|
|
| Der Verurteilte wurde mit Urteil des Landgerichts Ravensburg vom 21. Februar 2007 wegen schweren Raubes, Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 23 Fällen, Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen, Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen, Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in zwei Fällen sowie wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu der Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Daneben wurde seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt mit einem Vorwegvollzug von zwei Jahren und vier Monaten der Freiheitsstrafe angeordnet. Seit dem 3. November 2008 befand er sich im Maßregelvollzug im …. in …. |
|
| Das Landgericht Tübingen setzte am 29. Dezember 2011, rechtskräftig seit 12. Januar 2012, die weitere Vollstreckung der Reststrafe und der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt aus dem Urteil des Landgerichts Ravensburg vom 21. Februar 2007 für die Dauer von drei Jahren zur Bewährung aus. |
|
| Durch Urteil vom 20. August 2014 wurde er vom Landgericht Ravensburg wegen besonders schweren Raubes, begangen am 28. November 2013, zu der Freiheitsstrafe von sechs Jahren und acht Monaten verurteilt. Das Urteil ist rechtskräftig seit 26. Februar 2015. |
|
| Im Hinblick hierauf beantragte die Staatsanwaltschaft Ravensburg den Widerruf der Strafrestaussetzung zur Bewährung. |
|
| Das Landgericht - Strafvollstreckungskammer - Tübingen verfügte durch den Vorsitzenden am 13. April 2015 die Zustellung eines Anschreibens an den Verurteilten, in dem es ihn auf die durch Urteil vom 20. August 2014 erkannte erneute Straffälligkeit während laufender Bewährung und die deswegen verhängte Freiheitsstrafe sowie auf den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Widerruf der Bewährung hinwies und ihm Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme binnen zwei Wochen ab Zugang des Anschreibens einräumte. Das Anschreiben wurde dem Verurteilten am 4. Mai 2015 in der Justizvollzugsanstalt … zugestellt. Eine Stellungnahme bis zum Ablauf der Frist ist nicht eingegangen. |
|
| Mit Beschluss vom 21. Mai 2015 hat das Landgericht - Strafvollstreckungskammer - Tübingen daraufhin die dem Verurteilten durch Beschluss des Landgerichts Tübingen vom 29. Dezember 2011 hinsichtlich der Restfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Ravensburg vom 21. Februar 2007 bewilligte Strafaussetzung zur Bewährung widerrufen. Der Beschluss ist dem Verurteilten am 27. Mai 2015 in der Justizvollzugsanstalt … zugestellt worden. |
|
| Hiergegen wendet sich der Verurteilte mit Schreiben vom 28. Mai 2015, eingegangen beim Landgericht am 1. Juni 2015, mit dem er „Beschwerde“ gegen den Widerrufsbeschluss einlegt und einen Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Stellungnahmefrist stellt. |
|
| Die „Beschwerde“ des Verurteilten ist als sofortige Beschwerde gem. § 453 Abs. 2 Satz 3 StPO statthaft und zulässig. Sie ist fristgerecht erhoben. Sie ist jedoch unbegründet. |
|
| Der Senat sieht sich nicht an einer eigenen Sachentscheidung gehindert. |
|
| Zwar hat der Verurteilte mit der Beschwerde zugleich einen Wiedereinsetzungsantrag gestellt, über den grundsätzlich zunächst vom Landgericht als gem. § 46 Abs. 1 StPO zuständigem Gericht entschieden werden müsste (BGH, NJW 1958, 509; Graalmann-Scheerer in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Auflage, § 46 Rn. 7; OLG Frankfurt, NStZ-RR 2006, 215-216). |
|
| Der vom Verurteilten gestellte Wiedereinsetzungsantrag ist jedoch nicht statthaft, weil er sich nicht auf eine Frist i.S.d. § 44 StPO bezieht. |
|
| Ein Wiedereinsetzungsantrag ist ein Rechtsbehelf, der es dem Betroffenen ermöglichen soll, prozessuale Rechte wahrzunehmen, die ihm wegen Ablaufs einer Frist nicht mehr zustehen. |
|
| Gegenstand eines Wiedereinsetzungsantrages ist mithin eine Frist, nach deren Ablauf dem Betroffenen die Vornahme einer Prozesshandlung oder die Wahrnehmung eines Prozessrechts verwehrt ist. |
|
| Dies soll schon bei einer gesetzlichen Ausschlussfrist nicht der Fall sein, die mangels tatsächlicher oder rechtlicher Wahrnehmungsmöglichkeit nicht zu laufen beginnt (OLG Bremen, GA 1956, 185 für den Fall der Behinderung der Einhaltung der Strafantragsfrist nach damaligem § 61 StGB). |
|
| Aber auch richterliche Fristen ohne Ausschlussfunktion bedürfen demnach nicht in jedem Fall der Wiedereinsetzung (Matt in Löwe-Rosenberg, StPO, aaO, § 306 Rn. 8; Valerius in Münchener Kommentar, StPO, 1. Auflage, § 44 Rn. 5; Ziegler in KMR, StPO, § 44 Rn. 5). |
|
| In der Rechtsprechung wurde dies für eine richterlich gesetzte Frist zur Begründung einer Beschwerde (OLG Karlsruhe, MDR 1983, 250), eine richterlich gesetzte Frist zur Begründung einer Berufung (OLG Dresden, Beschluss vom 20. Mai 1977 - 1 Ws 115/97 -, zit. nach juris) und - nach Rechtslage vor der Neufassung des § 72 Abs. 1 und Abs. 2 OWiG vom 19. Februar 1987 - für eine richterlich gesetzte Frist zur Einlegung eines Widerspruchs gegen eine Entscheidung im Beschlusswege (BayObLG, NJW 1972, 1724) bereits entschieden. Für eine richterlich gesetzte Frist zur Gewährung rechtlichen Gehörs - hier vor einer Entscheidung über den Antrag auf Widerruf einer Bewährung (§ 453 Abs. 1 Satz 2 StPO) - kann nichts anderes gelten. |
|
| Wie in den Fällen nicht gesetzlich vorgeschriebener Beschwerde- oder Berufungsbegründungsfristen oder - nach alter Rechtslage - einer Widerspruchsfrist steht es dem Gericht auch im Rahmen der Anhörung zum Widerruf einer Strafaussetzung zur Bewährung frei, eine solche Frist zu bestimmen. Eine solchermaßen gesetzte Frist soll dem Verurteilten erklären, dass er vor Ablauf der Frist nicht mit einer Entscheidung des Gerichts zu rechnen hat, ohne ihm die Stellungnahmemöglichkeit nach Ablauf der Frist zu nehmen. |
|
| Wäre vom Gericht keine Frist gesetzt, wären hiergegen auch im Rahmen der Anhörung zum Widerruf der Bewährung unter dem Gesichtspunkt der Gewährung rechtlichen Gehörs - unter Einhaltung einer angemessenen Zeit bis zur Entscheidung - keinerlei Bedenken zu erheben. Eine Wiedereinsetzung würde sich schon begrifflich ausschließen, da es in diesem Fall gar keine Frist gäbe. |
|
| Aus dem Umstand, dass mit der Einräumung einer Frist mehr geschehen ist als rechtlich geboten, können - abgesehen von der Beachtung der Sperrwirkung der Frist durch das Gericht - keine weitergehenden Rechte des Verurteilten hergeleitet werden (OLG Karlsruhe, aaO; BayObLG, aaO). |
|
| Dies muss im Vergleich mit den Fällen der Beschwerde- oder Berufungsbegründung für die Anhörung vor Widerruf einer Strafaussetzung Bewährung umso mehr gelten, als dem Verurteilten gegen einen Widerrufsbeschluss gem. § 453 Abs. 2 Satz 3 StPO die sofortige Beschwerde zusteht und auch das Beschwerdegericht bei seiner eigenen Sachentscheidung gem. § 309 Abs. 2 StPO weiteren Sachvortrag des Verurteilten berücksichtigen muss, dem Verurteilten also sein Anhörungsrecht zusätzlich noch in einer zweiten Instanz zur Verfügung steht. |
|
| Zum gestellten Wiedereinsetzungsantrag des Verurteilten bedarf es deshalb keiner vorangehenden Entscheidung des Landgerichts. |
|
| Das Landgericht Tübingen hat die im Beschluss vom 29. Dezember 2011 gewährte Reststrafaussetzung zur Bewährung zu Recht widerrufen, weil der Verurteilte in der Bewährungszeit eine Straftat begangen und dadurch gezeigt hat, dass er die Erwartung, die der Strafaussetzung zugrunde lag, nicht erfüllt hat (§ 56f Abs. 1 Satz 1 StGB). |
|
| Im Widerrufsverfahren nach § 56f Abs. 1 Satz 1 StGB muss zu der Feststellung des Vorliegens einer neuen Straftat eine Prüfung der Frage hinzukommen, ob sich dadurch die Erwartung, die der Strafaussetzung zugrunde lag, nicht erfüllt hat. Dabei stehen auch einschlägige Rückfalltaten, jedenfalls wenn sie von geringerem Gewicht sind, der Annahme einer neuerlichen günstigen Prognose nicht von vornherein entgegen. Das den Widerruf prüfende Gericht hat in jedem Fall eine eigene Prognoseentscheidung zu treffen, ob durch die neuen Taten die Erwartung, die der Strafaussetzung zur Bewährung zugrunde lag, widerlegt ist oder dennoch fortbesteht (OLG Stuttgart, Beschluss vom 8. November 2001 - 2 Ws 222/01, juris Rn. 10). |
|
| Der Verurteilte hat nach den rechtskräftigen Erkenntnissen des Landgerichts Ravensburg im Urteil vom 20. August 2014 am 28. November 2013 und damit während laufender Bewährungszeit einen besonders schweren Raub begangen. Er hatte bei dieser Tat zwar nicht die ausführende Rolle, initiierte und plante die Tat jedoch unter maßgeblichem Einfluss auf seine ausführenden Mittäter. Damit hat er eine vorsätzliche, schwerwiegende und einschlägige Straftat begangen, ohne sich hiervon durch die Einwirkung des vorangegangen länger andauernden Strafvollzugs abhalten zu lassen. Die Erwartung des Landgerichts Tübingen im Strafaussetzungsbeschluss vom 29. Dezember 2011, der Verurteilte werde unter dem Eindruck der erfahrenen Strafvollstreckung keine weiteren Straftaten mehr begehen, hat er damit deutlich widerlegt. |
|
| Angesichts des gravierenden Rückfalls ist zu befürchten, dass der Verurteilte auch künftig Straftaten begehen wird. |
|
| Der Senat erkennt gegenwärtig keine milderen Möglichkeiten als den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung, um auf den Verurteilten in ausreichendem Maße dahingehend einwirken zu können, ihn zu zukünftiger Straffreiheit zu bewegen. Insbesondere reicht es nicht aus, die Bewährungszeit - möglicherweise, wie vom Verurteilten in seinem Beschwerdevorbringen angedacht - bis nach der erfolgten Vollstreckung der mit Urteil des Landgerichts Ravensburg vom 20. August 2014 verhängten Freiheitsstrafe zu verlängern. |
|
| Zum einen wäre die Verlängerung um - mindestens - den Zeitraum der aus dem Urteil des Landgerichts Ravensburg vom 20. August 2014 anstehenden Strafzeit nicht zulässig (§ 56f Abs. 2 Satz 2 StGB). |
|
| Zum anderen stellt der für den Verurteilten anstehende Vollzug der Strafe aus dem Urteil des Landgerichts Ravensburg vom 20. August 2014, von dem zu hoffen ist, dass er seine Wirkung auf den Verurteilten nicht verfehlen wird, gegenwärtig noch keinen Umstand dar, auf den eine günstige Prognose gegründet werden könnte. Dazu ist zunächst der weitere Vollzugsverlauf abzuwarten. |
|
| Dem Verurteilen mag es unbenommen sein, zu gegebenem Zeitpunkt einen Antrag nach § 57 StGB zu stellen. |
|