Schleswig-Holsteinisches Landesverfassungsgericht Beschluss, 15. März 2017 - LVerfG 2/17

ECLI:ECLI:DE:LVGSH:2017:0315.LVERFG2.17.0A
15.03.2017

Tenor

Die Nichtanerkennungsbeschwerde wird verworfen.

Gründe

A.

1

Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Ablehnung der Anerkennung als Partei für die Wahl zum 19. Landtag von Schleswig-Holstein.

2

Die Beschwerdeführerin wurde am 28. Dezember 2016 in N. in Holstein gegründet. Bei dem Gründungsparteitag waren drei Mitglieder anwesend. Es bestehen ein Bundesverband und ein Landesverband in Schleswig-Holstein. Es existiert eine Internetseite, die Informationen sowohl bezüglich des Bundes- als auch des Landesverbandes enthält. Dort befand sich – zumindest noch bis zum 28. Februar 2017 – unter der Rubrik „Landtagswahlen“ ein Verweis auf ein noch nicht veröffentlichtes Landtagswahlprogramm. Unter der Rubrik „Bundestagswahl“ befindet sich ein Link zu dem Bundestagswahlprogramm. Im Weiteren beinhaltet die Internetseite überblicksartige Informationen zu der Vereinigung und ihren Zielen, einen Link zu dem Grundsatzprogramm sowie Hinweise, wie der Beschwerdeführerin Spenden zukommen können oder Interessierte Mitglied werden können. Informationen zu Veranstaltungen der Beschwerdeführerin sind der Internetseite nicht zu entnehmen. Im Impressum ist als verantwortlich für den Inhalt die INITATIVE146 Deutschland, vertreten durch die Bundesvorsitzende X angegeben.

3

Mit Datum vom 1. Januar 2017 wurde unter dem Namen X auf der Internetseite www.freitag.de ein Blogeintrag veröffentlicht, in dem das Auftreten der „INI146“ als Partei und Gründe hierfür mitgeteilt werden. Zugleich wurde zur Gründung von Landesverbänden aufgerufen und darum gebeten, die Gedanken der Vereinigung in die Öffentlichkeit zu tragen und gemeinsam die Landtagswahlen und Bundestagswahl 2017 anzugehen. Eine im Wesentlichen inhaltsgleiche Ankündigung wurde als Pressemeldung am 1. Januar 2017 auch auf der Internetseite www.sozilaticker.com veröffentlicht. Frau X ist auf der Internetseite www.freitag.de unter Hinweis auf ihre Eigenschaft als Vorsitzende der „neu gegründeten Partei INI146“ seit dem 1. Januar 2017 aktiv. Sie hat einen weiteren Blogeintrag zur Abschaffung der 5-Prozent-Hürde mit Datum vom 2. Januar 2017 verfasst sowie mehrere Beiträge anderer Autoren – teilweise unter ausdrücklichem Hinweis auf die INITATIVE146 im Text – kommentiert.

4

Am 30. Dezember 2016 zeigte die Beschwerdeführerin dem Landeswahlleiter ihre geplante Beteiligung an der Wahl zum Landtag an. Die von drei Mitgliedern des Landesvorstandes, darunter der Landesvorsitzenden, unter dem 28. Dezember 2016 unterzeichnete Beteiligungsanzeige enthielt die Angabe des Namens, unter dem sich die Vereinigung beteiligen will, sowie ihre Kurzbezeichnung. Der Anzeige waren die Satzung der Bundespartei, Stand: 28. Dezember 2016, die der Landesverband für sich übernommen hatte, das Grundsatzprogramm der Partei und das Protokoll des Gründungsparteitages vom 28. Dezember 2016 zum Nachweis der satzungsgemäßen Bestellung des Landevorstandes Schleswig-Holstein beigefügt. Im Briefkopf war der Landesverband als Absender der Beteiligungsanzeige genannt.

5

Ebenfalls unter dem 28. Dezember 2017 zeigte die INITATIVE146 Deutschland bei dem Bundeswahlleiter die Parteigründung sowie die Beteiligung an der Wahl zum 19. Bundestag an. Seit dem 17. Januar 2017 ist die INITIATIVE146 Deutschland bei dem Bundeswahlleiter registriert.

6

Mit Schreiben vom 2. Januar 2017 bat der Landeswahlleiter die Beschwerdeführerin um Stellungnahme, ob sie bereits in Gebietsverbände gegliedert sei, über wie viele Mitglieder sie verfüge sowie auf welche Weise der Landesverband in der Öffentlichkeit in Erscheinung getreten sei. Eine Reaktion der Beschwerdeführerin gegenüber dem Landeswahlleiter oder dem Landeswahlausschuss erfolgte nicht.

7

Zu der Sitzung des Landeswahlausschusses vom 24. Februar 2017 zu dem die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 16. Februar 2017 eingeladen wurde, erschien kein Vertreter der Beschwerdeführerin.

8

In der Sitzung vom 24. Februar 2017 stellte der Landeswahlausschuss einstimmig die Nichtanerkennung der Beschwerdeführerin als Partei für die Landtagswahl 2017 fest und gab dies bekannt. Zwar seien die formellen Voraussetzungen im Hinblick auf die Beteiligungsanzeige durch die Beschwerdeführerin gewahrt worden. Die vorliegenden Informationen ließen aber nicht den Schluss zu, dass die Beschwerdeführerin ihre erklärte Absicht einer Mitwirkung an der politischen Willensbildung im Schleswig-Holsteinischen Landtag ernsthaft verfolge. Zu den subjektiven Anforderungen an eine Partei gehöre es, dass mit ihrer Gründung eine ständige Mitwirkung an der politischen Willensbildung des Volkes ernstlich beabsichtigt sei. Auch in der Gründungsphase müssten Parteien ansatzweise, mit wachsendem Abstand zum Gründungsdatum zunehmend in der Lage sein, die ihnen nach dem Parteiengesetz zugedachten Aufgaben wirksam zu erfüllen. Dies sei bei der Beschwerdeführerin gegenwärtig nicht der Fall. Dass sie mittlerweile über mehr als die drei Gründungsmitglieder verfüge sei ebenso wenig vorgetragen oder sonst erkennbar wie ein Hervortreten in der Öffentlichkeit mit zielgerichteten Aktivitäten im Hinblick auf eine Teilnahme an der Landtagswahl 2017.

9

Am selben Tag wurde die Beschwerdeführerin per E-Mail über die Entscheidung des Landeswahlausschuss unter Hinweis auf die bestehende Beschwerdemöglichkeit bei dem Landesverfassungsgericht informiert. Ein Auszug aus der Niederschrift der Sitzung des Landeswahlausschuss wurde an diesem Tag nicht übersandt. Dies wurde am 27. Februar 2017 um 16:52 Uhr durch Übersendung per E-Mail nachgeholt.

10

Gegen die Nichtanerkennung hat die Beschwerdeführerin am 27. Februar 2017 um 11:26 Uhr Beschwerde erhoben.

11

In der Beschwerdeschrift wurde als Beschwerdeführerin „die INITIATIVE146 (INI) Deutschland in Verbindung mit der INITIATIVE146 (INI146), Landesverband Schleswig-Holstein,“ angegeben. Im Briefkopf war allein die Kurzbezeichnung „INI146“ benannt. Unterschrieben war die Beschwerde von Frau X. Unterhalb der Unterschrift befand sich die Formulierung „Partei INITATIVE146 (INI146) vertreten durch Bundesvorsitzende X, vertreten durch die Landesvorsitzende des Landesverbandes Schleswig-Holstein, X“. In der Fußzeile der Beschwerdeschrift waren jeweils postalische Erreichbarkeiten der INITATIVE146 Deutschland sowie der INITATIVE146, Landesverband Schleswig-Holstein, angegeben.

12

Zur Begründung trägt die Beschwerdeführerin im Wesentlichen vor, dass alle förmlichen Anforderungen des § 24 Abs. 2 Landeswahlgesetz (LWahlG) von ihr erfüllt seien. Die Parteieigenschaft könne bereits nicht von einem Landeswahlausschuss in Frage gestellt werden, weil diese dann den subjektiven Bewertungskriterien des Landeswahlausschusses unterläge. Dies könnte zu unterschiedlichen Beurteilungen in den Bundesländern führen, was mit dem Gleichbehandlungsgebot des § 5 Abs. 1 Satz 1 Parteiengesetz (PartG) nicht vereinbar sei. Auch finde bei nach § 24 Abs. 1 LWahlG eingereichten Vorschlägen von Parteien und Einzelbewerbern eine subjektive Bewertung über politische Eigenschaften der Kandidatinnen und Kandidaten nicht statt. Darüber hinaus sei es zweifelhaft, ob der Landeswahlausschuss die nötige erforderliche Neutralität bei der Beurteilung aufweise, da dessen Mitglieder von bereits vorhandenen Parteien vorgeschlagen seien. Im Übrigen seien die Anzahl der Mitglieder einer Vereinigung, die Gliederung in Gebietsverbände sowie das In-Erscheinung-Treten in der Öffentlichkeit keine geeigneten Maßstäbe zur Beurteilung der Parteieigenschaft. In Zeiten der modernen Kommunikationsmedien sei eine politische Willensbildung nicht mehr von der Anzahl der Mitglieder abhängig, sondern erfolge über gesellschaftspolitische Foren und Vernetzungsmechanismen. Den Umfang einer Organisation über die Willensbildung des Volkes zu stellen, sei mit Art. 21 GG nicht vereinbar. Weder das Grundgesetz noch das Parteiengesetz regelten, wie viele Mitglieder eine Partei innerhalb welchen Zeitfensters aufweisen und mit welchen Methoden eine Partei ihre Öffentlichkeitsarbeit vorantreiben müsse. Ein messbarer und nachvollziehbarer Handlungsrahmen unter gleichen Bedingungen für alle Bundesländer sei insofern nicht vorhanden.

13

Der Landeswahlleiter führt in seiner Stellungnahme vom 1. März 2017 aus, dass die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 PartG hinsichtlich der Beschwerdeführerin derzeit nicht vorlägen. Zur Begründung wiederholt er die in der Sitzung vom 24. Februar 2017 bereits dargelegten Gründe. Ergänzend führt er aus, dass sich auch aus der Beschwerdeschrift kein abweichendes Bild ergebe. In Ermangelung anderer Informationen, die nach § 24 Abs. 2 Satz 4 LWahlG von der Beschwerdeführerin hätten beigebracht werden müssen, müsse weiterhin davon ausgegangen werden, dass sich der Mitgliederbestand seit der Gründung nicht nennenswert erhöht habe. Zwar lasse sich den wahlrechtlichen Vorschriften eine exakte Mindestmitgliederanzahl, ab welcher eine für die Teilnahme an Landtagswahlen erforderlichen „Verfestigung“ zu bejahen sei, nicht entnehmen. Eine derart geringe Zahl könne jedenfalls nicht ausreichend sein. Hierfür spreche, dass das Engagement von Parteien, die sich für Landtagsmandate bewerben, grundsätzlich landesweit ausgerichtet sein müsse; zudem sei die Aufstellung einer Landesliste nur bei einer weit höheren Mitgliederzahl möglich. Auch aus dem Umstand, dass der Beschwerdeführerin der Verpflichtung, dem Bundeswahlleiter die Parteiunterlagen vorzulegen, nachgekommen sei, folge nichts anderes. Vorliegend sei vielmehr von entscheidendem Gewicht, dass die Beschwerdeführerin bisher nicht mit zielgerichteten Aktivitäten im Hinblick auf eine Teilnahme an der Landtagswahl 2017 in der Öffentlichkeit hervorgetreten sei. Gegen eine im Sinne des § 2 Abs. 1 PartG ausreichende Aufstellung spreche auch das Auftreten des Bundesverbandes im Rahmen des Beschwerdeverfahrens für den für sich genommen faktisch nicht handlungsfähigen Landesverband.

14

Nach dem 28. Februar 2017 wurde auf der Internetseite der INITATIVE146 unter der Rubrik Landtagswahl anstelle des bisherigen Hinweises auf ein zukünftiges Landtagswahlprogramm ein Text eingestellt, in dem über die Entscheidung des Landeswahlausschuss über die Nichtanerkennung berichtet und mitgeteilt wird, dass die Beschwerdeführerin ein Organstreitverfahren vor dem Landesverfassungsgericht mit dem Ziel eingeleitet habe, die Regelungen über die Anerkennung von Parteien sowie die Notwendigkeit von Unterstützungsunterschriften streichen zu lassen. Dies solle dazu dienen, die politischen Verantwortlichen von der politischen Ernsthaftigkeit der INITATIVE146 zu überzeugen. Sonstige Aktivitäten im Hinblick auf die bevorstehende Landtags- beziehungsweise Bundestagswahl entfaltet die Beschwerdeführerin – soweit ersichtlich – nicht. Insbesondere sind keine Veranstaltungen oder anderweitige Öffentlichkeitsarbeit angekündigt.

15

Die Beschwerdeführerin beantragt wörtlich,

1. die INITIATIVE146 (INI146) als vorschlagsberechtigte Partei zur Landtagswahl 2017 zuzulassen;

2. der Beschwerde der Partei INITIATIVE (INI146), gegen die Feststellung des Landeswahlausschusses vom 24.02.2017 gem. § 24 Wahlvorschlagrecht, Beteiligungsanzeige Absatz 6 LWahlG stattzugeben sowie

3. das Landeswahlamt zu rügen, weil bereits durch ein Unterlassen die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt wurde.

B.

16

Die Nichtanerkennungsbeschwerde ist unzulässig (I.). Sie wäre überdies im Falle der Zulässigkeit unbegründet (II.).

I.

17

Die Nichtanerkennungsbeschwerde ist nicht hinreichend im Sinne des § 51 Abs. 2 Satz 2 Landesverfassungsgerichtsgesetz (LVerfGG) begründet worden.

18

1. Gemäß § 24 Abs. 6 Satz 1 LWahlG kann eine Partei oder Vereinigung gegen die Feststellung des Landeswahlausschusses, mit der sie als nicht als Partei anerkannt worden ist, binnen vier Tagen nach der Bekanntgabe Beschwerde zum Landesverfassungsgericht erheben (Nichtanerkennungsbeschwerde, vgl. auch § 51 LVerfGG). § 51 Abs. 2 LVerfGG stellt insoweit klar, dass die Viertagesfrist bereits mit der Bekanntgabe der Entscheidung in der Sitzung des Landeswahlausschusses zu laufen beginnt (Satz 1) und innerhalb der genannten Frist die Beschwerde auch zu begründen ist (Satz 2).

19

Trotz der im Rubrum der Beschwerdeschrift vorgenommenen Aufführung des Bundesverbandes „in Verbindung mit“ dem Landesverband ist Beschwerdeführerin nach der gebotenen Auslegung des Begehrens allein die INITIATIVE146 (INI146), Landesverband Schleswig-Holstein. Mit den Anträgen zu 1. und 2. verfolgt die Beschwerdeführerin das Ziel der Anerkennung der INITIATIVE146 (INI146) als Partei im Sinne des § 24 Abs. 2 LWahlG, da diese Anerkennung zu der begehrten Wahlvorschlagsberechtigung führt. Die Anträge beziehen sich unter Berücksichtigung der verwendeten Kurzbezeichnung „INI146“ auf die Anerkennung der INITIATIVE146, Landesverband Schleswig-Holstein, als Partei mit dem Ziel der Ermöglichung der Einreichung von Wahlvorschlägen und der Teilnahme an der Landtagswahl 2017. Zudem kann nach § 51 Abs. 1 LVerfGG nur eine Vereinigung beschwerdeberechtigt sein, der die Anerkennung als Partei durch den Landewahlausschuss versagt wurde. Allein der Landesverband hat eine Beteiligungsanzeige für die Landtagswahl 2017 eingereicht, nicht aber der Bundesverband.

20

Soweit die Beschwerdeführerin begehrt, das „Landeswahlamt“ – gemeint ist wohl der Landeswahlleiter – zu rügen, weil bereits durch ein Unterlassen die Beschwerdeführerin in ihren Rechten verletzt worden sei, ist ein solcher Antrag bei dem Landesverfassungsgericht nicht statthaft. Er gibt dem Landesverfassungsgericht jedoch Anlass zu dem folgenden Hinweis:

21

Nach § 22 Abs. 4 Satz 3 Landeswahlordnung (LWO) hat die Landeswahlleiterin oder der Landeswahlleiter den Parteien oder Vereinigungen, die durch die Feststellung des Landeswahlausschusses an der Einreichung von Wahlvorschlägen gehindert sind, unverzüglich, spätestens am Tag nach der Sitzung des Landeswahlausschusses, auf schnellstem Wege eine Ausfertigung des sie betreffenden Teils der Niederschrift mit dem nach § 22 Abs. 2 Satz 2 LWO erforderlichen Hinweis auf den Rechtsbehelf der Nichtanerkennungsbeschwerde zu übersenden. Eine förmliche Zustellung ist nicht erforderlich. Die Übersendung der Niederschrift drei Tage nach der Sitzung des Landeswahlausschusses am 27. Februar 2017 erfolgte jedoch in Ansehung der kurzen Beschwerdefrist des § 24 Abs. 6 Satz 1 LWahlG (§ 51 Abs. 2 Satz 1 LVerfGG) nicht mehr unverzüglich in diesem Sinne. Dies könnte daher grundsätzlich Anlass für eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand für die Begründung der Nichtanerkennungsbeschwerde sein und zur Berücksichtigung von nach Ablauf der Beschwerdefrist des § 24 Abs. 6 Satz 1 LWahlG eingegangenen Vortrages führen. Das Landesverfassungsgericht muss sich indes damit nicht näher befassen, weil sich die Beschwerdeführerin auch innerhalb von vier Tagen nach der Übersendung der Niederschrift nicht weiter mit den Argumenten des Landeswahlausschusses auseinander gesetzt hat.

22

2. Die Beschwerdeschrift erfüllt nicht die Anforderungen an die Begründung der Nichtanerkennungsbeschwerde aus § 20 Abs. 1 Satz 2, § 51 Abs. 2 Satz 2 LVerfGG.

23

§ 20 Abs. 1 Satz 2 LVerfGG erfordert, dass eine bestimmte Rechtsverletzung konkret darzulegen ist

(für kommunale Verfassungsbeschwerden: Urteile vom 27. Januar 2017 - LVerfG 5/15 -, Rn. 70 f., und vom 3. September 2012 - LVerfG 1/12 -, LVerfGE 23, 361 ff., Rn. 28 = SchlHA 2012, 431 ff. = NVwZ-RR 2012, 913 ff., - Juris Rn. 39; Beschluss vom 17. Juni 2016 - LVerfG 3/15, LVerLVerfG 1/16 = SchlHA 2016, 250 ff., Juris Rn. 23 ff.).

24

Dies gilt auch für die Nichtanerkennungsbeschwerde. Die Beschwerdeführerin muss sich grundsätzlich in ihrer Begründung mit den Erwägungen des Landeswahlausschusses auseinandersetzen und die gegebenenfalls erforderlichen Beweismittel vorlegen

(vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 23. Juli 2013 - 2 BvC 1/13 -, BeckRS 2013, 53739 Rn. 9, und vom 23. Juli 2013 - 2 BvC 8/13 -, BeckRS 2013, 53749 Rn. 11 ff.).

25

Die Beschwerdeführerin muss sich zudem mit dem einschlägigen einfachen Recht auseinandersetzen und die verfassungsrechtliche Beurteilung des vorgetragenen Sachverhalts darlegen. Soweit Gerichte dazu schon rechtliche Maßstäbe entwickelt haben, sind diese miteinzubeziehen. Es muss insoweit eigenständig und detailliert vorgetragen werden

(vgl. Zuck, in: Lechner/ Zuck, Bundesverfassungsgerichtsgesetz - Kommentar, 7. Aufl. 2015, § 96a Rn. 16 ff.).

Sofern sie geltend macht, dass die rechtlichen Maßstäbe für die Anerkennung einer Partei fehlerhaft seien, gilt Folgendes: Angesichts der in der Vergangenheit durch das Bundesverfassungsgericht geprägten Rechtsprechung zu den Voraussetzungen einer Parteieigenschaft im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 PartG muss sich die Beschwerdeführerin mit der zu dieser Frage bereits ergangenen Rechtsprechung auseinander setzen.

26

Offenbleiben kann an dieser Stelle, ob angesichts der kurzen Rechtsbehelfsfrist von vier Tagen die Substantiierungsanforderungen überspannt würden, wenn dieselbe vertiefte Auseinandersetzung mit der Sach- und Rechtslage wie bei einer Verfassungsbeschwerde oder einer Wahlprüfungsbeschwerde verlangt würde

(vgl. Bechler/ Neidhardt, NVwZ 2013, 1438 <1439 f.>).

Die Beschwerdeführerin hat sich weder mit den in der Sitzung vom 24. Februar 2017 vorgebrachten Argumenten des Landeswahlausschusses noch mit der zu den Voraussetzungen der Parteieigenschaft ergangenen Rechtsprechung auseinander gesetzt.

27

Da der Landeswahlausschuss seine ablehnende Entscheidung maßgeblich darauf gestützt hat, dass die Beschwerdeführerin nur über drei Mitglieder und keine ausreichende Organisationstruktur verfüge und somit die ernsthafte Möglichkeit zur Einflussnahme auf die politische Willensbildung nicht gewährleistet sei, hätte sich die Beschwerdeführerin mit dieser Argumentation auseinander setzen müssen. Sie hätte demnach entweder konkret zur Mitglieder- und Strukturentwicklung vortragen müssen oder dezidiert darlegen müssen, warum solche Merkmale zur Beurteilung der Parteieigenschaft nicht heranzuziehen sind. Allein der Vortrag, dass die Anzahl der Mitglieder einer Vereinigung, die Gliederung in Gebietsverbände sowie das In-Erscheinung-Treten in der Öffentlichkeit keine geeigneten Maßstäbe zur Beurteilung der Parteieigenschaft seien, da in Zeiten der modernen Kommunikationsmedien eine politische Willensbildung nicht mehr von der Anzahl der Mitglieder abhängig sei, sondern über gesellschaftspolitische Foren und Vernetzungsmechanismen erfolge, genügt nicht. Zumindest hätte die Beschwerdeführerin konkret ausführen müssen, wie eine von der Anzahl der Mitglieder unabhängige politische Willensbildung über gesellschaftspolitische Foren und Vernetzungsmechanismen konkret erfolgen soll. Ein konkretes Konzept, das Entsprechendes ermöglichen könnte, ist auch sonst nicht ersichtlich. Es fehlt insoweit vollständig an substantiiertem Vortrag.

II.

28

Doch selbst wenn von einer Zulässigkeit der Beschwerde auszugehen wäre, hätte sie keinen Erfolg. Zwar bestehen keine Zweifel, dass die Beteiligungsanzeige der Beschwerdeführerin den formellen Anforderungen im Sinne des § 24 Abs. 2 LWahlG genügt. Die Beschwerdeführerin erfüllt jedoch gegenwärtig nicht die materiellen Anforderungen, die gemäß § 24 Abs. 2 LWahlG an eine Partei zu stellen sind.

29

Gemäß Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG wirken die Parteien bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Art. 21 GG gilt nicht nur für den Bereich des Bundes. Er gilt vielmehr unmittelbar auch für die Länder und ist insoweit zugleich Bestandteil der jeweiligen Landesverfassung

(BVerfG, Urteile vom 5. April 1952 - 2 BvH 1/52 -, BVerfGE 1, 208 ff., Juris Rn. 64, und vom 24. Januar 1984 - 2 BvH 3/83 -, BVerfGE 66, 107 ff., Juris Rn. 23).

30

Durch die Legaldefinition des § 2 Abs. 1 Satz 1 PartG hat der Gesetzgeber den Parteienbegriff des Art. 21 Abs. 1 GG in verfassungsmäßiger Weise konkretisiert

(BVerfG, Beschlüsse vom 21. Oktober 1993 - 2 BvC 7/91 u.a. -,
BVerfGE 89, 266 ff., Juris Rn. 14 m.w.N., vom 23. Juli 2013 - 2 BvC 3/13 -, BVerfGE 134, 124 ff., Juris Rn. 15, und vom 23. Juli 2013 - 2 BvC 4/13 -, BVerfGE 134, 131 ff. Rn. 7; stRspr).

31

Im Geltungsbereich der Schleswig-Holsteinischen Landesverfassung richtet sich der Parteibegriff ebenfalls nach § 2 Abs. 1 Satz 1 PartG

(Urteil vom 13. September 2013 - LVerfG 9/12 -, LVerfGE 24, 467 ff., Juris Rn. 41).

32

Die Legaldefinition des § 2 Abs. 1 Satz 1 PartG ist auch im Rahmen des gemäß § 24 Abs. 5 Satz 1 LWahlG für alle Wahlorgane verbindliche Feststellungsverfahrens maßgeblich. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 PartG sind Parteien Vereinigungen von Bürgern, die dauernd oder für längere Zeit für den Bereich des Bundes oder eines Landes auf die politische Willensbildung Einfluss nehmen und an der Vertretung des Volkes im Deutschen Bundestag oder einem Landtag mitwirken wollen, wenn sie nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse, insbesondere nach Umfang und Festigkeit ihrer Organisation, nach der Zahl ihrer Mitglieder und nach ihrem Hervortreten in der Öffentlichkeit eine ausreichende Gewähr für die Ernsthaftigkeit dieser Zielsetzung bieten.

33

Bei der Anwendung der Legaldefinition durch den Landeswahlausschuss droht entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin auch keine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes des § 5 Abs. 1 Satz 1 PartG. Da es bei der Entscheidung nach § 24 Abs. 2 LWahlG allein auf die Anerkennung als Partei für die Landtagswahl in Schleswig-Holstein ankommt und diese einheitlich durch den Landeswahlausschuss für alle Vereinigungen getroffen wird, die eine Beteiligungsanzeige im Hinblick auf die Wahl des Schleswig-Holsteinischen Landtags abgegeben haben, kommt es auf die Frage nicht an, ob Landeswahlausschüsse anderer Bundesländer gegebenenfalls die Legaldefinition des § 2 Abs. 1 Satz 1 PartG im Einzelfall anders anwenden als der Landeswahlausschuss in Schleswig-Holstein. Maßgeblich für die Ungleichbehandlung ist allein die Behandlung innerhalb desselben Verfassungsraums – hier also desjenigen von Schleswig-Holstein.

34

Dementsprechend muss eine Vereinigung als Voraussetzung für die Anerkennung als Partei im Sinne von § 24 Abs. 2 LWahlG dauernd oder für längere Zeit für den Bereich des Bundes oder eines Landes auf die politische Willensbildung Einfluss nehmen wollen. Sie muss dabei nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse, insbesondere nach Umfang und Festigkeit ihrer Organisation, nach der Zahl ihrer Mitglieder und nach ihrem Hervortreten in der Öffentlichkeit eine ausreichende Gewähr für die Ernsthaftigkeit der Zielsetzung bieten. Es ist entscheidend, ob die Gesamtwürdigung der tatsächlichen Verhältnisse einer Partei – auch unter Berücksichtigung der Dauer ihrer Existenz – den Schluss zulässt, dass sie die erklärte Absicht, an der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken, ernsthaft verfolgt

(vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. November 1994 - 2 BVB 1/93 -, BVerfGE 91, 262 ff., Juris Rn. 31, 34 m.w.N.).

35

Parteien müssen schon in der Gründungsphase ansatzweise in der Lage sein, die ihnen nach § 2 Abs. 1 Satz 1 PartG in Übereinstimmung mit dem Grundgesetz zugedachten Aufgaben wirksam zu erfüllen. Allein der Wille, „Partei“ zu sein, ist nicht ausreichend

(vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 23. Juli 2013 - 2 BvC 3/13 -, BVerfGE 134, 124 ff., Juris Rn. 16, und vom 23. Juli 2013 - 2 BvC 4/13 -,
BVerfGE 134, 131 ff. Rn. 8).

Durch die bei der Zulassung zur Wahl zu stellenden Anforderungen soll gewährleistet werden, dass sich nur ernsthafte politische Vereinigungen und keine Zufallsbildungen von kurzer Lebensdauer um Wähler bewerben

(vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. Oktober 1993 - 2 BvC 7/91 u.a. -, BVerfGE 89, 266 ff., Juris Rn. 14).

36

Daraus folgt, dass es gewisser objektiver, im Ablauf der Zeit an Gewicht gewinnender Voraussetzungen bedarf, um eine politische Vereinigung als Partei anzuerkennen. Wegen der den Parteien um der Offenheit des politischen Prozesses willen verfassungsrechtlich verbürgten Gründungsfreiheit ist bei politischen Vereinigungen, die am Beginn ihres Wirkens stehen, zu berücksichtigen, dass der Aufbau einer Organisation, die sie zur Wahrnehmung ihrer Funktionen befähigt, eine gewisse Zeit erfordert. Entscheidend ist das Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse

(vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 23. Juli 2013 - 2 BvC 3/13 -, BVerfGE 134, 124 ff., Juris Rn. 16 ff., und vom 23. Juli 2013 - 2 BvC 4/13 -, BVerfGE 134, 131 ff. Rn. 8 ff.).

37

Die in § 2 Abs. 1 Satz 1 PartG angesprochenen, nicht trennscharf voneinander abzugrenzenden objektiven Merkmale – deren Aufzählung nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht nicht erschöpfend ist denen regelmäßig aber ein großes Gewicht zukommt sind Indizien für die Ernsthaftigkeit der politischen Zielsetzung

(vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 21. Oktober 1993 - 2 BvC 7/91 u.a. -, BVerfGE 89, 266 ff., Juris Rn. 14, und vom 23. November 1993 - 2 BvC 15/91 -, BVerfGE 89, 291 ff., Juris Rn. 60).

Keines ist für sich genommen ausschlaggebend und nicht alle müssen von der Partei stets im gleichen Umfang erfüllt werden. Es bleibt der Partei grundsätzlich selbst überlassen, wie sie die Ernsthaftigkeit ihrer Zielsetzung unter Beweis stellt. Ihr ist es unbenommen, in ihrer politischen Arbeit Schwerpunkte zu setzen. Zurückhaltung in einem Bereich kann durch verstärkte Bemühungen auf anderen Gebieten in gewissen Grenzen ausgeglichen werden. Insgesamt kommt es darauf an, ob die Gesamtwürdigung der tatsächlichen Verhältnisse einer Partei unter Berücksichtigung der Dauer ihres Bestehens den Schluss zulässt, dass sie ihre erklärte Absicht, an der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken, ernsthaft verfolgt. Umgekehrt sind Vereinigungen, die nach ihrem Organisationsgrad und ihren Aktivitäten offensichtlich nicht imstande sind, auf die politische Willensbildung des Volkes Einfluss zu nehmen, nicht als Partei anzusehen. Bei ihnen ist die Verfolgung dieser Zielsetzung erkennbar unrealistisch und aussichtslos und kann damit nicht, nicht mehr oder noch nicht als ernsthaft eingestuft werden

(vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 17. November 1994 - 2 BvB 1/93 -, BVerfGE 91, 262 ff., Juris Rn. 33 f., vom 23. Juli 2013 - 2 BvC 3/13 -, BVerfGE 134, 124 ff., Juris Rn. 17 f., und vom 23. Juli 2013 - 2 BvC 4/13 -, BVerfGE 134, 131 ff. Rn. 9 f.).

38

Gemessen an diesen Maßstäben erfüllt die Beschwerdeführerin nach der erforderlichen Gesamtwürdigung der tatsächlichen Verhältnisse gegenwärtig nicht die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Partei. Selbst unter Berücksichtigung der besonderen Situation von Parteien in der Gründungsphase kann von einer Ernsthaftigkeit der politischen Zielsetzung der Beschwerdeführerin im Ergebnis jedenfalls gegenwärtig nicht ausgegangen werden. Angesichts der Zahl ihrer Mitglieder sowie ihres Organisationsgrades ist sie derzeit außerstande, auf die politische Willensbildung des Volkes Einfluss zu nehmen. Auch ihr Hervortreten in der Öffentlichkeit bietet bisher nicht eine ausreichende Gewähr für die Ernsthaftigkeit ihrer politischen Zielsetzung.

39

Die Beschwerdeführerin verfügte bei der Gründung über nur drei Mitglieder und es ist nicht ersichtlich, dass sich der Mitgliederbestand relevant erhöht hat. Es ist nicht erkennbar, wie die Vereinigung mit dieser Mitgliederzahl in Schleswig-Holstein Einfluss auf die politische Willensbildung des Volkes nehmen und einen Wahlkampf mit dem Ziel parlamentarischer Vertretung führen will.

40

Auch unter Nutzung moderner Kommunikationsmittel bietet eine Mitgliederanzahl von nicht wesentlich mehr als drei Mitgliedern keine hinreichende Gewähr dafür, dass die Vereinigung Einfluss auf die politische Willensbildung des Volkes nehmen und einen Wahlkampf mit dem Ziel parlamentarischer Vertretung führen kann. Selbst unter Berücksichtigung der Möglichkeiten der modernen Kommunikation ist vor dem Hintergrund des in Art. 16 Abs. 2 LV verankerten Systems der personalisierten Verhältniswahl

(vgl. hierzu: Urteil vom 30. August 2010 - LVerfG 1/10 -, LVerfGE 21, 434 ff., Juris Rn. 105 ff.)

nicht erkennbar, wie eine solche Einflussnahme und Wahlkampfführung mit einer solch geringen Anzahl von Mitgliedern und keinen weiteren Organisationsstrukturen erfolgen soll.

41

Überdies ist zu berücksichtigen, dass eine Landesversammlung einer Partei zur Wahl der Landeslistenbewerberinnen und -bewerber gemäß § 23 Abs. 4 Satz 4 Nr. 3 LWahlG erst beschlussfähig ist, wenn auf der Landesversammlung 50 Parteimitglieder oder Delegierte erschienen sind. Es ist nicht ersichtlich, wie die Beschwerdeführerin bei der geringen Mitgliederzahl überhaupt wirksam eine Landesliste aufstellen kann, um über diese an der Wahl teilzunehmen und darüber auf die politische Willensbildung Einfluss zu nehmen.

42

Zudem ist bei einer solch geringen Mitgliederanzahl nicht gewährleistet, dass die Beschwerdeführerin eine politische Vereinigung mit einer nachhaltigen Zielsetzung und einer entsprechenden Lebensdauer ist. Ein hinreichend dauerhafter Bestand der Vereinigung – auch unter Berücksichtigung der erst vor kurzem erfolgten Gründung – ist ebenfalls nicht gewährleistet. Nicht gesichert ist des Weiteren, dass die Vereinigung von einem Mitgliederwechsel unabhängig ist

(vgl. hierzu: BVerfG, Beschluss vom 23. Juli 2013 - 2 BvC 4/13 -, BVerfGE 134, 131 ff. Rn. 12).

43

Selbst wenn man berücksichtigt, dass an einen Organisationsausbau seit der Gründung am 28. Dezember 2016 angesichts der kurzen Zeit keine allzu hohen Anforderungen gestellt werden können, kann nicht außer Acht bleiben, dass eine konkrete Struktur, die eine Einflussnahme beziehungsweise eine Wahlkampfführung unterstützen würde, nicht gegeben ist. Die Vereinigung weist über den Bundesverband und den Landesverband in Schleswig-Holstein hinaus keine weiteren organisatorischen Strukturen auf. Ein Ausbau der Organisation hat seit der Gründung nicht stattgefunden.

44

Darüber hinaus ist die Beschwerdeführerin in der Öffentlichkeit bisher nahezu nicht hervorgetreten. Bis auf eine Internetseite, zwei veröffentlichte Meldungen sowie einige wenige Äußerungen der Vorsitzenden der INITIATIVE146 auf insgesamt zwei anderen Internetseiten ist ein öffentliches Auftreten der Beschwerdeführerin nicht ersichtlich. Öffentliche oder öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen wurden bisher weder durchgeführt noch sind solche angekündigt.

45

Die Einleitung eines weiteren Verfahrens (LVerfG 3/17) vor dem Landesverfassungsgericht mit dem Ziel, unter anderem auf die Feststellung der Parteieigenschaft durch den Landeswahlausschuss zu verzichten, führt zu keiner anderen Bewertung.

C.

46

Das Verfahren ist kostenfrei (§ 33 Abs. 1 LVerfGG). Eine Kostenerstattung findet nicht statt (§ 33 Abs. 4 LVerfGG). Eine Entscheidung über die Vollstreckung entfällt (§ 34 LVerfGG).

47

Der Beschluss ist einstimmig ergangen.


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Schleswig-Holsteinisches Landesverfassungsgericht Beschluss, 15. März 2017 - LVerfG 2/17 zitiert 4 §§.

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 21


(1) Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei. Ihre innere Ordnung muß demokratischen Grundsätzen entsprechen. Sie müssen über die Herkunft und Verwendung ihrer Mittel sowie über ihr Vermögen öffent

Parteiengesetz - PartG | § 5 Gleichbehandlung


(1) Wenn ein Träger öffentlicher Gewalt den Parteien Einrichtungen zur Verfügung stellt oder andere öffentliche Leistungen gewährt, sollen alle Parteien gleichbehandelt werden. Der Umfang der Gewährung kann nach der Bedeutung der Parteien bis zu dem

Parteiengesetz - PartG | § 2 Begriff der Partei


(1) Parteien sind Vereinigungen von Bürgern, die dauernd oder für längere Zeit für den Bereich des Bundes oder eines Landes auf die politische Willensbildung Einfluß nehmen und an der Vertretung des Volkes im Deutschen Bundestag oder einem Landtag mi

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Schleswig-Holsteinisches Landesverfassungsgericht Beschluss, 15. März 2017 - LVerfG 2/17 zitiert oder wird zitiert von 9 Urteil(en).

Schleswig-Holsteinisches Landesverfassungsgericht Beschluss, 15. März 2017 - LVerfG 2/17 zitiert 7 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Schleswig-Holsteinisches Landesverfassungsgericht Urteil, 27. Jan. 2017 - LVerfG 5/15

bei uns veröffentlicht am 27.01.2017

Tenor § 7 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 und 2 und § 9 Absatz 1 des Gesetzes über den kommunalen Finanzausgleich in Schleswig-Holstein vom 10. Dezember 2014 (Gesetz- und Verordnungsblatt Seite 473) sind mit Artikel 57 Absatz 1 der Landesverfassung unve

Schleswig-Holsteinisches Landesverfassungsgericht Beschluss, 17. Juni 2016 - LVerfG 3/15

bei uns veröffentlicht am 17.06.2016

Tenor Die Verfassungsbeschwerde wird verworfen. Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Gründe A. 1 Die Beschwerdeführerin, eine im Kreis Dithmarschen gelegene Gemeinde, wendet sich mit ihrer Verfassun

Schleswig-Holsteinisches Landesverfassungsgericht Urteil, 13. Sept. 2013 - LVerfG 9/12

bei uns veröffentlicht am 13.09.2013

Tenor Die Wahlprüfungsbeschwerden werden zurückgewiesen. Gründe A. 1 Gegenstand des Verfahrens sind die Beschwerden mehrerer Wahlberechtigter gegen den Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Landtages vom 26. September 2012 über die Gültig

Bundesverfassungsgericht Beschluss, 23. Juli 2013 - 2 BvC 3/13

bei uns veröffentlicht am 23.07.2013

Tenor 1. Die Entscheidung des Bundeswahlausschusses vom 4. Juli 2013 wird aufgehoben. 2. Die Beschwerdeführerin wird als wa

Bundesverfassungsgericht Beschluss, 23. Juli 2013 - 2 BvC 4/13

bei uns veröffentlicht am 23.07.2013

Tenor Die Nichtanerkennungsbeschwerde wird zurückgewiesen. Gründe A.

Bundesverfassungsgericht Beschluss, 23. Juli 2013 - 2 BvC 8/13

bei uns veröffentlicht am 23.07.2013

Tenor Die Nichtanerkennungsbeschwerde wird verworfen. Gründe I.

Schleswig-Holsteinisches Landesverfassungsgericht Urteil, 30. Aug. 2010 - LVerfG 1/10

bei uns veröffentlicht am 30.08.2010

Tenor § 1 Absatz 1 Satz 2 und Absatz 2, § 3 Absatz 5 und § 16 des Wahlgesetzes für den Landtag von Schleswig-Holstein in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. Oktober 1991 (Gesetz-und Verordnungsblatt Seite 442, berichtigt Seite 637), zuletzt geä
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Schleswig-Holsteinisches Landesverfassungsgericht Beschluss, 08. Juni 2018 - 6/17

bei uns veröffentlicht am 08.06.2018

Tenor 1. Der Antrag wird verworfen. 2. Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin die notwendigen Auslagen zur Hälfte zu erstatten. 3. Der Gegenstandswert wird auf 100.000 Euro festgesetzt. Gründe ..

Schleswig-Holsteinisches Landesverfassungsgericht Beschluss, 08. Juni 2018 - 5/17

bei uns veröffentlicht am 08.06.2018

Tenor 1. Der Antrag wird verworfen. 2. Der Antragsgegner hat der Antragstellerin die notwendigen Auslagen zur Hälfte zu erstatten. 3. Der Gegenstandswert wird auf 100.000 Euro festgesetzt. Gründe ..

Referenzen

(1) Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei. Ihre innere Ordnung muß demokratischen Grundsätzen entsprechen. Sie müssen über die Herkunft und Verwendung ihrer Mittel sowie über ihr Vermögen öffentlich Rechenschaft geben.

(2) Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig.

(3) Parteien, die nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgerichtet sind, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind von staatlicher Finanzierung ausgeschlossen. Wird der Ausschluss festgestellt, so entfällt auch eine steuerliche Begünstigung dieser Parteien und von Zuwendungen an diese Parteien.

(4) Über die Frage der Verfassungswidrigkeit nach Absatz 2 sowie über den Ausschluss von staatlicher Finanzierung nach Absatz 3 entscheidet das Bundesverfassungsgericht.

(5) Das Nähere regeln Bundesgesetze.

(1) Parteien sind Vereinigungen von Bürgern, die dauernd oder für längere Zeit für den Bereich des Bundes oder eines Landes auf die politische Willensbildung Einfluß nehmen und an der Vertretung des Volkes im Deutschen Bundestag oder einem Landtag mitwirken wollen, wenn sie nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse, insbesondere nach Umfang und Festigkeit ihrer Organisation, nach der Zahl ihrer Mitglieder und nach ihrem Hervortreten in der Öffentlichkeit eine ausreichende Gewähr für die Ernsthaftigkeit dieser Zielsetzung bieten. Mitglieder einer Partei können nur natürliche Personen sein.

(2) Eine Vereinigung verliert ihre Rechtsstellung als Partei, wenn sie sechs Jahre lang weder an einer Bundestagswahl noch an einer Landtagswahl mit eigenen Wahlvorschlägen teilgenommen hat. Gleiches gilt, wenn eine Vereinigung sechs Jahre lang entgegen der Pflicht zur öffentlichen Rechenschaftslegung gemäß § 23 keinen Rechenschaftsbericht eingereicht hat; § 19a Absatz 3 Satz 5 gilt entsprechend.

(3) Politische Vereinigungen sind nicht Parteien, wenn

1.
ihre Mitglieder oder die Mitglieder ihres Vorstandes in der Mehrheit Ausländer sind oder
2.
ihr Sitz oder ihre Geschäftsleitung sich außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes befindet.

Tenor

§ 7 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 und 2 und § 9 Absatz 1 des Gesetzes über den kommunalen Finanzausgleich in Schleswig-Holstein vom 10. Dezember 2014 (Gesetz- und Verordnungsblatt Seite 473) sind mit Artikel 57 Absatz 1 der Landesverfassung unvereinbar.

Der Gesetzgeber ist verpflichtet, die verfassungswidrige Rechtslage spätestens bis zum 31. Dezember 2020 durch eine Neuregelung zu beseitigen. Bis dahin bleiben die vorgenannten Bestimmungen weiter anwendbar.

Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde zurückgewiesen.

Gründe

A.

1

Die Beschwerdeführer wenden sich gegen verschiedene Vorschriften des als Artikel 1 des Gesetzes zur Neuordnung des kommunalen Finanzausgleichs vom 10. Dezember 2014 (GVOBl S. 473) verkündeten Gesetzes über den kommunalen Finanzausgleich in Schleswig-Holstein (Finanzausgleichsgesetz – FAG –; im Folgenden: FAG 2014). Nach Maßgabe dieses Gesetzes stellt das Land den Gemeinden, Kreisen und Ämtern im übergemeindlichen Finanzausgleich Finanzmittel zur Ergänzung ihrer eigenen Einnahmekraft zur Verfügung.

I.

2

1. In Schleswig-Holstein fallen den Gemeinden, Kreisen und Ämtern, soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist, die durch die Erfüllung ihrer Aufgaben entstehenden Ausgaben oder Aufwendungen und Auszahlungen zur Last (§ 1 Abs. 2 FAG 2014). Da deren hieraus resultierender Finanzbedarf nicht allein durch ihre Einbeziehung in das System der vertikalen Steuerertragsaufteilung nach Art. 106 Abs. 3 Satz 1, Abs. 5 bis 8 des Grundgesetzes (GG) gleichmäßig gedeckt werden kann, muss ihre Finanzkraft durch finanzielle Zuweisungen ergänzt werden. Die Gemeinden, Kreise und Ämter erhalten vor diesem Hintergrund vom Land Finanzzuweisungen zur Ergänzung ihrer eigenen Einnahmen oder Erträge und Einzahlungen im Wege des kommunalen Finanzausgleichs. Insoweit regelt die Landesverfassung (LV):

Artikel 57

Kommunaler Finanzausgleich

(1) Um die Leistungsfähigkeit der steuerschwachen Gemeinden und Gemeindeverbände zu sichern und eine unterschiedliche Belastung mit Ausgaben auszugleichen, stellt das Land im Rahmen seiner finanziellen Leistungsfähigkeit den Gemeinden und Gemeindeverbänden im Wege des Finanzausgleichs Mittel zur Verfügung, durch die eine angemessene Finanzausstattung der Kommunen gewährleistet wird.

(2) Werden die Gemeinden oder Gemeindeverbände durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes durch Verordnung zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben verpflichtet, so sind dabei Bestimmungen über die Deckung der Kosten zu treffen. Führen diese Aufgaben zu einer Mehrbelastung der Gemeinden oder Gemeindeverbände, so ist dafür ein entsprechender finanzieller Ausgleich zu schaffen.

Artikel 54

Kommunale Selbstverwaltung

(1) Die Gemeinden sind berechtigt und im Rahmen ihrer Leistungsfähigkeit verpflichtet, in ihrem Gebiet alle öffentlichen Aufgaben in eigener Verantwortung zu erfüllen, soweit die Gesetze nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmen.

(2) Die Gemeindeverbände haben im Rahmen ihrer gesetzlichen Zuständigkeit die gleichen Rechte und Pflichten.

(3) Das Land sichert durch seine Aufsicht die Durchführung der Gesetze. Das Nähere regelt ein Gesetz.

(4) Durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes durch Verordnung können die Gemeinden und Gemeindeverbände zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben verpflichtet werden.

3

2. Das zum Gegenstand der kommunalen Verfassungsbeschwerde gemachte Gesetz zur Neuordnung des kommunalen Finanzausgleichs vom 10. Dezember 2014 stellt eine Neukonzeption des kommunalen Finanzausgleichs dar. Im August 2012 begann insoweit ein umfangreicher Prozess zur grundlegenden Reform des kommunalen Finanzausgleichs in Schleswig-Holstein, der maßgeblich im Beirat für den kommunalen Finanzausgleich (vgl. § 36 FAG in der bis zum 31. Dezember 2014 geltenden Fassung vom 7. März 2011, GVOBl S. 76; jetzt § 29 FAG 2014) sowie in einer unterhalb des Beirats gegründeten Arbeitsgruppe „Kommunaler Finanzausgleich“ stattfand und an dem Vertreterinnen und Vertreter des Innenministeriums, des Finanzministeriums, der kommunalen Landesverbände und – mit Gaststatus – des Landesrechnungshofs teilnahmen. Allein zwischen Ende August 2012 und Ende November 2013 fanden insgesamt 24 Sitzungen der Arbeitsgruppe und sieben Sitzungen des Beirats statt. Im Zuge der Vorbereitung des Reformprozesses holte das Innenministerium zudem ein Gutachten des Niedersächsischen Instituts für Wirtschaftsforschung (NIW) zur Fortentwicklung des kommunalen Finanzausgleichs in Schleswig-Holstein ein. Gegenstand des Gutachtens war die sachgerechte prozentuale Aufteilung der Finanzausgleichsmasse auf die verschiedenen kommunalen Aufgabenträger

(Niedersächsisches Institut für Wirtschaftsforschung, Gutachten zur Fortentwicklung des kommunalen Finanzausgleichs in Schleswig-Holstein, 2013, S. 1).

Dieses Gutachten wurde im November 2013 hinsichtlich mehrerer im Beratungsprozess entstandener Fragestellungen erweitert

(Niedersächsisches Institut für Wirtschaftsforschung, Ergänzende gutachterliche Stellungnahme zur Fortentwicklung des kommunalen Finanzausgleichs in Schleswig-Holstein, November 2013).

4

Im Gesetzentwurf der Landesregierung zur Neuordnung des kommunalen Finanzausgleichs vom 4. März 2014 heißt es dazu unter anderem:

A. Problem

Der kommunale Finanzausgleich bedarf einer gründlichen Überprüfung und Neuordnung. (…) Der kommunale Finanzausgleich ist (…) ein historisch gewachsenes System. Eingeführt 1955, wurde er 1970 grundlegend verändert und das Gesetz neu gefasst. Seitdem hat es unzählige weitere Änderungen gegeben. Typischerweise wird das Finanzausgleichsgesetz, das FAG 2014, jedes Jahr geändert. Viele der Anpassungen der letzten Jahre und Jahrzehnte hatten kleinere Auswirkungen, manche auch sehr große. Immer aber wurden lediglich eine oder mehrere einzelne Stellschrauben des komplexen Regelwerks betrachtet und verändert. Offen blieb daher zuletzt, ob die Finanzausstattung der einzelnen Kommunen noch in geeigneter Weise der kommunalen Wirklichkeit folgte. Eine vertiefte Betrachtung war geboten, ob der kommunale Finanzausgleich insgesamt noch schlüssig und zeitgemäß ist. Dringend erforderlich war deshalb eine umfassende Gesamtschau. Zum Beispiel war zu untersuchen, ob das Verhältnis der Gemeindeaufgaben zu den Aufgaben der Kreise und kreisfreien Städte noch angemessen berücksichtigt wird. Auch die Maßstäbe für die Mittelverteilung innerhalb dieser großen Blöcke gehörten auf den Prüfstand. (…)

B. Lösung

Der kommunale Finanzausgleich wird gründlich, umfassend, sachgerecht und nach intensivem und langem Dialog mit der kommunalen Familie neu geordnet. Er wird transparent, effizient und besser erklär- und nachvollziehbar. Das bietet die Chance, bei vielen Kommunen eine höhere Akzeptanz zu finden. Die großen Städte wie auch der ländliche Raum mit seinen vielen kleineren Gemeinden werden gestärkt. (…) (Landtags-Drucksache 18/1659, S. 2 ff.).

5

Der Gesetzentwurf wurde nach erster Lesung federführend dem Innen- und Rechtsausschuss sowie mitberatend dem Finanzausschuss überwiesen. Im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren gingen zahlreiche Stellungnahmen ein, es wurden schriftliche und mündliche Anhörungen durchgeführt, eine Vielzahl von Änderungsanträgen bearbeitet sowie ein Ergänzungsgutachten des Niedersächsischen Instituts für Wirtschaftsforschung hinsichtlich der Teilschlüsselmassenbildung

(Niedersächsisches Institut für Wirtschaftsforschung, Aktualisierung der Teilschlüsselmassen im Rahmen der Neuordnung des kommunalen Finanzausgleichs in Schleswig-Holstein, Oktober 2014)

eingeholt. Durch nicht datierten Vermerk des Innenministeriums wurde zudem der Soziallastenfaktor nach § 9 Abs. 4 FAG 2014-Entwurf neu ermittelt

(https://www.schleswig-holstein.de/DE/Fachinhalte/K/kommunales/nzen/Downloads​/FAG/​.?__blob=&v=1),

was letztlich ebenfalls Eingang in den Gesetzestext fand.

6

Die beiden Ausschüsse schlossen die Beratung in gemeinsamer Sitzung am 5. November 2014 ab und empfahlen dem Landtag mit den Stimmen von SPD, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und SSW gegen die Stimmen von CDU, FDP und PIRATEN, den Gesetzentwurf der Landesregierung in der aus der Drucksache 18/2399 ersichtlichen Fassung anzunehmen. Der Landtag nahm den Gesetzentwurf in der vom Ausschuss empfohlenen Fassung in seiner Sitzung vom 13. November 2014 mit 35 zu 33 Stimmen an. Das Gesetz wurde am 10. Dezember 2014 ausgefertigt, im Gesetz- und Verordnungsblatt vom 30. Dezember 2014 veröffentlicht und trat am 1. Januar 2015 in Kraft. Zur Umsetzung des Gesetzes folgte für das Haushaltsjahr 2015 unter dem 22. Januar 2015 und für das Haushaltsjahr 2016 unter dem 18. Januar 2016 ein entsprechender Erlass des Ministeriums für Inneres und Bundesangelegenheiten.

7

Im Rahmen des vorliegenden verfassungsgerichtlichen Verfahrens hat die Landesregierung zuletzt ein Gutachten des Finanzwissenschaftlichen Forschungsinstituts an der Universität zu Köln (FiFo) zur Verteilungssymmetrie im vertikalen Teil des kommunalen Finanzausgleich Schleswig-Holsteins vom 23. Mai 2016 eingeholt

(Finanzwissenschaftliches Forschungsinstitut an der Universität zu Köln, Verteilungssymmetrie im vertikalen Teil des kommunalen Finanzausgleich Schleswig-Holsteins, 23. Mai 2016).

8

3. Die für das Verfahren bedeutsamen Vorschriften des Finanzausgleichsgesetzes 2014 lauten in der Fassung vom 10. Dezember 2014 im Zusammenhang:

§ 3

Finanzausgleichsmasse

(1) Das Land stellt für die in § 4 bezeichneten Zuweisungen jährlich eine Finanzausgleichsmasse in Höhe von 17,83 % (Verbundsatz) der Verbundgrundlagen nach Absatz 2 zur Verfügung. Der Verbundsatz wird angepasst, wenn sich das Belastungsverhältnis zwischen dem Land einerseits und den Gemeinden, Kreisen und Ämtern andererseits wesentlich verändert. In den Jahren 2015 bis 2018 wird die Finanzausgleichsmasse für die Konsolidierungshilfen nach § 11 jährlich um 15 Millionen Euro erhöht. Zudem wird die Finanzausgleichsmasse um 11,5 Millionen Euro für die Zuweisungen für Infrastrukturlasten nach § 15 Absatz 4 erhöht.

(2) Die Verbundgrundlagen umfassen

1. das dem Land zustehende Aufkommen aus der Einkommensteuer, der Körperschaftsteuer und der Umsatzsteuer (Artikel 106 Absatz 3 und Artikel 107 Absatz 1 des Grundgesetzes) unter Berücksichtigung der Zuweisungen des Landes nach § 25 Absatz 1 und § 26 Absatz 1,

2. das Aufkommen aus der Vermögensteuer, der Erbschaftsteuer, der Grunderwerbsteuer, der Biersteuer und der Rennwett- und Lotteriesteuern mit Ausnahme der Totalisatorsteuer (Landessteuern nach Artikel 106 Absatz 2 des Grundgesetzes),

3. den dem Land zustehenden Kompensationsbetrag für die Übertragung der Ertragshoheit der Kraftfahrzeugsteuer auf den Bund (Artikel 106b des Grundgesetzes),

4. die Einnahmen des Landes aus den Ergänzungszuweisungen des Bundes (Artikel 107 Absatz 2 Satz 3 des Grundgesetzes),

5. die Einnahmen des Landes aus den Zuweisungen im Länderfinanzausgleich (Artikel 107 Absatz 2 Satz 1 und 2 des Grundgesetzes).

Hat das Land im Länderfinanzausgleich Zahlungen zu leisten, ermäßigen sich die Verbundgrundlagen um diesen Betrag.

(3) Die Finanzausgleichsmasse wird für jedes Haushaltsjahr nach den Ansätzen im Landeshaushaltsplan festgesetzt. Eine Änderung der Ansätze durch Nachtragshaushaltspläne wird für den Finanzausgleich des laufenden Haushaltsjahres nicht berücksichtigt.

(4) Ein Unterschied zwischen den Ansätzen im ursprünglichen Landeshaushaltsplan und den Ist-Einnahmen wird spätestens bei der Finanzausgleichsmasse des nächsten Haushaltsjahres berücksichtigt, das dem Zeitpunkt der Feststellung der Ist-Einnahmen folgt. Bei einem Doppelhaushalt erfolgt die Berücksichtigung des Unterschiedes spätestens bei der Finanzausgleichsmasse des übernächsten Haushaltsjahres.

§ 4

Verwendung der Finanzausgleichsmasse

(1) Die Finanzausgleichsmasse wird, soweit sie nicht für Zuweisungen nach Absatz 2 benötigt wird, verwendet für

1. Schlüsselzuweisungen an die Gemeinden zum Ausgleich unterschiedlicher Steuerkraft nach den §§ 5 bis 7 sowie eine Finanzzuweisung an die Gemeinde Helgoland nach § 8 mit einem Anteil von 35,11 %,

2. Schlüsselzuweisungen an die Kreise und kreisfreien Städte zum Ausgleich unterschiedlicher Umlagekraft und sozialer Lasten nach § 9 mit einem Anteil von 49,33 %,

3. Schlüsselzuweisungen an die Zentralen Orte zum Ausgleich übergemeindlicher Aufgaben nach § 10 mit einem Anteil von 15,56 %.

Die erste Regelüberprüfung der Aufteilung findet vor dem Finanzausgleichsjahr 2016 statt. Sie wird auf dem Referenzzeitraum der Jahre 2010 bis 2013 basieren. Die weiteren Regelüberprüfungen sollen spätestens alle vier Jahre stattfinden. Dabei wird der entsprechende Referenzzeitraum zugrunde gelegt.

(2) Aus der Finanzausgleichsmasse werden jährlich bereitgestellt für

1. die Konsolidierungshilfen nach § 11

60,0 Millionen Euro in den Jahren 2015 bis 2018,

2. die Fehlbetragszuweisungen nach § 12

30,0 Millionen Euro in den Jahren 2015 bis 2018 sowie

50,0 Millionen Euro ab dem Jahr 2019,

3. die Sonderbedarfszuweisungen nach § 13

5,0 Millionen Euro,

4. die Zuweisungen für Theater und Orchester nach § 14

37,809 Millionen Euro im Jahr 2015,

38,376 Millionen Euro im Jahr 2016,

38,952 Millionen Euro im Jahr 2017 sowie

39,536 Millionen Euro im Jahr 2018,

5. a) die Zuweisungen für Straßenbau nach § 15 Absätze 1 bis 3

24,0 Millionen Euro,

b) die Zuweisungen für Infrastrukturlasten nach § 15 Absatz 4

11,5 Millionen Euro,

6. die Zuweisungen zur Förderung von Frauenhäusern und Frauenberatungsstellen nach § 16

5,353 Millionen Euro,

7. die Zuweisungen zur Förderung des Büchereiwesens nach § 17

7,423 Millionen Euro im Jahr 2015,

7,534 Millionen Euro im Jahr 2016,

7,647 Millionen Euro im Jahr 2017 sowie

7,762 Millionen Euro im Jahr 2018,

8. die Zuweisungen zur Förderung von Kindertageseinrichtungen und Tagespflegestellen nach § 18

70,0 Millionen Euro

(Vorwegabzüge). Werden für Vorwegabzüge bereitgestellte Mittel nicht benötigt, sind sie im Folgejahr den Mitteln nach Absatz 1 zuzuführen, sofern im Einzelfall nichts Abweichendes bestimmt wird.

§ 5

Schlüsselzuweisungen an die Gemeinden

zum Ausgleich unterschiedlicher Steuerkraft

(1) Jede Gemeinde erhält eine Schlüsselzuweisung zum Ausgleich unterschiedlicher Steuerkraft (Gemeindeschlüsselzuweisung), wenn ihre Steuerkraftmesszahl (§ 7) hinter ihrer Ausgangsmesszahl (§ 6) zurückbleibt.

(2) Die Gemeindeschlüsselzuweisung beträgt 70 % der Differenz zwischen Ausgangsmesszahl und Steuerkraftmesszahl (Schlüsselzahl).

(3) Erreicht die Summe aus .Gemeindeschlüsselzuweisung und Steuerkraftmesszahl einer Gemeinde nicht 80 % der Ausgangsmesszahl, wird die Gemeindeschlüsselzuweisung um den Differenzbetrag erhöht (Mindestgarantie). Erreicht die Summe aus Gemeindeschlüsselzuweisung, Erhöhung auf die Mindestgarantie und Steuerkraftmesszahl einer Gemeinde nicht 85 % der Ausgangsmesszahl, wird die Gemeindeschlüsselzuweisung um 70 % des Differenzbetrages erhöht.

(4) Eine Gemeinde,

1. in die eine oder mehrere Gemeinden eingegliedert werden (Eingemeindung),

2. die durch Zusammenschluss mehrerer Gemeinden entsteht (Vereinigung) oder

3. in die Teile einer aufgeteilten Gemeinde eingehen (Auflösung),

erhält in den drei Finanzausgleichsjahren nach der Gebietsänderung abweichend von Absatz 1 und 2 eine Gemeindeschlüsselzuweisung in Höhe der Summe der Gemeindeschlüsselzuweisungen, die die beteiligten Gemeinden bei getrennter Betrachtung auf Basis der Steuerkraftmesszahlen und der Einwohnerzahlen (§30) im Jahr der Gebietsänderung erhalten hätten, sofern dies für die neugebildete Gemeinde im jeweiligen Finanzausgleichsjahr günstiger ist. Im Falle einer Auflösung wird die Steuerkraftmesszahl der aufgeteilten Gemeinde anteilig nach der übergegangenen Einwohnerzahl zum Zeitpunkt der Gebietsänderung berücksichtigt. Erfolgt die Gebietsänderung zum 1. Januar eines Jahres, gilt die Regelung nach Satz 1 für das Finanzausgleichsjahr der Änderung und die beiden folgenden Finanzausgleichsjahre.

§ 7

Ermittlung der Steuerkraftmesszahl

(1) Die Steuerkraftmesszahl einer Gemeinde wird ermittelt, indem die Steuerkraftzahlen der Grundsteuern, der Gewerbesteuer, des Gemeindeanteils an der Einkommensteuer, des Gemeindeanteils an der Umsatzsteuer und der Zuweisung des Landes an die Gemeinden nach § 25 zusammengezählt werden.

(2) Als Steuerkraftzahlen werden angesetzt

1. bei der Grundsteuer von den land- und forstwirtschaftlichen Betrieben sowie bei der Grundsteuer von den Grundstücken die Messbeträge, multipliziert mit 92 % des gewogenen Durchschnitts des Hebesatzes für die Grundsteuer von den Grundstücken, der für den kreisangehörigen Bereich im vergangenen Jahr ermittelt wurde, mindestens jedoch 260 %,

2. bei der Gewerbesteuer die Messbeträge, multipliziert mit 92 % des gewogenen Durchschnitts des Hebesatzes für die Gewerbesteuer, der für den kreisangehörigen Bereich im vergangenen Jahr ermittelt wurde, mindestens jedoch 310 %, vermindert um den für die Ermittlung der Gewerbesteuerumlage maßgeblichen Prozentsatz, der im vorvergangenen Jahr Anwendung gefunden hat,

3. bei dem Gemeindeanteil an der Einkommensteuer das Ist-Aufkommen im Zeitraum vom 1. Juli des vorvergangenen Jahres bis zum 30. Juni des vergangenen Jahres,

4. bei dem Gemeindeanteil an der Umsatzsteuer das Ist-Aufkommen im Zeitraum vom 1. Juli des vorvergangenen Jahres bis zum 30. Juni des vergangenen Jahres,

5. bei der Zuweisung des Landes an die Gemeinden nach § 25 der Zuweisungsbetrag für den Zeitraum vom 1. Juli des vorvergangenen Jahres bis zum 30. Juni des vergangenen Jahres.

Der Faktor, der sich aus der anteiligen Berücksichtigung des gewogenen Durchschnitts des Hebesatzes nach Satz 1 Nummer 1 und 2 ergibt, wird auf einen vollen Prozentsatz abgerundet.

(3) Als Messbeträge werden die Messbeträge der Grundsteuer von den land- und forstwirtschaftlichen Betrieben, die Messbeträge der Grundsteuer von den Grundstücken und die Messbeträge der Gewerbesteuer angesetzt, die sich ergeben, wenn das Ist-Aufkommen dieser Steuern im Zeitraum vom 1. Juli des vorvergangenen Jahres bis zum 30. Juni des vergangenen Jahres durch den Hebesatz des vergangenen Jahres für diese Steuern geteilt wird.

(4) Lassen sich Messbeträge nach Absatz 3 für eine Steuer nicht feststellen, weil eine Gemeinde sie nicht erhoben hat, kann das für Inneres zuständige Ministerium die Steuerkraftzahl festsetzen. Sie ist für jede Steuer nach dem Landesdurchschnitt je Einwohnerin oder Einwohner der kreisangehörigen Gemeinden im vergangenen Finanzausgleichsjahr zu bemessen.

(5) Werden in einer Verbandssatzung oder in einer öffentlich-rechtlichen Vereinbarung nach den §§ 5 und 18 des Gesetzes über kommunale Zusammenarbeit in der Fassung der Bekanntmachung vom 28. Februar 2003 (GVOBl. Schl.-H. S. 122), zuletzt geändert durch Artikel 4 des Gesetzes vom 22. Februar 2013 (GVOBl. Schl.-H. S. 72), Bestimmungen über die Aufteilung des Grundsteueraufkommens oder des Gewerbesteueraufkommens getroffen, können diese bei der Ermittlung der Steuerkraftmesszahl berücksichtigt werden, wenn sie mindestens für die Dauer von fünf Jahren gelten.

§ 9

Schlüsselzuweisungen an die Kreise und kreisfreien Städte

zum Ausgleich unterschiedlicher Umlagekraft und sozialer Lasten

(1) Jeder Kreis und jede kreisfreie Stadt erhält eine Schlüsselzuweisung zum Ausgleich unterschiedlicher Umlagekraft und sozialer Lasten, wenn die Umlagekraftmesszahl nach Absatz 3 vermindert um die Soziallastenmesszahl nach Absatz 4 (integrierte Messzahl) hinter der Ausgangsmesszahl nach Absatz 2 zurückbleibt. Die Schlüsselzuweisung zum Ausgleich unterschiedlicher Umlagekraft und sozialer Lasten beträgt 85 % der Differenz zwischen der Ausgangsmesszahl und der integrierten Messzahl (Schlüsselzahl).

(2) Die Ausgangsmesszahl wird ermittelt, indem die Einwohnerzahl der Gemeinden des Kreises oder der kreisfreien Stadt (§ 30) mit einem einheitlichen Grundbetrag vervielfältigt wird. Dieser für die Kreise und kreisfreien Städte einheitliche Grundbetrag ist durch das für Inneres zuständige Ministerium jährlich so festzusetzen, dass der Betrag nach § 4 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 für Schlüsselzuweisungen verwendet wird.

(3) Die Umlagekraftmesszahl des Kreises oder der kreisfreien Stadt wird ermittelt, indem die Umlagegrundlagen mit dem gewogenen Durchschnitt der Umlagesätze für die Kreisumlage (§ 31 Absatz 3) des vorvergangenen Jahres vervielfältigt werden. Die Umlagegrundlagen des Kreises ergeben sich aus der Summe der für die kreisangehörigen Gemeinden ermittelten Steuerkraftmesszahlen (§ 7) zuzüglich ihrer Gemeindeschlüsselzuweisungen (§ 5) und abzüglich ihrer Zahlungen in die Finanzausgleichsumlage (§ 21). Die Umlagegrundlagen der kreisfreien Stadt ergeben sich aus ihrer Steuerkraftmesszahl zuzüglich ihrer Gemeindeschlüsselzuweisung und abzüglich ihrer Zahlungen in die Finanzausgleichsumlage.

(4) Die Soziallastenmesszahl des Kreises oder der kreisfreien Stadt wird ermittelt, indem die Anzahl der Personen, die im Durchschnitt des vorvergangenen Jahres im Gebiet des Kreises oder der kreisfreien Stadt in Bedarfsgemeinschaften nach dem zweiten Buch des Sozialgesetzbuches lebten (§ 31 Absatz 4), mit 3.411 Euro vervielfältigt wird.

§ 10

Schlüsselzuweisungen an die Zentralen Orte

zum Ausgleich übergemeindlicher Aufgaben

(1) Zentrale Orte erhalten Schlüsselzuweisungen für die Wahrnehmung von Aufgaben für die Einwohnerinnen und Einwohner ihres Verflechtungsbereichs. Übergemeindliche Aufgaben sind in den Zentralen Orten zu erfüllen.

(2) Zentrale Orte im Sinne dieses Gesetzes sind die Gemeinden, die durch die Verordnung nach § 24 Absatz 3 des Landesplanungsgesetzes vom 27. Januar 2014 (GVOBl. Schl.-H. S. 8) als Zentrale Orte und Stadtrandkerne, soweit letztere nicht Ortsteil eines Zentralen Ortes sind, festgelegt sind. Maßgebend für die Zahlung der Zuweisungen an die Zentralen Orte sind die Verhältnisse am 1. Januar des Finanzausgleichsjahres.

(3) Von den nach § 4 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 bereitgestellten Mitteln werden verwendet für Zuweisungen an

1. die Oberzentren 56,3 %

2. die anderen Zentralen Orte 43,7 %.

(4) Die Mittel nach Absatz 3 Nummer 1 werden auf die Oberzentren im Verhältnis ihrer Einwohnerzahlen (§ 30 Absatz 1) aufgeteilt.

(5) Die Mittel nach Absatz 3 Nummer 2 werden so auf die anderen Zentralen Orte verteilt, dass die Zuweisung für

1. ein Mittelzentrum im Verdichtungsraum und ein Unterzentrum mit Teilfunktionen eines Mittelzentrums 60,0 %,

2. ein Unterzentrum und einen Stadtrandkern I. Ordnung mit Teilfunktionen eines Mittelzentrums 30,0 %,

3. einen ländlichen Zentralort und einen Stadtrandkern I. Ordnung 15,0 %,

4. einen Stadtrandkern II. Ordnung 7,5 %

der Zuweisung für ein Mittelzentrum beträgt, das nicht im Verdichtungsraum liegt.

(6) Sind Gemeinden nach der Verordnung nach § 24 Absatz 3 des Landesplanungsgesetzes vom 27. Januar 2014 (GVOBl. Schl.-H. S. 8) gemeinsam als Zentraler Ort oder Stadtrandkern eingestuft, wird die Zuweisung auf die Gemeinden aufgeteilt. Gehören die Gemeinden einem Kreis an und unterliegen der Kommunalaufsicht der Landrätin oder des Landrats, entscheidet diese oder dieser über die Aufteilung der Zuweisung. In allen anderen Fällen entscheidet das für Inneres zuständige Ministerium.

(7) Gemeinsame Zentrale Orte oder Stadtrandkerne nach Absatz 6 erhalten nach erfolgter gemeinsamer Einstufung in den drei folgenden Finanzausgleichsjahren eine Zuweisung mindestens in Höhe des Betrages, die den beteiligten Gemeinden ohne gemeinsame Einstufung zugestanden hätte. Absatz 6 gilt entsprechend.

(8) Zentrale Orte und Stadtrandkerne nach Absatz 2 oder 6 erhalten nach erfolgter Abstufung in den drei folgenden Finanzausgleichsjahren eine Zuweisung mindestens in Höhe des Betrages, die der Gemeinde oder den beteiligten Gemeinden ohne Abstufung zugestanden hätte. Dies gilt entsprechend

1. für den Wegfall von Einstufungen,

2. bei einer Eingliederung einer Gemeinde in eine andere Gemeinde (Eingemeindung),

3. bei einem Zusammenschluss einer oder mehrerer Gemeinden zu einer neuen Gemeinde (Vereinigung).

In den Fällen von Nummer 2 und 3 erhält der jeweilige Rechtsnachfolger die Zuweisung.

9

4. Bereits vor Eingang der verfahrensgegenständlichen kommunalen Verfassungsbeschwerde am 2. Dezember 2015 wurde durch das Gesetz über die Feststellung eines Nachtrags zum Haushaltsplan für das Haushaltsjahr 2015 vom 17. Juni 2015 (GVOBl S. 163) § 3 Abs. 2 Nr. 1 FAG für das Jahr 2015 dahingehend modifiziert, dass bei den Verbundgrundlagen auch die vom Bund zur Entlastung von Ländern und Kommunen im Zusammenhang mit der Aufnahme, Unterbringung, Versorgung und Gesundheitsversorgung von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern bereit gestellten Mittel zu berücksichtigen sind.

10

Eine weitere Änderung erfuhr das Gesetz durch das Haushaltsbegleitgesetz 2016 vom 16. Dezember 2015 (GVOBl S. 500), mit dem die Finanzausgleichsmasse um Einzelbeträge für die Förderung von Frauenhäusern und Frauenberatungsstellen erhöht (§ 3 Abs. 1 Satz 5 FAG 2014), die zunächst nur für 2015 erfolgte Modifizierung des § 3 Abs. 2 Nr. 1 FAG 2014 endgültig in das Finanzausgleichsgesetz übernommen sowie § 4 FAG 2014 in mehrfacher Hinsicht abgeändert wurden. Alle vorgenannten Änderungen wurden von den Beschwerdeführern nicht zum Gegenstand des Verfahrens gemacht.

11

5. Das Finanzausgleichsystem des FAG 2014 besteht im Grundsatz aus drei zentralen Elementen: die Bestimmung des insgesamt aus dem Landeshaushalt zur Verfügung gestellten Betrages, das heißt der sogenannten Finanzausgleichsmasse, in § 3 FAG 2014 (sogenanntevertikale Dimension des Finanzausgleichs), die nicht zweckgebundene Verteilung eines Großteils der Finanzausgleichsmasse auf die verschiedenen kommunalen Körperschaften über § 4 Abs. 1, §§ 5 bis 10 FAG 2014 (sogenanntehorizontale Dimension) sowie die zweckgebundene Verteilung eines geringeren Betrages nach § 4 Abs. 2, §§ 11 ff. FAG 2014 (sogenannte paternalistische Dimension).

12

a) § 3 FAG 2014 steuert denvertikalen Finanzausgleich über die Bildung der Finanzausgleichsmasse. Die Effektivität des kommunalen Finanzkraftausgleichs wird vor allem durch die Höhe der als Verteilungsmasse insgesamt zur Verfügung stehenden Finanzausgleichsmasse bestimmt, da ein hohes Finanzausgleichsvolumen insgesamt gesehen zu einer Verbesserung der kommunalen Finanzausstattung führt. Die Höhe der Finanzausgleichsmasse ist dabei determiniert durch die in § 3 Abs. 2 FAG 2014 vorgegebenen Verbundgrundlagen und den in § 3 Abs. 1 FAG 2014 vorgegebenen Verbundsatz von 17,83 %. Nach § 3 Abs. 3 FAG 2014 wird die Finanzausgleichsmasse für jedes Haushaltsjahr im Landeshaushaltsplan festgesetzt. Mit Haushaltsgesetz 2015 vom 11. Dezember 2014 (GVOBl S. 440) hat der Landtag die Finanzausgleichsmasse im Rahmen des Haushalts des Landes für das Haushaltsjahr 2015 auf 1.526.587.900 Euro festgesetzt sowie mit Haushaltsgesetz 2016 vom 16. Dezember 2015 (GVOBl S. 474) für das Jahr 2016 auf 1.505.620.800 Euro.

13

b) § 4 FAG 2014 definiert in seinem Absatz 2 die für diepaternalistische Dimension des Finanzausgleichs zur Verfügung stehenden Teilbeträge und steuert in seinem Absatz 1 zentral die Binnenaufteilung der Finanzausgleichsmasse im horizontalen Finanzausgleich.

14

Dabei wird in § 4 Abs. 2 FAG 2014 festgelegt, welche absoluten Beträge jährlich zweckgebunden für Konsolidierungshilfen, Fehlbetragszuweisungen, Theater und Orchester, Straßenbau und Infrastrukturlasten, Frauenhäuser und Frauenberatungsstellen, für die Förderung des Büchereiwesens sowie für Kindertageseinrichtungen und Tagespflegestellen zu verwenden sind. Die individuelle Verteilung der Vorwegabzugsbeträge nach § 4 Abs. 2 FAG 2014 erfolgt nach §§ 11 ff. FAG 2014. Diese Vorwegabzüge – die im Jahr 2015 ungefähr 10 % der Finanzausgleichsmasse ausmachten – werden von der Finanzausgleichsmasse subtrahiert. Nur die verbleibende Differenz wird sodann zweckungebunden auf die kommunalen Körperschaften verteilt.

15

Für die Verteilung der nicht nach Absatz 2 verteilten Mittel werden gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 FAG 2014 drei sogenannte Teilschlüsselmassen gebildet. Nach der hier verfahrensgegenständlichen Fassung des Finanzausgleichsgesetzes wurden 35,11 % als „Schlüsselzuweisungen an die Gemeinden zum Ausgleich unterschiedlicher Steuerkraft“ (Nr. 1), 49,33 % als „Schlüsselzuweisung an die Kreise und kreisfreie Städte zum Ausgleich unterschiedlicher Umlagekraft und sozialer Lasten“ (Nr. 2) und 15,56 % als Schlüsselzuweisung „an die zentralen Orte zum Ausgleich übergemeindlicher Aufgaben“ (Nr. 3) verteilt. Das Gesetz folgt dabei dem sogenannten „Zwei-Ebenen-Modell“, nach dem keine spezifischen Teilschlüsselmassen für Körperschaften, sondern für Aufgabenträger gebildet werden. In der Konsequenz erhalten insbesondere kreisfreie Städte Zuweisungen aus allen drei genannten Teilschlüsselmassen, da sie sowohl Gemeindeaufgaben als auch Kreisaufgaben sowie zentralörtliche Aufgaben wahrnehmen.

16

Nach Abzug der Zweckzuweisungen gemäß § 4 Abs. 2 FAG 2014 verblieben im Jahr 2015 für zweckungebundene Schlüsselzuweisungen 1.275.502,90 Euro, welche entsprechend den Schlüsselzuweisungssätzen des § 4 Abs. 1 Satz 1 FAG 2014 für Gemeinden in Höhe von 447.829.100 Euro, für Kreise und kreisfreie Städte in Höhe von 629.205.600 Euro und für übergemeindliche Aufgaben in Höhe von 198.468.200 Euro eingeplant wurden.

17

c) Ob und in welcher Höhe individuelle Gemeinden, Kreise oder kreisfreie Städte Schlüsselzuweisungen aus den derart festgestellten Teilschlüsselmassen erhalten, ergibt sich für Gebietskörperschaften mit Gemeindeaufgaben aus §§ 5 bis 8 FAG 2014, für Gebietskörperschaften mit Kreisaufgaben aus § 9 i.V.m. § 7 FAG 2014 und für Gebietskörperschaften mit zentralörtlichen Funktionen aus § 10 FAG 2014. Die individuelle Verteilung der Vorwegabzugsbeträge nach § 4 Abs. 2 FAG 2014 richtet sich nach §§ 11 ff. FAG 2014.

18

aa) Die Zuteilung von Schlüsselzuweisungen aus der Teilmasse für Kreisaufgaben wird nach § 9 FAG 2014 anhand von mehreren Messzahlen ermittelt: der Umlagekraftmesszahl, der aus den Parametern Personen in Bedarfsgemeinschaften nach dem SGB II und Vervielfältigungsfaktor 3.411 Euro zusammengesetzten Soziallastenmesszahl, der aus den Parametern Einwohnerzahl und Grundbetrag zusammengesetzten Ausgangsmesszahl sowie ergänzend dem Erstattungsschlüssel in Höhe von 85 %. In einer rechnerischen Formel lässt sich der dem Gesetz zu entnehmende Mechanismus wie folgt darstellen:

Schlüsselzuweisung =

[(Einwohnerzahl x Grundbetrag) = Ausgangsmesszahl

(Umlagekraftmesszahl – = Soziallastenmesszahl)] x 0,85

19

Der Umlagekraftmesszahl kommt dabei die Aufgabe zu, die Ertragskraft der jeweils betroffenen Körperschaften abzubilden. Sie ergibt sich für die kreisfreien Städte maßgeblich aus deren jeweiligen Steuerkraftmesszahlen (§ 9 Abs. 3 Satz 3 FAG 2014), für die Kreise aus dem Produkt von Umlagegrundlagen und durchschnittlichen Umlagesätzen (§ 9 Abs. 3 Satz 1 FAG 2014). Die Umlagegrundlagen ergeben sich wiederum maßgeblich aus den Steuerkraftmesszahlen der kreisangehörigen Gemeinden (§ 9 Abs. 3 Satz 2 FAG 2014). Um insoweit zu verhindern, dass Gemeinden bewusst einen niedrigen und damit in der regionalen Konkurrenz niederlassungsfördernden Grund- beziehungsweise Gewerbesteuerhebesatz festlegen und die Steuereinbußen über den Kommunalfinanzausgleich kompensieren, wird bei der Festlegung der Steuerkraftzahlen jedoch nicht auf die jeweils tatsächlichen Steuereinnahmen abgestellt, sondern auf den in § 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 FAG 2014 im Einzelnen definierten durchschnittlichen Hebesatz. Grundlage für die Bemessung der Schlüsselzuweisung ist damit nicht das tatsächliche Steueraufkommen, sondern ein fiktives Steuerausschöpfungspotential („Hebesatzanspannungs-potential“). Datengrundlage bei der Ermittlung dieses Durchschnitts sind die für den kreisangehörigen Bereich landesweit ermittelten Hebesätze des Vorjahres.

20

Der Soziallastenmesszahl kommt die Aufgabe zu, die Belastung der jeweiligen Körperschaft mit soziallastenbedingten Kosten abzubilden. § 9 Abs. 4 FAG 2014 definiert die Soziallastenmesszahl insoweit als Multiplikation der Zahl der in Bedarfsgemeinschaften von Grundsicherung für Arbeitsuchende lebenden Personen im Kreis-/ Stadtgebiet mit einem festgeschriebenen Betrag von 3.411 Euro (im Folgenden: Vervielfältigungsfaktor). Der Vervielfältigungsfaktor wurde aus dem Quotienten der durchschnittlichen Zuschussbedarfe für Soziallasten in den Jahren 2009 bis 2012 in den kommunalen Haushalten (778.051.902 Euro) und der durchschnittlichen Zahl an Personen in Bedarfsgemeinschaften im selben Betrachtungszeitraum (228.121,23) errechnet (vgl. ministerieller Vermerk, oben 2., Rn. 6).

21

Die Ausgangsmesszahl ergibt sich aus der Multiplikation der jeweiligen Einwohnerzahl mit einem Grundbetrag. Dieser wird jährlich neu festgesetzt, und zwar so, dass die Teilschlüsselmasse für Kreisaufgaben insgesamt stets vollständig ausgeschöpft und an die Zuweisungsempfänger verteilt wird. Die Höhe des Grundbetrages ist damit keine selbständige Größe, sondern wie in einem System kommunizierender Röhren abhängig von den übrigen Parametern. Ist beispielsweise die Teilschlüsselmasse schlecht dotiert, reduziert sich entsprechend der Grundbetrag. Ist die Teilschlüsselmasse hingegen gut dotiert, erhöht sich der Grundbetrag.

22

bb) Die Verteilung der Teilschlüsselmasse für Gemeindeaufgaben erfolgt nach einem ähnlichen Mechanismus, welcher sich aus §§ 5 ff. FAG 2014 ergibt. Auch hier wird die bereits genannte Steuerkraftmesszahl nach § 7 FAG 2014 einer Ausgangsmesszahl (§ 6 FAG 2014) gegenübergestellt. Die Höhe der jeweiligen Zuweisung beträgt dann im Grundsatz 70 % des Differenzbetrages (§ 5 Abs. 2 FAG 2014). Im Unterschied zum Regelungsansatz für Kreisaufgaben existieren hier neben der Steuerkraftmesszahl und der in die Ausgangsmesszahl integrierten Einwohnerzahl keine weiteren Parameter, insbesondere kein Ansatz für Soziallasten.

II.

23

Mit ihrer am 2. Dezember 2015 erhobenen Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführer eine Verletzung ihres Rechts auf kommunale Selbstverwaltung aus Art. 54 Abs. 1 und 2 LV, des interkommunalen Gleichbehandlungsgebots (Art. 54 Abs. 1 und 2 i.V.m. Art. 3 LV, Art. 3 Abs. 1 und Art. 28 Abs. 1 GG) sowie des Anspruchs auf angemessene Finanzausstattung aus Art. 57 LV beziehungsweise auf die Gewährleistung einer Mindestfinanzausstattung aus Art. 57 i.V.m. Art. 54 Abs. 1 und 2 LV. Zur Begründung führen sie im Wesentlichen Folgendes aus:

24

1. Die erhobene kommunale Verfassungsbeschwerde sei nach Art. 51 Abs. 2 Nr. 4 i.V.m. § 47 Landesverfassungsgerichtsgesetz (LVerfGG) zulässig. Insbesondere seien sie beschwerdebefugt. Soweit sie eine Verletzung ihres Anspruchs auf Mindestausstattung rügten, müssten sie hierfür keine Einzelheiten zu ihrer Haushaltslage oder zu Beschränkungen bei der Aufgabenerfüllung darlegen, zumal sie substantiell grundsätzliche Ausstattungs- und Verteilungsmängel geltend machten. Lediglich hilfsweise wiesen sie darauf hin, dass sich durch die angegriffenen Regelungen ihre strukturelle Haushaltslage erheblich verschlechtere. Auf Basis der im Regierungsentwurf verwerteten Daten des Finanzausgleichs 2014 ergäben sich für sie im Vergleich zu der Rechtslage vor der angegriffenen Reform Gesamtverluste an Schlüsselzuweisungen in Höhe von rund 7,2 Millionen Euro (Nordfriesland), rund 5,2 Millionen Euro (Ostholstein) und rund 5,3 Millionen Euro (Schleswig-Flensburg). Hinzu kämen weitere Verluste an Schlüsselzuweisungen in teilweise zweistelliger Millionenhöhe durch verschiedene Fehler im angegriffenen Gesetz. Auch tatsächlich habe sich das strukturelle Ergebnis bei ihnen für das Haushaltsjahr 2015 im Vergleich zum Haushaltsjahr 2014 erheblich verschlechtert. Die Kreise Ostholstein und Schleswig-Flensburg seien zudem Konsolidierungskreise. Weitere Einsparmöglichkeiten bestünden nicht. Für Nordfriesland habe das Ministerium für Inneres und Bundesangelegenheiten im Haushaltserlass vom 12. Mai 2015 festgehalten, dass dessen dauernde Leistungsfähigkeit nicht gegeben sei. Nordfriesland habe sich ein eigenes Konsolidierungsprogramm gegeben.

25

In Folge der angegriffenen Reform des kommunalen Finanzausgleichs seien die Beschwerdeführer nicht mehr aufgabenangemessen ausgestattet. Vergliche man die reformbedingten Verluste an Schlüsselzuweisungen mit den Salden der Beschwerdeführer aus laufender Verwaltungstätigkeit in den Jahren 2010 bis 2014 (Nordfriesland: zwischen rund -5,6 Millionen Euro und rund 1,2 Millionen Euro; Ostholstein: zwischen rund -5,3 Millionen Euro und rund 8,4 Millionen Euro; Schleswig-Flensburg: zwischen rund -1,3 Millionen Euro und rund 12,1 Millionen Euro) zeige sich unmittelbar, dass durch die verringerten Schlüsselzuweisungen die Spielräume zur Wahrnehmung von freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben beseitigt beziehungsweise stark reduziert würden. Dabei sei der Anteil der freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben am Haushaltsvolumen insgesamt bereits vor der Reform in den Jahren 2010 bis 2014 gering gewesen (Nordfriesland: zwischen 2,11 und 2,39 %, Ostholstein: zwischen 0,5 und 1,0 %; Schleswig-Flensburg: zwischen 0,54 und 1,16 %). Die aufgrund der Reform eintretenden finanziellen Verluste seien deutlich höher als die Beträge, die sie insgesamt für freiwillige Selbstverwaltungsaufgaben aufgebracht hätten. Ohnehin könne aber bei einer Quote von unter 1 % freiwilliger Selbstverwaltungsaufgaben am gesamten Aufgabenportfolio materiell nicht mehr von der Wahrnehmung kommunaler Selbstverwaltung gesprochen werden. In der Literatur würden 5 bis 10 % als notwendiges Selbstverwaltungsvolumen diskutiert.

26

Hinsichtlich des behaupteten Verstoßes gegen das interkommunale Gleichbehandlungsgebot meinen die Beschwerdeführer, durch die nachfolgenden Ausführungen sei hinreichend dargestellt, dass sie durch § 9 Abs. 1 FAG 2014 sowie durch die § 9 i.V.m. § 7 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 FAG 2014 im Vergleich zu den kreisfreien Städten gleichheitswidrig behandelt würden und dass die Ungleichbehandlung willkürlich erfolge. Darüberhinausgehende Darlegungen seien nicht erforderlich.

27

2. Die Verfassungsbeschwerde sei auch begründet.

28

a) Aus Art. 54 Abs.1 und 2 LV in Verbindung mit Art. 57 Abs. 1 LV folge ein gegen das Land gerichteter Anspruch der Kommunen auf eine aufgabenangemessene Finanzausstattung, deren Kern in einer unantastbaren und nicht unter dem Vorbehalt der Leistungsfähigkeit des Landes stehenden Mindestfinanzausstattung bestehe. Mit der Mindestfinanzausstattung sei gemeint, dass die Kommunen einen finanziellen Spielraum haben müssten, um neben den pflichtigen „Fremd- und Selbstverwaltungsaufgaben“ noch freiwillige Selbstverwaltungsaufgaben wahrnehmen zu können. Ob eine Verletzung des Mindestausstattungsanspruches vorliege, sei im Wege wertender Betrachtung im Einzelfall zu ermitteln.

29

Daneben müssten dem Land und den Kommunen die jeweils verfügbaren Finanzmittel gleichermaßen aufgabengerecht zukommen. Nur dieses sogenannte Gebot der vertikalen Verteilungssymmetrie stehe unter dem Leistungsfähigkeitsvorbehalt des Landes. Zudem müsse der Gesetzgeber bei der (horizontalen) Verteilung der Finanzmittel das interkommunale Gleichbehandlungsgebot berücksichtigen, welches im Selbstverwaltungsrecht der Kommunen nach Art. 54 Abs. 1 und 2 LV in Verbindung mit dem rechtsstaatlich determinierten Gleichheitssatz (Art. 3 LV i.V.m. Art. 3 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 GG) sowie in Art. 57 LV wurzele.

30

Außerdem bestünden Mindestanforderungen an das Gesetzgebungsverfahren. Der Gesetzgeber müsse den Bedarf realitätsgerecht und nachvollziehbar erheben, und zwar sowohl bezogen auf den vertikalen wie bezogen auf den horizontalen Finanzausgleich. Diese Erhebung müsse sich auf die beiden Parameter Aufgabenbelastung und Finanzkraft beziehen. Mit der Bedarfsermittlungspflicht verbunden sei zudem die Pflicht des Gesetzgebers, die wesentlichen Ergebnisse seiner Ermittlungen und seine hierauf fußenden Erwägungen durch eine Aufnahme in die Gesetzgebungsmaterialien transparent zu machen (Transparenzgebot). Durch ein Nachschieben von Gründen erst im verfassungsgerichtlichen Verfahren könne er hingegen seinen Darlegungspflichten nicht genügen. Zuletzt bestehe eine Beobachtungs- und gegebenenfalls Nachbesserungspflicht.

31

b) Gemessen an den so definierten Anforderungen verstoße das angegriffene Gesetz in mehrfacher Hinsicht gegen die Verfassung des Landes Schleswig-Holstein.

32

aa) So sei bereits die der Gesetzeskonzeption zugrunde liegende Sachverhaltsermittlung ungenügend. Eine aufgabenbezogene Bedarfserhebung habe nicht stattgefunden. Insbesondere das eingeholte Gutachten des Niedersächsischen Instituts für Wirtschaftsforschung gehe unzulässigerweise ausschließlich von dem tatsächlichen kommunalen Ausgabenverhalten und nicht von den objektiven Erfordernissen der zur Erfüllung gegebenen Aufgaben aus. Zudem seien die gutachterlich herangezogenen statistischen Rechenwerke wegen der laufenden Umstellung von der Kameralistik auf die Doppik ungeeignet. Fehlerhaft seien auch die durch den Übergang auf das reine Zwei-Ebenen-Modell erforderlich gewordene Abgrenzung der Gemeinde- von den Kreisaufgaben sowie die Bestimmung der überörtlichen Aufgaben. Nicht nachvollziehbar seien des Weiteren die verwandten Zahlenwerke. Zuletzt sei es unzulässig, im Rahmen der Ausgestaltung des kommunalen Finanzausgleichs aufgelaufene Verschuldung und Kassenkredite einzubeziehen. Da diese im kreisfreien Raum größer seien als im ländlichen Bereich, der in der Vergangenheit weniger Kredite aufgenommen habe, würde letzterer benachteiligt.

33

bb) Bereits die in § 3 FAG 2014 definierte Finanzausgleichssumme sei daher fehlerhaft bestimmt und im Ergebnis zu niedrig bemessen. Die Wertung des Gesetzgebers, die kommunale Finanzsituation sei auskömmlich, sei unzutreffend. Die in der Gesetzesbegründung zum Beleg hierfür genannten Indizien seien in mehrfacher Hinsicht unzureichend. So sei etwa der zugrunde gelegte Referenzzeitraum für die Kostenschätzungen deutlich zu kurz bemessen. Zudem seien die Steuerkraft der Gemeinden nach § 7 FAG 2014 ebenso wie die Umlagekraft der Kreise nach § 9 FAG 2014 willkürlich abgebildet worden.

34

cc) § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FAG 2014 verletze die Beschwerdeführer in ihrem Anspruch auf Mindestausstattung. Die Finanzausgleichsmasse zum Ausgleich unterschiedlicher Umlagekraft und sozialer Lasten sei unangemessen niedrig bemessen. Dies ergebe sich zum einen aus dem Umstand, dass die Finanzausgleichsmasse insgesamt zu niedrig dotiert sei. Unabhängig davon sei die Höhe dieser Teilschlüsselmasse fehlerhaft lediglich nach den Ausgaben und nicht bedarfsgerecht erhoben worden. Zudem liege ein Systembruch bei der Bedarfsermittlung dieser Teilschlüsselmasse vor, weil die seinerzeitige durchschnittliche Belastung aus der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung von 115 Millionen Euro vor dem Hintergrund der vollständigen Übernahme dieser Kosten ab 2014 vom Bund herausgerechnet worden sei, während andere, ebenfalls absehbare Änderungen nicht berücksichtigt worden seien.

35

Des Weiteren sei der Anteil zentralörtlicher Aufgaben in § 4 Abs. 1 FAG 2014 zulasten der Teilmasse für Kreisaufgaben zu hoch angesetzt. Während das Gutachten des Niedersächsischen Instituts für Wirtschaftsforschung einen Zuschussbedarf für übergemeindliche Aufgaben in Höhe von 146,15 Millionen Euro ansetze, würden in 2015 über § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 FAG 202,7 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Eine weitere Verzerrung ergebe sich aus der Berücksichtigung der Zinslasten bei der Bedarfserhebung der verschiedenen Aufgabenträger. Dies bevorzuge einseitig die kreisfreien Städte mit ihrem hohen Schuldenstand.

36

dd) § 7 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 FAG 2014 verletzte das interkommunale Gleichheitsgebot. Die dort enthaltenen fiktiven Hebesätze seien der Höhe nach willkürlich festgelegt worden. Der Gesetzgeber dürfe Gruppen von Gemeinden, zwischen denen in Bezug auf ihr Steuerausschöpfungspotential wesentliche Unterschiede bestünden, nicht gleich behandeln. Zumindest aber müsse sichergestellt werden, dass die fiktiven Hebesätze tatsächlich auf der Basis des Durchschnitts erhoben würden. Hieran gemessen stelle sich die angegriffene Regelung schon deshalb als willkürlich dar, weil keine gestuften, sondern einheitliche Hebesätze definiert worden seien. Durch die Verwendung einheitlicher Hebesätze würden die Realsteuerkraftzahlen der kreisangehörigen Gemeinden unrealistisch hoch dargestellt, während die Realsteuerkraftzahlen der kreisfreien Gemeinden unrealistisch niedrig eingeschätzt würden. Willkürlich sei weiter, dass die Hebesätze des § 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 FAG 2014 allein auf der Grundlage der tatsächlichen Hebesätze des kreisangehörigen Bereichs zu errechnen seien, während die tatsächlichen Hebesätze des kreisfreien Raumes unberücksichtigt blieben. Dasselbe gelte für die Multiplikation des gewogenen Durchschnitts der Hebesätze mit dem Faktor 92 %. Hierdurch ergäben sich weitere erhebliche Verschiebungen zwischen den betroffenen Kommunalgruppen zugunsten der kreisfreien Städte in Höhe von rund 16 Millionen Euro.

37

Die willkürliche Festsetzung der Hebesätze des § 7 FAG 2014 betreffe sie, die Beschwerdeführer, konkret, da die Hebesätze nach § 7 Abs. 2 Satz 1 FAG 2014 über § 9 Abs. 3 FAG 2014 die für die Verteilung der ihnen zustehenden Kreisschlüsselzuweisungen maßgebliche Umlagekraftmesszahl mitbestimmten. Auf der Grundlage gruppenspezifischer Durchschnittswerte gebildeter Hebesätze stünden sie um rund 3,4 Millionen Euro (Ostholstein), rund 1,6 Millionen Euro (Nordfriesland) beziehungsweise rund 3,5 Millionen Euro (Schleswig-Flensburg) besser. Die Finanzausgleichsleistungen der Kreise seien gegenüber denen der kreisfreien Städte um ca. 34 % zu niedrig.

38

ee) In § 9 Abs. 1 FAG 2014 werde die Teilschlüsselmasse für Kreisaufgaben durch die Minderung der die Finanzkraft abbildenden Umlagekraftmesszahl über die Soziallastenmesszahl zum Nachteil der Kreise willkürlich verteilt. Indikatoren für die Finanzkraft würden so sachwidrig mit Indikatoren für den aufgabenbezogenen finanziellen Bedarf (Ausgangsmesszahl) vermischt. Dies bewirke, dass der Bedarf für Soziallasten doppelt und damit im Vergleich zu den anderen Bedarfen überproportional und asymmetrisch berücksichtigt werde. Im wirtschaftlichen Ergebnis fielen die Schlüsselzuweisungen an die kommunale Gruppe mit höheren Soziallasten – faktisch die kreisfreien Städte – damit unangemessen hoch aus, während die Schlüsselzuweisungen an die andere Gruppe – faktisch die Kreise – unangemessen niedrig ausfielen, und zwar für die Beschwerdeführer in Höhe von 13,7 Millionen Euro (Nordfriesland), 3,6 Millionen Euro (Ostholstein) und eine Million Euro (Schleswig-Flensburg).

39

Schließlich hätte der Gesetzgeber neben den Bedarfsfaktoren Einwohner und Soziallasten weitere Bedarfsfaktoren, wie etwa die Fläche, zumindest in Erwägung ziehen müssen.

40

Die Beschwerdeführer beantragen wörtlich,

festzustellen, dass die Regelungen des § 9 Abs. 1, §§ 9 i.V.m. 7 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 und 2, §§ 9 i.V.m. 3, 4 Abs. 1 Nr. 2 sowie § 9 i.V.m. §§ 10, 4 Abs. 1 Nr. 3 des Gesetzes über den kommunalen Finanzausgleich in Schleswig-Holstein (Finanzausgleichsgesetz – FAG) vom 10. Dezember 2014, in Kraft getreten am 1. Januar 2015, die Beschwerdeführer in ihrem Recht auf Selbstverwaltung aus Art. 54 Abs. 1 und 2 der Verfassung des Landes Schleswig-Holstein in Verbindung mit Art. 57 Abs. 1 der Verfassung des Landes Schleswig-Holstein und dem rechtsstaatlich determinierten Gleichheitssatz (Art. 3 der Verfassung des Landes Schleswig-Holstein i.V.m. Art. 3 Abs. 1, 28 Abs. 1 des Grundgesetzes) verletzen und nichtig sind.

III.

41

1. Der Schleswig-Holsteinische Landtag hat von einer Stellungnahme abgesehen.

42

2. Nach Auffassung der Schleswig-Holsteinischen Landesregierung sind die von den Beschwerdeführern angegriffenen Regelungen verfassungskonform.

43

a) Art. 57 Abs. 1 LV sei als Gebot der Verteilungsgerechtigkeit und Verteilungssymmetrie zu verstehen, so dass es auf das ausgewogene Verhältnis der möglichst weitgehend aufgabenangemessenen Finanzausstattung des Landes und der Kommunen ankomme. Die Grunddaten der finanziellen Entwicklung beider Ebenen müssten – soweit vergleichbar – in etwa parallel verlaufen. Dies schließe ein, dass in Situationen finanzieller Restriktionen auch das Land Spar- und Konsolidierungsanstrengungen unternehmen müsse. Von der Leistungsfähigkeit des Landes losgelöste, „absolute“ Rechtspositionen der Kommunen seien hiermit unvereinbar.

44

Bei der Ausgestaltung des Finanzausgleichs seien zudem das Gebot interkommunaler Gleichbehandlung sowie das Gebot der Systemgerechtigkeit und Folgerichtigkeit zu beachten. Grundsätzlich stehe es dem Gesetzgeber frei, von einem selbst gesetzten System mit hinreichenden Gründen abzuweichen. Die verfassungsgerichtliche Kontrolle sei insoweit auf eine Evidenzkontrolle begrenzt.

45

Verfahrensbezogene Pflichten träfen den Gesetzgeber im Übrigen bei der Ausgestaltung des Finanzausgleichs nicht. Insbesondere sei er weder verpflichtet, „wissenschaftlich“ vorzugehen, noch müsse er begründen, warum er ein Gesetz mit einem bestimmten Inhalt erlassen habe.

b) Gemessen an diesen Maßstäben sei das angegriffene Gesetz in keiner Hinsicht zu beanstanden.

46

aa) Der Gesetzgeber habe die teilweise neue Technik der Verteilung der Finanzausgleichsmasse ausführlich beschrieben. Grundlage hierfür sei eine detaillierte und genaue Ermittlung der kommunalen Aufgaben und Ausgaben über einen für prognostische Betrachtungen ausreichend langen Zeitraum gewesen. Eine stärker aufgabenbezogene Betrachtung könne schon aufgrund des Wortlauts des Art. 57 Abs. 1 LV nicht verlangt werden. In die Bestimmung der erforderlichen Ausgaben flössen zudem derart viele Gestaltungs-, Ermessens- und Einschätzungsfaktoren ein, dass lediglich plausible, rational nachvollziehbare Erwägungen gefordert seien. Da es verschiedene Methoden der Bedarfserhebung gebe, stehe dem Gesetzgeber insoweit ein Spielraum zu.

47

bb) Entsprechend stehe die in § 3 FAG 2014 zum Ausdruck kommende vertikale Finanzverteilung im Einklang mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben.

48

Sowohl die Einnahmenentwicklung als auch die Auskömmlichkeit der kommunalen Finanzausstattung seien ermittelt und begründet worden. Ergänzend sei darauf zu verweisen, dass der bis 2014 negative Finanzierungssaldo des Landes im Jahr 2015 +256 Millionen Euro betragen habe, während sich der Finanzierungssaldo der Gemeinden und Gemeindeverbände seit 2011 stetig von -40 Euro/ Einwohner auf -8 Euro/ Einwohner verbessert habe. Der Befund der vertikal auskömmlichen Dotierung des Finanzausgleichs werde außerdem durch das im Verfassungsgerichtsverfahren eingeholte Gutachten des Finanzwissenschaftlichen Forschungsinstituts an der Universität zu Köln vom 23. Mai 2016 (zur „Verteilungssymmetrie im vertikalen Teil des kommunalen Finanzausgleich Schleswig-Holsteins“) belegt.

49

Es liege im Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, den vertikalen Teil des kommunalen Finanzausgleichs nach dem Verbundquotenmodell zu organisieren. Im Übrigen werde diese Methode in den Folgejahren – verglichen mit der vorherigen Rechtslage – zu erhöhten Einnahmen der Kommunen führen.

50

cc) Bei der Ermittlung der in § 4 FAG 2014 enthaltenen Verteilungsquoten habe sich der Gesetzgeber gestützt auf das umfangreiche Gutachten des Niedersächsischen Instituts für Wirtschaftsforschung ein umfassendes Bild über die Einnahmen- und aufgabenbezogene Ausgabensituation der Kommunen verschafft. Das Gutachten habe sich mit der Abgrenzung und Bewertung der in § 4 FAG 2014 vorgesehenen zentralörtlichen Aufgaben ausführlich befasst; die von ihm herangezogenen Kriterien für die Zentralörtlichkeit einer Aufgabe entsprächen anerkannten finanzwissenschaftlichen Grundsätzen. Die Bewertung des Bedarfs für zentralörtliche Aufgaben sei ebenfalls gutachterlich fundiert und plausibel begründet.

51

In der Herausnahme der Ausgaben für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung aus den Daten zur Ermittlung der durchschnittlichen Finanzbedarfe liege kein Verstoß gegen das Gebot der Systemgerechtigkeit, da bei diesen – anders als bei den anderen von den Beschwerdeführern angeführten künftigen Änderungen – festgestanden habe, dass der Bund ab 2014 diese Kosten übernehmen werde.

52

dd) Fiktive Hebesätze wie in § 7 Abs. 2 Satz 1 FAG 2014 würden in allen Finanzausgleichssystemen verwendet. Eine Verpflichtung, differenziert gewogene Hebesätze in Anlehnung an die Größe der Gemeinden oder an andere Kriterien – etwa an den Standort oder die Lage – zu bestimmen, bestehe nicht. Denn es gebe derzeit kein kohärentes Theoriedesign zur Abbildung nachweisbarer Hebesatzpotentiale. Die kreisfreien Städte würden weder durch die Datengrundlagen noch durch den angesetzten Faktor gegenüber den Kreisen „relativ arm“ gerechnet, da die Ermittlung der Schlüsselzuweisungen nicht an kommunale Gruppen, sondern an Aufgaben anknüpfe. Im Übrigen hätten die kreisfreien Städte höhere Soziallasten zu tragen.

53

ee) Die Einführung des Soziallastenindikators in § 9 FAG 2014 sei sowohl dem Grundsatz nach als auch in der konkreten Ausgestaltung verfassungsrechtlich unbedenklich. Die Ermittlung der aus Finanzkraft und Soziallastenmesszahl bestehenden integrierten Messzahl stelle eine besondere Technik zur Ermittlung der Belastung aus den sozialen Aufgaben der Kreise und kreisfreien Städte dar und liege in der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers. Es sei im Finanzausgleichssystem nicht unüblich, bereits auf der Finanzkraftseite Faktoren für Finanzbedarfe zu berücksichtigen. Zudem würden dabei alle Kommunen gleich behandelt und es sei sowohl eine Nivellierung als auch eine Vertauschung der Finanzkraftreihenfolge ausgeschlossen.

54

Das Fehlen eines Flächenansatzes korrespondiere schlüssig mit dem Verzicht auf eine sogenannte Einwohnerwertung. Der Gesetzgeber habe sich dafür entschieden, – behauptete – Kosten der Agglomeration nicht zu berücksichtigen, so dass er auch – behauptete – Kosten der Deglomeration unberücksichtigt lassen könne. Der Gesamtmechanismus sei so weniger streitanfällig und kompliziert, ohne an Genauigkeit einzubüßen. Aufgrund welcher konkreten Umstände bei der Erfüllung der jeweiligen Aufgabe aus dem Verhältnis von Einwohnerzahl und Fläche überproportional hohe Kosten entstehen könnten, erschließe sich im Übrigen nicht.

55

c) Abschließend weist die Landesregierung darauf hin, dass die Beschwerdeschrift, insbesondere in den Anlagen 3, 5 bis 7 und 9, nicht nachvollziehbare Zahlen und Rechenschritte enthalte. Die von den beschwerdeführenden Kreisen genannten Zahlen zu ihrer eigenen Finanzlage entsprächen zudem nicht dem neuesten Stand. Für den Kreis Nordfriesland läge mittlerweile der Jahresabschluss 2015 vor. Das Haushaltsjahr 2015 habe mit einem Überschuss von rund 3 Millionen Euro geschlossen. Ursprünglich sei mit einem Defizit von rund 5 Millionen Euro gerechnet worden. Der Kreis Ostholstein habe das Haushaltsjahr 2014 mit einem Überschuss von rund 11 Millionen Euro abgeschlossen. Das Jahr 2015 werde er nach eigenen Angaben mit einem Überschuss von rund 7 Millionen Euro abschließen. 2015 seien sämtliche Defizite der Vergangenheit abgebaut worden. Der Kreis Schleswig-Flensburg sei mit der Vorlage seiner Jahresabschlüsse in Rückstand.

56

3. Der Schleswig-Holsteinische Gemeindetag, der Städteverband Schleswig-Holstein und der Schleswig-Holsteinische Landkreistag haben Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.

57

a) Der Schleswig-Holsteinische Gemeindetag rügt, wie die Beschwerdeführer, dass der Finanzausgleich insgesamt nicht auskömmlich dotiert sei, obwohl bereits während des Gesetzgebungsverfahrens eindeutige Indizien für die mangelhafte Finanzausstattung der Kommunen vorgelegen hätten und er ausdrücklich um Prüfung gebeten habe.

58

Leidtragende der Reform seien im Ergebnis in besonderem Maße die Gemeinden mit einer besonders geringen Steuerkraft von weniger als 500 Euro pro Einwohner. Die Erhöhung der Nivellierungssätze in § 7 Abs. 2 Satz Nr. 1 und 2 FAG 2014 habe zu einer weiteren Benachteiligung der kreisangehörigen Gemeinden zugunsten der Kreise geführt.

59

Soweit es um die Verteilung der Schlüsselzuweisungen für Gemeindeaufgaben gehe, sei bei der horizontalen Verteilung eine vertiefte Befassung mit gemeindlichen Aufgaben verfassungsrechtlich nicht geschuldet. Die Verteilung anhand der Parameter Steuerkraft und Einwohnerzahl habe sich bewährt. Es sei zulässig, bei der Aufteilung der Teilschlüsselmassen Zuschussbedarfe durch eine typisierende Betrachtung der Ausgaben zu ermitteln, da die Kommunen über das Ob (bei freiwilligen Aufgaben) und das Wie der Aufgabenerfüllung selbst entscheiden dürften.

60

Problematisch sei hingegen der gewählte Verteilungsmechanismus für die Teilmasse für zentralörtliche Aufgaben. Hier sei es bei der Ausgestaltung des § 10 FAG 2014 zu einer Beeinflussung des Ergebnisses durch das Ausgabenverhalten einzelner Kommunen gekommen. Zudem würden die Theater der kreisfreien Städte über eine Kombination von Vorwegabzug und Zuweisungen für zentralörtliche Aufgaben doppelt finanziert. Die Zuschussbedarfe für Berufsschulen seien unvertretbar gewichtet. Ferner seien die einheitlichen Hebesätze des § 7 Abs. 2 Satz 1 FAG 2014 zu kritisieren. Demgegenüber sei die Nichtberücksichtigung der Kosten der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung geboten gewesen, um nicht bereits bei Inkrafttreten des Gesetzes offensichtlich unzutreffende Daten zugrunde gelegt zu haben. Eine derart sicher absehbare Kostenentlastung habe es bei keinem anderen Aufgabenbereich von vergleichbarem Gewicht gegeben.

61

b) Der Städteverband Schleswig-Holstein hebt in seiner Stellungnahme hervor, dass die Kommunen in Schleswig-Holstein seit Jahren strukturell unterfinanziert seien. Die Finanzprobleme konzentrierten sich bei den kreisfreien Städten, auf die allein knapp 2/3 aller aufgelaufenen Defizite entfielen, obwohl sie nur rund 22 % der Gesamtbevölkerung stellten. Den kreisfreien Städten fehle weitgehend die Möglichkeit zur Eigenfinanzierung. Daneben zeige sich, dass aber auch viele weitere Städte im kreisangehörigen Raum strukturell unterfinanziert seien. Besondere Disparitäten ergäben sich in Bezug auf die Möglichkeit zur Eigenfinanzierung Zentraler Orte im ländlichen Raum. Im Gegensatz hierzu zeige sich bei den Kreisen eine weitgehend stabile Haushaltsentwicklung. Der Finanzausgleich könne nicht einmal eine Mindestfinanzausstattung sicherstellen, die alle Städte und Gemeinden in die Lage versetze, ein Mindestmaß an freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben wahrzunehmen, ohne weitere Defizite aufzubauen.

62

Der Verfassung sei ein solcher Anspruch auf Mindestausstattung zu entnehmen, bei dem die Finanzkraft des Landes unerheblich sei. Erst jenseits dieses Kernbereichs spiele die Leistungsfähigkeit des Landes eine Rolle. Das Beispiel der Krankenhausfinanzierung zeige, dass ein bereits auf den Mindestausstattungsanspruch durchschlagender Leistungsfähigkeitsvorbehalt mit den Aufgaben- und Ausgabenverpflichtungen unvereinbar sei. Im Übrigen habe das Land im Jahr 2015 einen Überschuss von 187 Millionen Euro erwirtschaftet, während die Kommunen per Saldo mit einem Defizit von 22,3 Millionen Euro abgeschlossen hätten. Bereits dies indiziere einen Verstoß gegen die kommunale Mindestfinanzierungsgarantie.

63

Bezogen auf den horizontalen Finanzausgleich sei jedoch kein Verstoß gegen das Gebot der interkommunalen Gleichbehandlung oder der Systemgerechtigkeit und Folgerichtigkeit festzustellen. Aufgrund des sehr heterogenen Aufgabenbestandes der verschiedenen Kommunen bedürfe es eines politischen Einschätzungsspielraumes. Vor diesem Hintergrund sei gerade bei der Regelung über den Soziallastenausgleich und beim Gewicht der paternalistischen Dimension des Finanzausgleichs ein Verfassungsverstoß nicht zu erkennen. Im Übrigen sei das Verfahren „vorbildhaft geführt“ worden. Insbesondere sei die Neubemessung der Teilschlüsselmassen in § 4 FAG 2014 ebenso wie die Nichteinbeziehung der Kosten der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung positiv zu bewerten. Dass Zuschussbedarfe für Theater und Orchester doppelt angerechnet worden seien, sei nicht zu erkennen. Nur teilweise überzeuge hingegen der gewählte Zentrale-Orte-Ansatz in § 10 FAG 2014, insoweit wäre es vorteilhafter gewesen, den Status Quo vor der Reform beizubehalten.

64

c) Der Schleswig-Holsteinische Landkreistag erklärt, sich den Vortrag der drei Beschwerdeführer zu Eigen zu machen. Er beanstandet, dass das der Neukonzeption des Finanzausgleichs zugrunde liegende Gutachten ausschließlich von Ausgaben und nicht von Aufgaben ausgehe. Auf diesem Wege seien verhaltensgeprägte Werte und nicht objektivierte, notwendige Aufwendungen für Aufgaben Ausgangspunkt aller Überlegungen. Es hätte einer Bestandsaufnahme der tatsächlichen Kosten und ihrer Objektivierung durch ein anerkanntes Statistikverfahren bedurft. Derartige Verfahren seien verfügbar, etwa das Standardkostenmodell, ein Benchmarking, die Regressionsanalyse oder die Korridorbereinigung.

65

Unzulässig sei die Ausgestaltung der Schlüsselzuweisungen an Kreise und kreisfreie Städte zum Ausgleich unterschiedlicher Umlagekraft und sozialer Lasten nach § 9 FAG 2014. Im Prinzip werde so der typisierte Aufwand in Form der Ausgangsmesszahl mit der typisierten Finanzkraft in Form der Umlagekraftmesszahl beziehungsweise der Steuerkraftmesszahl verglichen. Durch den Abzug des typisierten Sozialaufwandes von der Ertragsseite – und nicht von der Aufwandsseite – werde dieses System durchbrochen. In der Folge werde dem vollen Aufwand in Form der Ausgangsmesszahl ein künstlich und damit systemwidrig und willkürlich verringerter Ertrag gegenübergestellt. Dadurch erhielten die Soziallasten ein doppeltes Gewicht.

66

Zu weiteren Verzerrungen führe der Umstand, dass die Ausgangsmesszahl und die Steuerkraftmesszahl nicht nach gleichen Kriterien bestimmt würden. Denn über die fiktiven Hebesätze nach § 7 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 FAG 2014 würden die Einnahmemöglichkeiten der kreisfreien Städte nur zu 73,32 %, die der Kreise aber zu 100 % angerechnet. Der einheitliche Nivellierungssatz sowohl für kreisfreie Städte als auch kreisangehörige Gemeinden trotz sehr unterschiedlicher tatsächlicher Steuerkraft führe im Ergebnis zu einer unterschiedlichen Berücksichtigung der tatsächlichen Einnahmekraft. Damit verstoße der Gesetzgeber gegen das Gleichbehandlungsgebot.

67

Zuletzt zeigten die Zahlen der Vierteljahresstatistik 2015, dass der ländliche Raum benachteiligt werde, indem er von der an sich positiven Entwicklung weniger profitiert habe als der städtische Raum. Die kreisfreien Städte hätten sich bei gleichzeitiger Rückführung der Kassenkredite um 10,6 % nur mit 3 % am Kreditmarkt neu verschulden müssen. Der ländliche Raum habe hingegen 10,8 % an neuen Kreditmarktmitteln bei gleichzeitiger Rückführung der Kassenkredite um 12,4 % benötigt.

B.

68

Die kommunale Verfassungsbeschwerde ist nur bezogen auf § 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 und § 9 Abs. 1 und Abs. 4 FAG 2014 zulässig, im Übrigen unzulässig (I.). Soweit die Verfassungsbeschwerde zulässig ist, ist sie, mit Ausnahme des § 9 Abs. 4 FAG 2014, begründet (II.).

I.

69

Die innerhalb der Jahresfrist des § 47 Abs. 2 LVerfGG erhobene Verfassungsbeschwerde ist nur zu § 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 und zu § 9 Abs. 1 und Abs. 4 FAG 2014 und insoweit nur unter dem Gesichtspunkt der gerügten Verletzung des interkommunalen Gleichbehandlungsgebots zulässig, im Übrigen unzulässig.

70

1. Die Beschwerdeführer sind nur in dem soeben aufgezeigten Umfang beschwerdebefugt. Das Erfordernis der Beschwerdebefugnis folgt aus § 47 LVerfGG. Erforderlich ist hiernach, dass die Beschwerdeführer einen Sachverhalt darlegen (§ 20 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 LVerfGG), aufgrund dessen eine Verletzung ihrer verfassungsrechtlichen Selbstverwaltungsgarantie zumindest möglich erscheint

(Urteil vom 3. September 2012 - LVerfG 1/12 -, LVerfGE 23, 361 ff., Rn. 28 = SchlHA 2012, 431 ff. = NVwZ-RR 2012, 913 ff., Juris Rn. 30; Beschluss vom 17. Juni 2016 - LVerfG 3/15 u.a. -, NordÖR 2016, 294 ff. = ZNER 2016, 354 ff. = NVwZ-RR 2016, 801 ff., Juris Rn. 22 m.w.N.; vgl.: BVerfG, Beschluss vom 15. Oktober 1985
- 2 BvR 1808/82 u.a. -, BVerfGE 71, 25 ff., Juris Rn. 31 ff.).

71

Die Gemeinden und Gemeindeverbände müssen hierfür substantiiert darlegen, durch die angegriffene Regelung in ihren verfassungsmäßig geschützten Rechten (a) unmittelbar (b), selbst (c) und gegenwärtig betroffen zu sein

(Urteil vom 3. September 2012 - LVerfG 1/12 - Rn. 28, a.a.O., Juris Rn. 30; Beschluss vom 17. Juni 2016 - LVerfG 3/15 u.a. -, a.a.O., Juris Rn. 22 m.w.N.).

72

a) Das Landesverfassungsgericht entscheidet nach Art. 51 Abs. 2 Nr. 4 LV, § 3 Nr. 4 LVerfGG in Verbindung mit § 47 LVerfGG über Verfassungsbeschwerden von Gemeinden und Gemeindeverbänden wegen der Verletzung des Rechts auf kommunale Selbstverwaltung nach Art. 54 Abs. 1 und 2 LV durch ein Landesgesetz. Eine kommunale Verfassungsbeschwerde kann im Grundsatz aber auch auf eine Verletzung von Art. 57 Abs. 1 LV gestützt werden.

73

Der Wortlaut der insoweit maßgeblichen Art. 51 Abs. 2 Nr. 4 LV, § 3 Nr. 4 LVerfGG spricht zwar zunächst gegen letzteres. Beide Bestimmungen ermöglichen Verfassungsbeschwerden wegen der Verletzung des Rechts auf Selbstverwaltung nach Artikel 54 Abs. 1 und 2 LV. Art. 57 LV hingegen ist als beschwerdefähige Rechtsposition nicht aufgeführt.

74

Jedoch können auch Rechtspositionen aus anderen Verfassungsbestimmungen als Art. 54 Abs. 1 und 2 LV Prüfungsmaßstab im Verfahren über die kommunale Verfassungsbeschwerde sein, soweit sie nach ihrem Inhalt geeignet sind, das verfassungsrechtliche Bild der Selbstverwaltung mitzubestimmen

(Groth, in: Caspar/ Ewer/ Nolte/ Waack, Verfassung des Landes Schleswig-Holstein, Kommentar, 2006, Art. 49, Rn. 20; vgl. zu Art. 28 Abs. 2 GG: BVerfG, Urteil vom 20. Dezember 2007 - 2 BvR 2433/04 -, BVerfGE 119, 331 ff., Juris Rn. 125 ff.; sowie jeweils für ihren Verfassungsraum: VerfG Brandenburg, Urteil vom 22. November 2007 - VfGBbg 75/05 -, LVerfGE 18, 159 ff., Juris Rn. 95 f.; VerfGH Thüringen, Urteil vom 18. März 2010 - VerfGH 52/08 -, ThürVGRspr 2011, 153 ff., Juris Rn. 27).

75

Dies ist bei den sich aus Art. 57 Abs. 1 LV ergebenden Rechtspositionen der Fall. Sie finden sich systematisch im selben Abschnitt wie Art. 54 LV und dienen nach Inhalt und Begründung ausschließlich dazu, den kommunalen Selbstverwaltungsanspruch zu sichern, zu konkretisieren und mit Leben zu erfüllen. Entgegenstehende Anhaltspunkte ergeben sich des Weiteren nicht aus der Genese der entsprechenden Verfassungsbestimmungen. Insbesondere ist aus den Materialien zur Verfassungsreform vom 2. Dezember 2014 (GVOBl 344) kein Anhaltspunkt dafür zu entnehmen, dass die kommunalen Rechtspositionen des Art. 57 Abs. 1 LV nicht beschwerdefähig sein könnten.

76

b) Das Kriterium der Unmittelbarkeit steht der Beschwerdebefugnis vorliegend nicht entgegen. Im Kontext von Kommunalverfassungsbeschwerden gegen Gesetze kommt dieser Voraussetzung nur dann Bedeutung zu, wenn es zur Umsetzung des angegriffenen Gesetzes einer Verordnung bedarf. Bedarf das Gesetz hingegen – wie hier – der Umsetzung durch Verwaltungsakt, hindert dies die Beschwerdebefugnis nicht

(Urteil vom 3. September 2012 - LVerfG 1/12 -, a.a.O., Juris Rn. 29; vgl. weiter: BVerfG, Beschluss vom 15. Oktober 1985
- 2 BvR 1808/82 -, BVerfGE 71, 25 ff., Juris Rn. 31; LVerfG Mecklenburg - Vorpommern, Urteil vom 18. Dezember 2003 - LVerfG 13/02 -, NordÖR 2004, 237 ff., Juris Rn. 39; VerfG Brandenburg, Urteil vom 22. November 2007 - VfGBbg 75/05 -, a.a.O., Juris Rn. 110; VerfGH Hessen, Urteil vom 21. Mai 2013 - P.St. 2361 -, GVBl Hessen 2013, 535 ff., Juris Rn. 62).

77

Eine hiervon abweichende Rechtsprechung ist nur in den Bundesländern festzustellen, in denen die kommunale Verfassungsbeschwerde – anders als in Schleswig-Holstein – nicht nur auf Rechtsnormen beschränkt, sondern gegen jegliche Rechtsakte eröffnet ist

(vgl. VerfGH Rheinland-Pfalz, Urteil vom 13. Oktober 1995 - VGH N 4/93 -, AS RP-SL 25, 194 ff., Juris Rn 46 ff.; VerfGH Thüringen, Urteil vom 6. Juni 2002 - VerfGH 14/98 -, NVwZ-RR 2003, 249 ff., Juris Rn. 143 ff.).

78

c) Die Beschwerdeführer haben jedoch zu der weiteren Voraussetzung der Selbstbetroffenheit nicht durchgehend hinreichend substantiiert (§ 20 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 LVerfGG) vorgetragen. Insoweit ist im Ausgangspunkt zu verlangen, dass es aufgrund des Vortrages der beschwerdeführenden Kommune zumindest möglich erscheint, dass diese durch die jeweils angegriffene Norm selbst in beschwerdefähigen eigenen Rechten beeinträchtigt ist

(Urteil vom 3. September 2012 - LVerfG 1/12 - Rn. 28, a.a.O., Juris Rn. 30; Beschluss vom 17. Juni 2016 - LVerfG 3/15 u.a. -, a.a.O., Juris Rn. 22 f.).

79

Dieses Erfordernis grenzt die Kommunalverfassungsbeschwerde insbesondere zur abstrakten Normenkontrolle ab

(vgl. VerfG Brandenburg, Urteil vom 22. November 2007 - VfGBbg 75/05 -, a.a.O., Juris Rn 101).

80

Die Beschwerdeführer müssen dabei für jede einzelne angegriffene einfachgesetzliche Norm darlegen, wie diese sie konkret und individuell in welchem geltend gemachten Recht betrifft. Es bedarf mithin bezogen auf jede angegriffene Norm einer substantiiert darzulegenden Verbindung zwischen dem abstrakten Norminhalt und der konkreten Beeinträchtigung des eigenen Rechtsstatus

(Beschluss vom 17. Juni 2016 - LVerfG 3/15 u.a. -, a.a.O., Juris Rn. 23 m.w.N.; vgl. weiter: BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 9. März 2007 - 2 BvR 2215/01 -, BVerfGK 10, 365 ff., Juris Rn. 16; LVerfG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 21. Januar 2015 - LVG 77/10 - Juris Rn. 46).

81

Der Inhalt der geforderten Darlegung individueller Betroffenheit durch die jeweils angegriffenen gesetzlichen Regelungen hängt dabei sehr wesentlich davon ab, auf welche verfassungsrechtlich verbürgten Rechte sich die Beschwerdeführer beziehen. Die Darlegung muss eine Verletzung gerade des geltend gemachten Rechts mit seinem jeweils spezifischen Gewährleistungsgehalt konkret möglich erscheinen lassen. Es macht für die gebotene Darstellung eigener Betroffenheit damit einen Unterschied, ob geltend gemacht wird, dass eine konkrete Bestimmung des angegriffenen Gesetzes gegen den Anspruch auf angemessene beziehungsweise Mindestfinanzausstattung verstößt oder aber gegen das interkommunale Gleichbehandlungsgebot

(vgl. LVerfG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 30. Juni 2011
- LVerfG 10/10 -, NordÖR 2011, 391 ff., Juris Rn. 43; David, DVBl 2012, 1498).

82

aa) Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe haben die Beschwerdeführer hier nicht hinreichend substantiiert vorgetragen, dass eine Verletzung ihrer Rechte durch § 3 FAG 2014 jedenfalls möglich erscheint, und zwar weder in Bezug auf Art. 57 Abs. 1 LV noch in Bezug auf Art. 54 Abs. 1 und 2 LV.

83

(1) Art. 57 Abs. 1 LV () und Art. 54 Abs. 1 und 2 LV () enthalten dabei eigenständig nebeneinander bestehende Gewährleistungsgehalte.

84

(a) Art. 57 Abs. 1 LV normiert umfassende Vorgaben für die Ausgestaltung des schleswig-holsteinischen kommunalen Finanzausgleichs. Dabei ist zwischen dessen Aussagegehalt zum vertikalen und zum horizontalen Finanzausgleich zu trennen. Art. 57 Abs. 1 LV normiert in vertikaler Hinsicht einen dynamischen, an die Höhe der allgemeinen Finanzausstattung des Landes gekoppelten kommunalen Anspruch auf angemessene Partizipation der kommunalen Ebene an der naturgemäß schwankenden Finanzausstattung des Landes (). Komplettiert wird dieser Anspruch auf angemessene Finanzausstattung im Hinblick auf die horizontale Verteilung der Finanzausgleichsmasse durch finanzausgleichsspezifische Ausformungen insbesondere des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes aus Art. 57 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 LV, Art. 3
Abs. 1 GG (). Hinzu kommen allgemeine Beobachtungs- und Nachbesserungspflichten ().

85

(aa) Nach Art. 57 Abs. 1 LV stellt das Land im Rahmen seiner finanziellen Leistungsfähigkeit den Gemeinden und Gemeindeverbänden im Wege des Finanzausgleichs Mittel zur Verfügung, durch die eine angemessene Finanzausstattung der Kommunen gewährleistet wird. Ziel soll dabei sein, die Leistungsfähigkeit der steuerschwachen Gemeinden und Gemeindeverbände zu sichern und eine unterschiedliche Belastung mit Ausgaben auszugleichen. Hieraus folgt, dass die Kommunen in angemessenem Umfang an den Einnahmen des Landes zu beteiligen sind. Art. 57 Abs. 1 LV nimmt damit das Verhältnis der Finanzausstattung des Landes zur Finanzausstattung der kommunalen Ebene in den Blick und normiert das Gebot der Verteilungssymmetrie zwischen beiden Ebenen. Er konkretisiert damit – als finanzverfassungsrechtliche Kehrseite der staatsorganisatorischen Zugehörigkeit der Kommunen zu den Ländern –

(BVerfG, Urteil vom 27. Mai 1992 - 2 BvF 1/88 -, BVerfGE 86, 148 ff., Juris Rn. 272 f.)

die (Letzt-)Verantwortung des Landes für die Finanzausstattung der Kommunen.

86

Für ein derartiges, auf das Gebot der Verteilungssymmetrie fokussiertes, Verständnis spricht schon der Wortlaut mit seiner Gegenüberstellung von Leistungsfähigkeit der kommunalen Ebene einerseits und Leistungsfähigkeit des Landes andererseits. Bereits danach bestehen die Hauptfunktionen des kommunalen Finanzausgleichs darin, die Finanzmittel der Kommunen (vertikal) aufzustocken, damit sie ihre Aufgaben erfüllen können (fiskalische Funktion), sowie die Finanzkraftunterschiede zwischen den Kommunen (horizontal) auszugleichen (redistributive Funktion). Ausdrücklich bestätigt wird dies durch die Entstehungsgeschichte der aktuellen Fassung des Art. 57 Abs. 1 LV. Den derzeitigen Wortlaut nahm der Schleswig-Holsteinische Landtag in 2. Lesung am 19. Mai 2010 an. Vorangegangen war ein entsprechender Änderungsantrag der Fraktionen von CDU, SPD, FDP, Bündnis 90/ DIE GRÜNEN und der Abgeordneten des SSW. In diesem wurde zugleich die Begründung neu gefasst. Sie stellt nun ausdrücklich klar,

dass für den kommunalen Finanzausgleich auch der Grundsatz der Verteilungssymmetrie im Sinne einer Verteilungsgerechtigkeit zwischen dem Land sowie den Gemeinden und Gemeindeverbänden gilt (Landtags-Drucksache 17/546, S. 3 f.).

87

Das Gebot der Verteilungssymmetrie fordert eine gerechte und gleichmäßige Verteilung der im Land insgesamt zur Verfügung stehenden Mittel auf die kommunale Ebene einerseits und die Landesebene andererseits. Dabei ist die Finanzausstattung beider Ebenen gleichermaßen in den Blick zu nehmen, so etwa der Umstand, dass das Land Schleswig-Holstein derzeit unverändert (neben Berlin, Bremen, dem Saarland, Sachsen-Anhalt) jährliche Finanzzuweisungen nach dem Konsolidierungshilfengesetz vom 10. August 2009 (BGBl I S. 2702, 2705) erhält und zu entsprechenden Konsolidierungsleistungen verpflichtet ist (§ 2 Konsolidierungshilfengesetz). Reichen die verfügbaren Mittel nicht aus, ist eine ausgewogene Aufteilung der Mangellage auf Land und Kommunen durch eine beiderseitige Reduzierung der zur Erfüllung der jeweiligen Aufgaben zur Verfügung stehenden Mittel geboten

(vgl. für die Parallelbestimmungen anderer Flächenländer: StGH Niedersachsen, Urteil vom 7. März 2008 - StGH 2/05 -, NdsMBl. 2008, 488 ff., Juris Rn 68; LVerfG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 30. Juni 2011 - LVerfG 10/10 -, NordÖR 2011, 391 ff., Juris Rn. 49 ff.; VerfGH Thüringen, Urteil vom 2. November 2011 - VerfGH 13/10 -, LVerfGE 22, 547 ff., Juris Rn. 82 ff.; VerfGH Rheinland-Pfalz, Urteil vom 14. Februar 2012 - VGH N 3/11 -, DVBl 2012, 432 ff., Juris Rn. 25; StGH Hessen, Urteil vom 21. Mai 2013 - P.St. 2361 -, GVBl Hessen 2013, 535 ff., Juris Rn. 92 ff.; VerfGH Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 10. Mai 2016 - VerfGH 19/13 -, ZKF 2016, 139 ff., Juris Rn. 53).

88

(bb) Für die horizontale Ebene des kommunalen Finanzausgleichs weist das in Art. 57 Abs. 1 LV enthaltene Gebot, „eine unterschiedliche Belastung“ der Kommunen „mit Ausgaben auszugleichen“, dem Gesetzgeber die Aufgabe der angemessenen Mittelverteilung innerhalb der kommunalen Ebene zu.

89

Dabei ist im Grundsatz davon auszugehen, dass dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der hier verfahrensgegenständlichen Bestimmungen des horizontalen Finanzausgleichs – ebenfalls – ein weiter Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum zukommt. Das Verfassungsgericht hat insbesondere nicht zu prüfen, ob der Normgesetzgeber die „bestmögliche“ oder „gerechteste“ Lösung gewählt hat. In Respektierung der politischen Handlungs- und Entscheidungsfreiheit des Gesetzgebers ist auch nicht zu prüfen, ob die Regelung notwendig oder gar unabweisbar ist. Der Gesetzgeber darf innerhalb gewisser Grenzen im Rahmen der Gemeindefinanzierung ihm zweckmäßig Erscheinendes verfolgen

(vgl. StGH Niedersachsen, Urteil vom 15. April 2010 - StGH 1/08 -, NdsVBl 2010, 236 ff., Juris Rn. 63; VerfGH Sachsen, Urteil vom 26. August 2010 - Vf. 129-VIII-09 -, Juris Rn. 110; VerfG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 30. Juni 2011 - LVerfG 10/10 - , NordÖR 2011, 391 ff., Juris Rn. 50 ff.; VerfGH Rheinland-Pfalz, Urteil vom 4. Mai 2016 - VGH N 22/15 -, KommJur 2016, 309 ff., Juris Rn. 54; VerfGH Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 10. Mai 2016
- VerfGH 19/13 -, ZKF 2016, 139 ff. Juris Rn. 54).

90

Grenzen des Einschätzungs- und Gestaltungsspielraumes ergeben sich allerdings aus dem Gebot interkommunaler Gleichbehandlung sowie – eng damit verknüpft – dem Gebot der Systemgerechtigkeit und dem Nivellierungs- beziehungsweise Übernivellierungsverbot. Ob – und gegebenenfalls welche – weiteren Gestaltungsgrenzen sich aus dem Gedanken der Aufgabengerechtigkeit

(Urteil vom 27. Januar 2017 - LVerfG 4/15 -, Rn. 122).

ergeben, kann hingegen wegen fehlender Entscheidungserheblichkeit für das vorliegende Verfahren dahinstehen.

91

Das interkommunale Gleichbehandlungsgebot und das Gebot der Systemgerechtigkeit stellen sich auch als direkte Ausprägung des im Rechtsstaatsprinzip verankerten objektiven Willkürverbots in Verbindung mit dem kommunalen Selbstverwaltungsrecht dar

(vgl. BVerfG, Urteil vom 7. Februar 1991 - 2 BvL 24/84 -, BVerfGE 83, 363 ff., Juris Rn. 99; BVerwG, Urteil vom 25. März 1998 - 8 C 11.97 -, BVerwGE 106, 280 ff., Juris Rn. 24; VerfG Brandenburg, Urteil vom 22. November 2007 - VfGBbg 75/05 -, LVerfGE 18, 159 ff., Juris Rn. 96; VerfGH Sachsen, Urteil vom 26. August 2010 - Vf. 129-VIII-09 -, Juris Rn. 111; LVerfG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 30. Juni 2011 - LVerfG 10/10 -, NordÖR 2011, 391 ff., Juris Rn. 51; VerfGH Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 6. Mai 2014 - VerfGH 9/12 -,
NVwZ-RR 2014, 707, Juris Rn. 34; VerfGH Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 18. Mai 2015 - VerfGH 24/12 -, NWVBl 2015, 336 ff., Juris Rn. 39).

92

Dabei kann an dieser Stelle dahinstehen, ob das rechtsstaatliche Willkürverbot und seine vorgenannten Ausprägungen im Kontext der Prüfung von Normen des horizontalen Finanzausgleichs in Art. 57 Abs. 1 LV aufgehen oder einen selbständigen verfassungsrechtlichen Maßstab bilden. Die zu diesen allgemeinen verfassungsrechtlichen Gewährleistungen entwickelten Maßgaben sind jedenfalls als integrierte Bestandteile des Art. 57 Abs. 1 LV bei der Überprüfung der angegriffenen Regelungen heranzuziehen

(so ausführlich für den dortigen Verfassungsraum: StGH Niedersachsen, Urteil vom 15. April 2010 - StGH 1/08 -, a.a.O., Juris Rn. 83 ff.).

93

Das Gebot der interkommunalen Gleichbehandlung verbietet es dem Gesetzgeber, bei der Finanzmittelverteilung bestimmte Gebietskörperschaften oder Gebietskörperschaftsgruppen sachwidrig zu benachteiligen oder zu bevorzugen. Das interkommunale Gleichbehandlungsgebot steht willkürlichen Ausgestaltungen des Verteilungssystems entgegen. Es ist verletzt, wenn für die getroffene Regelung jeder sachliche Grund fehlt. Nicht verletzt ist es hingegen, wenn sich der Gesetzgeber auf eine nachvollziehbare und vertretbare Einschätzung stützen kann

(vgl. StGH Niedersachsen, Urteil vom 15. April 2010 - StGH 1/08 -, a.a.O., Juris Rn. 83 ff.; LVerfG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 30. Juni 2011 - LVerfG 10/10 -, a.a.O., Juris Rn. 51 m.w.N.; VerfGH Rheinland-Pfalz, Urteil vom 14. Februar 2012 - VGH N 3/11 -, AS RP-SL 41, 29 ff., Juris Rn. 68; VerfGH Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 10. Mai 2016 - VerfGH 19/13 -, a.a.O.).

94

Das Gebot der Systemgerechtigkeit erfordert, dass die vom Gesetzgeber gewählten Maßstäbe, nach denen der Finanzausgleich erfolgen soll, nicht in Widerspruch zueinander stehen und nicht ohne einleuchtenden Grund verlassen werden. Zwar obliegt es der Entscheidung des Gesetzgebers, nach welchem System er eine bestimmte Materie ordnen will. Weicht er vom selbst bestimmten System ab, kann das jedoch einen Gleichheitsverstoß indizieren

(vgl. StGH Niedersachsen, Urteil vom 15. April 2010 - StGH 1/08 -, a.a.O., Juris Rn. 87 f.; LVerfG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 30. Juni 2011 - LVerfG 10/10 -, a.a.O.; VerfGH Rheinland-Pfalz, Urteil vom 4. Mai 2016 - VGH N 22/15 -, KommJur 2016, 309 ff., Juris Rn. 56; VerfGH Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 10. Mai 2016
- VerfGH 19/13 -, a.a.O., Rn. 56; vgl. zum Gebot der Systemgerechtigkeit außerhalb von Verfahren zum kommunalen Finanzausgleich: BVerfG, Urteil vom 23. Januar 1990 - 1 BvL 44/86 -, BVerfGE 81, 156 ff., Juris Rn. 170; Beschlüsse vom 19. Oktober 1982 - 1 BvL 39/80 -, BVerfGE 61, 138 ff., Juris Rn. 37 und vom 6. November 1984 - 2 BvL 16/83 -, BVerfGE 68, 237 ff., Juris Rn. 41).

95

Das Nivellierungs- beziehungsweise Übernivellierungsverbot besagt, dass der Finanzausgleich vorhandene Finanzkraftunterschiede der Kommunen durch die Gewährung von Landesmitteln mildern, sie aber nicht völlig abbauen soll. Erst recht darf die tatsächliche Finanzkraftreihenfolge der Kommunen durch den Ausgleich nicht umgekehrt werden

(Urteil vom 3. September 2012 - LVerfG 1/12 - Rn. 61 m.w.N., SchlHA 2012, 431 ff. = LVerfGE 23, 361 ff. = NVwZ-RR 2012, 913 ff., Juris Rn. 66).

96

(cc) Zuletzt unterliegt der Gesetzgeber einer Beobachtungs- und gegebenenfalls Nachbesserungspflicht bei seiner Finanzausgleichsgesetzgebung. Erforderlich ist eine Überprüfung der Stimmigkeit des kommunalen Finanzierungssystems in angemessenen Abständen, unter besonderer Berücksichtigung eventueller Veränderungen der Aufgabenzuschnitte, der Aufgabenverteilung zwischen kommunaler Ebene und Landesebene sowie der für die Aufgabenerfüllung anfallenden Kosten. Der Gesetzgeber darf sich vor diesem Hintergrund nicht darauf beschränken, einmal festgesetzte Werte, Größenordnungen und Prozentzahlen in den folgenden Finanzausgleichsgesetzen fortzuschreiben, ohne sich erneut ihrer sachlichen Eignung zu vergewissern

(vgl. VerfG Brandenburg, Urteil vom 16. September 1999
- VfBbg 28/98 -, LVerfGE 10, 237 ff., Juris Rn. 93, StGH Hessen, Urteil vom 21. Mai 2013 - P.St. 2361 -, GVBl Hessen 2013, 535 ff., Juris Rn. 116 ff.; VerfGH Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 10. Mai 2016
- VerfGH 19/13 -, ZKF 2016, 139 ff., Juris Rn. 57).

97

(b) Der Regelungsgehalt des Art. 54 Abs. 1 LV beschränkt sich im Kontext des kommunalen Finanzausgleichs auf eine Betrachtung allein der kommunalen Finanzausstattung und dort auf das Verhältnis der für Pflichtaufgaben und für freiwillige Selbstverwaltungsaufgaben zur Verfügung stehenden Mittel

(für ihren jeweiligen Verfassungsraum mit vergleichbarer Abgrenzung zwischen Anspruch auf angemessene Finanzausstattung im Land-Kommunen-Vergleich einerseits und Mindestanspruch andererseits: VerfG Brandenburg, Urteil vom 22. November 2007 - VfGBbg 75/05 -, LVerfGE 18, 159 ff., Juris Rn. 116 ff.; VerfGH Thüringen, Urteil vom 2. November 2011 - VerfGH 13/10 -, ThürVBl 2012, 55 ff., Juris Rn. 82; StGH Hessen, Urteil vom 21. Mai 2013 - P.St. 2361 -, NVwZ 2013, 1151 ff., Juris Rn. 98 ff.; wohl auch: StGH Baden-Württemberg, Urteil vom 10. Mai 1999 - GR 2/97 -, LVerfGE 10, 5 ff., Juris Rn. 84 ff., 95; VerfGH Sachsen, Urteil vom 23. November 2000 - Vf. 53-II-97 -, SächsVBl 2001, 61 ff., Juris Rn. 58, 83; zustimmend: Schmitt, DÖV 2013, 452 <455>; Henneke, DÖV 2013, 825, <834>; Duve/ Neumeister, DÖV 2016, 848 <849>).

98

Durch Art. 54 Abs. 1 LV wird die kommunale Mindestausstattung gewährleistet, mit der die Lebensfähigkeit jedenfalls der kommunalen Ebene als solcher garantiert ist. Den Kommunen müssen gemäß Art. 54 Abs. 1 LV Mittel in einem Umfang zur Verfügung stehen, die es ihnen ermöglichen, neben den Pflichtaufgaben noch ein Mindestmaß an freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben zu erledigen

(von Mutius, in: von Mutius/ Wuttke/ Hübner, Kommentar zur Landesverfassung Schleswig-Holstein, 1995, Art. 46 Rn. 11; vgl. zu Art. 28 Abs. 2 GG: BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 - 8 C 1.12 -, BVerwGE 145, 378 ff., Juris Rn. 18 ff.; sowie zu den entsprechenden Bestimmungen anderer Bundesländer: StGH Baden-Württemberg, Urteil vom 10. Mai 1999 - GR 2/97 -, LVerfGE 10, 5 ff., Juris Rn. 86; VerfGH Sachsen, Urteil vom 23. November 2000 - Vf. 53-II-97 -, SächsVBl 2001, 61 ff., Juris Rn. 82 ff.; VerfGH Saarland, Urteil vom 13. März 2006 - LV 2/05 -, AS RP-SL 34, 1 ff., Juris Rn. 93; VerfGH Bayern, Entscheidung vom 28. November 2007 - Vf. 15-VII-05 -, VerfGHE BY 60, 184 ff., Juris Rn. 203; StGH Niedersachsen, Urteil vom 7. März 2008 - StGH 02/05 -, NdsVBl 2008, 152 ff., Juris Rn. 54 und 62; VerfGH Thüringen, Urteil vom 18. März 2010 - VerfGH 52/08 -, ThürVGRspr 2011, 153 ff., Juris Rn. 33 f.; LVerfG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 26. Januar 2012 - LVerfG 33/10 -, Juris Rn. 101).

99

Hintergrund ist, dass das in Art. 54 Abs. 1 und 2 LV verbürgte Selbstverwaltungsrecht die sogenannte Finanzhoheit als ein Kernelement der kommunalen Selbstverwaltung umfasst. Diese garantiert die Befugnis zu einer eigenverantwortlichen Einnahmen- und Ausgabenwirtschaft im Rahmen eines gesetzlich geordneten Haushaltswesens

(Urteil vom 3. September 2012 - LVerfG 1/12 - Rn. 34, SchlHA 2012, 431 ff. = LVerfGE 23, 361 ff. = NVwZ-RR 2012, 913 ff., Juris Rn. 36; aus der Literatur statt aller: Tettinger/ Schwarz, in: von Mangoldt/ Klein/ Starck, Grundgesetz, 6. Aufl. 2010, Art. 28 Rn. 244 m.w.N.).

100

Die so verstandene, verfassungsmäßig verbürgte kommunale Finanzhoheit bedingt die Gewährleistung einer kommunalen Mindestausstattung. Denn ohne hinreichende finanzielle Ausstattung zur Erledigung nicht nur der pflichtigen Selbstverwaltungsaufgaben verbliebe den Kommunen keine substantielle Hoheit in Bezug auf die Finanzen. Wie das Selbstverwaltungsrecht wäre die Finanzhoheit nicht hinreichend davor geschützt, zu einer letztlich leeren Hülle ohne tatsächlich nennenswerte materielle Befugnisse absinken zu können.

101

(2) Bezogen auf eine Verletzung der Rechte der Beschwerdeführer aus Art. 57 Abs. 1 LV durch § 3 FAG 2014 ist eine Beschwerdebefugnis nicht dargelegt.

102

Im Ausgangspunkt ist bezüglich einer möglichen Verletzung in Rechten aus Art. 57 Abs. 1 LV erforderlich, dass Beschwerdeführer nachvollziehbar darlegen, inwieweit die angegriffene Norm dazu führt, dass der vertikale Finanzausgleich hinter den verfassungsrechtlichen Vorgaben einer „angemessenen Finanzausstattung“ zurückbleibt, mithin also das Symmetriegebot verletzt. Aus dem Vortrag muss sich nach § 20 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 LVerfGG zumindest die Möglichkeit einer Verletzung des Symmetriegebots ergeben

(so für den dortigen Verfassungsraum: VerfGH Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 6. Mai 2014 - VerfGH 14/11 -, DVBl 2014, 918 ff., Juris Rn. 38).

103

Ob darüber hinaus konkreter Vortrag zu den Auswirkungen dieser Verletzung des Symmetriegebots auf den eigenen Haushalt beziehungsweise die eigene Aufgabenerfüllung zu erwarten ist,

(vgl. VerfGH Thüringen, Urteil vom 18. März 2010 - VerfGH 52/08 -, a.a.O., Juris Rn. 41 f.; VerfG Brandenburg, Beschluss vom 18. Oktober 2013 - VfGBbg 68/11 -, LKV 2013, 554 ff., Juris Rn. 43 ff.; LVerfG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 21. Januar 2015 - LVG 77/10 - Juris Rn. 44 ff.),

oder nicht

(vgl. VerfGH Bayern, Entscheidung vom 28. November 2007
- Vf. 15-VII-05 -, a.a.O., Juris Rn. 168; VerfGH Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 6. Mai 2014 - VerfGH 14/11 -, DVBl 2014, 918 ff., Juris Rn. 38),

kann jedenfalls an dieser Stelle dahingestellt bleiben. Denn vorliegend ist bereits die erste der oben genannten Voraussetzungen nicht gewahrt.

104

Durch die Beschwerdeschrift wird schon nicht hinreichend nachvollziehbar eine Verletzung des Symmetriegebots auf der generellen, abstrakten Ebene (Höhe der Finanzausgleichsmittel insgesamt) aufgezeigt. Zwar beziehen sich die Beschwerdeführer auch auf das Symmetriegebot des Art. 57 Abs. 1 LV. In der Sache tragen sie jedoch durchgängig nur zu der Behauptung vor, sie seien in ihrem Anspruch auf Mindestausstattung verletzt, könnten also das ihnen zustehende Minimum an Selbstverwaltungsaufgaben nicht mehr erfüllen. Es finden sich ausschließlich Ausführungen zur angeblich fehlenden Möglichkeit, noch freiwillige Selbstverwaltungsaufgaben wahrnehmen zu können. Irgendwie geartete Symmetriebetrachtungen werden nicht angestellt. Die Beschwerdeführer leisten weder eine vergleichende Betrachtung der Finanzkräfte von Land und Kommunen noch der jeweiligen Aufgabenbelastung oder des entstehenden Finanzierungssaldos. Die erforderlichen symmetriebezogenen Aussagen werden auch nicht dadurch obsolet, dass der Gesetzesbegründung selbst keine umfassende Symmetriebetrachtung zu entnehmen ist, an die der Vortrag der Beschwerdeführer anknüpfen könnte. Den Beschwerdeführern steht eine Reihe von öffentlich zugänglichen Dokumenten zur Verfügung, anhand derer eigene symmetriebezogene Aussagen getätigt werden könnten. Wie umfassend und ins Detail gehend der Vortrag hierzu im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit sein muss, kann aus den Gründen vollständig fehlender Darlegungen dahinstehen. Nichts anderes folgt im Übrigen aus dem Umstand, dass bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Rechtsprechung des Schleswig-Holsteinischen Landesverfassungsgerichts zu Art. 57 Abs. 1 LV ergangen ist. Die Beschwerdeführer haben selbst ausdrücklich das Symmetriegebot als im Rahmen des Art. 57 Abs. 1 LV relevant identifiziert, so dass auch in einem ersten Verfahren zu Art. 57 Abs. 1 LV zumindest grundlegender Vortrag hierzu erwartet werden kann.

105

(3) Auch eine Verletzung des Art. 54 Abs. 1 und 2 LV und der darin gewährleisteten Mindestausstattung durch § 3 FAG 2014 haben die Beschwerdeführer nicht hinreichend substantiiert geltend gemacht.

106

(a) Im Hinblick auf die Anforderungen an die Substantiierungspflicht gelten dabei die zu Art. 57 Abs. 1 LV entwickelten Ansätze nicht unmittelbar entsprechend, da sich die Norminhalte von Art. 54 Abs. 1 und 2 LV und Art. 57 Abs. 1 LV grundlegend unterscheiden (siehe oben (1), Rn. 83).

107

Für die Darlegung der Beschwerdebefugnis von Kommunen bezüglich einer Verletzung des Anspruchs auf finanzielle Mindestausstattung aus Art. 54 Abs. 1 und 2 LV gilt ein strenger Maßstab. Notwendig ist die Darlegung jeder beschwerdeführenden Kommune, dass sie selbst infolge verfassungswidriger Ausgestaltung des Finanzausgleichs über keine hinreichende Mindestfinanzausstattung (mehr) verfügt, mithin in ihrer Fähigkeit zur Erledigung von Aufgaben im Bereich der freiwilligen Selbstverwaltungsangelegenheiten beeinträchtigt ist. Hierfür muss sie ihre konkrete Haushaltslage aufzeigen und einschlägige Einschränkungen des Selbstverwaltungsrechts erläutern. Die beschwerdeführende Kommune muss konkret darlegen, dass sie infolge der Minderung ihrer eigenen Einnahmen oder Kürzung der Zuweisungen die ihr obliegenden Aufgaben nicht im erforderlichen Mindestmaß erfüllen kann. Insofern genügt nicht die Darlegung verminderter Mittelzuflüsse. Es muss ein faktischer Kompetenzentzug im Bereich der freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben nach dem Sachvortrag zumindest möglich erscheinen

(vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 9. März 2007 - 2 BvR 2215/01 -, BVerfGK 10, 365 ff., Juris Rn. 21 zu einer den schleswig-holsteinischen Kommunalfinanzausgleich betreffenden Kommunalverfassungsbeschwerde; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 15. Oktober 1985 - 2 BvR 1808/82 -, BVerfGE 71, 25 ff., Juris Rn. 36; VerfG Brandenburg, Beschluss vom 18. Oktober 2013 - VfGBbg 68/11 -, LKV 2013, 554 ff., Juris Rn. 44; VerfGH Thüringen, Beschluss vom 18. Juni 2014 - VerfGH 22/13 -, Juris Rn. 71; LVerfG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 21. Januar 2015 - LVG 77/10 -, Juris Rn. 45; Leisner-Egensperger, DÖV 2010, 705 <707>).

108

Erforderlich ist entsprechend eine Darlegung des Gesamtumfangs von Einnahmen und Ausgaben (etwa durch Vorlage des Haushaltsplanes oder – sollte dies wegen der Jahresfrist in § 47 Abs. 2 LVerfGG nicht möglich sein – jedenfalls der Vorberichte)

(vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 9. März 2007 - 2 BvR 2215/01 -, a.a.O., Juris Rn. 23; VerfG Brandenburg, Beschluss vom 18. Oktober 2013, - VfBbg 68/11 -, a.a.O., Juris Rn. 44 f.; VerfGH Thüringen, Beschluss vom 18. Juni 2014, - VerfGH 22/13 -, a.a.O., Juris Rn. 70 ff.; LVerfG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 21. Januar 2015 - LVG 77/10 -, a.a.O., Juris Rn. 48).

109

In einem weiteren Schritt wird es regelmäßig der Darlegung der Auswirkungen der angegriffenen Norm auf die Fähigkeit zur Erledigung von freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben im Einzelnen bedürfen

(vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 9. März 2007 - 2 BvR 2215/01-, a.a.O., Juris Rn. 25; VerfGH Thüringen, Beschluss vom 18. Juni 2014, - VerfGH 22/13 -, a.a.O., Juris Rn. 70 ff.).

110

Dies setzt regelmäßig nachvollziehbaren Vortrag voraus, inwieweit die Erfüllung der pflichtigen Aufgaben noch gesichert ist und in welchem Umfang Finanzmittel für freiwillige Aufgaben erforderlich sind sowie in welcher Weise sich die Kommune insoweit durch die jeweilige Finanzausstattung beengt sieht

(vgl. VerfGH Thüringen, 18. Januar 2014 - VerfGH 22/13 -, a.a.O., Juris Rn. 70 ff.; LVerfG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 21. Januar 2015, - LVG 77/10 -, a.a.O., Juris Rn. 46 ff.).

111

Welche weiteren Anforderungen zu stellen sind, hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles ab. Erforderlich kann etwa eine Darlegung zur Prüfung der Erschließung neuer Einnahmemöglichkeiten (etwa im Gebührenhaushalt) beziehungsweise von Einsparpotentialen oder zu eventuellen Mehreinnahmen aufgrund des angegriffenen Gesetzes sein

(vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 9. März 2007 - 2 BvR 2215/01-, a.a.O., Juris Rn. 23 ff.; VerfG Brandenburg, Beschluss vom 18. Oktober 2013, - VfBbg 68/11 -, a.a.O., Juris Rn. 44 f.).

112

Dabei ist zwischen Verfassungsbeschwerden von Gemeinden und – wie hier – von Kreisen zu differenzieren. Insbesondere Kreise können sich nicht auf die Darstellung der freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben beschränken, sondern müssen umfassend zu den pflichtigen Aufgaben vortragen. Denn anders als bei den Gemeinden sind Kreise nur dahingehend geschützt, dass überhaupt ein Mindestbestand an kreiskommunalen Aufgaben des eigenen Wirkungskreises verbleibt; sie sind anders als die Gemeinden nicht allzuständig im örtlichen Wirkungskreis

(vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 9. März 2007- 2 BvR 2215/01 -, a.a.O., Juris Rn. 25 ff.).

113

Mit diesen Vorgaben setzt sich das Gericht im Übrigen nicht in Widerspruch zu den Landesverfassungsgerichten, die die Beschwerdebefugnis bereits dann für gegeben halten, wenn abstrakt Ausstattungs- und Verteilungsmängel substantiiert dargelegt werden. Denn hierbei handelt es sich um die Landesverfassungsgerichte, die ihren jeweiligen Landesverfassungen keine im Verhältnis zum Symmetriegebot eigenständige Gewährleistung der Mindestausstattung entnehmen

(vgl. insbesondere VerfGH Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 6. Mai 2014 - VerfGH 14/11 -, DVBl 2014, 918 ff., Juris Rn. 40).

114

Es erschiene in der Tat widersprüchlich, unter dieser Prämisse im Rahmen der Zulässigkeit von Beschwerdeführern zu verlangen, eine konkrete Unterschreitung einer Mindestausstattung darzustellen. Eine vergleichbare Sachlage liegt für den schleswig-holsteinischen Verfassungsraum jedoch nicht vor.

115

Gegen die obigen Ausführungen spricht zuletzt nicht die Jahresfrist des § 47 Abs. 2 LVerfGG. Dabei kann dahinstehen, ob die vorgenannte Frist im Zusammenspiel mit den Anforderungen an die Darlegungslast dazu führen kann, dass gegen Änderungen des Finanzausgleichsgesetzes, welche in Zeiten einer gut dotierten Finanzausgleichsmasse vorgenommen werden, faktisch kein Rechtsschutz nach §§ 47 f. LVerfGG bestehen könnte. Denn in keinem Fall stünde es dem Landesverfassungsgericht zu, allein wegen der Existenz der gesetzlich normierten Jahresfrist des § 47 Abs. 2 LVerfGG die ebenfalls gesetzlich normierten Anforderungen zur Beschwerdebefugnis und deren Darlegung wertungsmäßig zu korrigieren und hierdurch im praktischen Ergebnis die Unterscheidung zwischen abstrakter Normenkontrolle und kommunaler Verfassungsbeschwerde zu nivellieren. Zudem unterfällt das Finanzausgleichsgesetz naturgemäß regelmäßigen Änderungen (vgl. § 3 Abs. 1 Satz 2 FAG 2014), so dass auch insoweit die Gefahr einer Rechtsschutzlücke gering erscheint.

116

(b) Gemessen daran reicht der vorliegende Vortrag der Beschwerdeführer zur Begründung der Beschwerdebefugnis bezogen auf Art. 54 Abs. 1 und 2 LV nicht aus. Es fehlen tragfähige Ausführungen zu der Frage, um welchen konkreten Betrag sich ihre Haushaltslage in Folge der angegriffenen Reform verändert hat () und inwieweit sie hierdurch konkret in der Erfüllung welcher freiwilligen beziehungsweise pflichtigen Aufgaben beeinträchtigt werden (). Dies gilt auch im Hinblick auf den Umstand, dass es sich vorliegend um eine Erstentscheidung des Schleswig-Holsteinischen Landesverfassungsgerichts über den schleswig-holsteinischen kommunalen Finanzausgleich handelt ().

117

(aa) Für keinen der Beschwerdeführer ist hinreichend dargelegt, dass sich die jeweilige Haushaltslage gerade in Folge der angegriffenen Gesetzesreform nachteilig verändert hat. Vielmehr sind die Schlüsselzuweisungen nach Inkrafttreten der Reform im Jahr 2015 in absoluten Beträgen höher ausgefallen als im Vorjahr.

118

Für Nordfriesland wird zwar eine sich erheblich verschlechternde Haushaltslage für 2015 vorgetragen (strukturelles Ergebnis 2014: - 1.424; strukturelles Ergebnis 2015: - 5.093). Aus den Haushaltsdaten im Einzelnen (Anlage 10 A) folgt jedoch, dass dies nicht Folge einer reformbedingt reduzierten Schlüsselzuweisung ist. Im Gegenteil ist die Schlüsselzuweisung von 22.213.000 Euro im Jahr 2014 auf 25.471.000 Euro im Jahr 2015 angestiegen. Ursache des verschlechterten strukturellen Ergebnisses sind ansteigende Ausgaben im Jahr 2015 (264.433.000 Euro im Jahr 2014; 273.925.000 Euro im Jahr 2015 = + 3,58 %). Bei dieser Sachlage steigender Einnahmen und noch stärker steigender Ausgaben wäre es in besonderem Maße angezeigt gewesen, darzustellen, ob tatsächlich alle verfügbaren Einsparpotentiale ausgeschöpft worden sind. Hierzu fehlt schlüssiger Vortrag. Soweit diesbezüglich auf steigende Kosten im Bereich Soziales und Jugend verwiesen wird, genügt dies jedenfalls in der vorliegenden Form nicht. Nach der vom Beschwerdeführer zu 1. vorgelegten Übersicht beträgt der Anstieg in diesem Bereich von 2014 auf 2015 rund 6.700.000 Euro und erklärt damit die vorliegende Ausgabensteigerung nur zum Teil. Zudem ergeben sich aus den für alle Beschwerdeführer vorgetragenen, sehr heterogenen Daten zu diesem Kostenbereich weitere Fragestellungen in Bezug auf Erforderlichkeit und Einsparpotentiale. Jedenfalls sind die Schwankungen in den Kostensteigerungen in diesem Bereich zwischen 8,4 % (Ostholstein) und 24 % (Nordfriesland) nicht selbsterklärend und werden nicht weiter erläutert.

119

Gleiches gilt für Ostholstein. Hier ist ein Anstieg der Schlüsselzuweisung für 2015 zu verzeichnen (36.065.000 Euro im Jahr 2014; 40.413.000 Euro im Jahr 2015). Dieser Anstieg wird allerdings durch überproportionale Steigerungen der Ausgaben überdeckt (236.388.000 Euro im Jahr 2014; 254.946.00 Euro in 2015 = + 7,85 %). Weshalb dennoch eine durch die Reform des Finanzausgleichsgesetzes bedingte konkrete eigene Gefährdung der kommunalen Aufgabenerfüllung vorliegen soll, wird ebenso wenig hinreichend dargelegt. Auch hier vermag der Verweis auf steigende Kosten im Bereich Soziales und Jugend jedenfalls nicht ohne weiteres zu genügen. Nach der vom Beschwerdeführer zu 2. vorgelegten Übersicht beträgt der Anstieg in diesem Bereich von 2014 auf 2015 rund 6.900.000 Euro und erklärt damit die vorgetragene Ausgabensteigerung nur zum Teil.

120

Dasselbe gilt für den Kreis Schleswig-Flensburg. Hier ergibt sich ein Anstieg der Schlüsselzuweisung für 2015 (38.647.000 Euro im Jahr 2014; 43.773.000 Euro in 2015) bei gleichzeitigem weitergehenden Anstieg der Ausgaben (305.983.000 Euro im Jahr 2014 zu 322.175.000 Euro im Jahr 2015 = + 5,29 %). Weshalb dennoch eine durch die Reform des Finanzausgleichsgesetzes bedingte konkrete Gefährdung der kommunalen Aufgabenerfüllung vorliegen soll, wird ebenfalls nicht hinreichend dargelegt. Hier vermag der Verweis auf steigende Kosten im Bereich Soziales und Jugend ebenfalls nicht ohne weiteres zu genügen. Nach der vom Beschwerdeführer zu 3. vorgelegten Übersicht beträgt der Anstieg in diesem Bereich von 2014 auf 2015 rund 9.000.000 Euro und erklärt damit die vorgetragene Ausgabensteigerung ebenfalls nur zum Teil.

121

(bb) Des Weiteren hat keiner der Beschwerdeführer hinreichend substantiiert dargelegt, inwieweit er durch die vorgetragenen Verschlechterungen in der angemessenen Erfüllung welcher konkreten pflichtigen und freiwilligen Aufgaben gefährdet sein soll. Erforderlich ist hierzu, dass der jeweilige Beschwerdeführer darlegt, reformbedingt nunmehr erstmals in der konkreten Aufgabenerfüllung
– näher benannter Aufgaben – konkret eingeschränkt zu sein. Alternativ könnte er darlegen, dass seine Fähigkeit zur Aufgabenerfüllung – im Einzelnen bezeichneter Aufgaben – bereits in der Vergangenheit gravierend eingeschränkt war und diese Einschränkung durch die Mehreinnahmen in keinem Fall behoben wurde. Zu beidem fehlt vorliegend für alle Beschwerdeführer nachvollziehbarer Vortrag. Die bloße Behauptung, die Aufwendungen für freiwillige Selbstverwaltungsaufgaben seien bereits seit längerem jeweils unter fünf Prozent der Ausgaben des Verwaltungshaushalts gesunken, eignet sich alleine nicht. Insoweit hat das Bundesverfassungsgericht bereits im Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 9. März 2007 – 2 BvR 2215/01 – (BVerfGK 10, 365 ff., Juris Rn. 25) überzeugend ausgeführt:

Aber auch der vom Beschwerdeführer verwendete Anteil der Aufwendungen für freiwillige Selbstverwaltungsaufgaben an den bereinigten Ausgaben des Verwaltungshaushalts eignet sich nicht, um einen Spielraum bei der Aufgabenerledigung oder dessen Fehlen zu kennzeichnen. Träfe es zu, dass ein gewisser Anteil - nach Auffassung des Beschwerdeführers: fünf Prozent - der Ausgaben des Verwaltungshaushalts für freiwillige Selbstverwaltungsaufgaben zur Verfügung stehen muss, um eine finanzielle Mindestausstattung der Kommune annehmen zu können, dann würde sie durch rigorose Ausgabenkürzungen - etwa bei den Personal- und Betriebskosten und den zu diesen Aufwendungen geleisteten Zuschüssen an Dritte - ihren garantierten Spielraum für die Erledigung freiwilliger Aufgaben einengen statt erweitern. Mit der Senkung der Ausgaben des Verwaltungshaushaltes sinkt nämlich auch der nach einem bestimmten Anteil berechnete Betrag, den der Beschwerdeführer als für die Erledigung freiwilliger Aufgaben garantiert ansehen möchte .

122

(cc) Zuletzt kann dahinstehen, ob die beschriebenen Anforderungen zumindest für die hier vorliegende Erstentscheidung des Schleswig-Holsteinischen Landesverfassungsgerichts über den kommunalen Finanzausgleich zugunsten der Beschwerdeführer abgeschwächt werden können. Hierfür könnte sprechen, dass für die Beschwerdeführer in Ermangelung vorausgegangener Entscheidungen des Landesverfassungsgerichts schwer einzuschätzen ist, zu welchen Gesichtspunkten substantiiert vorzutragen ist

(vgl. VerfG Brandenburg, Urteil vom 16. September 1999
- VfGBbg 28/98 -, LVerfGE 10, 237 ff., Juris Rn. 77).

123

Im Ergebnis greift dies aber jedenfalls bezogen auf Art. 54 Abs. 1 und 2 LV nicht durch. Dass die Geltendmachung einer fehlenden Mindestausstattung im Rahmen der Beschwerdebefugnis regelmäßig gewissen Mindestanforderungen an den Vortrag unterliegt, ist gängige Rechtsprechung der Mehrheit der Landesverfassungsgerichte und Gegenstand aktueller Analysen in der Rechtswissenschaft

(vgl. etwa Henneke, Die Kommunen in der Finanzverfassung des Bundes und der Länder, 2012, S. 446 ff.; Leisner-Egensperger, DÖV, 2010, 705 ff.).

124

Insbesondere für einen aus Schleswig-Holstein stammenden Antrag lag zudem einschlägige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vor

(BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 9. März 2007 - 2 BvR 2215/01 -, a.a.O., Juris Rn. 21 ff.).

125

Grundlegende Ausführungen zu den angesprochenen Fragen durften daher erwartet werden. Dies gilt umso mehr, als dass die Beschwerdebefugnis hier nicht an hochgradig ausdifferenzierten Maßstäben scheitert.

126

bb) Bezogen auf § 4 FAG 2014 ist hinsichtlich Art. 57 Abs. 1 LV zur konkreten Möglichkeit einer Verletzung in eigenen Rechten nicht hinreichend vorgetragen (<1>). Gleiches gilt für Art. 54 Abs. 1 und 2 LV (<2>).

127

(1) Unter dem Gesichtspunkt der Beschwerdebefugnis und der hierauf bezogenen Substantiierungspflicht (§ 20 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 LVerfGG) ist von den Beschwerdeführern für die horizontale Dimension des Art. 57 Abs. 1 LV zu verlangen, dass in einem ersten Schritt hinreichend nachvollziehbar zumindest die Möglichkeit einer Verletzung der Grenzen des gesetzgeberischen Einschätzungs- und Gestaltungsspielraumes aufgezeigt wird. Des Weiteren bedarf es konkreten Vortrages, inwieweit sich diese jeweils dargelegte Verletzung auf den eigenen Haushalt beziehungsweise auf die eigene Aufgabenerfüllung auswirkt; eine konkrete Auswirkung muss aufgrund des Vortrages zumindest möglich erscheinen. Letzteres ergibt sich erneut aus dem Grundsatz, dass die vorliegenden Verfahren der kommunalen Verfassungsbeschwerde nicht den Regeln der abstrakten Normenkontrolle unterliegen. Hieraus folgt, dass es stets der Rückkopplung möglicher abstrakter Verfassungsverstöße an eine konkrete und eigene Betroffenheit bedarf

(vgl. VerfGH Thüringen, Urteil vom 18. März 2010 - VerfGH 52/08 -, ThürVGRspr 2011, 153 ff., Juris Rn. 41 f.; VerfG Brandenburg, Beschluss vom 18. Oktober 2013 - VfGBbg 68/11 -, LKV 2013, 554 ff., Juris Rn. 44 ff.; LVerfG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 21. Januar 2015
- LVG 77/10 -, Juris Rn. 44 ff.).

128

Diesen Maßstäben wird der Vortrag der Beschwerdeführer in Bezug auf § 4 FAG 2014 nicht gerecht. Dabei kann offen gelassen werden, ob durch die Beschwerdeführer mit Blick auf § 4 FAG 2014 überhaupt hinreichend deutlich Art. 57 Abs. 1 LV in seinen horizontalen Ausprägungen als verletzt gerügt wurde. Denn selbst wenn man annimmt, dass entgegen der expliziten Benennung nur des Anspruches auf „Mindestfinanzausstattung“ als Prüfungsmaßstab (wohl) auch eine Verletzung insbesondere des interkommunalen Gleichbehandlungsgebotes und des Gebotes der Systemgerechtigkeit geltend gemacht worden sein könnte, ist die Möglichkeit einer derartigen Verletzung jedenfalls nicht den Anforderungen des § 20 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 LVerfGG entsprechend dargelegt.

129

Soweit die Beschwerdeführer rügen, bei der Bemessung der Größe der Teilschlüsselmassen sei es zu einer Benachteiligung der Kreisebene insofern gekommen, als dass der künftige Wegfall der Kosten der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung einseitig zu ihren Lasten berücksichtigt worden sei, ebenfalls absehbare Kostensteigerungen (beispielsweise durch Tarifabschlüsse) hingegen ausgeklammert worden seien, wird daraus nicht die Möglichkeit einer Rechtsverletzung ersichtlich. Die Darlegungen der Beschwerdeführer reichen insoweit nicht aus, um einen Verstoß gegen das Gebot der Systemgerechtigkeit als hinreichend möglich erscheinen zu lassen. Der Vortrag allein, bereits die Nichtberücksichtigung der Kosten der Grundsicherung an sich stelle einen „willkürlichen“ Verstoß gegen das Gebot der Systemgerechtigkeit dar, vermag keine hinreichende Möglichkeit einer Verletzung dieses Gebotes zu begründen. Denn für die erfolgte Nichtberücksichtigung an sich gibt es im Hinblick auf den feststehenden Wegfall dieser Kostenposition einen unmittelbar nachvollziehbaren und im Gesetzgebungsverfahren dargelegten, jedenfalls vertretbaren Grund. Der Gesetzgeber ist nicht gezwungen, bei der Verteilungsentscheidung Kostenpositionen zu berücksichtigen, die zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Gesetzes nicht mehr existieren. Möglich erschiene ein Verstoß gegen das Gebot der Systemgerechtigkeit vor diesem Hintergrund allenfalls, wenn der Gesetzgeber nur bei den Kosten der Grundsicherung derart vorgegangen wäre, bei anderen und vergleichbaren künftigen Entwicklungen dies hingegen zulasten der Beschwerdeführer unterlassen hätte. Hierzu fehlt es jedoch an Vortrag, der ein derartiges Vorgehen zumindest als möglich erscheinen lassen könnte. Soweit die Beschwerdeführer beispielhaft auf die Nichtberücksichtigung der Tarifabschlüsse der vergangenen Jahre verweisen, genügt dies nicht. Denn es ist weder dargelegt noch selbsterklärend, dass die Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung von Tarifabschlüssen irgendeine signifikante Auswirkung auf das prozentuale Verhältnis der Teilschlüsselmassen des § 4 FAG 2014 zueinander haben könnte. Insbesondere ist nicht dargelegt, dass die Träger der Kreisaufgaben insoweit unter einer stärkeren Kostenentwicklung zu leiden hätten als die Träger der gemeindlichen Aufgaben. Nur in diesem Fall wäre aber ein Einfluss auf die Teilschlüsselmassenbildung nach § 4 FAG 2014 überhaupt denkbar. Zudem fehlt es insoweit auch an individualisierbarem Vortrag zur Relevanz dieser angeblichen Ungleichbehandlung für die Beschwerdeführer selbst. Dass gerade die Beschwerdeführer stärker als andere Aufgabenträger unter entsprechenden Kostenentwicklungen leiden und daher vom gesetzgeberischen Vorgehen individuell betroffen sind, ist nicht vorgetragen und nicht selbsterklärend.

130

Soweit die Beschwerdeführer rügen, der Anteil der Teilschlüsselmasse für zentrale Orte nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 FAG 2014 sei zulasten der anderen Teilschlüsselmassen zu hoch angesetzt, vermag dies ebenfalls nicht die Möglichkeit einer Verletzung von Art. 57 Abs. 1 LV in seiner horizontalen Dimension zu begründen. Die Beschwerdeführer vergleichen hierzu die gutachterlich ermittelten Zuschussbedarfe für zentralörtliche Aufgaben (Tabelle
4-2 des Gutachtens des Niedersächsischen Instituts für Wirtschaftsforschung aus 2013) mit der Schätzung des Gesetzgebers der für das Jahr 2015 konkret zur Verfügung stehenden Teilschlüsselmasse für zentralörtliche Aufgaben und stellen eine angebliche Überdotierung der zentralörtlichen Aufgaben in 2015 fest. Dieser Vergleich ist schon in sich nicht schlüssig, da auf der einen Seite mit den Zahlen aus Tabelle 4-2 des Gutachtens des Niedersächsischen Instituts für Wirtschaftsforschung Zuschussbedarfe in Euro je Einwohner (90,32 beziehungsweise 55,83 Euro/ Einwohner – und nicht, wie die Beschwerdeführer irrtümlich meinen, Zuschussbedarfe in Millionen Euro) mit einer absoluten Zahl aus der Schätzung für 2015 (202,70 Millionen Euro) auf der anderen Seite verglichen werden, was methodisch unzulässig ist. Hinzu kommt, dass der Vergleich aber auch dann keine Möglichkeit einer Rechtverletzung aufzeigen könnte, wenn er sich durchgängig auf absolute und damit überhaupt vergleichbare Zahlenwerte stützte und zudem diese Zahlen zeigten, dass die Schlüsselmasse im Jahr 2015 mit mehr Mitteln dotiert war als im Gutachten des Niedersächsischen Instituts für Wirtschaftsforschung zugrunde gelegt. Denn dass die Teilschlüsselmasse in Zeiten höheren Steueraufkommens besser dotiert ist als in den vorherigen Zeiträumen, welche dem zitierten Gutachten zugrunde liegen (2009 bis 2011), ist logische Folge der prozentualen Anbindung der Teilschlüsselmassen an die Finanzausgleichsmasse insgesamt. Plausible Rückschlüsse auf eine willkürlich oder systemfremd zu hohe Dotierung der Teilschlüsselmasse ergeben sich hieraus nicht. Mit gleicher Argumentation ließe sich eine „Überfinanzierung“ der Teilschlüsselmasse für Kreisaufgaben begründen – denn auch diese Teilschlüsselmasse beruht in ihrem prozentualen Gewicht im vorgenannten Gutachten des Niedersächsischen Instituts für Wirtschaftsforschung auf ermittelten durchschnittlichen Zuschussbedarfen in Höhe von 426 Millionen Euro (vgl. Tabelle 5-4), während laut der von den Beschwerdeführern genannten Schätzung für 2015 erheblich mehr, nämlich 642,50 Millionen Euro eingeplant werden können.

131

Zu keiner anderen Bewertung führt der Vortrag zur angeblich unzulässigen Berücksichtigung der Zinslasten zugunsten der kreisfreien Städte und zulasten der Kreisebene. Diesbezüglich fehlt es jedenfalls an der erforderlichen Darlegung, inwieweit gerade die Beschwerdeführer von diesem angeblichen Erhebungsfehler individuell betroffen sind. Konkrete Ausführungen zur Zinsbelastung der Beschwerdeführer finden sich ebenso wenig wie ansatzweise Vergleiche zur Zinsbelastung der Beschwerdeführer im Vergleich etwa zum Landesschnitt oder zur Ebene der kreisfreien Städte.

132

Zuletzt lassen sich auch außerhalb der vorgenannten spezifischen Ausführungen der Beschwerdeführer zu § 4 FAG 2014 keine weiteren Darlegungen finden, aus denen sich den dargestellten Anforderungen entsprechend die Möglichkeit einer Verletzung des Art. 57 Abs. 1 LV in seiner horizontalen Dimension durch § 4 FAG 2014 ergeben könnte. Deshalb kann offengelassen werden, ob es überhaupt Sache des Landesverfassungsgerichts sein kann, außerhalb des eigentlichen Vortrages zu § 4 FAG 2014 möglicherweise einschlägige weitere Argumentationsstränge aus dem übrigen Vortrag der Beschwerdeführer zusammenzutragen.

133

Soweit die Beschwerdeführer rügen, es habe durchgehend (und damit wohl auch für § 4 FAG 2014) an einer Erhebung der tatsächlich notwendigen Ausgaben statt der bloßen Bezugnahme auf „Ist-Ausgaben“ gefehlt, sind die Anforderungen ebenfalls nicht gewahrt. Denn jedenfalls fehlt es an Ausführungen, inwieweit gerade die Beschwerdeführer konkret und individuell durch das gerügte Abstellen auf Ist-Ausgaben statt auf „notwendige“ Ausgaben sachwidrig benachteiligt werden. Irgendwelche konkreten Divergenzen zwischen notwendigen und Ist-Ausgaben aus dem eigenen Ausgabenverhalten, zumal zulasten der Beschwerdeführer, werden nicht ansatzweise dargelegt.

134

Kein hinreichender Vortrag liegt weiter in der Behauptung, die dem Gutachten des Niedersächsischen Instituts für Wirtschaftsforschung zugrunde gelegten Zahlenwerke seien wegen der Umstellung von der Kameralistik auf die Doppik untauglich. Selbst wenn derartige Umstellungsprobleme bestanden haben sollten, ist hiermit alleine nicht die hinreichende Möglichkeit einer Rechtsverletzung dargelegt. Denn in jedem Fall stand der Gesetzgeber vor der Aufgabe, einen verfassungsgemäßen Kommunalfinanzausgleich unter Verwendung der verfügbaren Datengrundlagen sicherzustellen. Dass der Gesetzgeber mit den vorhandenen – wenn auch möglicherweise nicht optimalen – Zahlenwerken arbeiten musste, legt insoweit einen rechtserheblichen Verfahrensfehler nicht nahe. Ein Verstoß gegen die sich aus Art. 57 Abs. 1 LV ergebenden Grundsätze wäre vor diesem Hintergrund nur möglich, wenn der Gesetzgeber im konkreten Umgang mit diesem gegebenenfalls bestehenden Problem möglicherweise gerade die Beschwerdeführer oder die Kreisebene als solche benachteiligte. Derartiges ist aber nicht nachvollziehbar dargelegt.

135

Nicht durchzugreifen vermögen schließlich die abstrakten Ausführungen der Beschwerdeführer zur angeblich fehlerhaften Abgrenzung der Gemeinde- und Kreisaufgaben bei den kreisfreien Städten. Jedenfalls fehlt es – erneut in Abgrenzung zur abstrakten Normenkontrolle – an Vortrag zur Relevanz der gerügten Erhebungsfehler für die Beschwerdeführer. Insbesondere ist nicht dargelegt, ob der angebliche Verstoß eine Mittelverschiebung zulasten der Teilschlüsselmasse für Kreisaufgaben – und damit zumindest mittelbar nachteilig für die Beschwerdeführer – bewirkt haben soll. Vielmehr ergibt sich aus den „Schlüssigkeitserwägungen“ der Beschwerdeführer selbst, dass durch die angeblichen Erhebungsfehler sogar eine Überdotierung der Teilmasse für Kreisaufgaben erfolgt sein könnte, die sich nach den dortigen Erwägungen dann zugunsten der Beschwerdeführer auswirken würde. Denn wenn – wie von den Beschwerdeführern dargelegt – die Kreisaufgaben bei den kreisfreien Städten um den Faktor 1,8 überbewertet worden sein sollten, so würde sich dies zugunsten der Teilschlüsselmasse für Kreisaufgaben und damit zugunsten der Beschwerdeführer auswirken.

136

(2) Soweit eine Verletzung des Anspruchs auf Mindestausstattung aus Art. 54 Abs. 1 und 2 LV durch § 4 FAG 2014 geltend gemacht wird, greift dies nicht durch. Es fehlt insoweit an substantiiertem Vortrag der Beschwerdeführer. Auf die obigen Ausführungen zur Selbstbetroffenheit durch die Bestimmung des § 3 FAG 2014 wird Bezug genommen (siehe oben aa) (3), Rn. 105 ff.).

137

cc) Zu bejahen ist hingegen die Beschwerdebefugnis der Beschwerdeführer hinsichtlich § 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 FAG 2014. Die Beschwerdeführer legen den Anforderungen entsprechend hinreichend substantiiert dar, dass für den ländlichen und den städtischen Raum trotz struktureller Unvergleichlichkeit einheitliche Hebesätze gebildet werden, und beanstanden nachvollziehbar, dass bei der Bildung dieser einheitlichen Hebesätze die Daten der kreisfreien Städte zulasten der Kreise ausgeblendet würden. Für jeden Beschwerdeführer wird dabei konkret nachvollziehbar dargelegt, welche Abweichungen sich für die Beschwerdeführer bei der von ihnen begehrten Berechnung ergäben. Auf die auf Seite 94 der Beschwerdeschrift enthaltene Tabelle sowie auf Anlage 6 C des Beschwerdeschriftsatzes wird verwiesen. Sie rügen dabei ausdrücklich eine Verletzung des interkommunalen Gleichbehandlungsgebotes.

138

dd) Hinsichtlich § 9 Abs. 1 und 4 FAG 2014 kann sinngemäß auf die Ausführungen zu § 7 FAG 2014 verwiesen werden. Die Beschwerdeführer beanstanden im Hinblick auf § 9 Abs. 1 FAG hinreichend nachvollziehbar das Fehlen eines Flächenparameters sowie im Hinblick auf § 9 Abs. 1 und 4 FAG 2014 die Einstellung der Soziallastenmesszahl zu ihren Lasten im Rahmen der Berechnung der Höhe der Schlüsselzuweisungen für Kreise und kreisfreie Städte. Für jeden Beschwerdeführer wird konkret nachvollziehbar dargelegt, welche Abweichungen sich für ihn bei der begehrten Berechnung ergäben. Auf die auf Seite 83 der Beschwerdeschrift enthaltene Tabelle sowie auf Anlage 5 hierzu wird verwiesen. Im Rahmen ihrer Ausführungen zu § 9 FAG 2014 beziehen sich die Beschwerdeführer insoweit ausdrücklich auf eine Verletzung des Gleichbehandlungsgebotes. Vortrag, der gegen § 9 Abs. 2 und 3 FAG 2014 gerichtet wäre, liegt hingegen nicht vor.

139

ee) Bezogen auf § 10 FAG 2014 ist weder für Art. 57 Abs. 1 LV (<1>) noch für Art. 54 Abs. 1 und 2 LV die konkrete Möglichkeit einer Verletzung in eigenen Rechten hinreichend vorgetragen (<2>).

140

(1) Zwar ist eine Verletzung von Art. 57 Abs. 1 LV in seiner horizontalen Dimension durch § 10 FAG 2014 nicht von vornherein ausgeschlossen. Es kann jedoch nicht festgestellt werden, dass dieser Einwand bezogen auf § 10 FAG 2014 überhaupt erhoben worden ist. Die Ausführungen der Beschwerdeführer beziehen sich durchgehend lediglich auf die Höhe der Teilschlüsselmasse für zentralörtliche Aufgaben insgesamt. Diese Frage ist in § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 FAG 2014 verortet und betrifft nur diese Bestimmung. In § 10 FAG 2014 ist hingegen die Binnenverteilung innerhalb der als zentralörtlich eingestuften Gemeinden geregelt. Vortrag, der einen Verstoß dieser Bestimmung gegen Art. 57 Abs. 1 LV zum Gegenstand hat, liegt nicht vor.

141

(2) Hinsichtlich Art. 54 Abs.1 und 2 LV ist auf die obigen Ausführungen zu § 3 FAG zu verweisen (siehe oben aa) (3), Rn. 105 ff.).

142

2. Soweit die kommunale Verfassungsbeschwerde unter dem Gesichtspunkt der Beschwerdebefugnis zulässig ist, steht ihr nicht der, im schleswig-holsteinischen Verfassungsprozessrecht ohnehin allenfalls eingeschränkt geltende

(Urteil vom 3. September 2012 - 1/12 -, Rn. 29, LVerfGE 23, 361 ff. = SchlHA 2012, 431 ff. = NVwZ-RR 2012, 913 ff., Juris Rn. 31; Beschluss vom 17. Juni 2016 - LVerfG 3/15 u.a. -, NordÖR 2016, 294 ff. = ZNER 2016, 354 ff. = NVwZ-RR 2016, 801 ff., Juris Rn. 21 m.w.N.),

Subsidiaritätsgrundsatz entgegen. Ob insoweit der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts Brandenburg zu folgen ist, wonach kommunale Verfassungsbeschwerden unzulässig sein sollen, wenn die Beschwerdeführer nicht zuvor versucht hätten, ihre angeblich unzulängliche Finanzausstattung durch Zahlungen aus dem hierfür vorgesehenen Ausgleichsfonds zu verbessern

(vgl. VerfG Brandenburg, Beschluss vom 18. Oktober 2013
- VfGBbg 68/11 -, LKV 2013, 554 ff., Juris Rn. 46),

bedarf keiner Entscheidung. Dieser Ansatz könnte allenfalls auf Art. 54 Abs. 1 und 2 LV gestützten Verfassungsbeschwerden entgegenstehen, jedenfalls aber nicht den hier allein zulässigen Rügen einer Verletzung des interkommunalen Gleichbehandlungsgebotes.

143

3. Bedenken hinsichtlich des allgemeinen Rechtsschutzbedürfnisses bestehen nicht. Soweit der niedersächsische Staatsgerichtshof erwogen hat, Beschwerden dann wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses zurückzuweisen, wenn in den streitgegenständlichen Jahren jedenfalls im Ergebnis durch das Verfahren keine Verbesserung mehr eintreten kann, weil die zugrunde liegenden Zuweisungsfestsetzungsbescheide bereits bestandskräftig wurden

(vgl. StGH Niedersachen, Urteil vom 7. März 2008 - StGH 2/05 -, NdsMBl 2008, 488 ff., Juris Rn. 49),

wird dem nicht gefolgt. Denn praktisch dürften dann Beschwerdeführer in keinem Fall – und zwar auch nicht im Falle des Obsiegens – eine Änderung der bereits ergangenen Festsetzungsbescheide erreichen können. Bisher hat – soweit ersichtlich – noch kein Landesverfassungsgericht ein Gesetz über den kommunalen Finanzausgleich ex tunc aufgehoben, sondern stets die Fortgeltung binnen einer Mehrjahresfrist, verbunden mit der Aufforderung zur Nachbesserung, ausgesprochen, und zwar gerade um die landesweite Rückabwicklung aller bereits ergangenen Festsetzungsbescheide zu vermeiden. Folgte man vor diesem Hintergrund dem Ansatz des niedersächsischen Staatsgerichtshofs, forderte man mithin von den Beschwerdeführern die Einlegung eines Rechtsbehelfes, der entgegen dem eigenen Obersatz absehbar nie sein „konkretes praktisches Ziel“, nämlich die rückwirkende Neufestsetzung der begehrten Zuweisung, erreichen kann.

144

Zuletzt lässt der Umstand zwischenzeitlicher (Teil-)Änderungen des streitgegenständlichen Finanzausgleichsgesetzes das Rechtsschutzbedürfnis nicht entfallen. Die allein zulässigerweise angegriffenen § 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2, und § 9 FAG 2014 sind von den genannten Gesetzesänderungen nicht betroffen.

II.

145

Die Verfassungsbeschwerde ist teilweise begründet. Zwar bestehen keine Bedenken gegen die formelle Verfassungsmäßigkeit des verfahrensgegenständlichen Finanzausgleichsgesetzes (1.). Die zulässigerweise angegriffenen Vorschriften der § 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 sowie § 9 Abs. 1 FAG 2014 – nicht § 9 Abs. 4 FAG – verletzten die Beschwerdeführer in ihren Rechten aus Art. 57 Abs. 1 LV (2.). Ob daneben ihre Rechte aus Art. 54 Abs. 1 und 2 LV verletzt sind, kann dahinstehen (3.).

146

1. Bedenken hinsichtlich der formellen Verfassungsmäßigkeit des angegriffenen Gesetzes bestehen nicht. Verfahrensfehler im Gesetzgebungsprozess sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

147

Dies gilt auch für die Beteiligung der kommunalen Ebene im Gesetzgebungsverfahren. Andere Verfassungsgerichte haben den jeweils einschlägigen Landesverfassungen zwar formelle Beteiligungsrechte entnommen

(StGH Baden-Württemberg, Urteil vom 10. Mai 1999 - GR 2/97 -, LVerfGE 10, 5 ff., Juris Rn. 90 ff.; VerfGH Bayern, Entscheidung vom 28. November 2007 - Vf. 15-VII-05 -, VerfGHE BY 60, 184 ff., Juris Rn. 213; a.A.: LVerfG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 11. Mai 2006 - LVerfG 1/05 -, LVerfGE 17, 297 ff., Juris Rn. 126; StGH Niedersachsen, Urteil vom 7. März 2008 - StGH 02/05 -, NdsMBl 2008, ff., Juris Rn. 70; offen gelassen: StGH Hessen, Urteil vom 21. Mai 2013 - P.St. 2361 -, NVwZ 2013, 1151 ff., Juris Rn.173).

148

Für eine entsprechende Auslegung der Verfassung des Landes Schleswig-Holstein bestehen allerdings keine Anhaltspunkte. Dies gilt insbesondere mit Blick auf die Verfassungsreform vom 2. Dezember 2014 (GVOBl 344), in deren Rahmen keine Beteiligungsrechte aufgenommen wurden. Ferner ist zumindest fraglich, ob das Argument der vorgenannten Verfassungsgerichtshöfe, es sei unmöglich, auf anderem Wege einen Schutz der finanziellen Ausstattungsansprüche zu gewährleisten, (noch) greift. Denn in einer ganzen Reihe von Bundesländern (insb. Hessen, Niedersachsen, Thüringen) wurden mittlerweile von den jeweiligen Verfassungsgerichten praktikable Vorgaben für die gesetzgeberische Entscheidungsfindung und die Sachverhaltsermittlung eingefordert und in der Folge hierzu Modelle der Umsetzung entwickelt. Die Einführung der in § 29 FAG 2014 vorgesehenen, umfassenden kommunalen Beteiligungsrechte („Beirat für den kommunalen Finanzausgleich“) stellt sich vor diesem Hintergrund als autonome gesetzgeberische Entscheidung dar; von Verfassungs wegen erforderlich sind derartige Beteiligungsrechte nicht.

149

2. Die angegriffenen Vorschriften über die der Ermittlung der Steuerkraftzahlen zugrunde liegenden fiktiven Hebesätze in § 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 FAG 2014 (a) sowie über die Berechnung der Schlüsselzuweisungen an die Kreise und kreisfreien Städte in § 9 FAG 2014 (b) verletzen die Beschwerdeführer in ihren aus Art. 57 Abs. 1 LV fließenden Rechten.

150

a) Die in § 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 FAG 2014 enthaltenen Regelungen zur Ermittlung der den Steuerkraftzahlen zugrunde liegenden fiktiven Hebesätze verletzen die Beschwerdeführer in ihren aus Art. 57 Abs. 1 LV herrührenden Rechten, insbesondere in dem hierin integrierten Gebot der Systemgerechtigkeit.

151

aa) Keine Verletzung des Gebotes der Systemgerechtigkeit oder des interkommunalen Gleichbehandlungsgebotes vermag das Gericht dabei allerdings in der Verwendung undifferenzierter fiktiver Hebesätze an sich zu erblicken. Maßgeblich ist dabei erneut nicht, ob der Normgesetzgeber die bestmögliche oder gerechteste Lösung gewählt hat. Vor dem Hintergrund des weiten gesetzgeberischen Gestaltungsspielraumes prüft das Gericht nur, ob der vorliegende Verzicht auf die Bildung von typisierenden Untergruppen nachvollziehbar und vertretbar ist.

152

Die Verwendung fiktiver Hebesätze ist dabei für sich betrachtet vertretbar. Das Land darf verhindern, dass sich eine Gemeinde durch besonders niedrige Hebesätze selbst „bedürftig macht“, um entweder Leistungen aus Landesmitteln zu erhalten oder einer Umlage zu entgehen

(Urteil vom 3. September 2012 - 1/12 - Rn. 40, LVerfGE 23, 361 ff., Rn. 28 = SchlHA 2012, 431 ff. = NVwZ-RR 2012, 913 ff., Juris Rn. 30; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 21. Mai 1968 - 2 BvL 2/61 -, BVerfGE 23, 353 ff., Juris Rn. 47 ff.; BVerwG, Urteil vom 25. März 1998 - 8 C 11.97 -, BVerwGE 106, 280 ff., Juris Rn. 26; VerfGH Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 9. Juli 1998 - VerfGH 16/96 u.a. -, NWVBl 1998, 390 ff., Juris Rn. 109; LVerfG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 13. Juni 2006 - LVG 7/05 -, LVerfGE 17, 410 ff., Juris Rn. 134; VerfGH Thüringen, Urteil vom 2. November 2011 - VerfGH 13/10 -, ThürVBl 2012, 55 ff., Juris Rn. 118 ff.; VerfG Brandenburg, Urteil vom 6. August 2013 - VfGBbg 53/11 -, DVBl 2013, 1180 ff., Juris Rn. 86 f.; Leisner-Egensperger, DÖV 2010, 705 <711>; Droege, NWVBl 2013, 41 <42>).

153

Es besteht dabei auch keine verfassungsrechtlich unterlegte Pflicht des Gesetzgebers, bei der Ausbildung der fiktiven Sätze nach weiteren Kriterien (etwa Lage oder Größe der Kommunen) zu differenzieren. Ausgangspunkt der verfassungsgerichtlichen Kontrolle ist dabei erneut ein gesetzgeberischer Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum bei der Ausgestaltung des Kommunalfinanzausgleichs. Das Gericht prüft vor diesem Hintergrund lediglich, ob der Gesetzgeber mit dem Verzicht auf ausdifferenzierte Hebesätze seinen Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum verlassen hat. Dies ist nicht der Fall.

154

Die gesetzgeberische Entscheidung, unter Verweis auf das Fehlen einer wissenschaftlich unumstrittenen Methode von einer Staffelung abzusehen, stellt sich jedenfalls nicht als unvertretbar dar. Tatsächlich ist es der Finanzwissenschaft bis heute nicht gelungen, eine allseits akzeptierte und hinreichend handhabbare, das heißt nicht übermäßig komplexe Methode eventueller Staffelungen von anzusetzenden Hebesätzen zu entwickeln. Insbesondere die Tauglichkeit der etwa denkbaren Parameter „Gemeindegröße“ oder „Industrialisierungsgrad“ zur realitätsnäheren Abbildung der Anspannungspotenziale der Hebesätze wird uneinheitlich bewertet. Auch eine mögliche Differenzierung nach Kernstädten, Umlandbereichen und ländlichem Raum findet keine uneingeschränkte Zustimmung

(vgl. VerfGH Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 9. Juli 1998 - VerfGH 16/96 u.a. -, a.a.O., Juris Rn. 116; Droege, NWVBl 2013, 41 <43>).

155

Selbst die Verfechter der Vorzugswürdigkeit gestaffelter Hebesätze gehen vor diesem Hintergrund davon aus, dass – aus ihrer Sicht – Staffelungen zwar vorzugswürdiger seien, dass der Gesetzgeber insoweit aber von Verfassungs wegen dazu nicht zwingend angehalten sei

(vgl. Droege, NWVBl 2013, 41 <43>, a.A.: Henneke, in: Henneke/ Pünder/ Waldhoff, Recht der Kommunalfinanzen, 2006, § 25 Rn. 39).

156

bb) Als jedenfalls anhand der Gesetzesbegründung nicht nachvollziehbar und damit willkürlich stellt sich hingegen die in § 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 FAG 2014 festgeschriebene Ermittlung der jeweiligen durchschnittlichen Hebesätze allein auf der Grundlage der tatsächlichen Hebesätze des kreisangehörigen Bereiches dar, während die tatsächlichen Hebesätze des kreisfreien Raumes nach der Regelung vollständig unberücksichtigt bleiben sollen.

157

Entscheidungsmaßstab ist das Willkürverbot, hier insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Systemgerechtigkeit. Aus diesem folgt, dass der Verfassung zwar keine konkrete Herangehensweise zu entnehmen ist, der der Gesetzgeber zu folgen hätte, dass der Gesetzgeber aber von dem selbst gewählten System
– hier der Hebesatzberechnung als landesweitem Durchschnittswert – nicht ohne nachvollziehbaren Grund abweichen darf.

158

Für die konkrete Hebesatzbildung sind jedoch keine gesetzgeberischen Erwägungen erkennbar, die die Ausklammerung der Daten der kreisfreien Städte aus der ansonsten durchgehenden Hebesatzberechnung auf Basis aller Gemeinden des Landes als zumindest vertretbar erscheinen lassen könnte. Weshalb hier bei der Definition eines im Übrigen landeseinheitlichen Durchschnitts die Daten der kreisfreien Städte vollständig ausgeblendet werden, erschließt sich nicht aus dem Gesetz selbst und ist auch weder in der Gesetzesbegründung noch in den veröffentlichten Materialien oder im Verfahren näher begründet. Die Herangehensweise steht dabei auch in einem nicht nachvollziehbarem Gegensatz zu der gesetzgeberischen Grundentscheidung für das sogenannte Zwei-Säulen-Modell, welches eine Differenzierung nach Art der Körperschaft (hier: zwischen kreisangehörigen Gemeinden und kreisfreien Städten) gerade nicht vorsieht.

159

Auch im Vergleich mit der Rechtslage in anderen Bundesländern erscheint die gewählte Regelung begründungsbedürftig. In den Parallelregelungen der Länder mit fiktivem Hebesatz und vergleichbarer Regelungstechnik basiert die Durchschnittsberechnung auf den Daten aller Kommunen, das heißt auch der kreisfreien Städte

(vgl. etwa: § 9 Abs. 4 Brandenburgisches Finanzausgleichsgesetz vom 29. Juni 2004 , zuletzt geändert durch Gesetz vom 15. März 2016 ; § 8 Sächsisches Finanzausgleichsgesetz vom 21. Januar 2013 , zuletzt geändert durch Gesetz vom 15. Dezember 2016 ).

Zugunsten der schleswig-holsteinischen Regelung kann nicht angenommen werden, dass es sich um den Fall einer Typisierung oder Pauschalisierung handeln könnte, die für sich gesehen noch zu tolerieren sein könnte. Es ist nicht ersichtlich, dass die im selbstgewählten System an sich folgerichtige Einbeziehung auch der Werte der kreisfreien Städte einen irgendwie gearteten Mehraufwand bedeutet hätte, der das Abweichen von dem ansonsten konsequent angewandten System der Hebesatzberechnung rechtfertigen könnte. Soweit daneben weitere, möglicherweise vertretbare Gründe für die getroffene Regelung vorliegen sollten, sind diese jedenfalls bis nicht transparent gemacht worden.

160

Vor dem Hintergrund der damit ohnehin erforderlichen Neufassung der Bestimmungen zur Ermittlung der Hebesätze des § 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 FAG 2014 kann dahinstehen, ob sich die – ebenfalls von den Beschwerdeführern angegriffene – Gewichtung des gewogenen Durchschnitts der Hebesätze mit dem Faktor 92 % als willkürlich darstellt. Dahingestellt bleiben kann insoweit insbesondere, ob die in der Gesetzesbegründung hierzu dokumentierte Überlegung ausreicht. Dort ist als Grund für die Erhöhung des Faktors von vormals 90 % auf 92 % angegeben, dass derart ein Gleichlauf der in den zugrunde liegenden Gutachten in die Berechnungen eingestellten Beträge mit den letztlich nach Berücksichtigung aller Reformergebnisse einzustellenden Beträgen (Vergleichsjahr 2014) hergestellt würde. Ohne die Korrektur würde das Umlagevolumen im Vergleichsjahr 2014 um 12,6 Millionen Euro geringer ausfallen, als im Gutachtenergebnis zugrunde gelegt.

161

c) Eine Verletzung von Art. 57 Abs. 1 LV durch § 9 FAG 2014 vermag das Gericht nur im Hinblick auf fehlende Erwägungen zur Einführung eines Parameters zur Erfassung rauminduzierter Bedarfe zu erblicken (bb). Im Übrigen sind keine Verletzungen von Art. 57 Abs. 1 LV festzustellen (aa).

162

aa) Die sich aus Art. 57 Abs. 1 LV ergebenden Anforderungen werden durch die Einführung des in § 9 FAG 2014 enthaltenen Soziallastenparameters nicht verletzt.

163

(1) Durchgreifende Einwände gegen die Einführung eines Parameters für Soziallasten an sich bestehen nicht. Die Etablierung eines derartigen Parameters stellt sich jedenfalls als vertretbar dar. Der Gesetzgeber hat sich eingehend mit den Vor- und Nachteilen eines derartigen Parameters auseinandergesetzt. Auf die ausführlichen Ausführungen in dem Gutachten des Niedersächsischen Instituts für Wirtschaftsforschung aus Juli 2013 wird Bezug genommen

(Niedersächsisches Institut für Wirtschaftsforschung, Gutachten zur Fortentwicklung des kommunalen Finanzausgleichs in Schleswig-Holstein, 2013, S. 59 ff.).

164

Gründe, die dort dokumentierten Erwägungen als willkürlich oder nicht mehr vertretbar einzustufen, liegen nicht vor. Im Übrigen wird in der Rechtsprechung anderer Landesverfassungsgerichte – dort ebenfalls vor dem Hintergrund entsprechender Gutachten – eine derartige Regelung für grundsätzlich zulässig erachtet

(vgl. VerfGH Rheinland-Pfalz, Urteil vom 14. Februar 2012
- VGH N 3/11 -, AS RP-SL 41, 29 ff., Juris Rn. 79 ff.; VerfGH Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 10. Mai 2016 - VerfGH 24/13 -, Gemeindehaushalt 2016, 163 ff., Juris Rn. 66 ff.).

165

(2) Keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Vorbehalte bestehen des Weiteren hinsichtlich der Gewichtung dieses zulässigerweise neu eingeführten Parameters. Das Landesverfassungsgericht vermag nicht festzustellen, dass der Gesetzgeber insoweit seinen Gestaltungsspielraum überschritten hätte. Gegenstand verfassungsgerichtlicher Kontrolle ist des Weiteren die Frage, welches Gewicht diesem Parameter bei der Verteilungsentscheidung zukommt, wobei dies zumindest willkürfrei und vertretbar gelöst werden muss

(vgl. VerfGH Rheinland-Pfalz, Urteil vom 14. Februar 2012
- VGH N 3/111 -, a.a.O., Juris Rn. 79 ff.; VerfGH Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 10. Mai 2016 - VerfGH 24/13 -, a.a.O., Juris Rn. 69 ff.).

166

Dies ist hier geschehen, und zwar sowohl bezogen auf die absolute Höhe des die Soziallasten maßgeblich determinierenden Vervielfältigungsfaktors als auch bezogen auf das Gewicht der sich hieraus in Verbindung mit der Zahl der Personen in Bedarfsgemeinschaften ergebenden Soziallastenmesszahl im Gesamtsystem.

167

Die absolute Höhe des die Soziallasten wiedergebenden Vervielfältigungsfaktors von 3.411 Euro ist nicht willkürlich gegriffen, sondern beruht nachvollziehbar auf der Zusammenschau der im ganzen Land Schleswig-Holstein anfallenden Zuschussbedarfe für soziale Lasten im Bemessungszeitraum, welche nach dem in sich schlüssigen und nachvollziehbaren Erstgutachten des Niedersächsischen Instituts für Wirtschaftsforschung 56,7 % der Zuschussbedarfe insgesamt ausmachten, und der ministeriell erhobenen Anzahl der Personen in Bedarfsgemeinschaften von Empfängern von Grundsicherung für Arbeitsuchende.

168

Auch das relative Gewicht der Soziallastenmesszahl im Gesamtsystem des § 9 FAG 2014 erweist sich jedenfalls als nicht willkürlich. Dabei ist vorab festzustellen, dass sich bereits aus der gesetzlichen Konzeption ergibt, dass der Soziallastenmesszahl keine über die Jahre statische, etwa feste prozentuale Gewichtung zukommen soll. Insbesondere wurde im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens offenkundig die zunächst erwogene Bildung von prozentual festgeschriebenen Teilmassen für Soziallasten einerseits und sonstige Ausgaben andererseits aufgegeben. Stattdessen wurde ein Modell gewählt, in dem die Gewichtung des Soziallastenfaktors im Verhältnis zu den anderen Parametern schwankt. Zur Veranschaulichung dieser Modellbildung sei auf die im Folgenden nochmals wiedergegebene Formel verwiesen:

Schlüsselzuweisung =

[(Einwohnerzahl x Grundbetrag) = Ausgangsmesszahl

(Umlagekraftmesszahl – = Soziallastenmesszahl)] x 0,85

169

Setzt man in diese bei gleichbleibender Zahl an Personen in Bedarfsgemeinschaften etwa eine hohe Teilschlüsselmasse – und damit im Ergebnis auch einen hohen Grundbetrag – ein, ergibt sich eine im Verhältnis zur (betragsmäßig festgeschriebenen) Soziallastenmesszahl hohe Ausgangsmesszahl. Setzt man hingegen eine geringe Teilschlüsselmasse – und damit einen niedrigen Grundbetrag – an, schwindet die Bedeutung der Ausgangsmesszahl im Verhältnis zur (gleichbleibenden) Soziallastenmesszahl. Entsprechend schwankt das faktische Gewicht der Soziallastenmesszahl gegenüber dem Gewicht der Ausgangsmesszahl jährlich in Abhängigkeit von der Größe der anderen Parameter. Ist zum Beispiel die Teilschlüsselmasse – etwa rezessionsbedingt – schlecht dotiert, kommt der Soziallastenmesszahl ein größeres Gewicht zu; ist die Teilschlüsselmasse gut dotiert, schwindet das Gewicht der Soziallastenmesszahl.

170

Diese Ausgestaltung ist vertretbar. Ihr liegt die nicht zu beanstandende Einschätzung des Gesetzgebers zugrunde, dass es sich beim Vervielfältigungsfaktor um eine empirisch verhältnismäßig statische und wenig wandlungsanfällige Größe handelt, die entsprechend absolut festgeschrieben werden kann. Diese Einschätzung wird auch vom eingeholten Gutachten des Niedersächsischen Instituts für Wirtschaftsforschung gestützt, in dem die Gutachter nachvollziehbar darlegen, dass sich die soziallastenbedingten Kosten ganz überwiegend unmittelbar aus den gesetzlichen Vorgaben erklären und entsprechend stabil sind

(Niedersächsisches Institut für Wirtschaftsforschung, Gutachten zur Fortentwicklung des kommunalen Finanzausgleichs in Schleswig-Holstein, 2013, S. 61, 3. und 4. Absatz).

171

Allerdings birgt der gebildete Mechanismus das Potential, dass in Zeiten steuereinnahmebedingt schlechter Ausstattung der Teilschlüsselmasse für Kreisaufgaben die Gewichtung des Soziallastenparameters über Gebühr steigt und es dann zu einer Sicherstellung der Deckung soziallastenbedingter Kosten auf Kosten der anderen, ebenfalls pflichtigen Aufgaben, kommt. Infolge der Regelungssystematik würden dann nämlich die Soziallasten weiterhin in vollem Umfang berücksichtigt, während die übrigen kommunalen Angelegenheiten vergleichsweise unterfinanziert blieben. Im Ergebnis würden so erheblich mehr als die gutachterlich festgelegten 56,7 % der Teilschlüsselmasse über den Soziallastenfaktor verteilt. Wie ein derartiger Zustand im Hinblick auf das Konnexitätsprinzip (Art. 57 Abs. 2 LV) zu beurteilen wäre, kann jedoch für dieses Verfahren dahinstehen. Denn jedenfalls in den Finanzausgleichsjahren 2015 und 2016 wurden wegen einer Dotierung der Finanzausgleichsmasse, die im Vergleich zur der dem Gesetzentwurf zugrunde liegenden Prognose überdurchschnittlich ausgestattet war, wesentlich weniger als 56,7 % der Teilschlüsselmasse über den Soziallastenfaktor verteilt. Insoweit besteht aber eine besondere Beobachtungspflicht des Gesetzgebers.

172

Aus diesen Ausführungen folgt zugleich, dass der Vorwurf der Beschwerdeführer wie des Landkreistages, die Schlüsselzuweisungen an die Körperschaften mit vielen Personen in Bedarfsgemeinschaften nach dem SGB II fielen überproportional hoch aus, währendwegen der Begrenztheit der insgesamt zur Verfügung stehenden Mittel (§§ 3, 4 Abs. 1 Nr. 2 FAG 2014) – die Schlüsselzuweisungen an die andere Gruppe unangemessen niedrig ausfielen, nicht zutrifft. Wie aufgezeigt ist in Folge der gewählten Ausgestaltung derzeit sogar das Gegenteil der Fall: Wegen der gegenwärtigen Dotierung der Teilschlüsselmasse mit höheren Beträgen als im Gesetzgebungsverfahren zugrunde gelegt, werden relativ mehr Mittel über die Ausgangsmesszahl – und nicht über die Soziallastenmesszahl – verteilt, als dies einer Verteilung mit zwei Sonderansätzen mit einer festgeschriebenen Gewichtung von 56,7 beziehungsweise 43,3 % entspräche. Richtig ist allenfalls, dass nach dem gewählten System Körperschaften mit einem hohen Anteil an Personen in Bedarfsgemeinschaften verhältnismäßig höhere Schlüsselzuweisungen erhalten als Körperschaften mit einem geringeren Anteil. Solange aber – wie derzeit – die Gewichtung des diesem Mechanismus zugrunde liegenden Soziallastenparameters vertretbar ist, ist dies für sich genommen nicht zu beanstanden. Denn, wie in dem der Gesetzesfassung zugrunde liegenden Gutachten nachvollziehbar dargelegt, korrelieren mit der Zahl an Personen, die Leistungen nach dem SGB II benötigen, auch in erheblichem Maße höhere Kosten.

173

Unzutreffend ist weiter die Behauptung der Beschwerdeführer, dass der Bedarf für Soziallasten „doppelt, und damit im Vergleich zu anderen Bedarfen überproportional und asymmetrisch“ berücksichtigt werde, da der Bedarf für Soziallasten einerseits „bereits in der Ausgangsmesszahl abgebildet“ sei, dann aber erneut durch Abzug von der Umlagekraftmesszahl herangezogen werde und derart auf der Einnahmenseite die Finanzkraft der Kommunen erneut mindere.

174

Dieser Argumentation liegt die intuitiv naheliegende, aber im Ergebnis unzutreffende Vorstellung zugrunde, der Mechanismus des § 9 FAG 2014 bestehe aus einer „Ausgabenseite“ und einer „Einnahmenseite“. Auf der „Ausgabenseite“ (dargestellt durch die Ausgangsmesszahl) gingen alle tatsächlichen Bedarfe in die Berechnung ein und würden sodann mit der Einnahmenseite zur Ermittlung des Defizits gespiegelt. Diese Vorstellung von der Wirkweise des § 9 FAG 2014 übersieht jedoch, dass die Ausgangsmesszahl nicht den kommunalen „Bedarf“ wiedergibt, sondern über die Determinierung durch den Grundbetrag lediglich eine bloße Recheneinheit darstellt. Die Ausgangsmesszahl ergibt sich aus der Multiplikation der jeweiligen Einwohnerzahl mit dem Grundbetrag. Die Ausgangsmesszahl hat damit nichts mit irgendwie gearteten „tatsächlichen kommunalen Bedarfen“ zu tun. Durch sie wird nur bewirkt, dass die jeweiligen Einwohnerzahlen in die Berechnungsgleichung eingehen sowie dass – über den vollständig von den anderen Parametern abhängigen Grundbetrag – sichergestellt ist, dass die sich ergebenden Schlüsselzuweisungen die hierfür verfügbare Teilschlüsselmasse voll ausschöpfen, aber nicht übersteigen. Die Ausgangsmesszahl ist damit keine echte „Bedarfsgröße“, sondern vielmehr eine reine Recheneinheit mit den Parametern Einwohnerzahl und Grundbetrag, wobei der Grundbetrag nicht durch irgendwie geartete Bedarfe für wie auch immer geartete Aufgabenbereiche unterlegt ist. Anschaulich wird dies, wenn man sich vor Augen hält, dass die Höhe des Grundbetrages und damit auch der Ausgangsmesszahl (auch) abhängig ist von der Höhe der Teilschlüsselmasse für Kreisaufgaben. Sinkt die Teilschlüsselmasse in einem gegebenen Jahr im Vergleich zum Vorjahr, sinkt damit qua Definition auch der Grundbetrag und damit die Ausgangsmesszahl. Mit den kommunalen Bedarfen hat dies aber offensichtlich nichts zu tun: Nur weil die Teilschlüsselmasse sinkt, vermindern sich nicht auch die kommunalen Bedarfe. Bereits dies verdeutlicht, dass die Ausgangsmesszahl Bedarfe nicht widerspiegelt und nicht beansprucht, dies zu tun

(zur vergleichbaren Situation in Nordrhein-Westfalen: „Der Grundbetrag (…) ist eine rechnerische Hilfsgröße und wird so festgelegt, dass die zu verteilende Schlüsselmasse vollständig ausgeschöpft wird. (…) Die Ausgangsmesszahl ist somit eine unechte Bedarfsgröße und darf daher nicht als Maß für die von einer Kommune zur Deckung der tatsächlichen Ausgaben benötigten Finanzmittel missverstanden werden“ (Finanzwissenschaftliches Forschungsinstitut an der Universität zu Köln, Gutachten zur Weiterentwicklung des kommunalen Finanzausgleichs in Nordrhein-Westfalen, 2013, S. 23 ff.).

175

Entsprechend trägt die (ebenso im Schriftsatz des Landkreistages vertretene) Grundannahme nicht, der Bedarf für Soziallasten sei in der Ausgangsmesszahl „bereits abgebildet“ und werde daher „doppelt“ in Ansatz gebracht. Da die Ausgangsmesszahl keine Bedarfe und dementsprechend keine Sozialkostenbedarfe widerspiegelt, findet folglich auch keine doppelte Einbeziehung der Sozialkostenbedarfe statt. Diese gehen nur einmal (und das wie alle anderen Parameter mit einer Reduktion auf 85 %) in die Gesamtrechnung ein.

176

Vor diesem Hintergrund ist eine Verletzung des Verbots der Nivellierung beziehungsweise Übernivellierung durch § 9 FAG 2014 ebenfalls nicht erkennbar.

177

Nicht durchgreifend ist weiter der Vortrag der Beschwerdeführer zu angeblich unzutreffenden Zahlen im Gesetzgebungsverfahren. Gemessen an den obigen Feststellungen nicht nachvollziehbare Daten vermag das Gericht in den maßgeblichen Gesetzgebungsmaterialien nicht festzustellen. Die Darlegungen der Beschwerdeführer beruhen auf einer Formelbildung, die nicht geeignet ist, den gesetzgeberisch vorgegebenen Zuweisungsmechanismus abzubilden. Denn entgegen der Gesetzeskonzeption unterwirft die von den Beschwerdeführern gebildete Formel auch die Schlüsselzahl einer Multiplikation mit dem Faktor 0,85 und kommt daher notwendigerweise zu unzutreffenden Ergebnissen. Tatsächlich ist derartiges im Gesetz jedoch an keiner Stelle vorgesehen.

178

bb) Jedoch stellt sich § 9 Abs. 1 FAG im Hinblick auf die gesetzgeberische Behandlung rauminduzierter Kosten als verfassungswidrig dar. Art. 57 Abs. 1 LV ist zwar insoweit keine Aussage dahingehend zu entnehmen, dass etwaige rauminduzierte Kosten der Aufgabenerfüllung – vor allem denkbare Mehrkosten der Aufgabenerledigung auf ausgedehnter Fläche oder aber etwaige Kosten aufgrund sonstiger naturräumlicher Besonderheiten (wie etwa in Schleswig-Holstein mehrfach gegebene Insellagen) – auf jeden Fall einer gesonderten Erhebung bedürfen. Maßstab der Prüfung ist vielmehr nur, ob der hier vorliegende Verzicht auf die Erhebung etwaiger raumbedingter Kosten sachlich zumindest vertretbar war.

179

In der einschlägigen landesverfassungsrechtlichen Rechtsprechung sowie in der veröffentlichten wissenschaftlichen Literatur wird insoweit nachvollziehbar davon ausgegangen, dass erhebliche Gründe für die Annahme sprechen, dass insbesondere Fläche ein kostenerhebliches Kriterium sein könnte, etwa hinsichtlich der Straßenbaulast, aber auch bezüglich zahlreicher anderer Kreisaufgaben (beispielsweise Naturschutz, Landwirtschaftswesen, Veterinärwesen, Abfallwirtschaft, Rettungswesen, ÖPNV)

(vgl. VerfG Brandenburg, Urteil vom 22. November 2007 - VfGBbg 75/05 -, LVerfGE 18, 159 ff., Juris Rn. 146 f.; VerfGH Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 10. Mai 2016 - VerfGH 19/13 -, ZKF 2016, 139 ff., Juris Rn. 127 ff.; Henneke, NdsVBl 2013, 121 <126>, Wohltmann, Der Landkreis 2016, 501 <530>; weiterführend: Kirchhof/ Meyer, Kommunaler Finanzausgleich im Flächenbundesland, 1996).

Dieser Befund wird nicht zuletzt auch von dem zugrunde liegenden Gutachten selbst nahe gelegt. Das Gutachten geht davon aus, dass bestimmte Kostenarten im ländlichen Raum stärker ins Gewicht fallen als im Verdichtungsraum:

Die Zuschussbedarfe der Gemeindeebene sind vor allem in der allgemeinen Verwaltung höher als in den kreisfreien Städten. Dies liegt sehr wahrscheinlich an der stärker dezentralen Verwaltungsstruktur im kreisangehörigen Raum (Niedersächsisches Institut für Wirtschaftsforschung, Gutachten zur Fortentwicklung des kommunalen Finanzausgleichs in Schleswig-Holstein, 2013, S. 16)

Dass gleiches für Insellagen gilt, liegt schon im Hinblick auf die Erreichbarkeit und den deshalb für die dortige Aufgabenerledigung erhöhten Aufwand nahe.

180

Hieraus folgt im Rahmen der von dem Gericht allein durchzuführenden Vertretbarkeitsprüfung, dass der Gesetzgeber zumindest eine vertiefte Auseinandersetzung mit dieser Problematik schuldet. Auf die Berücksichtigung des Parameters Raum kann er nur dann verzichten, wenn er hierfür nachvollziehbare Gründe erhoben und dokumentiert hat

(vgl. StGH Niedersachsen, Urteil vom 16. Mai 2001 - StGH 6/99 -, NdsVBl 2001, 184 ff., Juris Rn. 140; wohl auch BVerfG, Urteil vom 27. Mai 1992 - 2 BvF 1/88 u.a. -, BVerfGE 86, 148 ff., Juris Rn. 317 ff.).

181

Vorliegend befassen sich allerdings weder das zugrunde liegende Gutachten noch die Gesetzesbegründung eingehend mit der Materie. Im Gutachten des Niedersächsischen Instituts für Wirtschaftsforschung ist eine nachvollziehbare Auseinandersetzung mit der Frage, ob ein Flächenindikator erforderlich ist, nicht enthalten. Auch die Gesetzesbegründung zeigt, dass eine substantielle Auseinandersetzung mit dem evtl. gegebenen Erfordernis der Einführung eines konkreten Flächenparameters nicht stattgefunden hat. Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich vielmehr, dass man sich mit dieser Fragestellung allein deshalb nicht auseinandersetzte, um den Finanzausgleich nicht weiter zu verkomplizieren. Insoweit heißt es in der Gesetzesbegründung:

Es werden keine zusätzlichen Verteilungskriterien für Fläche bei den Kreisen oder für Bildungsaufwand bei den Gemeinden eingeführt. Solche Kriterien machten den Finanzausgleich komplizierter, ohne dass die Verteilungswirkung den kommunalen Bedarfen notwendigerweise besser gerecht würde. (…). Auch das Niedersächsische Institut für Wirtschaftsforschung empfiehlt, über den Soziallastenansatz auf der Ebene der Kreise und kreisfreien Städte hinaus mit weiteren Nebenansätzen zurückhaltend umzugehen (Landtags-Drucksache 18/1659, S. 47).

182

Diese Erwägung allein vermag jedoch keine hinreichende Begründung für die Nichtberücksichtigung abzugeben. Denn ob der in sich vertretbare Gesichtspunkt, die gesetzliche Regelung möglichst nicht weiter zu verkomplizieren, trägt, lässt sich nur in Abwägung mit den damit einhergehenden Nachteilen im Hinblick auf das Gebot einer dem interkommunalen Gleichbehandlungsgebot genügenden Ausgestaltung des Finanzausgleichs beantworten. Diese Abwägung erfordert jedoch, dass sich der Gesetzgeber die für einen Flächenansatz sprechenden Gesichtspunkte und die Ausgestaltungsmöglichkeiten zumindest im Ansatz vergegenwärtigt.

183

Für das Erfordernis einer substantiellen Auseinandersetzung mit der Frage der Berücksichtigung rauminduzierter Bedarfe spricht dabei im Übrigen die Argumentation der Landesregierung in dem vorliegenden Verfahren. Diese meint, dass eine Berücksichtigung von Deglomerationskosten nur dann erforderlich sei, wenn auch Agglomerationskosten berücksichtigt würden

(so wohl auch VerfG Brandenburg, Beschluss vom 18 Mai 2006
- VfGBbg 39/04 -, LKV 2006, 505 ff.).

Letzteres sei in Schleswig-Holstein aber nicht der Fall.

184

Dem vermag das Gericht nicht zu folgen. Entgegen den Ausführungen der Landesregierung sind Agglomerationseffekte durchaus berücksichtigt. Denn in seiner praktischen Wirkung stellt die Teilschlüsselmasse für Zentrale Orte (bis hinab zum Unterzentrum, vgl. § 10 FAG 2014) einen Indikator für Agglomerationseffekte dar. Dem kann nicht durchgreifend entgegengehalten werden, dass § 10 FAG 2014 nicht formell an die Bevölkerungsdichte anknüpft, sondern an Maßstäbe des Landesplanungsrechts. Denn im Ergebnis werden auch hier – wenn auch mit anderer Regelungstechnik – Agglomerationseffekte zur Mittelverteilung herangezogen. Dies zeigt sich schon bei Betrachtung der Ergebnisse der Verteilung der Teilschlüsselmasse nach § 10 FAG 2014. Hiernach werden etwa im Finanzausgleichsjahr 2016 über 70 % der Teilschlüsselmasse für zentralörtliche Aufgaben an die vier Oberzentren (Kiel, Lübeck, Flensburg, Neumünster) sowie die vierzehn Mittelzentren (Brunsbüttel, Heide, Mölln, Husum, Eutin, Elmshorn, Eckernförde, Rendsburg, Schleswig, Bad Segeberg, Kaltenkirchen, Itzehoe, Bad Oldesloe) vergeben. Nur ca. 6 % der Teilschlüsselmasse erreichen hingegen ländliche Zentralorte beziehungsweise Stadtrandkerne I. Ordnung, nur ca. 4% Stadtrandkerne II. Ordnung

(Erlass Kommunaler Finanzausgleich 2016 des Ministeriums für Inneres und Bundesangelegenheiten, 18. Januar 2016, Anlage 5 und 8).

185

Die Verknüpfung der Einstufung als Ober- und Mittelzentrum mit Agglomerationseffekten ist dabei nicht zu verkennen. Auch insoweit bestünde hier hinreichend Grund für eine fundierte Entscheidung, ob nicht im Flächenland Schleswig-Holstein begleitend auch die Einführung eines Flächen- oder sonstwie raumbezogenen Indikators geboten erscheint.

186

Entsprechend ist insoweit die Verfassungswidrigkeit von § 9 Abs. 1 FAG 2014 festzustellen, bei dessen Regelung es der vertieften gesetzgeberischen Auseinandersetzung mit der Frage nach einem ergänzenden flächenabhängigen weiteren Parameter bedurft hätte. Einer darüber hinausgehenden Feststellung der Verfassungswidrigkeit der in § 9 Abs. 4 FAG 2014 enthaltenen Einzelregelungen bedarf es hingegen aus den vorgenannten Gründen nicht.

187

3. Im Übrigen gibt das vorliegende Verfahren keinen Anlass, eine Überprüfung der zulässigerweise angegriffenen §§ 7 und 9 FAG 2014 auch anhand des Art. 54 Abs. 1 und 2 LV vorzunehmen. Offen gelassen werden kann damit sowohl, ob die durch Art. 54 Abs. 1 und 2 LV gewährleistete Mindestausstattung (wie der Anspruch auf angemessene Ausstattung aus Art. 57 Abs. 1 LV) unter Leistungsfähigkeitsvorbehalt steht

(für den dortigen Verfassungsraum ablehnend: VerfGH Thüringen, Urteil vom 2. November 2011 - VerfGH 13/10 -, ThürVBl 2012, 55 ff., Juris Rn. 82; VerfG Brandenburg, Urteil vom 22. November 2007
- VfGBbg 75/05 -, LVerfGE 18, 159 ff., Juris Rn. 116 ff., sowie für Art. 28 GG: BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 - 8 C 1.12 -, BVerwGE 145, 378 ff, , Juris Rn. 20 ff.; a.A. für den dortigen Verfassungsraum: StGH Niedersachsen, Urteil vom 7. März 2008
- StGH 2/05 -, NdsVBl 2008, 152 ff., Juris Rn. 54 und 62; VerfGH Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 6. Mai 2014 - VerfGH 14/11 -, DVBl 2014, 918 ff., Juris Rn. 41 ff.; LVerfGH Rheinland-Pfalz, Urteil vom 14. Februar 2012 - VGH N 3/11 -, AS RP-SL 41, 29 ff., Juris Rn. 23; LVerfG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 23. Februar 2012
- LVerfG 37/10 -, NordÖR 2012, 235 ff., Juris Rn. 97 ff.; VerfGH Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 10. Mai 2016 - VerfGH 19/13 -, ZKF 2016, 139 ff., Juris Rn. 127 ff.),

als auch, ob Art. 54 Abs. 1 und 2 LV einen individuell justiziablen Mindestausstattungsanspruch jeder einzelnen Kommune oder lediglich eine institutionelle Garantie bezogen auf die Gesamtheit der Kommunen enthält

(lediglich institutionelle Garantie: VerfGH NRW, Urteil vom 6. Mai 2014 - VerfGH 14/11 -, DVBl 2014, 918 ff., Juris Rn. 38; wohl auch: VerfGH Bayern, Entscheidung vom 6. Februar 2007 - Vf. 14-VII-04 - VerfGHE BY 60, 30 ff., Juris Rn. 47; auch individueller Mindestanspruch: VerfG Brandenburg, Urteil vom 16. September 1999 - VfGBbg 28/98 -, LVerfGE 10, 237 ff, Juris Rn. 112, LVerfG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 11. Mai 2006 - LVerfG 1/05 -, LVerfGE 17, 297, Juris Rn. 110; StGH Hessen, Urteil vom 21. Mai 2013 - P.St. 2361 -, NVwZ 2013, 1151 ff., Juris Rn. 194; von Mutius, in: von Mutius/ Wuttke/ Hübner, Kommentar zur Landesverfassung Schleswig-Holstein, 1995, Art. 49 Rn. 13; weiterführend: Volkmann, DÖV 2001, 497 <504>).

188

Im Hinblick auf die §§ 7 und 9 FAG 2014 enthält Art. 54 Abs. 1 und 2 LV jedenfalls keine Anforderungen, die zur Verfassungswidrigkeit dieser Bestimmungen führen könnten – und zwar auch dann nicht, wenn Art. 54 Abs. 1 und 2 LV einen individuell justiziablen Mindestausstattungsanspruch enthalten sollte. Diesen Mindestausstattungsanspruch müsste der Gesetzgeber in Bezug auf Art. 54 Abs. 1 und 2 LV nicht notwendigerweise über eine ausnahmslos jedem Einzelfall gerecht werdende Ausgestaltung der Verteilungsbestimmungen der §§ 5 ff. FAG 2014 sicherstellen. Denn dann wären die in dem komplexen System des Finanzausgleichs zwingend notwendigen Generalisierungen und Pauschalisierungen zur Ermittlung der jeweils erforderlichen Finanzmittel erschwert bis unmöglich, zumal in Schleswig-Holstein mit seiner Vielzahl mit Blick auf Ausgabenbelastungen, Einnahmemöglichkeiten und spezifischen örtlichen Rahmenbedingungen höchst unterschiedlich strukturierter Kommunen. Die Gewährleistung der individuellen Mindestausstattung müsste dann allerdings über einen gesonderten Mechanismus zum Ausgleich sich gegebenenfalls aus dem Gesamtsystem der §§ 5 ff. FAG 2014 ergebender Unterfinanzierungen sichergestellt werden

(vgl. VerfG Brandenburg, Urteil vom 16. September 1999
- VfGBbg 28/98 -, a.a.O., Juris Rn. 112).

189

Ein solcher Mechanismus ist in Schleswig-Holstein über § 12 FAG gegeben, der von den Beschwerdeführern weder nach Höhe noch mit Blick auf seinen Regelungsinhalt angegriffen wird. Gemäß § 12 FAG 2014 können Gemeinden und Kreise, die ihren Haushalt nicht durch eigene Mittel und durch allgemeine Finanzzuweisungen nach dem Finanzausgleichsgesetz ausgleichen können, Fehlbetragszuweisungen erhalten. Die Bestimmung lautet auszugsweise wie folgt:

§ 12

Fehlbetragszuweisungen

(1) Gemeinden und Kreise die ihren Haushalt nicht durch eigene Mittel und durch allgemeine Finanzzuweisungen nach diesem Gesetz ausgleichen können, können Fehlbetragszuweisungen zum Ausgleich von unvermeidlichen Fehlbeträgen oder Jahresfehlbeträgen der abgelaufenen Haushaltsjahre erhalten. ln Ausnahmefällen können Fehlbetragszuweisungen zum Ausgleich eines voraussichtlichen unvermeidlichen Fehlbetrages oder Jahresfehlbetrages des laufenden Haushaltsjahres gewährt werden.

(2) Bei der Feststellung des unvermeidlichen Fehlbetrages oder Jahresfehlbetrages müssen diejenigen Beträge außer Ansatz bleiben, die durch Ausgaben oder Aufwendungen entstanden sind, die nicht als unbedingt notwendig anerkannt werden können, oder die durch eigene Einnahmen oder Erträge abgedeckt werden können, wenn alle Einnahme- oder Ertragsquellen in zumutbarem Umfang ausgeschöpft werden. Davon abweichend werden bei den Kreisen und Städten, die der Kommunalaufsicht des für Inneres zuständigen Ministeriums unterstehen, jeweils zwei Drittel der bis zum Ende des Jahres 2014 aufgelaufenen Fehlbeträge oder Jahresfehlbeträge sowie der ab 2015 entstehenden neuen Fehlbeträge oder Jahresfehlbeträge als unvermeidlich anerkannt.

(3) Gemeinden und Kreisen können Fehlbetragszuweisungen aus den nach § 4 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 bereitgestellten Mitteln gewährt werden, wenn der in dem Haushaltsjahr entstandene oder voraussichtlich entstehende unvermeidliche Fehlbetrag oder Jahresfehlbetrag mindestens 80.000 Euro beträgt. Über die Bewilligung der Fehlbetragszuweisungen entscheidet das für Inneres zuständige Ministerium. Vor der Entscheidung sollen die Landesverbände der Gemeinden und Kreise gehört werden.

(4) Kreisangehörigen Gemeinden, die der Kommunalaufsicht der Landrätin oder des Landrats unterstehen, können aus eigenen Mitteln des Kreises Fehlbetragszuweisungen gewährt werden, wenn der in dem Haushaltsjahr entstandene oder voraussichtlich entstehende unvermeidliche Fehlbetrag oder Jahresfehlbetrag weniger als 80.000 Euro beträgt. Über die Bewilligung der Fehlbetragszuweisungen entscheidet der jeweilige Kreis. Zur Finanzierung der Fehlbetragszuweisungen nach Satz 1 stellt jeder Kreis einen Betrag in Höhe von mindestens 0,5 % seiner Einnahmen oder Erträge aus den Schlüsselzuweisungen an die Kreise und kreisfreien Städte zum Ausgleich unterschiedlicher Umlagekraft und sozialer Lasten (§ 9 Absatz 1) und der Kreisumlage (§ 19 Absatz 2) bereit.

(5) - (6) […]

III.

190

§ 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 sowie § 9 Abs. 1 FAG 2014 verstoßen danach gegen Art. 57 Abs. 1 der Verfassung des Landes Schleswig-Holstein. Dies führt jedoch nicht zur beantragten Nichtigkeit dieser Vorschriften, sondern zur Erklärung ihrer Unvereinbarkeit mit der Landesverfassung. Sie bleiben weiter anwendbar. Der Gesetzgeber ist bis zum 31. Dezember 2020 zu einer verfassungsmäßigen Neuregelung verpflichtet.

191

Die Verfassungswidrigkeit gesetzlicher Vorschriften führt im Regelfall zwar zu deren Nichtigkeit (§ 42 Satz 1, vgl. auch § 46 Satz 2 und § 48 LVerfGG). Aus-nahmsweise sind die Vorschriften jedoch nur für unvereinbar mit der Landesverfassung zu erklären

(Urteil vom 26. Februar 2010 - LVerfG 1/09 -, SchlHA 2010, 131 = NordÖR 2010, 155 ff. = VR 2011, 65 ff., Juris Rn. 106).

192

Eine derartige Ausnahmesituation liegt hier vor. Eine – rückwirkende –Nichtigerklärung kommt schon aus Gründen der Rechtssicherheit nicht in Betracht. Hierdurch würden die bereits erfolgten Festsetzungen von Gemeinde- und Kreisschlüsselzuweisungen nach §§ 5 ff., 9 FAG 2014 ihre Rechtsgrundlage verlieren.

193

Auch die bloße Unvereinbarkeitserklärung hätte allerdings grundsätzlich zur Folge, dass die betroffenen Normen in dem sich aus dem Tenor ergebenden Umfang nicht mehr angewendet werden dürfen. Ausnahmsweise sind verfassungswidrige Vorschriften aber ganz oder teilweise weiter anzuwenden, wenn die Besonderheit der für verfassungswidrig erklärten Norm es aus verfassungsrechtlichen Gründen, insbesondere aus solchen der Rechtssicherheit, notwendig macht, die verfassungswidrige Vorschrift als Regelung für die Übergangszeit fortbestehen zu lassen, damit in dieser Zeit nicht ein Zustand besteht, der von der verfassungsmäßigen Ordnung noch weiter entfernt ist als der bisherige

(Urteil vom 26. Februar 2010 - LVerfG 1/09 -, a.a.O., Juris Rn. 108).

194

So liegt es hier. Ohne weitere Anwendung der fraglichen Bestimmungen wären neue Festsetzungen über Zuweisungen an die kommunalen Aufgabenträger bis zum Abschluss des nunmehr erforderlichen Gesetzgebungsverfahrens nicht mehr möglich. Ein derartiges sofortiges Außerkrafttreten der angegriffenen Vorschriften wäre mit einer geordneten Finanz- und Haushaltswirtschaft unvereinbar. Bis zum Inkrafttreten einer Neuregelung darf der kommunale Finanzausgleich auf der Grundlage der bestehenden Vorschriften des Finanzausgleichsgesetzes, auch soweit sie verfassungswidrig sind, weiterhin durchgeführt werden.

195

Für die Neuregelung steht dem Gesetzgeber eine Frist bis zum 31. Dezember 2020 zur Verfügung. Zwar kommt als angemessene Frist zur Beseitigung der verfassungswidrigen Rechtslage grundsätzlich die Dauer einer Legislaturperiode in Betracht

(Urteil vom 26. Februar 2010 - LVerfG 1/09 - Rn. 106, a.a.O., Juris Rn. 113).

Vor dem Hintergrund der im Jahr 2017 neu anlaufenden Legislaturperiode sowie unter Berücksichtigung der erheblichen Bedeutung einer verfassungskonformen Ausgestaltung des kommunalen Finanzausgleichs für alle schleswig-holsteinischen Kommunen ist jedoch ein kürzerer Zeitraum angemessen. Der gewählte Zeitraum erscheint insoweit erforderlich, aber auch ausreichend, um die zur Feststellung des finanziellen Mindestbedarfs der Kommunen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen und im Gesetzgebungsverfahren umzusetzen.

IV.

196

Das Verfahren ist kostenfrei (§ 33 Abs. 1 LVerfGG). Eine Kostenerstattung findet nicht statt (§ 33 Abs. 4 LVerfGG). Eine Entscheidung über die Vollstreckung entfällt (§ 34 LVerfGG).

V.

197

Das Urteil ist einstimmig ergangen.


Tenor

Die Nichtanerkennungsbeschwerde wird verworfen.

Gründe

I.

1

Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Ablehnung der Anerkennung als Partei für die Wahl zum 18. Deutschen Bundestag.

2

1. Mit Schreiben vom 16. Oktober 2012 bat der Bundeswahlleiter die am 11. September 2010 gegründete Beschwerdeführerin, eine Übersicht der Namen und Funktionen der Vorstandsmitglieder der bestehenden Landesverbände bis spätestens 23. November 2012 zu übermitteln, um diese Angaben in die gemäß § 6 Abs. 3 Parteiengesetz (PartG) geführte Unterlagensammlung aufnehmen zu können. Eine Reaktion hierauf erfolgte nicht.

3

2. Auf die Beteiligungsanzeige der Beschwerdeführerin vom 17. Juni 2013 bat der Bundeswahlleiter sie mit Schreiben vom 20. Juni 2013 unter Verweis auf § 18 Abs. 2 Satz 6 BWG, entsprechende Nachweise zu erbringen, um dem Bundeswahlausschuss die Prüfung zu ermöglichen, ob die Voraussetzungen des § 2 PartG erfüllt seien. Eine Reaktion hierauf erfolgte nicht.

4

3. In der Sitzung des Bundeswahlausschusses vom 5. Juli 2013 führte der Bundeswahlleiter eingangs im Hinblick auf die Parteieigenschaft der Beschwerdeführerin aus, dass diese ausweislich der beim Bundeswahlleiter geführten Unterlagensammlung nicht über Landesverbände verfüge und zur Zahl der Mitglieder keine Angabe gemacht habe. Bezüglich des Hervortretens in der Öffentlichkeit lasse sich feststellen, dass seit Gründung am 11. September 2010 keine Teilnahme an Landtagswahlen erfolgt sei. Hinsichtlich der Öffentlichkeitsarbeit seien keine Angaben gemacht worden.

5

Der Bundesvorsitzende der Beschwerdeführerin gab darauf an, diese habe einen Landesverband in Brandenburg, einen Landesverband in Berlin und neuerdings auch in Hessen, der gerade erst dazu gekommen sei. Insgesamt habe sie jetzt 165 Mitglieder. Das Problem der Beschwerdeführerin sei, dass sie erst 2012 mit einer anderen Gruppierung fusioniert habe. Er sei weiter gerade im Gespräch mit der Allianz Graue Panther, die vier Landesverbände habe. Auch sei noch geplant, in Schleswig-Holstein einen neuen Landesverband zu gründen. Es sei schwierig, jetzt sofort wieder alles auf die Bahn und auf den Weg zu bringen, dass sie sagen könnten, sie seien wieder die große Partei, oder die Partei, die mitmachen kann, die mitmachen sollte. Auf eine Nachfrage, ob es richtig sei, dass dem Ausschuss weder zu den Landesverbänden noch zu den Mitgliederzahlen der Beschwerdeführerin etwas Schriftliches vorliege, ging deren Bundesvorsitzender nicht ein. Auf eine weitere Nachfrage, welche politischen Aktivitäten die Beschwerdeführerin seit der Fusion im April 2012 an den Tag gelegt habe, da sich aus den Unterlagen hierzu nichts erschließe, gab der Bundesvorsitzende an, die Beschwerdeführerin führe Vorstandssitzungen und Mitgliederversammlungen durch. Außerdem habe sie in Berlin an der Wahl zu den Bezirksparlamenten teilgenommen, was leider 2011 nicht zum Erfolg geführt habe. Sie sei also aktiv. Sie habe Informationsstände und Flyer. Außerdem biete sie alle vierzehn Tage Bürgertreffen an. Die Protokollführerin der Beschwerdeführerin gab ergänzend an, sie sei zuvor Mitglied des Fusionspartners und bis 2009 in der Bezirksverordnetenversammlung von Berlin-Mitte gewesen. Dadurch, dass sie 2011 in Berlin nicht mehr in die Bezirksverordnetenversammlung gekommen seien, sei praktisch der Rest von Initiative oder Wille von vielen zerbrochen. Sie versuchten jetzt erst einmal, sich neu zu sortieren. Schriftliche Nachweise legten die Vertreter der Beschwerdeführerin in der Sitzung des Bundeswahlausschusses nicht vor.

6

4. Der Bundeswahlausschuss stellte am 5. Juli 2013 fest, dass die Beschwerdeführerin nicht als Partei für die Wahl zum 18. Deutschen Bundestag anzuerkennen ist. Die Kriterien der Parteieigenschaft seien nicht erfüllt. Die Vereinigung habe eine ausreichende Organisationsstruktur nicht nachweisen können, weil sie ihre Angaben über kürzlich gegründete Landesverbände nicht habe belegen und auch nicht schlüssig habe darlegen können sowie bisher, trotz Gründung im September 2010, nicht an den zwischenzeitlich stattgefundenen Landtagswahlen teilgenommen habe.

7

5. Am 9. Juli 2013 hat die Beschwerdeführerin Nichtanerkennungsbeschwerde gegen die Entscheidung des Bundeswahlausschusses erhoben. Zur Begründung führt sie aus, die geforderte Organisationsstruktur sei vorhanden, da drei Landesverbände in Berlin, Brandenburg und Hessen bestünden. Die Anzahl der Mitglieder betrage 168; eine Liste könne vorgelegt werden. Die Teilnahme an Landtagswahlen könne keinen Ablehnungsgrund begründen. In Berlin sei die Partei bekannt und bis 2011 auch in acht Rathäusern vertreten gewesen. Sie sei in elf Bundesländern durch Mitglieder vertreten. Eine Fusion mit einer anderen Organisation sei erfolgt; eine andere sei geplant. Zur Bundestagswahl stünden in Berlin acht und in Hessen sechs Kandidaten bereit.

8

6. Dem Bundeswahlausschuss wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Der Bundeswahlleiter hat am 12. Juli 2013 Stellung genommen. Bezüglich der materiellen Kriterien der Parteieigenschaft gemäß § 2 PartG habe die Beschwerdeführerin im Verfahren vor dem Bundeswahlausschuss keinerlei nachprüfbare Angaben gemacht. Sie habe in ihrer Beschwerdeschrift Landesverbände angegeben, diese jedoch bislang nicht für die gemäß § 6 Abs. 3 Satz 2 PartG geführte Unterlagensammlung beim Bundeswahlleiter angegeben. Auch seien keine anderen Belege für das Bestehen dieser Landesverbände, wie beispielsweise die Vorlage von Gründungsprotokollen oder die Angabe der Namen ihrer Landesvorstandsmitglieder geführt worden. Auch die seitens der Beschwerdeführerin angegebene Mitgliederzahl sei nicht belegt worden. Soweit die Beschwerdeführerin vortrage, dass eine Teilnahme an Landtagswahlen kein Grund für eine Ablehnung sein könne, suggeriere sie einen vom Bundeswahlausschuss nicht angeführten Grund für die Nichtanerkennung als Partei. Dieser Punkt sei in der Sitzung vom Ausschuss vielmehr im Zusammenhang des zum Parteibegriff gehörenden Kriteriums des Hervortretens in der Öffentlichkeit thematisiert worden.

9

7. Die Beschwerdeführerin hatte Gelegenheit, sich zur Stellungnahme des Bundeswahlleiters zu äußern; eine Äußerung in der Sache ist nicht erfolgt.

II.

10

Die Nichtanerkennungsbeschwerde ist unzulässig.

11

Die Nichtanerkennungsbeschwerde entspricht nicht den Begründungsanforderungen nach § 23 Abs. 1 Satz 2, § 96a Abs. 2 BVerfGG. Danach hat die Beschwerdeführerin sich mit den Erwägungen des Bundeswahlausschusses aus-einanderzusetzen und die "erforderlichen" Beweismittel vorzulegen (vgl. BTDrucks 17/9391, S. 11). Daran fehlt es hier.

12

Nachdem der Bundeswahlausschuss seine ablehnende Entscheidung maßgeblich darauf gestützt hat, dass die Beschwerdeführerin eine ausreichende Organisationsstruktur nicht nachweisen konnte, weil sie ihre Angaben über kürzlich gegründete Landesverbände sowie die von ihr angegebene Anzahl von Mitgliedern nicht habe belegen und auch nicht schlüssig habe darlegen können, hätte es der Beschwerdeführerin oblegen, sich hiermit wenigstens im Ansatz auseinanderzusetzen und entsprechende Unterlagen vorzulegen. Dies gilt umso mehr, als sie bereits vor der Sitzung des Bundeswahlausschusses mit Schreiben des Bundeswahlleiters vom 20. Juni 2013 und vom 16. Oktober 2012 ergebnislos gebeten worden war, entsprechende Nachweise vorzulegen.

13

Auch im Beschwerdeverfahren legt die Beschwerdeführerin keinerlei Nachweise vor. Ihr Einwand gegen die Erörterung des Umstands durch den Bundeswahlleiter, dass die Beschwerdeführerin seit ihrer Gründung im Jahr 2010 nicht an Landtagswahlen teilgenommen habe, bleibt ebenfalls pauschal und verhält sich nicht zu dessen Bezugnahme auf das Kriterium des Hervortretens der Vereinigung in der Öffentlichkeit.

(1) Parteien sind Vereinigungen von Bürgern, die dauernd oder für längere Zeit für den Bereich des Bundes oder eines Landes auf die politische Willensbildung Einfluß nehmen und an der Vertretung des Volkes im Deutschen Bundestag oder einem Landtag mitwirken wollen, wenn sie nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse, insbesondere nach Umfang und Festigkeit ihrer Organisation, nach der Zahl ihrer Mitglieder und nach ihrem Hervortreten in der Öffentlichkeit eine ausreichende Gewähr für die Ernsthaftigkeit dieser Zielsetzung bieten. Mitglieder einer Partei können nur natürliche Personen sein.

(2) Eine Vereinigung verliert ihre Rechtsstellung als Partei, wenn sie sechs Jahre lang weder an einer Bundestagswahl noch an einer Landtagswahl mit eigenen Wahlvorschlägen teilgenommen hat. Gleiches gilt, wenn eine Vereinigung sechs Jahre lang entgegen der Pflicht zur öffentlichen Rechenschaftslegung gemäß § 23 keinen Rechenschaftsbericht eingereicht hat; § 19a Absatz 3 Satz 5 gilt entsprechend.

(3) Politische Vereinigungen sind nicht Parteien, wenn

1.
ihre Mitglieder oder die Mitglieder ihres Vorstandes in der Mehrheit Ausländer sind oder
2.
ihr Sitz oder ihre Geschäftsleitung sich außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes befindet.

(1) Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei. Ihre innere Ordnung muß demokratischen Grundsätzen entsprechen. Sie müssen über die Herkunft und Verwendung ihrer Mittel sowie über ihr Vermögen öffentlich Rechenschaft geben.

(2) Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig.

(3) Parteien, die nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgerichtet sind, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind von staatlicher Finanzierung ausgeschlossen. Wird der Ausschluss festgestellt, so entfällt auch eine steuerliche Begünstigung dieser Parteien und von Zuwendungen an diese Parteien.

(4) Über die Frage der Verfassungswidrigkeit nach Absatz 2 sowie über den Ausschluss von staatlicher Finanzierung nach Absatz 3 entscheidet das Bundesverfassungsgericht.

(5) Das Nähere regeln Bundesgesetze.

(1) Parteien sind Vereinigungen von Bürgern, die dauernd oder für längere Zeit für den Bereich des Bundes oder eines Landes auf die politische Willensbildung Einfluß nehmen und an der Vertretung des Volkes im Deutschen Bundestag oder einem Landtag mitwirken wollen, wenn sie nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse, insbesondere nach Umfang und Festigkeit ihrer Organisation, nach der Zahl ihrer Mitglieder und nach ihrem Hervortreten in der Öffentlichkeit eine ausreichende Gewähr für die Ernsthaftigkeit dieser Zielsetzung bieten. Mitglieder einer Partei können nur natürliche Personen sein.

(2) Eine Vereinigung verliert ihre Rechtsstellung als Partei, wenn sie sechs Jahre lang weder an einer Bundestagswahl noch an einer Landtagswahl mit eigenen Wahlvorschlägen teilgenommen hat. Gleiches gilt, wenn eine Vereinigung sechs Jahre lang entgegen der Pflicht zur öffentlichen Rechenschaftslegung gemäß § 23 keinen Rechenschaftsbericht eingereicht hat; § 19a Absatz 3 Satz 5 gilt entsprechend.

(3) Politische Vereinigungen sind nicht Parteien, wenn

1.
ihre Mitglieder oder die Mitglieder ihres Vorstandes in der Mehrheit Ausländer sind oder
2.
ihr Sitz oder ihre Geschäftsleitung sich außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes befindet.

(1) Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei. Ihre innere Ordnung muß demokratischen Grundsätzen entsprechen. Sie müssen über die Herkunft und Verwendung ihrer Mittel sowie über ihr Vermögen öffentlich Rechenschaft geben.

(2) Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig.

(3) Parteien, die nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgerichtet sind, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind von staatlicher Finanzierung ausgeschlossen. Wird der Ausschluss festgestellt, so entfällt auch eine steuerliche Begünstigung dieser Parteien und von Zuwendungen an diese Parteien.

(4) Über die Frage der Verfassungswidrigkeit nach Absatz 2 sowie über den Ausschluss von staatlicher Finanzierung nach Absatz 3 entscheidet das Bundesverfassungsgericht.

(5) Das Nähere regeln Bundesgesetze.

Tenor

1. Die Entscheidung des Bundeswahlausschusses vom 4. Juli 2013 wird aufgehoben.

2. Die Beschwerdeführerin wird als wahlvorschlagsberechtigte Partei zur Wahl des 18. Deutschen Bundestages anerkannt.

Gründe

A.

1

Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Ablehnung der Anerkennung als Partei für die Wahl zum 18. Deutschen Bundestag.

2

1. Die im November 2012 in Berlin gegründete Beschwerdeführerin besteht aus 42 Mitgliedern. Sie verfügt über einen Bundesvorstand und sechs Landesverbände. Sie hat eine eigene Internetseite und ist in sozialen Netzwerken aktiv. Die Internetseite der Beschwerdeführerin weist unter der Rubrik Veranstaltungen für den Monat Juni 2013 sieben Informationsveranstaltungen an verschiedenen Orten Deutschlands auf sowie Gründungsveranstaltungen für vier weitere Landesverbände. Es existieren verschiedene Werbematerialien, die nach Angaben der Beschwerdeführerin seit April 2013 verteilt werden.

3

2. Am 3. Mai 2013 zeigte die Beschwerdeführerin dem Bundeswahlleiter erstmals ihre geplante Beteiligung an der Wahl zum 18. Deutschen Bundestag an. Die Beteiligungsanzeige enthielt auf Seite 1 das Logo "Deutsche Nationalversammlung - DNV"; im Text nannte sich die Beschwerdeführerin nur noch "DNV". Artikel 1 der beigefügten Satzung bezeichnete "Deutsche Nationalversammlung (DNV)" als Namen. Die Beteiligungsanzeige war von acht Mitgliedern der Beschwerdeführerin unterschrieben, darunter der Vorstandsvorsitzende, sein Stellvertreter und zwei Beisitzer.

4

3. Der Bundeswahlleiter wies die Beschwerdeführerin im Folgenden auf Formmängel in der Beteiligungsanzeige hin. Die Satzung entspreche nicht den Mindestanforderungen. Eine Namen und Kurzbezeichnung der Beschwerdeführerin ausdrücklich benennende Satzung sei einzureichen. Ferner sei der satzungsgemäße Name in der Beteiligungsanzeige zu nennen. Unter Hinweis auf den Ablauf der Anzeigefrist wurde die Übersendung einer neuen Beteiligungsanzeige verlangt, wiederum unterschrieben von drei Mitgliedern des Vorstands.

5

4. Am Morgen des 17. Juni 2013 ging die angeforderte zweite Beteiligungsanzeige im Original beim Bundeswahlleiter ein. Auf der ersten Seite fand sich unter dem beibehaltenen Logo nunmehr eine Absenderangabe mit dem vollen Namen der Beschwerdeführerin nebst Kurzbezeichnung. Im Text wurde auf den ersten drei Seiten zunächst die Kurzbezeichnung verwendet und im weiteren Text teilweise der volle Name. Die Beteiligungsanzeige war vom Vorstandsvorsitzenden, seinem Stellvertreter und einem Kassenprüfer unterschrieben. Ihr waren unter anderem eine den Anforderungen des Bundeswahlleiters entsprechend geänderte Satzung beigefügt und eine eidesstattliche Versicherung zur Bestätigung des ordnungsgemäßen Ablaufs der Satzungsänderung.

6

5. Der Bundeswahlleiter teilte der Beschwerdeführerin noch am selben Tag um 15.15 Uhr telefonisch mit, dass auf der zweiten Beteiligungsanzeige noch immer der volle Name der Vereinigung fehle und eine erneute Beteiligungsanzeige mit entsprechenden Unterschriften nötig sei. Daraufhin übersandte die Beschwerdeführerin vor 18.00 Uhr eine demgemäß geänderte weitere Beteiligungsanzeige ohne Unterschriften per Email. Ein zugehöriges Original ging jeweils am 96. und 95. Tag vor der Wahl ohne Anlagen beim Bundeswahlleiter ein; das eine war lediglich vom Vorstandsvorsitzenden unterschrieben, das zweite vom Kassenprüfer. Den Eingang dieser Unterlagen bestätigte der Bundeswahlleiter wiederum unter Hinweis auf fehlende Formerfordernisse.

7

6. In der Sitzung vom 4. Juli 2013 stellte der Bundeswahllausschuss nach Anhörung eines Vertreters der Beschwerdeführerin die Nichtanerkennung der Vereinigung als Partei für die Wahl zum 18. Deutschen Bundestag fest. Die Beteiligungsanzeige vom 3. Mai 2013 habe nur die Kurzbezeichnung der Vereinigung enthalten, nicht aber den vollen Namen, der gemäß § 18 Abs. 2 Satz 2 BWG anzugeben sei. Die Verwendung des vollen Namens im Briefkopf sei nicht ausreichend. Die weitere Beteiligungsanzeige vom 17. Juni 2013 sei nicht von drei Mitgliedern des Bundesvorstands unterzeichnet worden, weil eine der drei Unterschriften vom nicht zum Vorstand gehörenden Kassenprüfer geleistet worden sei.

8

7. Hiergegen hat die Beschwerdeführerin am 8. Juli 2013 Nichtanerkennungsbeschwerde erhoben. Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor, eidesstattliche Versicherungen und Beteiligungsanzeige seien als einheitliches Dokument zu betrachten. Somit seien für die Beteiligungsanzeige vom 17. Juni 2013 insgesamt vier Unterschriften zu verzeichnen. Zudem gehe aus der Beteiligungsanzeige ausdrücklich hervor, dass der gesamte Vorstand diese mittrage. Es sei anfangs fehlerhaft davon ausgegangen worden, auch der Kassenprüfer gehöre zum Vorstand. Eine Benachrichtigung, dass dies nicht der Fall sei und dessen Unterschrift nicht gewertet werden könne, sei erst nach dem 17. Juni 2013 erfolgt, so dass eine rechtzeitige Korrektur nicht mehr möglich gewesen sei.

9

8. Der Bundeswahlleiter hat Stellung genommen. Er führt aus, die eidesstattlichen Versicherungen hätten sich gerade nicht auf die Beteiligungsanzeigen bezogen, sondern auf die ordnungsgemäße Durchführung der Satzungsänderung. Folgte man der Argumentation der Beschwerdeführerin, würde die Beifügung jedweder Unterschriften auf Urkunden ohne Zusammenhang zur Beteiligungsanzeige ausreichen. Die Klarstellungs- und Beweisfunktion des Unterschriftenerfordernisses solle aber sicherstellen, dass die Beteiligungsanzeige nicht nur zufällig und auch vom die politische Vereinigung vertretenden Vorstand abgegeben werde. Dies erfordere ferner die das Wahlrecht prägende und in § 54 Abs. 2 BWG zum Ausdruck kommende Formstrenge. Der formelle Mangel sei der Beschwerdeführerin ausweislich des Aktenvermerks umgehend telefonisch mitgeteilt worden.

10

9. Die Beschwerdeführerin trägt ergänzend vor: Nicht nur die eidesstattlichen Versicherungen seien in Zusammenhang mit der Beteiligungsanzeige zu betrachten, auch die verschiedenen Beteiligungsanzeigen seien als eine Erklärung anzusehen. Es handele sich jeweils um Ergänzungen der ersten Anzeige im Sinne des § 18 Abs. 3 Satz 2 BWG. Die Ernsthaftigkeit der Anzeige sei angesichts der vollständigen Unterschriften in der Ausgangsanzeige nicht zu bezweifeln. Aus dem Wortlaut des § 18 Abs. 3 BWG sei ferner nur erkennbar, dass behebbare Mängel zu beseitigen seien, nicht aber das Erfordernis einer erneuten Beteiligungsanzeige. Der Aufforderung zur Mängelbeseitigung sei man mehrfach umgehend nachgekommen. Dass die Beschwerdeführerin vom Bundeswahlleiter hinsichtlich der fehlenden dritten Unterschrift auf der Beteiligungsanzeige vom 17. Juni 2013 im Telefonat vom selben Tage unterrichtet worden sei, sei falsch. In dem Gespräch sei es allein um die Verwendung des vollen Parteinamens gegangen. Die Sachbearbeiterin habe darauf bestanden, eine Beteiligungsanzeige zu erhalten, die den vollen Namen im Einleitungssatz enthalte, obwohl der volle Name im weiteren Fließtext auftauche. Man habe sich angesichts des bevorstehenden Fristablaufs auf die Zusendung einer demgemäß überarbeiteten Beteiligungsanzeige per Email und einer Nachsendung von Originalen mit Unterschriften verständigt. Davon abgesehen sei bereits die zweite Beteiligungsanzeige vom 17. Juni 2013 ausreichend gewesen; die Anhörung vom 4. Juli 2013 habe ergeben, dass Parteilang- und Kurzname im Fließtext verwendet werden durften.

B.

11

Die zulässige Nichtanerkennungsbeschwerde ist begründet. Die Beschwerdeführerin hat ihre Beteiligung an der Wahl wirksam angezeigt (1.). Bei der Beschwerdeführerin handelt es sich um eine wahlvorschlagsberechtigte Partei (2.).

12

1. Die Nichtanerkennung der Beschwerdeführerin gemäß § 18 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BWG wegen Nichterfüllung der formellen Voraussetzungen aus § 18 Abs. 2 BWG widerspricht den wahlrechtlichen Vorschriften. Die erste Beteiligungsanzeige vom 3. Mai 2013 in Verbindung mit den hierzu rechtzeitig nachgereichten Anlagen stellt eine gültige Anzeige im Sinne von § 18 Abs. 3 Satz 4 BWG dar. Die formellen Voraussetzungen des § 18 Abs. 2 BWG waren zum Zeitpunkt des Ablaufs der Anzeigefrist erfüllt.

13

Die gemäß § 18 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 BWG erforderliche Angabe der Parteibezeichnung in der Beteiligungsanzeige hat in erster Linie Informations- und Klarstellungsfunktion hinsichtlich ihres Absenders. Sie bezweckt insbesondere nicht, Verwechslungsgefahren vorzubeugen (vgl. BVerfGE 89, 291 <305, 308>). Demgemäß reicht es aus, wenn die Parteibezeichnung aus der Beteiligungsanzeige klar hervorgeht. Dies war bereits bei der ersten Beteiligungsanzeige vom 3. Mai 2013 der Fall. Sie enthielt ein Logo mit Kurz- und Langnamen der Beschwerdeführerin. Ferner enthielt die Beteiligungsanzeige vom 3. Mai 2013 die erforderlichen persönlichen und handschriftlichen Unterschriften von drei Mitgliedern des Bundesvorstands, darunter die des Bundesvorsitzenden (§ 18 Abs. 2 Satz 3 BWG). Der anfängliche Mangel hinsichtlich der Anlagen wurde vor Ablauf der Ausschlussfrist des § 18 Abs. 2 Satz 1 BWG gemäß § 18 Abs. 3 Satz 2 und 3 BWG behoben. Dass zur Behebung eines formellen Mangels in den Anlagen eine erneute Beteiligungsanzeige erforderlich wäre, ergibt sich weder aus dem Gesetzeswortlaut noch aus der besonderen Formstrenge in Wahlverfahren.

14

2. Die Beschwerdeführerin ist entsprechend § 18 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BWG als wahlvorschlagsberechtigte Partei für die Wahl zum 18. Deutschen Bundestag anzuerkennen.

15

a) Parteien sind Vereinigungen von Bürgern, die dauernd oder für längere Zeit für den Bereich des Bundes oder eines Landes auf die politische Willensbildung Einfluss nehmen und an der Vertretung des Volkes im Deutschen Bundestag oder einem Landtag mitwirken wollen, wenn sie nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse, insbesondere nach Umfang und Festigkeit ihrer Organisation, nach der Zahl ihrer Mitglieder und nach ihrem Hervortreten in der Öffentlichkeit eine ausreichende Gewähr für die Ernsthaftigkeit dieser Zielsetzung bieten (§ 2 Abs. 1 Satz 1 PartG). Das Bundesverfassungsgericht geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass der Gesetzgeber den Parteienbegriff des Art. 21 Abs. 1 GG durch diese Legaldefinition in verfassungsmäßiger Weise konkretisiert hat (vgl. BVerfGE 89, 266 <269 f.> m.N.). Sie ist danach auch für die im vorliegenden Verfahren zu entscheidende Frage maßgeblich, ob die Beschwerdeführerin eine Partei ist. § 2 PartG muss allerdings im Lichte des Art. 21 Abs. 1 GG ausgelegt und angewendet werden (vgl. BVerfGE 89, 266 <270>).

16

Parteien müssen auch in der Gründungsphase mindestens ansatzweise in der Lage sein, die ihnen nach § 2 Abs. 1 Satz 1 PartG in Übereinstimmung mit dem Grundgesetz zugedachten Aufgaben wirksam zu erfüllen. Allein der Wille "Partei" zu sein, ist nicht ausreichend. Im Blick auf die bei der Zulassung zur Wahl zu stellenden Anforderungen hat der Senat festgestellt, sie sollten gewährleisten, dass sich nur ernsthafte politische Vereinigungen und keine Zufallsbildungen von kurzer Lebensdauer um Wähler bewerben (vgl. BVerfGE 89, 266 <270>). Daraus folgt im vorliegenden Zusammenhang, dass es gewisser objektiver, im Ablauf der Zeit an Gewicht gewinnender Voraussetzungen bedarf, um einer politischen Vereinigung den Status einer Partei zuerkennen zu können.

17

Wegen der den Parteien um der Offenheit des politischen Prozesses willen verfassungsrechtlich verbürgten Gründungsfreiheit ist bei politischen Vereinigungen, die am Beginn ihres Wirkens als Parteien stehen, zu berücksichtigen, dass der Aufbau einer Organisation, die sie zur Wahrnehmung ihrer Funktionen befähigt, eine gewisse Zeit erfordert. Entscheidend ist das "Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse". Die in § 2 Abs. 1 Satz 1 PartG angesprochenen, nicht trennscharf voneinander abzugrenzenden objektiven Merkmale - deren Aufzählung nicht erschöpfend ist (vgl. BVerfGE 89, 266 <270>), denen regelmäßig aber ein großes Gewicht zukommt (vgl. BVerfGE 89, 291 <306>) - sind Indizien für die Ernsthaftigkeit der politischen Zielsetzung. Keines ist für sich genommen ausschlaggebend, und nicht alle müssen von der Partei stets im gleichen Umfang erfüllt werden. Vielmehr bleibt es der Partei grundsätzlich überlassen, wie sie die Ernsthaftigkeit ihrer Zielsetzung unter Beweis stellt. Ihr ist es unbenommen, in ihrer politischen Arbeit Schwerpunkte zu setzen, sei es etwa im Bereich der Mitgliederwerbung und -aktivierung, der Öffentlichkeitsarbeit zwischen den Wahlen oder der Wahlteilnahme. Zurückhaltung in einem Bereich kann durch verstärkte Bemühungen auf anderen Gebieten in gewissen Grenzen ausgeglichen werden (BVerfGE 91, 262 <271>).

18

Insgesamt kommt es darauf an, ob die Gesamtwürdigung der tatsächlichen Verhältnisse einer Partei - unter Einschluss der Dauer ihres Bestehens - den Schluss zulässt, dass sie ihre erklärte Absicht, an der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken, ernsthaft verfolgt. Daraus ergibt sich, dass Vereinigungen, die nach ihrem Organisationsgrad und ihren Aktivitäten offensichtlich nicht imstande sind, auf die politische Willensbildung des Volkes Einfluss zu nehmen, bei denen die Verfolgung dieser Zielsetzung erkennbar unrealistisch und aussichtslos ist und damit nicht (mehr) als ernsthaft eingestuft werden kann, nicht als Parteien anzusehen sind (vgl. BVerfGE 91, 262 <271 f.>).

19

b) Gemessen an diesen Maßstäben handelt es sich bei der Beschwerdeführerin um eine Partei im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 PartG, Art. 21 GG.

20

Die Beschwerdeführerin, deren Bundesvorstand bereits mehrere Monate besteht, hat sich durch Gründung von mindestens sechs Landesverbänden organisatorisch verfestigt. In der Öffentlichkeit ist sie durch Internetauftritte und Verteilung von Werbematerialien in Erscheinung getreten. Ferner hat sie öffentliche Informationsveranstaltungen bundesweit durchgeführt und mithin ausreichende Aktivitäten gezeigt, die auf die politische Willensbildung der Bevölkerung Einfluss nehmen sollen. Bei Gesamtbetrachtung aller Umstände ist der Beschwerdeführerin die Ernsthaftigkeit ihres Willens, politisch in die Öffentlichkeit hineinzuwirken, nicht abzusprechen. Dem steht nicht entgegen, dass sie lediglich über 42 Mitglieder verfügt. Die Mitgliederzahl fließt lediglich als ein Faktor in die erforderliche Gesamtbeurteilung der Ernsthaftigkeit der politischen Zielsetzung ein. Bei einer Partei in der Gründungsphase kann insoweit lediglich verlangt werden, dass sie von einem Mitgliederwechsel unabhängig ist. Bei 42 Mitgliedern liegt noch nicht auf der Hand, dass ein Austritt einer größeren Gruppe zugleich zur Auflösung der Beschwerdeführerin führen müsste.

C.

21

Diese Entscheidung ist mit 6:1 Stimmen ergangen.

Tenor

Die Nichtanerkennungsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

A.

1

Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Ablehnung der Anerkennung als Partei für die Wahl zum 18. Deutschen Bundestag.

2

1. Die Beschwerdeführerin wurde im August 2012 in Schwerin gegründet. Sie besteht aus acht Mitgliedern und verfügt lediglich über einen Bundesverband, nicht aber über Landesverbände. Die Öffentlichkeitsarbeit erfolgt nach Angaben der Beschwerdeführerin gegenüber dem Bundeswahlausschuss auf der eigenen Internetseite und durch verschiedene Aktivitäten wie Beteiligung an Podiumsdiskussionen und Petitionen, Herausgabe einer Parteizeitung, Durchführung wöchentlicher öffentlicher Sitzungen und Unterschriftensammlungen.

3

2. Nachdem die Beschwerdeführerin dem Bundeswahlleiter rechtzeitig ihre geplante Beteiligung an der Bundestagswahl angezeigt hatte, stellte der Bundeswahlausschuss am 5. Juli 2013 die Nichtanerkennung der Beschwerdeführerin als Partei für die Wahl zum 18. Deutschen Bundestag fest. Die formellen Voraussetzungen des § 18 Abs. 2 BWG seien erfüllt, nicht jedoch die Kriterien der Parteieigenschaft gemäß § 2 PartG. Die erst kürzlich erfolgte Gründung sei zwar positiv anzurechnen, allerdings seien keine Angaben zu Landesverbänden gemacht worden und die Vereinigung verfüge lediglich über acht Mitglieder.

4

3. Hiergegen wendet sich die Beschwerdeführerin mit ihrer Nichtanerkennungsbeschwerde vom 8. Juli 2013. Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor, sie halte ihre Parteieigenschaft für gegeben. Nach dem Parteiengesetz sei ein Landesverband nicht zwingend erforderlich. Sie habe einen Direktkandidaten für die Bundestagswahl benannt; ein weiteres Mitglied kandidiere als Privatperson für den Bundestag. Insoweit lägen die erforderlichen Unterstützerunterschriften vor. Die Ernsthaftigkeit ihrer Zielsetzung werde belegt durch nachweisbar langjährige Aktivitäten und ihr Hervortreten in der Öffentlichkeit.

5

4. Dem Bundeswahlausschuss wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

B.

6

Die Nichtanerkennungsbeschwerde ist jedenfalls unbegründet. Die Beschwerdeführerin ist nicht als wahlvorschlagsberechtigte Partei für die Wahl zum Deutschen Bundestag anzuerkennen.

7

1. Parteien sind Vereinigungen von Bürgern, die dauernd oder für längere Zeit für den Bereich des Bundes oder eines Landes auf die politische Willensbildung Einfluss nehmen und an der Vertretung des Volkes im Deutschen Bundestag oder einem Landtag mitwirken wollen, wenn sie nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse, insbesondere nach Umfang und Festigkeit ihrer Organisation, nach der Zahl ihrer Mitglieder und nach ihrem Hervortreten in der Öffentlichkeit eine ausreichende Gewähr für die Ernsthaftigkeit dieser Zielsetzung bieten (§ 2 Abs. 1 Satz 1 PartG). Das Bundesverfassungsgericht geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass der Gesetzgeber den Parteienbegriff des Art. 21 Abs. 1 GG durch diese Legaldefinition in verfassungsmäßiger Weise konkretisiert hat (vgl. BVerfGE 89, 266 <269 f.>, m.w.N.). Sie ist danach auch für die im vorliegenden Verfahren zu entscheidende Frage maßgeblich, ob die Beschwerdeführerin eine Partei ist. § 2 PartG muss allerdings im Lichte des Art. 21 Abs. 1 GG ausgelegt und angewendet werden (vgl. BVerfGE 89, 266 <270>).

8

Parteien müssen auch in der Gründungsphase mindestens ansatzweise in der Lage sein, die ihnen nach § 2 Abs. 1 Satz 1 PartG in Übereinstimmung mit dem Grundgesetzzugedachten Aufgaben wirksam zu erfüllen. Allein der Wille, "Partei" zu sein, ist nicht ausreichend. Im Blick auf die bei der Zulassung zur Wahl zu stellenden Anforderungen hat der Senat festgestellt, sie sollten gewährleisten, dass sich nur ernsthafte politische Vereinigungen und keine Zufallsbildungen von kurzer Lebensdauer um Wähler bewerben (vgl. BVerfGE 89, 266 <270>). Daraus folgt, dass es gewisser objektiver, im Lauf der Zeit an Gewicht gewinnender Voraussetzungen bedarf, um einer politischen Vereinigung den Status einer Partei zuerkennen zu können.

9

Wegen der den Parteien um der Offenheit des politischen Prozesses willen verfassungsrechtlich verbürgten Gründungsfreiheit ist bei politischen Vereinigungen, die am Beginn ihres Wirkens als Parteien stehen, zu berücksichtigen, dass der Aufbau einer Organisation, die sie zur Wahrnehmung ihrer Funktionen befähigt, eine gewisse Zeit erfordert. Entscheidend ist das "Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse". Die in § 2 Abs. 1 Satz 1 PartG angesprochenen, nicht trennscharf voneinander abzugrenzenden objektiven Merkmale - deren Aufzählung nicht erschöpfend ist (vgl. BVerfGE 89, 266 <270>), denen regelmäßig aber ein großes Gewicht zukommt (vgl. BVerfGE 89, 291 <306>) - sind Indizien für die Ernsthaftigkeit der politischen Zielsetzung. Keines ist für sich genommen ausschlaggebend, und nicht alle müssen von der Partei stets im gleichen Umfang erfüllt werden. Vielmehr bleibt es der Partei grundsätzlich überlassen, wie sie die Ernsthaftigkeit ihrer Zielsetzung unter Beweis stellt. Ihr ist es unbenommen, in ihrer politischen Arbeit Schwerpunkte zu setzen, sei es etwa im Bereich der Mitgliederwerbung und -aktivierung, der Öffentlichkeitsarbeit zwischen den Wahlen oder der Wahlteilnahme. Zurückhaltung in einem Bereich kann durch verstärkte Bemühungen auf anderen Gebieten in gewissen Grenzen ausgeglichen werden (BVerfGE 91, 262 <271>).

10

Insgesamt kommt es darauf an, ob die Gesamtwürdigung der tatsächlichen Verhältnisse einer Partei - unter Einschluss der Dauer ihres Bestehens - den Schluss zulässt, dass sie ihre erklärte Absicht, an der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken, ernsthaft verfolgt. Daraus ergibt sich, dass Vereinigungen, die nach ihrem Organisationsgrad und ihren Aktivitäten offensichtlich nicht imstande sind, auf die politische Willensbildung des Volkes Einfluss zu nehmen, bei denen die Verfolgung dieser Zielsetzung erkennbar unrealistisch und aussichtslos ist und damit nicht (mehr) als ernsthaft eingestuft werden kann, nicht als Parteien anzusehen sind (BVerfGE 91, 262 <271 f.>).

11

2. Gemessen an diesem Maßstab hat die Beschwerdeführerin nach der erforderlichen Gesamtwürdigung der tatsächlichen Verhältnisse nicht die Eigenschaft einer Partei. Nach der Zahl ihrer Mitglieder und ihrem Organisationsgrad ist sie derzeit nicht imstande, auf die politische Willensbildung des Volkes Einfluss zu nehmen. Auch ihr Hervortreten in der Öffentlichkeit bietet bislang keine ausreichende Gewähr für die Ernsthaftigkeit ihrer politischen Zielsetzung.

12

Die Beschwerdeführerin verfügt nur über acht Mitglieder. Es ist nicht ersichtlich, wie die Vereinigung mit nur acht Mitgliedern auf Bundesebene Einfluss auf die politische Willensbildung des Volkes nehmen will und einen Wahlkampf mit dem Ziel parlamentarischer Vertretung führen will (vgl. BVerfGE 91, 262 <274>). Auch ist damit nicht gesichert, dass das Bestehen der Vereinigung von einem Mitgliederwechsel unabhängig ist. Die Partei weist über das Bestehen eines Bundesverbandes hinaus keine weiteren organisatorischen Strukturen auf und kann daher nicht als hinreichend organisatorisch verfestigt angesehen werden. Ein Ausbau der Organisation ist seit Parteigründung nicht erfolgt. Auch ist die Beschwerdeführerin in der Öffentlichkeit bislang kaum hervorgetreten. Nachweise für die von der Beschwerdeführerin behauptete Öffentlichkeitsarbeit liegen kaum vor. Ständige Aktivitäten entwickelt die Beschwerdeführerin lediglich in der Herausgabe einer Zeitschrift ("Zukunftsangst"), von der schon unklar ist, in welchen Zeitabständen und in welcher Auflage sie erscheint. Ferner führt sie wöchentlich "öffentliche Versammlungen" durch, deren Teilnehmerkreis unbekannt bleibt. Über die lokale Öffentlichkeit hinausgreifende Wirksamkeit kommt diesen Aktivitäten offensichtlich nicht zu. Selbst unter Berücksichtigung der besonderen Situation von Parteien in der Gründungsphase kann von einer Ernsthaftigkeit der politischen Zielsetzung der Beschwerdeführerin nach alledem gegenwärtig nicht ausgegangen werden.

(1) Parteien sind Vereinigungen von Bürgern, die dauernd oder für längere Zeit für den Bereich des Bundes oder eines Landes auf die politische Willensbildung Einfluß nehmen und an der Vertretung des Volkes im Deutschen Bundestag oder einem Landtag mitwirken wollen, wenn sie nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse, insbesondere nach Umfang und Festigkeit ihrer Organisation, nach der Zahl ihrer Mitglieder und nach ihrem Hervortreten in der Öffentlichkeit eine ausreichende Gewähr für die Ernsthaftigkeit dieser Zielsetzung bieten. Mitglieder einer Partei können nur natürliche Personen sein.

(2) Eine Vereinigung verliert ihre Rechtsstellung als Partei, wenn sie sechs Jahre lang weder an einer Bundestagswahl noch an einer Landtagswahl mit eigenen Wahlvorschlägen teilgenommen hat. Gleiches gilt, wenn eine Vereinigung sechs Jahre lang entgegen der Pflicht zur öffentlichen Rechenschaftslegung gemäß § 23 keinen Rechenschaftsbericht eingereicht hat; § 19a Absatz 3 Satz 5 gilt entsprechend.

(3) Politische Vereinigungen sind nicht Parteien, wenn

1.
ihre Mitglieder oder die Mitglieder ihres Vorstandes in der Mehrheit Ausländer sind oder
2.
ihr Sitz oder ihre Geschäftsleitung sich außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes befindet.

Tenor

Die Wahlprüfungsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Gründe

A.

1

Gegenstand des Verfahrens sind die Beschwerden mehrerer Wahlberechtigter gegen den Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Landtages vom 26. September 2012 über die Gültigkeit und das Ergebnis der Wahl vom 6. Mai 2012 (Landtags-Drucksache 18/163, PlPr 18/7, S. 427 <429>).

I.

2

1. Die maßgeblichen Vorschriften der Landesverfassung (LV) lauteten zum Zeitpunkt der Landtagswahl:

3

Artikel 3

Wahlen und Abstimmungen

(1) Die Wahlen zu den Volksvertretungen im Lande, in den Gemeinden und Gemeindeverbänden und die Abstimmungen sind allgemein, unmittelbar, frei, gleich und geheim.
(2) […]
(3) Die Wahlprüfung und die Abstimmungsprüfung stehen den Volksvertretungen jeweils für ihr Wahlgebiet zu. Ihre Entscheidungen unterliegen der gerichtlichen Nachprüfung.
(4) […]
4

Artikel 10

Funktion und Zusammensetzung des Landtages

(1) Der Landtag ist das vom Volk gewählte oberste Organ der politischen Willensbildung. Der Landtag wählt die Ministerpräsidentin oder den Ministerpräsidenten. Er übt die gesetzgebende Gewalt aus und kontrolliert die vollziehende Gewalt. Er behandelt öffentliche Angelegenheiten.
(2) Die Abgeordneten des Landtages werden nach einem Verfahren gewählt, das die Persönlichkeitswahl mit den Grundsätzen der Verhältniswahl verbindet. Das Nähere regelt ein Gesetz, das für den Fall des Entstehens von Überhangmandaten Ausgleichsmandate vorsehen muss.
5

Artikel 5

Nationale Minderheiten und Volksgruppen

(1) Das Bekenntnis zu einer nationalen Minderheit ist frei; es entbindet nicht von den allgemeinen staatsbürgerlichen Pflichten.
(2) Die kulturelle Eigenständigkeit und die politische Mitwirkung nationaler Minderheiten und Volksgruppen stehen unter dem Schutz des Landes, der Gemeinden und Gemeindeverbände. Die nationale dänische Minderheit und die friesische Volksgruppe haben Anspruch auf Schutz und Förderung.
6

2. § 3 des Wahlgesetzes für den Landtag von Schleswig-Holstein (Landeswahlgesetz – LWahlG –) in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. Oktober 1991 (GVOBl S. 442, ber. S. 637), zuletzt geändert durch Gesetz vom 30. März 2010 (GVOBl S. 392) bestimmt:

§ 3

Wahl der Abgeordneten aus den Landeslisten

(1) An dem Verhältnisausgleich nimmt jede Partei teil, für die eine Landesliste aufgestellt und zugelassen worden ist, sofern für sie in mindestens einem Wahlkreis eine Abgeordnete oder ein Abgeordneter gewählt worden ist oder sofern sie insgesamt fünf v.H. der im Land abgegebenen gültigen Zweitstimmen erzielt hat. Diese Einschränkungen gelten nicht für Parteien der dänischen Minderheit.

(2) - (7) […]

7

3. Bereits die Landessatzung für Schleswig-Holstein vom 13. Dezember 1949 (GVOBl 1950 S. 3) enthielt die seither unveränderte Regelung des heutigen Art. 5 Abs. 1 LV. Mit Gesetz zur Änderung der Landessatzung für Schleswig-Holstein vom 13. Juni 1990 (GVOBl S. 391) ist Art. 5 Abs. 2 LV im Rahmen der Verfassungsreform auf Empfehlung des Sonderausschusses „Verfassungs- und Parlamentsreform“ aufgenommen worden.

8

Die Vorschriften zur dänischen Minderheit in Art. 5 LV und in § 3 Abs. 1 LWahlG haben ihren Ursprung in der von der Schleswig-Holsteinischen Landesregierung mit Billigung des Schleswig-Holsteinischen Landtages abgegebenen Kieler Erklärung vom 26. September 1949 (GVOBl S. 183) und den Bonn-Kopenhagener Erklärungen vom 29. März 1955 (Bundesanzeiger Nr. 63 vom 31. März 1955, S. 4). Letztere waren das Ergebnis von Beratungen der Dänischen Regierung und der deutschen Bundesregierung und bestanden aus je einer Erklärung der Bundesregierung im Einvernehmen mit der Schleswig-Holsteinischen Landesregierung und der Dänischen Regierung. Der Deutsche Bundestag, der Schleswig-Holsteinische Landtag und das dänische Folketing haben diesen Erklärungen zugestimmt

(vgl. dazu im Einzelnen: Abdruck bei Jäckel, Die Schleswig-Frage seit 1945, Frankfurt am Main, Berlin 1959, S. 71 ff.).

9

Sowohl die Kieler Erklärung als auch die Bonn-Kopenhagener Erklärungen wurden mit dem Ziel abgegeben,

das friedliche Zusammenleben der Bevölkerung beiderseits der deutsch-dänischen Grenze und damit auch die Entwicklung freundschaftlicher Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Dänemark allgemein zu fördern.

Sie bekräftigen, dass die Angehörigen der dänischen Minderheit wie alle Staatsbürgerinnen und Staatsbürger die im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949 garantierten Rechte genießen. Schon in der Kieler Erklärung war unter anderem festgestellt worden, dass das Bekenntnis zum dänischen Volkstum und zur dänischen Kultur frei ist und von Amts wegen nicht bestritten oder nachgeprüft werden darf (a.a.O., S. 184, II. Nr. 1). Dieser Grundsatz wurde in den Bonn-Kopenhagener Erklärungen übernommen (a.a.O., S. 5).

10

Der Gesetzgeber nahm erstmals mit § 3 Abs. 1 LWahlG vom 27. Februar 1950 (GVOBl S. 77) die Grundmandatsklausel, die 5%-Klausel sowie eine Sonderregelung für Parteien nationaler Minderheiten in das Wahlrecht auf. Letztere beschränkte sich darauf, dass bei Parteien nationaler Minderheiten die Zulassung von Wahlvorschlägen in allen Wahlkreisen nicht Voraussetzung für die Teilnahme am Verhältnisausgleich war.

11

Mit Landeswahlgesetz vom 22. Oktober 1951 (GVOBl S. 180) wurden die Vorschrift über Parteien nationaler Minderheiten aufgehoben und die Sperrklausel auf 7,5% angehoben. Diese 7,5%-Klausel erklärte das Bundesverfassungsgericht in seiner Eigenschaft als Landesverfassungsgericht für Schleswig-Holstein (vgl. Art. 99 GG) für verfassungswidrig

(vgl. BVerfG, Urteil vom 5. April 1952 - 2 BvH 1/52 -, BVerfGE 1, 208 ff.).

Daraufhin wurde in § 3 Abs. 1 LWahlG vom 5. November 1952 (GVOBl S. 175) die bis heute geltende 5%-Klausel verankert.

12

Auf die Bonn-Kopenhagener Erklärungen hin wurden mit Gesetz zur Änderung des Landeswahlgesetzes vom 31. Mai 1955 (GVOBl S. 124) die Parteien der dänischen Minderheit durch Einfügung des bis heute geltenden § 3 Abs. 1 Satz 2 LWahlG von der 5%-Klausel ausgenommen.

13

Durch die Wahlrechtsänderung im Jahre 1997 (vgl. Gesetz zur Änderung des LWahlG vom 27. Oktober 1997, GVOBl S. 462) wurde die Zweitstimme bei Landtagswahlen eingeführt. § 3 Abs. 1 LWahlG ist im Wesentlichen unverändert geblieben; lediglich das Wort „Stimmen“ wurde durch „Zweitstimmen“ ersetzt.

14

4. Nach dem endgültigen Ergebnis der Wahl zum Schleswig-Holsteinischen Landtag vom 6. Mai 2012 (Bekanntmachung der Landeswahlleiterin vom 18. Mai 2012, ABl Nr. 23 S. 499) entfielen von den gültigen Zweitstimmen

auf die CDU

        

30,8 %,

auf die SPD

        

30,4 %,

auf die FDP

        

 8,2 %,

auf die GRÜNEN

        

13,2 %,

auf die LINKE

        

 2,3 %,

auf den SSW

        

 4,6 %,

auf die PIRATEN

        

 8,2 %,

auf die FREIEN WÄHLER

        

0,6 %,

auf die NPD

        

 0,7 %,

auf die FAMILIE

        

 1,0 %

und auf die MUD

        

 0,1 %.

15

An der Verteilung der Sitze aus den Landeslisten nach § 3 Abs. 1 LWahlG nahmen die CDU, die SPD, die FDP, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN, der SSW und die PIRATEN teil.

16

Von den 69 zu vergebenden Sitzen entfielen gemäß § 3 Abs. 3 LWahlG aufgrund des Zweitstimmenergebnisses

auf die CDU

        

22 Sitze,

auf die SPD

        

22 Sitze,

auf die FDP

        

 6 Sitze,

auf die GRÜNEN

        

 10 Sitze,

auf den SSW

        

 3 Sitze

und auf die PIRATEN

        

 6 Sitze.

17

Sämtliche der von der CDU und 13 der von der SPD errungenen Sitze wurden als Direktmandate besetzt und nach § 3 Abs. 4 LWahlG auf den verhältnismäßigen Sitzanteil angerechnet. Mehrsitze (§ 3 Abs. 5 Satz 1 LWahlG), die entstehen und verbleiben, wenn die Anzahl der in den Wahlkreisen für eine Partei gewählten Bewerberinnen und Bewerber größer ist als ihr verhältnismäßiger Sitzanteil, fielen nicht an.

18

Gegen das bekanntgemachte Ergebnis der Landtagswahl vom 6. Mai 2012 gingen bei der Landeswahlleiterin 35 Einsprüche ein, die überwiegend – mit unterschiedlicher Begründung – die Teilnahme des Südschleswigschen Wählerverbandes (SSW) an der Sitzverteilung für rechtswidrig hielten. Nach entsprechender Vorprüfung leitete die Landeswahlleiterin die Einsprüche zur Vorbereitung der Wahlprüfung durch den Landtag an dessen Innen- und Rechtsausschuss als Wahlprüfungsausschuss weiter. Die Landeswahlleiterin teilte weder die in den Einsprüchen geltend gemachten Zweifel daran, dass der SSW eine Partei der dänischen Minderheit sei, noch diejenigen an der Verfassungsmäßigkeit des § 3 Abs. 1 LWahlG. Zudem wies sie darauf hin, dass allein das Landesverfassungsgericht das Landeswahlgesetz verfassungsrechtlich überprüfen kann (Vorprüfungsbericht vom 13. Juli 2012, Landtags-Umdruck 18/45).

19

Am 5. September 2012 empfahl der Wahlprüfungsausschuss dem Landtag, die Einsprüche zurückzuweisen und das vom Landeswahlausschuss festgestellte und von der Landeswahlleiterin bekannt gegebene Ergebnis der Wahl zum Schleswig-Holsteinischen Landtag am 6. Mai 2012 zu bestätigen (Landtags-Drucksache 18/163). Am 26. September 2012 beschloss der Landtag mit den Stimmen von CDU, SPD, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN, FDP, SSW und zwei Stimmen aus der Fraktion der PIRATEN, diese Empfehlung anzunehmen (PlPr 18/7, S. 427 <429>). Dies teilte der Präsident des Schleswig-Holsteinischen Landtages den Einspruchführenden jeweils mit Bescheid vom 27. September 2012 mit.

II.

20

Gegen den Beschluss des Landtages vom 26. September 2012 haben die wahlberechtigte Beschwerdeführerin und die wahlberechtigten Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde erhoben, die das Gericht mit Beschluss vom 8. März 2013 unter dem Aktenzeichen LVerfG 9/12 zur gemeinsamen Entscheidung verbunden hat. Sie begehren eine Aufhebung des Landtagsbeschlusses mit dem Ziel, die Landtagswahl zu wiederholen; die Beschwerdeführerin verlangt vorrangig eine Änderung des Beschlusses und eine Neufeststellung des Wahlergebnisses, bei der nur diejenigen Parteien berücksichtigt werden, die mindestens 5% der Zweitstimmen erzielt haben.

21

Die Beschwerdeführerin und die Beschwerdeführer sind der Auffassung, es sei schon zweifelhaft, ob überhaupt eine dänische Minderheit in Schleswig-Holstein existiere, weil Angehörige der dänischen Minderheit nicht erkennbar seien und eine Assimilation stattgefunden habe, bzw. die Anzahl der Angehörigen nicht nachgewiesen sei. Darüber hinaus machen sie geltend, der SSW sei jedenfalls keine Partei der dänischen Minderheit mehr, so dass die Befreiung von der 5%-Klausel nach § 3 Abs. 1 LWahlG nicht auf ihn anwendbar sei. Ob die überwiegende Zahl der Mitglieder des SSW der dänischen Minderheit angehöre, sei nicht bekannt, zumal selbst der Vorsitzende des SSW im Landtag Friese sei. Ein besonderer Einsatz für dänische Belange sei nicht mehr erkennbar, der SSW decke vielmehr alle Politikfelder ab und unterscheide sich nicht von anderen Parteien. Dies zeige die angestrebte und realisierte Regierungsbeteiligung. Der hohe Anteil an Zweitstimmen, die der SSW außerhalb seines ursprünglichen Tätigkeitsbereichs erzielt habe, belege, dass der SSW keine Partei der dänischen Minderheit mehr sei.

22

Darüber hinaus halten die Beschwerdeführer § 3 Abs. 1 Satz 2 LWahlG für verfassungswidrig. Der Grundsatz der Wahlgleichheit in seiner Ausprägung als Erfolgswertgleichheit sowie der Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien würden durch die Befreiung von Parteien der dänischen Minderheit von der 5%-Klausel verletzt; seit Einführung des Zweistimmenwahlrechts seien diese überprivilegiert. Ein zwingender Grund, der eine Differenzierung rechtfertigen kann, sei nicht gegeben. Weder könne ein solcher aus der Landesverfassung noch aus den Bonn-Kopenhagener Erklärungen hergeleitet werden. Ein Teil der Beschwerdeführer meint zudem, § 3 Abs. 1 Satz 2 LWahlG verstoße auch gegen Art. 3 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG), wonach niemand wegen seiner Abstammung oder Sprache bevorzugt oder benachteiligt werden darf.

III.

23

1. Der Landtag und die Landesregierung haben Stellung genommen. Sie halten übereinstimmend die Wahlprüfungsbeschwerden für unbegründet. Sie sind der Auffassung, dass der SSW gegenwärtig unverändert eine Partei der dänischen Minderheit ist. Der SSW trete auf vielfältige Weise für Ziele und Interessen der dänischen Minderheit ein, was sich aus seiner Satzung und seinem Programm ergebe. Gegen seine Einstufung als Minderheitenpartei spreche nicht, dass der SSW sämtliche Politikfelder abdecke. Er habe seit jeher zu allen Feldern der Landespolitik Stellung bezogen. Dass er nun auch außerhalb seines satzungsmäßigen Tätigkeitsgebiets Südschleswig und Helgoland wählbar ist, beeinträchtige nicht seine unverändert fortbestehende Verwurzelung in der dänischen Minderheit.

24

Nach Auffassung des Landtages und der Landesregierung sind sowohl die 5%-Klausel selbst als auch die Befreiung der Parteien der dänischen Minderheit von der 5%-Klausel verfassungsmäßig. Beide verweisen auf die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die sich das Landesverfassungsgericht zu eigen gemacht habe. Danach könnten „zwingende“ bzw. „zureichende“ Gründe eine Abweichung von der Gleichbehandlung der Wählerstimmen rechtfertigen.

25

Der Landtag stellt hierzu heraus, dass die 5%-Klausel gerechtfertigt sei, um die Funktionsfähigkeit der verfassungsrechtlichen Ordnung zu sichern und zu stärken. Es genüge insoweit, wenn ohne Sperrklausel die Integrationswirkung der Wahl gefährdet werde und eine Funktionsstörung des Landtages durch Zersplitterung des Parteienspektrums wahrscheinlich sei. Dies sei heute ebenso gegeben wie bei der Einführung der 5%-Klausel. Eine Sperrklausel sei geeignet, schwere politische Krisen zu verhindern oder zumindest deren Folgen abzumildern. Dies betreffe sowohl die Regierungsbildung als auch die Gesetzgebung und die Aufstellung des Haushaltes. Diese Einschätzung werde durch den internationalen Vergleich mit Ländern mit niedrigerer oder ohne Sperrklausel bestätigt: Dort sei die Regierungsbildung häufig schwierig und langwierig.

26

Die Landesregierung hält die 5%-Klausel in § 3 Abs. 1 Satz 1 LWahlG ebenfalls für verfassungsmäßig. Sie meint, es sei dem Gesetzgeber nicht verwehrt, die Funktionsfähigkeit des Parlaments als zwingenden Grund für Sperrklauseln gegen parlamentarische Splitterparteien anzusehen. Es gehe insoweit um die Fähigkeit des Parlaments, seine Aufgaben der Gesetzgebung und der Regierungsbildung zu erfüllen. Die Entscheidungen des Bundesverfassungs-gerichts zu Kommunal- und Europawahlen seien auf die Landtagswahl nicht übertragbar, weil der Landtag die Ministerpräsidentin oder den Ministerpräsidenten wähle, die oder der auf das fortlaufende Vertrauen einer Mehrheit des Landtages angewiesen sei. Angesichts der tatsächlichen politischen Verhältnisse in Schleswig-Holstein drohten eine Zersplitterung des Parlaments und dadurch eine Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit, was sich anhand der Wahlergebnisse aus den Landtagswahlen von 2009 und 2012 belegen lasse.

27

Der Landtag und die Landesregierung halten die Befreiung der Parteien der dänischen Minderheit von der 5%-Klausel in § 3 Abs. 1 Satz 2 LWahlG für verfassungsgemäß. Der Landtag macht insoweit geltend, dass das verfassungsrechtlich legitime Ziel die politische Integration der dänischen Minderheit sei, die nach Art. 5 Abs. 2 Satz 2 LV Anspruch auf Schutz und Förderung hat. Da nach Art. 5 Abs. 2 Satz 1 LV die politische Mitwirkung nationaler Minderheiten und Volksgruppen unter dem Schutz des Landes steht, sei das Land zumindest berechtigt, wenn nicht verpflichtet, Parteien der dänischen Minderheit die Wahl in den Landtag als Mittel der politischen Mitwirkung zu erleichtern.

28

§ 3 Abs. 1 Satz 2 LWahlG stelle keine Privilegierung der dänischen Minderheit dar, sondern gleiche den Nachteil aus, dass dieser Teil der Wählerschaft nicht groß genug sei, um mit Sicherheit die 5%-Hürde zu überwinden. Die Sorge um gute Beziehungen Deutschlands und Schleswig-Holsteins zum Nachbarstaat Dänemark habe den Gesetzgeber bewogen, die Parteien der dänischen Minderheit von der Sperrklausel auszunehmen. Zudem habe er durch die Einbeziehung der dänischen Minderheit in die politische Willensbildung Spannungen abbauen wollen, die auf Grund der besonderen Lage im Grenzgebiet entstanden seien und jederzeit wieder entstehen könnten. Dadurch habe der Gesetzgeber einen wesentlichen Teil seiner verfassungsrechtlichen Pflicht aus Art. 5 Abs. 2 Satz 2 LV erfüllt. Die Integration der dänischen Minderheit in die Landespolitik komme im Sinne eines gutnachbarlichen, vertrauensvollen Verhältnisses der Volksgruppen zueinander und störungsfreier Beziehungen zu Dänemark allen Einwohnerinnen und Einwohnern des Landes zugute.

29

Nach Auffassung des Landtages werden Parteien der dänischen Minderheit auch nicht dadurch übermäßig begünstigt, dass sie in den landesweiten Verhältnisausgleich einbezogen werden. Dies sei vielmehr Folge des schleswig-holsteinischen Zweistimmenwahlrechts, das im gesamten Landesgebiet einheitlich und uneingeschränkt gilt.

30

Die Landesregierung betont, dass der Landesgesetzgeber im Rahmen der Grundsätze des demokratischen Rechtsstaats nach Art. 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG einen autonomen Spielraum bei der Ausgestaltung des Wahlsystems habe, so dass er das Teilgebot der Erfolgswertgleichheit in begrenzter Weise ausgestalten dürfe. Hier ergebe sich ein zwingender Grund für die wahlrechtliche Sonderregelung für Parteien der dänischen Minderheit zunächst aus Art. 5 Abs. 2 Satz 1 und 2 LV, aber auch unmittelbar aus bundesrechtlichen Erwägungen. § 3 Abs. 1 Satz 2 LWahlG verstoße auch nicht gegen Art. 3 Abs. 3 GG, der im Wahlrecht nicht gelte. Unabhängig davon wäre das Benachteiligungsverbot wegen der Abstammung aber auch tatbestandlich nicht einschlägig, weil die Zugehörigkeit zu einer Minderheit nicht aus der Familiengeschichte der Person folge, sondern allein aus dem freien Bekenntnis zur Minderheit.

31

2. Die Landeswahlleiterin vertritt in ihrer Stellungnahme – wie bereits im Vorprüfungsverfahren – die Auffassung, dass kein Anlass bestehe, die Anerkennung des SSW als Partei der dänischen Minderheit in Frage zu stellen. Sie meint, sowohl die Regelung über die 5%-Klausel als auch die Ausnahme hiervon für Parteien der dänischen Minderheit seien nicht verfassungswidrig.

32

3. Auch nach Auffassung des SSW im Landtag ist die Wahlprüfungsbeschwerde unbegründet. Er macht geltend, dass er weiterhin als Vertretung der dänischen Minderheit und der nationalen Friesen eine Partei der dänischen Minderheit sei und die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Befreiung von der Sperrklausel erfülle. Insbesondere führten weder die Befassung mit allgemeinen Themen noch seine Regierungsbeteiligung dazu, dass er die Eigenschaft einer Partei der dänischen Minderheit verloren habe. Dies folge schon aus dem gesetzlich vorgeschriebenen Aufgabenspektrum einer Partei und dem Umfang des Mandats von Abgeordneten. Er trägt anhand seiner Programme und Aktivitäten im Landtag seit der 1. Wahlperiode vor, dass er seit jeher zu allen Politikfeldern Stellung bezogen habe. Darüber hinaus sei seine Verflechtung mit den Institutionen der dänischen Minderheit evident.

33

Nach Ansicht des SSW im Landtag hält § 3 Abs. 1 Satz 2 LWahlG auch einer verfassungsrechtlichen Prüfung stand. Die Befreiung von der 5%-Klausel greife nicht in die Erfolgswertgleichheit und die Chancengleichheit der Parteien ein, sondern sei gerechtfertigt, um einen Nachteil auszugleichen. Hierzu verweist er auf mathematische Berechnungen. Der SSW sei keine Splitterpartei. Als legitime Gründe für seine Befreiung von der 5%-Hürde seien unter anderem Art. 5 Abs. 2 LV, die Integrationsfunktion der Wahlen und die Bindung der Bundesrepublik Deutschland und Schleswig-Holsteins an die Bonn-Kopenhagener-Erklärungen anzuführen. Gleich geeignete und weniger einschneidende Mittel, die angestrebten Zwecke zu erreichen, gebe es nicht. Die Gründe für die Befreiung von der 5%-Klausel überwögen den verhältnismäßig geringen Eingriff in die Wahlrechtsgleichheit.

34

4. Die FDP-Landtagsfraktion ist der Auffassung, dass eine Mandatszuteilung zugunsten des SSW nur mit einem Sitz erfolgen dürfe. Hierzu verweist sie auf ein von ihr in Auftrag gegebenes Gutachten (Becker, Die wahlrechtliche Privilegierung von Parteien der dänischen Minderheit in Schleswig-Holstein <§ 3 Abs. 1 Satz 2 LWahlG>, Gesetzliche Voraussetzungen und verfassungs-rechtliche Rechtfertigung, Dänischenhagen 2013). Art. 10 Abs. 2 Satz 2 LV gewährleiste noch eindringlicher als das Grundgesetz den Grundgedanken der Wahlgleichheit. Die Regelung in § 3 Abs. 1 Satz 2 LWahlG sei eine Rückausnahme von einer Einschränkung des wahlrechtlichen Gleichheits-grundsatzes (der 5%-Klausel) und müsse im Zusammenhang mit dieser beurteilt werden. Parteien der dänischen Minderheit würden durch die Regelung gegenüber anderen Parteien begünstigt. Eine solche Ungleichbehandlung könne nicht allgemein mit der Integrationsfunktion der Wahl begründet werden. Die Integration nationaler Minderheiten sei zwar ein legitimes Ziel der schleswig-holsteinischen Wahlgesetzgebung, jedoch nach Art. 5 Abs. 2 LV nicht geboten. Die Regelung in § 3 Abs. 1 Satz 2 LWahlG sei geeignet, das legitime Ziel zu erreichen, jedoch nicht erforderlich. Eine auf Südschleswig beschränkte regionalisierte Regelung wäre ein milderes Mittel. Ebenso wäre es möglich, bei Unterschreiten der 5%-Klausel durch eine Partei der dänischen Minderheit diese nur mit der ersten Person auf der Landesliste am Verhältnisausgleich teilnehmen zu lassen. Die dänische Minderheit sei nicht wegen ihrer Stimmenzahl, sondern auf Grund ihrer gesellschaftlichen Bezugspersonen wesentlich. Ihre Integration werde nicht weiter dadurch gestärkt, dass sie mit mehreren Abgeordneten vertreten sei.

35

5. Nach Auffassung der Piratenfraktion im Landtag ist die 5%-Klausel nicht mehr zu rechtfertigen, weil die Bildung von Regierungskoalitionen auch ohne 5%-Sperrklausel möglich bleibe. Dies bewiesen die Verhältnisse in anderen europäischen Staaten, in denen die Sperrklausel nicht gelte. Dann wäre auch die Sonderregelung für den SSW beseitigt, ohne die Vertretung der dänischen Minderheit im Landtag zu erschweren.

B.

36

Gegen die Entscheidung des Landtages vom 26. September 2012 über die Gültigkeit und das Ergebnis der Landtagswahl vom 6. Mai 2012 ist gemäß Art. 3 Abs. 3 Satz 2 und Art. 44 Abs. 2 Nr. 5 LV, § 3 Nr. 5 des Gesetzes über das Schleswig-Holsteinische Landesverfassungsgericht (LVerfGG) die Beschwerde zum Landesverfassungsgericht gegeben. Danach ist Gegenstand der Wahlprüfung die Rechtmäßigkeit des die Wahlprüfung abschließenden Beschlusses des Landtages und die von ihm angenommene Gültigkeit der Wahl (vgl. auch Art. 3 Abs. 3 Satz 2 und Art. 44 Abs. 2 Nr. 5 LV, § 50 Abs. 1 LVerfGG, § 43 Abs. 2 LWahlG). Wahlberechtigte, deren Einsprüche der Landtag verworfen hat, sind zur Beschwerde befugt (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 LVerfGG).

C.

37

Die zulässigen Wahlprüfungsbeschwerden sind unbegründet. Der Beschluss des Landtages vom 26. September 2012 ist rechtmäßig. Zu Recht hat der SSW mit 4,6% der gültigen Zweitstimmen am Verhältnisausgleich teilgenommen und ist mit drei Abgeordneten im Landtag vertreten. Das festgestellte Ergebnis der Landtagswahl ist nicht zu beanstanden. Weder hat die Rüge der fehlerhaften Anwendung von § 3 Abs. 1 Satz 2 LWahlG auf den SSW (I.) noch die der Verfassungswidrigkeit von § 3 LWahlG (II.) Erfolg.

I.

38

Aus der einfachgesetzlichen Anwendung des Wahlrechts ergeben sich keine Wahlfehler. Dabei hat das Landesverfassungsgericht die einschlägigen Normen selbst auszulegen und zum Maßstab der Wahlprüfung zu machen

(Urteil vom 30. August 2010 - LVerfG 1/10 -, Rn. 46, LVerfGE 21, 434 ff. = SchlHA 2010, 276 ff. = NordÖR 2010, 401 ff. = JZ 2011, 254 ff., Juris Rn. 50; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 26. Februar 1998 - 2 BvC 28/96 -, BVerfGE 97, 317 ff., Juris Rn. 15 und Urteil vom 3. Juli 2008 - 2 BvC 1/07 u.a. -, BVerfGE 79, 169 ff., Juris Rn. 90; Schreiber, Bundeswahlgesetz, 8. Aufl. 2009, § 49 Rn. 34 m.w.N.).

39

Für die Wahl zum 18. Landtag wurde § 3 Abs. 1 Satz 2 LWahlG zu Recht auf den SSW angewandt.

40

Nach § 3 Abs. 1 Satz 2 LWahlG gelten die in Satz 1 der Vorschrift geregelten Einschränkungen zur Teilnahme am Verhältnisausgleich – für eine Partei muss entweder in mindestens einem Wahlkreis eine Abgeordnete oder ein Abgeordneter gewählt worden sein oder sie muss insgesamt fünf v.H. der im Land abgegebenen gültigen Zweitstimmen erzielt haben – nicht für Parteien der dänischen Minderheit. Um eine Partei der dänischen Minderheit handelt es sich, wenn diese eine Partei im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 Parteiengesetz (PartG) ist (1.), es unverändert eine dänische Minderheit gibt (2.), und die Partei aus der dänischen Minderheit hervorgegangen ist und weiterhin von ihr getragen und geprägt wird (3). Danach ist der SSW eine Partei der dänischen Minderheit.

41

1. Der SSW ist eine Partei im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 PartG. Parteien sind Vereinigungen von Bürgern, die dauernd oder für längere Zeit für den Bereich des Bundes oder eines Landes auf die politische Willensbildung Einfluss nehmen und an der Vertretung des Volkes im Deutschen Bundestag oder einem Landtag mitwirken wollen. Sie müssen nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse, insbesondere nach Umfang und Festigkeit ihrer Organisation, nach der Zahl ihrer Mitglieder und nach ihrem Hervortreten in der Öffentlichkeit eine ausreichende Gewähr für die Ernsthaftigkeit dieser Zielsetzung bieten.

42

Diese Voraussetzungen erfüllt der SSW, der seit seiner Gründung 1948 regelmäßig zu Wahlen zum Schleswig-Holsteinischen Landtag angetreten ist

(vgl. Kühl, Dänische Minderheitenpolitik in Deutschland, Südschleswigscher Wählerverband , in: Kühl/ Bohn, Ein europäisches Modell? Bielefeld 2005, S. 142 <147 ff.>).

43

2. Es gibt in Schleswig-Holstein auch unverändert eine dänische Minderheit. Ihre Existenz wird mit dem erst mit der Verfassungsreform durch das Gesetz zur Änderung der Landessatzung für Schleswig-Holstein vom 13. Juni 1990 (GVOBl S. 391) aufgenommenen Art. 5 Abs. 2 Satz 2 LV anerkannt. Der Landesverfassungsgeber hat diese Regelung aktuell bestätigt, indem erden Anspruch auf Schutz und Förderung in Art. 5 Abs. 2 Satz 2 LV mit Gesetz zur Änderung der Landesverfassung Schleswig-Holstein vom 28. Dezember 2012 (GVOBl 2013 S. 8) um „die Minderheit der deutschen Sinti und Roma“ ergänzt, die Vorschrift die dänische Minderheit und die friesische Volksgruppe betreffend aber unverändert gelassen hat. Auch die Bundesrepublik Deutschland setzte bei ihrer Zustimmung zum Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten vom 1. Februar 1995 (BGBl 1997 II S. 1406) voraus, dass eine dänische Minderheit in Schleswig-Holstein besteht. Die Bundesregierung hat bei der Zeichnung des Rahmenübereinkommens am 11. Mai 1995 ausdrücklich erklärt, dass nationale Minderheiten in der Bundesrepublik Deutschland unter anderem die Dänen deutscher Staatsangehörigkeit sind (BGBl 1997 II S. 1418). Schließlich belegen die Minderheitenberichte der Landesregierung die unveränderte Existenz und Aktivität der dänischen Minderheit im Einzelnen

(zuletzt: Bericht der Landesregierung zur Minderheiten- und Volksgruppenpolitik in der 17. Legislaturperiode (2009 – 2012) – Minderheitenbericht 2011, Landtags-Drucksache 17/2025, S. 37 ff.).

44

Zudem tritt die dänische Minderheit zum Beispiel durch ihre Schulen, den dänischen Kulturverein – den Sydslesvigsk Forening (SSF) – mit seinen Einrichtungen und Veranstaltungen sowie durch die in dänischer Sprache erscheinende Zeitung Flensborg Avis im nördlichen Schleswig-Holstein (Südschleswig) wahrnehmbar in Erscheinung.

45

3. Eine Partei ist dann eine Partei der dänischen Minderheit, wenn sie aus der Minderheit hervorgegangen ist und sie gegenwärtig personell von der Minderheit getragen wird sowie programmatisch von ihr geprägt ist

(so auch OVG Schleswig, Beschluss vom 25. September 2002 - 2 K 2/01 -, SchlHA 2003, 19 ff. = NVwZ-RR 2003, 161 ff. = NordÖR 2003, 61 ff. = JZ 2003, 519 ff., Juris Rn. 36; Kühn, Privilegierung nationaler Minderheiten im Wahlrecht der Bundesrepublik Deutschland und Schleswig-Holsteins, Frankfurt am Main 1991, S. 4; Becker, Die wahlrechtliche Privilegierung von Parteien der dänischen Minderheit in Schleswig-Holstein, <§ 3 Abs. 1 Satz 2 LWahlG SH>, Gesetzliche Voraussetzungen und verfassungsrechtliche Rechtfertigung, Dänischenhagen 2013, S. 13).

Diese Voraussetzungen treffen auf den SSW zum Zeitpunkt der Landtagswahl im Jahr 2012 zu. Die dagegen erhobenen Einwände greifen nicht durch.

46

Die genannten Merkmale folgen bereits aus dem Wortlaut des Gesetzes, der besagt, dass die Einschränkungen des § 3 Abs. 1 Satz 1 LWahlG nicht für Parteien „der“ dänischen Minderheit gelten. Da der Gesetzgeber nicht Parteien „für“ die dänische Minderheit von der Sperrklausel ausgenommen hat, kann dem Wortlaut nicht entnommen werden, dass sich die von § 3 Abs. 1 Satz 2 LWahlG erfassten Parteien personell, thematisch und programmatisch ausschließlich an die dänische Minderheit richten müssten oder nur von ihren Angehörigen wählbar wären. Sowohl die Wählbarkeit und Wahl durch alle Wählerinnen und Wähler, also auch Nicht-Angehörige der Minderheit, als auch die Befassung mit allen politischen Themen gehören zudem notwendig zu einer Partei, wie dies bundesrechtlich durch Art. 21 GG und § 2 Abs. 1 Satz 1 PartG zwingend vorgegeben ist; sie sind Ausdruck der den Parteien im demokratischen Gefüge zukommenden Integrationsfunktion. Ohne personelle und programmatische Prägung durch die dänische Minderheit aber wäre eine Partei ihr nicht zuzuordnen, weil ansonsten der im Gesetz vorgegebene Bezug zur Minderheit fehlte. Insofern muss die Partei aus der Minderheit hervorgegangen sein und von ihr auch gegenwärtig noch getragen und geprägt werden.

47

a) Der SSW ist als Partei aus der dänischen Minderheit hervorgegangen. Er wurde 1948 als Partei der dänischen Minderheit in Südschleswig und der nationalen Friesen in Nordfriesland als Südschleswigscher Wählerverband gegründet. Zuvor hatte die britische Besatzungsmacht der dänischen Minderheit bereits den Status einer nationalen Minderheit und deren kultureller Organisation, dem SSF, für die Landtagswahl 1947 vorübergehend den Status einer politischen Partei zuerkannt. Nach der Landtagswahl wurde dem SSF die Anerkennung wieder entzogen, weil sich dieser dafür einsetzte, den nördlichen Landesteil an Dänemark anzuschließen bzw. als unabhängiges Territorium zu behandeln. Daraufhin wurde der SSW als politische Interessenvertretung der Minderheit neben dem fortan ausschließlich auf kulturellem Gebiet tätigen SSF geschaffen

(vgl. Kühl, a.a.O., S. 142 ff.; Kühn, a.a.O., S. 43 f. m.w.N.).

48

aa) Die enge Verknüpfung des SSW mit der dänischen Minderheit spiegelt sich auch in der geschichtlichen Entwicklung des § 3 LWahlG wider:

49

Die erste Fassung von § 3 LWahlG vom 31. Januar 1947 (ABl S. 95) enthielt keine Sonderregelung für nationale Minderheiten. Der SSF errang bei der Landtagswahl 1947 9,27% der insgesamt im Land abgegebenen gültigen Stimmen. Mit zwei Wahlkreiskandidaten (Wahlkreise Flensburg I Stadt und Flensburg II Glücksburg) und vier weiteren Sitzen, die er über die Landesliste erhielt, war er im Landtag vertreten

(vgl. Bekanntmachung des Landeswahlleiters über das endgültige Ergebnis der Wahlen zum Schleswig-Holsteinischen Landtag am 20. April und 18. Mai 1947 vom 8. August 1947, ABl S. 399).

50

Der sodann gegründete SSW, der Kandidaten nur in Südschleswig aufgestellt hatte, erzielte bei der Landtagswahl 1950 5,5% der Stimmen; er war mit zwei Direktkandidaten und zwei weiteren von der Landesliste gewählten Kandidaten in den Landtag eingezogen

(vgl. Bekanntmachung des Landeswahlleiters über das endgültige Ergebnis der Wahl zum Schleswig-Holsteinischen Landtag am 9. Juli 1950 vom 17. Juli 1950, ABl S. 328).

51

Das Landeswahlgesetz vom 27. Februar 1950 (GVOBl S. 77) enthielt erstmals eine 5%-Sperrklausel und eine Sonderregelung für Parteien nationaler Minderheiten, nach der bei Parteien nationaler Minderheiten die Zulassung von Wahlvorschlägen in allen Wahlkreisen nicht Voraussetzung für die Teilnahme am Verhältnisausgleich war. Die Vorschrift bezog sich sowohl nach dem Verständnis des Gesetzgebers

(vgl. Landtags-Protokolle vom 21. Dezember 1949, S. 33 ff. und vom 27. Februar 1950, S. 48; dazu auch Kühn, a.a.O., S. 67 ff. m.w.N.)

als auch nach der Rechtsprechung des seinerzeit zuständigen Oberverwaltungsgerichts

(vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 19. Juni 1950 - II OVG A 243/50 -, OVGE MüLü. Band 2, S. 157 <173>)

auf den SSW.

52

Die mit Landeswahlgesetz vom 22. Oktober 1951 (GVOBl S. 180) eingeführte 7,5%-Klausel hat das Bundesverfassungsgericht durch Urteil vom 5. April 1952 (- 2 BvH 1/52 -, BVerfGE 1, 208 ff.) wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Gleichheit der Wahl für verfassungswidrig erklärt. Daraufhin hat der Landtag das Wahlgesetz geändert und in § 3 Abs. 1 LWahlG anstelle der 7,5%-Klausel die 5%-Klausel verankert (LWahlG vom 5. November 1952, GVOBl S. 175).

53

Nachdem der SSW bei der Bundestagswahl am 6. September 1953 nur 3,3 % der in Schleswig-Holstein abgegebenen Zweitstimmen erhalten hatte (bei der Bundestagswahl 1949 waren es 5,4 % und bei der Landtagswahl 1950 5,5 %), rief er erneut das Bundesverfassungsgericht an, weil er die 5%-Klausel im Landeswahlgesetz ohne Sonderregelung für Parteien einer nationalen Minderheit für verfassungswidrig hielt. Das Bundesverfassungsgericht hat mit Urteil vom 11. August 1954 (- 2 BvK 2/54 -, BVerfGE 4, 31 ff.) die Norm unbeanstandet gelassen.

54

Auf die Bonn-Kopenhagener Erklärungen hin wurde die noch heute geltende Fassung des § 3 Abs. 1 Satz 2 LWahlG mit Gesetz vom 31. Mai 1955 (GVOBl S. 124) eingeführt. Diese Regelung war auf den SSW zugeschnitten worden

(vgl. Antrag der SSW-Fraktion vom 9. April 1954, Landtags-Drucksache 2/573, PlPr 82. Sitzung vom 27. April 1954, S. 1531 ff.).

55

bb) Dass der SSW sich seit Beginn seiner Tätigkeit auch als Vertretung der Friesen versteht, vermag hieran nichts zu ändern. Er ist aus den historisch miteinander verknüpften Bewegungen der nationalen Friesen und der dänischen Minderheit hervorgegangen. Dies war dem Gesetzgeber bei der Schaffung von § 3 Abs. 1 Satz 2 LWahlG bekannt und für ihn kein Hindernis, den SSW als Partei der dänischen Minderheit anzusehen

(so auch OVG Schleswig, Beschluss vom 25. September 2002 - 2 K 2/01 -, SchlHA 2003, 19 ff. = NVwZ-RR 2003, 161 ff. = NordÖR 2003, 61 ff. = JZ 2003, 519 ff., Juris Rn. 44 mit weiteren Ausführungen dazu).

56

b) Der SSW wird auch gegenwärtig personell von der dänischen Minderheit getragen und programmatisch von ihr geprägt.

57

aa) Die personelle Verknüpfung des SSW mit der dänischen Minderheit ergibt sich insbesondere aus der Doppelmitgliedschaft einer großen Anzahl von Personen, die sowohl im SSW als auch in den weiteren Organisationen der Minderheit engagiert sind. Diese arbeiten im Südschleswigschen Gemeinsamen Rat für die dänische Minderheit (Det Sydslesvigske Samråd) zusammen und stimmen ihr gemeinsames Vorgehen ab

(vgl. Minderheitenbericht 2011, Landtags-Drucksache 17/2025, S. 37).

58

Zu den Organisationen der dänischen Minderheit gehören neben dem SSW und dem SSF unter anderem die Dänische Kirche in Südschleswig (Dansk Kirke i Sydslesvig), der Dänische Schulverein für Südschleswig (Dansk Skoleforening for Sydslesvig), die Dänischen Jugendverbände in Südschleswig (Sydslesvigs danske Ungdomsforeninger ), die Dänische Zentralbibliothek für Südschleswig (Dansk Centralbibliotek for Sydslesvig), der Dänische Gesundheitsdienst (Dansk Sundhedstjeneste for Sydslesvig), die Dänische Volkshochschule (Jaruplund Højskole) und die Tageszeitung Flensborg Avis

(vgl. Minderheitenbericht 2011, a.a.O., S. 153 f.).

59

Nach Angaben des Landesverbandes des SSW sind von den 3.660 SSW-Mitgliedern 78 % gleichzeitig Mitglied im SSF, dem dänischen Kulturverein, und ca. 2% Mitglied im Friisk Foriining, dem friesischen Kulturverein. Viele seien zusätzlich Mitglieder in Skoleforening, SdU, Dansk Kirke usw., worüber keine Statistik geführt werde. Alle führenden Politikerinnen und Politiker des SSW seien Mitglied im dänischen Kulturverein oder übten dort Funktionen aus. Die große Mehrheit der Vorsitzenden und Hauptamtlichen der Organisationen der dänischen Minderheit seien jedenfalls Mitglied im SSW oder sogar in der Kommunalpolitik und Organisation der Partei aktiv

(vgl. Dossier 08 Dokument 01 der Stellungnahme des SSW zum Verfahren).

Spezifische Gründe dafür, diese Angaben zu bezweifeln, sind im Verfahren nicht vorgetragen worden.

60

bb) Der SSW ist auch programmatisch durch die Minderheit geprägt, was sich aus seiner Satzung, seinen Programmen und seinem Zusammenwirken mit den örtlichen Vereinigungen in seinem Tätigkeitsgebiet Südschleswig und Helgoland, dem angestammten Siedlungsgebiet der dänischen Minderheit und der friesischen Volksgruppe, ergibt. Daran ändert weder die Wählbarkeit der Liste im ganzen Land noch die Wahrnehmung eines allgemeinen politischen Mandats etwas.

61

(1) In § 2 Nr. 2 der Satzung des SSW heißt es:

(...) Die Partei wirkt auf der Grundlage des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland, der Verfassung des Landes Schleswig-Holstein, ihrer Satzung sowie der Rahmen- und Aktionsprogramme an der politischen Willensbildung mit. Der SSW ist die politische Vertretung der dänischen Minderheit und der nationalen Friesen in Südschleswig und fühlt sich diesen besonders verpflichtet, will zugleich aber auch dem Wohl aller Bürgerinnen und Bürger in Schleswig-Holstein dienen. Der SSW tritt für eine demokratische Lebens- und Gesellschaftsform ein, die von sozialer Gerechtigkeit, gegenseitiger Achtung und dem Respekt gegenüber den Mitmenschen nach nordischem Vorbild geprägt ist. Der SSW will an der Verständigung zwischen den Völkern und an der Zusammenarbeit in Europa mitwirken. Seine Politik ist frei und unabhängig.

62

Das Verständnis der nordischen Rechtstradition, das für das Wirken maßgebend ist, wird in den verschiedenen Programmen des SSW aufgegriffen. So beschreibt das seit dem 13. Februar 1999 geltende Rahmenprogramm, dass

(...) die Grundwerte des SSW (…) vor allem von unserem besonderen Standpunkt als Minderheitenpartei, von der regionalen Verankerung im Norden Schleswig-Holsteins und von unserer besonderen Verbindung zu den nordischen Ländern geprägt (werden).

63

Das Wahlprogramm zur Landtagswahl 2012 enthält einerseits Aussagen zur allgemeinen Landespolitik. Andererseits gibt es Belege einer ausdrücklich dänischen Ausrichtung wie etwa bei der Schulpolitik, der Hochschulzusammenarbeit, der Anerkennung von Berufsabschlüssen, bei grenzüberschreitenden Gesundheitsangeboten, dem Erfahrungsaustausch mit Grenzregionen und bei der Verkehrsinfrastruktur zur Anbindung an Dänemark

(vgl. Wahlprogramm des SSW 2012, S. 20 ff.).

Dazu gehört auch die Forderung, dass im Schulgesetz des Landes wieder die Förderung des Dänischen Schulvereins mit 100 % der öffentlichen Schülerkostenansätze verankert und dadurch die Gleichstellung der Kinder an den dänischen Schulen wiederhergestellt wird

(vgl. Wahlprogramm des SSW 2012, S. 50).

64

(2) Der SSW verliert seine Prägung auch nicht durch seine über eine spezifische Minderheitenpolitik hinausreichende Tätigkeit.

65

(a) Der Umstand, dass der SSW seit Einführung des Zweistimmenwahlrechts durch Gesetz zur Änderung des Landeswahlgesetzes vom 27. Oktober 1997 (GVOBl S. 462) im gesamten Land wählbar ist, steht seiner Eigenschaft als Partei der dänischen Minderheit nicht entgegen.

66

Allein die Änderung des Wahlrechts kann den Status des SSW als Minderheitenpartei nicht beeinflussen

(so auch BVerfG, Beschluss vom 17. November 2004 - 2 BvL 18/02 -, NVwZ 2005, 205 ff. = NordÖR 2005, 19 ff., Juris Rn. 25 ff.).

Es läge sonst in der Hand der Mehrheit, durch ein entsprechendes Wahlrecht den Status der Minderheitenpartei aufzuheben. Der SSW hatte sich im Übrigen ausdrücklich gegen die Wahlrechtsänderung ausgesprochen

(vgl. Landtags-Drucksache 14/39, PlPr 14/37, S. 2449 – Zweite Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des LWahlG, Redebeitrag der Abgeordneten Spoorendonk –).

67

Zudem werden Direktkandidatinnen und Direktkandidaten des SSW für den Landtag seit 1997 – wie zuvor – nur in Südschleswig und im Wahlkreis Pinneberg Nord (Helgoland) aufgestellt, obwohl es dem SSW schon vor der Wahlrechtsänderung möglich gewesen wäre, in allen Wahlkreisen Kandidatinnen und Kandidaten aufzustellen

(vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. November 2004, a.a.O., Juris Rn. 27 unter Hinweis auf Ausschussprotokoll 14/32 der vorbereitenden Sitzung des Innen- und Rechtsausschusses vom 13. August 1997, S. 14 sowie die Beiträge im PlPr 14/37, S. 2445 ff.).

68

Die Wahlrechtsänderung hat somit zwar zu einer Wählbarkeit der Liste des SSW im ganzen Land geführt, dessen Charakter als Partei der dänischen Minderheit aber in der politischen Wirklichkeit nicht wesentlich verändert. Die verstärkte Wahrnehmung des SSW, die im gesamten Land durch die Wählbarkeit seiner Liste entstanden ist, reicht für einen solchen grundlegenden Wandel seines Charakters als Minderheitenpartei nicht aus.

69

(b) Einschränkungen der programmatischen Ausrichtung auf minderheitenspezifische Themen – wie dies die Beschwerdeführer für angezeigt hielten – widersprächen nicht nur dem Wortlaut des § 3 Abs. 1 Satz 2 LWahlG, sondern auch seinem Sinn und Zweck, mit dem die Vorgaben der Bonn-Kopenhagener Erklärungen erfüllt werden sollen () und die dänische Minderheit in das allgemeinpolitische Gemeinwesen der Mehrheit integriert werden soll (). Eine Beschränkung der Wählbarkeit des SSW auf Angehörige der Minderheit stünde zudem im Widerspruch zu den spezifischen landesverfassungsrechtlichen Regelungen, in deren Kontext die Vorschrift steht ().

70

(aa) Als Ergebnis der deutsch-dänischen Besprechungen hat das Auswärtige Amt in der Protokollerklärung zu den Bonn-Kopenhagener Erklärungen vom 29. März 1955 (Bundesanzeiger Nr. 63 vom 31. März 1955, S. 4) unter I. Nr. 3 ausdrücklich ausgeführt:

Die Landesregierung Schleswig-Holstein hat die Bundesregierung davon unterrichtet, daß sie bereit ist:

a) darauf hinzuwirken, daß der Schleswig-Holsteinische Landtag eine Ausnahmebestimmung von der 5%-Klausel in § 3 des Schleswig-Holsteinischen Landeswahlgesetzes zu Gunsten der dänischen Minderheit baldmöglichst beschließt; (…).

Dem ist der schleswig-holsteinische Gesetzgeber nachgekommen, indem er mit Gesetz zur Änderung des Landeswahlgesetzes vom 31. Mai 1955 (GVOBl S. 124) den bis heute unverändert geltenden § 3 Abs. 1 Satz 2 LWahlG eingefügt hat.

71

(bb) § 3 Abs. 1 Satz 2 LWahlG will entsprechend dem verfassungsrechtlich vorgegebenen Charakter der Wahl als Integrationsvorgang bei der politischen Willensbildung die Repräsentanz der dänischen Minderheit als politisch bedeutsame Strömung im Parlament sichern.

72

Die Vertretung anerkannter nationaler Minderheiten ist stets politisch bedeutsam

(so auch BVerfG, Beschlüsse vom 14. Februar 2005 - 2 BvL 1/05 -, SchlHA 2005, 128 ff. = NVwZ 2005, 568 ff. = NordÖR 2005, 106 ff., Juris Rn. 34 und vom 13. Juni 1956 - 1 BvR 315/53 u.a. -, BVerfGE 5, 77 ff., Juris Rn. 22; Urteil vom 23. Januar 1957 - 2 BvE 2/56 -, BVerfGE 6, 84 ff., Juris Rn. 34).

An der Behandlung der dänischen Minderheit in Schleswig-Holstein nimmt die internationale Staatengemeinschaft, insbesondere Dänemark, Anteil. Denn nachdem die Bundesrepublik Deutschland anlässlich der Zeichnung und Ratifizierung des Rahmenübereinkommens zum Schutz nationaler Minderheiten ausdrücklich erklärt hatte, dass unter anderem die Dänen deutscher Staatsangehörigkeit eine nationale Minderheit in der Bundesrepublik seien (BGBl II vom 29. Juli 1997 S. 1418), hat Dänemark seinerseits erklärt, dass das Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten auf die deutsche Minderheit in Südjütland (Nordschleswig) im Königreich Dänemark Anwendung findet

(vgl. Erklärung Dänemarks vom 22. September 1997 zur Anwendung des Rahmenübereinkommens zum Schutz nationaler Minderheiten, Abdruck bei Kühl/ Bohn, Ein europäisches Modell? Bielefeld 2005, S. 553).

Durch die Vertretung der dänischen Minderheit im Landtag wird verhindert, dass diese sich eher einem anderen Staat (Dänemark) zugehörig fühlt, und dass durch Ausgrenzung separatistische Tendenzen entstehen. Zudem wird ermöglicht, dass die spezifischen Belange der nationalen Minderheit in den politischen Willensbildungsprozess einfließen und die von der Minderheit vertretenen Werte das Wirken des Parlaments beeinflussen können.

73

Eine Partei der dänischen Minderheit übt die ihr in der politischen Willensbildung zukommende Mittlerfunktion zwar für einen bestimmten Teil des Staatsvolkes – für diejenigen deutschen Staatsangehörigen, die sich zur dänischen Minderheit bekennen – aus

(vgl. Pieroth, Der Begriff der Partei der dänischen Minderheit und die Verfassungsmäßigkeit ihrer Privilegierung im Schleswig-Holsteinischen Landeswahlrecht, Landtags-Umdruck 15/634, S. 14).

Da aber politische Auseinandersetzung und Einflussnahme einer Partei im Sinne von Art. 21 GG, dessen Grundsätze nicht nur im Bund, sondern unmittelbar auch in den Ländern gelten

(BVerfG, Urteile vom 5. April 1952 - 2 BvH 1/52 -, BVerfGE 1, 208 ff. Juris Rn. 64 und vom 24. Januar 1984 - 2 BvH 3/83 -, BVerfGE 66, 107 ff., Juris Rn. 23 m.w.N., stRspr.),

immanent ist, muss eine Partei nach § 2 Abs. 1 Satz 1 PartG das Ziel verfolgen, dauernd oder für längere Zeit im Bund oder Land auf die politische Willensbildung Einfluss zu nehmen und an der Vertretung des gesamten Volkes im Deutschen Bundestag oder in einem Landtag mitzuwirken

(vgl. Lenski, PartG, 1. Aufl. 2011, § 2 Rn. 7).

74

Programmatische Prägung durch die Minderheit bedeutet deshalb nicht, dass die Partei auf minderheitenspezifische Themen beschränkt werden könnte. Dem Integrationsanliegen wird nur Genüge getan, wenn die Partei der dänischen Minderheit sich nicht auf Partikularinteressen beschränkt; andernfalls wäre sie auch für die Minderheit selbst unwählbar, weil keine Teilhabe an der politischen Willensbildung angestrebt würde

(vgl. Pieroth, a.a.O., S. 28 f.).

75

Die Aussage des SSW, sich für alle Menschen in seinem Tätigkeitsgebiet einsetzen und zu allen Fragen der Landespolitik Stellung beziehen zu wollen, ist Ausdruck dieses Integrationsgedankens. Das legitime Ziel, Regierungsverantwortung übernehmen zu wollen, wird auch von der dänischen Minderheit mitgetragen. Der Südschleswigsche Gemeinsame Rat wollte sich nach der Resolution vom 24. Januar 2011 für einen Regierungswechsel einsetzen. Dies kann als Aufforderung an den SSW seitens der dänischen Minderheit verstanden werden, sich an einem Regierungswechsel zu beteiligen.

76

(cc) Schließlich liefen Beschränkungen der Wählbarkeit dem Grundsatz der geheimen Wahl (Art. 3 Abs. 1 LV) und der Freiheit des Bekenntnisses zur Minderheit (Art. 5 Abs. 1 Halbs. 1 LV) zuwider. Da sowohl das Verlangen nach Offenbarung der gewählten Partei verboten ist

(vgl. Caspar, in: Caspar/ Ewer/ Nolte/ Waack , Verfassung des Landes Schleswig-Holstein, 2006, Art. 3 Rn. 71 ff.; Achterberg/ Schulte, in: von Mangoldt/ Klein/ Starck, Band 2, 6. Aufl. 2010, Art. 38 Rn. 151 f.; Trute, in: von Münch/ Kunig, GG-Kommentar, Band 1, 6. Aufl. 2012, Art. 38 Rn. 65 ff.),

als auch eine Nachprüfung des nationalen Bekenntnisses anhand objektiver Kriterien wie etwa Abstammung oder Fremdsprachigkeit ausgeschlossen ist

(vgl. Abschnitt II Ziff. 1 der „Kieler Erklärung“ vom 26. September 1949, GVOBl S. 183 f.; von Mutius, in: von Mutius/ Wuttke/ Hübner, Kommentar zur Landesverfassung, 1995, Art. 5 Rn. 5; Riedinger, in: Caspar/ Ewer/ Nolte/ Waack , Verfassung des Landes Schleswig-Holstein, 2006, Art. 5 Rn. 10; Köster, Der Minderheitenschutz nach der schleswig-holsteinischen Landesverfassung, Bredstedt 2009, S. 34 ff.; Lemke, Nationale Minderheiten und Volksgruppen im schleswig-holsteinischen und übrigen deutschen Verfassungsrecht, Kiel 1998, S. 242 ff.),

sind der Adressatenkreis der Parteitätigkeit und die Wählerschaft nicht im Einzelnen personell eingrenzbar.

II.

77

Die in § 3 Abs. 1 Satz 1 LWahlG geregelte 5%-Klausel ist mit der Landesverfassung vereinbar. Sie verletzt weder den Grundsatz der Gleichheit der Wahl (Art. 3 Abs. 1 und Art. 10 Abs. 2 LV) noch das Gebot der Chancengleichheit der Parteien (Art. 3 Abs. 1 LV in Verbindung mit Art. 21 Abs. 1 GG) (1.). Auch die in § 3 Abs. 1 Satz 2 LWahlG festgelegte Befreiung der Parteien der dänischen Minderheit von der 5%-Klausel ist nicht zu beanstanden. Insoweit ist Art. 2a LV in Verbindung mit Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG im vorliegenden Kontext kein geeigneter Maßstab (2.). § 3 Abs. 1 Satz 2 LWahlG berührt zwar die Wahlrechtsgleichheit in ihrer Ausprägung als Erfolgswertgleichheit und die Chancengleichheit der Parteien. Die Regelung ist jedoch durch zwingende Gründe gerechtfertigt (3.).

78

1. Die Wahlgrundsätze in Art. 3 Abs. 1 LV stimmen überein mit denjenigen, die nach Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG für die Wahlen zum Deutschen Bundestag gelten. Auf sie ist das Land nach Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG verpflichtet. Deshalb kann für die Auslegung von Art 3 Abs. 1 LV auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG zurückgegriffen werden, soweit sich aus den Wahlsystemen keine entscheidenden Unterschiede ergeben. Bei der Ausgestaltung des Wahlsystems genießen die Länder im Rahmen der Bindung an die Grundsätze des Art. 28 GG einen autonomen Spielraum

(Urteil vom 30. August 2010 - LVerfG 1/10 -, Rn. 90 m.w.N., LVerfGE 21, 434 ff. = SchlHA 2010, 276 ff. = NordÖR 2010, 401 ff. = JZ 2011, 254 ff., Juris Rn. 95).

79

a) Die Gleichheit der Wahl gebietet, dass alle Staatsbürgerinnen und Staatsbürger das aktive und passive Wahlrecht in möglichst gleicher Weise ausüben können. Das Wahlgesetz gestaltet nach Art. 10 Abs. 2 Satz 2 LV das Nähere des in Art. 10 Abs. 2 Satz 1 LV als personalisierte Verhältniswahl festgelegten Wahlsystems aus. Dabei müssen die Stimmen aller Wahlberechtigten ex ante betrachtet den gleichen Zählwert und die gleiche Erfolgschance haben

(Urteil vom 30. August 2010, Rn. 91 ff., a.a.O., Juris Rn. 96 ff.; BVerfG, Urteil vom 10. April 1997 - 2 BvC 3/96 -, BVerfGE 95, 408 ff., Juris Rn. 41).

80

Den gleichen Anforderungen hat das Wahlrecht auch im Hinblick auf die in Art. 3 Abs. 1 LV in Verbindung mit Art. 21 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich verbürgte Chancengleichheit der Parteien zu genügen

(vgl. BVerfG, Urteil vom 10. April 1997, a.a.O., Juris Rn. 42).

81

Aus der Chancengleichheit der Parteien folgt für Verhältniswahlen, dass alle Parteien in einem möglichst den Stimmenzahlen angenäherten Verhältnis in dem zu wählenden Organ vertreten sind und dass jeder Partei und Wählergruppe grundsätzlich die gleichen Chancen bei der Verteilung der Sitze eingeräumt werden

(vgl. BVerfGE, Urteile vom 13. Februar 2008 - 2 BvK 1/07 -, BVerfGE 120, 82 ff., Juris, Rn. 99, 103 und vom 9. November 2011 - 2 BvC 4/10 u.a. -, BVerfGE 129, 300 ff., Rn. 79, 82; LVerfG Hamburg, Urteil vom 15. Januar 2013 - HVerfG 2/11 -, DVBl 2013, 304 ff. = NordÖR 2013, 156 ff., Juris Rn. 71, 72).

82

b) § 3 Abs. 1 Satz 1 LWahlG berührt die Wahlgleichheit in der Ausprägung als Erfolgswertgleichheit. Denn die 5%-Klausel bewirkt eine Ungleichbehandlung der Wählerstimmen. Während der Zählwert aller Wählerstimmen von der 5%-Klausel unberührt bleibt, werden die Wählerstimmen hinsichtlich ihres Erfolgswerts ungleich behandelt, je nachdem, ob die Stimme für eine Partei abgegeben wurde, die mehr als fünf Prozent der Stimmen auf sich vereinigen konnte, oder für eine Partei, die daran gescheitert ist. Wenn eine Partei die Sperrklausel nicht überwindet, bleiben die für sie abgegebenen Stimmen nach § 3 Abs. 1 Satz 1 LWahlG bei der Zuteilung der Mandate unberücksichtigt. Die 5%-Klausel nimmt diesen Stimmen insoweit ihren Erfolgswert

(so auch VerfGH Saarland, Urteil vom 29. September 2011 - Lv 4/11 -, NVwZ-RR 2012, 169 ff., Juris Rn. 200).

83

Zugleich wird durch die 5%-Klausel das Recht der Parteien auf Chancengleichheit berührt. Denn nach Art. 10 Abs. 2 Satz 2 LV in Verbindung mit § 1 Abs. 1 Satz 1 LWahlG werden von einer festen Zahl von 69 Sitzen – vorbehaltlich der sich aus dem Gesetz ergebenden Abweichungen – 34 nach dem Zweitstimmenergebnis proportional auf die Parteien verteilt, die die Sperrklausel überwunden haben. So verfügen die im Landtag vertretenen Parteien über mehr Sitze als es ihrem Anteil an der Gesamtstimmenzahl entspricht, während die Parteien, die an der 5%-Klausel scheitern, nicht an der Sitzverteilung teilnehmen

(so auch VerfGH Saarland, Urteil vom 29. September 2011, a.a.O., Juris Rn. 201).

84

c) Die Wahlgleichheit unterliegt ebenso wie der Grundsatz der Chancengleichheit der politischen Parteien keinem absoluten Differenzierungsverbot. Allerdings folgt aus dem formalen Charakter der Wahlgleichheit, dass dem Gesetzgeber bei der Ordnung des Wahlrechts nur ein eng bemessener Spielraum für Differenzierungen bleibt. Es geht um die Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts in formal möglichst gleicher Weise

(BVerfG, Urteile vom 23. Januar 1957 - 2 BvE 2/56 -, BVerfGE 6, 84 ff., Juris Rn. 25 f., und vom 3. Juli 2008 - 2 BvC 1/07 u.a. -, BVerfGE 121, 266 ff., Juris Rn. 97, stRspr.).

85

Differenzierungen der Wahlgleichheit bedürfen zu ihrer Rechtfertigung stets eines besonderen, sachlich legitimierten, „zwingenden“ Grundes. Mit diesem Begriff ist nicht gemeint, dass sich die Differenzierung von Verfassungs wegen als notwendig darstellen muss. Differenzierungen im Wahlrecht können vielmehr auch durch Gründe gerechtfertigt werden, die durch die Verfassung legitimiert und von einem Gewicht sind, das der Wahlgleichheit die Waage halten kann

(Urteil vom 30. August 2010, Rn. 142 ff., a.a.O., Juris Rn.148 ff.; so auch: BVerfG, Urteile vom 13. Februar 2008, a.a.O., Juris Rn. 108 f. und vom 9. November 2011, a.a.O., Juris Rn. 87; LVerfG Hamburg, Urteil vom 15. Januar 2013, a.a.O., Juris Rn. 78).

86

Da zwischen der Wahlgleichheit und der Chancengleichheit der Parteien bei Wahlen ein enger Zusammenhang besteht, folgt die verfassungsrechtliche Rechtfertigung von Einschränkungen der Chancengleichheit der Parteien ebenfalls den gleichen Maßstäben

(BVerfG, Urteil vom 9. November 2011, a.a.O., Juris Rn. 86 m.w.N.).

87

Innerhalb dieses engen Gestaltungsspielraums ist es grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, das Gebot der Wahlgleichheit mit anderen verfassungsrechtlich legitimen Zielen zum Ausgleich zu bringen

(Urteil vom 30. August 2010 - LVerfG 1/10 -, Rn. 142, LVerfGE 21, 434 ff. = SchlHA 2010, 276 ff. = NordÖR 2010, 401 ff. = JZ 2011, 254 ff., Juris Rn. 148).

Er hat sich bei der Bewertung, ob ein zwingender Grund von verfassungsrechtlichem Gewicht die Sperrklausel rechtfertigt, nicht an abstrakt konstruierten Fallgestaltungen, sondern an der politischen Wirklichkeit zu orientieren

(vgl. BVerfG, Urteile vom 13. Februar 2008, a.a.O., Juris Rn. 110 und vom 9. November 2011, a.a.O., Juris Rn. 89; LVerfG Hamburg, Urteil vom 15. Januar 2013, a.a.O., Juris Rn. 80).

Er hat zu prüfen und zu beurteilen, ob eine Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der Vertretungsorgane mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist

(vgl. BVerfG, Urteile vom 9. November 2011, a.a.O., Juris Rn. 92 und vom 13. Februar 2008, a.a.O., Juris Rn. 126; LVerfG Hamburg, Urteil vom 15. Januar 2013, a.a.O., Juris Rn. 102).

88

Aufgabe eines Verfassungsgerichts ist es, unter Berücksichtigung aller tatsächlichen Gegebenheiten zu prüfen, ob die Grenzen des gesetzgeberischen Ermessens bezüglich der Regelung eines Quorums überschritten sind

(vgl. BVerfG, Urteil vom 11. August 1954 - 2 BvK 2/54 -, BVerfGE 4, 31ff., Juris Rn. 36).

Das Schleswig-Holsteinische Landesverfassungsgericht prüft daher lediglich, ob bei der Abwägung des Gesetzgebers und der ihr zugrundeliegenden Prognose die verfassungsrechtlichen Grenzen eingehalten sind, nicht aber, ob der Gesetzgeber die am meisten zweckmäßige oder eine rechtspolitisch besonders erwünschte Lösung gefunden hat

(vgl. zum entsprechenden Prüfungsumfang des Bundesverfassungsgerichts: Urteil vom 25. Juli 2012 - 2 BvE 9/11 u.a. -, BVerfGE 131, 316 ff., Juris Rn. 63, stRspr.).

89

Sofern eine differenzierende Regelung einen legitimen Zweck verfolgt, kann das Landesverfassungsgericht einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichheit der Wahl nur feststellen, wenn die Regelung zur Erreichung des Zieles nicht geeignet ist oder das Maß des zur Erreichung dieses Zieles Erforderlichen überschreitet

(vgl. Urteil vom 30. August 2010, Rn. 144, a.a.O., Juris Rn. 151; BVerfG, Urteile vom 10. April 1997 - 2 BvC 3/96 -, BVerfGE 95, 408 ff., Rn. 49, und vom 25. Juli 2012, a.a.O., Juris Rn. 63 m.w.N.)

oder im Ergebnis unangemessen die Gleichheit der Wahl beeinträchtigt.

90

d) Nach diesen Maßstäben verletzt die 5%-Klausel nicht die Gleichheit der Wahl und nicht die Chancengleichheit der Parteien.

91

aa) Da die Sperrklausel nicht in der Landesverfassung sondern einfachgesetzlich in § 3 Abs. 1 Satz 1 LWahlG geregelt ist

(vgl. Diskussion des schleswig-holsteinischen Gesetzgebers im Rahmen der Verfassungsreform 1990: Ausschussprotokolle Sonderausschuss „Verfassungs- und Parlamentsreform“, z.B. Sitzung vom 21. April 1989 12/6, S. 18 ff. und vom 2. Juni 1989 12/11, S. 10),

bedarf es hoher Anforderungen an ihre Rechtfertigung. Allein der Umstand, dass die Sperrklausel keinen unmittelbaren Verfassungsrang hat, macht sie jedoch nicht verfassungswidrig.

92

bb) Verfassungsrechtlich legitimierte Gründe, die der Wahlgleichheit die Waage halten können, sind die Funktionsfähigkeit des Landtages und die Integrationsfunktion der Parteien.

93

(1) Die Arbeits- und Funktionsfähigkeit des Parlaments ist im Zusammenhang mit der 5%-Sperrklausel als Differenzierungsgrund bei Landtags- und Bundestagswahlen anerkannt. Dies ist begründet durch die Sorge, dass das Parlament aufgrund einer Zersplitterung der vertretenen Kräfte funktionsunfähig wird, insbesondere nicht mehr in der Lage ist, aus sich heraus stabile Mehrheiten zu bilden und eine aktionsfähige Regierung zu schaffen

(Urteil vom 30. August 2010, Rn. 151, a.a.O., Juris Rn. 158; vgl. auch BVerfG, Urteile vom 5. April 1952 - 2 BvH 1/52 -, BVerfGE 1, 208 ff., Juris Rn. 127 f.; vom 11. August 1954, a.a.O., Juris Rn. 36 f.; vom 23. Januar 1957 - 2 BvE 2/56 -, BVerfGE 6, 84 ff., Juris Rn. 28; vom 29. September 1990 - 2 BvE 1/90 u.a. -, BVerfGE 82, 322 ff., Juris Rn. 45; vom 10. April 1997 - 2 BvC 3/96 -, BVerfGE 95, 408 ff., Juris Rn. 52 ff., und vom 13. Februar 2008 - 2 BvK 1/07 -, BVerfGE 120, 82 ff., Juris Rn. 121; VerfGH Bayern, Entscheidung vom 18. Juli 2006 - Vf.9-VII-04 -, VerfGHE BY 59, 125 ff., Juris Rn. 24; VerfGH Berlin, Beschluss vom 17. März 1997 - 82/95 -, LVerfGE 6, 28 ff., Juris Rn. 10; StGH Bremen, Urteil vom 29. August 2000 – St 4/99 -, StGHE BR 6, 253 ff., Juris Rn. 55; StGH Niedersachsen, Beschluss vom 15. April 2010- 2/09, StGH 2/09 -, NdsVBl 2011, 77 f., Juris Rn. 25; VerfGH Saarland, Urteil vom 22. März 2012 - Lv 3/12 -, LKRZ 2012, 209 ff., Juris Rn. 36 ff.; OVG Schleswig, Beschluss vom 25. September 2002 - 2 K 2/01 -, SchlHA 2003, 19 ff. = NVwZ-RR 2003, 161 ff. = NordÖR 2003, 61 ff. = JZ 2003, 519 ff., Juris Rn. 47, 50; Caspar, in: Caspar/ Ewer/ Nolte/ Waack , Verfassung des Landes Schleswig-Holstein, Kommentar, 2006, Art. 3 Rn. 41).

94

Diese Einschätzung ist bundesdeutsche Verfassungstradition im Bund und in allen Ländern. Bei den Wahlen zum Deutschen Bundestag und zu acht der sechzehn Landtage in der Bundesrepublik Deutschland gilt die Sperrklausel auch, ohne in der Verfassung verankert zu sein

(§ 6 Abs. 3 Satz 1 BWahlG; § 3 Abs. 1 Brandenburgisches Landeswahlgesetz; § 5 Abs. 2 Gesetz über die Wahl zur Hamburgischen Bürgerschaft; § 4 Abs. 1 Landeswahlgesetz Mecklenburg-Vorpommern; § 33 Abs. 2 Landeswahlgesetz Nordrhein-Westfalen; § 38 Abs. 1 Saarländisches Landtagswahlgesetz; § 6 Abs. 1 Sächsisches Wahlgesetz; § 35 Abs. 3 Wahlgesetz des Landes Sachsen-Anhalt und § 3 Abs. 1 Landeswahlgesetz Schleswig-Holstein).

In den anderen acht Ländern ist die Sperrklausel durch die Verfassung ausdrücklich vorgeschrieben

(Art. 14 Abs. 4 Verfassung des Freistaats Bayern; Art. 39 Abs. 2 Verfassung von Berlin; Art. 75 Abs. 3 Landesverfassung der Freien Hansestadt Bremen; Art. 8 Abs. 3 Niedersächsische Verfassung und Art. 49 Abs. 2 Verfassung des Freistaats Thüringen)

oder zugelassen

(Art. 28 Abs. 3 Verfassung des Landes Baden-Württemberg; Art. 75 Abs. 3 Verfassung des Landes Hessen und Art. 80 Abs. 4 Verfassung für Rheinland-Pfalz).

95

Ihre Zulässigkeit für den Deutschen Bundestag und die Landtage ist bisher durch die Verfassungsgerichte bestätigt worden

(BVerfG, Urteile vom 29. September 1990 - 2 BvE 1/90 u.a. -, BVerfGE 82, 322 ff., Juris Rn. 46, und vom 10. April 1997 - 2 BvC 3/96 -, BVerfGE 95, 408 ff., Juris Rn. 53 ff.; VerfGH Bayern, Entscheidung vom 18. Juli 2006 - Vf.9-VII-04 -, a.a.O., Juris Rn. 24 f.; VerfGH Berlin, Beschluss vom 17. März 1997 - 82/95 -, a.a.O., Juris Rn. 11 ff.; StGH Bremen, Urteil vom 29. August 2000 - St 4/99 -, a.a.O., Juris Rn. 54 ff.; StGH Niedersachsen, Beschluss vom 15. April 2010, a.a.O., Juris Rn. 25; VerfGH Saarland, Urteile vom 22. März 2012 - Lv 3/12 -, a.a.O., Juris Rn. 36 ff., und vom 18. März 2013 - Lv 12/12 -, U.A. S. 7 ff.).

96

Die Sperrklausel kann auch in Schleswig-Holstein weiterhin gelten. Denn die Annahme des Gesetzgebers ist hinreichend plausibel, dass die Funktionsfähigkeit des Parlaments nur gewährleistet ist, wenn durch stabile Mehrheiten die Regierungsbildung, Gesetzgebung und Aufstellung des Haushalts sichergestellt sind. Ohne Sperrklausel wäre zwar ein genaueres Abbild des Wählervotums im Parlament gegeben, es zögen aber mit größerer Wahrscheinlichkeit partikulare Interessen und nur einzelne Programmpunkte vertretende kleine Parteien in den Landtag ein. Bei einer Aufsplitterung der im Parlament vertretenen Kräfte wäre es hinreichend wahrscheinlich, dass die Handlungs- und Funktionsfähigkeit beeinträchtigt würde, weil stabile Mehrheiten, die kontinuierliches Arbeiten ermöglichen, nicht gewährleistet wären. Dadurch könnte die Demokratie gefährdet werden, in der Meinungen und Willensäußerungen des Volkes nicht nur zum Ausdruck kommen, sondern auch in staatliches Handeln umgesetzt werden müssen.

97

Soweit dagegen angeführt wird, auch unter Einbeziehung von Kleinstparteien sei eine effektive Staatstätigkeit – ggf. mit stets wechselnden Mehrheiten – möglich, trifft dies auf den Landtag nicht zu. Insbesondere bei der Bildung und Tätigkeit der Regierung, die das dauernde Vertrauen des Landtages benötigt (Art. 35, 36 LV), und bei der Haushaltswirtschaft kommt es darauf an, dass sich im Landtag längerfristig verlässliche Mehrheiten mit einem kohärenten Programm bilden können. Auch aus diesem Grund ist eine fünfjährige Wahlperiode festgesetzt (Art. 13 Abs. 1 Satz 1 LV).

98

Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und von Landesverfassungsgerichten aus jüngerer Zeit, wonach die Sperrklauseln bei Kommunalwahlen

(vgl. BVerfG, Urteil vom 13. Februar 2008 - 2 BvK 1/07 -, BVerfGE 120, 82 ff. zu Kommunalwahlen in Schleswig-Holstein; StGH Bremen, Urteil vom 14. Mai 2009 - St 2/08 - zur Sperrklausel in Bremerhaven, NordÖR 2009, 251 ff.; VerfGH Thüringen, Urteil vom 11. April 2008 - 22/05 - zu Kommunalwahlen in Thüringen, NVwZ-RR 2009, 1 ff. und LVerfG Hamburg, Urteil vom 15. Januar 2013 - HVerfG 2/11 - zur Wahl zu den Bezirksversammlungen, NordÖR 2013, 304 ff.)

und bei der Wahl der deutschen Abgeordneten zum Europäischen Parlament

(BVerfG, Urteil vom 9. November 2011 - 2 BvC 4/10 u.a. -, BVerfGE 129, 300 ff.)

für verfassungswidrig erklärt worden sind, ist nicht auf das Landtagswahlrecht übertragbar. Denn sowohl bei Europawahlen als auch bei Kommunalwahlen besteht eine andere Interessenlage als bei Landtagswahlen. Die auf europäischer und kommunaler Ebene gewählten Vertretungen haben anders als der Landtag, der die Ministerpräsidentin oder den Ministerpräsidenten zu wählen hat (vgl. Art. 26 Abs. 2 LV) und für die Gesetzgebung zuständig ist (vgl. Art. 37 Abs. 2 LV), keine vergleichbare Kreations- und Gesetzgebungsfunktion

(so auch Morlok/ Kühr, JuS 2012, 385 <391>).

99

Dem Bestreben, die Funktionsfähigkeit des Parlaments zu sichern, kann nicht entgegengehalten werden, die Gesetzgebungstätigkeit des Landtages sei von minderer Bedeutung

(so aber Wenner, Sperrklauseln im Wahlrecht der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt am Main, Bern, New York 1986, S. 282 f.).

Die demokratisch gebundene und rechtsstaatlich verfasste Staatsgewalt der Länder wird in Art. 28 Abs. 1, Art. 30, 51, 70, 83, 92 und 109 GG ausdrücklich hervorgehoben. Die Gesetzgebung des Landes zum Beispiel im Haushaltsrecht, im Kommunalrecht, im Polizei- und Ordnungsrecht sowie im Schul- und Hochschulrecht ist notwendig, um die Aufrechterhaltung des Gliedstaates Schleswig-Holstein und der Bundesrepublik Deutschland zu sichern.

100

Das Bundesverfassungsgericht hat demgegenüber für die Wahl zum Europäischen Parlament herausgestellt, es fehle an zwingenden Gründen, in die Wahl- und Chancengleichheit durch Sperrklauseln einzugreifen, weil das Europäische Parlament keine Unionsregierung wähle, die auf fortlaufende Unterstützung angewiesen wäre; ebenso wenig seien die Gesetzgebung der Union und die Informations- und Kontrollrechte des Parlaments von einer gleichbleibenden Mehrheit im Europäischen Parlament abhängig

(BVerfG, Urteil vom 9. November 2011, a.a.O., Juris Rn. 118).

101

Bezogen auf die Kommunalwahlen in Schleswig-Holstein hat das Bundesverfassungsgericht die 5%-Klausel für verfassungswidrig erklärt, weil diese nicht zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Gemeindevertretungen und Kreistage erforderlich sei. Denn diese übten anders als staatliche Parlamente keine Gesetzgebungstätigkeit aus, für die klare Mehrheiten zur Sicherung einer politisch aktionsfähigen Regierung unentbehrlich seien. Die kommunalen Vertretungsorgane hätten auch keine Kreationsfunktion für ein der Regierung vergleichbares Organ und schließlich unterlägen ihre Entscheidungen der Rechtsaufsicht

(BVerfG, Urteil vom 13. Februar 2008, a.a.O., Juris Rn. 123).

102

Beide Entscheidungen sind nicht unumstritten und zwar einerseits im Hinblick auf die wichtigen Funktionen des Europäischen Parlaments gerade nach dem Vertrag von Lissabon

(vgl. BVerfG, Urteil vom 9. November 2011, a.a.O., abweichende Meinung, Juris Rn. 147 ff.; Schönberger, JZ 2012, 80 ff.; Geerlings/ Hamacher, DÖV 2012, 671 <675 ff.>)

und andererseits auf kommunaler Ebene hinsichtlich der Gefahr der Zersplitterung, die eine gemeinwohlverträgliche Arbeit der kommunalen Volksvertretung etwa im Zusammenhang mit dem Erlass der Haushaltssatzung, der Grundlage gemeindlicher Politik, gefährden könnte

(vgl. Theis, KommJur 2010, 168 <169 ff.>).

103

(2) Legitimer Zweck der 5%-Klausel ist zudem die Sicherung des Charakters der Wahl als eines Integrationsvorgangs bei der politischen Willensbildung des Volkes

(vgl. BVerfG, Urteil vom 10. April 1997 - 2 BvC 3/96 -, BVerfGE 95, 408 ff., Juris Rn. 44, 53),

um der Parteienzersplitterung vorzubeugen und funktionsfähige Verfassungsorgane bilden zu können

(vgl. Schreiber, Bundeswahlgesetz, 8. Aufl. 2009, § 6 Rn. 35; § 20 Rn. 8).

Insoweit wird die Integrationsfunktion der Parteien unterstützt, die durch die Sperrklausel angehalten werden sollen, Interessen und politische Strömungen zu bündeln und zu strukturieren.

104

cc) § 3 Abs. 1 Satz 1 LWahlG ist auch verhältnismäßig.

105

(1) Die 5%-Klausel ist geeignet, die mit ihr verfolgten legitimen Zwecke zu fördern, indem sie den vermehrten Einzug kleinerer und nicht auf stärkere Zustimmung angelegter Parteien in den Landtag verhindert.

106

(2) Die bisherige Einschätzung des Landtages, die 5%-Klausel sei auch in Zukunft erforderlich, um einer zu erwartenden Funktionsstörung des Landtages entgegenzuwirken, ist derzeit nicht zu beanstanden. Einerseits ist es neuen Parteien – etwa der Partei DIE LINKE in der 17. Wahlperiode und den PIRATEN in der 18. Wahlperiode – trotz der 5%-Klausel gelungen, in den Landtag einzuziehen. Andererseits hat die Hürde verhindert, dass daneben weitere kleinere Parteien mit einem oder zwei Sitzen in den Landtag eingezogen wären und zu einer Zersplitterung beigetragen hätten.

107

Die Einführung einer zweiten Listenstimme im Sinne einer Ersatz- bzw. Eventualstimme, die nur dann zu berücksichtigen wäre, wenn die mit der Hauptstimme gewählte Partei unter der 5%-Klausel bliebe

(vgl. Linck, DÖV 1984, 884 ff.; Wenner, a.a.O., S. 412 ff.),

ist kein gleich geeignetes milderes Mittel. Denn dieses Modell bedeutete eine Änderung des Konzepts des geltenden Wahlsystems der personalisierten Verhältniswahl durch Verstärkung der Erfolgschancen der großen Parteien.

108

Es unterliegt vielmehr dem Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers, ob zur Zweckerreichung eine 5%-Klausel, eine niedrigere Sperrklausel oder aber andere Milderungsmaßnahmen in Betracht kommen

(so auch Linck, a.a.O., S. 884 und von Arnim, DÖV 2012, 224 <225>, die die Verfassungsmäßigkeit der 5%-Klausel nicht bezweifeln und Milderungsmaßnahmen dem politischen Ermessen zuschreiben).

109

(3) Die Sperrklausel ist auch angemessen. Das Bundesverfassungsgericht als Landesverfassungsgericht für Schleswig-Holstein hat eine Sperrklausel von 7,5% als unangemessen und eine Sperrklausel von 5% als angemessen angesehen

(vgl. BVerfG, Urteil vom 5. April 1952 - 2 BvH 1/52 -, BVerfGE 1, 208 ff., Juris Rn. 152 ff.)

und diese Auffassung auch für den Deutschen Bundestag vertreten

(vgl. BVerfG, Urteil vom 10. April 1997, a.a.O., Juris Rn. 54).

Das erkennende Gericht hält an dieser Auffassung für den jetzigen Zeitpunkt fest. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits die Notwendigkeit aufgezeigt, die Sperrklausel in der jeweiligen politischen Situation zu bewerten, als es ausgeführt hat, es müssten „ganz besondere, zwingende Gründe gegeben sein, um eine Erhöhung des Quorums über den gemeindeutschen Satz von 5% zu rechtfertigen“

(vgl. BVerfG, Urteil vom 5. April 1952, a.a.O., Juris Rn. 153).

110

Der Gesetzgeber ist daher verpflichtet, die politische Wirklichkeit zu beobachten und unter Berücksichtigung der rechtlichen und tatsächlichen Gegebenheiten die Bedingungen und Gründe für die Aufrechterhaltung der bestehenden und nicht explizit in der Verfassung verankerten 5%-Hürde zu überprüfen; er hat eine die Gleichheit der Wahl berührende Norm des Wahlrechts gegebenenfalls zu ändern, wenn die verfassungsrechtliche Rechtfertigung dieser Norm durch neue Entwicklungen in Frage gestellt wird, etwa durch eine Änderung der vorausgesetzten tatsächlichen oder normativen Grundlagen oder dadurch, dass sich die beim Erlass der Norm hinsichtlich ihrer Auswirkungen angestellte Prognose als irrig erwiesen hat

(BVerfG, Urteile vom 9. November 2011 - 2 BvC 4/10 u.a. -, BVerfGE 129, 300 ff., Juris Rn. 90 und vom 25. Juli 2012 - 2 BvE 9/11 u.a. -, BVerfGE 131, 316 ff., Juris Rn. 64 m.w.N.).

Der Prüfpflicht kommt der Schleswig-Holsteinische Landtag auf Gesetzesinitiative der PIRATEN zur Abschaffung der 5%-Klausel (vgl. Landtags-Drucksache 18/385) derzeit nach, obwohl er noch im Rahmen der Novellierung des Kommunalwahlrechts im Jahre 2008 die 5%-Klausel bei Landtagswahlen bewusst unangetastet gelassen hatte (vgl. Landtags-Drucksache 16/1879, PlPr 16/79 vom 27. Februar 2008, S. 5736 ff.).

111

Da das Wahlrecht und der politische Prozess in einem Wechselverhältnis stehen, ist die Erforderlichkeit und Angemessenheit einer Sperrklausel einer empirischen Überprüfung allein mit den Mitteln der politischen Wissenschaften oder der Mathematik nicht zugänglich. Die Ergebnisse vergangener Wahlen ermöglichen keine gesicherte Aussage über den Ausgang zukünftiger Wahlen. Das geltende Wahlrecht wirkt auf die Wahlergebnisse und das Wahlverhalten zurück. Insoweit bleibt die Entscheidung über die Aufrechterhaltung einer Sperrklausel eine wertende Prognoseentscheidung.

112

dd) Nichts anderes ergibt sich für die Auslegung des schleswig-holsteinischen Verfassungsrechts unter Berücksichtigung von Art. 3 des Ersten Zusatzprotokolls zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK, BGBl 1956 II S. 1880), der das Recht auf freie Wahlen garantiert, und von Art. 25 des Pakts über bürgerliche und politische Rechte (BGBl II 1973 S. 1534), der das Recht gewährt, ohne Unterschied bei gleichen Wahlen zu wählen und gewählt zu werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gelten die Menschenrechtsübereinkommen im Range einfachen Bundesrechts. Sie sind bei der Interpretation des nationalen Rechts – auch der Grundrechte und rechtsstaatlichen Garantien – als Auslegungshilfen zu berücksichtigen. Dabei sind die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte besonders zu berücksichtigen

(vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Oktober 2004 - 2 BvR 1481/04 -, BVerfGE 111, 307 ff., Juris Rn. 30, 38).

113

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in mehreren Entscheidungen einen weiten Spielraum der nationalen Wahlgesetzgebung anerkannt und unter anderem Sperrklauseln von 10% in der Türkei, 6% in Spanien und 5% in Lettland als vereinbar mit Art. 3 des Ersten Zusatzprotokolls zur EMRK angesehen

(vgl. EGMR, Urteil vom 8. Juli 2008 - 10226/03 -, Yumak und Sadak ./. Türkei -, NVwZ-RR 2010, 81 ff.; EGMR, Entscheidung vom 7. Juni 2001 - 56618/00 -, Federación Nacionalista Canaria ./. Spanien, Reports of Judgments and Decisions 2001-VI, 433 <443>; EGMR, Entscheidung vom 29. November 2007 - 10547/07 u.a. -, Partija „Jaunie Demokrati“ u. Partija „Musu Zeme ./. Lettland, http://www.hudoc.echr.coe.int., unter „EN DROIT“ A.2 b>).

Dabei wurden jedenfalls keine strengeren Maßstäbe an die Rechtfertigung von Sperrklauseln angelegt als nach dem deutschen Verfassungsrecht.

114

2. Die Befreiung der Parteien der dänischen Minderheit von der 5%-Klausel (§ 3 Abs. 1 Satz 2 LWahlG) verstößt nicht gegen Art. 2a LV in Verbindung mit Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG.Ungeachtet der Frage, ob Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG im Zusammenhang mit Landtagswahlen Anwendung findet, oder die Wahlrechtsgleichheit demgegenüber lex specialis ist

(vgl. Becker, Die wahlrechtliche Privilegierung von Parteien der dänischen Minderheit in Schleswig-Holstein <§ 3 Abs. 1 Satz 2 LWahlG>, Gesetzliche Voraussetzungen und verfassungsrechtliche Rechtfertigung, Dänischenhagen 2013, S. 43),

ist die Norm schon tatbestandlich nicht einschlägig. Nach Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG darf niemand wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Die Zugehörigkeit zu einer Minderheit im vorliegenden Kontext folgt jedoch weder aus der Abstammung oder Herkunft einer Person, noch aus ihrer politischen Anschauung, sondern allein aus dem freien Bekenntnis zur Minderheit

(vgl. Riedinger, in: Caspar/ Ewer/ Nolte/ Waack , Verfassung des Landes Schleswig-Holstein, 2006, Art. 5 Rn. 10).

Letzteres ist kein verbotenes Differenzierungskriterium im Sinne von Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG.

115

3. § 3 Abs. 1 Satz 2 LWahlG als Rückausnahme von der Einschränkung der Berücksichtigung aller Stimmen bei der Mandatsverteilung berührt zwar die Wahlrechtsgleichheit in ihrer Ausprägung als Erfolgswertgleichheit und die Chancengleichheit der Parteien (a). Die Regelung ist jedoch durch zwingende Gründe gerechtfertigt (b).

116

a) Die Zweitstimme derjenigen Wählerinnen und Wähler, die eine Partei der dänischen Minderheit wählen, die im Ergebnis die Sperrklausel nicht erreicht, hat einen höheren Erfolgswert als eine Stimme, die für eine andere Partei abgegeben wurde, die die Sperrklausel ebenfalls nicht erreicht. Die für eine Partei der dänischen Minderheit abgegebene Zweitstimme wird in jedem Fall berücksichtigt, wenn die Partei so viele Stimmen erzielt, dass ihr bei der Sitzverteilung ein Mandat zugerechnet werden kann. Die Zweitstimme dieser Wählerinnen und Wähler wird mit den Stimmen gleich behandelt, die für die Parteien abgegeben werden, die die Sperrklausel überwinden.

117

Auch für eine Rückausnahme, das heißt für eine Ausnahme von einem zulässigen Quorum, gelten die oben unter C.II.1.c) (Rn. 84 ff.) beschriebenen Grundsätze der Zulässigkeit von Differenzierungen bei Vorliegen von Gründen, die durch die Verfassung legitimiert sind. Bei der Prüfung der Zulässigkeit der Rückausnahme ist der Kontext der Sperrklausel und ihrer Rechtfertigung zu berücksichtigen.

118

Das Bundesverfassungsgericht hat zur schleswig-holsteinischen Regelung entschieden, dass es dem Gesetzgeber freisteht, von einem zulässigen Quorum Ausnahmen zu machen, wenn ein zureichender Grund dafür gegeben ist

(BVerfG, Urteil vom 11. August 1954 - 2 BvK 2/54 -, BVerfGE 4, 31 ff., Juris Rn. 37).

Innerhalb des Quorums ist es dem Gesetzgeber überlassen, wie weit er die Möglichkeit zur Differenzierung ausschöpft

(BVerfG, Urteil vom 10. April 1997 - 2 BvC 3/96 -, BVerfGE 95, 408 ff., Juris Rn. 47 ff.).

119

Dabei ist die konkrete politische Situation zu beachten, zu der die Existenz von nationalen Minderheiten und ihre regionale Verteilung gehören

(BVerfG, Urteile vom 5. April 1952 - 2 BvH 1/52 -, BVerfGE 1, 208 ff., Juris Rn. 146, 158 und vom 23. Januar 1957 - 2 BvE 2/56 -, BVerfGE 6, 84 ff., Juris Rn. 34).

120

Auch in anderen Zusammenhängen hat das Bundesverfassungsgericht Ausnahmen von einer unterschiedslos für das Wahlgebiet geltenden Sperrklausel gefordert oder gebilligt. So hat es bei der ersten gesamtdeutschen Wahl nach der Wiedervereinigung gefordert, dass der Gesetzgeber berücksichtigt, dass besondere Umstände ein Quorum unzulässig werden lassen können. Regelungen, mit denen der Gesetzgeber an einer Sperrklausel festhält, aber ihre Auswirkungen mildert, müssen ihrerseits mit der Verfassung vereinbar sein und den Grundsätzen der Wahlrechtsgleichheit genügen

(BVerfG, Urteil vom 29. September 1990 - 2 BvE 1/90 u.a. -, BVerfGE 82, 322 ff., Leitsatz 2b).

121

Die Grundmandatsklausel bei der Wahl zum Deutschen Bundestag, nach der eine Partei auch dann am Verhältnisausgleich teilnimmt, wenn sie in drei Wahlkreisen ein Direktmandat errungen hat (§ 6 Abs. 3 Satz 1 BWahlG = § 6 Abs. 6 Satz 1 BWahlG a.F.), hat das Bundesverfassungsgericht als zulässige Ausnahme vom Quorum angesehen. Eine entsprechende Regelung ist – für den Erwerb eines Direktmandats – auch im schleswig-holsteinischen Wahlrecht in § 3 Abs. 1 Satz 1 LWahlG enthalten. Das Bundesverfassungsgericht hat ausgeführt, dass der Zugang zum Sitzverteilungsverfahren auch von mehreren alternativen Hürden abhängig gemacht werden darf, soweit dadurch keine höhere Sperrwirkung als durch eine 5%-Klausel erzeugt wird. Eine weitere Zugangsmöglichkeit nimmt den durch eine Sperrklausel bewirkten Eingriff in die Wahlgleichheit teilweise zurück und schwächt dessen Intensität ab. Die weitere Differenzierung bewirkt eine neue Ungleichheit und bedarf daher ihrerseits rechtfertigender Gründe. Dabei kann allerdings die Abmilderung der Intensität der Sperrklausel in Rechnung gestellt werden

(BVerfG, Urteil vom 10. April 1997 - 2 BvC 3/96 -, BVerfGE 95, 408 ff., Juris Rn 45 f.).

122

Davon ausgehend bestehen an die Rechtfertigung von Ausnahmen von der Sperrklausel zumindest keine höheren Anforderungen als an die Rechtfertigung der Sperrklausel selbst. Die Ausnahme kann vielmehr dazu beitragen, die Legitimation der Sperrklausel selbst zu sichern, indem sie Wirkungen der Sperrklausel abmildert, durch welche die Integrationsfunktion der Wahl oder andere Verfassungswerte gefährdet werden

(vgl. zur Milderung der Auswirkungen der 5%-Klausel auf Bundesebene: BVerfG, Urteil vom 29. September 1990, Juris Rn. 68 ff.).

123

Zudem ist die Rückausnahme für die Parteien der dänischen Minderheit jedenfalls durch zwingende Gründe gerechtfertigt, die in der Landesverfassung von Schleswig-Holstein verankert sind.

124

b) Die Regelung zugunsten von Parteien der dänischen Minderheit – derzeit des SSW – ist durch die Schutzpflicht des Landes für die politische Mitwirkung der nationalen dänischen Minderheit nach Art. 5 Abs. 2 LV legitimiert (aa-bb) und verstößt nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (cc).

125

aa) Art. 5 Abs. 2 Satz 1 LV stellt die politische Mitwirkung nationaler Minderheiten unter den Schutz des Landes, der Gemeinden und Gemeindeverbände. Der nationalen dänischen Minderheit und der friesischen Volksgruppe wird der Schutz der politischen Mitwirkung, der ihnen schon nach Art. 5 Abs. 2 Satz 1 LV zusteht, durch Art. 5 Abs. 2 Satz 2 LV ausdrücklich als „Anspruch auf Schutz“ und zudem als „Anspruch auf Förderung“ zugebilligt.

126

Die politische Mitwirkung der nationalen dänischen Minderheit ist ein Verfassungsgut von hohem Rang, dessen Schutz und Förderung dem Land aufgegeben ist. Es ist insofern geeignet, den die Sperrklausel begründenden Erwägungen sowie dem Anspruch konkurrierender Parteien auf Gleichbehandlung die Waage zu halten und als hinreichender und zwingender Grund für eine Rückausnahme anerkannt zu werden. Ob es sich im Übrigen bei Art. 5 Abs. 2 Satz 2 LV um eine nur objektiv-rechtliche Staatszielbestimmung handelt

(so Riedinger, in: Caspar/ Ewer/ Nolte/ Waack , Verfassung des Landes Schleswig-Holstein, 2006, Art. 5 Rn. 19; Wuttke, Verfassungsrecht, in: Schmalz/ Ewer/ von Mutius/ Schmidt-Jortzig, Staats- und Verwaltungsrecht für Schleswig-Holstein, 2002, Rn. 28),

oder ob sich aus dem Wortlaut („Anspruch“) auch ein subjektives Recht der Gruppe oder von Einzelnen ergibt

(so Köster, Der Minderheitenschutz nach der schleswig-holsteinischen Landesverfassung, Bredstedt 2009, S. 156 ff. m.w.N.),

kann hier offen bleiben.

127

Im Sinne des Wahlrechts „zwingende“ Gründe sind nicht nur Gründe, die zu mathematisch unausweichlichen Unschärfen führen, sondern auch Differenzierungen, die von Verfassungs wegen zwangsläufig oder notwendig sind, weil eine Kollision mit Grundrechten oder anderen Wahlrechtsgrundsätzen vorliegt, oder solche, die sonst durch die Verfassung legitimiert und von so einem Gewicht sind, dass sie der Wahlgleichheit die Waage halten können, wie etwa die vormals in der Schleswig-Holsteinischen Verfassung vorgegebene Regelgröße des Parlaments von 69 Abgeordneten

(Urteil vom 30. August 2010 - LVerfG 1/10 -, Rn. 143, LVerfGE 21, 434 ff. = SchlHA 2010, 276 ff. = NordÖR 2010, 401 ff. = JZ 2011, 254 ff., Juris Rn. 150).

128

Sinn und Zweck des Art. 5 Abs. 2 Satz 2 LV ist die verfassungsrechtliche Verankerung der Mitwirkung und Integration der dänischen Minderheit nach dem im Jahre 1990 – bei Schaffung von Art. 5 Abs. 2 LV – vorgefundenen und erprobten Konzept des Wahlrechts. Die bereits seit 1955 geltende Regelung in § 3 Abs. 1 Satz 2 LWahlG hat dazu geführt, dass der SSW seitdem in sämtlichen Legislaturperioden im Landtag vertreten war.

129

Diese beiden Regelungen zunächst im einfachen Wahlrecht und später auch im Verfassungsrecht waren eine Reaktion darauf, dass eine politische Mitwirkung der Minderheit durch die Sperrklausel erschwert bzw. unmöglich war. Denn bei der Landtagswahl vom 12. September 1954 hatte der SSW weder die 5%-Hürde übersprungen noch ein Direktmandat erzielt

(vgl. Bekanntmachung des Landeswahlleiters über das endgültige Ergebnis der Wahl zum Schleswig-Holsteinischen Landtag am 12. September 1954 vom 23. September 1954, ABl Nr. 40 S. 398 <401 f.>).

130

Aus den Materialien zu Art. 5 Abs. 2 LV ergibt sich, dass die in Absatz 2 Satz 1 geregelte Schutzbestimmung zugunsten der kulturellen Eigenständigkeit und zugunsten der politischen Mitwirkung speziell für die dänische Minderheit und die friesische Volksgruppe ausdrücklich festgeschrieben und für diese beiden Gruppen zudem ein Grundsatz der Förderung aufgestellt werden sollte. Darin sollte der verfassungspolitische Wille zum Ausdruck kommen, die historischen Gegebenheiten und die faktische Situation im Lande zu berücksichtigen

(Bericht und Beschlussempfehlung des Sonderausschusses zur Beratung des Schlussberichts der Enquete-Kommission „Verfassungs- und Parlamentsreform“ vom 28. November 1989, Landtags-Drucksache 12/620 (neu), S. 34).

131

Aus den Protokollen des Sonderausschusses „Verfassungs- und Parlamentsreform“ geht hervor, dass zunächst daran gedacht worden war, die Befreiung von der 5%-Klausel für Parteien der dänischen Minderheit in die Verfassung aufzunehmen, letztlich aber davon Abstand genommen wurde, weil die Sperrklausel selbst nicht in der Verfassung verankert ist (vgl. SoAVP 12/6 vom 21. April 1989, S. 19). Ausdrücklich wurden aber Schutz und Förderung der politischen Mitwirkung der Minderheit aufgenommen (vgl. SoAVP 12/11 vom 2. Juni 1989, S. 10).

132

Der Zweck der effektiven Integration der dänischen Minderheit in das Staatsvolk kann rechtfertigen, dass die Wahlrechtsgleichheit berührt wird. Denn der Charakter der Wahl als eines Integrationsvorgangs bei der politischen Willensbildung wird gesichert, wenn die Regelungen des Wahlrechts die parlamentarische Repräsentanz der politisch bedeutsamen Strömungen im Wahlvolk ermöglichen

(vgl. Pieroth, Der Begriff der Partei der dänischen Minderheit und die Verfassungsmäßigkeit ihrer Privilegierung im Schleswig-Holsteinischen Landeswahlrecht, Landtags-Umdruck 15/634, S. 35 unter Bezugnahme auf BVerfG, Urteil vom 10. April 1997, - 2 BvC 3/96 -, BVerfGE 95, 408 ff., Juris Rn. 55).

133

So hat das Bundesverfassungsgericht die wahlrechtliche Sonderregelung als gerechtfertigt angesehen, weil sie der nationalen Minderheit zur Vertretung ihrer spezifischen Belange die Tribüne des Parlaments eröffnet, wenn sie nur die für ein Mandat erforderliche Stimmenzahl aufbringt

(vgl. BVerfG, Urteil vom 23. Januar 1957 - 2 BvE 2/56 -, BVerfGE 6, 84 ff., Juris Rn. 34).

134

bb) Dieses Verständnis von Art. 5 Abs. 2 LV wird durch die Einbindung Schleswig-Holsteins in die Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland verstärkt. Art. 5 Abs. 2 LV ist im Lichte der völkerrechtlichen Bindungen des Bundes durch die Bonn-Kopenhagener Erklärungen vom 29. März 1955 und des Rahmenübereinkommens des Europarats vom 1. Februar 1995 zum Schutz nationaler Minderheiten (BGBl 1997 II S. 1406 ff. im Folgenden: Rahmenübereinkommen) auszulegen. Denn das Land Schleswig-Holstein ist ein Gliedstaat der Bundesrepublik Deutschland (Art. 1 LV), der zur Bundestreue verpflichtet ist. Die Bundestreue besagt, dass im deutschen Bundesstaat das gesamte verfassungsrechtliche Verhältnis zwischen dem Gesamtstaat und seinen Gliedern sowie das verfassungsrechtliche Verhältnis zwischen den Gliedern durch den ungeschriebenen Verfassungsgrundsatz von der wechselseitigen Pflicht des Bundes und der Länder zu bundesfreundlichem Verhalten beherrscht ist

(vgl. BVerfG, Urteil vom 28. Februar 1961 - 2 BvG 1/60 u.a. -, BVerfGE 12, 205 ff., Juris Rn. 173).

135

Die Bonn-Kopenhagener Erklärungen haben nach der gleichzeitigen Bekanntmachung der Ergebnisse der deutsch-dänischen Besprechungen durch das Auswärtige Amt zum Inhalt, dass die Sperrklausel nicht zum Hindernis der politischen Mitwirkung der Minderheit werden darf (vgl. Bundesanzeiger Nr. 63 vom 31. März 1955, S. 4).

136

Die Bonn-Kopenhagener Erklärungen sind keine völkerrechtlichen Verträge sondern von zwei Regierungen abgegebene einseitige Willenserklärungen

(vgl. Kühn, Privilegierung nationaler Minderheiten im Wahlrecht der Bundesrepublik Deutschland und Schleswig-Holsteins, Frankfurt am Main 1991, S. 284),

die den auswärtigen Beziehungen des Bundes zuzurechnen sind. Solche Erklärungen können Bindungswirkung entfalten, wenn sie öffentlich und mit dem Willen zur Bindung abgegeben worden sind

(vgl. IGH , I.C.J. Reports 1974, 457 <472 f.>).

Eine solche Bindungswirkung ist nach dem Wortlaut der Erklärungen anzunehmen, zumal sich beide Regierungen bei ihrer Abgabe auf ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen aus dem Gebot des Minderheitenschutzes nach Art. 14 EMRK (BGBl 1952 II S. 690) berufen haben. Das Land Schleswig-Holstein ist indirekt daran beteiligt gewesen und aufgrund des Grundsatzes der Bundestreue weiterhin daran gebunden.

137

Der Bundesgesetzgeber hat den Inhalt der Bonn-Kopenhagener Erklärungen in die geltenden Verpflichtungen eingeordnet und sich fortdauernd gebunden. Die bereits seit dem Bundeswahlgesetz von 1953 bestehende Ausnahme von der Sperrklausel für Parteien nationaler Minderheiten, die aus außenpolitischen Erwägungen im Zusammenhang mit der dänischen Minderheit in Südschleswig eingeführt worden war

(vgl. Schreiber, Bundeswahlgesetz, Kommentar, 8. Aufl. 2008, § 6 Rn. 47),

besteht seitdem unverändert und wurde zuletzt in der Fassung des Bundeswahlgesetzes vom 3. Mai 2013 (BGBl I S. 1082) in § 6 Abs. 3 Satz 2 BWahlG beibehalten.

138

Auch die Bundesregierung fühlt sich den Bonn-Kopenhagener Erklärungen weiterhin verpflichtet. Die Bonner Erklärung vom 29. März 1955 sowie die Kieler Erklärung vom 26. September 1949 sind im Jahre 1997 in der Denkschrift der Bundesregierung zum Rahmenübereinkommen des Europarats vom 1. Februar 1995 zum Schutz nationaler Minderheiten ausdrücklich in Bezug genommen worden (vgl. Bundestags-Drucksache 13/6912, S. 21 ff.).

139

Nach Art. 4 Abs. 2 des Rahmenübereinkommens haben sich die Vertragsparteien verpflichtet, erforderlichenfalls angemessene Maßnahmen zu ergreifen, um in allen Bereichen des wirtschaftlichen, sozialen, politischen und kulturellen Lebens die vollständige und tatsächliche Gleichheit zwischen den Angehörigen einer nationalen Minderheit und den Angehörigen der Mehrheit zu fördern und in dieser Hinsicht in gebührender Weise die besonderen Bedingungen der Angehörigen nationaler Minderheiten zu berücksichtigen. Das Rahmenübereinkommen ist als internationaler Vertrag ein rechtsverbindliches Instrument

(vgl. Klebes, EuGRZ 1995, 262 <264>),

das als Bundesrecht unmittelbar gilt

(vgl. Achter Bericht der Bundesregierung über ihre Menschenrechtspolitik in den auswärtigen Beziehungen und in anderen Politikbereichen vom 16. Juli 2008, Bundestags-Drucksache 16/10037, S. 79 f.).

140

Nach Art. 1 des Rahmenübereinkommens und seinen Begründungserwägungen ist der Schutz nationaler Minderheiten Bestandteil des internationalen Menschenrechtsschutzes. Das Rahmenübereinkommen ist, nicht anders als die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, bei der Auslegung nationalen Rechts, auch nationalen Verfassungsrechts, zu berücksichtigen (vgl. oben unter C.II.1.d>dd> ).

141

Das Rahmenübereinkommen wurde im Hinblick auf die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten und der Protokolle dazu abgeschlossen. Insoweit ist das Rahmenübereinkommen auch zur Interpretation des Art. 3 des Ersten Zusatzprotokolls zur EMRK (BGBl 1956 II S. 1879), der das Recht auf freie Wahlen garantiert, heranzuziehen. Da die Bundesregierung und die Dänische Regierung bereits die Bonn-Kopenhagener Erklärungen in den Kontext der in Art. 14 EMRK enthaltenen Verpflichtung zur Nichtdiskriminierung nationaler Minderheiten gestellt haben, haben sie insoweit auch eine Abwägung auf Ebene der Menschenrechte vorgenommen.

142

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat zuletzt in einer Entscheidung zum rumänischen Wahlrecht keine Bedenken gegen eine Berücksichtigung nationaler Minderheiten im Wahlrecht erkennen lassen und ausgeführt, dass diese in mehreren europäischen Ländern praktiziert wird

(vgl. EGMR, Urteil vom 2. März 2010 - 78039/01 -, Grosaru ./. Rumänien, unter www.echr.coe.int/hudoc).

143

Auch wenn die in dem Abkommen festgelegten Grundsätze keine unmittelbar geltenden Rechtssätze, sondern Handlungsaufträge für die Unterzeichnerstaaten sind (vgl. Art. 19 des Rahmenübereinkommens), bestätigen sie doch, dass Minderheitenschutz nicht auf die Gewährung formaler Gleichheit beschränkt ist, sondern ausgleichende und fördernde Maßnahmen einschließt

(ebenso VerfG Brandenburg, Urteil vom 18. Juni 1998 - 27/97 -, LVerfGE 8, 97 ff., Juris Rn. 120).

Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und insbesondere Satz 2 LV entsprechen diesem Auftrag.

144

Ein Beispiel für die Umsetzung der Verpflichtungen aus dem Rahmenübereinkommen und die Bindung an die Bonn-Kopenhagener Erklärungen liefert die Antwort der Bundesregierung vom 14. Februar 2008 auf eine Kleine Anfrage zur finanziellen Unterstützung für den Bund Deutscher Nordschleswiger. Darin teilt die Bundesregierung unter anderem unter Bezugnahme auf Art. 4 Abs. 2 des Rahmenübereinkommens mit, dass die finanzielle Förderung der deutschen Volksgruppe in Nordschleswig/ Dänemark auf Grundlage der Bonn-Kopenhagener Erklärungen erfolge (vgl. Bundestags-Drucksache 16/8093, S. 2).

145

In der laufenden Wahlperiode hat sich die Bundesregierung erneut ausdrücklich zu den Bonn-Kopenhagener Erklärungen bekannt (Staatsministerin im Auswärtigen Amt Pieper am 7. Juli 2010, Bundestags-PlPr 17/54, S. 5537 f.).

146

cc) Die Regelung durch § 3 Abs. 1 Satz 2 LWahlG ist auch verhältnismäßig.

147

Das Gericht prüft neben der Frage, ob die differenzierende Regelung an einem Ziel orientiert ist, das der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Wahlrechts verfolgen darf, lediglich, ob die Regelung zur Erreichung dieses Zieles geeignet ist, nicht das Maß des Erforderlichen überschreitet und angemessen ist; denn es ist grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, verfassungsrechtlich legitime Ziele wie die Belange der Funktionsfähigkeit des Parlaments, das Anliegen weitgehender integrativer Repräsentanz und die Gebote der Wahlrechtsgleichheit sowie der Chancengleichheit der politischen Parteien zum Ausgleich zu bringen

(vgl. BVerfG, Urteil vom 10. April 1997 - 2 BvC 3/96 -, BVerfGE 95, 408 ff., Juris Rn. 49 m.w.N.).

148

Mit welcher Regelung der Verfassungsauftrag erfüllt wird, ist vom Gesetzgeber einzuschätzen. Er hat auch die Pflicht zu beobachten, wie sich die Regelung auswirkt, ob sie im Kontext der wahlrechtlichen Regelungen und der tatsächlichen Verhältnisse geeignet ist, ihren Zweck zu erfüllen, und ob zugleich andere Grundsätze des Wahlrechts nicht unangemessen beeinträchtigt werden (siehe oben C.II.1.c> entsprechend zur Sperrklausel). Angesichts des Einschätzungsspielraums des Gesetzgebers und der von ihm zu wählenden Gesamtsystematik des Wahlrechts kann das Gericht nicht seine eigene Einschätzung von einer zweckmäßigeren Lösung an dessen Stelle setzen, sondern hat nur zu kontrollieren, ob entweder die politische Mitwirkung der Minderheit nicht mehr hinreichend geschützt wird oder ob die dazu genutzte Regelung außer Verhältnis zur Beeinträchtigung anderer Wahlrechtsgrundsätze steht.

149

(1) Die Regelung ist geeignet, den angestrebten Zweck zu erfüllen. Sie hat seit ihrem Bestehen die politische Mitwirkung der dänischen Minderheit gesichert.

150

(2) Sie ist auch erforderlich. Ein anderes gleich geeignetes Mittel ist in der gegebenen Systematik des Wahlrechts nicht ersichtlich. Die gegenwärtige Regelung verwirklicht den in Art. 3 und 10 LV enthaltenen Grundsatz der Erfolgswertgleichheit der Verhältniswahl und hebt nur dessen Einschränkung durch die nicht in der Verfassung geregelte Sperrklausel auf. Die Regelung sichert den Parteien der Minderheit die Möglichkeit, auch unter den Bedingungen eines regional und personell beschränkten Aktionsradius für ihre Anschauungen zu werben und stärkere Zustimmung zu ihrer Politik auch in entsprechende Mandate umzusetzen, ohne dass sie dafür die 5%-Klausel überwinden müssen. Diese Möglichkeit würde durch eine Beschränkung der Befreiung auf ein Mandat verkürzt. Eine solche würde die politische Mitwirkung der Minderheit nicht in gleichem Maße schützen und fördern wie die jetzige Regelung, bei der die Zahl der Abgeordneten vom Zuspruch bei den Wahlen abhängt.

151

Die Beschränkung auf ein Mandat würde zudem die Repräsentanz einer Partei der Minderheit in der arbeitsteiligen Parlamentsarbeit, insbesondere in den Ausschüssen des Landtages, einschränken. Die Möglichkeit, Einfluss auf Regierungsbildung, Gesetzgebung und Haushalt zu nehmen und Wahlkreisarbeit zu leisten, wäre geringer. Außerdem könnte eine Partei bei einer stark verminderten Chance, ein zweites oder drittes Mandat zu erringen, die Wählerinnen und Wähler der Minderheit weniger gut durch ein zum Beispiel nach politischen Strömungen innerhalb der Minderheit, Regionen oder Geschlechtern ausgewogenes Personalangebot ansprechen, sondern wäre darauf verwiesen, sich durch eine Person repräsentieren zu lassen. Die Beschränkung der Befreiung auf ein Mandat würde das dem jetzigen Wahlrecht zu Grunde liegende Konzept von Schutz und Förderung politischer Mitwirkung der Minderheit nicht mehr ausfüllen. Entsprechend kann das Gericht es nicht als gleich geeignetes „milderes Mittel“ zum Schutz und zur Förderung der politischen Mitwirkung der Minderheit ansehen. Ob und in welcher Form ein solches anderes Wahlrecht das Verfassungsgebot von Art. 5 Abs. 2 LV erfüllen würde, war hier nicht zu entscheiden.

152

Die Beschränkung der Befreiung von der 5%-Klausel auf ein Siedlungsgebiet der Minderheit wäre ebenfalls kein gleich geeignetes Mittel, um einer auf das ganze Land bezogenen Minderheitenposition gerecht zu werden. Da der Landtag auf das gesamte Gebiet des Landes hin ausgerichtet und insoweit verantwortlich ist, ist das Vorhandensein einer originären dänischen Minderheit in Südschleswig maßgeblicher Anknüpfungspunkt für die Entscheidung des Landesgesetzgebers, alle Teile des Landes bei der Wahl zum Landtag in die Sonderregelung einzubeziehen

(so auch BVerfG, Beschluss vom 14. Februar 2005 - 2 BvL 1/05 - als obiter dictum, SchlHA 2005, 128 ff. = NVwZ 2005, 568 ff. = NordÖR 2005, 106 ff. = BVerfGK 5, 96 ff., Juris Rn. 40).

153

Wollte man eine Ausnahme von der Sperrklausel für Parteien der dänischen Minderheit auf den nördlichen Teil des Landes beschränken, forderte man ein anderes Wahlsystem

(vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Februar 2005, a.a.O., Juris Rn. 41; Pieroth, Der Begriff der Partei der dänischen Minderheit und die Verfassungsmäßigkeit ihrer Privilegierung im Schleswig-Holsteinischen Landeswahlrecht, Landtags-Umdruck 15/634, S. 39),

dessen Einführung allein dem Gesetzgeber obläge. Im Übrigen wird auch im Bundeswahlrecht die Befreiung von der 5%-Klausel für Parteien nationaler Minderheiten nicht auf deren Siedlungsgebiet beschränkt (vgl. § 6 Abs. 3 Satz 2 BWahlG).

154

(3) § 3 Abs. 1 Satz 2 LWahlG ist auch angemessen im Verhältnis zur Beeinträchtigung der Erfolgswertgleichheit anderer kleiner Parteien im Vergleich zu den Parteien der dänischen Minderheit. Während für die Befreiung der Minderheitenparteien Gründe von Verfassungsrang aus Art. 5 Abs. 2 LV sprechen, unterliegen die anderen kleinen Parteien der legitimen Beschränkung durch die Sperrklausel, haben aber als (potenziell) landes- und bundesweit tätige und auf die deutsche Mehrheitsgesellschaft bezogene Parteien die jeweils gleiche Chance, diese Hürde zu überschreiten.

155

Die Angemessenheit der Sonderregelung könnte dann entfallen, wenn eine Partei der dänischen Minderheit durch Regelungen im Wahlrecht oder Veränderungen der politischen Wirklichkeit keinen Nachteil mehr hätte, der ausgeglichen werden müsste.

156

Dass der SSW in den letzten Jahrzehnten seinen Stimmenanteil bei Landtagswahlen steigern konnte und dass möglicherweise ein Teil der für ihn abgegebenen Stimmen von Personen kam, die sich nicht oder nicht fest der dänischen Minderheit zurechnen, spricht nicht gegen die Angemessenheit der geltenden Regelung. Der SSW ist seit 1955 bisher landesweit immer unter 5% der Stimmen geblieben. Bei insgesamt beweglicherem Wahlverhalten mag die Bereitschaft in der Wählerschaft steigen, einer Partei der dänischen Minderheit die Stimme zu geben. An der im Vergleich zu anderen Parteien regionalen und personellen Einschränkung ändert sich dadurch nichts.

157

Es wird weiterhin diskutiert, ob die durch das Zweistimmenwahlrecht notwendig eingetretene Wählbarkeit des SSW im ganzen Land die Angemessenheit der geltenden Regelung beeinflusst. Der durch das Einstimmenwahlrecht vor 1997 bestehende Nachteil als Partei einer Minderheit, die nur in den Wahlkreisen ihres Tätigkeitsgebiets wählbar war, besteht nicht mehr in gleicher Weise. Die durch die im ganzen Land wählbare Liste entstandenen Chancen haben diesen Nachteil abgemildert, aber nicht entfallen lassen. Der SSW ist als eine Partei der dänischen Minderheit weiterhin nach Satzung, Parteiorganisation, Teilnahme an der Kommunalpolitik und Wahlkreiskandidaturen nur in Südschleswig und auf Helgoland vertreten. Der SSW kandidiert direkt nur in elf von 35 Wahlkreisen, in acht von diesen erzielt er mehr als 5% der Zweitstimmen. Die meisten seiner Zweitstimmen erzielt er in diesem Gebiet

(vgl. Bekanntmachung der Landeswahlleiterin vom 18. Mai 2012, ABl Nr. 23 S. 499 ff., Übersichten 3 und 4).

158

Soweit das Zweistimmenwahlrecht als Problem für eine möglichst schonende Regelung zum Minderheitenschutz im Wahlrecht angesehen wird, ist im Übrigen anzumerken, dass das Zweistimmenwahlrecht zwar trotz der mit ihm verbundenen Gefahr von Überhang- und Ausgleichsmandaten eine legitime Gestaltung des Wahlrechts ist, das Zweistimmenwahlrecht aber anders als der Minderheitenschutz keinen Verfassungsrang hat. Angesichts des Stellenwertes des Minderheitenschutzes in der Schleswig-Holsteinischen Verfassung ist diese Folge des Zweistimmenwahlrechts hinzunehmen, solange ein solches Wahlrecht besteht.

159

Eine Änderung in der politischen Wirklichkeit, die eine veränderte Beurteilung auslösen könnte, würde eintreten, wenn eine Partei der dänischen Minderheit durch innere Verknüpfung mit regional und politisch in der Mehrheitsgesellschaft verankerten Strömungen den durch die Sperrklausel entstehenden Nachteil so ausgleichen könnte, dass es einer wahlrechtlichen Regelung nicht mehr bedürfte. Dies wäre möglich, wenn eine Partei der dänischen Minderheit neben ihrer Verankerung in der Minderheit regional und politisch gleichermaßen in der Mehrheit verankert und an sie adressiert wäre, zum Beispiel durch den Aufbau einer über die Minderheit hinausweisenden Parteiorganisation und durch entsprechende Kandidaturen in den Wahlkreisen des ganzen Landes.

III.

160

Das Verfahren ist kostenfrei (§ 33 Abs. 1 LVerfGG). Auslagen werden nicht erstattet (vgl. § 33 Abs. 4 LVerfGG). Eine Entscheidung über die Vollstreckung entfällt (§ 34 LVerfGG).

IV.

161

Das Urteil ist hinsichtlich des Tenors und der Gründe zu C.II.3. mit 4:3 Stimmen und im Übrigen einstimmig ergangen.

Abweichende Meinung

Sondervotum der Richter Brock und Brüning und der Richterin Hillmann
gemäß § 28 Abs. 2 Satz 2 LVerfGG
zum Urteil des Landesverfassungsgerichts vom 13. September 2013

- LVerfG 9/12 -

1

Wir können die Entscheidung hinsichtlich des Tenors und hinsichtlich der Gründe insoweit nicht mittragen, als die Befreiung der Parteien der dänischen Minderheit von der 5%-Klausel (§ 3 Abs. 1 Satz 2 LWahlG) für verfassungsrechtlich gerechtfertigt angesehen wird. Das Gericht erkennt zutreffend, dass das Minderheitenprivileg für den SSW als Rückausnahme von der 5%-Klausel an denselben Maßstäben zu messen ist wie diese. In der Rechtsprechung des Gerichts wird die Bedeutung der Wahlgleichheit für die parlamentarische Demokratie in besonderem Maße hervorgehoben. Bei Anwendung dieser Maßstäbe kommt man unserer Ansicht nach jedoch zu dem Ergebnis, dass die vollständige Befreiung des SSW von der Sperrklausel für die Sicherstellung der politischen Mitwirkung der dänischen Minderheit im Schleswig-Holsteinischen Landtag das Maß des zur Erreichung dieses Zieles Erforderlichen überschreitet und die Gleichheit der Wahl unangemessen beeinträchtigt.

2

Der Grundsatz der Gleichheit der Wahl sichert die vom Demokratieprinzip vorausgesetzte Egalität der Staatsbürgerinnen und Staatsbürger und ist heute im Sinne einer strengen und formalen Gleichheit zu verstehen

(Urteil vom 30. August 2010 - LVerfG 1/10 -, Rn. 91, LVerfGE 21, 434 ff. = SchlHA 2010, 276 ff. = NordÖR 2010, 401 ff. = JZ 2011, 254 ff., Juris Rn. 96).

3

Nicht zuletzt durch Art. 10 Abs. 2 Satz 2 LV werden der Grundsatz der Wahlgleichheit aus Art. 3 Abs. 1 LV gewahrt und gestärkt sowie der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Wahlsystems insoweit verfassungsfest gebunden, als er der Wahlgleichheit „bestmöglich“ genügen muss

(Urteil vom 30. August 2010 - LVerfG 1/10 -, Rn. 124, a.a.O., Juris Rn. 129).

4

Das aus der Wahlgleichheit entwickelte Kriterium der Erfolgswertgleichheit beinhaltet zwar kein absolutes Differenzierungsverbot, belässt dem Gesetzgeber bei der Ordnung des jeweiligen Wahlsystems aber nur einen eng bemessenen Gestaltungsspielraum. Die Wahlgleichheit hat strikt formalen Charakter; sie ist einer „flexiblen“ Auslegung nicht zugänglich

(Urteil vom 30. August 2010 - LVerfG 1/10 -, Rn. 125, a.a.O., Juris Rn. 130).

5

Innerhalb dieses engen Gestaltungsspielraums ist es grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, das Gebot der Wahlrechtsgleichheit mit anderen, verfassungsrechtlich legitimen Zielen zum Ausgleich zu bringen. Differenzierungen in der Erfolgswertgleichheit sind aber nur zulässig, wenn hierfür ein zwingender Grund vorliegt

(Urteil vom 30. August 2010 - LVerfG 1/10 -, Rn. 142, a.a.O., Juris Rn. 148).

6

„Zwingend“ sind Differenzierungen, die von Verfassungs wegen zwangsläufig oder notwendig sind, weil eine Kollision mit Grundrechten oder anderen Wahlrechtsgrundsätzen vorliegt, oder solche Differenzierungen, die sonst durch die Verfassung legitimiert und von so einem Gewicht sind, dass sie der Wahlgleichheit die Waage halten können

(Urteil vom 30. August 2010 - LVerfG 1/10 -, Rn. 143, a.a.O., Juris Rn. 150).

7

Solche differenzierende Regelungen müssen zur Verfolgung ihrer Zwecke geeignet und erforderlich sein. In welchem Ausmaß sie noch zulässig sind, richtet sich auch nach der Intensität des Eingriffs in das Wahlrecht. Bei der Einschätzung und Bewertung differenzierender Wahlrechtsbestimmungen hat sich der Gesetzgeber an der politischen Wirklichkeit zu orientieren

(Urteil vom 30. August 2010 - LVerfG 1/10 -, Rn. 144, a.a.O., Juris Rn. 151).

8

Gemessen daran ist die in § 3 Abs. 1 Satz 1 LWahlG geregelte 5%-Klausel gerechtfertigt; insoweit kann auf die zutreffenden Gründe aus der Entscheidung Bezug genommen werden.

9

Für die Rückausnahme des § 3 Abs. 1 Satz 2 LWahlG gelten dieselben Maßstäbe, schon weil sie ihrerseits zu einer weiteren Ungleichbehandlung führt im Verhältnis der Parteien der dänischen Minderheit zu anderen – kleinen – Parteien, die das 5%-Quorum nicht erreichen. Auch die Befreiung des SSW von der Sperrklausel bedarf daher eines durch die Verfassung legitimierten, zwingenden Grundes, muss zur Erreichung des verfolgten Zieles geeignet sein, darf das Maß des zur Erreichung dieses Zieles Erforderlichen nicht überschreiten und muss angemessen sein. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber durch die streitbefangene Befreiung von der Sperrklausel deren Auswirkungen – anders als im Falle einer Grundmandatsklausel oder einer regionalisierten 5%-Hürde – nur für bestimmte Minderheits-, nicht aber für alle Parteien gleichermaßen abmildert.

10

Die dänische Minderheit hat nach Art. 5 Abs. 2 Satz 2 LV Anspruch auf Schutz und Förderung. In Verbindung mit Satz 1 ist davon auch die politische Mitwirkung dieser nationalen Minderheit erfasst. Ob hieraus – auch unter Berücksichtigung völkerrechtlicher Verpflichtungen der Bundesrepublik – ein Anspruch auf politische Repräsentation abzuleiten ist, die das Wahlgesetz nicht allen in dieser Vorschrift genannten Minderheiten gewährt, kann offen bleiben. Denn jedenfalls kann der hiermit verfassungsrechtlich verankerte Minderheitenschutz ein hinreichender Rechtfertigungsgrund für eine Differenzierung und den damit verbundenen Eingriff in die Gleichheit der Wahl sein. Diesbezüglich kann auf die zutreffenden Gründe der Entscheidung Bezug genommen werden.

11

Die vollständige Befreiung der Parteien der dänischen Minderheit, das heißt des SSW, von der 5%-Hürde ist aber durch den Minderheitenschutz in seiner Form des Anspruchs auf politische Repräsentation nicht gerechtfertigt. Denn insofern stehen ebenso geeignete, jedoch mildere Mittel zur Verfügung. Jedenfalls ist die Bestimmung des § 3 Abs. 1 Satz 2 LWahlG unangemessen.

12

Je umfangreicher eine Rückausnahme erfolgt, desto stärker ist die damit verbundene Ungleichbehandlung gegenüber anderen kleinen Parteien. Die vollständige Rückausnahme der Parteien der dänischen Minderheit von der Sperrklausel ist daher ein stärkerer Eingriff in die Erfolgswertgleichheit als eine partielle Befreiung, etwa durch Beschränkung der Befreiung auf ein Mandat. Die Sicherstellung der politischen Repräsentation wird schon mit einem Mandat erreicht. Das Argument, die Beschränkung auf ein Mandat würde die politische Mitwirkung der Minderheit nicht in gleichem Maße schützen und fördern und etwa zu einer geringeren Mitwirkung in den Ausschüssen führen, trägt nicht. Zwingend ist der Minderheitenschutz als legitimer Grund für einen Eingriff in die Wahlgleichheit nur insoweit, als die Repräsentation der Minderheit überhaupt sichergestellt, ihr also ein politisches „Sprachrohr“ gegeben wird. Auch bei nur einem Sitz erhält die nationale Minderheit jedoch diese parlamentarische Stimme. Wird der Zuspruch im Wahlvolk größer, greift einerseits die Grundmandatsklausel mit anschließendem Verhältnisausgleich und andererseits – unabhängig davon – der Verhältnisausgleich bei Erreichen des Quorums. Im Übrigen wird eine Integration der Minderheit in die Gesellschaft des Landes durch mehr Abgeordnete im Landtag ohnehin nicht stärker befördert.

13

Der Regelungsgehalt der Landesverfassung, hier Art. 5 Abs. 2 LV, ist so offen, dass daraus keine verlässlichen Rückschlüsse auf die konkrete Ausgestaltung des Wahlrechts gezogen werden können. Hätte der Verfassungsgeber eine wahlrechtliche Privilegierung bestimmter einzelner nationaler Minderheiten gewollt, hätte er eine entsprechende Regelung in der Landesverfassung treffen können. Dies hat er nicht getan; er gewährleistet vielmehr allgemein „die politische Mitwirkung nationaler Minderheiten und Volksgruppen“. Hieraus lässt sich kein verfassungsrechtlich verankertes Ziel einer möglichst umfangreichen Mitwirkung an der politischen Willensbildung im Lande ableiten. Erst der einfache Wahlgesetzgeber hat nur die Parteien der dänischen Minderheit von der Sperrklausel befreit. Dabei belegt das geltende Wahlrecht selbst, dass es nicht auf größtmögliche Repräsentanz aus Gründen des Minderheitenschutzes angelegt ist. Denn Schutz und Förderung der politischen Mitwirkung der dänischen Minderheit können ohne weiteres vollständig leerlaufen. Wenn nämlich nicht die für ein Mandat erforderliche Stimmenzahl erreicht wird, ist die Partei der dänischen Minderheit gar nicht im Landtag vertreten.

14

Ungeachtet dessen könnte auch eine regionalisierte Sperrklausel für Parteien der dänischen Minderheit in Betracht kommen. Anknüpfungspunkt der Privilegierung des SSW ist ein Umstand, der außerhalb des Wahlvorgangs liegt und der zudem eine räumliche Dimension in Gestalt des angestammten Siedlungsgebiets in Südschleswig hat. Damit geht es nicht nur um eine allgemeine Rückausnahme zur Sperrklausel. Vielmehr werden durch die besondere Befreiung bestimmter Parteien, hier des SSW, neue Ungleichbehandlungen gegenüber anderen kleineren Parteien bewirkt. Diese sind auf ein Mindestmaß zu beschränken. Insofern erschiene es nicht systemwidrig, wenn der Gesetzgeber das wahlvorgangsfremde Merkmal nicht nur privilegierend, sondern auch limitierend bemühte.

15

Selbst wenn man die vollständige Befreiung des SSW von der Sperrklausel mit dem Gericht als erforderlich ansehen wollte, wäre sie nicht angemessen, da sie zu einer Überkompensation führt.

16

Zwar kann einer Partei der dänischen Minderheit der Wahlerfolg ebenso wenig negativ angerechnet werden wie ein in Anspruch genommenes allgemeinpolitisches Mandat oder die Beteiligung an der Landesregierung. Das alles sind Folgen der Teilnahme an Wahlen und der Repräsentanz im Landtag. Die Annahme von Abgeordnetenmandaten zweiter Klasse oder eigener Art verbietet sich mit Blick auf Art. 11 LV. Hier geht es indes um die Vorfrage des Umfangs der Vertretung im Parlament aus Gründen des Minderheitenschutzes. Das geltende Wahlrecht sieht eine allgemeine Sperrklausel vor. Dann durchbricht der Gesetzgeber das von ihm festgelegte System, wenn er den zwingenden Grund für die 5%-Klausel nicht durchhält, sondern es zum Schutz für nationale Minderheiten über das notwendige Maß hinaus aufgibt. Staats- und parteipolitisch betrachtet erschwert auch eine Minderheitenpartei die Regierungs- und Mehrheitsbildung im Parlament.

17

Die dänische Minderheit umfasst laut Angaben des Bundesministeriums des Inneren und der Landesregierung etwa 50.000 Personen

(Broschüre „Nationale Minderheiten, Minderheiten- und Regionalsprachen in Deutschland“, Bundesministerium des Innern , November 2012, S. 12 sowie http://www.schleswig-holstein.de/ Portal/DE/LandLeute/Minderheiten/Daenisch/ daenisch_node.html; abgerufen am 1. August 2013).

Damit ist derzeit von einer relevanten dänischen Minderheit auszugehen. Deswegen kann dahinstehen, wie sich die Zugehörigkeit zur dänischen Minderheit verfassungsrechtlich und einfachgesetzlich im Einzelnen definiert, insbesondere ob das bloße Bekenntnis hierfür ausreicht.

18

Der SSW hat 61.025 Zweitstimmen erhalten und damit 4,6 % aller gültigen Zweitstimmen, hiervon einen erheblichen Anteil in Gebieten außerhalb des Siedlungsgebietes der dänischen Minderheit

(Bekanntmachung der Landeswahlleiterin vom 18. Mai 2012, ABl Nr. 23 S. 499 ff., Übersicht 4).

Zwar verbietet es sich zu erheben, wie viele dieser Wählerinnen und Wähler Angehörige der dänischen Minderheit waren. Es ist aber davon auszugehen, dass nicht alle Angehörigen der dänischen Minderheit wahlberechtigt sind und nicht alle Angehörigen der Minderheit den SSW gewählt haben dürften. Vor diesem Hintergrund lassen die Zahlen und die regionale Verteilung erkennen, dass der SSW erheblichen Zuspruch von Wählerinnen und Wählern gehabt haben muss, die nicht der Minderheit angehören. Diese politische Realität darf das Gericht bei seiner Beurteilung der Verhältnismäßigkeit eines Eingriffs in die Wahlgleichheit aus Gründen des Minderheitenschutzes nicht außer Betracht lassen.

19

Wenn man dem SSW sämtliche sich aus seinem Zweitstimmenergebnis rechnerisch ergebenden Sitze zuteilt, dann profitiert er zu einem großen Teil von seinem allgemeinpolitischen Erfolg, der nicht aus seinem Minderheitenstatus herrührt. Die hiermit, also mit der Zuteilung weiterer, über einen „Sitz für die nationale Minderheit“ hinausgehender Sitze bei einem Wahlergebnis unter 5 % insbesondere gegenüber anderen kleinen Parteien verbundene Vertiefung des Eingriffs in die Gleichheit der Wahl kann vorbehaltlich anderer Instrumente wie etwa einer regionalisierten Sperrklausel nicht mit dem Minderheitenschutz gerechtfertigt werden. Die Integrationskraft von Wahlen bei der politischen Willensbildung des Volkes verlangt eine effektive parlamentarische Repräsentanz der nach dem Wählervotum bedeutsamen politischen Strömungen. Soweit einer nationalen Minderheit der Zugang zum Parlament erleichtert wird, darf dabei nicht die Relation der wahlberechtigten Minderheit zum gesamten Wahlvolk außer Acht gelassen werden.

20

Die zwingende Wählbarkeit der Parteien der dänischen Minderheit, das heißt des SSW, im ganzen Land ist zwar eine (Neben-)Folge der Änderung des Wahlrechts durch Einführung der Zweitstimme. Mit der Zulässigkeit dieser Systementscheidung hat es aber nicht sein Bewenden. Vielmehr ist der Gesetzgeber nach der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung verpflichtet,

eine die Wahlgleichheit und die Chancengleichheit berührende Norm des Wahlrechts zu überprüfen und gegebenenfalls zu ändern, wenn die verfassungsrechtliche Rechtfertigung dieser Norm durch neue Entwicklungen in Frage gestellt wird, etwa durch eine Änderung der vom Gesetzgeber vorausgesetzten tatsächlichen oder normativen Grundlagen oder dadurch, dass sich die beim Erlass der Norm hinsichtlich ihrer Auswirkungen angestellte Prognose als irrig erwiesen hat (...). Für Sperrklauseln im Verhältniswahlrecht bedeutet dies, dass die Vereinbarkeit einer Sperrklausel mit dem Grundsatz der Wahlgleichheit und der Chancengleichheit der politischen Parteien nicht ein für allemal abstrakt beurteilt werden kann. Eine Wahlrechtsbestimmung kann mit Blick auf eine Repräsentativkörperschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt gerechtfertigt sein (...) (und) zu einem anderen Zeitpunkt jedoch nicht (...). Eine einmal als zulässig angesehene Sperrklausel darf daher nicht als für alle Zeiten verfassungsrechtlich unbedenklich eingeschätzt werden. Vielmehr kann sich eine abweichende verfassungsrechtliche Beurteilung ergeben, wenn sich die Verhältnisse wesentlich ändern. Findet der Wahlgesetzgeber in diesem Sinne veränderte Umstände vor, so muss er ihnen Rechnung tragen. Maßgeblich für die Frage der weiteren Beibehaltung der Sperrklausel sind allein die aktuellen Verhältnisse (...)

(BVerfG, Urteil vom 9. November 2011 - 2 BvC 4/10 u.a. -, BVerfGE 129, 300 ff., Juris Rn. 90).

21

Dieser Beobachtungs- und Prüfpflicht ist der Wahlgesetzgeber nicht nachgekommen. Die in Folge der Einführung der Zweitstimme eingetretene Überprivilegierung ist durch das Ziel des Minderheitenschutzes nicht (mehr) gedeckt. Eine Unterstützung durch Wählerinnen und Wähler, die nicht der dänischen Minderheit zuzurechnen sind – die jedoch stattfindet, wie insbesondere das Wahlergebnis des SSW außerhalb von Südschleswig dokumentiert –, erfolgt aus allgemeinpolitischen Motiven und unterliegt damit der allgemeinen Sperrklausel. Allein der Bezug zur nationalen Minderheit rechtfertigt die Ungleichbehandlung des SSW gegenüber Parteien mit geringer Stimmenzahl und Parteien ohne örtliche Schwerpunkte im Zuge des Verhältnisausgleichs. Zugleich wird durch Verbindung der Partei mit einer besonderen Wählergruppe die Zulässigkeit der wahlrechtlichen Ungleichbehandlung begrenzt. Dem Wahlgesetzgeber ist verwehrt, jenseits zwingender Gründe über den Einzug von Parteien in das Parlament zu disponieren.

22

Die Regelung in § 3 Abs. 1 Satz 2 LWahlG verstößt daher in ihrer derzeitigen Fassung gegen Art. 3 Abs. 1 LV. Da die Mehrheit des Gerichts die Regelung für mit der Landesverfassung vereinbar hält, bedarf es vorliegend keiner Entscheidung, welche Rechtsfolge der Verstoß nach sich zöge.

23

Ebenso bedarf die in der mündlichen Verhandlung angesprochene Frage, ob der „Sitz für die nationale Minderheit“ dem SSW stets, also selbst dann zugeteilt werden sollte, wenn die Partei das für ein Mandat erforderliche Zweitstimmenergebnis nicht erreicht, hier keiner Entscheidung. Sie richtet sich in erster Linie an den Gesetzgeber.


(1) Parteien sind Vereinigungen von Bürgern, die dauernd oder für längere Zeit für den Bereich des Bundes oder eines Landes auf die politische Willensbildung Einfluß nehmen und an der Vertretung des Volkes im Deutschen Bundestag oder einem Landtag mitwirken wollen, wenn sie nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse, insbesondere nach Umfang und Festigkeit ihrer Organisation, nach der Zahl ihrer Mitglieder und nach ihrem Hervortreten in der Öffentlichkeit eine ausreichende Gewähr für die Ernsthaftigkeit dieser Zielsetzung bieten. Mitglieder einer Partei können nur natürliche Personen sein.

(2) Eine Vereinigung verliert ihre Rechtsstellung als Partei, wenn sie sechs Jahre lang weder an einer Bundestagswahl noch an einer Landtagswahl mit eigenen Wahlvorschlägen teilgenommen hat. Gleiches gilt, wenn eine Vereinigung sechs Jahre lang entgegen der Pflicht zur öffentlichen Rechenschaftslegung gemäß § 23 keinen Rechenschaftsbericht eingereicht hat; § 19a Absatz 3 Satz 5 gilt entsprechend.

(3) Politische Vereinigungen sind nicht Parteien, wenn

1.
ihre Mitglieder oder die Mitglieder ihres Vorstandes in der Mehrheit Ausländer sind oder
2.
ihr Sitz oder ihre Geschäftsleitung sich außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes befindet.

(1) Wenn ein Träger öffentlicher Gewalt den Parteien Einrichtungen zur Verfügung stellt oder andere öffentliche Leistungen gewährt, sollen alle Parteien gleichbehandelt werden. Der Umfang der Gewährung kann nach der Bedeutung der Parteien bis zu dem für die Erreichung ihres Zweckes erforderlichen Mindestmaß abgestuft werden. Die Bedeutung der Parteien bemißt sich insbesondere auch nach den Ergebnissen vorausgegangener Wahlen zu Volksvertretungen. Für eine Partei, die im Bundestag in Fraktionsstärke vertreten ist, muß der Umfang der Gewährung mindestens halb so groß wie für jede andere Partei sein.

(2) Für die Gewährung öffentlicher Leistungen in Zusammenhang mit einer Wahl gilt Absatz 1 während der Dauer des Wahlkampfes nur für Parteien, die Wahlvorschläge eingereicht haben.

(3) Öffentliche Leistungen nach Absatz 1 können an bestimmte sachliche, von allen Parteien zu erfüllende Voraussetzungen gebunden werden.

(4) Der Vierte Abschnitt bleibt unberührt.

(1) Parteien sind Vereinigungen von Bürgern, die dauernd oder für längere Zeit für den Bereich des Bundes oder eines Landes auf die politische Willensbildung Einfluß nehmen und an der Vertretung des Volkes im Deutschen Bundestag oder einem Landtag mitwirken wollen, wenn sie nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse, insbesondere nach Umfang und Festigkeit ihrer Organisation, nach der Zahl ihrer Mitglieder und nach ihrem Hervortreten in der Öffentlichkeit eine ausreichende Gewähr für die Ernsthaftigkeit dieser Zielsetzung bieten. Mitglieder einer Partei können nur natürliche Personen sein.

(2) Eine Vereinigung verliert ihre Rechtsstellung als Partei, wenn sie sechs Jahre lang weder an einer Bundestagswahl noch an einer Landtagswahl mit eigenen Wahlvorschlägen teilgenommen hat. Gleiches gilt, wenn eine Vereinigung sechs Jahre lang entgegen der Pflicht zur öffentlichen Rechenschaftslegung gemäß § 23 keinen Rechenschaftsbericht eingereicht hat; § 19a Absatz 3 Satz 5 gilt entsprechend.

(3) Politische Vereinigungen sind nicht Parteien, wenn

1.
ihre Mitglieder oder die Mitglieder ihres Vorstandes in der Mehrheit Ausländer sind oder
2.
ihr Sitz oder ihre Geschäftsleitung sich außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes befindet.

Tenor

1. Die Entscheidung des Bundeswahlausschusses vom 4. Juli 2013 wird aufgehoben.

2. Die Beschwerdeführerin wird als wahlvorschlagsberechtigte Partei zur Wahl des 18. Deutschen Bundestages anerkannt.

Gründe

A.

1

Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Ablehnung der Anerkennung als Partei für die Wahl zum 18. Deutschen Bundestag.

2

1. Die im November 2012 in Berlin gegründete Beschwerdeführerin besteht aus 42 Mitgliedern. Sie verfügt über einen Bundesvorstand und sechs Landesverbände. Sie hat eine eigene Internetseite und ist in sozialen Netzwerken aktiv. Die Internetseite der Beschwerdeführerin weist unter der Rubrik Veranstaltungen für den Monat Juni 2013 sieben Informationsveranstaltungen an verschiedenen Orten Deutschlands auf sowie Gründungsveranstaltungen für vier weitere Landesverbände. Es existieren verschiedene Werbematerialien, die nach Angaben der Beschwerdeführerin seit April 2013 verteilt werden.

3

2. Am 3. Mai 2013 zeigte die Beschwerdeführerin dem Bundeswahlleiter erstmals ihre geplante Beteiligung an der Wahl zum 18. Deutschen Bundestag an. Die Beteiligungsanzeige enthielt auf Seite 1 das Logo "Deutsche Nationalversammlung - DNV"; im Text nannte sich die Beschwerdeführerin nur noch "DNV". Artikel 1 der beigefügten Satzung bezeichnete "Deutsche Nationalversammlung (DNV)" als Namen. Die Beteiligungsanzeige war von acht Mitgliedern der Beschwerdeführerin unterschrieben, darunter der Vorstandsvorsitzende, sein Stellvertreter und zwei Beisitzer.

4

3. Der Bundeswahlleiter wies die Beschwerdeführerin im Folgenden auf Formmängel in der Beteiligungsanzeige hin. Die Satzung entspreche nicht den Mindestanforderungen. Eine Namen und Kurzbezeichnung der Beschwerdeführerin ausdrücklich benennende Satzung sei einzureichen. Ferner sei der satzungsgemäße Name in der Beteiligungsanzeige zu nennen. Unter Hinweis auf den Ablauf der Anzeigefrist wurde die Übersendung einer neuen Beteiligungsanzeige verlangt, wiederum unterschrieben von drei Mitgliedern des Vorstands.

5

4. Am Morgen des 17. Juni 2013 ging die angeforderte zweite Beteiligungsanzeige im Original beim Bundeswahlleiter ein. Auf der ersten Seite fand sich unter dem beibehaltenen Logo nunmehr eine Absenderangabe mit dem vollen Namen der Beschwerdeführerin nebst Kurzbezeichnung. Im Text wurde auf den ersten drei Seiten zunächst die Kurzbezeichnung verwendet und im weiteren Text teilweise der volle Name. Die Beteiligungsanzeige war vom Vorstandsvorsitzenden, seinem Stellvertreter und einem Kassenprüfer unterschrieben. Ihr waren unter anderem eine den Anforderungen des Bundeswahlleiters entsprechend geänderte Satzung beigefügt und eine eidesstattliche Versicherung zur Bestätigung des ordnungsgemäßen Ablaufs der Satzungsänderung.

6

5. Der Bundeswahlleiter teilte der Beschwerdeführerin noch am selben Tag um 15.15 Uhr telefonisch mit, dass auf der zweiten Beteiligungsanzeige noch immer der volle Name der Vereinigung fehle und eine erneute Beteiligungsanzeige mit entsprechenden Unterschriften nötig sei. Daraufhin übersandte die Beschwerdeführerin vor 18.00 Uhr eine demgemäß geänderte weitere Beteiligungsanzeige ohne Unterschriften per Email. Ein zugehöriges Original ging jeweils am 96. und 95. Tag vor der Wahl ohne Anlagen beim Bundeswahlleiter ein; das eine war lediglich vom Vorstandsvorsitzenden unterschrieben, das zweite vom Kassenprüfer. Den Eingang dieser Unterlagen bestätigte der Bundeswahlleiter wiederum unter Hinweis auf fehlende Formerfordernisse.

7

6. In der Sitzung vom 4. Juli 2013 stellte der Bundeswahllausschuss nach Anhörung eines Vertreters der Beschwerdeführerin die Nichtanerkennung der Vereinigung als Partei für die Wahl zum 18. Deutschen Bundestag fest. Die Beteiligungsanzeige vom 3. Mai 2013 habe nur die Kurzbezeichnung der Vereinigung enthalten, nicht aber den vollen Namen, der gemäß § 18 Abs. 2 Satz 2 BWG anzugeben sei. Die Verwendung des vollen Namens im Briefkopf sei nicht ausreichend. Die weitere Beteiligungsanzeige vom 17. Juni 2013 sei nicht von drei Mitgliedern des Bundesvorstands unterzeichnet worden, weil eine der drei Unterschriften vom nicht zum Vorstand gehörenden Kassenprüfer geleistet worden sei.

8

7. Hiergegen hat die Beschwerdeführerin am 8. Juli 2013 Nichtanerkennungsbeschwerde erhoben. Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor, eidesstattliche Versicherungen und Beteiligungsanzeige seien als einheitliches Dokument zu betrachten. Somit seien für die Beteiligungsanzeige vom 17. Juni 2013 insgesamt vier Unterschriften zu verzeichnen. Zudem gehe aus der Beteiligungsanzeige ausdrücklich hervor, dass der gesamte Vorstand diese mittrage. Es sei anfangs fehlerhaft davon ausgegangen worden, auch der Kassenprüfer gehöre zum Vorstand. Eine Benachrichtigung, dass dies nicht der Fall sei und dessen Unterschrift nicht gewertet werden könne, sei erst nach dem 17. Juni 2013 erfolgt, so dass eine rechtzeitige Korrektur nicht mehr möglich gewesen sei.

9

8. Der Bundeswahlleiter hat Stellung genommen. Er führt aus, die eidesstattlichen Versicherungen hätten sich gerade nicht auf die Beteiligungsanzeigen bezogen, sondern auf die ordnungsgemäße Durchführung der Satzungsänderung. Folgte man der Argumentation der Beschwerdeführerin, würde die Beifügung jedweder Unterschriften auf Urkunden ohne Zusammenhang zur Beteiligungsanzeige ausreichen. Die Klarstellungs- und Beweisfunktion des Unterschriftenerfordernisses solle aber sicherstellen, dass die Beteiligungsanzeige nicht nur zufällig und auch vom die politische Vereinigung vertretenden Vorstand abgegeben werde. Dies erfordere ferner die das Wahlrecht prägende und in § 54 Abs. 2 BWG zum Ausdruck kommende Formstrenge. Der formelle Mangel sei der Beschwerdeführerin ausweislich des Aktenvermerks umgehend telefonisch mitgeteilt worden.

10

9. Die Beschwerdeführerin trägt ergänzend vor: Nicht nur die eidesstattlichen Versicherungen seien in Zusammenhang mit der Beteiligungsanzeige zu betrachten, auch die verschiedenen Beteiligungsanzeigen seien als eine Erklärung anzusehen. Es handele sich jeweils um Ergänzungen der ersten Anzeige im Sinne des § 18 Abs. 3 Satz 2 BWG. Die Ernsthaftigkeit der Anzeige sei angesichts der vollständigen Unterschriften in der Ausgangsanzeige nicht zu bezweifeln. Aus dem Wortlaut des § 18 Abs. 3 BWG sei ferner nur erkennbar, dass behebbare Mängel zu beseitigen seien, nicht aber das Erfordernis einer erneuten Beteiligungsanzeige. Der Aufforderung zur Mängelbeseitigung sei man mehrfach umgehend nachgekommen. Dass die Beschwerdeführerin vom Bundeswahlleiter hinsichtlich der fehlenden dritten Unterschrift auf der Beteiligungsanzeige vom 17. Juni 2013 im Telefonat vom selben Tage unterrichtet worden sei, sei falsch. In dem Gespräch sei es allein um die Verwendung des vollen Parteinamens gegangen. Die Sachbearbeiterin habe darauf bestanden, eine Beteiligungsanzeige zu erhalten, die den vollen Namen im Einleitungssatz enthalte, obwohl der volle Name im weiteren Fließtext auftauche. Man habe sich angesichts des bevorstehenden Fristablaufs auf die Zusendung einer demgemäß überarbeiteten Beteiligungsanzeige per Email und einer Nachsendung von Originalen mit Unterschriften verständigt. Davon abgesehen sei bereits die zweite Beteiligungsanzeige vom 17. Juni 2013 ausreichend gewesen; die Anhörung vom 4. Juli 2013 habe ergeben, dass Parteilang- und Kurzname im Fließtext verwendet werden durften.

B.

11

Die zulässige Nichtanerkennungsbeschwerde ist begründet. Die Beschwerdeführerin hat ihre Beteiligung an der Wahl wirksam angezeigt (1.). Bei der Beschwerdeführerin handelt es sich um eine wahlvorschlagsberechtigte Partei (2.).

12

1. Die Nichtanerkennung der Beschwerdeführerin gemäß § 18 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BWG wegen Nichterfüllung der formellen Voraussetzungen aus § 18 Abs. 2 BWG widerspricht den wahlrechtlichen Vorschriften. Die erste Beteiligungsanzeige vom 3. Mai 2013 in Verbindung mit den hierzu rechtzeitig nachgereichten Anlagen stellt eine gültige Anzeige im Sinne von § 18 Abs. 3 Satz 4 BWG dar. Die formellen Voraussetzungen des § 18 Abs. 2 BWG waren zum Zeitpunkt des Ablaufs der Anzeigefrist erfüllt.

13

Die gemäß § 18 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 BWG erforderliche Angabe der Parteibezeichnung in der Beteiligungsanzeige hat in erster Linie Informations- und Klarstellungsfunktion hinsichtlich ihres Absenders. Sie bezweckt insbesondere nicht, Verwechslungsgefahren vorzubeugen (vgl. BVerfGE 89, 291 <305, 308>). Demgemäß reicht es aus, wenn die Parteibezeichnung aus der Beteiligungsanzeige klar hervorgeht. Dies war bereits bei der ersten Beteiligungsanzeige vom 3. Mai 2013 der Fall. Sie enthielt ein Logo mit Kurz- und Langnamen der Beschwerdeführerin. Ferner enthielt die Beteiligungsanzeige vom 3. Mai 2013 die erforderlichen persönlichen und handschriftlichen Unterschriften von drei Mitgliedern des Bundesvorstands, darunter die des Bundesvorsitzenden (§ 18 Abs. 2 Satz 3 BWG). Der anfängliche Mangel hinsichtlich der Anlagen wurde vor Ablauf der Ausschlussfrist des § 18 Abs. 2 Satz 1 BWG gemäß § 18 Abs. 3 Satz 2 und 3 BWG behoben. Dass zur Behebung eines formellen Mangels in den Anlagen eine erneute Beteiligungsanzeige erforderlich wäre, ergibt sich weder aus dem Gesetzeswortlaut noch aus der besonderen Formstrenge in Wahlverfahren.

14

2. Die Beschwerdeführerin ist entsprechend § 18 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BWG als wahlvorschlagsberechtigte Partei für die Wahl zum 18. Deutschen Bundestag anzuerkennen.

15

a) Parteien sind Vereinigungen von Bürgern, die dauernd oder für längere Zeit für den Bereich des Bundes oder eines Landes auf die politische Willensbildung Einfluss nehmen und an der Vertretung des Volkes im Deutschen Bundestag oder einem Landtag mitwirken wollen, wenn sie nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse, insbesondere nach Umfang und Festigkeit ihrer Organisation, nach der Zahl ihrer Mitglieder und nach ihrem Hervortreten in der Öffentlichkeit eine ausreichende Gewähr für die Ernsthaftigkeit dieser Zielsetzung bieten (§ 2 Abs. 1 Satz 1 PartG). Das Bundesverfassungsgericht geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass der Gesetzgeber den Parteienbegriff des Art. 21 Abs. 1 GG durch diese Legaldefinition in verfassungsmäßiger Weise konkretisiert hat (vgl. BVerfGE 89, 266 <269 f.> m.N.). Sie ist danach auch für die im vorliegenden Verfahren zu entscheidende Frage maßgeblich, ob die Beschwerdeführerin eine Partei ist. § 2 PartG muss allerdings im Lichte des Art. 21 Abs. 1 GG ausgelegt und angewendet werden (vgl. BVerfGE 89, 266 <270>).

16

Parteien müssen auch in der Gründungsphase mindestens ansatzweise in der Lage sein, die ihnen nach § 2 Abs. 1 Satz 1 PartG in Übereinstimmung mit dem Grundgesetz zugedachten Aufgaben wirksam zu erfüllen. Allein der Wille "Partei" zu sein, ist nicht ausreichend. Im Blick auf die bei der Zulassung zur Wahl zu stellenden Anforderungen hat der Senat festgestellt, sie sollten gewährleisten, dass sich nur ernsthafte politische Vereinigungen und keine Zufallsbildungen von kurzer Lebensdauer um Wähler bewerben (vgl. BVerfGE 89, 266 <270>). Daraus folgt im vorliegenden Zusammenhang, dass es gewisser objektiver, im Ablauf der Zeit an Gewicht gewinnender Voraussetzungen bedarf, um einer politischen Vereinigung den Status einer Partei zuerkennen zu können.

17

Wegen der den Parteien um der Offenheit des politischen Prozesses willen verfassungsrechtlich verbürgten Gründungsfreiheit ist bei politischen Vereinigungen, die am Beginn ihres Wirkens als Parteien stehen, zu berücksichtigen, dass der Aufbau einer Organisation, die sie zur Wahrnehmung ihrer Funktionen befähigt, eine gewisse Zeit erfordert. Entscheidend ist das "Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse". Die in § 2 Abs. 1 Satz 1 PartG angesprochenen, nicht trennscharf voneinander abzugrenzenden objektiven Merkmale - deren Aufzählung nicht erschöpfend ist (vgl. BVerfGE 89, 266 <270>), denen regelmäßig aber ein großes Gewicht zukommt (vgl. BVerfGE 89, 291 <306>) - sind Indizien für die Ernsthaftigkeit der politischen Zielsetzung. Keines ist für sich genommen ausschlaggebend, und nicht alle müssen von der Partei stets im gleichen Umfang erfüllt werden. Vielmehr bleibt es der Partei grundsätzlich überlassen, wie sie die Ernsthaftigkeit ihrer Zielsetzung unter Beweis stellt. Ihr ist es unbenommen, in ihrer politischen Arbeit Schwerpunkte zu setzen, sei es etwa im Bereich der Mitgliederwerbung und -aktivierung, der Öffentlichkeitsarbeit zwischen den Wahlen oder der Wahlteilnahme. Zurückhaltung in einem Bereich kann durch verstärkte Bemühungen auf anderen Gebieten in gewissen Grenzen ausgeglichen werden (BVerfGE 91, 262 <271>).

18

Insgesamt kommt es darauf an, ob die Gesamtwürdigung der tatsächlichen Verhältnisse einer Partei - unter Einschluss der Dauer ihres Bestehens - den Schluss zulässt, dass sie ihre erklärte Absicht, an der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken, ernsthaft verfolgt. Daraus ergibt sich, dass Vereinigungen, die nach ihrem Organisationsgrad und ihren Aktivitäten offensichtlich nicht imstande sind, auf die politische Willensbildung des Volkes Einfluss zu nehmen, bei denen die Verfolgung dieser Zielsetzung erkennbar unrealistisch und aussichtslos ist und damit nicht (mehr) als ernsthaft eingestuft werden kann, nicht als Parteien anzusehen sind (vgl. BVerfGE 91, 262 <271 f.>).

19

b) Gemessen an diesen Maßstäben handelt es sich bei der Beschwerdeführerin um eine Partei im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 PartG, Art. 21 GG.

20

Die Beschwerdeführerin, deren Bundesvorstand bereits mehrere Monate besteht, hat sich durch Gründung von mindestens sechs Landesverbänden organisatorisch verfestigt. In der Öffentlichkeit ist sie durch Internetauftritte und Verteilung von Werbematerialien in Erscheinung getreten. Ferner hat sie öffentliche Informationsveranstaltungen bundesweit durchgeführt und mithin ausreichende Aktivitäten gezeigt, die auf die politische Willensbildung der Bevölkerung Einfluss nehmen sollen. Bei Gesamtbetrachtung aller Umstände ist der Beschwerdeführerin die Ernsthaftigkeit ihres Willens, politisch in die Öffentlichkeit hineinzuwirken, nicht abzusprechen. Dem steht nicht entgegen, dass sie lediglich über 42 Mitglieder verfügt. Die Mitgliederzahl fließt lediglich als ein Faktor in die erforderliche Gesamtbeurteilung der Ernsthaftigkeit der politischen Zielsetzung ein. Bei einer Partei in der Gründungsphase kann insoweit lediglich verlangt werden, dass sie von einem Mitgliederwechsel unabhängig ist. Bei 42 Mitgliedern liegt noch nicht auf der Hand, dass ein Austritt einer größeren Gruppe zugleich zur Auflösung der Beschwerdeführerin führen müsste.

C.

21

Diese Entscheidung ist mit 6:1 Stimmen ergangen.

Tenor

Die Nichtanerkennungsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

A.

1

Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Ablehnung der Anerkennung als Partei für die Wahl zum 18. Deutschen Bundestag.

2

1. Die Beschwerdeführerin wurde im August 2012 in Schwerin gegründet. Sie besteht aus acht Mitgliedern und verfügt lediglich über einen Bundesverband, nicht aber über Landesverbände. Die Öffentlichkeitsarbeit erfolgt nach Angaben der Beschwerdeführerin gegenüber dem Bundeswahlausschuss auf der eigenen Internetseite und durch verschiedene Aktivitäten wie Beteiligung an Podiumsdiskussionen und Petitionen, Herausgabe einer Parteizeitung, Durchführung wöchentlicher öffentlicher Sitzungen und Unterschriftensammlungen.

3

2. Nachdem die Beschwerdeführerin dem Bundeswahlleiter rechtzeitig ihre geplante Beteiligung an der Bundestagswahl angezeigt hatte, stellte der Bundeswahlausschuss am 5. Juli 2013 die Nichtanerkennung der Beschwerdeführerin als Partei für die Wahl zum 18. Deutschen Bundestag fest. Die formellen Voraussetzungen des § 18 Abs. 2 BWG seien erfüllt, nicht jedoch die Kriterien der Parteieigenschaft gemäß § 2 PartG. Die erst kürzlich erfolgte Gründung sei zwar positiv anzurechnen, allerdings seien keine Angaben zu Landesverbänden gemacht worden und die Vereinigung verfüge lediglich über acht Mitglieder.

4

3. Hiergegen wendet sich die Beschwerdeführerin mit ihrer Nichtanerkennungsbeschwerde vom 8. Juli 2013. Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor, sie halte ihre Parteieigenschaft für gegeben. Nach dem Parteiengesetz sei ein Landesverband nicht zwingend erforderlich. Sie habe einen Direktkandidaten für die Bundestagswahl benannt; ein weiteres Mitglied kandidiere als Privatperson für den Bundestag. Insoweit lägen die erforderlichen Unterstützerunterschriften vor. Die Ernsthaftigkeit ihrer Zielsetzung werde belegt durch nachweisbar langjährige Aktivitäten und ihr Hervortreten in der Öffentlichkeit.

5

4. Dem Bundeswahlausschuss wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

B.

6

Die Nichtanerkennungsbeschwerde ist jedenfalls unbegründet. Die Beschwerdeführerin ist nicht als wahlvorschlagsberechtigte Partei für die Wahl zum Deutschen Bundestag anzuerkennen.

7

1. Parteien sind Vereinigungen von Bürgern, die dauernd oder für längere Zeit für den Bereich des Bundes oder eines Landes auf die politische Willensbildung Einfluss nehmen und an der Vertretung des Volkes im Deutschen Bundestag oder einem Landtag mitwirken wollen, wenn sie nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse, insbesondere nach Umfang und Festigkeit ihrer Organisation, nach der Zahl ihrer Mitglieder und nach ihrem Hervortreten in der Öffentlichkeit eine ausreichende Gewähr für die Ernsthaftigkeit dieser Zielsetzung bieten (§ 2 Abs. 1 Satz 1 PartG). Das Bundesverfassungsgericht geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass der Gesetzgeber den Parteienbegriff des Art. 21 Abs. 1 GG durch diese Legaldefinition in verfassungsmäßiger Weise konkretisiert hat (vgl. BVerfGE 89, 266 <269 f.>, m.w.N.). Sie ist danach auch für die im vorliegenden Verfahren zu entscheidende Frage maßgeblich, ob die Beschwerdeführerin eine Partei ist. § 2 PartG muss allerdings im Lichte des Art. 21 Abs. 1 GG ausgelegt und angewendet werden (vgl. BVerfGE 89, 266 <270>).

8

Parteien müssen auch in der Gründungsphase mindestens ansatzweise in der Lage sein, die ihnen nach § 2 Abs. 1 Satz 1 PartG in Übereinstimmung mit dem Grundgesetzzugedachten Aufgaben wirksam zu erfüllen. Allein der Wille, "Partei" zu sein, ist nicht ausreichend. Im Blick auf die bei der Zulassung zur Wahl zu stellenden Anforderungen hat der Senat festgestellt, sie sollten gewährleisten, dass sich nur ernsthafte politische Vereinigungen und keine Zufallsbildungen von kurzer Lebensdauer um Wähler bewerben (vgl. BVerfGE 89, 266 <270>). Daraus folgt, dass es gewisser objektiver, im Lauf der Zeit an Gewicht gewinnender Voraussetzungen bedarf, um einer politischen Vereinigung den Status einer Partei zuerkennen zu können.

9

Wegen der den Parteien um der Offenheit des politischen Prozesses willen verfassungsrechtlich verbürgten Gründungsfreiheit ist bei politischen Vereinigungen, die am Beginn ihres Wirkens als Parteien stehen, zu berücksichtigen, dass der Aufbau einer Organisation, die sie zur Wahrnehmung ihrer Funktionen befähigt, eine gewisse Zeit erfordert. Entscheidend ist das "Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse". Die in § 2 Abs. 1 Satz 1 PartG angesprochenen, nicht trennscharf voneinander abzugrenzenden objektiven Merkmale - deren Aufzählung nicht erschöpfend ist (vgl. BVerfGE 89, 266 <270>), denen regelmäßig aber ein großes Gewicht zukommt (vgl. BVerfGE 89, 291 <306>) - sind Indizien für die Ernsthaftigkeit der politischen Zielsetzung. Keines ist für sich genommen ausschlaggebend, und nicht alle müssen von der Partei stets im gleichen Umfang erfüllt werden. Vielmehr bleibt es der Partei grundsätzlich überlassen, wie sie die Ernsthaftigkeit ihrer Zielsetzung unter Beweis stellt. Ihr ist es unbenommen, in ihrer politischen Arbeit Schwerpunkte zu setzen, sei es etwa im Bereich der Mitgliederwerbung und -aktivierung, der Öffentlichkeitsarbeit zwischen den Wahlen oder der Wahlteilnahme. Zurückhaltung in einem Bereich kann durch verstärkte Bemühungen auf anderen Gebieten in gewissen Grenzen ausgeglichen werden (BVerfGE 91, 262 <271>).

10

Insgesamt kommt es darauf an, ob die Gesamtwürdigung der tatsächlichen Verhältnisse einer Partei - unter Einschluss der Dauer ihres Bestehens - den Schluss zulässt, dass sie ihre erklärte Absicht, an der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken, ernsthaft verfolgt. Daraus ergibt sich, dass Vereinigungen, die nach ihrem Organisationsgrad und ihren Aktivitäten offensichtlich nicht imstande sind, auf die politische Willensbildung des Volkes Einfluss zu nehmen, bei denen die Verfolgung dieser Zielsetzung erkennbar unrealistisch und aussichtslos ist und damit nicht (mehr) als ernsthaft eingestuft werden kann, nicht als Parteien anzusehen sind (BVerfGE 91, 262 <271 f.>).

11

2. Gemessen an diesem Maßstab hat die Beschwerdeführerin nach der erforderlichen Gesamtwürdigung der tatsächlichen Verhältnisse nicht die Eigenschaft einer Partei. Nach der Zahl ihrer Mitglieder und ihrem Organisationsgrad ist sie derzeit nicht imstande, auf die politische Willensbildung des Volkes Einfluss zu nehmen. Auch ihr Hervortreten in der Öffentlichkeit bietet bislang keine ausreichende Gewähr für die Ernsthaftigkeit ihrer politischen Zielsetzung.

12

Die Beschwerdeführerin verfügt nur über acht Mitglieder. Es ist nicht ersichtlich, wie die Vereinigung mit nur acht Mitgliedern auf Bundesebene Einfluss auf die politische Willensbildung des Volkes nehmen will und einen Wahlkampf mit dem Ziel parlamentarischer Vertretung führen will (vgl. BVerfGE 91, 262 <274>). Auch ist damit nicht gesichert, dass das Bestehen der Vereinigung von einem Mitgliederwechsel unabhängig ist. Die Partei weist über das Bestehen eines Bundesverbandes hinaus keine weiteren organisatorischen Strukturen auf und kann daher nicht als hinreichend organisatorisch verfestigt angesehen werden. Ein Ausbau der Organisation ist seit Parteigründung nicht erfolgt. Auch ist die Beschwerdeführerin in der Öffentlichkeit bislang kaum hervorgetreten. Nachweise für die von der Beschwerdeführerin behauptete Öffentlichkeitsarbeit liegen kaum vor. Ständige Aktivitäten entwickelt die Beschwerdeführerin lediglich in der Herausgabe einer Zeitschrift ("Zukunftsangst"), von der schon unklar ist, in welchen Zeitabständen und in welcher Auflage sie erscheint. Ferner führt sie wöchentlich "öffentliche Versammlungen" durch, deren Teilnehmerkreis unbekannt bleibt. Über die lokale Öffentlichkeit hinausgreifende Wirksamkeit kommt diesen Aktivitäten offensichtlich nicht zu. Selbst unter Berücksichtigung der besonderen Situation von Parteien in der Gründungsphase kann von einer Ernsthaftigkeit der politischen Zielsetzung der Beschwerdeführerin nach alledem gegenwärtig nicht ausgegangen werden.

Tenor

1. Die Entscheidung des Bundeswahlausschusses vom 4. Juli 2013 wird aufgehoben.

2. Die Beschwerdeführerin wird als wahlvorschlagsberechtigte Partei zur Wahl des 18. Deutschen Bundestages anerkannt.

Gründe

A.

1

Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Ablehnung der Anerkennung als Partei für die Wahl zum 18. Deutschen Bundestag.

2

1. Die im November 2012 in Berlin gegründete Beschwerdeführerin besteht aus 42 Mitgliedern. Sie verfügt über einen Bundesvorstand und sechs Landesverbände. Sie hat eine eigene Internetseite und ist in sozialen Netzwerken aktiv. Die Internetseite der Beschwerdeführerin weist unter der Rubrik Veranstaltungen für den Monat Juni 2013 sieben Informationsveranstaltungen an verschiedenen Orten Deutschlands auf sowie Gründungsveranstaltungen für vier weitere Landesverbände. Es existieren verschiedene Werbematerialien, die nach Angaben der Beschwerdeführerin seit April 2013 verteilt werden.

3

2. Am 3. Mai 2013 zeigte die Beschwerdeführerin dem Bundeswahlleiter erstmals ihre geplante Beteiligung an der Wahl zum 18. Deutschen Bundestag an. Die Beteiligungsanzeige enthielt auf Seite 1 das Logo "Deutsche Nationalversammlung - DNV"; im Text nannte sich die Beschwerdeführerin nur noch "DNV". Artikel 1 der beigefügten Satzung bezeichnete "Deutsche Nationalversammlung (DNV)" als Namen. Die Beteiligungsanzeige war von acht Mitgliedern der Beschwerdeführerin unterschrieben, darunter der Vorstandsvorsitzende, sein Stellvertreter und zwei Beisitzer.

4

3. Der Bundeswahlleiter wies die Beschwerdeführerin im Folgenden auf Formmängel in der Beteiligungsanzeige hin. Die Satzung entspreche nicht den Mindestanforderungen. Eine Namen und Kurzbezeichnung der Beschwerdeführerin ausdrücklich benennende Satzung sei einzureichen. Ferner sei der satzungsgemäße Name in der Beteiligungsanzeige zu nennen. Unter Hinweis auf den Ablauf der Anzeigefrist wurde die Übersendung einer neuen Beteiligungsanzeige verlangt, wiederum unterschrieben von drei Mitgliedern des Vorstands.

5

4. Am Morgen des 17. Juni 2013 ging die angeforderte zweite Beteiligungsanzeige im Original beim Bundeswahlleiter ein. Auf der ersten Seite fand sich unter dem beibehaltenen Logo nunmehr eine Absenderangabe mit dem vollen Namen der Beschwerdeführerin nebst Kurzbezeichnung. Im Text wurde auf den ersten drei Seiten zunächst die Kurzbezeichnung verwendet und im weiteren Text teilweise der volle Name. Die Beteiligungsanzeige war vom Vorstandsvorsitzenden, seinem Stellvertreter und einem Kassenprüfer unterschrieben. Ihr waren unter anderem eine den Anforderungen des Bundeswahlleiters entsprechend geänderte Satzung beigefügt und eine eidesstattliche Versicherung zur Bestätigung des ordnungsgemäßen Ablaufs der Satzungsänderung.

6

5. Der Bundeswahlleiter teilte der Beschwerdeführerin noch am selben Tag um 15.15 Uhr telefonisch mit, dass auf der zweiten Beteiligungsanzeige noch immer der volle Name der Vereinigung fehle und eine erneute Beteiligungsanzeige mit entsprechenden Unterschriften nötig sei. Daraufhin übersandte die Beschwerdeführerin vor 18.00 Uhr eine demgemäß geänderte weitere Beteiligungsanzeige ohne Unterschriften per Email. Ein zugehöriges Original ging jeweils am 96. und 95. Tag vor der Wahl ohne Anlagen beim Bundeswahlleiter ein; das eine war lediglich vom Vorstandsvorsitzenden unterschrieben, das zweite vom Kassenprüfer. Den Eingang dieser Unterlagen bestätigte der Bundeswahlleiter wiederum unter Hinweis auf fehlende Formerfordernisse.

7

6. In der Sitzung vom 4. Juli 2013 stellte der Bundeswahllausschuss nach Anhörung eines Vertreters der Beschwerdeführerin die Nichtanerkennung der Vereinigung als Partei für die Wahl zum 18. Deutschen Bundestag fest. Die Beteiligungsanzeige vom 3. Mai 2013 habe nur die Kurzbezeichnung der Vereinigung enthalten, nicht aber den vollen Namen, der gemäß § 18 Abs. 2 Satz 2 BWG anzugeben sei. Die Verwendung des vollen Namens im Briefkopf sei nicht ausreichend. Die weitere Beteiligungsanzeige vom 17. Juni 2013 sei nicht von drei Mitgliedern des Bundesvorstands unterzeichnet worden, weil eine der drei Unterschriften vom nicht zum Vorstand gehörenden Kassenprüfer geleistet worden sei.

8

7. Hiergegen hat die Beschwerdeführerin am 8. Juli 2013 Nichtanerkennungsbeschwerde erhoben. Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor, eidesstattliche Versicherungen und Beteiligungsanzeige seien als einheitliches Dokument zu betrachten. Somit seien für die Beteiligungsanzeige vom 17. Juni 2013 insgesamt vier Unterschriften zu verzeichnen. Zudem gehe aus der Beteiligungsanzeige ausdrücklich hervor, dass der gesamte Vorstand diese mittrage. Es sei anfangs fehlerhaft davon ausgegangen worden, auch der Kassenprüfer gehöre zum Vorstand. Eine Benachrichtigung, dass dies nicht der Fall sei und dessen Unterschrift nicht gewertet werden könne, sei erst nach dem 17. Juni 2013 erfolgt, so dass eine rechtzeitige Korrektur nicht mehr möglich gewesen sei.

9

8. Der Bundeswahlleiter hat Stellung genommen. Er führt aus, die eidesstattlichen Versicherungen hätten sich gerade nicht auf die Beteiligungsanzeigen bezogen, sondern auf die ordnungsgemäße Durchführung der Satzungsänderung. Folgte man der Argumentation der Beschwerdeführerin, würde die Beifügung jedweder Unterschriften auf Urkunden ohne Zusammenhang zur Beteiligungsanzeige ausreichen. Die Klarstellungs- und Beweisfunktion des Unterschriftenerfordernisses solle aber sicherstellen, dass die Beteiligungsanzeige nicht nur zufällig und auch vom die politische Vereinigung vertretenden Vorstand abgegeben werde. Dies erfordere ferner die das Wahlrecht prägende und in § 54 Abs. 2 BWG zum Ausdruck kommende Formstrenge. Der formelle Mangel sei der Beschwerdeführerin ausweislich des Aktenvermerks umgehend telefonisch mitgeteilt worden.

10

9. Die Beschwerdeführerin trägt ergänzend vor: Nicht nur die eidesstattlichen Versicherungen seien in Zusammenhang mit der Beteiligungsanzeige zu betrachten, auch die verschiedenen Beteiligungsanzeigen seien als eine Erklärung anzusehen. Es handele sich jeweils um Ergänzungen der ersten Anzeige im Sinne des § 18 Abs. 3 Satz 2 BWG. Die Ernsthaftigkeit der Anzeige sei angesichts der vollständigen Unterschriften in der Ausgangsanzeige nicht zu bezweifeln. Aus dem Wortlaut des § 18 Abs. 3 BWG sei ferner nur erkennbar, dass behebbare Mängel zu beseitigen seien, nicht aber das Erfordernis einer erneuten Beteiligungsanzeige. Der Aufforderung zur Mängelbeseitigung sei man mehrfach umgehend nachgekommen. Dass die Beschwerdeführerin vom Bundeswahlleiter hinsichtlich der fehlenden dritten Unterschrift auf der Beteiligungsanzeige vom 17. Juni 2013 im Telefonat vom selben Tage unterrichtet worden sei, sei falsch. In dem Gespräch sei es allein um die Verwendung des vollen Parteinamens gegangen. Die Sachbearbeiterin habe darauf bestanden, eine Beteiligungsanzeige zu erhalten, die den vollen Namen im Einleitungssatz enthalte, obwohl der volle Name im weiteren Fließtext auftauche. Man habe sich angesichts des bevorstehenden Fristablaufs auf die Zusendung einer demgemäß überarbeiteten Beteiligungsanzeige per Email und einer Nachsendung von Originalen mit Unterschriften verständigt. Davon abgesehen sei bereits die zweite Beteiligungsanzeige vom 17. Juni 2013 ausreichend gewesen; die Anhörung vom 4. Juli 2013 habe ergeben, dass Parteilang- und Kurzname im Fließtext verwendet werden durften.

B.

11

Die zulässige Nichtanerkennungsbeschwerde ist begründet. Die Beschwerdeführerin hat ihre Beteiligung an der Wahl wirksam angezeigt (1.). Bei der Beschwerdeführerin handelt es sich um eine wahlvorschlagsberechtigte Partei (2.).

12

1. Die Nichtanerkennung der Beschwerdeführerin gemäß § 18 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BWG wegen Nichterfüllung der formellen Voraussetzungen aus § 18 Abs. 2 BWG widerspricht den wahlrechtlichen Vorschriften. Die erste Beteiligungsanzeige vom 3. Mai 2013 in Verbindung mit den hierzu rechtzeitig nachgereichten Anlagen stellt eine gültige Anzeige im Sinne von § 18 Abs. 3 Satz 4 BWG dar. Die formellen Voraussetzungen des § 18 Abs. 2 BWG waren zum Zeitpunkt des Ablaufs der Anzeigefrist erfüllt.

13

Die gemäß § 18 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 BWG erforderliche Angabe der Parteibezeichnung in der Beteiligungsanzeige hat in erster Linie Informations- und Klarstellungsfunktion hinsichtlich ihres Absenders. Sie bezweckt insbesondere nicht, Verwechslungsgefahren vorzubeugen (vgl. BVerfGE 89, 291 <305, 308>). Demgemäß reicht es aus, wenn die Parteibezeichnung aus der Beteiligungsanzeige klar hervorgeht. Dies war bereits bei der ersten Beteiligungsanzeige vom 3. Mai 2013 der Fall. Sie enthielt ein Logo mit Kurz- und Langnamen der Beschwerdeführerin. Ferner enthielt die Beteiligungsanzeige vom 3. Mai 2013 die erforderlichen persönlichen und handschriftlichen Unterschriften von drei Mitgliedern des Bundesvorstands, darunter die des Bundesvorsitzenden (§ 18 Abs. 2 Satz 3 BWG). Der anfängliche Mangel hinsichtlich der Anlagen wurde vor Ablauf der Ausschlussfrist des § 18 Abs. 2 Satz 1 BWG gemäß § 18 Abs. 3 Satz 2 und 3 BWG behoben. Dass zur Behebung eines formellen Mangels in den Anlagen eine erneute Beteiligungsanzeige erforderlich wäre, ergibt sich weder aus dem Gesetzeswortlaut noch aus der besonderen Formstrenge in Wahlverfahren.

14

2. Die Beschwerdeführerin ist entsprechend § 18 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BWG als wahlvorschlagsberechtigte Partei für die Wahl zum 18. Deutschen Bundestag anzuerkennen.

15

a) Parteien sind Vereinigungen von Bürgern, die dauernd oder für längere Zeit für den Bereich des Bundes oder eines Landes auf die politische Willensbildung Einfluss nehmen und an der Vertretung des Volkes im Deutschen Bundestag oder einem Landtag mitwirken wollen, wenn sie nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse, insbesondere nach Umfang und Festigkeit ihrer Organisation, nach der Zahl ihrer Mitglieder und nach ihrem Hervortreten in der Öffentlichkeit eine ausreichende Gewähr für die Ernsthaftigkeit dieser Zielsetzung bieten (§ 2 Abs. 1 Satz 1 PartG). Das Bundesverfassungsgericht geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass der Gesetzgeber den Parteienbegriff des Art. 21 Abs. 1 GG durch diese Legaldefinition in verfassungsmäßiger Weise konkretisiert hat (vgl. BVerfGE 89, 266 <269 f.> m.N.). Sie ist danach auch für die im vorliegenden Verfahren zu entscheidende Frage maßgeblich, ob die Beschwerdeführerin eine Partei ist. § 2 PartG muss allerdings im Lichte des Art. 21 Abs. 1 GG ausgelegt und angewendet werden (vgl. BVerfGE 89, 266 <270>).

16

Parteien müssen auch in der Gründungsphase mindestens ansatzweise in der Lage sein, die ihnen nach § 2 Abs. 1 Satz 1 PartG in Übereinstimmung mit dem Grundgesetz zugedachten Aufgaben wirksam zu erfüllen. Allein der Wille "Partei" zu sein, ist nicht ausreichend. Im Blick auf die bei der Zulassung zur Wahl zu stellenden Anforderungen hat der Senat festgestellt, sie sollten gewährleisten, dass sich nur ernsthafte politische Vereinigungen und keine Zufallsbildungen von kurzer Lebensdauer um Wähler bewerben (vgl. BVerfGE 89, 266 <270>). Daraus folgt im vorliegenden Zusammenhang, dass es gewisser objektiver, im Ablauf der Zeit an Gewicht gewinnender Voraussetzungen bedarf, um einer politischen Vereinigung den Status einer Partei zuerkennen zu können.

17

Wegen der den Parteien um der Offenheit des politischen Prozesses willen verfassungsrechtlich verbürgten Gründungsfreiheit ist bei politischen Vereinigungen, die am Beginn ihres Wirkens als Parteien stehen, zu berücksichtigen, dass der Aufbau einer Organisation, die sie zur Wahrnehmung ihrer Funktionen befähigt, eine gewisse Zeit erfordert. Entscheidend ist das "Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse". Die in § 2 Abs. 1 Satz 1 PartG angesprochenen, nicht trennscharf voneinander abzugrenzenden objektiven Merkmale - deren Aufzählung nicht erschöpfend ist (vgl. BVerfGE 89, 266 <270>), denen regelmäßig aber ein großes Gewicht zukommt (vgl. BVerfGE 89, 291 <306>) - sind Indizien für die Ernsthaftigkeit der politischen Zielsetzung. Keines ist für sich genommen ausschlaggebend, und nicht alle müssen von der Partei stets im gleichen Umfang erfüllt werden. Vielmehr bleibt es der Partei grundsätzlich überlassen, wie sie die Ernsthaftigkeit ihrer Zielsetzung unter Beweis stellt. Ihr ist es unbenommen, in ihrer politischen Arbeit Schwerpunkte zu setzen, sei es etwa im Bereich der Mitgliederwerbung und -aktivierung, der Öffentlichkeitsarbeit zwischen den Wahlen oder der Wahlteilnahme. Zurückhaltung in einem Bereich kann durch verstärkte Bemühungen auf anderen Gebieten in gewissen Grenzen ausgeglichen werden (BVerfGE 91, 262 <271>).

18

Insgesamt kommt es darauf an, ob die Gesamtwürdigung der tatsächlichen Verhältnisse einer Partei - unter Einschluss der Dauer ihres Bestehens - den Schluss zulässt, dass sie ihre erklärte Absicht, an der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken, ernsthaft verfolgt. Daraus ergibt sich, dass Vereinigungen, die nach ihrem Organisationsgrad und ihren Aktivitäten offensichtlich nicht imstande sind, auf die politische Willensbildung des Volkes Einfluss zu nehmen, bei denen die Verfolgung dieser Zielsetzung erkennbar unrealistisch und aussichtslos ist und damit nicht (mehr) als ernsthaft eingestuft werden kann, nicht als Parteien anzusehen sind (vgl. BVerfGE 91, 262 <271 f.>).

19

b) Gemessen an diesen Maßstäben handelt es sich bei der Beschwerdeführerin um eine Partei im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 PartG, Art. 21 GG.

20

Die Beschwerdeführerin, deren Bundesvorstand bereits mehrere Monate besteht, hat sich durch Gründung von mindestens sechs Landesverbänden organisatorisch verfestigt. In der Öffentlichkeit ist sie durch Internetauftritte und Verteilung von Werbematerialien in Erscheinung getreten. Ferner hat sie öffentliche Informationsveranstaltungen bundesweit durchgeführt und mithin ausreichende Aktivitäten gezeigt, die auf die politische Willensbildung der Bevölkerung Einfluss nehmen sollen. Bei Gesamtbetrachtung aller Umstände ist der Beschwerdeführerin die Ernsthaftigkeit ihres Willens, politisch in die Öffentlichkeit hineinzuwirken, nicht abzusprechen. Dem steht nicht entgegen, dass sie lediglich über 42 Mitglieder verfügt. Die Mitgliederzahl fließt lediglich als ein Faktor in die erforderliche Gesamtbeurteilung der Ernsthaftigkeit der politischen Zielsetzung ein. Bei einer Partei in der Gründungsphase kann insoweit lediglich verlangt werden, dass sie von einem Mitgliederwechsel unabhängig ist. Bei 42 Mitgliedern liegt noch nicht auf der Hand, dass ein Austritt einer größeren Gruppe zugleich zur Auflösung der Beschwerdeführerin führen müsste.

C.

21

Diese Entscheidung ist mit 6:1 Stimmen ergangen.

Tenor

Die Nichtanerkennungsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

A.

1

Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Ablehnung der Anerkennung als Partei für die Wahl zum 18. Deutschen Bundestag.

2

1. Die Beschwerdeführerin wurde im August 2012 in Schwerin gegründet. Sie besteht aus acht Mitgliedern und verfügt lediglich über einen Bundesverband, nicht aber über Landesverbände. Die Öffentlichkeitsarbeit erfolgt nach Angaben der Beschwerdeführerin gegenüber dem Bundeswahlausschuss auf der eigenen Internetseite und durch verschiedene Aktivitäten wie Beteiligung an Podiumsdiskussionen und Petitionen, Herausgabe einer Parteizeitung, Durchführung wöchentlicher öffentlicher Sitzungen und Unterschriftensammlungen.

3

2. Nachdem die Beschwerdeführerin dem Bundeswahlleiter rechtzeitig ihre geplante Beteiligung an der Bundestagswahl angezeigt hatte, stellte der Bundeswahlausschuss am 5. Juli 2013 die Nichtanerkennung der Beschwerdeführerin als Partei für die Wahl zum 18. Deutschen Bundestag fest. Die formellen Voraussetzungen des § 18 Abs. 2 BWG seien erfüllt, nicht jedoch die Kriterien der Parteieigenschaft gemäß § 2 PartG. Die erst kürzlich erfolgte Gründung sei zwar positiv anzurechnen, allerdings seien keine Angaben zu Landesverbänden gemacht worden und die Vereinigung verfüge lediglich über acht Mitglieder.

4

3. Hiergegen wendet sich die Beschwerdeführerin mit ihrer Nichtanerkennungsbeschwerde vom 8. Juli 2013. Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor, sie halte ihre Parteieigenschaft für gegeben. Nach dem Parteiengesetz sei ein Landesverband nicht zwingend erforderlich. Sie habe einen Direktkandidaten für die Bundestagswahl benannt; ein weiteres Mitglied kandidiere als Privatperson für den Bundestag. Insoweit lägen die erforderlichen Unterstützerunterschriften vor. Die Ernsthaftigkeit ihrer Zielsetzung werde belegt durch nachweisbar langjährige Aktivitäten und ihr Hervortreten in der Öffentlichkeit.

5

4. Dem Bundeswahlausschuss wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

B.

6

Die Nichtanerkennungsbeschwerde ist jedenfalls unbegründet. Die Beschwerdeführerin ist nicht als wahlvorschlagsberechtigte Partei für die Wahl zum Deutschen Bundestag anzuerkennen.

7

1. Parteien sind Vereinigungen von Bürgern, die dauernd oder für längere Zeit für den Bereich des Bundes oder eines Landes auf die politische Willensbildung Einfluss nehmen und an der Vertretung des Volkes im Deutschen Bundestag oder einem Landtag mitwirken wollen, wenn sie nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse, insbesondere nach Umfang und Festigkeit ihrer Organisation, nach der Zahl ihrer Mitglieder und nach ihrem Hervortreten in der Öffentlichkeit eine ausreichende Gewähr für die Ernsthaftigkeit dieser Zielsetzung bieten (§ 2 Abs. 1 Satz 1 PartG). Das Bundesverfassungsgericht geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass der Gesetzgeber den Parteienbegriff des Art. 21 Abs. 1 GG durch diese Legaldefinition in verfassungsmäßiger Weise konkretisiert hat (vgl. BVerfGE 89, 266 <269 f.>, m.w.N.). Sie ist danach auch für die im vorliegenden Verfahren zu entscheidende Frage maßgeblich, ob die Beschwerdeführerin eine Partei ist. § 2 PartG muss allerdings im Lichte des Art. 21 Abs. 1 GG ausgelegt und angewendet werden (vgl. BVerfGE 89, 266 <270>).

8

Parteien müssen auch in der Gründungsphase mindestens ansatzweise in der Lage sein, die ihnen nach § 2 Abs. 1 Satz 1 PartG in Übereinstimmung mit dem Grundgesetzzugedachten Aufgaben wirksam zu erfüllen. Allein der Wille, "Partei" zu sein, ist nicht ausreichend. Im Blick auf die bei der Zulassung zur Wahl zu stellenden Anforderungen hat der Senat festgestellt, sie sollten gewährleisten, dass sich nur ernsthafte politische Vereinigungen und keine Zufallsbildungen von kurzer Lebensdauer um Wähler bewerben (vgl. BVerfGE 89, 266 <270>). Daraus folgt, dass es gewisser objektiver, im Lauf der Zeit an Gewicht gewinnender Voraussetzungen bedarf, um einer politischen Vereinigung den Status einer Partei zuerkennen zu können.

9

Wegen der den Parteien um der Offenheit des politischen Prozesses willen verfassungsrechtlich verbürgten Gründungsfreiheit ist bei politischen Vereinigungen, die am Beginn ihres Wirkens als Parteien stehen, zu berücksichtigen, dass der Aufbau einer Organisation, die sie zur Wahrnehmung ihrer Funktionen befähigt, eine gewisse Zeit erfordert. Entscheidend ist das "Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse". Die in § 2 Abs. 1 Satz 1 PartG angesprochenen, nicht trennscharf voneinander abzugrenzenden objektiven Merkmale - deren Aufzählung nicht erschöpfend ist (vgl. BVerfGE 89, 266 <270>), denen regelmäßig aber ein großes Gewicht zukommt (vgl. BVerfGE 89, 291 <306>) - sind Indizien für die Ernsthaftigkeit der politischen Zielsetzung. Keines ist für sich genommen ausschlaggebend, und nicht alle müssen von der Partei stets im gleichen Umfang erfüllt werden. Vielmehr bleibt es der Partei grundsätzlich überlassen, wie sie die Ernsthaftigkeit ihrer Zielsetzung unter Beweis stellt. Ihr ist es unbenommen, in ihrer politischen Arbeit Schwerpunkte zu setzen, sei es etwa im Bereich der Mitgliederwerbung und -aktivierung, der Öffentlichkeitsarbeit zwischen den Wahlen oder der Wahlteilnahme. Zurückhaltung in einem Bereich kann durch verstärkte Bemühungen auf anderen Gebieten in gewissen Grenzen ausgeglichen werden (BVerfGE 91, 262 <271>).

10

Insgesamt kommt es darauf an, ob die Gesamtwürdigung der tatsächlichen Verhältnisse einer Partei - unter Einschluss der Dauer ihres Bestehens - den Schluss zulässt, dass sie ihre erklärte Absicht, an der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken, ernsthaft verfolgt. Daraus ergibt sich, dass Vereinigungen, die nach ihrem Organisationsgrad und ihren Aktivitäten offensichtlich nicht imstande sind, auf die politische Willensbildung des Volkes Einfluss zu nehmen, bei denen die Verfolgung dieser Zielsetzung erkennbar unrealistisch und aussichtslos ist und damit nicht (mehr) als ernsthaft eingestuft werden kann, nicht als Parteien anzusehen sind (BVerfGE 91, 262 <271 f.>).

11

2. Gemessen an diesem Maßstab hat die Beschwerdeführerin nach der erforderlichen Gesamtwürdigung der tatsächlichen Verhältnisse nicht die Eigenschaft einer Partei. Nach der Zahl ihrer Mitglieder und ihrem Organisationsgrad ist sie derzeit nicht imstande, auf die politische Willensbildung des Volkes Einfluss zu nehmen. Auch ihr Hervortreten in der Öffentlichkeit bietet bislang keine ausreichende Gewähr für die Ernsthaftigkeit ihrer politischen Zielsetzung.

12

Die Beschwerdeführerin verfügt nur über acht Mitglieder. Es ist nicht ersichtlich, wie die Vereinigung mit nur acht Mitgliedern auf Bundesebene Einfluss auf die politische Willensbildung des Volkes nehmen will und einen Wahlkampf mit dem Ziel parlamentarischer Vertretung führen will (vgl. BVerfGE 91, 262 <274>). Auch ist damit nicht gesichert, dass das Bestehen der Vereinigung von einem Mitgliederwechsel unabhängig ist. Die Partei weist über das Bestehen eines Bundesverbandes hinaus keine weiteren organisatorischen Strukturen auf und kann daher nicht als hinreichend organisatorisch verfestigt angesehen werden. Ein Ausbau der Organisation ist seit Parteigründung nicht erfolgt. Auch ist die Beschwerdeführerin in der Öffentlichkeit bislang kaum hervorgetreten. Nachweise für die von der Beschwerdeführerin behauptete Öffentlichkeitsarbeit liegen kaum vor. Ständige Aktivitäten entwickelt die Beschwerdeführerin lediglich in der Herausgabe einer Zeitschrift ("Zukunftsangst"), von der schon unklar ist, in welchen Zeitabständen und in welcher Auflage sie erscheint. Ferner führt sie wöchentlich "öffentliche Versammlungen" durch, deren Teilnehmerkreis unbekannt bleibt. Über die lokale Öffentlichkeit hinausgreifende Wirksamkeit kommt diesen Aktivitäten offensichtlich nicht zu. Selbst unter Berücksichtigung der besonderen Situation von Parteien in der Gründungsphase kann von einer Ernsthaftigkeit der politischen Zielsetzung der Beschwerdeführerin nach alledem gegenwärtig nicht ausgegangen werden.

(1) Parteien sind Vereinigungen von Bürgern, die dauernd oder für längere Zeit für den Bereich des Bundes oder eines Landes auf die politische Willensbildung Einfluß nehmen und an der Vertretung des Volkes im Deutschen Bundestag oder einem Landtag mitwirken wollen, wenn sie nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse, insbesondere nach Umfang und Festigkeit ihrer Organisation, nach der Zahl ihrer Mitglieder und nach ihrem Hervortreten in der Öffentlichkeit eine ausreichende Gewähr für die Ernsthaftigkeit dieser Zielsetzung bieten. Mitglieder einer Partei können nur natürliche Personen sein.

(2) Eine Vereinigung verliert ihre Rechtsstellung als Partei, wenn sie sechs Jahre lang weder an einer Bundestagswahl noch an einer Landtagswahl mit eigenen Wahlvorschlägen teilgenommen hat. Gleiches gilt, wenn eine Vereinigung sechs Jahre lang entgegen der Pflicht zur öffentlichen Rechenschaftslegung gemäß § 23 keinen Rechenschaftsbericht eingereicht hat; § 19a Absatz 3 Satz 5 gilt entsprechend.

(3) Politische Vereinigungen sind nicht Parteien, wenn

1.
ihre Mitglieder oder die Mitglieder ihres Vorstandes in der Mehrheit Ausländer sind oder
2.
ihr Sitz oder ihre Geschäftsleitung sich außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes befindet.

Tenor

1. Die Entscheidung des Bundeswahlausschusses vom 4. Juli 2013 wird aufgehoben.

2. Die Beschwerdeführerin wird als wahlvorschlagsberechtigte Partei zur Wahl des 18. Deutschen Bundestages anerkannt.

Gründe

A.

1

Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Ablehnung der Anerkennung als Partei für die Wahl zum 18. Deutschen Bundestag.

2

1. Die im November 2012 in Berlin gegründete Beschwerdeführerin besteht aus 42 Mitgliedern. Sie verfügt über einen Bundesvorstand und sechs Landesverbände. Sie hat eine eigene Internetseite und ist in sozialen Netzwerken aktiv. Die Internetseite der Beschwerdeführerin weist unter der Rubrik Veranstaltungen für den Monat Juni 2013 sieben Informationsveranstaltungen an verschiedenen Orten Deutschlands auf sowie Gründungsveranstaltungen für vier weitere Landesverbände. Es existieren verschiedene Werbematerialien, die nach Angaben der Beschwerdeführerin seit April 2013 verteilt werden.

3

2. Am 3. Mai 2013 zeigte die Beschwerdeführerin dem Bundeswahlleiter erstmals ihre geplante Beteiligung an der Wahl zum 18. Deutschen Bundestag an. Die Beteiligungsanzeige enthielt auf Seite 1 das Logo "Deutsche Nationalversammlung - DNV"; im Text nannte sich die Beschwerdeführerin nur noch "DNV". Artikel 1 der beigefügten Satzung bezeichnete "Deutsche Nationalversammlung (DNV)" als Namen. Die Beteiligungsanzeige war von acht Mitgliedern der Beschwerdeführerin unterschrieben, darunter der Vorstandsvorsitzende, sein Stellvertreter und zwei Beisitzer.

4

3. Der Bundeswahlleiter wies die Beschwerdeführerin im Folgenden auf Formmängel in der Beteiligungsanzeige hin. Die Satzung entspreche nicht den Mindestanforderungen. Eine Namen und Kurzbezeichnung der Beschwerdeführerin ausdrücklich benennende Satzung sei einzureichen. Ferner sei der satzungsgemäße Name in der Beteiligungsanzeige zu nennen. Unter Hinweis auf den Ablauf der Anzeigefrist wurde die Übersendung einer neuen Beteiligungsanzeige verlangt, wiederum unterschrieben von drei Mitgliedern des Vorstands.

5

4. Am Morgen des 17. Juni 2013 ging die angeforderte zweite Beteiligungsanzeige im Original beim Bundeswahlleiter ein. Auf der ersten Seite fand sich unter dem beibehaltenen Logo nunmehr eine Absenderangabe mit dem vollen Namen der Beschwerdeführerin nebst Kurzbezeichnung. Im Text wurde auf den ersten drei Seiten zunächst die Kurzbezeichnung verwendet und im weiteren Text teilweise der volle Name. Die Beteiligungsanzeige war vom Vorstandsvorsitzenden, seinem Stellvertreter und einem Kassenprüfer unterschrieben. Ihr waren unter anderem eine den Anforderungen des Bundeswahlleiters entsprechend geänderte Satzung beigefügt und eine eidesstattliche Versicherung zur Bestätigung des ordnungsgemäßen Ablaufs der Satzungsänderung.

6

5. Der Bundeswahlleiter teilte der Beschwerdeführerin noch am selben Tag um 15.15 Uhr telefonisch mit, dass auf der zweiten Beteiligungsanzeige noch immer der volle Name der Vereinigung fehle und eine erneute Beteiligungsanzeige mit entsprechenden Unterschriften nötig sei. Daraufhin übersandte die Beschwerdeführerin vor 18.00 Uhr eine demgemäß geänderte weitere Beteiligungsanzeige ohne Unterschriften per Email. Ein zugehöriges Original ging jeweils am 96. und 95. Tag vor der Wahl ohne Anlagen beim Bundeswahlleiter ein; das eine war lediglich vom Vorstandsvorsitzenden unterschrieben, das zweite vom Kassenprüfer. Den Eingang dieser Unterlagen bestätigte der Bundeswahlleiter wiederum unter Hinweis auf fehlende Formerfordernisse.

7

6. In der Sitzung vom 4. Juli 2013 stellte der Bundeswahllausschuss nach Anhörung eines Vertreters der Beschwerdeführerin die Nichtanerkennung der Vereinigung als Partei für die Wahl zum 18. Deutschen Bundestag fest. Die Beteiligungsanzeige vom 3. Mai 2013 habe nur die Kurzbezeichnung der Vereinigung enthalten, nicht aber den vollen Namen, der gemäß § 18 Abs. 2 Satz 2 BWG anzugeben sei. Die Verwendung des vollen Namens im Briefkopf sei nicht ausreichend. Die weitere Beteiligungsanzeige vom 17. Juni 2013 sei nicht von drei Mitgliedern des Bundesvorstands unterzeichnet worden, weil eine der drei Unterschriften vom nicht zum Vorstand gehörenden Kassenprüfer geleistet worden sei.

8

7. Hiergegen hat die Beschwerdeführerin am 8. Juli 2013 Nichtanerkennungsbeschwerde erhoben. Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor, eidesstattliche Versicherungen und Beteiligungsanzeige seien als einheitliches Dokument zu betrachten. Somit seien für die Beteiligungsanzeige vom 17. Juni 2013 insgesamt vier Unterschriften zu verzeichnen. Zudem gehe aus der Beteiligungsanzeige ausdrücklich hervor, dass der gesamte Vorstand diese mittrage. Es sei anfangs fehlerhaft davon ausgegangen worden, auch der Kassenprüfer gehöre zum Vorstand. Eine Benachrichtigung, dass dies nicht der Fall sei und dessen Unterschrift nicht gewertet werden könne, sei erst nach dem 17. Juni 2013 erfolgt, so dass eine rechtzeitige Korrektur nicht mehr möglich gewesen sei.

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8. Der Bundeswahlleiter hat Stellung genommen. Er führt aus, die eidesstattlichen Versicherungen hätten sich gerade nicht auf die Beteiligungsanzeigen bezogen, sondern auf die ordnungsgemäße Durchführung der Satzungsänderung. Folgte man der Argumentation der Beschwerdeführerin, würde die Beifügung jedweder Unterschriften auf Urkunden ohne Zusammenhang zur Beteiligungsanzeige ausreichen. Die Klarstellungs- und Beweisfunktion des Unterschriftenerfordernisses solle aber sicherstellen, dass die Beteiligungsanzeige nicht nur zufällig und auch vom die politische Vereinigung vertretenden Vorstand abgegeben werde. Dies erfordere ferner die das Wahlrecht prägende und in § 54 Abs. 2 BWG zum Ausdruck kommende Formstrenge. Der formelle Mangel sei der Beschwerdeführerin ausweislich des Aktenvermerks umgehend telefonisch mitgeteilt worden.

10

9. Die Beschwerdeführerin trägt ergänzend vor: Nicht nur die eidesstattlichen Versicherungen seien in Zusammenhang mit der Beteiligungsanzeige zu betrachten, auch die verschiedenen Beteiligungsanzeigen seien als eine Erklärung anzusehen. Es handele sich jeweils um Ergänzungen der ersten Anzeige im Sinne des § 18 Abs. 3 Satz 2 BWG. Die Ernsthaftigkeit der Anzeige sei angesichts der vollständigen Unterschriften in der Ausgangsanzeige nicht zu bezweifeln. Aus dem Wortlaut des § 18 Abs. 3 BWG sei ferner nur erkennbar, dass behebbare Mängel zu beseitigen seien, nicht aber das Erfordernis einer erneuten Beteiligungsanzeige. Der Aufforderung zur Mängelbeseitigung sei man mehrfach umgehend nachgekommen. Dass die Beschwerdeführerin vom Bundeswahlleiter hinsichtlich der fehlenden dritten Unterschrift auf der Beteiligungsanzeige vom 17. Juni 2013 im Telefonat vom selben Tage unterrichtet worden sei, sei falsch. In dem Gespräch sei es allein um die Verwendung des vollen Parteinamens gegangen. Die Sachbearbeiterin habe darauf bestanden, eine Beteiligungsanzeige zu erhalten, die den vollen Namen im Einleitungssatz enthalte, obwohl der volle Name im weiteren Fließtext auftauche. Man habe sich angesichts des bevorstehenden Fristablaufs auf die Zusendung einer demgemäß überarbeiteten Beteiligungsanzeige per Email und einer Nachsendung von Originalen mit Unterschriften verständigt. Davon abgesehen sei bereits die zweite Beteiligungsanzeige vom 17. Juni 2013 ausreichend gewesen; die Anhörung vom 4. Juli 2013 habe ergeben, dass Parteilang- und Kurzname im Fließtext verwendet werden durften.

B.

11

Die zulässige Nichtanerkennungsbeschwerde ist begründet. Die Beschwerdeführerin hat ihre Beteiligung an der Wahl wirksam angezeigt (1.). Bei der Beschwerdeführerin handelt es sich um eine wahlvorschlagsberechtigte Partei (2.).

12

1. Die Nichtanerkennung der Beschwerdeführerin gemäß § 18 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BWG wegen Nichterfüllung der formellen Voraussetzungen aus § 18 Abs. 2 BWG widerspricht den wahlrechtlichen Vorschriften. Die erste Beteiligungsanzeige vom 3. Mai 2013 in Verbindung mit den hierzu rechtzeitig nachgereichten Anlagen stellt eine gültige Anzeige im Sinne von § 18 Abs. 3 Satz 4 BWG dar. Die formellen Voraussetzungen des § 18 Abs. 2 BWG waren zum Zeitpunkt des Ablaufs der Anzeigefrist erfüllt.

13

Die gemäß § 18 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 BWG erforderliche Angabe der Parteibezeichnung in der Beteiligungsanzeige hat in erster Linie Informations- und Klarstellungsfunktion hinsichtlich ihres Absenders. Sie bezweckt insbesondere nicht, Verwechslungsgefahren vorzubeugen (vgl. BVerfGE 89, 291 <305, 308>). Demgemäß reicht es aus, wenn die Parteibezeichnung aus der Beteiligungsanzeige klar hervorgeht. Dies war bereits bei der ersten Beteiligungsanzeige vom 3. Mai 2013 der Fall. Sie enthielt ein Logo mit Kurz- und Langnamen der Beschwerdeführerin. Ferner enthielt die Beteiligungsanzeige vom 3. Mai 2013 die erforderlichen persönlichen und handschriftlichen Unterschriften von drei Mitgliedern des Bundesvorstands, darunter die des Bundesvorsitzenden (§ 18 Abs. 2 Satz 3 BWG). Der anfängliche Mangel hinsichtlich der Anlagen wurde vor Ablauf der Ausschlussfrist des § 18 Abs. 2 Satz 1 BWG gemäß § 18 Abs. 3 Satz 2 und 3 BWG behoben. Dass zur Behebung eines formellen Mangels in den Anlagen eine erneute Beteiligungsanzeige erforderlich wäre, ergibt sich weder aus dem Gesetzeswortlaut noch aus der besonderen Formstrenge in Wahlverfahren.

14

2. Die Beschwerdeführerin ist entsprechend § 18 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BWG als wahlvorschlagsberechtigte Partei für die Wahl zum 18. Deutschen Bundestag anzuerkennen.

15

a) Parteien sind Vereinigungen von Bürgern, die dauernd oder für längere Zeit für den Bereich des Bundes oder eines Landes auf die politische Willensbildung Einfluss nehmen und an der Vertretung des Volkes im Deutschen Bundestag oder einem Landtag mitwirken wollen, wenn sie nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse, insbesondere nach Umfang und Festigkeit ihrer Organisation, nach der Zahl ihrer Mitglieder und nach ihrem Hervortreten in der Öffentlichkeit eine ausreichende Gewähr für die Ernsthaftigkeit dieser Zielsetzung bieten (§ 2 Abs. 1 Satz 1 PartG). Das Bundesverfassungsgericht geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass der Gesetzgeber den Parteienbegriff des Art. 21 Abs. 1 GG durch diese Legaldefinition in verfassungsmäßiger Weise konkretisiert hat (vgl. BVerfGE 89, 266 <269 f.> m.N.). Sie ist danach auch für die im vorliegenden Verfahren zu entscheidende Frage maßgeblich, ob die Beschwerdeführerin eine Partei ist. § 2 PartG muss allerdings im Lichte des Art. 21 Abs. 1 GG ausgelegt und angewendet werden (vgl. BVerfGE 89, 266 <270>).

16

Parteien müssen auch in der Gründungsphase mindestens ansatzweise in der Lage sein, die ihnen nach § 2 Abs. 1 Satz 1 PartG in Übereinstimmung mit dem Grundgesetz zugedachten Aufgaben wirksam zu erfüllen. Allein der Wille "Partei" zu sein, ist nicht ausreichend. Im Blick auf die bei der Zulassung zur Wahl zu stellenden Anforderungen hat der Senat festgestellt, sie sollten gewährleisten, dass sich nur ernsthafte politische Vereinigungen und keine Zufallsbildungen von kurzer Lebensdauer um Wähler bewerben (vgl. BVerfGE 89, 266 <270>). Daraus folgt im vorliegenden Zusammenhang, dass es gewisser objektiver, im Ablauf der Zeit an Gewicht gewinnender Voraussetzungen bedarf, um einer politischen Vereinigung den Status einer Partei zuerkennen zu können.

17

Wegen der den Parteien um der Offenheit des politischen Prozesses willen verfassungsrechtlich verbürgten Gründungsfreiheit ist bei politischen Vereinigungen, die am Beginn ihres Wirkens als Parteien stehen, zu berücksichtigen, dass der Aufbau einer Organisation, die sie zur Wahrnehmung ihrer Funktionen befähigt, eine gewisse Zeit erfordert. Entscheidend ist das "Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse". Die in § 2 Abs. 1 Satz 1 PartG angesprochenen, nicht trennscharf voneinander abzugrenzenden objektiven Merkmale - deren Aufzählung nicht erschöpfend ist (vgl. BVerfGE 89, 266 <270>), denen regelmäßig aber ein großes Gewicht zukommt (vgl. BVerfGE 89, 291 <306>) - sind Indizien für die Ernsthaftigkeit der politischen Zielsetzung. Keines ist für sich genommen ausschlaggebend, und nicht alle müssen von der Partei stets im gleichen Umfang erfüllt werden. Vielmehr bleibt es der Partei grundsätzlich überlassen, wie sie die Ernsthaftigkeit ihrer Zielsetzung unter Beweis stellt. Ihr ist es unbenommen, in ihrer politischen Arbeit Schwerpunkte zu setzen, sei es etwa im Bereich der Mitgliederwerbung und -aktivierung, der Öffentlichkeitsarbeit zwischen den Wahlen oder der Wahlteilnahme. Zurückhaltung in einem Bereich kann durch verstärkte Bemühungen auf anderen Gebieten in gewissen Grenzen ausgeglichen werden (BVerfGE 91, 262 <271>).

18

Insgesamt kommt es darauf an, ob die Gesamtwürdigung der tatsächlichen Verhältnisse einer Partei - unter Einschluss der Dauer ihres Bestehens - den Schluss zulässt, dass sie ihre erklärte Absicht, an der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken, ernsthaft verfolgt. Daraus ergibt sich, dass Vereinigungen, die nach ihrem Organisationsgrad und ihren Aktivitäten offensichtlich nicht imstande sind, auf die politische Willensbildung des Volkes Einfluss zu nehmen, bei denen die Verfolgung dieser Zielsetzung erkennbar unrealistisch und aussichtslos ist und damit nicht (mehr) als ernsthaft eingestuft werden kann, nicht als Parteien anzusehen sind (vgl. BVerfGE 91, 262 <271 f.>).

19

b) Gemessen an diesen Maßstäben handelt es sich bei der Beschwerdeführerin um eine Partei im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 PartG, Art. 21 GG.

20

Die Beschwerdeführerin, deren Bundesvorstand bereits mehrere Monate besteht, hat sich durch Gründung von mindestens sechs Landesverbänden organisatorisch verfestigt. In der Öffentlichkeit ist sie durch Internetauftritte und Verteilung von Werbematerialien in Erscheinung getreten. Ferner hat sie öffentliche Informationsveranstaltungen bundesweit durchgeführt und mithin ausreichende Aktivitäten gezeigt, die auf die politische Willensbildung der Bevölkerung Einfluss nehmen sollen. Bei Gesamtbetrachtung aller Umstände ist der Beschwerdeführerin die Ernsthaftigkeit ihres Willens, politisch in die Öffentlichkeit hineinzuwirken, nicht abzusprechen. Dem steht nicht entgegen, dass sie lediglich über 42 Mitglieder verfügt. Die Mitgliederzahl fließt lediglich als ein Faktor in die erforderliche Gesamtbeurteilung der Ernsthaftigkeit der politischen Zielsetzung ein. Bei einer Partei in der Gründungsphase kann insoweit lediglich verlangt werden, dass sie von einem Mitgliederwechsel unabhängig ist. Bei 42 Mitgliedern liegt noch nicht auf der Hand, dass ein Austritt einer größeren Gruppe zugleich zur Auflösung der Beschwerdeführerin führen müsste.

C.

21

Diese Entscheidung ist mit 6:1 Stimmen ergangen.

Tenor

Die Nichtanerkennungsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

A.

1

Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Ablehnung der Anerkennung als Partei für die Wahl zum 18. Deutschen Bundestag.

2

1. Die Beschwerdeführerin wurde im August 2012 in Schwerin gegründet. Sie besteht aus acht Mitgliedern und verfügt lediglich über einen Bundesverband, nicht aber über Landesverbände. Die Öffentlichkeitsarbeit erfolgt nach Angaben der Beschwerdeführerin gegenüber dem Bundeswahlausschuss auf der eigenen Internetseite und durch verschiedene Aktivitäten wie Beteiligung an Podiumsdiskussionen und Petitionen, Herausgabe einer Parteizeitung, Durchführung wöchentlicher öffentlicher Sitzungen und Unterschriftensammlungen.

3

2. Nachdem die Beschwerdeführerin dem Bundeswahlleiter rechtzeitig ihre geplante Beteiligung an der Bundestagswahl angezeigt hatte, stellte der Bundeswahlausschuss am 5. Juli 2013 die Nichtanerkennung der Beschwerdeführerin als Partei für die Wahl zum 18. Deutschen Bundestag fest. Die formellen Voraussetzungen des § 18 Abs. 2 BWG seien erfüllt, nicht jedoch die Kriterien der Parteieigenschaft gemäß § 2 PartG. Die erst kürzlich erfolgte Gründung sei zwar positiv anzurechnen, allerdings seien keine Angaben zu Landesverbänden gemacht worden und die Vereinigung verfüge lediglich über acht Mitglieder.

4

3. Hiergegen wendet sich die Beschwerdeführerin mit ihrer Nichtanerkennungsbeschwerde vom 8. Juli 2013. Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor, sie halte ihre Parteieigenschaft für gegeben. Nach dem Parteiengesetz sei ein Landesverband nicht zwingend erforderlich. Sie habe einen Direktkandidaten für die Bundestagswahl benannt; ein weiteres Mitglied kandidiere als Privatperson für den Bundestag. Insoweit lägen die erforderlichen Unterstützerunterschriften vor. Die Ernsthaftigkeit ihrer Zielsetzung werde belegt durch nachweisbar langjährige Aktivitäten und ihr Hervortreten in der Öffentlichkeit.

5

4. Dem Bundeswahlausschuss wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

B.

6

Die Nichtanerkennungsbeschwerde ist jedenfalls unbegründet. Die Beschwerdeführerin ist nicht als wahlvorschlagsberechtigte Partei für die Wahl zum Deutschen Bundestag anzuerkennen.

7

1. Parteien sind Vereinigungen von Bürgern, die dauernd oder für längere Zeit für den Bereich des Bundes oder eines Landes auf die politische Willensbildung Einfluss nehmen und an der Vertretung des Volkes im Deutschen Bundestag oder einem Landtag mitwirken wollen, wenn sie nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse, insbesondere nach Umfang und Festigkeit ihrer Organisation, nach der Zahl ihrer Mitglieder und nach ihrem Hervortreten in der Öffentlichkeit eine ausreichende Gewähr für die Ernsthaftigkeit dieser Zielsetzung bieten (§ 2 Abs. 1 Satz 1 PartG). Das Bundesverfassungsgericht geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass der Gesetzgeber den Parteienbegriff des Art. 21 Abs. 1 GG durch diese Legaldefinition in verfassungsmäßiger Weise konkretisiert hat (vgl. BVerfGE 89, 266 <269 f.>, m.w.N.). Sie ist danach auch für die im vorliegenden Verfahren zu entscheidende Frage maßgeblich, ob die Beschwerdeführerin eine Partei ist. § 2 PartG muss allerdings im Lichte des Art. 21 Abs. 1 GG ausgelegt und angewendet werden (vgl. BVerfGE 89, 266 <270>).

8

Parteien müssen auch in der Gründungsphase mindestens ansatzweise in der Lage sein, die ihnen nach § 2 Abs. 1 Satz 1 PartG in Übereinstimmung mit dem Grundgesetzzugedachten Aufgaben wirksam zu erfüllen. Allein der Wille, "Partei" zu sein, ist nicht ausreichend. Im Blick auf die bei der Zulassung zur Wahl zu stellenden Anforderungen hat der Senat festgestellt, sie sollten gewährleisten, dass sich nur ernsthafte politische Vereinigungen und keine Zufallsbildungen von kurzer Lebensdauer um Wähler bewerben (vgl. BVerfGE 89, 266 <270>). Daraus folgt, dass es gewisser objektiver, im Lauf der Zeit an Gewicht gewinnender Voraussetzungen bedarf, um einer politischen Vereinigung den Status einer Partei zuerkennen zu können.

9

Wegen der den Parteien um der Offenheit des politischen Prozesses willen verfassungsrechtlich verbürgten Gründungsfreiheit ist bei politischen Vereinigungen, die am Beginn ihres Wirkens als Parteien stehen, zu berücksichtigen, dass der Aufbau einer Organisation, die sie zur Wahrnehmung ihrer Funktionen befähigt, eine gewisse Zeit erfordert. Entscheidend ist das "Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse". Die in § 2 Abs. 1 Satz 1 PartG angesprochenen, nicht trennscharf voneinander abzugrenzenden objektiven Merkmale - deren Aufzählung nicht erschöpfend ist (vgl. BVerfGE 89, 266 <270>), denen regelmäßig aber ein großes Gewicht zukommt (vgl. BVerfGE 89, 291 <306>) - sind Indizien für die Ernsthaftigkeit der politischen Zielsetzung. Keines ist für sich genommen ausschlaggebend, und nicht alle müssen von der Partei stets im gleichen Umfang erfüllt werden. Vielmehr bleibt es der Partei grundsätzlich überlassen, wie sie die Ernsthaftigkeit ihrer Zielsetzung unter Beweis stellt. Ihr ist es unbenommen, in ihrer politischen Arbeit Schwerpunkte zu setzen, sei es etwa im Bereich der Mitgliederwerbung und -aktivierung, der Öffentlichkeitsarbeit zwischen den Wahlen oder der Wahlteilnahme. Zurückhaltung in einem Bereich kann durch verstärkte Bemühungen auf anderen Gebieten in gewissen Grenzen ausgeglichen werden (BVerfGE 91, 262 <271>).

10

Insgesamt kommt es darauf an, ob die Gesamtwürdigung der tatsächlichen Verhältnisse einer Partei - unter Einschluss der Dauer ihres Bestehens - den Schluss zulässt, dass sie ihre erklärte Absicht, an der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken, ernsthaft verfolgt. Daraus ergibt sich, dass Vereinigungen, die nach ihrem Organisationsgrad und ihren Aktivitäten offensichtlich nicht imstande sind, auf die politische Willensbildung des Volkes Einfluss zu nehmen, bei denen die Verfolgung dieser Zielsetzung erkennbar unrealistisch und aussichtslos ist und damit nicht (mehr) als ernsthaft eingestuft werden kann, nicht als Parteien anzusehen sind (BVerfGE 91, 262 <271 f.>).

11

2. Gemessen an diesem Maßstab hat die Beschwerdeführerin nach der erforderlichen Gesamtwürdigung der tatsächlichen Verhältnisse nicht die Eigenschaft einer Partei. Nach der Zahl ihrer Mitglieder und ihrem Organisationsgrad ist sie derzeit nicht imstande, auf die politische Willensbildung des Volkes Einfluss zu nehmen. Auch ihr Hervortreten in der Öffentlichkeit bietet bislang keine ausreichende Gewähr für die Ernsthaftigkeit ihrer politischen Zielsetzung.

12

Die Beschwerdeführerin verfügt nur über acht Mitglieder. Es ist nicht ersichtlich, wie die Vereinigung mit nur acht Mitgliedern auf Bundesebene Einfluss auf die politische Willensbildung des Volkes nehmen will und einen Wahlkampf mit dem Ziel parlamentarischer Vertretung führen will (vgl. BVerfGE 91, 262 <274>). Auch ist damit nicht gesichert, dass das Bestehen der Vereinigung von einem Mitgliederwechsel unabhängig ist. Die Partei weist über das Bestehen eines Bundesverbandes hinaus keine weiteren organisatorischen Strukturen auf und kann daher nicht als hinreichend organisatorisch verfestigt angesehen werden. Ein Ausbau der Organisation ist seit Parteigründung nicht erfolgt. Auch ist die Beschwerdeführerin in der Öffentlichkeit bislang kaum hervorgetreten. Nachweise für die von der Beschwerdeführerin behauptete Öffentlichkeitsarbeit liegen kaum vor. Ständige Aktivitäten entwickelt die Beschwerdeführerin lediglich in der Herausgabe einer Zeitschrift ("Zukunftsangst"), von der schon unklar ist, in welchen Zeitabständen und in welcher Auflage sie erscheint. Ferner führt sie wöchentlich "öffentliche Versammlungen" durch, deren Teilnehmerkreis unbekannt bleibt. Über die lokale Öffentlichkeit hinausgreifende Wirksamkeit kommt diesen Aktivitäten offensichtlich nicht zu. Selbst unter Berücksichtigung der besonderen Situation von Parteien in der Gründungsphase kann von einer Ernsthaftigkeit der politischen Zielsetzung der Beschwerdeführerin nach alledem gegenwärtig nicht ausgegangen werden.

Tenor

§ 1 Absatz 1 Satz 2 und Absatz 2, § 3 Absatz 5 und § 16 des Wahlgesetzes für den Landtag von Schleswig-Holstein in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. Oktober 1991 (Gesetz-und Verordnungsblatt Seite 442, berichtigt Seite 637), zuletzt geändert durch Gesetz vom 30. März 2010 (Gesetz- und Verordnungsblatt Seite 392) verletzen in ihrem Zusammenspiel Artikel 3 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 10 Absatz 2 der Landesverfassung.

Der Gesetzgeber ist verpflichtet, spätestens bis zum 31. Mai 2011 eine mit der Landesverfassung übereinstimmende Rechtslage herbeizuführen.

Spätestens bis zum 30. September 2012 ist eine Neuwahl herbeizuführen.

Im Übrigen werden die Wahlprüfungsbeschwerden zurückgewiesen.

Das Land Schleswig-Holstein hat den Beschwerdeführern zu 1), 2) und 3) die notwendigen Auslagen zu Zweidritteln zu erstatten.

Gründe

A.

1

Gegenstand der Wahlprüfung sind Beschwerden einer Fraktion des Schleswig-Holsteinischen Landtages und mehrerer Wahlberechtigter gegen den Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Landtages vom 28. Januar 2010 über die Gültigkeit der Landtagswahl vom 27. September 2009 (Landtags-Drucksache 17/192 , PlPr 17/9, S. 681).

I.

2

1. Die maßgeblichen Vorschriften der Landesverfassung (LV) lauten:

3

Artikel 3

        

Wahlen und Abstimmungen

        

(1) Die Wahlen zu den Volksvertretungen im Lande, in den Gemeinden und Gemeindeverbänden und die Abstimmungen sind allgemein, unmittelbar, frei, gleich und geheim.

        

(2)–(4) […]

        
Artikel 10

Funktion und Zusammensetzung des Landtages

(1)[…]

(2) Der Landtag besteht aus fünfundsiebzig Abgeordneten. Ab der 16. Wahlperiode besteht der Landtag aus neunundsechzig Abgeordneten. Sie werden nach einem Verfahren gewählt, das die Persönlichkeitswahl mit den Grundsätzen der Verhältniswahl verbindet. Die in Satz 1 genannte Zahl ändert sich nur, wenn Überhangoder Ausgleichsmandate entstehen oder wenn Sitze leer bleiben. Das Nähere regelt ein Gesetz, das für den Fall des Entstehens von Überhangmandaten Ausgleichsmandate vorsehen muss.

4

2. § 1 Abs. 1 Satz 1 des Wahlgesetzes für den Landtag von Schleswig-Holstein (Landeswahlgesetz - LWahlG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. Oktober 1991 (GVOBl S. 442, ber. S. 637), zuletzt geändert durch Gesetz vom 30. März 2010 (GVOBl S. 392) legt fest, dass der Landtag aus 69 Abgeordneten vorbehaltlich der sich aus diesem Gesetz ergebenden Abweichungen besteht. § 1 Abs. 2 LWahlG bestimmt, dass jede Wählerin und jeder Wähler zwei Stimmen hat; eine Erststimme für die Wahl einer Bewerberin oder eines Bewerbers im Wahlkreis, eine Zweitstimme für die Wahl einer Landesliste. Nach § 1 Abs. 1 Satz 2 LWahlG werden von der Gesamtzahl der Abgeordneten 40 durch Mehrheitswahl in den Wahlkreisen und die übrigen durch Verhältniswahl aus den Landeslisten der Parteien auf der Grundlage der abgegebenen Zweitstimmen und unter Berücksichtigung der in den Wahlkreisen erfolgreichen Bewerberinnen und Bewerber gewählt. Hierzu wird das Land in 40 Wahlkreise eingeteilt, § 16 Abs. 1 LWahlG. Die Bevölkerungszahl eines Wahlkreises darf nicht mehr als 25 v. H. von der durchschnittlichen Bevölkerungszahl der Wahlkreise abweichen (§ 16 Abs. 3 Satz 1 LWahlG). Maßgebend ist die vom Statistischen Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein fortgeschriebene Bevölkerungszahl nach dem Stand vom 30. Dezember des vierten Jahres vor der Wahl (§ 16 Abs. 3 Satz 2 LWahlG). Im Wahlkreis ist gewählt, wer die meisten Stimmen erhalten hat, § 2 Satz 1 LWahlG.

5

Das weitere Verfahren ist in § 3 LWahlG wie folgt geregelt:

6

§ 3 LWahlG

Wahl der Abgeordneten aus den Landeslisten

(1)An dem Verhältnisausgleich nimmt jede Partei teil, für die eine Landesliste aufgestellt und zugelassen worden ist, sofern für sie in mindestens einem Wahlkreis eine Abgeordnete oder ein Abgeordneter gewählt worden ist oder sofern sie insgesamt fünf v. H. der im Land abgegebenen gültigen Zweitstimmen erzielt hat. Diese Einschränkungen gelten nicht für Parteien der dänischen Minderheit.

(2)Von der Gesamtzahl der Abgeordneten (§ 1 Abs. 1 Satz 1) werden die Zahl der in den Wahlkreisen erfolgreichen Bewerberinnen und Bewerber einer Partei, für die keine Landesliste zugelassen oder die nicht nach Absatz 1 zu berücksichtigen ist, sowie die Zahl der in den Wahlkreisen erfolgreichen parteilosen Einzelbewerberinnen und Einzelbewerber (§ 24 Abs. 1) abgezogen.

(3)Für die Verteilung der nach Landeslisten zu besetzenden Sitze werden die für jede Landesliste einer am Verhältnisausgleich teilnehmenden Partei abgegebenen gültigen Zweitstimmen zusammengezählt. Anhand der Gesamtstimmenzahlen wird für jede ausgleichsberechtigte Partei nach der Reihenfolge der Höchstzahlen, die sich durch Teilung durch 1, 2, 3, 4 usw. ergibt (Höchstzahlenverfahren), festgestellt, wie viele der nach Absatz 2 verbleibenden Sitze auf sie entfallen (verhältnismäßiger Sitzanteil). Über die Zuteilung des letzten Sitzes entscheidet bei gleicher Höchstzahl das von der Landeswahlleiterin oder dem Landeswahlleiter zu ziehende Los.

(4)Die Parteien erhalten so viele Sitze aus den Landeslisten, wie ihnen unter Anrechnung der in den Wahlkreisen für sie gewählten Bewerberinnen und Bewerber an dem verhältnismäßigen Sitzanteil fehlen.

(5) Ist die Anzahl der in den Wahlkreisen für eine Partei gewählten Bewerberinnen und Bewerber größer als ihr verhältnismäßiger Sitzanteil, so verbleiben ihr die darüber hinausgehenden Sitze (Mehrsitze). In diesem Fall sind auf die nach Absatz 3 Satz 2 und 3 noch nicht berücksichtigten nächstfolgenden Höchstzahlen so lange weitere Sitze zu verteilen und nach Absatz 4 zu besetzen, bis der letzte Mehrsitz durch den verhältnismäßigen Sitzanteil gedeckt ist. Die Anzahl der weiteren Sitze darf dabei jedoch das Doppelte der Anzahl der Mehrsitze nicht übersteigen. Ist die nach den Sätzen 1 bis 3 erhöhte Gesamtsitzzahl eine gerade Zahl, so wird auf die noch nicht berücksichtigte nächstfolgende Höchstzahl ein zusätzlicher Sitz vergeben.

(6)Innerhalb der Parteien werden die aus den Landeslisten zu verteilenden Sitze nach der sich aus den Listen ergebenden Reihenfolge verteilt. Entfallen auf eine Partei mehr Sitze, als Bewerberinnen und Bewerber auf ihrer Landesliste vorhanden sind, so bleiben diese Sitze leer.

(7) Aus der Landesliste scheiden aus:

1. Bewerberinnen und Bewerber, die in einem Wahlkreis unmittelbar gewählt sind,

2. Bewerberinnen und Bewerber, die nach der Aufstellung der Landesliste einer Partei aus dieser ausgeschieden oder einer anderen Partei beigetreten sind.

7

2. Nach dem endgültigen Ergebnis der Wahl zum Schleswig-Holsteinischen Landtag vom 27. September 2009 (Bekanntmachung im Amtsblatt Nr. 44 vom 2. November 2009, S. 1129, Berichtigung im Amtsblatt Nr. 7 vom 15. Februar 2010, S. 214) entfielen von den gültigen Zweitstimmen

8

auf die CDU

31,5 %,

auf die SPD

25,4 %,

auf die FDP

14,9 %,

auf die GRÜNEN

12,4 %,

auf den SSW

4,3 %

und auf DIE LINKE

6,0 %.

9

Von den 69 zu vergebenden Sitzen entfielen nach § 3 Abs. 3 LWahlG

10

auf die CDU

23 Sitze,

auf die SPD

19 Sitze,

auf die FDP

11 Sitze,

auf die GRÜNEN

9 Sitze,

auf den SSW

3 Sitze

und auf DIE LINKE

4 Sitze.

11

Darüber hinaus sind für die CDU elf Mehrsitze entstanden (§ 3 Abs. 5 Satz 1 LWahlG), nachdem ihre Bewerberinnen und Bewerber in 34 von 40 Wahlkreisen erfolgreich waren. Nach § 3 Abs. 5 Satz 2 und 3 LWahlG sind daraufhin 22 weitere Sitze verteilt worden. Davon entfielen

12

auf die CDU

8,   

auf die SPD

6,   

auf die FDP

3,   

auf die GRÜNEN

3 sowie

auf den SSW und DIE LINKE je

1 Sitz.

13

Die acht weiteren Sitze der CDU waren bereits als Direktmandate besetzt und wurden nach § 3 Abs. 4 LWahlG angerechnet.

14

Zuzüglich der danach ungedeckt gebliebenen drei Mehrsitze der CDU und eines Sitzes gemäß § 3 Abs. 5 Satz 4 LWahlG, der an DIE LINKE vergeben wurde, besteht der Landtag aus 95 Abgeordneten. Davon entfallen im Ergebnis

15

auf die CDU

34,

auf die SPD

25,

auf die FDP

14,

auf die GRÜNEN

12,

auf den SSW

4       

und auf DIE LINKE

6 Sitze.

16

Erstmals in der schleswig-holsteinischen Wahlgeschichte seit 1947 ist es damit zur Entstehung „ungedeckter“ Mehrsitze (Überhangmandate) gekommen (vgl. die Aufstellung „Wahlen in Schleswig-Holstein seit 1947“, Sitzverteilung, Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein 2009). Mehrsitze waren zwar auch schon bei früheren Wahlen entstanden, doch wurden diese durch die Anzahl an weiteren Sitzen im Rahmen des Verhältnisausgleichs vollständig gedeckt: Nach dem endgültigen Wahlergebnis von 1992 errang die SPD einen verhältnismäßigen Sitzanteil von 38 Sitzen, gewann aber zugleich alle 45 Wahlkreise (Amtsbl. S. 292, 295). Im Jahr 2000 errang sie einen verhältnismäßigen Sitzanteil von 34 Sitzen und gewann 41 Wahlkreise (Amtsbl. S. 206, 219). Die jeweils errungenen sieben Mehrsitze gingen in den 14 weiteren Sitzen vollständig auf, der Landtag bestand aus 89 statt 75 Sitzen.

17

Gegen das am 2. November 2009 bekanntgemachte Ergebnis der Landtagswahl vom 27. September 2009 gingen bei der Landeswahlleiterin 438 Einsprüche ein, die sich überwiegend mit der Auslegung und / oder der Verfassungsmäßigkeit des § 3 Abs. 5 Satz 3 LWahlG befassten. Nach entsprechender Vorprüfung leitete die Landeswahlleiterin die Einsprüche zur Vorbereitung der Wahlprüfung durch den Landtag an den Innen- und Rechtsausschuss als Wahlprüfungsausschuss weiter. Die in den Einsprüchen geltend gemachten verfassungsrechtlichen Zweifel an § 3 Abs. 5 Satz 3 LWahlG wurden von der Landeswahlleiterin nicht geteilt; im Übrigen sei es allein Sache des Landesverfassungsgerichts, über die Verfassungsmäßigkeit von Wahlrechtsnormen zu befinden (Vorprüfungsbericht vom 14. Dezember 2009, Landtags-Umdruck 17/117).

18

Am 13. Januar 2010 beschloss der Wahlprüfungsausschuss, die Stimmzettel aus dem Wahlkreis Husum 003 in einer öffentlichen Sitzung durch den Landeswahlausschuss neu auszählen zu lassen (IR 17/7, S. 12). Nach der Neuauszählung am 22. Januar 2010 empfahl der Wahlprüfungsausschuss dem Landtag, das Wahlergebnis dem Ergebnis der Neuauszählung entsprechend zu berichtigen und die Einsprüche im Übrigen zurückzuweisen (Landtags-Drucksache 17/192). Am 28. Januar 2010 beschloss der Landtag mit den Stimmen von CDU, SPD und FDP, diese Empfehlung anzunehmen (PlPr 17/9, S. 681 f.). Der Beschluss wurde den einspruchsführenden Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführern in der Zeit vom 12. Februar bis zum 5. März 2010 jeweils gesondert zugestellt und das berichtigte Wahlergebnis neu bekanntgemacht (Amtsbl. Nr. 7 vom 15. Februar 2010 S. 214).

II.

19

Gegen den Beschluss des Landtages vom 28. Januar 2010 haben eine Fraktion und eine Vielzahl von Wahlberechtigten fristgerecht Beschwerden zur Korrektur des Wahlergebnisses erhoben, die das Gericht mit Beschluss vom 17. Mai 2010 unter dem Aktenzeichen LVerfG 1/10 zur gemeinsamen Entscheidung miteinander verbunden hat. Die Beschwerdeführerinnen und -führer begehren eine Änderung des Landtagsbeschlusses und eine Neufeststellung des Wahlergebnisses mit einer verhältnismäßigen Sitzverteilung, die alle Mehrsitze deckt.

20

Einige Beschwerdeführer beanstanden bereits das Verfahren der Wahlprüfung durch den Landtag. Tatsächlich habe nur die weisungsgebundene Landeswahlleiterin eine Prüfung der Einsprüche vorgenommen. Es fehle eine eigene sachliche Prüfung der Einsprüche gegen die Gültigkeit der Landtagswahl durch den Landtag. Zudem sei der Beschluss des Landtages nicht ausreichend begründet. Beide Verfahrensfehler seien wesentlich und entzögen der parlamentarischen Entscheidung die Grundlage. In einem „normalen“ Gerichtsverfahren wäre der Landtagsbeschluss deshalb aufzuheben und das Verfahren an den Landtag zur erneuten Beratung und Entscheidung zurückzuverweisen. Der Beschwerdeführer zu 16) rügt zudem, dass ihm die Einsicht in die Vorgänge anderer Einspruchsverfahren verweigert worden sei. Außerdem habe der Landtag auch die Verfassungswidrigkeit von Wahlnormen prüfen müssen.

21

Inhaltlich kritisieren die Beschwerdeführer im Wesentlichen, dass die Sitzzuteilung nicht mit dem Wählerwillen übereinstimme. Obwohl CDU und FDP vom Zweitstimmenanteil her in der Minderheit seien, komme ihnen aufgrund der ungedeckten Mehrsitze eine Mehrheit an Landtagssitzen zu. Dies beruhe auf einem fehlerhaften Verständnis des § 3 Abs. 5 LWahlG und der in Satz 3 vorgesehenen Begrenzung des Sitzausgleichs. Wären die zum Zweck des Ausgleichs der Mehrsitze zu vergebenden weiteren Sitze vollständig den anderen Parteien zugewiesen worden, hätte dies zu einem vollen Ausgleich aller Mehrsitze und zu anderen Mehrheiten im Landtag geführt. Die Entstehungsgeschichte und die Parallelität zu § 10 Abs. 4 des Gesetzes über die Wahlen in den Gemeinden und Kreisen in Schleswig-Holstein (Gemeinde- und Kreiswahlgesetz - GKWG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. März 1997 (GVOBl S. 151), zuletzt geändert durch Gesetz vom 16. September 2009 (GVOBl S. 572) seien nicht zur Auslegung heranzuziehen, nachdem 1997 für die Landtagswahlen das Zweistimmenwahlrecht eingeführt worden sei.

22

Außerdem sei die Mehrsitzbegrenzung des § 3 Abs. 5 Satz 3 LWahlG im Rahmen der Ausgleichsregelung verfassungswidrig. Artikel 10 Abs. 2 Satz 5 LV konkretisiere den Grundsatz der Wahlgleichheit aus Art. 3 Abs. 1 LV und verpflichte den Gesetzgeber, für den Fall des Entstehens von Überhangmandaten Ausgleichsmandate vorzusehen; einen vorzeitigen Abbruch des Ausgleichs dürfe das Gesetz deshalb nicht erlauben. Der Verbleib von ungedeckten Mehrsitzen verzerre die nach Art. 3 Abs. 1 LV gebotene Gleichheit der Wählerstimmen in ihrem Erfolgswert. Zumindest verstoße die Vorschrift des § 3 Abs. 5 Satz 3 LWahlG gegen das Gebot der Normenklarheit.

23

Das geltende Wahlrecht begünstige mit den § 2 und § 3 Abs. 5 Satz 1 LWahlG über die Mehrheits- oder Persönlichkeitswahl in Verbindung mit der Wahlkreiseinteilung nach § 16 LWahlG in unverhältnismäßiger Anzahl das Entstehen von Überhangmandaten und verstoße auch insoweit gegen den Grundsatz der gleichen Wahl in Art. 3 Abs. 1 LV, ohne dass es noch auf die Ausgleichsregelung in Art. 10 Abs. 2 Satz 5 LV in Verbindung mit § 3 Abs. 5 LWahlG ankomme. Der Beschwerdeführer zu 11) wendet sich zudem gegen das Höchstzahlenverfahren nach § 3 Abs. 3 Satz 2 LWahlG.

III.

24

1. Der Landtag hält die Wahlprüfungsbeschwerden für unbegründet. Abgesehen davon, dass die Wahlprüfung formell rechtmäßig durchgeführt worden sei, könne ein Verfahrensfehler nicht auf die materielle Rechtsanwendung in der Wahl selbst durchschlagen und diese ungültig oder ihr Ergebnis korrekturbedürftig machen. Im Übrigen sehe das Gesetz eine Zurückverweisung an den Landtag nicht vor.

25

Die Anwendung des § 3 Abs. 5 Satz 3 LWahlG sei nicht zu beanstanden. Weder Wortlaut noch Entstehungsgeschichte oder Systematik der Norm geböten eine Auslegung im Sinne des sogenannten großen Ausgleichs. Der Begriff „weitere Sitze“ sei als Oberbegriff für die Begriffe Mehrsitze und Ausgleichsmandate zu verstehen und umfasse deshalb auch diejenigen Sitze, die als Mehrsitze auf nicht berücksichtigte Höchstzahlen der Mehrsitzpartei entfielen. Daran ändere auch die Einführung des Zweistimmenwahlrechts nichts, weil der Gesetzgeber dabei bewusst von einer Änderung des § 3 Abs. 5 LWahlG abgesehen und weiterhin am Vorbildcharakter des § 10 Abs. 4 GKWG festgehalten habe. Die Vorschrift des § 3 Abs. 5 Satz 3 LWahlG sei auch verfassungsgemäß und verstoße insbesondere nicht gegen das Gebot der Normenklarheit.

26

Der Wortlaut des Art. 10 Abs. 2 LV gebiete keinen „Vollausgleich“. Er gebe in Satz 5 zwar vor, dass Ausgleichsmandate vorzusehen seien, besage aber nicht, wie viele. Insofern habe der Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum. Entstehungsgeschichtlich sei die im zeitlichen Zusammenhang stehende Änderung des Landeswahlgesetzes als verfassungskonforme Konkretisierung des gleichzeitig beschlossenen Art. 10 Abs. 2 LV anzusehen. Obwohl Art. 10 Abs. 2 LV eine stärkere Berücksichtigung der Grundsätze der Verhältniswahl bezwecke, sei ein Wahlverfahren allein nach Verhältnismäßigkeitsgrundsätzen ausgeschlossen. Vielmehr sei vorrangig der in den Elementen der Persönlichkeitswahl zum Ausdruck kommende Wählerwille zu respektieren. Hier liege in Schleswig-Holstein traditionell und historisch gewachsen ein deutliches Mehrgewicht.

27

Die Einschränkung der verhältniswahlrechtlichen Erfolgswertgleichheit aller abgegebenen Stimmen bei der Entstehung nicht vollständig ausgeglichener Überhangmandate durch § 3 Abs. 5 Satz 3 LWahlG sei im System der vom schleswigholsteinischen Verfassungsgeber vorgesehenen, um Elemente der Verhältniswahl ergänzten Persönlichkeitswahl angelegt. Der Erfolgswertgleichheit komme hier nur eine von vornherein begrenzte Tragweite zu, weil der Proporz nach Zweitstimmen nicht zum ausschließlichen Verteilungssystem erhoben werde. § 3 Abs. 5 Satz 3 LWahlG diene zudem dem verfassungsrechtlich anerkannten Zweck, die Funktionsfähigkeit des Parlaments durch Begrenzung des Anwachsens der Zahl seiner Mitglieder zu gewährleisten. Die Entscheidung, ab wann eine Vergrößerung des Landtages nicht mehr hinnehmbar sei, obliege dem Gesetzgeber im Rahmen seines weiten Gestaltungsspielraums.

28

2. Die Landeswahlleiterin weist in ihrer Stellungnahme darauf hin, dass sie ihr Amt als unabhängiges Wahlorgan außerhalb der allgemeinen Verwaltungsorganisation und -hierarchie, unabhängig und frei von Weisungen Dritter wahrnehme. Bei der Anwendung des § 3 Abs. 5 LWahlG zur Feststellung des Ergebnisses der Landtagswahl vom 27. September 2009 sei auf die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung zum inhaltsgleichen § 10 Abs. 4 GKWG zurückgegriffen worden, der als Vorbild für § 3 Abs. 5 LWahlG gedient habe. Danach seien Parteien, die über Mehrsitze verfügen, in den (weiteren) Verhältnisausgleich einzubeziehen, so dass bei der Verteilung der „weiteren Sitze“ auch die noch nicht verbrauchten Höchstzahlen der „Mehrsitzpartei“ zu verwenden seien.

29

Der dem Gesetzgeber für die Verbindung der beiden in Art. 10 Abs. 2 Satz 3 LV vorgesehenen Wahlsysteme eingeräumte Gestaltungsspielraum sei gewahrt und dessen Ausgestaltung mit dem Grundsatz der Wahlgleichheit vereinbar. Maßgeblich sei allein, dass die Wahlgleichheit in jedem der beiden miteinander verbundenen Wahlsysteme jeweils für sich betrachtet eingehalten werde. Wenn für das Bundesrecht anerkannt sei, dass sich das System der Mehrheitswahl gegenüber dem der Verhältniswahl so weit durchsetzen dürfe, dass bei Zulassung von Überhangmandaten keinerlei Ausgleich gewährt werde, müsse auch die vom Landesgesetzgeber gewählte „Zwischenlösung“ mit einem nur begrenzten Verhältnisausgleich zulässig sein. Für den Ausgleich von Überhangmandaten räume Art. 10 Abs. 2 LV dem Gesetzgeber einen Gestaltungsspielraum ein. Der Verfassungsgeber habe hier bewusst keine Festlegung getroffen, um mit Blick auf die Funktionsfähigkeit des Parlaments eine Begrenzung zu ermöglichen.

B.

30

Gegen die Entscheidung des Landtages vom 28. Januar 2010 über die Gültigkeit der Landtagswahl vom 27. September 2009 ist gemäß Art. 3 Abs. 3 Satz 2 und Art. 44 Abs. 2 Nr. 5 LV, § 3 Nr. 5 LVerfGG die Beschwerde zum Landesverfassungsgericht gegeben. Zur Beschwerde befugt sind nicht nur die Wahlberechtigten, deren Einsprüche vom Landtag verworfen wurden (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 LVerfGG), sondern auch einzelne Landtagsfraktionen, § 49 Abs. 1 Nr. 3 LVerfGG.

31

Gegenstand der Wahlprüfung ist die Rechtmäßigkeit des die Wahlprüfung abschließenden Beschlusses des Landtages und die von ihm angenommene Gültigkeit der Wahl (Art. 3 Abs. 3 Satz 2 und Art. 44 Abs. 2 Nr. 5 LV, § 50 Abs. 1 LVerfGG, § 43 Abs. 2 LWahlG).

C.

32

Die Wahlprüfungsbeschwerden sind im tenorierten Umfang begründet. Zwar dringen die Rügen zum Verfahren der Wahlprüfung durch den Landtag (I.) und zur fehlerhaften Anwendung des § 3 Abs. 5 Satz 3 LWahlG (II.) nicht durch. Zu Recht wird aber die Verfassungswidrigkeit des Landeswahlrechts geltend gemacht. Dabei kann dahinstehen, ob die zahlenmäßige Begrenzung des Mehrsitzausgleichs in § 3 Abs. 5 Satz 3 LWahlG für sich betrachtet gegen den Grundsatz der Wahlgleichheit verstößt. Jedenfalls führen § 1 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2, § 3 Abs. 5 und § 16 LWahlG im Zusammenspiel in der mittlerweile eingetretenen politischen Realität derzeit und in Zukunft dazu, dass der Landtag die in Art. 10 Abs. 2 Satz 2 LV vorgeschriebene Abgeordnetenzahl von 69 regelmäßig verfehlt und so Überhangmandate und ihnen folgend Ausgleichsmandate erst in einem nicht mehr vertretbaren Ausmaß entstehen können. Dies ist mit der Verfassung (Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 10 Abs. 2 LV) unvereinbar. Eine verfassungskonforme Auslegung der Regelungen in § 3 Abs. 5, § 1 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 und § 16 LWahlG ist nicht möglich (III.). Die festgestellten Verfassungsverstöße führen zu mandatsrelevanten Wahlfehlern. Sie können jedoch weder zur Neufeststellung des Ergebnisses noch zur Ungültigerklärung der Wahl zum 17. Landtag führen. Allerdings sind die Fehler so schwerwiegend, dass die Legislaturperiode auf den 30. September 2012 zu beschränken ist. Diese Frist ist notwendig, weil der Landtag zuvor das Landeswahlgesetz ändern muss, um eine mit der Landesverfassung übereinstimmende Rechtslage herbeizuführen. Für die notwendigen gesetzlichen Neuregelungen genügt eine Frist bis spätestens zum 31. Mai 2011 (IV.).

I.

33

Etwaige formelle Mängel im Verfahren der Wahlprüfung durch den Landtag vermögen weder zur Annahme eines entscheidungserheblichen Wahlfehlers noch zur Zurückverweisung an den Landtag führen. Solche Fehler können im Übrigen auch nicht festgestellt werden.

34

1. Trotz individuell möglichen Rechtsschutzes und Verwirklichung des aktiven und passiven Wahlrechts in der Wahlprüfung ist der Streitgegenstand der Beschwerde nach § 43 Abs. 2 LWahlG vom Grundsatz her auf die Sachentscheidung des Landtages beschränkt (vgl. zum Bundeswahlrecht: Achterberg/ Schulte, in: v. Mangoldt / Klein/ Starck , Kommentar zum Grundgesetz, Band 2, 5. Aufl. 2005, Art. 41 Rn. 56; Seifert , Bundeswahlrecht, 3. Aufl. 1976, GG Art. 41 Rn. 20; Rechenberg , in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Band 7, Zweitbearbeitung, Art. 41 Rn. 48 ). Ziel des Wahlprüfungsverfahrens ist nicht die Korrektur einer Verletzung subjektiver Rechte, sondern die Gewährleistung der gesetzmäßigen Zusammensetzung des Parlaments (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. September 2009 - 2 BvR 1928/09 u.a. - Juris Rn. 11 m.w.N.; Schmidt-Bleibtreu, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu/ Klein/ Bethge , Bundesverfassungsgerichtsgesetz - Kommentar - Band 1, § 48 Rn. 39a ).

35

Sollten dem Landtag im Rahmen der Wahlprüfung nach § 43 Abs. 1 LWahlG Verfahrensfehler unterlaufen, wäre die Gültigkeit der Wahl davon nicht betroffen. Denn die Wahlprüfung findet erst im Anschluss an die Wahl einschließlich der Ergebnisfeststellung durch den Landeswahlausschuss nach § 41 Abs. 3 LWahlG statt und stellt ein eigenes parlamentarisches Kontrollinstrument dar (vgl. zum Bundeswahlrecht: Morlok, in: Dreier , Grundgesetz - Kommentar - Band II, 2. Aufl. 2006, Art. 41 Rn. 7). Dass der angegriffene Landtagsbeschluss im Falle eines Verfahrensfehlers aufgehoben und das Verfahren zur erneuten Beratung und Entscheidung zurückverwiesen wird, ist im Übrigen weder im Landesverfassungsgerichtsgesetz noch im ergänzend anzuwendenden Landeswahlgesetz vorgesehen und kommt wegen des geltenden Gebots der Verfahrensbeschleunigung auch grundsätzlich nicht in Betracht (vgl. zum Bundeswahlrecht: Glauben , in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Band 7, Drittbearbeitung, Art. 41 Rn. 112 ; Klein, in: Maunz/ Dürig , Grundgesetz - Kommentar -Band IV, Art. 41 Rn. 95). Vielmehr hat das Gericht nach Möglichkeit in der Sache selbst zu entscheiden (ebenso: Achterberg/ Schulte, a.a.O., Art. 41 Rn. 57; Rechenberg, a.a.O., Rn. 48).

36

2. Dessen ungeachtet wären Mängel in dem durch den Landtag durchgeführten Verfahren der Wahlprüfung allenfalls dann beachtlich, wenn sie wesentlich wären und dem angegriffenen Landtagsbeschluss so seine Grundlage entziehen würden (vgl. allgemein: BVerfG, Beschlüsse vom 20. Oktober 1993 - 2 BvC 2/91 - BVerf-GE 89, 243 ff., Juris Rn. 33 f.; vom 23. November 1993 - 2 BvC 15/91 - BVerfGE 89, 291 ff., Juris Rn. 39 f.; und Urteil vom 3. Juli 2008 - 2 BvC 1/07 u.a. - BVerfGE 121, 266 ff., Juris Rn. 78; dem folgend Morlok, a.a.O., Art. 41 Rn. 23; Klein, a.a.O., Art. 41 Rn. 92). Das ist jedoch nicht der Fall.

37

a) Die Zuständigkeiten sind eingehalten. Landtag und parlamentarischer Wahlprü-fungsausschuss haben sich selbst jeweils hinreichend mit den Einsprüchen und der Gültigkeit der Wahl befasst und ihre Entscheidung in einem noch ausreichenden Maße begründet, ohne dass dabei ein unzulässiger Einfluss vonseiten der Landesregierung festzustellen wäre.

38

aa) Die Wahlprüfung nach Art. 3 Abs. 3 LV, § 43 Abs. 1 Satz 1 LWahlG liegt in der ausschließlichen Zuständigkeit des Landtages. Davor findet eine Vorprüfung durch einen hierfür bestellten parlamentarischen Ausschuss statt, § 43 Abs. 1 Satz 2 LWahlG. § 65 Satz 1 der Landeswahlordnung - LWO - vom 17. Juli 2009 (GVOBl S. 430) schaltet dieser eine Vorprüfung durch die Landeswahlleiterin vor. Diese Bestimmung ist rechtlich nicht zu beanstanden. Sie greift insbesondere nicht unter Verstoß gegen höherrangiges Recht in die ausschließliche Zuständigkeit des Landtages ein.

39

Die vom Innenministerium zur Durchführung des Landeswahlgesetzes erlassene Landeswahlordnung beruht auf § 58 LWahlG. Sie regelt unter anderem die Vorbereitung der Wahlprüfung, § 58 Nr. 17 LWahlG. Entsprechend ist § 65 LWO nicht nur überschrieben, sondern auch seinem Inhalt nach zu verstehen. Hierzu gehört die Vorprüfung durch die Landeswahlleiterin nach § 65 Satz 1 LWO. Nach § 65 Satz 2 LWO übermittelt sie nach Abschluss der Vorprüfung das Ergebnis und die Unterlagen an den vom Landtag zur Vorprüfung bestellten Ausschuss (Wahlprü-fungsausschuss). Nach § 65 Satz 3 LWO führt die Landeswahlleiterin die weiteren vom Wahlprüfungsausschuss noch für erforderlich gehaltenen Ermittlungen durch. Dass die Vorbereitung durch die Landeswahlleiterin ihrerseits als Vorprüfung bezeichnet und konzipiert ist, stellt keinen Widerspruch zur eigentlichen Vorprüfung durch den zuständigen Wahlprüfungsausschuss des Landtages dar. Die Vorprüfung durch die Landeswahlleiterin entspricht vielmehr einer Selbstprüfung, wie sie im Verwaltungsvorverfahren bei einem Widerspruch gegen einen Verwaltungsakt durch die Ausgangsbehörde als Abhilfebehörde zu erfolgen hat (vgl. § 72 VwGO), oder - wie es der Landtag formuliert - einer „Vorprüfung der Vorprüfung“.

40

bb) Der Wahlprüfungsausschuss hat die Einsprüche und die Gültigkeit der Wahl in eigener Verantwortung und in hinreichender Weise geprüft und eine entsprechende Beschlussvorlage (Landtags-Drucksache 17/192) für den Landtag beschlossen. Auch wenn er sich insoweit durch die Landeswahlleiterin nach dem beschriebenen Verfahren der Landeswahlordnung hat vorbereitend zuarbeiten lassen, hat er letztlich eine eigene Entscheidung getroffen. In seiner 1. Sitzung am 13. Januar 2010 ließen sich die Abgeordneten den Vorprüfungsbericht (Landtags-Umdruck 17/117) von der Landeswahlleiterin erläutern, stellten gezielt Fragen zu einzelnen Einsprüchen und befassten sich insbesondere auch mit dem Einspruch des Beschwerdeführers zu 16) (IR 17/7, S. 9). Für die 2. Sitzung am 28. Januar 2010 lag dem Ausschuss nicht nur ein Beschlussvorschlag der Landeswahlleiterin (Landtags-Drucksache 17/257 ) vor, sondern auch deren übrigen Berichte nebst zwei Anträgen, über die kontrovers diskutiert und abgestimmt wurde (IR 17/9). Unabhängig davon kann allein aus der Tatsache, dass die Protokolle nicht ausdrücklich erkennen lassen, dass sich der Ausschuss mit jedem einzelnen Einspruch befasst hat, nicht gefolgert werden, dass insoweit eine unzureichende parlamentarische Prüfung stattgefunden hätte. Weder gibt es normative Vorgaben für den äußeren Rahmen der Befassung, den inhaltlichen Umfang oder die Dokumentation der Vorprüfung durch den Wahlprüfungsausschuss noch ergeben sich solche aus der Natur der Sache.

41

cc) Die Entscheidung des Wahlprüfungsausschusses ist im Ergebnis auch noch ausreichend begründet. Obwohl weder den Regelungen des Wahlrechts noch den allgemein für Ausschüsse des Landtages geltenden Vorschriften der Geschäftsordnung (§§ 14 ff. GO-LT) zu entnehmen ist, dass die Beschlussempfehlung mit einer schriftlichen Begründung zu versehen ist, folgt doch aus ihrer speziellen Aufgabe im Rahmen der Wahlprüfung, dass eine Begründung erforderlich ist, aus der sich die wesentlichen, zum Prüfungsergebnis führenden Umstände ergeben müssen. Nur so kann sie eine ausreichende Grundlage für die Beschlussfassung des Landtages sein. Folgt der Landtag der Beschlussempfehlung, so ist deren Begründung für die Einspruchsführenden zugleich „Antwort“ auf ihr Vorbringen. Erst anhand einer solchen Begründung können die Einspruchsführenden beurteilen, ob die Entscheidung einer gerichtlichen Überprüfung zugeführt werden soll. Die Begründung dient damit nicht nur der Dokumentation. Sie ist, sofern der Landtag der Beschlussempfehlung folgt, Grundlage der späteren gerichtlichen Kontrolle.

42

Hiervon ausgehend wäre eine klarere Abgrenzung der parlamentarischen (Vor-) Prüfung von der Vorbereitung durch die Landeswahlleiterin im Interesse von Transparenz und Akzeptanz der Wahlprüfung wünschenswert. Dennoch wird das Vorgehen des Wahlprüfungsausschusses und des Landtages den genannten Anforderungen noch gerecht. Mit der Weiterleitung des ihm vorliegenden Vorprüfungsberichts nebst Anlagen hat der Ausschuss dem Landtag zu erkennen gegeben, dass er sich hierauf inhaltlich bezieht und dessen Begründung übernimmt, soweit nicht einigen Einsprüchen abgeholfen und das Wahlergebnis aufgrund der Nachzählung im Wahlbezirk Husum 003 (Wahlkreis 3) korrigiert worden ist. Einer ausdrücklichen Bezugnahme bedurfte es unter diesen Umständen nicht. Der Landtag wiederum hat gegenüber den Einspruchsführenden durch Übersendung entsprechender Auszüge aus dem Vorprüfungsbericht hinreichend deutlich gemacht, dass er sich ebenfalls dessen Begründung zu Eigen machen will.

43

dd) Die übernommene Begründung des Vorprüfungsberichts genügt auch inhaltlich diesen Anforderungen. Es spricht nichts dagegen, die verschiedenen Einsprüche nach Argumenten inhaltlich zusammengefasst darzustellen und abzuarbeiten. Dies gilt auch für die Einsprüche der Beschwerdeführer zu 4) und zu 16) - laufende Nr. 360 und 381 -, die unter Verweis auf die Würdigung des Einspruchs Nr. 18 abgehandelt wurden. Die Vorprüfung des Einspruchs Nr. 18 verweist unter anderem auf die umfängliche Vorprüfung des Einspruchs Nr. 17. Der Vorprüfungsbericht gibt damit nachvollziehbar zu erkennen, dass er Einspruchsziel und -argumente der Beschwerdeführer zu 4) und zu 16) inhaltlich denen der Einsprüche Nr. 17 und 18 zuordnet.

44

Den Einsprüchen der Beschwerdeführer zu 4) und zu 16) ist gemeinsam, dass sie sich gegen den mit § 3 Abs. 5 Satz 3 LWahlG zur Anwendung gebrachten „kleinen Ausgleich“ wenden und eine Korrektur des Wahlergebnisses anstreben, die zu einer Gesamtzahl von 101 Sitzen im Landtag führt. Vorgebracht werden dazu sowohl einfachgesetzliche als auch verfassungsrechtliche Argumente, aus denen unterschiedlich weit reichende Konsequenzen gezogen werden, von der anderslautenden (verfassungskonformen) Auslegung im Sinne eines „großen Ausgleichs“ bis zur Unanwendbarkeit der Norm. Die hierzu in der übernommenen Begründung des Vorprüfungsberichts in Bezug genommenen Ausführungen zu den Einsprüchen Nr. 17 und 18 zeigen, dass die verfassungsrechtlichen Bedenken ebenso wenig geteilt werden wie die Annahme, § 3 Abs. 5 Satz 3 LWahlG könne anders als geschehen ausgelegt werden.

45

ee) Die Übernahme des Vorprüfungsberichts der Landeswahlleiterin begründet schließlich nicht die Sorge, dass die Wahlprüfung auf diesem Wege in unzulässiger Weise von der Landesregierung beeinflusst worden wäre. § 10 und § 11 LWahlG sichern die Stellung der Landeswahlleiterin als unabhängiges Wahlorgan ab. Um ihre Unabhängigkeit zu wahren, muss die Landeswahlleiterin außerhalb der allgemeinen Verwaltungshierarchie stehen und darf nicht an Weisungen gebunden sein (vgl. Antworten der Landesregierung auf die Kleinen Anfragen, Landtags-Drucksachen 17/75 und 17/150). Im Rahmen der mit diesem Amt verbundenen Aufgaben trägt sie eigenständig die Verantwortung für die Vorbereitung und Durchführung der Wahl im Land (§ 11 Abs. 2 Satz 2 LWahlG) und ist dem Grundsatz der Neutralität und Überparteilichkeit verpflichtet (vgl. zum Wahlleiter in Gemeinde und Kreis: Asmussen/ Thiel , GKWG, in: Praxis der Kommunalverwaltung, Dezember 2007, § 12 Anm. 1.2; entsprechendes gilt für die Funktion der Landeswahlleiterin als Bundeswahlorgan nach § 8 Abs. 1, § 9 Abs. 1 BWahlG und § 2 BWahlO). Zwar wird die Landeswahlleiterin von der Landesregierung auf unbestimmte Zeit ernannt und kann jederzeit abberufen werden (§ 11 Abs. 1 Satz 2 LWahlG). Auch ist es nicht nur in Schleswig-Holstein, sondern allgemein in den Ländern üblich, höhere Beamte aus dem jeweiligen Innenministerium zu Landeswahlleitern zu ernennen (vgl. Schreiber , Bundeswahlgesetz, 8. Aufl. 2009, § 9 Rn. 3). Diese Bestellungspraxis belegt für sich genommen jedoch noch keine unbefugte Einflussnahme. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass dies anders wäre, die Landeswahlleiterin insbesondere nicht unabhängig entschieden oder von dritter Seite Weisungen erhalten und/ oder solche befolgt hätte, sind weder vorgebracht noch ersichtlich.

46

b) Soweit der Beschwerdeführer zu 16) rügt, dass ihm die Einsicht in die in Bezug genommenen Einsprüche Nr. 17 und 18 verweigert worden sei, bleibt diese Rüge ohne Erfolg. Sein Verfahrensbevollmächtigter hat die Akteneinsicht nicht in seinem Namen, sondern namens des SSW beantragt (vgl. dessen Schreiben vom 4. Februar 2010). Außerdem hatte sich sein darauf gerichtetes Begehren durch Erhalt der Unterlagen erledigt, nachdem der Landtag ihn darauf verwiesen hatte, zunächst bei den Einspruchsführern selbst nachzufragen. Diese Verweisung ist nicht zu beanstanden. Solange sich das Einsichtsbegehren auf Schriftstücke oder Daten Dritter beschränkt, ist vorrangig die Entscheidung der betroffenen Dritten selbst einzuholen.

47

c) Erfolglos rügt der Beschwerdeführer zu 16) schließlich, dass der Landtag die Verfassungswidrigkeit von Wahlrechtsnormen selbst nicht prüft. Dem Landtag steht nur eine Prüfungs-, aber keine Verwerfungskompetenz zu. Er ist auch in der Wahlprüfung bis zu deren Aufhebung an die von ihm erlassenen Gesetze gebunden (ebenso: Caspar, in: ders./ Ewer/ Nolte/ Waack < Hrsg. >, Verfassung des Landes Schleswig-Holstein, Kommentar, 2006, Art. 3 Rn. 82; von Mutius, in: ders. / Wuttke/ Hübner , Kommentar zur Landesverfassung Schleswig-Holstein, 1995, Art. 3 Rn. 30; für den Bundestag: BVerfG, Beschlüsse vom 22. Mai 1963 - 2 BvC 3/62 - BVerfGE 16, 130 ff., Juris Rn. 18; vom 23. November 1993 - 2 BvC 15/91 - BVerfGE 89, 291 ff., Juris Rn. 43; Urteil vom 3. Juli 2008 - 2 BvC 1/07 u.a. - BVerfGE 121, 266 ff., Juris Rn. 80; Beschlüsse vom 15. Januar 2009 - 2 BvC 4/04 - BVerfGE 122, 304 ff. Juris Rn. 13; vom 9. Februar 2009 - 2 BvC 11/04 -, Juris Rn. 12; und vom 26. Februar 2009 - 2 BvC 6/04 -, Juris Rn. 13; vgl. auch Rauber , Wahlprüfung in Deutschland, 2005, S. 56 ff.; Morlok, in: Dreier , Grundgesetz - Kommentar - Band II, 2. Aufl. 2006, Art. 41 Rn. 16). Dessen ungeachtet sind die damit aufgeworfenen Fragen (etwa nach einer Vorlagepflicht oder einer zwischengeschalteten Normenkontrolle, vgl. dazu BVerfG, Urteil vom 3. Juli 2008 a.a.O., Juris Rn. 80) vorliegend nicht entscheidungserheblich, weil der Beschwerdeführer zu 16) seine verfassungsrechtlichen Bedenken bereits im Einspruchsverfahren formuliert und die Gefahr einer etwaigen Präklusion für das Verfahren vor dem Landesverfassungsgericht daher von vornherein nicht bestanden hat.

II.

48

Der Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Landtages vom 28. Januar 2010 ist allerdings materiell rechtswidrig und kann im Ergebnis einen nur begrenzten Bestand haben. Zwar ist das geltende Landeswahlgesetz fehlerfrei ausgelegt und angewandt worden, dieses ist aber seinerseits in der mittlerweile eingetretenen politischen Realität in wesentlichen Regelungen (§ 1 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, § 3 Abs. 5 und § 16 LWahlG) nicht mehr mit der Landesverfassung (Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 10 Abs. 2 LV) vereinbar (sogleich III.).

49

Materieller Prüfungsgegenstand ist die „Gültigkeit“ der Wahl. Die Wahl ist ganz oder in Teilen ungültig, wenn und soweit ein erheblicher Wahlfehler festzustellen ist. Ein solcher Wahlfehler liegt immer dann vor, wenn die nach allgemeiner Lebenserfahrung konkrete und nicht ganz fernliegende Möglichkeit besteht, dass durch die festzustellende Rechtsverletzung die gesetzmäßige Zusammensetzung der zu wählenden Körperschaft berührt sein kann (vgl. BVerfG, Urteil vom 3. Juli 2008 a.a.O., Juris Rn. 131 m.w.N., stRspr.).

50

Aus der einfachgesetzlichen Anwendung des geltenden Wahlrechts ergeben sich keine beachtlichen Wahlfehler. Soweit es an dieser Stelle auf die richtige Auslegung einer einzelnen Norm ankommt, hat das Landesverfassungsgericht - anders als im parallel zu entscheidenden Verfahren der abstrakten Normenkontrolle zu § 3 Abs. 5 Satz 3 LWahlG (LVerfG 3/09) - die Vorschrift selbst auszulegen und dies zum Maßstab der Wahlprüfung zu machen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Februar 1998 - 2 BvC 28/96 - BVerfGE 97, 317 ff., Juris Rn. 15; und Urteil vom 3. Juli 2008 a.a.O., Juris Rn. 90; Schreiber , a.a.O., § 49 Rn. 34 m.w.N.). Hiervon ausgehend sind insbesondere die wahlvorbereitende Wahlkreisbildung nach § 16 LWahlG und die Ergebnisfeststellung in Anwendung des die Sitzzuteilung regelnden § 3 Abs. 5 LWahlG nicht zu beanstanden.

51

1. Bei der Wahlkreisbildung sind die Vorgaben des § 16 Abs. 3 LWahlG zur Abweichung der Wahlkreisgrößen voneinander beachtet worden. Nach dieser Vorschrift darf die Bevölkerungszahl eines Wahlkreises nicht mehr als 25 v.H. von der durchschnittlichen Bevölkerungszahl der Wahlkreise abweichen (Satz 1). Maßgebend ist die vom Statistischen Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein fortgeschriebene Bevölkerungszahl nach dem Stand vom 31. Dezember des vierten Jahres vor der Wahl (Satz 2).

52

Die hiernach zu beachtende 25 v.H.-Marge ist eingehalten worden. Unter Berücksichtigung der Bevölkerungszahlen nach dem Stand vom 31. Dezember 2006 - bezogen auf die regulär erst für das Jahr 2010 vorgesehene Landtagswahl - ergibt sich eine durchschnittliche Bevölkerungszahl aller 40 Wahlkreise von 70.857. Der kleinste Wahlkreis (Husum-Land) weicht von dieser durchschnittlichen Bevölkerungszahl um 22,23 v.H. ab, der größte Wahlkreis (Segeberg-Ost) um 23,30 v.H. (Anlage zur Stellungnahme der Landeswahlleiterin vom 22. April 2010 an den Landtag, Umdruck 17/738).

53

Die Beschwerdeführerin zu 1) beanstandet letztlich nicht, dass die 25 v.H.-Marge nicht eingehalten worden wäre. Selbst bei der von ihr zugrunde gelegten Zahl der Wahlberechtigten statt der Bevölkerungszahl stellt sie fest, dass bei durchschnittlich 55.603 Wahlberechtigten der kleinste Wahlkreis (Husum-Land) um 24,4 v.H. und der größte Wahlkreis (Segeberg-Ost) um 24,8 v.H. abweicht. Auch der Beschwerdeführer zu 16) geht ebenfalls - anders als das Gesetz - von der Zahl der Wahlberechtigten statt von der Bevölkerungszahl aus. Dass er demgegenüber zu einer Abweichung von mehr als 25 v.H. kommt, beruht darauf, dass er seiner Berechnung nicht die Zahlen des endgültigen Wahlergebnisses im Amtsblatt 2009, Seite 1131 f., sondern die des vorläufigen Wahlergebnisses vom 28. September 2009 zugrunde gelegt hat.

54

2. Bei der Sitzzuteilung für den Landtag sind die Vorgaben des § 3 LWahlG beachtet worden. Insbesondere haben die Landeswahlleiterin, der Landeswahlaus-schuss und ihnen folgend der Landtag § 3 Abs. 5 LWahlG zutreffend ausgelegt.

55

§ 3 Abs. 5 LWahlG regelt den Fall, dass die Anzahl der in den Wahlkreisen für eine Partei gewählten Bewerberinnen und Bewerber größer ist als ihr verhältnismäßiger Sitzanteil. Diese über den verhältnismäßigen Sitzanteil hinausgehenden Sitze werden in Satz 1 als „Mehrsitze“ bezeichnet. Sie „verbleiben“ der jeweiligen Partei. Für diesen Fall gibt Satz 2 vor, dass „auf die nach Absatz 3 Satz 2 und 3 noch nicht berücksichtigten nächstfolgenden Höchstzahlen solange weitere Sitze zu verteilen und nach Absatz 4 zu besetzen“ sind, „bis der letzte Mehrsitz gedeckt ist“. Satz 3 bestimmt schließlich, dass bei dieser weitergehenden Verteilung und Besetzung von Sitzen die Anzahl der weiteren Sitze das Doppelte der Anzahl der Mehrsitze nicht übersteigen darf.

56

Streitig ist, wie der Begriff „weitere Sitze“ zu verstehen ist, insbesondere, ob die zahlenmäßige Begrenzung der weiteren Sitze zu einem nur „kleinen“ oder zu einem „großen Ausgleich“ führt. Als unklar gilt auch, wie sich die Regelungen in § 3 Abs. 5 Satz 1 und in Satz 2 LWahlG zueinander verhalten. In der wahlrechtlichen Praxis wird § 3 Abs. 5 Satz 3 LWahlG im Sinne eines „kleinen Ausgleichs“ ausgelegt und angewendet. Verwiesen wird dabei auf die Entstehungsgeschichte der Norm und auf die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichtsbarkeit zur Parallelvorschrift des § 10 Abs. 4 GKWG (vgl. den Vorprüfungsbericht der Landeswahlleiterin vom 14. Dezember 2009, Landtags-Umdruck 17/117, S. 37). Bereits anlässlich der Ausschussberatung eines früheren Entwurfs für eine Änderung des Landeswahlgesetzes (Landtags-Drucksache 16/2152) hatte die Landeswahlleiterin erklärt, dass sie sich bei der Anwendung des § 3 Abs. 5 LWahlG an die mittlerweile gefestigte Rechtsprechung der schleswig-holsteinischen Verwaltungsgerichtsbarkeit zu der parallel im Kommunalwahlrecht geltenden Regelung des § 10 Abs. 4 GKWG halte. Die Rechtslage sei deshalb so geklärt, wie sie auch das Innenministerium im Rahmen der Kommunalwahl immer vertreten habe (IR 16/103, Sitzung vom 3. Juni 2009, S. 10).

57

Bei der Wahl zum Schleswig-Holsteinischen Landtag vom 27. September 2009 ist wie folgt verfahren worden: Die CDU errang über die Mehrheitswahl in den Wahlkreisen nach § 2 LWahlG elf Sitze mehr als ihr bei verhältnismäßiger Aufteilung der 69 vorgesehenen Sitze nach ihrem Zweitstimmenanteil für die Landesliste zugestanden hätten. Diese Sitze waren ihr nach § 3 Abs. 5 Satz 1 LWahlG (als Mehrsitze oder Überhangmandate) zu belassen. Zur Wiederherstellung der verhältnismäßigen Sitzanteile wurden 22 weitere Sitze nach dem in § 3 Abs. 5 Satz 2 und 3 LWahlG beschriebenen Verfahren verteilt und besetzt. Bei der Verteilung dieser weiteren Sitze nach dem d’Hondtschen Verfahren (Höchstzahlenverfahren, § 3 Abs. 3 Satz 2 LWahlG) wurden die nächstfolgenden acht auf die CDU entfallenden Höchstzahlen einbezogen. Die sich daraus ergebenden acht weiteren, über die Wahlkreise errungenen Sitze wurden wiederum auf den verhältnismäßigen Sitzanteil angerechnet und entsprechend besetzt (§ 3 Abs. 4 LWahlG). Auf diese Weise ergaben sich zusätzlich zu den 69 Sitzen 22 weitere Sitze, insgesamt also 91 Sitze (§ 3 Abs. 5 Satz 2 und 3 LWahlG), in denen die acht Mehrsitze der CDU enthalten waren, die nach dem Ausgleich durch ihren verhältnismäßigen Sitzanteil gedeckt waren, sowie 14 weitere Sitze für die anderen Fraktionen (Ausgleichsmandate). Dies hatte zur Folge, dass drei Mehrsitze auch nach dem Ausgleich ungedeckt blieben. Die sich so ergebende erhöhte Gesamtsitzzahl von 94 wurde gemäß § 3 Abs. 5 Satz 4 LWahlG auf die ungerade Zahl 95 erhöht (Amtsbl. 2009 S. 1129, 1139).

58

Nach Meinung eines Teils der Beschwerdeführer hätten hingegen bis zu 22 weitere Sitze allein auf die anderen Parteien entfallen müssen. Mit dem Begriff „weitere Sitze“ könnten nur Ausgleichsmandate gemeint sein, weil die nach Satz 1 „verbleibenden“ Mehrsitze nicht nach Satz 2 nochmals verteilt und besetzt werden könnten. Die Mehrsitzpartei sei bei der nach Satz 2 vorgesehenen weiteren Verteilung und Besetzung von Sitzen auf Höchstzahlen daher nicht zu berücksichtigen (sogenannter „großer Ausgleich“). Bei dieser Lesart hätte sich die Gesamtzahl der Sitze im Landtag um bis zu 33 Sitze (sowie einen weiteren Sitz nach Satz 4, also auf insgesamt 103 Abgeordnete) erhöhen können. Tatsächlich wäre es zu einer Erhöhung um 31 Sitze (sowie einen weiteren Sitz nach Satz 4, insgesamt also 101 Abgeordnete) gekommen, was nicht nur zu einer anderen Sitzverteilung, sondern auch zu anderen Mehrheitsverhältnissen und einem noch weiteren Anwachsen des Landtages geführt hätte.

59

Der Wortlaut des § 3 Abs. 5 LWahlG scheint noch offen. Ebenso wie die im Kommunalwahlrecht entsprechend geltende Vorschrift des § 10 Abs. 4 GKWG verwendet § 3 Abs. 5 LWahlG die Begriffe „Mehrsitze“ und „weitere Sitze“ und nicht wie Art. 10 Abs. 2 LV die Begriffe „Überhangmandate“ und „Ausgleichsmandate“. Seine Entstehungsgeschichte und seine systematische Auslegung auch im normativen Zusammenhang führen hingegen zu einer detaillierten, in sich geschlossenen Regelung, die auf die Gewährung eines nur „kleinen Ausgleichs“ gerichtet ist und eine andere Deutung nicht zulässt. Der Gedanke des „großen Ausgleichs“ argumentiert demgegenüber vom Ergebnis her und vermengt Ursache und Wirkung. Die innerhalb des Wahlverfahrens für das Entstehen von Mehrsitzen ursächlichen Faktoren unterstreichen zwar den Bedarf nach einem Ausgleich, rechtfertigen aber nicht die Annahme, dass das Gesetz von seiner Systematik her auf einen vollen Ausgleich angelegt wäre.

60

a) Eindeutig zu entnehmen ist § 3 Abs. 5 Satz 1 LWahlG (ebenso § 10 Abs. 4 Satz 1 GKWG) lediglich, dass es sich bei den dort definierten „Mehrsitzen“ um die sonst allgemein als „Überhangmandate“ bezeichneten Sitze handelt (so auchAs- mussen/ Thiel , GKWG, in: Praxis der Kommunalverwaltung, Dezember 2007, § 10 Anm. 4). Dies zeigt auch die Gesetzesbegründung zu § 3 Abs. 5 Satz 1 LWahlG („<…> Mehrsitze , <…>“, LandtagsDrucksache 12/834 S. 4). „Mehrsitze“ sind diejenigen Sitze, die eine Partei „mehr“ bekommt, als ihr zunächst nach dem verhältnismäßigen Anteil gemäß § 3 Abs. 3 LWahlG an regulären Sitzen zustehen. Die damit insgesamt auf die Mehrsitzpartei entfallenden Sitze werden sonst mit dem Begriffspaar „Grundmandate“ und „Über-hangmandate“ bezeichnet.

61

b) Die von der Landeswahlleiterin herangezogene Rechtsprechung der schleswigholsteinischen Verwaltungsgerichtsbarkeit zu § 10 Abs. 4 GKWG kommt zum gleichen Ergebnis wie die dargestellte wahlrechtliche Praxis. Das Verwaltungsgericht folgerte ursprünglich aus dem Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 22. November 2000 (- 2 L 25/00 -, NordÖR 2001, 69 ff. = NVwZ-RR 2001, 529 f. = Die Gemeinde SH 2001, 69 = SchlHA 2001, 190, Juris Rn. 38), dass die für den Verhältnisausgleich maßgeblichen Mehrsitze nicht auf die weiteren Sitze anzurechnen seien (vgl. VG Schleswig, Urteil vom 15. Dezember 2005 - 6 A 237/05 -). Nach der Kommunalwahl im Mai 2008 änderte es seine Auffassung zur Sitzverteilung ausdrücklich. Seitdem interpretiert das Verwaltungsgericht § 10 Abs. 4 Satz 2 GKWG dahingehend, dass bei dem Verhältnisausgleich auf sämtliche nachfolgenden Höchstzahlen, die nach der auf den letzten regulären Sitz entfallenden Höchstzahl kämen, weitere Sitze zu verteilen seien. Der „weitere Sitz“ sei der Oberbegriff für Mehrsitze und für Ausgleichsmandate, die sich aus der Weiterrechnung ergäben (vgl. Urteil vom 18. Dezember 2008 - 6 A 150/08 -; ebenso Urteil vom 2. Juni 2009 - 6 A 162/08 -). Dem schloss sich das Oberverwaltungsgericht an (vgl. Beschluss vom 15. September 2009 - 2 LA 36/09 -, Juris Rn. 7 f.). Auch die Kommentarliteratur zu § 10 GKWG stimmt mit der Praxis der Landeswahlleiterin und der zitierten Rechtsprechung überein (vgl. Asmussen/ Thiel , a.a.O., § 10 Anm. 5).

62

c) Eine teleologische Auslegung bleibt unergiebig. Sinn und Zweck der Gesamtregelung des § 3 Abs. 5 LWahlG ist es, das Mehrheitswahlrecht mit dem Verhältniswahlrecht zu verbinden und in Einklang zu bringen, indem für etwa entstandene Mehrsitze ein Verhältnisausgleich geschaffen wird (vgl. Becker/ Heinz , NordÖR 2010, 131 <135>; entsprechend zu § 10 Abs. 4 GKWG: Schl.-Holst. VG, Urteil vom 18. Dezember 2008, a.a.O.). Spezieller Zweck der Begrenzung dieses Mehrsitzausgleichs soll die Vermeidung eines unbegrenzten Anwachsens des Landtages und der Erhalt seiner Funktionsfähigkeit sein (vgl. Hübner , in: von Mutius / Wuttke/ ders. , Kommentar zur Landesverfassung Schleswig-Holstein, 1995, Art. 10 Rn. 23; Waack , in: Caspar/ Ewer/ Nolte/ ders. < Hrsg. >, Verfassung des Landes Schleswig-Holstein, Kommentar, 2006, Art. 10 Rn. 71). Dies besagt indes noch nichts darüber, ob die Grenze zur Funktionsunfähigkeit bereits bei Erreichen des „kleinen Ausgleichs“ oder erst bei Erreichen eines „großen Ausgleichs“ überschritten ist.

63

d) Die Entstehungsgeschichte des § 3 Abs. 5 LWahlG zeigt, dass die „weiteren Sitze“ nicht als Gegenbegriff zu den „Mehrsitzen“ konzipiert sind. Während die Mehrsitze ursprünglich der jeweiligen Partei verbleiben sollten, ohne die Zahl der auf die übrigen politischen Parteien entfallenden Sitze zu verändern, wurde der Begriff „weitere Sitze“ erst mit Einführung des Mehrsitzausgleichs in das Gesetz aufgenommen. Dabei hat sich der Gesetzgeber bewusst an der Regelung des § 10 Abs. 4 GKWG orientiert und mit den „weiteren Sitzen“ die Gesamtzahl der über die reguläre Sitzzahl hinaus zu besetzenden Sitze im Landtag gemeint.

64

Landeswahlrecht und Gemeinde- und Kreiswahlrecht sahen ursprünglich eine Mehrheitswahl mit nur teilweisem Verhältnisausgleich vor (§§ 1 bis 3 LWahlG vom 31. Januar 1947, Amtsbl. S. 95; und vom 27. Februar 1950, GVOBl S. 77; § 11 GKWG vom 15. Juni 1948, GVOBl S. 95, dazu Landtagsvorlage Nr. 103/3 vom 19. Januar 1948, S. 496 ff.). In den 1950’er Jahren wurde der Verhältnisausgleich in beiden Wahlsystemen vom Teilproporz zum Vollproporz „in voller Konsequenz“ umgestellt. Die für den Verhältnisausgleich maßgebliche Stimmenanzahl bestand nicht mehr nur aus den „nicht durch die Mehrheitswahl verbrauchten Stimmen“, sondern aus allen Stimmen, die die Bewerberinnen und Bewerber der einzelnen Parteien in den Wahlkreisen erzielten. Seitdem kann es dazu kommen, dass mehr direkte Vertreterinnen und Vertreter einer Partei gewählt sind, als dieser nach dem Verhältniswahlsystem zustünden. Diese „Mehrsitze“ sollten der jeweiligen Partei nach dem damaligen § 3 Abs. 4 Satz 1 LWahlG (§ 11 Abs. 4 Satz 1 GKWG a.F.) belassen bleiben. Satz 3 bestimmte demgegenüber, dass die Zahl der auf die übrigen politischen Parteien entfallenden Sitze unverändert bleibt (Landeswahlgesetz vom 22. Oktober 1951, GVOBl S. 180; dazu 2. WP, Wortprotokolle 13.-15. Tg., 2. Lesung Tg 14/18 f; Gemeinde- und Kreiswahlgesetz vom 29. Januar 1955, GVOBl S. 10; dazu Drucksachen Nr. 47, S. 14; Nr. 100, S. 7 der 3. WP; 2. Lesung, PlPr. 6/304, S. 306).

65

aa) Das Gemeinde- und Kreiswahlgesetz wurde durch Gesetz vom 11. September 1965 (GVOBl S. 73) geändert. Der damalige § 11 Abs. 4 GKWG entspricht dem heutigen § 10 Abs. 4 GKWG. Die Vorschrift regelt die Problematik des Umgangs mit Mehrsitzen (Überhangmandaten) und deren Ausgleich seitdem unter Geltung des Einstimmenwahlrechts. Mit der einen Stimme wird der Wahlkreiskandidat oder die Wahlkreiskandidatin gewählt. Daran gekoppelt ist nach § 10 Abs. 1 Satz 2 GKWG die Wahl einer Liste. Hierfür werden sämtliche Stimmen, die die unmittelbaren Kandidatinnen und Kandidaten der vorschlagenden Partei oder Wählergruppe zusammen erhalten haben, nochmals addiert. Obwohl also ein Splitting von Erst- und Zweitstimme nicht möglich ist, kann es auch hier dazu kommen, dass die Anzahl der in den Wahlkreisen für eine Partei (oder Wählergruppe) gewählten Bewerberinnen und Bewerber größer ist als ihr verhältnismäßiger Sitzanteil (vgl. Böttcher , Kommunalrecht, Rn. 223).

66

Der Einführung des begrenzten Mehrsitzausgleichs lag die Überlegung zugrunde, dass sich die Gesamtzahl der zu verteilenden Sitze im Ergebnis um das Doppelte der Mehrsitze erhöht, um wenigstens noch einmal die gleiche Zahl an Sitzen verteilen zu können (vgl. schon Drucksache Nr. 511 der 4. WP). In der 1. Lesung während der 5. Wahlperiode wurde insoweit ausgeführt, dass nicht beabsichtigt sei, das Doppelte der Mehrsitze - also bei vier: acht - noch einmal hinzuzunehmen, sondern dass es sich um die einfache Erhöhung der Zahl der Mehrsitze - also bei vier um vier auf acht - handeln solle (1. Lesung PlPr 43/1489 f. zu Drucksache Nr. 501 der 5. WP).

67

bb) Die im Kommunalwahlrecht 1965 erfolgte Wende zum begrenzten Mehrsitzausgleich wurde im Landeswahlgesetz zunächst nicht nachvollzogen (vgl. zuletzt Fassung vom 30. Mai 1985, GVOBl S. 136, geändert durch Gesetz vom 26. Januar 1988, GVOBl S. 51). Erst im Zusammenhang mit der Verfassungsreform von 1990 erfolgte eine wortgleiche Anpassung. Mit der Änderung der Landessatzung durch Gesetz vom 13. Juni 1990 in die Landesverfassung wurde im neuen Art. 10 Abs. 2 LV erstmals die Zahl der Abgeordneten, das Wahlsystem und die Pflicht zum Ausgleich etwaiger Überhangmandate in der Verfassung selbst verankert (vgl. Hübner , a.a.O., Art. 10 A.I.). Bei diesem Stand wurde das Landeswahlgesetz durch Gesetz vom 20. Juni 1990 (GVOBl S. 419) einstimmig geändert (PlPr 12/56). Der damalige § 3 Abs. 4 LWahlG entspricht - mit Ausnahme redaktioneller Anpassungen an die neue Absatznummerierung - dem heutigen § 3 Abs. 5 LWahlG. Diese Änderung erfolgte einerseits, um dem neuen Art. 10 Abs. 2 LV zu genügen (Gesetzesbegründung, Landtags-Drucksache 12/834, S. 2 und 4), sollte sich andererseits aber auch an § 10 Abs. 4 GKWG anlehnen (LandtagsDrucksache 12/834, S. 4 und 5). Das Gesetz sehe einen beschränkten Mehrsitzausgleich vor. Die „Deckelung“ diene der Vermeidung einer unverhältnismäßigen Erhöhung der in § 1 Abs. 1 Satz 1 LWahlG bestimmten Abgeordnetenzahl. „Es werden - (…) - auf die noch nicht berücksichtigten nächstfolgenden Höchstzahlen so lange weitere Sitze verteilt, bis der letzte Mehrsitz durch den verhältnismäßigen Sitzanteil gedeckt ist. Dies ist dann der Fall, wenn auf alle Höchstzahlen (auch der Partei mit Mehrsitzen), die höher sind als die Höchstzahl des letzten Mehrsitzes, weitere Sitze verteilt sind“ (Landtags-Drucksache 12/834, S. 5).

68

cc) In der Folgezeit sah der Gesetzgeber keine Veranlassung, an diesem Konzept des „kleinen Ausgleichs“ etwas zu ändern. Selbst die Einführung des Zweistimmenwahlrechts 1997 (GVOBl S. 462) und des damit möglichen Stimmensplittings zur Differenzierung zwischen persönlich bekannten Kandidatinnen und Kandidaten einerseits und Parteien andererseits (PlPr 14/3) war für den Gesetzgeber kein Anlass, das Prinzip des nur begrenzten Mehrsitzausgleichs und die hierfür 1990 maßgebliche Motivlage eines Gleichlaufs mit dem kommunalen Einstimmenwahlrecht verfassungsrechtlich in Frage zu stellen (vgl. PlPr 14/37, S. 2445; 1. Lesung, PlPr 14/3, S. 86; 2. Lesung, PlPr 14/37, S. 2450). Die seitdem geführte Diskussion zeigt, dass man die - unter anderem mit dem Stimmensplitting verbundene - Gefahr vermehrter Überhangmandate zwar gesehen hat, etwaige Folgerungen aber nur auf anderer Ebene zu ziehen gedachte.

69

Das Zweistimmenwahlrecht kam bei der Landtagswahl vom 27. Februar 2000 erstmals zum Zuge. Da die SPD 41 der 45 Direktmandate errang, entstanden sieben Mehrsitze und damit insgesamt 14 weitere Sitze, sodass sich die Gesamtsitzzahl von 75 auf 89 erhöhte. Sämtliche Mehrsitze konnten damit gedeckt werden. Die FDP- Fraktion nahm dieses Ergebnis zwar zum Anlass, erneut eine Reduzierung der Wahlkreise (von 45 auf 37) vorzuschlagen, stellte aber die Begrenzung des Mehrsitzausgleichs nicht in Frage (Landtags-Drucksache 15/55). Am Ende der Debatte kam es zu einer Entschließung, nach der die Anzahl der Wahlkreise auf 40 begrenzt und Art. 10 Abs. 2 LV dahingehend geändert werden sollte, dass nur noch 69 Abgeordnete dem Landtag angehören (Landtags-Drucksache 15/2342). Dass ein Ansteigen der Überhangmandate zu einer wahlgleichheitsrelevanten Anwendung der Ausgleichsbegrenzung führen könnte, wurde nicht thematisiert (vgl. PlPr 15/76, S. 5724 ff.).

70

e) Gegen die Annahme, dass § 3 Abs. 5 LWahlG im Sinne eines „großen Aus-gleichs“ ausgelegt werden könnte, spricht ebenfalls die Gesetzessystematik. Sie belegt, dass „Mehrsitze“ nur für eine Partei entstehen, „weitere Sitze“ aber für den gesamten Landtag oder - wie es das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht zu § 10 Abs. 4 Satz 2 GKWG formuliert -, dass die Bezugsgruppen der beiden Begriffe verschieden sind (Beschluss vom 15. September 2009 - 2 LA 36/09 -, Juris Rn. 8). Für die auf die anderen Parteien entfallenden Ausgleichsmandate hält das Gesetz keinen gesonderten Begriff vor. In den Gesetzesfassungen vor Einführung des begrenzten Mehrsitzausgleichs waren dies „die auf die übrigen politischen Parteien entfallenden Sitze“. Die erst später hinzukommenden „weiteren Sitze“ sind hingegen diejenigen Sitze, die über die in der Verfassung und - ihr folgend - in § 1 Abs. 1 Satz 1 LWahlG festgelegte Zahl von 69 regulären Sitzen hinausgehen und als weitere Sitze den Landtag vergrößern. Dies zeigt sich anhand einer systematischen Auslegung der Norm unter Berücksichtigung ihrer Funktion bei der Verbindung der in Art. 10 Abs. 2 Satz 3 LV vorgegebenen Wahlsysteme.

71

aa) Nach seiner Überschrift regelt § 3 LWahlG die (Verhältnis-) Wahl der Abgeordneten aus den Landeslisten. Hierzu bestimmt er in Absatz 1, welche Partei am Verhältnisausgleich teilnimmt und in Absatz 2, wie viele Sitze zur Verteilung zur Verfügung stehen. Nach § 3 Abs. 3 Satz 1 und 2 LWahlG sind die für jede teilnehmende Landesliste abgegebenen gültigen Zweitstimmen zu ermitteln. Von der jeweiligen Gesamtstimmenzahl ausgehend wird über das Höchstzahlenverfahren die Gesamtzahl der zur Verfügung stehenden Sitze auf die Landeslisten verteilt und durch die Landeslisten besetzt .

72

Darüber hinaus kommt § 3 LWahlG die Funktion zu, die von Art. 10 Abs. 2 Satz 3 LV als Wahlsystem vorgegebene Verbindung der Persönlichkeitswahl mit den Grundsätzen der Verhältniswahl herzustellen. Diese einfachgesetzliche Verbindung ist bereits in § 1 Abs. 1 Satz 2 LWahlG angelegt. Schon hier kommt zum Ausdruck, dass die in den Landtag zu wählenden 69 Abgeordneten (Art. 10 Abs. 2 Satz 2 LV, § 1 Abs. 1 Satz 1 LWahlG) aus zwei zu einem einheitlichen Wahlsystem verbundenen Teilwahlsystemen zu ermitteln sind: Gewählt werden 40 Abgeordnete durch Mehrheitswahl (§ 2 LWahlG) und die übrigen durch Verhältniswahl aus den Landeslisten der Parteien auf der Grundlage der im Land abgegebenen Zweitstimmenund unter Berücksichtigung der in den Wahlkreisen erfolgreichen Bewerberinnen und Bewerber (§ 3 LWahlG). Letztlich umgesetzt wird diese Verbindung in § 3 Abs. 4 bis 7 LWahlG.

73

Nach Verteilung der Sitze auf die Landeslisten und Besetzung derselben durch die jeweiligen Landeslisten gemäß § 3 Abs. 3 LWahlG sind die in den Wahlkreisen erfolgreichen Bewerberinnen und Bewerber auf Grundlage der gültigen Erststimmen (§ 2 LWahlG) zu ermitteln und gemäß § 3 Abs. 4 LWahlG auf das Ergebnis der Listenwahl anzurechnen. Diese Anrechnung dient der Verknüpfung und notwendigen Harmonisierung von Personen- (oder Direkt-)wahl und Verhältniswahl. Methodisch erreicht der Gesetzgeber die Verknüpfung über eine „Verteilungsfikti-on“ (entsprechend zum Bundeswahlrecht: Wrege , Jura 1997, 113), denn die Verteilung der Gesamtzahl der Abgeordneten auf die Landeslisten nach § 3 Abs. 3 Satz 2 LWahlG erfolgt zunächst nur fiktiv. Diese Fiktion wird durch die Anrechnung der erfolgreichen Wahlkreisbewerberinnen und -bewerber auf die jeweilige Landesliste nach § 3 Abs. 4 LWahlG wieder aufgelöst.

74

Vermag die Liste nicht alle erfolgreichen Wahlkreisbewerberinnen und -bewerber „aufzunehmen“, entstehen „Mehrsitze“, was die Verteilung und Besetzung „weiterer Sitze“ nach Maßgabe des Absatz 5 erforderlich macht. Dabei erschöpft sich der Aussagegehalt des § 3 Abs. 5 Satz 1 LWahlG darin, dass der Partei, die Mehrsitze errungen hat, diese Mehrsitze „verbleiben“, obwohl sie zu einer Erhöhung der Gesamtzahl der Abgeordnetensitze und damit zu einer Verzerrung der nach Absatz 3 ermittelten verhältnismäßigen Sitzanteile führen. Alternativ hätte sich der Gesetzgeber auch dafür entscheiden können, eine solche Verzerrung erst gar nicht entstehen zu lassen, indem die über den Proporz hinausreichende Zahl von direkt gewählten Bewerberinnen und Bewerbern - angefangen bei der- oder demjenigen mit den wenigsten Stimmen - wieder ausscheiden (so bereits Jellinek in § 6 seines Formulierungsvorschlags, AöR 50 - 1926 - 74 ff.). Dies widerspräche jedoch dem Grundgedanken der Personenwahl (statt vieler: Ehlers/ Lechleitner , JZ 1997, 761 <762>). Um diesen zu wahren, ordnet § 3 Abs. 5 Satz 1 LWahlG den „Verbleib“ der Mehrsitze an und schafft damit zugleich Bedarf nach einem Ausgleich, äußert sich aber nicht dazu, wie die deshalb zu vergebenden weiteren Sitzeverteilt und besetzt werden. Dies übernimmt Satz 2, indem er eine Weiterrechnung nach dem soeben beschriebenen Muster gemäß Absatz 3 und 4 vorschreibt.

75

Hinsichtlich der Verteilung nimmt § 3 Abs. 5 Satz 2 LWahlG uneingeschränkt Bezug auf die „nach Absatz 3 Satz 2 und 3 noch nicht berücksichtigten nächstfolgenden Höchstzahlen“. Für einen vorab anzunehmenden „Verbrauch“ von Höchstzahlen durch Mehrsitze ist dabei kein Raum. Bei der Verteilung der weiteren Sitze ist vielmehr unmittelbar an die letzte Höchstzahl anzuknüpfen, auf die bei Ermittlung des verhältnismäßigen Sitzanteils ein Sitz entfallen ist. Dies bestätigt auch die Gesetzesbegründung, nach der die Verteilung auf alle Höchstzahlen erfolgen soll; dazu zählt der Gesetzgeber ausdrücklich auch die Höchstzahlen der Mehrsitzpartei (vgl. nochmals Landtags-Drucksache 12/834, S. 5). Ebenso uneingeschränkt schreibt § 3 Abs. 5 Satz 2 LWahlG sodann eineBesetzung dieser Sitze nach Absatz 4 vor. Dabei knüpft die Formulierung „zu besetzen“ wiederum an die Formulierung des Absatz 3 Satz 1 an („Verteilung der nach den Landeslisten zu besetzen den Sitze “) und meint wiederum eine Besetzung nach den Landeslisten unter Anrechnung der in den Wahlkreisen gewählten Bewerberinnen und Bewerber. Die Landesliste der Mehrsitzpartei ist bei alledem nicht ausgenommen (ähnlich Becker/ Heinz , NordÖR 2010, 131 <134 f.>).

76

bb) Zutreffend weist die Landeswahlleiterin darauf hin, dass sich ohne Einbeziehung der Mehrsitzpartei beim „Weiterrechnen“ nicht ermitteln ließe, auf welcher Stufe des Verhältnisausgleichs Mehrsitze von dem verhältnismäßigen Stimmenanteil abgedeckt sind (vgl. auch Becker/ Heinz , a.a.O., S. 135). Auf das entsprechende Problem bei § 10 Abs. 4 GKWG hatte bereits das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht (Urteil vom 18. Dezember 2008 - 6 A 150/08 -) hingewiesen: „Weiterhin kann auch nur bei Einbeziehung der Mehrsitze in den Verhältnisausgleich ermittelt werden, wann die Sitzverteilung dem verhältnismäßigen Stimmenanteil entspricht. Wären die auf die Mehrsitzpartei entfallenden Höchstzahlen rechtlich irrelevant, so könnte nicht rechnerisch festgestellt werden, wann ein Mehrsitz durch den verhältnismäßigen Stimmenanteil einer Partei abgedeckt ist. Schließlich ergäbe sich eine für den Verhältnisausgleich unlösbare Konstellation im Falle mehrerer Mehrsitzparteien, wenn die auf die Listen dieser Parteien entfallenden Höchstzahlen für den Verhältnisausgleich unbeachtlich sein sollten. Die Partei oder Wählergruppierung mit zum Beispiel nur einem Mehrsitz wäre unverhältnismäßig benachteiligt, da sie von vornherein vom Verhältnisausgleich ausgeschlossen wäre.“

77

Dieses Problem lässt sich nur scheinbar durch eine „doppelte Legitimation des Mehrsitzes“ lösen, indem man die auf die Mehrsitze entfallenden Höchstzahlen zwar bei der Weiterrechnung einbezieht, diese (schon vorhandenen) Sitze aber nur gedanklich auf die nächstfolgenden Höchstzahlen verteilt . Nach diesem Ansatz soll das entsprechende Mandat durch die Höchstzahl nochmals legitimiert, die Höchstzahl aber durch einen bereits errungenen Mehrsitz und nicht durch einen „weite-ren“ Sitz besetzt werden. Dieser Ansatz würde das Sitzverteilungsverfahren in einer Weise verkomplizieren, die mit dem Willen des Gesetzgebers und der sich aus dem Aufbau des Gesetzes ergebenden Systematik nicht mehr vereinbar wäre. Er lässt zudem unberücksichtigt, dass § 3 LWahlG nicht allein die Sitzverteilung an Abgeordnete aus den Landeslisten regelt, sondern darüber hinaus die Verbindung der beiden vorgegebenen Wahlsysteme herstellt und so die endgültige Zahl der Sitze an die im Parlament vertretenen Parteien und deren Besetzung bestimmt. Insbesondere die in Absatz 4 vorgesehene und auch über Absatz 5 zur Geltung kommende Anrechnung der erfolgreichen Wahlkreisbewerberinnen und -bewerber zeigt, dass die „weiteren Sitze“ nicht zwingend und ausschließlich nur mit Listenbewerberinnen und -bewerbern besetzt werden.

78

Im Übrigen zwingt auch § 3 Abs. 7 Nr. 1 LWahlG zu keiner anderen Sichtweise. Er sieht vor, dass die in den Wahlkreisen unmittelbar gewählten Bewerberinnen und Bewerber, die schon als Direktkandidatinnen oder als Direktkandidaten einen Sitz erhalten, aus der Landesliste ausscheiden. Daraus lässt sich nicht schlussfolgern, dass „weitere Sitze“ nur aus der Landesliste besetzt würden, weil die unmittelbar gewählten Bewerberinnen und Bewerber aus der Landesliste ausscheiden. Denn Zweck des § 3 Abs. 7 Nr. 1 LWahlG ist es lediglich, eine doppelte Besetzung zu verhindern. Er kann nur soweit gelten, wie die unmittelbar gewählten Bewerberinnen und Bewerber tatsächlich zugleich auch als Landeslistenbewerberinnen und -bewerber aufgetreten sind. Dies wiederum ist nach § 26 Abs. 1 Satz 2 LWahlG zwar zulässig, aber keineswegs zwingend.

79

f) Eine andere Auslegung ergibt sich schließlich auch nicht aus einem Rechtsvergleich mit § 4 Abs. 6 des Landeswahlgesetzes für das Land Mecklenburg-Vorpommern (Landeswahlgesetz - LWG M-V) in der Fassung der Bekanntmachung vom 4. Januar 2002 (GVOBl M-V S. 2). Die Beschwerdeführerin zu 1) weist darauf hin, dass § 3 Abs. 5 LWahlG für diese Vorschrift Vorbild gewesen sei; bei § 4 Abs. 6 LWG M-V seien mit den „weiteren Sitzen“ nur Ausgleichsmandate gemeint, dies müsse rechtsvergleichend auch für § 3 Abs. 5 LWahlG gelten. Zwar orientierte sich der Gesetzgeber Mecklenburg-Vorpommerns bei der Neugestaltung des Wahlrechts nach der Wende unter anderem am schleswig-holsteinischen Landeswahlrecht (allerdings wurde noch das Einstimmenwahlrecht praktiziert, M-V Landtags-Drucksache 1/3644 vom 6. Oktober 1993). Die sprachliche Fassung des § 4 Abs. 6 LWG M-V weicht aber von der des § 3 Abs. 5 LWahlG deutlich ab (Satz 2: „<…> werden den übrigen Landeslisten weitere Sitze zugeteilt“, Satz 3: „<…> bis unter Einbeziehung der Mehrsitze das nach den Absätzen 3 und 4 zu berechnende Verhältnis erreicht ist“). Im Übrigen geht es nicht an, von einer jüngeren Norm eines Landes auf eine ältere Norm eines anderen Landes zu schließen.

III.

80

Das geltende Landeswahlgesetz ist aber seinerseits in der mittlerweile eingetretenen politischen Realität in wesentlichen Regelungen (§ 1 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2, § 3 Abs. 5 sowie § 16 LWahlG) nicht mehr mit der Landesverfassung (Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 10 Abs. 2 LV) vereinbar.

81

Das Landesverfassungsgericht prüft nicht nur die richtige Anwendung des formellen und des materiellen Wahlrechts, sondern auch die Vereinbarkeit des Wahlrechts mit der Landesverfassung. Denn Voraussetzung einer gesetzmäßig durchgeführten Wahl ist auch, dass sich die für die Wahl maßgeblichen Bestimmungen selbst als verfassungsgemäß erweisen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 22. Mai 1963 - 2 BvC 3/62 - BVerfGE 16, 130 ff., Juris Rn. 18; und vom 26. Februar 2009 -2 BvC 6/04, Juris Rn. 13 m.w.N., stRspr.; vgl. auch BayVerfGH, Entscheidung vom 8. Dezember 2009 - Vf. 47-III-09 -, BayVBl 2010, 172 ff. = NVwZ-RR 2010, 213 f., Juris Rn. 21; Schreiber , Bundeswahlgesetz, 8. Aufl. 2009, § 49 Rn. 42 m.w.N.).

82

1. § 3 Abs. 5 Satz 3 LWahlG unterliegt keinen verfassungsrechtlichen Bedenken mit Blick auf das Gebot der Normenbestimmtheit und der Normenklarheit. Die Normenbestimmtheit und die Normenklarheit folgen aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG, das über Art. 28 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 LV auch in der Landesverfassung verbürgt ist (vgl. schon BVerfG, Beschluss vom 7. Mai 2001 - 2 BvK 1/00 - BVerfGE 103, 332 ff., Juris Rn. 164).

83

Das Gebot der Normenklarheit verlangt, dass der Gesetzesadressat den Inhalt der rechtlichen Regelung auch ohne spezielle Kenntnisse mit hinreichender Sicherheit feststellen kann. Gesetze müssen verständlich, widerspruchsfrei und praktikabel sein, damit rechtliche Entscheidungen voraussehbar sind ( Schulze-Fielitz, in: Dreier , Grundgesetz - Kommentar - Band II, 2. Aufl. 2006, Art. 20 Rn. 141 m.w.N.). Zudem müssen die Gerichte in die Lage versetzt werden, getroffene Maßnahmen anhand rechtlicher Maßstäbe zu kontrollieren (vgl. BVerfG, Urteil vom 26. Juli 2005 - 2 BvR 782/94 u.a. - BVerfGE 114, 1 ff., Juris Rn. 189). Das rechtsstaatliche Gebot hinreichender Normenklarheit und -bestimmtheit verlangt vom Gesetzgeber, seine Regelungen so bestimmt zu fassen, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte und mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist. Dabei lässt sich der Grad rechtsstaatlich gebotener Bestimmtheit nicht allgemein festlegen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. September 1978

84

- 1 BvR 525/77 - BVerfGE 49, 168 ff., Juris Rn. 34; und Urteil vom 8. Februar 2001

- 2 BvF 1/00 - BVerfGE 103, 111 ff., Juris Rn. 91 m.w.N.; Schulze-Fielitz , a.a.O., Art. 20 Rn. 130).

85

Hieran gemessen ist die Regelung des § 3 Abs. 5 Satz 3 LWahlG nicht zu beanstanden. Ihr Aussagegehalt mag sich nicht unmittelbar erschließen; bei näherer Prüfung und unter Berücksichtigung der ohnehin komplizierten Regelungsmaterie stellt sie sich aber im Gesamtgefüge des normierten Wahlverfahrens als hinreichend klar, widerspruchsfrei und in sich logisch dar. Dass der einzelne Wähler und die einzelne Wählerin nicht voraussehen kann, was sie mit ihrer Stimmabgabe bewirken, ist ein generelles Phänomen bei Wahlen, weil die Wirkung der einzelnen Stimme stets vom Stimmverhalten der Wählerschaft insgesamt abhängt (vgl. StGH Bremen, Urteil vom 8. April 2010 - St 3/09 -, NordÖR 2010, 198 ff. Rn. 41).

86

2. Dahinstehen kann, ob die zahlenmäßige Begrenzung des Mehrsitzausgleichs in § 3 Abs. 5 Satz 3 LWahlG für sich betrachtet gegen den Grundsatz der Wahlgleichheit verstößt. Jedenfalls führen die Regelungen in § 1 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2, § 3 Abs. 5 und § 16 LWahlG in ihrem Zusammenspiel in der mittlerweile eingetretenen politischen Realität derzeit und in Zukunft dazu, dass der Landtag die in Art. 10 Abs. 2 Satz 2 LV vorgeschriebene Abgeordnetenzahl von 69 regelmäßig verfehlt und so Überhangmandate und ihnen folgend Ausgleichsmandate erst in einem nicht mehr vertretbaren Ausmaß entstehen können. Dies ist mit der Verfassung (Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 10 Abs. 2 LV) unvereinbar.

87

a) Anders als das Grundgesetz für den Bundestag (vgl. Art. 38 GG) enthält die Landesverfassung neben der Festlegung auf die allgemeinen Wahlrechtsgrundsätze in Art. 3 Abs. 1 LV verschiedene Regelungen über die Besetzung des Landtages und die Wahlen hierzu in Art. 10 Abs. 2 LV. Die Verfassungsbestimmung des Art. 10 Abs. 2 LV gibt nicht nur das Wahlsystem für die Landtagswahl vor. Sie verpflichtet zugleich den Gesetzgeber ein Landeswahlrecht zu schaffen, das in der politischen Realität die Entstehung von Überhang- und ihnen folgend Ausgleichsmandaten so weit wie möglich verhindert, um so seine weitere Vorgabe, nämlich die Zahl von möglichst nicht mehr als 69 Abgeordneten, einzuhalten.

88

Während Art. 10 Abs. 2 Satz 1 und 2 LV die Anzahl der für den Landtag vorgesehenen Abgeordneten festlegen, sieht Satz 4 vor, dass sich diese Zahl ändert, wenn nach einer Wahl Überhang- oder Ausgleichsmandate entstehen oder Sitze leer bleiben. Art. 10 Abs. 2 Satz 3 LV bestimmt als Wahlsystem eine Verbindung der Persönlichkeitswahl mit den Grundsätzen der Verhältniswahl. Daran anknüpfend macht Art. 10 Abs. 2 Satz 5 LV eine weitere Vorgabe für den Gesetzgeber: Für den Fall des Entstehens von Überhangmandaten muss das Wahlgesetz Ausgleichsmandate vorsehen. Diese Vorgabe dient der Wahrung und Stärkung des Grundsatzes der Wahlgleichheit aus Art. 3 Abs. 1 LV. Sie macht die Ausgleichsmandate „verfassungsfest“. Der Gesetzgeber hat dafür Sorge zu tragen, dass die in der Verhältniswahl angelegte Übereinstimmung zwischen Stimmenverhältnis und Sitzverhältnis wieder hergestellt wird und es so bei einer repräsentativen Wiedergabe des Wählerwillens bleibt, und zwar unter der Vorgabe, dass die Größe des Landtages die Sitzzahl von 69 Abgeordneten möglichst erreicht, allenfalls geringfügig übersteigt.

89

aa) Nachdem die Zahl der Abgeordneten zunächst mit 75 festgelegt worden war (Art. 10 Abs. 2 Satz 1 LV), erfolgte zur 16. Wahlperiode durch Gesetz vom 13. Mai 2003 (GVOBl S. 279) eine Absenkung auf 69 Abgeordnete (Art. 10 Abs. 2 Satz 2 LV). Auch wenn sich weder aus dem Nebeneinander dieser beiden Aussagen noch aus den originären Gesetzesmaterialien ergibt, dass der Verfassungsgeber damit eine zahlenmäßig unbedingt verbindliche Zielvorgabe treffen wollte, zeigt sich doch sowohl am Wortlaut als auch an den weiteren Debatten im Landtag, welche Bedeutung er dieser Festlegung in Art. 10 Abs. 2 Satz 1 und 2 LV beimisst.

90

(1) Bereits der Umstand, dass die Vorgabe von 75 Abgeordneten in Art. 10 Abs. 2 Satz 1 LV nicht durch die nun geltende Zahl von 69 Abgeordneten ersetzt, sondern diese neue Vorgabe zusätzlich in die Verfassung aufgenommen wurde, zeigt, dass der Verfassungsgeber eine deutliche Verkleinerung des Landtages gewollt hat. In dem Nebeneinander dieser beiden Zielgrößen wird eine Tendenz aufgezeigt. Insgesamt kommt damit die Erwartung des Verfassungsgebers zum Ausdruck, dass der Landtag die Zahl von 69 Abgeordneten regelmäßig nicht überschreiten soll. Als Regelgröße verstanden folgt daraus, dass die Entstehung von Überhangmandaten - und der damit einhergehende Anfall von Ausgleichsmandaten - zu begrenzen ist. Zu einer Überschreitung soll es nur ausnahmsweise und dann nur in geringem Maße kommen.

91

(2) Dies wird durch die Entstehungsgeschichte bestätigt. Die erste Festschreibung der Abgeordnetenzahl in der Verfassung beruhte auf einem entsprechenden Vorschlag der Enquete-Kommission für eine neue Landesverfassung vom 7. Februar 1989 (Landtags-Drucksache 12/180). Die Abgeordnetenzahl sollte ungerade sein und im Interesse verfassungspolitischer Kontinuität nicht zur Disposition der jeweiligen Regierungsmehrheit stehen. Bei der Anzahl selbst orientierte man sich an den seit 1947 im Landeswahlgesetz vorgesehenen Zahlen von 70, 69, 73 und zuletzt 74 Abgeordneten (Landtags-Drucksache 12/180, S. 153 ff.), die bis dahin noch nie überschritten worden waren (vgl. die Aufstellung „Wahlen in Schleswig-Holstein seit 1947“, Sitzverteilung, Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein 2009). Die von der Enquete-Kommission vorgeschlagene Zahl von 75 Abgeordneten wurde im weiteren Verlauf der Verfassungsreform nicht mehr diskutiert.

92

Zu einer Diskussion kam es jedoch nach der Wahl zum 13. Landtag 1992, bei der die SPD sämtliche 45 Direktmandate gewann und sich die Zahl der Abgeordneten von 75 auf 89 erhöhte. Eine interfraktionelle Verhandlungsgruppe sollte klären, wie man eine solche Vergrößerung des Landtages durch Überhangmandate künftig verhindern könne. CDU- und FDP- Fraktion reagierten mit einem (später abgelehnten) Gesetzentwurf, mit dem unter anderem die Zahl der Wahlkreise von 45 auf 37 reduziert werden sollte (Landtags-Drucksache 13/2026), um zu gewährleisten, dass der Landtag auch in Zukunft nur die in der Verfassung vorgesehenen 75 Abgeordneten habe und nicht weiter vergrößert werde. Schon nach Auffassung der Enquete-Kommission sei die Funktion des Landtages mit 75 Abgeordneten am besten gewährleistet; mehr als 75 Abgeordnete würden die Effizienz nicht mehr steigern (PlPr 13/65, S. 4431 f., 4438). Nach Auffassung der SPD- Fraktion war die Zahl von 75 Abgeordneten kein exaktes Ziel, sondern nur eine Ausgangszahl, die sich durch Überhang- und Ausgleichsmandate erhöhe, so dass auch 89 Abgeordnete noch von der Verfassung gedeckt seien (PlPr 13/65, S. 4436, 4447). Zugleich gab sie aber Anfang 1994 ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes in Auftrag und beantragte im Landtag eine Prüfung durch den Innen- und Rechtsausschuss, durch welche rechtlichen Maßnahmen bei künftigen Wahlen „die Zahl von 75 Landtagsmandaten nicht oder nicht wesentlich überschritten“ werden würde (Landtags-Drucksache 13/2003).

93

Nachdem der 15. Landtag nach der Wahl im Jahr 2000 erneut auf 89 Abgeordnete angewachsen war, brachte die FDP- Fraktion einen Gesetzentwurf zur Änderung des Wahlgesetzes ein. Dieser Gesetzentwurf sah unter anderem eine Reduzierung der Zahl der Wahlkreise vor (Landtags-Drucksache 15/55), um so „der Verfassung zu mehr Verfassungswirklichkeit zu verhelfen“. Nur so sei zu gewährleisten, dass die Einhaltung der verfassungsmäßig vorgegebenen Zahl von Abgeordneten kein Zufall bleibe, sondern zur Regel werde (PlPr 15/2, S. 74). In der nachfolgenden Debatte waren sich die Abgeordneten darüber einig, dass die Anzahl von 75 Abgeordneten „regulär und angemessen“ sei und eine „funktionsfähige Größe“ darstelle (PlPr 15/2, S. 76, 81). In der 2. Lesung sprach man von einem „Verfassungsziel“ und von einer „Regelgröße“, die nicht erheblich überschritten werden dürfe (PlPr 15/76, S. 5731, 5735). Mit Blick auf die mittlerweile geplante Absenkung auf 69 Abgeordnete zog der Abgeordnete Kubicki in Erwägung, ob der Gesetzgeber nicht von Verfassungs wegen gezwungen sei, das Wahlrecht so auszugestalten, dass die vorgegebene Sollzahl optimal erreicht werde. Jedenfalls dürfe sich der Gesetzgeber von den Verfassungsgrundsätzen nicht entfernen (PlPr 15/76, S. 5736). Ebenso bestand schließlich während der Debatte zur Verfassungsänderung von 2003 Einigkeit darüber, dass es sich auch bei der Zahl von 69 Abgeordneten um eine regulär vorgesehene Zahl handeln könne, die sich im Einzelfall durch Überhang- und Ausgleichsmandate erhöht. Die Verkleinerung des Landtags war zwar im Wesentlichen motiviert durch eine erforderlich gewordene Diätenstrukturreform (vgl. IR 15/75, S. 13 und PlPr 15/86, Redebeiträge Puls, S. 6549; Kubicki, S. 6559; Hinrichsen, S. 6300, 6557), doch sollte es jedenfalls im Ergebnis nicht noch einmal zu einem Anwachsen des Landtags auf 89 Abgeordnete kommen. Als erstrebenswert wurde vielmehr eine endgültige Größe von höchstens 75 bis 77 Abgeordneten erachtet (PlPr 15/83, S. 6294 ff. und 15/86, S. 6548 ff.).

94

bb) Als weitere Verfassungsvorgabe schreiben Art. 10 Abs. 2 Satz 3 bis 5 LV das Wahlsystem zum Schleswig-Holsteinischen Landtag vor. Dieses lässt sich als „personalisierte Verhältniswahl“ charakterisieren und stellt ein verbundenes einheitliches Wahlsystem dar (Art. 10 Abs. 2 Satz 3 LV). In dem so charakterisierten Wahlsystem kommt dem aus dem Grundsatz der Wahlgleichheit des Art. 3 Abs. 1 LV folgenden Grundsatz der Erfolgswertgleichheit nicht eine nur begrenzte, sondern eine das einheitliche Wahlsystem insgesamt umfassende Bedeutung zu. Dementsprechend konkretisiert und verstärkt die speziellere Vorschrift des Art. 10 Abs. 2 Satz 5 LV den aus dem Grundsatz der Wahlgleichheit des Art. 3 Abs. 1 LV folgenden Grundsatz der Erfolgswertgleichheit. Insoweit verbleibt dem Gesetzgeber nur ein eingeschränkter Gestaltungsspielraum.

95

(1) Die Wahlgrundsätze des Art. 3 Abs. 1 LV stimmen überein mit denjenigen, die nach Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG für die Wahlen zum Bundestag gelten. Zur Übernahme dieser Grundsätze war der Landesverfassungsgeber im Rahmen des Homogenitätsgebots gemäß Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG verpflichtet. Dies befolgend sind sie 1949 in die Landessatzung aufgenommen worden (vgl. Urteil vom 26. Februar 2010 - LVerfG 1/09 -, NordÖR 2010, 155 ff. = Die Gemeinde SH 2010, 79 ff. = SchlHA 2010, 131 ff., Juris Rn. 32 f.; Begründung der Landtagsvorlage 263/3 S. 188, VII.; Gross , DV 1950, 129 <131>). Deshalb kann für die Auslegung des Art. 3 Abs. 1 LV auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG zurückgegriffen werden (vgl. BVerfG, Urteil vom 13. Februar 2008 - 2 BvK 1/07 - BVerfGE 120, 82 ff., Juris Rn. 95 m.w.N.), soweit sich aus den Wahlsystemen keine entscheidenden Unterschiede ergeben. Bei der Ausgestaltung des Wahlsystems genießen die Länder im Rahmen der Bindung an die Grundsätze des Art. 28 GG einen autonomen Spielraum (BVerfG, Beschluss vom 16. Juli 1998 - 2 BvR 1953/95 - BVerfGE 99, 1 ff., Juris Rn. 46; Urteil vom 8. Februar 2001 - 2 BvF 1/00 - BVerfGE 103, 111 ff., Juris Rn. 90; und Beschluss vom 14. Februar 2005 - 2 BvL 1/05 -, NordÖR 2005, 106 ff. = NVwZ 2005, 568 ff., = SchlHA 2005, 128 ff., Juris Rn. 29, Juris Rn. 29; vgl. auch Dreier, in: ders. , Grundgesetz - Kommentar - Band II, 2. Aufl. 2006, Art. 28 Rn. 70; Caspar , in: ders./ Ewer/ Nolte/ Waack , Verfassung des Landes Schleswig-Holstein, Kommentar, 2006, Art. 3 Rn. 30; Waack , in: Caspar/ Ewer/ Nolte/ ders. , Verfassung des Landes Schleswig-Holstein, Kommentar, 2006, Art. 10 Rn. 64).

96

Der Grundsatz der Gleichheit der Wahl sichert die vom Demokratieprinzip vorausgesetzte Egalität der Staatsbürger und gebietet, dass alle Staatsbürger das aktive und passive Wahlrecht in möglichst gleicher Weise ausüben können. Historisch betrachtet verbietet er für das aktive Wahlrecht eine unterschiedliche Gewichtung der Stimmen etwa nach Vermögensverhältnissen, Klassenzugehörigkeit, nach Bildung, Religion oder Geschlecht. Heute ist er im Sinne einer strengen und formalen Gleichheit zu verstehen. Daraus folgt für das Wahlgesetz, dass die Stimme einer und eines jeden Wahlberechtigten grundsätzlich den gleichen Zählwert und die gleiche Erfolgschance haben muss. Alle Stimmen sollen den gleichen Einfluss auf das Wahlergebnis haben (BVerfG, Urteile vom 10. April 1997 - 2 BvF 1/95 -BVerfGE 95, 335 ff., Juris Rn. 67; vom 13. Februar 2008 - 2 BvK 1/07 - BVerfGE 120, 82 ff., Juris Rn. 97; und vom 3. Juli 2008 - 2 BvC 1/07 u.a. - BVerfGE 121, 266 ff., Juris Rn. 91 f.). Dieser lässt sich naturgemäß nur anhand einer ex postBetrachtung ermitteln (vgl. Ipsen , JZ 2002, 469 <472>).

97

Die Wahlgleichheit ist nach allgemeiner Auffassung kein Kriterium für die Auswahl des Wahlsystems, sondern bildet lediglich die Grundlage für dessen Ausgestaltung (vgl. Schreiber , Bundeswahlgesetz, 8. Aufl. 2009, § 1 Rn. 42; kritisch Backhaus , DVBl. 1997, 737 <740>). Innerhalb der verschiedenen Wahlsysteme wirkt sie sich unterschiedlich aus (vgl. BVerfG, Urteil vom 10. April 1997 a.a.O., Juris Rn. 68; Beschluss vom 14. Februar 2005 a.a.O., Juris Rn. 29; und Urteil vom 13. Februar 2008 a.a.O., Juris Rn. 98; vgl. auch Wild , Die Gleichheit der Wahl, 2003, S. 208 ff.), je nach dem, ob das Wahlsystem personen- oder parteibezogen ist (vgl. Pauly , AöR 123 - 1998 - 233 <241 f.>). Maßgeblich ist stets, dass im Ergebnis keine unsachliche Differenzierung des Stimmgewichts erfolgen darf (vgl. Caspar , a.a.O., Art. 3 Rn. 36 ff.).

98

(a) Da die Mehrheitswahl die enge persönliche Beziehung der Abgeordneten zum Wahlkreis sichert, führen nur die für die Mehrheitskandidatin oder den Mehrheitskandidaten abgegebenen Stimmen zur Mandatszuteilung, während die auf Minderheitskandidaten entfallenden Stimmen unberücksichtigt bleiben. Hier müssen - ex ante betrachtet - alle Wählerinnen und Wähler über den gleichen Zählwert ihrer Stimmen hinaus die gleiche Erfolgschance haben, indem sie auf der Grundlage möglichst gleich großer Wahlkreise und von daher mit annähernd gleichem Stimmgewicht am Kreationsvorgang teilnehmen können (vgl. BVerfG, Urteile vom 10. April 1997 a.a.O., Juris Rn. 65, 69; und vom 13. Februar 2008 a.a.O., Juris Rn. 98).

99

(b) Die Verhältniswahl bezweckt demgegenüber eine spiegelbildliche Darstellung der parteipolitischen Ausrichtung der Wählerschaft im Parlament. Hierfür müssen alle Wählerinnen und Wähler mit ihrer Stimme den gleichen Einfluss auf die Zusammensetzung der Volksvertretung haben. Jede Partei soll im Parlament in der Stärke vertreten sein, die dem Gesamtanteil der für sie im Wahlgebiet abgegebenen Stimmen und damit ihrem politischen Gewicht entspricht (vgl. BVerfG, Urteile vom 5. April 1952 - 2 BvH 1/52 - BVerfGE 1, 208 ff., Juris Rn. 115, 118 f.; vom 10. April 1997 - 2 BvF 1/95 - BVerfGE 95, 335 ff., Juris Rn. 64; und vom 3. Juli 2008 a.a.O., Juris Rn. 93). Dies erfordert ein Rechenverfahren, welches das Verhältnis der Stimmen für die Parteilisten zu den Gesamtstimmen und eine entsprechende Sitzzuteilung ermittelt, so dass jeder Stimme über die gleiche Erfolgschance hinaus auch der gleiche Erfolgswert zukommt (vgl. BVerfG, Urteile vom 5. April 1952 a.a.O., Juris Rn. 119; vom 10. April 1997 - 2 BvF 1/95 - a.a.O., Juris Rn. 70; vom 10. April 1997 - 2 BvC 3/96 - BVerfGE 95, 408 ff., Juris Rn. 41; vom 13. Februar 2008 a.a.O., Juris Rn. 99; und vom 3. Juli 2008 a.a.O., Juris Rn. 93, stRspr.; vgl. auch: Schreiber , Bundeswahlgesetz, 8. Aufl. 2009, § 1 Rn. 55).

100

(c) Mehrheitswahl und Verhältniswahl lassen sich in verschiedener Weise miteinander verbinden (vgl. Seifert , Bundeswahlrecht, 3. Aufl. 1976, S. 11 f.; Wild , a.a.O., S. 211). Ist eine Verbindung beider Wahlsysteme vorgesehen, muss der Gesetzgeber das letztlich angestrebte Regelungsziel und das normative Umfeld mit der spezifischen Ordnungsstruktur des ausgewählten Wahlsystems systemgerecht und widerspruchsfrei aufeinander abstimmen (ebenso: StGH Bremen, Urteil vom 8. April 2010 - St 3/09 -, NordÖR 2010, 198 ff. Rn. 50). Das ausgewählte Wahlsystem ist in seinen Grundelementen einheitlich und folgerichtig zu gestalten und darf keine strukturwidrigen Elemente enthalten. Dabei ist die Gleichheit der Wahl nicht nur innerhalb des jeweiligen Abschnitts oder Systems zu wahren (vgl. BVerfG, Urteile vom 5. April 1952 a.a.O., Juris Rn. 120; vom 10. April 1997 - 2 BvF 1/95 - a.a.O., Juris Rn. 71; und vom 13. Februar 2008 a.a.O., Juris Rn. 100 f., stRspr.; vgl. auch Hübner, in: von Mutius / Wuttke/ ders., Kommentar zur Landesverfassung Schleswig-Holstein, 1995, Art. 10 Rn. 19; Waack , in: Caspar/ Ewer/ Nolte/ ders. , Verfassung des Landes Schleswig-Holstein, Kommentar, 2006, Art. 10 Rn. 65), sondern es müssen darüber hinaus die Teilwahlsysteme sachgerecht zusammenwirken (vgl. BVerfG, Urteil vom 10. April 1997 - 2 BvF 1/95 - a.a.O., Juris Rn. 71; ebenso Litten/ Wallerath , Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern, 2007, Art. 20 Rn. 30).

101

Entscheidend für die Ermittlung des Gleichheitsmaßstabs ist danach die Charakterisierung des vom Gesetzgeber gewählten Verbindungswahlsystems. Nur wenn das ausgewählte Wahlsystem beiden Teilwahlsystemen ihre Selbständigkeit belässt, können auch die jeweils zu definierenden Maßstäbe auf das jeweilige Wahlsystem beschränkt werden (sogenanntes Grabenwahlsystem). Wird hingegen das ausgewählte Wahlsystem im Ergebnis von einem der beiden Teilwahlsysteme maßgeblich definiert, muss dessen Gleichheitsmaßstab insgesamt Anwendung finden (vgl. Klein, in: Maunz/ Dürig , Grundgesetz - Kommentar - Band IV, Art. 38 Rn. 179 ; Nohlen , Wahlrecht und Parteiensystem, 6. Aufl. 2009, S. 351 f.; Wild , a.a.O., S. 211 ff.).

102

(2) Das Wahlsystem zum Schleswig-Holsteinischen Landtag ist als „personalisierte Verhältniswahl“ zu charakterisieren. Es stellt sich als ein verbundenes einheitliches Wahlsystem dar, vgl. Art. 10 Abs. 2 Satz 3 bis 5 LV. Ein Grabenwahlsystem, in dem die Grundsätze der beiden Wahlsysteme nebeneinander stehen, ist durch diese Verfassungsbestimmung ausgeschlossen. Das Schleswig-Holsteinische Landtagswahlsystem ist maßgeblich geprägt und im Ergebnis bestimmt von den Grundsätzen der Verhältniswahl. Dem Maßstab der Erfolgswertgleichheit kommt dabei eine übergreifende Tragweite zu; insgesamt muss jede Wählerstimme von gleichem Gewicht sein.

103

(a) Schon vor Einführung des begrenzten Mehrsitzausgleichs und unter Geltung des Einstimmenwahlrechts führte das Bundesverfassungsgericht in seiner Funktion als Landesverfassungsgericht in seiner ersten Entscheidung zur schleswigholsteinischen Sperrklausel aus, dass das Landtagswahlsystem Elemente der Mehrheitswahl mit solchen der Verhältniswahl verbinde. Hinter der Mehrheitswahl im Wahlkreis stehe der „Vollproporz in der radikalen Form“. Auch im Falle der Kombination zweier Wahlsysteme dürfe der Verhältnisausgleich nicht beliebig gestaltet werden. Eine ungleichmäßige Verwertung der Stimmen im Verhältnisausgleich sei nicht damit zu rechtfertigen, dass die Parteien bei einer Mehrheitswahl noch ganz anders benachteiligt würden. Wenn die Entscheidung für einen zusätzlichen Verhältnisausgleich falle, müsse in diesem Teil des Wahlverfahrens auch die Wahlgleichheit in ihrer spezifischen Ausprägung für die Verhältniswahl beachtet werden. Dies gelte erst recht für das in Schleswig-Holstein eingeführte Wahlsystem, „das letzten Endes auf eine rein verhältnismäßige Verteilung der Mandate nach dem Wahlergebnis im ganzen Land mit bloß zusätzlicher Prämie aus der Mehrheitswahl hinauslaufe“ (Urteil vom 5. April 1952 - 2 BvH 1/52 - BVerfGE 1, 208 ff., Juris Rn. 2, 109, 121; zustimmend: von Mutius, in: ders. / Wuttke/ Hübner , Kommentar zur Landesverfassung Schleswig-Holstein, 1995, Art. 3 Rn. 10.; Hübner , a.a.O., Art. 10 Rn. 19, 22 jeweils m.w.N.).

104

Im Übrigen hat das Bundesverfassungsgericht - wiederum als Landesverfassungsgericht - auch das bis heute mit nur einer Wählerstimme arbeitende kommunale Wahlsystem Schleswig-Holsteins den Grundsätzen der Verhältniswahl unterworfen. Die Möglichkeit der Erringung von Direktmandaten stelle keine Durchbrechung des Verhältniswahlsystems dar, weil die Wählerstimme zugleich als Votum für die Liste gelte und die Mandate unter Anrechnung der errungenen Direktsitze nach der Gesamtstimmenzahl verteilt würden. Mit der Entscheidung für das Verhältniswahlsystem sei der Gesetzgeber daran gebunden, sowohl die Zähl- als auch die Erfolgswertgleichheit der Wählerstimmen sicherzustellen (Urteil vom 13. Februar 2008 - 2 BvK 1/07 - BVerfGE 120, 82 ff., Juris Rn. 105).

105

(b) Das vom Bundesverfassungsgericht bereits in seinem Urteil vom 5. April 1952 (a.a.O., Juris Rn. 2, 109, 121) als einheitliches Wahlsystem in Form der personalisierten Verhältniswahl charakterisierte Wahlrecht zum Schleswig-Holsteinischen Landtag, das trotz vorgeschalteter Mehrheitswahl den Grundcharakter einer Verhältniswahl trägt, ist mittlerweile in der Verfassung in Art. 10 Abs. 2 Satz 3 bis 5 LV als Verbindungswahlsystem mit Überhang- und Ausgleichsmandaten festgeschrieben.

106

Die durch Gesetz vom 27. Oktober 1997 (GVOBl S. 462) erfolgte Umstellung auf das Zweistimmenwahlrecht sollte eine Differenzierung zwischen persönlich bekannten Kandidatinnen und Kandidaten einerseits und Parteien andererseits ermöglichen (PlPr 14/3, S. 81). Dabei blieben Art. 10 Abs. 2 LV und der Verhältnisausgleich nach § 3 LWahlG jedoch unverändert. Insoweit spricht auch die aktuelle Kommentarliteratur weiterhin von einer „personalisierten Verhältniswahl“ (vgl. Caspar , in: ders./ Ewer/ Nolte/ Waack , Verfassung des Landes Schleswig-Holstein, Kommentar, 2006, Art. 3 Rn. 37; Waack , a.a.O., Art. 10 Rn. 65). Dementsprechend hat das Bundesverfassungsgericht - wiederum in seiner Eigenschaft als Landesverfassungsgericht - in seiner letzten Entscheidung zum schleswig-holsteinischen Landeswahlrecht den Inhalt seiner Entscheidung von 1952 bestätigt (Beschluss vom 14. Februar 2005 - 2 BvL 1/05 -, NordÖR 2005, 106 ff. = NVwZ 2005, 568 ff., = SchlHA 2005, 128 ff., Juris Rn. 2 und 31).

107

(c) Die personalisierte Verhältniswahl zum Landtag gemäß Art. 10 Abs. 2 LV wird im Landeswahlgesetz nach den §§ 1 bis 3 LWahlG durch die Verknüpfung einzelner Abschnitte von (Teil-) Wahlsystemen umgesetzt. Die Schritte zur Verknüpfung beschreibt § 3 LWahlG wie folgt: Zunächst wird die Anzahl der auf die einzelnen Landeslisten entfallenden Sitze auf Grundlage der gültigen Zweitstimmen ermittelt und die Gesamtzahl der Abgeordneten entsprechend auf die Landeslisten verteilt (§ 3 Abs. 3 LWahlG). Sodann sind die in den Wahlkreisen erfolgreichen Bewerberinnen und Bewerber auf Grundlage der gültigen Erststimmen (§ 2 LWahlG) zu ermitteln und auf das Ergebnis der Listenwahl anzurechnen (§ 3 Abs. 4 LWahlG). Diese Anrechnung dient der Verknüpfung und notwendigen Harmonisierung von Personen- (oder Direkt-) wahl und Verhältniswahl (vgl. für § 6 Abs. 4 Satz 1 BWahlG:Ipsen , Staatsrecht I, 21. Aufl. 2009, Rn. 114, 119). Methodisch erreicht der Gesetzgeber die Verknüpfung über eine „Verteilungsfiktion“ (so für das Bundeswahlrecht: Wrege , Jura 1997, 113), denn die Verteilung der Gesamtzahl der Abgeordneten auf die Landeslisten nach § 3 Abs. 3 Satz 2 LWahlG erfolgt zunächst nur fiktiv. Diese Fiktion wird durch die Anrechnung der erfolgreichen Wahlkreisbewerberinnen und -bewerber auf die jeweilige Landesliste wieder aufgelöst (§ 3 Abs. 4 LWahlG). Schließlich schreibt § 3 Abs. 5 Satz 1 LWahlG vor, dass einer Partei die in den Wahlkreisen errungenen Mandate auch dann verbleiben, wenn deren Anzahl größer ist als die des verhältnismäßigen Sitzanteils (entsprechend § 6 Abs. 5 Satz 1 BWahlG). Zum Zwecke des Ausgleichs werden hierfür weitere Sitze nach dem in § 3 Abs. 5 Satz 2 und 3 LWahlG beschriebenen Verfahren vergeben.

108

(d) Trotz dieser verschiedenen Abschnitte handelt es sich bei dem heutigen Landeswahlsystem somit nicht um ein (Mischwahl- oder) Grabensystem, sondern um ein einheitliches Wahlsystem, das erst aus der Verbindung der beiden Wahlsysteme entsteht. Gerade erst aus dem Zusammenspiel der verschiedenen Systemabschnitte lassen sich die Landtagsmandate ermitteln. Zweck der Verbindung ist es, sowohl eine bestimmte Anzahl von Abgeordneten nach Mehrheitswahl in den Wahlkreisen zu bestimmen und so das Persönlichkeitselement einzubringen (§ 1 Abs. 1 Satz 2, § 2 LWahlG) als auch, den parteibezogenen Proporz zu sichern (§ 1 Abs. 1 Satz 2, § 3 LWahlG).

109

Die Direktkandidatinnen und Direktkandidaten werden zwar in den Wahlkreisen nach dem Mehrheitswahlsystem gewählt. Die von ihnen im Landtag besetzten Sitze werden aber nicht unter den Bedingungen der Mehrheitswahl vergeben, sondern unter Anrechnung auf die Landeslisten. Die von den erfolgreichen Wahlkreisbewerberinnen und -bewerbern besetzten Sitze sind von ihnen im Ergebnis zwar persönlich gewonnen, zugleich sind sie aber Teil der verhältnismäßigen Abbildung der Stärke der Parteien und gehen in die mit der Verhältniswahl bezweckte Abbildung der relativen Stimmverteilung im Wahlvolk ein.

110

Aus dem Landtagswahlsystem wird auch nicht dadurch eine „Persönlichkeitswahl, ergänzt um Elemente der Verhältniswahl“, weil die Sitze nicht - wie im Bund - in einem prozentualen Verhältnis von 50:50 auf die Mehrheitswahl und die Verhältniswahl aufgeteilt werden, sondern gemäß § 1 Abs. 1 LWahlG - historisch gewachsen - in einem prozentualen Verhältnis von etwa 60:40 (heute: 40 Direktmandate zu 29 planmäßigen Listenmandaten). Dies folgt bereits aus dem Umstand, dass der prozentuale Anteil der direkt gewählten Abgeordneten kleiner wird, sobald es zu Mehrsitzen kommt, die der jeweiligen Partei - zwecks Wahrung des Persönlichkeitselements - verbleiben. Das „Verbleiben“ dieser Mehrsitze führt zu einer Erhöhung der Gesamtsitzzahl im Landtag, während die gesetzlich festgelegte Zahl von 40 Direktmandaten gleich bleibt. Dies galt im Übrigen schon vor Einführung des Art. 10 Abs. 2 LV und des Mehrsitzausgleichs.

111

(3) Mit der Verpflichtung des Gesetzgebers auf einen Ausgleich der Überhangmandate (Mehrsitze) in Art. 10 Abs. 2 Satz 5 LV hat der Verfassungsgeber die Dominanz der Verhältniswahl nochmals bekräftigt und ihr Gewicht in Richtung Gesamtproportionalität gestärkt. Diese Stärkung drängt das Teilelement Mehrheitswahl zwangsläufig weiter zurück.

112

(a) Nach dem Wortlaut des Art. 10 Abs. 2 Satz 5 LV ist nur eindeutig festgelegt, dass ein Ausgleich stattzufinden hat; eine Aussage über die Anzahl oder die Berechnung der Ausgleichsmandate fehlt demgegenüber. Auch aus der Entstehungsgeschichte des 1990 in die Landesverfassung eingefügten Art. 10 Abs. 2 LV lässt sich nicht entnehmen, wie der Verfassungsgeber den konkreten Ausgleich gestaltet wissen wollte.

113

(aa) Die frühere Landessatzung (LS) sah noch keine Bestimmungen über die Wahlen zum Landtag vor; auch die 1988 eingesetzte Enquete-Kommission „Verfassungs- und Parlamentsreform“ befasste sich nicht mit dem Wahlrecht (vgl. Landtags-Drucksache 12/180, S. 153 ff.). Der im Februar 1989 eingesetzte Sonderausschuss „Verfassungs- und Parlamentsreform“ - SoAVP - (Landtags-Drucksache 12/218) diskutierte die verfassungsmäßige Festlegung der Abgeordnetenzahl im Landtag und die damit zusammenhängende Frage, ob die Regelung von Überhang- und Ausgleichsmandaten dem einfachen Gesetzgeber überlassen werden könne.

114

In der 2. Sitzung des Sonderausschusses wurde die Gefahr des Entstehens von Überhangmandaten für den Fall, dass man wenige Listenmandate und viele Wahlkreise vorsehe, zwar angesprochen, in Anbetracht der bisherigen Erfahrungen aber als gering erachtet (SoAVP 2/20 f.). In der 5. Sitzung einigte man sich darauf, die Zahl der Mandate in der Verfassung festzuschreiben. Da Abweichungen hiervon aus wahlsystematischen Gründen nicht ausgeschlossen seien, sollten auch Überhang- und Ausgleichsmandate in der Verfassung Erwähnung finden (SoAVP 5/3 ff.). In der 6. Sitzung wurde diskutiert, ob die Entscheidung über Überhang- und Ausgleichsmandate dem jeweiligen Gesetzgeber überlassen werden soll. Im Ergebnis war es der erklärte Wille des Ausschusses, in der Verfassung eine Formulierung zu wählen, die es dem Gesetzgeber verbiete, Überhang-, Ausgleichs- oder Leermandate auszuschließen; diese sollten grundsätzlich im Wahlgesetz möglich gemacht werden (SoAVP 6/5 ff.). Den Formulierungsvorschlag des wissenschaftlichen Dienstes, wonach das Wahlgesetz Überhang- und Ausgleichsmandate ermöglichen müsse (Landtags-Umdruck 12/479), übernahm der Ausschuss in seiner 7. Sitzung nahezu wortgleich (SoAVP 7/4). Der anschließende Vorschlag des Landeswahlleiters, sich hinsichtlich des geltenden Wahlsystems (kombinierte Persönlichkeits- und Verhältniswahl) und der Verpflichtung des Gesetzgebers zu Ausgleichsmandaten klarer festzulegen, scheiterte zunächst, weil man meinte, dass es einer weiteren Klarstellung nicht bedürfe. Die Festlegung auf das gemischte Wahlsystem sei schon so erkennbar (SoAVP 21/19 ff.).

115

Im Abschlussbericht des Sonderausschusses vom 28. November 1989 wurde folgender Art. 10 LV vorgeschlagen (Landtags-Drucksache 12/620, S. 9):

116

Art. 10 Funktion und Zusammensetzung des Landtages

(1) […]

(2) Der Landtag besteht aus fünfundsiebzig Abgeordneten. Diese Zahl ändert sich, wenn Überhang- oder Ausgleichsmandate entstehen oder wenn Sitze leer bleiben. Das Nähere regelt ein Gesetz, das Überhang- und Ausgleichsmandate ermöglichen muss.

117

Der Sonderausschuss führte dazu aus: „Die in Satz 1 festgelegte Abgeordnetenzahl kann sich nur ändern, wenn Überhang- oder Ausgleichsmandate entstehen oder wenn Sitze leer bleiben. Insoweit die Einzelheiten zu regeln, muss (…) dem einfachen Gesetzgeber überlassen bleiben. Sein Regelungsspielraum wird allerdings durch Art. 10 Abs. 2 Satz 3 LV eingeengt. Wenn das Gesetz Überhang- oder Ausgleichsmandate ermöglichen muss, so wird damit mittelbar das Wahlsystem - nämlich das System einer kombinierten Persönlichkeits- und Verhältniswahl -vorgegeben“ (Landtags-Drucksache 12/620 , S. 40).

118

Die daraufhin eingebrachten Gesetzentwürfe (Landtags-Drucksache 12/637, S. 5 und 12/638 , S. 4) übernahmen den Vorschlag zu Art. 10 Abs. 2 LV. In der ersten Lesung am 16. Januar 1990 mahnte der damalige Innenminister - wie zuvor schon der Landeswahlleiter (Landtags-Umdruck 12/763) - eine klarere Formulierung der wahlrechtlichen Regelungen an. Es sei ein Mangel, wenn Einzelheiten eines bestimmten Wahlsystems geregelt würden, dabei aber nicht das Wahlsystem selbst bezeichnet werde, welches verfassungsfest gemacht werden solle (PlPr. 12/43 S. 2538). Auf Bitte des Sonderausschusses formulierte er die aus Sicht der Landesregierung wünschenswerten Änderungen und fügte in Art. 10 Abs. 2 LV die Festschreibung des bis dahin einfachgesetzlich schon geltenden kombinierten Persönlichkeits- und Verhältniswahlrechts ein (Umdruck 12/1292). Dem schlossen sich der Sonderausschuss (Landtags-Drucksache 12/826) und der Landtag an. Damit wurde Art. 9 Abs. 1 LS nach zweiter Lesung am 30. Mai 1990 (PlPr 12/55) durch Gesetz vom 13. Juni 1990 (GVOBl S. 391) durch folgenden Art. 10 LV ersetzt:

119

Art. 10 Funktion und Zusammensetzung des Landtages

(1) […]

(2) Der Landtag besteht aus fünfundsiebzig Abgeordneten. Sie werden nach einem Verfahren gewählt, das die Persönlichkeitswahl mit den Grundsätzen der Verhältniswahl verbindet. Die in Satz 1 genannte Zahl ändert sich nur, wenn Überhangoder Ausgleichsmandate entstehen oder wenn Sitze leer bleiben. Das Nähere regelt ein Gesetz, das für den Fall des Entstehens von Überhangmandaten Ausgleichsmandate vorsehen muss.

120

Soweit die ursprüngliche Fassung „(…) ermöglichen muss“ geändert wurde in „(…) vorsehen muss“, präzisiert und konkretisiert dies den an den Gesetzgeber gerichteten Auftrag (so auch der Vorsitzende des Sonderausschusses während der 21. Sitzung, SoAVP 21/22). Die Diskussion im Sonderausschuss gibt nicht her, dass der Verfassungsgeber durch diese Formulierung zwingend einen Vollausgleich vorschreiben wollte.

121

(bb) Vollständig würdigen lässt sich die Entstehungsgeschichte des Art. 10 Abs. 2 LV nur vor dem Hintergrund des geltenden Landeswahlrechts. Die Tatsache, dass sich der Verfassungsgeber im Rahmen der Beratungen zur Frage des Voll- oder Teilausgleichs nicht ausdrücklich geäußert hat, beruhte darauf, dass mit der Entstehung von Überhangmandaten (Mehrsitzen) in nennenswertem Umfang damals noch nicht gerechnet wurde.

122

Mit Inkrafttreten der neuen Landesverfassung musste auch das Landeswahlgesetz geändert werden, weil es bis zu dieser Zeit noch keinen Mehrsitzausgleich vorsah. Der Entwurf zum Landeswahlgesetz wurde bewusst an § 10 Abs. 4 GKWG angelehnt (Landtags-Drucksache 12/834, S. 2). Das Änderungsgesetz vom 20. Juni 1990 (GVOBl S. 419) trat am Tag nach seiner Verkündung in Kraft. Aus der parallel zur Verfassungsänderung vorgenommenen Einführung eines nur beschränkten Mehrsitzausgleiches - im damaligen § 3 Abs. 4 LWahlG - könnte geschlossen werden, dass der mit dem Gesetzgeber identische Verfassungsgeber nicht zwingend einen stets vollständigen Ausgleich von Überhangmandaten vorschreiben wollte. Wenn der Landtag erstmalig eine Pflicht zum Ausgleich von Überhangmandaten in die Landesverfassung aufnimmt und nicht nur in Kenntnis, sondern auch aus Anlass seiner eigenen Verfassungsvorgaben zeitgleich als Gesetzgeber das Wahlrecht ändert, ist es zwar naheliegend, dass er die durch diese Gesetzesänderung herbeigeführte Rechtslage - die Begrenzung des Ausgleichs in § 3 Abs. 4 Satz 3 LWahlG bei geltender Ausgleichspflicht nach Art. 10 Abs. 2 Satz 4 LV -für mit der Verfassung vereinbar hielt. Abgesehen davon, dass eine solche Annahme auch nicht zutreffen muss und insbesondere nicht vom einfachen Recht auf die richtige Auslegung der Verfassung geschlossen werden kann, gibt es dafür jedoch keine weiteren Anhaltspunkte.

123

Bei Verabschiedung der neuen Verfassung sah das Landeswahlgesetz noch das Einstimmenwahlrecht vor. Die Einführung des Zweistimmenwahlrechts war noch nicht in der parlamentarischen Diskussion, sie erfolgte erst durch Gesetz vom 27. Oktober 1997 (GVOBl S. 462). Die Möglichkeit, dass es bei einer Landtagswahl zu Überhangmandaten kommen würde, war dennoch nicht auszuschließen und hatte durch Übernahme der Formulierung aus § 10 Abs. 4 GKWG Berücksichtigung gefunden. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich diese theoretische Möglichkeit tatsächlich realisieren würde, war von der praktischen Erfahrung her allerdings noch nicht belegt. Seit 1947 bis zur Verfassungsänderung war es bei Landtagswahlen nicht dazu gekommen, dass der Anteil der Direktmandate einer Partei größer gewesen wäre als ihr verhältnismäßiger Sitzanteil. Die Wahlstatistik zeigt, dass die gesetzlich festgelegte Zahl von Abgeordneten erstmals aufgrund der Landtagswahl 1992 überschritten worden ist („Wahlen in Schleswig-Holstein seit 1947“, Sitzverteilung, Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein 2009).

124

Umso fernliegender war im Jahre 1990 die Vorstellung, dass bei tatsächlicher Entstehung von Überhangmandaten (Mehrsitzen) die Gewährung von insgesamt doppelt so vielen weiteren Sitzen nicht ausreichen würde, um einen vollständigen Ausgleich zu erreichen. Tatsächlich hat es in Schleswig-Holstein nahezu 20 Jahre gedauert, bis dieser Fall bei der Landtagswahl 2009 erstmals eingetreten ist. Die Faktoren, die diese Entwicklung ermöglichten (Einführung des Zweistimmenwahlrechts mit der Möglichkeit des Stimmensplittings, zunehmend breiteres Parteienspektrum und infolgedessen breitere Streuung der Zweitstimmen), waren damals noch nicht voraussehbar.

125

Vergleichbar wurde etwa für Niedersachsen noch 1996 darauf hingewiesen, dass das Verbleiben ungedeckter Überhangmandate nach begrenztem Ausgleich ein Phänomen sei, das „in den vergangenen Jahrzehnten“ keine praktische Bedeutung erlangt habe, weshalb davon ausgegangen werden könne, „dass der Gesetzgeber (…) das Erforderliche getan hat, um die Folgen einer Verzerrung des Erfolgswerts von Wählerstimmen zu beseitigen“ (vgl. Ipsen/Koch , NdsVBl 1996, 269 <271>). Entsprechend soll der historische Bundesgesetzgeber Überhangmandate als vernachläs-sigenswerten Schönheitsfehler angesehen und deshalb den parteipolitischen Streitpunkt, ob das Wahlsystem den Schwerpunkt in der Mehrheitswahl oder in der Verhältniswahl habe, pragmatisch offen gelassen haben, um insoweit kein komplizierendes Ausgleichsverfahren schaffen zu müssen. Auch das Bundesverfassungsgericht ist dieser Annahme anfänglich gefolgt, zumal diese durch die Wahlergebnisse zunächst auch bestätigt wurde (vgl. BVerfG, Urteil vom 10. April 1997 - 2 BvF 1/95 - BVerfGE 95, 335 ff. - Sondervotum -, Juris Rn. 181 ff.; Wrege , Jura 1997, 113 <115 f.> beide m.w.N.). Erst die Bundestagswahl 1994, bei der die CDU zwölf und die SPD vier Überhangmandate errangen, gab Anlass zu einer Neupositionierung des Bundesverfassungsgerichts im Urteil vom 10. April 1997 (a.a.O., Juris Rn. 23).

126

(b) Bis hierher lässt sich für den Gesetzgeber keine zwingende Pflicht zum Vollausgleich begründen. Sinn und Zweck des Art. 10 Abs. 2 Satz 5 LV könnten in diese Richtung weisen. Die Pflicht, für den Fall des Entstehens von Überhangmandaten Ausgleichsmandate vorzusehen, dient der Wahrung und Stärkung des auch bundesrechtlich über das Homogenitätsgebot des Art. 28 Abs. 1 (Satz 2) GG verankerten Grundsatzes der Wahlgleichheit in Art. 3 Abs. 1 LV.

127

Generell können Überhangmandate entstehen, wenn Persönlichkeitswahl und Verhältniswahl miteinander verbunden werden. Die für diesen Fall vorgesehene Gewährung von Ausgleichsmandaten stellt sicher, dass das Verhältnis der Sitze der einzelnen Parteien dem Verhältnis der für die einzelnen Landeslisten abgegebenen Stimmen entspricht, so dass sich die politischen Gewichte durch das Entstehen von Überhangmandaten im Ergebnis nicht verändern (vgl. Schreiber , Bundeswahlgesetz, Kommentar, 8. Aufl. 2009, § 6 Rn. 29; Litten/ Wallerath , Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern, 2007, Art. 20 Rn. 33).

128

Diese Zielsetzung hat auch Art. 10 Abs. 2 Satz 5 LV. Nach den Beratungen im Sonderausschuss sollten die Ausgleichsmandate mit dieser Regelung „verfassungsfest“ gemacht werden. Außerdem sollte unmissverständlich vorgeschrieben werden, dass durch die Ausgleichsmandate das Prinzip der Verhältniswahl zu wahren sei (SoAVP 21/21 f.). Entsprechend verpflichtet Art. 10 Abs. 2 Satz 5 LV den Gesetzgeber zur (Wieder-) Herstellung der nach dem Zweitstimmenanteil festgestellten politischen Gewichte der einzelnen im Landtag vertretenen Parteien und damit zur Übereinstimmung zwischen Stimmenverhältnis und Sitzverhältnis (ebensoWaack , in: Caspar/ Ewer/ Nolte/ ders. , Verfassung des Landes Schleswig-Holstein, Kommentar, 2006, Art. 10 Rn. 71). Unter Rückgriff auf den strengen Grundsatz der Wahlgleichheit des Art. 3 Abs. 1 LV ergibt sich daraus, dass nach der spezielleren Vorschrift des Art. 10 Abs. 2 Satz 5 LV der Vollausgleich die Regel, der Teilausgleich hingegen eine zwingend begründungsbedürftige Ausnahme darstellt (ebensoMorlok , Stellungnahme zu Landtags-Drucksache 17/10, Landtags-Umdruck 17/752, S. 4).

129

(4) Dient danach Art. 10 Abs. 2 Satz 5 LV der Wahrung und Stärkung des Grundsatzes der Wahlgleichheit aus Art. 3 Abs. 1 LV und legt den Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Wahlsystems insoweit von Verfassungs wegen fest, kann die Vorschrift nicht als Begründung dafür herhalten, dass der Gesetzgeber dahinter zurückbleiben oder den Grundsatz der Erfolgswertgleichheit gar relativieren dürfte. Vielmehr hat der Gesetzgeber nach Art. 10 Abs. 2 Satz 5 LV der Wahlgleichheit zu einer optimalen, „bestmöglichen“ Geltung zu verhelfen (so schonHübner, in: von Mutius / Wuttke/ ders., Kommentar zur Landesverfassung Schleswig-Holstein, 1995, Art. 10 Rn. 23). Überhangmandate dürfen daher grundsätzlich nur im unvermeidlichen Mindestmaß anfallen, es sei denn sie werden durch Ausgleichsmandate ausgeglichen. Der Ausgleich muss dann allerdings so durchgeführt werden, dass die eingetretene Verzerrung soweit wie möglich wieder beseitigt, also der Wahlgleichheit „bestmöglich“ genügt wird (im Ergebnis ebenso: StGH BW, Urteil vom 12. Dezember 1990 - 1/90 -, VBlBW 1991, 133 ff., Juris Rn. 53 ff.; Waack , a.a.O., Art. 10 Rn. 71; Hübner , a.a.O.).

130

(a) Das aus der Wahlgleichheit entwickelte Kriterium der Erfolgswertgleichheit beinhaltet zwar kein absolutes Differenzierungsverbot, belässt dem Gesetzgeber bei der Ordnung des jeweiligen Wahlsystems aber nur einen eng bemessenen Gestaltungsspielraum. Denn der Wahlgleichheit ist - anders als dem allgemeinen Gleichheitssatz - ein strikt formaler Charakter zu eigen. Ebenso wie die übrigen Wahlrechtsgrundsätze ist sie einer „flexiblen“ Auslegung nicht zugänglich (vgl. nur StGH BW, Urteil vom 23. Februar 1990 - 2/88-, VBlBW 1990, 214 ff., Juris Rn. 44; BVerfG, Urteile vom 13. Februar 2008 - 2 BvK 1/07 - BVerfGE 120, 82 ff., Juris Rn. 108; und vom 3. Juli 2008 - 2 BvC 1/07 u.a. - BVerfGE 121, 266 ff., Juris Rn. 91, 97; Schneider , in: Alternativkommentar zum Grundgesetz, 3. Aufl. 2001, Art. 38 Rn. 67 ). Deshalb kann sich der Gesetzgeber nicht damit begnügen, überhaupt einen Ausgleich vorzusehen. Genüge getan ist dem Maßstab der Erfolgswertgleichheit nach Art. 10 Abs. 2 Satz 5 LV grundsätzlich erst dann, wenn sämtliche Überhangmandate ausgeglichen sind. Jedes ungedeckt bleibende Überhangmandat muss sich (wieder) den strengen Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 LV stellen und ist rechtfertigungsbedürftig.

131

(b) Selbst wenn dem Bundesgesetzgeber nach Art. 38 Abs. 1 GG insoweit ein größerer Gestaltungsspielraum zustünde (so BVerfG, Urteil vom 10. April 1997 - 2 BvF 1/95 - BVerfGE 95, 335 ff., Juris Rn. 107), wäre dies auf die schleswigholsteinische Rechtslage nicht übertragbar. Denn das schleswig-holsteinische Landtagswahlsystem ist jedenfalls nicht darauf angelegt, die Ergebnisse der vorgeschalteten Mehrheitswahl in Form von überhängenden, das heißt im Ergebnis ungedeckten Mehrsitzen zu erhalten. Art. 3 Abs. 1 LV in Verbindung mit Art. 10 Abs. 2 Satz 5 LV verpflichten den Landesgesetzgeber vielmehr insgesamt auf den Proporz nach Zweitstimmen und auf einen Verhältnisausgleich, der grundsätzlich auch die Mehrsitze deckt (BVerfG, Urteil vom 5. April 1952 - 2 BvH 1/52 - BVerfGE 1, 208 ff., Juris Rn. 109, 121; und Beschluss vom 14. Februar 2005 - 2 BvL 1/05 -, NordÖR 2005, 106 ff. = NVwZ 2005, 568 ff., = SchlHA 2005, 128 ff., Juris Rn. 31).

132

Das „sachgerechte Zusammenwirken“ der miteinander verbundenen Teilwahlsysteme erfordert eine Geltung des Gebots des gleichen Erfolgswerts „grundsätzlich für das gesamte Wahlverfahren“ (so schon von Mutius , in: ders. / Wuttke/ Hübner , Kommentar zur Landesverfassung Schleswig-Holstein, 1995, Art. 3 Rn. 10). Sind aber - wie im Wahlrecht zum Schleswig-Holsteinischen Landtag -einzelne Abschnitte verschiedener Wahlsysteme so miteinander verbunden, dass sich die Zusammensetzung des Landtages erst und gerade aus ihrem Zusammenspiel ergibt, muss auch dieses Zusammenspiel dem Prinzip der Erfolgswertgleichheit unter dem Gesichtspunkt der Wahlgleichheit gehorchen (BVerfG, Urteil vom 5. April 1952 a.a.O., Juris Rn. 109, 121). Hieraus hat das Bundesverfassungsgericht in seiner letzten Entscheidung zum schleswig-holsteinischen Landeswahlrecht den Schluss gezogen, dass etwaige Differenzierungen in der Erfolgswertgleichheit nur unter den engen Voraussetzungen eines „zwingenden Grundes“ zulässig sind (Beschluss vom 14. Februar a.a.O., Juris Rn. 31; so auch von Mutius , a.a.O., Art. 3 Rn. 10; Hübner , a.a.O., Art. 10 Rn. 19, 22; Caspar , in: ders./ Ewer/ Nolte/ Waack , Verfassung des Landes Schleswig-Holstein, Kommentar, 2006, Art. 3 Rn. 27, 49; Waack , a.a.O., Art. 10 Rn. 69).

133

Soweit das Bundesverfassungsgericht in diesem Beschluss (a.a.O., Juris Rn. 47) in einem obiter dictum ausführt, dass der schleswig-holsteinische Verfassungsgeber bewusst darauf verzichtet habe, das Wahlsystem und dessen konkrete Ausgestaltung im Einzelnen verfassungsrechtlich vorzuschreiben, bezieht sich dies nicht auf die durch Ausgleichsmandate herzustellende Übereinstimmung zwischen Stimmenverhältnis und Sitzverhältnis.

134

Soweit vertreten wird, das Ausgleichsverfahren müsse kein „bestmögliches“ sein, sondern sich gegenüber dem Wahlwettbewerb lediglich neutral verhalten (unter Verweis auf Waack , in: Caspar/ Ewer/ Nolte/ ders. , Verfassung des Landes Schleswig-Holstein, Kommentar, 2006, Art. 10 Rn. 71), lassen sich auch damit keine Abstriche am strengen Maßstab der Erfolgswertgleichheit begründen. Dieses „Neutralitätsgebot“ entstammt der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur ersten gesamtdeutschen Wahl (Urteil vom 29. September 1990 - 2 BvE 1/90 u.a. -BVerfGE 82, 322 ff., Juris Rn. 46 f.). In dieser Entscheidung hat das Gericht nicht zur Lockerung des Maßstabs, sondern zur Sicherung der Erfolgswertgleichheit die Übernahme der Sperrklausel für das gesamte - erweiterte - Wahlgebiet angesichts der gegebenen besonderen Umstände für verfassungswidrig befunden.

135

(c) Dies wird durch die oben ((3) (a) (aa) ) dargestellte Entstehungsgeschichte eindrucksvoll bestätigt. Der mit der Verfassungsreform befasste Sonderausschuss zog aus dem bestehenden Wahlsystem die Konsequenz, dass sich die Anzahl der in der Verfassung festzulegenden Abgeordneten im Falle des Entstehens von Überhangmandaten erhöhen soll. Dem einfachen Gesetzgeber sollte nicht nur mit der Festlegung in Art. 10 Abs. 2 Satz 1 LV die Entscheidung über die Anzahl der regulären Gesamtsitze, sondern auch die Entscheidung über das Maß ihrer Erhöhung entzogen werden. Im Falle des Entstehens von Überhangmandaten soll sich die Zahl der Gesamtsitze um Überhang- und Ausgleichsmandate erhöhen (Art. 10 Abs. 2 Satz 4 LV), während es dem Gesetzgeber unbenommen bleibt, durch eine entsprechende Wahlrechts- oder Verfahrensgestaltung nach Möglichkeit schon die Entstehung von Überhangmandaten zu verhindern. Nur insoweit bleibt dem Gesetzgeber überhaupt ein Gestaltungsspielraum.

136

b) An diesen Verfassungsvorgaben ist das derzeitige Landeswahlrecht zu messen. Die im Zusammenspiel von § 1 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2, § 3 Abs. 5 LWahlG sowie § 16 LWahlG angelegte Möglichkeit der deutlichen Überschreitung der Regelgröße des Landtages von 69 Abgeordneten bei gleichzeitigem Entstehen ungedeckter Mehrsitze führt zu einer ungleichen Gewichtung der Wählerstimmen. Dadurch werden sowohl der Grundsatz der Wahlgleichheit aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 10 Abs. 2 Satz 5 LV als auch die Verfassungsvorgabe des Art. 10 Abs. 2 Satz 1 und 2 LV, die Regelgröße von 69 Abgeordneten möglichst nicht zu überschreiten, verfehlt. Dies ist weder mathematisch unausweichlich noch durch anderweitige, sachlich legitimierende Gründe zu rechtfertigen.

137

aa) Selbst wenn die von einer Vielzahl von Beschwerdeführern in den Mittelpunkt ihrer Rügen gestellte Begrenzung des Mehrsitzausgleichs durch § 3 Abs. 5 Satz 3 LWahlG und die damit nur eingeschränkte Wiedergabe des mit den Zweitstimmen zum Ausdruck gebrachten Wählerwillens im Wahlergebnis zunächst nur an Art. 10 Abs. 2 Satz 5 LV unter Berücksichtigung der aus der Wahlgleichheit nach Art. 3 Abs. 1 LV abzuleitenden Anforderungen an den Gesetzgeber gemessen wird, ist festzustellen, dass die Vorschrift erst gemeinsam mit den sonstigen Regelungen in § 3 Abs. 5 sowie in § 1 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 und § 16 LWahlG unter den gegebenen tatsächlichen Verhältnissen dazu führt, dass es zu einer Verzerrung der Erfolgswertgleichheit der Wählerstimmen kommt, die sich nicht nur als vereinzelte und deshalb vernachlässigenswerte Ausnahme darstellt.

138

(1) Durch die Begrenzung des Verhältnisausgleichs können ungedeckte Mehrsitze entstehen, die ihrerseits zu einer ungleichen Gewichtung der Wählerstimmen führen. Dabei tritt das Ungleichgewicht erst in der Kombination von Erst- und Zweitstimme zutage. Über die Erststimme werden in den Wahlkreisen nach dem Mehrheitswahlrecht 40 Direktmandate ermittelt. An ihrer Zahl ändert sich durch das Entstehen von ungedeckten Mehrsitzen nichts. Auch die Zweitstimmen erfahren - isoliert betrachtet - keine ungleiche Gewichtung. Die Ungleichheit ergibt sich erst daraus, dass für die Mehrsitzpartei - wenn Mandate ungedeckt bleiben - nicht nur die Zweitstimmen, sondern auch die erfolgreichen Erststimmen zählen (vgl. Ehlers / Lechleitner , JZ 1997, 761 <762> m.w.N.; Wrege , Jura 1997, 113 <115>) und deren Wählerinnen und Wähler damit einen stärkeren politischen Einfluss bekommen als die der anderen Parteien.

139

Dieses Phänomen der Stimmverdoppelung ergibt sich daraus, dass der am Ende der Sitzzuteilung stehende Verhältnisausgleich unter Anrechnung der Wahlkreismandate auf die Landesliste erfolgt, § 3 Abs. 3 und 4 LWahlG. Der Verhältnisausgleich bewirkt prinzipiell, dass jede Wählerin und jeder Wähler letztlich nur mit der Zweitstimme Einfluss auf die Zusammensetzung des Landtags nimmt. Fällt die Erststimme auf eine nicht erfolgreiche Wahlkreisbewerberin oder einen nicht erfolgreichen Wahlkreisbewerber, bleibt sie schon nach den Grundsätzen der Mehrheitswahl ohne Gewicht. Fällt die Erststimme auf eine erfolgreiche Wahlkreisbewerberin oder einen erfolgreichen Wahlkreisbewerber, wird sie durch die Anrechnung auf die Landesliste durch die Zweitstimme aufgezehrt. Fallen jedoch entsprechend § 3 Abs. 5 Satz 1 LWahlG Mehrsitze an, verstärkt sich das Stimmgewicht derjenigen Wählerinnen und Wähler, die zur Entstehung der Mehrsitze beigetragen haben, dadurch, dass bei ihnen sowohl Erst- als auch Zweitstimme an der Bestimmung der Mandatszahl der Mehrsitzpartei im Landtag mitwirken. Werden die Mehrsitze schließlich nach § 3 Abs. 5 Satz 2 und 3 LWahlG nicht vollständig ausgeglichen, verhelfen sie der Mehrsitzpartei mit ihrer Erststimme zu einem Mandat, das außerhalb des Proporzes steht.

140

(2) Diese im Wahlgesetz angelegte ungleiche Gewichtung der Stimmen hat sich im Ergebnis der Landtagswahl 2009 realisiert. Sie beeinträchtigt die Erfolgswertgleichheit, da es jedenfalls nach der gebotenen ex post - Betrachtung an einem gleich großen Einfluss aller Wählerstimmen auf die Verteilung der Landtagssitze fehlt.

141

Die der CDU verbliebenen drei ungedeckten Mehrsitze liegen außerhalb des Proporzes und führen dazu, dass denjenigen Wählerinnen und Wählern von Direktkandidatinnen und Direktkandidaten der CDU ein stärkeres Stimmgewicht zukommt, die mit der Summe ihrer Stimmen zu dem Überhang an Mandaten beigetragen haben. Diese nach dem endgültigen Wahlergebnis bestehende Ungleichbehandlung des Stimmgewichts der Wählerinnen und Wähler der CDU gegenüber dem der Wählerinnen und Wähler der anderen Parteien ist in der nachfolgenden Tabelle dargestellt:

142

1          

2          

3          

4          

5          

6          

7          

8          

Partei

Zweitstimmen

verhältnism. Sitzanteil

Stimmen je Mandat

Sitzanteil nach Mehrsitzausgl.

Stimmen je Mandat

mit unged. Mehrsitzen

Stimmen je Mandat

CDU

505.612

23   

21.983,13

31   

16.310,06

34   

14.870,91

SPD

407.643

19   

21.454,89 *

25   

16.305,72 *

                 

FDP

239.338

11   

21.758

14   

17.095,57

                 

GRÜNE

199.367

9       

22.151,88

12   

16.613,91

                 

SSW

69.701

3       

23.233,66

4       

17.425,25

                 

DIE LINKE

95.764

4       

23.941 *

5       

19.152,80 *

                 
143

*Differenz zwischen niedrigster und höchster Stimmenzahl (Marge) = 2.486,11 und 2.847,08 Stimmen

144

Während die Spalten 4 und 6 zeigen, wie viele Zweitstimmen jede Partei für die Zuteilung eines Sitzes innerhalb des Proporzes benötigt (bei einem verhältnismäßigen Sitzanteil gemäß § 3 Abs. 3 - Spalte 3 - und nach dem Mehrsitzausgleich gemäß Abs. 5 Satz 2 LWahlG - Spalte 5 -), zeigt Spalte 8, wie viele Zweitstimmen die CDU nur deshalb weniger braucht, weil sie mit den ungedeckten Mehrsitzen aufgrund eines Überschusses an Wahlkreismandaten, die mit Erststimmen gewonnen wurden, zusätzliche Sitze zugeteilt erhielt. Während die mathematisch unvermeidbare Differenz zwischen der größten und der kleinsten benötigten Stimmenzahl (Marge) innerhalb des Proporzes 2.847,08 Stimmen (Spalte 6) beträgt, kommt es nun zu einer Marge von 4.282,79 Stimmen.

145

Diese Zahlen zeigen, dass der vorgesehene Verhältnisausgleich nicht geeignet ist, die Wählerschaft spiegelbildlich im Landtag darzustellen. Die dabei eintretende Verzerrung geht über die unausweichlichen Folgen des hier zur Anwendung kommenden Verteilungsverfahrens nach d’Hondt hinaus. Mit den nach Spalte 8 benötigten Zweitstimmen verlässt die CDU den Rahmen, der sich aus einem Vergleich der niedrigsten (SPD: 16.305,72) mit der höchsten (DIE LINKE: 19.152,80) benötigten Stimmenzahl ergibt.

146

(3) Zwar besteht die Gefahr der Ungleichgewichtung infolge ungedeckter Mehrsitze nicht gleichermaßen für alle Wahlberechtigten und muss sich auch nicht bei jeder Wahl realisieren. Dies ist jedoch für die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit nicht entscheidend (vgl. BVerfG, Urteil vom 3. Juli 2008 - 2 BvC 1/07 u.a. -BVerfGE 121, 266 ff., Juris Rn. 107 f.). Entscheidend ist, dass das Ergebnis der Landtagswahl 2009 sich nicht als vernachlässigenswerter Ausnahmefall darstellt; mit ungedeckten Mehrsitzen und einer Verzerrung der Stimmgewichtung bezogen auf den einzelnen Landtagssitz muss für die Zukunft vielmehr regelmäßig gerechnet werden. Denn abgesehen von dem unvorhersehbaren Zusammenspiel der verschiedenen Ursachen entwickelt sich die politische Wirklichkeit in eine Richtung, die das Entstehen von Mehrsitzen bei der derzeitigen Gestaltung des Wahlrechts auch künftig mehr als wahrscheinlich macht. Hierzu zählt etwa die Erweiterung des Parteienspektrums mit breiterer Streuung der Zweitstimmen (vgl. schon Ipsen , JZ 2002, 469 <472>). Diese Entwicklung hatte sich schon bei den Kommunalwahlen 2008 abgezeichnet, wo es in zahlreichen Gemeinden - auch ohne die Möglichkeit des Stimmensplittings - zu ungedeckten Mehrsitzen gekommen war (vgl. dazu: Landtags-Drucksache 16/2152 vom 2. Juli 2008; IR 16/104 vom 10. Juni 2009, S. 10 ff.; und PlPr 16/117, S. 8740). Verstärkt wurde diese Entwicklung durch die zur Landtagswahl 2000 eingeführte Zweitstimme und das dadurch ermöglichte Stimmensplitting. Auch die Anzahl und die unterschiedliche Größe der Wahlkreise können zu Überhangmandaten führen (zum Ursachenzusammenhang allgemein: Wild , Die Gleichheit der Wahl, 2003, S. 246, 248; Nohlen , Wahlrecht und Parteiensystem, 6. Aufl. 2009, S. 343 ff.; Klein , in: Maunz/ Dürig , Grundgesetz - Kommentar - Band IV, Art. 38 Rn. 177 , Ipsen, a.a.O., S. 471; speziell für Schleswig-Holstein: Stellungnahmen an den Landtag zu Landtags-Drucksache 17/10; Landtags-Drucksache 15/55; dazu noch unten bb) (2) (e) (cc) ).

147

bb) Rechtfertigungsgründe für diese Verzerrung der Erfolgswertgleichheit liegen in Anbetracht der diese Verzerrung zugleich, und zwar gemeinsam, bewirkenden weiteren Vorschriften des Landeswahlrechts derzeit nicht vor. Verantwortlich hierfür sind neben tatsächlichen Ursachen insbesondere die Gesamtregelung des § 3 Abs. 5 LWahlG und die weiteren Vorschriften der § 1 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 sowie § 16 LWahlG.

148

(1) Innerhalb des aufgezeigten engen Gestaltungsspielraums ist es grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, das Gebot der Wahlrechtsgleichheit mit anderen, verfassungsrechtlich legitimen Zielen zum Ausgleich zu bringen. Ein Verstoß gegen die Wahlgleichheit liegt jedoch vor, wenn die differenzierende Regelung nicht an einem Ziel orientiert ist, das der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Wahlrechts verfolgen darf (vgl. BVerfG, Urteil vom 3. Juli 2008 a.a.O., Juris Rn. 115 m.w.N.). Kommt es zu Differenzierungen in der Erfolgswertgleichheit, sind diese nur zulässig, wenn hierfür ein zwingender Grund vorliegt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. Mai 1979 - 2 BvR 193/79 u.a. - BVerfGE 51, 222 ff., Juris Rn. 53 m.w.N.; und Urteil vom 3. Juli 2008 a.a.O., Juris Rn. 98 m.w.N., stRspr.; speziell für das schleswig-holsteinische Landeswahlrecht: Beschluss vom 14. Februar 2005

149

- 2 BvL 1/05 -, NordÖR 2005, 106 ff. = NVwZ 2005, 568 ff., = SchlHA 2005, 128 ff., Juris Rn. 31).

150

„Zwingend“ sind dabei nicht nur Gründe, die zu mathematisch unausweichlichen Unschärfen führen. „Zwingend“ sind auch Differenzierungen, die von Verfassungs wegen zwangsläufig oder notwendig sind, weil eine Kollision mit Grundrechten oder anderen Wahlrechtsgrundsätzen vorliegt oder solche, die sonst durch die Verfassung legitimiert und von so einem Gewicht sind, dass sie der Wahlgleichheit die Waage halten können (ebenso: StGH BW, Urteil vom 14. Juni 2007 - 1/06 -, DÖV 2007, 744 ff. = VBlBW 2007, 371 ff., Juris Rn. 45 m.w.N.). Dazu gehört nach der Schleswig-Holsteinischen Verfassung die vorgegebene Regelgröße des Parlaments von 69 Abgeordneten (Art. 10 Abs. 2 Satz 1 und 2 LV). Ausreichen kann aber auch ein „zureichender“, aus der Natur des Sachbereichs der Wahl der Volksvertretung sich ergebender Grund (vgl etwa: BVerfG, Urteile vom 23. Januar 1957 - 2 BvE 2/56 - BVerfGE 6, 84 ff., Juris Rn. 30; vom 10. April 1997 - 2 BvF 1/95 - BVerfGE 95, 335 ff., Juris Rn. 124; und vom 10. April 1997 - 2 BvC 3/96 - BVerfGE 95, 408 ff., Juris Rn. 44).

151

Darüber hinaus müssen die differenzierenden Regelungen zur Verfolgung ihrer Zwecke geeignet und erforderlich sein. Ihr erlaubtes Ausmaß richtet sich ferner danach, mit welcher Intensität in das Wahlrecht eingegriffen wird. Bei der Einschätzung und Bewertung differenzierender Wahlrechtsbestimmungen hat sich der Gesetzgeber an der politischen Wirklichkeit zu orientieren (vgl. BVerfG, Urteile vom 10. April 1997 - 2 BvC 3/96 - a.a.O., Juris Rn. 45; und vom 3. Juli 2008 a.a.O., Juris Rn. 98 f. m.w.N., stRspr.). Deshalb lässt sich die verfassungsmäßige Rechtfertigung einer Wahlrechtsnorm auch nicht ein für alle mal abstrakt beurteilen, sondern kann durch neuere Entwicklungen tatsächlicher oder rechtlicher Art in Frage gestellt werden (vgl. BVerfG, Urteil vom 13. Februar 2008 - 2 BvK 1/07 -BVerfGE 120, 82 ff., Juris Rn. 112; Klein, in: Maunz/ Dürig , Grundgesetz -Kommentar - Band IV, Art. 38 Rn. 123 ).

152

(2) Weder beruht die dargestellte Verzerrung Erfolgswertgleichheit auf Notwendigkeiten im Umrechnungsverfahren, noch dient sie der Prämierung und Stärkung der Personenwahl oder der Arbeits- und Funktionsfähigkeit des Landtages. Einen weiteren zwingenden Grund stellt die Zielvorgabe der Verfassung dar (Art. 10 Abs. 2 Satz 1 und 2 LV), dass der Landtag mit möglichst nicht mehr als 69 Landtagsabgeordneten zu besetzen ist. Die zahlenmäßige Begrenzung des Mehrsitzausgleichs nach § 3 Abs. 5 Satz 3 LWahlG ist jedoch unter den gegenwärtigen tatsächlichen und rechtlichen Bedingungen nicht in der Lage, diese Zielvorgabe mit der Wahlgleichheit in einen schonenden Ausgleich zu bringen. Sie ignoriert auch, dass vorrangig Überhangmandate zu vermeiden sind, die unter den derzeitigen politischen Verhältnissen aufgrund der Regelungen in § 1 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, § 3 Abs. 5 und § 16 LWahlG regelhaft entstehen.

153

(a) Als „zwingender Grund“ anerkannt ist zwar jede Differenzierung, die sich bei der Umrechnung von Zweitstimmen in Sitze und den dabei anfallenden Reststimmen und Bruchteilen in Anwendung des jeweiligen Verteilungsverfahrens schon aus mathematischen Gründen unausweichlich ergibt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. November 1988 - 2 BvC 4/88 - BVerfGE 79, 169 ff., Juris Rn. 5; und Urteil vom 3. Juli 2008 - 2 BvC 1/07 u.a. - BVerfGE 121, 266 ff., Juris Rn. 104). Maßgeblich ist, ob die mit den ungedeckten Mehrsitzen benötigte durchschnittliche Stimmenzahl noch im Rahmen des höchsten und niedrigsten Durchschnittswerts aller Parteien liegt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. November 1988 a.a.O., Juris Rn. 10 bis 12). Hierum geht es indes unter den gegenwärtigen politischen Verhältnissen bei der begrenzenden Regelung des § 3 Abs. 5 Satz 3 LWahlG nicht. Wie zudem oben in der Tabelle (Rn. 137) beispielhaft dargestellt, verlässt die CDU nach Zuteilung dreier ungedeckter Mehrsitze mit den dann noch benötigten Zweitstimmen (14.870,91) deutlich den Rahmen, der vom Durchschnittswert der SPD (16.305,72) und der Partei DIE LINKE (19.152,80) gebildet wird. Als augenfällig problematisch unter dem Gesichtspunkt der Erfolgswertgleichheit erweist sich hierbei bereits das angewandte Höchstzahlverfahren nach d’Hondt, das bei der Wahl zum 17. Landtag im reinen Verhältnisausgleich zu einem Stimmenunterschied von bis zu 2.847,08 Zweitstimmen geführt hat, den die einzelnen Parteien für einen weiteren Landtagssitz erringen mussten.

154

(b) Die durch die ungedeckten Mehrsitze eintretende Differenzierung im Stimmgewicht ist auch nicht mit dem Gedanken einer „Prämie“ aus der Mehrheitswahl zu rechtfertigen. Selbst wenn mit der „Prämie“ ein Anreiz für die Parteien geschaffen werden sollte, attraktive und überzeugungskräftige Wahlkreiskandidatinnen und Wahlkreiskandidaten aufzustellen und mit diesen orts- und bürgernahe Wahlkreisarbeit zu leisten (so Papier , JZ 1996, 265 <270>; ihm folgend Ehlers/ Lechleitner , JZ 1997, 761 <762>), wäre die Begrenzung des Mehrsitzausgleichs schon kein geeignetes Mittel, um dieses Ziel zu erreichen, da der Eintritt dieses Anreizes generell nicht vorhersehbar ist und sich bis zur Landtagswahl 2009 tatsächlich auch noch nie realisiert hatte. Diese Prämie für erfolgreiche Wahlkreisbewerberinnen und -bewerber wäre zudem daran gekoppelt, dass sich deren Erfolg nicht in vollem Umfang im Zweitstimmenanteil ihrer Partei umgesetzt hat. Insofern ist die systemkonforme „Prämie“ im Zweistimmenwahlsystem nicht das Überhangmandat, sondern das durch Wahlkreisbewerberinnen und Wahlkreisbewerber gewonnene Vertrauen für die Liste ihrer Partei.

155

(c) Zu den mit einer Parlamentswahl verfolgten Zielen zählt auch die Sicherung des Charakters der Wahl als eines Integrationsvorgangs bei der politischen Willensbildung (vgl. BVerfG, Urteile vom 10. April 1997 - 2 BvC 3/96 - a.a.O., Juris Rn. 44; und vom 3. Juli 2008 a.a.O., Juris Rn. 98). Mit der Personenwahl im vorgeschalteten Mehrheitswahlsystem erhält jede Wählerin und jeder Wähler die Möglichkeit, einer oder einem der im eigenen Wahlkreis kandidierenden Bewerberinnen oder Bewerber ein Landtagsmandat zu verschaffen. Dadurch wird die Verbindung zwischen den Wählerinnen und Wählern und ihren Abgeordneten, die das Volk repräsentieren, gestärkt.

156

Auch wenn man die Verbindung zu den direkt gewählten Bewerberinnen und Bewerbern für auf diese Weise stärkungsbedürftig halten wollte (kritisch etwa Mahrenholz , in: Festgabe für Karin für Graßhof, 1998, S. 69 <78>), stellt dies ebenfalls keinen zwingenden Grund dar. Die Stärkung dieser Verbindung wird bereits durch § 3 Abs. 5 Satz 1 LWahlG bewirkt, sobald die erfolgreichen Wahlkreisbewerberinnen und -bewerber auch dann einen (Mehr-) Sitz im Landtag erhalten, wenn die Zahl der Direktmandate ihrer Partei deren verhältnismäßigen Sitzanteil übersteigt (vgl. Papier , JZ 1996, 265 <269 f.>; Backhaus , DVBl. 1997, 737 <742>; und im Ergebnis ähnlich Mahrenholz , a.a.O., S. 77 f.).

157

(d) Die Verzerrung der Erfolgswertgleichheit durch Begrenzung des Sitzausgleichs ist auch nicht durch das Ziel der Arbeits- und Funktionsfähigkeit des Landtags zu rechtfertigen, obwohl dieses ein „verfassungsrechtlicher Belang von höchstem Rang“ ist (vgl. Becker/ Heinz , NordÖR 2010, 131 <132>).

158

Die Arbeits- und Funktionsfähigkeit des Parlaments ist vor allem im Zusammenhang mit der 5 % - Sperrklausel als Differenzierungsgrund anerkannt. Im Fokus steht dabei die Sorge, dass das Parlament aufgrund einer Zersplitterung der vertretenen Kräfte funktionsunfähig wird, insbesondere nicht mehr in der Lage ist, aus sich heraus stabile Mehrheiten zu bilden und eine aktionsfähige Regierung zu schaffen (vgl. nur BVerfG, Urteile vom 5. April 1952 - 2 BvH 1/52 - BVerfGE 1, 208 ff., Juris Rn. 127 f.; vom 29. September 1990 - 2 BvE 1/90 u.a. - BVerfGE 82, 322 ff., Juris Rn. 45; und vom 13. Februar 2008 - 2 BvK 1/07 - BVerfGE 120, 82 ff., Juris Rn. 121 m.w.N., stRspr.; Caspar , in: ders./ Ewer/ Nolte/ Waack , Verfassung des Landes Schleswig-Holstein, Kommentar, 2006, Art. 3 Rn. 41). Auch hierum geht es bei § 3 Abs. 5 Satz 3 LWahlG nicht.

159

Die zur Rechtfertigung der Sperrklausel anerkannten Argumente sind auf eine Verzerrung der Wahlgleichheit durch die zahlenmäßige Begrenzung der Gesamtsitzzahl nicht übertragbar. Anders als im Falle der fehlenden Sperrklausel kommt es ohne die Begrenzung des Mehrsitzausgleichs noch nicht zu einer Erschwerung der Meinungsfindung und Mehrheitsbildung. Während die Sperrklausel den Einzug einer Vielzahl kleiner Parteien in das Parlament verhindern soll, verhindert die Begrenzung des Mehrsitzausgleichs zunächst einmal nur eine Zuweisung weiterer Sitze an die im Landtag ohnehin vertretenen Parteien. Denn beim Mehrsitzausgleich erhöht sich nicht die Zahl der Fraktionen, sondern nur die Zahl der Angehörigen der dem Landtag ohnehin angehörenden Fraktionen.

160

Generell hängt die Arbeits- und Funktionsfähigkeit eines Parlaments eher vom Vorhandensein großer, durch gemeinsame politische Zielsetzungen verbundener Gruppen von Abgeordneten ab (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. Mai 1979 - 2 BvR 193/79 u.a. - BVerfGE 51, 222 ff., Juris Rn. 76, 78) als von einer bestimmten Abgeordnetenzahl. Dies belegt schon der Umstand, dass größere Landesparlamente ebenso wie der Bundestag regulär aus deutlich mehr als 100 Abgeordneten bestehen, ohne dass ihre Arbeits- und Funktionsfähigkeit in Frage gestellt würde (vgl. Morlok , Stellungnahme zu Landtags-Drucksache 17/10, LandtagsUmdruck 17/752, S. 4). Entsprechend ist auch vorliegend weder ersichtlich noch geltend gemacht, dass der gegenwärtige Landtag mit 95 oder auch - nach vollem Ausgleich - mit 101 Abgeordneten nicht arbeitsfähig sein sollte.

161

(e) Dessen ungeachtet hat sich der Verfassungsgeber entschieden, selbst die Abgeordnetenzahl im Landtag festzulegen und damit eine größenmäßige Zielvorgabe zu schaffen (Art. 10 Abs. 2 Satz 1 und 2 LV). Trotz der zugleich vorgesehenen Möglichkeit der Erhöhung durch Überhang- und Ausgleichsmandate (Art. 10 Abs. 2 Satz 4 LV) ist damit in der Verfassung ein Ziel formuliert, an dem sich der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Wahlrechts zu orientieren hat. Auch wenn die zahlenmäßige Begrenzung des Mehrsitzausgleichs dieser Zielvorgabe zuträglich ist, stellt sie sich unter den bestehenden wahlgesetzlichen Bedingungen derzeit doch als unverhältnismäßig dar.

162

(aa) Das durch die Verfassung vorgegebene Ziel, im Ergebnis nur geringfügige Überschreitungen der Regelgröße von 69 Abgeordneten im Landtag zuzulassen , ist ein zumindest „zureichender“ Grund, um einen Eingriff in die Wahlgleichheit durch Begrenzung des Ausgleichs von Überhangmandaten zu rechtfertigen. Die beiden widerstreitenden Verfassungsvorgaben in Art. 10 Abs. 2 LV sind vom Gesetzgeber zu einem schonenden Ausgleich zu bringen. Der ihm dabei zur Verfügung stehende verfassungsrechtliche Gestaltungsrahmen ist vom Gericht zu achten, solange dessen Grenzen eingehalten sind (vgl. BVerfG, Urteil vom 3. Juli 2008 - 2 BvC 1/07 u.a. - BVerfGE 121, 266 ff., Juris Rn. 115 m.w.N.).

163

(bb) Unter den derzeitigen politischen Gegebenheiten eines erweiterten Parteienspektrums und der derzeitigen gesetzlichen Ausgestaltung des übrigen Wahlgesetzes ist die Regelung aber schon nicht geeignet, im Sinne der verfassungsmäßigen Zielvorgabe von 69 Abgeordneten zu wirken. Ein Wahlergebnis wie das zum 17. Landtag im Jahr 2009 zeigt, dass die zahlenmäßige Begrenzung der weiteren Sitze zulasten der Ausgleichsmandate nicht im Sinne der verfassungsmäßigen Zielvorgabe in Art. 10 Abs. 2 Satz 1 und 2 LV zu wirken vermag. Diese Zielvorgabe wird selbst mit der Begrenzung durch § 3 Abs. 5 Satz 3 LWahlG deutlich verfehlt, wenn statt der regelhaft vorgesehenen 69 tatsächlich 95 Abgeordnetensitze vergeben werden.

164

Zudem erfolgt diese Begrenzung einseitig zulasten der Ausgleichsmandate und ignoriert damit, dass unter der verfassungsrechtlich zugleich gegebenen Vorgabe der Erfolgswertgleichheit unter den Bedingungen einer personalisierten Verhältniswahl nach Art. 3 Abs. 1 LV in Verbindung mit Art. 10 Abs. 2 Satz 3 bis 5 LV vorrangig Überhangmandate zu vermeiden sind. Die damit verbundene Beeinträchtigung der Wahlgleichheit ist unter den tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten jedenfalls nicht erforderlich, da der Gesetzgeber die Möglichkeit hat, durch das Zusammenspiel anderer geeigneter Maßnahmen zu einer Reduzierung der Abgeordnetenzahl zu kommen, die weder die Wahlgleichheit noch andere von der Verfassung geschützten Belange beeinträchtigen. Diese Möglichkeit setzt bei der derzeitigen Ausgestaltung des Wahlrechts insbesondere in den § 1 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 sowie § 16 LWahlG an (Zweistimmenwahlrecht, Anzahl der Wahlkreise und direkt gewählter Abgeordneter, Abweichung der Bevölkerungszahl eines Wahlkreises von bis zu 25 v.H. von der durchschnittlichen Bevölkerungszahl der Wahlkreise). Denn das Zusammenwirken dieser Regelungen führt gegenwärtig in der politischen Realität eines Fünfparteiensystems - zuzüglich einer verfassungsfesten Sonderrolle des SSW - systemisch dazu, dass Überhang- (und Ausgleichs-) mandate in einer Größenordnung entstehen können und so die Gesamtzahl von Abgeordneten im Landtag derart ansteigen kann, dass die in Art. 10 Abs. 2 Satz 2 LV zum Ausdruck gebrachte Zielgröße von 69 Abgeordneten regelmäßig überschritten wird.

165

(cc) Zu den Ursachen des Entstehens von Überhangmandaten und den gesetzgeberischen Möglichkeiten, diese zu verhindern, ist die Landeswahlleiterin als sachkundige Dritte in der mündlichen Verhandlung gehört worden. Ihre Bekundungen stimmen im Wesentlichen überein mit den jüngst vom Landtag eingeholten Stellungnahmen und Gutachten bei der Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Wahlgesetzes für den Landtag von Schleswig-Holstein (LandtagsDrucksache 17/10), die auch auf Erfahrungen bei den Wahlen in den anderen Ländern und im Bund eingehen. Nach dem gegenwärtigen Landeswahlrecht entstehen Überhangmandate bei Abweichung des prozentualen Erststimmenergebnisses vom Zweitstimmenergebnis, wenn eine Partei viele Wahlkreise direkt gewinnt, die für ihre Landesliste abgegebenen Zweitstimmen aber nicht ausreichen, um im Rahmen des Verhältnisausgleichs einen mindestens gleich großen Anteil an der Gesamtzahl der regulär zu vergebenden Mandate zu erlangen (Stellungnahme der Landeswahlleiterin vom 22. April 2010, Landtags-Umdruck 17/738, S. 2). Ursächlich hierfür sind verschiedene tatsächliche und rechtliche Vorbedingungen, die im Falle ihres Zusammentreffens kumulativ wirken und die Gesamtzahl der Landtagsabgeordneten weit über die Zielvorgabe anwachsen lassen.

166

Im Tatsächlichen sind etwa die Anzahl der Parteien mit Wahlkreisbewerberinnen und -bewerbern, die später am Verhältnisausgleich teilnehmen, die Wahlbeteiligung und die Anzahl ungültiger Zweitstimmen ursächlich (vgl. Stellungnahme des Wissenschaftlichen Dienstes vom 26. April 2010, Landtags-Umdruck 17/761, S. 20 f.). Dabei werden die Wahlkreise nach wie vor nur von den großen Parteien (CDU und SPD) gewonnen. Ihre Zweitstimmenanteile sind demgegenüber rückläufig (vgl. Meyer , Stellungnahme vom 7. Juni 2010, Landtags-Umdruck 17/938, S. 2).

167

Einen besonders großen Einfluss auf das Entstehen von Überhangmandaten hat die Zahl der Wahlkreise. Nach § 1 Abs. 1 Satz 2 LWahlG und § 16 Abs. 1 LWahlG gibt es derzeit 40 Wahlkreise. Den Wahlkreisabgeordneten stehen bei einer Größe des Landtages von 69 Abgeordneten (vgl. Art. 10 Abs. 2 Satz 2 LV, § 1 Abs. 1 Satz 1 LWahlG) nur 29 Abgeordnete aus den Landeslisten gegenüber. Je mehr die Zahl der durch Mehrheitswahl in den Wahlkreisen zu wählenden Abgeordneten die Zahl der durch Verhältniswahl aus den Landeslisten zu wählenden Abgeordneten übersteigt, desto größer ist die Gefahr, dass die vorgesehene Regelgröße des Landtages überschritten wird (Stellungnahme der Landeswahlleiterin, a.a.O., S. 2 f.). Würde man die Zahl der in den Wahlkreisen zu wählenden Abgeordneten gegenüber den aus den Landeslisten zu wählenden Abgeordneten wenigstens auf ein ausgeglichenes Verhältnis reduzieren, ließe sich die Wahrscheinlichkeit für das Entstehen von Überhangmandaten senken (Stellungnahme des Wissenschaftlichen Dienstes, a.a.O., S. 24; vgl. auch Meyer, a.a.O., S. 1; sowie die Rechenbeispiele in der Stellungnahme der Landeswahlleiterin Mecklenburg-Vorpommerns vom 22. April 2010, Landtags-Umdruck 17/739, Beispielsrechnung 1 und 1a, S. 2 f.).

168

Eine weitere rechtlich zu beeinflussende Ursache ist der Zuschnitt der Wahlkreise. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Partei mit vergleichsweise wenigen Erststimmen einen Wahlkreis gewinnt, hängt nicht zuletzt von der Größe dieses Wahlkreises im Vergleich zu den anderen Wahlkreisen ab (Stellungnahme der Landes-wahlleiterin, a.a.O., S. 3). Gegenwärtig werden die Wahlkreise nach § 16 Abs. 2 und 3 LWahlG auf der Grundlage der Bevölkerungszahl eingeteilt, wobei eine Abweichung von bis zu 25 v.H. von der durchschnittlichen Zahl der Bevölkerung in den Wahlkreisen zugelassen ist. Stattdessen wäre eine maximale Abweichung vom größten Wahlkreis von lediglich 15 v.H. zu den anderen Wahlkreisen anzustreben. Betrachtet man die Landtagswahl 2009, so betrug unter Zugrundelegung der Zahl der Wahlberechtigten die Durchschnittsgröße eines Wahlkreises 55.603. Im kleinsten Wahlkreis Husum-Land lebten 42.037 und im größten Wahlkreis Segeberg-Ost 69.408 Wahlberechtigte; dies entspricht Abweichungen von 24,4 % bzw. 24,8 % von der durchschnittlichen Zahl der Wahlberechtigten, absolut aber einer Abweichung von 39,4 % des kleinsten vom größten Wahlkreis.

169

Die für das Bundestagswahlrecht als verfassungskonform anerkannte Maximalabweichung von bis zu 25 v.H. (§ 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BWahlG) beruht auf Erwägungen, die auf die Verhältnisse in einem einzelnen Land nicht übertragbar sind. So ist für den Bundesgesetzgeber die gleiche Größe der Wahlkreise sowohl für den einzelnen Wahlkreis als auch berechnet auf die Bevölkerungsdichte jedes Landes eine aus der Wahlgleichheit folgende Bedingung (BVerfG, Beschluss vom 18. Juli 2001 - 2 BvR 1252/99 u.a. -, NVwZ 2002, 71 f., Juris Rn. 22; weitere Nachweise in der Stellungnahme des Wissenschaftlichen Dienstes, a.a.O., S. 14). Hiervon ausgehend hat der Bundesgesetzgeber dafür Sorge zu tragen, dass die Wahlkreise im Verhältnis der Bevölkerungsanteile auf die einzelnen Länder verteilt werden (vgl. § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 BWahlG; BVerfG, Urteil vom 10. April 1997 - 2 BvF 1/95 - BVerfGE 95, 335 ff., Juris Rn. 97). Demgegenüber findet der Landesgesetzgeber ein einheitliches Wahlgebiet vor, weshalb er insoweit nicht eines vergleichbar großen Spielraums bedarf.

170

Hinzu kommt, dass die derzeit gewählte Bemessungsgrundlage beim Zuschnitt der Wahlkreise (durchschnittliche Bevölkerungszahl gemäß § 16 Abs. 2 und 3 LWahlG) keine Unterscheidung zwischen wahlberechtigten und nicht wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürgern vornimmt. Ist der Anteil des nicht wahlberechtigten Bevölkerungsanteils eines Wahlkreises größer als im Durchschnitt, erleichtert dies das Erreichen der relativen Mehrheit und es steigt die Wahrscheinlichkeit, dass mehr Wahlkreisbewerberinnen und -bewerber erfolgreich sind, als es prozentual dem Zweitstimmenanteil der jeweiligen Partei entspricht. Die Gefahr von Überhangmandaten ließe sich hier reduzieren, wenn nur auf die Wahlberechtigten abgestellt wird (vgl. Stellungnahme des Wissenschaftlichen Dienstes, a.a.O., S. 20 f. m.w.N.; Ipsen, JZ 2002, 469 <471>).

171

Schließlich ist es möglich, § 1 Abs. 2 LWahlG zu ändern, um das Zweistimmenwahlrecht und mit ihm das Überhangmandate fördernde Stimmensplitting abzuschaffen und das Einstimmenwahlrecht wieder einzuführen (vgl. Stellungnahme der Landeswahlleiterin, a.a.O., S. 2; Wissenschaftlicher Dienst, a.a.O., S. 21; Meyer , a.a.O., S. 2).

172

Alternativ wäre zu erwägen, das Wahlsystem grundlegender neu zu gestalten. Es könnte etwa derart umgestellt werden, dass die Zahl der Wahlkreise erheblich gesenkt und zugleich in den Wahlkreisen die Zahl der zu wählenden Bewerberinnen und Bewerber erhöht wird.

173

(dd) Solange diese Möglichkeiten nicht ausgeschöpft werden, erweist sich die Regelung des § 3 Abs. 5 Satz 3 LWahlG als ungeeignet und nicht erforderlich, das von der Verfassung vorgegebene Ziel eines Landtages mit allenfalls wenig mehr als 69 Abgeordneten zu erreichen. Ein Wahlsystem, das durch die Regelungen in § 3 Abs. 5, § 1 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 und § 16 LWahlG mit derzeit 95 Abgeordneten den von der Verfassung in Art. 10 Abs. 2 LV verbindlich vorgegebenen Auftrag, einen deutlich kleineren Landtag mit möglichst wenig Überhang- (und Ausgleichs-)mandaten zu erreichen, so grundlegend verfehlt, stellt sich insgesamt als verfassungswidrig dar.

174

c) Eine verfassungskonforme Auslegung der § 1 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2, § 3 Abs. 5 und § 16 LWahlG ist nicht möglich.

175

Die verfassungskonforme Auslegung findet ihre Grenzen dort, wo sie mit dem Wortlaut und dem klar erkennbaren Willen des Gesetzes in Widerspruch tritt. Im Wege der verfassungskonformen Auslegung darf einem nach Wortlaut und Sinn eindeutigen Gesetz nicht ein entgegengesetzter Sinn verliehen, der normative Gehalt der auszulegenden Norm nicht grundlegend neu bestimmt oder das gesetzgeberische Ziel nicht in einem wesentlichen Punkt verfehlt werden (Urteil vom 26. Februar 2010 - LVerfG 1/09 - NordÖR 2010, 155 ff. = Die Gemeinde SH 2010, 79 ff. = SchlHA 2010, 131 ff., Juris Rn. 104 m.w.N.). Sie ist aber auch dann nicht möglich, wenn in einer Norm zwei widerstreitende Verfassungsvorgaben zum Ausgleich gebracht werden müssten.

176

aa) Der eindeutige Wortlaut der § 1 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 und des § 16 LWahlG steht bereits einer verfassungskonformen Auslegung dieser Vorschriften entgegen. § 1 Abs. 2 LWahlG bestimmt, dass jede Wählerin und jeder Wähler zwei Stimmen hat; eine Erststimme für die Wahl einer Bewerberin oder eines Bewerbers im Wahlkreis, eine Zweitstimme für die Wahl einer Landesliste. Diese Vorschrift bietet keinen Ansatz, sie dahingehend auszulegen, dass ein Einstimmenwahlrecht möglich sein könnte. Die Zahl der Wahlkreise legen § 1 Abs. 1 Satz 2 LWahlG und § 16 Abs. 1 LWahlG mit 40 fest. Auch sie bieten keinen Ansatz für eine Auslegung, die eine geringere Zahl der Wahlkreise zuließe. Die weiteren Vorschriften des § 16 LWahlG bestimmen für den Zuschnitt der Wahlkreise als Ausgangspunkt der Berechnung die Bevölkerungszahl und nicht die Wahlberechtigten eines Wahlkreises. Auch die mögliche Größe der Abweichung und ihr Bezugspunkt sind mit 25 v. H. von der durchschnittlichen Bevölkerungszahl der Wahlkreise (§ 16 Abs. 3 Satz 1 LWahlG) eindeutig festgelegt und einer Auslegung nicht zugänglich.

177

bb) Einer verfassungskonformen Auslegung des § 3 Abs. 5 LWahlG, etwa im Sinne eines „großen Ausgleichs“, stünde bereits die weitere Vorgabe der Verfassung entgegen, den Landtag möglichst nicht über 69 Abgeordnete anwachsen zu lassen. Im Übrigen kommt eine solche Auslegung in Anbetracht der eindeutigen Entstehungsgeschichte, der klaren Gesetzessystematik und des darin zum Ausdruck kommenden Willens des Gesetzgebers auch nicht in Betracht (vgl. II. 2. ).

IV.

178

Aufgrund der festgestellten Verfassungsverstöße ist die Legislaturperiode zeitlich zu beschränken und der Gesetzgeber zu verpflichten, zur Vorbereitung vorgezogener Neuwahlen unverzüglich ein verfassungskonformes Landeswahlrecht zu verabschieden.

179

1. Die festgestellten Verfassungsverstöße führen zu mandatsrelevanten Wahlfehlern. Die auf Grundlage der § 1 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2, § 3 Abs. 5 sowie § 16 LWahlG vorbereiteten und durchgeführten Wahlen bewirken eine Beeinflussung und unrichtige Feststellung des Wahlergebnisses. Allein eine geringere Anzahl von Wahlkreisen hätte die Anzahl der nach § 1 Abs. 1 Satz 2 LWahlG in den Wahlkreisen durch Mehrheitswahl zu wählenden Abgeordneten im Vergleich zu den durch Verhältniswahl aus den Landeslisten zu wählenden Abgeordneten reduziert und damit bei der Sitzverteilung und -besetzung zu einem anderen Ergebnis geführt. Insgesamt wäre es gemeinsam mit den anderen aufgezeigten Ursachen für das Entstehen von Überhangmandaten zu deutlich weniger Überhangmandaten und damit auch weniger Ausgleichsmandaten gekommen. Dies wiederum hätte mit hoher Wahrscheinlichkeit bewirkt, dass die Regelung in § 3 Abs. 5 Satz 3 LWahlG zur Begrenzung von Mehrsitzen nicht zur Anwendung gekommen wäre und der Landtag dennoch aus deutlich weniger als 95 Abgeordneten bestehen würde.

180

2. Die mandatsrelevanten Wahlfehler können zusammengenommen jedoch weder zu einer abweichenden endgültigen Feststellung des Ergebnisses gemäß § 47 Abs. 3 LWahlG noch zur Ungültigerklärung der Wahl zum 17. Landtag mit der gesetzlichen Folge einer Wiederholungswahl im Sinne des § 46 LWahlG führen. Stattdessen ist die Legislaturperiode zeitlich zu beschränken und der Gesetzgeber zu verpflichten, zur Vorbereitung vorgezogener Neuwahlen unverzüglich ein verfassungskonformes Landeswahlrecht zu verabschieden. Allerdings sind die Fehler so schwerwiegend, dass die Legislaturperiode auf den 30. September 2012 zu beschränken ist. Diese Frist ist notwendig, weil der Landtag zuvor das Landeswahlgesetz ändern muss, um eine mit der Landesverfassung übereinstimmende Rechtslage herbeizuführen. Für die notwendigen gesetzlichen Neuregelungen genügt eine Frist bis spätestens zum 31. Mai 2011.

181

a) Ein festgestellter mandatsrelevanter Wahlfehler führt nicht sogleich zur Ungültigkeit der gesamten Wahl, sondern - soweit möglich - im Sinne des „Verbesserungsprinzips“ zur Berichtigung, allerdings nur insoweit, wie der Wahlfehler (räumlich) wirksam geworden ist (ebenso: Schl.-Holst. OVG, Urteile vom 24. Juni 1993 - 2 K 4/93 -, SchlHA 1993, 194 ff. = NVwZ 1994, 179 ff., Juris Rn. 66; und vom 30. September 1997 - 2 K 9/97 -, NordÖR 1998, 70 ff., Juris Rn. 39). Um die demokratische Legitimation des Parlaments und derjenigen Verfassungsorgane, die ihre demokratische Legitimation vom Parlament ableiten, möglichst zu erhalten, gilt das „Gebot des geringstmöglichen Eingriffs“ (vgl. BVerfG, Urteil vom 3. Juli 2008 - 2 BvC 1/07 u.a. - BVerfGE 121, 266 ff., Juris Rn. 134 m.w.N.). Eine Ungültigerklärung der gesamten Wahl hätte eine umgehende Delegitimierung zur Folge und müsste nach dem Gesetz zu einer Wiederholungswahl spätestens sechs Wochen nach rechtskräftiger Feststellung der Ungültigkeit führen (§ 46 Abs. 6 LWahlG). Sie käme aus Verhältnismäßigkeitsgründen nur in Frage, soweit der Fehler nicht mit einer Nachzählung und / oder Berichtigung zu beheben ist. Zudem müsste sich der damit verbundene Eingriff in die Zusammensetzung der gewählten Volksvertretung für die Zeit von regulär fünf Jahren vor dem Interesse am Erhalt dieser Volksvertretung rechtfertigen lassen. Sie setzt deshalb - in den Worten des Bundesverfassungsgerichts für das Bundeswahlrecht - einen erheblichen Wahlfehler von solchem Gewicht voraus, dass ein Fortbestand der in dieser Weise gewählten Volksvertretung unerträglich schiene. Hierzu hat gegebenenfalls eine Folgenabwägung stattzufinden (vgl. BVerfG, Urteile vom 3. Juli 2008 a.a.O., Juris Rn. 135; und vom 8. Februar 2001 - 2 BvF 1/00 - BVerfGE 103, 111 ff., Juris Rn. 88 m.w.N., stRspr.; vgl. auch HbgVerfG, Urteil vom 4. Mai 1993 - 3/92 -, NVwZ 1993, 1083 ff. = DVBl.1993, 1070 ff., Juris Rn. 155 ff.). Im Übrigen erfolgt eine Ungültigkeitserklärung aus den oben genannten Gründen stets nur ex nunc (vgl. BVerfG, Urteil vom 3. Juli 2008 a.a.O., Juris Rn. 138; Kretschmer, in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann/ Hopfauf , Kommentar zum Grundgesetz, 11. Aufl. 2008, Art. 41 Rn. 19, 21).

182

Für die grundsätzlich vorrangige und die demokratische Legitimation des Parlaments erhaltende Fehlerkorrektur durch Feststellung eines abweichenden Wahlergebnisses gemäß § 47 Abs. 3 LWahlG ist angesichts der miteinander verwobenen und nur in ihrer Gesamtheit bestehenden schwerwiegenden Wahlfehler trotz des Gebots des geringstmöglichen Eingriffs kein Raum. Das Zusammenwirken der Regelungen in § 1 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, § 3 Abs. 5 und § 16 LWahlG führt zu einer so erheblichen und komplexen Fehlerhaftigkeit der Wahl, dass ihr insgesamt die verfassungsmäßige Grundlage entzogen ist. Denn das Entstehen von elf Mehrsitzen (Überhangmandaten) mit der Folge, dass der Landtag nun aus 95 Abgeordneten besteht, verfehlt die in der Verfassung verbindlich vorgegebene Größe von 69 Abgeordneten in nicht mehr hinnehmbaren Ausmaß und führt zugleich durch die Begrenzung des Mehrsitzausgleichs zu einer Beeinträchtigung des Grundsatzes der Wahlgleichheit, weil sie den Wählerwillen in einer nicht zu rechtfertigenden Weise verzerrt. Die einzelnen Wahlfehler lassen sich nicht trennen und isoliert korrigieren, denn sie bedingen und intensivieren sich in ihrem Zusammenwirken gegenseitig.

183

Aber auch die Anordnung einer binnen sechs Wochen abzuhaltenden Wiederholungswahl nach § 46 Abs. 3, Abs. 5 Satz 2 und Abs. 6 LWahlG kommt im Ergebnis nicht in Betracht, da dies nicht dem Umstand Rechnung tragen würde, dass die von § 46 LWahlG vorausgesetzte Unregelmäßigkeit der Wahl hier nicht auf der fehlerhaften Anwendung der Wahlvorschriften, sondern darauf beruht, dass die zu korrigierende „Unregelmäßigkeit“ in der Verfassungswidrigkeit des Gesetzes selbst liegt. Allerdings sind die in der Summe festzustellenden Wahlfehler so weitgehend und so gewichtig, dass sie eine Wiederholungswahl auch unter Berücksichtigung der genannten Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkte nach gebotener Folgenabwägung rechtfertigen würden. Denn der Fortbestand des in verfassungswidriger Weise zusammengesetzten Landtages für die Dauer von weiteren vier Jahren ist gegenüber dem hohen Verfassungsgut seiner richtigen Zusammensetzung nicht zu rechtfertigen. Der Landtag stellt das zentrale Organ der demokratischen Grundordnung dar, von dem alle andere staatliche Gewalt seine demokratische Legitimation ableitet. Über die Wahl des Landtages bekundet das Volk seinen Willen und übt die letztlich von ihm ausgehende Staatsgewalt aus (Art. 2 Abs. 1 und 2 LV).

184

Die Besonderheit, dass der Wahlfehler auf der Verfassungswidrigkeit von Normen des Landeswahlgesetzes beruht, erfordert daher zugleich eine abweichende Regelung, die das Wahlergebnis für eine Übergangszeit als weiterhin gültig anerkennt und damit dem Landtag einen vorübergehenden Bestandsschutz zugesteht. Denn zunächst muss das Landeswahlgesetz so geändert werden, dass der nächste Landtag auf der Grundlage eines verfassungskonformen Landeswahlgesetzes gewählt werden kann (vgl. BVerfG, Urteil vom 3. Juli 2008 a.a.O., Juris Rn. 138). Angesichts der verschiedenen Möglichkeiten, eine verfassungskonforme Gesetzeslage herbeizuführen, ist es vorrangig Aufgabe des Gesetzgebers, also des Landtages, die dafür notwendigen Änderungen zu beschließen. Die in § 46 Abs. 6 LWahlG vorgesehene Frist von maximal sechs Wochen ist auf einen solchen Fall nicht zugeschnitten. Sie geht davon aus, dass nur die (gesetzmäßige) Durchführung der Wahl zu wiederholen ist, nicht aber, dass zuvor das der Wahl zugrunde liegende Gesetz zu ändern ist. Für die Durchführung einer Wahl auf der Grundlage eines geänderten Gesetzes bedarf es eines deutlich längeren Zeitraums, damit der Landtag zunächst ein verfassungsmäßiges Wahlrecht schafft. Während dieses Zeitraums bleiben die Abgeordneten im Amt und der Landtag behält seine volle Handlungs- und Arbeitsfähigkeit, denn bis zur Neuregelung und Durchführung der gebotenen Neuwahl verbleibt es bei dem festgestellten Wahlergebnis.

185

b) Als gegenüber der eigentlich gebotenen Ungültigkeitserklärung mit anschließender Wiederholungswahl geringerer Eingriff in den Bestand des Landtages ist die Legislaturperiode deshalb auf den 30. September 2012 mit der Auflage zu beschränken, unverzüglich ein verfassungskonformes Landeswahlgesetz zu verabschieden. Diese Frist ist notwendig, aber auch ausreichend, um den Landtag in die Lage zu versetzen, das Landeswahlgesetz zu ändern und die für die Vorbereitung einer Neuwahl erforderlichen Maßnahmen zu treffen.

186

In Anbetracht der bereits laufenden Befassung des Landtages mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Wahlgesetzes für den Landtag von Schleswig-Holstein (Landtags-Drucksache 17/10) hält das Gericht eine Frist bis spätestens zum 31. Mai 2011 für die notwendigen gesetzlichen Neuregelungen für angemessen und ausreichend. Der Gesetzentwurf ist nach der 1. Lesung in den Innen- und Rechtsausschuss überwiesen worden (PlPr 17/3, S. 142). Dieser hat die weitere Befassung zwar bis zum Ergehen der Entscheidung des Gerichts zurückgestellt (Kurzbericht IR 17/31 vom 30. Juni 2010), aber zuvor bereits sowohl eine schriftliche als auch - am 9. Juni 2010 - eine mündliche Sachverständigenanhörung durchgeführt (vgl. IR 17/27, S. 4), sodass er nunmehr eine Beschlussempfehlung abgeben und den Entwurf in die 2. Lesung geben kann.

187

Bei der Fristbemessung für die Durchführung der vorgezogenen Neuwahl auf der Grundlage eines spätestens am 31. Mai 2011 vorliegenden neuen Wahlgesetzes hat das Gericht weiter die Möglichkeit zu berücksichtigen, dass insbesondere der Zuschnitt der Wahlkreise nach § 16 LWahlG geändert und die Zahl der Wahlkreise grundlegend überprüft werden muss. Dies wird eine Neueinteilung der Wahlkreise durch den Wahlkreisausschuss erforderlich machen. Den Parteien ist ausreichend Gelegenheit zu geben, insbesondere ihre Wahlkreisbewerberinnen und -bewerber neu aufzustellen. Unter Berücksichtigung der sonstigen erforderlichen Wahlvorbereitungen scheint dem Gericht damit eine insgesamt bis zum 30. September 2012 bemessene Frist als ausreichend, als äußerste Frist aber auch geboten, um den Bestand des auf verfassungswidriger Grundlage gewählten Landtags nicht länger als erforderlich andauern zu lassen.

V.

188

Das Verfahren ist kostenfrei (§ 33 Abs. 1 LVerfGG). Den Beschwerdeführern zu 1), 2) und 3) sind auf ihren Antrag hin nach § 33 Abs. 4 LVerfGG Zweidrittel ihrer notwendigen Auslagen vom Land zu erstatten. Die Beschwerdeführer zu 1), 2) und 3) rügen zwar zu Recht die Verfassungswidrigkeit wahlrechtlicher Normen, konnten jedoch mit ihrer Kritik an der Auslegung des § 3 Abs. 5 Satz 3 LWahlG und ihrem Antrag auf eine korrigierte endgültige Feststellung des Wahlergebnisses nicht unmittelbar durchdringen. Eine Entscheidung über die Vollstreckung entfällt (§ 34 LVerfGG).

VI.

189

Das Urteil ist einstimmig ergangen.


Tenor

Die Nichtanerkennungsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

A.

1

Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Ablehnung der Anerkennung als Partei für die Wahl zum 18. Deutschen Bundestag.

2

1. Die Beschwerdeführerin wurde im August 2012 in Schwerin gegründet. Sie besteht aus acht Mitgliedern und verfügt lediglich über einen Bundesverband, nicht aber über Landesverbände. Die Öffentlichkeitsarbeit erfolgt nach Angaben der Beschwerdeführerin gegenüber dem Bundeswahlausschuss auf der eigenen Internetseite und durch verschiedene Aktivitäten wie Beteiligung an Podiumsdiskussionen und Petitionen, Herausgabe einer Parteizeitung, Durchführung wöchentlicher öffentlicher Sitzungen und Unterschriftensammlungen.

3

2. Nachdem die Beschwerdeführerin dem Bundeswahlleiter rechtzeitig ihre geplante Beteiligung an der Bundestagswahl angezeigt hatte, stellte der Bundeswahlausschuss am 5. Juli 2013 die Nichtanerkennung der Beschwerdeführerin als Partei für die Wahl zum 18. Deutschen Bundestag fest. Die formellen Voraussetzungen des § 18 Abs. 2 BWG seien erfüllt, nicht jedoch die Kriterien der Parteieigenschaft gemäß § 2 PartG. Die erst kürzlich erfolgte Gründung sei zwar positiv anzurechnen, allerdings seien keine Angaben zu Landesverbänden gemacht worden und die Vereinigung verfüge lediglich über acht Mitglieder.

4

3. Hiergegen wendet sich die Beschwerdeführerin mit ihrer Nichtanerkennungsbeschwerde vom 8. Juli 2013. Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor, sie halte ihre Parteieigenschaft für gegeben. Nach dem Parteiengesetz sei ein Landesverband nicht zwingend erforderlich. Sie habe einen Direktkandidaten für die Bundestagswahl benannt; ein weiteres Mitglied kandidiere als Privatperson für den Bundestag. Insoweit lägen die erforderlichen Unterstützerunterschriften vor. Die Ernsthaftigkeit ihrer Zielsetzung werde belegt durch nachweisbar langjährige Aktivitäten und ihr Hervortreten in der Öffentlichkeit.

5

4. Dem Bundeswahlausschuss wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

B.

6

Die Nichtanerkennungsbeschwerde ist jedenfalls unbegründet. Die Beschwerdeführerin ist nicht als wahlvorschlagsberechtigte Partei für die Wahl zum Deutschen Bundestag anzuerkennen.

7

1. Parteien sind Vereinigungen von Bürgern, die dauernd oder für längere Zeit für den Bereich des Bundes oder eines Landes auf die politische Willensbildung Einfluss nehmen und an der Vertretung des Volkes im Deutschen Bundestag oder einem Landtag mitwirken wollen, wenn sie nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse, insbesondere nach Umfang und Festigkeit ihrer Organisation, nach der Zahl ihrer Mitglieder und nach ihrem Hervortreten in der Öffentlichkeit eine ausreichende Gewähr für die Ernsthaftigkeit dieser Zielsetzung bieten (§ 2 Abs. 1 Satz 1 PartG). Das Bundesverfassungsgericht geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass der Gesetzgeber den Parteienbegriff des Art. 21 Abs. 1 GG durch diese Legaldefinition in verfassungsmäßiger Weise konkretisiert hat (vgl. BVerfGE 89, 266 <269 f.>, m.w.N.). Sie ist danach auch für die im vorliegenden Verfahren zu entscheidende Frage maßgeblich, ob die Beschwerdeführerin eine Partei ist. § 2 PartG muss allerdings im Lichte des Art. 21 Abs. 1 GG ausgelegt und angewendet werden (vgl. BVerfGE 89, 266 <270>).

8

Parteien müssen auch in der Gründungsphase mindestens ansatzweise in der Lage sein, die ihnen nach § 2 Abs. 1 Satz 1 PartG in Übereinstimmung mit dem Grundgesetzzugedachten Aufgaben wirksam zu erfüllen. Allein der Wille, "Partei" zu sein, ist nicht ausreichend. Im Blick auf die bei der Zulassung zur Wahl zu stellenden Anforderungen hat der Senat festgestellt, sie sollten gewährleisten, dass sich nur ernsthafte politische Vereinigungen und keine Zufallsbildungen von kurzer Lebensdauer um Wähler bewerben (vgl. BVerfGE 89, 266 <270>). Daraus folgt, dass es gewisser objektiver, im Lauf der Zeit an Gewicht gewinnender Voraussetzungen bedarf, um einer politischen Vereinigung den Status einer Partei zuerkennen zu können.

9

Wegen der den Parteien um der Offenheit des politischen Prozesses willen verfassungsrechtlich verbürgten Gründungsfreiheit ist bei politischen Vereinigungen, die am Beginn ihres Wirkens als Parteien stehen, zu berücksichtigen, dass der Aufbau einer Organisation, die sie zur Wahrnehmung ihrer Funktionen befähigt, eine gewisse Zeit erfordert. Entscheidend ist das "Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse". Die in § 2 Abs. 1 Satz 1 PartG angesprochenen, nicht trennscharf voneinander abzugrenzenden objektiven Merkmale - deren Aufzählung nicht erschöpfend ist (vgl. BVerfGE 89, 266 <270>), denen regelmäßig aber ein großes Gewicht zukommt (vgl. BVerfGE 89, 291 <306>) - sind Indizien für die Ernsthaftigkeit der politischen Zielsetzung. Keines ist für sich genommen ausschlaggebend, und nicht alle müssen von der Partei stets im gleichen Umfang erfüllt werden. Vielmehr bleibt es der Partei grundsätzlich überlassen, wie sie die Ernsthaftigkeit ihrer Zielsetzung unter Beweis stellt. Ihr ist es unbenommen, in ihrer politischen Arbeit Schwerpunkte zu setzen, sei es etwa im Bereich der Mitgliederwerbung und -aktivierung, der Öffentlichkeitsarbeit zwischen den Wahlen oder der Wahlteilnahme. Zurückhaltung in einem Bereich kann durch verstärkte Bemühungen auf anderen Gebieten in gewissen Grenzen ausgeglichen werden (BVerfGE 91, 262 <271>).

10

Insgesamt kommt es darauf an, ob die Gesamtwürdigung der tatsächlichen Verhältnisse einer Partei - unter Einschluss der Dauer ihres Bestehens - den Schluss zulässt, dass sie ihre erklärte Absicht, an der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken, ernsthaft verfolgt. Daraus ergibt sich, dass Vereinigungen, die nach ihrem Organisationsgrad und ihren Aktivitäten offensichtlich nicht imstande sind, auf die politische Willensbildung des Volkes Einfluss zu nehmen, bei denen die Verfolgung dieser Zielsetzung erkennbar unrealistisch und aussichtslos ist und damit nicht (mehr) als ernsthaft eingestuft werden kann, nicht als Parteien anzusehen sind (BVerfGE 91, 262 <271 f.>).

11

2. Gemessen an diesem Maßstab hat die Beschwerdeführerin nach der erforderlichen Gesamtwürdigung der tatsächlichen Verhältnisse nicht die Eigenschaft einer Partei. Nach der Zahl ihrer Mitglieder und ihrem Organisationsgrad ist sie derzeit nicht imstande, auf die politische Willensbildung des Volkes Einfluss zu nehmen. Auch ihr Hervortreten in der Öffentlichkeit bietet bislang keine ausreichende Gewähr für die Ernsthaftigkeit ihrer politischen Zielsetzung.

12

Die Beschwerdeführerin verfügt nur über acht Mitglieder. Es ist nicht ersichtlich, wie die Vereinigung mit nur acht Mitgliedern auf Bundesebene Einfluss auf die politische Willensbildung des Volkes nehmen will und einen Wahlkampf mit dem Ziel parlamentarischer Vertretung führen will (vgl. BVerfGE 91, 262 <274>). Auch ist damit nicht gesichert, dass das Bestehen der Vereinigung von einem Mitgliederwechsel unabhängig ist. Die Partei weist über das Bestehen eines Bundesverbandes hinaus keine weiteren organisatorischen Strukturen auf und kann daher nicht als hinreichend organisatorisch verfestigt angesehen werden. Ein Ausbau der Organisation ist seit Parteigründung nicht erfolgt. Auch ist die Beschwerdeführerin in der Öffentlichkeit bislang kaum hervorgetreten. Nachweise für die von der Beschwerdeführerin behauptete Öffentlichkeitsarbeit liegen kaum vor. Ständige Aktivitäten entwickelt die Beschwerdeführerin lediglich in der Herausgabe einer Zeitschrift ("Zukunftsangst"), von der schon unklar ist, in welchen Zeitabständen und in welcher Auflage sie erscheint. Ferner führt sie wöchentlich "öffentliche Versammlungen" durch, deren Teilnehmerkreis unbekannt bleibt. Über die lokale Öffentlichkeit hinausgreifende Wirksamkeit kommt diesen Aktivitäten offensichtlich nicht zu. Selbst unter Berücksichtigung der besonderen Situation von Parteien in der Gründungsphase kann von einer Ernsthaftigkeit der politischen Zielsetzung der Beschwerdeführerin nach alledem gegenwärtig nicht ausgegangen werden.