Landgericht Köln Urteil, 29. Mai 2015 - 89 O 14/15
Tenor
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 208.148,41 € nebst Zinsen in Höhe von 5% vom 1.4.2014 bis 9.3.2015 und in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.3.2015 zu bezahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 37% und die Beklagte zu 63%.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
1
Tatbestand:
2Der Kläger war vom 1.7.1981 bis zum 31.12.2002 als Angestellter im Außendienst und seit dem 1.1.2003 als Handelsvertreter im Ausschließlichkeitsverhältnis für die Beklagte tätig. Zuletzt wurden die Rechte und Pflichten des Vertreterverhältnisses in dem Vertretervertrag vom 13.12.2008 geregelt. Gemäß Ziffer 13 Abs. 3 des dem Vertreterverhältnisses zugrunde liegenden Vertrages ist vereinbart, dass sich der Ausgleichsanspruch nach den „Grundsätzen zur Errechnung der Höhe des Ausgleichsanspruch“ (im Folgenden: „Grundsätze“ bzw. „Grundsätze-Sach“) ermittelt. Der Kläger schied altersbedingt zum 31.3.2013 bei der Beklagten aus.
3Mit Schreiben vom 3.5.2013 berechnete die Beklagte den Ausgleichsanspruch des Klägers. Die Berechnung weist unter Abzug für die betriebliche Altersvorsorge in Höhe von 17.046,00 € einen verbleibenden Ausgleichsanspruch in Höhe von 174.299,03 € aus. Diesen zahlte die Beklagte an den Kläger.
4Die Beklagte geht dabei in ihrer Abrechnung unter Zugrundelegung der „Grundsätze-Sach“ wie folgt vor: Von dem im maßgeblichen Berechnungszeitraum aktuell vorhandenen Bestand des Klägers zieht sie den nach ihrem Vortrag ursprünglich übertragenen Bestand unabhängig davon ab, ob er im Berechnungszeitraum noch vorhanden ist. Den verbleibenden Bestand berücksichtigt sie mit 100%, den zunächst abgezogenen Bestand teilweise gar nicht, teilweise mit unterschiedlichen Quoten (sogenannte Bruttodifferenzmethode). Bei der Ermittlung des Tätigkeitsfaktors bezieht sie die Angestelltenzeit des Klägers nicht ein.
5Der Kläger bestreitet den Umfang der von der Beklagten behaupteten Bestandübertragungen für den Bereich SHUR. Er vertritt zudem die Ansicht, dass die von der Beklagten angewandte Bruttodifferenzmethode nicht zu einer richtigen Berechnung entsprechend der „Grundsätze“ führe. Übertragene Bestände könnten vielmehr nur dann abgezogen werden, wenn sie in dem für die Berechnung maßgeblichen Zeitraum noch vorhanden sind. Dazu vertritt der Kläger die Ansicht, dass die Beklagte für den Umfang der Abzugsfähigkeit von übertragenen Beständen die Darlegungs- und Beweislast trage, da er nicht feststellen könne, in welchem Umfang übertragener Bestand im Berechnungszeitraum noch vorhanden war. Der Kläger ist weiter der Ansicht, dass bei der Ermittlung des Tätigkeitsfaktors seine Angestelltenzeit bei der Beklagten einzubeziehen ist, so dass sich der Tätigkeitsfaktor 6 ergebe. Der Kläger berechnet den Ausgleichsanspruch ohne Abzug wegen erfolgter Bestandsübertragungen in dem Bereich SHUR und unter Berücksichtigung des Tätigkeitsfaktors 6 abweichend mit 501.449,00 €.
6Der Kläger beantragt,
7die Beklagte zu verurteilen, an ihn 327.149,97 € zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5% per anno vom 1.4.2013 bis 9.3.2015 und ab 10.3.2015 in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu bezahlen.
8Die Beklagte beantragt,
9die Klage abzuweisen.
10Die Beklagte behauptet, dass die von ihr vorgenommene Ausgleichsberechnung entsprechend der „Grundsätze“ korrekt durchgeführt worden sei. Der dem Kläger übertragene Bestand ergebe sich bereits aus den vertraglichen Vereinbarungen der Parteien. Im Übrigen seien dem Kläger bei Übertragung Bestandslisten übergeben worden. Die Beklagte ist der Ansicht, dass es hinsichtlich des Abzuges wegen übertragenen Bestandes nicht darauf ankomme, ob dieser im Berechnungszeitraum noch vorhanden ist. Schon aus Praktikabilitätsgründen könne dies keine Rolle spielen. Durch die „Grundsätze“ sollte gerade eine einfache Berechnungsmethode geschaffen werden. Es komme lediglich darauf an, wie lange die Bestandsübertragung zurückliege. Weiter ist die Beklagte der Ansicht, dass bei der Ermittlung des Tätigkeitsfaktors die Angestelltenzeit des Klägers nicht berücksichtigt werden könne, so dass sie ihrer Berechnung zu Recht den Tätigkeitsfaktor 3 zugrunde gelegt habe.
11Entscheidungsgründe:
12Die Klage ist zulässig und teilweise begründet.
13Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein noch offener Ausgleichsanspruch in Höhe von 208.148,41 € gemäß § 89 b HGB zu.
14Die Parteien stimmen zunächst zu Recht darin überein, dass dem Kläger ein Ausgleichsanspruch zusteht. Ebenfalls unstreitig ist, dass bei der Berechnung des Ausgleichsanspruchs die „Grundsätze“ anzuwenden sind. Weiterhin ist die Richtigkeit der Berechnung der Beklagten bezüglich des Ausgleichsanspruchs für die Bereiche „Leben“ in Höhe von 5.946,29 € und „Kfz“ in Höhe von 35.051,96 € unstreitig. Streitig ist die Berechnung für den Bereich SHUR. Auch insoweit ist zwischen den Parteien wiederum unstreitig, dass als Basiswert der Berechnung (in der Berechnung der Parteien bezeichnet mit: Summe SHUR (Jahresschnitt gesamt)) für den Bereich SHUR ein Betrag von 158.670,50 € heranzuziehen ist, wobei nach den „Grundsätzen-Sach“ im Bereich SHUR 50%, mithin 79.335,25 € in Ansatz zu bringen sind. Streitig ist somit neben dem anzuwendenden Tätigkeitsfaktor nur, ob die Beklagte in ihrer Berechnung den Abzug wegen eines an den Kläger übertragenen Bestandes zu Recht vorgenommen hat.
15Dabei kann sich die Übertragung von bestehenden Versicherungsverträgen in den Bestand des Versicherungsvertreters durch das Versicherungsunternehmen abhängig davon, wie lange die Bestandsübertragung zurückliegt, auf die Höhe des nach den „Grundsätzen“ zu berechnenden Ausgleichsanspruchs auswirken. Das ergibt sich für den Bereich SHUR aus Ziffer I.2. der „Grundsätze-Sach“. Danach gilt Folgendes: Ist der Bestand dem Versicherungsvertreter vor mehr als 20 Jahren übertragen worden, ist er vollumfänglich bei der Berechnung zu berücksichtigen, ein Abzug also nicht vorzunehmen. Ist die Übertragung vor mehr als 15 Jahren aber weniger als 20 Jahren erfolgt, ist der Bestand mit einer Quote von 66,66% zu berücksichtigen. Liegt die Übertragung des Bestandes mehr als 10 Jahre aber weniger als 15 Jahre zurück, ist der Bestand mit einer Quote von 33,33% zu berücksichtigen und ist die Übertragung vor weniger als 10 Jahren erfolgt muss dieser Bestand völlig unberücksichtigt bleiben. Diese in den „Grundsätzen-Sach“ festgelegte Quotenregelung zur Berücksichtigung des übertragenen Bestandes trägt dem Umstand Rechnung, dass bei langer Betreuung eines übertragenen Bestandes davon auszugehen ist, dass der Bestandserhalt mit zunehmender Betreuungsdauer auf den Versicherungsvertreter zurückzuführen ist und damit die übertragenen Verträge zunehmend den Charakter von von dem Versicherungsvertreter selbst vermittelten Verträge annehmen. Das entspricht der Berücksichtigung von „intensivierten Altkunden“ bei der Berechnung des Ausgleichsanspruchs des Warenvertreters. Die Quotenregelung in den „Grundsätzen“ soll somit lediglich sicherstellen, dass auch von dem Versicherungsvertreter zwar nicht geworbene, aber erweiterte Verträge bei der Berechnung mit einfließen (vgl. Küstner in Küstner/Thume, Handbuch des gesamten Außendienstrechts, 8 Auflage, VI Rz. 91).
16Allerdings kann die entsprechende Quote nicht einfach von dem seinerzeit übertragenen Bestand gebildet werden, wie die Beklagte dies in ihrer Berechnung unter Anwendung der sogenannten Bruttodifferenzmethode tut. Denn Abzüge wegen einer früheren Bestandsübertragung können nur dann und in dem Umfang vorgenommen werden, soweit der übertragene Bestand in dem der Berechnung zugrundeliegenden Basiswert (Jahresschnitt) noch enthalten ist (Küstner in Küstner/Thume, Handbuch des gesamten Außendienstrechts, 8 Auflage, XX Rz. 102 ff.; Landgericht Nürnberg-Fürth, Urteil vom 1.3.2013 5 HK O 8765/12; OLG Stuttgart, Beschluss vom 29.11.2012 3 U 19/12; Hopt in Handelsvertreterrecht, 4. Aufl., S. 305). Das ergibt sich schon aus dem Wortlaut und der Systematik der „Grundsätze“. In Ziffer 1.1 der „Grundsätze-Sach“ ist ausdrücklich geregelt, welche konkreten Provisionen, die der Versicherungsvertreter erhalten hat, bei der Ausgleichsberechnung zu berücksichtigen sind. Daran schließt sich die Regelung bezüglich übertragenem Bestand in Ziffer I.2. an, in der es heißt: „Provisionen aus Bestandsübertragungen werden … berücksichtigt“. Daraus ergibt sich, dass nur tatsächlich aus übertragenem Bestand an den Versicherungsvertreter gezahlte Provisionen (ganz, teilweise oder gar nicht – je nach Betreuungszeit) bei der Ausgleichsberechnung berücksichtigt werden können. Es kann also nur um solche übertragenen Verträge gehen, die im maßgeblichen Berechnungszeitraum (gemäß Ziffer I.1. die letzten 5 Vertragsjahre) noch vorhanden waren und aus denen der Versicherungsvertreter in diesem Zeitraum (nach Ziffer I.1. zu berücksichtigende) Provisionen erhalten hat. Im Übrigen ergibt sich die Richtigkeit der hier vertretenen Auffassung auch daraus, dass Sinn und Zweck der Reglung in den „Grundsätzen“, wonach auch Provisionen aus ursprünglich übertragenem Bestand nach längerer Betreuungszeit teilweise oder ganz bei der Berechnung des Ausgleichsanspruchs zu berücksichtigen sind, gerade darin liegen, dass – wie beim Warenvertreter – neben dem selbst geworbenen Bestand auch intensivierter Bestand zu berücksichtigen ist (s.o.). Dieser wird dabei in den „Grundsätzen“ pauschal nach Quoten in Verbindung mit der Betreuungszeit und damit vereinfacht berechnet, so dass nicht bei jedem einzelnen Vertrag eine Intensivierung geprüft werden muss. Die andere, von der Beklagten vertretene Ansicht, also die Berücksichtigung jeweils des ursprünglich übertragenen Bestandes unabhängig davon, ob er in dem Bestand, der Grundlage der Berechnung des Jahresschnitts ist, noch enthalten ist, kann auch aus einem weiteren Grund nicht überzeugen. Würde man dieser Ansicht folgen, könnte es zu dem unvertretbaren Ergebnis kommen, dass der Vertreter aus einem Teil oder sogar aus dem gesamten von ihm selbst erarbeiteten Bestand, also der Differenz zwischen dem aktuellen Bestand und dem jeweils noch vorhandenen übertragenen Bestand keinen Ausgleichsanspruch erhalten würde, weil übertragener Bestand, der im Berechnungszeitraum nicht mehr vorhanden ist, dennoch abzuziehen wäre und so den Ausgleich für selbst aufgebauten Bestand schmälern oder sogar ganz ausschließen könnte. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass dann, wenn übertragener Bestand nach der Regelung in Ziffer I.2 der „Grundsätze-Sach“ vollständig zu Gunsten des Versicherungsvertreters zu berücksichtigen ist – also die Bestandsübertragung mehr als 20 Jahre zurückliegt -, das auch nur für den noch vorhandenen Bestand gilt, aus dem der Versicherungsvertreter im Berechnungszeitraum tatsächlich Provisionen erzielt hat, und nicht im vollen Umfang, in dem der Bestand ursprünglich übertragen worden ist (vgl. Küstner, a.a.O. Rz 104). Das von der Beklagten bemühte und im Grundsatz richtige Argument, dass die „Grundsätze“ eine einfache Berechnung ermöglichen sollen, kann die Anwendung der Bruttodifferenzmethode nicht rechtfertigen, da sich eine solche „Vereinfachung“, wie sie von der Beklagten vertreten wird, nur zum Nachteil des Versicherungsvertreters, nicht aber auch zu seinem Vorteil auswirken kann (s.o.). Soweit die Beklagte zu Recht darauf hinweist, dass die „Grundsätze“ nur in ihrer Gesamtheit angewendet werden können, steht das der hier vertretenen Auffassung nicht entgegen, da sich diese – wie dargelegt – unmittelbar aus den „Grundsätzen-Sach“ ergibt.
17Nach alledem wäre ein (vollständiger oder teilweiser) Abzug also nicht daran zu orientieren, in welchem Umfang der Bestand ursprünglich auf den Kläger übertragen worden ist, sondern daran, in welchem Umfang dieser seinerzeit übertragene Bestand in die Berechnung des Jahresschnitts eingeflossen ist. Hier ist nicht bekannt, in welchem Umfang von der Beklagten an den Kläger übertragener Bestand, der im Berechnungszeitraum noch vorhanden war, in die Berechnung des Basiswertes (Jahresschnitt) eingeflossen ist, so dass ein etwa vorzunehmender Abzug wegen Bestandsübertragungen nicht vorgenommen werden kann. Das geht zu Lasten der Beklagten. Allerdings trägt grundsätzlich der Kläger die Darlegungs- und Beweislast dafür, in welchem Umfang übertragener Bestand in die Berechnung eingeflossen ist und welche Abzüge demzufolge nach der Regelung der „Grundsätze“ vorzunehmen ist, da grundsätzlich der Kläger den Ausgleichsanspruch berechnen muss (vgl. Landgericht Nürnberg-Fürth, a.a.O. m.w.N.). Allerdings trifft nach den allgemeinen Grundsätzen aber den Gegner einer darlegungspflichtigen Partei, die außerhalb des von ihr darzulegenden Geschehensablaufs steht und keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Tatsachen hat, wenn dieser die Kenntnisse hat und ihm entsprechende Angaben zumutbar sind, die sekundäre Darlegungslast (vgl. Zöller-Greger, ZPO, zu § 138 Rz. 8b). Wenn also dem Versicherungsvertreter mangels eigener aussagekräftiger Unterlagen eine substantiierte Darlegung dazu, welche der übertragenen Verträge im Berechnungszeitpunkt noch vorhanden waren, unmöglich ist, hat der Versicherungsunternehmer den Sachverhalt, aus dem sich der unveränderte Fortbestand der übertragenen Bestände ergeben soll, im Rahmen der sekundären Darlegungslast darzulegen (vgl. Küstner/Thume, a.a.O.). Hier hat der Kläger nachvollziehbar vorgetragen, dass er eine solche Berechnung nicht vornehmen kann, da er keine Kenntnisse darüber hat, welche konkreten Verträge seinerzeit übertragen worden sind und in welchem Umfang diese in dem Berechnungszeitraum noch in seinem Bestand waren. Soweit die Beklagte dem mit dem Hinweis entgegen getreten ist, dass dem Kläger seinerzeit Bestandslisten ausgehändigt worden seien, ergibt sich – diesen bestrittenen Vortrag als richtig unterstellt - daraus nichts anderes. Die Beklagte konnte – auch auf ausdrückliche Nachfrage der Kammer – nicht darlegen, dass und wie sich aus diesen Bestandslisten die notwendigen Daten entnehmen lassen. Zumindest Teile der dazu notwendigen Informationen gehen aus den Listen nicht hervor. So weisen sie z.B. nur die den Versicherten zugewiesene Personalnummern, nicht aber die einzelnen, mit diesen Versicherungsnehmern bestehenden Verträge aus. Allein aus den dem Kläger erteilten Abrechnungen in Verbindung mi den im Prozess vorgelegten Listen, lassen sich die notwendigen Informationen somit nicht ableiten. Hinzu kommt, dass es sich hier um eine eigene Berechnung der Beklagten handelt. Vor diesem Hintergrund trägt die Beklagte die sekundäre Darlegungslast hinsichtlich des Umstandes, in welchem Umfang seinerzeit übertragener und noch vorhandener Bestand in die Berechnung des Basiswertes eingeflossen ist. Die entsprechenden Angaben sind der Beklagten auch zumutbar. Sie verfügt zwangsläufig über Daten zu allen übertragenen Verträgen. Die die Beklagte treffende sekundäre Darlegungslast entfällt hier auch nicht deshalb, weil sich der Kläger die ihr fehlenden Kenntnisse durch die Anforderung eines Buchauszuges nach § 89 c Abs. 2 HGB oder die Geltendmachung eines Auskunftsanspruchs verschaffen könnte (vgl. Landgericht Nürnberg-Fürth, a.a.O., m.w.N.). Nach alledem bleibt es dabei, dass die Beklagte die sekundäre Darlegungslast dafür trägt, welche der übertragenen Bestände im Berechnungszeitraum noch vorhanden und in die Berechnung eingeflossen und damit möglicherweise ganz oder quotal abzuziehen sind. Dieser Darlegungslast hat die Beklagte nicht genügt. Sie hat dazu nichts vorgetragen. Somit gilt insoweit die Berechnung der Klägerin gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden. Es ist daher für den Bereich SHUR ein Abzug für übertragenen Bestand nicht vorzunehmen, so dass sich ausgehend von dem unstreitigen Jahresschnitt in Höhe von 158.670,50 € unter Berücksichtigung von 50% für den Bereich SHUR, also 79.335,25 € ergibt, der mit dem Tätigkeitsfaktor zu multiplizieren ist.
18Soweit der Kläger der Auffassung ist, dass dieser Wert mit dem Tätigkeitsfaktor 6 zu multiplizieren ist, kann dem allerdings nicht gefolgt werden.
19Der vorgenannte Betrag ist nach Ziff. II. der „Grundsätze-Sach“ für den Bereich SHUR vielmehr mit dem Tätigkeitsfaktor 4,5 zu multiplizieren. Dabei ist bei der Ermittlung des anzuwendenden Tätigkeitsfaktors zunächst die Zeit einzurechnen, die der Kläger als hauptberuflicher, selbständiger Versicherungsvertreter für die Beklagte tätig war, also die Zeit vom 1.1.2003 bis zum 31.3.2013. Das ergibt sich bereits nach dem Wortlaut der Regelung in Ziffer II. der „Grundsätze“ und ist zwischen den Parteien unstreitig.
20Darüber hinaus kommt aber grundsätzlich auch die Berücksichtigung der Zeit der Angestelltentätigkeit des Klägers im Außendient der Beklagten bei der Ermittlung des Tätigkeitsfaktors in Betracht. Zwar steht dem zunächst der Wortlaut der Grundsätze entgegen, in denen auf die Zeit als hauptamtlicher selbständiger Versicherungsvertreter abgestellt wird (s.o.). Die Kammer folgt hier aber der Empfehlung zur Auslegung der „Grundsätze“ in dem Schreiben des Gesamtverbandes der Versicherungswirtschaft vom 14.11.1972 an die Vorstände der Mitgliedsunternehmen und Mitgliedsverbände (abgedruckt bei Küstner/Thume, Handbuch des gesamten Außendienstrechts, Band 2, 8. Auflage Anhang 10) (im Folgenden: Empfehlungen des Gesamtverbandes)). Darin heißt es: „Bei der Errechnung der Höhe eines Ausgleichsanspruchs dürfte es in der Regel gerechtfertigt sein, eine Tätigkeit des Vertreters für das ausgleichspflichtige Unternehmen als Angestellter im Versicherungsaußendienst bei Anwendung der Multiplikatorenstaffel unter II. mitzuberücksichtigen …“. Zwar mögen die Hinweise und Empfehlungen in diesem Schreiben für die Parteien nicht verbindlich sein, sie zeigen aber, wie der Gesamtverband der Versicherungswirtschaft die Regelung in Ziffer II. der „Grundsätze-Sach“ auslegt. Dem ist zu folgen (so. auch Küstner in Küstner/Thume, Handbuch des gesamten Außendienstrechts, Band 2, 8. Auflage, XX Rz. 146).
21Allerdings hält diese Empfehlung die Berücksichtigung einer etwaigen Angestelltentätigkeit im Außendienst des späteren Prinzipalen nur „in der Regel“ für gerechtfertigt. Eine solche Berücksichtigung darf also nicht zu einem unbilligen Ergebnis führen. Das wäre zum Beispiel dann der Fall, wenn ein Missverhältnis zwischen der Dauer der Angestelltentätigkeit einerseits und der Tätigkeit als selbständiger Versicherungsvertreter andererseits besteht, also zum Beispiel die Angestelltentätigkeit einen sehr langen Zeitraum, die Tätigkeit als Versicherungsvertreter hingegen nur sehr kurz angedauert hat. Bei einem solchen Missverhältnis verschiebt sich der Schwerpunkt der Tätigkeit zwischen der grundsätzlich ausgleichspflichtigen Vertretertätigkeit und der grundsätzlich nicht ausgleichspflichtigen Außendiensttätigkeit im Angestelltenverhältnis. Ein solches Missverhältnis liegt nach Ansicht der Kammer – wenn nicht besondere Umstände vorliegen, was hier nicht der Fall ist – immer dann vor, wenn die Angestelltentätigkeit länger als die Hälfte der Zeit als selbständiger Versicherungsvertreter angedauert hat. Es kann, den Empfehlungen des Gesamtverbandes folgend, also unter Billigkeitserwägungen eine Angestelltenzeit, wenn nicht besondere Umstände etwas anderes rechtfertigen, nur im Umfang der Hälfte der Zeit der Tätigkeit als hauptamtlicher, selbständiger Versicherungsvertreter bei der Berechnung des Tätigkeitsfaktors nach Ziffer II. der „Grundsätze“ berücksichtigt werden. Hier betrug die Zeit, in der der Kläger für die Beklagte als selbständiger Versicherungsvertreter tätig war 10 Jahre und 3 Monate. Da der Kläger mehr als 20 Jahre als angestellter der Beklagten im Außendienst tätig war, kann hier nach den oben dargelegten Grundsätzen nur eine Zeit von 5 Jahren und 1,5 Monaten berücksichtigt werden. Schlägt man diese der Tätigkeitszeit des Klägers als selbständiger Handelsvertreter zu, ergibt sich ein berücksichtigungsfähiger Zeitraum von 15 Jahren und 4,5 Monaten, so dass sich nach den Regelungen in Ziffer II der „Grundsätze-Sach“ ein anzuwendender Tätigkeitsfaktor von 4,5 ergibt. Für den Bereich SHUR errechnet sich somit ein Ausgleichsanspruch in Höhe von 357.008,62 € (79.335,25 € x 4,5).
22Somit beträgt der Ausgleichsanspruch des Klägers 357.008,62 € (SHUR) + 35.051,96 € (Kfz) + 7.432,86 (Leben) = 399.493,44 €. Davon ist unstreitig ein Betrag wegen der gewährten betrieblichen Altersvorsorge in Höhe von 17.046,00 € sowie der auf den Ausgleichsanspruch von der Beklagten bereits gezahlte Betrag in Höhe von 174.299,03 € abzuziehen, so dass ein offener Betrag in Höhe von 208.148,41 € verbleibt.
23Der nicht nachgelassene Schriftsatz der Beklagten vom 22.5.2015 gibt keinen Anlass für eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung.
24Der Zinsanspruch ergibt sich für die Zeit vom 1.4.2013 bis 9.3.2015 aus § 352 HGB, der weitere Zinsanspruch ergibt sich aus Verzug.
25Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.
26Streitwert: 327.149,97 €
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(1) Die Parteien haben ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß abzugeben.
(2) Jede Partei hat sich über die von dem Gegner behaupteten Tatsachen zu erklären.
(3) Tatsachen, die nicht ausdrücklich bestritten werden, sind als zugestanden anzusehen, wenn nicht die Absicht, sie bestreiten zu wollen, aus den übrigen Erklärungen der Partei hervorgeht.
(4) Eine Erklärung mit Nichtwissen ist nur über Tatsachen zulässig, die weder eigene Handlungen der Partei noch Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen sind.
(1) Die Höhe der gesetzlichen Zinsen, mit Ausnahme der Verzugszinsen, ist bei beiderseitigen Handelsgeschäften fünf vom Hundert für das Jahr. Das gleiche gilt, wenn für eine Schuld aus einem solchen Handelsgeschäfte Zinsen ohne Bestimmung des Zinsfußes versprochen sind.
(2) Ist in diesem Gesetzbuche die Verpflichtung zur Zahlung von Zinsen ohne Bestimmung der Höhe ausgesprochen, so sind darunter Zinsen zu fünf vom Hundert für das Jahr zu verstehen.
(1) Wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jeder Partei zur Hälfte zur Last.
(2) Das Gericht kann der einen Partei die gesamten Prozesskosten auferlegen, wenn
- 1.
die Zuvielforderung der anderen Partei verhältnismäßig geringfügig war und keine oder nur geringfügig höhere Kosten veranlasst hat oder - 2.
der Betrag der Forderung der anderen Partei von der Festsetzung durch richterliches Ermessen, von der Ermittlung durch Sachverständige oder von einer gegenseitigen Berechnung abhängig war.
Andere Urteile sind gegen eine der Höhe nach zu bestimmende Sicherheit für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Soweit wegen einer Geldforderung zu vollstrecken ist, genügt es, wenn die Höhe der Sicherheitsleistung in einem bestimmten Verhältnis zur Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages angegeben wird. Handelt es sich um ein Urteil, das ein Versäumnisurteil aufrechterhält, so ist auszusprechen, dass die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil nur gegen Leistung der Sicherheit fortgesetzt werden darf.