Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz Urteil, 20. März 2012 - 3 Sa 505/11

ECLI:ECLI:DE:LAGRLP:2012:0320.3SA505.11.0A
bei uns veröffentlicht am20.03.2012

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 21.07.2011 - 9 Ca 1297/10 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.

2

Die Beklagte fertigt medizinische (Einweg-)Produkte (z.B. Absaugschläuche) für den Einsatz in Krankenhäusern, Sanitätshäusern, Apotheken und im Homecare-Bereich. Hierzu werden Einzelkomponenten aus thermoplastischen Kunststoffen in Spritzguss- und Extrusionsverfahren hergestellt. Die so gefertigten Komponenten werden zum eigentlichen Endprodukt (Medizinprodukt) konfektioniert, verpackt und sterilisiert. Die Beklagte beschäftigt in der Regel 16 bis 18 Arbeitnehmer.

3

Die am 11. Februar 1953 geborene, verheiratete Klägerin war bei der Beklagten aufgrund Arbeitsvertrags vom 28. Februar/5. März 2001 (Bl. 8, 9 d.A.) seit 6. März 2001 als Arbeiterin (Produktionshelferin) beschäftigt; wegen der Einzelheiten der vereinbarten Arbeitsbedingungen wird auf den Arbeitsvertrag vom 28. Februar 2001/5. März 2001 (Bl. 8, 9 d.A.) Bezug genommen.

4

Die Klägerin war im Jahr 2001 an 13 Arbeitstagen, im Jahr 2003 an 20 Arbeitstagen, im Jahr 2004 an 3 Arbeitstagen, im Jahr 2005 an 70 Arbeitstagen und im Jahr 2008 an 34 Arbeitstagen arbeitsunfähig erkrankt; wegen der einzelnen Zeiträume der aufgetretenen Fehlzeiten wird auf den Schriftsatz der Beklagten vom 26. August 2010 (S. 1 und 2 = Bl. 19, 20 d.A.) verwiesen. Seit dem 20. April 2009 ist die Klägerin durchgehend arbeitsunfähig erkrankt.

5

Die Klägerin leitet bzw. litt in der Vergangenheit an unterschiedlichen Krankheitsbildern. Im Jahr 2005 wurde sie am rechten Handgelenk operiert. Im Jahr 2008 erkrankte sie erneut am rechten Handgelenk und am Knie, weswegen sie im Jahr 2009 jeweils operiert wurde. Während einer zu Beginn des Jahres 2010 durchgeführten Reha-Maßnahme wurde eine Brustkrebserkrankung diagnostiziert, wegen der am 5. April 2010 eine Operation erfolgte. In der Folgezeit wurde bis Mitte Oktober 2010 eine Chemotherapie durchgeführt; ab November 2010 erhält die Klägerin Bestrahlungen.

6

Mit Rentenbescheid vom 24. Juni 2010 (Bl. 42 d.A.) wurde der Klägerin auf ihren Antrag vom 20. Januar 2010 rückwirkend ab 1. Januar 2010 eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit bis zum 31. Dezember 2011 bewilligt, die inzwischen befristet bis zum 31. Dezember 2013 verlängert worden ist.

7

Mit Schreiben vom 28. Juli 2010 (Bl. 7 d.A.), der Klägerin am gleichen Tag zugegangen, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Klägerin zum 31. Oktober 2010. Hiergegen hat die Klägerin die vorliegende Kündigungsschutzklage erhoben, die am 5. August 2010 beim Arbeitsgericht Koblenz eingegangen ist.

8

Nach dem ihr am 18. August 2010 ausgestellten Schwerbehindertenausweis, der ab 7. Juni 2010 gültig ist, ist die Klägerin als schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung von 100 anerkannt (Bl. 43, 44 d.A.). Vor Ausspruch der Kündigung hatte die Klägerin die Beklagte nicht darauf hingewiesen, dass sie einen Antrag auf Feststellung ihrer Schwerbehinderteneigenschaft gestellt hatte. Erstmals mit Schriftsatz vom 15. Oktober 2010 hat die Klägerin der Beklagten mitgeteilt, dass sie gemäß dem ihr erteilten Schwerbehindertenausweis schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 100 sei.

9

Die Klägerin hat erstinstanzlich vorgetragen, aus den in der Vergangenheit aufgetretenen krankheitsbedingten Fehlzeiten könne eine negative Prognose nicht hergeleitet werden. Sämtliche Krankheitsbilder seien inzwischen ausgeheilt. Ausweislich des von ihr vorgelegten ärztlichen Attestes vom 21. Dezember 2010 (Bl. 71 d.A.) zeige sich ihr rechtes Kniegelenk komplett unauffällig. Sie sei beschwerdefrei und könne das Knie voll belasten. Auch die Arthrose des rechten Handgelenkes sei nicht weiter fortgeschritten und führe gemäß dem vorgelegten Attest vom 3. Februar 2011 (Bl. 79 d.A.) nicht zu einer Einschränkung ihrer Arbeitsfähigkeit. Es sei falsch, dass sie an einem "grauen Star" leide (ärztliches Attest vom 9. November 2010, Bl. 80 d.A.). Ihre seit dem 20. April 2009 bestehende krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit lasse sich überwiegend auf die Krebserkrankung zurückführen, die jedoch einer positiven Zukunftsprognose unterliege. Es sei nach derzeitigem Sachstand davon auszugehen, dass sie bis zum 31. Dezember 2011 wieder vollständig arbeitsfähig sei. Aufgrund der Erkrankung lasse sich nicht verlässlich ableiten, dass sie in Zukunft in erheblichem Maß krankheitsbedingt ausfallen werde. Sie sei sehr wohl in der Lage, die Tätigkeit an der Verpackungsmaschine im Stehen auszuführen. Es werde bestritten, dass die jeweiligen Aluminiumkisten etwa 10 Kilo wiegen würden. In den Kisten befänden sich ungefähr 100 Absaugschläuche bei einem Durchmesser von 25 mm. Problematisch werde das Heben der Kiste über Brusthöhe, um eine entsprechende Palette zu packen. Diese Tätigkeit sei unter Arbeitsschutzbedingungen zu sehen. Sie sei vollumfänglich für das Verpacken von weichen Schlauchprodukten einsatzfähig. Auch in der Vergangenheit habe sie Schlauchprodukte gewickelt und in Tüten verpackt, wobei es sich um eine sitzende Tätigkeit handele. Da die Maschine zu 90 % mit Schlauchprodukten bestückt werde, sei sie in der Lage, die Tätigkeit auszuführen. Weiterhin könne sie an den Handarbeitsplätzen vollschichtig eingesetzt werden, und zwar unabhängig davon, ob Produkte gesteckt, montiert oder gewickelt werden müssten. Sie sei in der Lage, den Schlauch in einer üblichen und angemessenen Zeit zu wickeln. Aufgrund der bestehenden Sehkraft könne sie auch die Montage vornehmen. In Bezug auf den Bereich der Endverpackung gelte das gleiche wie für die Verpackungsmaschine. Richtig sei allerdings, dass sie im Lagerbereich - unstreitig - nicht einsatzfähig sei. Eine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen liege nicht vor. Die Beklagte könne ihr einen angemessenen Arbeitsplatz im Produktionsbereich anbieten, auf dem keine weiteren Entgeltfortzahlungen zu erwarten seien. Arbeitsmedizinische Überprüfungen für ihren Einsatz als Produktionshelferin seien nie durchgeführt worden. Weiterhin sei zu berücksichtigen, dass ein Eingliederungsmanagement nicht stattgefunden habe. Im Übrigen sei die Kündigung mangels Zustimmung des Integrationsamtes gemäß § 85 SGB IX unwirksam.

10

Die Klägerin hat beantragt,

11

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 28. Juli 2010, zugegangen am 28. Juli 2010, nicht aufgelöst worden ist,

12

die Beklagte zu verurteilen, sie zu den bisherigen Bedingungen als Produktionshelferin über den Ablauf der Kündigungsfrist hi-naus weiterzubeschäftigen.

13

Die Beklagte hat beantragt,

14

die Klage abzuweisen.

15

Sie hat erwidert, die Kündigung sei sozial gerechtfertigt, weil die Klägerin dauerhaft arbeitsunfähig sei und die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung deshalb nicht mehr erbringen könne. Im Übrigen sei nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts eine personenbedingte Kündigung bereits dann sozial gerechtfertigt, wenn bei der Kündigung die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit ungewiss sei und die Krankheit bereits über einen längeren Zeitraum angedauert habe. Diese Ungewissheit stehe dann einer feststehenden dauernden Arbeitsunfähigkeit gleich. Diese Voraussetzungen seien in der Person der Klägerin erfüllt. Die Klägerin sei bereits seit dem Beginn des Arbeitsverhältnisses immer wieder aufgrund ihrer Erkrankungen krankgeschrieben worden. Nach ihrer ununterbrochen bestehenden Arbeitsunfähigkeit seit dem 20. April 2009 sei nicht mehr damit zu rechnen, dass sie ihre Arbeitsfähigkeit jemals wieder erlangen werde. Nach dem von der Klägerin vorgetragenen Krankheitsverlauf, insbesondere der Operation wegen Brustkrebs, stehe fest, dass sie zum Zeitpunkt der Kündigung bereits seit längerer Zeit arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei und die Krankheit voraussichtlich für nicht absehbare Zeit andauern werde. Die Klägerin leide weiter an einem grauen Star und an chronischen Erkrankungen der Hand- sowie Kniegelenke. Da es sich bei den Krankheiten um solche mit progredienter Verlaufsform handele, werde die Klägerin einen Zustand der Arbeitsfähigkeit nicht wieder erreichen. Sämtliche bei ihr zur Verfügung stehenden Arbeitsplätze, die der Qualifikation der Klägerin entsprächen, könne diese aufgrund ihrer körperlichen Einschränkungen nicht mehr ausführen. In Bezug auf die Montage von Absaugschläuchen habe die Klägerin bereits früher mitgeteilt, diese Tätigkeit nicht ausführen zu wollen. Im Übrigen sei die Klägerin zu einer solchen Tätigkeit nicht in der Lage, weil es ihr krankheitsbedingt an der notwendigen Fingerfertigkeit fehle. Die Tätigkeit an der Verpackungsmaschine werde im Stehen ausgeführt. Die Aluminiumkisten, die nach der Befüllung gehoben werden müssten, seien bis zu 14 kg schwer. Die Kisten seien von einer Höhe von 20 cm auf eine Höhe von 50 cm und damit um 30 cm höher zu bringen. Selbstverständlich sei auch diese Tätigkeit unter Arbeitsschutzbedingungen zu sehen, gegen die auch nicht verstoßen werde, weil pro Schicht ca. 20 Kisten umgestapelt werden müssten. Aufgrund ihres krankheitsbedingten körperlichen Zustandes sei die Klägerin dauerhaft nicht dazu in der Lage, diese Tätigkeit an der Verpackungsmaschine auszuführen. Weiterhin sei die Klägerin aufgrund ihrer Erkrankungen nicht in der Lage, die Tätigkeiten an den Handarbeitsplätzen auszuführen. Insbesondere könne sie aufgrund ihrer eingeschränkten Sehkraft und fehlenden Fingerfertigkeit die Montage der kleinen Teile nicht vornehmen. In der Endverpackung würden die bis ca. 9 kg wiegenden Kartons bis auf eine Höhe von knapp zwei Meter gestapelt. Auch hier sei die Tätigkeit im Stehen unter Inanspruchnahme von Muskelkraft erforderlich, wozu die Klägerin krankheitsbedingt nicht in der Lage sei. Mithin sei sie zu der Feststellung gelangt, dass alternative Beschäftigungsmöglichkeiten für die Klägerin nicht zur Verfügung stünden. Die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements wäre deshalb überflüssig gewesen, weil dies aufgrund der gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Klägerin unter keinen Umständen zu einem positiven Ergebnis hätte führen können. Es sei ihr nicht zuzumuten, dass aufgrund der Beeinträchtigungen, an denen die Klägerin leide, Montagefehler entstünden, die die Qualität der Produkte erheblich beeinträchtigen würden. Dabei sei insbesondere zu beachten, dass die Benutzung ihrer Produkte im Einzelfall über den Gesundheitszustand von Patienten entscheide.

16

Das Arbeitsgericht hat zunächst Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen G.. Hinsichtlich des Ergebnisses der Zeugenvernehmung wird auf das Sitzungsprotokoll vom 3. Februar 2011 verwiesen. Sodann hat das Arbeitsgericht Beweis erhoben durch Einholung eines arbeitsmedizinischen Sachverständigengutachtens. Diesbezüglich wird auf das Gutachten des Sachverständigen Dr. R. K. vom 23. Mai 2011 (Bl. 98 bis 121 d.A.) Bezug genommen. Mit Urteil vom 21. Juli 2011 - 9 Ca 1297/10 - hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass die Kündigung aus personenbedingten Gründen sozial gerechtfertigt und auch nicht wegen fehlender Zustimmung des Integrationsamtes rechts-unwirksam sei. Nach den von der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts aufgestellten Grundsätzen habe die Klägerin ihr Recht verwirkt, sich nachträglich auf ihre Schwerbehinderung zu berufen und die fehlende Zustimmung des Integrationsamtes zur Kündigung gemäß § 85 SGB IX geltend zu machen, weil sie die Beklagte über den von ihr gestellten Antrag auf Feststellung ihrer Schwerbehinderteneigenschaft nicht innerhalb angemessener Frist nach Ausspruch der Kündigung informiert habe. Die Voraussetzungen einer sozial gerechtfertigten Kündigung aus in der Person der Klägerin liegenden Gründen seien vorliegend gegeben. Bezogen auf den Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung bestehe eine negative Zukunftsprognose. Nach dem Vortrag beider Parteien kämen als Beschäftigungsmöglichkeiten für die Klägerin im Hinblick auf ihre Qualifikation lediglich fünf Arbeitsplätze im Betrieb der Beklagten in Betracht, nämlich die Montage von Absaugschläuchen, der Einsatz an der Verpackungsmaschine, sog. "Handarbeitsplätze", die Endverpackung und das Lager. Im Bereich des Lagers sei die Klägerin im Hinblick auf ihre Belastbarkeit unstreitig nicht einsetzbar. Im Bereich der Montage von Absaugschläuchen habe die Klägerin nach der Zeugenvernehmung selbst ausgeführt, dass sie wegen der dort verwandten Klebemittel und einer bestehenden Allergie auf diesem Arbeitsplatz nicht eingesetzt werden könne. Die Arbeitsabläufe bei den Arbeitsplätzen Verpackungsmaschine und Endverpackung seien von ihren Belastungen her nach den Bekundungen des Zeugen G. im Wesentlichen gleich. Es handele sich jeweils um eine vollschichtig im Stehen zu erbringende Tätigkeit, die es mit sich bringe, dass Verpackungskisten mit einem Gewicht von bis zu 10 bis 14 Kilo anzuheben und zu stapeln seien. Im Bereich der sog. Handarbeitsplätze seien nach den Bekundungen des Zeugen G. zu 85 % wiederum Bauteile zu konfektionieren, bei denen das Lösungsmittel verwandt werde, welches auch am Arbeitsplatz der Konfektionierung von Absaugschläuchen verwandt werde, wogegen die Klägerin nach eigenem Vortrag wiederum allergisch reagiere. Der Sachverständige sei zu dem Ergebnis gekommen, dass ein kontinuierlicher Einsatz der Klägerin mit einer wirtschaftlich verwertbaren Arbeitsleistung an den Arbeitsplätzen Verpackungsmaschine, Handarbeitsplätze und Endverpackung nicht möglich sei. Auch prospektiv sei der Sachverständige zu der Einschätzung gelangt, dass die Klägerin allenfalls noch eine Eignung für körperlich leichte Tätigkeiten im Bereich des allgemeinen Arbeitsmarktes besitze. Dabei habe der Sachverständige den Begriff "körperlich leichte Arbeit" dahin definiert, dass dieser allenfalls Gewichte bis 6 kg beinhalte. Das Gutachten sei auch unter Hinzuziehung der die Klägerin behandelnden Ärzte nach Vorgabe des Beweisbeschlusses ausführlich unter Darstellung der durchgeführten Anamnese und Würdigung der beigezogenen Untersuchungsbefunde sowie Durchführung zusätzlicher Untersuchung und Befragung der Klägerin erstellt worden. In Würdigung des Gutachtenergebnisses ergebe sich, dass der Klägerin bei der Beklagten die weitere Erbringung der arbeitsvertragsgemäß geschuldeten Arbeitsleistungen nicht möglich sei. Dass darüber hinaus keine weitergehenden Beschäftigungsmöglichkeiten bei der Beklagten für die Klägerin vorhanden seien, sei nach dem beiderseitigen Vorbringen der Parteien unstreitig und im Übrigen auch angesichts der Größe des Unternehmens der Beklagten, die insgesamt lediglich 16 Arbeitnehmer beschäftige, verständlich. Insoweit sei die Kündigung auch nicht im Hinblick auf die fehlende Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements nach § 84 Abs. 2 SGB IX rechtsunwirksam. Die Beklagte habe sämtliche überhaupt im Hinblick auf die Qualifikation der Klägerin in ihrem Unternehmen in Betracht kommenden Arbeitsplätze gewürdigt und im Einzelnen vorgetragen, welche Belastungen hier bestünden und aus welchen Gründen ein Einsatz der Klägerin nicht in Betracht komme, weil dieser die Arbeitsleistung unmöglich sei. Die von der Beklagten dargestellten Belastungen seien nach den Bekundungen des Zeugen G. belegt, dessen Bekundungen glaubhaft seien. Damit stehe fest, dass ein Einsatz der Klägerin auf den qualifikationsbedingt in Betracht kommenden Arbeitsplätzen bei der Beklagten nicht möglich sei. Dies führe zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen. Auch im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung überwiege das Interesse der Beklagten an einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses zur Vermeidung weiterer Austauschstörungen und im Sinne einer geordneten Personalplanung.

17

Gegen das ihr am 8. August 2011 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 1. September 2011, beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz am 5. September 2011 eingegangen, Berufung eingelegt und diese innerhalb der antragsgemäß bis zum 8. November 2011 verlängerten Berufungsbegründungsfrist mit Schriftsatz vom 8. November 2011, beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz am gleichen Tag eingegangen, begründet.

18

Die Klägerin trägt vor, sie habe ihr Recht, die Nichtigkeit der Kündigung nach § 85 SGB IX geltend zu machen, nicht verwirkt. Sie habe Anfang August 2010 die Anwaltskanzlei der Rechtsanwältinnen H., F. und He. in A. aufgesucht. Das erste Gespräch habe noch die junge Rechtsanwältin He. geführt, die ihre Daten aufgenommen und die Kündigung sowie insbesondere den Antrag auf Schwerbehinderung für sich (Handakte) kopiert habe. Die Rechtsanwältin He. habe dann die von der Rechtsanwältin H. unterschriebene Kündigungsschutzklage gefertigt, wobei offensichtlich der Umstand, dass sie vorab einen Antrag auf Schwerbehinderung gestellt habe, in der Klageschrift vergessen worden sei. Sie sei auch nicht darüber belehrt worden, dass sie den Bescheid über die Anerkennung als Schwerbehinderte unverzüglich ihrem Prozessbevollmächtigten vorzulegen habe. Nach dem Ausscheiden der Rechtsanwältin He. aus der Anwaltssozietät sei der Schwerbehindertenantrag von den anderen Anwältinnen in der Handakte nicht beachtet worden. Für die Verwirkung bedeutet dies, dass sie sich zu keinem Zeitpunkt illoyal gegenüber ihrem Arbeitgeber verhalten habe. Sie habe zu keinem Zeitpunkt sich den Umstand zu nutzen machen wollen, dass sie schwerbehindert sei, um die Kündigung der Beklagten zu einem späteren Zeitpunkt zu Fall zu bringen. Weiterhin sei die Kündigung sozial ungerechtfertigt. Die Kündigung sei absolut "ins Blaue hinein" erfolgt. Die der Beklagten zum maßgeblichen Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung nicht bekannte Krebserkrankung sei auch nicht mit in die Beurteilung der negativen Prognose aufzunehmen. Nach der Feststellung des Sachverständigen sei mit einer Änderung des Gesundheitszustandes im Januar 2012 zu rechnen, wonach ihr leichte körperliche Arbeiten zuzutrauen seien. Eine negative Prognose sei daher gar nicht möglich. Entgegen der vom Arbeitsgericht vorgenommenen Prüfung sei für die negative Gesundheitsprognose in der Regel ein Zeitraum von 24 Monaten einzubeziehen, wobei der Zeitraum Januar 2012 noch innerhalb dieser Frist liege. Sie werde im Januar 2012 in der Lage sein, die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Die Chemotherapie sei zufriedenstellend verlaufen. Alle Krankheiten seien ausgeheilt. Die bisherige Tätigkeit an der Verpackungsmaschine werde sie mit Einschränkungen ausüben können. Zwar werde sie nicht in der Lage sein, Pakete anzuheben oder zu stapeln, die schwerer als 10 kg seien. Das sei auch nicht notwendig, weil ausreichend andere Mitarbeiter vorhanden seien. Leichtere Verpackungskisten von 6 bis 8 kg könne sie selbst anheben. Eine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen bei einem Arbeitsausfall bis zum 31. Dezember 2011 liege nicht vor. Der Beklagten sei es zuzumuten, den Ausfall bis zum 31. Dezember 2011 mit einer Ersatzkraft zu überwinden, um damit betriebliche Beeinträchtigungen zu überbrücken. Das Arbeitsgericht habe zudem die Interessenabwägung einseitig zu ihren Lasten durchgeführt und einer geordneten Personalplanung ein höheres Gewicht als ihrer langen Betriebszugehörigkeit und ihrem Alter beigemessen. Auch wenn betriebliche Umstände für ihre Erkrankung nicht verantwortlich seien, wäre es der Beklagten jedoch zuzumuten, die Mitteilung der behandelnden Ärzte im Dezember 2011 abzuwarten, um dann ihre Entscheidung über die Kündigung zu treffen. Die Beklagte habe nicht vorgetragen, ob der Minderung ihrer Leistungsfähigkeit ab dem 1. Januar 2012 durch organisatorische Maßnahmen (Änderung des Ablaufs, Umgestaltung des Arbeitsplatzes, Umverteilung der Aufgaben) begegnet werden könne. Ob sie wieder in den Betriebsablauf integriert werden könne, lasse sich nicht mehr feststellen, weil das betriebliche Eingliederungsmanagement nicht durchgeführt worden sei. Verbleibende Zweifel gingen zu Lasten der Beklagten.

19

Die Klägerin beantragt,

20

das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 21. Juli 2011 - 9 Ca 1297/10 - abzuändern und

21

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 28. Juli 2010 nicht aufgelöst worden ist,

22

die Beklagte zu verurteilen, sie zu den bisherigen Bedingungen als Produktionshelferin weiterzubeschäftigen.

23

Die Beklagte beantragt,

24

die Berufung zurückzuweisen.

25

Sie erwidert, das Arbeitsgericht habe zu Recht angenommen, dass die Klägerin ihr Recht, die Nichtigkeit der Kündigung wegen der fehlenden Zustimmung des Integrationsamtes geltend zu machen, verwirkt habe. Der diesbezügliche Vortrag der Klägerin sei unerheblich, weil der Klägerin das Unterlassen der von ihr beauftragten Rechtsanwältin nach § 85 Abs. 2 ZPO zugerechnet werde. Die Kündigung sei gemäß den zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts aus personenbedingten Gründen sozial gerechtfertigt. Insbesondere sei festgestellt worden, dass die Klägerin an einigen Arbeitsplätzen wegen der dort austretenden Klebstoffgase aufgrund einer bei ihr bestehenden Allergie nicht einsatzfähig sei. Die Kündigung sei nicht "ins Blaue hinein" erfolgt, sondern deshalb, weil die Klägerin auf den möglichen Arbeitsplätzen nicht mehr eingesetzt werden könne. Sie sei der ihr obliegenden Darlegungs- und Beweislast in vollem Umfange nachgekommen. Das Sachverständigengutachten habe ihre Angaben bestätigt, wonach die Klägerin an den von ihr angebotenen Arbeitsplätzen nicht mehr einsatzfähig sei. Nach den Ausführungen des Sachverständigen sei die Klägerin möglicherweise für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu gebrauchen, während eine Tätigkeit in ihrem Unternehmen in jedem Fall auch ab Januar 2012 nicht mehr möglich sei. Auch der Einsatz an der Verpackungsmaschine erfordere eine volle Arbeitskraft, die über die volle körperliche Leistungsfähigkeit verfüge. Einschränkungen seien nicht realisierbar. Entgegen der Behauptung der Klägerin liege eine Beeinträchtigung betrieblicher Interessen sehr wohl vor. Im Hinblick darauf, dass es sich um einen relativ kleinen Betrieb handele, genieße die Planungssicherheit für das Personal eine höhere Priorität als in einem sehr großen Betrieb. Es sei für sie nicht ohne weiteres möglich, ständig damit rechnen zu müssen, dass länger erkrankte Mitarbeiter wieder die Arbeit aufnehmen, und für die Zwischenzeit Personal vorzuhalten. Das Arbeitsgericht sei aufgrund der von ihm vorgenommenen Interessenabwägung zu dem richtigen Ergebnis gelangt, dass ihr Interesse an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses überwiege.

26

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

27

Die gemäß § 64 Abs. 1 und 2 Buchst. b und c ArbGG statthafte Berufung der Klägerin ist form- sowie fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. 519, 520 ZPO).

28

Die auch ansonsten zulässige Berufung hat aber in der Sache keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zu Recht die Klage abgewiesen.

29

Die Kündigung vom 28. Juli 2010 ist wirksam und hat das Arbeitsverhältnis der Parteien zu dem in ihr vorgesehenen Termin (31. Oktober 2010) beendet. Die Beklagte ist daher auch nicht zur Weiterbeschäftigung der Klägerin verpflichtet.

30

I. Die Klägerin kann sich nicht darauf berufen, dass die Kündigung mangels Zustimmung des Integrationsamtes nach §§ 85 SGB IX i.V.m. 134 BGB nichtig sei.

31

Dabei kann zugunsten der Klägerin davon ausgegangen werden, dass ihr im Kündigungszeitpunkt der Sonderkündigungsschutz nach §§ 85, 90 Abs. 2 a SGB IX zustand (zu den Voraussetzungen für das Eingreifen des Sonderkündigungsschutzes vgl. BAG 09. Juni 2011 - 2 AZR 703/09 - Rn. 18, NZA-RR 2011, 516).

32

Das Arbeitsgericht hat zutreffend angenommen, dass die Klägerin jedenfalls ihren besonderen Kündigungsschutz verwirkt hat, weil sie sich gegenüber der Beklagten nicht innerhalb einer angemessenen Frist von drei Wochen nach Zugang der Kündigung vom 28. Juli 2010 auf eine bereits festgestellte oder zur Feststellung beantragte Schwerbehinderteneigenschaft berufen hat.

33

1. Ist der Arbeitnehmer im Kündigungszeitpunkt bereits als schwerbehinderter Mensch anerkannt, steht ihm der Kündigungsschutz gemäß §§ 85 ff. SGB IX nach dem Wortlaut des Gesetzes auch dann zu, wenn der Arbeitgeber von der Schwerbehinderteneigenschaft oder dem Anerkennungsantrag nichts wusste. Das ergibt sich schon daraus, dass § 85 i.V.m. § 2 SGB IX mit der "Schwerbehinderung" ohnehin auf einen objektiven Grad der Behinderung und nicht auf dessen behördliche Feststellung abstellt. Gleichwohl trifft den Arbeitnehmer bei Unkenntnis des Arbeitgebers von der Schwerbehinderung bzw. der Antragstellung die Obliegenheit, innerhalb einer angemessenen Frist, die in der Regel drei Wochen beträgt, auf den besonderen Kündigungsschutz hinzuweisen. Dies trägt dem Verwirkungsgedanken (§ 242 BGB) Rechnung und ist aus Gründen des Vertrauensschutzes gerechtfertigt. Der Arbeitgeber, der keine Kenntnis von dem bestehenden oder möglichen Schutztatbestand hat, hat keinen Anlass, eine behördliche Zustimmung zur Kündigung einzuholen. Je nach dem Stand des Verfahrens beim Versorgungsamt ist ihm dies sogar unmöglich. Das Erfordernis, sich zeitnah auf den besonderen Kündigungsschutz zu berufen, ist geeignet, einer Überforderung des Arbeitgebers vorzubeugen. Dieser müsste anderenfalls vor Kündigungen stets vorsorglich einen Antrag auf Zustimmung beim Integrationsamt stellen, damit nicht der besondere Schutztatbestand ggf. erst nach längerer Prozessdauer offenbar wird. Das Erfordernis trägt zugleich dem Gebot der Rechtssicherheit Rechnung (st. Rspr., vgl. zuletzt BAG 09. Juni 2011 - 2 AZR 703/09 - Rn. 21 und 22, NZA-RR 2011, 516). Danach muss sich der Arbeitnehmer, wenn er sich den Sonderkündigungsschutz nach § 85 SGB IX erhalten will, nach Zugang der Kündigung innerhalb einer angemessenen Frist, die drei Wochen beträgt, gegenüber dem Arbeitgeber auf seine bereits festgestellte oder zur Feststellung beantragte Schwerbehinderteneigenschaft berufen. Unterlässt der Arbeitnehmer die entsprechende Mitteilung, so hat er den besonderen Kündigungsschutz verwirkt. Die Drei-Wochen-Frist ist eine Regelfrist, die den Verwirkungstatbestand konkretisiert. Ausreichend ist, wenn der Arbeitnehmer innerhalb der dreiwöchigen Klagefrist des § 4 S. 1 KSchG die Unwirksamkeit der Kündigung nach § 85 SGB IX gerichtlich geltend macht, auch wenn die Zustellung der rechtzeitig eingereichten Klageschrift erst danach erfolgt (BAG 23. Februar 2010 - 2 AZR 659/08 - Rn. 16 und 21, NZA 2011, 411).

34

2. Ausgehend von diesen Grundsätzen hat die Klägerin den besonderen Kündigungsschutz als schwerbehinderter Mensch jedenfalls verwirkt.

35

Die Klägerin hat die Beklagte unstreitig nicht innerhalb von drei Wochen nach dem am 28. Juli 2010 erfolgten Zugang der Kündigung auf eine bereits festgestellte oder zur Feststellung beantragte Schwerbehinderteneigenschaft hingewiesen. Ein solcher Hinweis findet sich insbesondere auch nicht in der Klageschrift vom 5. August 2010, die der Beklagten am 11. August 2010 zugestellt worden ist. Entgegen den Ausführungen der Klägerin in der Berufungsbegründung ist unerheblich, dass der Umstand, dass sie vorab einen Antrag auf Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft gestellt habe, in der Klageschrift offensichtlich vergessen worden sein soll. Ein derartiges Verschulden ihrer damaligen Prozessbevollmächtigten ist der Klägerin nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen (vgl. LAG Schleswig-Holstein 06. Juli 2010 - 1 Sa 403 e/09 - Rn. 32, [juris]; vgl. auch BAG 11. November 2008 - 2 AZR 472/08 - NZA 2009, 692). Danach kann sich die Klägerin mangels rechtzeitiger Geltendmachung einer festgestellten bzw. zur Feststellung beantragten Schwerbehinderteneigenschaft nicht mehr darauf berufen, dass die Kündigung nach §§ 85 SGB IX, 134 BGB nichtig sei.

36

II. Die Kündigung ist aus Gründen in der Person der Klägerin gemäß § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt.

37

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG 12. Juli 2007 - 2 AZR 716/06 - Rn. 26 ff., NZA 2008, 173; 19. April 2007 - 2 AZR 239/06 - Rn. 18, NZA 2007, 1041; 12. April 2002 - 2 AZR 148/01 - Rn. 41, NZA 2002, 1081) ist eine auf einer lang anhaltenden Erkrankung beruhende ordentliche Kündigung in drei Stufen zu prüfen:

38

Danach ist zunächst - erste Stufe - eine negative Prognose hinsichtlich des voraussichtlichen Gesundheitszustandes des erkrankten Arbeitnehmers erforderlich. Es müssen - abgestellt auf den Kündigungszeitpunkt und die bisher ausgeübte Tätigkeit - objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis einer weiteren, längeren Erkrankung rechtfertigen. Steht fest, dass der Arbeitnehmer die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung überhaupt nicht mehr erbringen kann oder ist die Wiederherstellung seiner Arbeitskraft völlig ungewiss, ist eine solche negative Prognose gerechtfertigt. Dabei steht die Ungewissheit der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit einer krankheitsbedingten dauernden Leistungsunfähigkeit dann gleich, wenn in den nächsten 24 Monaten mit einer anderen Prognose nicht gerechnet werden kann. In diesem Fall kann in der Regel ohne weiteres von einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen - zweite Stufe - ausgegangen werden. Der Arbeitgeber ist dann auf unabsehbare Zeit gehindert, sein Direktionsrecht ausüben zu können und die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers abzurufen. Eine ordnungsgemäße Planung des Einsatzes des Arbeitnehmers kann nicht mehr erfolgen. Es bestehen deshalb keine schutzwürdigen Interessen des Arbeitnehmers mehr an der Aufrechterhaltung seines Arbeitsverhältnisses. Dies gilt auch im Hinblick auf die notwendige Interessenabwägung (dritte Stufe). Sie ist zwar auch bei einer Kündigung wegen dauernder oder auf nicht absehbare Zeit bestehender Arbeitsunfähigkeit erforderlich, kann aber nur bei Vorliegen einer besonderen Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers zu dem Ergebnis führen, dass der Arbeitgeber trotz der erheblichen Störung des Arbeitsverhältnisses dessen Fortsetzung billigerweise weiter hinnehmen muss (BAG 18. Januar 2007 - 2 AZR 759/05 - Rn. 23, [juris]).

39

2. Nach diesen Grundsätzen ist im Streitfall ein personenbedingter Kündigungsgrund gegeben.

40

a) Das Arbeitsgericht hat zutreffend eine negative Gesundheitsprognose bezogen auf den Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung festgestellt.

41

Unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses der erstinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme steht zur Überzeugung der Berufungskammer (§ 286 ZPO) fest, dass im maßgeblichen Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung die Prognose begründet war, dass die bereits seit dem 20. April 2009 durchgehend arbeitsunfähig erkrankte Klägerin auch in Zukunft jedenfalls auf nicht absehbare Zeit arbeitsunfähig erkrankt sein wird, d.h. zumindest in den nächsten 24 Monaten nach Ausspruch der Kündigung mit einer anderen Prognose nicht gerechnet werden kann.

42

Im Zeitpunkt der Kündigung vom 28. Juli 2010 war die Klägerin bereits seit mehr als 15 Monaten durchgehend arbeitsunfähig erkrankt. Die Klägerin hat in ihrer Berufungsbegründung selbst vorgetragen, dass sie ihre bisherige Tätigkeit an der Verpackungsmaschine nicht mehr uneingeschränkt wird ausüben können, weil sie insbesondere nicht mehr in der Lage sein werde, Pakete, die schwerer als 10 Kilo seien, anzuheben oder zu stapeln. Der Zeuge G. hat bei seiner Vernehmung vor dem Arbeitsgericht glaubhaft bestätigt, dass die am Arbeitsplatz "Verpackungsmaschine" zu hebenden Aluminiumkisten ca. 10 bis 14 kg schwer seien und es sich um eine stehende Tätigkeit handele. Bei einer vollschichtigen Tätigkeit von acht Stunden seien arbeitstäglich ca. 25 Kisten zu heben. Nach den Bekundungen des Zeugen G. sind die Arbeitsabläufe bei den Arbeitsplätzen "Verpackungsmaschine" und "Endverpackung" im wesentlichen gleich. Davon ist auch die Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 10. Januar 2011 ausgegangen. In Bezug auf die sog. "Handarbeitsplätze" hat der Zeuge G. bekundet, dass an diesem Arbeitsplatz ca. 85 % aller Bauteile mit dem Lösungsmittel konfektioniert würden, welches auch an dem Arbeitsplatz der Konfektionierung von Absaugschläuchen verwandt werde. Die Klägerin hat im Termin vom 3. Februar 2011 vor dem Arbeitsgericht nach den Bekundungen des Zeugen G. zum Arbeitsplatz "Montage von Absaugschläuchen" selbst erklärt, dass sie nach dem von ihr vorgelegten Allergiepass wegen der verwandten Klebemittel auf diesem Arbeitsplatz nicht eingesetzt werden könne. Im Hinblick darauf hat das Arbeitsgericht angenommen, dass im Bereich der sog. Handarbeitsplätze zu 85 % Bauteile zu konfektionieren seien, bei denen das Lösungsmittel verwandt werde, welches auch am Arbeitsplatz der Konfektionierung von Absaugschläuchen eingesetzt werde, wogegen die Klägerin nach eigenem Vortrag wiederum allergisch reagiere. Diese Feststellung des Arbeitsgerichts hat die Klägerin in ihrer Berufungsbegründung nicht angegriffen.

43

Nach dem vom Arbeitsgericht eingeholten Sachverständigengutachten sind die zur Verfügung stehenden Arbeitsplätze "Verpackungsmaschine, Handarbeitsplätze, Endverpackung" für die Klägerin aus arbeitsmedizinischer Sicht nur noch bedingt geeignet. Für Januar 2012 sei der Klägerin prospektiv allenfalls die Eignung für körperlich leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes zuzutrauen. Hierfür müssten allerdings die weiteren genannten Rahmenbedingungen erfüllt sein. Körperlich leichte Arbeit bedeute: Gewichte bis 6 kg, maximal 60 Minuten pro Schicht heben oder 30 Minuten pro Schicht tragen. Somit wäre ein kontinuierlicher Einsatz mit einer wirtschaftlich verwertbaren Arbeitsleistung an den genannten Arbeitsplätzen bei der Beklagten nicht möglich. In Anbetracht der dargestellten Prognose des Grundleidens könne man der Klägerin nur nahelegen, die Weitergewährung der Rente zu beantragen.

44

Die Berufungskammer schließt sich der Würdigung des Arbeitsgerichts an, wonach der Klägerin aufgrund ihrer Erkrankung die weitere Erbringung der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung nicht möglich ist bzw. jedenfalls in absehbarer Zeit nicht mit einer anderen Prognose gerechnet werden kann. Die diagnostizierte Brustkrebserkrankung und die deswegen im April 2010 erfolgte Operation mit ihren gesundheitlichen Folgen sind bezogen auf den Zeitpunkt des Kündigungszugangs am 28. Juli 2010 als objektiv vorliegende Umstände zu berücksichtigen, auch wenn diese der Beklagten bei Ausspruch der Kündigung nicht bekannt waren. Nach den Ausführungen des Sachverständigen und den vom Zeugen G. glaubhaft dargestellten Belastungen an den in Betracht kommenden Arbeitsplätzen ist ein kontinuierlicher Einsatz der Klägerin mit einer wirtschaftlich verwertbaren Arbeitsleistung im Betrieb der Beklagten nicht möglich.

45

b) Die darauf beruhende erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen lässt sich nicht durch andere leidensgerechte Beschäftigungsmöglichkeiten vermeiden. Im Streitfall ist gemäß der Annahme des Arbeitsgerichts davon auszugehen, dass auch ein betriebliches Eingliederungsmanagement nicht zu einer Beschäftigungsmöglichkeit für die Klägerin geführt hätte.

46

aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG 12. Juli 2007 - 2 AZR 716/06 - NZA 2008, 173; 23. April 2008 - 2 AZR 1012/06 - NZA-RR 2008, 515) ist die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements nach § 84 Abs. 2 SGB IX keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für den Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung. Vielmehr stellt die Regelung des § 84 Abs. 2 SGB IX eine Konkretisierung des dem gesamten Kündigungsschutzrecht innewohnenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dar. Dabei ist das betriebliche Eingliederungsmanagement an sich zwar kein milderes Mittel. Hierdurch können aber solche milderen Mittel, z.B. die Umgestaltung des Arbeitsplatzes oder eine Weiterbeschäftigung zu geänderten Arbeitsbedingungen auf einem anderen - ggf. durch Umsetzungen "freizumachenden" - Arbeitsplatz erkannt und entwickelt werden. Hat der Arbeitgeber kein betriebliches Eingliederungsmanagement durchgeführt, darf er sich durch seine dem Gesetz widersprechende Untätigkeit keine darlegungs- und beweisrechtlichen Vorteile verschaffen. In diesem Fall darf er sich nicht darauf beschränken, pauschal vorzutragen, er kenne keine alternativen Einsatzmöglichkeiten für den erkrankten Arbeitnehmer bzw. es gebe keine "freien Arbeitsplätze", die der erkrankte Arbeitnehmer aufgrund seiner Erkrankung noch ausfüllen könne. Es bedarf vielmehr eines umfassenderen konkreten Sachvortrags des Arbeitgebers zu einem nicht mehr möglichen Einsatz des Arbeitnehmers auf dem bisher innegehabten Arbeitsplatz einerseits und warum andererseits eine leidensgerechte Anpassung und Veränderung ausgeschlossen ist oder der Arbeitnehmer nicht auf einem (alternativen) anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit eingesetzt werden könne. Allerdings kann eine Kündigung nicht allein deshalb wegen Verstoßes gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip als sozial ungerechtfertigt qualifiziert werden, weil das betriebliche Eingliederungsmanagement nicht durchgeführt wurde. Es müssen vielmehr auch bei gehöriger Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements überhaupt Möglichkeiten einer alternativen (Weiter-)Beschäftigung bestanden haben, die eine Kündigung vermieden hätten. Im Umkehrschluss folgt daraus weiter, dass ein unterlassenes betriebliches Eingliederungsmanagement einer Kündigung dann nicht entgegensteht, wenn sie auch durch das betriebliche Eingliederungsmanagement nicht hätte vermieden werden können (BAG 23. April 2008 - 2 AZR 1012/06 - Rn. 26 und 27, NRA-RR 2008, 515).

47

bb) Das Arbeitsgericht hat zu Recht angenommen, dass der substantiierte Vortrag der Beklagten den vorstehenden Anforderungen genügt.

48

Die Beklagte hat in Bezug auf alle Arbeitsplätze, die im Hinblick auf die Qualifikation der Klägerin überhaupt in Betracht kommen, im Einzelnen dargelegt, welche Belastungen jeweils bestehen und aus welchen Gründen die Klägerin an dem betreffenden Arbeitsplatz nicht eingesetzt werden kann. Das Arbeitsgericht hat zutreffend angenommen, dass die von der Beklagten dargestellten Belastungen nach den Bekundungen des Zeugen G. belegt sind. Hiergegen hat auch die Klägerin in ihrer Berufungsbegründung keine Einwände mehr erhoben. Gemäß den obigen Ausführungen steht zur Überzeugung der Berufungskammer fest, dass zum Zeitpunkt des Kündigungszugangs die negative Prognose begründet war, dass die Klägerin jedenfalls auf unabsehbare Zeit ihre vertraglich geschuldete Arbeitsleistung als Produktionshelferin aus gesundheitlichen Gründen an den in Betracht kommenden Arbeitsplätzen im Betrieb der Beklagten nicht mehr erbringen kann. Die Beklagte hat vorgetragen, dass auch die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements überflüssig gewesen wäre, weil dies aufgrund der gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Klägerin unter keinen Umständen zu einem positiven Ergebnis geführt hätte. Die Klägerin hat in ihrer Berufungsbegründung gerügt, dass die Beklagte nicht vorgetragen habe, ob der Minderung ihrer Leistungsfähigkeit ab dem 1. Januar 2012 durch organisatorische Maßnahmen (Änderung des Ablaufs, Umgestaltung des Arbeitsplatzes, Umverteilung der Aufgaben) begegnet werden könne. In Bezug auf ihre bisherige Tätigkeit an der Verpackungsmaschine hat sie darauf verwiesen, dass sie zwar nicht zur Anhebung oder Stapelung von Paketen mit einem Gewicht von mehr als 10 kg in der Lage sein werde, dies aber auch nicht notwendig sei, da ausreichend andere Mitarbeiter vorhanden seien. Die Beklagte hat darauf verwiesen, dass ein derartiger Einsatz der Klägerin mit Einschränkungen an der Verpackungsmaschine nicht realisierbar sei. Der Zeuge G. hat bei seiner Vernehmung bekundet, dass zwar der Arbeitsablauf automatisiert werden könnte, dann aber aus seiner Sicht der Arbeitsplatz ganz entfiele. An der Verpackungsmaschine wird im Betrieb der Beklagten, die insgesamt lediglich 16 bis 18 Arbeitnehmer beschäftigt, jeweils nur eine Person eingesetzt. Falls alle an der Verpackungsmaschine anfallenden Tätigkeiten, die mit den vom Zeugen G. dargestellten körperlichen Belastungen verbunden sind, jeweils von einem anderen Mitarbeiter übernommen werden müssten, der dann an seinem Arbeitsplatz ausfallen würde, führt dies jedenfalls zu keiner wirtschaftlich noch verwertbaren Arbeitsleistung der Klägerin, die der Beklagten zugemutet werden kann. Soweit der Arbeitsablauf dahingehend verändert werden kann, dass die Aluminiumkisten z.B. nur noch jeweils zur Hälfte befüllt werden, hätte dies eine entsprechende Erhöhung der Anzahl der Hebevorgänge von ca. 25 Kisten auf ca. 50 Kisten pro Arbeitstag zur Folge, was ebenfalls zu keiner körperlich leichteren Arbeit führen würde, die von der Klägerin nach Maßgabe des Sachverständigengutachtens noch ausgeführt werden kann. Im Übrigen ist weder vorgetragen noch sonstwie ersichtlich, auf welche Weise eine leidensgerechte Weiterbeschäftigung der Klägerin ermöglicht werden könnte. Mithin ist im Streitfall davon auszugehen, dass sich auch bei Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements keine leidensgerechte Beschäftigungsmöglichkeit für die Klägerin ergeben hätte.

49

c) Auch die Interessenabwägung führt nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung.

50

Die Berufungskammer schließt sich der vom Arbeitsgericht vorgenommenen Interessenabwägung an, auf die Bezug genommen wird. Bei einer Kündigung wegen dauernder bzw. auf nicht absehbarer Zeit bestehender Arbeitsunfähigkeit ist in aller Regel davon auszugehen, dass der Arbeitgeber eine weitere erhebliche Störung des Arbeitsverhältnisses auf nicht absehbare Zeit billigerweise nicht mehr hinzunehmen braucht (BAG 19. April 2007 - 2 AZR 239/06 - Rn. 36, NZA 2007, 1041; 18. Januar 2007 - 2 AZR 759/05 - Rn. 33, [juris]). Selbst wenn man zugunsten der Klägerin neben ihrer Betriebszugehörigkeit seit 6. März 2001, ihrem Lebensalter (geb. 11. Februar 1953) und ihrer Unterhaltsverpflichtung (verheiratet) auch ihre Schwerbehinderteneigenschaft berücksichtigt, ist es der Beklagten gleichwohl aufgrund der auf nicht absehbare Zeit bestehenden Arbeitsunfähigkeit der Klägerin nicht zumutbar, das Arbeitsverhältnis dauerhaft fortzusetzen. Das Arbeitsgericht hat zutreffend berücksichtigt, dass die Beklagte bereits im Jahr 2005 und ab 2008 nicht unerhebliche Fehlzeiten der Klägerin hingenommen hat, die Erkrankungen auch nicht auf betrieblichen Ursachen beruhen und es sich bei der Beklagten um einen kleineren Produktionsbetrieb im medizinischen Bereich mit lediglich 16 bis 18 Arbeitnehmern handelt. Das betriebliche Interesse der Beklagten an einer ordnungsgemäßen Personalplanung wird durch die völlige Ungewissheit, ob es in absehbarer Zeit überhaupt zu einer Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit der bei Ausspruch der Kündigung bereits seit 15 Monaten durchgehend arbeitsunfähig erkrankten Klägerin kommen kann, ganz erheblich beeinträchtigt. In Anbetracht dieser Umstände ist das Arbeitsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass die Interessenabwägung zugunsten der Beklagten ausfällt.

51

Mithin hat das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zum 31. Oktober 2010 sein Ende gefunden. Die Beklagte ist daher auch nicht zu der von der Klägerin begehrten Weiterbeschäftigung verpflichtet.

52

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

53

Eine Zulassung der Revision war nicht veranlasst, weil hierfür die gesetzlichen Voraussetzungen (§ 72 Abs. 2 ArbGG) nicht vorliegen.

ra.de-Urteilsbesprechung zu Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz Urteil, 20. März 2012 - 3 Sa 505/11

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz Urteil, 20. März 2012 - 3 Sa 505/11

Referenzen - Gesetze

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz Urteil, 20. März 2012 - 3 Sa 505/11 zitiert 16 §§.

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Zivilprozessordnung - ZPO | § 97 Rechtsmittelkosten


(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat. (2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vo

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 242 Leistung nach Treu und Glauben


Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

Arbeitsgerichtsgesetz - ArbGG | § 72 Grundsatz


(1) Gegen das Endurteil eines Landesarbeitsgerichts findet die Revision an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 72a Abs. 5 Satz 2 zugelassen worden ist.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 286 Freie Beweiswürdigung


(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei.

Kündigungsschutzgesetz - KSchG | § 1 Sozial ungerechtfertigte Kündigungen


(1) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt is

Arbeitsgerichtsgesetz - ArbGG | § 66 Einlegung der Berufung, Terminbestimmung


(1) Die Frist für die Einlegung der Berufung beträgt einen Monat, die Frist für die Begründung der Berufung zwei Monate. Beide Fristen beginnen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Mona

Zivilprozessordnung - ZPO | § 85 Wirkung der Prozessvollmacht


(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie

Neuntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB 9 2018 | § 2 Begriffsbestimmungen


(1) Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft m

Kündigungsschutzgesetz - KSchG | § 4 Anrufung des Arbeitsgerichts


Will ein Arbeitnehmer geltend machen, dass eine Kündigung sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist, so muss er innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung Klage beim Arbeitsgericht auf Feststellung er

Neuntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB 9 2018 | § 84 Hilfsmittel


(1) Die Leistungen umfassen Hilfsmittel, die erforderlich sind, um eine durch die Behinderung bestehende Einschränkung einer gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft auszugleichen. Hierzu gehören insbesondere barrierefreie Computer.

Neuntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB 9 2018 | § 85 Klagerecht der Verbände


Werden Menschen mit Behinderungen in ihren Rechten nach diesem Buch verletzt, können an ihrer Stelle und mit ihrem Einverständnis Verbände klagen, die nach ihrer Satzung Menschen mit Behinderungen auf Bundes- oder Landesebene vertreten und nicht selb

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz Urteil, 20. März 2012 - 3 Sa 505/11 zitiert oder wird zitiert von 2 Urteil(en).

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz Urteil, 20. März 2012 - 3 Sa 505/11 zitiert 2 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesarbeitsgericht Urteil, 09. Juni 2011 - 2 AZR 703/09

bei uns veröffentlicht am 09.06.2011

Tenor Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 21. August 2009 - 3 Sa 698/08 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Bundesarbeitsgericht Urteil, 23. Feb. 2010 - 2 AZR 659/08

bei uns veröffentlicht am 23.02.2010

Tenor Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg - Kammern Mannheim - vom 25. März 2008 - 16 Sa 87/07 - aufgehoben, soweit es die Beru

Referenzen

Werden Menschen mit Behinderungen in ihren Rechten nach diesem Buch verletzt, können an ihrer Stelle und mit ihrem Einverständnis Verbände klagen, die nach ihrer Satzung Menschen mit Behinderungen auf Bundes- oder Landesebene vertreten und nicht selbst am Prozess beteiligt sind. In diesem Fall müssen alle Verfahrensvoraussetzungen wie bei einem Rechtsschutzersuchen durch den Menschen mit Behinderungen selbst vorliegen.

(1) Die Leistungen umfassen Hilfsmittel, die erforderlich sind, um eine durch die Behinderung bestehende Einschränkung einer gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft auszugleichen. Hierzu gehören insbesondere barrierefreie Computer.

(2) Die Leistungen umfassen auch eine notwendige Unterweisung im Gebrauch der Hilfsmittel sowie deren notwendige Instandhaltung oder Änderung.

(3) Soweit es im Einzelfall erforderlich ist, werden Leistungen für eine Doppelausstattung erbracht.

Werden Menschen mit Behinderungen in ihren Rechten nach diesem Buch verletzt, können an ihrer Stelle und mit ihrem Einverständnis Verbände klagen, die nach ihrer Satzung Menschen mit Behinderungen auf Bundes- oder Landesebene vertreten und nicht selbst am Prozess beteiligt sind. In diesem Fall müssen alle Verfahrensvoraussetzungen wie bei einem Rechtsschutzersuchen durch den Menschen mit Behinderungen selbst vorliegen.

(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie nicht von der miterschienenen Partei sofort widerrufen oder berichtigt werden.

(2) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich.

(1) Die Frist für die Einlegung der Berufung beträgt einen Monat, die Frist für die Begründung der Berufung zwei Monate. Beide Fristen beginnen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Die Berufung muß innerhalb einer Frist von einem Monat nach Zustellung der Berufungsbegründung beantwortet werden. Mit der Zustellung der Berufungsbegründung ist der Berufungsbeklagte auf die Frist für die Berufungsbeantwortung hinzuweisen. Die Fristen zur Begründung der Berufung und zur Berufungsbeantwortung können vom Vorsitzenden einmal auf Antrag verlängert werden, wenn nach seiner freien Überzeugung der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn die Partei erhebliche Gründe darlegt.

(2) Die Bestimmung des Termins zur mündlichen Verhandlung muss unverzüglich erfolgen. § 522 Abs. 1 der Zivilprozessordnung bleibt unberührt; die Verwerfung der Berufung ohne mündliche Verhandlung ergeht durch Beschluss des Vorsitzenden. § 522 Abs. 2 und 3 der Zivilprozessordnung findet keine Anwendung.

Werden Menschen mit Behinderungen in ihren Rechten nach diesem Buch verletzt, können an ihrer Stelle und mit ihrem Einverständnis Verbände klagen, die nach ihrer Satzung Menschen mit Behinderungen auf Bundes- oder Landesebene vertreten und nicht selbst am Prozess beteiligt sind. In diesem Fall müssen alle Verfahrensvoraussetzungen wie bei einem Rechtsschutzersuchen durch den Menschen mit Behinderungen selbst vorliegen.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 21. August 2009 - 3 Sa 698/08 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten noch über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

2

Die Beklagte betreibt in C ein Steuerberatungsbüro. In S unterhielt sie eine Zweigstelle/Beratungsstelle.

3

Der Kläger, der über keinen Abschluss als Steuerberater verfügt, war seit Oktober 1994 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin tätig. Ihm oblag die Bearbeitung der laufenden Geschäfte der Zweigstelle. Außerdem war er „fachlicher Ansprechpartner“ der in S eingesetzten Arbeitnehmer der Beklagten.

4

Seit August 2006 war der Kläger arbeitsunfähig. Am 2. Januar 2007 beantragte er beim Amt für Familie und Soziales - Versorgungsamt - der Stadt C rückwirkend ab dem 27. September 2006 „die Feststellung einer Behinderung, des Grades der Behinderung (GdB) und die Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises“.

5

Im Februar 2007 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31. Juli 2007 wegen Schließung der Zweigstelle. Dagegen erhob der Kläger Kündigungsschutzklage. Mit außergerichtlichem Schreiben vom 7. März 2007 teilte sein Prozessbevollmächtigter der Beklagten - unter Hinweis auf die ihm vorliegende Kündigung und die bereits eingereichte Klage - „der Vollständigkeit halber“ mit, dass der Kläger beim Versorgungsamt C „einen Antrag auf Feststellung über das Vorliegen einer Behinderung“ gestellt habe. Eine Entscheidung liege noch nicht vor.

6

Mit Bescheid vom 21. März 2007 stellte das Versorgungsamt die Schwerbehinderung des Klägers mit einem GdB von 100 rückwirkend ab dem 27. September 2006 fest.

7

Am 16. April 2007 fand in dem Kündigungsschutzprozess die Güteverhandlung statt. Ob der Prozessbevollmächtigte des Klägers dabei nähere Angaben zu dem Antrag beim Versorgungsamt und zum Stand des Verfahrens machte, ist zwischen den Parteien streitig. Die Verhandlung endete mit dem Abschluss eines für den Kläger bis zum 30. April 2007 widerruflichen Vergleichs, der hinsichtlich einer vereinbarten Abfindung eine Ratenzahlung vorsah.

8

Am 27. April 2007 suchte der Kläger die Beklagte in S auf und begehrte die Zahlung der zugesagten Abfindung in einer Summe. Das lehnte die Beklagte ebenso ab wie eine vom Kläger alternativ geforderte Sicherheitsleistung. Daraufhin widerrief der Kläger den Vergleich. Seine Kündigungsschutzklage nahm er später zurück.

9

Die Beklagte erstattete nach dem Gespräch gegen den Kläger Strafanzeige mit der Begründung, der Kläger habe versucht, sie zu nötigen. Außerdem kündigte sie das Arbeitsverhältnis - ohne Zustimmung des Integrationsamts - mit Schreiben vom 8. Mai 2007 fristlos.

10

Gegen diese Kündigung hat sich der Kläger mit seiner vorliegenden Kündigungsschutzklage gewandt und geltend gemacht, ein wichtiger Grund liege nicht vor. Zudem sei die Kündigung wegen fehlender Zustimmung des Integrationsamts unwirksam. Er habe die Beklagte durch das Schreiben vom 7. März 2007 hinreichend über seine zur Feststellung beantragte Schwerbehinderung unterrichtet. Während der Güteverhandlung im ersten Kündigungsschutzprozess habe sein Prozessbevollmächtigter zudem mitgeteilt, das Antragsverfahren sei abgeschlossen und er - der Kläger - sei „zu 100 % schwerbehindert“.

11

Der Kläger hat - soweit noch von Bedeutung - beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung vom 8. Mai 2007 nicht aufgelöst worden ist.

12

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die fristlose Kündigung sei wirksam. Der Kläger habe anlässlich des Gesprächs in S mit unlauteren Mitteln versucht, sie zum Eingehen auf seine Forderungen betreffend die Abfindungszahlung zu bewegen. Außerdem habe er gegen ein bestehendes Verbot verstoßen, Abschriften aus Handakten und Mandantenunterlagen zu fertigen. Ein sonstiger Unwirksamkeitsgrund liege nicht vor. Der Kläger habe das Recht, sich auf einen besonderen Kündigungsschutz als schwerbehinderter Mensch zu berufen, verwirkt. Er habe sich gegenüber der Kündigung vom 8. Mai 2007 - unstreitig - erstmals im Gütetermin vom 14. Juni 2007 auf seine Schwerbehinderung berufen. Das Schreiben vom 7. März 2007 habe ihr keine ausreichende Kenntnis der Möglichkeit des Bestehens einer Schwerbehinderung verschafft. Es fehle an der Mitteilung des Datums der Antragstellung und des Aktenzeichens des beim Versorgungsamt bearbeiteten Vorgangs. Im Gütetermin des Vorprozesses habe sich der Prozessbevollmächtigte des Klägers nicht in der Lage gesehen, hierzu nähere Angaben zu machen.

13

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision begehrt die Beklagte weiterhin, die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

14

Die Revision ist unbegründet. Die fristlose Kündigung vom 8. Mai 2007 ist nach § 134 BGB nichtig. Die Kündigung bedurfte gemäß § 91 Abs. 1, § 85 SGB IX der vorherigen Zustimmung des Integrationsamts. Daran fehlt es.

15

I. Der Kläger hat gegen die Kündigung gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 iVm. § 4 Satz 1 KSchG binnen Dreiwochenfrist Kündigungsschutzklage erhoben. Dass er sich erst nach Ablauf dieser Frist auf seine Schwerbehinderung und einen daraus resultierenden Unwirksamkeitsgrund berufen hat, ist mit Blick auf die Klageerhebungsfrist unschädlich; er hat die erforderliche Rüge ordnungsgemäß (§ 6 KSchG) innerhalb des ersten Rechtszugs nachgeholt (vgl. BAG 11. Dezember 2008 - 2 AZR 395/07 - Rn. 15, BAGE 129, 25; 23. April 2008 - 2 AZR 699/06 - Rn. 22, AP KSchG 1969 § 4 Nr. 65 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 84).

16

II. Dem Kläger stand im Kündigungszeitpunkt der Sonderkündigungsschutz nach §§ 85 ff. SGB IX zu.

17

1. Gemäß § 85 SGB IX bedarf die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber der vorherigen Zustimmung des Integrationsamts. Das gilt uneingeschränkt auch für die außerordentliche Kündigung, § 91 Abs. 1 SGB IX.

18

Allerdings findet das Zustimmungserfordernis nach § 90 Abs. 2a SGB IX dann keine Anwendung, wenn zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch nicht nachgewiesen ist oder das Versorgungsamt nach Ablauf der Frist des § 69 Abs. 1 Satz 2 SGB IX eine Feststellung wegen fehlender Mitwirkung nicht treffen konnte. Das Eingreifen des Sonderkündigungsschutzes setzt damit grundsätzlich voraus, dass im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung entweder die Schwerbehinderung bereits anerkannt (oder eine Gleichstellung erfolgt) ist oder die Stellung des Antrags auf Anerkennung der Schwerbehinderung (bzw. auf Gleichstellung) mindestens drei Wochen zurückliegt (BAG 29. November 2007 - 2 AZR 613/06 - Rn. 15, AP SGB IX § 90 Nr. 5 = EzA SGB IX § 90 Nr. 3; 1. März 2007 - 2 AZR 217/06 - BAGE 121, 335).

19

2. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat das Versorgungsamt am 21. März 2007 - und damit vor Zugang der fristlosen Kündigung - die Schwerbehinderung des Klägers mit einem Grad von 100 festgestellt.

20

III. Der Kläger musste die Beklagte nicht binnen drei Wochen nach Zugang der Kündigung vom 8. Mai 2007 auf seine Anerkennung als schwerbehinderter Mensch hinweisen, um sich den besonderen Kündigungsschutz zu erhalten.

21

1. Ist der Arbeitnehmer im Kündigungszeitpunkt bereits als schwerbehinderter Mensch anerkannt, steht ihm der Kündigungsschutz gemäß §§ 85 ff. SGB IX nach dem Wortlaut des Gesetzes auch dann zu, wenn der Arbeitgeber von der Schwerbehinderteneigenschaft oder dem Anerkennungsantrag nichts wusste. Das ergibt sich schon daraus, dass § 85 iVm. § 2 SGB IX mit der „Schwerbehinderung“ ohnehin auf einen objektiven Grad der Behinderung und nicht auf dessen behördliche Feststellung abstellt(BAG 6. September 2007 - 2 AZR 324/06 - Rn. 24, BAGE 124, 43; 12. Januar 2006 - 2 AZR 539/05 - Rn. 15, AP SGB IX § 85 Nr. 3 = EzA SGB IX § 85 Nr. 5).

22

2. Gleichwohl trifft den Arbeitnehmer - sowohl im Fall der außerordentlichen als auch der ordentlichen Kündigung - bei Unkenntnis des Arbeitgebers von der Schwerbehinderung bzw. der Antragstellung die Obliegenheit, innerhalb einer angemessenen Frist - die in der Regel drei Wochen beträgt - auf den besonderen Kündigungsschutz hinzuweisen (vgl. BAG 23. Februar 2010 - 2 AZR 659/08 - Rn. 16, AP SGB IX § 85 Nr. 8 = EzA SGB IX § 85 Nr. 6; 12. Januar 2006 - 2 AZR 539/05 - zu II 3 b der Gründe, AP SGB IX § 85 Nr. 3 = EzA SGB IX § 85 Nr. 5). Dies trägt dem Verwirkungsgedanken (§ 242 BGB) Rechnung und ist aus Gründen des Vertrauensschutzes gerechtfertigt (BAG 13. Februar 2008 - 2 AZR 864/06 - Rn. 16, BAGE 125, 345; 20. Januar 2005 - 2 AZR 675/03 - zu II 3 a der Gründe, AP SGB IX § 85 Nr. 1 = EzA SGB IX § 85 Nr. 3). Der Arbeitgeber, der keine Kenntnis von dem bestehenden oder möglichen Schutztatbestand hat, hat keinen Anlass, eine behördliche Zustimmung zur Kündigung einzuholen. Je nach dem Stand des Verfahrens beim Versorgungsamt ist ihm dies sogar unmöglich. Das Erfordernis, sich zeitnah auf den besonderen Kündigungsschutz zu berufen, ist geeignet, einer Überforderung des Arbeitgebers vorzubeugen. Dieser müsste anderenfalls vor Kündigungen stets vorsorglich einen Antrag auf Zustimmung beim Integrationsamt stellen, damit nicht der besondere Schutztatbestand ggf. erst nach längerer Prozessdauer offenbar wird. Das Erfordernis trägt zugleich dem Gebot der Rechtssicherheit Rechnung (BAG 20. Januar 2005 - 2 AZR 675/03 - zu II 3 a der Gründe, aaO).

23

3. Eine Einschränkung der Möglichkeit des Arbeitnehmers, sich auf den Kündigungsschutz als schwerbehinderter Mensch zu berufen, ist aber nur gerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber tatsächlich schutzbedürftig ist. Das ist hier nicht der Fall.

24

a) Das Rechtsinstitut der Verwirkung verfolgt nicht den Zweck, den Schuldner stets dann von seiner Verpflichtung zu befreien, wenn der Gläubiger sich längere Zeit nicht auf seine Rechte berufen hat (Zeitmoment). Der Gläubiger muss vielmehr unter Umständen untätig geblieben sein, die den Eindruck erweckt haben, er wolle sein Recht nicht mehr wahrnehmen, so dass der Verpflichtete sich darauf einstellen durfte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden (Umstandsmoment). Hierbei muss das Bedürfnis nach Vertrauensschutz auf Seiten des Verpflichteten das Interesse an der Rechtsausübung auf Seiten des Berechtigten derart überwiegen, dass ersterem die Erfüllung seiner Verpflichtung nicht mehr zuzumuten ist (BAG 15. Februar 2007 - 8 AZR 431/06 - Rn. 42, BAGE 121, 289).

25

b) Danach kann der Arbeitgeber regelmäßig keinen Vertrauensschutz für sich in Anspruch nehmen, wenn er die Schwerbehinderung oder den Antrag vor Ausspruch der Kündigung kannte und deshalb mit dem Zustimmungserfordernis rechnen musste (vgl. BAG 23. Februar 2010 - 2 AZR 659/08 - Rn. 16, AP SGB IX § 85 Nr. 8 = EzA SGB IX § 85 Nr. 6; 6. September 2007 - 2 AZR 324/06 - Rn. 25, BAGE 124, 43). Der Arbeitgeber ist auch dann nicht schutzbedürftig, wenn die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers offenkundig ist und er deshalb auch ohne Kenntnis von Anerkennung oder Antragstellung Anlass hatte, vorsorglich die Zustimmung zur Kündigung zu beantragen (BAG 13. Februar 2008 - 2 AZR 864/06 - Rn. 15, 20, BAGE 125, 345).

26

c) Gemessen hieran sind die Voraussetzungen einer Verwirkung nicht erfüllt. Der Beklagten war durch das Schreiben des Klägers vom 7. März 2007 die Antragstellung beim Versorgungsamt bekannt. Sie musste mit einer Anerkennung des Klägers als schwerbehinderter Mensch und damit der Zustimmungsbedürftigkeit der Kündigung vom 8. Mai 2007 rechnen. Weitergehender Informationen bedurfte sie nicht. Insbesondere war der Kläger nicht verpflichtet, ihr das Datum der Antragstellung mitzuteilen oder seine Schwerbehinderung innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung durch Vorlage des Feststellungsbescheids nachzuweisen.

27

aa) Das Schreiben vom 7. März 2007 war geeignet, der Beklagten die erforderliche Kenntnis von der Möglichkeit des Bestehens einer Schwerbehinderung des Klägers zu vermitteln.

28

(1) Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden auf Antrag das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest. Der Antrag auf Feststellung einer „Behinderung“ schließt, da die Versorgungsämter die Behinderung von Amts wegen festzustellen haben, die Feststellung einer Schwerbehinderung iSv. § 2 Abs. 2 SGB IX ein. Darüber hinaus bedarf es - soweit die Schwerbehinderung nicht ohnehin offensichtlich ist - einer (förmlichen) Feststellung der Behinderung und ihres Grades nach § 69 SGB IX nur für die Inanspruchnahme der besonderen Hilfen zur Teilhabe Schwerbehinderter am Arbeitsleben und für einen Nachteilsausgleich nach Teil 2 SGB IX(vgl. dazu BT-Drucks. 14/5074 S. 98; Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen SGB IX 12. Aufl. § 2 Rn. 26). Dazu zählt auch der besondere Kündigungsschutz nach §§ 85 ff. SGB IX.

29

(2) Die Beklagte hat die Mitteilung ersichtlich zunächst so verstanden, dass sich der Antrag des Klägers (auch) auf die Feststellung einer Schwerbehinderung bezog. Sie hat behauptet, ihr Prozessbevollmächtigter habe sich im Gütetermin vom 16. April 2007 nach dem Datum der Antragstellung und dem Aktenzeichen des Vorgangs erkundigt. Diese Fragen zielten erkennbar darauf, die Relevanz der Antragstellung für die Wirksamkeit der ersten (ordentlichen) Kündigung mit Blick auf vom Kläger einzuhaltende Fristen (§ 90 Abs. 2a iVm. § 69 Abs. 2 SGB IX)abzuklären. Wäre die Beklagte im Zweifel darüber gewesen, ob sich der Antrag auch auf die Feststellung einer Schwerbehinderung bezog, hätte sie dies aller Wahrscheinlichkeit nach zum Ausdruck gebracht.

30

(3) Ob der Prozessbevollmächtigte des Klägers im Gütetermin vom 16. April 2007 in der Lage war, nähere Auskünfte zum Antragsverfahren zu erteilen, kann offenbleiben. Selbst wenn dies - wie die Beklagte behauptet - nicht der Fall gewesen sein sollte, war daraus nicht abzuleiten, die Angaben im Schreiben vom 7. März 2007 entbehrten jeglicher Grundlage. Wenn die Beklagte dies dennoch tat, handelte sie auf eigenes Risiko.

31

bb) Die Beklagte war aufgrund der Angaben im Schreiben vom 7. März 2007 ausreichend in die Lage versetzt, zumindest vorsorglich die Zustimmung zur Kündigung zu beantragen. Nach § 87 Abs. 1 SGB IX ist der Zustimmungsantrag schriftlich bei dem für den Sitz des Betriebes zuständigen Integrationsamt anzubringen. Dabei ist anzugeben, ob das Arbeitsverhältnis ordentlich oder außerordentlich gekündigt werden soll, und sind die Gründe der Kündigung einschließlich des in Auge gefassten Kündigungstermins zu benennen. Darüber hinaus sind Angaben zur Person des Betroffenen wie Name und Anschrift erforderlich (vgl. Düwell in Dau/Düwell/Joussen SGB IX 3. Aufl. § 87 Rn. 9; Knittel SGB IX 5. Aufl. § 87 Rn. 5a; Kossens in Kossens/von der Heide/Maaß SGB IX 3. Aufl. § 87 Rn. 2 ff.; jeweils mwN). Eine Verpflichtung des Arbeitgebers, konkrete Angaben zu einem bestimmten Feststellungsantrag des Arbeitnehmers zu machen, lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen. Die Zustimmungsbedürftigkeit der beabsichtigten Kündigung hat das Integrationsamt nach § 20 Abs. 1 SGB X von Amts wegen aufzuklären. Dabei haben sowohl der Arbeitgeber als auch der Arbeitnehmer mitzuwirken. Sie sollen insbesondere ihnen bekannte Tatsachen und Beweismittel angeben (§ 21 Abs. 2 SGB X).

32

cc) Zu Unrecht meint die Beklagte, der Mitteilung des Datums der Antragstellung habe es bedurft, um ihr eine Überprüfung der Relevanz der Antragstellung mit Blick auf die Frist des § 90 Abs. 2a SGB IX zu ermöglichen.

33

(1) Allerdings ist der Zeitpunkt der Antragstellung durchaus von Bedeutung. Ist die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers im Kündigungszeitpunkt noch nicht festgestellt, sondern ist lediglich ein entsprechender Antrag gestellt, besteht der Sonderkündigungsschutz nur, wenn der Arbeitnehmer den Antrag so frühzeitig gestellt hat, dass eine Entscheidung bei Ausspruch der Kündigung binnen der Frist des § 69 Abs. 1 Satz 2 SGB IX möglich gewesen wäre. Hat demnach der Arbeitnehmer seinen Antrag nicht mindestens drei Wochen vor Zugang der Kündigung gestellt und liegt im Kündigungszeitpunkt auch noch kein Bescheid vor, der seine Schwerbehinderung feststellt, kann er keinen besonderen Kündigungsschutz beanspruchen (BAG 1. März 2007 - 2 AZR 217/06 - Rn. 43, BAGE 121, 335). Aus diesem Grund wird im Schrifttum die Auffassung vertreten, der Arbeitnehmer, der sich nach Ausspruch der Kündigung auf eine bereits geltend gemachte, aber noch nicht durch Bescheid festgestellte Schwerbehinderung berufe, müsse zugleich die Rechtzeitigkeit der Antragstellung darlegen (vgl. Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen SGB IX 12. Aufl. § 85 Rn. 37).

34

(2) Ob dieser Auffassung zu folgen ist, kann dahinstehen. Im Streitfall kam es auf die Rechtzeitigkeit der Antragstellung schon deshalb nicht an, weil im Kündigungszeitpunkt ein die Schwerbehinderung des Klägers feststellender Bescheid bereits vorlag. Zudem waren seit der Mitteilung vom 7. März 2007 bis zur Kündigung am 8. Mai 2007 mehr als drei Wochen verstrichen.

35

4. § 90 Abs. 2a SGB IX verlangt nicht, dass der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber den Bescheid über die Schwerbehinderung vorlegt, damit der Sonderkündigungsschutz erhalten bleibt. Ausreichend ist die objektive Existenz eines geeigneten Bescheides, der die Schwerbehinderung nachweist (BAG 11. Dezember 2008 - 2 AZR 395/07 - Rn. 28, BAGE 129, 25). Der Arbeitgeber, der die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers im Kündigungszeitpunkt nicht kennt, ist ausreichend durch die vom Senat entwickelten Grundsätze zur Verwirkung geschützt. Bezweifelt er die ihm mitgeteilte Schwerbehinderung oder Antragstellung, kann er die Anerkennung bestreiten und sich auf diese Weise Klarheit verschaffen (BAG 11. Dezember 2008 - 2 AZR 395/07 - aaO). Hat der Arbeitnehmer vorprozessual eine Antragstellung behauptet, kann der Arbeitgeber beim Integrationsamt vorsorglich einen Antrag auf Zustimmung zur Kündigung stellen. Erhält er auf seinen form- und fristgerecht gestellten Antrag ein Negativattest, beseitigt dieses, jedenfalls wenn es bestandskräftig ist, die Kündigungssperre (BAG 6. September 2007 - 2 AZR 324/06 - Rn. 15, BAGE 124, 43).

36

IV. Darauf, ob ein wichtiger Grund zur Kündigung im Sinne von § 626 BGB vorlag, kommt es nicht an.

37

V. Die Beklagte hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Schmitz-Scholemann    

        

    Berger    

        

        

        

    H. Frey    

        

    Nielebock    

                 

(1) Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Menschen sind von Behinderung bedroht, wenn eine Beeinträchtigung nach Satz 1 zu erwarten ist.

(2) Menschen sind im Sinne des Teils 3 schwerbehindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 156 rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben.

(3) Schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden sollen Menschen mit Behinderungen mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 156 nicht erlangen oder nicht behalten können (gleichgestellte behinderte Menschen).

Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 21. August 2009 - 3 Sa 698/08 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten noch über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

2

Die Beklagte betreibt in C ein Steuerberatungsbüro. In S unterhielt sie eine Zweigstelle/Beratungsstelle.

3

Der Kläger, der über keinen Abschluss als Steuerberater verfügt, war seit Oktober 1994 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin tätig. Ihm oblag die Bearbeitung der laufenden Geschäfte der Zweigstelle. Außerdem war er „fachlicher Ansprechpartner“ der in S eingesetzten Arbeitnehmer der Beklagten.

4

Seit August 2006 war der Kläger arbeitsunfähig. Am 2. Januar 2007 beantragte er beim Amt für Familie und Soziales - Versorgungsamt - der Stadt C rückwirkend ab dem 27. September 2006 „die Feststellung einer Behinderung, des Grades der Behinderung (GdB) und die Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises“.

5

Im Februar 2007 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31. Juli 2007 wegen Schließung der Zweigstelle. Dagegen erhob der Kläger Kündigungsschutzklage. Mit außergerichtlichem Schreiben vom 7. März 2007 teilte sein Prozessbevollmächtigter der Beklagten - unter Hinweis auf die ihm vorliegende Kündigung und die bereits eingereichte Klage - „der Vollständigkeit halber“ mit, dass der Kläger beim Versorgungsamt C „einen Antrag auf Feststellung über das Vorliegen einer Behinderung“ gestellt habe. Eine Entscheidung liege noch nicht vor.

6

Mit Bescheid vom 21. März 2007 stellte das Versorgungsamt die Schwerbehinderung des Klägers mit einem GdB von 100 rückwirkend ab dem 27. September 2006 fest.

7

Am 16. April 2007 fand in dem Kündigungsschutzprozess die Güteverhandlung statt. Ob der Prozessbevollmächtigte des Klägers dabei nähere Angaben zu dem Antrag beim Versorgungsamt und zum Stand des Verfahrens machte, ist zwischen den Parteien streitig. Die Verhandlung endete mit dem Abschluss eines für den Kläger bis zum 30. April 2007 widerruflichen Vergleichs, der hinsichtlich einer vereinbarten Abfindung eine Ratenzahlung vorsah.

8

Am 27. April 2007 suchte der Kläger die Beklagte in S auf und begehrte die Zahlung der zugesagten Abfindung in einer Summe. Das lehnte die Beklagte ebenso ab wie eine vom Kläger alternativ geforderte Sicherheitsleistung. Daraufhin widerrief der Kläger den Vergleich. Seine Kündigungsschutzklage nahm er später zurück.

9

Die Beklagte erstattete nach dem Gespräch gegen den Kläger Strafanzeige mit der Begründung, der Kläger habe versucht, sie zu nötigen. Außerdem kündigte sie das Arbeitsverhältnis - ohne Zustimmung des Integrationsamts - mit Schreiben vom 8. Mai 2007 fristlos.

10

Gegen diese Kündigung hat sich der Kläger mit seiner vorliegenden Kündigungsschutzklage gewandt und geltend gemacht, ein wichtiger Grund liege nicht vor. Zudem sei die Kündigung wegen fehlender Zustimmung des Integrationsamts unwirksam. Er habe die Beklagte durch das Schreiben vom 7. März 2007 hinreichend über seine zur Feststellung beantragte Schwerbehinderung unterrichtet. Während der Güteverhandlung im ersten Kündigungsschutzprozess habe sein Prozessbevollmächtigter zudem mitgeteilt, das Antragsverfahren sei abgeschlossen und er - der Kläger - sei „zu 100 % schwerbehindert“.

11

Der Kläger hat - soweit noch von Bedeutung - beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung vom 8. Mai 2007 nicht aufgelöst worden ist.

12

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die fristlose Kündigung sei wirksam. Der Kläger habe anlässlich des Gesprächs in S mit unlauteren Mitteln versucht, sie zum Eingehen auf seine Forderungen betreffend die Abfindungszahlung zu bewegen. Außerdem habe er gegen ein bestehendes Verbot verstoßen, Abschriften aus Handakten und Mandantenunterlagen zu fertigen. Ein sonstiger Unwirksamkeitsgrund liege nicht vor. Der Kläger habe das Recht, sich auf einen besonderen Kündigungsschutz als schwerbehinderter Mensch zu berufen, verwirkt. Er habe sich gegenüber der Kündigung vom 8. Mai 2007 - unstreitig - erstmals im Gütetermin vom 14. Juni 2007 auf seine Schwerbehinderung berufen. Das Schreiben vom 7. März 2007 habe ihr keine ausreichende Kenntnis der Möglichkeit des Bestehens einer Schwerbehinderung verschafft. Es fehle an der Mitteilung des Datums der Antragstellung und des Aktenzeichens des beim Versorgungsamt bearbeiteten Vorgangs. Im Gütetermin des Vorprozesses habe sich der Prozessbevollmächtigte des Klägers nicht in der Lage gesehen, hierzu nähere Angaben zu machen.

13

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision begehrt die Beklagte weiterhin, die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

14

Die Revision ist unbegründet. Die fristlose Kündigung vom 8. Mai 2007 ist nach § 134 BGB nichtig. Die Kündigung bedurfte gemäß § 91 Abs. 1, § 85 SGB IX der vorherigen Zustimmung des Integrationsamts. Daran fehlt es.

15

I. Der Kläger hat gegen die Kündigung gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 iVm. § 4 Satz 1 KSchG binnen Dreiwochenfrist Kündigungsschutzklage erhoben. Dass er sich erst nach Ablauf dieser Frist auf seine Schwerbehinderung und einen daraus resultierenden Unwirksamkeitsgrund berufen hat, ist mit Blick auf die Klageerhebungsfrist unschädlich; er hat die erforderliche Rüge ordnungsgemäß (§ 6 KSchG) innerhalb des ersten Rechtszugs nachgeholt (vgl. BAG 11. Dezember 2008 - 2 AZR 395/07 - Rn. 15, BAGE 129, 25; 23. April 2008 - 2 AZR 699/06 - Rn. 22, AP KSchG 1969 § 4 Nr. 65 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 84).

16

II. Dem Kläger stand im Kündigungszeitpunkt der Sonderkündigungsschutz nach §§ 85 ff. SGB IX zu.

17

1. Gemäß § 85 SGB IX bedarf die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber der vorherigen Zustimmung des Integrationsamts. Das gilt uneingeschränkt auch für die außerordentliche Kündigung, § 91 Abs. 1 SGB IX.

18

Allerdings findet das Zustimmungserfordernis nach § 90 Abs. 2a SGB IX dann keine Anwendung, wenn zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch nicht nachgewiesen ist oder das Versorgungsamt nach Ablauf der Frist des § 69 Abs. 1 Satz 2 SGB IX eine Feststellung wegen fehlender Mitwirkung nicht treffen konnte. Das Eingreifen des Sonderkündigungsschutzes setzt damit grundsätzlich voraus, dass im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung entweder die Schwerbehinderung bereits anerkannt (oder eine Gleichstellung erfolgt) ist oder die Stellung des Antrags auf Anerkennung der Schwerbehinderung (bzw. auf Gleichstellung) mindestens drei Wochen zurückliegt (BAG 29. November 2007 - 2 AZR 613/06 - Rn. 15, AP SGB IX § 90 Nr. 5 = EzA SGB IX § 90 Nr. 3; 1. März 2007 - 2 AZR 217/06 - BAGE 121, 335).

19

2. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat das Versorgungsamt am 21. März 2007 - und damit vor Zugang der fristlosen Kündigung - die Schwerbehinderung des Klägers mit einem Grad von 100 festgestellt.

20

III. Der Kläger musste die Beklagte nicht binnen drei Wochen nach Zugang der Kündigung vom 8. Mai 2007 auf seine Anerkennung als schwerbehinderter Mensch hinweisen, um sich den besonderen Kündigungsschutz zu erhalten.

21

1. Ist der Arbeitnehmer im Kündigungszeitpunkt bereits als schwerbehinderter Mensch anerkannt, steht ihm der Kündigungsschutz gemäß §§ 85 ff. SGB IX nach dem Wortlaut des Gesetzes auch dann zu, wenn der Arbeitgeber von der Schwerbehinderteneigenschaft oder dem Anerkennungsantrag nichts wusste. Das ergibt sich schon daraus, dass § 85 iVm. § 2 SGB IX mit der „Schwerbehinderung“ ohnehin auf einen objektiven Grad der Behinderung und nicht auf dessen behördliche Feststellung abstellt(BAG 6. September 2007 - 2 AZR 324/06 - Rn. 24, BAGE 124, 43; 12. Januar 2006 - 2 AZR 539/05 - Rn. 15, AP SGB IX § 85 Nr. 3 = EzA SGB IX § 85 Nr. 5).

22

2. Gleichwohl trifft den Arbeitnehmer - sowohl im Fall der außerordentlichen als auch der ordentlichen Kündigung - bei Unkenntnis des Arbeitgebers von der Schwerbehinderung bzw. der Antragstellung die Obliegenheit, innerhalb einer angemessenen Frist - die in der Regel drei Wochen beträgt - auf den besonderen Kündigungsschutz hinzuweisen (vgl. BAG 23. Februar 2010 - 2 AZR 659/08 - Rn. 16, AP SGB IX § 85 Nr. 8 = EzA SGB IX § 85 Nr. 6; 12. Januar 2006 - 2 AZR 539/05 - zu II 3 b der Gründe, AP SGB IX § 85 Nr. 3 = EzA SGB IX § 85 Nr. 5). Dies trägt dem Verwirkungsgedanken (§ 242 BGB) Rechnung und ist aus Gründen des Vertrauensschutzes gerechtfertigt (BAG 13. Februar 2008 - 2 AZR 864/06 - Rn. 16, BAGE 125, 345; 20. Januar 2005 - 2 AZR 675/03 - zu II 3 a der Gründe, AP SGB IX § 85 Nr. 1 = EzA SGB IX § 85 Nr. 3). Der Arbeitgeber, der keine Kenntnis von dem bestehenden oder möglichen Schutztatbestand hat, hat keinen Anlass, eine behördliche Zustimmung zur Kündigung einzuholen. Je nach dem Stand des Verfahrens beim Versorgungsamt ist ihm dies sogar unmöglich. Das Erfordernis, sich zeitnah auf den besonderen Kündigungsschutz zu berufen, ist geeignet, einer Überforderung des Arbeitgebers vorzubeugen. Dieser müsste anderenfalls vor Kündigungen stets vorsorglich einen Antrag auf Zustimmung beim Integrationsamt stellen, damit nicht der besondere Schutztatbestand ggf. erst nach längerer Prozessdauer offenbar wird. Das Erfordernis trägt zugleich dem Gebot der Rechtssicherheit Rechnung (BAG 20. Januar 2005 - 2 AZR 675/03 - zu II 3 a der Gründe, aaO).

23

3. Eine Einschränkung der Möglichkeit des Arbeitnehmers, sich auf den Kündigungsschutz als schwerbehinderter Mensch zu berufen, ist aber nur gerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber tatsächlich schutzbedürftig ist. Das ist hier nicht der Fall.

24

a) Das Rechtsinstitut der Verwirkung verfolgt nicht den Zweck, den Schuldner stets dann von seiner Verpflichtung zu befreien, wenn der Gläubiger sich längere Zeit nicht auf seine Rechte berufen hat (Zeitmoment). Der Gläubiger muss vielmehr unter Umständen untätig geblieben sein, die den Eindruck erweckt haben, er wolle sein Recht nicht mehr wahrnehmen, so dass der Verpflichtete sich darauf einstellen durfte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden (Umstandsmoment). Hierbei muss das Bedürfnis nach Vertrauensschutz auf Seiten des Verpflichteten das Interesse an der Rechtsausübung auf Seiten des Berechtigten derart überwiegen, dass ersterem die Erfüllung seiner Verpflichtung nicht mehr zuzumuten ist (BAG 15. Februar 2007 - 8 AZR 431/06 - Rn. 42, BAGE 121, 289).

25

b) Danach kann der Arbeitgeber regelmäßig keinen Vertrauensschutz für sich in Anspruch nehmen, wenn er die Schwerbehinderung oder den Antrag vor Ausspruch der Kündigung kannte und deshalb mit dem Zustimmungserfordernis rechnen musste (vgl. BAG 23. Februar 2010 - 2 AZR 659/08 - Rn. 16, AP SGB IX § 85 Nr. 8 = EzA SGB IX § 85 Nr. 6; 6. September 2007 - 2 AZR 324/06 - Rn. 25, BAGE 124, 43). Der Arbeitgeber ist auch dann nicht schutzbedürftig, wenn die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers offenkundig ist und er deshalb auch ohne Kenntnis von Anerkennung oder Antragstellung Anlass hatte, vorsorglich die Zustimmung zur Kündigung zu beantragen (BAG 13. Februar 2008 - 2 AZR 864/06 - Rn. 15, 20, BAGE 125, 345).

26

c) Gemessen hieran sind die Voraussetzungen einer Verwirkung nicht erfüllt. Der Beklagten war durch das Schreiben des Klägers vom 7. März 2007 die Antragstellung beim Versorgungsamt bekannt. Sie musste mit einer Anerkennung des Klägers als schwerbehinderter Mensch und damit der Zustimmungsbedürftigkeit der Kündigung vom 8. Mai 2007 rechnen. Weitergehender Informationen bedurfte sie nicht. Insbesondere war der Kläger nicht verpflichtet, ihr das Datum der Antragstellung mitzuteilen oder seine Schwerbehinderung innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung durch Vorlage des Feststellungsbescheids nachzuweisen.

27

aa) Das Schreiben vom 7. März 2007 war geeignet, der Beklagten die erforderliche Kenntnis von der Möglichkeit des Bestehens einer Schwerbehinderung des Klägers zu vermitteln.

28

(1) Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden auf Antrag das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest. Der Antrag auf Feststellung einer „Behinderung“ schließt, da die Versorgungsämter die Behinderung von Amts wegen festzustellen haben, die Feststellung einer Schwerbehinderung iSv. § 2 Abs. 2 SGB IX ein. Darüber hinaus bedarf es - soweit die Schwerbehinderung nicht ohnehin offensichtlich ist - einer (förmlichen) Feststellung der Behinderung und ihres Grades nach § 69 SGB IX nur für die Inanspruchnahme der besonderen Hilfen zur Teilhabe Schwerbehinderter am Arbeitsleben und für einen Nachteilsausgleich nach Teil 2 SGB IX(vgl. dazu BT-Drucks. 14/5074 S. 98; Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen SGB IX 12. Aufl. § 2 Rn. 26). Dazu zählt auch der besondere Kündigungsschutz nach §§ 85 ff. SGB IX.

29

(2) Die Beklagte hat die Mitteilung ersichtlich zunächst so verstanden, dass sich der Antrag des Klägers (auch) auf die Feststellung einer Schwerbehinderung bezog. Sie hat behauptet, ihr Prozessbevollmächtigter habe sich im Gütetermin vom 16. April 2007 nach dem Datum der Antragstellung und dem Aktenzeichen des Vorgangs erkundigt. Diese Fragen zielten erkennbar darauf, die Relevanz der Antragstellung für die Wirksamkeit der ersten (ordentlichen) Kündigung mit Blick auf vom Kläger einzuhaltende Fristen (§ 90 Abs. 2a iVm. § 69 Abs. 2 SGB IX)abzuklären. Wäre die Beklagte im Zweifel darüber gewesen, ob sich der Antrag auch auf die Feststellung einer Schwerbehinderung bezog, hätte sie dies aller Wahrscheinlichkeit nach zum Ausdruck gebracht.

30

(3) Ob der Prozessbevollmächtigte des Klägers im Gütetermin vom 16. April 2007 in der Lage war, nähere Auskünfte zum Antragsverfahren zu erteilen, kann offenbleiben. Selbst wenn dies - wie die Beklagte behauptet - nicht der Fall gewesen sein sollte, war daraus nicht abzuleiten, die Angaben im Schreiben vom 7. März 2007 entbehrten jeglicher Grundlage. Wenn die Beklagte dies dennoch tat, handelte sie auf eigenes Risiko.

31

bb) Die Beklagte war aufgrund der Angaben im Schreiben vom 7. März 2007 ausreichend in die Lage versetzt, zumindest vorsorglich die Zustimmung zur Kündigung zu beantragen. Nach § 87 Abs. 1 SGB IX ist der Zustimmungsantrag schriftlich bei dem für den Sitz des Betriebes zuständigen Integrationsamt anzubringen. Dabei ist anzugeben, ob das Arbeitsverhältnis ordentlich oder außerordentlich gekündigt werden soll, und sind die Gründe der Kündigung einschließlich des in Auge gefassten Kündigungstermins zu benennen. Darüber hinaus sind Angaben zur Person des Betroffenen wie Name und Anschrift erforderlich (vgl. Düwell in Dau/Düwell/Joussen SGB IX 3. Aufl. § 87 Rn. 9; Knittel SGB IX 5. Aufl. § 87 Rn. 5a; Kossens in Kossens/von der Heide/Maaß SGB IX 3. Aufl. § 87 Rn. 2 ff.; jeweils mwN). Eine Verpflichtung des Arbeitgebers, konkrete Angaben zu einem bestimmten Feststellungsantrag des Arbeitnehmers zu machen, lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen. Die Zustimmungsbedürftigkeit der beabsichtigten Kündigung hat das Integrationsamt nach § 20 Abs. 1 SGB X von Amts wegen aufzuklären. Dabei haben sowohl der Arbeitgeber als auch der Arbeitnehmer mitzuwirken. Sie sollen insbesondere ihnen bekannte Tatsachen und Beweismittel angeben (§ 21 Abs. 2 SGB X).

32

cc) Zu Unrecht meint die Beklagte, der Mitteilung des Datums der Antragstellung habe es bedurft, um ihr eine Überprüfung der Relevanz der Antragstellung mit Blick auf die Frist des § 90 Abs. 2a SGB IX zu ermöglichen.

33

(1) Allerdings ist der Zeitpunkt der Antragstellung durchaus von Bedeutung. Ist die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers im Kündigungszeitpunkt noch nicht festgestellt, sondern ist lediglich ein entsprechender Antrag gestellt, besteht der Sonderkündigungsschutz nur, wenn der Arbeitnehmer den Antrag so frühzeitig gestellt hat, dass eine Entscheidung bei Ausspruch der Kündigung binnen der Frist des § 69 Abs. 1 Satz 2 SGB IX möglich gewesen wäre. Hat demnach der Arbeitnehmer seinen Antrag nicht mindestens drei Wochen vor Zugang der Kündigung gestellt und liegt im Kündigungszeitpunkt auch noch kein Bescheid vor, der seine Schwerbehinderung feststellt, kann er keinen besonderen Kündigungsschutz beanspruchen (BAG 1. März 2007 - 2 AZR 217/06 - Rn. 43, BAGE 121, 335). Aus diesem Grund wird im Schrifttum die Auffassung vertreten, der Arbeitnehmer, der sich nach Ausspruch der Kündigung auf eine bereits geltend gemachte, aber noch nicht durch Bescheid festgestellte Schwerbehinderung berufe, müsse zugleich die Rechtzeitigkeit der Antragstellung darlegen (vgl. Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen SGB IX 12. Aufl. § 85 Rn. 37).

34

(2) Ob dieser Auffassung zu folgen ist, kann dahinstehen. Im Streitfall kam es auf die Rechtzeitigkeit der Antragstellung schon deshalb nicht an, weil im Kündigungszeitpunkt ein die Schwerbehinderung des Klägers feststellender Bescheid bereits vorlag. Zudem waren seit der Mitteilung vom 7. März 2007 bis zur Kündigung am 8. Mai 2007 mehr als drei Wochen verstrichen.

35

4. § 90 Abs. 2a SGB IX verlangt nicht, dass der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber den Bescheid über die Schwerbehinderung vorlegt, damit der Sonderkündigungsschutz erhalten bleibt. Ausreichend ist die objektive Existenz eines geeigneten Bescheides, der die Schwerbehinderung nachweist (BAG 11. Dezember 2008 - 2 AZR 395/07 - Rn. 28, BAGE 129, 25). Der Arbeitgeber, der die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers im Kündigungszeitpunkt nicht kennt, ist ausreichend durch die vom Senat entwickelten Grundsätze zur Verwirkung geschützt. Bezweifelt er die ihm mitgeteilte Schwerbehinderung oder Antragstellung, kann er die Anerkennung bestreiten und sich auf diese Weise Klarheit verschaffen (BAG 11. Dezember 2008 - 2 AZR 395/07 - aaO). Hat der Arbeitnehmer vorprozessual eine Antragstellung behauptet, kann der Arbeitgeber beim Integrationsamt vorsorglich einen Antrag auf Zustimmung zur Kündigung stellen. Erhält er auf seinen form- und fristgerecht gestellten Antrag ein Negativattest, beseitigt dieses, jedenfalls wenn es bestandskräftig ist, die Kündigungssperre (BAG 6. September 2007 - 2 AZR 324/06 - Rn. 15, BAGE 124, 43).

36

IV. Darauf, ob ein wichtiger Grund zur Kündigung im Sinne von § 626 BGB vorlag, kommt es nicht an.

37

V. Die Beklagte hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Schmitz-Scholemann    

        

    Berger    

        

        

        

    H. Frey    

        

    Nielebock    

                 

Werden Menschen mit Behinderungen in ihren Rechten nach diesem Buch verletzt, können an ihrer Stelle und mit ihrem Einverständnis Verbände klagen, die nach ihrer Satzung Menschen mit Behinderungen auf Bundes- oder Landesebene vertreten und nicht selbst am Prozess beteiligt sind. In diesem Fall müssen alle Verfahrensvoraussetzungen wie bei einem Rechtsschutzersuchen durch den Menschen mit Behinderungen selbst vorliegen.

Will ein Arbeitnehmer geltend machen, dass eine Kündigung sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist, so muss er innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung Klage beim Arbeitsgericht auf Feststellung erheben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist. Im Falle des § 2 ist die Klage auf Feststellung zu erheben, daß die Änderung der Arbeitsbedingungen sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist. Hat der Arbeitnehmer Einspruch beim Betriebsrat eingelegt (§ 3), so soll er der Klage die Stellungnahme des Betriebsrats beifügen. Soweit die Kündigung der Zustimmung einer Behörde bedarf, läuft die Frist zur Anrufung des Arbeitsgerichts erst von der Bekanntgabe der Entscheidung der Behörde an den Arbeitnehmer ab.

Werden Menschen mit Behinderungen in ihren Rechten nach diesem Buch verletzt, können an ihrer Stelle und mit ihrem Einverständnis Verbände klagen, die nach ihrer Satzung Menschen mit Behinderungen auf Bundes- oder Landesebene vertreten und nicht selbst am Prozess beteiligt sind. In diesem Fall müssen alle Verfahrensvoraussetzungen wie bei einem Rechtsschutzersuchen durch den Menschen mit Behinderungen selbst vorliegen.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg - Kammern Mannheim - vom 25. März 2008 - 16 Sa 87/07 - aufgehoben, soweit es die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Karlsruhe zurückgewiesen hat.

Die Anschlussrevision der Beklagten wird zurückgewiesen.

Im Umfang der Aufhebung wird der Rechtsstreit an das Landesarbeitsgericht zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision und der Anschlussrevision - zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Klägerin macht die Unwirksamkeit zweier ordentlicher, von der Beklagten auf betriebliche Gründe gestützter Kündigungen geltend. Dabei streiten die Parteien vor allem um die Frage, ob in den jeweiligen Kündigungszeitpunkten eine hinreichend sichere Prognose für die von der Beklagten behauptete Betriebsstilllegung bestand, ferner um die Auslegung von § 18 Abs. 4 KSchG sowie darum, ob die Klägerin den ihr zustehenden Sonderkündigungsschutz als schwerbehinderter Mensch rechtzeitig geltend gemacht hat.

2

Die Klägerin trat am 29. August 1989 als Arbeiterin in die Dienste der Rechtsvorgängerin der Beklagten. Die Beklagte stellte in ihrem Betrieb in B mit angeschlossenem Betriebsteil in K Gummidichtungen für die Automobilindustrie her und beschäftigte zum Jahresende 2006 etwa 170 Arbeitnehmer.

3

Mit Schreiben vom 13. Juni 2006 unterrichtete die Beklagte den Betriebsrat über ihre Absicht, den gesamten Betrieb bis zum 30. Juni 2007 zu schließen und die Produktion teilweise nach H, teilweise nach Ungarn zu verlagern. In H betreibt die weltweit agierende Konzernmutter der Beklagten ein weiteres Unternehmen.

4

In der Folgezeit führte die Beklagte mit dem Betriebsrat Verhandlungen, die am 18. Oktober 2006 zum Abschluss eines Interessenausgleichs und eines Sozialplans führten. Gem. Ziff. 2.1 des Interessenausgleichs sollte die gesamte Produktion einschließlich der „Mischerei“ und der „Oberflächenbeschichtung“ schrittweise bis zum 30. Juni 2007 stillgelegt werden.

5

Mit Schreiben vom 15. November 2006 informierte die Beklagte den Betriebsrat über eine geplante Massenentlassungsanzeige gem. § 17 Abs. 2 KSchG. Der Betriebsrat nahm hierzu am 21. November 2006 Stellung.

6

Unter dem 27. November 2006 teilte die Beklagte der Agentur für Arbeit mit, sie beabsichtige am 29. und 30. November 2006 insgesamt 157 Arbeitnehmer zu entlassen, bat um Mitteilung des Beginns und des Endes der Sperrfrist und beantragte die Zustimmung zu deren Abkürzung. Mit Schreiben vom 29. November 2006, das der Klägerin am folgenden Tag zuging, sprach sie gegenüber der Klägerin die Kündigung zum 30. Juni 2007 aus.

7

Am 11. Dezember 2006 erteilte die Agentur für Arbeit der Beklagten einen Bescheid mit folgendem Wortlaut:

        

„1.

Die Entlassungssperre gemäß § 18 Abs. 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) beginnt für 157 Arbeitnehmer am 28.11.2006 und endet am 27.12.2006.

                 

Damit können die beabsichtigten Entlassungen gemäß Ihrer Anzeige vom 27.11.2006 erfolgen.

                 

Ihrem Antrag auf Verkürzung der Entlassungssperre wird nicht zugestimmt, da für diese Anzeige nach geltender Rechtslage eine Verkürzung der Entlassungssperre nicht erforderlich ist.

        

2.   

Unbeschadet der Entlassungssperre sind die gesetzlichen, tariflichen oder vertraglichen Kündigungsfristen einzuhalten. Reichen sie über die Entlassungssperre hinaus, so sind die Entlassungen erst nach Ablauf der Kündigungsfrist zulässig.

        

...“

        
8

Die Klägerin legte am 15. Dezember 2006 Kündigungsschutzklage ein. Mit Schriftsatz vom 20. Dezember, der bei Gericht am 21. Dezember einging und der Beklagten zusammen mit der Klage am 28. Dezember 2006 zugestellt wurde, machte die Klägerin geltend, die Kündigung sei auch deshalb unwirksam, weil das Integrationsamt nicht über sie unterrichtet worden sei. Die Beklagte beantragte daraufhin die Zustimmung des Integrationsamts zu einer beabsichtigten weiteren Kündigung. Die Zustimmung wurde mit Bescheid vom 29. Januar 2007 erteilt. Mit Schreiben vom 26. Februar 2007 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 31. August 2007 erneut. Auch gegen diese Kündigung erhob die Klägerin rechtzeitig Kündigungsschutzklage.

9

Zum 1. Mai 2007 übertrug die Beklagte den Betriebsteil, in welchem die „Oberflächenbeschichtung“ durchgeführt wurde, auf ein Drittunternehmen. Zum 1. Juni 2007 wurde die Abteilung „Mischerei“ einschließlich der dazugehörigen Instandhaltung und Qualitätssicherung auf die H Schwestergesellschaft übertragen, die allerdings vorübergehend in der bisherigen Betriebsstätte in B weiterarbeiten ließ.

10

Die Klägerin hält die Kündigungen für unwirksam. Die Kündigung vom 29. November 2006 sei schon mangels Zustimmung des Integrationsamts nach § 85 SGB IX unwirksam. Beide Kündigungen seien sozial ungerechtfertigt. Die Beklagte sei im Zeitpunkt des Ausspruchs noch nicht fest entschlossen gewesen, den gesamten Betrieb zum 30. Juni 2007 zu schließen. Außerdem scheiterten die Kündigungen an § 18 Abs. 4 KSchG. Die Beklagte habe eine weitere Anzeige gegenüber der Agentur für Arbeit erstatten müssen, weil die Kündigungen zu einem weit nach Ende der Freifrist liegenden Termin hätten wirken sollen.

11

Die Klägerin hat beantragt

        

festzustellen, dass ihr Arbeitsverhältnis durch die Kündigungen der Beklagten vom 29. November 2006 und 26. Februar 2007 nicht beendet wurde und dieses über den 31. August 2007 hinaus unverändert fortbesteht.

12

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat behauptet, ihr Arbeitsdirektor und rechtsgeschäftlicher Vertreter ihrer Alleingesellschafterin habe gemeinsam mit ihrem Geschäftsführer und dem Chef der europäischen Sealing-Produktgruppe in Absprache mit dem Mutterkonzern die Entscheidung getroffen, den gesamten Produktionsbetrieb in B einschließlich der Verwaltung bis spätestens zum 30. Juni 2007 einzustellen. Diese unternehmerische Entscheidung habe sich sowohl im Informationsschreiben vom 13. Juni 2006 als auch in den beiden Betriebsvereinbarungen vom 18. Oktober 2006 widergespiegelt. Zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung habe sie noch nicht erwogen und auch noch nicht erkennen können, dass zu Beginn des Folgejahres zwei Betriebsteile, nämlich die „Mischerei“ und die „Oberflächenbeschichtung“ aufgrund von Teilbetriebsübergängen weiter fortbestehen würden. Erstmals im Februar/März 2007 habe sie Verhandlungen mit dem Drittunternehmen aufgenommen. Die Entscheidung, die „Mischerei“ mit Wirkung vom 1. Juni 2007 durch das Schwesterunternehmen in H weiterführen zu lassen, sei erst in der zweiten Maihälfte 2007 getroffen worden. Die übrige Produktion sei, wie ursprünglich geplant, zum 30. Juni 2007 stillgelegt worden. Die Massenentlassungsanzeige sei ordnungsgemäß erstattet worden. Die Kündigung vom 29. November 2006 sei nicht nach § 85 SGB IX iVm. § 134 BGB unwirksam. Das Schreiben der Klägerin vom 20. Dezember 2006 lasse schon nicht hinreichend erkennen, dass damit Sonderkündigungsschutz geltend gemacht werden solle. Außerdem sei es ihr erst Anfang Januar und damit zu spät zur Kenntnis gelangt.

13

Das Arbeitsgericht hat nach Beweisaufnahme die Unwirksamkeit der Kündigung vom 29. November 2006 festgestellt und im Übrigen die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin und die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter. Mit der von ihr eingelegten Revision erstrebt die Beklagte die vollständige Abweisung der Klage.

Entscheidungsgründe

14

Die Revision der Beklagten hat keinen Erfolg(I.). Die Kündigung vom 29. November 2006 ist unwirksam nach § 85 SGB IX iVm. § 134 BGB. Die Revision der Klägerin ist zulässig (II.) und begründet (III.). Ob die Kündigung vom 26. Februar 2007 sozialwidrig iSd. § 1 KSchG ist, steht noch nicht fest.

15

I. Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Die Kündigung vom 29. November 2006 ist nichtig nach § 85 SGB IX iVm. § 134 BGB. Sie bedurfte der Zustimmung des Integrationsamts nach § 85 SGB IX.

16

1. Hat der schwerbehinderte Arbeitnehmer - wie hier - im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung bereits einen Bescheid über seine Schwerbehinderteneigenschaft erhalten, so steht ihm der Sonderkündigungsschutz nach §§ 85 ff. SGB IX - abgesehen von den sich aus § 90 SGB IX ergebenden Ausnahmen - nach dem Wortlaut des Gesetzes auch dann zu, wenn der Arbeitgeber von der Schwerbehinderteneigenschaft oder der Antragstellung nichts wusste(vgl. BAG 12. Januar 2006 - 2 AZR 539/05 - Rn. 15, AP SGB IX § 85 Nr. 3 = EzA SGB IX § 85 Nr. 5). Allerdings unterliegt das Recht des Arbeitnehmers, sich nachträglich auf eine Schwerbehinderung zu berufen und die Zustimmungsbedürftigkeit der Kündigung geltend zu machen, der Verwirkung (§ 242 BGB). Die Verwirkung ist ein Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 BGB). Mit der Verwirkung wird ausgeschlossen, Rechte illoyal verspätet geltend zu machen (Senat 25. März 2004 - 2 AZR 295/03 - zu II 3 b der Gründe, AP MuSchG 1968 § 9 Nr. 36 = EzA MuSchG § 9 nF Nr. 40). Sie dient dem Vertrauensschutz und verfolgt nicht den Zweck, den Schuldner stets dann von seiner Verpflichtung zu befreien, wenn der Gläubiger sich längere Zeit nicht auf seine Rechte berufen hat (Zeitmoment). Der Berechtigte muss vielmehr unter Umständen untätig geblieben sein, die den Eindruck erweckt haben, dass er sein Recht nicht mehr wahrnehmen wolle, so dass der Verpflichtete sich darauf einstellen durfte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden (Umstandsmoment). Hierbei muss das Erfordernis des Vertrauensschutzes auf Seiten des Verpflichteten das Interesse des Berechtigten derart überwiegen, dass ihm die Erfüllung des Anspruchs nicht mehr zuzumuten ist (BAG 15. Februar 2007 - 8 AZR 431/06 - Rn. 42, BAGE 121, 289). Nach den vom Senat hierzu aufgestellten Grundsätzen muss sich der Arbeitnehmer, wenn er sich den Sonderkündigungsschutz nach § 85 SGB IX erhalten will, nach Zugang der Kündigung innerhalb einer angemessenen Frist, die drei Wochen beträgt(BAG 13. Februar 2008 - 2 AZR 864/06 - BAGE 125, 345; 12. Januar 2006 - 2 AZR 539/05 - Rn. 45, aaO), gegenüber dem Arbeitgeber auf seine bereits festgestellte oder zur Feststellung beantragte Schwerbehinderteneigenschaft berufen. Unterlässt der Arbeitnehmer die entsprechende Mitteilung, so hat er den besonderen Kündigungsschutz verwirkt. Die Dreiwochenfrist ist eine Regelfrist. Sie konkretisiert den Verwirkungstatbestand. Ihre Überschreitung führt danach regelmäßig, aber nicht zwingend zur Verwirkung (BAG 12. Januar 2006 - 2 AZR 539/05 - aaO).

17

2. Im Streitfall hat die Klägerin das Recht, die Nichtigkeit der Kündigung geltend zu machen, nicht verwirkt.

18

a) Die Klägerin hat sich mit ihrem Schreiben vom 20. Dezember 2006 ausreichend auf das Bestehen von Sonderkündigungsschutz nach § 85 SGB IX berufen. Nach dem Wortlaut des Schreibens führte die Klägerin aus, die Kündigung „sei auch deshalb unwirksam, da das Integrationsamt nicht über die Kündigung unterrichtet wurde.“ Einer Einschaltung des Integrationsamts zur Vermeidung der Unwirksamkeit einer Kündigung bedarf es nach dem Gesetz ausschließlich bei schwerbehinderten oder gleichgestellten Menschen. Das war offenkundig auch der Beklagten geläufig. Sie hat das Schreiben jedenfalls in diesem Sinn verstanden und umgehend die Zustimmung des Integrationsamts beantragt.

19

b) Die Klägerin hat das Recht, sich auf die Nichtigkeit der Kündigung zu berufen, nicht illoyal verspätet geltend gemacht. Illoyal verspätet ist eine Berufung auf die Schwerbehinderung gegenüber dem Arbeitgeber jedenfalls dann nicht, wenn sie - wie hier - zugleich mit der Zustellung der fristgerecht erhobenen Klage erfolgt.

20

aa) Die ursprünglich vom Senat angenommene Monatsfrist wurde zu einer Zeit als Regelfrist aufgestellt, als das Fehlen einer Zustimmung der zuständigen Behörde noch als sonstiger Unwirksamkeitsgrund außerhalb der Klagefrist geltend gemacht werden konnte. Die Frist sollte einer Überforderung des Arbeitgebers durch den Sonderkündigungsschutz für schwerbehinderte Arbeitnehmer entgegenwirken. Nachdem der Arbeitnehmer nunmehr auch die sonstigen Unwirksamkeitsgründe einschließlich der Schwerbehinderung innerhalb der Frist des § 4 Satz 1 KSchG gerichtlich geltend machen muss, konnte es bei der Monatsfrist nicht bleiben: Die materiellrechtliche Verwirkungsfrist konnte sinnvoller Weise nicht länger sein als die mit denselben Wirkungen des Rechtsverlustes ausgestattete Versäumung der Klagefrist.

21

bb) Dem entspricht es, dass auch umgekehrt die Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG nicht länger sein kann als die materiellrechtliche Verwirkungsfrist. Es liegt nicht in der Absicht des Gesetzes, Arbeitnehmer, die ihren Sonderkündigungsschutz als schwerbehinderte Menschen geltend machen wollen, schlechter zu stellen als zB Arbeitnehmer, die sich auf andere vom Arbeitgeber unerkannte Unwirksamkeitsgründe stützen wollen. Das Gesetz will alle Unwirksamkeitsgründe, was die Frist, sie gerichtlich geltend zu machen, betrifft, gleichbehandeln. Die Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG soll den Arbeitgeber schützen. Er soll nach einer angemessenen Zeit, die vom Gesetzgeber auf drei Wochen zuzüglich der zur Zustellung der Klageschrift erforderlichen Zeit bemessen wurde, davon geschützt sein, sich mit dem Begehren nach Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auseinandersetzen zu müssen. Umgekehrt mutet das Gesetz jedenfalls bis zum Ablauf dieser Zeitspanne dem Arbeitgeber zu, die Wirksamkeit der Kündigung verteidigen und alle etwa geltend gemachten Unwirksamkeitsgründe entweder entkräften oder gegen sich gelten lassen zu müssen. Dies erfasst nach der Neuregelung des § 4 Satz 1 KSchG auch die fehlende Zustimmung des Integrationsamts. Damit wäre es nicht zu vereinbaren, wenn sich ein Arbeitnehmer, der innerhalb der betreffenden Zeitspanne die Unwirksamkeit der Kündigung nach § 85 SGB IX geltend macht, gleichwohl den Einwand der Verwirkung entgegenhalten lassen müsste.

22

II. Die Revision der Klägerin ist zulässig. Sie richtet sich gegen die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts, soweit es ihre Berufung zurückgewiesen und damit die klageabweisende Entscheidung des Arbeitsgerichts bestätigt hat.

23

1. Das am 25. März 2008 verkündete Berufungsurteil wurde der Klägerin am 12. August 2008 zugestellt. Revisionsschrift und Revisionsbegründung gingen am 8. August 2008 beim Bundesarbeitsgericht ein. Dass dieser Zeitpunkt vor dem der Zustellung des Berufungsurteils lag, ist unschädlich(für die Berufungsbegründungsfrist: BGH 24. Juni 1999 - I ZR 164/97 - NJW 1999, 3269).

24

2. Die Revision ist entgegen der Auffassung der Beklagten nicht deshalb unzulässig, weil die Klägerin - soweit sie Revision eingelegt hat - nicht beschwert wäre. Allerdings scheint sich der in der Revisionsbegründung enthaltene Sachantrag gegen - so der Wortlaut - „die Kündigung vom 29. November 2006 … zum 30. Juni 2007“ zu wenden. Indes ist der Antrag auslegungsbedürftig und auslegungsfähig. Die Klägerin hatte keinerlei Anlass, das Berufungsurteil hinsichtlich der Kündigung vom 29. November 2006 anzugreifen. Insoweit hatte sie obsiegt. Wenn sie gleichwohl Rechtsmittel gegen das Urteil einlegte, dann war für jedermann offenkundig, dass es sich bei der Angabe „die Kündigung vom 29. November 2006“ um einen Irrtum in der Bezeichnung(falsa demonstratio) handelte. Nach Lage der Dinge konnte die Revision sich allein gegen die - die Berufung der Klägerin zurückweisende - Entscheidung des Landesarbeitsgerichts über die Kündigung vom 26. Februar 2007 zum 31. August 2007 richten. Das liegt trotz des Fehlgriffs im Wortlaut auf der Hand und kann von der Beklagten schwerlich verkannt worden sein.

25

III. Die Revision ist begründet. Sie führt im Umfang ihrer Einlegung zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht.

26

1. Ob die Kündigung vom 26. Februar 2007 sozial gerechtfertigt iSd. § 1 Abs. 2 KSchG ist, steht noch nicht fest. Die bisherige Würdigung des Landesarbeitsgerichts steht nicht im Einklang mit § 1 Abs. 2 KSchG.

27

a) Maßgeblicher Zeitpunkt zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Kündigung ist der des Kündigungszugangs(st. Rspr., vgl. Senat 21. April 2005 - 2 AZR 241/04 - zu B I 1 der Gründe, BAGE 114, 258). Grundsätzlich muss zu diesem Zeitpunkt der Kündigungsgrund, nämlich der Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit, vorliegen. Das Gestaltungsrecht Kündigung kann nur bei Vorliegen eines im Zeitpunkt der Kündigungserklärung vorhandenen Kündigungsgrundes rechtswirksam ausgeübt werden.

28

b) Diesem Maßstab wird das Berufungsurteil nicht gerecht, soweit es die Abweisung der Klage bestätigt hat. Das Landesarbeitsgericht hat die am 26. Februar 2007 ausgesprochene Kündigung nach den Verhältnissen bei Zugang der vorausgegangenen Kündigung - am 30. November 2006 - beurteilt. Dies ist im Streitfall kein marginaler Unterschied, der vernachlässigt werden könnte. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass sich prognosewirksame Tatsachen Anfang 2007 geändert haben. Es ist daher denkbar, dass bei Zugang der zweiten Kündigung Ende Februar 2007 die Prognose einer vollständigen Betriebsstilllegung nicht mehr gerechtfertigt war. Das Landesarbeitsgericht ist ersichtlich - und fälschlich - davon ausgegangen, die von ihm zu überprüfende Kündigung sei der Klägerin bereits Anfang Dezember 2006 zugegangen. So ist unter A I 2 der Entscheidungsgründe von „Ende November 2006 und … Anfang Dezember 2006, also … den jeweiligen Beurteilungszeitpunkten des Zugangs der streitgegenständlichen Kündigungen“ die Rede. In den die Betriebsbedingtheit der Kündigung betreffenden Passagen bezieht sich das Landesarbeitsgericht zudem mehrfach darauf, etwaige Änderungen am unternehmerischen Konzept der vollständigen Betriebsstilllegung hätten sich erst „nach der Kündigung“ ergeben. Den Zeitraum „nach der Kündigung“ sieht es, wie sich aus dem Zusammenhang seiner Ausführungen ergibt, als identisch mit Anfang 2007 an. Die hier zur Entscheidung stehende Kündigung wurde der Klägerin jedoch erst am 26. Februar 2007 ausgesprochen. Zu der Frage, ob zu diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen einer betriebsbedingten Kündigung (noch) vorlagen, verhält sich das Berufungsurteil nicht.

29

2. Die Entscheidung des Berufungsgerichts stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO). Ob die Kündigung vom 26. Februar 2007 sozial gerechtfertigt iSd. § 1 Abs. 2 KSchG ist, kann der Senat auf der Grundlage des bisherigen Sach- und Streitstandes nicht beurteilen. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass es seit Anfang 2007 bei der Beklagten Zweifel gab, ob sich das ursprüngliche Stilllegungskonzept würde durchhalten lassen. Die Beklagte selbst hat vorgetragen, entsprechende Verhandlungen mit einem Teilübernehmer Februar/März 2007 begonnen zu haben. Ob sich diese Unsicherheiten auf die Beschäftigungsmöglichkeiten für die Klägerin - etwa bei der Frage der Sozialauswahl - ausgewirkt haben, lässt sich nicht abschließend beurteilen. Das Landesarbeitsgericht hat insoweit keine Feststellungen getroffen. Auch seine Ausführungen zu der Frage, ob die Unwirksamkeit der Kündigung aus einem Verstoß gegen §§ 17, 18 KSchG folgen könne, beruhen auf der irrtümlichen Vorstellung, die Kündigung sei Ende November/Anfang Dezember 2006 erfolgt. Ob für die Kündigung vom 26. Februar 2007 eine Anzeigepflicht nach § 17 Abs. 1 KSchG bestand, ist nicht festgestellt.

        

    Kreft    

        

    Berger    

        

    Schmitz-Scholemann    

        

        

        

    Dr. Roeckl    

        

    K. Schierle    

                 

(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie nicht von der miterschienenen Partei sofort widerrufen oder berichtigt werden.

(2) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich.

Werden Menschen mit Behinderungen in ihren Rechten nach diesem Buch verletzt, können an ihrer Stelle und mit ihrem Einverständnis Verbände klagen, die nach ihrer Satzung Menschen mit Behinderungen auf Bundes- oder Landesebene vertreten und nicht selbst am Prozess beteiligt sind. In diesem Fall müssen alle Verfahrensvoraussetzungen wie bei einem Rechtsschutzersuchen durch den Menschen mit Behinderungen selbst vorliegen.

(1) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist.

(2) Sozial ungerechtfertigt ist die Kündigung, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Die Kündigung ist auch sozial ungerechtfertigt, wenn

1.
in Betrieben des privaten Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann
und der Betriebsrat oder eine andere nach dem Betriebsverfassungsgesetz insoweit zuständige Vertretung der Arbeitnehmer aus einem dieser Gründe der Kündigung innerhalb der Frist des § 102 Abs. 2 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes schriftlich widersprochen hat,
2.
in Betrieben und Verwaltungen des öffentlichen Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie über die personelle Auswahl bei Kündigungen verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in derselben Dienststelle oder in einer anderen Dienststelle desselben Verwaltungszweigs an demselben Dienstort einschließlich seines Einzugsgebiets weiterbeschäftigt werden kann
und die zuständige Personalvertretung aus einem dieser Gründe fristgerecht gegen die Kündigung Einwendungen erhoben hat, es sei denn, daß die Stufenvertretung in der Verhandlung mit der übergeordneten Dienststelle die Einwendungen nicht aufrechterhalten hat.
Satz 2 gilt entsprechend, wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen oder eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Arbeitsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat. Der Arbeitgeber hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung bedingen.

(3) Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des Absatzes 2 gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat; auf Verlangen des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Gründe anzugeben, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. In die soziale Auswahl nach Satz 1 sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Der Arbeitnehmer hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt im Sinne des Satzes 1 erscheinen lassen.

(4) Ist in einem Tarifvertrag, in einer Betriebsvereinbarung nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes oder in einer entsprechenden Richtlinie nach den Personalvertretungsgesetzen festgelegt, wie die sozialen Gesichtspunkte nach Absatz 3 Satz 1 im Verhältnis zueinander zu bewerten sind, so kann die Bewertung nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden.

(5) Sind bei einer Kündigung auf Grund einer Betriebsänderung nach § 111 des Betriebsverfassungsgesetzes die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet, so wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des Absatzes 2 bedingt ist. Die soziale Auswahl der Arbeitnehmer kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht, soweit sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat. Der Interessenausgleich nach Satz 1 ersetzt die Stellungnahme des Betriebsrates nach § 17 Abs. 3 Satz 2.

(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) An gesetzliche Beweisregeln ist das Gericht nur in den durch dieses Gesetz bezeichneten Fällen gebunden.

(1) Die Leistungen umfassen Hilfsmittel, die erforderlich sind, um eine durch die Behinderung bestehende Einschränkung einer gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft auszugleichen. Hierzu gehören insbesondere barrierefreie Computer.

(2) Die Leistungen umfassen auch eine notwendige Unterweisung im Gebrauch der Hilfsmittel sowie deren notwendige Instandhaltung oder Änderung.

(3) Soweit es im Einzelfall erforderlich ist, werden Leistungen für eine Doppelausstattung erbracht.

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)

(1) Gegen das Endurteil eines Landesarbeitsgerichts findet die Revision an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 72a Abs. 5 Satz 2 zugelassen worden ist. § 64 Abs. 3a ist entsprechend anzuwenden.

(2) Die Revision ist zuzulassen, wenn

1.
eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, von einer Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes, von einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts oder, solange eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts in der Rechtsfrage nicht ergangen ist, von einer Entscheidung einer anderen Kammer desselben Landesarbeitsgerichts oder eines anderen Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein absoluter Revisionsgrund gemäß § 547 Nr. 1 bis 5 der Zivilprozessordnung oder eine entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht wird und vorliegt.

(3) Das Bundesarbeitsgericht ist an die Zulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht gebunden.

(4) Gegen Urteile, durch die über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung eines Arrests oder einer einstweiligen Verfügung entschieden wird, ist die Revision nicht zulässig.

(5) Für das Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Revision mit Ausnahme des § 566 entsprechend.

(6) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1, der §§ 50, 52 und 53, des § 57 Abs. 2, des § 61 Abs. 2 und des § 63 dieses Gesetzes über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellung, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, gütliche Erledigung des Rechtsstreits sowie Inhalt des Urteils und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen und des § 169 Absatz 3 und 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen bei der Entscheidungsverkündung gelten entsprechend.