Finanzgericht Münster Urteil, 05. Aug. 2016 - 4 K 3544/15 Kg
Tenor
Die Kindergeldfestsetzung für das Kind M C für Januar 2010 bis Juni 2014 vom 7. September 2015 wird unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 21. Oktober 2015 nach Maßgabe der Entscheidungsgründe abgeändert.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, soweit nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in Höhe des vollstreckbaren Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
1
Tatbestand
2Die Klägerin beansprucht Kindergeld für die Zeit von Januar 2010 bis Juni 2014und zwar ohne Anrechnung des niederländischen Zuschusses für zuhause wohnendebehinderte Kinder (“Regeling tegemoetkoming onderhoudskosten thuiswonende gehandicapte kinderen 2000”; ab 1. April 2010: „Regeling tegemoetkoming ouders van thuiswonende gehandicapte kinderen“; nachfolgend TOG-Zuschuss).
3Die Klägerin ist deutsche Staatsangehörige. Sie wohnte im Streitzeitraum zusammen mit ihrem Ehemann Herrn C C sowie dem gemeinsamen Sohn M (geb.xx. xx 19xx) in den Niederlanden, ging in Deutschland einer sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit als Arbeitnehmerin nach und wurde gem. § 1 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) als unbeschränkt steuerpflichtig veranlagt.
4Ihr Ehemann ist Soldat („Sergeant-major“) mit beamtenähnlichem Status und arbeitet als solcher für das niederländische Verteidigungsministerium (voraussichtlich bis31. Dezember 2019). Sein Dienstort war zunächst ganz überwiegend in den Niederlanden, zu keiner Zeit in Deutschland. Vom … bis zum … hielt sich der Ehemann zu einem Kampfeinsatz in … auf. Seit dem … ist er in Deutschland stationiert. Vom … bis zum … befand er sich zu einem Kampfeinsatz in … . Zur Tätigkeit des Klägers wird auf die Aufstellung auf Bl. 77 f., 120 f., 124 f. der FG-Akte verwiesen.
5Das Kind der Klägerin hatte im Streitzeitraum Anspruch auf den TOG-Zuschuss und die Klägerin hat diesen auch bezogen.
6Die Beklagte setzte gegenüber der Klägerin seit Januar 2010 gem. § 165 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) vorläufig im Hinblick auf den Umfang der Anrechnung niederländischer Familienleistungen Kindergeld (184 € p.m.) unter Anrechnung niederländischer Familienleistungen i.H.v. 78,92 € auf einen monatlichen Differenzbetrag i.H.v. 105,08 € fest (vgl. Bescheid vom 17. Juni 2010).
7Auf Anfrage der Beklagten nach den in den Niederlanden bezogenen Familienleistungen teilte die Sociale Verzekeringsbank (SVB) mit, dass und in welchem Umfang für das Kind Kindergeld (AKW) und ein TOG-Zuschuss gezahlt worden sind. Hierauf wird Bezug genommen (Bl. 255 f. der elektronischen Kindergeldakte).
8Mit Bescheid vom 7. September 2015 setzte die Beklagte den Kindergeldanspruch für die Zeit von Januar 2010 bis Juni 2014 endgültig fest, indem sie auf den Kindergeldanspruch in Höhe von 184 € p.m. niederländische Familienleistungen (einschließlich des TOG-Zuschusses) anrechnete und zwar für Januar 2010 bis Dezember 2011monatlich 149,40 € (neuer monatlicher Unterschiedsbetrag 34,60 €), von Januar 2012 bis Juni 2012 monatlich 160,58 € (neuer monatlicher Unterschiedsbetrag 23,42 €) und von Juli 2012 bis Juni 2014 monatlich 163,19 € (neuer monatlicher Unterschiedsbetrag 20,81 €).
9Wegen der Anrechnung auch des TOG-Zuschusses legte die Klägerin Einspruch ein, den die Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 21. Oktober 2015 hinsichtlich der Kindergeldfestsetzung von Januar 2010 bis Juni 2014 als unbegründet zurückwies, weil für das Kind auch in den Niederlanden ein Anspruch auf Familienleistung bestehe und dieser nach den unionsrechtlichen Vorgaben auf das deutsche Kindergeld anzurechnen sei. Nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG würden im Ausland gewährte Leistungen, die dem Kindergeld vergleichbar seien, angerechnet. Hierunter falle auch der TOG-Zuschuss. Die Leistungen seien von der SVB bescheinigt.
10Hiergegen hat die Klägerin Klage erhoben. Sie stützt sich auf die Entscheidung desGerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 8. Mai 2014 C-347/12 „Wiering“ (abgedruckt in ZESAR 2015, 113). Hierin werde ausgeführt, dass für die Anrechnung von ausländischen Familienleistungen zu prüfen sei, ob es sich um „Leistungen gleicher Art“ handele. Das sei hier zu verneinen. Das Kindergeld diene dazu, die kindgerechte Entwicklung finanziell zu unterstützen, wohingegen das niederländische TOG die durch die Behinderung entstehenden Mehrkosten auffange bzw. eine behindertengerechte Förderung unterstütze. Es erfordere den Nachweis eines konkreten Pflegebedarfs im Umfang von min. 10 Stunden/Woche („AWBZ-indicatie“) durch einen einem Amtsarzt vergleichbaren Gutachter. Ferner zeige sich die Andersartigkeit der Leistungen auch aufgrund der unterschiedlichen Voraussetzungen. Das TOG stelle sich aufgrund der Anknüpfung an den konkreten Pflegebedarf eher wie das deutsche Pflegegeld dar.
11Die Klägerin hat im Verfahren ein Schreiben der SVB … vom 28. Oktober 2015 vorgelegt, aus dem sich ergibt, dass zu den niederländischen Familienleistungen das Kindergeld (AKW), der TOG-Zuschuss, das kindgebundene Budget (KGB) und der Kinderbetreuungszuschlag (WKO) zählten. Der TOG-Zuschuss sei als finanzielle Unterstützung für Eltern gedacht, die ein zuhause wohnendes schwerbehindertes Kind versorgen und erziehen. Voraussetzung für den Bezug dieser Leistung sei, dass für das Kind ein konkreter Pflegebedarf (min. 10 Stunden/Woche) vorliege. Der Anspruch entfalle u.a., wenn für das Kind eine niederländische oder nicht niederländische Vergütung gezahlt werde, die in Bezug auf den Zweck und die Höhe mit dem TOG-Zuschuss vergleichbar sei. Nach Maßgabe des EuGH-Urteils vom 8. Mai 2014 C-347/12 „Wiering“ sei der TOG-Zuschuss zwar eine Familienleistung, in Bezug auf das Kindergeld jedoch keine Leistung gleicher Art. Hinsichtlich des deutschen Kindergeldanspruchs seienlediglich das AKW und/oder das KGB anrechenbar. Zum 1. Januar 2015 sei der TOG-Zuschuss abgeschafft worden und in die Kindergeldregelungen aufgenommen worden (doppeltes Kindergeld).
12Die Klägerin beantragt sinngemäß,
13die Kindergeldfestsetzung für das Kind M C für Januar 2010 bis Juni 2014 vom 7. September 2015 unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom21. Oktober 2015 dahingehend abzuändern, dass eine Anrechnung des TOG-Zuschusses unterbleibt, sodass sie der Höhe nach der Ausgangsfestsetzung im Bescheid vom 17. Juni 2010 entspricht.
14Die Beklagte beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Sie verweist auf die Einspruchsentscheidung. Für eine Vergleichbarkeit i.S. des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG spreche auch, dass der Zuschuss zum 1. Januar 2015 in das niederländische Kindergeldrecht integriert worden sei.
17Dem Senat haben bei der Entscheidung das jeweilige im Streitzeitraum geltende Gesetz über den TOG-Zuschuss in niederländischer Sprache vorgelegen sowie weitere von der Familienkasse Direktion zur Verfügung gestellte, z.T. ins Deutsche übersetzte Quellen (Bl. 82 ff. der FG-Akte).
18Der Berichterstatter hat die Sache mit den Beteiligten am 24. Juni 2016 erörtert. Auf das Protokoll wird Bezug genommen.
19Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet (§ 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -)
20Entscheidungsgründe
21Die Klage ist begründet.
22Der angefochtene Änderungsbescheid und die Einspruchsentscheidung sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Der niederländische TOG-Zuschuss ist nicht auf das deutsche Kindergeld anzurechnen.
231. Die Anrechnung niederländischer Familienleistungen auf den Kindergeldanspruch der Klägerin, die - wie zwischen den Beteiligten zu Recht unstreitig ist - in Deutschland kindergeldberechtigt ist (§§ 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b), 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG), richtet sich im Streitfall nach unionsrechtlichen Vorschriften.
242. Dabei ist auf den Streitzeitraum bis einschließlich April 2010 die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialenSicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, dieinnerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (VO Nr. 1408/71) i.V.m. Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der VO (EWG) Nr. 1408/71 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (VO Nr. 574/72)) anzuwenden (vgl. Art. 91 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zurKoordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (VO Nr. 883/2004) i.V.m. Art. 97 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (VO Nr. 987/2009)) und steht einer Anrechnung des TOG-Zuschusses entgegen.
25a) Kindergeld ist eine Familienleistung i.S. des Art. 4 Abs. 1 Buchst. h), Art. 1 Buchst. u), Ziff. i) der VO Nr. 1408/71 (vgl. auch BFH-Urteil vom 17. April 2008 III R 36/05, BFHE 221, 50, BStBl II 2009, 921) und die Klägerin unterliegt gem. Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Buchst. a) Ziff. i) der VO Nr. 1408/71 dem persönlichen Geltungsbereich der Verordnung, da sie als Arbeitnehmerin in Deutschland sozialversicherungspflichtig beschäftigt war. Als Beschäftigungsstaat war Deutschland zudem gem. Art. 13 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. a) der VO Nr. 1408/71 der zur Gewährung von Kindergeld zuständige Staat.
26b) Die einschlägige Antikumulierungsregel des Art. 10 der VO Nr. 574/72 steht einerAnrechnung des TOG-Zuschusses entgegen, weil es sich nicht um eine (Familien‑) Leistung gleicher Art handelt.
27aa) Die Antikumulierungsvorschrift des Art. 76 der VO Nr. 1408/71 kommt nicht zurAnwendung, weil im Wohnmitgliedstaat des Kindes (Niederlande) der Anspruch auf Familienleistungen nicht von der Ausübung einer Erwerbstätigkeit abhängig ist. Wie das Kindergeld wird der TOG-Zuschuss erwerbsunabhängig aufgrund des Wohnortes des Leistungsempfängers gewährt (vgl. Art. 4 Abs. 1 des TOG-Gesetz). Infolgedessen ist im Streitfall die Antikumulierungsvorschrift in Art. 10 Abs. 1 Buchst. b) Ziff. i) der VO Nr. 574/72 einschlägig, weil im Wohnmitgliedstaat des Kindes (in diesem Zeitraum noch) eine Berufstätigkeit ausgeübt wurde, namentlich die Erwerbstätigkeit des Ehemannes der Klägerin und zwar unbeschadet dessen, dass er niederländischer Beamter ist (vgl. EuGH-Urteil vom 8. Mai 2014 C-347/12, Rn. 47). Danach ruht der deutsche Kindergeldanspruch bis zur Höhe der in dem Wohnmitgliedstaat des Kindes, also den in den Niederlanden vorgesehenen Familienleistungen.
28Hinsichtlich der danach anrechenbaren Leistungen spricht Art. 10 Abs. 1 Buchst. b)Ziff. i) der VO Nr. 574/72 selbst lediglich von Familienleistungen und erfasst folglich sowohl das Kindergeld als auch den TOG-Zuschuss. Das hat der BFH im Urteil vom17. April 2008 (III R 36/05, BFHE 221, 50, BStBl II 2009, 921) bereits ausgesprochen und diesen Umstand darüber hinaus bereits ausreichen lassen, um den TOG-Zuschuss auf den deutschen Kindergeldanspruch anzurechnen. An diesem Ergebnis ist nach Ergehen der Entscheidung des EuGH in der Rs. „Wiering“ (EuGH-Urteil vom 8. Mai 2014 C-347/12, ZESAR 2015, 113) nicht mehr festzuhalten. Der EuGH hat es in dieser Entscheidung (Rn. 54 ff.) im Zusammenhang mit der Anrechnung von deutschem Elterngeld auf die - dem Kindergeld entsprechenden - luxemburgische Familienzulage abgelehnt, i.R. des Art. 10 der VO Nr. 574/72 sämtliche Familienleistungen miteinander zu verrechnen. Vielmehr hat er die Anwendung der Antikumulierungsvorschriften eingeengt, weil sich aus Art. 12 der VO Nr. 1408/71 ergibt, dass eine ungerechtfertigte Kumulierung nur bei mehreren „Leistungen gleicher Art“ aus derselben Pflichtversicherungszeit vorliegt. Leistungen gleicher Art i.d.S. liegen vor, wenn ihr Sinn und Zweck sowieihre Berechnungsgrundlage und die Voraussetzungen für ihre Gewährung übereinstimmen. Rein formale Merkmale sind nicht als wesentliche Tatbestandsmerkmale für die Einstufung der Leistungen anzusehen. Dabei müssen die Berechnungsgrundlagen und die Voraussetzungen für die Leistungsgewährung allerdings nicht völlig gleich sein. Ob Familienleistungen die Voraussetzungen von Art. 12 der VO Nr. 1408/71 erfüllen, hat das nationale Gericht zu bestimmen.
29bb) TOG-Zuschuss und Kindergeld sind nach diesen durch den EuGH spezifizierten Maßgaben keine (Familien‑)Leistung gleicher Art. Sinn und Zweck des Kindergeldes liegt im Regelfall in der Sicherung des Existenzminimums des Kindes einschließlich der Bedarfe für Betreuung und Erziehung oder Ausbildung (§ 31 Satz 1 EStG). Insofern soll es - wie der EuGH ausführt - den Eltern ermöglichen, die mit den Bedürfnissen desKindes zusammenhängenden (typisierten) Kosten zu decken. Es wird unabhängig von den Einkünften oder dem Vermögen der Familienangehörigen oder einer eventuellen Erwerbstätigkeit der Eltern gewährt. Die Endbegünstigten dieser Leistungen sind somit nicht die Eltern, sondern das Kind selbst (vgl. EuGH-Urteil vom 8. Mai 2014 C-347/12 „Wiering“, Rn. 65). Insofern entspricht, das deutsche Kindergeld dem niederländischen AKW und dem KGB (vgl. zu letzterem FG Düsseldorf, Urteil vom 16. Juli 2014 7 K 611/14 Kg, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 2015, 57). Zwar wird der TOG-Zuschuss ebenfalls - und anders als das Elterngeld (vgl. EuGH-Urteil vom 8. Mai 2014 C-347/12 „Wiering“) - unabhängig vom Vermögen oder Einkommen der Eltern gewährt und kommt letztlich dem Kind zugute. Es zeichnet sich jedoch ganz maßgeblich durch eine vom Kindergeld zu unterscheidenden Zielsetzung aus, indem es auf den Pflegebedarf zuhause untergebrachter behinderter Kinder zugeschnitten ist. Der TOG-Zuschuss bildet einen über den vom Kindergeld abgedeckten Grundbedarf hinausgehenden Sonderbedarf für Kinder mit Behinderung wegen des gesteigerten Pflegebedarfs ab, dem sich die das Kind zuhause betreuenden Eltern ausgesetzt sehen (vgl. Schreiben der SVB … vom 28. Oktober 2015 sowie auch die Ausführungen in BFH-Urteil vom 17. April 2008 III R 36/05, BFHE 221, 50, BStBl II 2009, 921, Rn. 22). Die Behinderung und der daraus resultierende Pflegebedarf sind in einem formalisierten Verfahren nachzuweisen. Ein solcher behinderungsbedingter Mehrbedarf findet im deutschen Kindergeldrecht keine Berücksichtigung, sodass eine Vergleichbarkeit jedenfalls bis zum Kindesalter von 18 Jahren ausscheidet (ebenso bereits FG Köln, Urteil vom 13. April 2005 4 K 3997/04, EFG 2005, 1272 zu § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG). Diese abweichende Ausgestaltung des TOG-Zuschusses hat zur Folge, dass die Voraussetzungen und die Berechnungsgrundlagen des TOG-Zuschusses von denen des Kindergeldes in für die Vergleichbarkeit erheblicher Weise abweichen.
30Es kommt hinzu, dass es sich zwar beim Kindergeld, nicht aber beim TOG-Zuschuss um eine Familienbeihilfe i.S. des Art. 1 Buchst. u) Ziff. ii) der VO Nr. 1408/71 handelt, weil der Zuschuss nicht ausschließlich nach Maßgabe der Zahl und gegebenenfalls des Alters von Familienangehörigen gewährt wird. Wenngleich nicht zum allein ausschlaggebenden Kriterium erhoben, zieht der EuGH diese Differenzierung im Urteil vom 8. Mai 2014 (C-347/12 „Wiering“) durchaus ergänzend zur Charakterisierung einer staatlichen Familienleistung heran (vgl. Rn. 57 und 60).
31Ohne Bedeutung für die Streitfrage ist, dass der TOG-Zuschuss nach dem Streitzeitraum abgeschafft bzw. - ggf. in veränderter Weise - in das niederländische Kindergeldrecht integriert worden ist.
32cc) Soweit sich die niederländische Rechtslage zum 1. April 2010 geändert hat, erkennt der Senat keine substantielle Veränderung im Hinblick auf Sinn und Zweck, Berechnungsgrundlage und die Voraussetzungen für die Gewährung, die eine abweichende Einschätzung i.R. des Art. 12 der VO Nr. 1408/71 erfordern würde. Weiterhin sind keine (Familien‑)Leistungen gleicher Art gegeben. Nach wie vor soll der TOG-Zuschuss den für ein behindertes Kind entstehenden erhöhten Pflegebedarf abdecken, wie er sich aus Art. 4 Abs. 1 des TOG-Gesetzes auch in der neuen Fassung ergibt. Das gilt unbeschadet dessen, dass die Regelung nunmehr nicht mehr von einer „Beihilfe zu den Unterhaltskosten“, sondern von einer „Beihilfe zugunsten des Kindes“ spricht. Entsprechend ist es ohne Bedeutung, dass das Gesetz insgesamt von “Regeling tegemoetkoming onderhoudskosten [Unterhaltskosten] thuiswonende gehandicapte kinderen 2000” in „Regeling tegemoetkoming ouders [Eltern] van thuiswonende gehandicapte kinderen“ umbenannt wurde.
333. Ab Mai 2010 ist die VO Nr. 883/2004 einschlägig (vgl. Art. 91 Abs. 2 VO Nr. 883/2004 i.V.m. Art. 97 Absatz 1 S. 2 VO Nr. 987/2009), die einer Anrechnung ebenfalls entgegensteht.
34a) Persönlicher und sachlicher Anwendungsbereich sind eröffnet, weil die Klägerin deutsche Staatsangehörige (Art. 2 Abs. 1 der VO Nr. 883/2004) ist und das Kindergeld ebenso wie der TOG-Zuschuss Familienleistung i.S. des Art. 3 Abs. 1 Buchst. j) i.V.m. Art. 1 Buchst. z) der VO Nr. 883/2004 ist (vgl. dazu etwa BFH-Urteil vom 10. März 2016 III R 62/12, noch nicht amtlich veröffentlicht). Die Klägerin unterliegt nach Art. 11 Abs. 1, Abs. 3 Buchst. a) der VO Nr. 883/2004 aufgrund ihrer Erwerbstätigkeit in Deutschland den deutschen Rechtsvorschriften.
35b) Auch nach neuer Verordnungslage hat eine Anrechnung des TOG-Zuschusses zu unterbleiben. Dabei kann - für das klägerische Begehren hinsichtlich der Anrechnung des TOG-Zuschusses (§ 96 Abs. 1 Satz 2 FGO) - offenbleiben, ob diese Rechtsfolge daraus resultiert, dass Deutschland unter den Gegebenheiten des Streitfalls der nach Art. 68 Abs. 1 der VO Nr. 883/2004 vorrangig zuständige Staat wäre und eine Anrechnung niederländischer Familienleistungen schon aus diesem Grund nicht in Betracht käme (Art. 60 Abs. 2 der VO Nr. 987/2009; vgl. auch DA 214.2 Abs. 4, 214.5). Denn auch wenn Deutschland der nachrangig zuständige Staat wäre, hätte das gem. Art. 68 Abs. 2 Satz 2 der VO Nr. 883/2004 zur Folge, dass Ansprüche auf Familienleistungen nach anderen widerstreitenden Rechtsvorschriften bis zur Höhe des nach den vorrangig geltenden Rechtsvorschriften vorgesehenen Betrags ausgesetzt würden und erforderlichenfalls ein Unterschiedsbetrag in Höhe des darüber hinausgehenden Betrags der Leistungen zu gewähren wäre. Wie im Rahmen der alten VO Nr. 574/72 sind auch im Rahmen der Differenzkindergeldgewährung nach Art. 68 Abs. 2 der VO Nr. 883/2004 zwar nach dessen Wortlaut die niederländischen TOG-Zuschüsse als Leistungen bzw. Familienleistungen im dortigen Sinn anzurechnen. Indessen gelten die Grundsätze des EuGH-Urteils vom 8. Mai 2014 C-347/12 „Wiering“ auch nach neuem Verordnungsrecht (dagegen Fuchs, Neue Zeitschrift für Sozialrecht 2015, 121). Denn der die Einschränkung begründende Art. 12 Abs. 1 Satz 1 der VO Nr. 1408/71 wurde im Kern übereinstimmend auch in den allgemeinen Teil der neuen Verordnung (Art. 10 der VO Nr. 883/2004) aufgenommen (so auch Dern in Schreiber/Wunder/Dern, VO (EG) 883/2004, Kommentar, Art. 10 Rn. 2) und es ist nichts dafür ersichtlich, dass „Leistungen gleicher Art“ nunmehr anders verstanden werden müsste als nach Maßgabe der „Wiering“-Entscheidung. Danach scheidet eine Anrechnung des TOG-Zuschusses aus den dargelegten Gründen aus.
36Dass im neuen Verordnungsrecht der - abgrenzende - Begriff der Familienbeihilfe keine Verwendung mehr findet (vgl. Art. 1 der VO Nr. 883/2004), ändert daran nichts. Dieser Differenzierung kam, wie dargelegt, ohnehin allein - eine die materielle Betrachtung - ergänzende Bedeutung zu.
374. Die Anrechnung nach nationalem Recht (§ 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG, vgl. dazu nochmal FG Köln, Urteil vom 13. April 2005 4 K 3997/04, EFG 2005, 1272) wird durch das Unionsrecht verdrängt (vgl. BFH-Urteile vom 4. Februar 2016 III R 9/15, BFHE 253, 139 sowie vom 18. Dezember 2013 III R 52/11, BFH/NV 2014, 851).
385. Dem Klagebegehren entsprechend ist die Kindergeldfestsetzung für den Streitzeitraum danach um folgende angerechnete TOG-Zuschuss-Beträge zu erhöhen (Bl. 255 der Kindergeldakte):
39von Januar 2010 bis Dezember 2011 monatlich um 70,49 €
40von Januar 2012 bis Juni 2012 monatlich um 70,78 €
41von Juli 2012 bis Juni 2014 monatlich um 71,94 €.
42Das Klagebegehren ist damit vollständig begründet. Dass der Klageantrag darüber hinaus ziffernmäßig auf den Bescheid vom 17. Juni 2010 rekurriert, der zwischenzeitliche Erhöhungen des angerechneten niederländischen Kindergeldes während des Streitzeitraums noch unberücksichtigt ließ (vgl. Bl. 255 der Kindergeldakte), hält der Senat angesichts der zweifelsfreien Anknüpfung des Antrags an den TOG-Zuschuss für unschädlich. Einer (geringfügigen) Teilabweisung bedarf es von daher nicht.
43Die Berechnung der festzusetzenden Beträge wird der Familienkasse übertragen, § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO.
446. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
457. Unbeschadet dessen, dass eine Vorlage zum EuGH ohnehin lediglich im Ermessen der Instanzgerichte steht (vgl. Art. 267 Abs. 2 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union), hat der Senat an der Unionsrechtslage nach der Entscheidung „Wiering“ - auch für die geänderte Verordnungslage ab Mai 2010 - keine entscheidungs-erheblichen Zweifel (EuGH-Urteil C.I.L.F.I.T. vom 6. Oktober 1982 283/81, EU:C:1982:335, Slg. 1982, 3415).
46Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung und Divergenz zur BFH-Rechtsprechung in BFHE 221, 50, BStBl II 2009, 921 sowie in BFHE 238, 120, BStBl II 2013, 24, zuzulassen.
ra.de-Urteilsbesprechung zu Finanzgericht Münster Urteil, 05. Aug. 2016 - 4 K 3544/15 Kg
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Urteil einreichenFinanzgericht Münster Urteil, 05. Aug. 2016 - 4 K 3544/15 Kg zitiert oder wird zitiert von 3 Urteil(en).
(1)1Natürliche Personen, die im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, sind unbeschränkt einkommensteuerpflichtig.2Zum Inland im Sinne dieses Gesetzes gehört auch der der Bundesrepublik Deutschland zustehende Anteil
- 1.
an der ausschließlichen Wirtschaftszone, soweit dort - a)
die lebenden und nicht lebenden natürlichen Ressourcen der Gewässer über dem Meeresboden, des Meeresbodens und seines Untergrunds erforscht, ausgebeutet, erhalten oder bewirtschaftet werden, - b)
andere Tätigkeiten zur wirtschaftlichen Erforschung oder Ausbeutung der ausschließlichen Wirtschaftszone ausgeübt werden, wie beispielsweise die Energieerzeugung aus Wasser, Strömung und Wind oder - c)
künstliche Inseln errichtet oder genutzt werden und Anlagen und Bauwerke für die in den Buchstaben a und b genannten Zwecke errichtet oder genutzt werden, und
- 2.
am Festlandsockel, soweit dort - a)
dessen natürliche Ressourcen erforscht oder ausgebeutet werden; natürliche Ressourcen in diesem Sinne sind die mineralischen und sonstigen nicht lebenden Ressourcen des Meeresbodens und seines Untergrunds sowie die zu den sesshaften Arten gehörenden Lebewesen, die im nutzbaren Stadium entweder unbeweglich auf oder unter dem Meeresboden verbleiben oder sich nur in ständigem körperlichen Kontakt mit dem Meeresboden oder seinem Untergrund fortbewegen können; oder - b)
künstliche Inseln errichtet oder genutzt werden und Anlagen und Bauwerke für die in Buchstabe a genannten Zwecke errichtet oder genutzt werden.
(2)1Unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sind auch deutsche Staatsangehörige, die
- 1.
im Inland weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben und - 2.
zu einer inländischen juristischen Person des öffentlichen Rechts in einem Dienstverhältnis stehen und dafür Arbeitslohn aus einer inländischen öffentlichen Kasse beziehen,
(3)1Auf Antrag werden auch natürliche Personen als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt, die im Inland weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, soweit sie inländische Einkünfte im Sinne des § 49 haben.2Dies gilt nur, wenn ihre Einkünfte im Kalenderjahr mindestens zu 90 Prozent der deutschen Einkommensteuer unterliegen oder die nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte den Grundfreibetrag nach § 32a Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 nicht übersteigen; dieser Betrag ist zu kürzen, soweit es nach den Verhältnissen im Wohnsitzstaat des Steuerpflichtigen notwendig und angemessen ist.3Inländische Einkünfte, die nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung nur der Höhe nach beschränkt besteuert werden dürfen, gelten hierbei als nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegend.4Unberücksichtigt bleiben bei der Ermittlung der Einkünfte nach Satz 2 nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegende Einkünfte, die im Ausland nicht besteuert werden, soweit vergleichbare Einkünfte im Inland steuerfrei sind.5Weitere Voraussetzung ist, dass die Höhe der nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte durch eine Bescheinigung der zuständigen ausländischen Steuerbehörde nachgewiesen wird.6Der Steuerabzug nach § 50a ist ungeachtet der Sätze 1 bis 4 vorzunehmen.
(4) Natürliche Personen, die im Inland weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, sind vorbehaltlich der Absätze 2 und 3 und des § 1a beschränkt einkommensteuerpflichtig, wenn sie inländische Einkünfte im Sinne des § 49 haben.
(1) Soweit ungewiss ist, ob die Voraussetzungen für die Entstehung einer Steuer eingetreten sind, kann sie vorläufig festgesetzt werden. Diese Regelung ist auch anzuwenden, wenn
- 1.
ungewiss ist, ob und wann Verträge mit anderen Staaten über die Besteuerung (§ 2), die sich zugunsten des Steuerpflichtigen auswirken, für die Steuerfestsetzung wirksam werden, - 2.
das Bundesverfassungsgericht die Unvereinbarkeit eines Steuergesetzes mit dem Grundgesetz festgestellt hat und der Gesetzgeber zu einer Neuregelung verpflichtet ist, - 2a.
sich auf Grund einer Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Union ein Bedarf für eine gesetzliche Neuregelung ergeben kann, - 3.
die Vereinbarkeit eines Steuergesetzes mit höherrangigem Recht Gegenstand eines Verfahrens bei dem Gerichtshof der Europäischen Union, dem Bundesverfassungsgericht oder einem obersten Bundesgericht ist oder - 4.
die Auslegung eines Steuergesetzes Gegenstand eines Verfahrens bei dem Bundesfinanzhof ist.
(2) Soweit die Finanzbehörde eine Steuer vorläufig festgesetzt hat, kann sie die Festsetzung aufheben oder ändern. Wenn die Ungewissheit beseitigt ist, ist eine vorläufige Steuerfestsetzung aufzuheben, zu ändern oder für endgültig zu erklären; eine ausgesetzte Steuerfestsetzung ist nachzuholen. In den Fällen des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 4 endet die Ungewissheit, sobald feststeht, dass die Grundsätze der Entscheidung des Bundesfinanzhofs über den entschiedenen Einzelfall hinaus allgemein anzuwenden sind. In den Fällen des Absatzes 1 Satz 2 muss eine vorläufige Steuerfestsetzung nach Satz 2 nur auf Antrag des Steuerpflichtigen für endgültig erklärt werden, wenn sie nicht aufzuheben oder zu ändern ist.
(3) Die vorläufige Steuerfestsetzung kann mit einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung verbunden werden.
1Kindergeld wird nicht für ein Kind gezahlt, für das eine der folgenden Leistungen zu zahlen ist oder bei entsprechender Antragstellung zu zahlen wäre:
- 1.
Leistungen für Kinder, die im Ausland gewährt werden und dem Kindergeld oder der Kinderzulage aus der gesetzlichen Unfallversicherung nach § 217 Absatz 3 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch in der bis zum 30. Juni 2020 geltenden Fassung oder dem Kinderzuschuss aus der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 270 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch in der bis zum 16. November 2016 geltenden Fassung vergleichbar sind, - 2.
Leistungen für Kinder, die von einer zwischen- oder überstaatlichen Einrichtung gewährt werden und dem Kindergeld vergleichbar sind.
(1) Soweit ein angefochtener Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und die etwaige Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf auf; die Finanzbehörde ist an die rechtliche Beurteilung gebunden, die der Aufhebung zugrunde liegt, an die tatsächliche so weit, als nicht neu bekannt werdende Tatsachen und Beweismittel eine andere Beurteilung rechtfertigen. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, dass und wie die Finanzbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, dass die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekannt zu geben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und die Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Satz 1 gilt nicht, soweit der Steuerpflichtige seiner Erklärungspflicht nicht nachgekommen ist und deshalb die Besteuerungsgrundlagen geschätzt worden sind. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlass des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, dass Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluss kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
1Die steuerliche Freistellung eines Einkommensbetrags in Höhe des Existenzminimums eines Kindes einschließlich der Bedarfe für Betreuung und Erziehung oder Ausbildung wird im gesamten Veranlagungszeitraum entweder durch die Freibeträge nach § 32 Absatz 6 oder durch Kindergeld nach Abschnitt X bewirkt.2Soweit das Kindergeld dafür nicht erforderlich ist, dient es der Förderung der Familie.3Im laufenden Kalenderjahr wird Kindergeld als Steuervergütung monatlich gezahlt.4Bewirkt der Anspruch auf Kindergeld für den gesamten Veranlagungszeitraum die nach Satz 1 gebotene steuerliche Freistellung nicht vollständig und werden deshalb bei der Veranlagung zur Einkommensteuer die Freibeträge nach § 32 Absatz 6 vom Einkommen abgezogen, erhöht sich die unter Abzug dieser Freibeträge ermittelte tarifliche Einkommensteuer um den Anspruch auf Kindergeld für den gesamten Veranlagungszeitraum; bei nicht zusammenveranlagten Eltern wird der Kindergeldanspruch im Umfang des Kinderfreibetrags angesetzt.5Bei der Prüfung der Steuerfreistellung und der Hinzurechnung nach Satz 4 bleibt der Anspruch auf Kindergeld für Kalendermonate unberücksichtigt, in denen durch Bescheid der Familienkasse ein Anspruch auf Kindergeld festgesetzt, aber wegen § 70 Absatz 1 Satz 2 nicht ausgezahlt wurde.6Satz 4 gilt entsprechend für mit dem Kindergeld vergleichbare Leistungen nach § 65.7Besteht nach ausländischem Recht Anspruch auf Leistungen für Kinder, wird dieser insoweit nicht berücksichtigt, als er das inländische Kindergeld übersteigt.
1Kindergeld wird nicht für ein Kind gezahlt, für das eine der folgenden Leistungen zu zahlen ist oder bei entsprechender Antragstellung zu zahlen wäre:
- 1.
Leistungen für Kinder, die im Ausland gewährt werden und dem Kindergeld oder der Kinderzulage aus der gesetzlichen Unfallversicherung nach § 217 Absatz 3 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch in der bis zum 30. Juni 2020 geltenden Fassung oder dem Kinderzuschuss aus der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 270 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch in der bis zum 16. November 2016 geltenden Fassung vergleichbar sind, - 2.
Leistungen für Kinder, die von einer zwischen- oder überstaatlichen Einrichtung gewährt werden und dem Kindergeld vergleichbar sind.
Tenor
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Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Finanzgerichts Hamburg vom 23. April 2012 1 K 238/11 aufgehoben.
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Die Klage wird abgewiesen.
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Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
Tatbestand
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I.
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Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist griechischer Staatsangehöriger. Im November 2009 reiste er in die Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) ein und nahm dort eine unselbständige, sozialversicherungspflichtige Erwerbstätigkeit auf. Seit seiner Einreise hatte der Kläger seinen ständigen Wohnsitz in Deutschland, nicht in Griechenland. Zwischenzeitlich bezog er Arbeitslosengeld nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch.
- 2
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Der Kläger ist der Vater der Mädchen E (geboren September 1994) und G (geboren Juli 1998). Seine beiden Töchter lebten jedenfalls seit Mai 2010 in Griechenland im Haushalt ihrer nicht erwerbstätigen Großmutter, der Mutter des Klägers. Die Kindsmutter, von welcher der Kläger jedenfalls seit Mai 2010 dauernd getrennt lebte, führte einen eigenen Haushalt in Griechenland und übte nach Angabe des für die Gewährung von Familienleistungen in Griechenland zuständigen Trägers vom 21. Februar 2011 seit Juli 2009 keine berufliche Tätigkeit aus.
- 3
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Die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) lehnte den Antrag des Klägers auf Festsetzung des Kindergeldes für seine beiden Töchter mit Bescheid vom 6. Dezember 2010 ab. Der hiergegen eingelegte Einspruch war teilweise erfolgreich. Mit Bescheid vom 18. April 2011 setzte die Familienkasse Kindergeld für die beiden Töchter für den Zeitraum November 2009 bis April 2010 fest. Soweit der Einspruch den Zeitraum ab Mai 2010 betraf, blieb er hingegen erfolglos (Einspruchsentscheidung vom 16. Mai 2011). Da die Töchter des Klägers --so die Familienkasse-- in dem Haushalt einer anderen anspruchsberechtigten Person in Griechenland lebten, sei diese andere Person nach § 64 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) vorrangig berechtigt.
- 4
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Das Finanzgericht (FG) gab der dagegen gerichteten Klage, mit welcher der Kläger die Festsetzung von Kindergeld für seine beiden Töchter ab Mai 2010 begehrte, mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2012, 1682 veröffentlichtem Urteil statt. Es verpflichtete die Familienkasse, Kindergeld für die beiden Kinder ab Mai 2010 festzusetzen.
- 5
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Mit der Revision rügt die Familienkasse die Verletzung des § 64 EStG. Sie beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
- 6
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Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
- 7
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Mit Beschluss vom 22. September 2014 hat der Bundesfinanzhof (BFH) das Verfahren bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) über das bei ihm anhängige Vorabentscheidungsersuchen C-378/14 ausgesetzt. Der EuGH hat mit Urteil vom 22. Oktober 2015 C-378/14 (EU:C:2015:720, Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst --DStRE-- 2015, 1501) über die Vorlagefragen entschieden.
Entscheidungsgründe
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II.
- 8
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Die Familienkasse ... ist aufgrund eines Organisationsakts (Beschluss des Vorstands der Bundesagentur für Arbeit Nr. 21/2013 vom 18. April 2013 gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 11 des Finanzverwaltungsgesetzes, Amtliche Nachrichten der Bundesagentur für Arbeit, Ausgabe Mai 2013, S. 6 ff.) im Wege des gesetzlichen Parteiwechsels in die Beteiligtenstellung der Bundesagentur für Arbeit - Familienkasse ... eingetreten (vgl. Senatsurteil vom 8. Mai 2014 III R 21/12, BFHE 246, 389, BStBl II 2015, 135, Rz 11).
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III.
- 9
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Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Der Kläger ist zwar nach nationalem Recht (§§ 62 ff. EStG) anspruchsberechtigt (dazu 1.). Der Großmutter steht aber nach § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG ein vorrangiger Kindergeldanspruch zu (dazu 2. bis 6.).
- 10
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1. Der Kläger erfüllt im Streitzeitraum (Mai 2010 bis Mai 2011, dem Monat der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung; vgl. hierzu Senatsurteil vom 25. September 2014 III R 36/12, BFHE 247, 488, BStBl II 2015, 286, Rz 16) die Voraussetzungen für die Gewährung von Kindergeld (§ 62 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 63 EStG).
- 11
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Nach den für den Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen des FG (vgl. § 118 Abs. 2 FGO) liegen --was zwischen den Beteiligten auch nicht streitig ist-- die Anspruchsvoraussetzungen nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 32 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 EStG vor. Dass die beiden Töchter ihren Wohnsitz in Griechenland haben, ist für die Kindergeldberechtigung unerheblich (§ 63 Abs. 1 Satz 3 EStG).
- 12
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2. Allerdings ist die Großmutter --entgegen der Rechtsauffassung des FG-- nach § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG vorrangig anspruchsberechtigt, weil gemäß Art. 67 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (Amtsblatt der Europäischen Union --ABlEU-- 2004 Nr. L 166, S. 1) in der für den Streitzeitraum maßgeblichen Fassung --VO Nr. 883/2004 (Grundverordnung)-- i.V.m. Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABlEU 2009 Nr. L 284, S. 1) in der für den Streitzeitraum maßgeblichen Fassung --VO Nr. 987/2009 (Durchführungsverordnung)-- zu unterstellen ist, dass die Großmutter mit ihren Enkelkindern, den Töchtern des Klägers, in Deutschland wohnt.
- 13
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a) Nach § 64 Abs. 1 EStG wird das Kindergeld nureinem Berechtigten gezahlt. Bei mehreren Berechtigten wird das Kindergeld demjenigen gezahlt, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat (§ 64 Abs. 2 Satz 1 EStG).
- 14
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b) Im Streitfall ergibt sich die Anspruchsberechtigung der Großmutter aus § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG.
- 15
-
Zwar liegt der nach dieser Vorschrift erforderliche Inlandswohnsitz der Großmutter nicht vor. Es finden aber die Vorschriften der VO Nr. 883/2004 und der VO Nr. 987/2009 Anwendung (dazu 3.). Gemäß Art. 67 der VO Nr. 883/2004 i.V.m. Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009 ist die Wohnsituation der Großmutter (fiktiv) ins Inland zu übertragen; demnach wird ein Inlandswohnsitz der Großmutter fingiert (dazu 4.). Zudem erfüllt die Großmutter auch die übrigen Voraussetzungen für eine vorrangige Anspruchsberechtigung (dazu 5. und 6.).
- 16
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3. Der Anwendungsbereich der VO Nr. 883/2004 ist eröffnet und Deutschland der zuständige Mitgliedstaat.
- 17
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a) Die Grundverordnung und die Durchführungsverordnung gelten seit dem 1. Mai 2010 (vgl. Art. 90 Abs. 1, Art. 91 Satz 2 der VO Nr. 883/2004 i.V.m. Art. 96 Abs. 1, Art. 97 der VO Nr. 987/2009; dazu auch Wendl in Herrmann/Heuer/Raupach --HHR--, § 65 EStG Rz 9). Der Kläger ist griechischer Staatsangehöriger und fällt damit nach Art. 2 Abs. 1 der VO Nr. 883/2004 in den persönlichen Anwendungsbereich der Grundverordnung. Ebenso ist das Kindergeld nach dem EStG eine Familienleistung i.S. des Art. 1 Buchst. z der VO Nr. 883/2004, weshalb auch deren sachlicher Anwendungsbereich nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. j der VO Nr. 883/2004 eröffnet ist.
- 18
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b) Nach Art. 11 Abs. 1 der VO Nr. 883/2004 unterliegen die von dieser Verordnung erfassten Personen den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Im Streitfall ergibt sich die Anwendung der deutschen Rechtsvorschriften aus Art. 11 Abs. 3 Buchst. a (jedenfalls auch aus Buchst. e) der VO Nr. 883/2004.
- 19
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4. Aus Art. 67 Satz 1 der VO Nr. 883/2004 i.V.m. Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009 folgt, dass die Wohnsituation der Großmutter (fiktiv) ins Inland übertragen wird.
- 20
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a) Nach Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009 ist bei Anwendung von Art. 67 und 68 der VO Nr. 883/2004, insbesondere was das Recht einer Person zur Erhebung eines Leistungsanspruchs anbelangt, die Situation der gesamten Familie in einer Weise zu berücksichtigen, als fielen alle beteiligten Personen unter die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats und wohnten dort. Nach Art. 67 der VO Nr. 883/2004 hat eine Person auch für Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats, als ob die Familienangehörigen in diesem Mitgliedstaat wohnten. Danach schafft Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009 eine gesetzliche Fiktion dahin, dass bei Anwendung der Koordinierungsregelungen der Grundverordnung die Situation der gesamten Familie in einer Weise berücksichtigt wird, als ob alle beteiligten Personen unter die Rechtsvorschriften des für die Gewährung der Familienleistungen zuständigen Mitgliedstaats fielen und dort wohnten.
- 21
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b) Art. 67 der VO Nr. 883/2004 ist ungeachtet dessen anwendbar, dass es für die Kindergeldberechtigung nach nationalem Recht (§ 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 3 EStG) unerheblich ist, ob das Kind seinen Wohnsitz im Inland oder in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union hat (vgl. EuGH-Urteil in DStRE 2015, 1501, Rz 35 ff.). Ebenso kommt es für die Anwendung des Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009 nicht darauf an, ob eine von Art. 68 der VO Nr. 883/2004 erfasste Konkurrenzsituation gegeben ist. Sollte es hieran --wie vom FG mangels Bestehens eines Anspruchs auf griechische Familienleistungen angenommen-- fehlen, griffe Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009 bereits über Art. 67 der VO Nr. 883/2004 ein (vgl. EuGH-Urteil in DStRE 2015, 1501, Rz 35 ff.).
- 22
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c) Zu den "beteiligten Personen" i.S. des Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009 gehören die "Familienangehörigen" i.S. des Art. 1 Buchst. i Nr. 1 Buchst. i der VO Nr. 883/2004. Da das Kindergeldrecht nach dem EStG den Begriff des Familienangehörigen weder verwendet noch definiert, sind hierunter neben den Elternteilen und dem Kind auch alle Personen zu verstehen, die nach nationalem Recht berechtigt sind, Anspruch auf diese Leistungen zu erheben (vgl. EuGH-Urteil in DStRE 2015, 1501, Rz 38). Daher werden von diesem Begriff nach § 62 Abs. 1 i.V.m. § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG auch Großelternteile erfasst, die ein Enkelkind in ihren Haushalt aufgenommen haben. Entgegen der Rechtsauffassung des FG kommt es daher nicht darauf an, dass mit dem Familienangehörigen i.S. des Art. 67 Satz 1 der VO Nr. 883/2004 (Anspruch auf Familienleistungen "für Familienangehörige") offensichtlich nur das Kind, nicht auch andere Familienangehörige gemeint sein können.
- 23
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Der Begriff der "beteiligten Personen" i.S. des Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009 ist auch nicht unter Rückgriff auf Art. 1 Buchst. i Nr. 2 der VO Nr. 883/2004 zu bestimmen. Danach werden als "Familienangehörige" nicht die Großeltern, sondern nur der Ehegatte, die minderjährigen Kinder und die unterhaltsberechtigten volljährigen Kinder angesehen, wenn die anzuwendenden Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats die Familienangehörigen nicht von anderen Personen unterscheiden, auf die diese Rechtsvorschriften anwendbar sind. Die Nichtanwendbarkeit dieser Bestimmung ergibt sich zum einen daraus, dass im deutschen Kindergeldrecht die Anspruchsberechtigung von einer familienrechtlichen Beziehung abhängig gemacht wird (vgl. § 62 Abs. 1 i.V.m. § 63 Abs. 1 EStG). Zum anderen hat auch der EuGH in seinem Urteil in DStRE 2015, 1501, Rz 38 zur Bestimmung der "beteiligten Personen" auf die nach dem nationalen Recht Anspruchsberechtigten abgestellt und damit auch die ehemalige (geschiedene) Ehefrau des Anspruchstellers als "beteiligte Person" qualifiziert.
- 24
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5. Die Großmutter erfüllt auch die übrigen erforderlichen Anspruchsvoraussetzungen.
- 25
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a) Anhaltspunkte dafür, dass die Großmutter eine nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländerin i.S. des § 62 Abs. 2 EStG ist, hat das FG nicht festgestellt. Schließlich hat die Großmutter ihre beiden Enkelkinder nach den für den Senat bindenden Feststellungen des FG in ihren Haushalt in Griechenland aufgenommen (§ 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG).
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b) Ein vorrangiger Anspruch des Klägers ergibt sich nicht aus § 64 Abs. 2 Satz 5 EStG. Denn es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass in Griechenland ein gemeinsamer Haushalt des Klägers mit seiner Mutter (Großmutter) und seinen beiden Töchtern existiert haben könnte.
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aa) Lebt ein Kind im gemeinsamen Haushalt von Eltern und Großeltern, so wird das Kindergeld vorrangig einem Elternteil gezahlt; es wird einem Großelternteil gezahlt, wenn der Elternteil gegenüber der zuständigen Stelle auf seinen Vorrang schriftlich verzichtet hat (§ 64 Abs. 2 Satz 5 EStG). Die nach Art. 67 der VO Nr. 883/2004 i.V.m. Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009 vorzunehmende Fiktion bewirkt, dass die Wohnsituation auf Grundlage der im Streitzeitraum im anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union (hier Griechenland) gegebenen Verhältnisse (fiktiv) ins Inland übertragen wird.
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bb) Im Streitfall bestand in Griechenland kein gemeinsamer Haushalt des Klägers mit seiner Mutter (der Großmutter) und seinen beiden Töchtern.
- 29
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Das Vorliegen eines gemeinsamen Haushalts i.S. des § 64 Abs. 2 Satz 5 (oder Satz 2) EStG setzt voraus, dass zwischen den Beteiligten eine Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft besteht. Hierfür ist erforderlich, dass die Beteiligten gemeinsam zum Unterhalt der Familie beitragen und der bestehende Haushalt beiden zuzurechnen ist (vgl. Felix, in: Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff, EStG, § 64 Rz C 19; Blümich/Selder, § 64 EStG Rz 26). Danach wird man regelmäßig ein örtlich gebundenes Zusammenleben mit gemeinsamer Versorgung fordern müssen (vgl. HHR/Wendl, § 64 EStG Rz 10). Ob diese Voraussetzungen gegeben sind, ist Tatfrage und vom FG als Tatsacheninstanz anhand der Umstände des Einzelfalls zu entscheiden.
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Im erstinstanzlichen Verfahren stellte das FG fest, dass der Kläger seinen ständigen Wohnsitz in Deutschland, nicht in Griechenland hatte. Weiter führte es aus, dass die Töchter des Klägers im Haushalt der Großmutter in Griechenland lebten. Danach erscheint es ausgeschlossen, dass im Streitzeitraum zwischen dem Kläger, seiner Mutter (der Großmutter) und seinen beiden Töchtern eine Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft in Griechenland bestanden haben könnte.
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6. Schließlich kommt es nicht darauf an, ob die Großmutter selbst einen Antrag auf Kindergeld in Deutschland gestellt hat.
- 32
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Nimmt eine Person, die berechtigt ist, Anspruch auf Leistungen zu erheben, dieses Recht nicht wahr, berücksichtigt nach Art. 60 Abs. 1 Satz 3 der VO Nr. 987/2009 der zuständige Träger des Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften anzuwenden sind, einen Antrag auf Familienleistungen, der von dem "anderen Elternteil" gestellt wird. Der Anspruch auf Kindergeld müsste daher nicht wegen der fehlenden Antragstellung der Großmutter dem Kläger zuerkannt werden (vgl. EuGH-Urteil in DStRE 2015, 1501, Rz 50). Vielmehr reichte es aus, dass der Kläger einen Antrag auf Kindergeld gestellt hat. Diesen hätte die deutsche Familienkasse auch als solchen zugunsten des Kindergeldanspruchs der Großmutter zu berücksichtigen.
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7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung; die §§ 158, 160, 162 der Abgabenordnung gelten sinngemäß. Das Gericht darf über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.
(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.
1Kindergeld wird nicht für ein Kind gezahlt, für das eine der folgenden Leistungen zu zahlen ist oder bei entsprechender Antragstellung zu zahlen wäre:
- 1.
Leistungen für Kinder, die im Ausland gewährt werden und dem Kindergeld oder der Kinderzulage aus der gesetzlichen Unfallversicherung nach § 217 Absatz 3 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch in der bis zum 30. Juni 2020 geltenden Fassung oder dem Kinderzuschuss aus der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 270 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch in der bis zum 16. November 2016 geltenden Fassung vergleichbar sind, - 2.
Leistungen für Kinder, die von einer zwischen- oder überstaatlichen Einrichtung gewährt werden und dem Kindergeld vergleichbar sind.
Tenor
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Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg vom 28. Januar 2015 14 K 982/13 wird als unbegründet zurückgewiesen.
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Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.
Tatbestand
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I.
- 1
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Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) lebt in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) und hat vier Kinder, von denen drei im Streitzeitraum (April 2012 bis Februar 2013) minderjährig sind und das Älteste sich in Berufsausbildung befindet.
- 2
-
Die Klägerin ist nicht berufstätig. Ihr Ehemann und Vater der Kinder ist in der Schweiz nichtselbständig tätig und bezieht dort Kinder- und Ausbildungszulagen (Schweizer Kinderzulage). Diese betragen für die ersten beiden Kinder jeweils 250 CHF und für das dritte und vierte Kind jeweils 200 CHF.
- 3
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Die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) setzte das monatliche Kindergeld für die Klägerin mit Bescheid vom 2. Januar 2012 auf insgesamt 79,68 € fest. Mit Bescheid vom 5. Februar 2013 hob die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung in Höhe von 51,10 € pro Monat ab April 2012 auf und forderte für den Zeitraum April 2012 bis Januar 2013 überzahltes Kindergeld in Höhe von insgesamt 511 € zurück.
- 4
-
Die Familienkasse berechnete das Kindergeld wie folgt:
- 5
-
Kind
Schweizer Kinderzulage
deutsches KiG
Differenz
in CHF
in €*
in €
in €
A
250
206,78
184
- 22,78
B
250
206,78
184
- 22,78
C
200
165,43
190
24,57
D
200
165,43
215
49,57
zu zahlender Unterschiedsbetrag
28,58
- 6
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* Umrechnungskurs 1,20900 (Kurs der Europäischen Zentralbank vom 2. Januar 2013)
- 7
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Der Rückforderungsbetrag ergibt sich aus der Differenz zwischen der bisherigen und der neuen Festsetzung für 10 Monate.
- 8
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Der Einspruch blieb erfolglos. Mit der Klage begehrte die Klägerin die Festsetzung eines monatlichen Differenzkindergeldes in Höhe von 74,14 € (24,57 € und 49,57 € für das dritte und vierte Kind) und den Rückforderungsbetrag auf insgesamt 55,40 € zu beschränken. Die Klage hatte Erfolg. Zur Begründung führte das Finanzgericht (FG) aus, dass die Berechnung des Differenzkindergeldes kindbezogen zu erfolgen habe. Ein verbleibender Überschuss der Schweizer Kinderzulage über das Kindergeld nach § 66 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) bei einem Kind dürfe nicht mit Differenzkindergeldansprüchen für weitere Kinder verrechnet werden. Der Anspruch auf Kindergeld ergebe sich aus Art. 68 Abs. 2 Satz 2 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit in der für den Streitzeitraum geltenden Fassung --VO Nr. 883/2004-- (Amtsblatt der Europäischen Union --ABlEU-- 2004 Nr. L 166, S. 1), die ab dem 1. April 2012 zwischen der Schweiz und Deutschland anzuwenden sei (Anhang II des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit --Freizügigkeitsabkommen--, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- 2002, Nr. L 114 vom 30. April 2002, S. 6, geändert durch Beschluss Nr. 1/2012 des gemischten Ausschusses vom 31. März 2012 zur Ersetzung des Anhangs II dieses Abkommens über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherung, ABlEU 2012, Nr. L 103 vom 13. April 2012, S. 51). Die nationalen Vorschriften der §§ 62 und 66 ff. EStG geböten die kindbezogene Betrachtungs- und Berechnungsweise.
- 9
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Mit der Revision rügt die Familienkasse die Verletzung materiellen Rechts. Die Frage der kind- bzw. familienbezogenen Betrachtung bei der Berechnung von Differenzbeträgen sei an sich eine solche des koordinierenden EU-Rechts. Nach Mitteilung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales habe man sich bei der Schaffung des Art. 68 Abs. 2 der VO Nr. 883/2004 auf Ratsebene zwischen den Mitgliedstaaten hinsichtlich der Berechnung der Modalitäten des Unterschiedsbetrages bei Anspruch auf Familienleistungen aus mehreren Mitgliedstaaten nicht auf eine kind- oder familienbezogene Betrachtung einigen können. Die Regelungslücke sei durch die Mitgliedstaaten selbständig zu schließen. Deutschland habe sich für die familienbezogene Betrachtungsweise entschieden. Dies ergebe sich bereits aus dem Wortlaut des Art. 68 Abs. 1 der VO Nr. 883/2004. Es gehe um Leistungen "für denselben Zeitraum und für dieselben Familienangehörigen". Auch Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit --VO Nr. 987/2009-- (ABlEU 2009 Nr. L 284, S. 1) sehe diese Gesamtbetrachtung vor, in dem sie bestimme, dass bei der Anwendung von Art. 67 und 68 der Grundverordnung (= VO Nr. 883/2004), insbesondere was das Recht einer Person zur Erhebung eines Leistungsanspruchs anbelange, die Situation der gesamten Familie in einer Weise zu berücksichtigen sei, als würden alle beteiligten Personen unter die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaates fallen und dort wohnen. Zudem sprächen Sinn und Zweck der genannten Vorschriften für die familienbezogene Betrachtungsweise und führten auch zu sachgerechteren Lösungen.
- 10
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Die nationalen Vorschriften zum Kindergeld stünden der familienbezogenen Betrachtungsweise nicht entgegen. Würde jeder Mitgliedstaat ausschließlich sein eigenes nationales System der Familienleistungen für die Berechnung zugrunde legen, wäre eine Koordinierung nach einheitlichen Maßstäben nicht möglich. Daher werde die Koordinierung unabhängig von den einzelnen nationalen Anspruchsvoraussetzungen vorgenommen. Das Kindergeld solle die Familie als Ganzes entlasten und allen Kindern gleichmäßig zukommen. Die Staffelung des Kindergeldes nach steigender Ordnungszahl solle keine steigende unmittelbare wirtschaftliche Belastung durch höhere Kosten der später geborenen Kinder abdecken, sondern den überproportional zunehmenden Gesamtentlastungsbedarf der Familie bei steigender Kinderzahl. So sei das Kindergeld zwar als monatlicher Anspruch pro Kind ausgestaltet. Bei der Abzweigung nach § 74 EStG und der Pfändung nach § 76 EStG, wenn also der Betrag pro Kind im Vergleich zu anderen Kindern maßgeblich sei, sei der Gesamtbetrag jedoch auf alle Kinder gleichmäßig zu verteilen.
- 11
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Die Familienkasse beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
- 12
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Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
- 13
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Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO-- i.V.m. § 121 FGO).
Entscheidungsgründe
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II.
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Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).
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Das FG hat den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid für die Kindergeldfestsetzung vom 5. Februar 2013 sowie die Einspruchsentscheidung vom 18. Februar 2013 zu Recht teilweise aufgehoben. Die Klägerin hat für den Streitzeitraum April 2012 bis Februar 2013 einen Anspruch auf Differenzkindergeld für das dritte und vierte Kind in Höhe von monatlich 74,14 €. Dementsprechend hat das FG den Rückforderungsbetrag folgerichtig auf 55,40 € begrenzt.
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1. Die im Inland wohnende Klägerin erfüllt, was zwischen den Beteiligten unstreitig ist, die Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug von Kindergeld für ihre gleichfalls im Inland wohnenden und nach § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG i.V.m. § 32 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2, § 32 Abs. 3 und Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG zu berücksichtigenden vier Kinder. Darüber hinaus ist die Eröffnung des Anwendungsbereichs der VO Nr. 883/2004 sowie eine daraus resultierende Rechtszuständigkeit des Beschäftigungsstaates der Schweiz nicht im Streit.
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2. Ist der persönliche und sachliche Geltungsbereich der VO Nr. 883/2004 eröffnet, dann richtet sich die Kindergeldberechtigung nach den §§ 62 ff. EStG und die Anspruchskonkurrenz zwischen dem deutschen Kindergeldanspruch und der ausländischen Familienleistung nach Art. 68 der VO Nr. 883/2004. Diese Prioritätsregelung ist gegenüber § 65 EStG grundsätzlich vorrangig (vgl. Senatsurteile vom 18. Juli 2013 III R 51/09, BFHE 242, 222, Rz 20; vom 12. September 2013 III R 32/11, BFHE 243, 204, Rz 17).
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a) Gemäß Art. 68 Abs. 2 Satz 1 der VO Nr. 883/2004 werden beim Zusammentreffen von Ansprüchen die Familienleistungen nach den Rechtsvorschiften gewährt, die nach Art. 68 Abs. 1 der VO Nr. 883/2004 Vorrang haben. Vorrang haben hiernach an erster Stelle die durch eine Beschäftigung ausgelösten Ansprüche (Art. 68 Abs. 1 Buchst. a der VO Nr. 883/2004), mithin die Ansprüche auf die dem deutschen Kindergeld vergleichbare Leistung der Schweizer Kinderzulage. Die nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG bestehenden Ansprüche auf deutsches Kindergeld werden nach Art. 68 Abs. 2 Satz 2 der VO Nr. 883/2004 ausgesetzt; erforderlichenfalls ist ein Unterschiedsbetrag in Höhe des darüber hinausgehenden Betrags der Leistungen zu gewähren. Ein weiter gehender deutscher Kindergeldanspruch wird daher nicht ausgeschlossen.
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b) Der Klägerin steht danach deutsches Differenzkindergeld zu, soweit das Kindergeld die vergleichbare Schweizer Kinderzulage übersteigt.
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3. Eine Kürzung des Differenzkindergeldes für das dritte und vierte Kind der Klägerin durch Verrechnung des übersteigenden Betrages der Schweizer Kinderzulage für die ersten beiden Kinder ist mangels einer gesetzlichen --sowohl europarechtlichen als auch nationalen-- Regelung ausgeschlossen.
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a) Aus der in der Vorschrift des Art. 68 Abs. 2 der VO Nr. 883/2004 gewählten Formulierung "Familienangehörigen" (Plural) lässt sich im Hinblick auf eine Berechnungsmethode, bei der die Beträge der Familienleistungen eines primär und eines sekundär zuständigen Mitgliedstaates miteinander verglichen werden, keine Regelung entnehmen (a.A. Osterholz in jurisPK-SGB I, 2. Aufl. 2011, Art. 69 VO (EG) 883/2004, Rz 28). Ein Rückschluss auf eine bestimmte Berechnungsmethode kann auch nicht aus der in Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009 geregelten Familienbetrachtung gezogen werden (a.A. Helmke/Bauer, Familienleistungsausgleich, Art. 68 VO Nr. 883/2004, D I. Rz 29). Die dort vorgesehenen Fiktionen betreffen lediglich die Feststellung vorrangiger und nachrangiger Ansprüche bei der Anwendung des Art. 68 der VO Nr. 883/2004, um Anspruchsausschlüsse zu vermeiden, die von der Erfüllung bestimmter Voraussetzungen in der Person des Berechtigten abhängen, enthalten aber keine Aussage zu einer Berechnungsmethode.
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b) Schon die Vorgängerregelung zu Art. 68 der VO Nr. 883/2004 --Art. 76 der VO Nr. 1408/71 vom 14. Juni 1971, ABlEG 1971 Nr. L 149, S. 1-- enthielt ebenfalls keine Regelung zur Berechnung der Differenzbeträge. Die bei der Kommission der Europäischen Gemeinschaft eingesetzte, u.a. für Auslegungsfragen zuständige Verwaltungskommission (vgl. Art. 80, 81 der VO Nr. 1408/71, Art. 71, 72 der VO Nr. 883/2004) entschied sich für eine kindbezogene Betrachtungsweise (Vergleich der Beträge "bei jedem Familienangehörigen", Beschluss Nr. 147 der Verwaltungskommission der Europäischen Gemeinschaften für die Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer vom 10. Oktober 1990, ABlEG 1991, Nr. L 235, S. 21, unter 1.d und e). Abgesehen davon, dass Beschlüsse der Verwaltungskommission nationale Gerichte mangels eines Rechtsakts mit normativen Charakter nicht binden können (Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union --EuGH-- vom 14. Mai 1981 98/80, Slg. 1981, 1241), fehlt es bei der Anwendung der VO Nr. 883/2004 an einem entsprechenden (nachfolgenden) Beschluss. Die Mitgliedstaaten konnten sich vielmehr nicht auf eine bestimmte Berechnungsmethode (Berechnung für jeden Familienangehörigen/pro Kind und Berechnung für die Familie insgesamt/Gesamtbetrag) verständigen. Dies ergibt sich u.a. aus dem von der Familienkasse vorgelegten Protokoll der Verwaltungskommission für die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer der Europäischen Kommission vom 16./17. Dezember 2009. Dementsprechend wurde den Mitgliedstaaten die Wahl der Berechnungsmethode überlassen. Insoweit sehen auch die Vordrucke (SED F001, F002) für den Informationsaustausch im Bereich der Familienleistungen vor, dass die Angaben zu den nationalen Ansprüchen kind- oder familienbezogen erfolgen können.
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c) In Ermangelung einer entsprechenden unionsrechtlichen Regelung ist es daher Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung eines jeden Mitgliedstaates, die Modalitäten für die Berechnung festzulegen. Das Erfordernis, wonach eine Familienleistung aufgrund eines gesetzlich umschriebenen Tatbestands zu gewähren ist, impliziert, dass nicht nur die Voraussetzungen ihrer Gewährung, sondern gegebenenfalls auch die Voraussetzungen ihres Ruhens den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten entnommen werden müssen (vgl. EuGH-Urteil vom 6. November 2014 C-4/13, EU:C:2014:2344, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2015, 86, Rz 43). Wenn die Richtlinie oder Verordnung den Mitgliedstaaten einen Gestaltungsspielraum einräumt, obliegt die Befugnis zur Letztkonkretisierung dem Gesetzgeber. Daraus folgt, dass sich die Berechnung nach den Vorschriften des EStG bestimmen lassen muss.
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aa) Das EStG sieht für die Berechnung der Unterschiedsbeträge beim Zusammentreffen von nationalen und vergleichbaren ausländischen Familienleistungen zwar keine ausdrückliche Regelung vor. Die einkommensteuerrechtlichen Vorschriften sind aber sowohl dem Grunde (vgl. §§ 62 bis 65 EStG) als auch der Höhe nach (§ 66 EStG) kindbezogen ausgestaltet. Darüber hinaus ergibt sich aus § 31 Satz 1 und aus § 32 Abs. 6 Satz 1 EStG, dass im Rahmen der Günstigerprüfung die Vergleichsrechnung ebenfalls für jedes Kind einzeln durchzuführen ist (vgl. Senatsurteile vom 28. April 2010 III R 86/07, BFHE 230, 294, BStBl II 2011, 259; vom 19. April 2012 III R 50/08, BFH/NV 2012, 1429, Rz 15).
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bb) Diese kindbezogene Betrachtungsweise wird nur dann durchbrochen, wenn dies ausdrücklich gesetzlich geregelt ist.
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Solche Regelungen finden sich in § 74 Abs. 1 Satz 2 EStG und § 76 Satz 2 Nr. 1 EStG, sofern der Kindergeldberechtigte seine gesetzlichen Unterhaltspflichten verletzt. Hierbei geht es nur um die Verwendung des bereits zuvor kindbezogen festgesetzten Kindergeldes für die ganze Familie.
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Eine entsprechende Anwendung der genannten Vorschriften kommt nicht in Betracht. Für eine Erweiterung des Anwendungsbereichs der §§ 74 Abs. 1 Satz 2, 76 Abs. 2 Nr. 1 EStG im Wege einer analogen Anwendung fehlt es, wenn schon nicht an der notwendigen planwidrigen Regelungslücke, so doch an der für eine Analogie erforderlichen, hier nicht vergleichbaren Interessenlage.
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cc) Soweit die Familienkasse darauf hinweist, dass sich Deutschland für die familienbezogene Betrachtung entschieden habe, stellt dies keine erforderliche Bestimmung im nationalen Recht dar. Auch der Hinweis auf die Regelungen in DA 214.6 Satz 8 der "Durchführungsanweisung zum über- und zwischenstaatlichen Recht" --DAüzV-- (abrufbar unter www.arbeitsagentur.de) ersetzt keine gesetzliche Bestimmung. Diese Dienstanweisung, die eine einheitliche Verwaltungstätigkeit der untergeordneten Behörden ermöglichen sollte, entfaltet Bindungswirkung grundsätzlich nur im Innenverhältnis.
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4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO.
Tatbestand
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I. Im Revisionsverfahren ist der Kindergeldanspruch des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) für den Zeitraum Juni 2004 bis August 2006 streitig.
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Der Kläger ist polnischer Staatsangehöriger. Er betrieb in der Zeit von Oktober 2004 bis März 2008 im Inland ein Gewerbe (Fliesenleger, Trockenbau). Eine Sozialversicherungspflicht in Deutschland bestand nicht. In der Zeit von Juni 2004 bis Dezember 2004 war er in Polen sozialversichert. In der Zeit von Januar 2005 bis August 2006 bestand hingegen auch in Polen keine Sozialversicherungspflicht. Die Ehefrau des Klägers lebte mit den beiden gemeinsamen Kindern A, geboren im Februar 1994, und B, geboren im Februar 2005, in Polen. Die Ehefrau war in Polen vom 1. Juli 2004 bis 31. Dezember 2006 erwerbstätig und bezog in dieser Zeit polnische Familienleistungen. Für die Folgezeit ab September 2006 hat die Ehefrau keinen neuen Antrag auf Familienleistungen in Polen gestellt.
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Die Beklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse) lehnte den Antrag des Klägers vom 16. April 2008 auf Gewährung von Kindergeld ab. Der Einspruch blieb erfolglos.
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Nachdem die Familienkasse im erstinstanzlichen Verfahren einen Abhilfebescheid für den Zeitraum September 2006 bis Dezember 2007 erlassen hatte, war vor dem Finanzgericht (FG) noch die Gewährung von Kindergeld für A und B für die Zeiträume Juni 2004 bis August 2006 und Januar 2008 bis März 2008 streitig. Die Klage hatte keinen Erfolg. Zur Begründung führte das FG im Wesentlichen aus, dass der Kläger für den Zeitraum Januar 2008 bis März 2008 nicht nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b des Einkommensteuergesetzes in der für die Streitzeiträume maßgeblichen Fassungen (EStG) anspruchsberechtigt gewesen sei. Für den Zeitraum Juni 2004 bis August 2006 habe zwar eine Anspruchsberechtigung nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG bestanden. Dem Kläger stehe aber kein Kindergeld zu, weil sein Kindergeldanspruch entweder nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG oder bereits mangels Anwendbarkeit der deutschen Kindergeldvorschriften ausgeschlossen sei.
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Mit der Revision wendet sich der Kläger gegen das klageabweisende Urteil, soweit es den Zeitraum Juni 2004 bis August 2006 betrifft. Er macht eine Verletzung materiellen Rechts geltend. Die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der im Streitzeitraum maßgeblichen Fassung (VO Nr. 1408/71), verpflichte die Behörden des Beschäftigungsstaats, den dort tätigen Wanderarbeitnehmern Familienleistungen zu gewähren. Seien danach in Deutschland als Beschäftigungsstaat die Voraussetzungen für einen Kindergeldanspruch nach dem EStG gegeben, müsse Deutschland Kindergeld zahlen. Diesen Zweck konterkariere jedoch § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG. Diese Vorschrift sei daher gemeinschaftsrechtswidrig. Deren Gemeinschaftsrechtswidrigkeit ergebe sich auch daraus, dass sie allein das Bestehen eines Anspruchs auf ausländische --dem deutschen Kindergeld vergleichbare-- Leistungen für einen vollständigen Ausschluss ausreichen lasse, obwohl der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in der Rechtssache Schwemmer klargestellt habe, dass erst ein tatsächlicher Mittelzufluss zu einer relevanten Kollision führen könne. Ferner sei die genannte Norm verfassungswidrig. Jedenfalls hätte in der Vorinstanz eine Festsetzung von Kindergeld nach dem EStG unter Abzug der in Polen bezogenen Familienleistungen (Differenzkindergeld) erfolgen müssen.
- 6
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Während des Revisionsverfahrens erließ die Familienkasse einen Teilabhilfebescheid und setzte Differenzkindergeld für A für den Zeitraum Januar 2005 bis August 2006 in Höhe von 2.755,73 € und für B für den Zeitraum März 2005 bis August 2006 in Höhe von 941,54 € (insgesamt: 3.692,27 €) fest. Hierzu führt der Kläger aus, dass die Anrechnung insoweit rechtsfehlerhaft sei, als auch die in Polen gewährten und den Betrag von 43 PLN pro Kind und Monat übersteigenden Zahlungen von dem deutschen Kindergeld zum Abzug gebracht worden seien. Diese Zahlungen stellten keine dem deutschen Kindergeld vergleichbaren Leistungen dar.
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Der Kläger beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil, den Ablehnungsbescheid, die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung und den Teilabhilfebescheid vom 28. Februar 2012 aufzuheben, soweit die Kindergeldfestsetzung für die Kinder A und B für den Zeitraum Juni 2004 bis August 2006 in Höhe von 154 € pro Kind abgelehnt wurde, und die Familienkasse zu verpflichten, Kindergeld für diese Kinder für den genannten Zeitraum in Höhe von 154 € pro Kind festzusetzen.
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Die Familienkasse beantragt sinngemäß, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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II. Die Familienkasse X der Bundesagentur für Arbeit ist aufgrund eines Organisationsaktes (Beschluss des Vorstands der Bundesagentur für Arbeit Nr. 21/2013 vom 18. April 2013 gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 11 des Finanzverwaltungsgesetzes, Amtliche Nachrichten der Bundesagentur für Arbeit, Ausgabe Mai 2013, S. 6 ff.) im Wege des gesetzlichen Parteiwechsels in die Beteiligtenstellung der Agentur für Arbeit … --Familienkasse-- eingetreten (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 22. August 2007 X R 2/04, BFHE 218, 533, BStBl II 2008, 109, unter II.1.).
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III.
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Die Revision hat keinen Erfolg, soweit sie das Kindergeld für B für den Zeitraum Juni 2004 bis Januar 2005 betrifft. Im Übrigen ist sie erfolgreich.
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1. Kindergeld für B für Juni 2004 bis Januar 2005
Soweit sich die Klage gegen die Ablehnung des Kindergeldes für B für den Zeitraum Juni 2004 bis Januar 2005 richtet, ist die Revision als unbegründet zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Insoweit hat das FG im Ergebnis zu Recht entschieden, dass dem Kläger kein Anspruch auf Kindergeld nach den §§ 62 ff. EStG zusteht (§ 126 Abs. 4 FGO). Eine Berücksichtigung des B für diesen Zeitraum scheidet aus, weil ein Kind erst ab dem Kalendermonat berücksichtigungsfähig ist, in dem es lebend geboren wird (§ 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 3 EStG). Im Streitfall war dies der Monat Februar 2005.
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2. Kindergeld für A für Juni 2004 bis Dezember 2004 und für B für Februar 2005
Das Urteil ist, soweit es das Kindergeld für A für den Zeitraum Juni 2004 bis Dezember 2004 und für B für den Monat Februar 2005 betrifft, aufzuheben und mangels Spruchreife an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO).
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a) Kindergeld für A
Hinsichtlich des vorstehend genannten Zeitraums kommt für A die Gewährung von Differenzkindergeld, für den Monat Juni 2004 ggf. sogar die Gewährung von Kindergeld in voller Höhe in Betracht. Allerdings reichen die vom FG getroffenen Feststellungen nicht aus, um abschließend zu beurteilen, ob ein solcher Anspruch tatsächlich besteht.
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aa) Das FG ist davon ausgegangen, dass der nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG anspruchsberechtigte Kläger als Selbständiger nicht die Voraussetzungen erfülle, die in Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Buchst. a i.V.m. Anhang I Teil I Buchst. C (entspricht ab Mai 2005 Buchst. D, ab 2007 Buchst. E) in der im Streitzeitraum geltenden Fassung der VO Nr. 1408/71 geregelt seien. Zwar seien die hieraus zu ziehenden Schlüsse in der Rechtsprechung der FG umstritten. Alle Ansichten führten aber zu dem Ergebnis, dass ein bestehender Kindergeldanspruch vollständig ausgeschlossen sei. Vor diesem Hintergrund hat das FG letztendlich offengelassen, ob der persönliche Geltungsbereich der VO Nr. 1408/71 eröffnet und Deutschland gemäß Art. 13 ff. der VO Nr. 1408/71 der zuständige Mitgliedstaat ist.
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bb) Diese Fragen können jedoch --sollten die Voraussetzungen eines Kindergeldanspruchs nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 EStG vorliegen-- nicht offenbleiben.
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Ist der persönliche Anwendungsbereich der VO Nr. 1408/71 eröffnet und Deutschland nach den Art. 13 ff. dieser Verordnung der zuständige Mitgliedstaat, ist die Anwendung des Art. 10 der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der im Streitzeitraum geltenden Fassung (VO Nr. 574/72) nicht auf jeden Fall deshalb ausgeschlossen, weil der Kläger nicht die Voraussetzungen des Anhangs I Teil I Buchst. C bzw. Buchst. D der VO Nr. 1408/71 erfüllt. Der Senat hat bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass diese Antikumulierungsvorschrift auch in einem Fall zur Anwendung kommen kann, in dem der nach deutschem Recht Kindergeldberechtigte die Voraussetzungen des genannten Anhangs nicht erfüllt. Dies kann sich vor allem daraus ergeben, dass die Kinder des Anspruchstellers als Familienangehörige des anderen Elternteils in den persönlichen Anwendungsbereich der VO Nr. 1408/71 fallen und parallele Ansprüche auf Familienleistungen für denselben Zeitraum bestehen (Senatsurteile vom 19. April 2012 III R 87/09, BFHE 237, 150, Rz 24 ff.; vom 16. Mai 2013 III R 8/11, BFHE 241, 511, BStBl II 2013, 1040, Rz 27).
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Für den Senat ist nicht nachprüfbar, ob eine solche Konstellation im Streitfall gegeben ist. Da der Kläger im fraglichen Zeitraum in Polen sozialversichert war, ist es nicht fernliegend, dass der persönliche Geltungsbereich der VO Nr. 1408/71 eröffnet ist (vgl. zu dieser Frage im Einzelnen Senatsurteil vom 4. August 2011 III R 55/08, BFHE 234, 316, BStBl II 2013, 619, Rz 14 ff.). Dem Senat ist auch keine Prüfung der Art. 13 ff. der VO Nr. 1408/71 möglich, weil hierbei (nur) an diejenigen Tätigkeiten anzuknüpfen ist, hinsichtlich derer die betreffende Person als Arbeitnehmer oder Selbständiger i.S. des Art. 1 Buchst. a der VO Nr. 1408/71 gilt (vgl. dazu Senatsurteile in BFHE 234, 316, BStBl II 2013, 619, Rz 27 ff.; vom 15. März 2012 III R 52/08, BFHE 237, 412, BStBl II 2013, 623, Rz 20 ff.; vom 5. Juli 2012 III R 76/10, BFHE 238, 87, BStBl II 2013, 1033, Rz 14 ff.). Das FG hat jedoch nicht festgestellt, aufgrund welcher Tätigkeit der Kläger in Polen sozialversichert war. In diesem Zusammenhang hat der Senat bereits entschieden, dass die die Zuständigkeit Deutschlands begründende Tätigkeit auch auf einer in einem anderen Mitgliedstaat bestehenden Versicherung beruhen kann (vgl. Senatsurteil in BFHE 238, 87, BStBl II 2013, 1033, Rz 16). Schließlich war die Ehefrau des Klägers in Polen erwerbstätig, so dass für sie möglicherweise der persönliche Geltungsbereich der VO Nr. 1408/71 eröffnet war.
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Sollten die vorstehend genannten Voraussetzungen vorliegen, wird § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG von den unionsrechtlichen Antikumulierungsvorschriften verdrängt, und zwar im Streitfall von Art. 10 der VO Nr. 574/72, weil im Wohnmitgliedstaat der Kinder (Polen) der Anspruch auf Familienleistungen nicht von der Ausübung einer Erwerbstätigkeit abhängig ist. Es würde Art. 10 Abs. 1 Buchst. b Ziff. i der VO Nr. 574/72 eingreifen, wenn im Wohnmitgliedstaat der Kinder eine Berufstätigkeit ausgeübt wird. Danach ruht der deutsche Kindergeldanspruch bis zur Höhe der in dem Wohnmitgliedstaat der Kinder (Polen) vorgesehenen Familienleistungen. Bleiben daher die polnischen Familienleistungen der Höhe nach hinter dem deutschen Kindergeld zurück, schuldet Deutschland Differenzkindergeld.
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Zudem müsste für den Monat Juni 2004 noch gesondert der Umstand gewürdigt werden, dass die Nichtzahlung polnischer Familienleistungen auf einer fehlenden Antragstellung beruht (vgl. Senatsurteil vom 18. Juli 2013 III R 51/09, BFHE 242, 222, zu Art. 10 Abs. 1 Buchst. a der VO Nr. 574/72).
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cc) In diesem Zusammenhang weist der Senat ergänzend auf Folgendes hin: Sollte bei bestehender Anspruchskonkurrenz der persönliche Geltungsbereich der VO Nr. 1408/71 eröffnet, Deutschland aber nach den Art. 13 ff. der VO Nr. 1408/71 der unzuständige Mitgliedstaat sein, wäre die Anwendung der deutschen Kindergeldvorschriften (§§ 62 ff. EStG) nicht bereits wegen des in Art. 13 Abs. 1 Satz 1 der VO Nr. 1408/71 geregelten Ausschließlichkeitsprinzips ausgeschlossen. Insoweit verweist der Senat auf sein Urteil in BFHE 241, 511, BStBl II 2013, 1040. Ebenso hat der Senat bereits darauf hingewiesen, dass eine Sperrwirkung bei eröffnetem persönlichen Anwendungsbereich der VO Nr. 1408/71 auch dann ausscheidet, wenn die Ausübung der Niederlassungsfreiheit (Freizügigkeit der Selbständigen; Art. 49 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union) in Rede steht (Senatsurteil vom 13. Juni 2013 III R 63/11, BFHE 242, 34, Rz 42 f.). Zu prüfen bliebe jedoch, ob § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG auch dann, wenn nicht --wie in dem EuGH-Urteil vom 12. Juni 2012 C-611/10, C-612/10, Hudzinski und Wawrzyniak (Zeitschrift für europäisches Sozial- und Arbeitsrecht 2012, 475)-- die Arbeitnehmerfreizügigkeit, sondern die Niederlassungsfreiheit betroffen ist, dahingehend europarechtskonform auszulegen ist, dass der Anspruch auf Kindergeld nach dem EStG nur in entsprechender Höhe gekürzt werden darf.
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b) Kindergeld für B
Die Feststellungen des FG reichen nicht aus, um abschließend zu beurteilen, ob dem Kläger für B für den Monat Februar 2005 ein Kindergeldanspruch zusteht.
aa) Nach den Ausführungen des FG sei für diesen Monat § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG anwendbar, weil der Kläger weder in Deutschland noch in Polen sozialversicherungspflichtig tätig gewesen ist.
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Nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG wird Kindergeld nicht für ein Kind gezahlt, für das Leistungen zu zahlen sind oder bei entsprechender Antragstellung zu zahlen wären, die im Ausland gewährt werden und dem Kindergeld oder einer der in § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG genannten Leistungen vergleichbar sind. Dessen Tatbestand ist erfüllt, wenn entweder kindergeldähnliche Leistungen nach ausländischem Recht zu zahlen sind oder bei entsprechender Antragstellung zu zahlen wären. Wird im Ausland kein Kindergeld bezogen, ist es daher bereits kindergeldschädlich, wenn ein materiell-rechtlicher Anspruch auf die entsprechende Leistung nach ausländischem Recht besteht. Bei dieser Prüfung hat das FG im Grundsatz das maßgebende ausländische Recht gemäß § 155 FGO i.V.m. § 293 der Zivilprozessordnung (ZPO) von Amts wegen zu ermitteln und festzustellen (vgl. Senatsurteil vom 13. Juni 2013 III R 10/11, BFHE 241, 562).
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bb) Diesen Rechtsgrundsätzen entspricht das FG-Urteil nicht. Es hat zwar festgestellt, dass die Ehefrau des Klägers jedenfalls ab Juli 2004 polnische Familienleistungen bezogen hat. Diese Feststellung ist jedoch für den Senat hinsichtlich des Monats Februar 2005 nicht bindend, weil aus der nur in polnischer Sprache vorliegenden Bescheinigung E 411 jedenfalls erkennbar ist, dass für diesen Monat keine polnischen Familienleistungen gezahlt wurden. Danach kann im Streitfall --selbst wenn man im Einklang mit dem FG von einer Anwendbarkeit des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG (und nicht des Art. 10 der VO Nr. 574/72) ausgeht-- ein Kindergeldanspruch nur dann ausgeschlossen sein, wenn der Ehefrau des Klägers nach dem maßgeblichen Recht in Polen für den Monat Februar 2005 ein Anspruch auf Familienleistungen zusteht. Feststellungen hierzu fehlen.
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cc) Sollte hingegen Art. 10 der VO Nr. 574/72 eingreifen, bleibt insbesondere der bereits unter III.2.a bb der Gründe dargestellte Gesichtspunkt zu beachten.
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c) Der Senat weist für den zweiten Rechtsgang außerdem auf Folgendes hin:
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aa) Ausgangspunkt für die Prüfung des Kindergeldanspruchs des Klägers ist die Frage, ob er nach § 62 Abs. 1 EStG anspruchsberechtigt ist. Wenn im Streitfall § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG nicht eingreift, muss das FG prüfen, ob eine Anspruchsberechtigung nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG besteht.
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Für Kinder i.S. des § 63 EStG hat nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG Anspruch auf Kindergeld, wer ohne Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt wird. Hierzu hat der erkennende Senat entschieden, dass eine Kindergeldberechtigung nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG voraussetzt, dass der Anspruchsteller aufgrund eines entsprechenden Antrags vom zuständigen Finanzamt (FA) nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt wird (Senatsurteil vom 24. Mai 2012 III R 14/10, BFHE 237, 239, BStBl II 2012, 897). Maßgeblich ist nicht die Antragstellung durch den Steuerpflichtigen, sondern wie er die hierauf erfolgende Reaktion des FA in dem maßgeblichen Einkommensteuerbescheid verstehen durfte (vgl. Senatsurteile in BFHE 241, 511, BStBl II 2013, 1040; vom 18. Juli 2013 III R 59/11, BFHE 242, 228).
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Das FG-Urteil enthält hierzu keine hinreichenden tatsächlichen Feststellungen. Es hat zwar ausgeführt, dass der Kläger --wie auch die Beteiligten zwischenzeitlich übereinstimmend annehmen würden-- für den gesamten Streitzeitraum (Juni 2004 bis August 2006) die Voraussetzungen des § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG erfülle. Mit dieser pauschalen Aussage sind aber nicht die Tatsachen festgestellt, die erforderlich sind, um eine Behandlung nach § 1 Abs. 3 EStG bejahen zu können. Im Übrigen lässt sich dem FG-Urteil nicht entnehmen, welchen übereinstimmenden rechtlichen Inhalt die Beteiligten der in § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG genannten Voraussetzung, wonach der Antragsteller "nach § 1 Abs. 3 als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt" werden muss, beigemessen haben sollen. Damit bleibt unklar, welche Tatsachen dieser rechtlichen Beurteilung zugrunde liegen sollen.
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Anzumerken bleibt, dass sich der bei den Streitakten befindlichen Einkommensteuerakte nicht ohne weiteres entnehmen lässt, dass der Kläger mit Abgabe der Einkommensteuererklärung für 2004 einen Antrag nach § 1 Abs. 3 EStG gestellt hat. In der Einkommensteuerakte befindet sich auch kein Einkommensteuerbescheid für 2004. Im Übrigen lässt sich der vom FA ausgestellten Bescheinigung lediglich entnehmen, dass das FA den Kläger in den Jahren 2004 bis 2008 als unbeschränkt einkommensteuerpflichtige Person geführt hat (Bl. 43 der FG-Akte).
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Die in der Einkommensteuerakte befindliche Einspruchsentscheidung vom 3. Dezember 2008 wegen Einkommensteuer 2006 gibt zudem Veranlassung, der Frage nachzugehen, ob A überhaupt in einem Kindschaftsverhältnis zum Kläger steht (vgl. § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 32 Abs. 1 EStG).
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bb) Wie das FG in der angegriffenen Entscheidung bereits zutreffend entschieden hat, kann eine Kindergeldberechtigung nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG (nur) in den Monaten des betreffenden Kalenderjahres bestehen, in denen der Anspruchsteller Einkünfte i.S. des § 49 EStG erzielt hat (vgl. dazu Senatsurteile in BFHE 241, 511, BStBl II 2013, 1040, m.w.N.; in BFHE 242, 228). Demnach bliebe für den Fall, dass das FA den Kläger nach § 1 Abs. 3 EStG behandelt hat, noch zu prüfen, in welchen Monaten der Kläger nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 EStG inländische Einkünfte erzielt hat.
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3. Kindergeld für A für Januar 2005 bis August 2006 und für B für März 2005 bis August 2006
Das Urteil ist, soweit es das Kindergeld für A für den Zeitraum Januar 2005 bis August 2006 und das Kindergeld für B für den Zeitraum März 2005 bis August 2006 betrifft, nach § 127 FGO aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
a) Der angegriffene Ablehnungsbescheid und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung wurden für die vorstehend genannten Zeiträume durch den Bescheid vom 28. Februar 2012 (Festsetzung von Differenzkindergeld) geändert. Dieser Änderungsbescheid wurde nach § 121 i.V.m. § 68FGO zum Gegenstand des Verfahrens. Somit ist die Vorentscheidung insoweit gegenstandslos geworden (vgl. dazu Senatsurteil vom 28. Juni 2012 III R 86/09, BFHE 238, 68, BStBl II 2013, 855).
b) Der Senat macht von der Möglichkeit des § 127 FGO Gebrauch.
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aa) Ob von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht wird, hängt im Wesentlichen von prozessökonomischen Gründen ab. So wird der BFH regelmäßig in der Sache selbst entscheiden, wenn sie spruchreif ist. Hingegen wird er regelmäßig nach § 127 FGO vorgehen, wenn auch nur eine geringe Möglichkeit besteht, dass sich aufgrund des Änderungsbescheids tatsächliche Fragen stellen, die bisher noch nicht geklärt sind (Bergkemper in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 127 FGO Rz 10).
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bb) Im Streitfall führt der Änderungsbescheid --geht man mit der Familienkasse vom Eingreifen des Art. 10 Abs. 1 Buchst. b Ziff. i der VO Nr. 574/72 aus-- nicht lediglich zu einer Reduzierung des Streitstoffs, sondern es kann ein neuer Streitpunkt auftreten, der weitere tatsächliche Feststellungen erforderlich macht.
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Der Kläger betrachtet die erfolgte Anrechnung der polnischen Familienleistungen zwar nur insoweit für rechtsfehlerhaft, als auch die den Betrag von 43 PLN pro Kind und Monat übersteigenden Zahlungen vom deutschen Kindergeld zum Abzug gebracht worden sind. Feststellungen dazu, ob es sich bei diesen Zahlungen um dem Kindergeld vergleichbare Leistungen handelt, fehlen, da diese Frage erst durch den Änderungsbescheid entstanden ist. Daneben würde sich aber ggf. auch die alle Anrechnungsmonate betreffende Rechtsfrage stellen, anhand welchen Wechselkurses die polnischen Leistungen in Euro-Beträge umzurechnen sind. Bei Anwendung des Art. 10 der VO Nr. 574/72 kommen verschiedene Zeitpunkte zur Ermittlung des Wechselkurses in Betracht (vgl. dazu die EuGH-Vorlage des FG Baden-Württemberg vom 18. April 2013 3 K 4100/12, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2013, 1143). Feststellungen hierzu liegen ebenfalls nicht vor.
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cc) Der Senat verkennt nicht, dass die vorbezeichnete Fragestellung nicht entscheidungserheblich ist, wenn für den Kläger, der weder in Deutschland noch in Polen sozialversichert war, § 65 EStG mangels Eröffnung des persönlichen Geltungsbereichs der VO Nr. 1408/71 zur Anwendung käme und eine europarechtskonforme Auslegung dieser Vorschrift ausschiede, so dass kein Kindergeldanspruch des Klägers bestünde (so FG München, Urteil vom 27. September 2012 5 K 2428/12, EFG 2013, 460; FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20. Dezember 2012 4 K 4176/06 B, juris, nicht rechtskräftig, Az. des BFH: III R 1/13; so u.U. auch BFH-Urteil vom 5. September 2013 XI R 52/10, BFH/NV 2014, 33; a.A. u.U. FG Köln, Urteil vom 30. Januar 2013 15 K 47/09, EFG 2013, 797, nicht rechtskräftig, Az. beim BFH: XI R 10/13).
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Im Streitfall ist jedoch zu beachten, dass die Familienkasse u.a. aufgrund der Erwerbstätigkeit der Ehefrau in Polen vom Eingreifen des Art 10 Abs. 1 Buchst. b Ziff. i der VO Nr. 574/72 ausgegangen ist. Der Senat möchte daher möglichen tatsächlichen und rechtlichen Überlegungen nicht vorgreifen. Außerdem bleibt zu beachten, dass im Streitfall noch nicht hinreichend festgestellt ist, ob der Kläger überhaupt nach § 62 Abs. 1 EStG kindergeldberechtigt ist.
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4. Die Kostenentscheidung wird dem FG für das gesamte Verfahren, auch soweit die Revision keinen Erfolg hatte, gemäß § 143 Abs. 2 FGO übertragen (vgl. BFH-Urteil vom 6. November 2008 IV R 6/06, BFH/NV 2009, 763, unter II.5.; Brandis in Tipke/ Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 143 FGO Rz 15).
(1) Soweit ein angefochtener Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und die etwaige Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf auf; die Finanzbehörde ist an die rechtliche Beurteilung gebunden, die der Aufhebung zugrunde liegt, an die tatsächliche so weit, als nicht neu bekannt werdende Tatsachen und Beweismittel eine andere Beurteilung rechtfertigen. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, dass und wie die Finanzbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, dass die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekannt zu geben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und die Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Satz 1 gilt nicht, soweit der Steuerpflichtige seiner Erklärungspflicht nicht nachgekommen ist und deshalb die Besteuerungsgrundlagen geschätzt worden sind. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlass des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, dass Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluss kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(1) Der unterliegende Beteiligte trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, soweit er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Besteht der kostenpflichtige Teil aus mehreren Personen, so haften diese nach Kopfteilen. Bei erheblicher Verschiedenheit ihrer Beteiligung kann nach Ermessen des Gerichts die Beteiligung zum Maßstab genommen werden.
(1) Soll gegen den Bund, ein Land, einen Gemeindeverband, eine Gemeinde, eine Körperschaft, eine Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts vollstreckt werden, so gilt für die Zwangsvollstreckung das Achte Buch der Zivilprozessordnung sinngemäß; § 150 bleibt unberührt. Vollstreckungsgericht ist das Finanzgericht.
(2) Vollstreckt wird
- 1.
aus rechtskräftigen und aus vorläufig vollstreckbaren gerichtlichen Entscheidungen, - 2.
aus einstweiligen Anordnungen, - 3.
aus Kostenfestsetzungsbeschlüssen.
(3) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.
(4) Für die Vollstreckung können den Beteiligten auf ihren Antrag Ausfertigungen des Urteils ohne Tatbestand und ohne Entscheidungsgründe erteilt werden, deren Zustellung in den Wirkungen der Zustellung eines vollständigen Urteils gleichsteht.
Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:
- 1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen; - 2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a; - 3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird; - 4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden; - 5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären; - 6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden; - 7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen; - 8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht; - 9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung; - 10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist; - 11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.