Oberlandesgericht Stuttgart Beschluss, 13. Jan. 2006 - 2 Ws 5/06

published on 13/01/2006 00:00
Oberlandesgericht Stuttgart Beschluss, 13. Jan. 2006 - 2 Ws 5/06
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Tenor

Auf die Beschwerde des Beschuldigten wird die Verfügung des Landgerichts Ulm vom 06. Dezember 2005 aufgehoben.

Dem Beschuldigten wird Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger beigeordnet.

Die Bestellung von Rechtsanwalt wird aufgehoben.

Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Beschuldigten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Gründe

 
I. Mit der angefochtenen Verfügung bestellte der Vorsitzende der sechsten Strafkammer des Landgerichts Ulm dem Beschuldigten auf Antrag der Staatsanwaltschaft während des Vorverfahrens gemäß §§ 141 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3, 142 Abs. 1 StPO den im Gerichtsbezirk zugelassenen Rechtsanwalt zum Pflichtverteidiger und wies zugleich den Antrag des Beschuldigten, ihm seinen Wahlverteidiger Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger beizuordnen, zurück.
II. Die gegen die Verfügung eingelegte Beschwerde ist zulässig (1.) und begründet (2.).
1. Gegen die Ablehnung der Bestellung durch den Vorsitzenden steht dem Beschuldigten die Beschwerde nach § 304 Abs. 1 StPO zu. Hierbei handelt es sich um keine im Sinne des § 305 Satz 1 StPO der Urteilsfällung vorausgehende Entscheidung (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl., § 141 Rn. 10 m.w.N.).
Gegen die Verfügung kann, wie vorliegend ausdrücklich erfolgt, nur der Beschuldigte, nicht der nicht beigeordnete Rechtsanwalt im eigenen Namen, Beschwerde einlegen (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 142 Rn. 19).
2. Die getroffene Verfügung kann deshalb keinen Bestand haben, weil keine „wichtigen Gründe“ ersichtlich sind, die einer Beiordnung des vom Beschuldigten gewünschten Verteidigers entgegenstünden, § 142 Abs.1 Satz 3 StPO.
Die Vorschriften der Strafprozessordnung über die notwendige Mitwirkung und die Bestellung eines Verteidigers im Strafverfahren (§§ 140 ff. StPO) stellen sich als Konkretisierung des Rechtsstaatsprinzips in seiner Ausgestaltung als Gebot fairer Verfahrensführung dar. Der Beschuldigte darf nicht nur Objekt des Verfahrens sein; ihm muss vielmehr die Möglichkeit gegeben werden, zur Wahrung seiner Rechte auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens Einfluss zu nehmen. Hierzu gehört sein Recht, sich im Strafverfahren von einem Rechtsanwalt als gewähltem Verteidiger seines Vertrauens verteidigen zu lassen. Durch die Beiordnung eines Verteidigers soll der Beschuldigte grundsätzlich gleichen Rechtsschutz erhalten wie ein Beschuldigter, der sich auf eigene Kosten einen Verteidiger gewählt hat. Dies gebietet bereits das verfassungsrechtliche Gleichheitsgebot, folgt aber auch aus Art. 6 Abs. 3 Buchstabe c MRK. Dem entspricht es, dass dem Beschuldigten der Anwalt seines Vertrauens als Pflichtverteidiger beizuordnen ist, wenn nicht wichtige Gründe entgegenstehen. Der verfassungsrechtliche Rang der Verteidigung durch den Anwalt des Vertrauens des Beschuldigten ist mithin der entscheidende Maßstab für die Auswahl eines Pflichtverteidigers. In der Phase der Bestellung eines Pflichtverteidigers hat das Recht des Beschuldigten auf einen Anwalt seines Vertrauens grundsätzlich Vorrang (BVerfG StV 2001, 601 ff. m.w.N.; BGH NStZ 2003, 378 m.w.N.).
Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn der Beschuldigte die Bestellung eines auswärtigen Verteidigers wünscht. Der Beschuldigte hat zwar keinen Anspruch auf die Beiordnung einer bestimmten, von ihm ausgewählten Person als Pflichtverteidiger (Meyer-Goßner § 142 Rn. 9). Erfüllt der von ihm vorgeschlagene Verteidiger aber die an ihn zu stellenden Voraussetzungen der Gewährung rechtskundigen Beistandes, so ist das Ermessen des Vorsitzenden bei der Auswahl in der Regel so weit eingeschränkt, dass die Beiordnung eines anderen als des vom Beschuldigten vorgeschlagenen Verteidigers als ermessensfehlerhaft zu verstehen wäre (OLG Rostock StraFo 2002, 85 ff.; KK/Laufhütte, StPO, 5. Aufl., § 142 Rn. 7).
Der Gesichtspunkt der „Ortsnähe“, der zwar auch als wichtiger Grund im Sinne des § 142 Abs. 1 Satz 3 StPO anzusehen ist, tritt vor diesem Hintergrund im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung grundsätzlich gegenüber dem besonderen Vertrauensverhältnis zurück (BVerfG a.a.O. S. 603). Er ist daher nur insoweit zu berücksichtigen, als die Ortsferne einer sachdienlichen Verteidigung, sowohl für den Beschuldigten als auch für einen ordnungsgemäßen Verfahrensablauf entgegensteht (vgl. BGH NStZ 1998, 49).
Dies ist im vorliegenden Fall nicht erkennbar. Nach dem bisherigen Verfahrensverlauf und den Darlegungen des Wahlverteidigers hat sich zwischen dem noch minderjährigen Beschuldigten und seinem gewählten Verteidiger seit der Mandatserteilung am 02. November 2005 ein besonderes Vertrauensverhältnis entwickelt. Es reicht hierbei aus, dass dieses erst im Zuge der zunächst als Wahlverteidigung geführten Verteidigung entstanden ist (OLG Stuttgart StV 1998, 122). Mehrere Besprechungen zwischen dem seit Ende Oktober 2005 in der JVA Ulm, nach Erlass eines Haftbefehls im vorliegenden Verfahren, einsitzenden Beschuldigten und seinem Wahlverteidiger haben zu diesem Verhältnis beigetragen.
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Demgegenüber hat der Gesichtspunkt der „Ortsferne“ zurückzutreten, zumal, wie sich bisher schon gezeigt hat, bei einem Verteidiger mit Kanzleisitz in Stuttgart die „praktische Reichweite“ ohne weiteres gewährleistet ist.
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Da außer der „Ortsferne“ keine Gesichtspunkte gegen eine Beiordnung des vom Beschuldigten gewünschten Verteidigers sprechen und die Voraussetzungen für eine notwendige Verteidigung zu Recht angenommen worden sind, ist das Auswahlermessen „auf Null“ beschränkt. Der Senat ordnet deshalb Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger bei und hebt die getroffene Pflichtverteidigerbestellung auf, da eine sachgemäße andere Entscheidung nach Sachlage nicht in Betracht kommt, § 309 Abs. 2 StPO (vgl. OLG Düsseldorf StV 2004, 62; Meyer-Goßner § 309 Rn. 4).
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(1) Die Beschwerde ist gegen alle von den Gerichten im ersten Rechtszug oder im Berufungsverfahren erlassenen Beschlüsse und gegen die Verfügungen des Vorsitzenden, des Richters im Vorverfahren und eines beauftragten oder ersuchten Richters zulässig,

(1) Die Entscheidung über die Beschwerde ergeht ohne mündliche Verhandlung, in geeigneten Fällen nach Anhörung der Staatsanwaltschaft. (2) Wird die Beschwerde für begründet erachtet, so erläßt das Beschwerdegericht zugleich die in der Sache erfor

(1) In den Fällen der notwendigen Verteidigung wird dem Beschuldigten, dem der Tatvorwurf eröffnet worden ist und der noch keinen Verteidiger hat, unverzüglich ein Pflichtverteidiger bestellt, wenn der Beschuldigte dies nach Belehrung ausdrücklich be
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published on 14/01/2015 00:00

Tenor bleibt es bei der mit Beschluss der Kammer vom 06.10.2014 unter Ziffer 2 des Tenors getroffenen Anordnung. Die Untergebrachte ist – da der angeordnete Überführungstermin inzwischen abgelaufen ist - umgehend in die Justizvollzugsanstalt zu über
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Annotations

(1) In den Fällen der notwendigen Verteidigung wird dem Beschuldigten, dem der Tatvorwurf eröffnet worden ist und der noch keinen Verteidiger hat, unverzüglich ein Pflichtverteidiger bestellt, wenn der Beschuldigte dies nach Belehrung ausdrücklich beantragt. Über den Antrag ist spätestens vor einer Vernehmung des Beschuldigten oder einer Gegenüberstellung mit ihm zu entscheiden.

(2) Unabhängig von einem Antrag wird dem Beschuldigten, der noch keinen Verteidiger hat, in den Fällen der notwendigen Verteidigung ein Pflichtverteidiger bestellt, sobald

1.
er einem Gericht zur Entscheidung über Haft oder einstweilige Unterbringung vorgeführt werden soll;
2.
bekannt wird, dass der Beschuldigte, dem der Tatvorwurf eröffnet worden ist, sich auf Grund richterlicher Anordnung oder mit richterlicher Genehmigung in einer Anstalt befindet;
3.
im Vorverfahren ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte, insbesondere bei einer Vernehmung des Beschuldigten oder einer Gegenüberstellung mit ihm, nicht selbst verteidigen kann, oder
4.
er gemäß § 201 zur Erklärung über die Anklageschrift aufgefordert worden ist; ergibt sich erst später, dass die Mitwirkung eines Verteidigers notwendig ist, so wird er sofort bestellt.
Erfolgt die Vorführung in den Fällen des Satzes 1 Nummer 1 zur Entscheidung über den Erlass eines Haftbefehls nach § 127b Absatz 2 oder über die Vollstreckung eines Haftbefehls gemäß § 230 Absatz 2 oder § 329 Absatz 3, so wird ein Pflichtverteidiger nur bestellt, wenn der Beschuldigte dies nach Belehrung ausdrücklich beantragt. In den Fällen des Satzes 1 Nummer 2 und 3 kann die Bestellung unterbleiben, wenn beabsichtigt ist, das Verfahren alsbald einzustellen und keine anderen Untersuchungshandlungen als die Einholung von Registerauskünften oder die Beiziehung von Urteilen oder Akten vorgenommen werden sollen.

(1) Die Beschwerde ist gegen alle von den Gerichten im ersten Rechtszug oder im Berufungsverfahren erlassenen Beschlüsse und gegen die Verfügungen des Vorsitzenden, des Richters im Vorverfahren und eines beauftragten oder ersuchten Richters zulässig, soweit das Gesetz sie nicht ausdrücklich einer Anfechtung entzieht.

(2) Auch Zeugen, Sachverständige und andere Personen können gegen Beschlüsse und Verfügungen, durch die sie betroffen werden, Beschwerde erheben.

(3) Gegen Entscheidungen über Kosten oder notwendige Auslagen ist die Beschwerde nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200 Euro übersteigt.

(4) Gegen Beschlüsse und Verfügungen des Bundesgerichtshofes ist keine Beschwerde zulässig. Dasselbe gilt für Beschlüsse und Verfügungen der Oberlandesgerichte; in Sachen, in denen die Oberlandesgerichte im ersten Rechtszug zuständig sind, ist jedoch die Beschwerde zulässig gegen Beschlüsse und Verfügungen, welche

1.
die Verhaftung, einstweilige Unterbringung, Unterbringung zur Beobachtung, Bestellung eines Pflichtverteidigers oder deren Aufhebung, Beschlagnahme, Durchsuchung oder die in § 101 Abs. 1 oder § 101a Absatz 1 bezeichneten Maßnahmen betreffen,
2.
die Eröffnung des Hauptverfahrens ablehnen oder das Verfahren wegen eines Verfahrenshindernisses einstellen,
3.
die Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten (§ 231a) anordnen oder die Verweisung an ein Gericht niederer Ordnung aussprechen,
4.
die Akteneinsicht betreffen oder
5.
den Widerruf der Strafaussetzung, den Widerruf des Straferlasses und die Verurteilung zu der vorbehaltenen Strafe (§ 453 Abs. 2 Satz 3), die Anordnung vorläufiger Maßnahmen zur Sicherung des Widerrufs (§ 453c), die Aussetzung des Strafrestes und deren Widerruf (§ 454 Abs. 3 und 4), die Wiederaufnahme des Verfahrens (§ 372 Satz 1) oder die Einziehung oder die Unbrauchbarmachung nach den §§ 435, 436 Absatz 2 in Verbindung mit § 434 Absatz 2 und § 439 betreffen;
§ 138d Abs. 6 bleibt unberührt.

(5) Gegen Verfügungen des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofes und des Oberlandesgerichts (§ 169 Abs. 1) ist die Beschwerde nur zulässig, wenn sie die Verhaftung, einstweilige Unterbringung, Bestellung eines Pflichtverteidigers oder deren Aufhebung, Beschlagnahme, Durchsuchung oder die in § 101 Abs. 1 bezeichneten Maßnahmen betreffen.

Entscheidungen der erkennenden Gerichte, die der Urteilsfällung vorausgehen, unterliegen nicht der Beschwerde. Ausgenommen sind Entscheidungen über Verhaftungen, die einstweilige Unterbringung, Beschlagnahmen, die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis, das vorläufige Berufsverbot oder die Festsetzung von Ordnungs- oder Zwangsmitteln sowie alle Entscheidungen, durch die dritte Personen betroffen werden.

(1) Der Antrag des Beschuldigten nach § 141 Absatz 1 Satz 1 ist vor Erhebung der Anklage bei den Behörden oder Beamten des Polizeidienstes oder bei der Staatsanwaltschaft anzubringen. Die Staatsanwaltschaft legt ihn mit einer Stellungnahme unverzüglich dem Gericht zur Entscheidung vor, sofern sie nicht nach Absatz 4 verfährt. Nach Erhebung der Anklage ist der Antrag des Beschuldigten bei dem nach Absatz 3 Nummer 3 zuständigen Gericht anzubringen.

(2) Ist dem Beschuldigten im Vorverfahren ein Pflichtverteidiger gemäß § 141 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3 zu bestellen, so stellt die Staatsanwaltschaft unverzüglich den Antrag, dem Beschuldigten einen Pflichtverteidiger zu bestellen, sofern sie nicht nach Absatz 4 verfährt.

(3) Über die Bestellung entscheidet

1.
das Amtsgericht, in dessen Bezirk die Staatsanwaltschaft oder ihre zuständige Zweigstelle ihren Sitz hat, oder das nach § 162 Absatz 1 Satz 3 zuständige Gericht;
2.
in den Fällen des § 140 Absatz 1 Nummer 4 das Gericht, dem der Beschuldigte vorzuführen ist;
3.
nach Erhebung der Anklage der Vorsitzende des Gerichts, bei dem das Verfahren anhängig ist.

(4) Bei besonderer Eilbedürftigkeit kann auch die Staatsanwaltschaft über die Bestellung entscheiden. Sie beantragt unverzüglich, spätestens innerhalb einer Woche nach ihrer Entscheidung, die gerichtliche Bestätigung der Bestellung oder der Ablehnung des Antrags des Beschuldigten. Der Beschuldigte kann jederzeit die gerichtliche Entscheidung beantragen.

(5) Vor der Bestellung eines Pflichtverteidigers ist dem Beschuldigten Gelegenheit zu geben, innerhalb einer zu bestimmenden Frist einen Verteidiger zu bezeichnen. § 136 Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend. Ein von dem Beschuldigten innerhalb der Frist bezeichneter Verteidiger ist zu bestellen, wenn dem kein wichtiger Grund entgegensteht; ein wichtiger Grund liegt auch vor, wenn der Verteidiger nicht oder nicht rechtzeitig zur Verfügung steht.

(6) Wird dem Beschuldigten ein Pflichtverteidiger bestellt, den er nicht bezeichnet hat, ist er aus dem Gesamtverzeichnis der Bundesrechtsanwaltskammer (§ 31 der Bundesrechtsanwaltsordnung) auszuwählen. Dabei soll aus den dort eingetragenen Rechtsanwälten entweder ein Fachanwalt für Strafrecht oder ein anderer Rechtsanwalt, der gegenüber der Rechtsanwaltskammer sein Interesse an der Übernahme von Pflichtverteidigungen angezeigt hat und für die Übernahme der Verteidigung geeignet ist, ausgewählt werden.

(7) Gerichtliche Entscheidungen über die Bestellung eines Pflichtverteidigers sind mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar. Sie ist ausgeschlossen, wenn der Beschuldigte einen Antrag nach § 143a Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 stellen kann.

(1) Die Entscheidung über die Beschwerde ergeht ohne mündliche Verhandlung, in geeigneten Fällen nach Anhörung der Staatsanwaltschaft.

(2) Wird die Beschwerde für begründet erachtet, so erläßt das Beschwerdegericht zugleich die in der Sache erforderliche Entscheidung.