankenversicherung) bereite Vertragsärzte zu benennen, fest, dass die Nadelepilation innerhalb des Systems der GKV für die Klägerin nicht bzw. nicht unter zumutbaren Umständen zu erlangen ist. Der Senat sieht sich insoweit nicht im Widerspruch zur von der Beklagten genannten Entscheidung des LSG Baden-Württemberg vom 27.01.2009 (a.a.O.). Denn anders als in dem der genannten Entscheidung zu Grunde liegenden Sachverhalt (dem allerdings nicht zu entnehmen ist, worauf das LSG Baden-Württemberg seine Überzeugung gestützt hat, dass es grundsätzlich ärztliche Behandler gibt) steht zur Überzeugung des Senats vorliegend fest, dass es nicht nur "schwierig sein kann, einen ärztlichen Behandler für die begehrte Epilation" zu finden, sondern für eine Barthaarentfernung sogar unmöglich. Der Senat hat auch keine Zweifel daran, dass die von der Klägerin mitgeteilten Erfahrungen bei der Anfrage diverser Ärzte nicht nur der Wahrheit entsprechen, sondern wegen ihrer Übereinstimmung mit den Auskünften der Kassenärztlichen Vereinigungen auch repräsentativ sind.
51Bei dieser Sachlage liegt ein Systemversagen vor, zu dessen Überwindung nach Ansicht des Senats ausnahmsweise auch die Inanspruchnahme nicht zugelassener nichtärztlicher Leistungserbringer in Betracht kommt. Dies muss jedenfalls für solche Leistungen wie die hier in Frage stehende Barthaarepilation gelten, die - wie die KV selbst vertreten haben - nur zum Randbereich einer (hautfach)ärztlichen Tätigkeit zählen und die ganz überwiegend von fachlich qualifizierten Personen (hier Elektrologisten) angeboten werden. Die KV Westfalen-Lippe hat auch darauf hingewiesen, dass gerade bei der Epilation transsexueller Menschen Kosmetikstudios tätig sind, weil wegen des Umfangs der Behandlung diese aus Kapazitätsgründen schwerlich in Arztpraxen zu erbringen ist. Auch die Beklagte ist offensichtlich zunächst davon ausgegangen, dass hier ausnahmsweise nur durch die Inanspruchnahme einer Elektrologistin die Erfüllung des Behandlungsanspruchs möglich ist, das sie selbst der Klägerin vorgeschlagen hat, einen Kostenvoranschlag eines Kosmetikstudios beizubringen. Weshalb sie angesichts der - sehr hohen - Kosten dann wieder von ihrem Angebot abgerückt ist, ist schwer verständlich, denn der Arztvorbehalt musste ihr schon vor diesem Angebot bekannt sein. Gänzlich inakzeptabel ist die Argumentation der Beklagten, sie sei nicht verpflichtet, der Klägerin einen behandlungsbereiten Arzt zu benennen. Sie übersieht, dass § 75 Abs. 1 SGB V nur den Sicherstellungs- und Gewährleistungsauftrag der KV im Verhältnis zu den Kassen betrifft und insoweit die KV die Pflicht trifft, dass die vertragsärztliche Versorgung den gesetzlichen Erfordernissen entspricht. Welche rechtlichen Konsequenzen sich daraus ergeben, wenn sie diesen Sicherstellungsauftrag nicht erfüllen, ist nicht Gegenstand dieses Verfahrens. Mögliche Ansprüche der Kassen gegen die KV entbinden sie aber nicht von ihrer Verpflichtung, die Leistungsansprüche der Versicherten zu erfüllen.
52Die Klägerin hat es - anders als die Beklagte meint - auch nicht hinzunehmen, dass im System der gesetzlichen Krankenversicherung eine Entfernung ihrer Barthaare nicht gewährleistet ist. Die Argumentation der Beklagten vernachlässigt die auch von ihr hinzunehmenden Wertungen des TSG. Das Bundessozialgericht hat in der Vergangenheit bereits einen Anspruch auf medizinisch indizierte Hormonbehandlung und geschlechtsangleichende Operationen in schwerwiegenden Fällen der Transsexualität bejaht (vgl. zum Ganzen BSG SozR 4-2500 § 27 Nr. 20 Rn. 15 - Zisidentität), die Ansprüche auf geschlechtsangleichende Operationen sind nach dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung (lediglich) zwar beschränkt auf einen Zustand, bei dem aus der Sicht eines verständigen Betrachters eine deutliche Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechts eintritt (BSG, a.a.O. unter Hinweis u.a. auf § 8 Abs. 1 Nr. 4 TSG). Bei Transsexuellen kann demnach eine andere Operation zur Herbeiführung einer deutlichen Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechts eine gebotene medizinische Maßnahme sein (BSG, Urteil vom 11.09.2012 - B 1 KR 3/12 R m.w.N. - Mammaaugmentation). Für das erforderliche Ausmaß der Behandlung ist dabei jedoch nicht auf das Erscheinungsbild des Betroffenen im gesellschaftlichen Alltag in dem Sinne abzustellen, dass dem Anspruch bereits Genüge getan ist, wenn die Behandlung nicht zu einer Entstellung führt. Es ist vor allem die Zielsetzung der Therapie zu berücksichtigen, den Leidensdruck der Betroffenen durch solche operativen Eingriffe zu lindern, die darauf gerichtet sind, das körperlich bestehende Geschlecht dem empfundenen Geschlecht anzunähern, es diesem näherungsweise anzupassen, ohne dass ein Anspruch auf jegliche Art von geschlechtsangleichenden operativen Maßnahmen im Sinne einer optimalen Annäherung an ein vermeintliches Idealbild und ohne Einhaltung der durch das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung vorgegebenen allgemeinen Grenzen besteht. Innerer Grund des Anspruchs Transsexueller auf geschlechtsangleichende Operationen ist es nicht, eine Entstellung zu heilen oder zu lindern. Ein solcher Anspruch, der bei Entstellung für alle Versicherte, auch für transsexuelle Versicherte besteht, bleibt hiervon unberührt (vgl. zu alledem BSG, Urteil vom 11.09.2012, a.a.O.).
53Hat das BSG (a.a.O.) so den Wertungen des TSG im Zusammenhang mit einem Anspruch auf Gewährung einer Mammaaugmentationsplastik Rechnung getragen, vermag der Senat für die hier streitige Entfernung der Barthaare die von der Beklagten gesehene Beschränkung des Anspruchs nicht zu sehen. Das Erfordernis der Entfernung des (männlichen) Barthaares durch Nadelepilation ergibt sich im Sinne der Rechtsprechung des BSG aus der Transsexualität und nicht etwa aus einer daneben bestehenden psychischen Erkrankung. Alternative Behandlungsmöglichkeiten bestehen erwiesenermaßen nicht. Insbesondere die Laserepilation scheidet (ungeachtet der im Zusammenhang mit § 135 SGB V bestehenden rechtlichen Problematik) aus medizinischen Gründen aus. Die Konfrontation mit dem abgelegten männlichen Geschlecht bei ggf. mehrmals täglicher Rasur ist der Klägerin nicht zuzumuten, zumal auch bei der Rasur jedenfalls ein im weiblichen Gesicht deutlich auffälliger "Bartschatten" verbleibt. Dem Senat erscheint die Vorstellung geradezu widersinnig, Transsexuellen einerseits Ansprüche auf komplexe und schwerwiegende chirurgische Eingriffe unter Berücksichtigung der Wertungen des TSG nach dem SGB V einzuräumen, andererseits eine Annäherung des körperlich bestehenden Geschlechts an das empfundene Geschlecht durch Verweigerung einer Entfernung des Bartwuchses zu verhindern. Dass gerade nicht zu verbergenden Merkmalen im Bereich des Kopfes und Gesichts im Rahmen der gesellschaftlichen Teilhabe besondere Bedeutung zukommt, versteht sich von selbst. Dem allen kann mangels Alternativen nur durch eine - ausnahmsweise - Gewährung eines Anspruchs auf Nadelepilation durch einen Kosmetiker (wie es offenbar auch einer verbreiteten Praxis entspricht) Rechnung getragen werden.
54Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG und berücksichtigt maßgeblich Veranlassungsgesichtspunkte.
55Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), bestehen nicht.
(1) Das Urteil enthält
- 1.
die Bezeichnung der Beteiligten, ihrer gesetzlichen Vertreter und der Bevollmächtigten nach Namen, Wohnort und ihrer Stellung im Verfahren, - 2.
die Bezeichnung des Gerichts und die Namen der Mitglieder, die bei der Entscheidung mitgewirkt haben, - 3.
den Ort und Tag der mündlichen Verhandlung, - 4.
die Urteilsformel, - 5.
die gedrängte Darstellung des Tatbestands, - 6.
die Entscheidungsgründe, - 7.
die Rechtsmittelbelehrung.
(2) Die Darstellung des Tatbestands kann durch eine Bezugnahme auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze und auf die zu Protokoll erfolgten Feststellungen ersetzt werden, soweit sich aus ihnen der Sach- und Streitstand richtig und vollständig ergibt. In jedem Fall sind jedoch die erhobenen Ansprüche genügend zu kennzeichnen und die dazu vorgebrachten Angriffs- und Verteidigungsmittel ihrem Wesen nach hervorzuheben.
(3) Das Gericht kann von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es der Begründung des Verwaltungsaktes oder des Widerspruchsbescheides folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt.
(4) Wird das Urteil in dem Termin, in dem die mündliche Verhandlung geschlossen worden ist, verkündet, so bedarf es des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe nicht, wenn Kläger, Beklagter und sonstige rechtsmittelberechtigte Beteiligte auf Rechtsmittel gegen das Urteil verzichten.
(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.
(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.
(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.
(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.