Oberlandesgericht Düsseldorf Beschluss, 13. Jan. 2016 - I-15 U 65/15
Tenor
I.Auf Antrag der Beklagten wird die Zwangsvollstreckung aus den Ziffern I. 1., I. 4. und I. 5 des Urteils des Landgerichts Düsseldorf vom 03.11.2015 (Az. 4a O 144/14) gegen Sicherheitsleistung der Beklagten in Höhe von 450.000,00 € einstweilen eingestellt.
II.Der weitergehende Einstellungsantrag wird zurückgewiesen.
1
G r ü n d e:
2Der Antrag der Beklagten vom 03.12.2015, die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Landgerichts vom 03.11.2015 (4a O 144/14) einstweilen einzustellen, hat teilweise Erfolg. Die Zwangsvollstreckung ist hinsichtlich des Unterlassungs-, Vernichtungs- und Rückrufanspruchs (Ziffern I. 1, I. 4, I. 5 des landgerichtlichen Urteilstenors) gegen Sicherheitsleistung einstweilen einzustellen. Zurückzuweisen ist der Antrag indes insoweit, als dass mit ihm auch die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung bezüglich des Auskunfts- und Rechnungslegungsanspruchs sowie des Schadenersatzfeststellungsanspruchs begehrt wird.
31)
4Gemäß §§ 719 Abs. 1 Satz 1, 707 Abs. 1 Satz 1 ZPO kann, wenn gegen ein für vorläufig vollstreckbar erklärtes Urteil Berufung eingelegt wird, die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil – gegen oder ohne Sicherheitsleistung – einstweilen eingestellt werden. Im Rahmen der demnach zu treffenden Ermessensentscheidung hat das Gericht stets die widerstreitenden Interessen des Gläubigers einerseits und des Schuldners andererseits umfassend abzuwägen. Dabei hat es die Wertentscheidung des Gesetzgebers zu beachten, dass grundsätzlich den Belangen des Vollstreckungsgläubigers der Vorrang gebührt. Der Vorschrift des § 709 Satz 1 ZPO ist zu entnehmen, dass der Vollstreckungsschuldner in aller Regel bereits durch die vom Gläubiger vor der Vollstreckung zu leistende Sicherheit hinreichend geschützt ist. Es entspricht daher gefestigter Rechtsprechung, dass in Fällen, in denen das angefochtene Urteil (wie hier) nur gegen Sicherheitsleistung des Gläubigers vollstreckbar ist, eine Einstellung der Zwangsvollstreckung nur in Ausnahmefällen unter besonderen Umständen in Betracht kommen kann (vgl. nur OLG Düsseldorf I-15 U 132/14 Beschluss v. 21.12.2015; OLG Düsseldorf I-2 U 24/15 Beschluss v. 27.10.2015; OLG Karlsruhe GRUR-RR 2015, 326 - Mobiltelefone; OLG Düsseldorf GRUR-RR 2010, 122 – prepaid telephone calls jeweils m. w. Nachw.).
5Für den Bereich des Patentrechts besteht darüber hinausgehend die Besonderheit, dass die Laufzeit des Patents und damit das von ihm vermittelte Unterlassungsgebot zeitlich begrenzt ist, weshalb jedenfalls bei einem zeitnahen Ablauf des Schutzrechts jedes Hinausschieben der Zwangsvollstreckung zu einem vollständigen Leerlaufen des Unterlassungsanspruchs führen kann (BGH GRUR 2000, 862 – Spannvorrichtung; OLG Düsseldorf I-15 U 132/14 Beschluss v. 21.12.2015; OLG Düsseldorf I-2 U 24/15 Beschluss v. 27.10.2015; OLG Karlsruhe GRUR-RR 2015, 326 – Mobiltelefone; OLG Karlsruhe GRUR-RR 2015, 50 – Leiterbahnstrukturen; OLG Karlsruhe BeckRS 2015, 18619 jeweils m. w. Nachw.).
6Die Einstellung der Zwangsvollstreckung ist vor diesem Hintergrund grundsätzlich nur dann gerechtfertigt, wenn entweder bereits im Zeitpunkt der Entscheidung über den Einstellungsantrag bei der im Verfahren nach §§ 719, 707 ZPO gebotenen summarischen Prüfung festgestellt werden kann, dass das angefochtene Urteil voraussichtlich keinen Bestand haben wird oder wenn der Schuldner die Gefahr eines besonderen Schadens darlegen und glaubhaft machen kann, der über die allgemeinen Vollstreckungswirkungen hinausgeht (OLG Düsseldorf I-15 U 132/14 Beschluss v. 21.12.2015; OLG Düsseldorf I-15 U 135/14 Beschluss v. 02.02.2015; OLG Düsseldorf I-2 U 24/15 Beschluss v. 27.10.2015; OLG Karlsruhe GRUR-RR 2015, 326 – Mobiltelefone; OLG Karlsruhe GRUR-RR 2015, 50 – Leiterbahnstrukturen; OLG Karlsruhe BeckRS 2015, 18619; OLG Düsseldorf GRUR-RR 2010, 122 – prepaid telephone calls; OLG Düsseldorf InstGE 9, 173 – Herzklappenringprothese jeweils m. w. Nachw.).
7Voraussichtlich keinen Bestand hat das angefochtene Urteil bei offensichtlicher bzw. evidenter Fehlerhaftigkeit. Ob dies der Fall ist, beurteilt sich auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen und rechtlichen Erwägungen, die für die erstinstanzliche Entscheidung tragend sind. Erweisen sich diese Feststellungen oder rechtlichen Erwägungen bereits bei der anzustellenden summarischen Prüfung als nicht tragfähig, ist die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil regelmäßig einstweilen einzustellen. Dies gilt in der Regel ungeachtet dessen, ob das angefochtene Urteil sich im Ergebnis möglicherweise mit anderen Feststellungen oder aufgrund anderer rechtlicher Erwägungen als zutreffend erweisen kann (OLG Karlsruhe GRUR-RR 2015, 326 – Mobiltelefone; OLG Karlsruhe GRUR-RR 2015, 50 – Leiterbahnstrukturen). Denn zum einen ist es nicht Zweck des Verfahrens gem. §§ 707, 719 ZPO das Berufungsverfahren komplett vorwegzunehmen und in seinem Rahmen die Erfolgsaussicht der anhängigen Berufung abschließend zu klären. Es dient vielmehr dazu, solchen Entscheidungen ihre vorläufige Vollstreckbarkeit zu nehmen, die sich bereits bei summarischer Prüfung als offenkundig nicht haltbar erweisen. Zum anderen beruht der Grundsatz, dass eine Einstellung nur dann geboten ist, wenn bereits im Zeitpunkt der Entscheidung über den Einstellungsantrag bei summarischer Prüfung festgestellt werden kann, dass das angefochtene Urteil voraussichtlich keinen Bestand haben wird, darauf, dass sich das Gericht, dessen Urteil angefochten ist, bereits im Einzelnen mit dem Sachverhalt befasst und über die sich stellenden Fragen entschieden hat. Dann genießt die Entscheidung das Vertrauen, welches seine vorläufige Vollstreckbarkeit und damit den grundsätzlichen Vorrang der Interessen des obsiegenden Klägers rechtfertigt. Diese Erwägung kommt jedoch nicht zum Tragen, wenn das erstinstanzliche Gericht wesentliche, entscheidungserhebliche Aspekte des Falls außer Acht gelassen und über die sich insoweit stellenden Fragen nicht entschieden hat (OLG Düsseldorf GRUR-RR 2010, 122 – prepaid telephone calls). Alternative Begründungen rechtlicher oder tatsächlicher Art, die dazu führen können, dass der Berufung im Ergebnis der Erfolg zu versagen und das angefochtene Urteil letztlich zu bestätigen ist, haben deshalb in einstweiligen Einstellungsverfahren grundsätzlich außer Betracht zu bleiben. Es sei denn, bereits aufgrund summarischer Prüfung kann festgestellt werden, dass die (unstreitigen) alternativen Tatsachen oder die alternativen rechtlichen Erwägungen offensichtlich die vom erstinstanzlichen Gericht getroffene Entscheidung tragen.
82)
9Ausgehend hiervon ist – trotz der geringen Restlaufzeit des Klagepatents bis Februar 2021 – im Streitfall die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung in dem aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Umfang geboten.
10a)
11Die einstweilige Einstellung findet allerdings entgegen der Auffassung der Beklagten nicht darin ihren Grund, dass das Landgericht in dem angefochtenen Urteil (nach Ansicht der Beklagten) die Verletzungsfrage fehlerhaft beurteilt habe. Die gebotene summarische Prüfung führt nicht zu der Erkenntnis, dass die Auslegung des Klagepatents und/oder die Beurteilung der angegriffenen Ausführungsformen als unter das Klagepatent fallend seitens des Landgerichts im genannten Sinne offensichtlich bzw. evident falsch ist. Das Landgericht hat sich in dem angefochtenen Urteil mit der Auslegung des Klagepatents und der Ausgestaltung der angegriffenen Ausführungsformen ausführlich und nachvollziehbar beschäftigt und hierbei auch die Einwände der Beklagten berücksichtigt. Bei den hierzu getroffenen Feststellungen und rechtlichen Erwägungen ist das Landgericht von den zutreffenden rechtlichen Grundsätzen sowie Maßstäben ausgegangen und die gefundenen Ergebnisse sind sowohl sorgfältig begründet wie auch mindestens vertretbar. Dies gilt insbesondere mit Blick auf die Frage, ob bzw. inwieweit der „Auslieferungszustand“ und die objektive Eignung der angegriffenen Ausführungsformen für die Patentverletzung von Bedeutung sind bzw. ausreichen. Ob die Einwände der Beklagten letztlich zu einem anderen Verständnis von der technischen Lehre des Klagepatents und/oder nach der voraussichtlich gebotenen Vertiefung durch die Parteien in zweiter Instanz zu einer abweichenden Beurteilung der Verletzungsfrage durch den Senat führen und ob der Senat der Auffassung des Landgerichts in jedem einzelnen Punkt folgt, ist derzeit nicht zu klären, sondern dem Berufungsverfahren vorbehalten.
12Das Landgericht hat überdies in Bezug auf die Verwirklichung der Merkmalsgruppen 3 und 4 des Anspruchs 17 des Klagepatents keine evident falschen Feststellungen getroffen: Der Passage auf S. 10/11 der erstinstanzlichen Duplik der Beklagten (erneut wiedergegeben auf S. 12/13 des Schriftsatzes der Beklagten vom 29.12.2015) lässt sich bei der hier gebotenen summarischen Prüfung gerade nicht entnehmen, dass durch die betreffenden Chips gar keine Wiederherstellungszeiten – und zwar nicht einmal null Sekunden – überwacht würden. Jedenfalls findet sich in der zitierten Passage keine dahingehende Klarstellung, dass die betreffende Behauptung nebst Beweisantritten gerade auch Wiederherstellungszeiten von null Sekunden inkludiere.
13Ebenso wenig lässt der auf den Auskunftsanspruch bezogene Erfüllungseinwand der Beklagten die Feststellung zu, dass das angefochtene Urteil wegen der behaupteten Erfüllung voraussichtlich keinen Bestand haben wird. Den Beklagten ist zwar zuzugeben, dass sich das Landgericht in seiner Entscheidung nicht mit der Frage auseinandergesetzt hat, ob die vor Schluss der mündlichen Verhandlung überreichte Abrechnung/Rechnungslegung vom 29.09.2015 (Anlage G 25) zur Erfüllung des geltend gemachten Auskunftsanspruchs führt, sondern diese Abrechnung/Rechnungslegung allein im Rahmen des erhobenen kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwandes unter dem Gesichtspunkt ihrer Rechtzeitigkeit erörtert hat. Das Fehlen einer Auseinandersetzung mit den rechtlichen Folgen der als solches unstreitigen Abrechnung/Rechnungslegung für den Auskunftsanspruch ist jedoch vorliegend ausnahmsweise unschädlich. Denn bereits bei summarischer Prüfung ist festzustellen, dass der von den Beklagten vorgebrachte Erfüllungseiwand offensichtlich nicht eingreift. Dies bereits deshalb, weil die Abrechnung/Rechnungslegung vom 29.09.2015 (Anlage G 25) (unstreitig) nur die Verkaufs- und Umsatzzahlen der Beklagten bis einschließlich zum 31.08.2015 enthält. Es fehlen demgegenüber jedenfalls die darüber hinaus aus § 140b PatG, §§ 249, 252 BGB folgenden erforderlichen Angaben gemäß Ziffer I. 2.a), b) sowie Ziffer I.3. a) – d) des angefochtenen Urteils. Die Abrechnung/Rechnungslegung vom 29.09.2015 kann folglich allenfalls als Teilleistung angesehen werden. Auf eine solche muss sich der Vollstreckungsgläubiger nicht einlassen; sie kann einen Auskunftsanspruch offensichtlich nicht (vollständig) erfüllen.
14Entgegen der Rüge der Beklagten reicht ihre Verurteilung zur Auskunft / Rechnungslegung auch nicht über die gesetzlichen Ansprüche hinaus: Namentlich hat das Landgericht in Bezug auf die nach § 140 b Abs. 3 Nr. 1 PatG geschuldeten Angaben die gebotene Beschränkung auf „gewerbliche Abnehmer und Verkaufsstellen“ vorgenommen. Soweit die Beklagten offenbar meinen, eine entsprechende Einschränkung hätte global in Bezug auf alle Angaben vorgenommen werden müssen, trifft dies nicht zu: Das Landgericht hat vielmehr unter Ziffer I.3. a. E. zu Recht einen Wirtschaftsprüfervorbehalt vorgesehen, soweit es um die von Ziffer I.3. a) bis d) des Tenors umfassten Angaben geht und nichtgewerbliche Abnehmer und Angebotsempfänger betroffen sind.
15Soweit die Beklagten in ihrem Einstellungsantrag darauf hinweisen, dass es sich bei der Klägerin um eine Patentverwertungsgesellschaft handelt und sie, die Beklagten, bereits Lieferverträge mit Dritten abgeschlossen hätten, bei deren Nichterfüllung die Zahlung erheblicher Vertragsstrafen drohten und andererseits auch eine Etablierung am Markt gefährdet sei, verhilft auch dies ihrem Antrag auf einstweilige Einstellung nicht zum Erfolg.
16Der Aspekt, dass die Klägerin eine Patentverwerterin ist, führt für sich genommen nicht zur Einstellung der Zwangsvollstreckung. Es besteht keine Veranlassung, eine Patentverwertungsgesellschaft per se anders zu behandeln als ein Wettbewerbsunternehmen (OLG Düsseldorf I-15 U 135/14 Beschluss v. 02.02.2015; OLG Düsseldorf I-2 U 24/15 Beschluss v. 19.08.2015).
17Dass es sich bei den vorgetragenen (vermeintlich drohenden) Vertragsstrafen und/oder der (behaupteten) Gefährdung der Marktetablierung um außergewöhnliche, nicht wieder gut zu machende Schäden handelt, die über die allgemeinen Vollstreckungswirkungen hinausgehen und eine einstweilige Einstellung rechtfertigen würden, haben die Beklagten nicht dargelegt und glaubhaft gemacht. Normale Konsequenz eines Unterlassungstitels ist es, die untersagten Benutzungshandlungen nicht mehr vornehmen zu dürfen. Ist einem Patentverletzer untersagt, die angegriffene Ausführungsform anzubieten und in Verkehr zu bringen, folgt daraus typischerweise, dass (auch) bereits eingegangene Lieferverpflichtungen nicht mehr erfüllt und mit der angegriffenen Ausführungsform keine Marktanteile (mehr) gewonnen werden können. Daraus resultierende vertragliche Zahlungsverpflichtungen, finanzielle Nachteile und (Markt-)Verluste sind mithin die regelmäßige Folge der Titulierung des Unterlassungsanspruchs, nicht hingegen außergewöhnliche Schäden aufgrund der Vollstreckung des Urteils. Überdies ist nicht dargetan und glaubhaft gemacht, dass es sich bei der in der eidesstattlichen Versicherung vom 27.11.2015 (Anlage AS 1) genannten Vertragsstrafe von insgesamt bis zu 300.000,00 € überhaupt um eine Geldsumme bzw. Zahlungsverpflichtung handelt, die bei den Beklagten irreparable Schäden verursachen könnte. Dies erscheint auch bereits angesichts der ausgeurteilten klägerischen Sicherheitsleistung in Höhe von 450.000,00 € für die Vollstreckung des Unterlassungstenors als unwahrscheinlich. Dass die Klägerin zur Leistung dieser Sicherheit nicht in der Lage ist, ist weder vorgetragen noch sonst wie ersichtlich. Der Vortrag der Beklagten zur Gefährdung der Marktetablierung ist zudem pauschal.
18b)
19Auch soweit die Beklagten weiterhin die Rechtsbeständigkeit des Klagepatents in Frage stellen, ist keine vorläufige Vollstreckungseinstellung angezeigt.
20Die insoweit geltenden strengen Maßstäbe sind nicht erfüllt (vgl. zu den denkbaren Anlässen für eine vorläufige Einstellung unter dem Aspekt der Rechtsbeständigkeit: Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 8. Aufl., Abschnitt H., Rn. 39 ff. m. w. Nachw.). Das Vorbringen der Beklagten erschöpft sich vielmehr darin, deren eigene Auffassung an die Stelle derjenigen des Landgerichts zu setzen. Dabei ziehen die Beklagten – was für sich allein nicht einmal für eine Einstellungsanordnung genügen würde – keinen neuen (also dem Landgericht noch nicht unterbreiteten) Stand der Technik heran, sondern stützen ihre Argumentation ausdrücklich auf bereits im Klagepatent gewürdigten Stand der Technik.
21c)
22Die Zwangsvollstreckung aus dem angefochtenen Urteil ist jedoch bezüglich des Unterlassungs-, Vernichtungs- und Rückrufanspruchs einstweilen einzustellen, weil das Urteil des Landgerichts hinsichtlich der insoweit ausgeurteilten Ansprüche voraussichtlich keinen Bestand haben wird. Bei summarischer Prüfung des angefochtenen Urteils tritt ein evidenter Rechtsfehler bei der Beurteilung des kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwandes zu Tage. Die vom EuGH in der Rechtssache C-170/13 (GRUR 2015, 764 – Huawei Technologies/ZTE) im Rahmen der Auslegung des Art. 102 AEUV aufgestellten Kriterien zu der Frage, wann ein marktbeherrschender Inhaber eines standardessentiellen Patents, der sich gegenüber einer Standardisierungsorganisation verpflichtet hat, jedem Dritten eine Lizenz zu FRAND-Bedingungen zu erteilen, seine marktbeherrschende Stellung missbraucht, wenn er eine Patentverletzungsklage auf Unterlassung, Rückruf oder Vernichtung erhebt, sind offensichtlich unzutreffend angewendet worden. Die vom Landgericht in seinem Urteil ausgeführten rechtlichen Erwägungen können die Feststellung, dass die Geltendmachung der Ansprüche auf Unterlassung, Rückruf und Vernichtung durch die Klägerin keinen Missbrauch im Sinne von Art. 102 AEUV darstellt, nicht tragen.
23aa)
24Nach der zitierten Rechtsprechung ist nicht von einem Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung im Sinne des Art. 102 AEUV auszugehen, wenn
25- 26
1. der Inhaber des standardessentiellen Patents den angeblichen Verletzer vor Erhebung der Klage auf die ihm vorgeworfene Patentverletzung hingewiesen hat,
- 28
2. der Inhaber des standardessentiellen Patents dem angeblichen Verletzer, nachdem dieser seinen Willen zum Ausdruck gebracht hat, einen Lizenzvertrag zu FRAND-Bedingungen zu schließen, ein konkretes schriftliches Lizenzangebot zu diesen Bedingungen unterbreitet und insbesondere die Lizenzgebühr sowie die Art und Weise ihrer Berechnung angegeben hat,
- 30
3. der Patentverletzer, während er das betreffende Patent weiter benutzt, auf dieses Angebot nicht mit Sorgfalt reagiert,
- 32
4. der Patentverletzer, der das ihm unterbreitete Angebot nicht annimmt, dem Inhaber des standardessentiellen Patents innerhalb einer kurzen Frist schriftlich ein konkretes Gegenangebot macht, das FRAND-Bedingungen entspricht,
- 34
5. der Patentverletzer, wenn er das standardessentielle Patent benutzt, ab dem Zeitpunkt, zu dem der Patentinhaber sein Gegenangebot abgelehnt hat, eine angemessene Sicherheit leistet und eine Abrechnung vorlegt, die auch vergangene Benutzungshandlungen umfassen.
Bei Beachtung dieser Bedingungen erachtet der EuGH einen gerechten Ausgleich der Interessen des marktbeherrschenden Inhabers eines standardessentiellen Patents und derjenigen des Patentbenutzers als gewährleistet. Die zwecks gerechten Interessensausgleichs zu erfüllenden Schritte des geforderten Prozedere bauen nach dem Urteil des EuGH erkennbar aufeinander auf, sie folgen einander nach. Die vom einen zu erfüllenden Bedingungen ziehen die vom anderen zu erfüllenden Bedingungen nach sich, wobei der EuGH in dem von ihm aufgestellten System anfänglich den fordernden Patentinhaber in der Pflicht sieht. Ihm obliegt es, zunächst die unter 1. und 2. genannten Bedingungen zu erfüllen, wie sich insbesondere aus dem Tenor der Entscheidung des EuGH sowie den Randnummern [61] und [63] der Entscheidungsgründe ergibt. Es gehört folglich insbesondere zu den Obliegenheiten des marktbeherrschenden Inhabers eines standardessentiellen Patents, dem lizenzwilligen Patentverletzer ein konkretes schriftliches Lizenzangebot zu FRAND-Bedingungen zu unterbreiten (Randnummer [63]). Erst und nur dann, wenn der Patentinhaber diesen seinen Verpflichtungen (vollständig) nachgekommen ist, er folglich das seinige getan hat, um den Vorwurf eines Marktmissbrauchs nicht aufkommen zu lassen, werden die Pflichten des Patentverletzers ausgelöst. Ihn trifft sodann die Pflicht, die ihm unter 3. bis 5. auferlegten Bedingungen schrittweise zu erfüllen, so dass, wenn der Patentinhaber sich gleichwohl weigert, einen Lizenzvertrag zu FRAND-Bedingungen zu schließen, ein Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung zu konstatieren wäre.
36Dass nach dem System des EuGH die Pflichten des Patentverletzers an die Voraussetzung knüpft sind, dass der Patentinhaber zuvor seine Pflichten erfüllt hat und somit insbesondere zuerst ein Lizenzangebot zu FRAND-Bedingungen unterbreitet haben muss (vgl. hierzu auch Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 8. Aufl., Abschnitt E., Rn. 298, 304, 309), zeigt nicht nur der Tenor der Entscheidung, sondern auch die Randnummer [65] der Entscheidungsgründe deutlich. In beiden heißt es, dass der Patentverletzer „auf dieses Angebot (nicht) mit Sorgfalt … reagiert“. Die Wendung „dieses Angebot“ bezieht sich augenscheinlich auf das zuvor erörterte erforderliche Lizenzvertragsangebot des Patentinhabers, das nach den Ausführungen des EuGH offensichtlich zu FRAND-Bedingungen zu erfolgen hat.
37Diese bezugnehmende Formulierung erklärt sich zwanglos aus den vom EuGH aufgestellten Prämissen. Der EuGH sieht für den vorzunehmenden Interessensausgleich ein austariertes Prozedere vor und billigt im Rahmen dessen dem marktbeherrschenden Inhaber eines standardessentiellen Patents nur insoweit ein schützenswertes Interesse zu, als dass dieser – nach Verletzungshinweis und Lizenzwilligkeitsbekundung des Patentverletzers – entsprechend seiner gegenüber der Standardisierungsorganisation abgegebenen Verpflichtungserklärung ein Lizenzangebot zu FRAND-Bedingungen unterbreitet. Dies ist getragen von dem Gedanken, dass nur ein Angebot, das faire, vernünftige und nicht diskriminierende Bedingungen enthält, den Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung durch Klageerhebung verneinen kann, sowie dem Umstand, dass von dem Patentinhaber infolge seiner Verpflichtungserklärung gegenüber der Standardisierungsorganisation die Unterbreitung eines solches Angebots erwartet wird und auch abzuverlangen ist, zumal er in einer besseren Lage ist, zu prüfen, ob sein Angebot die Voraussetzungen der Gleichbehandlung wahrt. Anhaltspunkte dafür, dass der Patentinhaber demgegenüber mit der Unterbreitung eines Lizenzangebots ohne FRAND-Bedingungen den ihm auferlegten Pflichten genügt, solange er nur ein „spezifisches“ Angebot abgibt, welches „die formellen Kriterien“ erfüllt, lassen sich der Entscheidung anders als die Klägerin meint an keiner Stelle entnehmen. Mangelt es an einem Lizenzangebot zu FRAND-Bedingungen seitens des Patentinhabers, streitet demzufolge nichts für ihn und es kann nicht festgestellt werden, dass er mit der Geltendmachung eines Unterlassungs-, Rückruf- oder Vernichtungsanspruch seine marktbeherrschende Stellung nicht missbraucht, sein Handeln diskriminierungsfrei und nicht ausbeuterisch ist. Die Interessensabwägung geht bereits deshalb zu Lasten des Patentinhabers aus; eine Klage wäre abzuweisen. In dieser Situation kommt es folglich nicht (mehr) darauf an, ob bzw. dass der Patentverletzer die weiteren Bedingungen erfüllt, die im Abwägungsprozess vom Bedeutung sein können. Seine Obliegenheit zur Reaktion und gegebenenfalls zur Abgabe eines Gegenangebots zu FRAND-Bedingungen verbunden mit der Abrechnung und Sicherheitsleistung ist überdies nur Ausdruck der Sorgfaltspflichten, die für ihn aufgrund der in dem betreffenden Geschäftsbereich geltenden Gepflogenheiten sowie Treu und Glauben, entspringen. Zu diesen Sorgfaltspflichten gehört es jedoch nicht, auf ein nicht FRAND-konformes Lizenzvertragsangebot zu reagieren. Es ist auch nicht zu erkennen, weshalb dem Patentinhaber eines standardessentiellen Patents ein schützenswertes Interesse daran zugebilligt werden können sollte, dass der Patentverletzer – stets und unabhängig vom eigenen Verhalten des Patentinhabers – ein Lizenzvertragsangebot zu FRAND-Bedingungen einschließlich der folgenden Pflichten abzugeben hätte. Dies wäre kein gerechter Ausgleich der gegeneinander abzuwägenden Interessen.
38Die Ansicht, vom Patentverletzer sei die Erfüllung der unter 3. bis 5 genannten Bedingungen unabhängig davon zu verlangen, dass der Patentinhaber zuvor seine Pflichten erfüllt hat, verkehrt die Entscheidung des EuGH im Übrigen in ihr Gegenteil. Sie läuft nämlich letztlich darauf hinaus, den Patentinhaber von den ihm auferlegten Pflichten freizustellen und dem Patentverletzer einseitig bzw. überobligationsmäßig die Pflicht aufzuerlegen, ein bzw. das erste Lizenzangebot zu FRAND-Bedingungen gegenüber dem Patentinhaber zu unterbreiten. Diese Pflichtenverteilung widerspricht der EuGH-Entscheidung, und zwar auch dann, wenn der Patentverletzer (ohne dass er nach den aufgezeigten Kriterien hierzu verpflichtet ist) ein eigenes Angebot unterbreitet.
39bb)
40Angesichts dessen erweisen sich die tragenden Feststellungen und rechtlichen Erwägungen des Landgerichts zum kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwand als nicht tragfähig. Sie können keinen Bestand haben. Es ist evident fehlerhaft, dass das Landgericht die Frage, ob „das“ von der Klägerin unterbreitete Angebot FRAND-Grundsätzen entspricht, offen gelassen hat. Die Feststellung, dass das in Rede stehende Angebot der Klägerin FRAND-Bedingungen entspricht, war vielmehr zwingend notwendig. Nur wenn seitens der Klägerin ein solches Lizenzangebot unterbreitet worden ist, entstehen die Pflichten der Beklagten und das angefochtene Urteil könnte insoweit Bestand haben. Fehlt es demgegenüber an der Unterbreitung eines solchen Angebots, wäre die Klage hinsichtlich des Unterlassungs-, Rückrufs- und Vernichtungsanspruchs abzuweisen gewesen.
41Ob die Entscheidung des Landgerichts bezüglich des erhobenen kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwands letztlich gleichwohl zutreffend und die Berufung im Ergebnis zurückzuweisen ist, weil die Beklagten nach Verletzungshinweis (vorprozessual) ihre Lizenzwilligkeit nicht zum Ausdruck gebracht haben, so dass die Klägerin nicht zur Unterbreitung eines Lizenzangebotes verpflichtet war und/oder die von der Klägerin vor Schluss der mündlichen Verhandlung unterbreiteten Lizenzangebote tatsächlich FRAND-konform sind, (und sich die weiteren Feststellungen des Landgerichts als fehlerfrei erweisen), kann im Rahmen des hier zur Entscheidung stehenden Einstellungsantrages keine Relevanz erlangen. Das Landgericht hat in dem angefochtenen Urteil keine Feststellungen zur (vorprozessualen) Lizenzwilligkeitsbekundung der Beklagten getroffen und auch keine tatsächlichen Feststellungen zum Inhalt des bzw. der Lizenzangebote der Klägerin. Insoweit fehlen insbesondere Feststellungen zur Lizenzvergütung, der Art und Weise ihrer Berechnung und/oder zur Üblichkeit einzelner Bestimmungen. Es finden sich hierzu auch keine rechtlichen Erwägungen. Die Frage, ob eine weltweit gültige Portofoliolizenz begehrt werden kann, ist gleichfalls nicht abschließend erörtert worden. Folglich handelt es sich insoweit um alternative Begründungen tatsächlicher sowie rechtlicher Art, die nur dann für das Einstellungsverfahren Bedeutung erlangen können, wenn sie bereits bei summarischer Prüfung offensichtlich die vom erstinstanzlichen Gericht getroffene Entscheidung tragen. Eine derartige Offensichtlichkeit ist nicht zu erkennen. Die Beurteilung der von der Klägerin unterbreiteten Lizenzvertragsangebote auf ihre FRAND-Konformität muss deshalb ebenso wie die Frage, ob die Klägerin zur Unterbreitung eines solchen Angebots überhaupt verpflichtet war, dem Berufungsverfahren vorbehalten bleiben.
42Gleiches gilt für das Vorbringen der Klägerin, das nach Schluss der mündlichen Verhandlung unterbreitete Lizenzangebot entspreche FRAND-Bedingungen, weshalb die Beklagten verpflichtet seien, dieses anzunehmen, wollten sie sich nicht als lizenzunwillig erweisen. Auch hierbei handelt es sich nicht um eine offensichtliche alternative Begründung, die die Entscheidung des Landgerichts tragen könnte.
43Angesichts des Vorstehenden kommt es im Einstellungsverfahren auch auf die weiteren zwischen den Parteien streitigen Punkte hinsichtlich der Feststellungen und Erwägungen des Landgerichts zum kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwand, insbesondere dazu, ob die von den Beklagten unterbreiteten Angebote FRAND-konform sind, nicht (mehr) an.
44d)
45Die Einstellung der Zwangsvollstreckung ist – wie von den Beklagten beantragt – gegen Sicherheitsleistung einzustellen. Die Höhe der zu leistenden Sicherheit wird auf 450.000,00 € festgesetzt. Die Höhe der Sicherheitsleistung ist so zu bestimmen, dass sie den Gläubiger ausreichend gegen sämtliche ihm möglicherweise aus der zunächst verschobenen Zwangsvollstreckung drohenden Nachteile absichert. Da er im schlimmsten Fall vollständig ausfallen kann, sind der titulierte Anspruch, Kosten und mögliche Verzögerungsschäden zu berücksichtigen (BeckOK ZPO/Ulrici ZPO § 707 Rn. 22; MüKoZPO/Götz Rn. 14; Zöller/Herget, ZPO, 31. Aufl., § 707 Rn. 21). Dass die Beklagten zu einer Sicherheitsleistung in dieser Höhe nicht in der Lage sind, ist weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht.
463.
47Da die Beklagten bezüglich des tenorierten Unterlassungs-, Rückrufs- und Vernichtungsausspruchs mit ihrem Hauptantrag erfolgreich sind, bedarf es insoweit keiner Befassung mit dem Hilfsantrag. Hinsichtlich der darüber hinaus gehend beantragten einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung des Auskunfts-, Rechnungslegungs- und Schadenersatzfeststellungsanspruchs verhilft die im Hilfsantrag enthaltene Einschränkung – einstweilige Einstellung nur gegenüber der Beklagten zu 1 – nicht zum Erfolg. Die unter 2. a) genannten Erwägungen gelten auch (nur) gegenüber der Beklagten zu 1.
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Tenor
I. Die Beklagten werden verurteilt,
1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft hinsichtlich der Beklagten an ihren Geschäftsführern zu vollziehen ist, zu unterlassen,
Kommunikationsvorrichtungen eines Mobilfunksystems, umfassend Mittel zum Feststellen eines Ausfalls in einer Funkverbindung, wobei die Funkverbindung mehrere aktive Funkträger aufweist, die zu einer Funkressourcen-Steuerungsverbindung gehören, umfassend Mittel zum Bestimmen einer ersten Ablaufzeit für eine Zeitspanne, während der die Wiederherstellung der verlorenen Funkverbindung in Bezug auf die Funkträger zulässig ist, welche verwendet werden, um einen Dienst oder Dienste einer ersten Kategorie bereitzustellen, und Mittel zum Bestimmen einer zweiten Ablaufzeit für eine Zeitspanne, während der die Wiederherstellung der verlorenen Funkverbindung in Bezug auf die Funkträger zulässig ist, welche verwendet werden, um einen Dienst oder Dienste einer zweiten Kategorie bereitzustellen, wobei die zweite Kategorie von Diensten sich von der ersten Kategorie von Diensten unterscheidet und wobei die zweite Ablaufzeit sich von der ersten Ablaufzeit unterscheidet,
in der Bundesrepublik Deutschland
anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen;
2. der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie (die Beklagten) die zu Ziffer I. 1. bezeichneten Handlungen seit dem 12.09.2007 begangen haben, und zwar unter Angabe
a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
c) der Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden;
wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind und geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
3. der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie (die Beklagten) die zu Ziffer I. 1. bezeichneten Handlungen seit dem 12.10.2007 begangen haben, und zwar unter Angabe
a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer,
b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger,
c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
wobei den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nichtgewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagten dessen Kosten tragen und ihn ermächtigen und verpflichten, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist;
4. nur die Beklagte zu 1): die in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz oder ihrem Eigentum befindlichen, unter I.1. bezeichneten Erzeugnisse an einen von der Klägerin zu benennenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf ihre – der Beklagten zu 1) – Kosten herauszugeben, wobei der Beklagten zu 1) vorbehalten bleibt, die Vernichtung selber vorzunehmen;
5. die unter Ziffer I.1 bezeichneten, seit dem 12.09.2007 in Verkehr gebrachten Erzeugnisse gegenüber den gewerblichen Abnehmern unter Hinweis auf den gerichtlich festgestellten patentverletzenden Zustand der Sache und mit der verbindlichen Zusage zurückzurufen, etwaige Entgelte zu erstatten sowie notwendige Verpackungs- und Transportkosten sowie mit der Rückgabe verbundene Zoll- und Lagerkosten zu übernehmen und die Erzeugnisse wieder an sich zu nehmen.
II. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldnerinnen verpflichtet sind, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der der A in X durch Handlungen entsprechend der Ziffer I.1. in der Zeit vom 12.10.2007 bis zum 30.05.2011, der B in X DE C USA durch Handlungen entsprechend der Ziffer I.1. in der Zeit vom 31.05.2011 bis zum 10.05.2012 und der Klägerin durch Handlungen entsprechend der Ziffer I.1. seit dem 11.05.2012 entstanden ist und noch entstehen wird.
III. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagten als Gesamtschuldnerinnen.
IV. Das Urteil ist hinsichtlich der Urteilsformel zu I.1., I.4. und I.5. (Verurteilung zur Unterlassung, Vernichtung und Rückruf) vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 450.000,00 EUR, hinsichtlich der Urteilsformel zu I.2 und I.3. (Verurteilung zur Auskunft und Rechnungslegung) vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 50.000,00 EUR und hinsichtlich der Urteilsformel zu III. (Kostenentscheidung) vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
V. Der Streitwert wird auf 500.000,00 EUR festgesetzt.
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4a O 144/14 |
verkündet am 3. November 2015 C. , Justizbeschäftigte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle |
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LANDGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL |
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In dem Rechtsstreit
3hat die 4a. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 29. September 2015 durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht Dr. D. , den Richter am Landgericht Dr. C1 und den Richter am Landgericht I.
4für Recht erkannt:
5I. Die Beklagten werden verurteilt,
61. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft hinsichtlich der Beklagten an ihren Geschäftsführern zu vollziehen ist, zu unterlassen,
7Kommunikationsvorrichtungen eines Mobilfunksystems, umfassend Mittel zum Feststellen eines Ausfalls in einer Funkverbindung, wobei die Funkverbindung mehrere aktive Funkträger aufweist, die zu einer Funkressourcen-Steuerungsverbindung gehören, umfassend Mittel zum Bestimmen einer ersten Ablaufzeit für eine Zeitspanne, während der die Wiederherstellung der verlorenen Funkverbindung in Bezug auf die Funkträger zulässig ist, welche verwendet werden, um einen Dienst oder Dienste einer ersten Kategorie bereitzustellen, und Mittel zum Bestimmen einer zweiten Ablaufzeit für eine Zeitspanne, während der die Wiederherstellung der verlorenen Funkverbindung in Bezug auf die Funkträger zulässig ist, welche verwendet werden, um einen Dienst oder Dienste einer zweiten Kategorie bereitzustellen, wobei die zweite Kategorie von Diensten sich von der ersten Kategorie von Diensten unterscheidet und wobei die zweite Ablaufzeit sich von der ersten Ablaufzeit unterscheidet,
8in der Bundesrepublik Deutschland
9anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen;
102. der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie (die Beklagten) die zu Ziffer I. 1. bezeichneten Handlungen seit dem 12.09.2007 begangen haben, und zwar unter Angabe
11a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
12b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
13c) der Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden;
14wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind und geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
153. der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie (die Beklagten) die zu Ziffer I. 1. bezeichneten Handlungen seit dem 12.10.2007 begangen haben, und zwar unter Angabe
16a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer,
17b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger,
18c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
19d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
20wobei den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nichtgewerblichen Abnehmer und der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen, vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagten dessen Kosten tragen und ihn ermächtigen und verpflichten, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist;
214. nur die Beklagte zu 1): die in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz oder ihrem Eigentum befindlichen, unter I.1. bezeichneten Erzeugnisse an einen von der Klägerin zu benennenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf ihre – der Beklagten zu 1) – Kosten herauszugeben, wobei der Beklagten zu 1) vorbehalten bleibt, die Vernichtung selber vorzunehmen;
225. die unter Ziffer I.1 bezeichneten, seit dem 12.09.2007 in Verkehr gebrachten Erzeugnisse gegenüber den gewerblichen Abnehmern unter Hinweis auf den gerichtlich festgestellten patentverletzenden Zustand der Sache und mit der verbindlichen Zusage zurückzurufen, etwaige Entgelte zu erstatten sowie notwendige Verpackungs- und Transportkosten sowie mit der Rückgabe verbundene Zoll- und Lagerkosten zu übernehmen und die Erzeugnisse wieder an sich zu nehmen.
23II. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldnerinnen verpflichtet sind, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der der A in X durch Handlungen entsprechend der Ziffer I.1. in der Zeit vom 12.10.2007 bis zum 30.05.2011, der B in X DE C USA durch Handlungen entsprechend der Ziffer I.1. in der Zeit vom 31.05.2011 bis zum 10.05.2012 und der Klägerin durch Handlungen entsprechend der Ziffer I.1. seit dem 11.05.2012 entstanden ist und noch entstehen wird.
24III. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagten als Gesamtschuldnerinnen.
25IV. Das Urteil ist hinsichtlich der Urteilsformel zu I.1., I.4. und I.5. (Verurteilung zur Unterlassung, Vernichtung und Rückruf) vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 450.000,00 EUR, hinsichtlich der Urteilsformel zu I.2 und I.3. (Verurteilung zur Auskunft und Rechnungslegung) vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 50.000,00 EUR und hinsichtlich der Urteilsformel zu III. (Kostenentscheidung) vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
26V. Der Streitwert wird auf 500.000,00 EUR festgesetzt.
27Tatbestand
28Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen angeblicher Verletzung des europäischen Patents EP D (Anlage B-15, in deutscher Übersetzung unter dem Registerzeichen DE E Anlage B-16; im Folgenden: Klagepatent) in Anspruch, dessen Inhaberin zu sein, die Klägerin behauptet.
29Das Klagepatent wurde unter Inanspruchnahme zweier finnischer Prioritäten vom 24.02.2000 (FI 20000O) und vom 24.03.2000 (FI 20000701) am 23.02.2001 international angemeldet und am 30.08.2001 als internationale Anmeldung sowie am 11.12.2002 als europäische Anmeldung veröffentlicht. Die Erteilung des Klagepatents wurde am 12.09.2007 veröffentlicht. Im Register des Deutschen Patent- und Markenamtes (DPMA) ist die Klägerin für die Zeit seit dem 01.10.2012 als Inhaberin eingetragen als Rechtsnachfolgerin des B. Zuvor war zum 15.02.2012 ein Übergang des Klagepatents von der Anmelderin A. auf den 2011 B(vormals: A 2011 Patent Trust) eingetragen worden, zum 11.05.2012 ein Übergang auf die F. und zum 06.09.2012 ein Übergang zurück auf den 2011 B.
30Das Klagepatent betrifft ein Verfahren und eine Anordnung zur Optimierung des Wiederaufbaus von Verbindungen in einem zellulären Funksystem mit Echt- und Nicht-Echtzeitkommunikation. Auf einen Einspruch der G vom 12.06.2008 erhielt das Europäische Patentamt – nachdem der Einspruch bereits zurückgenommen war – das Klagepatent durch Entscheidung vom 02.02.2012 (Anlage B-18a, in deutscher Übersetzung als Anlage B-18b) in eingeschränkter Fassung aufrecht. Eine geänderte Patentschrift wurde am 29.02.2012 veröffentlicht. Mit Schriftsatz vom 19.02.2015 (Anlage G6) griffen die Beklagten das Klagepatent durch Erhebung einer Nichtigkeitsklage an (Az. des BPatG 6 Ni 6/15 (EP), über welche noch nicht entschieden ist.
31Anspruch 17 des Klagepatents lautet:
32„Kommunikationsvorrichtung eines Mobilfunksystems, umfassend Mittel (514, 605) zum Feststellen eines Ausfalls in einer Funkverbindung, wobei die Funkverbindung mehrere aktive Funkträger aufweist, die zu einer Funkressourcen-Steuerungsverbindung gehören, dadurch gekennzeichnet, dass sie umfasst:
33- Mittel (511, 515, 605) zum Bestimmen einer ersten Ablaufzeit für eine Zeitspanne, während der die Wiederherstellung der verlorenen Funkverbindung in Bezug auf die Funkträger zulässig ist, welche verwendet werden, um einen Dienst oder Dienste einer ersten Kategorie bereitzustellen, und
34- Mittel (511, 515, 605) zum Bestimmen einer zweiten Ablaufzeit für eine Zeltspanne, während der die Wiederherstellung der verlorenen Funkverbindung in Bezug auf die Funkträger zulässig ist, welche verwendet werden, um einen Dienst oder Dienste einer zweiten Kategorie bereitzustellen, wobei die zweite Kategorie von Diensten sich von der ersten Kategorie von Diensten unterscheidet und wobei die zweite Ablaufzeit sich von der ersten Ablaufzelt unterscheidet.“
35Die nachstehend wiedergegebenen Zeichnungen sind dem Klagepatent entnommen und illustrieren dessen technische Lehre anhand der schematischen Darstellung von Ausführungsformen:
3637 38 39
Die Figuren 2a und 2b sind jeweils schematische Darstellungen klagepatentgemäßer Kommunikationssituationen in verschiedenen Ausführungsformen. Die Figur 3 zeigt ein klagepatentgemäßes Verfahren in der Darstellung als Flussdiagramm, die Figur 4 zeigt ein klagepatentgemäßes Verfahren als Zustandsdiagramm.
40Die Beklagten bieten in Deutschland Mobiltelefone mit den Bezeichnungen XX an (im Folgenden insgesamt als angegriffene Ausführungsformen bezeichnet). Die Beklagte zu 2) hat die angegriffenen Ausführungsformen zumindest auf der Internationalen Funkausstellung in Berlin im September 2014 angeboten.
41Die angegriffenen Ausführungsformen unterstützen UMTS („Universal Mobile Telecommunications System“) und entsprechen dem technischen Standard 3GPP TS 25.331 (auszugsweise vorgelegt als Anlagen AR B-21 und AR B-22) betreffend unter anderem das Radio Resource Control Protokoll zur Verbindung zwischen dem Benutzer-Endgerät (UE für englisch User Equipment) und dem UMTS Terrestrial Radio Access Network UTRAN, also dem Funkzugangsnetzwerk für UMTS (im Folgenden: Standard). Die Chipsätze in den angegriffenen Ausführungsformen stammen teilweise von dem Unternehmen G.
42Die Klägerin gab am 10.04.2013 gegenüber dem European Telecommunication Standard Institute (im Folgenden: ETSI) eine Verpflichtungserklärung ab, wonach sie bereit ist, u.a. das Klagepatent zu fairen, angemessenen und nicht-diskriminierenden Bedingungen zu lizenzieren (im Folgenden: FRAND bzw. FRAND-Bedingungen). Auf die in Anlage AR3 vorliegende Erklärung der Klägerin wird Bezug genommen. Bei ETSI handelt es sich um eine Standardisierungsorganisation, die unter anderem die Standardisierung von UMTS verantwortet.
43Die Klägerin betreibt ein „H Wireless Patent Programm“, das die Lizenzierung eines Patentportfolios im „Wireless“-Bereich vorsieht, wobei eine Lizenz an 47 Patentfamilien mit mehr als 480 Patenten angeboten wird, worin nach Angaben der Klägerin 33 Patentfamilien mit insgesamt mehr als 350 Patenten essentiell für verschiedene Kommunikationsstandards sein sollen (GSM, GPRS, UMTS und LTE).
44Die Klägerin informierte die Muttergesellschaften der Beklagten ( I und J mit Schreiben vom 20.12.2012, 22.08.2013 und 11.11.2013 über ihr „H Wireless Patent Programm“. Am 17.02.2014 kam es zu Gesprächen zwischen Vertretern der Klägerin und der Muttergesellschaften der Beklagten, die letztlich ohne Ergebnis blieben. Am 29.08.2014 machte die Klägerin ein weiteres Lizenzierungsangebot (Anlage AR B-39), was die J am 01.09.2014 ohne Gegenvorschlag ablehnte. Unter dem 05.12.2014 bot die Klägerin ferner eine Zwischenvereinbarung an (Anlage AR B-40). Der Konzern, dem die Beklagten angehören, ist Lizenznehmer verschiedener Lizenzpools der Klägerin, welche sich auf andere Technologien beziehen.
45Die Beklagte zu 1) machte der Klägerin mit Schreiben vom 13.10.2014 ein Lizenzangebot (Anlage G4) für das Klagepatent für Deutschland und alle europäischen Staaten, in denen die nationalen Parallelschutzrechte des Klagepatentes in Kraft sind (vgl. Anlagen G3/G19). Dieses lehnte die Klägerin mit Verweis insbesondere auf Lizenzverhandlungen mit der Konzernmutter der Beklagten zu 1) ab (vgl. Anlage G5). Mit Schreiben vom 12.08.2015 machten beide Beklagten der Klägerin ein weiteres Lizenzangebot, das als Anlage G19 zur Akte gereicht wurde. Dieses wurde von der Klägerin mit Schreiben vom 24.08.2015 (Anlage G21) abgelehnt. In dem Schriftsatz vom 22.09.2015 unterbreiteten die Beklagten ein weiteres Lizenzangebot. Dieses lehnte die Klägerin ebenfalls ab. Die Beklagten überreichten in der mündlichen Verhandlung am 29.09.2015 eine (Original-) Bürgschaft über EUR 5.000,00 (für das hiesige Verfahren und das Parallelverfahren 4a O 93/14) und Unterlagen mit Zahlen zu den Umsätzen mit angegriffenen Ausführungsformen.
46Die Klägerin meint, die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts ergebe sich aus Verletzungshandlungen, welche sich auf das gesamte Bundesgebiet und damit auch auf den Bezirk des Landgerichts Düsseldorf bezögen.
47Die Klägerin behauptet, allein verfügungsberechtigte Inhaberin des Klagepatents sowie zur Geltendmachung der klageweise erhobenen Ansprüche aus dem Klagepatent berechtigt zu sein. Die ursprüngliche Anmelderin, K, habe das Klagepatent einschließlich aller bereits aus dem Klagepatent entstandenen Ansprüche am 31.05.2011 auf den 2011 G (vormals A 2011 Patent Trust) durch schriftliche Vereinbarung (Anlage AR 2a) übertragen; dieser wiederum habe das Klagepatent einschließlich aller aus dem Klagepatent entstandenen Ansprüche am 11.05.2012 auf die Klägerin ebenfalls durch schriftliche Vereinbarung (Anlage AR 2d) übertragen. Eine Eintragung der F. als Inhaberin am 11.05.2012 sei versehentlich geschehen, weswegen am 06.09.2012 auch wieder der G als Inhaber eingetragen worden sei.
48Die Klägerin ist der Auffassung, die technische Lehre des Klagepatents werde bei Einhaltung des Standards verwirklicht. Die Einhaltung dieses Standards setze erstens die Herstellung einer Funkverbindung mit mehreren aktiven Funkträgern voraus. Dies ergebe sich einerseits daraus, dass der Standard an mehreren Stellen die Funkträger (englisch: radio bearers) im Plural erwähnt, nämlich bei der Definition der Aufgaben der Funkressourcensteuerung (englisch: Radio Resource Control, RRC; Abschnitt 5. des Standards, Seite 39 f. der Anlage AR B-24 und Seite 54 f. der Anlage AR B-26), im Rahmen der Darstellung der Funkzugangsträger (englisch: Radio Access Bearer; Abschnitt 6.3 des Standards, Seite 40 der Anlage AR B-24 und Seite 55 der Anlage AR B-26) sowie bei der Darstellung des Vorgehens zu Freigabe von Funkressourcen (englisch: radio resources control connection release, Abschnitte 8.1.4 und 8.1.12 des Standards, Seite 101 der Anlage AR B-24 sowie Seiten 132 und 151 der Anlage AR B-26). Andererseits folge die Nutzung mehrerer Funkträger im Betrieb der angegriffenen Ausführungsformen aus dem Umstand, dass mit den angegriffenen Ausführungsformen gleichzeitig Telefonate geführt und Daten abgerufen werden könnten. Der gleichzeitige Dienst von Telefonie und Datenübertragung setze für jeden der beiden Dienste einen spezifischen und daher jeweils unterschiedlichen Funkträger voraus.
49Zweitens setze die Einhaltung des Standards zwei Mittel zum Bestimmen einer Ablaufzeit im klagepatentgemäßen Sinne voraus. Auch ein Zeitnehmer, der auf die Zeit null Sekunden eingestellt ist, sei ein Zeitnehmer im Sinne des Klagepatents. Überdies würden die Werte der einzelnen Zeitnehmer von demjenigen Netzwerk vorgegeben, mit dem das Endgerät verbunden ist, so dass das Endgerät in Erfüllung des Standards jedenfalls in der Lage sein müsse, alle vom Netzwerk vorgegebenen und dem Standard entsprechenden Werte für wenigstens zwei Zeitnehmer anzunehmen.
50Drittens und daraus folgend schreibe der Standard vor, dass sich die Ablaufzeiten der beiden Zeitnehmer gemäß dem Klagepatent unterscheiden müssten. Maßgeblich sei die Einrichtung des Endgeräts dazu, zwei unterschiedliche Zeitwerte für die beiden Zeitnehmer einzunehmen. Der Standard schreibe für diese Zeitwerte Standardwerte vor, nämlich für den ersten Zeitnehmer T314 einen Wert von 12 Sekunden und für den zweiten Zeitnehmer T315 einen Wert von 180 Sekunden. Diese Standardwerte würden von den Endgeräten immer dann eingenommen, wenn das Netzwerk – zunächst – keine Werte für die Zeitnehmer vorgebe.
51Die Klägerin bestreitet, dass sich die Beklagten auf eine angebliche Lizenz der Chipherstellerin G berufen könne. Eine Lizenznahme auch für China sei zur Vermeidung von Patentverletzungen daher erforderlich.
52Der kartellrechtliche Zwangslizenzeinwand der Beklagten greife nicht durch. Die Klägerin bestreitet das Vorliegen einer marktbeherrschenden Stellung aufgrund des Klagepatents. Ungeachtet dessen verhalte sich die Klägerin auch nicht missbräuchlich; sie habe dem Konzern der Beklagten mehrfach eine Lizenz zu fairen, vernünftigen und nicht diskriminierenden Bedingungen angeboten. Der von der Klägerin übersandte Lizenzvertrag (Anlage AR B39) sei ein Standardlizenzvertrag und am Markt akzeptiert. Die Klägerin dürfe eine weltweite Konzern-Lizenz über das gesamte angebotene Patentportfolio verlangen. Es sei nicht akzeptabel, eine Lizenz nur am Klagepatent zu erteilen, wenn gleichzeitig klar sei, dass die Beklagten in China Patentrechte der Klägerin weiter verletzen. Eine Einzellizenzierung sei nicht praktikabel. Im Rahmen der Lizenz würden nicht standardessentielle Patente lizenzgebührenfrei mit angeboten. Die von der Klägerin geforderte Lizenzgebühr sei angemessen.
53Das Vorgehen der Klägerin stelle auch keine unzulässige Rechtsausübung dar. Die Klägerin bestreitet, dass die frühere Anmelderin des Klagepatents (A) dieses gegenüber der Standardisierungsorganisation missbräuchlich und vorsätzlich verschwiegen habe. Ferner bestreitet sie, dass die Lehre des Klagepatents nicht Teil des Standards geworden wäre, wenn die Anmeldung des Klagepatents bei der Festlegung des Standards bekannt gewesen wäre.
54Die Klägerin beantragt,
55zu erkennen, wie geschehen.
56Die Beklagten beantragen,
57die Klage abzuweisen,
58hilfsweise: den Beklagten zu gestatten, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung (Bank- oder Sparkassenbürgschaft) abzuwenden;
59weiter hilfsweise: den Rechtsstreit gemäß § 148 ZPO bis zu einer erstinstanzlichen Entscheidung des Bundespatentgerichtes in dem anhängig gemachten Nichtigkeitsverfahren über den Rechtsbestand des deutschen Teils des Europäischen Patents EP D auszusetzen;
60weiter hilfsweise: den Beklagten vor einer Entscheidung über den Klageantrag zu I.1. innerhalb einer vom Gericht zu bestimmenden Frist zu gestatten, der Klägerin ein neues Lizenzangebot zu unterbreiten.
61Die Beklagten wenden ein, das angerufene Gericht sei für die gegen die Beklagte zu 2) gerichtete Klage örtlich nicht zuständig, weil diese – unstreitig – ihren Sitz in der Republik Frankreich hat und im Bundesgebiet lediglich auf der IFA in Berlin in der Zeit vom 05. bis zum 10.09.2014 Mobilfunkgeräte ausgestellt hat.
62In der Sache bestreiten die Beklagten, dass die Klägerin zur Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Klagepatent – jedenfalls hinsichtlich des beantragten Zeitraums – berechtigt sei.
63Die Beklagten meinen, die technische Lehre des Klagepatents sei keine zwingende Voraussetzung für eine Erfüllung des technischen Standards. Der Standard lasse auch solche Kommunikationsvorrichtungen zu, in deren Betrieb nur ein einzelner aktiver Funkträger zur Funkverbindung gehöre. So sei es auch im Betrieb der angegriffenen Ausführungsformen. Ferner könnten Kommunikationsvorrichtungen gemäß dem Standard auch in der Weise betrieben werden, dass die Wiederherstellungszeit auf null Sekunden festgesetzt werde, und so geschehe es in den deutschen Mobilfunknetzen auch, in denen das Netz diese Wiederherstellungszeit vorschreibe. Dann fehle es indes an jeglichem Mittel zum Bestimmen einer Ablaufzeit im Sinne des Klagepatents, weil eine Ablaufzeit von null Sekunden gar keine Ablaufzeit sei. Schließlich fehle es dann aber jedenfalls an einer Verwirklichung der klagepatentgemäßen Lehre, weil es keine voneinander verschiedenen Ablaufzeiten gebe, sondern nur eine einzige Ablaufzeit von null Sekunden.
64Die Klägerin könne einen Unterlassungsanspruch aus dem Klagepatent gegen die Beklagten nicht durchsetzen. Dieses sei aus Sicht der Klägerin standardessentiell, so dass sie nur eine angemessene Lizenzgebühr fordern könne. Das von der Klägerin den Muttergesellschaften der Beklagten gemachte Lizenzangebot sei unangemessen. Der Rechtsbestand und die Bedeutung aller zu lizenzierenden Patente seien von der Klägerin nicht dargelegt, vielmehr sei dies nur in Bezug auf das hiesige Klagepatent und das im Parallelverfahren (Az. 4a O 93/14) geltend gemachte Patent erfolgt. Die von der Klägerin geforderte Stücklizenz von EUR 0,15 bis EUR 0,50 sei überhöht, da dies den FRAND-gemäßen Lizenzsatz von 0,012 % deutlich übersteige. Auch die von der Klägerin geforderte Pauschallizenzgebühr für die Vergangenheit sei überhöht.
65Darüber hinaus sei das Verhalten der Klägerin missbräuchlich, da sie versuche, Lizenzgebühren auch für solche Endgeräte der Beklagten zu erzielen, für die entweder bereits Erschöpfung eingetreten sei oder für die bereits Lizenzgebühren für das Klagepatent entrichtet wurden. A, die ursprüngliche Anmelderin des Klagepatents, habe G eine umfassende Lizenz erteilt, die auch das Klagepatent umfasse (vgl. Anlage G8). Diese Lizenz verpflichte auch die Klägerin als Erwerberin des Klagepatents (vgl. Anlage G9/9a). Die Klägerin habe zugestanden, dass die patentgemäße Funktion vom Chipsatz ausgeführt werde. Eine Lizenzierung des Chips führe daher zu einer Erschöpfung der Patentrechte an dem Gesamtgerät. Aufgrund der G-Lizenz sei insbesondere in China Erschöpfung eingetreten. In China sei somit keine Lizenzierung durch die Klägerin erforderlich. Es sei zudem unabhängig von der Frage der Erschöpfung missbräuchlich, wenn die Klägerin für die Nutzung des Klagepatents Lizenzgebühren auch hinsichtlich solcher angegriffener Ausführungsformen fordere, für die G bereits eine angemessene Gegenleistung erbracht habe. Für die Chipsätze anderer Hersteller bestehe eine Beweislastumkehr, so dass es der Klägerin obliege, darzustellen, dass diese nicht bereits lizenziert sind.
66Die Durchsetzung des Klagepatents sei zudem ein Fall unzulässiger Rechtsausübung (§ 242 BGB), da die Klägerin eine unredlich erworbene Rechtsposition geltend mache. Die Unredlichkeit folge aus der vorsätzlichen Täuschung über das Vorhandensein standardessentieller Rechte unter Verstoß gegen Europäisches Kartellrecht sowie die vertragliche Vereinbarung mit der ETSI durch die frühere Anmelderin des Klagepatents A. Diese müsse sich die Klägerin zurechnen lassen. A habe das Klagepatent (bzw. dessen Anmeldung) im Rahmen des Standardisierungsprozesses bewusst verheimlicht. Bei einer Offenlegung wäre eine andere, patentfreie Technologie in Betracht gezogen worden und/oder ex ante günstigere Lizenzsätze verhandelt worden.
67Ferner erheben die Beklagten gegen die Durchsetzung des Unterlassungsanspruchs den Dolo-Agit-Einwand (§ 242 BGB), da der Klägerin ein schutzwürdiges Interesse insoweit fehle. Schließlich bestehe ein Ausbeutungsmissbrauch nach § 242 BGB, da die Klägerin keine Einzellizenz erteilen will. Sie biete vielmehr ein Patentportfolio an, von denen offensichtlich nicht alle Patente standardessentiell seien. Auch in geographischer Hinsicht versuche die Klägerin, potenziellen Lizenznehmern in kartellrechtlich unzulässiger Weise Lizenzen an Patenten aufzunötigen. Für andere nationale Teile seien deren Bestand und Standardessentialität oder die Inhaberschaft der Klägerin ungeklärt.
68Die Beklagten wenden Verjährung ein. Weil die Klägerin sich – unstreitig – seit dem Jahre 2012 um die Lizenzierung unter anderem auch des Klagepatents bemüht, hätte sie spätestens ab Ende 2012 Kenntnis von den angegriffenen Ausführungsformen haben müssen. Außerdem habe die Klägerin an der Erstellung des Standards mitgearbeitet und hätte damit schon ab der Erteilung des Klagepatents wissen müssen, dass alle vom Standard Gebrauch machenden Mobilfunkgeräte auch von der klagepatentgemäßen technischen Lehre Gebrauch machten.
69Hilfsweise machen die Beklagten geltend, ihnen müsse Vollstreckungsschutz gewährt werden, weil ihnen eine Vollstreckung zumal eines Unterlassungstenors einen nicht zu ersetzenden Nachteil bereiten würde. Kunden der Beklagten würden nämlich auf Wettbewerber ausweichen und die Beklagten wären nicht in der Lage, bereits eingegangene Lieferverträge zu erfüllen, was einen unumkehrbaren Image-Schaden verursachen würde. Verloren gegangene Marktanteile könnten die Beklagten auch dann nicht mehr zurückgewinnen, wenn ein Unterlassungstenor in der Rechtsmittelinstanz aufgehoben würde.
70Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die ausgetauschten Schriftsätze samt Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 29.09.2015 ergänzend verwiesen.
Entscheidungsgründe
71Die Klage ist zulässig und vollumfänglich begründet.
72A.
73Die Klage ist in vollem Umfang zulässig, insbesondere ist das angerufene Gericht auch für die gegen die Beklagte zu 2) gerichtete Klage örtlich zuständig, weil seine örtliche Zuständigkeit gemäß § 39 ZPO prorogiert ist, nachdem die Beklagten in den mündlichen Verhandlungen vom 27.11.2014 (Bl. 68 GA) und vom 29.09.2015 (Bl. 223 GA) jeweils zur Sache verhandelt haben, ohne die fehlende örtliche Zuständigkeit zu rügen.
74B.
75Die Klage ist begründet. Der Klägerin stehen die geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassung, Auskunftserteilung, Rechnungslegung, Vernichtung, Rückruf und Feststellung der Schadensersatzpflicht gemäß Art. 64 EPÜ, §§ 9, 139 Abs. 1 und 2, 140a Abs. 1 und 3, 140b PatG, §§ 242, 259 BGB im geltend gemachten Umfang zu. Die Klägerin ist aktivlegitimiert (hierzu unter I.) Die angegriffenen Ausführungsformen verletzen das Klagepatent wortsinngemäß (hierzu unter II. und III.). Der Klägerin ist es auch nicht verwehrt, ihre Ansprüche gegen die Beklagten durchzusetzen, da weder der kartellrechtliche Zwangslizenzeinwand noch die auf § 242 BGB gestützten Einwände der Beklagten durchgreifen (hierzu unter IV). Eine Aussetzung des Rechtsstreits ist nicht geboten (hierzu unter VI).
76I.
77Die Klägerin ist sowohl prozessführungsbefugt als auch aktivlegitimiert.
78Sie ist als Inhaberin im Patentregister eingetragen, weswegen sie schon auf Grundlage von § 30 Abs. 3 Satz 2 PatG prozessual berechtigt ist, Unterlassung zu verlangen, weil die Unterlassung nicht gegenüber dem Patentinhaber, sondern schlechthin geschuldet ist und die genannte Norm den eingetragenen Inhaber zur Geltendmachung der Rechte aus dem Patent prozessual berechtigt. Darüber hinaus ist die die Klägerin auf Grundlage der schriftlichen Vereinbarungen zwischen der A und dem B (Anlage AR 2a) und zwischen dem B und ihr (Anlage AR 2d) materiell berechtigt, Schadensersatzforderungen aus dem Klagepatent geltend zu machen, und zwar auch für diejenigen Zeiträume, in denen ihre Rechtsvorgängerinnen Inhaberinnen des Klagepatents waren.
79Für die Sachlegitimation ist allerdings die materielle Rechtslage maßgebend.
80Die Eintragung eines Inhabers im Patentregister gemäß § 30 Abs. 3 Satz 2 PatG begründet zwar die Berechtigung des Inhabers, Ansprüche aus dem Patent prozessual geltend zu machen, sie hat aber keinen Einfluss auf die materielle Rechtslage, wirkt also weder rechtsbegründend noch rechtsvernichtend (BGH, GRUR 2013, 713 Tz. 53 – Fräsverfahren). Wohl aber entwickelt die Eintragung eine doppelte Indizwirkung sowohl für die materielle Richtigkeit der eingetragenen Inhaberschaft als auch für die Richtigkeit des Übertragungszeitpunkts, wenn und soweit die Eintragung eines neuen Inhabers in einem erkennbaren zeitlichen Zusammenhang zur behaupteten Übertragung des fraglichen Patents steht, so dass dann die Gegenseite gehalten ist, konkrete Umstände für die Unwirksamkeit eines behaupteten Rechtsübergangs darzulegen und notfalls zu beweisen, um die Aktivlegitimation des eingetragenen Inhabers wirksam in Abrede stellen zu können (BGH, GRUR a.a.O. Tz. 60 – Fräsverfahren).
81Vorliegend lässt sich ein zeitlicher Zusammenhang zwischen den behaupteten Rechtsübergängen und den Eintragungen im Patentregister feststellen. Zwischen dem von der Klägerin vorgebrachten und durch Vorlage des „Patent Assignment Agreement“ (Anlage AR 2a; das Klagepatent ist auf Blatt 14 der angehängten Liste, vierte Zeile von unten, mit dem A Code X aufgeführt), abgeschlossen am 31.05.2011 zwischen A. und dem A Patent Trust (später: 2011 B, siehe Anlage AR 2b), belegten Zeitpunkt der Übertragung und der Eintragung der Übertragung am 15.02.2012 liegen etwa achteinhalb Monate. Dieser Zeitraum ist zwar länger, als für die Eintragung eines Inhaberwechsels im Regelfall notwendig. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die an der Übertragung beteiligten Parteien nicht in Deutschland ansässig sind und eine von ihnen sogar die Rechtsform eines Trust nach dem Recht des Staates Delaware hat, so dass ein größerer Zeitbedarf für die Bewirkung der Eintragung des vereinbarten Rechtsübergangs anzunehmen ist. Der hieraus entstehenden indiziellen Wirkung der Eintragung sind die Beklagten mit dem bloßen Bestreiten der wirksamen Übertragung nicht hinreichend entgegen getreten. Die Beklagten bestreiten weder die Wirksamkeit des „Patent Assignment Agreement“ noch die Vertretungsberechtigung der handelnden Personen. Ebenso wenig bringen die Beklagten irgendwelche Anhaltspunkte dafür vor, dass das Klagepatent statt an den B stattdessen an irgendeinen Dritten übergegangen sein könnte. Unerheblich ist der Einwand der Beklagten, die Klägerin habe nicht denjenigen Teil der Vereinbarung vorgelegt, aus dem sich die wechselseitig vereinbarten Leistungen ergeben. Dies zu offenbaren oblag der Klägerin nicht, weil – jedenfalls ohne konkrete Anhaltspunkte – nicht ersichtlich ist, wie sich aus Art und Umfang der gegenseitigen Leistungen ein Beleg für eine Unwirksamkeit der Übertragung ergeben könnte.
82Ferner hat die Klägerin die Übertragung des Klagepatents vom 2011 B auf die Klägerin vorgebracht und unter Vorlage des „Assignment“ vom 10.04. / 11.05.2012 (Anlage AR 2d) belegt (Klagepatent auf Blatt 13 der Liste der übertragenen Rechte, vorletzte Zeile, mit dem „A Code 29997 aufgeführt). Diese Übertragung wurde am 01.10.2012, also gut fünfeinhalb Monate später, eingetragen. Ein solcher Zeitraum begründet nach dem Ausgeführten zumal unter Berücksichtigung der Beteiligung einer außerhalb der EU ansässigen Partei einen hinreichend engen zeitlichen Zusammenhang zwischen der vorgebrachten materiellen Übertragung und der Eintragung des Inhaberwechsels. Auch insoweit beschränken sich die Beklagten darauf, die Unwirksamkeit der Übertragung pauschal zu behaupten, so dass sie die Indizwirkung auch dieser Eintragung nicht erfolgreich zu entkräften vermögen. Dass das fragliche „Assignment“ als „Exhibit B“ gekennzeichnet und demnach offensichtlich Teil einer weiter reichenden Vereinbarung ist, ändert daran nichts, denn dass das „Assignment“ aus sich heraus vollständig und damit wirksam ist, stellen auch die Beklagten nicht in Abrede.
83Schließlich steht der Indizwirkung der Registerlage für die Inhaberschaft der Klägerin auch nicht entgegen, dass für den Zeitraum vom 11.05.2012 bis zum 06.09.012 die F. als Inhaberin des Klagepatents eingetragen war. Dem klägerischen Vorbringen, dass diese Eintragung irrtümlich geschah und deshalb alsbald, nämlich nach nicht einmal vier Monaten rückgängig gemacht wurde, sind die Beklagten nicht entgegen getreten, so dass als zugestanden festzustellen ist, dass es keinen materiellen Übergang des Klagepatents an die F. gab. Die bloße Eintragung begründete, anders als die Beklagten meinen, keinen Rechtserwerb.
84Schließlich ist die Klägerin auch berechtigt, diejenigen Schäden auf eigene Rechnung zu liquidieren, die aufgrund von solchen Verletzungshandlungen entstanden sind, welche zum Zeitpunkt der Inhaberschaft der Vorinhaberinnen begangen wurden. Sowohl das „Patent Assignment Agreement“ vom 31.05.2011 (Anlage AR 2a) als auch das „Assignment“ vom 10.04. / 11.05.2012 enthalten jeweils Klauseln, nach denen neben dem Patent an sich auch alle Ansprüche aus Verletzungen des Patents in der Vergangenheit übergehen (jeweils mit dem Wortlaut: „all rights to pursue damages […] for past, present and future infringement of the Patent Rights“). Dass diese Vereinbarungen unwirksam sein könnten, bringen die Beklagten nicht vor.
85II.
86Das Klagepatent betrifft ein Verfahren und eine Anordnung zur Optimierung des Wiederaufbaus von Verbindungen in einem zellulären Funksystem mit Echt- und Nicht-Echtzeitkommunikation.
87Wie das Klagepatent in seinen einleitenden Bemerkungen ausführt, bestehen mobile Kommunikationsnetze im Wesentlichen aus einem Funkzugangsnetz und einem Kernnetz. Es ist ein vorbekanntes technisches Ziel, zumal bei der Formulierung technischer Standards wie beispielsweise 3GPP, ein Funkzugangsnetz mit verschiedenen Typen von Kernnetzen zu verbinden und umgekehrt. Für die Spezifikation 3GPP ist beispielsweise bekannt, ein Funkzugangsnetz gemäß WCDMA UTRAN mit einem Kernnetz gemäß GSM und IS-41/ANSI-41 zu verbinden. Die Spezifikationen zellulärer Funksysteme der zweiten und dritten Generation unterstützen üblicher Weise Echtzeitdienste (RT für englisch „real time“) ebenso wie Nicht-Echtzeitdienste (NRT für englisch „non real time“), wobei die Echtzeitdienste für zeitkritische Anwendungen wie Sprache oder Echtzeit-Video verwendet werden, Nicht-Echtzeitdienste hingen für die Übertragung von Daten wie E-Mails oder heruntergeladene Dateien. Ein Merkmal der Echtzeitdienste besteht darin, dass ein Benutzer Verzögerungen und Unterbrechungen im Funkträgerweise sofort wahrnehmen kann.
88Tatsächlich geschieht der Verlust der Funkverbindung zwischen Benutzerendgerät und bedienender Basisstation in zellulären Funksystemen oft. Dafür gibt es bestimmte Anordnungen für das schnelle Wiederherstellen der Verbindungen, so dass der Vorfall für den Benutzer unbemerkt bleibt oder mit so wenigen Unannehmlichkeiten wie möglich einhergeht. Derlei Anordnungen sind für Verbindungen vom Typ RRC (für englisch Radio Resource Control) in den Spezifikationen des 3GPP-Standards TS25.331, TS25.302, TS25.321 und TS25.322 des ETSI bekannt. Aus diesem Stand der Technik ist es bekannt, dass ein mobiles Endgerät bei einem Verlust der Funkverbindung im sogenannten CELL_DCH-Zustand (Dedicated Channel) in den sogenannten CELL_FACH (Forward Access Channel) übergeht, um eine neue Zellenauswahl auszuführen und eine Wiederherstellung der Verbindung anzufordern. Dabei startet beim Verlust der Verbindung ein als T314 oder „Wiederherstellungszeitnehmer“ bezeichneter Zeitnehmer, sobald das mobile Endgerät den Verlust der Verbindung erkannt hat. Sofern das mobile Endgerät feststellt, dass es sich in einem Dienstgebiet befindet, in dem eine Wiederherstellung möglich ist, stoppt es den Zeitnehmer und sendet die Nachricht „RRC CONNECTION RE_ESTABLISHMENT REQUEST“ auf einer Aufwärtsverbindung oder einem gemeinsamen Steuerkanal. Wenn allerdings der Zeitnehmer abläuft, bevor das mobile Endgerät seine Position in einem Dienstgebiet detektiert, in dem eine Wiederherstellung der Funkverbindung möglich ist, so tritt das Endgerät in einen RRC-Ruhezustand ein, in dem eine aktive Kommunikation mit den Basisstationen nicht mehr möglich ist. Der Wert des Zeitnehmers kann dabei zwischen 0 und 4095 liegen und wird durch den RNC (Radio Network Controller) festgelegt, indem er an das mobile Endgerät in einer Steuernachricht wie beispielsweise dem RRC-Verbindungaufbau, dem Funkträgeraufbau, der Funkträgerfreigabe, der Funkträgerrekonfiguration, der Transportkanalrekonfiguration oder der Rekonfiguration des physikalischen Kanals oder der RRC-Verbindungswiederherstellungsnachrichten den jeweiligen Wert sendet. Der Zeitnehmer-Wert kann somit für das Endgerät spezifisch sein und sogar während der Verbindung in Abhängigkeit von der jeweils aktuellen Dienstkonfiguration geändert werden. Das Klagepatent erwähnt zudem die WO L als Offenbarung eines ähnlichen Verbindungswiederherstellungsverfahrens.
89An dieser Vorgehensweise kritisiert es das Klagepatent als nachteilig, dass sie in Bezug auf verschiedene Typen von Diensten, namentlich im Hinblick auf Echtzeitdienste einerseits und Nicht-Echtzeitdienste andererseits unflexibel ist. Eine Echtzeitverbindung toleriert keine langen Verzögerungen oder Unterbrechungen, so dass ein relativ kleiner Wert von wenigen Sekunden für den Zeitnehmer T314 gewählt oder die Wiederherstellungsmöglichkeit für eine solche Verbindung sogar ausgeschaltet werden muss, also beim Verlust der Funkverbindung den Funkträger sofort freizugeben. Weil Nicht-Echtzeitverbindungen im Gegensatz hierzu viel toleranter sind, können auch Verzögerungen von bis zu zehn Minuten geduldet werden. Wenn aber das mobile Endgerät Funkträger für Echtzeit- und Nicht-Echtzeitverbindungen aufweist, leidet mindestens einer dieser Typen von Verbindung an einem unpassend gewählt Ablaufwert für die Wiederherstellung. Dieselbe Schwierigkeit stellt sich im Hinblick auf solche Dienste, die untereinander verschiedene Anforderungen an die Zeitsteuerung der Verbindungswiederherstellung haben.
90Vor dem Hintergrund dieses Standes der Technik formuliert es das Klagepatent als technische Aufgabe, ein Verfahren und eine Anordnung zu schaffen, mit denen eine Wiederherstellung der Verbindung in einer Weise ermöglicht wird, welche die Erfordernisse verschiedener Typen von Diensten berücksichtigt.
91Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Klagepatent in seinem Anspruch 17 eine Anordnung mit den folgenden Merkmalen vor:
921. Kommunikationsvorrichtung eines Mobilfunksystems.
932. Die Kommunikationsvorrichtung umfasst Mittel (514, 605) zum Feststellen eines Ausfalls in einer Funkverbindung.
942.1. Die Funkverbindung weist mehrere aktive Funkträger auf.
952.2 Die aktiven Funkträger gehören zu einer Funkressourcen-Steuerungsverbindung.
963. Die Kommunikationsvorrichtung umfasst Mittel (511, 515, 605) zum Bestimmen einer ersten Ablaufzeit
973.1 für eine Zeitspanne, während der die Wiederherstellung der verlorenen Funkverbindung zulässig ist.
983.2 Diese Wiederherstellung erfolgt in Bezug auf die Funkträger, welche verwendet werden, um einen Dienst oder Dienste einer ersten Kategorie bereitzustellen.
994. Die Kommunikationsvorrichtung umfasst Mittel (511, 515, 605) zum Bestimmen einer zweiten Ablaufzeit
1004.1 für eine Zeitspanne, während der die Wiederherstellung der verlorenen Funkverbindung zulässig ist.
1014.2 Diese Wiederherstellung erfolgt in Bezug auf die Funkträger, welche verwendet werden, um einen Dienst oder Dienste einer zweiten Kategorie bereitzustellen.
1025. Die zweite Kategorie von Diensten unterscheidet sich von der ersten Kategorie von Diensten.
1036. Die zweite Ablaufzeit unterscheidet sich von der ersten Ablaufzeit.
104III.
105Zwischen den Parteien steht – zu Recht – alleine die Verwirklichung der Merkmale 2.1, 3., 4. und 6. im Streit. Die Verwirklichung dieser Merkmale lässt sich indes feststellen.
1061.
107Merkmal 2.1, gemäß welchem die von der klagepatentgemäßen Kommunikationsvorrichtung unterhaltene und auf Ausfall überwachte Funkverbindung mehrere aktive Funkträger aufweisen muss, wird durch die angegriffenen Ausführungsformen verwirklicht.
108a)
109Ein Funkträger im Sinne der klagepatentgemäßen Lehre ist eine Vorgabe zur Ausgestaltung der Funkverbindung zwischen einer Kommunikationsvorrichtung und einer Basisstation des Mobilfunksystem, wobei die einzelnen Merkmale der Ausgestaltung der Funkverbindung davon abhängen, welche Kategorie von Dienst über die Funkverbindung bereitgestellt werden soll. Demnach erfordert die Ausführung einer Mehrzahl von klagepatentgemäßen Kategorien von Diensten auch eine Mehrzahl von Funkträgern, weil jeder einzelne Funkträger spezifisch mit Rücksicht auf die jeweilige Kategorie von Diensten ausgestaltet ist.
110Diese Auslegung des streitigen Merkmals 2.1 ergibt sich zum einen aus dem Gesamtzusammenhang des Anspruchswortlauts, welcher gemäß Art. 69 Satz 1 EPÜ den Schutzbereich des Patents bestimmt. Schon aus Merkmal 2.1 wird für den Fachmann deutlich, dass der Funkträger im Sinne des Klagepatents nicht die Funkverbindung selber darstellt, sondern vielmehr technisch zu dieser Funkverbindung beiträgt. In engem Zusammenhang hierzu steht die Lehre des Merkmals 2.2, gemäß dem die aktiven Funkträger konkreter betrachtet Teil der Funkressourcen-Steuerungsverbindung sind, also, wie der Fachmann erkennt, dazu beitragen, die auf der Funkverbindung verfügbaren Ressourcen zu nutzen. Dass die Art der Nutzung der Funkressourcen ihrerseits davon abhängt, welcher Dienst über die Funkverbindung abgewickelt wird, ergibt sich schließlich aus dem Zusammenhang des Merkmals 2.1 zu den beiden parallelen Merkmalen 3.2 und 4.2. Nach diesen Merkmalen werden die Funkträger dazu verwendet, um einen oder mehrere Dienste bestimmter Kategorien bereitzustellen. Die vom Funkträger bewirkte Vorgabe an die Nutzung der Funkressourcen ist also davon abhängig, zu welcher Kategorie einer oder mehrere Dienste angehören, welche über die betreffende Funkverbindung ausgeführt werden.
111Dieses Verständnis von Merkmal 2.1 wird belegt durch die Beschreibung des Klagepatents, welche gemäß Art. 69 Satz 2 EPÜ bei der Auslegung heranzuziehen ist. Der Zusammenhang zwischen der Identität eines Funkträgers einerseits und der Kategorie des Dienstes andererseits wird in der Beschreibung (Absatz [0017] des Klagepatents) im Rahmen der allgemeinen Erfindungsbeschreibung und der allgemeinen Darstellung von Mobilfunksystemen wie folgt erläutert:
112„Gemäß der Erfindung werden getrennte Zeitnehmer oder einige Überwachungsanordnungen einer höheren Ebene für verschiedene Kategorien von Funkträgern definiert. Beispiele solcher Kategorien sind RT- und NRT-Funkträger, Funkträger eines CS-Bereichs (Circuit Switched, leitungsvermittelt) und eines PS-Bereichs (Packet Switched, paketvermittelt) und Funkträger, die einen bestätigten Modus / einen unbestätigten Modus oder einen Wiederübertragungsprotokoll des transparenten Modus der Schicht 2 verwenden, oder Funkträger, die gewisse spezifische Diensttypen bedienen, wie beispielsweise Audio, Video oder E-Mail. Es können auch andere Funkträger-spezifische oder Funkzugangsträger-spezifische oder dienstspezifische Parameter verwendet werden, um die Wiederherstellungskategorie zu definieren.“
113Dem entnimmt der Fachmann vor dem Hintergrund der technischen Aufgabenstellung, dass jeder Kategorie von Diensten ein Funkträger und diesem wiederum – dies der Kern der klagepatengemäßen Lehre – ein gesonderter Zeitnehmer zugeordnet ist. Beispiele für die Bildung solcher Kategorien von Diensten und damit Funkträgern sind die Unterscheidung zwischen Echtzeit- und Nichtechtzeit-Funkträgern (RT für Echtzeit, NRT für Nicht-Echtzeit, siehe Absatz [0004]) oder auch zwischen Funkträgern für leitungsvermittelte Dienste (CS für englisch circuit switched) einerseits und packetvermittelte Dienste (PS für englisch packet switched) andererseits.
114Ferner kann der Fachmann der Erwähnung des „transparenten Modus der Schicht 2“ entnehmen, dass die Lehre des Klagepatents auf dem anerkannten Referenzmodell „OSI“ (für englisch Open Systems Interconnection Model) für Netzwerkarchitekturen und -protokolle aufbaut. Als zweite von insgesamt sieben Schichten wird in diesem Modell die Sicherungsschicht (englisch: data link) bezeichnet, deren Aufgabe darin besteht, den Zugriff auf das Übertragungsmedium (im Schichtenmodell Schicht 1: Bitübertragung, englisch physical) zu regeln und womöglich Maßnahmen für eine weitgehend fehlerfreie Übertragung zu gewährleisten, indem beispielsweise das zu übertragende Signal in Rahmen (englisch: frames) unterteilt und jeder einzelne Rahmen mit einer Prüfsumme versehen wird, die eine Prüfung auf die korrekte Übertragung des Datenrahmens gestattet. Dies fügt sich in die weitere Angabe im Rahmen der allgemeinen Erfindungsbeschreibung (Absatz [0019]), wonach die Prüfmaßnahme des „Zeitnehmers“ nicht zwingend auf eine physische Zeitmessung beschränkt sein muss. Dort heißt es zur Erläuterung der im wiedergegebenen Absatz [0017] angesprochenen Überwachungsanordnungen einer höheren Schicht:
115„Mit Überwachungsanordnungen einer höheren Schicht meinen wir, dass beispielsweise Sprach- oder Video-Kodierer-Dekodierer die Fehlerraten überwachen können, die bei Informationen auftreten, die über aktive Funkträger empfangen werden. Ein plötzliches gehäuftes Auftreten von Fehlerraten bedeutet, dass es sehr wahrscheinlich ist, dass der Funkträger temporär verloren gegangen ist. Ein Zähler, der die Anzahl der vollständig beschädigten Rahmen oder anderer diskreter Informationseinheiten berechnet, kann die Pflichten eines Zeitnehmers übernehmen, so dass wenn der Zähler einen vorbestimmten Schwellwert erreicht, man annehmen kann, dass der Zeitnehmer abgelaufen ist.“
116Dem kann der Fachmann entnehmen, dass der Verlust eines Funkträgers nicht schon den Verlust der Funkverbindung bedeutet, denn bei verlorener Funkverbindung werden keine fehlerhaften, sondern überhaupt keine Signale übertragen, sondern dass bei verlorenem Funkträger die Vorgaben zur Nutzung der Kommunikationsressourcen nicht mehr eingehalten werden und ein übertragenes Signal deshalb fehlerhaft ist.
117b)
118Demnach lässt sich eine Verwirklichung des Merkmals 2.1 durch die angegriffenen Ausführungsformen feststellen.
119Zum einen ist unstreitig, dass die angegriffenen Ausführungsformen in der Lage sind, zeitgleich einen Sprachdienst (Telefonie) und einen Datendienst (beispielsweise Zugriff aufs Internet) auszuführen. Diese beiden Dienste unterscheiden sich derart, dass sie nach der klagepatentgemäßen Lehre unterschiedlichen Kategorien angehören und demnach eine Mehrzahl von Funkträgern, nämlich mindestens zwei, erfordern. Während ein Sprachdienst einen Echtzeitdienst voraussetzt und außerdem, weil unstreitig Internet-Telefonie durch Voice-over-IP (VoIP) in deutschen Mobilfunknetzen ausgeschlossen ist, leitungsvermittelt ausgeführt wird, ist ein Datendienst als Nicht-Echtzeitdienst möglich und wird paketvermittelt ausgeführt.
120Zum anderen setzt der Standard TS 25.331, welchen die angegriffenen Ausführungsformen erfüllen, mindestens zwei Funkträger voraus. In den Vorschriften zur standardgemäßen Prozedur „RAB information for setup“ gemäß Ziffer 8.6.4.2 des Standards (Seite 294 der Anlage AR B-24, Seite 462 der Anlage AR B-26) ist die Einrichtung und Verarbeitung einer Vielzahl von Funkträgern vorgeschrieben, wenn es dort heißt:
121„If the IE “RAB information for setup” is included, the procedure is used to establish radio bearers belonging to a radio access bearer and the UE shall:
122[…]
1231> for each radio bearer in the IE “RB information to setup”:
124[…]
1252> if the radio bearer identified with the IE “RB identity” already exists in the variable ESTABLISHED_RABS:
1263> set the variable INVALID_CONFIGURATION to TRUE.”
127Zu deutsch:
128„Wenn das Informationseinheit „RAB information for setup“ enthalten ist, wird das Verfahren verwendet, um Funkträger zu erzeugen, die zu einem Funkzugangsträger gehören, und die Benutzerendeinrichtung (UE) soll:
129[…]
1301> für jeden Funkträger im Informationselement „RB information to setup“:
131[…]
1322> wenn der mit der Informationseinheit „RB identity“ identifizierte Funkträger in der Variable ESTABLISHED_RABS existiert:
1333> die Variable INVALID_CONFIGURATION auf den Wert WAHR setzen.“
134Demnach schreibt der Standard im Rahmen einer bestimmten Prozedur die Errichtung einer Mehrzahl von Funkträgern vor. Irgendwelche Anhaltspunkte dafür, dass die Errichtung eines einzigen Funkträgers ebenso gut möglich wäre, etwa mit Blick auf den ausgeführten Dienst, um den Anforderungen des Standards zu genügen, sind nicht ersichtlich. Dies fügt sich darin, dass standardgemäße Geräte in der Lage sein müssen, unterschiedliche Kategorien von Diensten auszuführen, so dass in ihrem Betrieb eine Mehrzahl von Funkträgern zur Verfügung stehen muss.
1352.
136Auch die Verwirklichung der Merkmalsgruppen 3. und 4., gemäß denen die klagepatentgemäße Kommunikationsvorrichtung Mittel zum Bestimmen einer ersten und einer zweiten Ablaufzeit aufweist, lässt sich feststellen.
137a)
138Klagepatentgemäße Mittel zum Bestimmen einer Ablaufzeit sind alle geeigneten technischen Maßnahmen, mit denen sich bestimmen lässt, ob nach Ablauf einer vorgegebenen Zeit einer oder mehrere Dienste einer bestimmten Kategorie wiederhergestellt werden kann. Dabei kommt es nicht darauf an, ob diese technischen Maßnahmen räumlich-körperlich manifestiert sind, ob sie auf das Messen verstrichener Zeit oder auf die bloße Feststellung von Ereignissen gerichtet sind, oder ob die von ihnen bestimmte Ablaufzeit eine tatsächliche Zeitspanne ausmacht, also länger als null Sekunden ist.
139Diese Auslegung folgt wiederum zum einen aus dem Gesamtzusammenhang des Anspruchswortlauts. Die parallelen Unter-Merkmale 3.1 und 4.1 erläutern, dass mit den klagepatentgemäßen Mitteln diejenige Ablaufzeit bestimmt werden soll, die der Zeitspanne entspricht, innerhalb derer die Wiederherstellung eines oder mehrerer Dienste einer ersten Kategorie zulässig ist. Die als Zeitnehmer fungierenden Mittel dienen also dazu, den Versuch einer Wiederherstellung von Diensten bestimmter Kategorien zeitlich zu begrenzen. Dabei erkennt der Fachmann, dass der Anspruchswortlaut weder Vorgaben dazu macht, auf welche Weise die für die Wiederherstellung der Dienste zulässigen Ablaufzeiten zu bestimmen sind, noch eine Angabe zur Dauer der Ablaufzeit enthält. Beides ist somit in das gestalterische Belieben des Fachmanns gestellt, für den deswegen sowohl räumlich-körperliche als auch andere, beispielsweise rein signaltechnische oder auf eine Datenverarbeitung gestützte Mittel der Zeitnahme ebenso in Betracht kommen wie solche Mittel, die zwar keine Zeit messen, aber auf andere Weise geeignet sind, diejenige Zeitspanne zu begrenzen, innerhalb derer die Wiederherstellung von Diensten zulässig ist. Daneben steht es auch im fachmännischen Ermessen, wie lange die Ablaufzeiten zu bemessen sind, weil der Anspruch weder eine Höchst- noch eine Mindestdauer vorschreibt und insbesondere auch den Wert von null Sekunden, also den Ablauf irgendeiner Zeitspanne, nicht ausschließt.
140Die Auslegung auch dieser Merkmalsgruppen wird durch die zugehörige Beschreibung gestützt. Das Klagepatent stellt den Zusammenhang zwischen der Wiederherstellung eines unterbrochenen Dienstes auf der einen und der Überwachung einer Zeitspanne, innerhalb derer es technisch und für den Benutzer des Dienstes sinnvoll ist, den Dienst wiederherzustellen, ins Zentrum der Auseinandersetzung mit dem vorbekannten Stand der Technik (Absätze [0009 und [0017]). Die vom Klagepatent vorgeschlagene Lösung zur Überwindung der am Stand der Technik kritisierten Nachteile zielt darauf, für jede Kategorie von Diensten eine solche Zeitspanne als zulässige Wiederherstellungszeit vorzusehen und durch einen jeweils gesonderten Zeitnehmer zu überwachen, die in Ausführung der jeweiligen Dienste-Kategorie sinnvoll ist, mithin darauf, die notwendige Flexibilität in der Überwachung der jeweils angemessenen Zeitspanne zu gewährleisten (Absätze [0010], [0011] und [0017]). Wie die entsprechenden Mittel zur Zeitnahme auszugestalten sind, lässt die Beschreibung offen. Dagegen wird ausdrücklich erläutert (Absatz [0017] und ausführlich Absatz [0019]), dass neben einer Zeitmessung als solcher auch Mittel in Betracht kommen, mit denen kein Zeitablauf überwacht wird, sondern die Veränderung von Fehlerraten, Mittel also, die eine Begrenzung der zulässigen Wiederherstellungszeit durch die Überwachung von Ereignissen gewährleisten.
141Zumal in Anbetracht dessen, dass die Beschreibung des Klagepatents ausdrücklich offen lässt, ob die Mittel zum Bestimmen von Ablaufzeiten auf eine Zeitmessung oder auf eine andere geeignete Methodik gestützt sind, nimmt es der Fachmann ernst, dass auch die Beschreibung nirgends den Ablauf einer Mindestzeitspanne fordert, welche von einem solchen klagepatengemäßen Mittel überwacht wird. Daraus schlussfolgert der Fachmann, dass ein solches klagepatentgemäßes Mittel auch dann gegeben ist, wenn es einen Wert von null Sekunden als Ablaufzeit überwacht. Dabei erkennt der Fachmann, dass eine solche Überwachung keineswegs technisch sinnlos ist, sondern dass dies den vollständigen und sofortigen Verzicht auf einen Wiederherstellungsversuch für den unterbrochenen Dienst bedeutet, was den technischen Vorteil bringt, dass die entsprechenden Funkträger und die von ihnen gesteuerten Funkressourcen sofort freigegeben werden. Dies kann der Fachmann der allgemeinen Erfindungsbeschreibung entnehmen, wo es mit Blick auf die Notwendigkeit einer flexiblen Ausgestaltung der Zeitnehmer für Funkträger bestimmter Dienstkategorien heißt (Absatz [0009]):
142„Es sollte sogar möglich sein, die Wiederherstellungsmöglichkeit für RT-Träger „auszuschalten“, was bedeutet, dass wenn die UE die Funkverbindung verliert, die RT-Träger sofort freigegeben werden (lokal in der UE und im UTRAN).“
143Diese Beschreibungspassage betrifft zwar die technische Situation im Stand der Technik, jedoch ist das Klagepatent nicht darauf gerichtet, diese Situation zu überwinden. Die Kritik des Klagepatents wendet sich nicht dagegen, dass Ablaufzeiten für Funkträger bestimmter Kategorien von Diensten überwacht werden, und sei es mit einem Wert von null Sekunden, sondern dagegen, dass im Stand der Technik nur ein Zeitnehmer und somit nur ein Wert zur Verfügung steht, der zwar für bestimmte Kategorien sinnvoll auch auf null Sekunden gesetzt werden kann, der aber nicht für alle Kategorien von Diensten sinnvoll denselben Wert haben kann.
144Hinzu kommt, dass der Wert von null Sekunden als möglicher Zeitnahme-Wert in der allgemeinen Erfindungsbeschreibung sogar ausdrücklich erwähnt wird, wenn es, wiederum in Darstellung des Standes der Technik lautet (Absatz [0007]):
145„Der Wert des Zeitnehmers kann irgendwo zwischen 0 und 4095 Sekunden liegen.“
146Im Zusammenhang zur Beschreibungspassage im soeben gewürdigten Absatz [0008] ergibt sich, dass der Fachmann auf einen Wert von null Sekunden als tauglichen Wert der Zeitnahme hingewiesen wird. Weder ist dieser Wert ausgeschlossen, denn die Offenbarung in Absatz [0007] enthält keinen Hinweis darauf, dass die Grenzwerte vom gültigen Wertbereich nicht umfasst sein sollten, noch wird dieser Wert als aus dem Stand der Technik bekannt abgelehnt: Das Klagepatent benennt einen Zeitnahme-Wert von null Sekunden nicht als Nachteil, sondern will sich vom Stand der Technik dadurch abgrenzen, dass für jede Kategorie von Diensten ein Zeitnehmer zur Verfügung steht, so dass für jede Kategorie flexibel ein eigener Wert gewählt und überwacht werden kann.
147b)
148Demnach verwirklichen die angegriffenen Ausführungsformen die Merkmalsgruppen 3. und 4.
149Die Beklagten selber stellen nicht in Abrede, dass im Betrieb der angegriffenen Ausführungsformen für wenigstens zwei Kategorien von Diensten zulässige Wiederherstellungszeiten von null Sekunden überwacht werden. Nach den obigen Ausführungen ist auch bei Überwachung eines solchen Null-Wertes, also dem sofortigen Ausschluss der Wiederherstellung, ein Zeitnehmer anzunehmen, nämlich mit dem Wert von null Sekunden.
150Hinzu kommt, dass der Standard vorschreibt, dass nach dem Standard arbeitende Geräte, zu denen unstreitig auch die angegriffenen Ausführungsformen gehören, für zwei unterschiedliche Zeitnehmer T314 und T315 im Falle einer fehlenden Zeitwert-Vorgabe durch das Netzwerk Standardwerte einnehmen sollen, die ungleich null und außerdem untereinander unterschiedlich sind. Der Standard schreibt hinsichtlich des Verfahrens des Übergangs der Steuerung von einer Funkzelle zur nächsten (sog. Handover) in Ziffer 8.3.6.3 (Seite 204 in Anlage AR B-24, Seite 285 in Anlage AR B-26) wie folgt vor:
151“8.3.6.3 Reception of HANDOVER TO UTRAN COMMAND message by the UE
152The UE shall be able to receive a HANDOVER TO UTRAN COMMAND message and perform an inter-RAT handover, even if no prior UW measurements have been performed on the target UTRAN cell and/or frequency.
153The UE shall act upon all received information elements as specified in subclause 8.6, unless specified otherwise in the followoing.
154[…]
155The UE shall:
156[…]
1571> initialise the variable TIMERS_AND_CONSTANTS to the default values and start to use those timer and constant values.”
158Zu deutsch:
159„8.3.6.3 Empfang einer HANDOVER TO UTRAN COMMAND-Nachricht durch die UE
160Die UE soll in der Lage sein, eine HANDOVER TO UTRAN COMMAND-nachricht zu empfangen und einen inter-RAT-Handover auszuführen, auch wenn zuvor keine Maßnahmen der UE auf der Zielzelle des UTRAN und/oder der Frequenz ausgeführt worden sind.
161Die UE soll auf alle empfangenen Informationen hin so handeln, wie dies in Unterpunkt 8.6 beschrieben ist, sofern nicht nachstehend anderes vorgeschrieben ist.
162[…]
163Die UE muss:
164[…]
1651> die Variable TIMERS_AND_CONSTANTS auf die die Standardwerte einstellen und die Benutzung dieser Zeitnehmer und Werte beginnen.“
166Die Standardwerte der beiden Zeitnehmer T314 und T315 wiederum sind tabellarisch unter Ziffer 10.3.3.43 des Standards (Seite 548 der Anlage AR B-24, Seite 881 der Anlage AR B-26) vorgegeben mit 12 Sekunden für T314 und mit 180 Sekunden für Wert T315. Demnach lässt sich feststellen, dass standardgemäß arbeitende Geräte, also auch die angegriffenen Ausführungsformen, unter entsprechenden Betriebsbedingungen zwei Zeitnehmer mit voneinander unterschiedlichen Zeitwerten jeweils ungleich null Sekunden aufweisen.
1673.
168Schließlich lässt sich auch die Verwirklichung des Merkmals 6 durch die angegriffenen Ausführungsformen feststellen, gemäß dem sich bei den klagepatentgemäßen Mitteln zum Bestimmen von Ablaufzeiten die zweite Ablaufzeit von der erste Ablaufzeit unterscheiden muss.
169a)
170Die zweite Ablaufzeit unterscheidet sich klagepatentgemäß dann von der ersten Ablaufzeit, wenn die beiden, auf unterschiedliche Kategorien von Diensten bezogenen Ablaufzeiten von unterschiedlichen Mitteln zur Bestimmung der Ablaufzeiten überwacht werden, so dass die Werte der beiden Ablaufzeiten unterschiedlich gesetzt werden können. Dagegen steht es der Verwirklichung dieses Merkmals nicht entgegen, wenn in einem Betriebszustand der Kommunikationsvorrichtung die beiden Mittel zur Überwachung der Ablaufzeit auf identische Werte gesetzt, die auf gleiche Werte lautenden Ablaufzeiten aber von einem jeweils unterschiedlichen Mittel zur Bestimmung der Ablaufzeit überwacht werden.
171Diese Auslegung des Merkmals 6. ergibt sich nach dem oben unter 1.a) und 2.a) Ausgeführten aus dem Zusammenhang des Wortlauts und dem Offenbarungsgehalt der Beschreibung. Die Ablaufzeiten haben, wie aus den Merkmalen 3.1 und 4.1 hervorgeht, die Funktion, die Versuche der Wiederherstellung einer für den jeweiligen Dienst erforderlichen Verbindung zu begrenzen, nämlich auf eine Zeitspanne, innerhalb derer diese Wiederherstellung zulässig ist, während nach dem Verstreichen der Zeitspanne die vom Funkträger gesteuerten Funkressourcen wieder freigegeben werden können. Dabei grenzt sich die klagepatentgemäße Lehre nicht von der aus dem Stand der Technik bekannten Lehre ab, nach der die Ablaufzeit auf null Sekunden gesetzt wird, was im Gegenteil sogar den Vorteil der sofortigen Freigabe der Funkressourcen begründet (siehe Absatz [0009]). Vielmehr besteht die klagepatentgemäße Lösung darin, die Ablaufzeit für jeden Funkträger gesondert zu bestimmen und mittels eines gesonderten und zum Funkträger gehörigen Zeitnehmer auch gesondert zu überwachen (vgl. Absatz [0017]). Damit fällt auch die Konstellation in den Schutzbereich, in der zwar beide Zeitnehmer (nämlich: Mittel zum Bestimmen der Ablaufzeit) auf den Wert null Sekunden gesetzt werden, weil dann immer noch gewährleistet ist, die beiden Zeitnehmer auch auf andere, voneinander unterschiedliche Werte zu setzen, so dass die Festlegung der Werte und die Überwachung der Zeitnehmer voneinander unabhängig ist, selbst wenn die unabhängig voneinander gesetzten und überwachten Werte übereinstimmen.
172Schließlich wird die genannte Auslegung dadurch gestützt, dass die vom Klagepatent geforderte und mithilfe mindestens zweier unterschiedlicher Zeitnehmer gelehrte Flexibilität in der Setzung und Überwachung mindestens zweier Ablaufzeiten kein Selbstzweck ist, sondern gewährleisten soll, dass für kategorisch unterschiedliche Dienste, die sich namentlich in ihrer Toleranz gegenüber der Dauer eines Verbindungsausfalls voneinander unterscheiden, in sachgerechter Weise im Betrieb der klagepatentgemäßen Kommunikationsvorrichtung Versuche zur Wiederherstellung der Verbindung unternommen werden. Wenn die von der Kommunikationsvorrichtung ausgeführten Dienste in einer bestimmten Konstellation derart intolerant gegen Verbindungsabbrüche sind, dass es mehr Vorteile bringt, die Funkressourcen sofort freizugeben, anstatt eine Wiederherstellung der Verbindung für auch nur ganz kurze Zeit zu versuchen, dann steht das Klagepatent nicht einer Betriebsart entgegen, in der die Zeitnehmer beider oder aller ausgeführten Dienste auf null Sekunden gesetzt werden, um die in dieser Konstellation vorteilhafte sofortige Freigabe der Funkressourcen zu gewährleisten.
173b)
174Demnach verwirklichen die angegriffenen Ausführungsformen Merkmal 6., weil sie auch nach dem Vorbringen der Beklagten die Wiederherstellung jedenfalls zweier Dienste mit Zeitnehmern überwachen, welche auf den Wert von null Sekunden eingestellt sind. Ferner folgt die Verwirklichung des Merkmals 6. daraus, dass der Standard, den die angegriffenen Ausführungsformen einhalten, in Ziffer 8.6.3.6. – wie oben unter 2.b) dargelegt – eine Einstellung der Zeitnehmer T314 und T315 auf Standardwerte fordert, die wiederum gemäß der Tabelle in Ziffer 10.3.3.43 12 Sekunden für T314 und 180 Sekunden für T315 betragen. Damit gibt es im standardgemäßen Betrieb der angegriffenen Ausführungsformen auch solche Betriebsarten, bei denen diese beiden Zeitnehmer nicht beide auf den Wert null, sondern vielmehr auf unterschiedliche Werte jeweils ungleich null Sekunden gesetzt sind.
175IV.
176Der von den Beklagten gegen die Ansprüche auf Unterlassung, Rückruf und Vernichtung geltend gemachte kartellrechtliche Zwangslizenzeinwand greift nicht durch (hierzu unter 1.). Ebenso stehen weder die von den Beklagten behauptete G-Lizenz (hierzu unter 2.) noch die auf § 242 BGB (hierzu unter 3. und 4.) gestützten Einwände der Beklagten den hier geltend gemachten Ansprüchen der Klägerin entgegen.
1771.
178Die Beklagten können sich nicht mit Erfolg auf den kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwand berufen. Die Klägerin kann daher auch ihren Unterlassungsanspruch und die Ansprüche auf Rückruf und – gegen die Beklagte zu 1) – auf Vernichtung durchsetzen, ohne gegen Art. 102 AEUV zu verstoßen. Insofern kann dahingestellt bleiben, ob das Klagepatent eine marktbeherrschende Stellung vermittelt. Denn auch wenn man dies annimmt, lässt sich ein Missbrauch dieser Stellung nicht feststellen.
179a)
180Der EuGH hat im Urteil vom 16.07.2015, Az. C-170/13 (GRUR 2015, 764, im Folgenden kurz: (das) EuGH-Urteil) Vorgaben dazu gemacht, wann die Durchsetzung des Unterlassungsanspruchs aus einem von einer Standardisierungsorganisation normierten standardessentiellen Patents (nachfolgend auch: „SEP“), dessen Inhaber sich gegenüber dieser Organisation zur Erteilung von FRAND-Lizenzen („Fair Reasonable And Non-Disciminatory“, also fair, angemessen und nicht-diskriminierend) an jeden Dritten verpflichtet hat, keinen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung im Sinne von Art. 102 AEUV darstellt. Hiernach muss der Inhaber eines SEPs den angeblichen Verletzer auf die Patentverletzung hinweisen, bevor er seinen Unterlassungsanspruch geltend macht (Rn. 61 EuGH-Urteil). Soweit der Verletzer zur Lizenznahme bereit ist, muss der SEP-Inhaber ihm ein konkretes schriftliches Angebot auf Lizenzierung des SEPs zu fairen, angemessenen und nicht-diskriminierenden Bedingungen (FRAND-Bedingungen) unterbreiten (Rn. 63 EuGH-Urteil). Hierauf muss der Verletzer nach Treu und Glauben und insbesondere ohne Verzögerungstaktik reagieren (Rn. 65 EuGH-Urteil). Nimmt er das Angebot des SEP-Inhabers nicht an, muss der Verletzer innerhalb kurzer Frist ein Gegenangebot machen, welches ebenfalls FRAND-Vorgaben einhält (Rn. 66 EuGH-Urteil). Lehnt der SEP-Inhaber dieses Gegenangebot ab, muss der Patentverletzer ab diesem Zeitpunkt über die Benutzung des SEPs abrechnen und für die Zahlung der Lizenzgebühren Sicherheit leisten, was auch für Nutzungen in der Vergangenheit gilt (Rn. 67 EuGH-Urteil). Diese kartellrechtlichen Beschränkungen gelten nicht nur für den Unterlassungsanspruch, sondern auch für den Rückrufanspruch, da auch auf Rückruf gerichtete Klagen geeignet sind, zu verhindern, dass von Wettbewerbern hergestellte Produkte, die dem betreffenden Standard entsprechen, auf den Markt gelangen oder auf dem Markt bleiben (Rn. 73 EuGH-Urteil). Gleiches gilt auch für den Anspruch auf Vernichtung patentverletzender Gegenstände, da er in seiner Wirkung auf den Marktzugang entsprechender Produkte ähnlich wie ein Unterlassungs- oder Rückrufanspruch wirkt. Dagegen ist die Geltendmachung von Ansprüchen auf Rechnungslegung oder Schadensersatz grundsätzlich auch ohne weitere Voraussetzung nicht missbräuchlich im Sinne von Art. 102 AEUV (Rn. 74 f. EuGH-Urteil).
181b)
182Die Geltendmachung der Ansprüche auf Unterlassung, Rückruf und Vernichtung ist der Klägerin hier möglich und stellt keinen Missbrauch im Sinne von Art. 102 AEUV dar, da die Beklagten sich bezüglich des Gegenangebots nicht an die vom EuGH formulierten Vorgaben gehalten haben.
183aa)
184Die Klägerin hat ihre Hinweispflichten erfüllt. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Gespräche der Klägerin mit Konzerngesellschaften der Beklagten hier als Hinweis auf das Klagepatent ausreichend waren. Jedenfalls durch die Klageschrift sind die Beklagten über das Klagepatent und die geltend gemachte Patentverletzung hinreichend informiert, was im vorliegenden Einzelfall ausreichend war.
185(1)
186Zwar hat der Hinweis auf das durchzusetzende SEP nach dem EuGH-Urteil vor einer gerichtlichen Geltendmachung zu erfolgen. Es ist zudem fraglich, ob eine Nachholung des versäumten Hinweises im Rahmen des Verletzungsverfahrens möglich ist, da durch die Klageerhebung Lizenzverhandlungen nunmehr nur unter dem Druck eines gerichtlichen Verfahrens möglich sind. Dies muss allerdings hier nicht entschieden werden.
187Im vorliegenden Fall wurde die Klageschrift am 08.09.2014 eingereicht und damit zeitlich vor dem EuGH-Urteil (vom 16.07.2015) und den Schlussanträgen des Generalanwalts Wathelet in dieser Sache vom 20.11.2014. Zum Zeitpunkt der Klageeinreichung verlangte die höchstrichterliche Rechtsprechung (BGH, GRUR 2009, 694 – Orange-Book-Standard) vom Inhaber eines eine marktbeherrschende Stellung vermittelnden Patents nicht, dass dieser den Verletzer auf die Patentverletzung hinweist und ein Lizenzangebot macht. Vielmehr oblag es dem Verletzer, ein Lizenzvertragsangebot zu machen. Missbräuchlich handelte der Patentinhaber durch die Durchsetzung des patentrechtlichen Unterlassungsanspruchs aus einem solchen Patent nur dann, wenn der Verletzer ihm ein unbedingtes Angebot auf Abschluss eines Lizenzvertrages gemacht hatte, an das er sich gebunden hielt und das der Patentinhaber nicht ablehnen durfte, ohne gegen das Diskriminierungs- oder das Behinderungsverbot zu verstoßen. Ferner musste der Verletzer, solange er den Gegenstand des Patents bereits benutzt, diejenigen Verpflichtungen einhalten, die der abzuschließende Lizenzvertrag an die Benutzung des lizenzierten Gegenstandes knüpft (BGH, GRUR 2009, 694 – Orange-Book-Standard). Die Orange-Book-Standard-Entscheidung erging zwar zu einem Patent, das für einen de-facto-Standard essentiell war. Diese Maßstäbe sind in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung jedoch auch auf solche standardessentiellen Patente angewendet worden, bei denen der Standard im Rahmen eines Standardisierungsprozesses zwischen den beteiligten Unternehmen vereinbart wurde und die Patentinhaber FRAND-Zusagen erteilt hatten (vgl. LG Düsseldorf, Urteil vom 24.04.2012 – 4b O 274/12 – Rn. 227 ff. bei Juris).
188Zwar war die Orange-Book-Standard-Rechtsprechung des BGH nicht unumstritten und insbesondere die EU-Kommission stellte abweichende Anforderungen an ein kartellrechtlich zulässiges Verhalten des Inhabers eines SEPs. Diese Divergenz führte letztlich über die Vorlageentscheidung des LG Düsseldorf (GRUR-RR 2013, 196 – LTE-Standard) zum EuGH-Urteil. Allerdings ändert dies nichts daran, dass die Klägerin im Zeitpunkt der Klageeinreichung nicht davon ausgehen musste, dass sie zuvor den Beklagten einen Hinweis auf das Klagepatent erteilen muss. Vor diesem Hintergrund ist für Übergangsfälle wie den hiesigen ausreichend, wenn der Patentverletzer durch die Klage Kenntnis von der Patentverletzung erhält.
189(2)
190Ob ein Patentinhaber nicht nur auf das Patent, dessen Unterlassungsanspruch er gerichtlich durchsetzen möchte, hinweisen muss, sondern auch auf alle anderen Schutzrechte, deren Lizenzierung er anbietet, muss vorliegend nicht entschieden werden. Der Hinweis auf weitere Patente ist für die Durchsetzung des Klagepatents nicht unmittelbar erforderlich, sondern könnte – ohne dass dies hier entschieden werden muss – vielmehr nur für die Frage der Angemessenheit des von der Klägerin abgegebenen Lizenzvertragsangebots relevant sein. Auf das Angebot der Klägerin kommt es aber vorliegend nicht maßgeblich an (hierzu sogleich).
191bb)
192Die Klägerin hat den Beklagten vor Klageerhebung ein Lizenzangebot gemacht.
193Es stellt keinen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung dar, wenn der Inhaber eines standardessentiellen Patents dieses (zunächst) der Muttergesellschaft des angeblichen Patentverletzer anbietet, um entsprechende Verhandlungen zu initiieren. Oftmals wird ein Konzern daran interessiert sein, eine Lizenz nicht nur für einzelne (Tochter-) Gesellschaften, sondern für den gesamten Unternehmensverbund zu nehmen. Auch wird der Abschluss von Lizenzverträgen in einem Konzern häufig von einer zentralen Stelle koordiniert, so dass die Konzernmutter im Regelfall ein tauglicher Ansprechpartner ist. Es kann auch davon ausgegangen werden, dass zwischen der Muttergesellschaft und ihren einzelnen Konzerngesellschaften eine ausreichende Kommunikation besteht und der Patentinhaber ggf. an die zuständige Gesellschaft weitergeleitet wird. Dagegen wäre es eine unnötige Förmelei, vom Patentinhaber zu verlangen, ggf. jeder einzelnen Konzerngesellschaft ein Angebot zu machen.
194Damit reicht es zur Feststellung, dass eine Lizenz angeboten wurde, aus, dass die Klägerin eine Lizenzierung den Muttergesellschaften der Beklagten angeboten hat und die Beklagten von der beabsichtigten Lizenz erfasst worden wären.
195cc)
196Ob das Angebot der Klägerin, insbesondere das Bestehen auf einer weltweit gültigen Portfoliolizenz, FRAND-Grundsätzen entspricht, kann vorliegend dahingestellt bleiben. Selbst wenn man unterstellt, das klägerische Angebot sei nicht FRAND-gemäß gewesen, liegt in der Geltendmachung der patentrechtlichen Ansprüche auf Unterlassung, Rückruf und Vernichtung hier kein Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung. Auch bei einem nicht FRAND-gemäßen Angebot der Klägerin mussten die Beklagten, als Nutzer der patentgemäßen Lehre, oder zumindest ihre Muttergesellschaften hierauf reagieren und insoweit die Vorgaben des EuGH-Urteils beachten. Dies ist aber nicht in hinreichendem Maße erfolgt.
197(1)
198Nach Rn. 65 des EuGH-Urteils obliegt es dem angeblichen Patentverletzer, auf das Angebot des Patentinhabers
199„mit Sorgfalt, gemäß den in dem Bereich anerkannten geschäftlichen Gepflogenheiten und nach Treu und Glauben, zu reagieren, was auf der Grundlage objektiver Gesichtspunkte zu bestimmen ist und unter anderem impliziert, dass keine Verzögerungstaktik verfolgt wird.“
200Dem angeblichen Patentverletzer, der sich auf den kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwand berufen will, steht es also nicht zu, auf das Lizenzvertragsangebot des Patentinhabers gar nicht zu reagieren und die (unberechtigte) Nutzung der patentierten Lehre einfach fortzusetzen. Vielmehr geht der EuGH davon aus, dass auch der angebliche Patentverletzer sich um eine Lizenzierung bemühen muss. Es kann insoweit dahingestellt bleiben, ob er auf ein nicht FRAND-gemäßes Lizenzvertragsangebot zwingend mit einem Gegenangebot reagieren muss oder er auch anders reagieren kann, beispielsweise indem er dem Patentinhaber nachweist, dass dessen Angebot nicht FRAND-Grundsätzen entspricht und konkrete Nachbesserungen des Angebots fordert. Ebenso muss nicht entschieden werden, ob der angebliche Patentverletzer ein FRAND-gemäßes Angebot annehmen muss, weil der Patentinhaber seine kartellrechtlichen Verpflichtungen durch ein solches Angebot bereits erfüllt hat und damit kein Raum mehr für ein Gegenangebot besteht.
201Denn jedenfalls dann, wenn der angebliche Patentverletzer sich dazu entscheidet, auf ein Angebot des Patentinhabers mit einem Gegenangebot zu reagieren, treffen ihn die in Rn. 66 f. des EuGH-Urteils umschriebenen Pflichten. Selbst wenn das Angebot des Patentinhabers FRAND-Grundsätzen nicht entspricht, muss der angebliche Patentverletzer – ab dem Zeitpunkt der Ablehnung des Gegenangebots – über die Benutzung (auch in der Vergangenheit) abrechnen und für die fälligen Lizenzgebühren Sicherheit leisten (Rn. 67 EuGH-Urteil).
202Mit der vorgezogenen Abrechnung und Sicherheitsleistung hat der EuGH nämlich formale Voraussetzungen dafür benannt, die der Lizenzsuchende erfüllen muss, um die Benutzung eines standardessentiellen Patents vor Abschluss einer Lizenzvereinbarung aufnehmen zu können. Er muss sich bereits vor deren Abschluss in Übereinstimmung mit seinem Lizenzvertragsgegenangebot verhalten und entsprechend diesem Angebot abrechnen und Sicherheit leisten. Bei einem angeblichen Patentverletzer, der nicht einmal bereit ist, trotz bereits im Vorfeld einer Vereinbarung erfolgter Patentbenutzung auf Grundlage eines selbst formulierten Lizenzvertragsgegenangebots mit einer diesbezüglichen Abrechnung und Sicherheitsleistung seinerseits in Vorleistung zu treten, kann bei objektiver Betrachtung nicht davon ausgegangen werden, dass er hinreichend lizenzwillig ist und keine Verzögerungstaktik verfolgt. Dabei handelt es sich um eine formale Mindestvoraussetzung, die unabhängig von der Frage erfüllt sein muss, ob und in welchen Einzelheiten Angebot oder Gegenangebot in der Sache als FRAND-gemäß angesehen werden können.
203(2)
204Diesen Erfordernissen sind die Beklagten nicht nachgekommen. Sie haben zwar Gegenangebote abgegeben, jedoch nicht fristgemäß abgerechnet und Sicherheit geleistet.
205(aa)
206Der EuGH verlangt – außer einer Reaktion gemäß den in dem Bereich anerkannten geschäftlichen Gepflogenheiten und nach Treu und Glauben – bei einem Gegenangebot der Beklagten (Rn. 67 EuGH-Urteil):
207„[[67]] Darüber hinaus hat der angebliche Verletzer, wenn er das SEP benutzt, bevor ein Lizenzvertrag geschlossen wurde, ab dem Zeitpunkt, zu dem sein Gegenangebot abgelehnt wurde, eine angemessene Sicherheit gemäß den in dem betreffenden Bereich anerkannten geschäftlichen Gepflogenheiten zu leisten, zB, indem er eine Bankgarantie beibringt oder die erforderlichen Beträge hinterlegt. Die Berechnung dieser Sicherheit muss unter anderem die Zahl der vergangenen Benutzungshandlungen in Bezug auf das SEP umfassen, für die der angebliche Verletzer eine Abrechnung vorlegen können muss.“
208Neben der Verpflichtung zur Sicherheitsleistung und zur Abrechnung über (vergangene) Benutzungshandlung aufgrund des gemachten Gegenangebots bestimmt der EuGH damit auch, dass dies ab dem Zeitpunkt der Ablehnung des Gegenangebots zu erfolgen hat. Eine relevante Verzögerung bei der Rechnungslegung und Sicherheitsleistung steht der Geltendmachung des kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwand daher entgegen. Der EuGH hat den Zeitpunkt der Abrechnung und Sicherheitsleistung klar vorgegeben. Dementsprechend fordert der EuGH im Urteil vom 16.07.2015 auch ausdrücklich, dass der Verletzer bei der Reaktion auf das Angebot des Patentinhabers „keine Verzögerungstaktik verfolgt“ und dass ein Gegenangebot „innerhalb einer kurzen Frist“ zu unterbreiten ist (Rn. 65/66 EuGH-Urteil). Dem Patentbenutzer obliegt es damit, die Abrechnung und Sicherheitsleistung bei der Erstellung ihres Gegenangebots bereits vorzubereiten. Dies stellt keine unbillige Anforderung an den angeblichen Patentverletzer dar, da stets mit der Ablehnung des Gegenangebots gerechnet werden muss. Zudem muss eine Abrechnung auch dann erfolgen, wenn das Gegenangebot von dem Patentinhaber angenommen wird.
209Auch der Umstand, dass weitere Gegenangebote gemacht werden, kann den angeblichen Patentverletzer nicht davon befreien, ab dem Zeitpunkt der Ablehnung des ersten Gegenangebots gegenüber dem Patentinhaber abzurechnen und Sicherheit zu leisten. Zwar steht es dem angeblichen Patentverletzer grundsätzlich frei, sein Gegenangebot nach dessen Ablehnung durch den Patentinhaber zu modifizieren, um eine Einigung herbeizuführen. Die Pflicht zur Sicherheitsleistung und Abrechnung besteht aber bereits dann, wenn das erste Gegenangebot abgelehnt wurde. Andernfalls könnte der Patentbenutzer durch immer neue Angebote die Erfüllung seiner Verpflichtungen immer weiter heraus zögern. Dies widerspräche aber dem Leitbild des lizenzwilligen Patentbenutzers, von dem der EuGH in seiner Entscheidung ausgeht.
210Die zeitliche Vorgabe gilt spätestens ab Erlass des EuGH-Urteils am 16.07.2015 auch für Übergangsfälle, bei denen die Ablehnung des (ersten) Gegenangebots vor dem EuGH-Urteil erfolgt ist. Denn nach der vor Erlass dieses Urteils gültigen Rechtsprechung des BGH (GRUR 2009, 694 – Orange-Book-Standard) galt eine noch früher einsetzende Pflicht zur Rechnungslegung und Sicherheitsleistung. Hiernach war ein Patentverletzer bei einem eine marktbeherrschende Stellung vermittelnden Patent verpflichtet, gegenüber dem Patentinhaber (auf eigene Initiative) ein unbedingtes Angebot auf Abschluss eines Lizenzvertrags zu machen, an das er sich gebunden hält und das der Patentinhaber nicht ablehnen darf, ohne gegen das Diskriminierungs- oder das Behinderungsverbot zu verstoßen. Ferner musste der Patentbenutzer diejenigen Verpflichtungen einhalten, die der abzuschließende Lizenzvertrag an die Benutzung des lizenzierten Gegenstands knüpft (BGH, GRUR 2009, 694 – Orange-Book-Standard; vgl. auch die obigen Ausführungen unter IV. 1. b) aa) (1)).
211Ob eine Abrechnung in Übergangsfällen noch unmittelbar nach Erlass des EuGH-Urteils wirksam nachgeholt werden konnte, muss vorliegend nicht entschieden werden, da auch dies nicht zeitgerecht erfolgt ist (hierzu sogleich).
212(bb)
213Die Klägerin hat mit Schreiben vom 20.10.2014 (Anlage G4) das Gegenangebot der Beklagten zu 1) abgelehnt. Damit musste die Beklagte zu 1) ab diesem Zeitpunkt Sicherheit leisten und über die Nutzung des Klagepatents abrechnen. Dies ist nicht erfolgt, auch nicht unmittelbar nach Erlass des EuGH-Urteils am 16.07.2015.
214Selbst für das zweite Gegenangebot ist keine fristgerechte Sicherheitsleistung und Abrechnung erfolgt. Nach der Ablehnung des zweiten Angebots der (beiden) Beklagten vom 12.08.2015 (Anlage G19) am 24.08.2015 ist ebenfalls nicht innerhalb angemessener Zeit eine Abrechnung und Sicherheitsleistung erfolgt. Vielmehr haben die Beklagten erst in der mündlichen Verhandlung vom 29.09.2015 nach einem weiteren Gegenangebot eine Sicherheitsleistung und Rechnungslegung vorgelegt.
215Dies ist verspätet. Die Vorgabe, „ab dem Zeitpunkt, zu dem sein Gegenangebot abgelehnt wurde“, im EuGH-Urteil ist grundsätzlich eng zu verstehen. Die Abrechnung mehr als einen Monat nach der Ablehnung des zweiten Gegenangebots durch die Klägerin ist zumindest im vorliegenden Einzelfall nicht mehr als „ab dem Zeitpunkt“ anzusehen. Dies gilt schon deshalb, weil die Abrechnung und Übergabe der Bürgschaft zur Sicherheitsleistung erst in der mündlichen Verhandlung erfolgten, in der über die Ansprüche der Klägerin wegen der Verletzung des Klagepatents verhandelt wurde. Bis zum Ende der Verhandlung war der Klägerin weder eine ausreichende Prüfung der Richtigkeit der Rechnungslegung noch der Angemessenheit der Sicherheitsleistung möglich. Es ist auch nicht ersichtlich, warum Abrechnung und Sicherheitsleistung nicht schon früher hätten erfolgen können, insbesondere da ein erstes Gegenangebot bereits im Oktober 2014 abgelehnt wurde. Die Übergabe von Rechnungslegung und Sicherheit erscheint daher vielmehr als Ausdruck einer Verzögerungstaktik, welche mit der Erhebung des kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwands nicht vereinbar ist.
216(cc)
217Die Beklagte zu 2) hat zunächst gar kein Gegenangebot gemacht. Es kann dahingestellt bleiben, ob ihr die erfolgreiche Erhebung des Kartellrechtseinwand bereits deswegen verwehrt bleiben muss, weil sie selbst überhaupt nicht hinreichend auf das Angebot der Klägerin reagiert hat und sich damit nicht um eine Lizenzierung des Klagepatent bemüht hat. Denn jedenfalls mit Ablehnung des zweiten Gegenangebots am 24.08.2015, welches auch von der Beklagten zu 2) unterbreitet wurde, musste die Beklagte zu 2) entsprechend abrechnen und Sicherheit leisten. Dies ist nicht innerhalb einer zulässigen Zeitspanne, sondern erst verspätet, nämlich in der mündlichen Verhandlung vom 29.09.2015, erfolgt. Insofern kann auf die obigen Ausführungen verwiesen werden.
2182.
219Auch der Verweis der Beklagten auf eine angebliche Lizenz mit G greift nicht durch und steht den Ansprüchen der Klägerin nicht entgegen. Dabei ist zu beachten, dass nicht alle angegriffenen Ausführungsformen mit Chipsätzen von G ausgestattet sind. Für angegriffene Ausführungsformen mit Chipsätzen anderer Hersteller (wie von M) besteht ein entsprechender Einwand auch nach dem Vortrag der Beklagten nicht.
220Die Beklagten haben eine – von der Klägerin bestrittene – Lizenzierung über G bereits nicht hinreichend vorgetragen. Die Beklagten berufen sich insoweit lediglich auf eine Presserklärung vom 24.07.2008 (Anlage G8). Der Vortrag der Beklagten enthält keine hinreichenden Angaben zu den Lizenzbedingungen. Die Presseerklärung zum Erwerb der Schutzrechte von A vom 12.01.2012 (Anlage G9) erwähnt dagegen nur allgemein die Weitergeltung von Lizenzvereinbarungen, die A geschlossen hat, nicht aber eine G-Lizenz. Aber auch aus weiteren Gründen verfängt der Hinweis auf eine angebliche G-Lizenz nicht. Im Einzelnen:
221a)
222Eine Erschöpfung in Deutschland behaupten die Beklagten nicht, zumindest nicht hinreichend substantiiert. Soweit sie auf S. 13 der Duplik vom 24.08.2015 (Bl. 191 f. GA) allgemein die Frage der Erschöpfung erörtern, dürfte dies auf die Situation in China bezogen sein. In jedem Falle fehlt es an einem substantiierten Behaupten einer Erschöpfung in Bezug auf die angegriffenen Ausführungsformen in Deutschland. Ob dagegen in China Erschöpfung eingetreten ist, muss nicht entschieden werden. Denn soweit die Beklagten damit argumentieren, das Lizenzangebot der Klägerin entspräche nicht FRAND-Vorgaben, da trotz Erschöpfung Lizenzgebühren für China gefordert werden, steht das der Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs im vorliegenden Fall nicht entgegen. Denn auf das Angebot der Klägerin kommt es letztlich nicht an (vgl. die Ausführungen oben unter IV. 1.).
223b)
224Soweit die Beklagten vortragen, aufgrund der G-Lizenz sei die Nutzung des Klagepatents auch ohne Erschöpfung in Europa abgegolten, kann dem nicht gefolgt werden. Zum einen ist (wie gesehen) die Existenz der G-Lizenz nicht nachgewiesen. Zum anderen ist unklar, warum eine nicht spezifizierte Lizenzleistung von G an A hier der Geltendmachung von Ansprüchen entgegenstehen soll. Der Vortrag der Beklagten ist insoweit spekulativ, die Gegenleistung wird nicht ansatzweise konkretisiert.
225c)
226Schließlich erscheint zweifelhaft, warum eine Beweislastumkehr für die Chipsätze anderer Hersteller gelten soll. Letztlich kommt es darauf nicht an. Bereits für die behauptete G-Lizenz lässt sich nicht feststellen, dass diese den Ansprüchen der Klägerin entgegensteht.
2273.
228Die Geltendmachung der streitgegenständlichen Ansprüche stellt auch keinen Fall der unzulässigen Rechtsausübung nach § 242 BGB dar. Die Beklagten berufen sich insoweit auf ein (behauptetes) Verhalten der ursprünglichen Patentinhaberin A (bzw. hier der A.). Diese habe während der Standardisierung die Anmeldung zum Klagepatent vorsätzlich nicht der Standardisierungsorganisation gemeldet und so einen sog. Patenthinterhalt begangen.
229Es kann dahingestellt bleiben, ob A tatsächlich das Vorhandensein des Klagepatents verschwiegen hat und ob sich die Klägerin ferner dieses Verhalten zurechnen lassen muss. Selbst wenn man diese beiden Punkte bejaht, würde der Einwand aus § 242 BGB letztlich nicht durchgreifen.
230Nach § 4.1 der ETSI IPR-Policy (vorgelegt als Anlage G12a) sollen bei der Standardisierung die beteiligten Unternehmen standardrelevante Schutzrechte offenlegen. Geschieht dies, wird nach § 6.1 der ETSI-IPR-Policy der Patentinhaber aufgefordert, schriftlich seine Bereitschaft zu erklären, an dem jeweiligen Patent Lizenzen zu FRAND-Bedingungen zu vergeben. Solange eine solche Erklärung nicht vorliegt, kann die Arbeit am Standard unterbrochen werden (§ 6.3 ETSI-IPR-Policy). Für den Fall, dass keine FRAND-Erklärung abgegeben wird und eine alternative, patentfreie technische Lösung existiert, soll diese Alternative zum Gegenstand des Standards gemacht werden (§ 8.1.1 ETSI-IPR-Policy). Damit ist sichergestellt, dass die im Standard aufgenommene Lehre für jedermann zu FRAND-Lizenzbedingungen genutzt werden kann.
231Allerdings führt ein sog. Patenthinterhalt, also das vorsätzliche Verschweigen eines Schutzrechts während der Standardisierung mit dem Zwecke, nach Festlegung des Standards überhöhte Lizenzgebühren verlangen zu können, grundsätzlich nicht dazu, dass der Patentinhaber den patentrechtlichen Unterlassungsanspruch aus dem verschwiegenen Patent überhaupt nicht mehr durchsetzen kann. Rechtsfolge ist vielmehr nur eine Lizenzierungspflicht zu FRAND-Bedingungen an diesem Patent (LG Düsseldorf – Urteil vom 24.04.2012 – Az. 4b O 274/10 – Rn. 252 bei Juris – FRAND-Erklärung; differenzierend Korp, Der Patenthinterhalt, Diss., 2014, S. 77, wonach u.U. eine Freilizenz Rechtsfolge eines Patenthinterhalts sein kann; die hierfür aufgestellten Voraussetzungen sind aber vorliegend nicht hinreichend ersichtlich). Durch die FRAND-Lizenzierungspflicht werden Dritte nämlich zutreffend so gestellt, als ob sich der SEP-Inhaber bei der Standardisierung ordnungsgemäß verhalten hätte. Weitergehende Einschränkungen des Patentinhabers würden über den Ausgleich des Fehlverhaltens hinausgehend eine nicht gerechtfertigte Bestrafung bedeuten.
232Eine Verpflichtung der Klägerin zur Lizenzierung zu FRAND-Bedingungen besteht aber ohnehin. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob dies ohne eine entsprechende FRAND-Erklärung bereits ohne Weiteres aus Art. 102 AEUV folgt (so dass letztlich ein Patenthinterhalt stets folgenlos bleibt). Denn die Verpflichtung, Lizenzen zu FRAND-Bedingungen zu vergeben, folgt hier zumindest aus der FRAND-Erklärung der Klägerin, die sie gegenüber ETSI abgegeben hat und die auch das Klagepatent umfasst (Anlage AR3).
233Mit der Abgabe der FRAND-Erklärung durch die Klägerin ist ein eventueller Verstoß (Patenthinterhalt) der früheren Inhaberin des Klagepatents geheilt. Hätte A eine entsprechende FRAND-Erklärung für das Klagepatent abgegeben, hätte der Aufnahme der patentierten Lehre in den Standard nichts entgegengestanden. Dass in diesem Fall eine andere technische Lösung standardisiert worden wäre, ist nicht ersichtlich. Damit unterscheidet sich nach Abgabe der FRAND-Erklärung die rechtliche Situation nicht von der Lage, die bestände, wenn sich A im Einklang mit der ETSI-IPR-Policy verhalten hätte und vor Festlegung des Standards auf das Klagepatent hingewiesen und eine FRAND-Erklärung hierfür abgegeben hätte.
2344.
235Der von der Beklagten vorgebrachte Dolo-Agit-Einwand greift nicht durch. Wie beim kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwand erörtert, liegt letztlich kein missbräuchliches Verhalten der Klägerin vor.
236Soweit sich die Beklagten auf § 242 BGB ferner unter dem Aspekt berufen, dass die Klägerin eine Lizenz an dem standardessentiellen Klagepatent nur zusammen mit nicht standardessentiellen Patenten und ausschließlich im Rahmen einer unzulässigen geographischen Koppelung anböte, greift dies ebenfalls nicht durch. Wie oben erörtert, führt ein nicht FRAND-gemäßes Lizenzangebot in erster Linie nur dazu, dass die Beklagten hierauf reagieren müssen, wenn sie den Einwand missbräuchlichen Verhaltens aus Art. 102 AEUV erheben wollen. Eine angemessene Reaktion hierauf ist aber nicht erfolgt.
237V.
238Aus der Patentverletzung ergeben sich damit die geltend gemachten Ansprüche:
2391.
240Da die Beklagten das Klagepatent im Inland widerrechtlich benutzt haben, sind sie gemäß Art. 64 EPÜ, § 139 Abs. 1 PatG zur Unterlassung der im Inland begangenen Benutzungshandlungen verpflichtet.
2412.
242Für die Zeit ab Erteilung des Klagepatents zuzüglich eines Monats schulden die Beklagten daher als Gesamtschuldnerinnen Ersatz des Schadens, welcher der Klägerin sowie deren Einzelrechtsvorgängerinnen aufgrund der Verletzungshandlungen entstanden ist und noch entstehen wird, Artikel 64 EPÜ, § 139 Abs. 2 PatG.
243Die Beklagten trifft ein zumindest fahrlässiges Verschulden. Als Fachunternehmen hätten sie bei Anwendung der von ihnen im Geschäftsverkehr zu fordernden Sorgfalt die Benutzung des Klagepatents erkennen und vermeiden können, § 276 BGB.
244Da die genaue Schadensersatzhöhe derzeit noch nicht feststeht, die Klägerin nämlich keine Kenntnis über den Umfang der Benutzungs- und Verletzungshandlungen durch die Beklagten hat, hat sie ein rechtliches Interesse gemäß § 256 ZPO daran, dass die Schadensersatzpflicht der Beklagten dem Grunde nach festgestellt wird.
2453.
246Um die Klägerin in die Lage zu versetzen, den ihr zustehenden Schadensersatz und die ihr zustehende angemessene Entschädigung zu beziffern, sind die Beklagten verpflichtet, im zuerkannten Umfange über ihre Benutzungshandlungen Rechnung zu legen.
2474.
248Der Anspruch der Klägerin, von der Beklagten zu 1) die Vernichtung der Verletzungsgegenstände zu verlangen, an denen sie im Inland Besitz oder Eigentum hat, ergibt sich aus Art. 64 EPÜ, § 140a Abs. 1 PatG.
2495.
250Die Pflicht der Beklagten, die von ihnen im Inland in Verkehr gebrachten patentverletzenden Erzeugnisse zurückzurufen und die erfolgreich zurückgerufenen Erzeugnisse wieder an sich zu nehmen, folgt aus Art. 64 EPÜ, § 140a Abs. 3 PatG.
2516.
252Die Ansprüche der Klägerin sind nicht verjährt. Ansprüche aus dem Klagepatent verjähren gemäß Art. 64 EPÜ, § 141 PatG, §§ 199 Abs. 1, 195 BGB innerhalb von drei Jahren ab Ablauf des Jahres, in welchem der Gläubiger Kenntnis von den anspruchsbegründenden Tatsachen erlangt hat oder hätte erlangen müssen.
253Die Beklagten bringen insoweit zum einen vor, der Klägerin habe aufgrund ihrer Bemühungen um die Lizenzierung ihres sogenannten Wireless-Patentportfolios, zu dem auch das Klagepatent gehört, seit Ende 2012 von UMTS-fähigen Produkten der Beklagten und damit von der angeblichen Verletzung wissen müssen. Das lässt zum einen nicht in nachvollziehbarer Weise erkennen, warum die Klägerin gerade von Produkten der Beklagten hätten Kenntnis erlangen müssen, und begründet zum anderen den Einwand der Verjährung deshalb nicht, weil die Klage im Jahre 2014 erhoben wurde, als, gerechnet ab dem Ende des Jahre 2012, die dreijährige Verjährungsfrist noch nicht abgelaufen war.
254Zum anderen bringen die Beklagten vor, der Klägerin hätte aufgrund ihres Mitwirkens am Standard bereits ab der Erteilung des Klagepatents bekannt sein müssen, dass alle Mobilfunkgeräte, die den Standard erfüllen, zugleich auch von der technischen Lehre des Klagepatents Gebrauch machen. Dieses Vorbringen zeigt jedoch nicht auf, dass aus der bloßen Kenntnis von der Standardrelevanz des Klagepatents zugleich eine Kenntnis oder wenigstens ein Kennenmüssen der Beklagten als etwaige Schuldner und der angegriffenen Ausführungsform als solchen Produkten gefolgt wäre, die den Standard erfüllen. Der bloße Umstand, dass ein bestimmtes Schutzrecht relevant ist für die Erfüllung eines technischen Standrads, vermittelt noch keine Kenntnis darüber, welche Produkte welches Herstellers oder Anbieters den technischen Standard erfüllen.
255VI.
256Eine Aussetzung des Rechtsstreits gemäß § 148 ZPO ist nicht geboten. Die Abwägung der wechselseitigen Parteiinteressen steht der Aussetzung bis zur erstinstanzlichen Entscheidung über die parallele Nichtigkeitsklage umgekehrten Rubrums entgegen.
2571.
258Nach Auffassung der Kammer (Mitt. 1988, 91 – Nickel-Chrom-Legierung, BlPMZ 1995, 121 – Hepatitis-C-Virus), die durch das Oberlandesgericht Düsseldorf (GRUR 1979, 188 – Flachdachabläufe) und den Bundesgerichtshof (GRUR 1987, 284 – Transportfahrzeug) bestätigt wurde, stellt die Erhebung der Nichtigkeitsklage als solche noch keinen Grund dar, den Verletzungsrechtsstreit auszusetzen und damit dem Angriff auf das Klagepatent entgegen § 58 Abs. 1 PatG eine den Patentschutz hemmende Wirkung beizumessen. Die Interessen der Parteien sind vielmehr gegeneinander abzuwägen. Hierbei hat die Kammer des Verletzungsgerichts eine Prognoseentscheidung über den Gang des Nichtigkeitsverfahrens zu treffen, ohne dass sie dessen – auch nur erstinstanzliches – Ergebnis vorwegnehmen könnte. Deshalb und mit Rücksicht auf die Besetzung des Verletzungsgerichts ohne technisch Fachkundige kommt eine Aussetzung nur in Betracht, wenn die Vernichtung des Klagepatents hinreichend wahrscheinlich erscheint. Bei der Prüfung von als neuheitsschädlich eingewandten druckschriftlichen Entgegenhaltungen kommt eine Aussetzung demnach nur in Betracht, wenn das Verletzungsgericht die Vorwegnahme sämtlicher Merkmale so eindeutig bejahen kann, dass keine erheblichen Zweifel entgegenstehen. Wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit oder einer angeblichen unzulässigen Erweiterung ist bereits dann nicht auszusetzen, wenn sich für eine Bejahung der Erfindungshöhe und der Patentfähigkeit im Übrigen zumindest noch vernünftige Argumente finden lassen.
259Vorliegend spricht gegen die Aussetzung im Hinblick auf das parallele Nichtigkeitsverfahren zusätzlich der Umstand, dass das Klagepatent bereits ein Rechtsbestandsverfahren durchlaufen hat, nämlich dasjenige Einspruchsverfahren, welches zur eingeschränkten Aufrechterhaltung nach Maßgabe der Einspruchsentscheidung vom 02.02.2012 geführt hat (Anlage B-18a, in deutscher Übersetzung als Anlage B-18b). Auch wenn die damalige Einspruchsführerin den Einspruch alsbald zurückgenommen hat, ist das Klagepatent gleichwohl nach seiner Erteilung durch ein technisch fachkundig besetztes Gremium nochmals auf seinen Rechtsbestand hin überprüft und im vorliegend im Verletzungsverfahren geltend gemachten Umfang aufrecht erhalten worden.
2602.
261Gemessen an diesen Maßstäben erscheint ein Erfolg der Rechtsbestandsangriffe gegen das Klagepatent nicht hinreichend wahrscheinlich.
262a)
263Der auf die WO N (im parallelen Nichtigkeitsverfahren Einwendung NK4; im Folgenden: WO ‘N) gestützte Angriff wegen angeblich mangelnder Neuheit des Klagepatents hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
264Hinsichtlich der Merkmalsgruppen 3. und 4. fehlt es an einer hinreichend eindeutigen und unmittelbaren Offenbarung mindestens zweier voneinander unabhängiger Zeitnehmer, also klagepatentgemäßer Mittel zum Bestimmen einer Ablaufzeit. Zwar offenbart die WO ‘N zwei unterschiedliche Zeitspannen, nämlich zum einen eine Zeitspanne 504 zum Empfang eines Codeworts (englisch „receive codeword timing interval“, Seite 9, Zeilen 22 bis 27 der WO ‘N) und zum anderen eine Zeitspanne 516 zur Wiederherstellung einer Funkverbindung gemäß einem Protokoll MUX 3 (Seite 10, Zeilen 16 bis 29 der WO ‘N). Indes fehlt es innerhalb der Offenbarung WO ‘N an jeglichem Anhaltspunkt dafür, dass diese beiden Zeitspannen gleichzeitig und unabhängig voneinander mithilfe von zwei unterschiedlichen Zeitnehmern überwacht werden können. Damit fehlt es aber gerade an der Offenbarung des Lösungsansatzes, mit dem das Klagepatent in Abgrenzung zum Stand der Technik eine flexible Überwachung derjenigen Zeitspannen gewährleisten will, die für Dienste unterschiedlicher Kategorien technisch geboten sind.
265Auch die Einspruchsabteilung des Europäischen Patentams (EPA) ist in ihrer Entscheidung vom 02.02.2012 zu dem Ergebnis gelangt, dass die der WO ‘N entsprechende US 5 280 541 (dort als Entgegenhaltung D5 bezeichnet) nur einen einzigen, wenngleich auf mehrere mögliche Zeitwerte einstellbaren Zeitnehmer offenbart, nicht aber die Ausführung mehrerer Zeitnehmer mit Rücksicht auf unterschiedliche Kategorien von Diensten (Anlage B-18a, Seite 6, Anlage B-18b, Seite 5, jeweils unter Ziffer 3.4 im dritten Absatz).
266Daraus folgt zugleich, dass eine hinreichende Voroffenbarung des Merkmals 6. wenigstens fraglich ist. Mangels einer Offenbarung zu voneinander unabhängigen Zeitnehmern fehlt es dementsprechend auch an einer Offenbarung zweier Ablaufzeiten, die zwar auf denselben Wert gesetzt werden können, aber auch voneinander unabhängige Wert annehmen können, wobei die unterschiedlichen Zeiten unabhängig voneinander überwacht werden.
267Schließlich erscheint die Voroffenbarung klagepatentgemäßer Funkträger gemäß den Merkmalen 2.1, 3.2 und 4.2 nicht hinreichend eindeutig. Sofern die Beklagten vorbringen, die in der WO ‘N gelehrten Transceiver (Seite 1, Zeile 33, übergreifend bis Seite 2, Zeile 2 der WO ‘N) seien die Funkträger im Sinne des Klagepatents, kann dem aus dem oben unter III.1.a) dargelegten Erwägungen nicht gefolgt werden. Ein Transceiver ist ausweislich der ausdrücklichen Lehre der WO ‘N ein technisches Mittel, das mehrere Kommunikationskanäle bereitstellt („providing multiple RF channels“). Es ist nicht erkennbar, dass insoweit ein Mittel zur Zuteilung und Verwaltung von Funkressourcen in einer Netzwerkarchitektur auf der Schicht der physischen Verbindung (layer 1, physical) und/oder der Datensicherung (layer 2, data link) offenbart wird. Namentlich fehlt jeder Ansatzpunkt dafür, dass die in der WO ‘N offenbarten Transceiver Teil einer Funkressourcen-Steuerungsverbindung sind: Die Beklagten verweisen insoweit lediglich auf die Offenbarung der WO ‘N (Seite 2, Zeile 35, übergreifend auf Seite 3, Zeile 2), gemäß der das Protokoll MUX-1 für bestimmte Arten von Signalen und Nachrichten angewandt wird. Das lässt indes nicht erkennen, inwiefern die angeblich als Funkträger offenbarten Transceiver Teil einer Funkressourcen-Steuerungsverbindung sein sollen, weil außerdem nicht offenbart wird, ob und wenn ja inwieweit das Protokoll MUX-1 Funkressourcen soll steuern können.
268b)
269Ebenso wenig erscheint es hinreichend wahrscheinlich, dass dem Klagepatent die wirksame Inanspruchnahme der finnischen Priorität FI Ovom 24.03.2000 (Prioritätsdokument im Nichtigkeitsverfahren ohne Übersetzung vorgelegt als Anlage NK0-P; im folgenden: FI ‘O) aberkannt und deswegen das Standard-Dokument ETSI TS 125 331V3.2.0 (vorgelegt als Anlage NK1) entgegengehalten wird.
270Voraussetzung einer wirksamen Inanspruchnahme der Priorität eines prioritätsälteren Dokuments ist die vollständige Offenbarung derselben Erfindung der Nachanmeldung in einer Weise, die es dem Fachmann gestattet, dieselbe Erfindung unmittelbar und eindeutig dem älteren Dokument zu entnehmen, wobei sich die notwendige Offenbarung aus dem älteren Dokument insgesamt ergeben, also gleichermaßen in den Ansprüchen, der Beschreibung oder den Zeichnungen des älteren Dokuments enthalten sein kann (Fitzner/Lutz/Bodewig/Beckmann, Patentrechtskommentar, 4. Aufl., Art. 87 EPÜ, Rdn. 31f.). Gemessen hieran erscheint es nicht hinreichend wahrscheinlich, dass das Bundespatentgericht im Nichtigkeitsverfahren auf eine unwirksame Inanspruchnahme der Priorität der FI ‘O erkennen wird.
271Der Angriff der Beklagten, die FI ‘O offenbare nur einen Dienst einer Kategorie, nicht aber wenigstens zwei Dienste unterschiedlicher Kategorien hat keine hinreichende Erfolgsaussicht. Die FI ‘O dürfte hinreichend deutlich und unmittelbar die Ausführung zweier kategorisch unterschiedlicher Dienste offenbaren, deren Ausfall aufgrund einer Verbindungsunterbrechung jeweils gesondert überwacht und durch Wiederherstellungsversuche innerhalb je gesondert festgelegter und überwachter Wiederherstellungszeiten begegnet werden soll. In der Beschreibung der FI ‘O heißt es hierzu (NK0-P, Seite 8, Zeilen 16 bis 37):
272„Throughout a period 201 the UE has been communicating with the UTRAN through a set of radio bearers belonging to an RRC connection. For the sake of example we assume that there has been at least one active radio bearer for providing real time services and one active radio bearer for providing non-real term services. At least once during the period 201 the UTRAN hast sent to the UE a dedicated control channel message; messages 202 und 203 are shown in Fig. 2a.
273At a certain time instant 204 there is a radio link failure which cuts the radio connection between the UE and the UTRAN. When the UE detects that the radio connection has been lost, it starts at least one timer. Also when the UTRAN detects that the radio connection has been lost, it starts at least one timer. […]
274In the embodiment illustrated in Fig. 2a the UE and the UTRAN both start at least two timers: at least one concerning the re-establishment of the radio connection for the part of the RT-related radio bearers and at least one more concerning the re-establishment of the radio connection for the part of the NRT-related radio bearers.“
275Zu deutsch:
276„Während einer Zeitspanne 201 hat das UE mit dem UTRAN über eine Reihe von Funkträgern kommuniziert, die zu einer RRC-Verbindung gehören. Zu Beispielszwecken nehmen wir an, dass wenigstens ein aktiver Funkträger Echtzeitdienste zur Verfügung gestellt hat und dass ein aktiver Funkträger Nicht-Echtzeitdienste zur Verfügung gestellt hat. Wenigstens einmal innerhalb der Zeitspanne 201 hat das UTRAN an die UE eine dedicated control channel-Mitteilung gesendet; die Mitteilung 202 und 203 sind in Figur 2a gezeigt.
277Zu einem bestimmten Zeitpunkt 204 tritt ein Funkverbindungsfehler auf, der die Funkverbindung zwischen der UE und dem UTRAN unterbricht. Sobald die UE den Verlust der Funkverbindung feststellt, startet sie wenigstens einen Zeitnehmer. Auch das UTRAN startet, sobald es den Verlust der Funkverbindung feststellt, wenigstens einen Zeitnehmer. […]
278In der in Fig. 2a dargestellten Ausführungsform starten sowohl die UE als auch das UTRAN wenigstens zwei Zeitnehmer: wenigstens einen Zeitnehmer für die Wiederherstellung der Funkverbindung für die Anteile der Funkträger, welche auf die Echtzeitdienste bezogen sind, und wenigstens einen weiteren für die Wiederherstellung der Funkträger, welche auf die Nicht-Echtzeitdienste bezogen sind.“
279Demgemäß offenbart die FI ‘O an dieser Stelle zum einen Echtzeitdienste, zum anderen Nicht-Echtzeitdienste. Dass diese Dienste sich in ihrer Kategorie voneinander unterscheiden, ist in der FI ‘O in derselben Weise offenbart wie im Klagepatent (Seite 2, Zeilen 4 bis 11 der FI ‘O).
280Ebenfalls kaum Aussicht auf Erfolg hat demnach der Einwand der Beklagten, die FI ‘O offenbare keine mindestens zwei aktiven Funkträger im Sinne des Klagepatents. Aus der wiedergegebenen Beschreibungspassage der FI ‘O folgt zugleich die Offenbarung wenigstens zweier aktiver Funkträger, von denen der eine einen Echtzeitdienst ermöglicht, während der andere einen Nicht-Echtzeitdienst ermöglicht. Dies entspricht der technischen Lehre des Klagepatents, wenigstens zwei aktive Funkträger für wenigstens zwei in ihrer Kategorie unterschiedliche Dienste vorzusehen.
281c)
282Ebenso wenig hat der auf den Nichtigkeitsgrund der unzulässigen Erweiterung gestützte Angriff der Beklagten hinreichende Aussicht auf Erfolg.
283Eine unzulässige Erweiterung des erteilten Schutzrechts gegenüber seiner ursprünglichen Anwendung ist nach Art. 123 EPÜ dann anzunehmen, wenn der Schutzbereich nach Erteilung den Offenbarungsgehalt der ursprünglichen Anmeldung verlässt. Es kommt dabei, ähnlich wie bei der Prüfung der wirksamen Inanspruchnahme einer Priorität, darauf an, ob die vom Schutzbereich umfasste technische Lehre aus der Gesamtheit der Offenbarung der ursprünglichen Anmeldung folgt, so dass für die Prüfung die Ansprüche der ursprünglichen Anmeldung ebenso zu berücksichtigen sind wie die Beschreibung und die Zeichnungen (Fitzner/Lutz/Bodewig/Müller, a.a.O., Art. 123 Rdn. 121f. und 128). Demnach lässt sich eine unzulässige Erweiterung des Klagepatents gegenüber seiner ursprünglichen Anmeldung gemäß dem Dokument WO P(Anlage NK0-W im Nichtigkeitsverfahren; im Folgenden WO ‘P) nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erwarten.
284Die Beklagten führen auch insoweit an, die Ausführung zweier Dienste unterschiedlicher Kategorie sowie die Überwachung zweier unterschiedlicher Ablaufzeiten bezüglich der Wiederherstellung der Funkträger für diese Dienste sei nicht voroffenbart. Die WO ‘P offenbart in ihrer Beschreibung (Seite 1, Zeile 31 bis Seite 2, Zeile 4 der WO ‘P) ebenso wie das Klagepatent Echtzeitdienste (RT) und Nicht-Echtzeitdienste (NRT), welche sich kategorisch voneinander unterscheiden. Zum Ablauf von Zeitnehmern, welche auf diese Dienste bezogen sind, offenbart die WO ‘P in ihrer Beschreibung sodann Folgendes (Seite 10, Zeilen 5 bis 10 sowie 24 bis 27):
285„The RT timer(s) in the UE expire at a certain later time instant 205, which is not very much after the time instant 204 which meant the failure of the radio link – as we noted in the description of prior art, typical expiry times for RT re-establishment timers is in the order of seconds. Correspondingly, the RT timer(s) in the RNC expire at a time instant 207 which is slightly later than the time instant 206. The reason for lightly delaying the timer expiration in the RNC is that also such cases must be allowed for where the UE finds itself to on an “in service area” only a very short moment before the timer(s) in the UE would expire. It takes time for the UE to react, and since the re-establishment of the RRC connection relies on a UE-originating radio transmission which may even undergo a retransmission before successful reception at the UTRAN, it would be operationally unwise if the timer(s) at the RNC would expire simultaneously with the UE timers. […]
286According to an aspect of the invention, the NRT timer(s) of the UW expire at a certain still later time instant 208, which may be as long several minutes after the radio link failed. Again after a certain delay, the NRT timer(s) of the RNC expire at time instant 209.“
287Zu deutsch:
288„Der oder die RT-Zeitnehmer der UE laufen zu einem bestimmten späteren Zeitpunkt 206 ab, der nicht sehr weit nach dem Zeitpunkt 204 liegt, welche den Ausfall der Funkverbindung bezeichnet – wie wir bereits in der Beschreibung des Standes der Technik ausgeführt haben liegen die typischen Zeiten für die RT-Wiederherstellungszeitnehmer in der Größenordnung von Sekunden. Dementsprechend laufen der oder die RT-Zeitnehmer des RNC zu einem Zeitpunkt 207 ab, der ein wenig später als der Zeitpunkt 206 liegt. Der Grund für die leichte Verzögerung des Zeitnehmer-Ablaufs im RNC liegt darin, dass viele Fälle zugelassen werden müssen, in denen die UE ihre Position in einem „Gebiet mit Dienst“ erst einen kurzen Moment vor dem Ablauf des oder der Zeitnehmer der UE feststellt. Die UE braucht Zeit um zu reagieren und da die Wiederherstellung der RRC-Verbindung auf einer von der UE ausgehenden Funkübertragung beruht, die womöglich gar eine Rückübertragung durchläuft, bevor sie erfolgreich vom UTRAN empfangen wird, wäre es im Betrieb unklug, wenn der oder die Zeitnehmer des RNC zeitglich mit den Zeitnehmer der UE abliefen.[…]
289Nach einem Aspekt der Erfindung laufen der oder die NRT-Zeitnehmer zu einem bestimmten noch später gelegenen Zeitpunkt 208 ab, der sogar mehrere Minuten nach dem Abbruch der Funkverbindung liegen kann. Nach wiederum einer gewissen Verzögerung laufen der oder die NRT-Zeitnehmer des RNC zum Zeitpunkt 209 ab.“
290Hierdurch wird nicht nur die Ausführung zweier kategorisch unterschiedlicher Dienste (nämlich: Echtzeit- und Nicht-Echtzeitdienste) durch die Kommunikationsvorrichtung offenbart, sondern insbesondere auch das Vorsehen unterschiedlicher Zeitnehmer, die den Zeitablauf für die Wiederherstellung der Steuerungsverbindung für jeden der beiden Dienste deshalb unabhängig voneinander überwachen können, weil es sich um mindestens zwei unterschiedliche Zeitnehmer handelt, die demgemäß in der Lage sind, zwei voneinander unabhängige Zeiten zu überwachen, nämlich für die Echtzeit-Dienste eine erheblich kürzere Ablaufzeit als für die Nicht-Echtzeit-Dienste.
291d)
292Schließlich begründet es keine hinreichende Erfolgsaussicht der Nichtigkeitsklage, dass die Beklagten im Verletzungsprozess geltend machen, die technische Lehre des Klagepatents ergebe sich in naheliegender Weise aus einer Kombination der älteren Fassung des Standards (Stand 1999, vorgelegt als NK3) mit einem wissenschaftlichen Beitrag aus dem Jahre 1998 (Shin / Han, Fast Low-Cost Recovery for relaibe Real-Time Multimedia Communication; vorgelegt als NK6, in deutscher Übersetzung als NK6a).
293Zum einen hat dieser Angriff, wie die Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 29.09.2015 eingeräumt haben, keinen Eingang in das Nichtigkeitsverfahren gefunden. Im Nichtigkeitsverfahren stellen die Beklagten die erfinderische Tätigkeit nur im Hinblick auf eine Kombination der Offenbarung aus der NK3 mit dem allgemeinen fachmännischen Wissen sowie mit zwei anderen Fachbeiträgen (NK7 und NK8) in Abrede. Dass die NK6 das allgemeine Fachwissen manifestiere oder denselben Offenbarungsgehalt wie NK7 und/oder NK8 habe, bringen die Beklagten nicht vor.
294Zum anderen ist nicht ersichtlich, welchen Anlass der Fachmann im Prioritätszeitpunkt gehabt haben sollte, den Offenbarungsgehalt der NK6 zur Lösung des objektiven technischen Problems heranzuziehen. Der Standard in seiner älteren Fassung offenbart nicht das Vorsehen technischer Mittel, welche die gleichzeitige Bestimmung zweier für Dienste unterschiedlicher Kategorie maßgeblicher und voneinander verschiedener Ablaufzeiten ermöglichen. Eine solche Lehre offenbart die NK6 indessen ebenso wenig. Zwar beschäftigt sich die NK6 im Ausgangspunkt mit der Problematik des unterschiedlichen Maßes an Ausfall- und Fehlertoleranz in unterschiedlichen Kategorien von Diensten. Die von der NK6 vorgeschlagene technische Lösung weist aber ersichtlich in eine andere Richtung. Die NK6 schlägt für die Wiederherstellung unterbrochener Verbindungen ein „backup multiplexing“ vor, also einen Mechanismus zur Verteilung von Ressourcen auf Auffang-Kanäle (backup channels) in der Weise, dass sich die Auffang-Kanäle die Ressourcen teilen müssen, der in Anspruch genommene Umfang von Ressourcen mithin nicht proportional mit der Anzahl der bereitgehaltenen Auffang-Kanäle wächst. Vielmehr werden diese Ressourcen nach Art eines Multiplexing (Verteilung von Signalen über mehrere Übertragungswege) ge- und verteilt. Dazu heißt es in der NK6 (Seite 12, Ende des ersten Absatzes und zweiter Absatz und dritter Absatz):
295„Thus, raw backup channels are too expensive to be useful for multimedia networking.
296To alleviate this problem, we have developed a resource-sharing technique, called backup multiplexing. Its basic idea is that on each link, we reserve only a very small fraction of link resources needed for all backup channels going through the link. In this article, we consider only link-bandwidth for simplicity, but other resources like buffer and CPU can be treated similarly.
297With backup multiplexing, backup channels are overbooked via a meta-admission test, in which some existing backup channels are not accounted for in the admission test of a new backup channel. It is, in essence, equivalent to resource sharing between the new backup and those backups unaccounted for.“
298Zu deutsch
299„Demnach sind bloße Auffangkanäle zu aufwendig, um in einer Multimedia-Vernetzung von Nutzen zu sein.
300Um diesem Problem zu begegnen, haben wir einen Mechanismus zur Aufteilung von Ressourcen entwickeln, genannt backup multiplexing. Die wesentliche Idee besteht darin, dass wir für jede Verbindung nur einen kleinen Bruchteil der Verbindungsressourcen reservieren, die für alle durch die Verbindung verlaufenden Auffangkanäle nötig wären. In diesem Beitrag betrachten wir zur Vereinfachung nur die Verbindungs-Bandbreite, aber andere Ressourcen wie Arbeitsspeicher und die zentrale Prozessoreinheit können ähnlich behandelt werden. Beim backup multiplexing werden die Auffangkanäle mithilfe einer Meta-Zugangsprüfung überbucht, so dass einige der bestehenden Auffangkanäle bei der Zugangsprüfung eines neuen Auffangkanals unberücksichtigt bleiben. Dies entspricht im Wesentlichen der Aufteilung von Ressourcen zwischen dem neuen Auffangkanal und den unberücksichtigten Auffangkanälen.“
301Die NK6 zielt also überhaupt nicht auf die Überwachung einer Zeit, innerhalb derer die Wiederherstellung der Verbindung geschehen muss, sondern geht einen ganz anderen Weg: Sie hält an der Möglichkeit fest, Auffangkanäle in ausreichender Zahl beizubehalten. Dem drohenden Nachteil, dass für die Auffangkanäle zu viele Verbindungsressourcen gebunden bzw. verbraucht werden, begegnet die NK6 mit dem Vorschlag des backup multiplexing, also einer Aufteilung der Ressourcen unter einer Vielzahl von Auffangkanälen, so dass nicht jedem Auffangkanal die Ressourcen im eigentlich erforderlichen Umfang zur Verfügung stehen.
302VII.
303Für das weitere hilfsweise Begehren der Beklagten, es ihnen vor der Entscheidung über den Unterlassungsanspruch innerhalb einer zu bestimmenden Frist zu gestatten, der Klägerin ein neues Lizenzangebot zu unterbreiten, fehlt sowohl prozessual als auch materiell-rechtlich eine Grundlage. Maßgeblich für die Entscheidungsfindung ist der Schluss der letzten mündlichen Verhandlung, § 296a ZPO. Zu diesem Zeitpunkt war es der Klägerin kartellrechtlich nicht verwehrt, die Ansprüche aus dem Klagepatent gegen die Beklagten geltend zu machen. Eine zeitlich danach durch ein neuerliches Lizenzangebot der Beklagten womöglich veränderte Sachlage muss unberücksichtigt bleiben.
304Auch der vom EuGH formulierte Ablaufplan für den Abschluss eines FRAND-gemäßen Lizenzvertrags sieht eine solche Fristsetzung nicht vor. Der EuGH geht davon aus, dass eine Einigung über einen Lizenzvertrag zügig erfolgen soll – insofern darf der Patentbenutzer keine Verzögerungstaktik anwenden und muss sein Gegenangebot binnen kurzer Frist vorlegen. Dies würde untergraben werden, wenn dem Patentbenutzer, der sich nicht an die EuGH-Vorgaben hält, die Chance eines weiteren Gegenangebots gegeben wird.
305So liegt der Fall hier. Vor der Klageeinreichung gab es bereits Lizenzierungsgespräche. Während des Verfahrens wurden drei Gegenangebote eingereicht, wobei die Beklagten rechtzeitig weder abgerechnet noch Sicherheit geleistet haben. Ihnen nunmehr zu gestatten, vor Ausurteilung eines Unterlassungstitels weitere Gegenangebote zu machen, würde den Rechtsstreit verzögern und das zeitlich begrenzte Recht der Klägerin, den patentrechtlichen Unterlassungsanspruch aus dem Klagepatent geltend zu machen, unangemessen beeinträchtigen. Wie oben dargestellt könnte ein solches Gegenangebot ohnehin mangels rechtzeitig mit der Ablehnung der früheren Angebote erfolgten Rechnungslegung und Sicherheitsleistung nicht gegen die Ansprüche der Klägerin eingewandt werden.
306VIII.
307Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
308Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.
309Den Beklagten ist kein Vollstreckungsschutz gemäß § 712 ZPO zu gewähren. Es lässt sich nicht feststellen, dass den Beklagten aus einer Vollstreckung des Urteils und namentlich des Unterlassungstenors ein nicht zu ersetzender Nachteil droht, welcher gemäß § 712 Abs. 1 Satz 1 ZPO die Gewährung von Vollstreckungsschutz rechtfertigen könnte. Unter einen solchen nicht zu ersetzenden Nachteil, der freilich zunächst eine Abwägung der Interessen zwischen Vollstreckungsgläubiger und -schuldner erforderlich machen würde (Zöller / Herget, Komm. z. ZPO, 30. Aufl., § 712 Rdn. 3), sind solche Umstände nicht zu fassen, die gerade durch die Vollstreckung ausgelöst werden, und die sich nicht in den regelmäßig eintretenden Folgen einer Vollstreckung erschöpfen (Zöller / Herget, a.a.O., § 707 Rdn. 13).
310Vorliegend machen die Beklagten alleine solche drohenden Folgen einer Vollstreckung geltend, die der Geltendmachung eines Patents als Ausschließlichkeitsrecht wesenseigen sind, nämlich die Nichterfüllbarkeit bereits eingegangener vertraglicher Verpflichtungen gegenüber den Abnehmern der angegriffenen Ausführungsform sowie anschließende Lieferausfälle, die den Ruf der Beklagten beeinträchtigten könnten. Sollte auf solche Folgen einer Vollstreckung Rücksicht genommen werden, könnten Verurteilungen zur Unterlassung aus einem Patent kaum vollstreckt werden, denn typischer Weise ist derjenige, der in gewerblicher Weise die Lehre eines Patents nutzt, Dritten gegenüber vertraglich verpflichtet, seine Nutzungshandlung fortzusetzen, etwa durch die Lieferung patentgemäßer Vorrichtungen. Das dem entgegenstehende Interesse des Patentinhabers, sein Schutzrecht zeitnah durchsetzen zu können, hat dabei besonderes Gewicht, weil das Patent nur eine begrenzte Schutzdauer hat (vgl. zur Bedeutung des Interesses des Gläubigers, für den die Zeit ohne Vollstreckung eines Unterlassungstitels unwiederbringlich verloren ist im wettbewerbsrechtlichen Zusammenhang auch Ahrens / Bähr, Wettbewerbsprozess, 7. Aufl., Kap. 29 Rdn. 82). Nicht zustimmungswürdig erscheint vor diesem Hintergrund jedenfalls die Auffassung der Beklagten, in Patentstreitsachen müsse grundsätzlich Vollstreckungsschutz gewährt werden. Solches lässt sich, anders als die Beklagten meinen, auch nicht der obergerichtlichen Rechtsprechung entnehmen.
311IX.
312Die nicht nachgelassenen Schriftsätze der Parteien vom 01.10.2015 und vom 06.10.2015, die nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung eingereicht wurden, fanden bei der Entscheidung keine Berücksichtigung. Eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung ist nicht geboten, §§ 296a, 156 ZPO.
313Dr. D. Vorsitzender Richter am Landgericht |
Dr. C1 Richter am Landgericht |
I. Richter am Landgericht |
(1) Wird gegen ein für vorläufig vollstreckbar erklärtes Urteil der Einspruch oder die Berufung eingelegt, so gelten die Vorschriften des § 707 entsprechend. Die Zwangsvollstreckung aus einem Versäumnisurteil darf nur gegen Sicherheitsleistung eingestellt werden, es sei denn, dass das Versäumnisurteil nicht in gesetzlicher Weise ergangen ist oder die säumige Partei glaubhaft macht, dass ihre Säumnis unverschuldet war.
(2) Wird Revision gegen ein für vorläufig vollstreckbar erklärtes Urteil eingelegt, so ordnet das Revisionsgericht auf Antrag an, dass die Zwangsvollstreckung einstweilen eingestellt wird, wenn die Vollstreckung dem Schuldner einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde und nicht ein überwiegendes Interesse des Gläubigers entgegensteht. Die Parteien haben die tatsächlichen Voraussetzungen glaubhaft zu machen.
(3) Die Entscheidung ergeht durch Beschluss.
Andere Urteile sind gegen eine der Höhe nach zu bestimmende Sicherheit für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Soweit wegen einer Geldforderung zu vollstrecken ist, genügt es, wenn die Höhe der Sicherheitsleistung in einem bestimmten Verhältnis zur Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages angegeben wird. Handelt es sich um ein Urteil, das ein Versäumnisurteil aufrechterhält, so ist auszusprechen, dass die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil nur gegen Leistung der Sicherheit fortgesetzt werden darf.
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 28. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 09.07.2014 (28 O 487/13) wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor in Ziffer 3. des angefochtenen Urteils ‑ wie folgt - nach § 319 ZPO berichtigt wird:
Der Beklagten zu 2) wird es bei Meidung eines Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 €, ersatzweise für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, wobei die Ordnungshaft insgesamt nicht 2 Jahre übersteigen darf,
v e r b o t e n,
folgende Nachricht mit persönlichem Inhalt, die der Kläger unter dem Pseudonym „E“ im Blog „T“ der Bloggerin „L2“ gepostet hat, unter Aufdeckung seines tatsächlichen Namens zu verbreiten, wie nachstehend wiedergegeben in der C vom 30.5.2010 auf Seite 14 im Artikel „Du wirst meist allein und unglücklich sein, während er überall unterwegs ist…“ geschehen:
„Die Homepage fand sie mit einer Internet-Suchmaschine, weil L einen der Beiträge seiner neuen Freundin kommentiert hatte. Zwar unter Pseudonym (,E‘) - aber er benutzte in seinem Kommentar eine ungewöhnliche Redewendung: ,von vorauseilendem Priapismus gebeutelt‘.“
Die Gerichtskosten und außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens haben die Beklagten je zur Hälfte zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
G r ü n d e
2I.
3Der Kläger ist Journalist und betreibt ein Unternehmen, welches sich mit der Erhebung und Vermittlung meteorologischer Daten befasst. Im März 2010 wurde er wegen des Verdachts einer Vergewaltigung verhaftet. Die Verhaftung des in der Öffentlichkeit wegen seines Auftretens als Fernsehmoderator und in der Werbung bekannten Klägers, der gegen ihn vorgebrachte Tatvorwurf sowie sein bis zu diesem Zeitpunkt der breiten Öffentlichkeit unbekanntes Privatleben, namentlich seine Beziehungen mit mehreren Frauen, waren ebenso Gegenstand intensiver Medienberichterstattung wie das gegen den Kläger wegen schwerer Vergewaltigung und gefährlicher Körperverletzung geführte Ermittlungsverfahren sowie der anschließende Strafprozess, in dem der Kläger mit rechtskräftig gewordenem Urteil des Landgerichts Mannheim vom 31.05.2011 schließlich freigesprochen wurde.
4Im zeitlichen Zusammenhang mit der Haftentlassung gewährte der Kläger den Medien mehrere Interviews. Im Oktober 2012 erschien ein Buch des Klägers mit dem Titel „Recht und Gerechtigkeit - ein Märchen aus der Provinz“, in welchem der Kläger das Ermittlungs- und Strafverfahren kritisch beleuchtet sowie über nach seiner Auffassung bestehende Missstände in der Justiz und den Medien aufklären möchte.
5Die Beklagte zu 1) ist inhaltlich für das Angebot der Webseite C2.de, der Online-Ausgabe der bundesweiten Tageszeitungen „C2“ und „C“, verantwortlich. Die Beklagte zu 2) verlegt die Zeitung „C“.
6Die Beklagte zu 1) veröffentlichte am 30.5.2010 - während der Kläger sich in Untersuchungshaft befand und noch bevor die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen war - auf C2.de einen Artikel mit der Überschrift „Du wirst allein und unglücklich sein…“. In diesem zitiert sie auszugsweise einen Blog-Eintrag, den der Kläger am 19.2.2007 um 0:21 Uhr unter dem Pseudonym „E“ im Blog „T“ der Bloggerin „L2“ gepostet und an die Inhaberin des Blogs gerichtet hatte. Der Artikel wird nach der Überschrift - wie folgt - eingeleitet:
7„Eine Ex-Freundin hatte offenbar schon früh versucht, andere Frauen vor L zu warnen. In einer Mail, die C vorliegt, schreibt sie schon im Jahr 2008 einer neuen Freundin des wechselhaften Wetterexperten: ,Er wird nie Zeit für Dich haben. Du wirst meist allein und unglücklich sein, während er überall unterwegs ist, nur nicht am Abend daheim.‘ Dann die Bitte: ,Wir Frauen sollten zusammenhalten.“
8Weiter heißt es in dem Artikel u.a.:
9„Später suchte sie im Internet nach anderen L-Frauen, fand die Homepage einer neuen Eroberung.
10[…]
11Die Homepage fand sie mit einer Internet-Suchmaschine, weil L einen der Beiträge seiner neuen Freundin kommentiert hatte. Zwar unter Pseudonym (,E‘) - aber er benutzte in seinem Kommentar eine ungewöhnliche Redewendung: ,von vorauseilendem Priapismus gebeutelt‘. Das soll der Moderator häufiger im Scherz gesagt haben. Priapismus bezeichnet eine schmerzhafte Dauererektion.“
12Die Beklagte zu 2) veröffentlichte am 30.5.2010 auf der Seite 14 in der „C“ ebenfalls einen Artikel mit der Überschrift „Du wirst meist allein und unglücklich sein, während er überall unterwegs ist…“ Der Artikel ist inhaltlich identisch mit dem Artikel der Beklagten zu 1) und enthält ebenfalls auszugsweise den vorbenannten Blog-Eintrag des Klägers.
13Mit Schreiben vom 31.5.2010 forderten die klägerischen Prozessbevollmächtigten die Beklagten auf, eine öffentliche Zugänglichmachung anonymer Blog-Einträge des Klägers unter Aufdeckung seines Namens zu unterlassen sowie eine strafbewehrte Unterlassungs-/Verpflichtungserklärung abzugeben. Das Landgericht Köln erließ in der Folge vom Kläger beantragte einstweilige Verfügungen gegen die Beklagten im Hinblick auf die streitgegenständlichen Berichterstattungen (Beschl. v. 4.06.2010, Az. 28 O 368/10 und 28 O 369/10). Die einstweiligen Verfügungen wurden vollzogen. Mit Schreiben vom 17.8.2010 sowie vom 24.10.2013 wurden die Beklagten zur Abgabe einer Abschlusserklärung sowie zur Kostentragung aufgefordert.
14Der Kläger begehrt nunmehr Unterlassung in der Hauptsache sowie die Zahlung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten.
15Der Kläger hat in erster Instanz die Ansicht vertreten, er sei durch die streitgegenständliche Berichterstattung in seinem Recht auf gewählte Anonymität und in seiner Intimsphäre verletzt. Dem Kontext des Blog-Eintrags sei zu entnehmen, dass die streitgegenständliche Äußerung auf ihn zu beziehen sei. Der von den Beklagten verbreitete Blog-Eintrag betreffe nicht das gegen den Kläger geführte Strafverfahren, sondern Einzelheiten seiner Intimsphäre, weil sie sein Sexualleben berührten. Hierdurch werde er stigmatisiert und in schwerer Weise als krankhaft sexgetriebener Mensch dargestellt.
16Die Grenzen einer zulässigen Verdachtsberichterstattung seien überschritten. Ebenso wenig sei die Berichterstattung unter dem Gesichtspunkt einer in Bezug auf eine prominente Person geäußerte Kritik an der privaten Lebensführung gerechtfertigt. Durch die Berichterstattung werde das ohnehin beeinträchtigte C2 des Klägers in der Öffentlichkeit nachhaltig massiv beeinträchtigt, so dass der zwischenzeitlich erfolgte Freispruch diesen Makel nicht mehr beseitigen könne. Sein Werdegang sowie seine Medienpräsenz könnten zur Rechtfertigung der Berichterstattung nicht herangezogen werden.
17Der Kläger hat beantragt,
181. es der Beklagten zu 1) bei Meidung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu untersagen,
19folgende Nachricht mit persönlichem Inhalt, die der Kläger unter dem Pseudonym „E“ im Blog „T“ der Bloggerin „L2“ gepostet hat unter Aufdeckung seines tatsächlichen Namens zu verbreiten, wie nachstehend wiedergegeben unter der Domain C2.de im Artikel vom 30.5.2010 mit der Überschrift „Du wirst allein und unglücklich sein…“ geschehen:
20„Die Homepage fand sie mit einer Internet-Suchmaschine, weil L einen der Beiträge seiner neuen Freundin kommentiert hatte. Zwar unter Pseudonym (,E‘) - aber er benutzte in seinem Kommentar eine ungewöhnliche Redewendung: ,von vorauseilendem Priapismus gebeutelt‘.“
212. die Beklagte zu 1) zu verurteilen, an den Kläger 450,05 EUR zuzüglich Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
223. es der Beklagten zu 2) bei Meidung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu untersagen,
23folgende Nachricht mit persönlichem Inhalt, die der Kläger unter dem Pseudonym „E“ im Blog „T“ der Bloggerin „L2“ gepostet hat unter Aufdeckung seines tatsächlichen Namens zu verbreiten, wie nachstehend wiedergegeben unter der Domain C2.de im Artikel vom 30.5.2010 mit der Überschrift „Du wirst meist allein und unglücklich sein, während er überall unterwegs ist…“ geschehen:
24„Die Homepage fand sie mit einer Internet-Suchmaschine, weil L einen der Beiträge seiner neuen Freundin kommentiert hatte. Zwar unter Pseudonym (,E‘) - aber er benutzte in seinem Kommentar eine ungewöhnliche Redewendung: ,von vorauseilendem Priapismus gebeutelt‘.“
254. die Beklagte zu 2) zu verurteilen, an den Kläger 450,05 EUR zuzüglich Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
26Hilfsweise,
271. die Beklagte zu 1) zu verurteilen, den Kläger von der Forderung der Höcker Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft für die außergerichtliche Rechtsverfolgung in Höhe von 450,05 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit freizustellen.
282. die Beklagte zu 2) zu verurteilen, den Kläger von der Forderung der Höcker Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft für die außergerichtliche Rechtsverfolgung in Höhe von 450,05 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit freizustellen.
29Die Beklagten haben beantragt,
30die Klage abzuweisen.
31Die Beklagten haben die Auffassung vertreten, der Kläger werde durch die streitgegenständliche Berichterstattung nicht in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt. Dabei sei insbesondere zu berücksichtigen, dass der Kläger in den Medien besondere öffentliche Aufmerksamkeit auf sich gezogen und sich als Träger sozialer und politischer Botschaften präsentiert habe; unstreitig hatte er in den Jahren 2009 und 2010 an einer öffentlichen Kampagne unter dem Motto „Gewalt gegen Kinder ist eine Schande“ mitgewirkt. Die Beklagten haben gemeint, der Kläger sei daher eine Person der Zeitgeschichte, die besondere Integrität für sich in Anspruch genommen habe.
32Die streitgegenständliche Berichterstattung sei zudem Bestandteil der Verdachtsberichterstattung über den gegen den Kläger erhobenen Strafvorwurf. Sie sei wahrheitsgemäß und damit zulässig, da dem Strafvorwurf zugrunde liegende Sachverhalte mitgeteilt werden dürften. Hierzu zählten auch die Beziehung zwischen dem Kläger und der Nebenklägerin des Strafprozesses, die weiteren Beziehungen und das Verhalten des Klägers gegenüber den Frauen; die Beziehungen seien auch durch die Kommunikation über das Internet sowie durch Kurznachrichten charakterisiert gewesen.
33Zudem sei zu berücksichtigen, dass sich der Kläger persönlich unter gleichzeitiger Zulassung von Fotografien und Videoaufnahmen gegenüber den Medien zu den Vorwürfen geäußert und seine Unschuld beteuert habe. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass der Berichterstattung nicht zu entnehmen sei, auf welche Person sich die Äußerung beziehe. Die Äußerung sei nicht geeignet, das Ansehen des Klägers in der Öffentlichkeit zu beeinträchtigen. Es habe sich eine öffentliche Diskussion über das moralisch höchst verwerfliche Verhalten des Klägers gegenüber seinen Partnerinnen sowie dessen Bedeutung für das Ermittlungsverfahren entwickelt. In diese öffentliche Debatte habe sich die streitgegenständliche Berichterstattung eingereiht.
34Die Beklagten haben mit Nichtwissen bestritten, dass der Kläger davon ausgegangen sei, Dritte würden keine Kenntnis von seiner Äußerung in dem „Blog“ und der Identität der an der Kommunikation beteiligten Personen erlangen. Die Beklagten haben zudem mit Nichtwissen bestritten, dass der Kläger die außergerichtlichen Tätigkeiten seiner Bevollmächtigten tatsächlich vergütet habe.
35Mit dem angegriffenen Urteil hat das Landgericht Köln der Klage stattgegeben. Der Kläger habe gegen die Beklagten Anspruch auf Unterlassung nach §§ 1004 analog, 823 BGB i.V.m. Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 2 GG, weil die Berichterstattung weder unter dem Gesichtspunkt einer Verdachtsberichterstattung noch aus anderen Gründen gerechtfertigt sei.
36Die Voraussetzungen einer zulässigen Verdachtsberichterstattung bei den Tatvorwurf nicht unmittelbar betreffenden Umständen seien nicht erfüllt. Zwar sei es im Hinblick auf die in der Öffentlichkeit stehende Person des Klägers zulässig, über das gegen ihn geführte Straf- und Ermittlungsverfahren identifizierend zu berichten. Jedoch stehe die Berichterstattung über den Blog-Eintrag des Klägers nicht im Zusammenhang mit dem gegen diesen geführten Straf- und Ermittlungsverfahren; eine Bedeutung für das Strafverfahren sei nicht ersichtlich, auch nicht im Hinblick auf nach Meinung der Beklagten zum Gegenstand im Strafverfahren gemachter intimer SMS-Nachrichten, E-Mails und Chat-Verläufe. Eine solche Bedeutung wäre nur dann anzunehmen, wenn die Berichterstattung geeignet wäre, über die Persönlichkeitsstruktur des Klägers Aufschluss zu geben, und daher auch für die Überzeugungsbildung des Gerichts von Bedeutung sein könnte. Inhaltlich leiste die wörtliche Wiedergabe des Blog-Eintrags jedoch keinen Beitrag, der für die Überzeugungsbildung des Gerichts relevant sein könne. Vielmehr berge die wörtliche Wiedergabe der Äußerung die Gefahr der Vorverurteilung des Klägers, in dem sie diesen als einen sexgetriebenen Menschen darstelle. Die Berichterstattung sei geeignet, das Bild des Klägers nachhaltig und massiv zu beeinträchtigen, ohne einen für das Straf- und Ermittlungsverfahren relevanten Beitrag zu leisten.
37Die streitgegenständliche Berichterstattung sei auch unter keinem anderen rechtlichen Gesichtspunkt zulässig. Vielmehr verletze sie den Kläger in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Aufgrund des Inhalts der Äußerung („von vorauseilendem Priapismus gebeutelt“) sei die Intimsphäre des Klägers betroffen, welche unter dem absoluten Schutz vor den Einblicken der Öffentlichkeit stehe. Die Bezeichnung Priapismus umschreibe den pathologischen Zustand einer schmerzhaften Dauererektion. In dem hier verwendeten umgangssprachlichen Sinne werde der starke Sexualtrieb des Klägers durch die Äußerung verdeutlicht. Die Frage der Betroffenheit der Intimsphäre könne jedoch letztlich dahinstehen, da jedenfalls der Kernbereich der Privatsphäre des Klägers in rechtswidriger Weise betroffen sei. Der Schutz der vorliegend thematisierten Intim- bzw. Privatsphäre sei erst dann abzusprechen, wenn der Betroffene sein Sexualleben selbst öffentlich ausgebreitet habe, was indes zu verneinen sei. Zum einen sei der Geheimhaltungswille des Klägers im Hinblick auf den Blog-Eintrag erkennbar, insbesondere die streitgegenständliche Äußerung unter dem Pseudonym „E“ gepostet worden. Im Übrigen sei der Kläger zwar in der Öffentlichkeit aufgetreten und habe der Presse mehrere Interviews gegeben. Der Kläger habe aber weder seine Intimsphäre thematisiert noch sich im Hinblick auf sein Privatleben und seine Beziehungen in einer Weise geäußert, die die vorliegende Berichterstattung rechtfertigen könne.
38Der Einwand der Beklagten, die Wiedergabe der Äußerung sei aufgrund der öffentlichen Diskussion über das moralisch höchst verwerfliche Verhalten des Klägers gegenüber seinen Partnerinnen entwickelt worden, sei unerheblich. Zum einen könne die öffentliche Erörterung seines Privatlebens nur insofern gerechtfertigt sein, als dieses eine Bedeutung für das Ermittlungs- und Strafverfahren habe. Zum anderen trage die angegriffene Äußerung auch nicht zu dieser öffentlichen Diskussion bei, sondern stelle, insbesondere auch aufgrund der wörtlichen Wiedergabe, einen besonders schweren Eingriff jedenfalls in den Kernbereich der Privatsphäre des Klägers dar, ohne einen besonderen Informationswert zu enthalten. Die sprachliche Fassung eines bestimmten Gedankeninhalts sei Ausfluss der Persönlichkeit des Verfassers. Grundsätzlich stehe daher allein dem Verfasser die Befugnis zu, darüber zu entscheiden, ob und in welcher Form seine Aufzeichnungen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht würden.
39Schließlich beziehe sich die streitgegenständliche Äußerung erkennbar auf den Kläger. Zwar werde in der Berichterstattung nicht ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Kläger die Redewendung auf sich selbst bezogen habe. Ausreichend sei jedoch, dass der unbefangene Durchschnittsleser die streitgegenständliche Äußerung zumindest auch dahingehend verstehen könne, der Kläger umschreibe mit der Redewendung seine eigene Situation. Dies sei vorliegend unzweifelhaft zu bejahen. Denn in dem Beitrag werde deutlich, dass die Äußerung gegenüber einer seiner Freundinnen gefallen sei.
40Zuletzt könne der Kläger (mit Erfolg) die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten verlangen.
41Wegen der weiteren Begründung der erstinstanzlichen Entscheidung wird ergänzend auf das angegriffene Urteil (Bl. 343 ff. d.A.) Bezug genommen.
42Mit ihrer Berufung verfolgen die Beklagten ihre Klageabweisungsbegehren weiter.
43Sie sind der Auffassung, die streitgegenständlichen Berichterstattungen wiesen einen unmittelbaren Bezug zu dem Ermittlungs- und Strafverfahren auf. Insbesondere der Umstand der (mehrfachen) Untreue des Klägers habe in unmittelbarem Zusammenhang mit dem erhobenen Strafvorwurf gestanden. Das Landgericht Mannheim habe sich im Strafurteil ausführlich mit der elektronischen Kommunikation zwischen dem Kläger und der Nebenklägerin (des Strafverfahrens) bzw. zwischen dem Kläger und den weiteren (im Strafverfahren vernommenen) Zeuginnen auseinandergesetzt und unter Würdigung des Wortlauts der Mitteilungen des Klägers dessen Verhalten bei der Beziehungsanbahnung untersucht, dieses als „initiativ“ und „offensiv“ bewertet, was wiederum für die Glaubwürdigkeit der Einlassung des Klägers von Relevanz gewesen sei.
44Die Beklagten meinen, das Landgericht habe den Sinngehalt der streitgegenständlichen Äußerung verkannt. Denn wiedergegeben werde die Äußerung als Kommentar des Klägers, ohne dass mitgeteilt werde, auf welche Person und auf welchen Sachverhalt der Kläger den Kommentar bezogen habe; der Bericht beinhalte keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger seinen Kommentar auf sich bezogen habe. Hinzu komme, dass ausdrücklich aufgeführt sei, dass der Kläger die Äußerung im Scherz gesagt, also nicht ernst gemeint habe. Die streitgegenständliche Äußerung sei eindeutig und bestehe bloß in der Wiedergabe eines Zitats.
45Scheide aber ein Eingriff in die Privat- oder Intimsphäre des Klägers aus, mangele es an einer äußerungsrechtlichen Betroffenheit des Klägers durch das wahrheitsgemäße Zitat, weil dieses keinerlei Eingriffscharakter habe.
46Benutzer eines Blogs könnten aufgrund deren Rahmenbedingungen nicht davon ausgehen, dass die Vertraulichkeit ihrer Äußerung gewahrt bleibe. Schon gar nicht sei der Adressat einer Äußerung verpflichtet, die Vertraulichkeit der Äußerung eines Dritten zu wahren. Die Beklagten hätten bloß die zuvor öffentlich bekannt gewordene Erklärung der Adressatin der Äußerung des Klägers zitiert.
47Schließlich betreffe die Berichterstattung moralisch verwerfliche Verhaltensweisen einer prominenten Person, nämlich die Untreue im Verhältnis zu mehreren Frauen, zu denen der Kläger parallel intime Beziehungen unterhalten habe, ohne sie über diesen Umstand aufzuklären. Die wahrheitsgemäße Berichterstattung belege eine Episode dieser Verhaltensweisen. Dem Zitat selbst (dessen Wortlaut) komme in diesem Zusammenhang keine eigenständige Eingriffseignung zu; die scherzhafte Verwendung des Begriffs „vorauseilender Priapismus“ sei nicht geeignet, den Zitierten in der Öffentlichkeit herabzuwürdigen oder verächtlich zu machen. Jedenfalls sei ein Bericht hierüber angesichts des Informationsinteresses über eine moralisch verwerfliche Verhaltensweise zulässig.
48Die Beklagten beantragen,
49unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Köln vom 9.07.2014 - 28 O 487/13 - die Klage insgesamt abzuweisen.
50Der Kläger beantragt,
51die Berufung zurückzuweisen.
52Er ist der Auffassung, aus dem Kontext der Berichterstattung ergebe sich, dass er die streitgegenständliche Redewendung auf sich selbst bezogen habe; jedenfalls sei die Darstellung in den Artikeln mehrdeutig. Aufgrund der Verwendung eines Pseudonyms habe der Kläger davon ausgehen dürfen, dass Dritte ihn nicht mit den betreffenden Äußerungen in Verbindung bringen können.
53Der Kläger habe in der Öffentlichkeit nicht vorgegeben, eine bestimmte Art von Beziehungsleben zu führen; aufgetreten sei er lediglich in beruflicher Funktion. Deswegen habe auch kein Berichterstattungsinteresse mit Blick auf eine Leitbild- und Kontrastfunktion bestanden.
54II.
55Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Allerdings war der Tenor des angefochtenen Urteils im Wege der Berichtigung nach § 319 ZPO zu ändern.
561.
57Gemäß § 319 ZPO hatte eine Berichtigung des Tenors zu erfolgen, die der Senat im Berufungsverfahren vornehmen kann (vgl. BGHZ 133, 191). Denn der Kläger hatte mit seinem dem Wortlaut nach ebenfalls auf die Berichterstattung unter C2.de bezogenen Antrag zu 3. begehrt, die Berichterstattung wie in der C geschehen zu verbieten, was seinem Antrag im Wege der Auslegung zu entnehmen und vom Landgericht übersehen worden ist. Jedenfalls hat der Kläger aber im Berufungsverfahren seinen Antrag insoweit in zulässiger Weise geändert, ohne dass die Beklagten dem entgegengetreten sind.
582.
59Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Landgericht einen Anspruch des Klägers auf Unterlassung aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 analog, § 823 Abs. 1 BGB in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK bejaht. Die Beklagten haben in rechtswidriger Weise in das Recht des Klägers auf Schutz seiner Persönlichkeit und Achtung seines Privatlebens eingegriffen, indem sie über einen von ihm anonym und im Vertrauen auf die Wahrung der Anonymität abgegebenen Kommentar mindestens aus seiner Privatsphäre berichtet haben (a), ohne dass dieser Eingriff gerechtfertigt wäre (b), und zwar auch nicht im Rahmen einer Verdachtsberichterstattung (c).
60a) Der Senat teilt die Auffassung des Landgerichts, dass die Beklagten in den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers eingegriffen haben.
61aa) Dass und insbesondere mit welchem Wortlaut der Kläger in einem Blog einer Freundin einen Eintrag dieser unter einem Pseudonym kommentiert, betrifft seine Vertraulichkeitssphäre sowie sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung als Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (vgl. BGH, Urt. v. 30.09.2014 - VI ZR 490/12, AfP 2014, 534), nämlich unabhängig von Aussagewert der diesbezüglichen Berichterstattung schon unter dem Aspekt der Preisgabe von nicht für die breite Öffentlichkeit bestimmter Kommunikation.
62Die gilt auch unter der Prämisse, dass der Blog öffentlich einsehbar war. Denn da der Kläger seinen Kommentar auf einem privat betriebenen, nicht in der breiten Öffentlichkeit bekannten Blog unter einem Pseudonym abgegeben hat, und deswegen grundsätzlich davon ausgehen durfte, von anderen Personen als der Blogbetreiberin nicht ohne weiteres erkannt zu werden, handelte es sich letztlich um eine private Kommunikation zwischen ihm und der Blogbetreiberin. Vom Schutz der Privatsphäre wird auch der Geheimhaltungswille in Bezug auf solche Mitteilungen umfasst, die über die Person des sich Äußernden selbst nichts aussagen, die aber einem Vertrauten in der Erwartung gemacht werden, dass er sie für sich behalten werde (vgl. BGH, Urt. v. 10.03.1987 - VI ZR 244/85 -, NJW 1987, 2667), was hier jedenfalls für die Weitergabe an eine breite Öffentlichkeit unter Preisgabe der Identität des Klägers gilt. Die Privatheit der Kommunikation erschließt sich im Übrigen aus deren - nicht in der Berichterstattung wiedergegebenen - Inhalt, nämlich soweit der Kläger hiernach seinen Kommentar in Bezug auf ein Foto der Klägerin abgegeben und die beanstandete Redewendung ersichtlich auf sich bezogen hat. Angesichts dessen, dass der Kläger sich auf einem privaten Blog unter Verwendung eines Pseudonyms geäußert hat, kann ihm auch keine Einwilligung in die Veröffentlichung unterstellt werden, die hier vielmehr gegen seinen Willen erfolgt ist. Der Kläger musste auch nicht von vorneherein damit rechnen, dass sein Kommentar in die Öffentlichkeit gelangt; die Gefahr einer Identifizierung durch eine ihm vertraute Person war jedenfalls nicht wesentlich höher als im Falle einer Versendung einer E-Mail an einen einzelnen Adressaten (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 30.09.2014 - VI ZR 490/12, AfP 2014, 534).
63bb) Darüber hinaus ist angesichts der mit der Wortberichterstattung über den Kommentar verbundenen Aussage mindestens die Privatsphäre des Klägers betroffen.
64Nach dem gleichlautenden Inhalt der Berichte kann der Leser nur den Schluss ziehen, dass der Kläger seinen Kommentar auf sich bezogen hat. Wenn der Kläger - wie berichtet wurde - einen Beitrag „seiner neuen Freundin“ mit der beanstandeten Redewendung kommentiert, können sich der Kommentar und die darin enthaltene Redewendung nur auf ihn selbst beziehen (auf wen auch sonst?). Hinzu kommt, dass später noch über das den Kommentar auslösende Foto der neuen Freundin berichtet wird, woraus ein verständiger Leser wiederum nur schließen kann, dass sich der Kommentar auf eben dieses Foto bezieht und damit erkennbar die Reaktion des Klägers auf das Foto betrifft. Jedenfalls ist aber ein solches Verständnis des Berichts nicht fernliegend und daher unter Berücksichtigung der Stolpe-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 114, 339) im Hinblick auf den streitgegenständlichen Unterlassungsanspruch zugrunde zu legen.
65Sind die Berichte der Beklagten in dieser Weise zu verstehen, geht ihr Aussagewert aber noch in das Persönlichkeitsrecht des Klägers betreffender Weise hierüber hinaus, und zwar auch dann, wenn man berücksichtigt, dass die Berichte einen Hinweis darauf enthalten, dass der Kläger die Redewendung häufiger „im Scherz“ benutzt hat. Denn Letzteres schließt allenfalls aus, dass der Kläger tatsächlich eine „vorauseilende Dauererektion“ hatte, nicht aber, dass er sich bereits vom Foto seiner Freundin sexuell erregt fühlte und eben dies gegenüber ihr andeuten wollte. Ein Bericht über eine private Kommunikation des Klägers mit derartigen Andeutungen über eine sexuelle Erregung betrifft mindestens die Privatsphäre des Klägers.
66b) Die Beeinträchtigungen des Persönlichkeitsrechts des Klägers sind rechtswidrig.
67aa) Wegen der Eigenart des Persönlichkeitsrechts als eines Rahmenrechts liegt seine Reichweite nicht absolut fest, sondern muss erst durch eine Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange bestimmt werden, bei der die besonderen Umstände des Einzelfalls sowie die betroffenen Grundrechte und Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention interpretationsleitend zu berücksichtigen sind. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt. Im Streitfall ist das durch Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleistete Interesse des Klägers am Schutz seiner Persönlichkeit mit dem in Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 Abs. 1 EMRK verankerten Recht der Beklagten auf Meinungs- und Medienfreiheit abzuwägen (vgl. BGH, Urt. v. 30.09.2014 - VI ZR 490/12, AfP 2014, 534).
68bb) Das Interesse des Klägers an der Geheimhaltung seines den Kernbereich privater Lebensgestaltung betreffenden Verhaltens überwiegt das Interesse der Beklagten an einer Berichterstattung, insbesondere im Hinblick auf den von den Beklagten wörtlich wiedergegebenen Kommentar.
69(1) Zwar erfolgte der (erste) Einbruch in die Vertraulichkeitssphäre nicht durch die Beklagten, weil nicht sie den Kläger identifiziert, sondern die Identifizierung des Klägers durch eine andere Person ausgenutzt haben. Die Beklagten haben den Einbruch in die Vertraulichkeitssphäre des Klägers jedoch vertieft, weil sie dessen anonym abgegebenen, seine Privatsphäre betreffenden Kommentar in die Öffentlichkeit getragen haben.
70(2) Dem steht kein hinreichendes Informationsinteresse der Öffentlichkeit gegenüber; erst Recht haben die Informationen keinen hohen "Öffentlichkeitswert" (vgl. BGH, Urt. v. 30.09.2014 - VI ZR 490/12, AfP 2014, 534).
71Zwar ist das Informationsinteresse der Öffentlichkeit durch die prominente Stellung des Klägers erhöht (vgl. BGH, Urt. v. 19.03.2013 - VI ZR 93/12 -, NJW 2013, 1681) und darf über diesen als prominente Person in größerem Umfang berichtet werden, wenn die Information einen hinreichenden Nachrichtenwert mit Orientierungsfunktion im Hinblick auf eine die Allgemeinheit interessierende Sachdebatte hat und die Abwägung keine schwerwiegenden Interessen des Betroffenen ergibt, die einer Veröffentlichung entgegenstehen (vgl. BGH, Urt. v. 01.07.2008 - VI ZR 243/06 -, NJW 2008, 3138).
72Es ist jedoch nicht ersichtlich, welches Interesse an einer Berichterstattung über die Einzelheiten der privaten Kommunikation des Klägers mit der Blogbetreiberin bestehen sollte, zumal die Beklagten darüber, dass der Kläger Beziehungen zu mehreren Frauen hatte, über den von den Beklagten in den Vordergrund gerückten Untreuevorwurf sowie letztlich auch über die Kontaktanbahnung über das Internet, ja sogar über die Art und Weise des Auffindens der neuen Freundin durch die - vom Kläger betrogene - frühere Freundin des Klägers auch hätten berichten können, ohne die Einzelheiten der privaten Kommunikation wörtlich wiederzugeben.
73Dabei verkennt der Senat nicht, dass es den Medien selbst obliegt, nach publizistischen Kriterien über Gegenstand und Inhalt ihrer Berichterstattung sowie darüber zu entscheiden, was öffentliches Interesse beansprucht (vgl. BGHZ 178, 213; BVerfGE 120, 180). Die Gewichtung des Informationsinteresses zum Zweck der Abwägung mit gegenläufigen Interessen der Betroffenen obliegt im Fall eines Rechtsstreits jedoch den Gerichten (vgl. BGHZ 178, 213; BVerfGE 120, 180).
74Insbesondere der Wortlaut des Kommentars hatte indes keinen maßgebenden Informationswert für die Öffentlichkeit, weder im Zusammenhang mit den ursprünglich gegen den Kläger erhobenen strafrechtlichen Vorwürfen noch mit Rücksicht auf die Bekanntheit des Klägers in der Öffentlichkeit und seiner damit verbundenen Leitbild- und Kontrastfunktion. Dem wörtlichen Zitat kommt daher weder ein besonderer Dokumentationswert im Rahmen der Berichterstattung zu noch dient es dem Beleg und der Verstärkung des Aussagegehalts; es hat deswegen weder besondere Überzeugungskraft noch kommt ihm erhebliche Bedeutung für die öffentliche Meinungsbildung zu (vgl. BGH, Urt. v. 30.09.2014 - VI ZR 490/12, AfP 2014, 534).
75Vielmehr dient ein Bericht über die (häufige) Verwendung der nicht alltäglichen Redewendung durch den Kläger allein der Befriedigung der Neugier der Öffentlichkeit. Zugleich geht es in der Sache um mehr als eine bloße Indiskretion der Adressatin des vom Kläger verfassten Kommentars, weil eben nicht nur die Privatheit und Vertraulichkeit der Kommunikation des Klägers mit der Blogbetreiberin betroffen ist (vgl. BGH, Urt. v. 10.03.1987 - VI ZR 244/85 -, NJW 1987, 2667), sondern angesichts dessen, dass der wiedergegebene Kommentar sich auf den Kläger bezieht und die Andeutung einer sexuellen Erregung enthält, über den Kernbereich des Privatlebens des Klägers berichtet wird. Mit dem Landgericht ist der Senat dabei der Auffassung, dass die wörtliche Wiedergabe des Zitats einen eigenständigen Eingriff begründet. Nicht nur wegen der wörtlichen Wiedergabe des vom Kläger verfassten, allein an seine „neue Freundin“ gerichteten Gedankeninhalts selbst, sondern auch wegen dessen Inhalts, nämlich der Andeutung einer sexuellen Erregung des Klägers gegenüber der Blogbetreiberin, haben die Berichte einen anderen Aussagewert und waren auch und insbesondere angesichts des gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Vorwurfs geeignet, das Bild des Klägers in der Öffentlichkeit zu beeinträchtigen, nämlich ihm einen - starken und rücksichtslosen - Sexualtrieb zu unterstellen.
76cc) Die Berichterstattung ist auch nicht aufgrund einer - sich auf den Gegenstand der streitgegenständlichen Berichterstattung beziehenden - „Selbstöffnung“ des Klägers durch dessen Auftreten in der Öffentlichkeit vor und nach dem Strafverfahren sowie währenddessen gerechtfertigt. Insoweit kann zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Erwägungen des Landgerichts verwiesen werden; der Kläger hat sich jedenfalls nicht im Hinblick auf seine privaten Beziehungen und schon gar nicht hinsichtlich privater Kommunikation mit sexuellen Andeutungen geöffnet.
77c) Schließlich stellen die streitgegenständlichen Veröffentlichungen keine zulässigen Verdachtsberichterstattungen dar. Vielmehr steht der persönliche Blog-Eintrag des Klägers in keinem (hinreichenden) Zusammenhang mit dem gegen ihn geführten Ermittlungsverfahren, was aber Voraussetzung einer zulässigen Verdachtsberichterstattung ist (vgl. BGH, Urt. v. 19.03.2013 - VI ZR 93/12 -, NJW 2013, 168; Senat, Urt. v. 15.11.2011 ‑ 15 U 60/11 -, AfP 2012, 66).
78Ob der Kläger in einer privaten Kommunikation mit einer Freundin Andeutungen über seine sexuelle Erregung unter Verwendung einer bestimmten Redewendung macht, ist für den im Ermittlungs- und Strafverfahren ursprünglich erhobenen Vorwurf der Vergewaltigung ohne Belang. Zwar versuchen die Beklagten einen Bezug zum Strafverfahren herzustellen, indem sie auf private Kommunikation zwischen dem Kläger und der dortigen Nebenklägerin sowie weiteren Frauen in Bezug nehmende Erwägungen des Landgerichts Mannheim dazu verweisen, wie der Kläger die Anbahnung und den weiteren Verlauf seiner Beziehung zur Nebenklägerin im Strafverfahren dargestellt hat. Dass überhaupt und - wenn ja - welchen Wert die wörtliche Wiedergabe des Kommentars des Klägers für den Vorwurf der Vergewaltigung oder auch nur die in Bezug genommenen Erwägungen des Landgerichts im Strafurteil haben sollte, ist jedoch weder von den Beklagten dargetan noch anderweit ersichtlich. Hinzu kommt, dass zum Zeitpunkt der Berichterstattung nicht einmal die Hauptverhandlung eröffnet und damit auch nicht abzusehen war, in welchem Umfang die Strafkammer die private Kommunikation des Klägers mit der Nebenklägerin und seinen weiteren Partnerinnen in den Strafprozess oder gar in das Urteil überhaupt einbeziehen werden würde. Schließlich wurde unstreitig die von den Beklagten in Bezug genommene Kommunikation tatsächlich nicht öffentlich verhandelt und das den Kläger freisprechende Urteil (insoweit) nicht veröffentlicht.
793.
80Wegen der vom Landgericht zugesprochenen Kosten der anwaltlichen Abmahnungen kann zuletzt auf zutreffenden und nicht ergänzungsbedürftigen Erwägungen des Landgerichts verwiesen werden.
814.
82Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.
835.
84Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht vorliegen. Weder kommt der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung zu noch erfordern Belange der Rechtsfortbildung oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs; vielmehr hat der Senat im Einzelfall über Veröffentlichung unter Abwägung zwischen den Belangen der Parteien entschieden.
85Berufungsstreitwert: 100.000,00 €.
(1) Wird gegen ein für vorläufig vollstreckbar erklärtes Urteil der Einspruch oder die Berufung eingelegt, so gelten die Vorschriften des § 707 entsprechend. Die Zwangsvollstreckung aus einem Versäumnisurteil darf nur gegen Sicherheitsleistung eingestellt werden, es sei denn, dass das Versäumnisurteil nicht in gesetzlicher Weise ergangen ist oder die säumige Partei glaubhaft macht, dass ihre Säumnis unverschuldet war.
(2) Wird Revision gegen ein für vorläufig vollstreckbar erklärtes Urteil eingelegt, so ordnet das Revisionsgericht auf Antrag an, dass die Zwangsvollstreckung einstweilen eingestellt wird, wenn die Vollstreckung dem Schuldner einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde und nicht ein überwiegendes Interesse des Gläubigers entgegensteht. Die Parteien haben die tatsächlichen Voraussetzungen glaubhaft zu machen.
(3) Die Entscheidung ergeht durch Beschluss.
(1) Wird die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand oder eine Wiederaufnahme des Verfahrens beantragt oder die Rüge nach § 321a erhoben oder wird der Rechtsstreit nach der Verkündung eines Vorbehaltsurteils fortgesetzt, so kann das Gericht auf Antrag anordnen, dass die Zwangsvollstreckung gegen oder ohne Sicherheitsleistung einstweilen eingestellt werde oder nur gegen Sicherheitsleistung stattfinde und dass die Vollstreckungsmaßregeln gegen Sicherheitsleistung aufzuheben seien. Die Einstellung der Zwangsvollstreckung ohne Sicherheitsleistung ist nur zulässig, wenn glaubhaft gemacht wird, dass der Schuldner zur Sicherheitsleistung nicht in der Lage ist und die Vollstreckung einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde.
(2) Die Entscheidung ergeht durch Beschluss. Eine Anfechtung des Beschlusses findet nicht statt.
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 28. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 09.07.2014 (28 O 487/13) wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor in Ziffer 3. des angefochtenen Urteils ‑ wie folgt - nach § 319 ZPO berichtigt wird:
Der Beklagten zu 2) wird es bei Meidung eines Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 €, ersatzweise für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, wobei die Ordnungshaft insgesamt nicht 2 Jahre übersteigen darf,
v e r b o t e n,
folgende Nachricht mit persönlichem Inhalt, die der Kläger unter dem Pseudonym „E“ im Blog „T“ der Bloggerin „L2“ gepostet hat, unter Aufdeckung seines tatsächlichen Namens zu verbreiten, wie nachstehend wiedergegeben in der C vom 30.5.2010 auf Seite 14 im Artikel „Du wirst meist allein und unglücklich sein, während er überall unterwegs ist…“ geschehen:
„Die Homepage fand sie mit einer Internet-Suchmaschine, weil L einen der Beiträge seiner neuen Freundin kommentiert hatte. Zwar unter Pseudonym (,E‘) - aber er benutzte in seinem Kommentar eine ungewöhnliche Redewendung: ,von vorauseilendem Priapismus gebeutelt‘.“
Die Gerichtskosten und außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens haben die Beklagten je zur Hälfte zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
G r ü n d e
2I.
3Der Kläger ist Journalist und betreibt ein Unternehmen, welches sich mit der Erhebung und Vermittlung meteorologischer Daten befasst. Im März 2010 wurde er wegen des Verdachts einer Vergewaltigung verhaftet. Die Verhaftung des in der Öffentlichkeit wegen seines Auftretens als Fernsehmoderator und in der Werbung bekannten Klägers, der gegen ihn vorgebrachte Tatvorwurf sowie sein bis zu diesem Zeitpunkt der breiten Öffentlichkeit unbekanntes Privatleben, namentlich seine Beziehungen mit mehreren Frauen, waren ebenso Gegenstand intensiver Medienberichterstattung wie das gegen den Kläger wegen schwerer Vergewaltigung und gefährlicher Körperverletzung geführte Ermittlungsverfahren sowie der anschließende Strafprozess, in dem der Kläger mit rechtskräftig gewordenem Urteil des Landgerichts Mannheim vom 31.05.2011 schließlich freigesprochen wurde.
4Im zeitlichen Zusammenhang mit der Haftentlassung gewährte der Kläger den Medien mehrere Interviews. Im Oktober 2012 erschien ein Buch des Klägers mit dem Titel „Recht und Gerechtigkeit - ein Märchen aus der Provinz“, in welchem der Kläger das Ermittlungs- und Strafverfahren kritisch beleuchtet sowie über nach seiner Auffassung bestehende Missstände in der Justiz und den Medien aufklären möchte.
5Die Beklagte zu 1) ist inhaltlich für das Angebot der Webseite C2.de, der Online-Ausgabe der bundesweiten Tageszeitungen „C2“ und „C“, verantwortlich. Die Beklagte zu 2) verlegt die Zeitung „C“.
6Die Beklagte zu 1) veröffentlichte am 30.5.2010 - während der Kläger sich in Untersuchungshaft befand und noch bevor die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen war - auf C2.de einen Artikel mit der Überschrift „Du wirst allein und unglücklich sein…“. In diesem zitiert sie auszugsweise einen Blog-Eintrag, den der Kläger am 19.2.2007 um 0:21 Uhr unter dem Pseudonym „E“ im Blog „T“ der Bloggerin „L2“ gepostet und an die Inhaberin des Blogs gerichtet hatte. Der Artikel wird nach der Überschrift - wie folgt - eingeleitet:
7„Eine Ex-Freundin hatte offenbar schon früh versucht, andere Frauen vor L zu warnen. In einer Mail, die C vorliegt, schreibt sie schon im Jahr 2008 einer neuen Freundin des wechselhaften Wetterexperten: ,Er wird nie Zeit für Dich haben. Du wirst meist allein und unglücklich sein, während er überall unterwegs ist, nur nicht am Abend daheim.‘ Dann die Bitte: ,Wir Frauen sollten zusammenhalten.“
8Weiter heißt es in dem Artikel u.a.:
9„Später suchte sie im Internet nach anderen L-Frauen, fand die Homepage einer neuen Eroberung.
10[…]
11Die Homepage fand sie mit einer Internet-Suchmaschine, weil L einen der Beiträge seiner neuen Freundin kommentiert hatte. Zwar unter Pseudonym (,E‘) - aber er benutzte in seinem Kommentar eine ungewöhnliche Redewendung: ,von vorauseilendem Priapismus gebeutelt‘. Das soll der Moderator häufiger im Scherz gesagt haben. Priapismus bezeichnet eine schmerzhafte Dauererektion.“
12Die Beklagte zu 2) veröffentlichte am 30.5.2010 auf der Seite 14 in der „C“ ebenfalls einen Artikel mit der Überschrift „Du wirst meist allein und unglücklich sein, während er überall unterwegs ist…“ Der Artikel ist inhaltlich identisch mit dem Artikel der Beklagten zu 1) und enthält ebenfalls auszugsweise den vorbenannten Blog-Eintrag des Klägers.
13Mit Schreiben vom 31.5.2010 forderten die klägerischen Prozessbevollmächtigten die Beklagten auf, eine öffentliche Zugänglichmachung anonymer Blog-Einträge des Klägers unter Aufdeckung seines Namens zu unterlassen sowie eine strafbewehrte Unterlassungs-/Verpflichtungserklärung abzugeben. Das Landgericht Köln erließ in der Folge vom Kläger beantragte einstweilige Verfügungen gegen die Beklagten im Hinblick auf die streitgegenständlichen Berichterstattungen (Beschl. v. 4.06.2010, Az. 28 O 368/10 und 28 O 369/10). Die einstweiligen Verfügungen wurden vollzogen. Mit Schreiben vom 17.8.2010 sowie vom 24.10.2013 wurden die Beklagten zur Abgabe einer Abschlusserklärung sowie zur Kostentragung aufgefordert.
14Der Kläger begehrt nunmehr Unterlassung in der Hauptsache sowie die Zahlung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten.
15Der Kläger hat in erster Instanz die Ansicht vertreten, er sei durch die streitgegenständliche Berichterstattung in seinem Recht auf gewählte Anonymität und in seiner Intimsphäre verletzt. Dem Kontext des Blog-Eintrags sei zu entnehmen, dass die streitgegenständliche Äußerung auf ihn zu beziehen sei. Der von den Beklagten verbreitete Blog-Eintrag betreffe nicht das gegen den Kläger geführte Strafverfahren, sondern Einzelheiten seiner Intimsphäre, weil sie sein Sexualleben berührten. Hierdurch werde er stigmatisiert und in schwerer Weise als krankhaft sexgetriebener Mensch dargestellt.
16Die Grenzen einer zulässigen Verdachtsberichterstattung seien überschritten. Ebenso wenig sei die Berichterstattung unter dem Gesichtspunkt einer in Bezug auf eine prominente Person geäußerte Kritik an der privaten Lebensführung gerechtfertigt. Durch die Berichterstattung werde das ohnehin beeinträchtigte C2 des Klägers in der Öffentlichkeit nachhaltig massiv beeinträchtigt, so dass der zwischenzeitlich erfolgte Freispruch diesen Makel nicht mehr beseitigen könne. Sein Werdegang sowie seine Medienpräsenz könnten zur Rechtfertigung der Berichterstattung nicht herangezogen werden.
17Der Kläger hat beantragt,
181. es der Beklagten zu 1) bei Meidung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu untersagen,
19folgende Nachricht mit persönlichem Inhalt, die der Kläger unter dem Pseudonym „E“ im Blog „T“ der Bloggerin „L2“ gepostet hat unter Aufdeckung seines tatsächlichen Namens zu verbreiten, wie nachstehend wiedergegeben unter der Domain C2.de im Artikel vom 30.5.2010 mit der Überschrift „Du wirst allein und unglücklich sein…“ geschehen:
20„Die Homepage fand sie mit einer Internet-Suchmaschine, weil L einen der Beiträge seiner neuen Freundin kommentiert hatte. Zwar unter Pseudonym (,E‘) - aber er benutzte in seinem Kommentar eine ungewöhnliche Redewendung: ,von vorauseilendem Priapismus gebeutelt‘.“
212. die Beklagte zu 1) zu verurteilen, an den Kläger 450,05 EUR zuzüglich Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
223. es der Beklagten zu 2) bei Meidung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu untersagen,
23folgende Nachricht mit persönlichem Inhalt, die der Kläger unter dem Pseudonym „E“ im Blog „T“ der Bloggerin „L2“ gepostet hat unter Aufdeckung seines tatsächlichen Namens zu verbreiten, wie nachstehend wiedergegeben unter der Domain C2.de im Artikel vom 30.5.2010 mit der Überschrift „Du wirst meist allein und unglücklich sein, während er überall unterwegs ist…“ geschehen:
24„Die Homepage fand sie mit einer Internet-Suchmaschine, weil L einen der Beiträge seiner neuen Freundin kommentiert hatte. Zwar unter Pseudonym (,E‘) - aber er benutzte in seinem Kommentar eine ungewöhnliche Redewendung: ,von vorauseilendem Priapismus gebeutelt‘.“
254. die Beklagte zu 2) zu verurteilen, an den Kläger 450,05 EUR zuzüglich Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
26Hilfsweise,
271. die Beklagte zu 1) zu verurteilen, den Kläger von der Forderung der Höcker Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft für die außergerichtliche Rechtsverfolgung in Höhe von 450,05 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit freizustellen.
282. die Beklagte zu 2) zu verurteilen, den Kläger von der Forderung der Höcker Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft für die außergerichtliche Rechtsverfolgung in Höhe von 450,05 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit freizustellen.
29Die Beklagten haben beantragt,
30die Klage abzuweisen.
31Die Beklagten haben die Auffassung vertreten, der Kläger werde durch die streitgegenständliche Berichterstattung nicht in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt. Dabei sei insbesondere zu berücksichtigen, dass der Kläger in den Medien besondere öffentliche Aufmerksamkeit auf sich gezogen und sich als Träger sozialer und politischer Botschaften präsentiert habe; unstreitig hatte er in den Jahren 2009 und 2010 an einer öffentlichen Kampagne unter dem Motto „Gewalt gegen Kinder ist eine Schande“ mitgewirkt. Die Beklagten haben gemeint, der Kläger sei daher eine Person der Zeitgeschichte, die besondere Integrität für sich in Anspruch genommen habe.
32Die streitgegenständliche Berichterstattung sei zudem Bestandteil der Verdachtsberichterstattung über den gegen den Kläger erhobenen Strafvorwurf. Sie sei wahrheitsgemäß und damit zulässig, da dem Strafvorwurf zugrunde liegende Sachverhalte mitgeteilt werden dürften. Hierzu zählten auch die Beziehung zwischen dem Kläger und der Nebenklägerin des Strafprozesses, die weiteren Beziehungen und das Verhalten des Klägers gegenüber den Frauen; die Beziehungen seien auch durch die Kommunikation über das Internet sowie durch Kurznachrichten charakterisiert gewesen.
33Zudem sei zu berücksichtigen, dass sich der Kläger persönlich unter gleichzeitiger Zulassung von Fotografien und Videoaufnahmen gegenüber den Medien zu den Vorwürfen geäußert und seine Unschuld beteuert habe. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass der Berichterstattung nicht zu entnehmen sei, auf welche Person sich die Äußerung beziehe. Die Äußerung sei nicht geeignet, das Ansehen des Klägers in der Öffentlichkeit zu beeinträchtigen. Es habe sich eine öffentliche Diskussion über das moralisch höchst verwerfliche Verhalten des Klägers gegenüber seinen Partnerinnen sowie dessen Bedeutung für das Ermittlungsverfahren entwickelt. In diese öffentliche Debatte habe sich die streitgegenständliche Berichterstattung eingereiht.
34Die Beklagten haben mit Nichtwissen bestritten, dass der Kläger davon ausgegangen sei, Dritte würden keine Kenntnis von seiner Äußerung in dem „Blog“ und der Identität der an der Kommunikation beteiligten Personen erlangen. Die Beklagten haben zudem mit Nichtwissen bestritten, dass der Kläger die außergerichtlichen Tätigkeiten seiner Bevollmächtigten tatsächlich vergütet habe.
35Mit dem angegriffenen Urteil hat das Landgericht Köln der Klage stattgegeben. Der Kläger habe gegen die Beklagten Anspruch auf Unterlassung nach §§ 1004 analog, 823 BGB i.V.m. Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 2 GG, weil die Berichterstattung weder unter dem Gesichtspunkt einer Verdachtsberichterstattung noch aus anderen Gründen gerechtfertigt sei.
36Die Voraussetzungen einer zulässigen Verdachtsberichterstattung bei den Tatvorwurf nicht unmittelbar betreffenden Umständen seien nicht erfüllt. Zwar sei es im Hinblick auf die in der Öffentlichkeit stehende Person des Klägers zulässig, über das gegen ihn geführte Straf- und Ermittlungsverfahren identifizierend zu berichten. Jedoch stehe die Berichterstattung über den Blog-Eintrag des Klägers nicht im Zusammenhang mit dem gegen diesen geführten Straf- und Ermittlungsverfahren; eine Bedeutung für das Strafverfahren sei nicht ersichtlich, auch nicht im Hinblick auf nach Meinung der Beklagten zum Gegenstand im Strafverfahren gemachter intimer SMS-Nachrichten, E-Mails und Chat-Verläufe. Eine solche Bedeutung wäre nur dann anzunehmen, wenn die Berichterstattung geeignet wäre, über die Persönlichkeitsstruktur des Klägers Aufschluss zu geben, und daher auch für die Überzeugungsbildung des Gerichts von Bedeutung sein könnte. Inhaltlich leiste die wörtliche Wiedergabe des Blog-Eintrags jedoch keinen Beitrag, der für die Überzeugungsbildung des Gerichts relevant sein könne. Vielmehr berge die wörtliche Wiedergabe der Äußerung die Gefahr der Vorverurteilung des Klägers, in dem sie diesen als einen sexgetriebenen Menschen darstelle. Die Berichterstattung sei geeignet, das Bild des Klägers nachhaltig und massiv zu beeinträchtigen, ohne einen für das Straf- und Ermittlungsverfahren relevanten Beitrag zu leisten.
37Die streitgegenständliche Berichterstattung sei auch unter keinem anderen rechtlichen Gesichtspunkt zulässig. Vielmehr verletze sie den Kläger in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Aufgrund des Inhalts der Äußerung („von vorauseilendem Priapismus gebeutelt“) sei die Intimsphäre des Klägers betroffen, welche unter dem absoluten Schutz vor den Einblicken der Öffentlichkeit stehe. Die Bezeichnung Priapismus umschreibe den pathologischen Zustand einer schmerzhaften Dauererektion. In dem hier verwendeten umgangssprachlichen Sinne werde der starke Sexualtrieb des Klägers durch die Äußerung verdeutlicht. Die Frage der Betroffenheit der Intimsphäre könne jedoch letztlich dahinstehen, da jedenfalls der Kernbereich der Privatsphäre des Klägers in rechtswidriger Weise betroffen sei. Der Schutz der vorliegend thematisierten Intim- bzw. Privatsphäre sei erst dann abzusprechen, wenn der Betroffene sein Sexualleben selbst öffentlich ausgebreitet habe, was indes zu verneinen sei. Zum einen sei der Geheimhaltungswille des Klägers im Hinblick auf den Blog-Eintrag erkennbar, insbesondere die streitgegenständliche Äußerung unter dem Pseudonym „E“ gepostet worden. Im Übrigen sei der Kläger zwar in der Öffentlichkeit aufgetreten und habe der Presse mehrere Interviews gegeben. Der Kläger habe aber weder seine Intimsphäre thematisiert noch sich im Hinblick auf sein Privatleben und seine Beziehungen in einer Weise geäußert, die die vorliegende Berichterstattung rechtfertigen könne.
38Der Einwand der Beklagten, die Wiedergabe der Äußerung sei aufgrund der öffentlichen Diskussion über das moralisch höchst verwerfliche Verhalten des Klägers gegenüber seinen Partnerinnen entwickelt worden, sei unerheblich. Zum einen könne die öffentliche Erörterung seines Privatlebens nur insofern gerechtfertigt sein, als dieses eine Bedeutung für das Ermittlungs- und Strafverfahren habe. Zum anderen trage die angegriffene Äußerung auch nicht zu dieser öffentlichen Diskussion bei, sondern stelle, insbesondere auch aufgrund der wörtlichen Wiedergabe, einen besonders schweren Eingriff jedenfalls in den Kernbereich der Privatsphäre des Klägers dar, ohne einen besonderen Informationswert zu enthalten. Die sprachliche Fassung eines bestimmten Gedankeninhalts sei Ausfluss der Persönlichkeit des Verfassers. Grundsätzlich stehe daher allein dem Verfasser die Befugnis zu, darüber zu entscheiden, ob und in welcher Form seine Aufzeichnungen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht würden.
39Schließlich beziehe sich die streitgegenständliche Äußerung erkennbar auf den Kläger. Zwar werde in der Berichterstattung nicht ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Kläger die Redewendung auf sich selbst bezogen habe. Ausreichend sei jedoch, dass der unbefangene Durchschnittsleser die streitgegenständliche Äußerung zumindest auch dahingehend verstehen könne, der Kläger umschreibe mit der Redewendung seine eigene Situation. Dies sei vorliegend unzweifelhaft zu bejahen. Denn in dem Beitrag werde deutlich, dass die Äußerung gegenüber einer seiner Freundinnen gefallen sei.
40Zuletzt könne der Kläger (mit Erfolg) die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten verlangen.
41Wegen der weiteren Begründung der erstinstanzlichen Entscheidung wird ergänzend auf das angegriffene Urteil (Bl. 343 ff. d.A.) Bezug genommen.
42Mit ihrer Berufung verfolgen die Beklagten ihre Klageabweisungsbegehren weiter.
43Sie sind der Auffassung, die streitgegenständlichen Berichterstattungen wiesen einen unmittelbaren Bezug zu dem Ermittlungs- und Strafverfahren auf. Insbesondere der Umstand der (mehrfachen) Untreue des Klägers habe in unmittelbarem Zusammenhang mit dem erhobenen Strafvorwurf gestanden. Das Landgericht Mannheim habe sich im Strafurteil ausführlich mit der elektronischen Kommunikation zwischen dem Kläger und der Nebenklägerin (des Strafverfahrens) bzw. zwischen dem Kläger und den weiteren (im Strafverfahren vernommenen) Zeuginnen auseinandergesetzt und unter Würdigung des Wortlauts der Mitteilungen des Klägers dessen Verhalten bei der Beziehungsanbahnung untersucht, dieses als „initiativ“ und „offensiv“ bewertet, was wiederum für die Glaubwürdigkeit der Einlassung des Klägers von Relevanz gewesen sei.
44Die Beklagten meinen, das Landgericht habe den Sinngehalt der streitgegenständlichen Äußerung verkannt. Denn wiedergegeben werde die Äußerung als Kommentar des Klägers, ohne dass mitgeteilt werde, auf welche Person und auf welchen Sachverhalt der Kläger den Kommentar bezogen habe; der Bericht beinhalte keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger seinen Kommentar auf sich bezogen habe. Hinzu komme, dass ausdrücklich aufgeführt sei, dass der Kläger die Äußerung im Scherz gesagt, also nicht ernst gemeint habe. Die streitgegenständliche Äußerung sei eindeutig und bestehe bloß in der Wiedergabe eines Zitats.
45Scheide aber ein Eingriff in die Privat- oder Intimsphäre des Klägers aus, mangele es an einer äußerungsrechtlichen Betroffenheit des Klägers durch das wahrheitsgemäße Zitat, weil dieses keinerlei Eingriffscharakter habe.
46Benutzer eines Blogs könnten aufgrund deren Rahmenbedingungen nicht davon ausgehen, dass die Vertraulichkeit ihrer Äußerung gewahrt bleibe. Schon gar nicht sei der Adressat einer Äußerung verpflichtet, die Vertraulichkeit der Äußerung eines Dritten zu wahren. Die Beklagten hätten bloß die zuvor öffentlich bekannt gewordene Erklärung der Adressatin der Äußerung des Klägers zitiert.
47Schließlich betreffe die Berichterstattung moralisch verwerfliche Verhaltensweisen einer prominenten Person, nämlich die Untreue im Verhältnis zu mehreren Frauen, zu denen der Kläger parallel intime Beziehungen unterhalten habe, ohne sie über diesen Umstand aufzuklären. Die wahrheitsgemäße Berichterstattung belege eine Episode dieser Verhaltensweisen. Dem Zitat selbst (dessen Wortlaut) komme in diesem Zusammenhang keine eigenständige Eingriffseignung zu; die scherzhafte Verwendung des Begriffs „vorauseilender Priapismus“ sei nicht geeignet, den Zitierten in der Öffentlichkeit herabzuwürdigen oder verächtlich zu machen. Jedenfalls sei ein Bericht hierüber angesichts des Informationsinteresses über eine moralisch verwerfliche Verhaltensweise zulässig.
48Die Beklagten beantragen,
49unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Köln vom 9.07.2014 - 28 O 487/13 - die Klage insgesamt abzuweisen.
50Der Kläger beantragt,
51die Berufung zurückzuweisen.
52Er ist der Auffassung, aus dem Kontext der Berichterstattung ergebe sich, dass er die streitgegenständliche Redewendung auf sich selbst bezogen habe; jedenfalls sei die Darstellung in den Artikeln mehrdeutig. Aufgrund der Verwendung eines Pseudonyms habe der Kläger davon ausgehen dürfen, dass Dritte ihn nicht mit den betreffenden Äußerungen in Verbindung bringen können.
53Der Kläger habe in der Öffentlichkeit nicht vorgegeben, eine bestimmte Art von Beziehungsleben zu führen; aufgetreten sei er lediglich in beruflicher Funktion. Deswegen habe auch kein Berichterstattungsinteresse mit Blick auf eine Leitbild- und Kontrastfunktion bestanden.
54II.
55Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Allerdings war der Tenor des angefochtenen Urteils im Wege der Berichtigung nach § 319 ZPO zu ändern.
561.
57Gemäß § 319 ZPO hatte eine Berichtigung des Tenors zu erfolgen, die der Senat im Berufungsverfahren vornehmen kann (vgl. BGHZ 133, 191). Denn der Kläger hatte mit seinem dem Wortlaut nach ebenfalls auf die Berichterstattung unter C2.de bezogenen Antrag zu 3. begehrt, die Berichterstattung wie in der C geschehen zu verbieten, was seinem Antrag im Wege der Auslegung zu entnehmen und vom Landgericht übersehen worden ist. Jedenfalls hat der Kläger aber im Berufungsverfahren seinen Antrag insoweit in zulässiger Weise geändert, ohne dass die Beklagten dem entgegengetreten sind.
582.
59Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Landgericht einen Anspruch des Klägers auf Unterlassung aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 analog, § 823 Abs. 1 BGB in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK bejaht. Die Beklagten haben in rechtswidriger Weise in das Recht des Klägers auf Schutz seiner Persönlichkeit und Achtung seines Privatlebens eingegriffen, indem sie über einen von ihm anonym und im Vertrauen auf die Wahrung der Anonymität abgegebenen Kommentar mindestens aus seiner Privatsphäre berichtet haben (a), ohne dass dieser Eingriff gerechtfertigt wäre (b), und zwar auch nicht im Rahmen einer Verdachtsberichterstattung (c).
60a) Der Senat teilt die Auffassung des Landgerichts, dass die Beklagten in den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers eingegriffen haben.
61aa) Dass und insbesondere mit welchem Wortlaut der Kläger in einem Blog einer Freundin einen Eintrag dieser unter einem Pseudonym kommentiert, betrifft seine Vertraulichkeitssphäre sowie sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung als Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (vgl. BGH, Urt. v. 30.09.2014 - VI ZR 490/12, AfP 2014, 534), nämlich unabhängig von Aussagewert der diesbezüglichen Berichterstattung schon unter dem Aspekt der Preisgabe von nicht für die breite Öffentlichkeit bestimmter Kommunikation.
62Die gilt auch unter der Prämisse, dass der Blog öffentlich einsehbar war. Denn da der Kläger seinen Kommentar auf einem privat betriebenen, nicht in der breiten Öffentlichkeit bekannten Blog unter einem Pseudonym abgegeben hat, und deswegen grundsätzlich davon ausgehen durfte, von anderen Personen als der Blogbetreiberin nicht ohne weiteres erkannt zu werden, handelte es sich letztlich um eine private Kommunikation zwischen ihm und der Blogbetreiberin. Vom Schutz der Privatsphäre wird auch der Geheimhaltungswille in Bezug auf solche Mitteilungen umfasst, die über die Person des sich Äußernden selbst nichts aussagen, die aber einem Vertrauten in der Erwartung gemacht werden, dass er sie für sich behalten werde (vgl. BGH, Urt. v. 10.03.1987 - VI ZR 244/85 -, NJW 1987, 2667), was hier jedenfalls für die Weitergabe an eine breite Öffentlichkeit unter Preisgabe der Identität des Klägers gilt. Die Privatheit der Kommunikation erschließt sich im Übrigen aus deren - nicht in der Berichterstattung wiedergegebenen - Inhalt, nämlich soweit der Kläger hiernach seinen Kommentar in Bezug auf ein Foto der Klägerin abgegeben und die beanstandete Redewendung ersichtlich auf sich bezogen hat. Angesichts dessen, dass der Kläger sich auf einem privaten Blog unter Verwendung eines Pseudonyms geäußert hat, kann ihm auch keine Einwilligung in die Veröffentlichung unterstellt werden, die hier vielmehr gegen seinen Willen erfolgt ist. Der Kläger musste auch nicht von vorneherein damit rechnen, dass sein Kommentar in die Öffentlichkeit gelangt; die Gefahr einer Identifizierung durch eine ihm vertraute Person war jedenfalls nicht wesentlich höher als im Falle einer Versendung einer E-Mail an einen einzelnen Adressaten (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 30.09.2014 - VI ZR 490/12, AfP 2014, 534).
63bb) Darüber hinaus ist angesichts der mit der Wortberichterstattung über den Kommentar verbundenen Aussage mindestens die Privatsphäre des Klägers betroffen.
64Nach dem gleichlautenden Inhalt der Berichte kann der Leser nur den Schluss ziehen, dass der Kläger seinen Kommentar auf sich bezogen hat. Wenn der Kläger - wie berichtet wurde - einen Beitrag „seiner neuen Freundin“ mit der beanstandeten Redewendung kommentiert, können sich der Kommentar und die darin enthaltene Redewendung nur auf ihn selbst beziehen (auf wen auch sonst?). Hinzu kommt, dass später noch über das den Kommentar auslösende Foto der neuen Freundin berichtet wird, woraus ein verständiger Leser wiederum nur schließen kann, dass sich der Kommentar auf eben dieses Foto bezieht und damit erkennbar die Reaktion des Klägers auf das Foto betrifft. Jedenfalls ist aber ein solches Verständnis des Berichts nicht fernliegend und daher unter Berücksichtigung der Stolpe-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 114, 339) im Hinblick auf den streitgegenständlichen Unterlassungsanspruch zugrunde zu legen.
65Sind die Berichte der Beklagten in dieser Weise zu verstehen, geht ihr Aussagewert aber noch in das Persönlichkeitsrecht des Klägers betreffender Weise hierüber hinaus, und zwar auch dann, wenn man berücksichtigt, dass die Berichte einen Hinweis darauf enthalten, dass der Kläger die Redewendung häufiger „im Scherz“ benutzt hat. Denn Letzteres schließt allenfalls aus, dass der Kläger tatsächlich eine „vorauseilende Dauererektion“ hatte, nicht aber, dass er sich bereits vom Foto seiner Freundin sexuell erregt fühlte und eben dies gegenüber ihr andeuten wollte. Ein Bericht über eine private Kommunikation des Klägers mit derartigen Andeutungen über eine sexuelle Erregung betrifft mindestens die Privatsphäre des Klägers.
66b) Die Beeinträchtigungen des Persönlichkeitsrechts des Klägers sind rechtswidrig.
67aa) Wegen der Eigenart des Persönlichkeitsrechts als eines Rahmenrechts liegt seine Reichweite nicht absolut fest, sondern muss erst durch eine Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange bestimmt werden, bei der die besonderen Umstände des Einzelfalls sowie die betroffenen Grundrechte und Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention interpretationsleitend zu berücksichtigen sind. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt. Im Streitfall ist das durch Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleistete Interesse des Klägers am Schutz seiner Persönlichkeit mit dem in Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 Abs. 1 EMRK verankerten Recht der Beklagten auf Meinungs- und Medienfreiheit abzuwägen (vgl. BGH, Urt. v. 30.09.2014 - VI ZR 490/12, AfP 2014, 534).
68bb) Das Interesse des Klägers an der Geheimhaltung seines den Kernbereich privater Lebensgestaltung betreffenden Verhaltens überwiegt das Interesse der Beklagten an einer Berichterstattung, insbesondere im Hinblick auf den von den Beklagten wörtlich wiedergegebenen Kommentar.
69(1) Zwar erfolgte der (erste) Einbruch in die Vertraulichkeitssphäre nicht durch die Beklagten, weil nicht sie den Kläger identifiziert, sondern die Identifizierung des Klägers durch eine andere Person ausgenutzt haben. Die Beklagten haben den Einbruch in die Vertraulichkeitssphäre des Klägers jedoch vertieft, weil sie dessen anonym abgegebenen, seine Privatsphäre betreffenden Kommentar in die Öffentlichkeit getragen haben.
70(2) Dem steht kein hinreichendes Informationsinteresse der Öffentlichkeit gegenüber; erst Recht haben die Informationen keinen hohen "Öffentlichkeitswert" (vgl. BGH, Urt. v. 30.09.2014 - VI ZR 490/12, AfP 2014, 534).
71Zwar ist das Informationsinteresse der Öffentlichkeit durch die prominente Stellung des Klägers erhöht (vgl. BGH, Urt. v. 19.03.2013 - VI ZR 93/12 -, NJW 2013, 1681) und darf über diesen als prominente Person in größerem Umfang berichtet werden, wenn die Information einen hinreichenden Nachrichtenwert mit Orientierungsfunktion im Hinblick auf eine die Allgemeinheit interessierende Sachdebatte hat und die Abwägung keine schwerwiegenden Interessen des Betroffenen ergibt, die einer Veröffentlichung entgegenstehen (vgl. BGH, Urt. v. 01.07.2008 - VI ZR 243/06 -, NJW 2008, 3138).
72Es ist jedoch nicht ersichtlich, welches Interesse an einer Berichterstattung über die Einzelheiten der privaten Kommunikation des Klägers mit der Blogbetreiberin bestehen sollte, zumal die Beklagten darüber, dass der Kläger Beziehungen zu mehreren Frauen hatte, über den von den Beklagten in den Vordergrund gerückten Untreuevorwurf sowie letztlich auch über die Kontaktanbahnung über das Internet, ja sogar über die Art und Weise des Auffindens der neuen Freundin durch die - vom Kläger betrogene - frühere Freundin des Klägers auch hätten berichten können, ohne die Einzelheiten der privaten Kommunikation wörtlich wiederzugeben.
73Dabei verkennt der Senat nicht, dass es den Medien selbst obliegt, nach publizistischen Kriterien über Gegenstand und Inhalt ihrer Berichterstattung sowie darüber zu entscheiden, was öffentliches Interesse beansprucht (vgl. BGHZ 178, 213; BVerfGE 120, 180). Die Gewichtung des Informationsinteresses zum Zweck der Abwägung mit gegenläufigen Interessen der Betroffenen obliegt im Fall eines Rechtsstreits jedoch den Gerichten (vgl. BGHZ 178, 213; BVerfGE 120, 180).
74Insbesondere der Wortlaut des Kommentars hatte indes keinen maßgebenden Informationswert für die Öffentlichkeit, weder im Zusammenhang mit den ursprünglich gegen den Kläger erhobenen strafrechtlichen Vorwürfen noch mit Rücksicht auf die Bekanntheit des Klägers in der Öffentlichkeit und seiner damit verbundenen Leitbild- und Kontrastfunktion. Dem wörtlichen Zitat kommt daher weder ein besonderer Dokumentationswert im Rahmen der Berichterstattung zu noch dient es dem Beleg und der Verstärkung des Aussagegehalts; es hat deswegen weder besondere Überzeugungskraft noch kommt ihm erhebliche Bedeutung für die öffentliche Meinungsbildung zu (vgl. BGH, Urt. v. 30.09.2014 - VI ZR 490/12, AfP 2014, 534).
75Vielmehr dient ein Bericht über die (häufige) Verwendung der nicht alltäglichen Redewendung durch den Kläger allein der Befriedigung der Neugier der Öffentlichkeit. Zugleich geht es in der Sache um mehr als eine bloße Indiskretion der Adressatin des vom Kläger verfassten Kommentars, weil eben nicht nur die Privatheit und Vertraulichkeit der Kommunikation des Klägers mit der Blogbetreiberin betroffen ist (vgl. BGH, Urt. v. 10.03.1987 - VI ZR 244/85 -, NJW 1987, 2667), sondern angesichts dessen, dass der wiedergegebene Kommentar sich auf den Kläger bezieht und die Andeutung einer sexuellen Erregung enthält, über den Kernbereich des Privatlebens des Klägers berichtet wird. Mit dem Landgericht ist der Senat dabei der Auffassung, dass die wörtliche Wiedergabe des Zitats einen eigenständigen Eingriff begründet. Nicht nur wegen der wörtlichen Wiedergabe des vom Kläger verfassten, allein an seine „neue Freundin“ gerichteten Gedankeninhalts selbst, sondern auch wegen dessen Inhalts, nämlich der Andeutung einer sexuellen Erregung des Klägers gegenüber der Blogbetreiberin, haben die Berichte einen anderen Aussagewert und waren auch und insbesondere angesichts des gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Vorwurfs geeignet, das Bild des Klägers in der Öffentlichkeit zu beeinträchtigen, nämlich ihm einen - starken und rücksichtslosen - Sexualtrieb zu unterstellen.
76cc) Die Berichterstattung ist auch nicht aufgrund einer - sich auf den Gegenstand der streitgegenständlichen Berichterstattung beziehenden - „Selbstöffnung“ des Klägers durch dessen Auftreten in der Öffentlichkeit vor und nach dem Strafverfahren sowie währenddessen gerechtfertigt. Insoweit kann zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Erwägungen des Landgerichts verwiesen werden; der Kläger hat sich jedenfalls nicht im Hinblick auf seine privaten Beziehungen und schon gar nicht hinsichtlich privater Kommunikation mit sexuellen Andeutungen geöffnet.
77c) Schließlich stellen die streitgegenständlichen Veröffentlichungen keine zulässigen Verdachtsberichterstattungen dar. Vielmehr steht der persönliche Blog-Eintrag des Klägers in keinem (hinreichenden) Zusammenhang mit dem gegen ihn geführten Ermittlungsverfahren, was aber Voraussetzung einer zulässigen Verdachtsberichterstattung ist (vgl. BGH, Urt. v. 19.03.2013 - VI ZR 93/12 -, NJW 2013, 168; Senat, Urt. v. 15.11.2011 ‑ 15 U 60/11 -, AfP 2012, 66).
78Ob der Kläger in einer privaten Kommunikation mit einer Freundin Andeutungen über seine sexuelle Erregung unter Verwendung einer bestimmten Redewendung macht, ist für den im Ermittlungs- und Strafverfahren ursprünglich erhobenen Vorwurf der Vergewaltigung ohne Belang. Zwar versuchen die Beklagten einen Bezug zum Strafverfahren herzustellen, indem sie auf private Kommunikation zwischen dem Kläger und der dortigen Nebenklägerin sowie weiteren Frauen in Bezug nehmende Erwägungen des Landgerichts Mannheim dazu verweisen, wie der Kläger die Anbahnung und den weiteren Verlauf seiner Beziehung zur Nebenklägerin im Strafverfahren dargestellt hat. Dass überhaupt und - wenn ja - welchen Wert die wörtliche Wiedergabe des Kommentars des Klägers für den Vorwurf der Vergewaltigung oder auch nur die in Bezug genommenen Erwägungen des Landgerichts im Strafurteil haben sollte, ist jedoch weder von den Beklagten dargetan noch anderweit ersichtlich. Hinzu kommt, dass zum Zeitpunkt der Berichterstattung nicht einmal die Hauptverhandlung eröffnet und damit auch nicht abzusehen war, in welchem Umfang die Strafkammer die private Kommunikation des Klägers mit der Nebenklägerin und seinen weiteren Partnerinnen in den Strafprozess oder gar in das Urteil überhaupt einbeziehen werden würde. Schließlich wurde unstreitig die von den Beklagten in Bezug genommene Kommunikation tatsächlich nicht öffentlich verhandelt und das den Kläger freisprechende Urteil (insoweit) nicht veröffentlicht.
793.
80Wegen der vom Landgericht zugesprochenen Kosten der anwaltlichen Abmahnungen kann zuletzt auf zutreffenden und nicht ergänzungsbedürftigen Erwägungen des Landgerichts verwiesen werden.
814.
82Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.
835.
84Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht vorliegen. Weder kommt der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung zu noch erfordern Belange der Rechtsfortbildung oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs; vielmehr hat der Senat im Einzelfall über Veröffentlichung unter Abwägung zwischen den Belangen der Parteien entschieden.
85Berufungsstreitwert: 100.000,00 €.
(1) Wird die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand oder eine Wiederaufnahme des Verfahrens beantragt oder die Rüge nach § 321a erhoben oder wird der Rechtsstreit nach der Verkündung eines Vorbehaltsurteils fortgesetzt, so kann das Gericht auf Antrag anordnen, dass die Zwangsvollstreckung gegen oder ohne Sicherheitsleistung einstweilen eingestellt werde oder nur gegen Sicherheitsleistung stattfinde und dass die Vollstreckungsmaßregeln gegen Sicherheitsleistung aufzuheben seien. Die Einstellung der Zwangsvollstreckung ohne Sicherheitsleistung ist nur zulässig, wenn glaubhaft gemacht wird, dass der Schuldner zur Sicherheitsleistung nicht in der Lage ist und die Vollstreckung einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde.
(2) Die Entscheidung ergeht durch Beschluss. Eine Anfechtung des Beschlusses findet nicht statt.
(1) Wird gegen ein für vorläufig vollstreckbar erklärtes Urteil der Einspruch oder die Berufung eingelegt, so gelten die Vorschriften des § 707 entsprechend. Die Zwangsvollstreckung aus einem Versäumnisurteil darf nur gegen Sicherheitsleistung eingestellt werden, es sei denn, dass das Versäumnisurteil nicht in gesetzlicher Weise ergangen ist oder die säumige Partei glaubhaft macht, dass ihre Säumnis unverschuldet war.
(2) Wird Revision gegen ein für vorläufig vollstreckbar erklärtes Urteil eingelegt, so ordnet das Revisionsgericht auf Antrag an, dass die Zwangsvollstreckung einstweilen eingestellt wird, wenn die Vollstreckung dem Schuldner einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde und nicht ein überwiegendes Interesse des Gläubigers entgegensteht. Die Parteien haben die tatsächlichen Voraussetzungen glaubhaft zu machen.
(3) Die Entscheidung ergeht durch Beschluss.
(1) Wer entgegen den §§ 9 bis 13 eine patentierte Erfindung benutzt, kann von dem Verletzten auf unverzügliche Auskunft über die Herkunft und den Vertriebsweg der benutzten Erzeugnisse in Anspruch genommen werden.
(2) In Fällen offensichtlicher Rechtsverletzung oder in Fällen, in denen der Verletzte gegen den Verletzer Klage erhoben hat, besteht der Anspruch unbeschadet von Absatz 1 auch gegen eine Person, die in gewerblichem Ausmaß
- 1.
rechtsverletzende Erzeugnisse in ihrem Besitz hatte, - 2.
rechtsverletzende Dienstleistungen in Anspruch nahm, - 3.
für rechtsverletzende Tätigkeiten genutzte Dienstleistungen erbrachte oder - 4.
nach den Angaben einer in Nummer 1, 2 oder Nummer 3 genannten Person an der Herstellung, Erzeugung oder am Vertrieb solcher Erzeugnisse oder an der Erbringung solcher Dienstleistungen beteiligt war,
(3) Der zur Auskunft Verpflichtete hat Angaben zu machen über
- 1.
Namen und Anschrift der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer der Erzeugnisse oder der Nutzer der Dienstleistungen sowie der gewerblichen Abnehmer und Verkaufsstellen, für die sie bestimmt waren, und - 2.
die Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie über die Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse oder Dienstleistungen bezahlt wurden.
(4) Die Ansprüche nach den Absätzen 1 und 2 sind ausgeschlossen, wenn die Inanspruchnahme im Einzelfall unverhältnismäßig ist.
(5) Erteilt der zur Auskunft Verpflichtete die Auskunft vorsätzlich oder grob fahrlässig falsch oder unvollständig, so ist er dem Verletzten zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.
(6) Wer eine wahre Auskunft erteilt hat, ohne dazu nach Absatz 1 oder Absatz 2 verpflichtet gewesen zu sein, haftet Dritten gegenüber nur, wenn er wusste, dass er zur Auskunftserteilung nicht verpflichtet war.
(7) In Fällen offensichtlicher Rechtsverletzung kann die Verpflichtung zur Erteilung der Auskunft im Wege der einstweiligen Verfügung nach den §§ 935 bis 945 der Zivilprozessordnung angeordnet werden.
(8) Die Erkenntnisse dürfen in einem Strafverfahren oder in einem Verfahren nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten wegen einer vor der Erteilung der Auskunft begangenen Tat gegen den Verpflichteten oder gegen einen in § 52 Abs. 1 der Strafprozessordnung bezeichneten Angehörigen nur mit Zustimmung des Verpflichteten verwertet werden.
(9) Kann die Auskunft nur unter Verwendung von Verkehrsdaten (§ 3 Nummer 70 des Telekommunikationsgesetzes) erteilt werden, ist für ihre Erteilung eine vorherige richterliche Anordnung über die Zulässigkeit der Verwendung der Verkehrsdaten erforderlich, die von dem Verletzten zu beantragen ist. Für den Erlass dieser Anordnung ist das Landgericht, in dessen Bezirk der zur Auskunft Verpflichtete seinen Wohnsitz, seinen Sitz oder eine Niederlassung hat, ohne Rücksicht auf den Streitwert ausschließlich zuständig. Die Entscheidung trifft die Zivilkammer. Für das Verfahren gelten die Vorschriften des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit entsprechend. Die Kosten der richterlichen Anordnung trägt der Verletzte. Gegen die Entscheidung des Landgerichts ist die Beschwerde statthaft. Die Beschwerde ist binnen einer Frist von zwei Wochen einzulegen. Die Vorschriften zum Schutz personenbezogener Daten bleiben im Übrigen unberührt.
(10) Durch Absatz 2 in Verbindung mit Absatz 9 wird das Grundrecht des Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10 des Grundgesetzes) eingeschränkt.
(1) Wer zum Schadensersatz verpflichtet ist, hat den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre.
(2) Ist wegen Verletzung einer Person oder wegen Beschädigung einer Sache Schadensersatz zu leisten, so kann der Gläubiger statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Bei der Beschädigung einer Sache schließt der nach Satz 1 erforderliche Geldbetrag die Umsatzsteuer nur mit ein, wenn und soweit sie tatsächlich angefallen ist.
Der zu ersetzende Schaden umfasst auch den entgangenen Gewinn. Als entgangen gilt der Gewinn, welcher nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge oder nach den besonderen Umständen, insbesondere nach den getroffenen Anstalten und Vorkehrungen, mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte.
(1) Wird die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand oder eine Wiederaufnahme des Verfahrens beantragt oder die Rüge nach § 321a erhoben oder wird der Rechtsstreit nach der Verkündung eines Vorbehaltsurteils fortgesetzt, so kann das Gericht auf Antrag anordnen, dass die Zwangsvollstreckung gegen oder ohne Sicherheitsleistung einstweilen eingestellt werde oder nur gegen Sicherheitsleistung stattfinde und dass die Vollstreckungsmaßregeln gegen Sicherheitsleistung aufzuheben seien. Die Einstellung der Zwangsvollstreckung ohne Sicherheitsleistung ist nur zulässig, wenn glaubhaft gemacht wird, dass der Schuldner zur Sicherheitsleistung nicht in der Lage ist und die Vollstreckung einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde.
(2) Die Entscheidung ergeht durch Beschluss. Eine Anfechtung des Beschlusses findet nicht statt.