Oberlandesgericht München Beschluss, 12. Nov. 2014 - 1 W 2058/14

published on 12/11/2014 00:00
Oberlandesgericht München Beschluss, 12. Nov. 2014 - 1 W 2058/14
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Landgericht Augsburg, 023 O 1707/14, 25/08/2014

Gericht

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Tenor

Die sofortige Beschwerde des Antragstellers vom 23.09.2014 gegen den Beschluss des Landgerichts Augsburg vom 25.08.2014, Az. 023 0 1707/14, wird zurückgewiesen.

Gründe

l.

Der Antragsteller begehrt Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Amtshaftungsklage gestützt auf den Vorwurf menschenunwürdigen Vollzugs von Strafhaft in der ... im Zeitraum von 12.11.2013 bis 26.02.2014. Er hält eine Entschädigung in Höhe von 10.700 € (107 Tage x 100 €) für angemessen.

Der Antragsteller war zu Beginn mit einem anderen Gefangenen untergebracht, im weiteren Verlauf befand er sich in 4-Mann-Hafträumen. Unstreitig waren die Toiletten abgetrennt und gesondert entlüftet. Der Antragsgegner hat unter Vorlage einer Stellungnahme der Bauverwaltung sowie Fotos der Räume geltend gemacht, der erste Haftraum habe eine Größe von 9,97 m2 gehabt, die Fläche der beiden anderen Hafträume betrage 16,88 m2 bzw. 17,49 m2, zudem wurde anhand von Haftlisten die tägliche Belegung der Räume dargelegt. Der Antragsteller behauptet, die Räume seien nur 8 m2 bzw. 16 m2 groß und damit unzumutbar klein gewesen. Ein Mitgefangener habe für ihn bei den JVA-Beamten wiederholt unter Hinweis seiner Nichtrauchereigenschaft die Verlegung in einen Einzelhaftraum begehrt.

Mit Beschluss vom 25.08.2014, zugestellt am 03.09.2014, wies das Landgericht den Prozesskostenhilfeantrag zurück. Hiergegen richtet sich die am 24.09.2014 bei Gericht eingegangene sofortige Beschwerde des Antragsteilers vom 23.09.2014. Mit Beschluss vom 14.10.2014 hat das Landgericht der Beschwerde des Antragsteilers nicht abgeholfen und die Akten dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Das Landgericht hat zu Recht hinreichende Erfolgsaussichten der beabsichtigten Klage verneint (§ 114 Abs. 1 ZPO).

Es liegen weder die Voraussetzungen für die Zuerkennung von Schadensersatz gemäß § 839 BGB vor noch für die Zuerkennung einer verschuldensunabhängigen Entschädigung.

1. Es kann, anders als der Antragsteller in der Beschwerde geltend macht, den zahlreichen ober- und höchstrichterlichen Entscheidungen zu unzumutbaren Haftbedingungen nicht entnommen werden, dass im Falle gemeinschaftlicher Unterbringung eine anteilige Fläche von lediglich 4 m2 bis 5 m2 pro Gefangener grundsätzlich einen Schadensersatz- oder Entschädigungsanspruch begründet. Auch die vom Antragsteller herangezogenen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts von 1993 und 2012 enthalten hierzu keine konkreten Aussagen. In beiden Entscheidungen waren die Antragsteller erfolglos, d. h. das Bundesverfassungsgericht sah keinen Verfassungsverstoß in den Haftbedingungen. Abgesehen davon betrafen beide Verfahren die Inhaftierung in einer Einzelzelle bzw. deren notwendige Mindestgröße.

Der BGH hat in der Entscheidung vom 04.07.2013, Az. III ZR 338/12 im Übrigen aufgezeigt, dass in der Mehrheit der obergerichtlichen Entscheidungen nicht allein die Fläche der Zelle, sondern die Gesamtumstände, insbesondere eine mangelnde Abtrennung der Toilette bei gemeinschaftlicher Unterbringung in Haftzellen mit anteiliger Fläche von weniger als 6 m2 pro Person, ein wesentlicher Faktor für die Annahme einer menschenunwürdigen Inhaftierung war,

Ob der Vollzug der Strafhaft als menschenunwürdig anzusehen ist, wird von der Rechtsprechung generell nicht abstrakt, sondern anhand einer Gesamtschau der Umstände des Einzelfalls beurteilt. Als erhebliche Umstände kommen insbesondere die Anzahl der in einem Haftraum untergebrachten Gefangenen, die Größe der zur Verfügung stehenden Hafträume, die Ausgestaltung der sanitären Anlagen im Haftraum, die Gesamtdauer der Unterbringung sowie die tatsächlichen Einschlusszeiten in Betracht (BVerfG vom 22.02.2011, 1 BvR 409/09, Rn, 30 ff; vom 07.11.2011, 1 BvR 1403/09, Rn. 38 ff; BGH vom 04.07.2013, III ZR 338/12 und III ZR 342/12).

Der Bundesgerichtshof hat in seinen aktuellen Entscheidungen vom Juli 2013, wie dargelegt, die Rechtsprechung zu Mindestraumgrößen beleuchtet und dabei auch auf die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK in seine Erwägungen einbezogen, wonach dieser von einem Regelwert von 4 m2 je inhaftiertem ausgehe. Entgegen dem Vortrag des Antragstellers bezieht der EGMR bei Flächen unter 4 m2 zudem die weiteren Haftbedingungen in seine Würdigung mit ein. So wurde im Urteil des EGMR vom 10.01.2012 (NVwZ-RR 2013, 284) folgendes ausgeführt:

„Der Gerichtshof wiederholt die in seiner Rechtsprechung zu Artikel 3 EMRK niedergelegten Grundsätze (...). Danach spricht eine starke Vermutung für erniedrigende Haftbedingungen, wenn nicht jeder Häftling einen Schlafplatz in der Zelle hat oder wenn er nicht wenigstens über drei qm Gesamtfläche verfügt oder wenn es der Raum der Zelle insgesamt nicht zulässt, dass sich die Häftlinge zwischen dem Mobiliar frei bewegen. Liegt insoweit eine Überbelegung der Zellen danach nicht vor, sind andere Aspekte für die Beurteilung der Haftbedingungen von Bedeutung, darunter Möglichkeiten der Bewegung im Freien, Tageslicht, natürliche Luft, Lüftung und angemessene Heizung, Toilettenbenutzung unter Wahrung der Privatsphäre sowie angemessene sanitäre und hygienische Vorkehrungen.“

Abgesehen davon hat der BGH in den Entscheidungen von Juli 2013 auch geklärt, inwieweit nicht mehr menschenwürdige Haftbedingungen einen verschuldensunabhängigen Entschädigungsanspruch nach Art. 5 Abs. 5 EMRK nach sich ziehen. Die Modalitäten des Vollzugs der Haft unterfallen demnach nicht der Garantie des Art. 5 EMRK, sondern sind Art. 3 EMRK zuzuordnen. Die Rechtsfolgen im Falle eines Verstoßes richten sich somit nach §§ 839, 249 ff BGB. Obergerichtfiche Entscheidungen, die dies noch anders beurteilt haben (u. a. OLG Celle NJW 2003, 2463; KG OLGR 2005, 813), sind damit überholt.

Auf der Grundlage der aktuellen Entscheidungen des BGH kann somit allein aus der Tatsache, dass bei Mehrfachbelegung auf jeden Gefangenen rechnerisch nur eine Fläche zwischen 4 m2 und 5 m2 entfällt, noch nicht auf eine entschädigungspflichtige bzw. schadensersatzbegründende Verletzung der Menschenwürde geschlossen werden, mit der Folge, dass in einem Prozesskostenhilfeverfahren die Erfolgsaussichten der Klage schon allein deshalb bejaht werden müssten. Maßgeblich sind vielmehr die Gesamtumstände.

2. Unter Anwendung dieser Grundsätze kann ein vorwerfbarer Verstoß gegen das Verbot menschenunwürdiger Unterbringung nicht festgestellt werden.

Legt man die Angaben des Antragsgegners zugrunde, errechnen sich folgende Flächen pro Person:

für die Zeit von 12.11.2013 bis 25.11.2013 knapp 5 m2

In der Zeit von 25.11.2013 bis 09.12.2013 je nach Belegung mit zwei oder drei Personen zwischen 5,6 m2 und 8 m2.

von 09.12.2013 bis 26.02.2014 bei Belegung zwischen 2 und 4 Gefangenen zwischen 4,47 m2 und 8,75 m2

Selbst bei der vom Antragsteller behaupteten Größe der Zellen von 8 m2 bzw. 16 m2 wird eine anteilige Fläche von 4 m2 nicht unterschritten bei unstreitig abgetrennten Toiletten. Insoweit ist auf die dargelegte Rechtsprechung zu verweisen, wonach eine Mindestgrenze von mehr als 4 m2 pro Gefangener bei Mehrfachunterbringung bislang nicht eindeutig vorgegeben wird, somit die rechnerische Fläche allein einen Schadensersatzanspruch mangels schuldhafter Amtspflichtverletzung nicht begründet, mag sie sich auch im untersten Grenzbereich bewegen. Dass bei der Ermittlung der Raumgröße das Mobiliar nicht abzuziehen ist, hat der Senat bereits entschieden (vgl. Senatsbeschluss vom 14.08.2013, 1 W 1482/13). Nichts anderes gilt für Toiletten. Maßgeblich ist die Grundfläche der dem Inhaftierten zur Verfügung stehenden Räumlichkeiten. Anhaltspunkte dafür, dass wegen der vorhandenen Ausstattung kein nennenswerter Bewegungsspielraum mehr verblieben ist, bieten weder der Vortrag der Parteien noch die Fotos von den Räumen.

Abgesehen davon kann bei der Beurteilung der Erfolgsaussichten folgender Aspekt nicht unberücksichtigt bleiben:

Der Antragsgegner, dem die detaillierten baulichen Verhältnisse seiner Gefängnisse zweifelsfrei bekannt sind, ist seiner sekundären Darlegungslast nachgekommen und hat exakte Raummaße für die Zellen angegeben. Anhaltspunkte dafür, dass die Angaben unzutreffend sind, liegen nicht vor. Demgegenüber hat der Antragsteller lediglich pauschal und ohne nähere Begründung behauptet, die Bodenflächen der Hafträume hätten nur 8 m2 bzw. 16 m2 gehabt. Es ist nicht dargetan, dass der Vortrag des Antragstellers auf einer belastbaren Informationsgrundlage beruht und nicht nur eine Behauptung ins Blaue darstellt. Es ist schon fraglich, ob insoweit das Bestreiten des Antragstellers zu den Größenangaben des Antragsgegners hinreichend substantiiert ist. Jedenfalls aber fehlt es an einer hinreichenden Erfolgsaussicht, dass der

Antragsteller die ohne nachvollziehbare Begründung behaupteten Abweichungen zur Raumgröße im Rahmen einer Beweisaufnahme nachweisen kann. Auch die vom Antragsgegner detailliert dargelegte Belegung der Hafträume hat der Antragsteller nicht substantiiert bestritten. Demnach war der Antragsteller Im Haftraum 008 nie mit drei weiteren Gefangenen untergebracht. Abgesehen von 2 Tagen, in denen der Haftraum mit drei Personen belegt war, war der Antragsteller demnach in der Zeit von 25.11. bis 09.12.2013 nur mit einem weiteren Gefangenen in einem Raum von 16,88 m2 untergebracht. Für den Zeitraum 09.12.1013 bis 26.02.2014 teilten sich an 31 Tagen zwei bzw. drei Gefangene eine Fläche von 17,49 m2. Darüber hinaus sind die vom Antragsgegner vorgetragenen, ebenfalls nicht bestrittenen Aufschlusszeiten, Freizeitmöglichkeiten und Arbeitstätigkeit des Antragstellers in die Beurteilung miteinzubeziehen.

Bei einer Gesamtwürdigung der räumlichen Verhältnisse, der Größe der Räume und unter Berücksichtigung der effektiven Zeiträume, die der Antragsteller in den Zellen verbringen musste, hat das Landgericht zu Recht hinreichende Erfolgsaussichten für eine Klage auf Schadensersatz/Entschädigung wegen menschenunwürdiger Haftbedingungen verneint.

3. Auch das Vorbringen des Antragstellers, er sei Nichtraucher gewesen und ihm sei zugemutet worden, sich mit Rauchern in einem Haftraum aufzuhalten, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Der Antragsgegner hat vorgetragen, dass es sich bei den Hafträumen, in denen sich der Antragsteller aufgehalten hat, durchgängig um Räume gehandelt hat, die von der Anstaltsleitung als Nichtraucherzellen geführt werden und dass dementsprechend (bis auf eine kurze Ausnahme) nur als Nichtraucher geführte Gefangene dort zugewiesen wurden. Zwar hat der Antragsteller den Mitgefangenen Bachmann als Zeugen dafür angeboten, dass der Haftraum „permanent mit Rauch geschwängert“ gewesen sei. In der Beschwerde hat der Antragsteifer seinen Vortrag dahingehend modifiziert, dass im Haftraum geraucht worden sei.

Selbst wenn der Antragsteller damit den Beweis führen könnte, dass sich Mitgefangene über ein Rauchverbot im Haftraum hinweggesetzt haben, kann dem Vortrag des Antragsteilers nicht entnommen werden, dass er sich hinreichend effektiv um Abhilfe bemüht hat. Der Antragsteiler legt nicht konkret dar, wann welchen Beamten gegenüber der Zeugin ... für den Antragsteller „wegen Nichtrauchereigenschaft“ erfolglos um Verlegung ersucht hat, abgesehen davon, dass ausweislich der Belegungslisten erst ab 10.02.2014 ein Gefangener namens Bachmann im gleichen Haftraum untergebracht war. Darüber hinaus ist es grundsätzlich erforderlich, sich mit Abhilfeanträgen an die Anstaltsleitung zu wenden, was unstreitig nicht der Fall war. Zudem war der Antragsteller unwidersprochen damals anwaltlich vertreten (vgl. BGH vom 04.07.2013, III 329/12, Rn. 13). Stichhaltige Gründe, weswegen dem Antragsteller nicht möglich bzw. nicht zumutbar war, sich schriftlich mit einer Beschwerde bzw. einem Verlegungsantrag an die Anstaltsleitung zu wenden, ggf. auch die Strafvollstreckungskammer einzuschalten, sind nicht dargetan. Der Antragsgegner hat seinerseits vorgetragen, dass bei Beschwerden des Antragstellers für Abhilfe gesorgt worden wäre, wobei auch die effektive Durchsetzung des bestehenden Rauchverbots durch Abmahnung/Sanktionen für den fraglichen Haftraum ausreichend gewesen wäre. Damit steht jedenfalls § 839 Abs. 3 BGB den Erfolgsaussichten einer Klage entgegen.

Ob der vom Antragsteller unterzeichneten „Einverständniserklärung“ eine rechtliche Relevanz zukommt, kann in diesem Zusammenhang dahinstehen.

4. Ergänzend ist anzumerken, dass die von dem Antragsteller genannte Entschädigungssumme von 100,00 €/Tag weit überhöht wäre. Zu verweisen ist auf die Entscheidungspraxis des Senats und anderer Oberlandesgerichte (vgl. z. B. OLG Zweibrücken vom 27.06.2013, 6 U 33/12; OLG Düsseldorf vom 25.08.2010, 18 U 21/10), wonach bei Fällen der Inhaftierung in unzumutbar kleinen Hafträumen je nach den Umständen (insbesondere bei nicht hinreichend abgetrennter Toiletten) Entschädigungssumme in Höhe von 20 € pro Tag zuerkannt werden. Der Hinweis des Antragstellers auf vereinzelt gebliebene, zeitlich deutlich zurückliegende Entscheidungen, bei denen darüber hinaus weitaus gravierendere Verstöße und Folgen geltend gemacht wurden, rechtfertigt keine andere Beurteilung.

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(1) Wer zum Schadensersatz verpflichtet ist, hat den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. (2) Ist wegen Verletzung einer Person oder wegen Beschädigung einer Sache Schadenser

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Annotations

(1) Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Für die grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe innerhalb der Europäischen Union gelten ergänzend die §§ 1076 bis 1078.

(2) Mutwillig ist die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung, wenn eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung absehen würde, obwohl eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht.

(1) Verletzt ein Beamter vorsätzlich oder fahrlässig die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so hat er dem Dritten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Fällt dem Beamten nur Fahrlässigkeit zur Last, so kann er nur dann in Anspruch genommen werden, wenn der Verletzte nicht auf andere Weise Ersatz zu erlangen vermag.

(2) Verletzt ein Beamter bei dem Urteil in einer Rechtssache seine Amtspflicht, so ist er für den daraus entstehenden Schaden nur dann verantwortlich, wenn die Pflichtverletzung in einer Straftat besteht. Auf eine pflichtwidrige Verweigerung oder Verzögerung der Ausübung des Amts findet diese Vorschrift keine Anwendung.

(3) Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Verletzte vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden.