Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Urteil, 20. Dez. 2012 - L 7 SB 15/09

ECLI:ECLI:DE:LSGST:2012:1220.L7SB15.09.0A
20.12.2012

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt die rückwirkende Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 50 mit Wirkung vom 15. November 2000.

2

Die am ... 1947 geborene Klägerin beantragte am 13. Dezember 2004 für die Zeit ab 1999 die Feststellung von Schwerhörigkeit als Behinderung. Außerdem beantragte sie die Merkzeichen G (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) sowie RF (Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht). Der Beklagte zog einen Bescheid der Berufsgenossenschaft (BG) der Chemischen Industrie vom 13. Juli 1999 bei. Danach könne die Schwerhörigkeit nicht als Berufskrankheit (BK) anerkannt werden, weil am Ende des Expositionszeitraums im Jahre 1986 keine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 10 vom 100 (v. H.) vorgelegen habe. Außerdem holte der Beklagte den Befundschein des Facharztes für HNO-Heilkunde Dr. T. vom 21. Januar 2005 ein, der ein Ton- und Sprachaudiogramm vom 23. September 2003 übersandte. Nach Beteiligung seines ärztlichen Dienstes stellte der Beklagte bei der Klägerin mit Bescheid vom 8. Februar 2005 aufgrund einer Hörbehinderung ab 23. September 2003 einen GdB von 70 sowie das Merkzeichen RF fest. Die Feststellung des Merkzeichens G lehnte er ab.

3

Am 2. März 2005 beantragte die Klägerin die Überprüfung des Feststellungsbescheids, da sie eine rückwirkende Feststellung ab 1999 begehrt habe. Mit Bescheid vom 27. September 2005 lehnte der Beklagte die rückwirkende Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft ab 1999 ab. Eine solche komme nicht in Betracht, da die Rechtsstellung als schwerbehinderter Mensch mit einem bestimmten GdB sich nur in der Zukunft auf die Gestaltung verschiedener Rechtsverhältnisse auswirken könne. Eine rückwirkende Feststellung nach § 44 Abs. 2 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) könne nur ausnahmsweise erfolgen, wenn der behinderte Mensch ohne Verschulden an einer rechtzeitigen Antragstellung gehindert gewesen sei. Eine solche Ausnahme liege hier nicht vor. Mit ihrem Widerspruch vom 27. Oktober 2005 trug die Klägerin vor: Sie möchte mit 60 Jahren als Schwerbehinderte ohne Abzüge in Rente gehen und benötige daher die rückwirkende Feststellung eines GdB von 50. Mit Widerspruchsbescheid vom 1. Februar 2006 wies der Beklagte ohne weitere Ermittlungen den Widerspruch zurück.

4

Am 11. Oktober 2007 beantragte die Klägerin, die Feststellung des GdB für den Zeitpunkt des 15. November 2000 zu überprüfen, da dieser Termin für ihre Rente ausschlaggebend sei. Dazu legte sie eine gutachtliche Einschätzung des Dr. T. vom 4. Oktober 2007 mit Audiogrammen vom 8. Juni 1993 und 8. Juni 2006 vor. Mit Bescheid vom 18. Oktober 2007 lehnte der Beklagte die rückwirkende Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft ohne weitere Ermittlungen ab, weil § 44 SGB X im Schwerbehindertenrecht keine Anwendung finde. Den dagegen am 16. November 2007 erhobenen Widerspruch der Klägerin wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 24. September 2008 zurück.

5

Am 23. Oktober 2008 hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht (SG) Dessau-Roßlau erhoben und beantragt, einen GdB von 70 sowie das Merkzeichen RF ab 15. November 2000 festzustellen. Ohne weitere Ermittlungen hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 6. Februar 2009 die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Der GdB als Statusentscheidung sei nur auf Antrag mit Wirkung für die Zukunft, nicht aber für die Vergangenheit festzustellen. Die Feststellung der Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch führe zu zahlreichen Vergünstigungen in unterschiedlichen öffentlichen und privaten Bereichen, so dass eine rückwirkende Feststellung Auswirkungen auf einen nur schwer zu überschauenden Kreis unbeteiligter Dritter habe. Die davon abweichend in der Schwerbehindertenausweisverordnung festgeschriebene beschränkte Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Antragstellung trage lediglich dem Interesse des behinderten Menschen daran Rechnung, nicht durch die Dauer eines Verwaltungsverfahrens unzumutbar benachteiligt zu werden. Die weitere Rückwirkung eines Antrages müsse auf offenkundige Fälle beschränkt werden. Ein solcher liege hier nicht vor.

6

Gegen den ihr am 11. Februar 2009 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 11. März 2009 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt eingelegt und die Berufung mit Schreiben vom 19. Dezember 2012 auf die Feststellung eines GdB von 50 ab 15. November 2000 beschränkt. Sie hat ausgeführt, sie sei am 1. Dezember 2007 mit 60 Jahren mit Abschlägen von 10,8 % in Rente gegangen. Bei der Rentenantragstellung habe sie erklärt, ein Schwerbehindertenverfahren sei noch offen. Sie hat außerdem vorgetragen, bereits durch die im VEB F. W. ansässige Ärztin Dr. K. sei ihr im Jahre 1980 ein Hörverlust von 20 % bescheinigt worden. Die Ergebnisse der ärztlichen Untersuchungen seien zu den Personalakten genommen worden. Es könne im Übrigen nicht zu ihren Lasten gehen, wenn der Sachverhalt nicht vollständig aufgeklärt werden könne. Im Übrigen bestreite sie die Bewertung des Beklagten. Eine berufsbedingte Schwerhörigkeit könne nicht zeitweise aussetzen oder nur gelegentlich bestehen. Dies widerspreche der allgemeinen Lebenserfahrung, insbesondere vor dem Hintergrund eines jetzigen GdB von 70.

7

Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftlichen Vorbringen,

8

den Gerichtsbescheid des SG Dessau-Roßlau vom 6. Februar 2009 sowie den Bescheid des Beklagten vom 18. Oktober 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. September 2008 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, bei ihr einen GdB von 50 ab 15. November 2000 festzustellen.

9

Der Beklagte beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,

10

die Berufung zurückzuweisen.

11

Er vertritt die Ansicht, auch nach der weiteren Sachaufklärung lägen die Voraussetzungen für die rückwirkende Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft nicht vor.

12

Der Senat hat die BG-Akte der Klägerin beigezogen. In dieser hat sich das Gutachten des MR Dr. W. (Facharzt für HNO und Audiologe, Leiter der Abteilung für Hör- und Gleichgewichtsstörungen der HNO-Klinik des S. K. D.) vom 9. April 1999 befunden. Danach habe die Klägerin geschildert, Anfang der 1970er Jahre sei eine beidseitige Hörverschlechterung aufgefallen. Bei der betrieblichen Reihenuntersuchung habe Dr. K. die Hörstörung bestätigt. Dr. W. hat ein von ihm erstelltes Tonaudiogramm ausgewertet, wonach eine mittelgradige Schallempfindungsschwerhörigkeit beidseits mit einem Hörverlust auch im Tieftonbereich besonders rechts bei 35 dB bestehe. Das Sprachaudiogramm habe ein 50 %iges Zahlenverständnis rechts bei 35 dB und links bei 33 dB gezeigt. Das Gesamtwortverstehen habe bei 60, 80 und 100 dB folgende Werte ergeben: rechts 0+80+80=160 und links 15+80+80=175. Der prozentuale Hörverlust nach Boenninghaus-Röser betrage rechts 40 % und links 30 % sowie bei der Bewertung nach dem gewichteten Gesamtwortverstehen links 50%. Dr. W. hat weiterhin ausgeführt, im Vergleich zu den Audiogrammen von 1993 sei eine Hörverschlechterung beidseits nachweisbar. Aus dem Sprachaudiogramm vom 5. Juli 1993 errechne sich ein Hörverlust nach Boenninghaus-Röser von rechts 10 % und links 0 %. Dies gelte auch bei einer Bewertung nach dem gewichteten Gesamtwortverstehen. Daraus resultiere eine MdE von unter 10 v.H. Außerdem haben sich in der BG-Akte die betrieblichen Grunduntersuchungsbögen der Klägerin befunden.

13

Mit Schreiben vom 19. Dezember 2012 haben sich die Beteiligten mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

14

Die Gerichtsakte, die Verwaltungsakte des Beklagten und die Auszüge der BG-Akte haben vorgelegen und waren Gegenstand der Beratung und Entscheidungsfindung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Verwaltungsakte und der BG-Akte ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe

15

Der Senat konnte den Rechtsstreit nach §§ 124 Abs. 2, 153 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil sich die Beteiligten damit einverstanden erklärt haben.

16

Die form- und fristgemäß eingelegte und gemäß § 143 SGG auch statthafte Berufung der Klägerin ist unbegründet. Die Voraussetzungen für eine rückwirkende Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft liegen nicht vor.

17

Den Anspruch der Klägerin auf Feststellung eines GdB von 50 ab 15. November 2000 verfolgt diese mit einer zulässigen Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG. Der Anspruch richtet sich nach dem Gesetz zur Sicherung der Eingliederung Schwerbehinderter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft (Schwerbehindertengesetz -SchwbG) in der Fassung der Neubekanntmachung vom 26. August 1986 sowie nach den am 1. Juli 2001 in Kraft getretenen Vorschriften des Neunten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IX) vom 19. Juni 2001. Hinsichtlich der Maßstäbe für die Bestimmung des Begriffs der Behinderung ergeben sich durch die zum 1. Juli 2001 erfolgte Ablösung des SchwbG durch das SGB IX keine für das Verfahren maßgeblichen Unterschiede.

18

Zwar beginnt der Status als schwerbehinderter Mensch grundsätzlich mit dem Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen, doch ist zum Nachweis dieser Eigenschaft eine behördliche Feststellung erforderlich. Dementsprechend stellen die zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest (§ 4 Abs. 1 Satz 1 SchwbG, § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Mit der Stellung des Antrags bringt der behinderte Mensch gegenüber der Behörde sein Interesse an einer verbindlichen Statusfeststellung erstmalig zum Ausdruck. Insofern ist es sachgerecht, von dem behinderten Menschen die Glaubhaftmachung eines besonderen Interesses zu verlangen, wenn er seinen GdB ausnahmsweise schon für einen vor der Antragstellung liegenden Zeitraum festgestellt haben möchte (BSG, Urteil vom 7. April 2011, B 9 SB 3/10 R, zitiert nach juris). Nach § 4 Abs. 5 Satz 1 SchwbG bzw. § 69 Abs. 5 Satz 1 SGB IX stellen die zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen aufgrund einer Feststellung der Behinderung einen Ausweis über die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch, den GdB sowie ggf. über weitere gesundheitliche Merkmale für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen aus. Nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 der Schwerbehindertenausweisverordnung (SchwbAwV) ist auf der Rückseite des Ausweises als Beginn der Gültigkeit in den Fällen des § 69 Abs. 1 und 4 SGB IX der Tag des Eingangs des Antrags auf Feststellung nach diesen Vorschriften einzutragen. § 6 Abs. 1 Satz 2 SchwbAwV ermöglicht darüber hinaus auf Antrag des schwerbehinderten Menschen und nach Glaubhaftmachung eines besonderen Interesses die Eintragung eines zusätzlichen, weiter zurückliegenden Datums.

19

Dabei ist die rückwirkende Feststellung nicht auf offensichtliche Fälle beschränkt, soweit es sich um einen Erstantrag und nicht um einen Überprüfungsantrag nach § 44 Abs. 2 Satz 2 SGB handelt (BSG, Urteil vom 7. April 2011, a.a.O.). Die Beschränkung auf § 44 Abs. 2 Satz 2 SGB X findet nur Anwendung, wenn nach § 44 Abs. 2 Satz 2 SGB X die Rücknahme einer unanfechtbar bindenden Feststellung des GdB mit Wirkung für die Vergangenheit zu prüfen ist (BSG, Urteil vom 7. April 2011, a.a.O.). Diese Einschränkung folgt im Hinblick auf das nach § 44 Abs. 2 Satz 2 SGB X auszuübende Verwaltungsermessen. Sofern die entsprechenden tatsächlichen Voraussetzungen offenkundig sind, könnte das pflichtgemäße Ermessen die rückwirkende Aufhebung der bindenden Feststellung gebieten (BSG, Urteil vom 7. April 2011, a.a.O.). Dagegen muss die Feststellungsbehörde im Verfahren einer Erstfeststellung bei Glaubhaftmachung eines besonderen Interesses durch den Antragsteller uneingeschränkt prüfen und entscheiden, ob und seit wann die geltend gemachte Eigenschaft schon vor der Antragstellung bestanden hat (BSG, Urteil vom 7. April 2011, a.a.O.). Eines über die Glaubhaftmachung eines besonderen Interesses hinausgehenden besonderen Korrektivs etwa in Form der Offensichtlichkeit bedarf es nicht, weil entsprechende Anträge sich nach Aufklärung des Sachverhalts nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast behandeln lassen (BSG, Urteil vom 7. April 2011, a.a.O.).

20

Nach diesem Maßstab ist zunächst festzustellen, dass die Klägerin eine rückwirkende Erstfeststellung ab 15. November 2000 begehrt. Mit Bescheid vom 8. Februar 2005 hat der Beklagte nicht über den GdB ab 15. November 2000, sondern erst ab 23. September 2003 (GdB 70) entschieden. Bislang liegt keine bestandskräftige Feststellung für die Zeit vom 15. November 2000 bis zum 22. September 2003 vor. Insofern kann § 44 Abs. 2 SGB X auch keine Anwendung finden. Das für eine Erstfeststellung somit allein erforderliche besondere Interesse hat die Klägerin durch den Hinweis auf einen möglichen abschlagsfreien Bezug der Altersrente glaubhaft gemacht. Denn von einem besonderen Interesse ist jedenfalls dann auszugehen, wenn der behinderte Mensch mit der rückwirkenden Feststellung eines GdB von 50 gemäß § 236 a SGB des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI) die Altersrente für schwerbehinderte Menschen abschlagsfrei beziehen kann (BSG, Urteil vom 7. April 2011, a.a.O.).

21

Doch kann die Hörbehinderung der Klägerin am 15. November 2000 nicht mit einem GdB von 50 bewertet werden.

22

Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellen wie zuvor nach § 4 Abs. 1 Satz 1 SchwbG die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Diese Regelung knüpft materiellrechtlich an den in § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX und zuvor in § 3 Abs. 1 SchwbG bestimmten Begriff der Behinderung an. § 3 Abs. 1 SchwbG definierte Behinderung als die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden Funktionsbeeinträchtigung, die auf einem regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustand beruhte. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Nach § 3 Abs. 2 SchwbG war die Auswirkung der Funktionsbeeinträchtigung und nach § 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX sind die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben der Gesellschaft als GdB nach Zehnergraden abgestuft festzustellen. Nach § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX (in der Satzzählung der alten Fassung) gelten wie zuvor nach § 3 Abs. 3 SchwbG für den GdB die im Rahmen des § 30 Abs. 1 BVG festgelegten Maßstäbe entsprechend. Wenn mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft (bzw. Funktionsbeeinträchtigungen) vorliegen, wird nach § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX bzw. zuvor des § 4 SchwbG der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehung festgestellt.

23

Als Grundlage für die Beurteilung der medizinischen Sachverhalte dienten der Praxis am 15. November 2000 die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz", deren Ausgabe von 1996 vom damaligen Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung herausgegeben wurde. Die Anhaltspunkte haben zwar keine Normqualität, sind aber nach ständiger Rechtsprechung des für das Versorgungs- und Schwerbehindertenrecht zuständigen Senats des Bundessozialgerichts als vorweggenommene Sachverständigengutachten anzusehen, die in der Praxis wie Richtlinien für die ärztliche Gutachtertätigkeit wirken und im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung in ihrer jeweiligen Fassung wie untergesetzliche Normen von den Gerichten anzuwenden sind (vgl. BSG, Urteil vom 18. September 2003 – B 9 SB 3/02 R – SozR 4-3250 § 69 Nr.2, S. 10 ff. m.w.N.).

24

Der hier streitigen Bemessung des GdB ist die GdB/MdE-Tabelle der Anhaltspunkte (Nr. 26) zugrunde zu legen. Nach den allgemeinen Hinweisen zu der Tabelle in Nr. 26.1 (S. 37) sind die dort genannten GdB/MdE-Sätze Anhaltswerte. In jedem Einzelfall sind alle leistungsmindernden Störungen auf körperlichem, geistigem und seelischem Gebiet zu berücksichtigen und in der Regel innerhalb der in Nr. 18 Abs. 4 genannten Funktionssysteme (Gehirn einschließlich Psyche; Augen; Ohren; Atmung; Herz-Kreislauf; Verdauung; Harnorgane; Geschlechtsapparat; Haut; Blut und Immunsystem; innere Sektion und Stoffwechsel; Arme; Beine; Rumpf) zusammenfassend zu beurteilen. Die Beurteilungsspannen tragen den Besonderheiten des Einzelfalles Rechnung (Nr. 26 Abschnitt 1).

25

Nach diesem Maßstab kann für die Funktionseinschränkungen im Funktionssystem Ohren kein GdB von 50 am 15. November 2000 festgestellt werden. Dabei stützt sich der Senat auf das Gutachten von MR Dr. W. vom 9. April 1999. Nach diesem Gutachten, das MR Dr. W. auf der Grundlage von ihm gefertigter Audiogramme erstattet hat, hat die Klägerin im April 1999 an einer mittelgradigen Schallempfindungsschwerhörigkeit beidseits mit einem Hörverlust auch im Tieftonbereich gelitten. Das Sprachaudiogramm hat ein 50 %iges Zahlenverständnis rechts bei 35 dB und links bei 33 dB sowie ein Gesamtwortverstehen bei 60, 80 und 100 dB von rechts 0+80+80=160 und links 15+80+80=175 ergeben. Der prozentuale Hörverlust nach Boenninghaus-Röser hat nach den Berechnungen von MR Dr. W. rechts 40 % und links 30 % sowie bei der Bewertung nach dem gewichteten Gesamtwortverstehen links 50 % betragen. Nach der Tabelle D der Anhaltspunkte 1996 (Nr. 26.5, S. 72) ist bei einem Hörverlust von rechts 40 % und links 50 % (unter Berücksichtigung des Gesamtwortverstehens) von jeweils mittelgradiger Schwerhörigkeit (d.h. Hörverlust 40 bis 60 %) auszugehen und dafür ein GdB von 30 festzustellen. Diese Berechnungen von MR Dr. W. sind für den Senat nachvollziehbar und in sich schlüssig. Für die Feststellung eines GdB von 30 am 15. November 2000 hat die Klägerin indes kein besonderes Interesse geltend gemacht, sodass insoweit auch keine dementsprechende Feststellung durch den Beklagten zu erfolgen hat.

26

Eine andere Bewertungsgrundlage für die Hörbehinderung ist für den umstrittenen Zeitraum nicht vorhanden. Zwischen 1999 und 2003 wurden keine weiteren Ton- und Sprachaudiogramme erstellt, sodass der Senat für die Bewertung am 15. November 2000 und der Folgezeit auf das Gutachten von Dr. W. aus dem Jahre 1999 zurückgreifen muss. Soweit die Klägerin aus der Untersuchung bei Dr. K. Rückschlüsse auf ihr Hörvermögen im Jahre 2000 ziehen will, ist dem Folgendes entgegenzuhalten: Unterlagen über die Untersuchung durch Dr. K. hat die Klägerin nicht vorgelegt und diese haben sich auch nicht in der beigezogenen BG-Akte mit den betrieblichen Grunduntersuchungsbögen der Klägerin befunden. In den Untersuchungsbögen wurde erstmals im Jahre 1990 eine beginnende Schwerhörigkeit der Klägerin festgestellt. Damit lässt sich die Behauptung eines 20%igen Hörverlustes in den 1970er Jahren bzw. 1980 nicht stimmig mit den vorhandenen Unterlagen in Einklang bringen. Dies gilt auch unter Beachtung des Audiogramms aus dem Jahr 1993, wonach nach der Auswertung durch Dr. W. der prozentuale Hörverlust damals 0 bzw. 10% betragen hat. Schließlich kann selbst bei einem unterstellten Hörverlust von 20 % in den 1970er Jahren durch Dr. K. nicht auf das Ausmaß der Hörbehinderung im Jahre 2000 geschlossen werden.

27

Da der Senat keine Möglichkeiten zur weiteren Sachverhaltsaufklärung sieht und die Klägerin auch keine weiteren Ermittlungsansätze aufgezeigt hat, geht es zu ihren Lasten, dass das tatsächliche Ausmaß ihrer Hörbehinderung am 15. November 2000 offen bleibt.

28

Weitere Funktionseinschränkungen, die zum Zeitpunkt des 15. November 2000 mit einem Einzel-GdB von mindestens 10 zu bewerten wären, sind nicht ersichtlich und auch nicht vorgetragen.

29

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

30

Ein Grund für die Zulassung der Revision nach § 160 SGG liegt nicht vor.


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Bundessozialgericht Urteil, 07. Apr. 2011 - B 9 SB 3/10 R

bei uns veröffentlicht am 07.04.2011

Tenor Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 19. Januar 2010 aufgehoben.

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(1) Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.

(2) Im Übrigen ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(3) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(4) Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag.

(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung.

(2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden.

(3) Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen, soweit nichts anderes bestimmt ist.

Gegen die Urteile der Sozialgerichte findet die Berufung an das Landessozialgericht statt, soweit sich aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts nichts anderes ergibt.

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.

(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.

(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.

(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.

(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.

Haben Leistungsempfänger Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld oder Übergangsgeld bezogen und wird im Anschluss daran eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben ausgeführt, so wird bei der Berechnung der diese Leistungen ergänzenden Leistung zum Lebensunterhalt von dem bisher zugrunde gelegten Arbeitsentgelt ausgegangen; es gilt die für den Rehabilitationsträger jeweils geltende Beitragsbemessungsgrenze.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 19. Januar 2010 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Streitig ist, ob der Kläger Anspruch auf Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von mindestens 50 für einen vor seinem Feststellungsantrag liegenden Zeitraum hat.

2

Der am 26.8.1945 geborene Kläger ist Arzt für Biochemie. Auf Veranlassung seiner behandelnden Ärztin wurde er am 4.4.2002 ins Krankenhaus aufgenommen. Dort wurde ein mindestens 10 x 10 cm großer gastrointestinaler Stromatumor (GIST) oberhalb des Blasendaches diagnostiziert und am 17.4.2002 operativ entfernt. In der Zeit danach wurden im Rahmen von Kontrolluntersuchungen Metastasen und Rezidive festgestellt, die zu weiteren operativen Eingriffen führten. Seit dem 1.1.2007 bezieht der Kläger Altersrente für schwerbehinderte Menschen mit Abschlägen.

3

Im Dezember 2006 beantragte der Kläger beim beklagten Land die Feststellung eines GdB ab November 2000. Nach entsprechenden medizinischen Ermittlungen stellte der Beklagte mit Bescheid vom 26.3.2007 wegen einer Harnblasenerkrankung im Zustand der Heilungsbewährung einen GdB von 80 seit dem 1.4.2002 fest. Dem Widerspruch des Klägers half der Beklagte teilweise ab und stellte fest, dass der GdB nunmehr wegen einer Dünndarmerkrankung, bei der von einer Heilungsbewährung nicht mehr auszugehen sei, 100 betrage. Den auf Feststellung eines GdB für die Zeit vor dem 1.4.2002 gerichteten Widerspruch wies der Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 23.8.2007).

4

Das vom Kläger daraufhin angerufene Sozialgericht Berlin (SG) hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 19.11.2008). Bei der Feststellung des GdB handele es sich um eine Statusentscheidung, die generell nur in die Zukunft wirke. § 6 Abs 1 Satz 1 Schwerbehindertenausweisverordnung (SchwbAwV) ordne eine rückwirkende Feststellung für die Zeit ab Antragstellung an. Eine weitergehende Rückwirkung sei nach Maßgabe des § 6 Abs 1 Satz 2 SchwbAwV auf offenkundige Fälle zu beschränken. Ein derartiger Fall liege hier erst ab April 2002 vor, weil die bösartige Tumorerkrankung erstmals in diesem Monat objektiv beweisbar diagnostiziert worden sei. Für die Zeit davor fehle es an aussagekräftigen medizinischen Unterlagen, so dass die vom Kläger behauptete Tatsache, er sei bereits im Mai 2000 wegen Teerstühlen und Schwächeanfällen schwerbehindert gewesen, nicht als offenkundig gelten könne.

5

           

Im Rahmen seiner Berufung hat der Kläger vor dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (LSG) beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 19.11.2008 aufzuheben und den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 26.3.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.8.2007 zu verpflichten, bei ihm einen GdB von 100, hilfsweise 50, ab dem 1.5.2000 festzustellen,
hilfsweise
1. ihn als Arzt (Facharzt für Biochemie) und sachverständige Partei dazu zu vernehmen, dass er bereits seit Mai 2000 unter Teerstühlen, starken Symptomen einer Anämie und Kraftlosigkeit litt,
2. ein pathologisches Sachverständigengutachten durch Prof. Dr. R. B., Institut für Pathologie der Universität B., darüber einzuholen, dass sich sein Gesundheitszustand und seine Funktionseinschränkungen im Jahr 2002 nicht von dem Gesundheitszustand und den Funktionseinschränkungen im Mai 2000 aufgrund der Tumorart, seines Wachstums und der Begleitsymptome signifikant aus ärztlicher Sicht unterschied, so dass ein GdB von 100, mindestens jedoch 50, bereits seit Mai 2000, hilfsweise seit 1.11.2000 offenkundig bestand.

6

Das LSG hat unter Zulassung der Revision durch Urteil vom 19.1.2010 die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Zur Begründung hat es nach Darlegung der allgemeinen Grundlagen für die Feststellung des GdB (§ 69 SGB IX) ausgeführt: Es handele sich bei der Feststellung des GdB um eine Statusentscheidung, die prinzipiell in die Zukunft wirke und nach § 6 Abs 1 Satz 1 SchwbAwV lediglich deshalb auf den Zeitpunkt der Antragstellung zurückzubeziehen sei, um den schwerbehinderten Menschen für die Dauer des Verwaltungsverfahrens nicht unzumutbar zu belasten. Für eine weitergehende Rückwirkung sei nach Maßgabe des § 6 Abs 1 Satz 2 SchwbAwV nur dann Raum, wenn der Betroffene ein besonderes Interesse für eine frühere Statusentscheidung glaubhaft machen könne. Eine solche Rückwirkung müsse jedoch nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) überdies auf offenkundige Fälle beschränkt werden, um den Sinn und Zweck einer Statusentscheidung nicht zu konterkarieren. Offenkundigkeit sei hierbei anzunehmen, wenn die für die Feststellung erforderlichen Voraussetzungen aus der Sicht eines unbefangenen, sachkundigen Beobachters nach Prüfung der objektiv gegebenen Befundlage ohne Weiteres deutlich zu Tage träten.

7

Zwar habe der Kläger ein besonderes Interesse an einer früheren Feststellung des GdB insoweit glaubhaft gemacht, als ihm nach § 236a SGB VI eine abschlagsfreie Altersrente für schwerbehinderte Menschen zustehen würde, wenn seine Schwerbehinderteneigenschaft bereits zum 16.11.2000 festgestellt würde. Es fehle jedoch an einem offenkundigen Fall, weil medizinische Befunde, aus denen sich die Voraussetzungen für die vom Kläger begehrte Feststellung deutlich entnehmen ließen, für die Zeit vor April 2002 weder vorlägen noch ermittelbar seien. Letzteres ergäbe sich aus den Angaben des Klägers selbst sowie vor allem aus den Attesten der behandelnden Internistinnen Dr. P. und Dr. L. vom 25.4.2007. Danach seien hier entweder nur ganz pauschale Aussagen darüber möglich, dass der Kläger bereits ab Mai 2000 unter vereinzelt aufgetretenen Teerstühlen sowie unter starken Symptomen einer Anämie und unter Kraftlosigkeit gelitten habe, oder es könnten nur Rückschlüsse aus Befunden aus der Zeit ab April 2002 gezogen werden, was der Annahme eines offenkundigen Falles entgegenstehe.

8

Vor diesem Hintergrund müsse der Senat nicht in weitere Ermittlungen eintreten. Insbesondere müsse er den vom Kläger in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträgen nicht folgen, weil sie entweder nur vage Tatsachenbehauptungen zum Inhalt hätten oder auf die Einholung eines "Rückschlussgutachtens" zielten, auf das es bei der Prüfung der Frage, ob ein offenkundiger Fall gegeben sei, gerade nicht ankommen könne.

9

Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

10

Materielles Recht sei verletzt, weil der Status der Schwerbehinderteneigenschaft nach der Rechtsprechung des BSG grundsätzlich mit dem Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen beginne (BSGE 89, 79), und zwar ohne Beschränkung auf offensichtliche Fälle. Eine abweichende Entscheidung des BSG liege für Erstfeststellungen nicht vor. Das vom LSG herangezogene Urteil des BSG vom 29.5.1991 betreffe allein Überprüfungsanträge nach § 44 Abs 2 SGB X, bei denen es im Rahmen des Ermessens auf die "Offensichtlichkeit" ankomme. Demnach sei das rückwirkende Vorliegen der Schwerbehinderteneigenschaft, wie im Sozialrecht generell üblich, mit sämtlichen Erkenntnismitteln zu erforschen. Eine Beschränkung auf Offensichtlichkeitsfälle oder kaum bestimmte "Ausnahmefälle" finde nicht statt.

11

Das angefochtene Urteil sei auch verfahrensfehlerhaft zustande gekommen. Das LSG habe sein Recht auf rechtliches Gehör nach § 62 SGG verletzt, weil es seinen - des Klägers - Vortrag zum Schweregrad des Tumors und dessen Bewertung mit einem GdB von 100, hilfsweise 50, ab Mai 2000 unter Hinweis auf die fehlende Offenkundigkeit der Befunde übergangen habe. Zudem habe das LSG auch seine Amtsermittlungspflicht verletzt, weil es den in der letzten mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträgen zu Unrecht nicht gefolgt sei. Auf diesen Verfahrensfehlern beruhe das angefochtene Urteil.

12

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 19.1.2010 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 19.11.2008 aufzuheben sowie den Beklagten zu verpflichten, unter Abänderung des Bescheides des Beklagten vom 26.3.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.8.2007 für ihn einen GdB von 100, hilfsweise von 50, ab 1.5.2000, hilfsweise ab 1.11.2000, festzustellen.

13

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

14

Er schließt sich dem angefochtenen Urteil an. Zwar beziehe sich die vom LSG zutreffend angewandte Entscheidung des BSG vom 29.5.1991 auf die Überprüfung bereits bestandskräftiger Bescheide iS des § 44 SGB X. Eine Unterscheidung für die rechtliche Bewertung bei den Voraussetzungen für die rückwirkende Feststellung im Schwerbehindertenrecht sei hingegen hinsichtlich der Erstfeststellungen nicht erforderlich. Es komme lediglich auf die Bewertung der Feststellung des Gesamtgrades der Behinderung als solche an. Diese sei und bleibe eine Statusentscheidung mit den bekannten Ausnahmen für die rückwirkende Feststellung nach der SchwbAwV. Der Kläger trage zwar vor, dass es dem Versorgungsträger und den Sozialgerichten zumutbar sei, durch Einholung von Befunden, Auskünften und ggf von Sachverständigengutachten den objektiven Eintrittspunkt der Schwerbehinderung von Amts wegen zu ermitteln. Dieser Rechtsgedanke sei indes nicht auf die rückwirkende Feststellung zu übertragen, wie bereits das BSG festgestellt habe. Hier gelte die Einschränkung der "Offenkundigkeit". Dieser Begriff lasse schon vom Wortsinn her eine aufwendige Ermittlung nicht zu.

15

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 SGG) einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe

16

Die Revision des Klägers ist zulässig und im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).

17

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Anspruch des Klägers auf Feststellung eines GdB mit 100, hilfsweise von wenigstens 50, schon ab Mai 2000. Diesen Anspruch verfolgt der Kläger mit seiner zulässigen Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 SGG). Entgegen der Auffassung des LSG ist der Anspruch des Klägers auf rückwirkende GdB-Feststellung nicht aus Rechtsgründen ausgeschlossen. Für die Entscheidung, ob der Anspruch begründet ist, bedarf es weiterer einzelfallbezogener Tatsachenfeststellungen, die das LSG noch zu treffen hat.

18

Der Anspruch des Klägers auf Feststellung eines GdB von mindestens 50 ab Mai 2000 und damit für Zeiten vor dem vom Beklagten angenommenen Zeitpunkt (1.4.2002) richtet sich nach dem Gesetz zur Sicherung der Eingliederung Schwerbehinderter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft (Schwerbehindertengesetz -SchwbG-) idF der Neubekanntmachung vom 26.8.1986 (BGBl I 1421, ber 1550) sowie nach den am 1.7.2001 in Kraft getretenen Vorschriften des SGB IX vom 19.6.2001 (BGBl I 1046), geändert durch das Gesetz vom 23.4.2004 (BGBl I 606).

19

Hinsichtlich der Maßstäbe für die Bestimmung des Begriffs der Behinderung ergeben sich durch die zum 1.7.2001 erfolgte Ablösung des SchwbG durch das SGB IX keine nennenswerten Unterschiede. Zwar sind die Begriffe der Behinderung und der des GdB im SGB IX anders umschrieben als zuvor in § 3 Abs 1 SchwbG, der seinem Wortlaut nach unter Behinderung die Auswirkungen einer nicht nur vorübergehenden Funktionsstörung verstand. Die nunmehr erfasste Auswirkung der Funktionsbeeinträchtigung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft (s § 2 Abs 1, § 69 Abs 1 Satz 3 SGB IX bzw Satz 4 SGB IX) entspricht indes der schon nach altem Recht ergangenen Rechtsprechung des BSG (s insgesamt BSG SozR 4-3250 § 69 Nr 2 RdNr 7). Entsprechendes gilt für den auf dem Behinderungsbegriff aufbauenden GdB (s §§ 2 Abs 1, 69 Abs 1 Satz 1 SGB IX).

20

Zwar beginnt der Status als schwerbehinderter Mensch grundsätzlich mit dem Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen (vgl BSGE 89, 79, 81 = SozR 3-3870 § 59 Nr 1 S 3). Zum Nachweis dieser Eigenschaft ist jedoch eine behördliche Feststellung erforderlich. Dementsprechend stellen die zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest (vgl § 4 Abs 1 Satz 1 SchwbG, § 69 Abs 1 Satz 1 SGB IX). Von welchem Zeitpunkt an diese Feststellung zu treffen ist, wird weder im SchwbG noch im SGB IX ausdrücklich geregelt. Hinreichende Maßgaben zur Bestimmung des Wirksamkeitsbeginns einer GdB-Feststellung lassen sich jedoch aus dem Sinn und Zweck solcher Feststellungen und dem Erfordernis einer Vermeidung unnötigen Verwaltungsaufwandes herleiten.

21

Dabei ist davon auszugehen, dass es sich um Statusfeststellungen handelt, die in einer Vielzahl von Lebensbereichen die Inanspruchnahme von Vorteilen und Nachteilsausgleichen ermöglichen sollen (vgl dazu zB BSG SozR 4-3250 § 69 Nr 8 RdNr 16). Da eine derartige Inanspruchnahme regelmäßig nicht (für längere Zeit) rückwirkend möglich ist, reicht es grundsätzlich aus, wenn die GdB-Feststellung für die Zeit ab Antragstellung erfolgt (vgl dazu BSGE 69, 14, 17 f = SozR 3-1300 § 44 Nr 3 S 9 f). Mit der Stellung des Antrags bringt nämlich der behinderte Mensch der Behörde gegenüber sein Interesse an einer verbindlichen Statusfeststellung erstmalig zum Ausdruck. Insofern ist es sachgerecht, von dem behinderten Menschen die Glaubhaftmachung eines besonderen Interesses zu verlangen, wenn er seinen GdB ausnahmsweise schon für einen vor der Antragstellung liegenden Zeitraum festgestellt haben möchte.

22

Diese aus dem SchwbG und dem SGB IX herzuleitenden rechtlichen Grundsätze haben ihren Niederschlag in den gesetzlichen und untergesetzlichen Vorschriften über die Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises gefunden. Nach § 4 Abs 5 Satz 1 SchwbG/§ 69 Abs 5 Satz 1 SGB IX stellen die zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen aufgrund einer Feststellung der Behinderung einen Ausweis über die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch, den GdB sowie ggf über weitere gesundheitliche Merkmale für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen aus. Die Einzelheiten der Ausweisausstellung sind in der nach den Vorgaben des § 4 Abs 5 SchwbG/§ 69 Abs 5 SGB IX auf der Grundlage des § 4 Abs 5 Satz 5 SchwbG/§ 70 SGB IX erlassenen SchwbAwV idF der Bekanntmachung vom 25.7.1991 (BGBl I 1739), mit späteren Änderungen zuletzt durch Art 20 Abs 8 Gesetz zur Änderung des BVG und anderer Vorschriften des Sozialen Entschädigungsrechts vom 13.12.2007 (BGBl I 2904), geregelt. Nach deren § 6 Abs 1 Nr 1 ist auf der Rückseite des Ausweises als Beginn der Gültigkeit in den Fällen des § 69 Abs 1 und 4 SGB IX der Tag des Eingangs des Antrags auf Feststellung nach diesen Vorschriften einzutragen. § 6 Abs 1 Satz 2 SchwbAwV ermöglicht darüber hinaus auf Antrag des schwerbehinderten Menschen und nach Glaubhaftmachung eines besonderen Interesses die Eintragung eines zusätzlichen, weiter zurückliegenden Datums.

23

Soweit § 6 Abs 1 Satz 2 SchwbAwV für die Eintragung des "zusätzlichen" vor dem Datum der Antragstellung liegenden Datums die "Glaubhaftmachung eines besonderen Interesses" der antragstellenden Person verlangt, ist allerdings auch dort nicht weiter bestimmt, was ein "besonderes Interesse" iS dieser Vorschrift ist. Auch eine höchstrichterliche Definition des "besonderen Interesses" ist bisher nicht erfolgt. Einige (instanzgerichtliche) Entscheidungen haben ein besonderes Interesse für den Fall verneint, dass der Antragsteller aufgrund der vor die Antragstellung zurückreichenden schwerbehindertenrechtlichen Feststellung Steuervergünstigungen wahrnehmen (LSG für das Saarland Beschluss vom 5.11.2002 - L 5 B 12/01 SB -; SG Dortmund Urteil vom 29.3.2004 - S 43 SB 20/03 -; aA LSG Rheinland-Pfalz Urteil vom 27.5.1992 - L 4 Vs 3/91 -) oder rückwirkend Kindergeld beanspruchen wollte (SG Dresden Gerichtsbescheid vom 9.12.2004 - S 7 SB 340/02 -). Demgegenüber hat das LSG in dem hier angefochtenen Urteil das besondere Interesse bejaht, soweit der Kläger mit der rückwirkenden Feststellung des GdB von mehr als 50 gemäß § 236a SGB VI die Altersrente für schwerbehinderte Menschen abschlagsfrei beziehen könnte. Gleichsinnig hat das LSG Berlin-Brandenburg das besondere Interesse des dortigen Klägers im Urteil vom 18.2.2010 - 11 SB 351/08 - beurteilt.

24

Mangels normativer Maßgaben erscheint es auch angesichts der Bedeutung der Rückwirkung der entsprechenden Feststellungen angemessen, den Begriff des besonderen Interesses nach ähnlichen Maßstäben zu bestimmen wie den Anspruch eines im Ausland lebenden behinderten Menschen auf Feststellung seines GdB in Deutschland. Grundsätzlich hat ein in Deutschland lebender behinderter Mensch nach dem System des Schwerbehindertenrechts im SGB IX Anspruch auf Feststellung des für ihn maßgeblichen GdB unabhängig davon, ob sich seine rechtliche und/oder wirtschaftliche Situation dadurch unmittelbar verbessert. Ein besonderes Feststellungsinteresse (Rechtsschutzbedürfnis) für die Zeit ab Antragstellung ist nicht erforderlich (BSG SozR 4-3250 § 69 Nr 8). Etwas anderes gilt für einen im Ausland lebenden behinderten Menschen. Nach der Rechtsprechung des BSG ist auf dessen Antrag der GdB festzustellen, wenn davon in Deutschland Vergünstigungen abhängen, die keinen Inlandswohnsitz voraussetzen (s BSG SozR 4-3250 § 69 Nr 5; BSGE 99, 9 = SozR 4-3250 § 69 Nr 6; zuletzt BSG Urteil vom 29.4.2010 - B 9 SB 1/10 R - SozialVerw 2011, 11). Ein im Ausland lebender Behinderter kann das Feststellungsverfahren nach § 4 SchwbG bzw § 69 SGB IX nur zur Ermöglichung konkreter inländischer Rechtsvorteile in Anspruch nehmen. Die Durchbrechung des Territorialitätsprinzips (§ 30 Abs 1 iVm § 37 Satz 1 SGB I) ist gerechtfertigt, wenn ihm trotz seines ausländischen Wohnsitzes aus der Feststellung seines GdB in Deutschland konkrete Vorteile erwachsen können (BSG aaO). Das BSG hat als entsprechenden Vorteil die Möglichkeit der Inanspruchnahme der gesetzlichen Altersrente für schwerbehinderte Menschen anerkannt (BSG SozR 4-3250 § 69 Nr 5; BSGE 99, 9 = SozR 4-3250 § 69 Nr 6).

25

Zu ähnlichen Ergebnissen würde eine in Anlehnung an den Begriff des Rechtsschutzinteresses bzw Rechtsschutzbedürfnisses im gerichtlichen, insbesondere sozialgerichtlichen Verfahren orientierte Definition des Begriffes des besonderen Interesses nach § 6 Abs 1 Satz 2 SchwbAwV führen. Das gerichtliche Rechtsschutzinteresse ist für einen von einer behördlichen Maßnahme betroffenen oder eine solche Maßnahme erstrebenden Bürger grundsätzlich anzunehmen, wenn er das angestrebte Ergebnis nicht auf einfachere Weise erreichen und mit der gerichtlichen Entscheidung seine rechtliche oder wirtschaftliche Stellung verbessern kann (s nur Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, vor § 51 RdNr 16a mwN).

26

Aus Anlass des vorliegend zu entscheidenden Einzelfalls bedarf es letztlich keiner abschließenden Definition des Begriffs des besonderen Interesses, denn es bestehen keinerlei Bedenken gegen die Bejahung des besonderen Interesses des Klägers durch das LSG. Die Möglichkeit des Bezuges einer abschlagsfreien Altersrente (s dazu sowie zur Berücksichtigung der rückwirkenden Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung BSG Urteil vom 29.11.2007 - B 13 R 44/07 R - SozR 4-2600 § 236a Nr 2) begründet zweifelsohne ein besonderes Interesse an der vor die Antragstellung zurückwirkenden Feststellung des GdB von 50 als Grundlage für die Feststellung der Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch (s § 2 Abs 2 SGB IX).

27

Entgegen der Auffassung des LSG ist indes für die Rückverlagerung des Zeitpunkts der Feststellung des GdB vor den Zeitpunkt der Antragstellung nicht zu fordern, dass der betreffende GdB im beanspruchten Feststellungszeitpunkt offensichtlich bereits vorgelegen hat. Eine Rechtsnorm, die dies bestimmt, existiert nicht. Insbesondere enthält § 6 SchwbAwV keine entsprechende Einschränkung. Diese Einschränkung lässt sich auch, anders als das Erfordernis eines besonderen Interesses, nicht aus den gesetzlichen Grundlagen des Schwerbehindertenrechts herleiten. Für die behördliche Erstfeststellung, dass ein GdB von 50 bereits zu einem Zeitpunkt vor der Antragstellung vorgelegen hat, ist nur die Glaubhaftmachung eines besonderen Interesses erforderlich; eine solche rückwirkende Feststellung ist nicht auf offensichtliche Fälle beschränkt.

28

Eine Beschränkung der rückwirkenden Feststellung des GdB durch ein Erfordernis der Offensichtlichkeit hat das BSG allein für den Fall angenommen, dass nach § 44 Abs 2 Satz 2 SGB X die Rücknahme einer unanfechtbar bindenden Feststellung des GdB mit Wirkung für die Vergangenheit zu prüfen ist(BSG Urteil vom 29.5.1991 - 9a/9 RVs 11/89 - BSGE 69, 14 = SozR 3-1300 § 44 Nr 3). Diese Einschränkung folgt indes nicht aus § 4 SchwbG/§ 69 SGB IX oder § 6 Abs 1 Satz 2 SchwbAwV, sondern rechtfertigt sich, wie in der Literatur zutreffend erkannt worden ist(von Steinäcker, Behindertenrecht 2006, 98, 100), allein im Hinblick auf das nach § 44 Abs 2 Satz 2 SGB X auszuübende Verwaltungsermessen. Da es bei der Feststellung des GdB nicht um Sozialleistungen geht und § 44 Abs 1 SGB X damit unanwendbar ist(BSGE 69, 14, 16 = SozR 3-1300 § 44 Nr 3 S 8 f), hat die für die Feststellungen zuständige Behörde oder Körperschaft im Falle des Vorliegens einer auf einen bestimmten Zeitpunkt bezogenen bindenden Feststellung des GdB über den Antrag auf Rückverlagerung im Überprüfungswege nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Nach § 44 Abs 2 Satz 2 SGB X kann ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden. In dem Fall, in dem die entsprechenden tatsächlichen Voraussetzungen offenkundig sind, könnte das pflichtgemäße Ermessen die rückwirkende Aufhebung der bindenden Feststellung gebieten (BSGE 69, 14, 18 = SozR 3-1300 § 44 Nr 3 S 10).

29

Im Verfahren einer Erstfeststellung, um das es sich im vorliegenden Fall handelt, beanspruchen diese aus § 44 Abs 2 Satz 2 SGB X fließenden, allein auf das Verwaltungsermessen bezogenen Grundsätze keine Gültigkeit. Hier muss die Feststellungsbehörde - bei Glaubhaftmachung eines besonderen Interesses durch den Antragsteller - uneingeschränkt prüfen und entscheiden, ob und seit wann die geltend gemachte Eigenschaft (hier: GdB von mindestens 50) schon vor der Antragstellung bestanden hat. Der entsprechende Zeitpunkt ist festzustellen.

30

Eines über die Glaubhaftmachung eines besonderen Interesses hinausgehenden besonderen Korrektivs etwa in Form der Offensichtlichkeit bedarf es auch aus anderen Gründen nicht. Entsprechende Anträge lassen sich nach Aufklärung des Sachverhalts mit den zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast behandeln (s von Steinäcker, aaO, 100).

31

Da das LSG davon ausgegangen ist, dass die rückwirkende Feststellung des GdB für Zeiten vor der Antragstellung auf offensichtliche Fälle beschränkt ist, hat es folgerichtig unterlassen, den Gesundheitszustand des Klägers in dem streitigen Zeitraum unter Ausschöpfung aller verfügbaren Beweismittel aufzuklären. Da der erkennende Senat die nach seiner Auffassung erforderlichen Ermittlungen im Revisionsverfahren nicht selbst durchführen kann (vgl § 163 SGG), ist eine Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz geboten.

32

Im wieder eröffneten Berufungsverfahren wird ua auch zu prüfen sein, ob der Kläger ein besonderes GdB-Feststellungsinteresse nur ab November 2000 oder - seinem Antrag entsprechend - schon ab Mai 2000 glaubhaft machen kann.

33

Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.

Haben Leistungsempfänger Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld oder Übergangsgeld bezogen und wird im Anschluss daran eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben ausgeführt, so wird bei der Berechnung der diese Leistungen ergänzenden Leistung zum Lebensunterhalt von dem bisher zugrunde gelegten Arbeitsentgelt ausgegangen; es gilt die für den Rehabilitationsträger jeweils geltende Beitragsbemessungsgrenze.

(1) Auf der Rückseite des Ausweises ist als Beginn der Gültigkeit des Ausweises einzutragen:

1.
in den Fällen des § 152 Absatz 1 und 4 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch der Tag des Eingangs des Antrags auf Feststellung nach diesen Vorschriften,
2.
in den Fällen des § 152 Absatz 2 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch der Tag des Eingangs des Antrags auf Ausstellung des Ausweises nach § 152 Absatz 5 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch.

(2) Die Gültigkeit des Ausweises ist für die Dauer von längstens 5 Jahren vom Monat der Ausstellung an zu befristen. In den Fällen, in denen eine Neufeststellung wegen einer wesentlichen Änderung in den gesundheitlichen Verhältnissen, die für die Feststellung maßgebend gewesen sind, nicht zu erwarten ist, kann der Ausweis unbefristet ausgestellt werden.

(3) Für schwerbehinderte Menschen unter 10 Jahren ist die Gültigkeitsdauer des Ausweises bis längstens zum Ende des Kalendermonats zu befristen, in dem das 10. Lebensjahr vollendet wird.

(4) Für schwerbehinderte Menschen im Alter zwischen 10 und 15 Jahren ist die Gültigkeitsdauer des Ausweises bis längstens zum Ende des Kalendermonats zu befristen, in dem das 20. Lebensjahr vollendet wird.

(5) Bei nichtdeutschen schwerbehinderten Menschen, deren Aufenthaltstitel, Aufenthaltsgestattung oder Arbeitserlaubnis befristet ist, ist die Gültigkeitsdauer des Ausweises längstens bis zum Ablauf des Monats der Frist zu befristen.

(6) (weggefallen)

(7) Der Kalendermonat und das Kalenderjahr, bis zu deren Ende der Ausweis gültig sein soll, sind auf der Vorderseite des Ausweises einzutragen.

Haben Leistungsempfänger Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld oder Übergangsgeld bezogen und wird im Anschluss daran eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben ausgeführt, so wird bei der Berechnung der diese Leistungen ergänzenden Leistung zum Lebensunterhalt von dem bisher zugrunde gelegten Arbeitsentgelt ausgegangen; es gilt die für den Rehabilitationsträger jeweils geltende Beitragsbemessungsgrenze.

(1) Die Leistungen zur Teilhabe umfassen die notwendigen Sozialleistungen, um unabhängig von der Ursache der Behinderung

1.
die Behinderung abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern,
2.
Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit oder Pflegebedürftigkeit zu vermeiden, zu überwinden, zu mindern oder eine Verschlimmerung zu verhüten sowie den vorzeitigen Bezug anderer Sozialleistungen zu vermeiden oder laufende Sozialleistungen zu mindern,
3.
die Teilhabe am Arbeitsleben entsprechend den Neigungen und Fähigkeiten dauerhaft zu sichern oder
4.
die persönliche Entwicklung ganzheitlich zu fördern und die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft sowie eine möglichst selbständige und selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen oder zu erleichtern.

(2) Die Leistungen zur Teilhabe werden zur Erreichung der in Absatz 1 genannten Ziele nach Maßgabe dieses Buches und der für die zuständigen Leistungsträger geltenden besonderen Vorschriften neben anderen Sozialleistungen erbracht. Die Leistungsträger erbringen die Leistungen im Rahmen der für sie geltenden Rechtsvorschriften nach Lage des Einzelfalles so vollständig, umfassend und in gleicher Qualität, dass Leistungen eines anderen Trägers möglichst nicht erforderlich werden.

(3) Leistungen für Kinder mit Behinderungen oder von Behinderung bedrohte Kinder werden so geplant und gestaltet, dass nach Möglichkeit Kinder nicht von ihrem sozialen Umfeld getrennt und gemeinsam mit Kindern ohne Behinderungen betreut werden können. Dabei werden Kinder mit Behinderungen alters- und entwicklungsentsprechend an der Planung und Ausgestaltung der einzelnen Hilfen beteiligt und ihre Sorgeberechtigten intensiv in Planung und Gestaltung der Hilfen einbezogen.

(4) Leistungen für Mütter und Väter mit Behinderungen werden gewährt, um diese bei der Versorgung und Betreuung ihrer Kinder zu unterstützen.

(1) Auf der Rückseite des Ausweises ist als Beginn der Gültigkeit des Ausweises einzutragen:

1.
in den Fällen des § 152 Absatz 1 und 4 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch der Tag des Eingangs des Antrags auf Feststellung nach diesen Vorschriften,
2.
in den Fällen des § 152 Absatz 2 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch der Tag des Eingangs des Antrags auf Ausstellung des Ausweises nach § 152 Absatz 5 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch.

(2) Die Gültigkeit des Ausweises ist für die Dauer von längstens 5 Jahren vom Monat der Ausstellung an zu befristen. In den Fällen, in denen eine Neufeststellung wegen einer wesentlichen Änderung in den gesundheitlichen Verhältnissen, die für die Feststellung maßgebend gewesen sind, nicht zu erwarten ist, kann der Ausweis unbefristet ausgestellt werden.

(3) Für schwerbehinderte Menschen unter 10 Jahren ist die Gültigkeitsdauer des Ausweises bis längstens zum Ende des Kalendermonats zu befristen, in dem das 10. Lebensjahr vollendet wird.

(4) Für schwerbehinderte Menschen im Alter zwischen 10 und 15 Jahren ist die Gültigkeitsdauer des Ausweises bis längstens zum Ende des Kalendermonats zu befristen, in dem das 20. Lebensjahr vollendet wird.

(5) Bei nichtdeutschen schwerbehinderten Menschen, deren Aufenthaltstitel, Aufenthaltsgestattung oder Arbeitserlaubnis befristet ist, ist die Gültigkeitsdauer des Ausweises längstens bis zum Ablauf des Monats der Frist zu befristen.

(6) (weggefallen)

(7) Der Kalendermonat und das Kalenderjahr, bis zu deren Ende der Ausweis gültig sein soll, sind auf der Vorderseite des Ausweises einzutragen.

(1) Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.

(2) Im Übrigen ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(3) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(4) Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag.

Haben Leistungsempfänger Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld oder Übergangsgeld bezogen und wird im Anschluss daran eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben ausgeführt, so wird bei der Berechnung der diese Leistungen ergänzenden Leistung zum Lebensunterhalt von dem bisher zugrunde gelegten Arbeitsentgelt ausgegangen; es gilt die für den Rehabilitationsträger jeweils geltende Beitragsbemessungsgrenze.

(1) Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Menschen sind von Behinderung bedroht, wenn eine Beeinträchtigung nach Satz 1 zu erwarten ist.

(2) Menschen sind im Sinne des Teils 3 schwerbehindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 156 rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben.

(3) Schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden sollen Menschen mit Behinderungen mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 156 nicht erlangen oder nicht behalten können (gleichgestellte behinderte Menschen).

Haben Leistungsempfänger Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld oder Übergangsgeld bezogen und wird im Anschluss daran eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben ausgeführt, so wird bei der Berechnung der diese Leistungen ergänzenden Leistung zum Lebensunterhalt von dem bisher zugrunde gelegten Arbeitsentgelt ausgegangen; es gilt die für den Rehabilitationsträger jeweils geltende Beitragsbemessungsgrenze.

(1) Der Grad der Schädigungsfolgen ist nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen. Der Grad der Schädigungsfolgen ist nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu fünf Grad geringerer Grad der Schädigungsfolgen wird vom höheren Zehnergrad mit umfasst. Vorübergehende Gesundheitsstörungen sind nicht zu berücksichtigen; als vorübergehend gilt ein Zeitraum bis zu sechs Monaten. Bei beschädigten Kindern und Jugendlichen ist der Grad der Schädigungsfolgen nach dem Grad zu bemessen, der sich bei Erwachsenen mit gleicher Gesundheitsstörung ergibt, soweit damit keine Schlechterstellung der Kinder und Jugendlichen verbunden ist. Für erhebliche äußere Gesundheitsschäden können Mindestgrade festgesetzt werden.

(2) Der Grad der Schädigungsfolgen ist höher zu bewerten, wenn Beschädigte durch die Art der Schädigungsfolgen im vor der Schädigung ausgeübten oder begonnenen Beruf, im nachweisbar angestrebten oder in dem Beruf besonders betroffen sind, der nach Eintritt der Schädigung ausgeübt wurde oder noch ausgeübt wird. Das ist insbesondere der Fall, wenn

1.
auf Grund der Schädigung weder der bisher ausgeübte, begonnene oder nachweisbar angestrebte noch ein sozial gleichwertiger Beruf ausgeübt werden kann,
2.
zwar der vor der Schädigung ausgeübte oder begonnene Beruf weiter ausgeübt wird oder der nachweisbar angestrebte Beruf erreicht wurde, Beschädigte jedoch in diesem Beruf durch die Art der Schädigungsfolgen in einem wesentlich höheren Ausmaß als im allgemeinen Erwerbsleben erwerbsgemindert sind, oder
3.
die Schädigung nachweisbar den weiteren Aufstieg im Beruf gehindert hat.

(3) Rentenberechtigte Beschädigte, deren Einkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit durch die Schädigungsfolgen gemindert ist, erhalten nach Anwendung des Absatzes 2 einen Berufsschadensausgleich in Höhe von 42,5 vom Hundert des auf volle Euro aufgerundeten Einkommensverlustes (Absatz 4) oder, falls dies günstiger ist, einen Berufsschadensausgleich nach Absatz 6.

(4) Einkommensverlust ist der Unterschiedsbetrag zwischen dem derzeitigen Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit zuzüglich der Ausgleichsrente (derzeitiges Einkommen) und dem höheren Vergleichseinkommen. Haben Beschädigte Anspruch auf eine in der Höhe vom Einkommen beeinflußte Rente wegen Todes nach den Vorschriften anderer Sozialleistungsbereiche, ist abweichend von Satz 1 der Berechnung des Einkommensverlustes die Ausgleichsrente zugrunde zu legen, die sich ohne Berücksichtigung dieser Rente wegen Todes ergäbe. Ist die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung gemindert, weil das Erwerbseinkommen in einem in der Vergangenheit liegenden Zeitraum, der nicht mehr als die Hälfte des Erwerbslebens umfaßt, schädigungsbedingt gemindert war, so ist die Rentenminderung abweichend von Satz 1 der Einkommensverlust. Das Ausmaß der Minderung wird ermittelt, indem der Rentenberechnung für Beschädigte Entgeltpunkte zugrunde gelegt werden, die sich ohne Berücksichtigung der Zeiten ergäben, in denen das Erwerbseinkommen der Beschädigten schädigungsbedingt gemindert ist.

(5) Das Vergleichseinkommen errechnet sich nach den Sätzen 2 bis 5. Zur Ermittlung des Durchschnittseinkommens sind die Grundgehälter der Besoldungsgruppen der Bundesbesoldungsordnung A aus den vorletzten drei der Anpassung vorangegangenen Kalenderjahren heranzuziehen. Beträge des Durchschnittseinkommens bis 0,49 Euro sind auf volle Euro abzurunden und von 0,50 Euro an auf volle Euro aufzurunden. Der Mittelwert aus den drei Jahren ist um den Prozentsatz anzupassen, der sich aus der Summe der für die Rentenanpassung des laufenden Jahres sowie des Vorjahres maßgebenden Veränderungsraten der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer (§ 68 Absatz 2 in Verbindung mit § 228b des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch) ergibt; die Veränderungsraten werden jeweils bestimmt, indem der Faktor für die Veränderung der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer um eins vermindert und durch Vervielfältigung mit 100 in einen Prozentsatz umgerechnet wird. Das Vergleichseinkommen wird zum 1. Juli eines jeden Jahres neu festgesetzt; wenn das nach den Sätzen 1 bis 6 errechnete Vergleichseinkommen geringer ist, als das bisherige Vergleichseinkommen, bleibt es unverändert. Es ist durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales zu ermitteln und im Bundesanzeiger bekanntzugeben; die Beträge sind auf volle Euro aufzurunden. Abweichend von den Sätzen 1 bis 5 sind die Vergleichseinkommen der Tabellen 1 bis 4 der Bekanntmachung vom 14. Mai 1996 (BAnz. S. 6419) für die Zeit vom 1. Juli 1997 bis 30. Juni 1998 durch Anpassung der dort veröffentlichten Werte mit dem Vomhundertsatz zu ermitteln, der in § 56 Absatz 1 Satz 1 bestimmt ist; Satz 6 zweiter Halbsatz gilt entsprechend.

(6) Berufsschadensausgleich nach Absatz 3 letzter Satzteil ist der Nettobetrag des Vergleicheinkommens (Absatz 7) abzüglich des Nettoeinkommens aus gegenwärtiger oder früherer Erwerbstätigkeit (Absatz 8), der Ausgleichsrente (§§ 32, 33) und des Ehegattenzuschlages (§ 33a). Absatz 4 Satz 2 gilt entsprechend.

(7) Der Nettobetrag des Vergleichseinkommens wird bei Beschädigten, die nach dem 30. Juni 1927 geboren sind, für die Zeit bis zum Ablauf des Monats, in dem sie auch ohne die Schädigung aus dem Erwerbsleben ausgeschieden wären, längstens jedoch bis zum Ablauf des Monats, in dem der Beschädigte die Regelaltersgrenze nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch erreicht, pauschal ermittelt, indem das Vergleichseinkommen

1.
bei verheirateten Beschädigten um 18 vom Hundert, der 716 Euro übersteigende Teil um 36 vom Hundert und der 1 790 Euro übersteigende Teil um 40 vom Hundert,
2.
bei nicht verheirateten Beschädigten um 18 vom Hundert, der 460 Euro übersteigende Teil um 40 vom Hundert und der 1 380 Euro übersteigende Teil um 49 vom Hundert
gemindert wird. Im übrigen gelten 50 vom Hundert des Vergleichseinkommens als dessen Nettobetrag.

(8) Das Nettoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Erwerbstätigkeit wird pauschal aus dem derzeitigen Bruttoeinkommen ermittelt, indem

1.
das Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger Erwerbstätigkeit um die in Absatz 7 Satz 1 Nr. 1 und 2 genannten Vomhundertsätze gemindert wird,
2.
Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung sowie Renten wegen Alters, Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und Landabgaberenten nach dem Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte um den Vomhundertsatz gemindert werden, der für die Bemessung des Beitrags der sozialen Pflegeversicherung (§ 55 des Elften Buches Sozialgesetzbuch) gilt, und um die Hälfte des Vomhundertsatzes des allgemeinen Beitragssatzes der Krankenkassen (§ 241 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch); die zum 1. Januar festgestellten Beitragssätze gelten insoweit jeweils vom 1. Juli des laufenden Kalenderjahres bis zum 30. Juni des folgenden Kalenderjahres,
3.
sonstige Geldleistungen von Leistungsträgern (§ 12 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch) mit dem Nettobetrag berücksichtigt werden und
4.
das übrige Bruttoeinkommen um die in Nummer 2 genannten Vomhundertsätze und zusätzlich um 19 vom Hundert des 562 Euro übersteigenden Betrages gemindert wird; Nummer 2 letzter Halbsatz gilt entsprechend.
In den Fällen des Absatzes 11 tritt an die Stelle des Nettoeinkommens im Sinne des Satzes 1 der nach Absatz 7 ermittelte Nettobetrag des Durchschnittseinkommens.

(9) Berufsschadensausgleich nach Absatz 6 wird in den Fällen einer Rentenminderung im Sinne des Absatzes 4 Satz 3 nur gezahlt, wenn die Zeiten des Erwerbslebens, in denen das Erwerbseinkommen nicht schädigungsbedingt gemindert war, von einem gesetzlichen oder einem gleichwertigen Alterssicherungssystem erfaßt sind.

(10) Der Berufsschadensausgleich wird ausschließlich nach Absatz 6 berechnet, wenn der Antrag erstmalig nach dem 21. Dezember 2007 gestellt wird. Im Übrigen trifft die zuständige Behörde letztmalig zum Stichtag nach Satz 1 die Günstigkeitsfeststellung nach Absatz 3 und legt damit die für die Zukunft anzuwendende Berechnungsart fest.

(11) Wird durch nachträgliche schädigungsunabhängige Einwirkungen oder Ereignisse, insbesondere durch das Hinzutreten einer schädigungsunabhängigen Gesundheitsstörung das Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger Tätigkeit voraussichtlich auf Dauer gemindert (Nachschaden), gilt statt dessen als Einkommen das Grundgehalt der Besoldungsgruppe der Bundesbesoldungsordnung A, der der oder die Beschädigte ohne den Nachschaden zugeordnet würde; Arbeitslosigkeit oder altersbedingtes Ausscheiden aus dem Erwerbsleben gilt grundsätzlich nicht als Nachschaden. Tritt nach dem Nachschaden ein weiterer schädigungsbedingter Einkommensverlust ein, ist dieses Durchschnittseinkommen entsprechend zu mindern. Scheidet dagegen der oder die Beschädigte schädigungsbedingt aus dem Erwerbsleben aus, wird der Berufsschadensausgleich nach den Absätzen 3 bis 8 errechnet.

(12) Rentenberechtigte Beschädigte, die einen gemeinsamen Haushalt mit ihrem Ehegatten oder Lebenspartners, einem Verwandten oder einem Stief- oder Pflegekind führen oder ohne die Schädigung zu führen hätten, erhalten als Berufsschadensausgleich einen Betrag in Höhe der Hälfte der wegen der Folgen der Schädigung notwendigen Mehraufwendungen bei der Führung des gemeinsamen Haushalts.

(13) Ist die Grundrente wegen besonderen beruflichen Betroffenseins erhöht worden, so ruht der Anspruch auf Berufsschadensausgleich in Höhe des durch die Erhöhung der Grundrente nach § 31 Abs. 1 Satz 1 erzielten Mehrbetrags. Entsprechendes gilt, wenn die Grundrente nach § 31 Abs. 4 Satz 2 erhöht worden ist.

(14) Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates zu bestimmen:

a)
welche Vergleichsgrundlage und in welcher Weise sie zur Ermittlung des Einkommensverlustes heranzuziehen ist,
b)
wie der Einkommensverlust bei einer vor Abschluß der Schulausbildung oder vor Beginn der Berufsausbildung erlittenen Schädigung zu ermitteln ist,
c)
wie der Berufsschadensausgleich festzustellen ist, wenn der Beschädigte ohne die Schädigung neben einer beruflichen Tätigkeit weitere berufliche Tätigkeiten ausgeübt oder einen gemeinsamen Haushalt im Sinne des Absatzes 12 geführt hätte,
d)
was als derzeitiges Bruttoeinkommen oder als Durchschnittseinkommen im Sinne des Absatzes 11 und des § 64c Abs. 2 Satz 2 und 3 gilt und welche Einkünfte bei der Ermittlung des Einkommensverlustes nicht berücksichtigt werden,
e)
wie in besonderen Fällen das Nettoeinkommen abweichend von Absatz 8 Satz 1 Nr. 3 und 4 zu ermitteln ist.

(15) Ist vor dem 1. Juli 1989 bereits über den Anspruch auf Berufsschadensausgleich für die Zeit nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben entschieden worden, so verbleibt es hinsichtlich der Frage, ob Absatz 4 Satz 1 oder 3 anzuwenden ist, bei der getroffenen Entscheidung.

(16) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Verteidigung und mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des Absatzes 1 maßgebend sind, sowie die für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung nach § 1 Abs. 3 maßgebenden Grundsätze und die Kriterien für die Bewertung der Hilflosigkeit und der Stufen der Pflegezulage nach § 35 Abs. 1 aufzustellen und das Verfahren für deren Ermittlung und Fortentwicklung zu regeln.

Haben Leistungsempfänger Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld oder Übergangsgeld bezogen und wird im Anschluss daran eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben ausgeführt, so wird bei der Berechnung der diese Leistungen ergänzenden Leistung zum Lebensunterhalt von dem bisher zugrunde gelegten Arbeitsentgelt ausgegangen; es gilt die für den Rehabilitationsträger jeweils geltende Beitragsbemessungsgrenze.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.