Oberlandesgericht Karlsruhe Beschluss, 31. Aug. 2006 - 1 AK 39/06

bei uns veröffentlicht am31.08.2006

Tenor

1. Der Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe auf Erlass eines vorläufigen Auslieferungshaftbefehls wird abgelehnt.

2. Der Verfolgte ist unverzüglich aus der Haft zu entlassen.

Gründe

 
Dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe auf Erlass einer Haftanordnung kann nicht entsprochen werden.
Der am 23.8.2006 festgenommene Verfolgte ist Bezugsperson einer Ausschreibung der französischen Justizbehörden im Schengener Informationssystem (SIS) aufgrund eines Haftbefehls des Gerichts in C./Frankreich vom 28.7.2006. Hierin wird ihm unter dem Gesichtspunkt der bandenmäßig begangenen Hehlerei folgendes vorgeworfen:
„Am 6.2.2002 wird ... im Tunnel von F. nach M. angehalten/festgenommen, als er Möbel und Gegenstände transportierte, die aus einem Diebstahl stammen, der in der Nacht vom 5.2.2002 auf den 6.2.2002 in C. begangen wurde, wobei die Tat bandenmäßig begangen wurde“.
1. Die Voraussetzungen zum Erlass eines Auslieferungshaftbefehls liegen nicht vor. Zwar reicht nach § 83a Abs.2 IRG hierfür auch eine Ausschreibung des Verfolgten im Schengener Informationssystem (SIS) aus, erforderlich ist aber auch insoweit, dass diese die in § 83a Abs.1 IRG bezeichneten Angaben enthält. Danach bedarf es insbesondere einer ausreichende Beschreibung der Umstände, unter denen die Straftat begangen wurde, einschließlich der Tatzeit, des Tatortes und der Tatbeteiligung der gesuchten Person (§ 83a Abs.1 Nr. 5 IRG), welche in Fällen, in denen - wie hier - die Tat nicht ersichtlich und nachvollziehbar zu den in § 81 Nr. 4 IRG i.V.m. Art. 2 Abs. 2 RbEuHb bezeichneten Deliktsgruppen gehört, auch die nach Art.3 Abs. 1 IRG gebotene Prüfung möglich ist, ob das dem Verfolgten vorgeworfene Verhalten nach deutschem Recht strafbar ist. Hieran fehlt es, weil die Ausschreibung in diesem wesentlichen Punkt (vgl. hierzu Senat, Beschluss vom 10.8.2006, 1 AK 30/06) lückenhaft ist. Nach dieser wird dem Verfolgten weder die Begehung eines Diebstahls noch eine strafrechtlich relevante Beteiligung an einem solchen oder an der Weiterverwertung der Tatbeute vorgeworfen, sondern ihm liegt lediglich der Transport aus einem Diebstahl stammender Möbel und Gegenstände zur Last. Dies wäre aber nach deutschem Recht nach § 259 StGB nur dann als strafbewehrt anzusehen, wenn der Verfolgte von der Vortat - zumindest in Form des bedingten Vorsatzes - gewusst und in dieser Kenntnis den Transport durchgeführt hätte. Hierzu enthält die Ausschreibung keine Angaben. Eine gegenteilige Bewertung verschließt sich trotz der zeitlichen Nähe zwischen Diebstahl und Transport der Beute deshalb, weil der Verfolgte bei seiner Anhörung vor dem Haftrichter angegeben hat, das Transportgut auf einem Flohmarkt gekauft und der französischen Polizei bei der Fahrzeugkontrolle sogar entsprechende Kaufquittungen vorgelegt zu haben. Hinzu kommt, dass die Ausschreibung auch jeden Hinweis auf den Wert des Transportgutes vermissen lässt und damit eine Prüfung, ob und inwieweit der Verfolgte in Bereicherungsabsicht i.S.d. § 259 StGB gehandelt hat, nicht möglich ist.
2. Auch der von der Generalstaatsanwaltschaft K. beantragte Erlass eines vorläufigen Auslieferungshaftbefehls (zu dieser Möglichkeit vgl. Senat StV 2005, 232) scheidet aus Rechtsgründen aus, weil auch hierfür eine Tatbeschreibung erforderlich ist, die eine zureichende Prüfung einer Strafbarkeit des Verfolgten und eine Subsumtion unter einen Straftatbestand ermöglicht (vgl. Senat, Beschluss vom 15.8.2005, 1 AK 40/05, Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 2006, § 16 Rn. 16 m.w.N.). Auch dieser Anforderung wird die in der Ausschreibung erfolgte Umschreibung des dem Verfolgten vorgeworfenen Verhaltens nicht gerecht.
3. Der Senat hat die Vornahme von weiteren Ermittlungsmaßnahmen zur Aufklärung des Sachverhalts, insbesondere die kurzfristige Beiziehung von Haftunterlagen der französischen Justizbehörden, erwogen, hiervon jedoch aus folgenden Gründen abgesehen:
Der Verfolgte verfügt in Italien über einen festen Wohnsitz, so dass er als Bürger der Europäischen Union nicht als wohnsitzlos angesehen werden kann. Seine Einlassung, er habe der Polizei anlässlich der Fahrzeugkontrolle seine Wohnanschrift in Italien angegeben, erscheint nach Aktenlage ebenso glaubhaft, wie seine Bekundung, in der Folgezeit trotz seiner Erreichbarkeit nichts mehr von den französischen Justizbehörden gehört zu haben, zumal der Haftbefehl des Gerichts in C./Frankreich vom 28.7.2006 mehr als vier Jahre nach dem der Ausschreibung zugrunde liegenden Vorfall ergangen ist. Bei dieser Sachlage vermag der Senat nicht davon auszugehen, dass sich der Verfolgte einem Ermittlungs- oder Strafverfahren der französischen Justizbehörden entziehen wollte und eine solche Befürchtung für die Zukunft bestehen würde. Hinzu kommt, dass die Ausschreibung auch keine Angaben zum Wert des Transportgutes trifft, so dass - auch einer Haftanordnung entgegenstehende - etwaige Auslieferungshindernisse nach § 73 Satz 2 IRG nicht beurteilt werden können.
Bei dieser Sachlage war ein Zuwarten im Hinblick auf etwaige weitergehende Erkenntnisse aus den eigentlichen Haftanordnungen der französischen Justizbehörden nicht möglich, sondern unverzüglich - die Akten gingen erst am 30.8.2006 beim Oberlandesgericht ein - über die Haftfrage des sich aufgrund einer bloßen Festnahmeanordnung nach § 19 IRG schon acht Tage in Haft befindlichen Verfolgten zu entscheiden. Dies führte zu Ablehnung des Erlasses eines - auch vorläufigen - Auslieferungshaftbefehls und zur unverzüglichen Anordnung der Freilassung des Verfolgten.

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Oberlandesgericht Karlsruhe Beschluss, 31. Aug. 2006 - 1 AK 39/06 zitiert 6 §§.

Strafgesetzbuch - StGB | § 259 Hehlerei


(1) Wer eine Sache, die ein anderer gestohlen oder sonst durch eine gegen fremdes Vermögen gerichtete rechtswidrige Tat erlangt hat, ankauft oder sonst sich oder einem Dritten verschafft, sie absetzt oder absetzen hilft, um sich oder einen Dritten zu

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Die Leistung von Rechtshilfe sowie die Datenübermittlung ohne Ersuchen ist unzulässig, wenn sie wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung widersprechen würde. Bei Ersuchen nach dem Achten, Neunten, Zehnten und Dreizehnten Teil ist die Leis

Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen - IRG | § 81 Auslieferung zur Verfolgung oder zur Vollstreckung


§ 3 findet mit den Maßgaben Anwendung, dass 1. die Auslieferung zur Verfolgung nur zulässig ist, wenn die Tat nach dem Recht des ersuchenden Mitgliedstaates mit einer Freiheitsstrafe oder sonstigen Sanktion im Höchstmaß von mindestens zwölf Monaten b

Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen - IRG | § 83a Auslieferungsunterlagen


(1) Die Auslieferung ist nur zulässig, wenn die in § 10 genannten Unterlagen oder ein Europäischer Haftbefehl übermittelt wurden, der die folgenden Angaben enthält:1.die Identität, wie sie im Anhang zum Rahmenbeschluss Europäischer Haftbefehl näher b

Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen - IRG | § 19 Vorläufige Festnahme


Liegen die Voraussetzungen eines Auslieferungshaftbefehls vor, so sind die Staatsanwaltschaft und die Beamten des Polizeidienstes zur vorläufigen Festnahme befugt. Unter den Voraussetzungen des § 127 Abs. 1 Satz 1 der Strafprozeßordnung ist jedermann

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Oberlandesgericht Karlsruhe Beschluss, 10. Aug. 2006 - 1 AK 30/06

bei uns veröffentlicht am 10.08.2006

Tenor 1. Gegen den am 21.02.1959 in C./Polen geborenen polnischen Staatsangehörigen ...., wohnhaft in .... wird zum Zwecke seiner Auslieferung nach Polen zur Strafvollstreckung die Auslieferungshaft angeordnet. 2. Der Auslieferungshaftbefehl wir

Oberlandesgericht Karlsruhe Beschluss, 16. Aug. 2005 - 1 AK 40/05

bei uns veröffentlicht am 16.08.2005

Tenor Der Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe vom 12. August 2005 auf Erlass eines vorläufige Auslieferungshaftbefehls wird zurückgewiesen. Gründe   1 Die Anordnung der vorläufigen Auslieferungshaft kommt nach derzeitigem Sachstand
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Oberlandesgericht Karlsruhe Beschluss, 31. Aug. 2006 - 1 AK 39/06.

Oberlandesgericht Hamm Beschluss, 30. Apr. 2014 - 2 Ausl 59/14

bei uns veröffentlicht am 30.04.2014

Tenor 1. Die Anordnung der förmlichen Auslieferungshaft wird abgelehnt. 2. Die Festhalteanordnung des Amtsgerichts Lüdenscheid vom 8. April 2014l 2014 (Az.: 75 Gs 114/14) wird aufgehoben. 3. Der Verfolgte ist unverzüglich aus der Auslieferungshaft

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(1) Die Auslieferung ist nur zulässig, wenn die in § 10 genannten Unterlagen oder ein Europäischer Haftbefehl übermittelt wurden, der die folgenden Angaben enthält:

1.
die Identität, wie sie im Anhang zum Rahmenbeschluss Europäischer Haftbefehl näher beschrieben wird, und die Staatsangehörigkeit des Verfolgten,
2.
die Bezeichnung und die Anschrift der ausstellenden Justizbehörde,
3.
die Angabe, ob ein vollstreckbares Urteil, ein Haftbefehl oder eine andere vollstreckbare justitielle Entscheidung mit gleicher Rechtswirkung vorliegt,
4.
die Art und rechtliche Würdigung der Straftat, einschließlich der gesetzlichen Bestimmungen,
5.
die Beschreibung der Umstände, unter denen die Straftat begangen wurde, einschließlich der Tatzeit, des Tatortes und der Tatbeteiligung der gesuchten Person, und
6.
die für die betreffende Straftat im Ausstellungsmitgliedstaat gesetzlich vorgesehene Höchststrafe oder im Fall des Vorliegens eines rechtskräftigen Urteils die verhängte Strafe.

(2) Die Ausschreibung zur Festnahme zwecks Überstellung oder Auslieferung nach der Verordnung (EU) 2018/1862 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. November 2018 über die Einrichtung, den Betrieb und die Nutzung des Schengener Informationssystems (SIS) im Bereich der polizeilichen Zusammenarbeit und der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen, zur Änderung und Aufhebung des Beschlusses 2007/533/JI des Rates und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1986/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates und des Beschlusses 2010/261/EU der Kommission (ABl. L 312 vom 7.12.2018, S. 56), die die unter Absatz 1 Nr. 1 bis 6 bezeichneten Angaben enthält oder der diese Angaben nachgereicht wurden, gilt als Europäischer Haftbefehl.

§ 3 findet mit den Maßgaben Anwendung, dass

1.
die Auslieferung zur Verfolgung nur zulässig ist, wenn die Tat nach dem Recht des ersuchenden Mitgliedstaates mit einer Freiheitsstrafe oder sonstigen Sanktion im Höchstmaß von mindestens zwölf Monaten bedroht ist,
2.
die Auslieferung zur Vollstreckung nur zulässig ist, wenn nach dem Recht des ersuchenden Mitgliedstaates eine freiheitsentziehende Sanktion zu vollstrecken ist, deren Maß mindestens vier Monate beträgt,
3.
die Auslieferung in Steuer-, Zoll- und Währungsangelegenheiten auch zulässig ist, wenn das deutsche Recht keine gleichartigen Steuern vorschreibt oder keine gleichartigen Steuer-, Zoll- und Währungsbestimmungen enthält wie das Recht des ersuchenden Mitgliedstaates,
4.
die beiderseitige Strafbarkeit nicht zu prüfen ist, wenn die dem Ersuchen zugrunde liegende Tat nach dem Recht des ersuchenden Staates mit einer freiheitsentziehenden Sanktion im Höchstmaß von mindestens drei Jahren bedroht ist und den in Artikel 2 Absatz 2 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (ABl. L 190 vom 18. 7. 2002, S. 1), der durch den Rahmenbeschluss 2009/299/JI (ABl. L 81 vom 27.3.2009, S. 24) geändert worden ist, (Rahmenbeschluss Europäischer Haftbefehl) aufgeführten Deliktsgruppen zugehörig ist.

Tenor

1. Gegen den am 21.02.1959 in C./Polen geborenen polnischen Staatsangehörigen ...., wohnhaft in .... wird zum Zwecke seiner Auslieferung nach Polen zur Strafvollstreckung die Auslieferungshaft angeordnet.

2. Der Auslieferungshaftbefehl wird unter folgenden Auflagen außer Vollzug gesetzt:

a. Der Verfolgte darf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vor Abschluss des Auslieferungsverfahrens nicht ohne Zustimmung der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe verlassen.

b. Der Verfolgte hat jeden Wechsel seines Wohnsitzes der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe mitzuteilen.

c. Dem Verfolgten wird aufgegeben, sich einmal wöchentlich bei dem für seinen Wohnsitz zuständigen Polizeirevier in Y. melden.

d. Der Verfolgte hat - soweit dies noch nicht erfolgt ist - sämtliche Reisedokumente, insbesondere seinen Reisepass, bei der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe zu hinterlegen.

e. Der Verfolgte hat amtlichen Ladungen des Oberlandesgerichts Karlsruhe, des zuständigen Amtsgerichts sowie der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe im vorliegenden Auslieferungs-verfahren Folge zu leisten.

2. Der Verfolgte muss damit rechnen, dass der Auslieferungshaftbefehl in Vollzug gesetzt wird, wenn er

a. den ihm auferlegten Pflichten und Beschränkungen gröblich zuwiderhandelt,

b. Anstalten zur Flucht trifft, auf ordnungsgemäße Ladung ohne genügende Entschuldigung ausbleibt oder sich auf andere Weise zeigt, dass das in ihn gesetzte Vertrauen nicht gerechtfertigt war,

c. oder neu hervorgetretene Umstände den erneuten Vollzug der Auslieferungshaft notwendig machen.

Gründe

 
Dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe auf Erlass eines Auslieferungshaftbefehls war gem. §§ 83 a Abs. 1, 15 IRG zu entsprechen.
Nach Inkrafttreten des Europäischen Haftbefehlsgesetzes vom 20.07.2006 (BGBL. I, 2006, 1721) am 2.8.2006 richtet sich der Auslieferungsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union nach dem neu eingeführten Achten Teil des IRG, wobei die übrigen Bestimmungen des IRG Anwendung finden, soweit dieser Teil keine abschließende Regelung enthält (78 IRG).
Danach liegen die formellen Vorraussetzungen zum Erlass eines Auslieferungshaftbefehls nach §§ 83 a Abs. 1, 15 IRG vor.
Gegen den Verfolgten besteht in Polen ein Europäischer Haftbefehl des Bezirksgerichts in B. vom 09.06.2006, aus welchem sich ergibt, dass der Verfolgte durch das rechtskräftige Urteil des Amtsgerichts in B. vom 30.06.1994 bezüglich der unten genannten Tat Ziffer 1 wegen Straftaten nach Art. 142 Abs. 1 des damals geltenden Gesetzes vom 6.4.1990 über Polizei (Gesetzblatt Nummer 30 von 1990) in Verbindung mit Art. 204 § 1 des damaligen StGB (aktuell Art. 284 § 3 PStGB) und Artikel 266 § 4 des damaligen StGB (aktuell Art. 271 § 3 PStGB) und bezüglich der unten genannten Tat Ziffer 2 wegen einer Straftat nach Art. 143 des damals geltenden Gesetzes vom 6.4.1990 über Polizei zu einer zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt wurde.
Dass in dem Europäischen Haftbefehl des Bezirksgerichts in B./Polen vom 09.06.2006 lediglich die zur Anwendung gelangten Vorschriften aufgeführt sind und es entgegen § 83 a Abs. 1 Nr. 4 IRG an einer ausdrücklichen Bezeichnung der Art und der rechtlichen Würdigung der Straftaten fehlt, steht dem Erlass eines Auslieferungshaftbefehls nicht entgegen, da dieser Mangel keinen wesentlichen Bestandteil der Ausschreibung betrifft und sich der Senat auf andere Weise vom Inhalt des Bestimmungen Kenntnis verschaffen kann. Allerdings enthält der Europäische Haftbefehl des Bezirksgerichts in B. vom 09.06.2006 bezüglich der Tat Ziffer 1 keine Angaben zur Tatzeit. An einer ausreichenden Beschreibung der Umstände, unter den die Straftat begangen wurde, fehlt es gleichwohl nicht (§ 83 a Abs. 1 Nr. 5 IRG), weil dieser Mangel nur in der deutschen Übersetzung enthalten ist und sich aus dem in polnischer Sprache abgefassten Original des Europäischen Haftbefehl die genaue Tatzeit - nämlich der 1. August 1993 - entnehmen lässt.
Dem Verfolgten werden im Europäischen Haftbefehl des Bezirksgerichts in B. vom 09.06.2006 folgende Straftaten vorgeworfen:
1. „Als Beamter der Polizeidienststelle in Z. habe ich während der Ausübung der dienstlichen Handlungen, die mit der Festnahme des Verdächtigten des Einbruchsdiebstahls in ein Handelsobjekt S. in Z. verbunden waren, einen Protokoll aus der Durchsuchung der Person angefertigt.
In dem Protokoll hat er zu den rechtlich bedeutenden Umständen falsch beurkundet, indem er falsch angegeben hat, dass bei dem gehaltenen A. die Summe von 286.200 polnisch Zloty (altes Geld) gefunden wurde; die Summe hat in der Wirklichkeit 6.286-200 polnische Zloty (altes Geld) betragen. Infolgedessen hat er sich die Summe von 6.000.000 polnische Zloty (altes Geld) zugeeignet, die während der Durchsuchung von A. aufgedeckt wurde, zu seinem Nachteil“.
2. „Am 1. August im Jahre 1993 in Z. hat er vom gehaltenen A. die Erklärung zu den Einbruchsumständen und der Teilnahme der möglichen Mittäter verlangt, zum Zwecke hat er ihn wenigstens zweimal mit der Hand ins Gesicht geschlagen, mehrmals mit dem in der Hand gehaltenen Personalausweis in Gesicht geschlagen, er hat ihn an die Kleidung gezogen, er hat ihm gegenüber Vulgarismen und Schimpfwörter angewendet, und außerdem hat ihm mit der an die Schläfe gestellten Waffe mit Tötung gedroht“.
10 
Auch die sachlichen Voraussetzungen, von denen die Verhängung der Auslieferungshaft abhängt, sind insoweit gegeben. Die Auslieferung des Verfolgten zur Strafvollstreckung nach Polen erscheint nicht von vornherein unzulässig (§ 15 Abs. 2 IRG).
11 
Soweit es die Tat Ziffer 1 des Europäischen Haftbefehl des Bezirksgerichts in B. vom 09.06.2006 betrifft, ist das Vorliegen der beiderseitigen Strafbarkeit nicht zu prüfen, da die polnischen Justizbehörden das Geschehen nachvollziehbar als Katalogtat nach § 81 Abs.4 IRG i.V.m. Art. 2 Abs.2 RbEuHb (Fälschung der amtlichen Urkunden und Handel mit diesen) bezeichnet haben. Soweit es die Tat Ziffer 2 betrifft, lässt sich eine solche Einstufung nicht schlüssig vornehmen. Insoweit erfüllt die Tat nach deutschem Strafrecht aber zumindest die Strafvorschriften der §§ 223, 240 StGB und stellt sich damit als rechtswidrige Tat im Sinne des §§ 81 Nr. 4, 3 Abs. 1 IRG dar, so dass vom Vorliegen der beiderseitige Strafbarkeit auszugehen ist. Ein solches strafbares Verhalten ist nach dem Recht beider Staaten mit einer Freiheitsstrafe im Höchstmaß von mindestens einem Jahr bedroht.
12 
Inwieweit Auslieferungshindernisse gemäß § 73 IRG vorliegen könnten, wird im weiteren Auslieferungsverfahren zu beurteilen sein.
13 
Der Gefahr, der Verfolgte könne versuchen, sich dem Auslieferungsverfahren oder der Durchführung der Auslieferung zu entziehen, kann in Anbetracht des festen Wohnsitzes des Verfolgten in Y. sowie seiner Ehe mit einer deutschen Staatsangehörigen durch die aus der Beschlussformel ersichtlichen Auflagen und Weisungen ausreichend begegnet werden, weshalb im Einvernehmen mit der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe die Außervollzugsetzung des Haftbefehls anzuordnen war.
14 
Die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe wird gebeten, bei den polnischen Justizbehörden die im Europäischen Haftbefehl des Bezirksgerichts in B. vom 09.06.2006 angeführten Strafvorschriften anzufordern.

(1) Wer eine Sache, die ein anderer gestohlen oder sonst durch eine gegen fremdes Vermögen gerichtete rechtswidrige Tat erlangt hat, ankauft oder sonst sich oder einem Dritten verschafft, sie absetzt oder absetzen hilft, um sich oder einen Dritten zu bereichern, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Die §§ 247 und 248a gelten sinngemäß.

(3) Der Versuch ist strafbar.

Tenor

Der Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe vom 12. August 2005 auf Erlass eines vorläufige Auslieferungshaftbefehls wird zurückgewiesen.

Gründe

 
Die Anordnung der vorläufigen Auslieferungshaft kommt nach derzeitigem Sachstand nicht in Betracht, da das Festnahmeersuchen von Interpol Ankara vom 10.08.2005 nicht den formellen Voraussetzungen des Art. 16 Abs. 2 EuAlÜbk entspricht. Danach sind in dem Ersuchen u.a. die strafbare Handlung, deretwegen um Auslieferung ersucht werden soll, sowie Zeit und Ort ihrer Begehung anzugeben. Erforderlich ist insoweit eine Umschreibung des dem Verfolgten vorgeworfenen Verhaltens, die dem Oberlandesgericht die Subsumtion unter einen Straftatbestand ermöglicht, allein die gesetzliche Bezeichnung des Tatbestandes reicht nicht aus (vgl. OLG Düsseldorf StV 2004, 147 m.w.N.).
Diesen Anforderungen wird die im Festnahmeersuchen von Interpol Ankara erfolgte Tatbeschreibung
„der Genannte sei an einer Straftat gegen die verfassungsmäßige Ordnung der Türkei beteiligt gewesen, wobei es um einen Brandanschlag einer radikalen Gruppe auf das Hotel „Madimak“ gehe, bei welchem am 02.07.1993 in Sivas/Türkei 35 Menschen durch die Flammen und durch Kohlenmonoxidvergiftung ums Lebens gekommen seien“,
nicht gerecht, weil sich hieraus auch nicht annähernd eine konkrete Tatbeteiligung des Verfolgten an einer Individualstraftat ergibt und eine zureichende Prüfung einer etwaigen Strafbarkeit des Verfolgten nicht möglich ist.
Eine solche nähere Beschreibung wäre insbesondere auch deshalb erforderlich gewesen, weil dem Senat aus dem Verfahren 1 AK 30/02 bekannt ist, dass die türkischen Justizbehörden bezüglich der Demonstration in Sivas am 02.07.1993 vom Vorliegen eines Staatsschutzdeliktes auch ohne konkrete Beteiligung eines Verfolgten an den dort durchgeführten Brandstiftung- und Tötungsdelikten ausgehen und bereits die Teilnahme an der verbotenen Demonstration deshalb ausreichen könnte, so dass auch eine politische Straftat nach Art. 3 Abs. 1 und 2 EuAlÜbk i.V.m. § 6 Abs. 1 IRG vorliegend in Rede stehen könnte (vgl. Senat, Beschluss vom 08.04.2004, 1 AK 30/02).

Die Leistung von Rechtshilfe sowie die Datenübermittlung ohne Ersuchen ist unzulässig, wenn sie wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung widersprechen würde. Bei Ersuchen nach dem Achten, Neunten, Zehnten und Dreizehnten Teil ist die Leistung von Rechtshilfe unzulässig, wenn die Erledigung zu den in Artikel 6 des Vertrages über die Europäische Union enthaltenen Grundsätzen im Widerspruch stünde.

Liegen die Voraussetzungen eines Auslieferungshaftbefehls vor, so sind die Staatsanwaltschaft und die Beamten des Polizeidienstes zur vorläufigen Festnahme befugt. Unter den Voraussetzungen des § 127 Abs. 1 Satz 1 der Strafprozeßordnung ist jedermann zur vorläufigen Festnahme berechtigt.