Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Beschluss, 09. März 2016 - 1 B 63/16
Gericht
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
1
G r ü n d e
2Der gemäß § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 570 Abs. 3 ZPO statthafte und auch ansonsten zulässige Antrag, der darauf gerichtet ist, die Vollziehung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses bis zur Entscheidung über die dagegen gerichtete Beschwerde der Antragsgegnerin auszusetzen, ist nicht begründet. Mit diesem Beschluss hat das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Wehrbeschwerde des Antragstellers gegen die Entlassungsverfügung der Antragsgegnerin vom 25. September 2015 angeordnet und die Vollziehung dieser Entlassungsverfügung aufgehoben.
3Ob und in welchem Umfang die Vollziehung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung vorläufig auszusetzen ist, entscheidet das Beschwerdegericht gemäß § 570 Abs. 3 Halbsatz 2 ZPO nach pflichtgemäßem Ermessen. Bei dieser Ermessensentscheidung ist zu berücksichtigen, dass die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den erstinstanzlichen Beschluss nach § 149 Abs. 1 Satz 1 VwGO grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung hat. Aufgrund dieser vom Gesetzgeber vorgegebenen Gewichtung ist für eine einstweilige Aussetzung der Vollziehung des erstinstanzlichen Beschlusses im Beschwerdeverfahren nur ausnahmsweise Raum, wenn dies aufgrund einer Folgenabwägung dringend geboten erscheint oder sich die angegriffene Entscheidung aufgrund der im Beschwerdeverfahren rechtzeitig erfolgten Darlegungen als offensichtlich rechtswidrig oder zumindest mit überwiegender Wahrscheinlichkeit als rechtswidrig erweist.
4Vgl. Sächs. OVG, Beschluss vom 24. April 2014– 4 B 70/14 –, juris, Rn. 3; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 25. November 2013 – 8 S 2239/13 –, NVwZ-RR 2014, 292 = juris, Rn. 3; OVG NRW, Beschluss vom 6. Oktober 2011 – 13 B 1214/11 –, juris, Rn. 1 f., jeweils m. w. N.
5Hier lässt sich nicht feststellen, dass der Beschluss des Verwaltungsgerichts offensichtlich oder überwiegend wahrscheinlich rechtswidrig ist. Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, der Antragsteller habe deswegen nicht arglistig über das gegen ihn laufende strafrechtliche Ermittlungsverfahren getäuscht, weil er davon habe ausgehen dürfen, dass nur Ermittlungen des Zolls im Rahmen eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens erfolgt seien. Ob diese Bewertung zutrifft, erscheint zwar aus den von der Antragsgegnerin genannten Gründen zweifelhaft. Gleichwohl lässt sich derzeit nicht feststellen, dass der Beschluss des Verwaltungsgerichts offensichtlich oder überwiegend wahrscheinlich rechtswidrig ist. Der Antragsteller hat nämlich geltend gemacht, er habe am 22. August 2011 im Zentrum für Nachwuchsgewinnung dem damaligen zuständigen Sachbearbeiter das laufende Verfahren im Einzelnen erläutert. Der Sachbearbeiter habe dieses Verfahren für nicht relevant gehalten. Mit dessen Hilfe habe er die Unterlagen ausgefüllt und die Vordrucke unterschrieben. Wenn diese Schilderung des Antragstellers zutrifft, ist zweifelhaft, ob dem Antragsteller eine arglistige Täuschung vorgeworfen werden kann. Ob die Schilderung zutrifft, ist nach Aktenlage offen. Der zuständige Sachbearbeiter, Hauptmann a. D. T. , hat dazu bisher nicht befragt werden können.
6Da die Erfolgsaussichten des Beschwerdeverfahrens derzeit offen sind, ist eine nicht an den Erfolgsaussichten der Beschwerde orientierte Folgenabwägung durchzuführen. Sie führt hier nicht zur Aussetzung der Vollziehung des angegriffenen Beschlusses:
7Bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen ist auf der einen Seite das Interesse der Antragsgegnerin zu berücksichtigen, einen Soldaten auf Zeit, der möglicherweise bei seiner Einstellung über ein laufendes Strafverfahren arglistig getäuscht hat, nicht länger zu beschäftigen. Dass ein ständiger Wechsel des Status des Antragstellers (Wiedereinstellung und möglicherweise letztlich Entlassung) die Funktionsfähigkeit und die Personalstruktur der Bundeswehr unverhältnismäßig und in unzumutbarer Weise belasten würde, hat die Antragsgegnerin behauptet, aber nicht substantiiert erläutert. Im Hinblick darauf, dass der Antragsteller zuletzt als Stabsgefreiter (Besoldungsgruppe A 5) tätig war und als solcher keine herausgehobene Stellung innerhalb der Bundeswehr innegehabt haben dürfte, ist nicht ohne Weiteres ersichtlich, dass eine Weiterbeschäftigung des Antragstellers die Funktionsfähigkeit und die Personalstruktur der Bundeswehr unverhältnismäßig und in unzumutbarer Weise belasten könnte. Die Antragsgegnerin beruft sich außerdem darauf, dass die an den Antragsteller nach seiner Entlassung weiter gezahlten Bezüge möglicherweise nicht mehr erfolgreich zurückgefordert werden könnten, wenn der Antragsteller in der Hauptsache verliere und dann die Bezüge zurückzahlen müsse. Bei einer etwaigen Rückforderung von Bezügen nach § 12 Abs. 2 Satz 3 BBesG ist jedoch eine Ermessensentscheidung darüber zu treffen, ob von der Rückforderung aus Billigkeitsgründen ganz oder teilweise abgesehen wird. Bei dieser Entscheidung kann der faktisch geleistete Dienst berücksichtigt werden.
8Vgl. zu dieser Billigkeitsentscheidung Mayer, in: Schwegmann/Summer, Besoldungsrecht des Bundes und der Länder, Stand: Okt. 2015, § 12 BBesG Rn. 31 e a. E. unter Hinweis auf BVerwG, Urteil vom 25. November 1982 – 2 C 12.81 –, NJW 1983, 2042 = juris, Rn. 15.
9Eine (vollständige) Rückforderung solcher Bezüge ist demnach nicht zwingend.
10Auf der anderen Seite ist das wirtschaftliche Interesse des Antragstellers zu berücksichtigen, seinen derzeitigen Lebensunterhalt durch seine Tätigkeit als Soldat auf Zeit zu sichern. Weiter ist zu bedenken, dass der Antragsteller nach Aktenlage seinen Dienst in der Bundeswehr zur vollsten Zufriedenheit seiner Vorgesetzten verrichtet hat: So hat er am 28. März 2013 eine förmliche Anerkennung für vorbildliche Pflichterfüllung erhalten. Mit Schreiben vom 19. Dezember 2013 hat der Stabszugführer zum Antrag des Antragstellers auf Weiterverpflichtung über die Regelverpflichtung hinaus ausgeführt, wie besonders gut sich der Antragsteller als Soldat führe (äußerst engagiert und pflichtbewusst, hohes Maß an Selbstständigkeit und Weitsicht, tatkräftig, fachlich versiert, enorm leistungswillig, Aufgaben stets zur vollsten Zufriedenheit der Vorgesetzten erledigt, höflich, zuvorkommend, unentbehrliches Mitglied des Bauzuges); den Weiterverpflichtungsantrag hat er „mit besonderem Nachdruck befürwortet“. Anhaltspunkte dafür, dass sich das dienstliche Verhalten des Antragstellers bis zur Ende September 2015 erfolgten Entlassungsverfügung wesentlich geändert haben könnte, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Die Vertrauensperson erklärte im Rahmen ihrer Anhörung vielmehr noch am 21. September 2015, der Antragsteller sei jederzeit bereit, auch Aufgaben des gesamten Umfeldes zu übernehmen, und habe sich freiwillig zum AFTUR-Einsatz (Auslandseinsatz Active Fence Turkey) gemeldet.
11Bei einer Abwägung der dargestellten Interessen der Beteiligten hält der Senat im vorliegenden Einzelfall das Interesse der Antragsgegnerin, den Antragsteller einstweilig nicht weiter als Soldat beschäftigen zu müssen, für weniger gewichtig als dessen Interesse daran, vorläufig weiter seinen Dienst als Soldat zu verrichten und auf diese Weise seinen Lebensunterhalt zu sichern.
12Eine Kostenentscheidung ergeht nicht, da das Verfahren auf Erlass einer Zwischenentscheidung keine eigenständige Kostenfolge auslöst.
13Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
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Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozeßordnung einschließlich § 278 Absatz 5 und § 278a entsprechend anzuwenden, wenn die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten dies nicht ausschließen; Buch 6 der Zivilprozessordnung ist nicht anzuwenden. Die Vorschriften des Siebzehnten Titels des Gerichtsverfassungsgesetzes sind mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Oberverwaltungsgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundesverwaltungsgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung die Verwaltungsgerichtsordnung tritt. Gericht im Sinne des § 1062 der Zivilprozeßordnung ist das zuständige Verwaltungsgericht, Gericht im Sinne des § 1065 der Zivilprozeßordnung das zuständige Oberverwaltungsgericht.
(1) Die Beschwerde hat nur dann aufschiebende Wirkung, wenn sie die Festsetzung eines Ordnungs- oder Zwangsmittels zum Gegenstand hat.
(2) Das Gericht oder der Vorsitzende, dessen Entscheidung angefochten wird, kann die Vollziehung der Entscheidung aussetzen.
(3) Das Beschwerdegericht kann vor der Entscheidung eine einstweilige Anordnung erlassen; es kann insbesondere die Vollziehung der angefochtenen Entscheidung aussetzen.
(1) Die Beschwerde hat nur dann aufschiebende Wirkung, wenn sie die Festsetzung eines Ordnungs- oder Zwangsmittels zum Gegenstand hat. Das Gericht, der Vorsitzende oder der Berichterstatter, dessen Entscheidung angefochten wird, kann auch sonst bestimmen, daß die Vollziehung der angefochtenen Entscheidung einstweilen auszusetzen ist.
(2) §§ 178 und 181 Abs. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes bleiben unberührt.
(1) Wird ein Beamter, Richter oder Soldat durch eine gesetzliche Änderung seiner Bezüge einschließlich der Einreihung seines Amtes in die Besoldungsgruppen der Besoldungsordnungen rückwirkend schlechter gestellt, so sind die Unterschiedsbeträge nicht zu erstatten.
(2) Im Übrigen regelt sich die Rückforderung zuviel gezahlter Bezüge nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. Der Kenntnis des Mangels des rechtlichen Grundes der Zahlung steht es gleich, wenn der Mangel so offensichtlich war, dass der Empfänger ihn hätte erkennen müssen. Von der Rückforderung kann aus Billigkeitsgründen mit Zustimmung der obersten Dienstbehörde oder der von ihr bestimmten Stelle ganz oder teilweise abgesehen werden.
(3) Geldleistungen, die für die Zeit nach dem Tode des Beamten, Richters oder Soldaten auf ein Konto bei einem Geldinstitut überwiesen wurden, gelten als unter Vorbehalt erbracht. Das Geldinstitut hat sie der überweisenden Stelle zurück zu überweisen, wenn diese sie als zu Unrecht erbracht zurückfordert. Eine Verpflichtung zur Rücküberweisung besteht nicht, soweit über den entsprechenden Betrag bei Eingang der Rückforderung bereits anderweitig verfügt wurde, es sei denn, dass die Rücküberweisung aus einem Guthaben erfolgen kann. Das Geldinstitut darf den überwiesenen Betrag nicht zur Befriedigung eigener Forderungen verwenden.
(4) Soweit Geldleistungen für die Zeit nach dem Tode des Beamten, Richters oder Soldaten zu Unrecht erbracht worden sind, haben die Personen, die die Geldleistungen in Empfang genommen oder über den entsprechenden Betrag verfügt haben, diesen Betrag der überweisenden Stelle zu erstatten, sofern er nicht nach Absatz 3 von dem Geldinstitut zurücküberwiesen wird. Ein Geldinstitut, das eine Rücküberweisung mit dem Hinweis abgelehnt hat, dass über den entsprechenden Betrag bereits anderweitig verfügt wurde, hat der überweisenden Stelle auf Verlangen Namen und Anschrift der Personen, die über den Betrag verfügt haben, und etwaiger neuer Kontoinhaber zu benennen. Ein Anspruch gegen die Erben bleibt unberührt.
(1) Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts können vorbehaltlich des § 99 Abs. 2 und des § 133 Abs. 1 dieses Gesetzes sowie des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht angefochten werden.
(2) Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gilt für Entscheidungen des beauftragten oder ersuchten Richters oder des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle § 151 entsprechend.